GA 292

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ZU VORTRAG V VORWORT DES HERAUSGEBERS

#G292-1981-SE015 Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse

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ZU VORTRAG V

VORWORT DES HERAUSGEBERS

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In seiner Autobiographie «Mein Lebensgang» schildert Rudolf Steiner, wie er während einiger Reisen für die anthroposophische Arbeit die Möglich­keit hatte, große Werke der europäischen Kunst im Original kennen zu lernen. und schließt: «Was sich mir aus der geistigen Anschauung als das Gesetz der Menschheitsentwickelung ergeben hatte: es tritt, sich deutlich offenbarend, in dem Werden der Kunst der Seele entgegen». Von diesem Werden spricht er in den Kriegsjahren 1916/1917 zu den Menschen, die aus verschiedensten, zum Teil gegeneinander Krieg führenden Nationen kommend, miteinander am Bau des ersten Goetheanum künstlerisch-handwerklich oder sonst helfend tätig waren. Russische Künstler, vor allem Assja Turgenieff, haben diese Zeit in ihren Erinnerungen besonders lebendig beschrieben. Der Duktus der Vor­träge ist durch diese Situation mitbestimmt. Es wurden viele Lichtbilder gezeigt, Rudolf Steiner sprach aber nur gelegentlich zu den einzelnen Bildern; er stellte die großen Gesichtspunkte am Anfang dar, um dann die Teilnehmer mit ihren ja sehr unterschiedlichen Vorkenntnissen zu ruhigem, verständnis-vollem Anschauen hinzuführen.

Herman Grimms noch ganz von Goetheschem Geist erfüllte Ansichten über Literatur und bildende Kunst, die Rudolf Steiner während seiner Studen­tenzeit aus dessen Schriften und später in Gesprächen während der gemein­samen Tätigkeit am Goethe-Archiv in Weimar kennenlernte, hatten ihn, wie aus dem vierzehnten Kapitel des «Lebensgangs» hervorgeht, vielfältig angeregt. Aber darüber und über die von Dr. Trapesnikoff, der die Vorträge mit Licht-bildern vorbereitete, beabsichtigte Einführung in die Kunstgeschichte geht Rudolf Steiner weit hinaus.

Der Anlage nach erscheinen die auf dem Gebiet der Kunst gezogenen Entwicklungslinien so fundamental wie die in seinem Werk «Die Rätsel der Philosophie» entwickelte Geschichte des abendländischen Denkens. Nur wird hier der Ausgang unmittelbar von dem Wendepunkt des vierten in das fünfte nachatlantische Zeitalter genommen und die zunehmende Differenzierung in

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der Bewußtseinsseelenzeit bleibt unberücksichtigt, denn die Vorträge wurden, wohl aus äußeren Gründen, nicht weitergeführt. Trotzdem wird die neue, nun aus spirituellem Wissen heraus erwachsende künstlerische Zielsetzung, der die Errichtung des Goetheanum in erster Linie dienen wollte, deutlich. Sie erscheint als eigentliches Anliegen der Kunstvorträge: nicht Kunstgeschichte als Zeugnis der Vergangenheit, sondern als Vorbereitung der Gegenwarts- und Zukunfts-Impulse.

In diesem Sinne ist die vorliegende Herausgabe der Vorträge im Rahmen der Rudolf Steiner Gesamtausgabe unternommen worden. C. S. Picht hatte bereits Mitte der zwanziger Jahre begonnen, die Vorlagen für die weit über siebenhundert Lichtbilder zusammenzubekommen, was ihm im Verlauf eines Jahrzehnts auch vollständig gelang, und dann die Vorträge nach Text und Abbildungen getrennt, in Einzelheften herausgebracht. Diese erste Ausgabe hat das Erscheinen der Lichtbildervorträge im Rahmen der Gesamtausgabe in der vorliegenden Form erst möglich gemacht, und wir möchten unsere Dankbarkeit gegenüber dieser Arbeit von C. S. Picht hier herzlich zum Aus­druck bringen.

Die umfangreichen Zitate aus anderen Vorträgen Rudolf Steiners, welche den früheren Ausgaben beigegeben waren, fallen hier fort; es wird meistens nur auf die Stelle im gedruckten Werk hingewiesen. Auch die sehr zahlreichen und zum Teil ausführlichen kunstwissenschaftlichen Anmerkungen mit Quel­lenzitaten konnten nur in geringem Umfang übernommen werden und sind teilweise durch kürzere Hinweise ersetzt worden. C. S. Picht hatte damit die Vorträge, wohl auch um ihren praktischen Gebrauch zu erleichtern, kunst-wissenschaftlich ergänzt, aber die vorliegende Ausgabe mußte den Akzent ganz auf die Ausführungen Rudolf Steiners, deren Richtung oben angedeutet wurde, legen. So wurde von C. S. Picht dankbar das übernommen, was un­mittelbar an Angaben, Daten usw. erforderlich schien. Im einzelnen sind die Veränderungen in der Vorbemerkung zu den Abbildungsverzeichnissen und Hinweisen aufgeführt.

Im Wortlaut der Vorträge haben sich durch den neu vorgenommenen Vergleich mit den stenographischen Nachschriften manche Veränderungen

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ergeben, die sich zum Teil auch daraus erklären, daß C. S. Picht den Text für die Drucklegung gelegentlich stilistisch überarbeitet hatte. Das Zeigen der Lichtbilder einerseits, mehr noch die von Rudolf Steiner wiederholt betonte Schwierigkeit, zu dem sich selbst aussprechenden Bild in Worten etwas hinzu­zufügen, um damit weite Zusammenhänge knapp zu umreißen, lassen die Sprache jetzt an manchen Stellen komplizierter erscheinen. Das mag aber vielleicht einem tieferen Verständnis seiner Ausführungen dienen.

R. M.

I CIMABUE GIOTTO UND ANDERE ITALIENISCHE MEISTER Dornach, 8. Oktober 1916

#G292-1981-SE019 Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse

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I

Die Wandlung des menschlichen Bewußtseins in der Kunst der sich allmählich herausbildenden italienischen Renaissance im Übergang des vierten nachatlantischen Zeitraums zum fünften:

CIMABUE GIOTTO

UND ANDERE ITALIENISCHE MEISTER

Dornach, 8. Oktober 1916

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Wir werden eine Reihe von Reproduktionen, von Lichtbildern einer Kunst-periode vorführen, zu deren Betrachtung der menschliche Sinn wohl immer wiederum zurückkehren wird, weil wir gerade in der Entwickelung dieser Zeit menschliche Verhältnisse sich in bezug auf das Künstlerische ausleben sehen, die zu den tiefeinschneidendsten gehören, die wir im äußeren Verlauf der menschlichen Geschichte betrachten können, wenn wir diese menschliche Geschichte als ein Abbild innerer geistiger Impulse betrachten.

Sie sehen zuerst einige Bilder von Cimabue. Unter dem Namen Cimabue gehen - gingen vielmehr - eine Anzahl von Bildern, eine große Anzahl, muß man vermuten, Kirchenmalereien, welche einer von der unsrigen, von unserer heutigen gänzlich entfernten Weltanschauung, Weltauffassung entstammen. Cimabue, beziehungsweise diejenigen, die im Sinne jener Malerei-Richtung arbeiteten, die unter dem Namen Cimabue genannt wird - Cimabue also malte in der Zeit etwa, in der Dante geboren ist. Was in bezug auf die Kunstent­wickelung vor dieser Zeit liegt, ist für die äußere geschichtliche Anschauung in ziemliches Dunkel gehüllt. Es tritt in dem, was erhalten ist, die Leistung Cimabues so auf, kann man sagen, daß man von hier aus zunächst geschicht­lich keinen Vorgänger im Abendlande sieht. Aber an dem, was wir heute weiter vorführen werden, können Sie, werden Sie auch sehen, daß sie in der europäischen Kunstentwickelung keine Nachfolge gefunden hat, diese Cima­buesche Richtung.

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Wenn wir uns in das hineinfühlen wollen, was uns bei Cimabue entgegen­tritt, so werden wir vielmehr gewiesen auf Einflüsse, die vom Orient herüber­kommen, und ich will gewissermaßen eine lange Geschichte kurz charakte­risieren. Selbstverständlich fließen bei einer solchen kurzen Charakteristik alle Ungenauigkeiten mit ein, die eben mit einer kurzen Charakteristik ver­knüpft sind. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Zeit, in der das Christentum entstanden ist, und die folgenden Jahrhunderte bis zum Ablauf des ersten Jahrtausends, zum Anfange des zweiten Jahrtausends, in dessen Anfang ja eben Cimabue gemalt hät, daß diese Zeit des allmählichen Einlebens des Christentums auf allen Gebieten menschlicher Betätigung ein Hinlenken der menschlichen Geistesfähigkeiten, man möchte sagen, ins Überirdische, ins Geistig-Kosmische war. Und aller Sinn der Menschen war zunächst darauf gerichtet, eine Anschauung darüber zu gewinnen: Wie brachen höhere gei­stige Mächte in das Erdenleben herein? Was kam aus Sphären, die außerhalb des Erdenlebens liegen, in das Erdenleben herein? Wollte man bildhaft aus­drücken, was da in den Menschenseelen lebt, wollte man es in die Kunst hin­einführen, dann konnte es sich zunächst gar nicht darum handeln, irgendwie die Natur unmittelbar nachzubilden, getreu der Natur zu malen oder sich sonstwie künstlerisch zu betätigen; es handelte sich vielmehr darum, die Kräfte in der Menschenseele aufzurufen, auch die Phantasiekräfte, die fähig sind, gewissermaßen das Überirdische sinnlich anschaulich zu machen. Und diese Phantasiekräfte standen ja der abendländischen Menschheit nicht so zu Gebote, daß wirklich Gestaltetes hätte herauskommen können. In Vorträgen, die ich hier gehalten habe, wurde dargestellt, daß die Römer ein «phantasie-loses» Volk waren. Und in die Phantasielosigkeit der Römer hinein hat sich ja zunächst von Osten her das Christentum ausgebreitet. Es kam aber her­über, befruchtet neben all dem, womit es sonst vom Orient aus befruchtet war, auch durch das Phantasieleben des Orients, so daß man mehr innere geistige Anschauungen verknüpft hat mit dem, was man als christliche Vorstellungen hatte.

In Griechenland drüben bildete sich eine Anschauung aus, wie man die Gestalten darzustellen habe, welche im Zusammenhange mit dem Mysterium

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von Golgatha und seinen Wirkungen stehen. Und am besten sieht man wohl an der Gestaltung, an der Entwickelung der Gestaltung, die die Person des Erlösers selbst betrifft, und von Gestalten wie der Madonna und der damit im Zusammenhange stehenden überirdischen Engelwelten, der ins Über­irdische entrückten Apostelgestalten, Heiligengestalten und so weiter, man sieht an alledem am besten, wie beim Einleben des Christentums ins Abend­land, man möchte sagen, von römischer Phantasielosigkeit erfaßt worden ist, was sehr phantasievoll herübergekommen ist vom Osten. Wir wissen ja, daß in den ersten Zeiten der christlichen Darstellung die Erlösergestalt selbst, die Gestalt des Christus Jesus und andere Gestalten, die damit verknüpft sind, noch durchdrungen waren von der griechischen Phantasie. Wir haben Bild­werke, die den Erlöser selber geradezu apollohaft darstellen. Wir haben ein Wissen davon, wie sich in den ersten Jahrhunderten der christlichen Ent­wickelung dann ein merkwürdiger Streit entwickelte, ob man den Erlöser häßlich darstellen sollte, so, daß durch die häßlichen Züge das innere Seelen-leben, das Gewaltige, das sich da für die Menschheit abgespielt hat, zum Ausdruck kommt? Dieser Erlösertypus und ähnliche Typen anderer Ge­stalten, die mit dem Mysterium von Golgatha zusammenhängen, haben sich mehr innerhalb des europäischen Ostens und innerhalb Griechenlands ent­wickelt. Dagegen war man im Westen, in Italien mehr der Ansicht, daß die Erlösergestalt und alles, was damit zusammenhing, schön dargestellt werden sollte. Diese Diskussion reicht aber in eine Zeit hinein, merkwürdigerweise, in welcher man im Abendland unter dem Einfluß des Römertums schon die Fähigkeit verloren hatte, die Schönheit darzustellen, die man unter dem unmittelbaren Einfluß des Griechentums darstellen konnte, als Griechenland äußerlich überwunden war, aber eigentlich auch das Römertum geistig vom Griechentum erobert worden war, was aber verfiel unter dem phantasielosen Römertum. Die Fähigkeit, Schönheit zu gestalten, ging in den folgenden Jahrhunderten verloren.

Und so kam es denn, daß aus dem Osten traditionell das herübergekom­men ist, was man ja durch die Phantasie geschaffen hatte, um die neuen Weltimpulse auszudrücken, die durch das Mysterium von Golgatha befruchtet

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worden waren. Und so verpflanzte sich dann das von orientalischer Phantasie befruchtete Künstlertum künstlerisch herein nach Italien. So müssen wir die Sache ansehen. Und was bis in die Zeiten, in denen Dante geboren worden ist, diese Impulse geworden sind, das sehen wir dann, nachdem alles Frühere mehr oder weniger untergegangen ist, nicht mehr da ist, in einer Enderschei­nung, die aber schon beeinflußt ist nun vom Abendlande: in den Schöpfungen, die unter dem Namen des Cimabue gehen. Cimabues Malereien sind Wand­malereien und als solche eigentlich zu verstehen. Es sind Malereien, welche uns die Gestalten, die sie darstellen, so zeigen, daß wir sie ganz unnaturali­stisch sehen, mit mehr, ich möchte sagen: gefühlsmäßig gedachten Konturen und auf großen Flächen, über große Flächen ausgebreitet, flächenhaft gedacht und die Fläche durchdacht mit sehr sprechender Malerei, die aber heute nicht mehr eigentlich zu schauen ist; auch da, wo man Cimabue sehen kann, ist sie nicht mehr zu schauen, denn die Bildwerke des Cimabue sind zum größten Teil später aufgemalt. Das ganz Lebendige in der Farbengebung und das flächenhaft Gedachte in der Farbengebung ist wohl überhaupt nicht mehr zu sehen. Daher verlieren gerade die Bilder von Cimabue am allerwenigsten, wenn man sie als Lichtbilder darstellt. Man kann den vollständigen Charakter auch erkennen, dieser eigentümlichen, in mehr, wie gesagt gefühlsmäßig gedachten Konturen dargestellten Figuren, die etwas Kolossalisches haben, wenigstens als Kolossalisches gedacht sind, als kolossale Wirkungen gedacht sind, und welche mehr so gedacht sind, daß man sagen kann: sie schauen in die Erdenwelt herein aus anderen Welten, denn daß sie aus der Erdenwelt selber entsprungen sind. So sind die Madonnenbilder; so sind, hereinschauend in das Erdenleben, die Darstellungen des Heilandes selbst, der Heiligen, der Engel und dergleichen. Wir müssen uns durchaus klarmachen, daß das, was da gemalt ist, in einer Phantasie wurzelt, die im Hintergrunde noch ein visio­näres Leben hatte - ein visionäres Leben, das fähig war einzusehen, daß die Impulse des Christentums aus einer der Erde fremden Welt gekommen sind, und daß man diese der Erde fremde Welt nicht naturalistisch darstellen will.

Nun werden ein paar Bilder von Cimabue vorgeführt werden. Die Bilder von Cimabue sind ja in Wirklichkeit zu sehen zum Teil in der Unteren Kirche

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in Assisi, zum Teil sind sie in Paris zu sehen, in Florenz auch. Wir haben nur ein paar, die wir vorführen können:

1 - 4 Cimabue Madonna mit Engeln und Propheten

Sie sehen überall, wie zum Beispiel das menschliche Auge so gezeichnet ist, daß man sieht: es ist nicht abgezeichnet, sondern es ist aus einem fühlenden Nachempfinden der Kräfte heraus charakterisiert, von denen man glaubte, daß sie an der organischen Einprägung des Auges beteiligt sind. Die innere Tätigkeit des Auges ist es, die nachgefühlt wird und aus der heraus diese Dinge geformt sind; es ist, man möchte sagen: plastisch gedacht und auf die Fläche hin im Geiste projiziert. Dabei liegt immer - man sieht es diesen Bildern noch an -der Begriff, der im orientalischen Leben viel mehr vorhanden ist als im Abend-lande, der anzutreffen war in der nächstfolgenden Zeit, der Begriff des durch Mächtigkeit, durch Reichtum aus einer fernen Welt Hereinwirkenden vor. Wenn man diese Bilder mit ihrem Goldgrunde auf sich wirken ließ in der damaligen Zeit, so hatte man vor allen Dingen das Gefühl, daß ein Mächtiges, ein die Menschen Überwältigendes aus einer fernen Welt hereinwirkt; - daß, was sich da auf der Erde an Menschengewühl abspielt, eigentlich nur da ist, um beschienen zu werden von den Impulsen, die von außerirdischer Realität ausgingen, die man sich in dieser Weise verwirklichte.

3 Cimabue Madonna

also das gleiche Bild wie 2, aber vor der Übermalung. Ein weiteres Bild der Madonna

4 Cimabue Madonna, Teil: Die Madonna

Das ist das, was wir von Cimabue haben. Und noch ein Bild der Madonna:

5 Duccio Madonna Rucellai

Jetzt gehen wir über zu der Betrachtung eines Künstlers, der im Ver­laufe der äußeren Geschichtsbetrachtung gewissermaßen der Fortsetzer von Cimabue ist:

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9 Giotto Huldigung für den Heiligen Franz

Es besteht ja auch die Legende, daß Cimabue den Giotto gefunden habe als einen Hirtenknaben; wie der Hirtenknabe, was er an Tieren und sonstigen Naturgeschöpfen gesehen hat, auf dem Felde mit primitiven Mitteln auf Steine aufgezeichnet hat, und daß Cimabue ein so bedeutendes Talent in Giotto ent­deckt hat, daß er ihn dem Vater weggenommen und zum Maler ausgebildet hat. - Solche Legenden sind wahrer als die äußere historische Wahrheit. Sie zeigen, daß allerdings derjenige, der nun in der Kunstentwickelung als einer der Bedeutendsten auf Cimabue folgt: Giotto, daß der angeregt war in bezug auf sein inneres künstlerisches Seelenleben selbstverständlich von der ganzen Welt, in die er hineingestellt war durch das, was geschaffen wurde von den­jenigen, die zusammengefaßt werden unter dem Namen Cimabue. Aber wenn wir uns auch vorstellen müssen, daß gewissermaßen die ganze überirdische Welt überall von den Wänden her auf Giotto wirkte - das alles ist ja heute nicht mehr vorhanden aus Gründen, die wir nachher besprechen wollen -, wenn wir uns auch vorstellen, daß diese ganze Welt, diese das Überirdische abbildende Welt auf Giotto wirkte, so dürfen wir doch niemals aus den Augen verlieren, daß mit Giotto eine ganz neue künstlerische Weltauffassung in das Abendland eintrat, und daß Giotto diejenige Persönlichkeit auf künst­lerischem Gebiete genannt werden muß, welche im eminentesten Sinne auf dem Kunstgebiete zeigt das Heraufkommen der neuen fünften nachatlanti­schen Zeit. Man könnte sagen: Die vierte nachatlantische Zeit geht malerisch mit Cimabue unter, die fünfte geht mit Giotto auf. Ich lasse außer acht, ob das, was man durch eine allerdings sehr gut gegründete Tradition dem Giotto zuschreibt, alles von Giotto selbst gemalt ist; darauf kommt es nicht an. Aller­dings, es vereinigt sich unter dem Namen Giotto vieles, was nur in dem gleichen Geiste gemalt ist, in dem Giotto selber gemalt hat. Ich werde mich also in dem Folgenden darauf nicht einlassen, sondern was der Tradition nach Giottos Werk ist, eben auch Giotto zuschreiben.

In was lebt sich denn die neuere Menschheit überhaupt hinein in der Zeit, in der ja auch Dante und Giotto persönlich zusammenstoßen? - Es lebt

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sich die neuere Menschheit in das hinein, was ich ja immer schildere als den Grundcharakter der fünften nachatlantischen Periode: in das Leben innerhalb der irdisch-materiellen Wirklichkeit. Das muß man nicht als eine abfällige Kritik des Materialismus auffassen, sondern man muß sich eben klar sein, daß sich die Menschheit einmal einleben mußte in die irdische Wirklichkeit, einmal Abschied nehmen mußte gewissermaßen von dem Hinaufschauen in ein Überirdisches, das noch seinen Abglanz malerisch zeigt bei Cimabue.

Wenn wir uns fragen: Wer war denn eigentlich der erste so richtige Mate­rialist, der dem Materialismus den allerersten Anstoß gegeben hat, dann be­kommen wir, wenn wir die Geschichte von einem etwas höheren Gesichts­punkte aus betrachten, eine Antwort, die ganz gewiß dem heutigen Menschen selbstverständlich paradox klingen wird, aber die vom Standpunkt einer tie­feren Auffassung der Menschheitsgeschichte voll berechtigt ist; wir bekom­men die Antwort, daß der erste, der seelisch das materielle Fühlen einleitete, der Heilige Franz von Assisi ist. Es ist allerdings paradox, Franziskus, den Heiligen von Assisi, zu charakterisieren als den ersten großen Materialisten. Aber so ist es doch. Man kann sagen: die letzten Anschauungen, die die Ent­wickelung der Menschheit noch unter dem Gesichtspunkt des Überirdischen betrachteten, die traten uns in Dantes «Göttlicher Komödie» entgegen, so daß wir auch Dantes «Göttliche Komödie» anzusehen haben als den Abschluß von Anschauungen, die mehr hingerichtet waren auf das Außerirdische. Da­gegen tritt der Blick für das Irdische, das Mitfühlen mit dem Irdischen, bei dem ja schon vor Dante tätigen Franziskus von Assisi hervor. Das Seelische tritt immer etwas früher auf als der Ausdruck im Künstlerischen. Wir sehen daher auch, wie dasselbe, wovon die künstlerische Phantasie des Giotto -Giotto lebte um 1266 bis 1337 - in einer späteren Zeit ergriffen ist, wie dasselbe der Tendenz, dem Impulse nach seelisch lebt in einem früheren Zeit­punkt in Franz von Assisi. Wir sehen in Franz von Assisi einen Menschen vor uns, welcher ganz und gar aus der äußeren Welt herauskam, aus jener Gestalt der äußeren Welt, die das Römertum unter den mannigfaltigsten Einflüssen allmählich angenommen hat. Franz von Assisi ist zunächst ganz auf das Außer­liche gerichtet, hat seine Freude an äußerem Glanz und Reichtum, hat seine

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Freude an all dem, was das Leben angenehm macht, was auch das persönliche Wohlgefühl erhöht, wird dann aber durch seine persönlichen Erlebnisse in seinem Seelenleben geradezu umgekehrt; eine physische Krankheit ist es zunächst, die ihn von dem Aufgehen in dem äußeren Leben ganz und gar auf das Innere richtet. Und wir sehen dann Franz von Assisi, einen Menschen, der in seiner Jugend ganz und gar auf das äußerliche Wohlleben gerichtet ist, auf äußeren Glanz sogar, auf äußeren Anstand - wir sehen ihn umkehren zu einem rein auf das innere Seelenleben gerichteten Empfinden. Aber so merk­würdig gestaltet sich das aus, daß Franz von Assisi der erste ist unter den großen Gestalten, die nun den Blick ganz abkehren von allem, was aus dem alten visionär-phantasievollen Leben heraus stammt. Er richtet den Blick viel­mehr auf dasjenige, was unmittelbar auf der Erde wandelt, zunächst auf den Menschen. Dasjenige sucht Franz von Assisi im Menschen zu erfahren, was in der Menschenseele, im ganzen Menschen zu erleben ist, wenn man den Menschen nur auf sich selbst gestellt ansieht. Umgeben ist Franz von Assisi von Weltbegebenheiten, die sich, ich möchte sagen, auch so auf der Erde ent­wickelt haben, daß über das einzelne Leben des Menschen hinweggegangen wurde, wie die Phantasie, die sich in früherer Kunst auslebte, hereinschauen ließ überirdische Wesenheiten in das menschliche Fühlen. Franz ist ja in seiner Jugend umgeben, und auch später, von dem weithistorischen Streite der Guel­fen und Ghibellinen. Da wird, möchte man sagen, in großen Sphären um Impulse gekämpft, die über das, was der einzelne Mensch fühlt, was der einzelne Mensch erlebt, hinweggehen, welche die Menschen nur als große, herdenmäßige Masse auffassen. Und mitten in dieses Leben hinein machen nun Franz von Assisi und seine Genossen, die immer zahlreicher und zahl­reicher werden, geltend das Recht der einzelnen menschlichen Individualität mit all dem, was im Inneren des Menschen an Zusammenhängen erlebt werden kann, gefühlsmäßig, erlebensmäßig eben, mit tieferen, jede einzelne Menschen-seele durchseelenden, durchzuckenden, durchstrahlenden Mächten. Der Blick wird abgelenkt von dem sie umspannenden Kosmisch-Geistigen und wird gelenkt auf das einzelne Menschlich-Individuelle: Mitleid, Mitgefühl, Mitfüh­len, Mitleben mit jeder einzelnen Menschenseele, Interesse haben für das, was

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jeder einzelne Mensch erlebt; absehen von Stand und Reichtum, die sozu­sagen als Glanz durchwoben haben, was man von der orientalischen Phantasie aus gestalten wollte auf dem Gebiete der Kunst, die man hereinstrahlen ließ aus dem Überirdischen ins Irdische - absehen von dem allem und hinblicken auf die Leiden und Freuden, die der arme Mensch auf der Erde erlebt! Jeder einzelne Mensch wird nun zur Hauptsache, jeder einzelne Mensch zu einer eigenen Welt; und so will man leben, daß jeder einzelne Mensch zu einer Welt wird. Das Ewige, das Unendliche, das Unsterbliche soll in der Menschenbrust selber aufgehen. Es soll nicht mehr als gleichsam die umspannende Sphäre über der Erde schweben.

Cimabues Bilder sind so, als ob sie aus den Wolken gesehen wären, als ob die Gestalten aus den Wolken hereinkämen in die Erde. Und so hatte man sich auch die geistige Welt gedacht, hatte man gefühlt; und heute hat man keine Vorstellung mehr davon, wie intensiv man mit diesem Überirdischen lebte. Daher macht man sich auch in der Regel keine besondere Vorstellung darüber, welch eine Änderung im Empfinden es war, als nun dieser Franz von Assisi das Leben des Westens verinnerlicht geltend machte. Und in seiner Seele, die also mitleben wollte mit dem, was der arme Mensch war, in der Seele, die den Menschen empfinden wollte gerade in seiner Armut, wenn er durch nichts beschwert war, aber auch durch nichts ihm ein Wert verliehen wurde als durch das, was er nur als Mensch war, dieser Franz von Assisi, der den Menschen so empfinden wollte, der den Christus aber auch so emp­finden wollte, wie der Christus ist nur für diese armen Menschen, dieser Franz von Assisi entwickelt mitten aus dem Christentum heraus, aus diesem also gefühlten Christentum heraus ein wunderbares Natur-Fühlen. Alles wird für ihn zu Brüdern und Schwestern auf der Erde. Und nun entwickelt sich ein liebevolles Eingehen nicht nur auf das Menschenherz, nicht nur auf den ein­zelnen Menschen, sondern auf alle Geschöpfe der Natur. Und in dieser Be­ziehung ist Franz von Assisi wirklich Realist, Naturalist. Die Vögel sind seine Brüder und Schwestern; die Sterne, die Sonne, der Mond sind seine Geschwi­ster; das Würmlein, das über die Erde kriecht, ist sein Geschwister. Alles be­trachtet er mit liebevollem Anteil. Wenn er auf dem Wege geht, greift er das

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Würmlein auf und beseitigt es, damit es nicht zertreten werden soll. Die Lerche bewundert er, betrachtet sie als seine Schwester. Eine unendliche Inner­lichkeit, ein Gedankenleben, das gar nicht denkbar ist in der früheren Zeit, macht Franz von Assisi geltend. Und darin hat man viel mehr das Charakte­ristikum dieses Franz von Assisi zu sehen, als in dem, was oftmals äußerlich von seinem Leben geschrieben wird.

So zieht, man möchte sagen: verinnerlicht, der Blick auf das Irdische ein, und so lebt er sich in die Menschheit ein, und so bemächtigt er sich allmählich auch des künstlerischen Empfindens. Dante stellt noch gewissermaßen wie ein Letztes das Menschenleben unter dem Bilde überirdischer Mächte in sei­nem großen Gedichte hin. Giotto, sein Zeitgenosse und wohl auch sein Freund, stellt malerisch bereits das unmittelbare Interesse an dem, was auf der Erde webt und lebt, hin. Und so sehen wir hereinziehen mit Giottos Bildern die Nachbildung des Individuell-Natürlichen, die Nachbildung des Individuell­Menschlichen. Und kein Zufall ist es, daß die Malerei, die auf den Namen Giotto getauft ist, in der Oberen Kirche zu Assisi, daß diese sich gerade mit dem Leben des Franz von Assisi beschäftigt, denn ein tiefer innerer See­lenzusammenhang ist zwischen Giotto und Franz von Assisi. Franz von Assisi, das religiöse Genie, das aus dem inbrünstigen Seelenleben heraus das Mitfühlen mit dem Werden des Natürlichen auf der Erde geltend macht, und Giotto, der zunächst nachahmt, wie Franz von Assisi gefühlt hat, wie Franz von Assisi sich in die Geistigkeit, in das Seelische der Welt hineinstellt.

Und so sehen wir denn, daß von den starren Linien und von dem flächen­haft Gedachten des Cimabue die Strömung herüberführt zu Giotto, so daß wir Nachbildung des Natürlichen, Individuellen, Angeschautes und Wirklich­keit, immer mehr und mehr im Raume drinnen Stehendes, nicht aus der Fläche heraus Sprechendes bei Giotto sehen.

Wir werden nun die Bilder Giottos zunächst auf unser Auge wirken las­sen, der Reihe nach. Es wird sich zeigen, wie da das Verständnis für die indi­viduelle Menschengestalt hereinkommt. Und gerade bei Giotto tritt dieses Verständnis um so mehr hervor, als er, wie Sie sehen werden, gerade Bilder aus der Heiligenlegende gibt, und sich in diesen Bildern zeigt, wie er versucht,

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im äußeren Ausdruck das Innerlichste, das Seelischste wiederzugeben. Jetzt werden wir also der Reihe nach die Bilder des Giotto haben; diese Bilder werden gewöhnlich als die frühesten angesehen. Sie sehen die Tradition der früheren Zeit zwar noch darinnen, aber Sie sehen überall schon das Mensch­liche einziehen, so wie er es gekannt hat, in der Weise, wie ich es eben be­sprochen habe:

Giotto Cimabue

8 Madonna 8a Madonna mit Engeln und Propheten

10 Darbringung im Tempel

11 Erscheinung in Arles

12 Das Wunder des QuelIs

13 Die Armut

14 Erweckung des Jünglings von Suessa

15 Beweinung des Franz von Assisi durch die Nonnen

So wird also allmählich das ganze Leben des Franz von Assisi von Giotto gemalt; und überall ist, ich möchte sagen, bei Giotto künstlerisch ein ähnli­ches Fühlen wie bei Franz von Assisi selber; wenn man auch das Visionäre in diesen Bildern nimmt, überall sieht man, daß es sich darum handelt, dieses Visionäre mehr von innen heraus zu malen, so daß man das Sprechen der menschlichen Gefühle mehr sieht als bei Cimabue, wo es sich immer gehan­delt hat um das Hereinschauen aus überirdischen Sphären. Und nirgends sieht man mehr etwas bloß Traditionelles in den Gesichtern, sondern man sieht: derjenige, der das gemalt hat, hat sich die Gesichter bereits wirklich angeschaut.

16 Giotto Totenfeier für den Heiligen Franz

Sehen wir uns diese zwei letzten Bilder an. Wir werden unmittelbar erinnert durch die Innigkeit, die darinnen ist, an die schöne Tatsache, die ja aus dem Leben des Franz von Assisi bekannt ist, daß er, lange arbeitend, sein Lied auf die Natur geformt hat. In dem Liede auf die Natur, dem großen schö­nen Hymnus, spricht Franz von Assisi überall von seinen «Geschwistern» -

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von der Schwester Sonne, von dem Monde, von den übrigen Planeten, von den Erdenwesen; alles, was er in liebevoller realistischer Hingabe, seelisch realistischer Hingabe mit der Natur gefühlt hat, ist in wunderbarer Weise in diesen Hymnus zusammengenommen. Dieses unmittelbare Verbundensein mit der Erdennatur und dem, was in der Erdennatur lebt, das drückt sich beson­ders in einer Tatsache sehr schön aus: darinnen, daß die letzte Strophe erst in den allerletzten Lebenstagen des Franz von Assisi entstanden ist, und diese letzte Strophe ist gerichtet an den «Bruder Tod». Man sieht, Franz von Assisi konnte den Bruder Tod etrst besingen in dem Augenblicke, als er selber auf dem Totenbette lag, in dem Augenblicke, da er seinen Brüdern die Aufforde­rung erteilte, sie sollen von den Freuden des Todes in seiner Umgebung singen, wo er sich fühlte aufgehend in die Welt, in die er aufgenommen werden sollte. Wie Franz von Assisi alles das, was ihn verband mit der Welt, unmittel­bar nur aus dem realistischen Erdenleben heraus, aus dem gegenwärtigen Erleben heraus wiedergeben konnte und wiedergeben wollte, empfinden wollte, das zeigt sich in der Tatsache so schön, daß er, währenddem er alles übrige früher besang, den Tod erst besang, als er selber dem Tode nahe war. Das Letzte, was er diktiert hat, ist diese letzte Strophe dieses großen Lebens­hymnus auf den Bruder Tod, wie der auf sich selbst gestellte Mensch sich Christus mit dem menschlichen Leben verbunden denkt. Ich glaube, man kann es nicht schöner sehen - zugleich verknüpft eben mit der durch Franz von Assisi schon hereinstrahlenden Anschauung des menschlichen Lebens, die ganz anders geworden war, als es in früheren Zeiten war - als aus einem solchen Bilde heraus, in dem man, ich möchte sagen, unmittelbar sieht, wie Giotto in derselben Auffassungs-Aura lebt wie Franz von Assisi selber.

17 Giotto Joachim bei den Hirten

Das habe ich eingefügt als ein späteres Bild, damit Sie sehen, wie Giotto in seiner späteren Zeit mächtige Fortschritte gemacht hat. Sie sehen in dieser späteren Zeit das Menschliche noch mehr als einzelnes menschliches Indivi­duelles aufgefaßt. In der Zeit, der die Bilder, die wir bisher gesehen haben, entnommen sind, sieht man, wie er, ich möchte sagen, getragen ist von dem

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Impuls, der auch in Franz von Assisi lebte. Jetzt sehen wir Giotto mehr zu sich kommen, aus sich selber sprechen in einem solchen Bilde, das einer späteren Lebensepoche angehört. Wir kehren dann nachher wieder zurück zu Bildern, die sich anschließen an die Darstellungen des Franz von Assisi.

18 Giotto Heimsuchung

eben auch aus seiner späteren Zeit. Der Realismus ist bei ihm schon viel mehr durchgedrungen in dieser späteren Zeit.

19 Giotto Sposalizio

21 Giotto Taufe Christi

auch aus seiner späteren Zeit

23 Giotto Die Gerechtigkeit

24 Giotto Die Ungerechtigkeit

An solchen Bildern sieht man, wie es damals nahelag, sich in Allegorien auszusprechen. Die Lebensverhältnisse ändern sich eben durchaus im Laufe der Jahrhunderte; und der große Umschwung, der eingetreten ist dadurch, daß das in Bildern lebende, das in Bildern vor sich gehende Leben der damali­gen Zeit, heute ein mehr in Vorstellungen, die durch Bücher mitgeteilt wer­den können, vor sich Gehendes ist - dieser Umschwung ist auch ein sehr großer, viel mehr, als man das heute eigentlich würdigt. Und das Bedürfnis, sich allegorisch auszudrücken, war der damaligen Zeit besonders eigen. Und daß zugleich so schön verknüpft ist in diesen Bildern Realismus der Darstel­lung mit dem Bedürfnis, die Darstellung doch wie zu etwas zu machen, durch das man liest in der Welt, das ist besonders interessant.

22 Giotto Der Heilige Franz überreicht dem Papst die Ordensregeln

Hier kommen wir wieder auf eine der Darstellungen zurück, die sich, wie man sagt, auf die frühere Kunst des Giotto bezieht, die eben ganz seinem immer weitergehenderen Einleben in die Fühlenswelt des Franz von Assisi entnommen ist.

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25 Giotto Himmelfahrt Johannes des Evangelisten

26 Giotto Johannes der Evangelist auf Patmos

Sehr schön kommt da zur Anschauung, wie der Künstler darstellen will das innere Leben des Johannes, der aus seinem Gemüte erfaßt seinen Zusam­menhang mit der geistigen Welt. Johannes also schreibend, oder wenigstens konzipierend die Apokalypse.

Giotto

27 Erweckung des Lazarus 31 Auferstehung Christi

28 Flucht nach Ägypten 33 Dornenkrönung

29 Verkündigung an die Heilige Anna 34 Abendmahl

30 Heimsuchung 8 Madonna

Wir werden jetzt, unmittelbar nach dieser «Madonna» von Giotto, ein­schalten ein Bild, das wir schon gesehen haben, eine «Madonna» von Cimabue noch einmal, damit Sie vergleichen können gerade an diesen beiden Bildern, welch kolossaler Unterschied in dieser ganzen Behandlung der Figur ist. Vergleichen Sie, wie hier (3) trotzdem die Tradition noch wirkt, in dem Blick, in dem Auge, in dem Munde, in der Auffassung des Jesuskindes - vergleichen Sie den Realismus, der in diesem Bilde liegt, wo wir durchaus nachgebildete Menschen sehen, die von der Erde hinausschauen in die Welt -, vergleichen Sie das mit dem Bilde von Cimabue

8a Cimabue Madonna

wo wir etwas vor uns haben, in dem eine ins Traditionelle übersetzte ur­sprüngliche, visionäre Anschauung liegt, wo also eigentlich aus überirdischen Welten hereingeschaut wird in unsere Welt. Soviel auch in der Komposition erinnert an das Bild des Giotto, Sie sehen in der ganzen Linienführung den gewaltigen Unterschied, der da vorhanden ist.

37 Giotto Jüngstes Gericht 38 Der Zorn

also wiederum eines der allegorischen Bilder.

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39 Giotto Beweinung Christi

Dieses Bild ist aus der Arenakapelle in Padua, wo Giotto noch einmal zurückgekommen ist auf die frühere Legende.

Es ist sehr interessant, dieses Bild zu vergleichen mit der «Beweinung», die wir früher gesehen haben. Das ältere Bild gehört einer frühen, dieses einer sehr späten Periode in Giottos Schaffen an. Wir wollen nun das ältere noch einmal betrachten, damit Sie den Fortschritt sehen:

15 Giotto Beweinung des Heiligen Franz

Daran sieht man also, wie er ganz dasselbe Motiv in kompositorischer Beziehung früher und wie er es viel später aufgefaßt hat. Es ist ja gewisser­maßen, rein künstlerisch angesehen, dasselbe Bild noch einmal gemalt, aber sehr interessant, wie viel freier, und wie viel mehr Fähigkeit, auf die einzelnen individuellen Dinge einzugehen, er im späteren Bilde erlangt hat.

41 Giotto Gastmahl des Herodes

42 Giotto Erscheinung in Arles

wieder aus dem Leben des Franz, aber in Florenz, S. Croce. Giotto ist ja dort noch einmal - wir haben zwei Bilder davon schon gesehen (16, 22) - zurück­gekommen auf die Franziskus-Legende.

47 Giotto Namengebung für Johannes den Täufer

43 Schule Giotto Die Kirchenlehre. Spanische Kapelle in S. Maria Novella

Hier und im folgenden Bilde haben wir nun das, was man gewöhnlich «Schule Giotto» nennt.

44-46 Schule Giotto Das Kirchenregiment

Hier sehen Sie bereits jenes kompositorische Element auftreten, welches dann später in der Malerei die ungeheuer große Rolle spielt, wo eintritt ein ganz neues Innenleben, möchte man sagen. Man kann den Unterschied nun in der folgenden Weise bezeichnen:

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Wenn wir zurückgehen würden auf die Entwickelung des Christentums bis zu Dante-Giotto herauf, so würden wir finden, daß das Christentum, so wie es gefühlt, wie es empfunden wird, Platonismus in sich hat, wobei ich nicht daran denke, Sie etwa verführen zu wollen zu glauben, daß es platonische Philosophie in sich hat, sondern Platonismus, das heißt ein Fühlen und ein Anschauen der Welt, wie es sich auch in der platonischen Philosophie ausge­prägt hat, wo in die überirdische Sphäre gesehen wird, aber nicht in dieses Sehen das hineingebracht wird, was vom menschlichen Verstande ausgeht. In der Zeit, die dann auf Giotto folgte, tritt immer mehr und mehr in das Fühlen etwas Theologisch-Aristotelisches - wiederum sage ich nicht etwa: die Philo­sophie des Aristoteles, sondern etwas Theologisch-Aristotelisches, wo man versucht, in Übersichten, in einer Art Systematik die Welt zu sehen, wie Sie sie hier auf dem Bilde aufsteigen sehen: von einer Welt unten zu einer mittleren Welt, zu einer höchsten Welt. Das ganze Leben wird gewissermaßen aristote­lisch durchsystematisiert. Und so dachte sich die spätere Kirche das menschliche Leben in die ganze Weltordnung hineingestellt. Die Zeiten waren also vorüber, aus denen noch Cimabue herausleuchtete, wo man gewissermaßen aus dem Visionären heraus Anschauungen hatte über eine überirdische Welt. Es stellten sich dann hinein die Zeiten des rein menschlichen Fühlens. Nun will man das rein menschliche Fühlen wiederum, und jetzt mehr systematisch, ich möchte sagen: mehr verstandesmäßig hinaufführen zu dem höheren Leben, anknüpfen an das höhere Leben. Da tritt dann an die Stelle des aus dem Zentrum heraus schaffenden Früheren das kompositionelle Element. Und so sehen Sie diese Dreistufigkeit, wie man im System hinaufsteigt in höhere Welten von der Welt, die man so unten fühlt und erlebt. Wenn Sie sich das ansehen bei den Nach­fahren des Giotto, so werden Sie unmittelbar im Vorgefühle das haben, was dann auftritt in der späteren Komposition. Denn wer könnte verkennen, daß derselbe Geist, der im Kompositorischen hier (46) drinnen waltet, uns zum Beispiel auch wiederum in ausgebildeterer, vollkommenerer Gestalt entgegentritt in dem Bilde, das unter dem Namen «Die Disputa» von Raffael bekannt ist!

In dem «Kirchenregiment» aus der Schule des Giotto sehen Sie nun wiederum, wie Vorgänge, geistige Zusammenhänge des irdischen Lebens durch

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das Zusammensein von Menschen dargestellt werden - derselbe Gedanke tritt bei dem oftmals «Die Schule von Athen» genannten Bilde von Raffael später zutage, ich meine rein künstlerisch -: Menschen werden zusammengestellt, um auszudrücken Zusammenhänge, die im irdischen Leben geltend sind. Wenn Sie dieses Bild:

45 Schule Giotto Das Kirchenregiment, Teil: Gruppe links unten

ansehen, so bitte ich Sie, besonders zu beachten, daß auf diesem Bilde der Grundgedanke in einer einzigartigen Weise zum Ausdrucke kommt: hinten der mächtige Kirchenbau; dann in dem Bilde zum Ausdruck kommend die Macht, die ausgeht von den kirchlichen Würdenträgern und die sich hinergießt über die Welt des Volkes. Überall, wenn Sie den Ausdruck in den Gesichtern gerade bei diesen Bildern ins Auge fassen, werden Sie finden, daß das Künst­lerische in den Dienst dieser großen Idee des über die Erde hinstrahlenden Kirchenregiments gestellt ist.

46 Schule Giotto Das Kirchenregiment, Teil: mittlere Gruppe rechts

Jedes einzelne Gesicht hier kann man studieren, und man wird finden, daß sich in ihm wunderbar, wie von einem Zentrum heraus ausstrahlend, zeigt, wie der Mensch Anteil nimmt an diesem Impuls, der vom Kirchenregiment aus durch alle Erdenseelen gehen soll. Die Physiognomien sind so, daß man sieht: es hat das Ganze ein Künstler gemacht, der durchdrungen war von diesem Gedanken des Kirchenregiments, und der verstand, das, was das Kirchenregiment hineinbringt in die Antlitze, in diesen Antlitzen zum Aus­druck zu bringen. Wir sehen also das Kirchenregiment wiederum ausstrahlen von den Antlitzen. - Ich bitte, sich dieses ganz besonders anzusehen, weil wir später Bilder sehen werden, bei denen ganz und gar nicht dasselbe zum Aus­druck kommt, obwohl das kompositionelle Können, das aus einem solchen Gedanken heraus kommt und das so schön hier zum Ausdruck gekommen ist in der Anordnung und in dem Zusammenklang der Anordnung mit dem Ausdrucke, weil das später in etwas ganz anderes übergeht. Diejenigen, die sich später in dieselbe Kompositionsrichtung hineinfinden, die behalten den

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Grundimpuls der Komposition bei; aber es tritt, wie Sie sehen werden, ein ganz anderes Element auf.

Sie sehen unten (45, 46) Hunde, nicht wahr, das sind die berühmten «Domini canes», die «Hunde des Herrn». Man nannte die Dominikaner im Zusammenhange mit ihrer Tätigkeit die «Hunde des Herrn». Fra Angelico bildete auch auf vielen Bildern die «Hunde des Herrn» ab.

49 Masolino Gastmahl des Herodes

aus dem Baptisterium zu Castiglione d'Olona.

Nun also kommen wir in der Entwickelung um ein Stück weiter. Wir können nun sagen: diese folgende Entwickelung ist eigentlich ausgegangen von dem Impuls, aufgebaut auf der Strömung, von welcher Giotto der große Anfänger ist. Nun geht davon eine doppelte Strömung aus. Wir sehen immer mehr und mehr sich emanzipieren, könnte man sagen, das realistische Element in der einen Strömung von dem spirituellen Element. Bei Giotto spielt überall, und auch bei den beiden Bildern, die wir zuletzt gesehen haben, spielt überall das Spirituelle hinein; denn dieser Impuls, der da als Kirchenregiment durch die Welt geht, ist ja auch spirituell gedacht, und die einzelne, in die Kompo­sition hineingestellte Figur ist durchaus so gefaßt, daß man sagen kann: es lebte Giotto, so wie Franz von Assisi selber lebte, in einer spirituellen Welt, die nur durch die menschliche Seele realistisch auf das Irdische gerichtet war, so lebte auch Giotto und lebten seine Schüler, obwohl sie mit liebevoller Art die Dinge dieser Welt realistisch auffaßten, im Spirituellen drinnen und konn­ten das Spirituelle vereinigen mit der Auffassung des einzelnen Individuellen. Hier sehen wir nun, indem wir herüberkommen ins 14., 15. Jahrhundert, allmählich sich emanzipieren die Sehnsucht, nachzubilden das Individuell-Natürliche, und nicht mehr das Ganze so stark im Auge zu haben und daraus die einzelnen Figuren zu holen, was bei allen bisherigen Bildern der Fall ist, auch bei den Bildern, die Giotto und seine Schüler aus der biblischen Ge­schichte entnommen haben. Wir sehen, daß die einzelne Figur sich von diesem Grundimpuls loslöst, der gewissermaßen wie ein Zauberhauch über das ganze Bild gegangen ist, wir sehen alle Menschen immer einzeln dastehen, wenn sie

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auch zusammenkomponiert sind. Und so sehen wir zum Beispiel auch hier das prächtige Gebäude, und dann, wie der Künstler zweifellos schon bemüht ist, seine Figuren nicht in einen Grundgedanken hineinzustellen, in einen künstle­rischen Grundgedanken, sondern die einzelnen Figuren als individuelle Men­schen zu malen, als einzelne Individualitäten auszugestalten; wir sehen immer mehr und mehr Individualitäten auftreten, die einfach zusammengestellt wer­den; wenn auch gewiß die Komposition etwas Großes hat, sehen wir doch, wie sich das einzelne Individuelle naturalistisch emanzipiert von dem das ganze Bild durchstrahlenden Denken.

50 Masolino Taufe Christi

Also selbst bei einem solchen biblischen Bilde können Sie das vom Grundgedanken Emanzipierte des Ausdrucks in den einzelnen Figuren durch­aus sehen. Hier kommt es viel mehr als bei den früheren Bildern darauf an, den Christus so zu gestalten, daß das Menschlich-Individuelle durch ihn zum Ausdrucke kommt, und ebenso bei den anderen Figuren, viel mehr als bei dem, was wir früher gesehen haben:

21 Giotto Taufe Christi

51 Filippino Lippi Vision des Heiligen Bernhard

Hier können Sie durchaus schon die Empfindung für das das ganze Bild überstrahlende Ganze verlieren. Dagegen sehen Sie gerade hier bei Filippino Lippi in wunderbarer Weise die Physiognomien ausgedrückt, sowohl der Mittelfigur selber - das Visionare - als sogar bei den Nebenfiguren, wie überall das Menschliche in den Vordergrund tritt. Wir sehen eine Strömung ausgehen von der aus, auf der wir aufgebaut haben, die durchaus ins Realisti­sche sich hineinarbeitet und sogar solche Dinge zu so wunderbarer innerer Vollendung bringt, wie den Bernhard selber, der da diese Vision empfängt.

53 Masaccio Zinsgroschen

Hier sehen Sie sehr interessant das menschliche Fühlen fortschreiten. Wenn Sie diesen Masaccio ansehen, so werden Sie, ich möchte sagen, Interesse

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haben können für jeden einzelnen Kopf, der sich da in den Jüngern des Christus herumgruppiert um den Christus selber. Und sehen Sie, wie der Christus nun bereits individualisiert ist. Denken Sie an den gewaltigen Fortschritt in der Charakterisierung, der da zwischen den Bildern, die wir früher gesehen haben und einem solchen liegt. Sehen Sie aber auch zugleich, wie das Fühlen, das jetzt übergegangen ist von dem früheren Fühlen, das ganz aufging in dem christ­lichen Weltbegriff, wie das Fühlen übergegangen ist zu dem römischen, zu dem neu aufgekommenen römischen Machtbegriffe. Fühlen Sie, wie in dieser Kom­position in den Gestalten, in dem Ausdruck der einzelnen Gestalten, der indivi­duellen Gestalten, der römische Machtbegriff zum Ausdruck kommt. Früher sahen Sie das Kirchenregiment als ein Spirituelles über das Bild ausgegossen:

44-46 Schule Giouo Das Kirchenregiment

jetzt sehen Sie in diesem (50) zum größten Teil vorzüglich individualisierte Gestalten, Menschen, die Macht haben wollen und die sich zur Macht zusam­menschließen, während Sie früher etwas Spirituelles sahen, das durch die Gesichter gleichsam wie ein Blitz strahlte. Das Einzelne war zu begreifen aus dem Ganzen. Hier können wir das ganze Leben zusammenfassen nur aus dem, was an Vollendung, man möchte sagen: an innerer Machtentfaltung im einzel­nen Menschen liegt. Trotz der Größe dieser Komposition sehen wir, wie die Gestalten sich um den Mächtigen, den allerdings durch seine Geistigkeit mächtigen Christus herumgruppieren, wie aber in diesen Menschen selber zum Ausdruck gekommen ist: wir sind zwar in einem Reich, das nicht von dieser Welt ist, das aber diese Welt beherrscht - durch die Menschen, nicht durch die Geistigkeit, ja sich durch diese Menschen ausdrückt. So sehen wir, wie sich das Menschliche, das Realistische immer mehr und mehr emanzipiert, und wie man immer fähiger wird, das Individuelle darzustellen. Es wird zum Beispiel die Heiligenlegende nicht um ihretwillen dargestellt; sondern die Heiligen-legende lebt fort, man benützt sie, um - an diese bekannten Geschichten als an eine Grundlage anknüpfend - den Menschen darzustellen.

54 Masaccio Vertreibung von Adam und Eva

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Hier sehen Sie schon völlig den Blick gewissermaßen gerichtet nicht auf die große biblische Erzählung, sondern den Blick gerichtet darauf: wie sehen Menschen aus, die das erlebt haben, was Adam und Eva erlebt haben? - Und das ist allerdings künstlerisch in einer großartigen Weise beantwortet - für die damalige Zeit, selbstverständlich.

58 Ghirlandajo Bildnis des Francesco Sassetti mit seinem Sohn

Ich brauche kaum dazu zu sagen, daß wir jetzt bereits bei Ghirlandajo in einer Zeit sind, in welcher die Fähigkeit, den Menschen als Menschen darzu­stellen, wie er durch das Rein-Menschliche lebt, auf eine hohe Stufe herauf­gestiegen ist.

57 Ghirlandajo Abendmahl

Wir nähern uns der Zeit, wo das Abendmahl nicht mehr allein dargestellt wird, wie Sie es auf einem früheren Bilde:

34 Giotto Abendmahl

sehen konnten, damit der Blick des Menschen, der auf dieses Abendmahl fällt, in sich rege macht, was durch dieses Abendmahl geschehen ist, sondern die Geschichte vom Abendmahl wird genommen, um das Menschliche darzu­stellen. Man kann bereits beginnen, wenn das auch hier noch nicht ausgedrückt ist wie bei den späteren Abendmahlsbildern, die Physiognomien der einzelnen Jünger zu studieren, wie das Menschliche wirkt unter dem Eindrucke, der in der Seele ausgelöst wird. Eine vollständige Umänderung des ganzen künstleri­schen Gedankens kann man gerade an solchen Bildern sehen.

48 Signorelli Predigt des Antichrist

Auch über dieses Bild wäre genau dasselbe zu sagen, wie über die eben gesehenen.

59 Mantegna Madonna

Das Problem der Madonna wird also jetzt zu dem, wovon man sagen

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kann, daß es sich dem Künstler viel mehr handelt um die Darstellung des Weiblichen in der Madonna als um die Darstellung der heiligen Tatsache. Die Heiligenlegende lebt fort und wird, weil sie etwas Bekanntes ist, benützt, um realistisch-künstlerische Fragen zu lösen und das Menschliche individuell herauszugestalten.

60 Mantegna Sebastian 61 Der Pamaß

Nun wird bei diesen Künstlern, das könnte gerade an diesem Bilde an­schaulich gemacht werden, wirklich das Menschliche schon so stark realistisch, daß man nicht mehr eine solche Notwendigkeit fühlt, daß gerade die Heiligen-legende genommen wird. Bei den Giotto-Bildern kann man sich kaum vor­stellen, daß etwas Unchristliches hineinspielt. Dagegen als die christliche Legende die Gestalt angenommen hatte, daß sie gleichsam nur die Gelegenheit war, das Menschliche darzustellen, da beginnt die Fähigkeit, dieses Mensch­liche nun selbst von der christlichen Legende zu emanzipieren. Und wir sehen schon das Hineinwachsen in das sich vom Christentum emanzipierende Renaissancemäßige.

63 Fra Angelico Kreuzabnahme

Nun kommen wir also, nachdem wir nun mit einigen Bildern gewisser­maßen durchwandert haben die realistische Richtung, die das individuelle Auffassen des Menschlichen, das Sich-Emanzipieren des Irdisch-rein-Mensch­lichen von der übersinnlichen Sphäre mehr geistig darstellt, kommen wir zu einer anderen Strömung, die einen großen Vertreter in Fra Angelico hat. Wir sehen bei ihm eine, ich möchte sagen, seelischere Strömung. Während das, was wir bisher sich entwickeln sahen, mehr vom Geiste ergriffen ist, sehen wir bei Fra Angelico das Gemüt, das Seelische den Versuch machen, in den Menschen einzudringen. Und es ist interessant zu sehen, wie dieser Künstler in seinen so wunderbaren liebenswürdigen Bildern von einer ganz anderen Seite her in derselben Weise dem Auffassen des Individuellen sich zu nähern versucht -durchaus viel seelischer. Das liegt auch in der eigentümlichen, hier ja nicht wiederzugebenden Farbengebung des Fra Angelico - alles eben mehr aus der

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Seele herausgefühlt bei ihm, während aus dem das Naturgemäße nachschaffen­den Geiste bei der anderen, bei der realistischen Strömung zum Ausdruck gekommen ist, was da als Emanzipation auftritt.

64 Fra Angelico Kreuzigung

Es zieht gewissermaßen auf dem Umweg der Seele das Seelische des Christentums durch Fra Angelico jetzt ein. Und das ist das Interessante gerade an der Erscheinung des Fra Angelico. Wir sehen, daß früher ein Übersinnlich-Geistiges die Entwickelung des Christentums durchzogen hat und auch die Kunst ergriffen hat; wir sehen dann, wie der Mensch hingewiesen wird auf die Natur, darauf hingewiesen wird auf dem Umwege durch das Seelische, und wie dieselben Impulse, die nur als religiöser Enthusiasmus in Franziskus von Assisi lebten, wie die sich auslebten zuerst in Giotto, wie aber das Schauen immer mehr und mehr nach dem äußeren Naturalismus getrieben wird, und wie gewissermaßen das Innenleben gegenüber dem Realismus jetzt in das Seelische sich rettet, das wiederum mehr auf ein Verwischen der Individualität hinarbeitet, aber um so mehr darauf hinarbeitet, sich auch äußerlich als Seeli­sches zum Ausdruck zu bringen; denn Seelisches waltet und strahlt aus allen Einzelheiten bei Fra Angelico. Es flüchtet sich das Seelische des Christentums in diese Bilder des Fra Angelico hinein, die ja überall so verbreitet sind - sich am schönsten allerdings im Dominikanerkloster San Marco in Florenz finden. Wir sehen, daß der Geist, der da waltet beim Anschauen des Übersinnli­chen, daß dieser Geist sich ausgoß in das Anschauen des Natürlichen. Die Seele flüchtete sich in diese Kunstrichtung hinein, die versuchte, weniger dem Ausdruck aufgeprägte Physiognomie, dem Ausdruck aufgeprägten Geist zu erfassen als das Seelische, das durch den Ausdruck herauswirkt.

65 Fra Angelico Abendmahl

Wenn Sie sich erinnern an das frühere «Abendmahl», das wir gesehen haben :

57 Ghirlandajo Abendmahl

wo es wirklich auf die Beantwortung der Frage ankam: wie wirkt die Natur

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geistig - wie prägt die Natur von außen den Menschen das auf, was sie erleben bei einem bestimmten Ereignis? -, sehen Sie, wie hier die Gestalten alle auf ein Empfinden hin konzentriert sind, und wie sich aber dennoch dieses eine Seelisch-Individuelle in den einzelnen Gestalten auslebt. Hier lebt Seele auf seelische Art. In dem früheren Bilde (55) lebte Geist, auf naturalistische Weise zum Ausdruck kommend. Bis auf die Linienführung können Sie es hier (66) sehen; sehen Sie nur die wunderbare, sanfte Linienführung und ver­gleichen Sie sie mit der Linienführung bei dem früheren «Abendmahl»!

67 Fra Angelico Krönung der Maria

Welcher Zauberhauch von Seelenhaftigkeit ist über dieses Bild ausge­gossen!

68 - 69 Fra Angelico Das jüngste Gericht

70 Botticelli Bildnis eines jungen Mädchens

Nun ist es interessant, daß, ich möchte sagen, auf ganz andere künstle­rische Vorwürfe übergeht derselbe Impuls, den man bei Fra Angelico findet, bei Botticelli. Botticelli ist in gewisser Beziehung auch durchaus ein Maler des Seelischen; aber er emanzipiert wiederum im Seelischen nach dem Naturalisti­schen hin das Menschliche von dem religiösen Gesamt-Seelenempfinden, das sich bei Fra Angelico auslebt.

Vergleichen Sie einen solchen Kopf mit dem von Ghirlandajo, den wir früher gesehen haben:

58 Ghirlandajo Bildnis

so werden Sie sehen, wie dort das Geistige zum Ausdruck kommt auf natu­ralistische Weise - wie hier (70) ungeheuer viel Seelisches bis auf die Linien­führung da ist.

71 Botticelli Anbetung der Könige

72 Botticelli Beweinung

73 Botticelli Krönung der Maria

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Wir haben also jetzt eine Reihe von Botticellis angereiht an Fra Angelico, um damit den Fortschritt im Malen des Seelischen auf uns wirken zu lassen im Gegensatz zu dem Geist, den wir bei Masaccio, bei Ghirlandajo gefun­den haben. Das sind die beiden Richtungen, die sich angeschlossen haben an die Impulse, die von Giotto ausgegangen sind, die dann über Ghiberti und Donatello auf anderem Gebiete eben herübergekommen sind zu diesen Malern.

Und nun kommen wir in dem Fortschreiten der Entwickelung aus diesen Voraussetzungen heraus zü den großen Malern der Renaissance, von denen wir noch einige Bilder auf uns wirken lassen. Wenn wir solch ein Bild wie dieses hier (73) vor uns haben, so sehen wir, wie, ich möchte sagen, in dieser Zeit vom 14. ins 15. Jahrhundert herüber, dann ins 16. Jahrhundert, in einer ganz außerordentlich intensiven Art geschritten worden ist von der Darstellung des Geistig-Angeschauten, des als Ganzes geistig Angeschauten, zu dem Mensch­lichen. Wir sehen bei solchen Malern wie Ghirlandajo (54, 57) das Geistige in die Natur einbezogen, zu einer hohen Stufe gebracht im Ausdruck, im Ausdrücken; wir sehen hier (73) das Seelische bis in die Linienführung hinein in einer anderen Strömung zum Ausdruck kommen. Wir sehen gewissermaßen, wie im Verlaufe der Zeit die Erkenntnis der menschlichen Gestalt, des mensch­lichen Ausdruckes von den Menschen erobert wird, wie vom Himmel aus die Erde in dieser Zeit erobert wird. Wir sehen dann, wie immer mehr und mehr, ich möchte sagen: in den Hintergrund tritt jene Vertiefung, die durch das christliche Prinzip eingetreten ist, und wie der Mensch nun in einer tieferen Weise als solcher verstanden werden sollte, indem man das Himmlische wie einen Weg betrachtete um fortzuschreiten, um das menschliche Innere, wie es sich ausdrückt, wie es sich durchprägt im menschlichen Äußeren und in dem, was sich an das menschliche Äußere im menschlichen Zusammenleben anschließt, um das zum Ausdruck zu bringen. Die Eroberung des Mensch­lichen auf den verschiedensten Wegen - das ist es doch eigentlich, was uns hier so wunderbar entgegentritt.

Die Vereinigung von alledem sehen wir dann bei den großen Künstlern, bei Lionardo, bei Michelangelo, bei Raffael. Wir werden nun einige Bilder

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von Lionardo auf uns wirken lassen, um zu sehen, wie bei ihm eine Vereini­gung, eine Synthesis dieser verschiedenen Versuche, die uns auf den anderen Bildern entgegengetreten, vorhanden ist. Ein Zusammenwirken des Geistigen mit dem Seelischen tritt in hohem Grade nun bei Lionardo ein bis in die Linienführung, in die Komposition und in den Ausdruck.

87 Lionardo Skizze: Karikaturen

Als erstes Bild eine Skizze, Zeichnung von Lionardo, aus der Sie sehen können, wie er bemüht war, nun ganz realistisch den Menschen zu studieren, aber in einer Zeit, in der auf den Künstler gewirkt hat alles dasjenige, was sich die früheren Zeiten erobert haben. Das ist gerade das Charakteristische bei Lionardo, daß er gewissermaßen in radikaler Art auf die Ausdrucksfähigkeit des Menschen geht. Davon ist das ein charakteristisches Bild, wie er den ganzen Menschen zu erfassen sucht und herauszugestalten versucht, herauszu­bringen versucht in der Zeichnung. Er sucht sich zur höchsten Ausdrucks-fähigkeit zu steigern, indem er die Stimmungen des Menschen festhält, studiert. Das alles ist nur möglich geworden als Blüte einer Kunstepoche, der die Dinge vorausgegangen sind, die wir betrachtet haben, sowohl die geistige, wie die seelische Durchdringung des Menschen.

95 Lionardo Madonna

in der Eremitage

Und Sie sehen, wie gesagt, alles da vereinigt, was früher auf getrennten Wegen gesucht worden ist.

100 Lionardo Apostelköpfe: Judas und Petrus, Kartons

Das sind also Apostelköpfe von dem berühmten Bilde in Mailand, von dem Abendmahl, das ja heute kaum mehr zu sehen ist, von dem nur noch Farbflecken vorhanden sind und das zeigt, wie gerade in dieser großen Zeit der Kunstentwickelung die Heiligenlegende eben nur die Grundlage geboten hat zur Ausgestaltung menschlicher Charaktere. Gerade Lionardo sehen wir ja in seinem «Abendmahl»

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99 Lionardo Abendmahl

die einzelnen menschlichen Charaktere studieren; und wir sehen ihn lange, lange gerade an diesem wunderbaren Bilde arbeiten, weil er die menschlichen Charaktere im einzelnen studieren wollte. Wir wissen ja, daß er seine Auftrag­geber, die geistlichen Würdenträger, vielfach enttäuschte, weil er zum Beispiel den Judas nach langem Arbeiten nicht fertigbrachte; und als ihn der Abt, der geistliche Würdenträger, dann ganz besonders drängte, das Bild fertigzu­machen, da sagte er, er habe das Bild bisher nicht fertigmachen können, weil ihm das Modell zum Judas fehle; aber da er den Abt, der ihn da drängte, so anschaue, so könne der ja zum Judas sitzen - er würde ein vorzügliches Modell abgeben können.

Lionardo Weitere Apostelköpfe:

101 Johannes 105 Jakobus d. J.

102 Thomas und Jakobus d. Ä. 106 Andreas

103 Philippus 107 Matthäus

104 Bartholomäus

86 Selbstbildnis

als solches wird es wenigstens angesehen.

118 Lionardo Heiliger Hieronymus

116 Lionardo Anbetung der Könige

74 Perugino Kreuzigung

Nun kommen wir in dieser klassischen Zeit selber weiter. Dieses Bild von Perugino, dem Lehrer Raffaels, bitte ich Sie, daraufhin zu betrachten, wie nun wirklich die Raffaelische Kunst herauswächst aus Vorgängern. Gerade bei Perugino haben wir zu sehen, wiederum, ich möchte sagen, ein neues Element auftreten : tiefe Religiosität, die sich nun in das Kompositionelle hereinzubrin­gen versucht, und die sich verbindet mit einer gewissen architektonisch wirken­den Phantasie, worauf ja dann vielfach die Größe Raffaels gerade beruht.

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75 Perugino Sposalizio 75a Raffael Sposalizio

Wenn Sie sich die beiden Bilder ansehen, so sehen Sie das eine förmlich aus dem anderen herauswachsen, und Sie sehen, wie Raffael zu seiner Größe kommt von seinem Lehrer ausgehend; Sie sehen, wie Raffael dadurch, daß er aufnimmt die reifste Frucht der verschiedenen Strömungen, die wir kennen­gelernt haben, Geist und Seele in seine Bilder hineinbringt und das vereinigt mit jenem Kompositionselemente, das ihm aus seiner speziellen Schule gekommen ist.

78 Perugino Vision des Heiligen Bernhard

Sie erinnern sich, daß wir früher auch eine «Vision des Heiligen Bernhard» gesehen haben:

51 Filippino Lippi Vision des Heiligen Bernhard

Bedenken Sie den großen Unterschied, wie hier (78) das Kompositionelle so ungemein in den Vordergrund tritt, während wir früher (50) den Ver­such gesehen haben, den Geist wirksam zu haben in dem, was auf das Bild gebracht wird, was im Bilde gegeben wird. Hier (78) sehen wir, wie das Kompositionelle zum Ausdruck gemacht wird desjenigen, was als Vorwurf dem Bilde zwar zugrunde gelegt wird, aber nicht eigentlich das ganze Bild durchdringen kann. Perugino ist nicht in der Lage, das Kompositionelle so zu vertiefen, daß Seele wirklich herauskommt; aber wir sehen, wie das Kom­positionelle in dieser Strömung besonders hereinkommt.

77 Perugino Schlüsselübergabe

Also von dieser Seite her, durch die Raffael beeinflußt war, sehen wir das kompositionelle Element hereindringen. Bei Raffael werden Sie ja finden, daß dieses kompositionelle Element eine große Rolle spielt. Wir können nicht bei den früheren Kompositionen, die wir gesehen haben, in dieser Weise von dem kompositionellen Elemente sprechen wie hier. Das Kompositionelle war früher da als eine Folge eines Ganzen; man empfand mehr das Ganze als einen Organismus.

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Der Mensch ist auch komponiert; aber man kann nicht sagen, obwohl er komponiert ist aus Kopf, Armen, Beinen und so weiter, daß das eine Kom­position ist, sondern beim Menschen ist alles aus einem Mittelpunkt heraus; und die Komposition beim Menschen aus Armen und Beinen, Kopf und Rumpf, die empfindet man als selbstverständliches Ganzes. Hier in diesem Bilde emp­findet man es nicht als selbstverständliches Ganzes, sondern Sie empfinden eben das Komponierte. Die frühere Komposition finden Sie viel mehr ausge­flossen aus einer Einheit. Hier sehen Sie das Ganze zusammengestellt, so daß es wirklich komponiert ist.

Wir sehen also von dem 13., 14., 15. Jahrhundert ausgehend eine Strö­mung, die durch den Geist die Natur erobern will, die zu einer höheren Stufe des Realismus führt. Wir sehen dann eine Strömung, die von der Seele aus die Natur erobern will. Und dann sehen wir dazu kommen von Ostitalien her­über, von Mittel- und Ostitalien, in denen Raffael seine Heimat hat und Raffaels Vorgänger, das kompositionelle Element, das aus dem Einzelnen ins Ganze arbeitet, währenddem doch alle früheren Strömungen noch einen Nachklang hatten des Arbeitens vom Ganzen ins Einzelne, was Sie besonders stark sehen konnten auch bei einer Komposition wie dieser, wo dargestellt wurde das Ausströmen des geistlichen Kirchenregiments in die Welt:

44 Schule Giotto Das Kirchenregiment

wo alles aus einer Einheit heraus ist, wo nichts aus den Einzelheiten zusam­mengebaut ist wie hier (74).

220 Raffael Papst Juhus II. 221 Papst Leo X.

Nun sehen wir, wie sich das geistige Element in Raffael, in Raffaels Seele hineinfindet, die Errungenschaft des geistigen Elementes, wie es zum Natu­ralismus wird.

80 Pisa, Camposanto Triumph des Todes

Das Bild ist hier eingefügt aus dem Grunde, damit Sie sehen, wie das alle­gorische Element nachgewirkt hat. Ich habe früher aufmerksam gemacht

#SE292-048

darauf, wie bei Giotto das allegorische Element eingreift. Dieses allegorische Element wirkt auch weiter mit; und das ist nun das, was mehr oder weniger zurückbleibt von der früheren, mehr geistig-spirituellen Auffassung. Es bleibt etwas zurück, was abstrakte Allegorie ist, insbesondere in den in vieler Bezie­hung grandiosen Bildern des Camposanto von Pisa sich findet. Es gehört der früheren Zeit an; aber ich wollte dieses allegorische Element zeigen als etwas, was noch nachwirkt, auch später. So daß also in dem Empfinden der Menschen lebt: Geistiges, geistig naturalisiert, seelisch naturalisiert; Nicht-mehr-Erfassen-können des Ganzen, sondern Kompositionelles; und das Allegorische wirkt noch nach.

Eine weitere Allegorie aus diesem Bild vom Camposanto:

84 Fröhliche Gesellschaft

81 DerJagdzug

aus dem gleichen Bild

82 Die Bettlergruppe

des gleichen

83 Ein fliegender Dämon

desgleichen.

79 Francesco Traini Thomas von Aquino

Nun sehen Sie hier, wie eine Nachwirkung des Allegorischen zunächst in diesem Bilde liegt; denn dargestellt werden sollte die Wirkung der scholastischen Lehre; die Wirkung der scholastischen Lehre auf der einen Seite herunter auf die Erde bis zur Überwindung des Irrglaubens, auf der anderen Seite hinauf bis in die himmlischen Regionen, wo dasjenige, was auf Erden lebt, einstrahlt bis zu den heiligen Vorgängen. Wir sehen also dasjenige, was auf Erden wirkt, wirksam gedacht ist, was gewissermaßen in der geistigen Erdensubstanz drin­nen wirksam war, das sehen wir durch eine Allegorie, die aber nun der Wirk­lichkeit selber entnommen ist, ausgedrückt. Wir sehen in diesem Bilde also

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dieses Ihnen zuletzt genannte allegorische Element zum Ausgangspunkt genommen, aber nicht, um allein Allegorie auszudrücken, sondern nur auf eine allegorische Weise etwas, was man als absolut so, wie es dargestellt wird, real wirksam dachte.

Nun haben wir also versucht zu zeigen, wie die verschiedenen Strömun­gen - ich wiederhole sie noch einmal: den Geist, der in den Naturalismus hin­eingestrebt hat; das Seelische, das in seiner Ausdrucksfähigkeit auch immer re­alistischer und realistischer geworden ist, indem man immer mehr fähig wurde, das Seelische zum Ausdruck zu bringen im äußeren Ausdrucke; das Kompo­sitionelle, das gewissermaßen Einzelheiten zusammenstellt, um in der Zusam­menstellung geistig zu wirken; und das Allegorische - wie diese sich als Einzelimpulse geltend machen. Und auf diese Weise baute sich auf dasjenige, was dann eigentlich in den großen Schöpfungen von Michelangelo und von Raffael und deren Nachfolgern zum Ausdruck gekommen ist. Wir sehen durchaus ein Geistiges auf verschiedenen Wegen durch den Menschen gehen und sich das Natürliche erobern wollen. Wir sehen, wie der Geist zuerst bestrebt ist, das am Menschen zu erobern, was durch den Menschengeist im Menschen Ausdruck wird, wie dadurch wirklich geistige Anschauung immer mehr und mehr in die Auffassung der Natur hineinkommt. Wir sehen dann, wie bei solchen Künstlern wie Fra Angelico, Botticelli, wie Seele hineinkommt; wir sehen dann, wie versucht wird in der Zeit, als man nicht mehr aus der Vision heraus die Komposition als etwas Selbstverständliches gegeben hat, aus der Zusammenstellung der einzelnen Kompositionsversuche, durch die der Geist wieder wirken soll, zu schaffen, was ja Raffael zu solcher Höhe gebracht hat. Wir sehen, wie der Wunsch, das Weltengeschehen sprechen zu lassen, zur Allegorie geführt hat; wie die Allegorie wiederum im Grunde in den Realismus hineinführt, wie Sie an diesem Bilde hier sehen können (79), was ja dann auch - ich bitte Sie, nur an solche Kompositionen zu denken wie die Komposition der «Heiligen Cäcilie» in Bologna - bei Raffael wiederum zur selbstverständlichen Geistigkeit geworden ist :

196 Raffael Heilige Cäcilie

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Bei dem Bilde des Traini (79) sehen wir noch den Versuch gemacht, eine Hauptfigur hinzustellen so, daß sich das Allegorische aufdrängt, und im Auf­drängen des Allegorischen versucht wird, das Seelenleben des Menschen im Zusammenhang mit der ganzen Welt darzustellen. Bei der «Heiligen Cäcilie» von Raffael (196) sehen wir dann, wie auch eine Hauptgestalt in der Mitte steht, wie aber alles bereits so weit gebracht ist, daß das Allegorische dort vollständig überwunden ist, daß das Allegorische ausgelöscht ist, und die Leute sogar sich heute streiten können, was durch die Heilige Cäcilie zum Ausdruck gekommen sein soll, trotzdem sie bloß im Kalender nachzulesen brauchten, um festzustellen, wie dieses Bild in Anlehnung an den Cäcilientag gemacht worden ist; dann würde man finden, wie in der Heiligenlegende alles das darinnen liegt, was Raffael in diesem wunderbaren Bilde geschaffen hat, aber wie er so stark das Gestaltete der Natur, die Fähigkeit der Natur, das Seelische und Geistige auszudrücken, erreicht hatte, daß man gar nicht mehr merkt, was eigentlich als Allegorie dahinter steckt. Und das ist das Große an dieser Zeit, die beherrscht worden ist durch Michelangelo und durch Raffael, daß die früheren Strömungen, denen man ansieht, aus welchen Impulsen sie stammen, daß diese Strömungen vollständig überwunden sind, und daß wirklich ein reines unbefangenes - für jene Zeit reines unbefangenes An­schauen und Wiedergeben der uns umgebenden Wirklichkeit nach natürlichem materiellem Gehalt, nach Seele und Geist, erreicht worden ist.

Man sieht in dem, was diese auf den heute studierten Vorgängen beruhende Zeit hervorgebracht hat, man sieht es an diesen Bildern, an diesen Schöpfungen gerade, daß solchen Leistungen Entwickelungen vorangehen müssen, die erst dazu führen, vom Geiste ausgehend, den Geist auch in der Außenwelt zu erkennen. Man muß erst den Geist suchen, dann findet man den Geist in der Außenwelt; man muß erst die Seele erleben, dann findet man die Seele in der Außenwelt; man muß erst Seele und Geist zusammen erleben können als solche, dann findet man sie auch in der äußeren Natur.

Deshalb sehen wir, wie nachwirkte das Geistige, das noch bei Cimabue gewirkt hat, in Giotto - wie Giotto es hinausträgt in die Natur, um die Form der Natur dadurch zu begreifen. Wir sehen, wie dann wiederum das, was von

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Giotto weiterstrahlt an Geistigem, von den Nachfolgern noch mehr verwendet wird, um den Geist der Natur zu verstehen. Wir sehen, wie das, was durch Franz von Assisi hereingekommen ist an Seelischem, an Erfassen des Seelischen im Menschen, durch die christliche Frömmigkeit künstlerisch zum Ausdruck kommt auf einer gewissen Höhe bei Fra Angelico - wie das wiederum hin­ausstrahlt und das Wesentliche ergreift bei Botticelli. Wir sehen, wie, ich möchte sagen: aus einer Erinnerung heraus versucht wird, das Einzelne zum Ganzen, aus dem Ganzen heraus - sich aus dem Ganzen, das einem aber abhanden gekommen ist, das Einzelne zum Ganzen zusammenzustellen, damit im Ganzen wieder der Geist wirkt, den man auf dem Wege in unmittelbarem Anschauen verloren hat - um ihn in seiner Arbeit beim Erfassen der Natur verwenden zu können. Man sieht, wie der Ausdruck, wie die Allegorie gesucht worden ist, wie aber dieses Suchen dazu geführt hat, mit Überwindung der Allegorie in der Natur selbst den Ausdruck zu finden, den die bloße An­schauung, die unbefangene Anschauung der Außenwelt dem gibt, der sie eben zuerst gesucht hat. Die Natur ist allegorisch; aber sie läßt die Allegorie nirgends unmittelbar aufdringlich erkennen. Der Mensch muß vielfach das, was in der Natur zu lesen ist, lernen, indem er erst in gewisser Beziehung ungeschickt lesen lernt. Bei solch einem Künstler, wie dem, den wir im Bilde des Traini (79) vor uns haben, haben wir noch ein ungeschicktes Lesen der Natur. Bei Raffaels «Heiliger Cäcilie» (196) haben wir bereits ein solches Lesen vor uns, daß nichts mehr von Allegorie darinnen ist, von dem Strohernen, das die Allegorie überhaupt hat, die noch nicht zu der vollen Höhe der Kunst gekom­men ist.

So ist, denke ich, durch diesen Vortrag uns möglich gewesen, eine An­schauung darüber zu gewinnen, wie allmählich die große Kunstepoche der italienischen Renaissance sich herausgebildet hat. Immer wieder, meine ich, wird der Blick der Menschen gerade auf diese Zeiten und auf diese Kunstent­wickelung fallen, weil sie uns so tief hineinblicken läßt, diese Zeit, in das Wirken und Leben von Frömmigkeit, von Weisheit, von Liebe in der mensch­lichen Seele mit künstlerischer Phantasie und mit dem Streben, durch die künstlerische Phantasie unbefangen die Natur nachzuschaffen. In der bloßen

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Nachahmung der Natur liegt es nicht, sondern es liegt in der Fähigkeit des Menschen, mit dem, was er in der Seele selber gefunden hat, dasjenige in der Natur wiederzufinden, was in der Natur schon ist als dem innersten Erleben der menschlichen Seele Verwandtes. Das, denke ich, konnte durch die heutigen Darstellungen, wenn auch nur in episodischer und mangelhafter Weise, zum Ausdrucke gebracht werden.

ZU VORTRAG V II Die drei großen Renaissance-Meister: LIONARDO MICHELANGELO RAFFAFL Dornach, 1. November 1916

#G292-1981-SE053 Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse

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ZU VORTRAG V

II

Die drei großen Renaissance-Meister:

LIONARDO MICHELANGELO RAFFAFL

Dornach, 1. November 1916

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Wir haben vor einiger Zeit hier die Kunst jener Zeit vorgeführt, welche dann eingelaufen ist in die der großen Renaissance-Meister; Betrachtungen, die wir damals angestellt haben, liefen darauf hinaus, die Verbindungen zu zeigen, die in der künstlerischen Empfindungswelt zu dem geführt haben, was dann durch Lionardo, durch Michelangelo, durch Raffael in einer großartigen Weise zusammengefaßt worden ist. Mit diesen drei großen Meistern der Renaissance finden wir allerdings im künstlerischen Sinne einen Ausgangspunkt der neuen Zeit in der Morgenröte der fünften nachatlantischen Epoche, wie sie sich künstlerisch angekündigt hat. Sie fallen ja durchaus gerade in den Anfang die­ser fünften nachatlantischen Epoche: 1452 ist Lionardo geboren, 1475 Michel­angelo und 1483 Raffael; Lionardo stirbt 1519, Raffael 1520, Michelangelo 1564. Damit stehen wir am Ausgangspunkt. Aber zugleich ist in diesen Künst­lern etwas enthalten von dem, was durchaus wie ein Abschluß, wie eine Zu­sammenfassung zu betrachten ist der Geistesströmung der vorhergehenden Zeit, wie sich diese vorhergehenden Zeiten in das Künstlerische hinein er­gossen haben. Für das, was da in Betracht kommt, hat man allerdings in unserer heutigen Zeit nicht ein ganz unmittelbares Verständnis. Denn in un­serer heutigen Zeit ist die Kunst gewissermaßen zu stark herausgetrieben oder wenigstens - es braucht damit keine Kritik verbunden zu sein - ist sie her-ausgetrieben aus dem gemeinsamen Geistesleben; und oftmals findet man sogar, daß es wie ein Mangel empfunden wird, wenn der kulturhistorische Betrachter die Kunst wiederum hineinstellen will in das gesamte Geistesleben. Denn man vermeint, daß damit zu sehr von dem eigentlich Künstlerischen, von dem Ästhetischen Abstand genommen wird und auf das Inhaltliche, auf das

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stoffliche Moment ein zu großer Wert gelegt wird. Das muß aber gar nicht gemeint sein. Dieser Unterschied hat schon mehr eigentlich erst für unsere Zeit eine so große Bedeutung; er hat eine so unmittelbare Bedeutung nicht für frü­here Zeiten, in denen überhaupt für den Menschensinn das künstlerische Verständnis mehr ausgebildet war. Wir müssen da gedenken, wie stark an der Ausrottung des eigentlich künstlerischen Verständnisses gearbeitet worden ist durch all die Scheußlichkeiten, welche in den letzten Zeiten als Darstellungen, bildhafte Darstellungen vor den Menschensinn hingetreten sind. Man muß nicht verkennen, wie verloren worden ist das Verständnis für das «Wie» dadurch, daß es in einem gewissen Sinne für Europa gleichgültig geworden ist, das «Was» in einem beliebigen «Wie» zu empfinden. Und so ist das künstlerische Verständnis überhaupt in weitesten Kreisen recht stark verloren­gegangen.

Wenn für solche ältere Zeiten, wie diejenige es auch ist, mit der wir heute wieder zu tun haben, davon gesprochen werden muß, daß Künstler wie Raffael, Michelangelo, Lionardo durchaus nicht einseitig Künstler sind, sondern das gesamte geistige Leben in ihrer Seele tragen und aus dem geistigen Leben, aus dem geistigen Leben ihrer Zeit heraus schaffen, so ist damit nicht gemeint, daß sie die Stoffe entnommen haben aus diesem geistigen Leben heraus, son­dern es floß in das spezifisch Künstlerische ihres Schaffens, durchaus in Form-und Farbengebung, floß hinein das Spezifische dessen, was man für die dama­lige Zeit eine Weltanschauung nennen kann. Für die gegenwärtige Zeit ist eine Weltanschauung eine Summe von Ideen, die, wenn man sie bildhauert oder malt, selbstverständlich durchaus verkörpert werden können in Formen, Farben und dergleichen, die für eine künstlerische Auffassung die größte Barbarei zeigen. In dieser Beziehung müssen ja immer wiederum gerade inner­halb unserer anthroposophischen Entwickelung Ermahnungen gewissermaßen gegeben werden; denn es ist nicht überall in unseren Kreisen verbreitet das Gefühl des eigentlich Künstlerischen. Ich erinnere mich mit Schaudern noch, wie im Anfang in unserer theosophischen Bewegung ein Mann einmal gekom­men ist nach Berlin und hat Reproduktionen eines Bildes gebracht, das er gemalt hat: Der Buddha unter dem Bodhibaum. Nun ja, da saß eine verkrümmelte

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Gestalt unter einem Baume zwar, aber der Mann verstand von der Kunst so viel - verzeihen Sie den trivialen Ausdruck, aber er kann da gebraucht werden -, wie der Ochs vom Sonntag, wenn er die ganze Woche Gras gefres­sen hat, der dachte, wenn man irgend etwas, was ein Motiv ist, eben hinmacht, so stellt das was dar. Es stellte auch das dar, nämlich derjenige, der sich die ganze Szene denkt - Buddha unter dem Bodhibaum -, der kann das ja sehen. Aber warum das eigentlich gemacht werden soll, wenn es so auftritt, dafür gibt es gar keine Gründe.

Aber etwas anderes ist es, wenn man bei Lionardo, bei Michelangelo, bei Raffael davon spricht, daß sie die ganze Empfindungsart in ihrer Seele trugen, die in der damaligen Zeit die italienische Kultur durchsetzte. Denn bei ihnen lebte sich in die künstlerische Art der Darstellung diese Kultur hinein, und man versteht diese Künstler nicht ganz, wenn man sie ohne Empfindung für diese Kultur betrachtet. Man glaubt heute ja ganz merkwürdige Dinge. Man glaubt zum Beispiel, daß jemand eine gotische Kirche auch bauen kann, wenn er gar keine Ahnung von einem Meßopfer hat. Das kann er natürlich nicht in Wirklichkeit. Man glaubt, daß einer die Dreieinigkeit malen kann, der kein Empfinden hat für das, was in der Dreieinigkeit leben soll. Das drängt die Kunst heute ab. Aber auf der anderen Seite versteht man auch nicht das spezifisch Künstlerische, wenn man meint, daß man sich einfach mit dem Empfinden und ästhetischen Anschauen, die man heute in der Kunst hat, kritisierend hermachen kann über Raffael oder Michelangelo oder Lionardo, denn ihr ganzes Fühlen und Empfinden ist ein anderes als das, was bis heute geworden ist. Es war bei ihnen eben naturgemäß - ich kann ja heute nicht weitere Ausführungen machen, und um das zu sagen, was eigentlich gesagt werden sollte, brauchte ich viele Stunden -, es war bei ihnen naturgemäß, daß sie eben in der ganzen Empfindungsart ihrer Zeit drinnen lebten, und man versteht ihr Schaffen nicht, wenn man den Charakter nicht versteht, den das Christentum zur Zeit ihres Aufblühens angenommen hat. Denken Sie doch nur einmal, daß dieses Christentum in Italien am Ende des 15. Jahrhunderts, am Anfang des 16. Jahrhunderts selbst unter den Päpsten solche gesehen hat, von denen man wahrhaftig nicht sagen kann, daß sie auch nur den

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allerprimitivsten Ansprüchen an das, was man, wenn man noch gar nicht einmal Pietist ist, Moral nennt, genügten. Und das ganze Heer der Geist­lichen war selbstverständlich ebenso beschaffen. Daß ein spezifisch mora­lischer Impuls in dem, was man christlich nennt, leben soll, das war verhält­nismäßig abhanden gekommen in der damaligen Zeit. Dagegen lebte gerade durch dieses Abhandenkommen dessen, was später in pietistischen, in morali­sierenden Strömungen wieder aufgetaucht ist, und durch das Aufkommen dessen, was auch nicht identisch ist mit dem, was ich neulich von Franz von Assisi erzählt habe - in dem lebt ein anderes Fühlen gegenüber dem Christen­tum, als dasjenige war, was die Menschen erfüllt hat, die im Gefolge, sagen wir, eines Papstes Alexanders VI., eines Julius II., eines Leo X. waren. Wenn man aber auf das blickt, was christliche Überlieferung ist, was Ideen und Anschauungen sind, die sich anknüpfen an das Mysterium von Golgatha, so waren diese Anschauungen, diese Ideen - wobei ich unter Ideen nun auch Imaginationen verstehe - durchaus in den Seelen vorhanden in einer Stärke, von der man sich heute gar keine Vorstellung mehr macht. Die Seelen lebten in diesen Vorstellungen, die sich anknüpften an das Mysterium von Golgatha, wie in ihrer Welt. Und sie sahen auch die Natur in diese Welt hineingestellt. Man muß sich nur klarmachen: für die damalige Zeit war auch für die Aller­gebildetsten dieser Erde, von der die westliche Hälfte ja noch nicht bekannt war oder wenigstens erst bekannt wurde, aber mit der man noch nicht rechnete, der Mittelpunkt der Welt. Unter die Oberfläche der Erde hinuntergehend, fand man ein unterirdisches Reich - nur ein wenig hinaufgehend ein überirdi­sches Reich. Man möchte sagen: für die damalige Zeit war es so, als ob man nur hätte den Arm des Menschen zu erheben brauchen, so hätte man mit der Hand die Füße der überirdischen Wesen anfassen können; es ragte der Him­mel durchaus in das irdische Element herein. Und im Sinne eines solchen Anschauens, eines Zusammenklanges zwischen dem über- und unterirdischen Geistigen mit der den Menschen umfassenden Sinneswelt, im Sinne einer solchen Anschauung war auch die Naturanschauung gehalten.

Aus dieser Zeit heraus strebten nun gerade die drei großen Meister der Renaissance. Und derjenige, welcher, ich möchte sagen, wie im Keime in sich

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enthält schon alles das, was seit jener Zeit aufgetreten ist und auch noch erst auftreten wird, das war Lionardo.

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LIONARDO

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trug an einer Seele, welche durchaus ebenso gerichtet war hin nach den Emp­findungen der früheren Zeit wie nach den Empfindungen einer späteren Zeit. Lionardo hatte in seiner Seele durchaus ein geistiges Janusgesicht. Er steckt durch seine Erziehung, durch seine Lebensgewohnheiten, durch das, was er gesehen hat, mit seinen Empfindungen in der alten Zeit drinnen, aber er hat einen mächtigen Drang nach jener Weltanschauung, die erst die neuere Zeit heraufbringt, noch nicht so sehr nach der Breite der Weltanschauung als nach der Tiefe dieser Weltanschauung. Sie wissen ja aus den verschiedenen Andeutungen, die ich in meinen Vorträgen gemacht habe, daß die Griechen und eigentlich auch der spätere vierte nachatlantische Zeitraum das Leben ganz anders, aus ganz anderen Quellen her kannten als die spätere Zeit. Die menschliche Figur kannte der Plastiker dieses Zeitraums von innen heraus aus einer Wahrnehmung noch der Kräfte, die in ihm selbst waren als Kräfte, die wir heute als Ätherleib ansprechen, und er schuf viel mehr aus diesem Erfühlen dieser Gestalt heraus, aus dem ja vollends der griechische Künstler arbeitete. Diese Fähigkeit hörte auf, und die äußeren Fähigkeiten mußten auftreten, aus dem äußeren Anschauen die Dinge wieder zu nehmen. So daß man gedrängt wurde, die Natur zu erfühlen und zu verstehen. Und ich habe Ihnen gezeigt, wie einer der ersten, die aus einem tiefen Empfinden heraus die Natur zu erfühlen suchten, gerade Franz von Assisi war. Der erste, der nun zu diesem Naturerfühlen Naturverständnis im umfassenden Sinne suchte, war Lionardo. Er versuchte, weil es ihm nicht mehr so gegeben war wie den früheren Menschen, dasjenige, was im Menschen selbst als Kräfte wirkt, von innen heraus zu verfolgen, er versuchte es durch die Anschauung von außen her kennen zu lernen, versuchte durch äußere Anschauung das kennenzu­lernen, was man durch inneres Erfühlen nicht mehr kennenlernen konnte. Natur-Verstehen im Gegensatz zum Natur-Erfühlen zeichnete Lionardo aus

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gegenüber Franz von Assisi. Damit ist aber auch die ganze Geistesverfassung des Lionardo bedingt, die ganz auf das Verstehen ausgeht. Und was erzählt wird - man braucht es nicht wörtlich zu nehmen, denn die Quellen sprechen ja eigentlich mehr oder weniger nur Legenden aus, aber dennoch beruhen diese auf Wirklichkeit -, daß Lionardo besondere Anstrengungen gemacht hat, um an charakteristischen Menschengesichtern durch Anschauung das Wirken des menschlichen Kraftorganismus zu seinem inneren Erlebnis zu machen, daran ist durchaus etwas Wahres. Daß er nachgelaufen ist besonders charakteristischen Gestalten oftmals tagelang, um gewissermaßen den Men­schen zu durchschauen, wie sein Wesen in die Form hineinwirkt, daran ist etwas Wahres. Auch daß er Bauern eingeladen hat, denen er das, was sie sehr gerne gegessen haben, aufgetischt hat, denen er Geschichten erzählt hat, daß sie in alle möglichen Situationen des Lachens und der Gesichtsverrenkungen gekommen sind, so daß er sie dann studieren konnte, das beruht durchaus auf Wahrheit. Daß er, als er ein Medusenantlitz malen wollte, sich alle mögli­chen häßlichen Krötentiere und ähnliches Zeug in das Atelier getragen hat, um die charakteristischen Tiergesichter zu studieren, das gehört zu dem legen­denhaft Erzählten, weist aber darauf hin, wie Lionardo suchen mußte, um das geheimnisvolle Schaffen der Natur in ihren Kräften zu erlauschen. Denn Lionardo war wirklich ein Mensch, der Naturverständnis suchte.

Er bemühte sich ja auch, die Naturkräfte, wie sie hereinwirken können in das Menschenleben, im weiteren Sinne aufzufassen. Er war nicht bloß im engsten Sinne Künstler, sondern bei ihm wurde der Künstler aus dem ganzen Menschen heraus, und der ganze Mensch stand drinnen in der sich umwen­denden Zeit. Er wollte zum Beispiel in Florenz die Kirche San Giovanni, die durch die allmähliche Erhöhung des Pflasters zu tief in den Boden hineinge­raten war, die wollte er heben, eine Aufgabe, die heute leicht auszuführen wäre, die dazumal für aussichtslos gehalten worden ist, als Ganzes wollte er sie heben. Heute würde es sich bei einer solchen Aufgabe, wie mit Recht von Herman Grimm bemerkt worden ist, nur um die Berechnung der Kosten handeln; dazumal war das eine geniale Idee, denn kein Mensch hielt das für möglich außer Lionardo. Der dachte daran, Apparate aufzubauen, durch die

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der Mensch durch die Luft fliegen kann, und große Sumpfgebiete zu ent­wässern; er war Ingenieur, Mechaniker, er war Musiker, er war im geistigen Umgang ein gebildeter Mensch und ein Wissenschafter der damaligen Zeit; konstruierte Apparate, die für die damalige Zeit so unerhört waren, daß nie­mand außer Lionardo etwas damit anzufangen wußte.

Also aus einem breiten Weltverständnis heraus wirkte dasjenige, was bei ihm in die Hand hinein sich fortsetzte. Von Lionardo kann man wirklich sagen, daß er die sich umwälzenden Kräfte seiner ganzen Zeit in sich trug. Er trug seine Zeit in sich, wie sie sich dazumal in den Umwälzungen in Italien zum Ausdruck brachte. Und man möchte sagen, sein ganzes Leben, das künst­lerische Leben Lionardos eingeschlossen, ist ein Abdruck dieses seines Grund-charakters. Er ist eigentlich im Grunde genommen, trotzdem er herausge­wachsen ist aus den italienischen Verhältnissen, nicht dort zu Hause. Er ist zwar Florentiner, aber er verbringt nur seine Jugendzeit in Florenz, geht von Florenz fort nach Mailand, weil er von dem Herzog Lodovico Sforza berufen wird, ja, als eine Art Hofbelustiger, durchaus nicht als der große Künstler, wie man heute vielleicht denken könnte, als welcher Lionardo uns heute gilt. Lionardo hatte sich aus einem Pferdeschädel ein Musikinstrument angefertigt, entwickelte darauf Töne und konnte mit großem Humor gerade dadurch das herzoglich-mailändische Haus belustigen wie auch durch mancherlei andere Dinge. Man braucht nicht zu sagen, daß er etwas vorstellen sollte wie eine Art Hofnarr; aber eben als Hofbelustiger, den Hof zu amüsieren, war er eigent­lich berufen worden. Und was er dort in Mailand dann außerdem noch gelei­stet hat, wovon wir später sprechen werden, das hat er im Grunde genommen aus dem innersten Drange seines Wesens heraus geleistet. Aber er war nicht, um diese Leistungen zu vollbringen, in erster Linie an den Hof der Sforza gezogen worden. Trotzdem er sich dort eingelebt hat in Mailand, malt er später, als er nach Florenz zurückkehrt, wiederum an einem Schlachtenbilde, welches verherrlichen soll einen Sieg über Mailand! - Und dann sehen wir ihn sein Leben beenden am französischen Hofe.

Lionardo ist eigentlich ganz darauf aus, nur auf das zu sehen und nur das zu fühlen, was ihn in seiner Zeit am Menschen interessiert. Die politischen

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Ereignisse, die dazumal so kompliziert sind, die gehen mehr oder weniger an ihm vorbei. Er hebt überall die oberste Schicht des Menschlichen davon ab; er macht sogar in vieler Beziehung den Eindruck einer Natur wie ein Aben­teurer, aber eben wie ein Abenteurer, der mit ungeheurer Genialität ausge­stattet ist. Er trägt also seine ganze Zeit in sich, und aus dem Fühlen seiner ganzen Zeit heraus entsteht das, was er schafft, das wir dann nicht chrono­logisch vorführen wollen, sondern in einer Ordnung, die frei ist, aus dem Grunde, weil es gerade bei Lionardo mehr darauf ankommt zu sehen, wie er aus einem Wurf heraus schafft. Deshalb kommt es weniger auf das Chronolo­gische an.

Eine ganz andere Natur, obwohl er das Renaissancemäßige mit Lionardo gemein hat, ist

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MICHELANGELO

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Wenn man von Lionardo sagen kann, daß er die ganze damalige Zeit in seinem Busen trägt und wiederum mit seiner Zeit deshalb oftmals in Dishar­monie kommt und unverstanden bleibt, weil er sie in all ihren Tiefen und mit den Kräften, die erst im Laufe von späteren Jahrhunderten herauskommen sollten, schon verwendete, so kann man von Michelangelo sagen: er trug in sich wirklich das damalige Florenz. Allerdings - was war Florenz? Florenz war wirklich in gewissem Sinne ein Konzentrat der damaligen Weltordnung. Und dieses Florenz, das trug er in sich. Er trug es so in sich, daß man sagen kann: er steht nicht so wie Lionardo den politischen Verhältnissen fern, son­dern dasjenige, was sich politisch damals so kompliziert abspielt - und die ganze Weltordnung spielte damals in das Politische herein -, was sich da ab­spielt in der aufgehenden Phase seiner Epoche, wirkt immer wieder und wieder in seine Seele hinein. Und wenn Michelangelo wiederholt nach Rom geht, so trägt er sein Florenz nach Rom und malt und bildet ein florentinisches Empfinden in die Römerschaft hinein. Lionardo trägt ein Weltempfinden in die Dinge hinein, die er geschaffen hat. Michelangelo trägt florentinisches Empfinden in sein künstlerisches Schaffen hinein. Er trägt sogar florentinisches

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Empfinden hinüber nach Rom; er erobert gewissermaßen geistig als Künstler Rom, indem er Florenz in Rom wiederum aufleben läßt. Michelangelo erlebt dasjenige mit, was sich aus den politischen Verhältnissen heraus in der Zeit seines Lebens in Florenz abspielt. Das kann man auch in der Aufeinanderfolge seiner Lebensperioden sehen.

Er erlebt zuerst, als seine Laufbahn beginnt, könnte man sagen, als ganz junger Mann den großen Medici. Er wird der Liebling des großen Medici, durch den er erhoben wird zu all dem, was man dazumal in Florenz in sein Geistesleben aufnehmen konnte. Dasjenige, was von antiker Kunst und von antiker Kunstart in Florenz dazumal zu studieren war, studierte Michelangelo unter dem Protektorate des Mediceers. Und er schuf seine ersten Sachen unter dem Protektorate des Mediceers. Und er hatte lieb diesen seinen Protektor; er wuchs in seiner eigenen Seele mit der Seelenart dieses mediceischen Protek­tors zusammen. Dann mußte er es erleben, daß die Söhne dieses seines Pro­tektors ganz anders geartet waren. Er, der allerdings aus einer ehrgeizigen Gemütsanlage heraus, aber aus dieser heraus Freiheit gebend, ein Großes für Florenz geleistet hat, er starb ja 1492, und die Söhne erwiesen sich als mehr oder weniger gewöhnliche Tyrannen. Diesen Umschwung mußte Michel­angelo in verhältnismäßig früher Jugend erleben. Er mußte es erleben, daß, während im Beginne seiner Laufbahn aus dem mediceischen Kaufmannsgeiste heraus der Kunst freien Lauf gelassen worden war, jetzt der Kaufmannsgeist sich als politischer Geist aufspielte und nach Tyrannei strebte. Und er erlebte es, daß in Florenz im kleinen zunächst sich das zeigte, was später die ganze Welt ergriff. Das war ein furchtbares Erlebnis für ihn, aber ein Erlebnis, wel­ches auch mit der ganzen Umwendung der neueren Zeit zusammenhing.

Da geht er zum ersten Male nach Rom. Und man kann sagen: in Rom vertrauert er dasjenige, was er selber als die Größe dieses Florenz erlebt hat. Und man kann sehen, wie die Formengebung des Michelangelo mit diesem Umschwung in den Empfindungen zusammenhängt. Bis in die Linien herein merkt man, was in seinem Gemüt dieser politische Umschwung in Florenz bewirkt hat. Und wer für solche Sachen Empfindung hat, der merkt es an der im Vatikan befindlichen «Pietá» (127), daß sie herrührt im Grunde genommen

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von dem trauernden Michelangelo, von dem um seine Vaterstadt trauern­den Michelangelo

Und als dann für Florenz wieder bessere Zeiten beginnen und er zurück­geht, da steht er wiederum unter dem Eindrucke des Gehobenseins, aber des Gehobenseins eben aus dem Grunde, weil in Florenz wiederum die Freiheit eingezogen war. Und da gießt er diese umgestaltete Empfindung hinein in die unbeschreiblich große Charakterfigur seines «David», den er hinstellt (129). In diesem David lebt nicht der biblische David, so wie er traditionell war; in diesem David lebt der Protest des freien Florenz gegen das andringende Großstaatentum, und das Kolossale der Statue da hängt mit dieser Empfin­dungsart zusammen.

Und als er dann berufen wird von dem Papste Julius, die Sixtinische Kapelle auszumalen, da trägt er erst im rechten Sinne sein Florenz nach Rom hinüber. Was trägt er da nach Rom hinüber? - Da trägt er nach Rom hinüber eine ganze Weltauffassung, eine Weltauffassung, von der man ebensogut sagen kann, sie zeige die neue Zeit, wie man sagen kann: in dem, was Michelangelo in Rom schafft in der Sixtinischen Kapelle im Weltenwerden und im Werden der biblischen Geschichte (127-133), geht unter eine alte Weltanschauung. Eine ganze Welt trägt Michelangelo nach Rom hinüber. Er trägt das hinüber, was in Rom damals nicht entstehen konnte, was seelisch nicht in Rom ent­stehen konnte, was nur in Florenz entstehen konnte: die Anschauung dieses Weltzusammenhanges vom Urbeginne an bis herein in das Historische im Zusammenhang mit all den prophetischen und Sibyllen-Gaben der Menschen

- Sie finden in früheren Vorträgen von mir gerade über diese Dinge Ausfüh­rungen -, diese Zusammenhänge mußten in Florenz empfunden werden. Denn was damals Michelangelo empfunden hat und durchaus empfunden hat aus dem, was in Florenz zu seiner Höhe gekommen war, das kann man heute, ohne sich geisteswissenschaftlich in frühere Zeiten zu versetzen, nicht mehr nachempfinden; daher steht in den gebräuchlichen Kunstgeschichten über diese Dinge so viel Unsinn - man kann das nicht mehr nachempfinden; denn so, wie Michelangelo schuf, so kann man nur schaffen, wenn man an diese Dinge wirklich glaubt, wenn man in diesen Dingen drinnen steht. Es ist gut reden,

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zu sagen: Man malt das Weltenwerden. - Mancher Künstler der heutigen Zeit wird sich das auch zutrauen. Wer Empfindung hat, der wird damit doch nicht einverstanden sein können, aus dem einfachen Grunde, weil keiner das Weltenwerden malen kann, der nicht so drinnen steht mit seinem ganzen Seelenleben wie Michelangelo drinnen stehen konnte.

Und als er dann wieder nach Florenz geht, geht er im Grunde genommen nach Florenz zurück, getrieben schon von derjenigen Strömung, die, ich möchte sagen, den kommerziellen Charakter an die Stelle des sakramentalen Charakters setzt. Er soll zwar dann bedeutsame Werke schaffen und schafft sie auch in der Mediceer-Kapelle (153-161). Aber das Ganze hat im Hinter­grunde etwas, was Michelangelo eigentlich der ganzen Unternehmung gegen­über zu pessimistischen Empfindungen trieb. Es handelte sich um die Ver­herrlichung der Mediceer, und auf die kam es zunächst an, die ja mittlerweile mächtig geworden waren, weniger in Florenz in der damaligen Zeit als im übrigen Italien.

Und als er dann wiederum zurückgetrieben wird nach Rom durch die Verhältnisse, die herbeigeführt worden waren durch Malatesta Baglionis Ver­rat, durch das Wiedereindringen der Malatestas, das Ende der Freiheit in Florenz, da malt er, man möchte sagen, wie aus dem Protest eines Florentiners, unmittelbar als Maler, ins «Jüngste Gericht» hinein den großen Menschheits­protest der menschlichen Individualität gegenüber alledem, was dieser mensch­lichen Individualität widerstrebt (162-166). Das gibt dem «Jüngsten Gericht» seine menschliche Größe, jene menschliche Größe, die es ganz gewiß unmittel­bar ausgeatmet hat, wie es aus der Hand Michelangelos hervorgegangen ist. Jetzt ist es ja zum Teil vollständig verdorben.

Aber nun erlebt er wiederum dasjenige, was tief, tief in alle Empfindungs­impulse seiner Seele hineinschwirrt. Was alles hatte er schon erlebt an Ereig­nissen, die für die Entwickelung seines Weltanschauungsbildes von Bedeutung waren! - Wichtige Dinge habe ich Ihnen angegeben, die heute abstrakt auf­genommen werden, die aber durchaus ganz tiefe Seelenimpulse in der Seele des Michelangelo waren. Dazu muß man hinzufügen, daß er ja miterlebt hat den Umschwung, der in Florenz eingetreten ist durch das Auftreten des

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Savonarola. Damit tritt der Protest auf im Kirchenleben gegen dasjenige, was die damalige Zeit in bezug auf das Christentum überhaupt charakterisierte. Ein so freies Künstlertum, wie es sich in Lionardo geltend gemacht hat und in vielen anderen seiner Art, das konnte sich nur entwickeln, indem heraus­gehoben wurden aus dem moralischen Element die Vorstellungen des Christen­tums, wie sie sich an das Mysterium von Golgatha angereiht hatten: die Vorstellungen über die Trinität, über das Abendmahl, über den Zusammen­hang des Irdischen mit dem Übersinnlichen und so weiter. Diese Vorstellungen hatten, herausgehoben aus dem moralischen Element, einen imaginativen Charakter, einen freien imaginativen Charakter bekommen, mit dem man wie mit einem Weltlichen arbeitete, nur daß die heiligen Gestalten darinnen waren. Man hatte es objektiv gemacht, losgelöst vom Moralischen. Dadurch gerade gleitet das vom moralischen Vorstellen losgelöste christliche Vorstellen zum rein Künstlerischen hinüber. Es gleitet hinüber ganz wie selbstverständlich; aber es gehört zu der Art, wie es hinübergeglitten ist, gewissermaßen dieses Abstreifen des Moralischen dazu. Savonarola ist der große Protest gegen dieses Abstreifen des Moralischen. Savonarola tritt auf, der Protest der Moral gegen die moralfreie - ich sage nicht: morallose, aber moralfreie - Kunst. Und man muß schon das Wollen des Savonarola studieren, wenn man auch ver­stehen will, was von ihm ausgehend und von dem, was er bewirkte, ausgehend in Michelangelo ist.

Dann aber erlebte er ein Weiteres. Dieser Michelangelo, der niemals in seinem innersten Gemüte anders als in der Tat christlich dachte, nicht bloß christlich fühlte, sondern sich auch die Weltordnung im christlichen Sinne bildhaft vorstellte, er war hineingestellt in die Zeit, in der, ich möchte sagen, die christlichen Vorstellungen objektiv geworden waren und dadurch so leicht hinübergleiten konnten in das Gebiet der Kunst. Da war er hineingestellt, damit erlebte er den nördlichen Protest der Reformation, der verhältnismäßig schnell sich auch über Italien verbreitete. Und er erlebte dann den ganzen Umschwung, der sich von seiten des Katholizismus vollzog als Gegenrefor­mation gegen die Reformation. Er erlebte, wie im Rom der damaligen Zeit die vielleicht moralisch nicht hoch stehenden, aber freien Geister lebten,

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welche durchaus damit einverstanden waren, dem Katholizismus eine neue Gestalt zu geben, die durchaus nicht so weit gehen wollten wie Savonarola, aber die dem Katholizismus eine solche Gestalt geben wollten, daß er, ohne die Gestalt anzunehmen, die dann in der Reformation hervorgetreten ist, dennoch kontinuierlich sich fortentwickeln konnte. Da brach die Reformation herein als, ich möchte sagen: eine andere Auflage des Savonarola-Protestes. Da bekam man es in Rom mit der Angst zu tun, und man nahm Abschied von all demjenigen, was durchpulst hat das frühere Leben. Solche Ideen, wie sie sich zum Beispiel konzentrierten in der Vittoria Colonna, waren es, auf die auch Michelangelo große Hoffnungen setzte: ein Versittlichen desjenigen, was künstlerisch eine Höhe erreicht hatte, und mit diesem versittlichten Katholi­zismus die Welt langsam neu zu durchsetzen. Die römischen Machthaber, die katholischen Machthaber stießen jetzt in diese durchaus freieren katholischen Ideen hinein das jesuitische Prinzip, und Paul IV. wurde Papst. Damit erlebte Michelangelo etwas für ihn ganz gewiß Furchtbares; denn er sah im Keime entstehen den Bruch mit dem, was er noch als Christentum kannte. Das jesuitische Christentum nahm seinen Anfang.

Und so ging es in seinen Lebensabend hinein. - Ich sagte, Florenz habe er nach Rom getragen.

Anders war es wiederum bei

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RAFFAEL

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Raffael trug eigentlich Urbino nach Rom, das östliche Mittelitalien, über das ein merkwürdiger Zauberhauch ausgegossen ist, den man vernimmt, wenn man die kleineren Künstler dieses Gebietes, aus denen Raffael sich herausent­wickelt hat, ins Auge faßt. In ihren Schöpfungen mit den lieblichen Antlitzen, mit den charakteristischen Fußstellungen, mit der ganzen Haltung liegt etwas, von dem ich sagen möchte: da ist künstlerisch in einer etwas späteren Zeit das geworden, was auf moralisierendem Gebiete, auf asketischem Gebiete bei Franz von Assisi früher aufgetreten ist; da geht das in das künstlerische Ge­stalten und Empfinden hinein. Da lebt der eigentümliche Zauberhauch des

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zarten Anschauens der Natur und des Menschen. Das ist Raffael wie einge­boren, und das pragt er im Grunde genommen dann während seines ganzen Lebens aus. Und diese Empfindung trägt er nach Rom; die fließt aus seinen Schöpfungen in unser Gemüt über, wenn wir uns versetzen in die Art und Weise, wie diese Schöpfungen waren, die ja auch als Bildwerke zum großen Teil doch vielfach verdorben sind. Und was da Raffael in seiner Seele trägt, das ist gerade dadurch, daß es sich, ich möchte sagen, in der Urbinoschen Einsamkeit entwickelt hat, etwas, was auch einsam dasteht in der damaligen Zeit und was sich gerade von Raffael aus verbreitet hat in die Menschheits­kultur hinein. Es ist so, daß Raffael mit diesem Elemente wie auf den Wogen der Zeit getragen wird und überall, von den Wogen der Zeit getragen, dieses Element geltend macht, dieses echt künstlerische Ausgestalten der christlichen Empfindungen als künstlerische Empfindungen. Das ist überall über die Werke Raffaels ausgegossen.

So, möchte ich sagen, steht Lionardo im großen Weltgeschehen drinnen, wie einen überall stechend mit seinem scharfen Weltverstehen; Michelangelo steht im politischen Verstehen der damaligen Zeit darinnen und macht das zum ausgesprochenen Empfindungsimpulse; Raffael bleibt von alledem ziem­lich unberührt, wird von den Wogen der Zeit getragen und trägt ein fast un­aussprechbares christliches Künstlerisches in die Zeiten-Entwickelung hinein. Das ist es, was diese drei großen Meister der Renaissance zugleich unterschei­det und zugleich vereint; denn sie stellen drei Momente dar im Renaissance-Empfinden, wie es uns historisch erscheinen kann.

Und jetzt lassen wir zunächst

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LIONARDOS KUNSTWERKE

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bildhaft auf uns wirken. Wir werden sehen, wie diese Kunst sich zeigt. Deshalb wollen wir als erste Bilder dann zeichnerische Schöpfungen von Lionardo zeigen, zeigen, wie er in der ganzen Art und Weise zeichnerisch aus diesem Naturverstehen heraus schafft, das ich zu charakterisieren versuchte. Dann wollen wir - nicht ganz historisch - seine porträtartigen Bilder zeigen und dann

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erst übergehen zu seiner Hauptschöpfung, zu dem «Abendmahl», um dann zu dem zurückzukehren, was ihn wiederum in seinem Ausgangspunkt zeigt.

Wir werden Ihnen zuerst ein bekanntes Selbstporträt des Lionardo zeigen:

85 Selbstbildnis, Rötel, Mailand

Das ist zunächst eines von den Selbstporträts Lionardos. Das andere ist das bekanntere:

86 Selbstbildnis, Rötel, Turin

Dann haben wir aus der Werdezeit des Lionardo ein Bild:

92 Verrocchio/Lionardo Die Taufe Christi

welches eigentlich zeigt, wie Lionardo sich entwickelt hat aus der Schule des Verrocchio heraus. Die kleinen Figuren, die Sie sehen, sind ja sicher Verrocchio-Figuren, während es als Tradition gilt, daß zum Beispiel die Landschaft in der feinen Ausführung um diese Figur hier [Christusl, von Lionardo gemalt worden ist. Und es gilt als Tradition, daß nur der eine Engel von ihm in der Schule Verrocchios gemalt worden ist, und daß Verrocchio, als er gesehen hat, was Lionardo auf seinen Bildern malen konnte, den Pinsel niedergelegt hat und selber nicht mehr malen wollte.

Nun haben wir eine Zeichnung von Karikaturen:

88 Karikaturen, Feder

Hier sehen Sie die Art und Weise, wie Lionardo gezeichnet hat, wie er versuchte, das Charakteristische bis zur Karikatur so weit herauszuholen aus der Anschauung, die er eben in solcher Weise gewonnen hat, wie ich es zu charakterisieren versuchte.

Man soll nicht glauben, daß Lionardo ganz allein dasteht mit solchen Dingen. Dergleichen war schon in der damaligen Zeit durchaus auch von anderen gemacht worden; nur steht Ljonardo mit seiner besonderen Genialität da. Aber dieses Suchen des Charakteristischen gegenüber dem, was man früher in der Kunst verklärt hat und was sich in früherer Zeit aus einer höheren

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Anschauung ergeben hat und dann traditionell geworden ist, dieses Suchen nach dem unmittelbar Charakteristischen, wie es sich der Anschauung ergibt, und das Herausheben desjenigen, was sich aus der Anschauung als besonders signifikant für das Individuelle der Wesen geltend macht, das war schon ein Suchen der damaligen Zeit.

Nun eine weitere Zeichnung, die mit dem Tod:

89 Allegorie auf den Neid, Feder

Es handelt sich dabei wirklich viel mehr als um das Motiv darum, die Darstellung der Knochenlage zu studieren und dergleichen.

Nun ein Charakterkopf:

90 Biustbild eines Kriegers, Silberstift und Kreide und eine Zeichnung zu einer Landschaft:

91 Regenlandschaft, Rötel

93 Lionardo? Frauenbildnis

Dieses Bild (93) und das folgende (94) sind die beiden Bilder, die nicht als Lionardo-Arbeiten verbürgt sind, die aber Lionardos Charakter tragen und daher nicht ganz ohne Zusammenhang mit ihm in der Zeit stehen:

94 Lionardo-Schüler Die sogenannte «Belle Ferroniére»

Nun hier das berühmte Bild, an dem Sie die andere Seite des Lionardo sehen, eben jene Seite, wo er, ich möchte sagen, durchaus den entgegenge­setzten Pol sucht zu dem Ihnen vorhin durch Zeichnungen Veranschaulichten, in welchem er versucht, das Charakteristische zu gestalten, wo er versucht, das Individuelle in der Einzelheit herauszugestalten.

96 Mona Lisa

Man glaubt ja gewöhnlich nicht, daß ein Künstler, der so etwas schafft wie die «Mona Lisa», auch das andere braucht, das bis ins Karikaturmäßige geht. Ich habe das aber versucht anzudeuten, als ich öfters gesprochen habe

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von dem Naturgemäßen, durch das unser Freund Christian Morgenstern von seinen erhabenen Schöpfungen zu denen getrieben worden ist, die wir ja auch kennen, als das zuweilen Karikaturhafte. Das ist durchaus dieser Zusammen­hang in der Künstlerseele, der notwendig ist, wenn es sich um ein so Gerun­detes, Abgeklärtes handelt: die Kräfte zu suchen zu der Schöpfung eines solchen Abgeklärten durch das Ausgestalten des Charakteristischen bis zum Karikaturmäßigen.

Wir bringen jetzt weitere Bilder - nicht eben ganz historisch angeordnet -, welche aber Lionardo zeigen in dem Charakter eines nach Rundung, eben nach dieser erwähnten Ausgestaltung suchenden Künstlers:

97 Die Heilige Anna selbdritt

120 Dionysos

Hier ist die Dionysos-Figur, der Dionysos-Gott. Sie finden darüber einige Andeutungen in verschiedenen Vorträgen, die früher von mir gehalten worden sind.

121 Johannes der Täufer. Paris, Louvre

Dann eine Madonna mit Jesusknaben in der Grotte:

98 Die Madonna in der Felsengrotte. Paris, Louvre

Nun kommen wir zu dem allerdings früher entstandenen «Abendmahl». 99 Das Abendmahl

das in Mailand in langer Zeit [1495-981 im Kloster Santa Maria delle Grazie gearbeitet worden ist. Wir haben ja öfters davon gesprochen. Wir wissen, daß es sich dabei darum handelt, daß ein wesentlicher Fortschritt in der ganzen künstlerischen Ausgestaltung bei diesem «Abendmahl» gegenüber früheren Abendmahl-Darstellungen - Ghirlandajo (55) und andere - zu ver­zeichnen ist. Wenn Sie das ganze Leben in dem Bild beobachten, so werden Sie eben finden, daß trotz allem Kompositionellen das Charakteristische der Figuren so stark hervortritt, daß man darin gerade das völlig Neue - ich habe

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das schon neulich hervorgehoben - bei Lionardo zu sehen hat. Das Abge­stimmtsein, das charakteristische Abgestimmtsein auf die Komposition ist allerdings in diesem Bilde bis aufs Wunderbarste getrieben. Die vier Gruppen der Jünger geben überall zugleich eine abgeschlossene Dreiheit, und jede die­ser Dreiheiten stellt sich wiederum in das Ganze in wunderbarer Weise hinein, Farbe und Lichtentwickelung einfach in der wunderbarsten Weise! - Und wie dieses auch in der Farbengebung hineinspielt in der Komposition, darauf habe ich einmal aufmerksam gemacht. Das ist etwas, wodurch man geradezu in das Ganze, in das Geheimnisvolle des Schaffens Lionardos hineinsieht, wenn man versucht, die Farben des ganzen Bildes zusammen zu empfinden, und man sie durchaus so empfindet, daß sie über das ganze Bild so verteilt sind, daß sie einander durchaus ergänzen - ich möchte nicht sagen: als Komple­mentärfarben, aber in ähnlicher Weise wie Komplementärfarben, so daß man eigentlich dann, wenn man das Ganze zusammensieht, ein reines Licht hat, die Farben reines Licht sind. - Das liegt auch in der Farbengebung dieses Bildes:

109 Lionardo da Vinci Das Abendmahl. Fresco-Kopie eines unbekannten Meisters, Ponte Capriasca bei Lugano, Parrocchia.

Das sind einzelne Gestalten aus dem Bilde heraus, Jüngergruppen, wie sie auch in Weimar sind.

Apostelköpfe:

112 Judas, Petrus, Johannes

113 Bartholomäus, Jakobus d. J., Andreas

114 Thomas, Jakobus d. Ä., Philippus

115 Matthäus, Thaddäus, Simon

Hier ein Christus-Kopf, der, wie geglaubt wird, ein früherer Versuch ist:

108 Lionardo? Christus-Kopf

110 Lionardo Das Abendmahl. Kupferstich von Raphael Morghen

Das ist nun der Morghensche Stich des «Abendmahls» fvollendet 1800], aus dem man noch eine genauere Vorstellung der Komposition bekommen

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kann als aus dem jetzigen Zustand des Bildes in Mailand, das ja eigentlich vollständig ruiniert ist. Sie kennen ja die Schicksale des Bildes, die auch bei uns öfter erzählt worden sind.

111 Lionardo Das Abendmahl. Kupferstich von Rudolf Stang, vollendet 1887

Das ist nun ein in neuerer Zeit gemachter Stich, der Stangsche, der ver­sucht, durch eingehendes Studium der Einzelheiten eine Vorstellung von dem Bilde zu geben; der vielfach bewundert wird, der aber vielleicht doch für den­jenigen, der das Bild gerade künstlerisch liebt, allerdings eine schöne selbstän­dige künstlerische Leistung auf diesem Gebiet ist, aber der doch zu sehr ablenkt dasjenige, was in dem Bilde ist, auf etwas Fein-Zeichnerisches.

118 Lionardo Der Heilige Hieronymus

117 Lionardo? Die Verkündigung

119 Lionardo Mittelgruppe? der «Anghiarischlacht». Kupferstich von Gerard

Edelinck nach der Kreide-Kopie von Peter Paul Rubens

Da haben wir nun ein Stückchen aus dem, was Lionardo malen wollte als sein «Schlachtenbild», das ich vorhin erwähnt habe.

Wenn Sie sich Lionardo noch einmal vergegenwärtigen, so werden Sie sehen, daß er etwas in sich hat, was gerade dann wirkt, wenn man nicht die ohnedies nicht sehr feststehende chronologische Ordnung nimmt, sondern gruppenweise die Dinge so auf sich wirken läßt, wie wir es jetzt gemacht haben. Da sieht man, daß in Lionardo durchaus verschiedene Strömungen leben. Die eine Strömung, die besonders herauskommt beim «Abendmahl», die, ich möchte sagen, auf das Charakteristisch-Kompositorische hingeht, sie steht für sich da -, und sie steht neben derjenigen Strömung, die nicht auf dieses Kompositorische geht, die zu jeder Zeit auch hätte herauskommen können, nur daß gerade zufällig nicht Bilder dieser Art aus jeder Zeit vorhan­den sind, die also in den Bildern des Louvre zum Ausdruck gekommen ist, welche wir vor dem «Abendmahl» (96) gezeigt haben (88-95). In denen kommt etwas zum Ausdruck, das durchaus in nichts erinnert an dieses Kom­positorische des «Abendmahls», sondern das auf Abrundung geht und nur mehr oder weniger charakteristisch sein will.

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Nun kommen wir zu

MICHELANGELO

Zunächst sein Selbstporträt:

122 Selbstbildnis

123 Der Kampf der Kentauren und Lapithen

124 Die Madonna an der Treppe

Das ist noch der unselbständige Michelangelo, der eigentlich noch Schüler ist, der in Florenz arbeitet unter dem Einflusse des Donatelloschülers Bertoldo und so weiter.

128 Bacchus

125 Madonna mit dem Kinde und Johannes dem Täufer

Und nun denken wir an den Michelangelo, der unter den Einflüssen, die ich geschildert habe, zum ersten Male nach Rom hinübergeht:

126 Madonna mit dem Kinde

Betrachten Sie dieses Bild und gleich dann das darauffolgende

127 Pietá. Rom, St. Peter

und vergleichen Sie die Stimmung der beiden Bilder. Sehen Sie sich dieses Bild an. Das ist durchaus unter dieser Stimmung des Nach-Rom-Kommens entstanden, und ein mehr oder weniger tragischer großartiger Pessimismus liegt über dem Ganzen. Vielleicht schalten wir dann noch einmal zurück:

126 Madonna mit dem Kinde

und Sie werden sehen: diese beiden Schöpfungen sind im künstlerischen Charakter sehr ähnlich und gehören durchaus derselben Empfindungsnuance bei Michelangelo an. Gehen wir noch einmal zurück zur « Pietá»:

127 Pietá. Rom, St. Peter

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die jetzt in St. Peter in Rom steht; wenn man dort hineingeht, findet man sie gleich rechts. Bei diesem Bildwerk wurde vielfach gesagt von Menschen, die ja das Novellistische mehr als das Künstlerische empfinden, daß die Ma­donna noch so jung ist in der Lage, in der sie hier ist. Diese jugendliche Dar­stellung hängt zusammen mit einem Glauben, der durchaus in der damaligen Zeit natürlich war und von dem auch Michelangelos Seele durchdrungen war:

daß die Madonna wegen ihrer Jungfräulichkeit überhaupt nicht alte Züge angenommen hat.

129 David

Hier haben Sie also das vorhin Besprochene. Die Figur wirkt vorzüglich durch ihre Kolossalität, die nicht etwas Äußerliches ist, sondern die in das ganze Künstlerische hineingeheimnißt ist.

130 Die Heilige Familie

Nun kommen wir zur Sixtinischen Kapelle:

131 Die Sixtinische Kapelle

mit dem «Jüngsten Gericht» von Michelangelo und dessen Deckengemälden. Wir bringen zunächst einzelne Teile der Deckenmalereien:

132 Die Trennung des Lichtes von der Finsternis

Die Weltenschöpfung, das erste Stadium, könnte man sagen: die Erschaf­fung des Lichtes aus der Nacht heraus.

133 Die Erschaffung von Sonne, Mond und Erde

Hier sehen wir, wie in der Tradition noch gelebt hat in bezug auf die Weltenschöpfung, daß Jehova geschaffen hat gewissermaßen als der Nachfolger eines früheren Schöpfers, der von ihm überwunden wird und der abzieht. Das Zusammenklingen der neuen Weltenschöpfung mit der durch die neuere Weltenschöpfung überwundenen alten Weltenschöpfung zeigt sich hier auf diesem Bilde. Und deshalb kann man auch sagen: solche Vorstellungen, wie

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sie in diesem Bilde ausgedrückt sind, sind durchaus verklungen, sind nicht mehr da.

134 Die Erschaffung der Tierwelt

Das ist also die Erschaffung desjenigen, was der Menschheit vorangegan­gen ist.

135 Die Erschaffung des Adam

Hier finden wir die Erschaffung des Mannes - und daraufhin die Er­schaffung der Eva:

136 Die Erschaffung der Eva

137 Der Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies

Wir kommen also hier immer mehr und mehr herein aus dem Weltschöp­ferischen in das Historische, in die Entwickelung des Menschengeschlechtes, in den Sündenfall.

Nun kommen wir zu den Sibyllen, über die ich ja in einem Vortrag ein­mal gesprochen habe und die das eine übersinnliche Element in dem Menschen-werden darstellen, im Gegensatz zu dem prophetischen Elemente, das dann wiederum in einer Reihe von Propheten auftreten wird. Also das eine, das Ele­ment der Sibyllen:

138 Die Erythräische Sibylle

Sie finden in dem Leipziger Vortrags-Zyklus ausführlicher darüber ge­sprochen, wie es sich zum Prophetischen verhält. Daß aber Michelangelo diese Dinge überhaupt in seinen Bilder-Zyklus einbezogen hat, das beweist, wie er das Erdenleben an das übersinnliche Element, an das Spirituelle angeschlossen hat. Nun sehen Sie, wie die Sibyllen der Reihe nach folgen, wie in jede wirk­lich individuelles Leben hineingegossen ist, wie jede einen ganz bestimmten visionären Charakter zum Ausdruck bringt bis in alle Einzelheiten hinein:

139 Die Cumäische Sibylle

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140 Die Delphische Sibylle 141 Kopf der Delphischen Sibylle

Betrachten Sie die Handhaltung - das ist nicht zufällig! - Und wenn Sie sie ganz sehen: mit dem Blick, der ganz aus dem Elementaren kommt, dann werden Sie manches ahnen können - man kann es nicht aussprechen, weil es dadurch zu abstrakt wird, was aber künstlerisch in der Sache liegt.

142 Die Libysche Sibylle

Nun kommen wir zu den Propheten:

143 Der Prophet Zacharias

144 Der Prophet Jeremias

145 Der Prophet Joel

146 Der Prophet Ezechiel

147 Der Prophet Jesaias

148 Der Prophet Jonas

149 Der Prophet Daniel

Das sind alles Proben, nicht wahr, des Alten Testamentes:

150 Die Jakob-Gruppe

151 Die Jesse-Gruppe

152 Die Salomon-Gruppe

Endlich einige von den Jünglingsgestalten oberhalb der Sibyllen und

Propheten:

153 Jüngling, rechts oberhalb der Persischen Sibylle

154 Jüngling, links oberhalb der Persischen Sibylle

155 Jüngling, rechts oberhalb von Daniel

156 Jüngling, links oberhalb von Daniel

Nun kommen wir wohl zu dem weiteren florentinischen Aufenthalte Michelangelos, also zu den Mediceern, zu der Mediceischen Kapelle, an der er im Auftrage der Mediceer-Päpste arbeiten sollte, um nun unter solchen

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Verhältnissen zu arbeiten, wie ich es geschildert habe. Gesprochen habe ich über diese Mediceer-Gräber in einem Vortrage, der ja wohl auch gedruckt ist.

157 Das Grabmal des Lorenzo de' Medici

gewöhnlich des Giuliano genannt.

158 Lorenzo de' Medici

159 Die Nacht

160 DerTag

161 Das Grabmal des Giuliano de' Medici

162 Giuliano de' Medici

163 Der Abend

164 Der Morgen

165 Die Madonna Medici

Und nun müssen wir Michelangelo wieder begleiten neuerdings hinüber nach Rom, wo er nun wiederum im päpstlichen Auftrage «Das Jüngste Ge­richt» schafft, das Altarbild der Sixtinischen Kapelle:

167 Das Jüngste Gericht

Es ist durchaus das Bedeutsame des Bildes in der Charakteristik der Welt-bedeutung der Charaktere. Wenn man also alles dasjenige, was sozusagen für den Himmel bestimmt ist, und dasjenige, was für die Unterwelt bestimmt ist, für die Hölle - und Christus mitten drinnen als Weltenrichter, ins Auge faßt, so sieht man, wie Michelangelo durchaus die ganze großartig gedachte Weltenszene mit einem menschlichen Individualempfinden in Einklang brin­gen wollte. - Nun folgen noch Details aus dem «Jüngsten Gericht»:

168 Christus

Herman Grimm hat einmal den Christus-Kopf ganz in der Nähe gezeich­net, und dieser hat sich sehr ähnlich ergeben dem Apollo-Kopf von Belvedere:

169 Kopf des Christus 170 Kopf des Apollo von Belvedere

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Noch ein Detail aus der rechten Ecke unten:

171 Charon mit dem Nachen

und ein weiteres Detail, die Gruppe oberhalb des Nachens:

172 Gruppe von Verdammten

Und jetzt kommt, obwohl es in der Zeit früher anzusetzen wäre, das­jenige, was Michelangelo gemacht hat zum Denkmal des Papstes Julius:

173 Entwurf zum Juijus-Grab von 1513. Kopie von Jacopo Rocchetti nach der Zeichnung seines Lehrers Michelangelo

Es kommt erst hier aus dem Grunde, weil das Denkmal ja nicht in seiner ursprünglich geplanten glanzvolleren Form ausgeführt worden ist und Michel­angelo noch daran gearbeitet, manches daran fertiggestellt hat in seiner letzten Zeit.

Bedeutsam ist eben, daß Papst Julius II., der durchaus ein wirklich groß angelegter Charakter war, seinem eigenen Streben dieses Denkmal setzen lassen wollte. Es sollte eine ganze Reihe von Figuren haben, vielleicht dreißig oder mehr. Es ist dann nicht so zur Ausführung gekommen, und es blieb also als bedeutsamste Gestalt, die damit zusammenhängt, diese ja berühmte «Moses»-

Gestalt:

174 Moses

die vielfach von mir besprochen worden ist, - und das, was nun folgt:

175 Sterbender Sklave

176 Gefesselter Sklave

166 Pietá (Grablegung). Florenz, Dom

ist von Michelangelo in der allerletzten Zeit seines Lebens fertiggearbeitet worden. Wenn Sie sich diese «Grablegung» anschauen - nun es ist schwer zu sagen, wie die Sache sich eigentlich vollständig verhält. Es ist ganz gewiß, daß diese Gruppe einer Idee entspricht, die Michelangelo durch sein ganzes Leben

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getragen hat. Ob nun eine Gruppe vorhanden war, die irgendwie verlorenge­gangen ist, in der er diese Szene als eines seiner ersten Werke bearbeitet hat, oder ob es vielleicht derselbe Block war, den er nur im hohen Alter weiter umgearbeitet hat, das ist schwer zu sagen. Aber wir zeigen es hier als das letzte Werk Michelangelos, weil es wirklich nicht nur das ist, das er in hohem Alter vollendet hat, sondern weil es einer künstlerischen Idee entspricht, die er durch sein ganzes Leben getragen hat und die eigentlich, mehr als man glaubt, mit dem ganzen Grundempfinden Michelangelos zusammenhängt. Er hätte gewiß in jeder Phase seines Lebens diese Gruppe machen können; sie würde immer etwas anders ausgefallen sein, würde anders die Grundstimmung seiner Seele wiedergegeben haben. Aber das urchristliche Gemüt, das in Michelangelo lebt, das kommt gerade in dieser Gruppe zum Ausdruck - in dieser eigentümlichen Beziehung des Christus zur Mutter in der Grablegungs­szene. Denn immer wieder und wiederum tritt in Michelangelos Seele die Idee des Mysteriums von Golgatha so auf, daß er besonders stark fühlt, daß mit dem Mysterium von Golgatha eine Tat überirdischer Liebe geschehen ist, in einer Intensität, wie sie immer als ein großes Ideal den Menschen vor Augen schweben soll, aber niemals auch im Entferntesten nur von ihnen erreicht werden kann, wie sie aber tragisch stimmen muß denjenigen, der die Welt-ereignisse ansieht.

Nun denken Sie sich: mit dieser Idee in der Seele sieht sich Michelangelo das Jesuitisch-Werden Roms an, mit dieser Idee in der Seele hat er eigentlich alle die Empfindungen durchgemacht, von denen ich gesprochen habe, hat immer, was er in der Welt gesehen hat, daran gemessen. Und da hat er nun schließlich recht viel in der Welt gesehen. - Denn denken Sie sich: während er an den ersten künstlerischen Dingen arbeitete, noch in Florenz, war in Rom Papst Alexander VI. Borgia. Dann wurde er ja berufen nach Rom, arbei­tete die «Weltenschöpfung» im Auftrage Julius II. Wir sehen also in Rom abgelöst die Borgia-Wirtschaft von Papst Julius, dann von dem Mediceer Leo X. Man muß sich dabei klarmachen, daß der Papst Julius II., trotzdem er arbeitete mit all dem, was man nennen kann Gift, Mord, Verstellung und ähnliche gute Eigenschaften, es mit der christlichen Kunst durchaus in hohem

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Grade ernst meinte, ernst fühlte, daß der Papst Julius, der ablöste die politi­schen Borgia-Fürsten, eigentlich nach dem Papsttum strebte, um durch das geistige Leben das Papsttum groß zu machen, obwohl er ja natürlich durchaus Kriegsmann war. Aber in seinem Innersten dachte er sich als Krieger doch nur im Dienste des geistigen Rom. Und bei Julius II. muß man durchaus ins Auge fassen, daß er ein Geistesmensch war, daß es ihm ernst war mit dem, was in seinem Impuls liegt, die Peterskirche wieder aufzurichten, ernst in alledem, was er für die Kunst tat, selbstlos ernst war es ihm damit. Es klingt ja sonderbar, wenn man dies sagt bei einem Menschen, der sich zur Durch­führung seiner Pläne des Giftmordes und so weiter bediente; aber das gehörte zu der Sitte seiner Zeit in den Kreisen, mit denen er seine Pläne verwirklichte. Sein Höchstes war aber dasjenige, was er durch die großen Künstler der Welt in die Welt einführen wollte. Und da ist es schon für einen solchen Geist wie Michelangelo tief tragisch, zu empfinden, wie in der Welt niemals ein voll­ständig Gutes sich realisieren kann, sondern eben in Einseitigkeit sich reali­sieren muß. Und dann mußte er noch mitmachen den Übergang zu den kommerziellen Päpsten, wenn man so sagen darf, die aus dem Hause Medici waren, denen es mehr um Ehrgeiz zu tun war und die sich wirklich gründlich unterschieden von Julius II., selbst von den Borgia-Gesinnungen; sie sind jedenfalls nicht besser. Aber man muß überhaupt diese ganzen Erscheinungen aus der Zeit heraus beurteilen. Denn es ist natürlich heute ein leichtes, den Papst Alexander VI. und seinen Sohn Cesare Borgia oder Julius II. wie Scheußlichkeiten zu empfinden, weil über sie schon unabhängig geschrieben werden darf, während man manches Spätere eben mit einer solchen Freiheit noch nicht beschreiben könnte. Man muß zugleich aber wissen, daß die großen Dinge, die damals geschehen sind, kausal schon zusammenhängen mit dem, was diese ganzen Päpste waren und was sicher nicht gewesen wäre, wenn Savonarola oder Luther auf dem päpstlichen Stuhle gesessen wären.

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Nun kommen wir zu

RAFFAEL

177 Selbstbildnis

Und nun zeigen wir das, wovon ich schon einmal sprach. Wir wollen es uns noch einmal vor die Seele führen, das «Sposalizio»:

75 Perugino Die Vermählung Marias (Sposalizio)

178 Raffael Die Vermählung Marias

wo wir also das Motiv von Perugino haben und daneben die Vermählung der Maria von Raffael. Gerade an diesem Bilde können Sie sehen, wie Raffael herausgewachsen ist aus der Schule von Perugino, seinem Lehrer, und wie er den großen Fortschritt bedeutet. Sie sehen zu gleicher Zeit an dem Bilde von Perugino (75) alles dasjenige, was charakteristisch ist für diese Kunst, das Niveau, aus dem Raffael herausgewachsen ist, die eigentümlichen, wir würden heute sagen: gesund sentimentalen Gesichter, die eigentümlichen Fußstellun­gen, das alles, was hier nach einer Charakteristik sucht; aber dieses Charakte­ristische alles in eine gewisse Aura, wie ich sie vorhin zu charakterisieren versuchte, gekleidet, was dann bei Raffael, man möchte sagen, wie verklärt wieder auftritt und durchaus ins Kompositorische in anderer Form erhoben ist. Sie sehen aber auch die Komposition herauswachsen bei Perugino, nur, wenn Sie alles vergleichen, eben bei Raffael schärfer und zugleich auch sanfter, weniger hart gefaßt.

Nun folgt ein Christus mit den Wundmalen:

179 Der segnende Christus

180 Der Traum des Ritters

Das ganze Bild ist als Traumwelt aufzufassen. «Traum des Ritters» wird es gewöhnlich genannt.

Nun wollen wir eine Reihe von Madonnenbildern und Bildern aus der Heiligenlegende auf uns wirken lassen. Es sind diejenigen Bilder, die den

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Ruhm Raffaels zunächst in die Welt hinaustrugen; hauptsächlich die Madon­nenbilder.

181 St. Georg

182 Die Madonna di Terranova

eine Madonna mit Jesusknaben

183 Die Madonna di Casa Tempi

184 Die Madonna im Grünen

185 Die Madonna mit dem Stieglitz

Überall sind in diesen Bildern die charakteristische alte Stellung und die charakteristische Haltung zu sehen, die Raffael sich durchaus noch aus seiner Heimat mitgebracht hat.

186 Die Heilige Familie aus dem Hause Canigiani

187 Die Heilige Familie mit dem Lamm

188 Madonna («Die schöne Gärtnerin»)

Jetzt haben wir also Madonnen gesehen, welche besonders stark noch Raffael in seiner Entwickelung zeigen.

Nun verfolgen wir ihn dann weiter in die Zeit, da er nach Rom geht. Es ist geschichtlich nicht bekannt, wann er nach Rom gegangen ist. Wahrschein­lich ist, daß er nicht in einem bestimmten Jahre einfach nach Rom gegangen ist - wie man gewöhnlich annimmt: 1508-, sondern daß er öfters schon in Rom war, wieder zurückgegangen ist nach Florenz und dann von 1508 an dauernd in Rom geschaffen hat. Jetzt folgen wir ihm also hinüber nach Rom und kommen zu den Bildern, die er im Auftrage des Papstes Julius in Rom geschaffen hat:

197 Die «Disputa»

das Bild, das ja bekannt ist - auch bei uns ist davon gesprochen worden -, es ist ein Bild, zu dem viele Zeichnungen existieren, und das ja, wie es hier ist, im Auftrage des Papstes gemacht worden ist, des Papstes, der die Sehnsuchten

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hatte, von denen ich Ihnen vorhin gesprochen hatte, der Rom geistig groß machen wollte. Aber festzuhalten ist, daß ja einiges aus dem Motive dieses Bil­des schon sehr früh bei Raffael auftritt in einem Gemälde seiner Perugia-Zeit:

201 Die Dreifaltigkeit

welches gerade diese Idee, diese Szene darstellt, oder sagen wir besser: das Motiv dieser Szene darstellt - das zeigt ja, daß diese Idee eine dazumal lebendige war, lebendig so, daß sie sich besonders ausbilden konnte schon in diesem merkwürdigen östlichen Winkel, in dieser Landschaft Mittelitaliens.

Wir müssen uns das Motiv in der Zeit lebend vorstellen: die Menschen unten, Theologen im wesentlichen, Theologen, die zu gleicher Zeit wissen, daß alles dasjenige, was menschliche Vernunft findet, sich bezieht eben auf dasjenige, was Thomas von Aquino «Praeambula fidei» genannt hat, und durchdrungen werden muß von demjenigen, was aus den geistigen Welten als Inspiration herunterkommt; in das sich hineinmischt die Errungenschaft der großen christlichen, vorchristlichen Gestalten des menschlichen Werdens, durch das begriffen wird das Geheimnis der Trinität, das so vorzustellen ist, daß es, während unten gewissermaßen die Theologen disputieren, hereinbricht in ihre Disputation. Nun kann man sich direkt vorstellen, daß dieses Bild gemalt ist aus dem Willen heraus, alles Christliche von Grund aus mit dem Römischen zu verbinden, Rom neuerdings zum Mittelpunkte des Christen­tums zu machen durch Aufrichtung der Peterskirche, die ja verfallen war und von Julius II. wieder aufgerichtet werden sollte. Aber daß diese Ideen mit der Grundidee des Geheimnisses der Dreifaltigkeit sich dann zusammenfinden auch bei Raffael durch den Einfluß des Papstes, von Rom aus das Christentum neuerdings ganz besonders groß zu machen, das liegt auch, ich möchte sagen, der «Verbrämisierung» dieses Bildes zugrunde. Denn man möchte sagen: durch dieses Bild ist ausgesprochen - es sind ja sogar in den Architekturmotiven Dinge zu sehen, die dann in der Peterskirche wieder auftreten -, es ist durch dieses Bild gewissermaßen gesagt: das Geheimnis der Trinität soll von Rom aus neuerdings der Welt gelehrt werden, der Welt gebracht werden. Zeichnun­gen finden sich viele zu diesem Bilde, die zeigen, daß Raffael nach und nach

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diese Endkomposition erst zustande gebracht hat, die aber ebensogut zeigen, daß diese ganze Art, zu denken über die Inspiration, über die Idee der Drei­faltigkeit in ihm lange lebte, und daß jedenfalls die Sache nicht so war bei diesem Bilde, daß der Papst einfach sagte: Male mir dieses Bild! -, sondern daß der Papst sagte: Welche Idee lebte in dir lange Zeit? - und daß sie sozu­sagen zusammen zustande brachten, was auf die eine große Wand der Camera della Segnatura gemalt worden ist.

202 «Die Schule von Athen»

Und nun dieses Bild, das ja bekannt ist, wie Sie wissen, unter dem Namen «Die Schule von Athen», weil man namentlich glaubt, daß die beiden Mittel-figuren Plato und Aristoteles sind. Das einzig richtige dabei ist, daß sie es ganz gewiß nicht sind. Und es soll hier durchaus nicht - ich habe ja über dieses Bild schon gesprochen - bestanden werden etwa auf anderen Ansichten, die darüber geäußert worden sind; aber Plato und Aristoteles sind die beiden Mittelfiguren ganz gewiß nicht. Gewiß, man wird erkennen allerlei alte Philosophengestalten. Aber auf alles das kommt es nicht an bei diesem Bilde, sondern es kommt darauf an, daß im Gegensatze zu dem, was Inspiration ist, Raffael auch darstellen sollte, was der Mensch durch seine auf das Übersinn­liche gerichtete Vernunft erhält - wie er sich da verhält, wenn er seine auf das Übersinnliche gerichtete Vernunft zur Untersuchung der Ursachen der Dinge anwendet. Und die verschiedenen Arten, wie sich der Mensch verhält, sind in den verschiedenen Figuren ausgedrückt. Raffael hat, wie er immer versuchte, dies oder jenes zu verwenden, gewiß so traditionelle alte Philosophenfiguren hineingenommen. Aber darauf kam es ihm nicht an; sondern darauf kommt es an, zu kontrastieren die übersinnliche Inspiration, also das Heruntersenken des Übersinnlichen als Inspiration in den Menschen, und das Erreichen der Erkenntnis der Ursachen der Dinge mit der auf das Übersinnliche gerichteten Vernunft. Die Mittelfiguren sind dann so aufzufassen, daß wir in der einen Gestalt den noch jüngeren Mann haben, der die geringere Lebenserfahrung hat und daher mehr redet wie jemand, der auf den Umkreis der Erde schaut, um aus diesem Umkreise zu ersehen, welches die Ursachen der Dinge sind,

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neben dem greisenhaften alten Mann, der in sich schon viel verarbeitet hat und der schon das im Irdischen Geschaute auf das Himmlische anzuwenden ver­steht - neben anderen Gestalten, die zum Teil durch Nachsinnen, zum Teil durch Arithmetisches, Geometrisches und dergleichen, oder durch Enthüllen der Evangelien und so weiter, also des Schrifttums, mit Anwendung der menschlichen Vernunft die Ursachen der Dinge finden wollen. Ich denke, wir können den Gegensatz dieser Bilder so nehmen, daß wir nicht den Unfug treiben, nachzudenken, ob das eine nun Pythagoras, das andere Plato und Aristoteles ist, was ja dem Künstlerischen gegenüber ohnedies nur ein Unfug ist. Es ist viel Scharfsinn verwendet worden auf die Entzifferung der einzelnen Figuren, also auf das Unnötigste, was man diesen Bildern gegenüber sollte. Viel mehr sollte man auf die Verschiedenheit in dem Suchen nach dem, was die menschliche Vernunft erreichen kann, viel mehr sollte man darauf Wert legen.

Nun vergleichen Sie die beiden Bilder auch noch dahingehend, daß Sie hier in einer Architektur drinnen das Ganze haben, während Sie bei der «Dis­puta» (197) das Bild in die ganze Welt hineingestellt haben - so haben Sie zu gleicher Zeit auch den Unterschied zwischen der Inspiration, die zu ihrem Hause das ganze Weltengebäude hat, und dem Suchen der menschlichen Vernunft: die im abgeschlossenen menschlichen Raume vor sich gehend be­trachtet wird (202).

206 Drei Kardinaltugenden: Fortitudo, Prudentia, Temperantia

Hier haben wir nun das, was erreicht wird innerhalb des Menschlichen selber, also ohne daß dieses Menschliche beeinflußt wird von etwas Übersinn­lichern.

208 Theologia, oberhalb der «Disputa»

Das ist also gleichsam der Kommentar zu der «Disputa»: die Erkenntnis des Göttlichen oder vielmehr die Erkenntnis der göttlichen Geheimnisse, dar­gestellt in mehr allegorischen Figuren, die zur «Disputa» führt.

207 Justitia als vierte Kardinaltugend, oberhalb der «Drei Kardinaltugenden»

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189 Die Madonna di Casa d'Alba

190 Die Madonna di Foligno

211 Die Vertreibung des Heliodor aus dem Tempel

Nun haben wir also eines der Bilder zu dem ganzen Komplex, den Raffael im Auftrage des Papstes Julius gemacht hat, durch die gezeigt werden sollte die Bekräftigung der Idee: Das Christentum muß siegen, und was ihm wider­steht, wird überwunden.

212 Die Begegnung Leo I. mit Attila

Das ist nur die andere Seite derselben Idee.

Auch noch zur selben Bildergruppe gehörend «Petrus im Kerker»:

213 Die Befreiung des Petrus aus dem Gefängnis

214 Die vier Sibyllen

Das sind die Raffaelischen Sibyllen. Wenn Sie sich erinnern an die Sibyllen des Michelangelo (138-142), so werden Sie den gewaltigen Unterschied hier (214) bemerken. Raffaels Sibyllen sind Sibyllen, die - sehen Sie sich sie nur daraufhin einmal an - eigentlich zeigen in Menschengestalt ausgedrückt Wesenheiten, die im Zusammenhange stehen mit dem ganzen Kosmos, in die der ganze Kosmos hereinspielt, indem sie innerhalb des Kosmos wie ein Stück des Kosmos selbst träumen, nicht vollständig zum Bewußtsein gekommen sind. Die verschiedenen übersinnlichen Wesen, die zwischen ihnen sind, diese Engelsfiguren, sie tragen ihnen die Weltengeheirnnisse zu - diese Sibyllen sind traumhafte Wesen im ganzen Weltenzusammenhange, während Michel­angelo das Schicksal hatte, das Menschlich-Individuelle auszudrücken, das, was die Sibyllen träumen, im Traumbewußtsein entwickeln, aus dem Indi­viduellen -, man möchte sagen: aus dem bis zum Persönlichen gehenden Cha­rakter heraus zu schaffen. Über dem Individuellen, oder auch noch im Un­individuellen, leben und schweben diese Raffaelischen Sibyllen.

231 Die Bekehrung des Paulus

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191 Die Heilige Familie unter der Eiche

193 Die Sixtinische Madonna

194 Die Sixtinische Madonna, Teil

192 Die sogenannte «Große Heilige Familie»

Dann kommt also das Zimmer, der Raum, in dem sich die «Transfigura­tion» befindet. Wir werden nun noch die Transfiguration sehen:

217 Die Transfiguration

Es ist das Bild, das Raffael vielleicht nicht einmal ganz fertig gemacht hat; es ist das Bild, das er bei seinem Tode hinterlassen hat, die Himmelfahrt des Christus. Für diejenigen, die da sagen, daß Raffael in der letzten Zeit seines Lebens zu visionären Bildern übergegangen ist, braucht ja nur geltend gemacht zu werden, daß diese eine Figur hier:

219 Der besessene Knabe, Teil von 217

in ganz wirklich okkult-realistischem Sinne bewirkt, daß solch eine Szene sichtbar wird für die anderen, daß sie durch die, ich möchte sagen mediale Natur der Bewußtlosigkeit des Wahnsinns auf die anderen Gestalten wirkt, so daß sie so etwas sehen können:

217 Die Transfiguration

Nun haben wir noch die Christus-Figur selbst aus dem Bilde:

218 Christus, Teil von 217

Und nun bedenken Sie: was Raffael so gemalt hat, was Sie nun verfolgt haben, fiel in die Zeit von seinem 21. bis zu seinem 37. Jahr, in dem er gestor­ben ist. Im 21. Jahre malte er das Bild, das wir als erstes hier gesehen haben (178), das Gegenbild zu dem Peruginoschen Bilde «Die Vermählung der Maria» (75). Nun hat schon Herman Grimm sehr schön etwas ausgerechnet, was in großartigern Sinne für die selbständige Entwickelung, für die ganz selbständige Entwickelung Raffaels spricht, und was in gewissem Sinne ein

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äußerer Beweis ist für das, was ich gesagt habe: daß Raffael, trotzdem er auf den Boden getragen worden ist und selbstverständlich viel gelernt hat in der Welt, die eigene Natur dieses mittleren, dieses östlichen Teiles von Mittel­italien nach Rom hinübergebracht hat, weil er trotz seiner Jugend aus dem Innersten seiner Natur heraus schuf und in ganz regelrechter Entwickelung vorwärts ging. Herman Grimm hat ausgerechnet, daß man die hauptsächlich­sten Höhepunkte des Raffaelischen Schaffens bekommt, wenn man von diesem 21. Jahre weitergeht und immer vierjährige Perioden annimmt: im 21. Jahre eben die «Vermählung der Maria»; vier Jahre darauf etwas, was für ihn sehr charakteristisch ist, was wir hier nicht zeigen konnten, da wir das Diapositiv noch nicht haben, die «Grablegung», die besonders durch die Zeichnungen, die sich darauf beziehen, durch das Ganze, was damit zusammenhängt, einen Höhepunkt bei Raffael zum Ausdruck bringt.

225 Die Grablegung

226 Entwurf zu einer «Beweinung», Feder. Paris, Louvre

227 Entwurf zur «Grablegung»: Die Hauptgruppe, Feder

228 Dasselbe: Die drei Träger mit angedeutetem Leichnam, Feder und Rötei

229 Dasselbe: Ein Jüngling wird von Freunden getragen, dabei zwei Frauenge­

stalten, Feder

Dann wiederum der Höhepunkt beim Schaffen in der «Camera della Segnatura» vier Jahre darauf. Und so von vier zu vier Jahren fortschreitend sehen wir, wie Raffael eine Entwickelung durchrnacht wie, ich möchte sagen:

ganz individuell in der Welt drinnenstehend - einem Impuls, der eben nur an seine Inkarnation gebunden war, folgend und diesen Impuls entwickelnd; etwas in die Welt hineinstellend, das in ganz regeirechter Menschheitsevolution abläuft.

Und nun nehmen Sie dies zusammen, wie diese drei Menschen - Lionardo, Michelangelo, Raffael - dastehen als ein künstlerischer Höhepunkt in der Entwickelung der Menschheit, der - es liegt dies im Tragischen, das in der menschlichen Entwickelung enthalten ist - geknüpft ist an eine Papstfolge:

Alexander VI. Borgia, Julius II., Leo X., Charaktere, die in bezug auf künstlerische

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Intentionen zu den ersten der Menschen gehören, die zu gleicher Zeit geeignet waren, in die Orte, an denen sie berufen waren regierend in die Mensch­heitsentwickelung einzugreifen, das Äußerste hineinzutragen, was in der da­maligen Zeit geleistet werden konnte an Verwendung von Regierungsrnitteln wie Mord, Verstellung, Grausamkeit, Giftrnischerei -, die es aber ganz un­zweifelhaft ehrlich meinten in der Kunst - bis eben zu den Medici-Päpsten hin, die im Kaufmanns-Standpunkt verblieben in der Gesinnung. Julius II. war ein merkwürdiger Mensch, zu jeder Grausamkeit geneigt, niemals zurück-schreckend vor Verstellüng, Gift wie ein Mittel gebrauchend, das eben zum weltgeschichtlichen Hausgebrauch ganz gut ist, aber ein Mensch, von dem man mit Recht zugleich sagte, daß er niemals etwas versprochen hat, was er nicht gehalten hat. Und den Künstlern, die er niemals gebunden hat, hat er in hohem Maße dasjenige gehalten, was er ihnen versprochen hatte, sofern sie ihm die Dienste leisten konnten bei dem, wozu er sie bestimmt hatte und was er in einer gewissen Art arbeiten lassen wollte.

Nehmen Sie nun neben dieser Papstfolge diese großen Charaktere, die die Werke geschaffen haben, drei große Charaktere, die wir heute an unserer Seele haben vorbeigleiten sehen, und bedenken Sie, wie in dem einen, in Lionardo gelebt hat dasjenige, was heute noch nicht zur Entwickelung ge­kommen ist - wie in Michelangelo gelebt hat die ganze Tragik seiner Zeit und seines engeren und weiteren Vaterlandes -, und wie in Raffael gelebt hat die Möglichkeit, fertig zu werden mit dieser ganzen Zeit dadurch, daß er zwar empfänglich war, man möchte sagen: bis zur Sensitivität empfänglich für alles dasjenige, auf dem er getragen wurde wie auf den Wogen der Zeit, aber wie er zu gleicher Zeit eine in sich abgeschlossene Natur ist. Und bedenken Sie, daß weder Lionardo noch Michelangelo in die Zeit dasjenige hineintragen konnten, was auf die Zeit wirken konnte. Michelangelo rang nach Heraus­gestaltung alles dessen, was in der Zeit war, aus der menschlichen Individuali­tät. Er konnte im Grunde genommen nie etwas schaffen, was die Zeit voll aufnehmen konnte; Lionardo erst recht nicht, weil er viel Größeres, als in seiner Zeit aufgenommen werden konnte, in seiner Seele trug. Raffael ent­wickelte eine solche Menschlichkeit, die jung blieb. Und wie von einer weisen

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Weltenlenkung, möchte ich sagen, war er bestimmt, eine solche Jugend zu entwickeln mit einer solchen Intensität, die nicht alt werden konnte, nicht alt werden sollte, weil ja die Zeit, in die das, was aus seinem Impulse kommt, hin­eingeboren werden sollte, selbst zunächst jung werden sollte. Jetzt erst kommt die Zeit, in der man immer mehr und mehr anfangen wird, Raffael weniger zu verstehen, weil die Zeit schon älter geworden ist als dasjenige, was Raffael seiner Zeit geben konnte.

Und zum Schluß noch einige Porträte, die Raffael geliefert hat:

220 Julius II. 221 Leo X.

Das sind also die beiden Päpste, die seine Protektoren gewesen sind.

222 Weibliches Bildnis 223 Conte Baldassare Castiglione

Damit sind wir am Schluß.

Wir werden nun, wenn wir es in der nächsten Zeit können, zur Ergänzung dieser Schöpfungen der großen Meister der Renaissance die Parallelerscheinun­gen des südlichen Europas im Norden: Holbein, Dürer und die anderen deut­schen Meister ins Auge fassen. Heute sollten gerade die drei Meister der Renaissance vor unsere Seele treten, und ich versuchte, Ihnen auch einiges von dem zu charakterisieren, was gerade in diesen Meistern lebte und was sie mit ihrer Zeit verband. Sie werden große Anregungen empfangen, wenn Sie das Kulturhistorische, das gerade in diese drei Meister hereingewirkt hat, irgendwo anfassen und die Tragik der menschlichen Geschichte, die notwendige Tragik der menschlichen Geschichte, die sich in Einseitigkeit ausleben muß, ins Auge fassen: wie namentlich in die Zeit von Florenz, die Raffael, Michelangelo, Lionardo groß gemacht hat, das weltgeschichtliche Werden hereinspielt in einer Art, die lehrreich ist zum Beurteilen alles Geschichtlichen. Ich glaube nicht, daß gerade heute jemand es bereuen wird, wenn er mit dem Blick für weltgeschichtliche Tatsachen auf allen Gebieten und mit dem Blick für die Bedeutung der äußeren politischen Dinge für das geistige Leben, gerade einen solchen Zeitabschnitt heranzieht wie das Jahr 1504 auf 1505, in welchem in Florenz zu gleicher Zeit sind Michelangelo, Lionardo und auch Raffael -

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Raffael mehr noch als jüngerer Mensch, lernend von den anderen -, die beiden anderen im Wettstreit miteinander, Schlachtenbilder malend, Taten verherrlichend, die der politischen Geschichte angehören. Wenn jemand das auf sich wirken läßt, was dazumal gespielt hat, und wie in dem, was äußerliche Ereignisse sind, das Künstlerische seinen Platz sucht, wie aber durch das, was so Künstlerisches und äußerlich Ereignisreiches ist, hereinwirken die größten Impulse der menschlichen Evolution, wie dazumal ineinander verwoben wird menschliche Brutalität - menschlicher Hochsinn, menschliche Tyrannei -menschliches Freiheitsstreben, wie sie dazumal ineinander verwoben sind, so wird er, wenn er diese Dinge von irgendeiner Seite auf sich wirken läßt, nicht die Zeit bereuen, die er darauf verwendet hat; denn er wird viel lernen auch für die Beurteilung der Gegenwart, wird sich in vielem abgewöhnen können den Glauben, daß die größten Worte auch bedeuten den Ausdruck für die größten Ideen, und daß diejenigen, die in unserer Zeit am meisten von Freiheit sprechen, oftmals auch nur irgend etwas von dieser Freiheit verstehen. Aber auch in anderen Zusammenhängen unserer Zeit kann vieles gewonnen werden an Schärfung des Urteiles gerade durch die Betrachtung der Ereignisse in Florenz zu Beginn des 16. Jahrhunderts, jenes Florenz, das dazumal unter dem Eindruck stand des eben hingerichteten Savonarola, jenes Florenz, das mitten drinnen stand in derjenigen Zeit Italiens, als das Christentum eine Gestalt angenommen hatte, durch die es hinüberglitt in die Kunst, eine Ge­stalt, gegen die zugleich das moralische Empfinden der Menschheit lebendig protestiert hat, eine Gestalt, die urverschieden war von derjenigen, die dann zunächst in die politisch-religiöse Entwickelung als Jesuitismus hineingetragen worden ist, und die vielfach in der Politik der folgenden Jahrhunderte bis in unsere Tage herein eine große Rolle gespielt hat.

Mehr zu sagen über diese Dinge ist ja in der heutigen Zeit nicht angängig. Aber vielleicht wird mancher mehr erraten, wenn er gerade das Kapitel menschlicher Entwickelung, von dem wir heute den künstlerischen Ausdruck auf unsere Seele haben wirken lassen, wenn er sich gerade dieses einmal ansehen wird.

ZU VORTRAG V III DEUTSCHE PLASTIK UND MALEREI BIS ZU DÜRER UND HOLBEIN RAFFAEL Dornach, 8. November 1916

#G292-1981-SE091 Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse

#TI

ZU VORTRAG V

III

Grundlagen zum Verständnis des mitteleuropäisch-nordischen Kunstimpulses.

Gegensatz und Zusammenhang der mitteleuropäisch-nordischen

und der südlichen Kunst:

DEUTSCHE PLASTIK UND MALEREI BIS ZU DÜRER UND HOLBEIN RAFFAEL

Dornach, 8. November 1916

#TX

Die Entwickelung der Kunst in Mitteleuropa bis zu jener Zeit herauf, in der Dürer und Holbein sich hineinstellen in diese Entwickelung, bedeutet eines der allerverwickeltsten Probleme der Kunstgeschichte; denn man hat es gerade beim Studium alles desjenigen, was in Dürer - namentlich in Dürer - gipfelt, zu tun mit einer ganzen Reihe übereinandergeschichteter, ineinandergeschichteter Kunstimpulse. Und ein weiteres schwieriges Problem ist die Beziehung dieser Kunstentwickelung zu derjenigen, deren Höhe wir im zweiten Vortrag be­trachtet haben, zu der italienischen Renaissance und ihren großen Meistern.

Wenn man verstehen will, worum es sich in der europäischen Kunstent­wickelung eigentlich handelt - wir können heute selbstverständlich nur einige Gesichtspunkte hervorheben -, so muß man vor allen Dingen das Vorhanden­sein einer besonders angelegten Phantasiewirkung ins Auge fassen, die aus­geht vom mittleren Europa, von jenem Europa, das man denken kann, sagen wir, von Sachsen, Thüringen bis zum Meer, bis zum Atlantischen Ozean, also besondere Phantasieimpulse, die von da ausgehen und die als Phantasie-impulse in ziemlich alte Zeiten zurückgehen, jedenfalls schon wirksam waren in einer gewissen Weise, als im Süden das Christentum sich ausbreitete. Diese Phantasieimpulse stehen durchaus im Gegensatz zu jenen Phantasieimpulsen, welche spezifisch südlicher Natur sind. Und es ist nicht leicht, die Differenz der beiden Phantasieimpulse zu charakterisieren. Man kann etwa sagen: der südliche Phantasieimpuls wurzelt in einer gewissen Auffassung der ruhigen

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Form, in der Art, wie diese ruhige Form und auch die sich offenbarende Farbe herausentspringen aus, man möchte sagen: den Offenbarungen, die in gewissem Sinne doch hinter dem unmittelbar Wahrnehmbaren, hinter dem Physischen liegen. Daher strebt diese südliche Phantasie nach Heraushebung des künstlerisch Wiederzugebenden aus dem Individuellen, nach Emporhe­bung des Individuellen zum Typischen, zum Allgemeinen, zu demjenigen, in dessen Bereich das speziell Irdische, das speziell Menschliche verschwindet. Ein Bestreben liegt vor, zu zeigen, wie das hinter den Dingen Liegende in die Form, in die Farben der Dinge hereinwirkt. Und verbunden ist mit diesem Phantasieimpuls ein Wurzeln in der Ruhe des Kompositionellen, in dem Ne­beneinanderstellen, in dem Zueinander-in-Verhältnisse-Bringen, welche kom­positionelle Kraft ja dann ihren Höhepunkt erreicht gerade bei Raffael.

Ganz andersgeartet ist der mitteleuropäische Phantasieimpuls. Der geht zunächst überhaupt nicht, wenn wir auf die ältesten Zeiten zurückblicken, un­mittelbar aus auf die Auffassung der Form oder auf die Auffassung des Ruhig­Kompositionellen, sondern er geht hauptsächlich aus auf die Begebenheit, auf die Außerung desjenigen, was aus seelischen Impulsen kommt, er geht dar­auf aus, wie sich des Menschen Wollen ausdrückt in der Geste, in der Bewe­gung, wie sich des Menschen Wollen ausdrückt - mehr als durch die der Men­schenwesenheit selbst angemessene Form - durch das Zeichen, in dem die Seele lebt. Und indem die Seele sich als in ihrem Zeichen ausdrücken will, liegt darin der Phantasieimpuls des Nordens. Wer eine Empfindung für solche Dinge hat, merkt in diesem Phantasieimpuls überall durch, ich möchte sagen: die Wirk­samkeit der alten Runen, wo zusammengeworfen werden Baumstäbchen oder dergleichen, um in ihrem Zusammenfallen etwas auszudrücken. Das Zeichen und das Vorhandensein des Lebens im Zeichen, das ist es, was dieser Art von Phantasie zugrunde liegt. Daher kann sich diese Art von Phantasie mehr ver­binden mit dem, was individueller Ausdruck des Seelischen ist, was aus dem unmittelbaren Willensimpuls des Seelischen heraustritt. Würde mehr von demjenigen erhalten sein, was dann, nicht gerade an Werken der bildenden Kunst, aber an Anschauungen über Menschenleben und Weltverhältnisse aus­gerottet worden ist durch das sich ausbreitende Christentum, mit Stumpf und

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Stiel ausgerottet worden ist, würde namentlich auch mehr von dem vorhanden sein, was das alte Heidentum hatte, allerdings nicht an vollendeten Werken der Bildekunst, aber an - ich will nicht sagen symbolischen, aber - zeichen-mäßigen Darstellungen dessen, was man über Welt und Leben dachte, dann würde man auch in der äußeren Welt ein starkes Gefühl davon bekommen, wie im Norden die mehr von innen heraus, vom Willensimpuls - nicht vom Anschauungsimpuls - aus wirkende Phantasie das Wesentliche ist. Diese aus dem Willensimpuls heraus wirkende Phantasie, die müssen wir doch gewisser­maßen als den Grundton alles dessen betrachten, was vom Norden an Kultur sich ausbreitete nach dem Süden hin. Und mehr als man glaubt, hat sich in die­ser Weise ausgebreitet. Wird einmal entwirrt werden, was eigentlich alles ge­rade in der Renaissance-Kunst an Impulsen steckt, die vom Norden her kom­men, so wird man erst sehen, wie man an den heute vorliegenden fertigen Kunstwerken weder des Nordens hoch des Südens oder Spaniens sehen kann, welches eigentlich die Impulse sind; denn die sind zusammengeflossen. Und wenn man zum Beispiel studiert, was lebt in Lionardos «Abendmahl» in Mai­land, wenn man studiert, wie da gegenüber früheren, mehr aus dem südlichen Geist heraus geborenen «Abendmahlen», dramatisches Leben, dramatische Bewegung hineinkommt in den Zusammenhang der Gestalten, und wie Indivi­duell-Seelisches aus den Antlitzen spricht, dann muß man sich klar sein, daß darin der auf geheimnisvolle Weise nach Süden sich ausbreitende nordische Im­puls wirkt. Es ist, in entsprechender Abschwächung selbstverständlich, schon durchaus das eingegossen in die rein südliche Phantasie, was dann wieder zu beobachten ist auf einem ganz anderen Gebiete bei Shakespeare, dessen Ge­stalten durchaus aus nordischem Geiste heraus geboren sind, weil sie auf den Menschen selbst gestellte Wesenheit zum Ausdrucke bringen, so daß nicht mehr in ihnen das enthalten ist, was sich wie aus dem Übersinnlichen heraus nur durch die menschliche Gestalt und das menschliche Tun wie durch ein Mittel zum Dasein bringt.

Ja selbst wenn wir in der Sixtinischen Kapelle Michelangelos wunderbare Verkürzungen beobachten, so müssen wir uns - so paradox das heute erschei­nen mag - klar sein, daß dieses Bewegungselement durchaus auch bei Michelangelo

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einem Stoß entspricht, welcher vom nordischen Impulse her kommt; nur sind diese nordischen Impulse dann eben wiederum überwuchert wor­den von den südlichen. Und ein besonderes Beispiel, wie vom Südlichen das Nordische überwuchert worden ist, sehen wir ja darin, wie Raffaels doch ganz mehr oder weniger südlich gebliebene Phantasie, die in der Einsamkeit der umbrischen Berge sich entwickelt hat, alles das, was er beobachten kann an Lionardo, an Michelangelo, in die das Nordische hineingewirkt hat, rundet und wiederum in das Kompositionelle hinein, man möchte sagen, romanisiert.

Das sind einige abstrakte Andeutungen über tiefgehende Probleme, ohne deren Bewältigung die Kunst des Mittelalters überhaupt nicht verstanden wer­den kann. Daher kommt es auch, daß mehr als anderswo in der allerältesten erhaltenen Kunst des Mittelalters das, was durch das «Zeichen» ausdrückt das Wort, sich auf naturgemäße Weise mit der bildenden Kunst verbindet. Man hat ein unmittelbares Gefühl von dem ganz Natürlichen des künstleri­schen Ausgestaltens des Buchstabens zum malerischen Kleinkunstwerke in den Bibelwerken, welche in Europa geschaffen werden. Wenn in den älteren Zeiten der christlichen Kultur die Mönche, die alle Impulse Mitteleuropas doch aufgenommen haben, ihre Meßbücher, ihre sonstigen Bücher so gestal­ten, daß sie den Buchstaben gleichsam aufblühen lassen zum Miniaturbildchen, so ist das nicht bloß etwas Äußerliches, sondern es ist entsprungen dem Ge­fühl, der Empfindung des inneren Zusammenhanges zwischen Zeichen und bildhafter Darstellung. Das Zeichen hat sich gleichsam hineingeschoben in die bildhafte Darstellung. Und da das Zeichen wiederum der Ausdruck des menschlichen Wollens, des menschlichen Seelischen ist, so ist ein naturgemä­ßer Übergang von dem, was in dem Wortzusammenhange sich ausdrückt zu dem, was in das Miniaturbildchen hineinfließt, ja selbst zwischen dem, was im Wortzusammenhang ausgedrückt ist, und dem, was in den alten elfenbeiner­nen Skulpturen, welche die Bücherdeckel zieren, enthalten ist. Darin ist wirk­lich eine Blüte von Nicht-mehr-Vorhandenem für die mitteleuropäische Kunst zum Ausdruck gekommen. Und überall zeigt das, was in den Miniaturen zum Ausdrucke kommt, das Schaffen aus dem Inneren, Seelischen heraus, ich

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möchte sagen: gepaart mit einer gewissen Naivität in dem Wiedergeben des­jenigen, was im Süden so groß ist, dessen, was in der Form lebt, in der Form, die der Menschenwesenheit eigen ist, ohne daß die vom Inneren, vom Seelischen heraus bewirkte Bewegung und Beweglichkeit, ohne daß der Aus­druck des Individuell-Seelischen sich in das Formwesen hinein ergießt. Man kann alte Evangelienbücher nehmen und an dem, was die Miniaturbildchen darstellen, sehen, wie man - gewiß sich anlehnend an biblisch überlieferte Fi­guren - überall ausdrücken will, was man selbst seelisch erfahren hat. Böses Gewissen und ähnliche seelische Innen-Erfahrungen, die kommen in einer großartigen Weise in der älteren mitteleuropäischen Miniaturmalerei zum Aus­druck. Sie sind ja gepaart mit einer großen Naivität in bezug auf die eigentli­che Formgebung, in bezug auf die Formgebung, zu der der Mensch selber durch seine Individualität nichts hinzutut, sondern in der sich offenbart, man möchte sagen, das hinter den Dingen stehende Göttlich-Geistige. Aber die Sache ist so, daß dieser Impuls, den ich charakterisiert habe, gleichsam immer ausstrahlt von Mitteleuropa und sich in seiner Ausstrahlung verliert in dem­jenigen, was sich vom Süden ausbreitete. Er verliert sich in das sich ausbrei­tende Christentum hinein; er verliert sich in den sich ausbreitenden Romanis­mus hinein und so weiter. Gleichzeitig aber auch wird dasjenige, was da von Mitteleuropa sich ausbreitet, wiederum vom Süden her befruchtet, so daß sich das, was an Bewältigung der Form und der aus dem Geistig-Naturgemäßen heraus sich offenbarenden Farbe vom Süden her gewonnen wird, einlebt in das, was nun Blüte der nordischen Impulse ist. Es wächst ineinander, es verschich­tet sich, verwebt sich.

So sehen wir, daß die Entwickelung nicht eigentlich kontinuierlich vor sich geht, sondern mehr oder weniger stoßweise. Und man hat immer das Ge­fühl: was wäre denn geworden, wenn nicht stoßweise Entwickelung eingetre­ten wäre, sondern kontinuierliche? - Man kann zum Beispiel das Gefühl haben, was geworden wäre, wenn im Norden in gerader Linie - selbstverständlich sind das Hypothesen, die nichts besagen, aber solch ein Gefühl kann man bekom­men -, was geworden wäre, wenn sich in gerader Linie das zur Großkunst hätte entwickeln können, was in den Miniaturbildchen, in den Elfenbeinskulpturen,

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welche Bücherdeckel zieren, zuerst enthalten war während der karolingischen Zeit, während der ottonischen Zeit? - Aber da hinein ergießt sich nun alles dasjenige, was auf der Woge des Christentums mitgetragen wird als das ro­manische Element. Und dieses romanische Element bringt in Architektur, in Skulptur durchaus jenen Formimpuls, von dem ich gesprochen habe, den südlichen Formimpuls. Und da geschieht die Ehe zwischen dem nordischen Bewegungsimpuls, Ausdrucksimpuls, und dem südlichen Formimpuls, Far­benimpuls, aber so als Farbenimpuls, wie ich ihn bezeichnet habe, so daß die Farbe Offenbarung dessen ist, was naturgemäß geistiger Ausdruck, nicht individueller Ausdruck, ist.

Nun verknüpft sich aber damit noch etwas anderes. Wir können sagen, daß mit dem Abfluten der ottonischen Zeit ein erster nordischer Impuls auf­hört, in den der romanische Impuls hineinwächst, sich ausdehnt in alle die Ge­genden hinein, welche durchflossen werden von den Nebenflüssen der Rhone, des Rheins. Dahinein besonders, aber auch noch weiter darüber hinaus, dehnt sich ein romanischer Impuls, erfolgt ein vollständiges Zusammenwachsen der beiden Impulse - sagen wir zunächst: wachsen -, was seinen Höhepunkt er­reicht bis gegen das 12., 13. Jahrhundert hin, wo von Westen herübertaucht ein anderer Impuls, der nun hineinkommt, der sich dort schon vorbereitet hat. Man kann sagen: der Impuls der Anschauung, der der eigentlich südliche Im­puls ist, verbindet sich in der mitteleuropäisch-romanischen Kunst mit dem Bewegungsimpuls, wie ich ihn charakterisiert habe, mit jenem Bewegungsim­puls, der im Grunde genommen aus dem Willenselement heraus kommt.

Im Westen bereitet sich während der Zeit etwas anderes vor, das dann hereinwächst und vollständig zur Durchdringung wird vom 12., 13. Jahrhun­dert ab mit dem, was ich eben charakterisiert habe als in den Tälern der Fluß-gebiete der Rhone, des Rheins sich ausdehnend. Das, was da im Westen sich vorbereitet, ist etwas, was wiederum selber zusammenfließt aus zwei Impul­sen. Und der Zusammenfluß dieser zwei Impulse stellt sich dar in den erhabe­nen gotischen Formen. Da fließen nun wirklich wiederum zwei Impulse zu­sammen: ein Impuls, der eigentlich wie vom Norden hergetragen wird, ein Im­puls, welcher in sich schließt, ich möchte sagen: Lebenspraxis, Verstand, Verständigkeit,

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Realismus des Lebens; das kommt auf den Wogen in Europa an, welche kulturell nach Europa tragen die Normannen. Damit verbindet sich dasjenige, was von Spanien, namentlich aber von Südfrankreich aus wirkt. Ist es vom Norden her kommend das Verständige, das Praktische, das Realisti­sche - aber ein Realistisches, das man nicht verwechseln darf mit dem Reali­stischen der späteren Zeit, ein Realistisches, das durchaus noch auf Weltver­stand ausgeht und das Irdische im Zusammenhang denken will mit dem Himm­lischen -, so kommt vom Süden her, konzentrierter, möchte ich sagen, in Südfrankreich, alles dasjenige, was man nennen kann das mystische Element, das von dem Irdischen himmelanstrebende mystische Element. Und diese zwei Elemente, die wachsen zusammen. Und das ist gerade das Eigentümliche des Gotischen, daß diese beiden Elemente zusammenwachsen: ein mystisches Element und ein verstandesmäßiges Element. Niemand wird die Gotik ver­stehen, der nicht in ihr zu sehen vermag auf der einen Seite das mystische Element, das in Südfrankreich wie konzentriert ist, im 9., 10., 11. Jahrhun­dert besonders zur Ausbildung kommt und in die Gotik hineinträgt das von unten nach oben geheimnisvoll Strebende. - Dabei ist aber mit dem Gotischen verbunden ein anderes Element: das Einströmen des Handwerksmäßig-Ver-ständigen, des Nüchternen. Wie die gotischen Formen aufstreben, das hat etwas Mystisches; wie sie gefügt werden, wie sie gebunden und verbunden werden, das, möchte ich sagen, verbindet äußerstes Handwerksmäßiges mit dem Mystischen. In der Gotik verbindet sich in merkwürdiger Weise die eine mit der anderen Seite. Und dies, was da in die Gotik einströmt, das strömt dann im 12., im 13. Jahrhundert namentlich vom Westen herüber und durch­dringt wiederum auch das mitteleuropäische künstlerische Schaffen. Dabei muß man sich immer klar sein, daß zwar durch den Lauf der Kultur die Tendenz vorhanden ist, diese Dinge miteinander zu verweben, diese Dinge ineinander zu schichten - alles will sich ja immer ausbreiten - so daß sich in die romani­sche Formgebung Werke hineinschieben, welche aus dem Gotischen stammen. Aber das ist nur die eine Tendenz.

Es bleibt immer vorhanden in Mitteleuropa ein revoltierendes Element, ein revoltierender Impuls, der besonders in der Kunst stark zu bemerken ist,

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und der immer darauf ausgeht, das Willenselement, das Bewegungselement, das Ausdruckselement mächtig zu gestalten, so daß das, was hereinkommt sowohl vom Süden wie vom Westen, mehr oder weniger doch immer wieder­um zurückgedrängt wird. Man empfindet das Romanische und später sogar das Gotische als fremdes Element in Mitteleuropa.

Was empfindet man da als fremdes Element? - Das, was das Individuelle nach irgendeiner Weise vernichten will. Das Romanische empfindet man als den Feind des Individuellen; aber selbst das Gotische empfindet man später als dasjenige, unter dem das Individuelle seufzt und keucht. Es ist die Stim­mung im Künstlerischen ganz besonders vorhanden, die ja noch in einem an­deren Gebiete - in der Reformation - zum Ausdruck gekommen ist, die schon zum Ausdruck gekommen ist in solchen Geistern wie Tauler oder Valentin Weigel. Das alles ergibt - wenn wir sehen, wie sich Gotik, wie sich Romanis­mus hineingeschoben haben in das mitteleuropäische Wesen, es vollständig überwuchert haben -, daß nun wirklich in den Jahrhunderten vor Dürer das mitteleuropäische Wesen in einer gewissen Weise als solches in seinen eigenen Impulsen verfällt, nicht aufkommen kann, wie es nicht herauskann, wie es von dem anderen vollständig überwuchert wird. Aber es lebt fort. Es lebt fort in den Gedanken, in den Empfindungen, in den Gefühlen. Es ist immer da, es sind vielleicht keine Künstler da, die es besonders zum Ausdrucke bringen; aber es ist immer da. Es ist dasselbe Element da, welches aus der späteren Na­turanschauung spricht, die in verständlicher Weise den Himmel mit der Erde verbinden will, das heißt: durch auch auf der Erde gefundene Gesetze alles andere begreifen will.

Es waltet aber in diesem noch etwas ganz anderes darinnen, und man kann sagen: es ist in schöner Weise zum Ausdrucke gekommen, was da wal­tet, in Worten, die Goethe gesprochen, niedergeschrieben hat. Denken Sie sich Faust in seinem Studierzimmer, das ja wohl gotisch zu denken ist. Aber stu­diert hat er alles dasjenige, was als Romanismus zu bezeichnen ist. Dem stellt er gegenüber die menschliche Individualität, die rein auf sich gestellte mensch­liche Individualität. Diese menschliche Individualität aber, wie stellt er sie gegenüber? Wenn man verstehen will, wie Faust gegenüberstellt die menschliche

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Individualität dem, in das er da hineingestellt ist, so muß man berücksich­tigen, daß, ich möchte sagen: heute fast unvermerkt in Mitteleuropa etwas fortwaltet, was Mitteleuropa in einer grandiosen Weise verbindet mit dem Osten, wirklich in einer grandiosen Weise mit dem Osten verbindet. Wenn man heute so liest oder hört, wie in der urpersischen Kultur Licht und Fin­sternis, Ormuzd - Ahriman eine Rolle gespielt haben, so nimmt man das viel zu abstrakt. Man denkt nicht daran, wie im Konkreten, im Realen die Men­schen früherer Zeiten darinnen gestanden haben. Reales Licht und reale Fin­sternis in ihrem Zusammenwirken waren wirklich für den Menschen früherer Zeiten Erlebnis, und dieses Erlebnis stand näher dem Moment, dem Impulse der Beweglichkeit, des Ausdruckes als dem südlichen Form- und komposi­tionellen Impuls des Nebeneinanderstellens. Wie im Weben der Welt mein­anderweben Licht und Finsternis, wie Licht und Finsternis ihre Wirkungen werfen auf dasjenige, was da wandelt als Mensch und Tier auf der Erde, das ergibt einen gerade in Licht und Finsternis empfundenen und dann von Licht und Finsternis aus sich zum Farbigen steigernd empfundenen Zusammenhang zwischen dem, was im Menschen seelischer Ausdruck ist und in die Bewegung fließt, und demjenigen, was, ich möchte sagen: näher liegt diesem menschli­chen Bewegungsimpuls vom Himmlisch-Geistigen als dasjenige, was die süd­liche Kunst zum Ausdruck bringen kann. Der Mensch schreitet dahin; der Mensch dreht sein Haupt. Mit jedem Dahinschreiten, mit jedem Drehen des Hauptes treten andere Licht- und Schattenimpulse ein. In der Anschauung des Zusammenhanges zwischen Bewegung und Licht liegt gleichsam etwas, was die irdische Natur an die elementarische kettet. Und in diesem Ineinander-spielen des Elementarischen mit dem unmittelbar Irdischen, da lebte die Phan­tasie des mitteleuropäischen Menschen in einer ganz besonders starken Weise immer darinnen, wenn er sich zur Phantasie hinaufentwickeln konnte.

Daher entsteht auch, was bis heute wenig beachtet worden ist, in einer ganz anderen Weise die Farbe in Mitteleuropa als die Farbe im Süden. Die Farbe im Süden ist aus dem Inneren des Naturwesens herausgetriebene Farbe, an die Oberfläche getriebene Farbe. Die Farbe, die in Mitteleuropa für die Phantasie entstand, ist doch von dem Hell-Dunkel geworfene Farbe, auf die

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Oberfläche geworfene Farbe, auf der Oberfläche spielende Farbe. Erst dann wird man vieles begreifen, was heute noch nicht gut verstanden wird, wenn man den Unterschied begreift, der in der Farbengebung besteht, wenn man anschaut, wie die Farbe hingeworfen wird auf das Objekt, und wie sie aus dem Objekt selbst, aus dem Inneren des Objektes an die Oberfläche kommt, die Farbe, die dann zur künstlerischen Farbe des Südens geworden ist. Die hingeworfene Farbe, die aus dem Hell-Dunkel gewordene Farbe, die aus dem wellenden, wogenden Hell-Dunkel erglitzernde Farbe, das ist die mitteleuro­päische Farbe. Da sich die Dinge überall ineinanderschieben und übereinan­derschichten, so sind diese Impulse eben weniger beobachtbar; aber sie sind durchaus vorhanden.

Sehen Sie, dies wiederum verbindet sich in Mitteleuropa mit, ich möchte sagen: dem magischen Elemente, wie sich in der persischen Kultur selber Hell­Dunkel, Licht-Finsternis mit dem persischen Magiertum verbunden hat. Die geheimnisvollen Äußerungen des seelisch-geistigen Wesens, wie sie gleichzei­tig im Menschen spielen, aber auch spielen in dem elementarischen Wirken und Wogen des Hell-Dunkels, wie sie den Menschen umspielen und wie sie zusammenwirken, indem sein Inneres in eine verborgene Verwandtschaft tritt mit demjenigen, was ihn als Hell-Dunkel und als aus dem Hell-Dunkel erglit­zerndes Farbenwesen umspielt, das ist es, was das Willenselement immerdar in sich birgt, und was anknüpft an das Magische dasjenige, was die Seele emp­findet. Dadurch aber kommt der Mensch auch mit den elementarischen We­sen, mit denjenigen Wesen, die sich zunächst im Elementarischen offenbaren, in einen Zusammenhang. Deshalb hat sich Faust der Magie ergeben, nachdem er sich von dem vom Süden her kommenden philosophischen, medizinischen, juristischen, theologischen Elemente losgesagt hat. Aber er muß sich auf sich selbst stellen; er darf sich nicht fürchten vor dem, in das man hineingestellt ist dadurch, daß man sich auf die Persönlichkeit stellt. Er darf sich nicht fürchten vor Hölle und Teufel; muß schreiten durch Hell und Dunkel. Aber er wirkt ja selbst und webt - denken Sie, wie schön! - im webenden Morgenlichte. Wie dieses Hell-Dunkel in die Faust-Monologie hineinspielt, das ist etwas geradezu Wunderbares. Das ist aber durchaus etwas, was mit dem mitteleuropäischen

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Impulse ganz innig zusammenhängt; das ist, ich möchte sagen, eben­so gemalt wie gedichtet aus dem mitteleuropäischen Wesen heraus.

Dadurch aber ergibt sich wiederum ein Zusammenhang des Menschen mit dem naturalistischen, elementarischen Wesen. Und dieser Zug, der schiebt sich hinein auch in die Auffassung dessen, was nun mit den christlichen Über-lieferungen vom Süden her kommt, das revoltiert hinein, was Mitteleuropa verwandt macht mit Asien, bis in die alte asiatische Kultur hinüber. Das sind Dinge, die da ineinanderspielen. Und in diese Entwickelung ist dann - man möchte sagen, wie eine ganz einzigartige Gestalt - Dürer hineingestellt; 1471 ist er geboren, 1528 stirbt er.

Ich konnte niemals Dürer anders verstehen, wenn ich ihn verfolgte, denn als eine allerdings individuelle Gestalt, hineingestellt in die ganze mitteleuro­päische Kultur, die aber auch durch unendlich zahlreiche unbewußte Kanäle, durch die das Seelenleben mit dem umliegenden Kulturleben verbunden ist, eben in Zusammenhang steht mit diesem umliegenden Kulturleben. Wenn Dürer schon ganz früh beginnt, in dem Porträt der «Jungfer Fürlegerin»:

272 Dürer Jungfer Fürlegerin, von 1497

in seiner Art wunderbar auszumodellieren Hell und Dunkel auf der Figur, so muß man darin durchaus eine Wirkung des eben geschilderten Impulses sehen. Und das geht durch Dürers ganzes Leben. So daß Dürer ganz besonders groß ist dort, wo er das zum Ausdruck bringen will, was er aus diesem Miterleben, aus diesem ganz besonders gearteten Miterleben der elementarischen Natur heraus zum Ausdruck bringt. Das trägt er hinein auch in das, was er als Bib­lisch-Überliefertes aufnimmt. Und heillos schwierig wird es ihm doch, sauer möchte man sagen, sich anzupassen dem südlichen Elemente. Während wir bei Lionardo empfinden, wie naturgemäß es ihm ist, das Studium des Anato­mischen, des Physiologischen aufzunehmen, um dadurch in die Anschauung hereinzubekommen, was früher einem mehr okkulten Erfühlen gegeben war, wie ich es Ihnen neulich ausgeführt habe, so sehen wir, wie dasselbe Studium des Anatomischen Dürer recht sauer wird. Er findet sich niemals ganz beson­ders stark in diese Art hinein, gewissermaßen die erstudierten Formen, in denen

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sich das Außermenschliche, Göttlich-Geistige durch den Menschen aus­drückt, so sich anzueignen, daß er nun seinerseits die Menschenformen aus dem, ich möchte sagen: was Gott erschaffen hat, herausschaffen würde. Das ist nicht seine Art. Seine Art ist vielmehr die Beweglichkeit, die Willensim­pulse in dem Daseienden zu verfolgen, und das, was unmittelbar die mensch­liche Natur in Zusammenhang bringt mit dem Beweglichen draußen, mit dem Hell-Dunkel und mit dem, was im Hell-Dunkel lebt. Das ist sein Reich. Da­her schafft er eben aus der Beweglichkeit heraus, worauf seine ursprüngliche Phantasie gerichtet ist. Dadurch aber ist es schon gegeben, daß in die Entwik­kelung dieser Impulse auch hineinkommt das alltägliche Menschenleben. Eine Kunst, welche vorzugsweise das im Menschen wirkende Göttliche, das Über-menschlich-Typische ausdrücken will, eine solche Kunst wird weniger Wert darauf legen, durch ihre eigenen Impulse das im Menschen auszudrücken, was er im alltäglichen Leben aus dem Berufe heraus, aus den unmittelbaren Le­benserfahrungen heraus sich einprägt in seine Gestalt. Das aber ist bei der mitteleuropäischen Kunst der Fall, und in dieser Beziehung geht noch ein be­sonderer Impuls aus von den Gegenden der heutigen Niederlande. Dorther kommt der besonders praktische Impuls, möchte ich sagen, das Durchdringen der Phantasie mit demjenigen, was die unmittelbare irdische Wirklichkeit dem Menschen aufdrückt, ihn zusammenwachsen läßt in seiner Geste, selbst in seiner Form, Miene, Physiognomme mit dem Irdischen.

Solche Impulse fließen in Mitteleuropa zusammen in der mannigfaltigsten Weise. Und nur, wenn man sie entwirrt - man muß natürlich dann viel mehr tun als das, was ich heute mit einigen abstrakten Strichen andeute -, kommt man zu einem Verständnis gerade des Charakteristischen der mitteleuropäi­schen Kunst. Wir werden einzelnes noch andeuten; es läßt sich ja nicht alles sagen, sondern immer nur andeuten.

Jetzt wollen wir unseren Ausgangspunkt nehmen zuerst von dem Zeit­alter, in dem, ich möchte sagen, der romanische Zug zusammengewachsen ist mit dem mittelalterlichen Impulse, indem wir uns die Gestalten, die am Naumburger Dom, an dem deutschen Naumburger Dom sich finden, ansehen, Skulpturwerke, welche ausdrücken Menschen der damaligen Zeit:

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349 Hermann und Reglindis

Sie sehen gerade an diesen Skulpturwerken in der schönsten Weise zu­sammenwachsen seelischen Ausdruck, der erstrebt wird mit einer hohen Voll­endung - denn das ist ja die Blütezeit -, mit dem, was man vom Süden her in der Formgebung bekommen hat. Das werden Sie insbesondere sehen an die­sen Skulpturwerken des Naumburger Domes, die aus dem 13. Jahrhundert sind und der Zeit angehören, in welcher spielt für Mitteleuropa ebenso dieses Zusammenwachsen mitteleuropäischer Empfindung mit dem, was aus dem romanischen Elemente heraus an Formgebung aufgenommen worden ist, wie auf der anderen Seite zur selben Zeit herauswächst dieses mitteleuropäische Empfinden in den Schöpfungen Walthers von der Vogelweide, Wolframs von Eschenbach. Wenn wir zusammenhalten, daß das ja die Zeit ist, die auch die genannten Persönlichkeiten des dichterischen Schaffens an die Oberfläche ge­trieben hat, dann haben wir eigentlich ein Bild der Strömung, der Kulturströ­mung, die da über Mitteleuropa geht.

350 Wilhelm 352 Gepa

351 Dietrich 353 Maria, letztere vom Lettner

Es ist gerade an solch einer Leistung (353) in wunderbarer Weise zu se­hen dieses ins Antlitz hineingegossene Seelische.

354 Johannes, auch vom Lettner des Naumburger Domes

Gerade der individuell seelische Ausdruck, ohne übergossen zu sein von irgendwie Typischem, vereinigt sich hier mit einer hohen technischen Voll­endung in bezug auf die Formgebung, die eben aus dem Südlichen kommt.

Und nun lassen wir auf uns wirken Dinge, die mehr herausgeboren sind aus dem gotischen Denken, aus dem gotischen Auffassen, Skulpturen des Straßburger Münsters:

355 Prophet am Hauptportal

Mehr als das andere sind diese Figuren angepaßt der ganzen Architektur.

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Man möchte sagen: der Ausdruck ist hier durchaus aus dem Inneren heraus gestaltet; die ganze Gestaltung der Figuren ist aber mit hervorgerufen durch die Architekturform, wie man das noch viel mehr beobachten kann, wenn man weiter nach dem Westen geht.

356 Die vier Kardinaltugenden

Es ist ein besonders charakteristischer Zug dieser Zeit, daß die Kirche als Überwinderin dargestellt wird, so daß überall diese überwundenen teuflischen und sonstigen Motive sich da finden.

357 Christus und die drei klugen Jungfrauen

358 Der Verführer und die drei törichten Jungfrauen

359 Die Kirche [Kopiel

Das ist also die Darstellung der «Kirche» am Straßburger Dom durch diese Frauengestalt, die Darstellung der christlichen Kirche.

Nun der Kirche gegenübergestellt die Synagoge, blind, mit wunderbarer

Geste:

360 Die Synagoge [Kopiel 361 Dasselbe, Teil: Brustbild

Ich bitte, sich einzuprägen nicht nur den Kopf und den eigentümlichen Ausdruck, sondern auch die ganze Geste. Wir wollen noch einmal die ganze ( und «Synagoge» sind.

Nun als weitere Beispiele vom Zusammenwirken des Südlichen mit dem Mitteleuropäischen wollen wir jetzt ein paar Proben aus der kölnischen Kunst Ihnen vorführen. Der nicht ganz bekannte «Kölner Meister» - man nennt ihn oftmals den Meister Wilhelm - vereinigt in hohem Grade feinste Zeichen- und Formgebung mit Innigkeit des Ausdrucks, wie in diesem noch zu sehen ist,

237 Kölner Meister Das Schweißtuch der Veronika

und wenn Sie die untere Figur ansehen mit ihren durchaus aus der Bewe­gung heraus geschaffenen Formen. Bekannt ist ja, daß aus derselben Quelle,

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von demselben Meister das berühmte Bild der Maria, die «Madonna mit der Bohnenblüte» stammt:

238 Kölner Meister Die Madonna mit der Wickenblüte

Ich bitte, von hier ab bei allen folgenden Bildern zu beachten, wie es da in Betracht kommt, daß diese Meister in einem hohen Grade eine Vorliebe ha­ben, nicht nur das Seelische auszugestalten, das wirklich Seelische im Antlitz und in der übrigen Geste, sondern namentlich auch in der ganzen Bildung der Hände. Diese Zeit arbeitet nämlich mehr als irgendeine andere Zeit an der seelischen Ausgestaltung der Hände. Ich erwähne das besonders aus dem Grunde, weil gerade dieser Zug eine besondere Höhe erreicht bei Dürer, der mit wahrer Freude alles dasjenige zum Ausdruck bringt, was seelisch in den Händen zum Ausdruck kommen kann. Wir sehen in diesem Kölnischen Mei­ster wirklich eine reinste Durchdringung des südlichen Form-Elementes mit dem mitteleuropäischen Elemente des Ausdrucks des Seelischen, des Gemüts-innigen, und sehen gleich darauf bei dem Meister, der aus Konstanz nach Köln kommt, Stephan Lochner, wie nun wiederum revoltiert das Ausdrucks-element gegen das Formelement, obwohl gerade dieser Meister außerordent­lich viel lernt von dem eben in den zwei Proben gezeigten:

239 Stephan Lochner Anbetung der Heiligen Drei Könige, im Dom zu Köln

Stephan Lochner ist derjenige, der, ich möchte sagen, mit einem gewissen revolutionären Widerstreben, indem er ganz wurzelt in der Kunst des Aus­druckes, sich anschmiegt an dasjenige, was er in Köln von dem Anderen und dessen Schülern lernen konnte.

240 Stephan Lochner Kreuzigung 241 Die Madonna mit dem Veilchen

Also das ist das, was sich an das Frühergezeigte eben anschließt: Lochner, der trotz allem Sich-Anschmiegen eben diesen neuen Ansatz hat, ein neues Schaffen aus dem Inneren heraus. Ich will nur bemerken, daß es 1420 ist, da kommt Stephan Lochner nach Köln. Derjenige, der ihm dort mehr oder we­niger Lehrer geworden ist, den wir vorhin gezeigt haben in der «Veronika»

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und in der «Madonna mit der Wickenblüte» (238>, der stirbt etwa um das Jahr 1410; 1420 kommt dann Lochner nach Köln.

242 Stephan Lochner Madonna im Rosenhag

Dieses wunderbare Lochner-Bild «Maria in den Rosen, in der Rosen­laube, im Rosenhag» -: Wenn Sie alles in Erwägung ziehen, was auf diesem Bilde ist: die ungeheure Beweglichkeit der Engelfiguren, der Versuch, Beweg­lichkeit auch in das ganze Bild sonst hineinzubringen! - Es ist natürlich so, daß wir hier nur das Hell-Dunkel geben können; dasjenige, was aber durchaus noch hinzukommt, das ist die Farbengebung. Wenn Sie sehen, welche Beweg­lichkeit in das Bild hineinkommt durch die Ausbreitung des Schleiers, aus dem dann Gottvater sichtbar wird, der herunterblickt auf die Madonna mit dem Kinde, wenn Sie sehen, wie jeder Engel seine Aufgabe erfüllt und dadurch ungeheure Bewegung hineinkommt, dann wird das Bild aus der Bewegung herausgeborene Komposition, während wir sagen können, daß der südliche Impuls eben das Kompositionelle der Ruhe gibt, daß erst Bewegung hinein-kommt, als eben der nördliche Impuls sich damit verbindet. Hier haben Sie ursprünglich in diesem Lochnerschen Bilde alles in innerer Beweglichkeit.

Nun wollen wir ein paar Proben von einem Meister zeigen, der Anregun­gen empfangen hat vom Westen herüber, von Flandern, und der sichtlich zeigt die westlichen Anregungen, nämlich Schongauer, der von 1450 bis 1491 gelebt hat, bei dem Sie also dieselbe Kunsttendenz - aber mit westlichem Einflusse von Flandern her - werden beobachten können:

249 Martin Schongauer Madonna im Rosenhag.

Bemerken Sie, wie ein viel realistischeres Element dadurch noch hinein-kommt.

250 Martin Schongauer Geburt Christi

253 Martin Schongauer Versuchung des Heiligen Antonmus

Ein im wesentlichen ja visionäres Bild, ein Kupferstich, in sehr realisti­scher Weise gefaßt, durchaus individuell.

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Es ist schon zu gleicher Zeit eine außerordentlich richtig wirkende Imagi­nation, die solch einem Künstler möglich macht, die menschlichen Leiden­schaften, die den Inhalt eben der Versuchung bilden, in dieser Weise ganz konkret zu verkörpern und neben die wirkliche menschliche Gestalt dasjenige hinzustellen, was ja real im astralischen Leib wirklich lebt, wenn Versuchung uns ankommt.

Jetzt folgt ein unbekannter «Oberrheinischer Meister»:

254 Oberrheinischer Meister Versuchung des Heiligen Antonius

Sie sehen hier wiederum eine Versuchung des Heiligen Antonius, jetzt nach Art des Grünewald, der gelebt hat vom Jahre 1470 etwa bis 1528 und in welchem Sie werden bewundern können mehr oder weniger den Gipfelpunkt desjenigen, was in den bisherigen Bestrebungen zusammengekommen ist: den wirklich individuellen Ausdruck mit Können, mit Kunst im höchsten Maße, dabei in vieler Beziehung von südlicher Phantasie mehr beeinflußt als Schon­gauer. Es ist sehr interessant, die beiden «Versuchungen» miteinander zu ver­gleichen. Beide stellen ja natürlich dasselbe dar, und es könnte durchaus so angesehen werden, daß man das vorhergehende Bild (244) auffaßt, ich will sagen: als das, was als Versuchung an einem Tag auftritt, und dieses Bild (245) als das, was als Versuchung am nächsten Tag auftritt. Aber die Motive kom­men dabei gar nicht in Betracht, nur das Künstlerische als solches, das wirk­lich bei diesem Grünewald nahestehenden Künstler noch eine höhere Voll­endung zeigt als bei dem vorigen.

255 Matthias Grünewald Kreuztragung

256 Matthias Grünewald Kreuzigung

das Mittelbild von dem berühmten Isenheimer Altar in Colmar. Achten Sie auf die ins kleinste Detail hineingehende Charakteristik aus dem Ausdruck heraus. Selbst noch das Tier nimmt teil an der ganzen Handlung. Studieren Sie das Hineinfließen der Seele in die Hände.

257 Matthias Grünewald Versuchung des Heiligen Antonius

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ein Flügel des Isenheimer Altars. Das ist eine andere «Versuchung des Heiligen Antonius».

258 Matthias Grünewald Antonius und Paulus in der Wüste der andere Flügel des Isenheimer Altars.

260 Matthias Grünewald Grablegung Christi

259 Matthias Grünewald Dasselbe, Teil: Personengruppe

in der Predella des Isenheimer Altars, also die untere Partie. Diese Bilder sind Kunstwerke von vollendetster Charakterdarstellung.

261 Matthias Grünewald Auferstehung Christi

gehört auch zu dem Isenheimer Altar.

Das wäre also der Meister Grünewald, der in gewisser Beziehung den Gipfelpunkt dessen darstellt, was wir herüberkommen sehen, nach und nach sich entwickelnd, vom 13. ins 15. Jahrhundert herauf bis zum 16. Jahr­hundert.

Und nun gehen wir zu dem ganz andersartigen Elemente, wo bei einem verhältnismäßig geringeren Können - denn in Grünewald liegt ein starkes, großes Können - versucht wird, gerade das, was ich vorhin genannt habe das Revolutionierende der Charakteristik, zum Ausdrucke zu bringen. Wir gehen jetzt zu einem Künstler, der, wie gesagt bei geringerem Können, in dem revo­lutionären Impulse Ausdruck, Seelisches herausbringt, Seelisches, wie die Seele es nach außen und aus dem Alltagsleben heraus zeigt - zu einem Künstler, bei dem dies tätig ist, Lukas Cranach der Ältere:

262 Lukas Cranach d. Ä. Der Jungbrunnen

265 Lukas Cranach d. Ä. Maria mit dem Kinde

Hierinnen haben Sie eben reinste Reformationsstimmung, wenn es auch noch eine Madonna ist, eben durchaus Reformationsstimmung, das heißt: das Menschliche überwiegt jede andere Rücksicht in hohem Grade. Sehen Sie sich sowohl Mutter als Kind daraufhin an.

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266 Lucas Cranach d. Ä. Ruhe auf der Flucht

264 Lucas Cranach d. Ä. Madonna

das ist eine andere Cranach'sche Madonna.

268 Lucas Cranach d. Ä. Kreuzigung

263 Lucas Cranach d. Ä. Judith mit dem Haupte des Holofernes

269 Lucas Cranach d. Ä. Albrecht von Brandenburg vor dem Gekreuzigten

Der Mensch also, der gemalt wird, weml gezeigt werden soll, wie er den Christus verehrt; ein Mensch, der mit beiden Füßen auf der Erde steht, der die­sen seelischen Willensimpuis der Verehrung des Christus zum Ausdruck bringt, aufgefaßt so, wie eben diese Seele sich in dem menschlichen Gemüt zum Ausdruck bringt. Es ist, glaub ich, auch bekannt, wer der Mann ist: Al­brecht von Brandenburg, Christus verehrend.

Nunmehr kommen wir zu dem eben im eminentesten Sinne mittelalterli­chen Künstler, zu Albrecht Dürer:

270 Albrecht Dürer Selbstbildnis Madrid

mehr aus der Jugendzeit.

Nun ein späteres Selbstbildnis:

271 Albrecht Dürer Selbstbildnis. München

Studieren Sie wiederum die Hand, und studieren Sie an diesem Bilde, wie die Haare geradezu angeordnet sind, um Hell-Dunkel-Wirkungen in beson­derer Weise hervorzubringen.

286 Albrecht Dürer Die Heilige Dreifaltigkeit

Nun haben Sie hier Dürers «Heilige Dreifaltigkeit» - Vater, Sohn und Geist - in seiner Auffassung, die eigentlich aus dem Geiste der ganzen Zeit herausgeboren ist, weit übergreifend über all das Denken der damaligen Zeit und doch beherrscht von der damaligen Zeit, in einer Art aufgefaßt, wie Dürer in der Zeit, in der er eben dies gerade vollendete, die Dinge zeichnerisch faßte;

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aber überall - wenn Sie versuchen, es zu studieren -, überall auf das Hell-Dunkel in besonderer Wemse, auch im Zeichnerischen drmnnen, hinarbeitend, und so die Komposition anordnend.

Jetzt wollen wir noch einmal aus einem bestimmten Grunde die soge­nannte «Disputa», die Sie ja kennen, vornehmen:

286a 197 Raffael Dme «Disputa» von 1511

Sie wissen, an der «Disputa» des Raffael ist das Charakteristische: unten das Kollegium der Theologen, welche beschäftigt sind, die theologischen Wahrheiten in sich aufzunehmen; hinein in diese Versammlung: die Offenba­rung der Dreifaltigkeit - Vater, Sohn und Geist. Wir sehen gewissermaßen drei Etagen: oben immer mehr und mehr die Wesenheiten, die geistigen, an­steigen, - diejenigen, die durch den Tod gegangen sind, - diejenigen, die nie­mals verkörpert sind; wir sehen das Kompositionelle in südlicher Art ange­ordnet unten. Wir prägen uns ein den Grundgedanken hineingestellt in das Kompositionelle der Ruhe, des Nebeneinanderpostierens. Selbst Bewegung ist hinein in die Ruhe geflossen. - Und jetzt wollen wir von diesem uns bekann­ten, schon besprochenen Bilde übergehen zu dem fast gleichzeitig von Dürer gemalten Bilde der heiligen Dreifaltigkeit von 1511, das Sie bitte vergleichen in der Komposition mit diesem Ihnen eben gezeigten. Die drei Etagen, und in hervorragender Weise dargestellt, was aus dem Kompositionellen der Bewe­gung heraus dieses Bild von dem vorherigen, gleichzeitig entstandenen südli­chen, unterscheidet. Dieses Bild ist in Wien. Ich habe hier eine kleine Repro­duktion in Farben; wer will, kann sich nachher die kleine farbige Reproduk­tion von dem Bild ansehen. Die Farbenreproduktion ist allerdings fürchter­lich; aber Sie bekommen einen Eindruck von den Farben, die darauf sind, -allerdings nicht, wie sie darauf sind.

286 Albrecht Dürer Die Heilige Dreifaltigkeit

Es ist durchaus zurückzuweisen, denn es ist einfach nicht richtig, daß bei der Schöpfung etwa dieser Komposition Dürer beeinflußt worden wäre von dem, was er im Süden aufgenommen hat. Im Gegenteil, man kann vielfach

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nachweisen, daß die südlichen Maler nicht nur von Dürers Kompositionen, sondern überhaupt von nordischem Kompositionellem beeinflußt worden sind, wie es sich ja dann in einem Falle historisch nachweisen läßt, daß Raffael zu seiner «Kreuztragung» - jedenfalls zu einem späteren Bilde - Dürersche Zeichnungen vorliegen gehabt hat:

314a 216 Raffael Die Kreuztragung, 1517

314 Albrecht Dürer Kreuztragung. Große Holzschnitt-Passion

315 Albrecht Dürer Kreuztragung. Kleine Holzschnitt-Passion

Natürlich wird das nicht von diesem Bilde behauptet. Aber es soll durch­aus der Gedanke abgelehnt werden, daß Dürer bei seinem Bilde beeinflußt worden sei; denn das Motiv lag ja in der ganzen Zeit. Deshalb sagte ich: das Motiv war in breitestem Umkreise vorhanden, und was Dürer geschaffen hat, ist durchaus aus dem mitteleuropäischen Impulse heraus.

284 Albrecht Dürer Der zwölfjährige Jesusknabe unter den Schriftgelehrten

Wir sehen hier Dürer als Meister im Schaffen von Charakterköpfen: Je­sus unter den Schriftgelehrten - aber selbstverständlich Charakterköpfe, wie er sie unmittelbar in seiner eigenen Umgebung um sich herum hatte.

287 Albrecht Dürer Die vier Apostel: Johannes und Petrus

288 Albrecht Dürer Die vier Apostel: Paulus und Markus

Die bekannten Münchner Bilder der vier Apostel! Das besonders Her­vorragende an diesen Bildern ist ja die scharfe Charakterisierung, nach Tem­perament und Charakter, der Verschiedenheit der vier Apostel.

Albrecht Dürer

289 Die vier Apostel, Teil: Johannes und Petrus

290 Die vier Apostel, Teil: Paulus und Markus

278 Beweinung Christi

279 Geburt Christi

das Mittelbild des Paumgartnerschen Altars.

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274 Albrecht Dürer Kopf eines Greises

280 Albrecht Dürer Anbetung der Heiligen Drei Könige

273 Albrecht Dürer Hieronymus Holzschuher

das berühmte Holzschuher-Bild.

281 Albrecht Dürer Herkules im Kampf gegen die stymphalischen Vögel

Dieses Bild wird besonders aus dem Grunde hier eingefügt, weil es die Dürersche Auffassung der Bewegung, wie sie unmittelbar aus dem mensch­lichen Wesen kommt, zeigen soll.

291 Albrecht Dürer Ritter, Tod und Teufel. Kupferstich

Das berühmte Bild «Der christliche Ritter», wie es oftmals genannt wird:

«Ritter, Tod und Teufel». Ich bitte Sie, gerade bei diesem Kupferstich zu be­achten, wie er durchaus aus der Zeit herausgewachsen ist. Denn stellen Sie neben dieses Bild hin dasjenige, was ich eben vorhin zitiert habe aus Goethes «Faust»:

Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen,

Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;

Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,

Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel -

dann haben Sie diesen ganzen Charakter, der sich nicht vor «Tod und Teufel» zu fürchten hat, sondern seinen Weg durch die Welt nimmt. So soll er ja auch dargestellt werden, der christliche Ritter, der gründlich revoltiert gegen Dok­toren, Magister, Schreiber und Pfaffen, die in sein Bereich hereingetragen sind, der sich durch die Welt zu bewegen hat, sich nicht fürchtend vor Tod und Teufel, die dastehen auf seinem Wege, und die er durchaus gewisserma­ßen seitab läßt und seinen Weg fortsetzt. «Der christliche Ritter» muß das Bild eigentlich genannt werden. Denn Tod und Teufel stehen nur auf dem Weg; aber er schreitet über sie oder an ihnen rückhaltlos vorbei. Dieselbe Zeit-stimmung, aus der heraus der Goethesche «Faust»-Monolog gedichtet ist,

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bewußt gedichtet ist, dieselbe Zeitstimmung komrnt zunächst in diesem Dürerschen Stich zum Ausdruck.

292 Albrecht Dürer Hieronymus im Gehäus. Kupferstich

Nun bitte ich Sie, dies richtig mittelalterliche Zimmer zu beachten, die rein aus dem Licht und der Finsternis heraus geborene Komposition, die her­ausgeboren werden soll bewußt aus Licht und Finsternis: das Licht, das her­einkommt - und nun in das Licht gestellt der Hund; am wenigsten Licht be-kommend, schlafend, mehr oder weniger in der Finsternis: der Löwe, als das gewissermaßen wollendere Tier, wie träumend und auf sein Antlitz viel Licht bekommend; dieser Gegensatz der beiden Tiere soll wirklich dadurch zum Ausdruck kommen, daß sie ins Licht in einer verschiedenen Weise hineinge­stellt werden. Und damit kontrastierend der Hieronymus selber, der auch Licht bekommt, aber zu gleicher Zeit das Licht aus sich selber wie zurück-strahlt. Mensch und Tier, Heiliger und Tier selbst kontrastiert durch das Hin­eingestelitsein ins Licht - auch noch der Totenkopf. Hund, Löwe, Heiliger und Totenkopf - die ganze Komposition eben angeordnet auf das Hell-Dun­kel hin. Eine Entwickelungsgeschichte, möchte ich sagen, großartigster Art da­durch, daß in dieser Weise die Figuren in das Licht hineingestellt sind. Und das gehört mit zum Großartigsten bei Dürer, daß er die kompositionelle Kraft, die in dem Zusammenwirken des Lichtes mit dem Objekte, mit dem Wesen ist, daß er diese kompositionelle Kraft herausschafft. Selbstverständ­lich gehört zu einer Komposition noch etwas anderes als die Hauptfiguren. Aber man muß an diesem Stich ganz besonders bewundern das Herausarbei­ten der kompositionellen Kraft, die im Hell-Dunkel liegt.

293 Albrecht Dürer Melancholie. Kupferstich

Bei diesem Kupferstich bitte ich Sie zu beachten - und natürlich müssen Sie diese Worte etwas «ultramontanlos» nehmen -, wie tatsächlich dieses Bild gewissermaßen in die Welt hineingestellt ist, um zu zeigen, worauf es Dürer ankommt beim Hell-Dunkel, bei der kompositionellen Kraft des Hell-Dun­kels. Er ordnet an, wie um zu zeigen, worauf es ihm ankommt, einen eckigen,

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einen polyedrischen Körper, und die Kugel, den runden Körper, um auf der Kugel zu zeigen, wie das Licht, das er in einer eigenen Weise einfallen läßt, mit dem Dunkel zusammen wirkt. Und man kann an der Kugel die Verteilung des Lichtes studieren. Man kann davon ausgehen, wie nun in der Anordnung des Faltenwurfes des Gewandes die Lichteffekte entsprechen dem Lichteffekte, wie er an der Kugel zum Ausdruck kommt. Die Falten läßt Dürer so fallen, daß in der Gesamtanordnung auch alles das zum Ausdruck kommt, was hier an der einfachen Kugel an Hell und Dunkel zum Ausdruck kommt. Man kann vergleichen, wie verschieden an dem polyedrischen Körper, je nach der Neigung der Fläche, die Fläche im Hellen, Halbdunkel, Dunkel, Finsternis, Licht liegt. Unter diesem polyedrischen Körper stellt er Ihnen hin das Wesen, das mehr flüchtige Form zeigt, dem er flüchtige Form gibt, das Windspiel, um nachzubilden das Auffallen des Lichtes in derselben Weise auf den Flächen, wie er es Ihnen oben am polyedrischen Körper darstellt. So daß man überall hat: Was sagt das Licht zum Objekt, was sagt das Licht zum Wesen hier? -Was das Licht sagt, man hat es überall, indem man jede einzelne Schattierung vergleichen kann mit dem Entsprechenden des polyedrischen Körpers und des runden Körpers. Damit hat Dürer zu gleicher Zeit mit diesem Bilde etwas geschaffen - es gibt nichts Pädagogischeres, wenn man jemanden schattieren lehren will, als dieses Bild zu verwenden. Eigenlicht läßt Dürer noch oben -da rechts von der Fledermaus, die das Wort «Melancholie» trägt - auftreten, etwas gewissermaßen aus sich selbst Leuchtendes, im Gegensatz zu dem re­flektierten Licht, das auf allen übrigen Flächen zum Ausdruck kommt.

Zwischenfrage: Hat dieses Bild noch eine andere, tiefere Bedeutung? -Eine tiefere Bedeutung? - Warum soll dieses nicht tief genug sein? - Wenn man versuchen will, gerade das Magisch-Geheimnisvolle des Lichtes im Raume zu studieren, so ist dieses eine tiefere Bedeutung, als wenn man nun anfängt, es in einer symbolisch-mystischen Weise auszudeuten. Dies führt ab vom Künstlerischen, und es ist besser, das, was an tieferer Bedeutung noch darin gesucht werden kann: daß zum Beispiel oben eine Planetentafel ist und so weiter und daß allerlei Dinge da sind, das mehr aus dem Zeitkolorit heraus sich vorzustellen. Es lag eben der damaligen Zeit nahe, solche Dinge zusammenzustellen.

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Und besser ist es, im Künstlerischen stehen zu bleiben, als zu symboli­sieren. Sogar glaube ich, daß ein großer Humor in diesem Bilde liegt, nämlich, daß mit einer allerdings etwas laienhaften Weise die Titelgebung des Bildes in mehr humoristischer Form ausdrücken soll: «Schwarzfärbung» - so daß es Dürer wirklich auf die Schwarzfärbung ankam bei dem Wort «Melancholie». In einer versteckten Weise könnte das Wort - wie gesagt: laienhaft, dilettan­tenhaft - «Schwarzfärbung» bezeichnen, und nicht, daß er etwa irgend etwas Tiefsinnig-Symbolisches ausdrücken wollte. Sondern es kam ihm wirklich auf die künstlerische Gestaltung, auf die Plastizität der Lichtbildung an. Und ich bitte Sie, dieses nicht als untief aufzufassen, dieses Herausgestalten des Lich­tes, und allerlei symbolische Ausdeutungen zu liefern. Sondern die Welt ist dadurch tief, daß sie solche Lichtwirkungen hat; die sind in der Regel tiefer, als daß in diesem Bilde, das nun gerade «Melancholie» betitelt ist, allerlei My­stisches gesucht wird.

322 Hans Holbein d. J. Selbstbildnis

Nun gehen wir also über zu Holbein, der im wesentlichen andersgeartet ist als Dürer. In Augsburg geboren, lebt er dann in Basel weiter und verliert sich dann, verschwindet, möchte ich sagen, in England. Er ist Realist in be­sonderem Sinne, in dem Sinne, daß er nun wirklich in das Porträttum auch, wo er Kompositionelles schafft, starken Realismus hereinträgt, Realismus, der aber durchaus bestrebt ist, das, was ich vorhin nannte: Alltägliches, im Seeli­schen zum Ausdruck zu bringen. Ich bitte Sie also zu beachten, wie das Milieu, der Beruf und alles, in dem der Mensch drinnen steht, dem Seelischen seinen Charakter aufdrückt, und Holbein in einer, man kann schon sagen: fast zum Äußerlichsten gehenden Weise im Äußerlichen das zum Ausdruck bringt, was er aus der Seele herausholen will, die Art, wie er den ganzen Menschen aus seiner Zeit heraus schafft.

323 Hans Holbein d. J. Erasmus von Rotterdam

324 Hans Holbein d. J. Charles de Morette

325 Hans Holbein d. J. Die Familie des Künstlers

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326 Hans Holbein d. J. Die Madonna des Bürgermeisters Meyer

Hier haben Sie also wiederum das Motiv, daß ein Mensch der damaligen Zeit - der Basler Bürgermeister Meyer ist es ja mit seiner Familie - sich zeigt, wie er die Madonna anbetet. Von diesem Bilde, das in Darmstadt ist, ist eine sehr gute Kopie in Dresden; sie ist wirklich gut, diese Kopie; denn sie konnte lange Zeit für eine zweite Bearbeitung des Bildes von Holbein gelten. - Da se­hen wir also schon hereinspielen den Realismus, der ja ganz besonders bei Holbein ausgebildet ist, während bei Dürer die Elemente vorliegen, die ich eben versuchte vorhin zu charakterisieren, also universelle Elemente.

Nun drei Proben aus Holbeins Totentanz. Holbein ist ja gerade als Maler der Totentanz-Motive bedeutend:

Hans Holbein d. J.

Totentanz, Holzschnitte:

319 DerKünig

320 Der Münch

321 Der Rycheman

Und nun zum Schluß möchte ich noch etwas zeigen, was nicht direkt im Zusammenhang mit dem anderen steht, das aber in das ganze Kunstensemble, das wir vorgeführt haben, hineingehört, die in Nürnberg befindliche Ma­donna-Skulptur:

363 Maria. Holzfigur

die alles das, was in Geste, in Gemütsinnigkeit aus der mitteleuropäischen Kunst heraus geleistet werden konnte, in Vollendung zeigt. Diese Skulptur ist von einem Künstler geschaffen, den man nicht kennt. Stellen Sie sich aber diese «Maria» zu einer Kreuzigungsgruppe gehörig vor, als Gegenbild etwa den Johannes, ein großes Kreuz, den Christus in der Mitte - also zu einer Kreuzigungsgruppe gehörig diese in Nürnberg befindliche Madonna -, dann haben Sie eine besondere Blüte der deutschen Kunst vor sich, etwa vom An­fang des 16. Jahrhunderts. Und vieles, was an Innigkeit in den Madonnen,

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die wir durchgenommen haben, hervorgetreten ist, kann hier wiedergefunden werden, besonders auch in der einzigartigen Haltung.

Damit versuchten wir also Ihnen das vorzuführen, was im Zusammen­hang betrachtet, den ich anzudeuten versuchte, Dürers Künstlerindividualität hervortreten läßt. - Ich möchte sagen, dadurch lernt man gerade Dürer erst recht erkennen, daß man ihn im Zusammenhange betrachtet mit dem, was der Zeit nach um ihn herum ist, vor und mit ihm. Denn mehr als man glaubt, ist wirklich in Dürer in großartiger Weise dasjenige lebend, was auf einem ande­ren Gebiete dann zu der Auflehnung führte, die man als «faustische» Aufleh­nung kennt. Es lebte auch in Dürer künstlerisch ein Stück «Faust». Und es wird Ihnen immer ein Gefühl davon geben, etwas von der Zeit, in der Dürer lebte, aus der Dürer heraus geboren war, in sich aufzunehmen, wenn Sie sol­che Bilder wie den «Hieronymus», die «Melancholie», den Christlichen Ritter, «Ritter, Tod und Teufel» und manches andere zusammenstellen mit demje­nigen, was aus den ersten Monologen des «Faust» herausströmt, wenn wir sie in das Zeitkolorit hineinsetzen, in das Goethe sie hineingesetzt haben will. Und ich möchte sagen: versuchen Sie gerade den «Hieronymus»

292 Albrecht Dürer Hieronymus im Gehäus. Kupferstich 1514 mit Faust-Bildern, die es auch gibt,

564 Rembrandt Faust. Radierung um 1652

zusammenzuhalten, dann werden Sie auch sogar das Verbindungsglied finden. Das Herausschaffen Dürers aus Hell und Dunkel meinte ich wirklich nicht in einem banalen Sinne. Natürlich kann jeder, der irgendein Stück Wirklichkeit nachmachen will, aus dem Hell-Dunkel heraus schaffen. Aber Sie haben gese­hen: es handelt sich darum, daß Dürer die Komposition hervorzurufen ver­sucht, indem er an die magischen Wirkungen des Hell-Dunkels anknüpft. Das bitte ich Sie als etwas zu betrachten, was Dürer als eines seiner charakteri­stischsten Merkmale durchsetzt, neben dem, daß er natürlich in sich auch hat die Sehnsucht, individuell zu charakterisieren, wie wir das zum Beispiel an seinen «Apostelköpfen» (289, 290) in einer so außerordentlichen Weise sehen können.

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Damit versuchten wir Ihnen also heute einige der hauptsächlichsten Monumente der mittelalterlichen Kunst vorzuführen und werden nächstens einiges andere daran knüpfen, was sich, ich möchte sagen, da oder dort hin­einschiebt, und was dann zusammen ein Ganzes ausmachen kann.

ZU VORTRAG V IV DEUTSCHE UND NIEDERLÄNDISCHE PLASTIK MICHELANGELO Dornach, 15. November 1916

#G292-1981-SE119 Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse

#TI

ZU VORTRAG V

IV

Das selbständig Großartige des nördlichen Kunstschaffens

neben der Renaissance-Kunst Italiens:

DEUTSCHE UND NIEDERLÄNDISCHE PLASTIK

MICHELANGELO

Dornach, 15. November 1916

#TX

Im Fortgange unserer Betrachtungen über Kunstwerke werden wir Ihnen heute Ergänzungen geben zu dem, was wir in der vorigen Woche hier vorgeführt haben, und aus diesem Grunde wird das, was ich vorgesehen habe, im wesentlichen auch Ergänzendes sein zu dem, was ich in dem Vortrag auszu-führen versuchte über den Zusammenhang und Gegensatz der mitteleuropäisch-nordischen Kunst und der südlichen Kunst. Sie werden sich ja erinnern, daß ich da gerade versucht habe zu zeigen, wie das spezifisch künstlerische Ele­ment durch den Charakter des Südens und des Nordens beeinflußt ist, wie aber auf der anderen Seite fortwährend Übereinanderschichtungen der süd­lichen Impulse und der mitteleuropäischen Impulse stattgefunden haben und es daher heute noch außerordentlich schwierig ist, die Dinge in ihrem richtigen Zusammenwirken zu erkennen. Geisteswissenschaftliche Forschungen werden in diese Dinge nach und nach auch immer mehr und mehr Licht bringen.

Heute möchte ich auf diesen Gegensatz von einigen anderen Gesichts-punkten aus aufmerksam machen. Sie erinnern sich, wie ich betont habe, daß aus gewissen Impulsen des mitteleuropäischen Geisteslebens heraus sich das­jenige herausbildet, was man die Kunst des Willens- und auch des Verstandes-Ausdruckes nennen kann, die Kunst des beweglichen seelischen Elementes. Die Seele in Bewegung, - das ist es, wohin der mitteleuropäische Impuls zielt, während der südliche Impuls, der aber sehr früh beeinflußt wird von dem mitteleuropäischen, mehr auf dasjenige geht, was in die Anschauung herein kommt, in die Anschauung herein wirkt aus dem geistig-göttlichen Elemente

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der Welt, und was sich in über das Menschliche ins Übermenschliche hinein­gehendem Ausdruck charakterisiert und auch in dem kompositionellen Ele­ment. Nun ist es, möchte ich sagen, eine Unart der heutigen Zeit, daß man die Kunst auf der einen Seite ja auch da, wo sie bildende Kunst ist, zu stark nach ihrem eigentlich novellistischen Inhalte beurteilt und zu wenig Verständ­nis hat für das Spezifische dessen, was in der Kunst eigentlich zum Ausdruck kommt.

Eine andere Unart aber ist diese, daß man die Kunst heute vielfach, ich möchte sagen: wie ein eigenlebiges Element absondert von dem gesamten Kulturleben. Das ist durchaus unsinnig. Sobald man nur Gefühl und Emp­findung und Verständnis hat für das spezifisch Künstlerische, für das, was in Form und Farbe, in Komposition und so weiter wirkt, und nicht immer den Drang hat, symbolisch oder in irgendeiner anderen Weise auszudeuten, sobald man nur diese Empfindung hat, daß zum Beispiel in einem solchen Bilde wie dem Dürerschen «Heiligen Hieronymus» (292) oder demjenigen, das die «Melancholie» heißt (293), sobald man Verständnis dafür hat, daß etwas un­endlich Tieferes in dem geheimnisvollen Weben und Wogen der Lichtmasse wirkt als in irgendeiner symbolischen Ausdeutung, dann kann man auch sehen, wie dieses Spezifisch-Künstlerische, das sich zum Ausdruck bringt, wiederum in dem allgemeinen Kulturleben doch lebt, wie der Künstler aus dem Allge­memempfinden seiner Zeit heraus gerade in das Formgebende, in das Farben-gebende, in das Ausdruckverleihende herein arbeitet, wie die Zeit durch die Seele des Künstlers arbeitet und wie die Gesamtkultur einer Zeit sich in den wirklich charakteristischen Kunstwerken zum Ausdruck bringt.

Nun haben wir wohl das letztemal schon gesehen, daß gewissermaßen das mitteleuropäische Element sich mehr oder weniger selbständig herauf-arbeitet, indem es sich aber vermählt mit dem, was durch die Kirche, durch das Christentum von der romanischen Seite her gebracht wird. Und so sehen wir, daß bis ins 12., 13. Jahrhundert hinein in einer einzigartigen Weise, könnte man sagen, sich ausbildet in Mitteleuropa ein künstlerisches Leben, welches vermählt Romanisches mit individueller Gestaltung des Bewegten der Menschenseele, des in der Menschenseele bewegt Lebenden. Man versteht,

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was da eigentlich vorgegangen ist bis in das 12. Jahrhundert, bis in das 13. Jahr­hundert hinein - man versteht das nicht richtig, wenn man nur in Erwägung zieht, was man hat kennenlernen können über die Ausbreitung des Christen­tums in der Folgezeit und bis in unsere Tage herein. Die Ausbreitung des Christentums ist ja eine ganz andere geworden; in jenen älteren Jahrhunderten war die Sache wirklich ganz anders. All das starr Dogmatische, das abstoßende Dogmatische ist ja im Grunde genommen so recht erst später gekommen, wenn selbstverständlich auch alle möglichen Ausschreitungen des Christentums auch in jenen Jahrhunderten bis zum 12. Jahrhundert vorhanden waren. Und wenn in Mitteleuropa das Systematisieren darin, das Formale des romanischen Elementes immer wie ein Fremdkörper verspürt worden ist, so ist doch vor­handen ein wunderbares Sich-Einleben der christlichen Impulse gerade in die mehr unterbewußten, gefühlsmäßigen Elemente des Seelenlebens in Mittel­europa. Und das insbesondere bringt sich in der nach Gestaltung ringenden Kunst zum Ausdruck: dieses Sich-Einleben des Christentums. Da darf man hinweisen auf etwas, was sich mit zwei Sätzen charakterisieren läßt, mit zwei Sätzen, die weittragend, ungeheuer weittragend sind. Man kann nämlich fragen:

zu was spricht denn eigentlich die Kunst bei dem Südlichen? Zu was sprach sie schon im Altertum, zu was sprach sie im Grunde genommen auch sonst im Süden, auch da, wo sie im Niedergange war und da, wo sie wieder zum Aufgange kommt von der Frührenaissance in die Spätrenaissance hinein, wozu spricht in südlichen Gegenden die Kunst? - Sie spricht zur Phantasie. Und in diesem Satze liegt eigentlich unendlich Weitgehendes. Sie spricht zur Phantasie, welche in dieser südlichen Menschenseele lebt mit einem gewissen Anfluge - Anfluge, sage ich - von sanguinischem Temperament in bezug auf diese Dinge. Und so sehen wir, daß sich die christlichen Vorstellungen und christlichen Ideen vor allen Dingen in diesen südlichen Gegenden in das Phantasieleben hineinschieben und von der Phantasie künstlerisch geboren werden. Natürlich darf man einen solchen Satz nicht pressen, sondern ich möchte sagen: man muß ihn selbst künstlerisch verstehen. Nur damit konnte es dahin kommen, daß in der Zeit der Renaissance die künstlerische Phantasie es zu einer schwindelnden Höhe in der Kunstentwickelung brachte und dabei

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das Moralische, wie wir ja dargestellt haben in dem Vortrage, der hier über die Renaissance gehalten worden ist, eben in eine solche Situation kam, wie sie sich zeigt in den Angriffen zuerst von Franz von Assisi und dann in den Angriffen, in den flammenden Angriffen von Savonarola. Die ganze Situation steht ja vor uns, wenn wir die vergeblichen flammenden Angriffe Savonarolas kontrastieren mit dem unendlich reichen Ausleben der christlichen Anschauung in den Bildwerken Donatellos, Michelangelos, Raffaels, Lionardos und vieler anderer.

Anders spricht im Norden die Kunst zu anderem Seelenelement: zu dem Seelenelement des Gemütes, zu dem Seelenelement der Empfindung. Wiederum, wir dürfen die Dinge nicht pressen; aber wir müssen wissen, daß in solchen Sätzen Leitlinien gegeben sind für das Verständnis ganzer Zeitalter, für die Äußerungen ganzer Zeitalter. Und so können wir sagen: wenn man glaubt, daß im Christentum ein besonderer seelischer, moralisch-religiöser Impuls lebt, so muß man sagen: der hat sich nicht in den Phantasieimpuls hineinge­zogen in die südliche Kultur, die in der Renaissance eine solch schwindelnde Höhe erreicht hat. Aber man kann sagen: die Jahrhunderte bis in das 12. Jahr­hundert hinein, selbst bis in den Anfang des 13. Jahrhunderts, sie zeigen uns fortschreitend das Sprechen des Christentums zu Gemüt und Empfindung auch im künstlerischen Ringen, im künstlerischen Schaffen das Einleben des Christentums, namentlich der tragischen Elemente des Christentums. Während die Renaissancekunst dahin strebt, sagen wir: das Antlitz des Christus selber so schön als möglich zu gestalten - das ist ja das eigentliche Element der Re­naissancekunst -, sehen wir, wie die Jahrhunderte, auf die ich hingedeutet habe, in Mitteleuropa dem Bestreben gewidmet sind, die Passionsgeschichte, die Leidensgeschichte mit all ihrem tragischen, dramatischen Elemente zu verstehen, wie das Bestreben dahin geht, sich anzueignen diese Passionsge­schichte in der eigenen Seele, im eigenen Herzen. Und während man sagen kann, daß selbst zur Zeit der Karolingischen Herrschaft in Mitteleuropa noch überall das mitteleuropäisch-heidnische Element im Gemütsieben durchbricht, sehen wir von der Karolingischen Zeit bis in die Zeit, deren Grenzen ich angegeben habe, aufleben wie aus der eigenen Seele Mitteleuropas heraus ein

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christlich gehaltenes Verständnis allen Menschenlebens. Das ist das Eigentüm­liche. Und merkwürdig ist es, daß nach dem 13. Jahrhundert, vom 13. Jahr­hundert ab ein gewisser Abstieg allerdings zu bemerken ist - ich habe ja das auch das letztemal charakterisiert -, daß aber selbst in dieser Zeit, in der ein anderes Element wiederum überwuchert, das Bestreben dahin geht, dasjenige, was man sich angeeignet hat, still, im stillen Seelenleben zu verarbeiten. Und eigentlich ist es doch eine kontinuierliche Arbeit vom 13. bis ins 15., 16. Jahr­hundert hinein, was da vorgeht, vorgeht bei den besten Seelen.

Dasjenige, was ich eben charakterisiert habe bis in das 13. Jahrhundert hinein als das Einleben des Christentums, wir können es ja auch sehen, könn­ten es vielmehr sehen, wenn erhalten wären die bis in das 13. Jahrhundert wirklich sich immer mehr und mehr vertiefenden Darstellungen dramatischer Art. Was wir jetzt ausgraben, was spätere Weihnachts-, Osterspiele, Drei­königsspiele sind, das ist ja nur ein schwacher Abglanz derjenigen Spiele, die älteren Datums sind und die mehr sogar auf eine universellere Aneignung der christlichen Weltanschauung gehen. Das schon im 12. Jahrhundert entstandene Spiel «Von dem Antichrist», das in Tegernsee gefunden worden ist, ein späte­res Spiel «Von den zehn Jungfrauen» - das sind nur schwache Nachklänge von Spielen, die überall aufgeführt worden sind und welche zeigten die heilige Geschichte und auch die legendarische Geschichte in einem dramatischen Zusammenhange. Und aus diesem Gesamterfassen der christlichen Weltan­schauung heben sich auch die bildnerischen Kunstwerke wie einzelne Sterne heraus, wie wir sie dann heute wiederum - ergänzend das Vorige - sehen werden.

Aber dann ist es, ich möchte sagen: ein stilles, langsames Arbeiten in der Vertiefung des Seelenlebens und seiner künstlerischen Ausgestaltung. Und wirklich seinen Ausdruck findet das ja - und es wird mir eine gewisse Befrie­digung sein, wenn wir Ihnen das später auch noch werden vorführen können -in der «Passionsgeschichte», wie sie Dürer erklärt hat, und namentlich in dem Christus-Antlitz, wie es durch Dürer und andere geworden ist. Dazu haben wir jetzt noch nicht Bilder; hoffentlich werden wir sie bekommen. Wenn man vorschreitend gerade die künstlerische Bewältigung des Christus-Antlitzes bis

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zu Dürer und anderen hin studiert, studiert auf allen Gebieten des künstleri­schen Schaffens, dann wird man finden, wie wirklich in dieser Zeit in Mittel­europa erreicht wird eine gewisse Reife im seelischen Ausdruck, - eine unge­heure Reife im seelischen Ausdruck. Es hängt mit intimen Verschiedenheiten des mitteleuropäisch-nordischen Lebens und des südlichen Lebens zusammen, daß das alles so gekommen ist. Wir müssen uns ja da - denn man versteht die Dinge sonst durchaus nicht - besinnen auf den großen Unterschied, der gege­ben ist zu dem südlichen Leben, das, ich möchte sagen: die letzte Phase aus­bildet des vierten nachatlantischen Zeitraums - wenn auch der fünfte nach-atlantische Zeitraum hereinscheint in der Renaissance -, das südliche Leben, das auslebt in den intimsten Empfindungen die letzte Phase des vierten nach-atlantischen Zeitraumes, während sich in Mitteleuropa, im Norden vorbereitete der fünfte nachatlantische Zeitraum so, daß aus dunklen Seelentiefen sich dasjenige heraufarbeitet, was später zum Ausdruck des Individuellen, des Beweglichen der Menschenseele, Beweglichen und Bewegten der Menschen-seele werden soll. Das ganze Leben der beiden Erdengebiete ist dabei durchaus in seiner Verschiedenheit ins Auge zu fassen. Man erinnere sich nur, wieviel zusammenhängt in der südlichen Kunst damit, daß man da noch eine lebendige atavistische Anschauung hatte von dem, was aus geistigen Regionen herein-spielt in das Sinnliche. Das hat sich ja dann erhalten in alledem, was man die byzantinischen Kunstformen nennt, erhalten in alledem, was durchdringt durch die suggestiven Gestaltungen, was so suggestiv wirkt in der Mosaik-kunst, bei Cimabue und alledem, was an den Namen Cimabue sich anschließt. Da wirkt mehr der Christus, die Christus-Gestalt. Für Mitteleuropa wird das J esusleben dasjenige, was dargestellt wird, weil aus dem unmittelbar Seelischen heraus die künstlerische Gestalt dargestellt wird. Ebenso übermenschlich, wie der byzantinische Christus-Typus ist, ebenso innermenschlich ist der Christus-Typus, den später Dürer herausarbeitet.

Der vierte nachatlantische Zeitraum mit dieser seiner Nachblüte hat durchaus daher doch auch etwas Hinaufsehendes nach dem Übermenschlich­Typischen, nach dem Übermenschlich-Gattungsseelenhaften, nach dem, was abstreift das Individuell-Menschliche. Und indem die südlichen Völker in

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einem viel höheren Grade - wenn man diese Dinge einmal genau verstehen wird, wird man das schon bewahrheitet finden - das Alte, Antike in ihrer Kunst aufleben ließen, das Übermenschlich-Gattungsseelenhafte, sehen wir das entschieden Sich-individuell-Heraufarbeiten, das aus jeder einzelnen Menschenseele Sich-Heraufarbeiten in der nordischen Kunst, in der nördli­chen Kunst.

Und so sehen wir, wie das südliche Leben, ich möchte sagen, die Mensch­heit noch immer als ein Ganzes hat. Man erinnere sich dabei, in welchem Sinne so ein Athener: Athener, ein Spartaner: Spartaner war, mit welchem Rechte Aristoteles den Menschen ein «Zoon politikon», ein politisches Tier nannte, und wie dann ausgebildet worden ist dieses Zoon politikon zu seiner höchsten Höhe im Römertum. Da lebt der Mensch, ich möchte sagen, auf der Straße mehr als in seinem Hause; er lebt auch mit seiner Seele mehr in dem, was ihn umgibt, als in dem Gehäuse seiner Seele selbst. Die Phantasie, die das Räumliche umschweift, will so angeregt sein.

Und aus diesem, ich möchte sagen: politischen Zusammenleben, da heraus entsteht auch das Künstlerische. Das, was ich jetzt eben gesagt habe, durch­dringt die südliche Kunst wie ein ihr durchaus gemeinsamer Zug. Man kann die Kirchen ausschmücken, man kann die Plätze ausschmücken, man sieht überall, daß damit gerechnet ist, daß das Volk gern zuläuft, gern in die Kirchen läuft, gern zuläuft auf die Plätze, weil es vermöge seines Temperamentes dahin gezogen wird und dasjenige sucht, was ihm da hingestellt wird. Es braucht, um sein Seelenleben ganz zu haben, dieses Leben in der Außenwelt, dieses Zusammenleben mit dem Gruppenseelenmäßigen, mit dem im eminentesten Sinne Politischen.

Das ist in Mitteleuropa anders. In Mitteleuropa lebt der Mensch in sich. In Mitteleuropa sucht der Mensch seine Erlebnisse in seinem Hause, auch in seinem Seelenhause, und er will, wenn er sich dem Gruppenhaften weihen soll, erst erobert sein; er will erst gerufen sein. In dem, was ich jetzt ausgesprochen habe, steckt viel von den Entstehungsimpulsen der gotischen Baukunst. Die gotische Baukunst führt Gebäude auf, die nicht dastehen, weil die Leute schon hineinlaufen, sondern die dastehen, weil sie die Leute erst rufen müssen,

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weil sie die Leute erst, ich möchte sagen: durch die geheimnisvollen suggestiven Zusammenhänge zusammenbringen müssen. Und das liegt selbst in den For­men der gotischen Baukunst ausgedrückt. Das Individuelle will erst zum Gruppenmäßigen zusammengerufen werden. Das liegt auch in der ganzen Verwendung von Licht und Finsternis, wie ich sie neulich charakterisiert habe. Man will in dem elementarischen Weben und Schweben des Lichtes und der Finsternis dasjenige sehen, in das man sich hineinstellt, wenn man loskommt von seinem Individuellen, aber in das man auch sein Individuelles hineintragen kann, weil dieses Elementarische mit dem Seelenhaften verwandt ist. In all diesen Dingen liegt das Unterscheidende der nordischen Kunst von der süd­lichen Kunst. Daher dieses Streben, und dieses glückliche Streben der nordi­schen Kunst nach dem Ausdrucke der Innerlichkeit. Man braucht sich ja nur zu erinnern an Bildnisse von van Eyck, an Madonnenbilder zum Beispiel. Diese Madonnenbilder mit ihrem ganz auf Verinnerlichung des menschlichen Seelenlebens herausgeholten Gesichtsausdruck, dieses Sprechen überhaupt aus seelischer Vertiefung in Geste und Antlitz, das würde Raffael niemals gemalt haben. Raffael hebt das, was er malt, über das Menschliche hinaus; van Eyck hebt hinein das Menschliche in das Vertieft-Menschliche, damit die menschliche Empfindung und das menschliche Gemüt ergriffen werden können. Es ist auch da ein Erobern der menschlichen Seele.

Mit dieser Eigentümlichkeit der menschlichen Seele Europas wußte die Geistlichkeit bis zum 12., 13. Jahrhundert hin wohl zu rechnen, und sie wußte zusammenzuwirken mit dem Volksgemüt. Und sicherlich ist vieles von dem, was da entstanden ist im künstlerischen Ringen, im Zusammenwirken der Geistlichkeit mit dem charakterisierten Weben und Leben des Volks gemütes zustande gekommen. Man muß schon verstehen, daß diese nördlichere Eigen­tümlichkeit des künstlerischen Schaffens eng zusammenhängt mit der prote­stierenden Volksseele des Nordens, die sich auflehnt gegen den Romanismus. Luther ging nach Rom und sah von all der schwindelnden Höhe nichts, son­dern nur die moralische Versumpfung Roms. Darinnen liegt sehr viel. Er hätte gewiß begegnen können - ist gewiß manchem der großen Maler Roms auf dem Petersplatze begegnet. Was gingen ihn diese Leute an, die aus einer ganz

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anderen Seelenverfassung heraus etwas schufen, dem er ganz verständnislos gegenüberstand! Aber schließlich ist die radikale Einseitigkeit Luthers eben nach einer anderen Richtung herausgekommen aus dem, was nun in Mittel­europa, ich möchte sagen: sein Ringen, sein höchstes Ringen fand in dem pla­stischen, in dem bildnerischen Ausdruck, und was doch auch eine künstlerische Höhe erreicht, die in einer gewissen Beziehung - man braucht ja keine Ver­gleiche anzustellen, die sind immer trivial - eben durchaus etwas Selbständiges, großartig Selbständiges darstellten neben der italienischen Renaissance-Kunst.

Und so wollen wir Ihnen denn heute eben zu dem, was wir Ihnen die vorige Woche vorführten, einige Ergänzungen hinzufügen. Zuerst wollen wir aus der Kunst ganz vom Anfang des 13. Jahrhunderts, ein holzgeschnitztes plastisches Werk aus dem Dom in Halberstadt zeigen:

364 Innenaufnahme des Chores mit der vollständigen Gruppe. Halberstadt, Dom

365 Kreuzigungsgruppe, Mittelteil. Halberstadt, Dom

Sehen Sie sich diese Kreuzigungsgruppe an. Ich will nur sagen, was hier besonders bedeutsam wird, das ist, daß nun gerade an dieser Plastik zu sehen ist, wie die Passionsgeschichte sich bis zu diesem Zeitraum voll eingelebt hat. Maria, Johannes, in der Mitte zu Maria herabblickend der Christus. Würde man das Antlitz sehen:

366 Christus-Kopf aus der Kreuzigungsgruppe, Halberstadt, Dom

so würde man es sehen mit dem Ausdruck unendlicher Vertiefung, seelisch vertieft, ungeheuer. In Maria würde man - wir werden nachher gerade dieses Marienantlitz im Detail zeigen können - unmittelbar erkennen, wenn man dafür Empfindung hat, direkt das Zusammenfließen der romanisch­geistigen Anschauung mit der mitteleuropäischen Gemütsinnigkeit. Gerade an diesem Antlitz ist das in wunderbarer Weise zu sehen. So daß man sagen kann:

gerade diese Gruppe zeigt, wie man aus dem spezifischen Schaffensimpulse Mitteleuropas heraus es dazu gebracht hat, das Christentum, das sich erobert hatte dieses Mitteleuropa, aus eigenem Seelenimpuls heraus zu gestalten. Nun wollen wir das Detail, die Maria, zeigen:

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367 Maria aus der Kreuzigungsgruppe. Halberstadt, Dorn

Es ist dieser ungemein charakteristische Gesichtsausdruck, der so ganz ineinander webt dasjenige, was man im südlichen Ausdruck hat, bei dem die Augen mehr, viel mehr in die Welt hinausschauen, als daß die Seele in das Auge sich hineinschiebt von innen. Hier haben Sie beides geradezu mitein­ander vereinigt, so daß hier über einer romanischen Rundung, möchte ich sagen, schwebt leise wunderbar das Seelische im Ausdrucke.

Natürlich, alle diese Dinge dürfen nicht gepreßt werden; aber ich bitte Sie, bei allem Folgenden darauf zu achten, wie ganz anders die Gewandung verwendet wird in der mitteleuropäischen Kunst als in der südlichen Kunst. Gewiß dürfen solche Dinge nicht gepreßt werden; aber wahr ist es doch, daß alle südliche Kunst die Gewandung uns zeigt als den Menschenleib umhüllend, einhüllend, sich an den Menschenleib anschließend, gewissermaßen fortsetzend die Formen des Menschenleibes. Die Gewandung der mitteleuropäischen Kunst ist anders; sie geht aus der Bewegung der Seele hervor, und je nach der Geste der Hand, je nach der ganzen Haltung setzt sich das Bewegliche der Seele in die Gewandung hinein fort, die viel weniger sich anschließt an den Leib, viel weniger die Formen des Leibes verhüllen oder ausdrücken will wie bei der südlichen Kunst, sondern gewissermaßen wie eine Fortsetzung des seelischen Erlebens ist. Das werden Sie immer deutlicher und deutlicher wahr­nehmen, wenn wir gerade in den folgenden Jahrhunderten fortschreiten.

Nun kommen wir zu der berühmten «Kreuzigungsgruppe», in Wechsel-burg:

368 Kreuzigungsgruppe. Wechselburg in Sachsen, Schloßkirche

die auch in Holz geschnitzt ist, auch aus dem ersten Drittel des 13. Jahr­hunderts stammt und die Ihnen in einer großartigen Weise dennoch einen Fortschritt zeigt, einen gewaltigen Fortschritt gegenüber der ja ein ähnliches Motiv zeigenden vorigen Gruppe (364). Wenn Sie hier jene seelische Kommu­nikation zwischen der Maria und dem Christus beobachten, wenn Sie das mit dem Johannes-Gesichte, mit dem ganzen Johannes-Ausdruck vergleichen,

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wenn Sie vergleichen, wie der Glaube, der mit der Seele verbundene Glaube an die christliche Weltanschauung sich in dem Johannes und der Maria als Überwinder darstellt und wenn Sie sich nun sagen, wie diese christliche Welt­anschauung wirklich sich so eingelebt hat, daß sie zur universellen historischen Auffassung des Erdenwerdens geworden ist, wenn Sie sehen, wie Adam hier unten auffängt das von dem Kreuz herabträufelnde Blut des Erlösers, und wenn Sie in dem Antlitz Adams studieren, wie er berührt wird von der gnade-vollen Wirkung, die er empfangen kann dadurch, daß er auffangen darf das Erlöserblut, das herunterträufelt vom Kreuze, so sehen Sie, wie unendlich tief das Christentum sich eingelebt hat in diesem Jahrhundert. Zur universellen kosmischen Auffassung schwingt es sich auf. Engel tragen das Kreuz; Gottvater kommt mit der Taube herunter, besiegelnd in diesem Momente, daß der Erde den Sinn gibt dasjenige, was er in seinem Sohne der Erde gege­ben hat. Man sieht in einer solchen Gruppe, die eine hohe künstlerische Voll­endung zeigt, wie sich das Christentum dadurch eingelebt hat in Mitteleuro­pa, daß es überall von der Seele aus zu durchziehen versucht worden ist, von Gemüt und Empfindung aus, während es im Süden von der Phantasie durch­drungen worden ist und dadurch jene, ich möchte sagen, eigentümliche, sagen wir, damit wir nicht verletzen: «moralinfreie» Durchdringung bewirkt hat, die im Renaissanceleben, im südlichen Renaissanceleben zum Ausdruck gekommen ist.

Wenn man studieren würde den Fortgang der Darstellungen des Christus-Typus, so würde dieser Christus-Kopf hier:

369 Christus-Kopf, aus der Kreuzigungsgruppe. Wechselburg in Sachsen

eine wichtige Station darstellen, ebenso wie der Christus-Kopf der Kathedrale von Amiens:

371 Christus (Le Beau Dieu). Amiens, Kathedrale

eine wichtige Station darstellt, und später der Dürer-Kopf:

303 Dürer Der Schmerzensmann, aus der Kupferstich-Passion

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Dagegen

370 Der Adams-Kopf aus der Gruppe in Wechselburg

Wir gehen jetzt über zu einigen Darstellungen, die sich in Freiberg in Sachsen finden und die ebenfalls aus dieser Zeit sind, aus dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts:

372 Die Anbetung der Könige im Bogenfeld der «Goldenen Pforte)>.

Freiberg in Sachsen, Dorn

Sie haben eine ganz andere Seite, aber eben doch auch die Auffassung der Heiligen Geschichte - alles strebend nach Innerlichkeit. Man wird wirklich nicht zuviel sagen, wenn man sagt, daß man sich gern vertieft in jedes einzelne Antlitz. - Eine andere Darstellung, die wir davon haben:

373 Zwei biblische Gestalten. Freiberg in Sachsen, Dom

Die eine, die weibliche Gestalt ist schwer zu deuten; vielleicht ist sie eine «Ecclesia», die andere, rechte Gestalt soll den Propheten Aaron darstellen. Aber auf alles das kommt es nicht an. Es sind gewisse Gestalten, die entweder allegorisch oder sonst irgendwie mit der Weltanschauung des Christentums zusammenhängen, und was wir wieder studieren wollen auf die seelische Ver­tiefung hin. Für denjenigen, der diese Dinge studieren will, ist ja die Kontra­stierung des linken und des rechten Antlitzes, die dem Ausdrucke zugrunde liegt, gerade das, was besonders reizvoll ist.

Und nun werden wir, ergänzend dasjenige, was wir das letztemal dar­gestellt haben am Naumburger Dom und am Straßburger Münster, die Plasti­ken des Bamberger Domes zeigen. Hier haben wir zunächst

374 Zwei Propheten, Jonas und Hosea. Bamberg, Dom

wobei Sie sehen, wie, ich möchte sagen: das dramatische Element, das Seelisch-Bewegte gerade hier sich geltend macht in dem Versuch, den Seelenaustausch direkt darzustellen, Seelenaustausch, sowohl darstellend einen momentanen Seelenmoment wie zwei gegensätzliche Charaktere.

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Und nun dieses «Jüngste Gericht» vom Fürstenportal in Bamberg:

375 Bogenfeld des «Fürstenportals». Bamberg, Dom

Nicht eine großartige Komposition, aber im seelischen Ausdruck etwas Ungeheures. Und in Berücksichtigung muß gezogen werden, daß das Relief etwa entstanden ist vielleicht so um das Jahr 1240, so daß man später der geisteswissenschaftlichen Forschung schon recht geben wird, die nicht sprechen wird - was heute noch viele tun - davon, daß in der Darstellung der christli­chen Weltanschauung das mitteleuropäische Element von dem südlichen in hohem Grade beeinflußt worden wäre. Das ist nicht der Fall; gerade das Umgekehrte ist der Fall. Aber es werden heute noch nicht in der äußeren Geschichte die Strömungen so gesehen, daß bis in die Schöpfungen Raffaels und Michelangelos namentlich, wie das tatsächlich der Fall ist und ich schon neulich andeutete, hineinwirken die nördlichen Impulse; denn diese Auffassung des «Jüngsten Gerichtes» ist, soweit das Künstlerische in Betracht kommt, durchaus eine aus dem nördlichen Geiste heraus geborene.

Das soll nun ein Beispiel dafür sein - wiederum vom Bamberger Dom -, wie das weltliche und das religiöse Element immer ineinanderspielen. Es ist ja nun schon so, daß gerade für diese Zeit, mit der wir es jetzt zu tun haben, das Weltliche und das Religiöse durchaus zusammenspielen. Sie finden sich zusammen in dem Gemeinsamen, das ich vorhin charakterisierte, nämlich darin, daß die menschliche Seele erobert sein will, die individuelle Seele zu­sammengerufen werden soll, zusammengefaßt werden soll, wenn sie verehrend zu dem Übersinnlichen hinaufschauen will in Gemeinschaft, aber auch ge­rufen sein will, wenn sie in irgendeiner Weise etwas im Weltlichen draußen zu verehren hat, daher verbindet man mit dem Kirchlichen das Weltliche.

Hier sehen wir dargestellt:

376 Stephanus, Kaiserin Kunigunde, Kaiser Heinrich.

Adamspforte, Bamberg, Dom

Dabei liegt ja selbstverständlich gewöhnlich von seiten des Volkes die Naivität zugrunde: die blinde Anlehnung, das Hinaufschauen. Nur heute ist

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dies in der Phantastik der Mitwelt überwunden, innerlich aber um so mehr vorhanden; und von seiten der hohen Herren liegt ja selbstverständlich sehr häufig der mit allerlei menschlichen Eigenschaften verquickte Glaube zugrunde, den verschiedenen Heiligen und anderen übersinnlichen Mächten etwas näher-zustehen als andere Sterbliche.

Nun ein Detail daraus, die mittlere Gestalt vom vorigen Bilde:

377 Kaiserin Kunigunde, Teil von 376

378 Petrus, Adam und Eva. Adamspforte, Bamberg, Dom

Es werden in dieser Zeit immer das Alte Testament und das Neue Testa­ment im Einklange miteinander gedacht, wie Versprechung und Erfüllung.

Nun ein Detail daraus:

380 Adam, Teil von 378

Ein anderes Detail:

379 Eva, Teil von 378

Nun eine Figur an demselben Dom:

381 Maria. Bamberg, Dom

Eine Maria-Gestalt, die, ich möchte sagen, überall, von jedem Gesichts­punkte aus aufgefaßt, zeigt, wie dasjenige wirklich nun zum Ausdruck kommt in dieser Kunstströmung, das vorhin besprochen worden ist. Dabei bitte ich Sie, zu berücksichtigen bei all diesen Dingen, daß zum Beispiel diese «Maria» ungefähr im Jahre 1245 entstanden ist, und sich zu erinnern, was Sie in dieser Zeit etwa im Süden suchen wollten?

Von demselben Dom die Gestalt der Kirche:

382 Die Kirche. Bamberg, Dom

Das war eine beliebte Darstellung. Wir haben Ihnen schon neulich die Darstellung der Kirche, wie sie sich am Straßburger Münster befindet, gezeigt, hier haben Sie sie vom Bamberger Dom. Die Gestalt der Kirche, die innerlich

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frei, von freier Seele gedacht, dargestellt wird, frei in die Welt hinausblickend, weise, und die kontrastiert wird mit der Synagoge, was wir auch neulich gesehen haben.

Das ist nun ein Detail

385 Der Kopf der Kirche, Teil von 382

Sie wird kontrastiert mit der Synagoge. Sie sehen diese immer wieder dargestellt mit verbundenen, niedergeschlagenen Augen; und vergleichen Sie die ganze Haltung! Die Haltung der Synagoge soll auch hier wiederum bis in den Faltenwurf des Gewandes hinein den Gegensatz darstellen:

383 Die Synagoge. Bamberg, Dom

Sehen Sie sich namentlich das Untergewand hier an, wie es der Seelenbe­wegung voll angepaßt ist. Jetzt wollen wir noch einmal betrachten die Kir­che, damit Sie das Untergewand vergleichen können mit dem Untergewand der Synagoge:

382 Die Kirche

384 Die Synagoge, Seitenansicht

386 Die Synagoge, Teil von 383, 384

Nun wiederum eine weltliche Figur aus demselben Dom; eine Reiter-statue irgendeines Königs.

387 Der Reiter. Bamberg, Dom

Sie werden den Ausdruck gut studieren können gerade an dem Kopf der Reiterstatue, der wundervoll ist:

388 Kopf des Reiters, Teil von 387

Es ist ein wunderbarer Kopf !

Nun gehen wir von da ins 14. Jahrhundert hinein und sehen uns an, was nun geworden ist, indem wir einige Figuren des Kölner Domes betrachten, die in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstanden sind:

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389 Maria. Köln, Dom

Es ist unschwer zu erkennen, daß nunmehr ein gewisser Rückgang statt­gefunden hat.

Dann ebenfalls vom Kölner Dom:

39C Johannes

391 Jakobus d. Ä.

Wir gehen nun im 14. Jahrhundert weiter und kommen zu einem Mei­ster, der der «Meister der Tonapostel» genannt wird, weil diese Figuren in gebranntem Ton ausgeführt sind:

392 Meister der Tonapostel Paulus. Nürnberg, St. Jakob

Und nun, nachdem wir, ich möchte sagen: Aufstieg und etwas Abfall einer geschlossenen Linie, geschlossenen Entwickelungsströmung uns vorge­führt haben, betrachten wir etwas, was in seiner Art wirklich ganz groß ist, nämlich eine Reihe von Bildwerken aus der Kartause in Dijon, die Ende des 14. und zu Beginn des 15. Jahrhunderts entstanden sind und ausgeführt wur­den von dem Niederländer Claus Sluter oder unter seiner Anleitung. An allen diesen Figuren werden Sie sehen, wie hier von den Niederlanden hereinströmt in diese Dijoner Kartause wirklich individuellste Charakteristik in einer ganz einzigen Weise, so daß von den verschiedensten Seiten her gesehen werden kann, wie das Individualisierende, das aus der Seele heraus charakteristisch Individualisierende auftritt.

Zunächst haben wir da das Portal der Kartause:

393 Claus Sluter Madonna mit Stiftern und Heiligen.

Dijon, Chartreuse de Champmol, Portal

Nun einige Figuren von diesem Portal:

394 Claus Sluter Madonna mit dem Kinde

395 Claus Sluter Philipp der Kühne, Johannes der Täufer, Teil von 393

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Überall ist gerade hier zu sehen diese individuelle Charakterisierungs-Kunst, wenn Sie diese Fähigkeit eines und desselben Menschen, die Madonna so zu charakterisieren mit dem Kinde, mit dem vergleichen, was nun gleich nachkommt:

397 Claus Sluter Moses vom Sockel des «Moses-Brunnen». Dijon, Kartause

wie er nun wiederum den Moses charakterisiert, dann bitte ich Sie zu beach­ten, daß die Kartause von Dijon gebaut ist in den Jahren 1383 bis 1388, daß das also der Anfang - 1400/1401 - des 15. Jahrhunderts ist. Und warum sollte man nicht solche Sachen zusammenstellen, denn sie sind zusammenzustellen:

diesen Moses vom Anfang des 15. Jahrhunderts zum Beispiel mit dem Moses von Michelangelo:

398 174 Michelangelo Moses. Rom, S. Pietro in Vincoli, «Julius-Grab» 1516. Teil von 174

Nun noch einige weitere Arbeiten von Sluter:

399 Claus Sluter David und Jeremias, vom Sockel des «Moses-Brunnen». Dijon, Kartause.

400 Claus Sluter Zacharias, Daniel, Jesaias

Dieses Miterleben mit den Prophetengestalten bis zu einer solchen Indi­vidualisierung ist natürlich etwas ganz Wunderbares. Nun wollen wir den «Jesaias» herausheben:

396 Claus Sluter Jesaias, Teil von 400

Dann von demselben Künstler - wenigstens teilweise:

401 Claus Sluter Grabmal Philipps des Kühnen. Dijon, Museum

Die Zeit ist überhaupt sehr bedeutend in der Schaffung von Grab-Denk­mälern. Wir werden, nachdem dieses hier im Überblick gegeben ist, den obe­ren Teil im Detail vorführen:

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402 Claus Sluter Philipp der Kühne mit zwei Engeln, Teil von 401

Sie werden dann auch sehen, daß die einzelnen Figuren, die vorhin nur so klein erschienen am Sockel, wirklich im einzelnen wunderbar ausgeführt sind:

403 Claus Sluter Trauernde Mönche vom Sockel des Grabmals von 401

In dieser individuellen Charakteristik sind diese einzelnen Figuren um den Sockel herum ausgeführt:

404 Claus Sluter Trauernde Mönche vom Sockel des Grabmals von 401

Und nun gehen wir - wir müssen uns einrichten nach dem, was wir an Bildern haben - zu einem Künstler aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Bedenken Sie bitte: bei allem, was wir zuletzt vor uns gehabt haben, hatten wir zu tun mit einem Künstler von der Wende des 14. zum 15. Jahrhundert. Nun gehen wir in das 15. Jahrhundert hinein. Indem wir die «Kölner Meister» und den «Meister der Tonfiguren» gehabt haben, der um 1400 diese Gruppe in eingebranntem Ton fabrizierte, waren wir bis zum Ende des 14. Jahrhunderts gekommen.

Wir gehen also jetzt weiter im 15. Jahrhundert, zu Hans Multscher. Von ihm haben wir zunächst eine «Madonna»:

405 Hans Multscher Madonna. Sterzing, Pfarrkirche

Dann von demselben Künstler:

4C6 Hans Multscher St. Georg 407 Hans Multscher St. Florian

beide aus der Spitalkirche in Sterzing, etwa aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. So kommen wir immer weiter in dem, was ich charakterisiert habe: Her-

ausarbeiten der christlichen Motive innerlich-seelisch. Und so kommen wir zu den holzgeschnitzten Figuren vom Ende des 15. Jahrhunderts aus Blutenburg bei München:

4C8 Matthias (nicht Matthäus). Blutenburg, Kapelle

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Da erreicht es in der Tat in einem ungeheuren Grade die Kunst der Cha­rakteristik.

409 Maria 410 Thomas, der Apostel

Das ist also die Zeit, in der Michelangelo, Raffael geboren sind.

411 Johannes

Das ist also alles aus Blutenburg.

Sehr bedeutend war auch diese Zeit, gerade diese Zeit, aus der diese so sehr individualisierenden Gestalten sind, in der Ausarbeitung von Holzplasti­ken für Chorstühle in Kirchen. Davon wollen wir nun auch eine Probe haben aus der Frauenkirche in München vom Ende des 15. Jahrhunderts:

412 Baruch, Markus, Job. München, Frauenkirche, Chorgestühl

Nun gehen wir zu einem anderen Künstler, der am Ende des 15. Jahr­hunderts gewirkt hat, zu einer Reihe von Werken des «Rosenkranz»-Bild­schnitzers, Tilman Riemenschneider:

413 Tilman Riemenschneider Adam. Südportal der Marienkapelle, Würzburg

415 Tilman Riemenschneider Kopf des Adam, Teil von 413

Das ist also immerhin aus der Zeit, in der die Hochrenaissance in Italien noch nicht begonnen hat. Diese Dinge sind etwa geschaffen um das Jahr 1493.

414 Tilman Riemenschneider Eva. Südportal der Marienkapelle, Würzburg

416 Tilman Riemenschneider Kopf der Eva, Teil von 414

Eine Heilige Elisabeth, die jetzt im Germanischen Museum in Nürnbergist. 417 Tilman Riemenschneider Heilige Elisabeth

im Anfang des 16. Jahrhunderts geschaffen.

418 Tilman Riemenschneider Madonna mit dem Kinde. Frankfurt, Liebighaus auch Anfang des 16. Jahrhunderts.

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Und von demselben Künstler:

Tilman Riemenschneider

Die zwölf Apostel. München, National-Museum:

419 Petrus 423 Philippus 427 Matthias

420 Jakobus d. J. 424 Bartholomäus 428 Simon

421 Judas Thaddäus 425 Johannes 429 Matthäus

422 Andreas 426 Jakobus d. Ä. 430 Thomas

Es sind wunderbare Typen dabei bei diesen 12 Aposteln, wobei man je­den einzelnen Kopf studieren möchte.

Nun noch zwei Proben von dem dem Ende des 15. Jahrhunderts, An­fang des 16. Jahrhunderts angehörigen Künstler Veit Stoß, der in Krakau und auch in Süddeutschland in den verschiedensten Materialien seine bildnerischen Dinge zum Ausdruck brachte:

431 Veit Stoß Marienaltar. Krakau, Marienkirche

Die andere Gruppe stellt einen «Englischen Gruß» dar:

432 Veit Stoß Der Englische Gruß

und befindet sich in der Lorenzkirche in Nürnberg.

Und nun möchten wir Ihnen noch einige malerische Kunstwerke vorfüh­ren von dem Maler Hans Baldung, der auch unter dem Namen Hans Grien bekannt ist und der im Anfange des 16. Jahrhunderts - etwa 1507 bis 1509 -in der Werkstatt von Dürer gearbeitet hat:

327 Hans Baldung Grien Die Ruhe auf der Flucht.

Nürnberg, Germanisches Museum

Er hat zumeist Bilder gemalt, die im Gebiete der Malerei eben zeigen im Beginne des 16. Jahrhunderts, wie auch da durchaus im ähnlichen Sinne eine Verseelung stattgefunden hat.

329 Hans Baldung Grien Kreuzigung. Berlin, Deutsches Museum

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Hans Baldung - Hans Grien - war auch ein ganz bedeutender Porträtist. Hier haben Sie eine Probe:

328 Hans Baldung Grien Kopf eines Greises. Berlin, Deutsches Museum

wobei wir sehen können, wie die Porträtkunst bei diesem Meister gepflegt worden ist. Er war also ein Schüler Dürers, lebte später in Straßburg, auch in Freiburg im Breisgau, hat wunderbare Tafeln geschaffen zum Leben Christi und der Mutter Christi. Sie finden ein Bild «Christus am Kreuz» von ihm auch in Basel:

330 Hans Baldung Grien Christus am Kreuz. Basel, Kunstsammlung

Sie können also diese Bilder durchaus in den Beginn des 16. Jahrhunderts setzen, in die Zeit, als Raffael, Michelangelo in Rom waren.

Je mehr wir die Bilder häufen würden, desto mehr würden wir sehen, wie an dieser Grenzscheide des vierten und fünften nachatlantischen Zeit­raums uns gerade diese Zusammenstellung der südlichen mit der nördlichen europäischen Kunst zeigen würde, welcher Umschwung stattgefunden hat, und wie reich der einfache Satz ist, daß dazumal die Kultur aus der Verstan­des- oder Gemütsseele heraus in die Kultur der Bewußtseinsseele hineinging mit alledem, was damit zusammenhing - wie reich dieser Satz eigentlich ist, und wie man diese Dinge nur kennen lernt, wenn man sie auf den einzelnen Gebieten des menschlichen Daseins betrachtet.

V Eine einzigartige Erscheinung in der künstlerischen Menschheitsentwickelung: REMBRANDT Dornach, 28. November 1916

#G292-1981-SE140 Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse

#TI

V

Eine einzigartige Erscheinung in der künstlerischen

Menschheitsentwickelung:

REMBRANDT

Dornach, 28. November 1916

#TX

Wir werden heute zur Fortsetzung unserer Vorführungen in Lichtbildern einen einzigen Künstler herausgreifen, allerdings einen der größten der künstle­rischen Menschheitsentwickelung: Rembrandt. Eigentlich ist es diesmal nicht so am Platze, wie es der Fall gewesen ist in bezug auf die früheren Vorfüh­rungen, in einigen einleitenden Ausführungen auf den zeit- und weltgeschicht­lichen Hintergrund des Vorgeführten hinzuweisen. Denn bei einem solchen Künstler, wie Rembrandt einer ist, muß es sich, wenn man ihn als einzelnen herausgreift, vor allen Dingen darum handeln, so weit dies möglich ist in solchen Nachbildungen, die Sache selbst voll auf die Seele wirken zu lassen. Nur dann, wenn man einmal im Zusammenhange wenigstens einige der haupt­sächlichsten Rembrandtschen Leistungen sich vor die Seele führt, sieht man, welch einzigartige Erscheinung in der Menschheitsentwickelung dieser Rem­brandt ist. Wollte man bei ihm so, wie wir das bei Raffael, bei Michelangelo und anderen getan haben, versuchen, mehr zeitgeschichtlich die Hintergründe bloßzulegen, so würde man bei ihm eigentlich eine falsche Methode ein­schlagen; denn Rembrandt steht in vieler Beziehung als menschliche Erschei­nung isoliert da. Er wächst aus der ganzen Breite des Volkstums heraus, und man muß bei ihm mehr darauf sehen, wie er sich in die Entwickelung hinein-stellt, was von ihm aus in die Entwickelung hineinstrahlt, als daß man ver­suchen könnte, ihn aus dieser Entwickelung heraus darzustellen. Gerade darauf kommt es aber an, einzusehen, welch hoher Grad von Ursprünglichkeit ge­rade Rembrandt eigen ist. Daß er so herauswächst wie eine isolierte Erschei­nung aus dem europäischen Volkstum, das bezeugt, daß man, wenn man den

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Blick wendet auf die Schöpfungen von Persönlichkeiten, eigentlich nicht so einfach im historischen Verlauf Wirkung an Ursache und so weiter anreihen kann, sondern daß man zu dem Bekenntnisse sich aufschwingen muß, daß, so wenig eine Pflanze ihre Ursache in der anderen hat, die neben der anderen in einem Garten steht, so wenig die aufeinanderfolgenden historischen Er­scheinungen ihre Ursachen immer in dem Vorhergehenden haben; sondern wie die Pflanzen aus dem gemeinsamen Boden herauswachsen unter dem ge­meinsamen Einflusse des Sonnenlichtes, so wachsen die historischen Erschei­nungen aus einem gemeinschaftlichen Boden heraus und werden herausgeholt durch die Wirksamkeit des die Menschheit durchseelenden geistigen Lebens. Daß in Rembrandt etwas besonders Ursprüngliches, etwas Elementarisches zu suchen ist, davon bekamen in Mitteleuropa die Menschen einen besonderen Begriff so um das Ende der achtziger und den Beginn der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Es war merkwürdig, welch bedeutenden, weitgehen­den Eindruck dazumal ein Buch machte, das, man kann nicht sagen, über Rembrandt handelte, sondern in Anknüpfung an Rembrandt erschienen ist. Als ich Ende der achtziger Jahre von Wien wegging, ging ich gerade aus einer Atmosphäre heraus, wo alle Leute lasen: «Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen.» So hieß das Buch. Und als ich dann in Weimar ankam, da dauerte es noch zwei, drei Jahre - alle Leute lasen das Buch «Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen». Mir selbst war, wenn ich das einfügen darf, und ich will ja heute weniger eine historische Auseinandersetzung ge­ben, will nur einzelne Bemerkungen machen, das Buch bis zu einem hohen Grade eigentlich unangenehm aus dem Grunde, weil es mir vorkam, als ob der Verfasser als ein geistreicher Mann auf Zetteln aufgeschrieben hätte, auf einzelnen Zetteln, nach und nach Verschiedenes, das ihm eingefallen war an ganz geistreichen Gedanken, dann diese Zettel in eine kleine Kiste hineinge­worfen und diese Kiste geschüttelt hätte, so daß die Zettel recht durcheinan­dergefallen wären; dann einen Zettel nach dem andern herausgenommen und ein Buch daraus gemacht hätte, so durcheinander waren alle Gedanken, so wenig logische Folge, so wenig systematische Ordnung war in diesem Band. Daher konnte einem ja das Buch unangenehm sein.

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Aber aus dem Buche sprach doch etwas recht Bedeutsames, Bedeutsames für das Ende des 19. Jahrhunderts. Derjenige, der das Buch geschrieben hatte - er war dazumal unbekannt, und man forschte überall nach, wer das Buch geschrieben haben könnte -, hatte schon einer großen Anzahl von Menschen dazumal aus dem Herzen heraus geschrieben. Er hatte gefühlt, daß die Geisteskultur der Menschen am Ende des 19. Jahrhunderts gewisser­maßen den Zusammenhang mit dem Mutterboden des geistigen Lebens ver­loren hatte, daß die menschliche Seele nicht mehr fähig war, bis zu einem wirklichen Zentrum der Weltenordnung vorzudringen, aus dem heraus sie etwas schöpfen könne, das ihr wirklich innere Fülle und dadurch auch wirk­liche innere Befriedigung gäbe. Man nannte den Verfasser, der ja dem Namen nach unbekannt war, überall den «Rembrandt-Deutschen». Er wollte gewisser­maßen das menschliche Seelenleben wieder anknüpfen an das elementarische, an das ursprüngliche Empfinden desjenigen, was auch als Grundlage in den Weltenerscheinungen pulsiert, und solche Gedanken wollte er bringen, die gewissermaßen der Menschheit zurufen sollten: Besinnet euch wiederum auf dasjenige, was im Elementarischen der Seele lebt, da ihr verloren habt den Zusammenhang mit diesem Elementarischen, da ihr überall entweder an der Oberfläche des Gelehrten oder an der Oberfläche des Künstlerischen herum-bastelt, besinnt euch wiederum, da ihr den Mutterboden des geistigen Le­bens verloren habet, auf diesen Mutterbo den ! - Und da wollte er anknüpfen für diese Besinnung an die Erscheinung Rembrandts. Deshalb nannte er sein Buch «Rembrandt als Erzieher». Die Begriffe, die Vorstellungen, die An­schauungen der Menschen fand er an der Oberfläche schwimmen; aber in Rembrandt fand er eine Persönlichkeit, welche aus den elementarischen menschlichen Kräften heraus geschöpft hatte.

Man muß empfinden - was wir ja gerade nach den Auseinandersetzun­gen, die wir jetzt seit Wochen hier pflegen, empfinden können -, daß die Intensität des Geisteslebens ganz Europas in den letzten Jahrzehnten des

19. Jahrhunderts wesentlich zurückgegangen ist, wesentlich auf allen Ge­bieten Oberflächenkultur geworden ist, und daß es dahin gekommen ist, daß die großen Erscheinungen der unmittelbaren Vergangenheit doch auch nur

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ganz oberflächlich begriffen wurden. Was eigentlich begriff denn das Ende des 19. Jahrhunderts - ich meine in breiteren Kreisen, von Einzelnen selbst­verständlich abgesehen - von einer Erscheinung wie Goethe oder von Lessing?

- Von den großen Werken Goethes oder Lessings begriff man in Wirklich­keit ja nichts. Und der «Rembrandt-Deutsche» schien zu empfinden, daß man anknüpfen müsse alles Anschauungsvermögen der menschlichen Seele eben, wie ich gesagt habe, wiederum an das Elementarische, um das wirklich Große in der Menschheitsentwickelung zu fühlen und zu empfinden. Aller­dings, wenn man, wohl in einem noch tieferen Sinne als der «Rembrandt­Deutsche», dasjenige empfand, was der Zeit not tat und not tut, dann konnte man doch nicht ganz mit ihm gehen; und das zeigte sich ja auch später an seinem eigenen Entwickelungsgang. Es war eine grundehrliche Empfindung in diesem «Rembrandt-Deutschen»; allein er war doch zu sehr ein Kind seiner Zeit, um recht zu empfinden, daß eigentlich eine wirkliche Erneuerung des Geisteslebens notwendig ist durch das Auffinden eben jener Quellen, die wir ja versuchen, uns vor die Seele zu führen in unseren geisteswissenschaftlichen Bestrebungen. Ich möchte sagen: alle Leute gingen dazumal doch an dem vorbei, was, gestatten Sie den trivialen Ausdruck, in der Luft lag: die Not­wendigkeit einer geisteswissenschaftlichen Bestrebung, alle Leute gingen doch daran vorbei, die meisten gehen ja auch heute noch daran vorbei. Und so hat denn der «Rembrandt-Deutsche» diesen großen Ansatz genommen, gewisser­maßen hinzuweisen: Besinnet euch einmal, was es eigentlich heißt, sich zu solchen Quellen des Menschtums durchzuringen, wie Rembrandt sich durch­gerungen hat. - Nachdem das in seiner Seele gelebt hatte, verfiel er immer mehr und mehr wahrscheinlich, man könnte sagen: in eine Art Verzweiflung, daß solche Quellen in der Menschheitsentwickelung doch nicht vorhanden seien, und trat dann zum Katholizismus über, das heißt, er suchte doch wie­der in etwas Althergebrachtem und Vergangenem Trost für dasjenige, wofür er einen großen Anlauf genommen hat in seinem Buch «Rembrandt als Er­zieher», einen Anlauf, der aber doch nicht genügt hat, um wirklich in ein Gei­stesleben einzudringen, wie es die Zukunft tragen muß. Aber immerhin -später ist der Name des «Rembrandt-Deutschen» bekannt geworden: Langbehn

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hieß er -, was er empfunden hat gerade mit Bezug auf Rembrandt, das muß man mit Bezug auf diese künstlerische Persönlichkeit empfinden.

Rembrandt ist nicht, selbst nicht bis zu dem Grade, in dem es noch Dü­rer war, von irgend etwas aus den künstlerischen Bestrebungen, die ich als südeuropäisch bezeichnet habe in diesem Zusammenhange, abhängig. Man könnte sagen: in keiner Faser seiner Künstlerseele ist er irgendwie abhängig von romanisch-südlichem Elemente. Er steht ganz und gar auf sich selber und schafft aus dem mitteleuropäischen Leben heraus, das er aus der Quelle des Volkstums selber schöpft. Und in welcher Zeit ist Rembrandt geboren und wirkt Rembrandt? - In der Zeit, in welcher über Mitteleuropa hinwüstete der Dreißigjährige Krieg. Rembrandt ist 1606 geboren. Sie wissen: 1618 begann der Dreißigjährige Krieg. Und man kann sagen: Während Mitteleuropa dazu­mal, das südliche Europa, von dem Dreißigjährigen Krieg zerfleischt worden ist, schafft Rembrandt in seiner nordwestlichen Ecke dasjenige, was mittel-europäisches Wesen ist, in einer ganz eigenartigen Kunst. Er hat Italien nicht gesehen, er hat keine Anlehnung gehabt an eine Natur wie die italienische. Aus seiner niederländischen Natur heraus einzig und allein hat er seine Phantasie befruchten können. Ich sagte schon, auch irgendwelche Studien oder derglei­chen, Studien von italienischer Malerei oder dergleichen wie andere Maler auch seiner Landstriche, hat Rembrandt nicht gemacht. Und so steht er da als der Repräsentant derjenigen Menschen, welche sich damals im 17. Jahr­hundert so recht als die Bürger fühlten - unbewußt selbstverständlich - des heraufgekommenen fünften nachatlantischen Zeitraumes. Lassen wir ganz kurz vorüberziehen vor unserer Seele, was sich bis zu Rembrandt von einem gewissen Zeitpunkt an abgespielt hat. Herman Grimm, der für solche Dinge ein Empfinden hatte, betrachtete gewissermaßen die künstlerische Erscheinung als die reinste Blüte der historischen Entwickelung der Menschheit, und des­halb hat er auch in schöner Weise gerade einige Blitzlichter, möchte ich sagen, geworfen auf das europäische Geschehen von der Kunstentwickelung aus für diejenige Zeit, in der der vierte nachatlantische Zeitraum in den fünften nach-atlantischen Zeitraum herüberspielte. Wir haben ja selber in den letzten Vor­führungen versucht, die künstlerische Blüte dieses Zeitraumes auf unsere Seele

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wirken zu lassen. Herman Grimm sagt mit Recht: Es geht das, was man ver­stehen muß, um die ganze folgende Zeit zu verstehen, mit den Karolingern auf. Aber aus nichts lernt man besser kennen dasjenige, was im Karolinger­tum lebte, als aus dem Walthari-Lied, das im 10. Jahrhundert von einem Mönch in St. Gallen verfaßt worden ist und das zeigt, wie Mitteleuropa über­schwemmt wurde von Italien, und welche Schicksale über Europa kamen. -Aber in der Form ist auch das Walthari-Lied durchaus einen romanischen Ein­fluß zeigend wie die anderen Erscheinungen, die wir in dieser Beziehung vor­zeigen könnten.

Dann finden wir, wie auftaucht die neue Zeit, eine Zeit, die wir ja charak­terisiert haben. Diese Zeit zeigt uns, wie in Mitteleuropa sich entwickelt hat das romanische Element in Baukunst und Skulptur, wie die Gotik eingedrun­gen ist; sie zeigt uns dieses Leben von romanischer Kunst und Gotik in der Zeit, in welcher Wolfram von Eschenbach, Walther von der Vogeiweide wir­ken. Wir sehen dann, wie die mitteleuropäische Städtefreiheit, das mitteleuro­päische Städtetum in denjenigen Erscheinungen sich auslebt, die wir nament­lich als Erscheinungen der Skulptur in unseren Betrachtungen vorgeführt haben. Wir sehen, wie die mitteleuropäische Reformation in Gestalten wie Dürer und Holbein zum Vorschein kommt. Dann - wir haben es ja schon bei Gelegenheit Michelangelos betont - sehen wir, wie sich über Europa ergießt die Gegenreformation. Das ist nun auch wieder in der Kunst zu bemerken. Und diese ganze Epoche, in der über Europa hinflutet das Großstaatentum und hinwegfegt die politischen Individualitäten, da breitet sich aus, wie Her-man Grimm es sagt: In der Epoche des europäischen Fürstentums breitete sich aus dasjenige, was in der Kunst bei Rubens, van Dyck, Velasquez und so weiter zu sehen ist. - Und wenn wir auf diese Namen hindeuten - bei all ihrer Größe finden wir ja wirklich dasjenige darinnen ausgedrückt, was zusammen­hängt mit der Gegenreformation, mit dem Willen, das mitteleuropäische Volks­tum zu brechen. Und Rembrandt ist als Künstler derjenige, der aus aller Ur­sprünglichkeit dieses Volkstums heraus dasjenige geltend macht, gerade als Künstler geltend macht, was im eminentesten Sinne enthält das Geltendma­chen menschlicher Individualität und menschlicher Freiheit.

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Es ist merkwürdig, wie sich in Rembrandt fortsetzt, was ich Ihnen aus­geführt habe schon bei Dürer: das Weben im elementarischen Hell-Dunkel, was Goethe später für die Wissenschaft erobert hat, was aber die Wissenschaft heute noch nicht anerkennt, weil sie noch nicht so weit ist, sie wird aber schon so weit kommen, daß in dem Hell-Dunkel ein elementarisches We­ben zu sehen ist, auf dessen Wogen der Ursprung der Farben zu suchen ist. Das, möchte ich sagen, leuchtet zuerst bei Dürer auf und kommt dann künst­lerisch voll zur Entfaltung bei Rembrandt. Was die italienischen Maler groß gemacht hat: das Hinauftragen der ihnen individuellen Erscheinung in das Typische - Rembrandt hat es entwickelt. Rembrandt ist ein treuer unmittel­barer Beobachter der Wirklichkeit. Aber er beobachtet diese Wirklichkeit nicht so, wie die Antike die Wirklichkeit beobachtet hat. Er gehört eben nicht dem vierten, sondern dem fünften nachatlantischen Zeitraum an. Er beobachtet die Wirklichkeit so, daß er dem Objekte als ein Außenstehender gegenübertritt, aber wirklich als ein Außenstehender. Im Grunde konnten auch Lionardo, Michelangelo, Raffael, da sie im fünften nachatlantischen Zeitraum lebten, nichts anderes tun, als dem Objekte als Außenstehende gegenüber sein. Aber sie ließen sich befruchten von demjenigen, was von der Antike herüberkam. Und so standen sie nur, ich möchte sagen: halb äußerlich dem Objekte gegen­über. Rembrandt stand ganz von außen dem Objekte gegenüber. Aber er stand ganz von außen so diesem Objekte gegenüber, daß er von außen seine volle Innerlichkeit zu dem Objekte hinzubrachte. Innerlichkeit zu dem Ob­jekte hinzuzubringen, das bedeutet aber nicht, aus dem Egoismus der mensch­lichen Persönlichkeit heraus alles mögliche in das Objekt hineinzutragen, son­dern das bedeutet: leben zu können mit demjenigen, was im Raume wirkt und webt. In Rembrandt zeigt sich uns eine Persönlichkeit, die eben Jahr­zehnte hindurch rang, man möchte sagen von Jahrfünft zu Jahrfünft; man kann es seinen Bildern ansehen, wie er immer und immer ringend weiter-dringt. Aber über all dieses Ringen ist ausgegossen ein immer weiteres Her-ausarbeiten des Hell-Dunkels; denn das Farbige ist ihm nur dasjenige, was gewissermaßen herausgeboren wird aus dem Hell-Dunkel. Was ich schon bei Dürer andeutete, daß er nicht diejenige Farbe suchte, die aus dem Objekte

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herausquillt, sondern diejenige Farbe, die hingeworfen wird auf das Objekt, das ist in höherem Grade bei Rembrandt der Fall. Rembrandt lebt selbst in dem Wirken und Wogen des Hell-Dunkels. Daher hat er auch sein Entzücken daran, dieses Hell-Dunkel zu beobachten, wie es hervortreten läßt eine eigen­tümliche malerische Plastik in der Gestaltenmenge. Die südlichen Maler gehen von der Komposition aus. Rembrandt geht nicht von einer Komposition aus, obwohl er im Laufe seines Lebens, ich möchte sagen: durch die elementar in ihm wirkenden Kräfte zu einer Art Kompositionsmöglichkeit aufsteigt. Aber indem er seine Gestalten einfach hinstellt, stehen läßt und nun lebt und webt im Elemente des Hell-Dunkels, das er verfolgt, wie es sich ausgießt über die Gestalten, komponiert sich ihm ein Kosmisch-Universelles gerade in diesem Weben und Leben des Hell-Dunkels.

Und so sehen wir, wie gewissermaßen Rembrandt, ich möchte sagen:

plastisch malt, aber malt mit Licht und Finsternis. Dadurch hebt er, trotzdem er den Blick nur auf das Wirkliche richtet, nicht auf die erhöhte Wahrheit, wie die südeuropäischen Maler, sondern nur auf das Wirkliche richtet, erhebt er dennoch seine Gestalten in eine geistige, in eine spirituelle Höhe; denn es webt und lebt in ihnen dasjenige, was als Licht durch den Raum flutet. Das muß man bei Rembrandt überall suchen, denn darinnen ist er im eigentlichen Sinne der große, originelle Geist. Man kann bei ihm genau sehen - und Sie werden es, wenn Sie den Seelenblick werden schweifen lassen über die Auf­einanderfolge der Bilder, sehen, wie er zuerst Beobachter ist und versucht, gewissermaßen nachzuzeichnen dasjenige, was ihm die Natur darbietet, und wie er immer mehr und mehr dahinterkommt, herauszuschaffen so aus dem Licht und aus der Finsternis, daß ihm gewissermaßen die Gestalten nur die Veranlassung geben dazu, gewisse Verteilungen von Licht und Finsternis im Raume rein wirken zu lassen, und das Geheimnisvolle eines Höhergestalteten aus dem Licht und aus der Finsternis hervortreten zu lassen, zu dem die pla­stische Gestaltung der äußeren Wirklichkeit nur die Veranlassung ist. Daher sehen wir bei Rembrandt immer mehr und mehr auftreten die kühnsten Ver­teilungen von Hell-Dunkel. Und es ist wirklich so, daß man empfindet, wenn man seinen Gestalten gegenübersteht: da ist nicht dasjenige bloß, was gewissermaßen

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als Modelle und als Vorbilder im Raum drinnengestanden hat, son­dern das, worum es sich eigentlich handelt, ist etwas ganz anderes; das ist etwas, was über den Gestalten schwebt. Die Gestalten sind eigentlich nur die Veranlassung zu dem, was Rembrandt eigentlich geschaffen hat. Was er ge­schaffen hat, das hat er geschaffen, indem er das Licht auffangen ließ durch seine Gestalten, die ihm, ich möchte sagen: die Gelegenheit gaben, das Licht aufzufangen. Was er durch die Gestalten auffangen ließ von dem Lichte und von der Finsternis, und aus diesem Aufgefangenen, dessen, ich möchte sagen:

Hintergrund nur die Gestalten sind, aus dem entsteht eigentlich erst das Rem­brandtsche Kunstwerk. Wer also in dem Rembrandtschen Kunstwerk sucht, was das Bild gerade darstellt, der sieht nicht das wirkliche Kunstwerk. Der allein sieht das wirkliche Kunstwerk bei Rembrandt, welcher dasjenige, was ausgegossen ist über die Gestalten, die nur Gelegenheit dazu sind, daß sich etwas ausgießt, der dieses Ausgegossene betrachtet. Und dann ist das Feine, Intime, Interessante gerade in diesen Schöpfungen der mittleren Zeit - das können wir ja allerdings in diesen Bildern nicht zeigen, weil sie nicht Farben haben -, in dieser mittleren Zeit des Rembrandtschen Schaffens, da ist insbe­sondere interessant, wie wirklich die Farbenschöpfungen von Hell-Dunkel auf seinen Bildern sind, wie man überall sieht, daß sich die Farben herausge­bären aus dem Hell-Dunkel. Und das wird in ihm so feste künstlerische An­schauung, daß gegen das Ende seines Wirkens, ich möchte sagen, die Farbe überhaupt ganz zurücktritt und die ganze Malerei für ihn das Problem, des Hell-Dunkels wird.

Dabei liegt in dem, was sich so durch Jahrzehnte in ihm zum Dasein ringt, etwas ungeheuer menschlich Ergreifendes. Denn man kann nicht leug­nen: Rembrandt war ursprünglich veranlagt genialisch, künstlerisch, aber noch nicht tief, nicht in die Tiefe der Dinge gehend. Was er ursprünglich schuf -es hatte schon seine Größe, aber es fehlt in gewisser Beziehung die Tiefe. Da war es denn, daß er - 1642 war es wohl - einen schmerzlichen Verlust für sein Leben hatte; er verlor dazumal seine Frau, die er so innig liebte, mit der er so verbunden war, die für ihn wirklich ein zweites Leben darstellte. Aber dieser große Verlust wurde für ihn gerade die Quelle einer unendlichen seelischen

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Vertiefung. So zeigt es sich denn, daß gerade von dieser Zeit an sein Schaffen an Tiefe gewinnt, unendlich seelenvoller wird, als es vorher war. Und zu dem genialen Rembrandt tritt dann auch der in sich selbst vertiefte Rembrandt. Wenn man so Rembrandt überschaut, so muß man sagen: er ist eigentlich erst so recht der Maler des beginnenden fünften nachatlantischen Zeitraumes. Denn wir wissen es ja: man trifft den Grundcharakter dieses fünften nachatlantischen Zeitraumes, wenn man sagt, daß sich in ihm besonders die Bewußtseinsseele zum Dasein ringt. Das bedingt für die Kunst, daß der Künstler außerhalb der Objekte steht und objektiv die Welt auf sich wirken läßt, aber daß in seinem Hinschauen ein Universelles liegt; sonst würde er ja aus dem menschlichen Egoismus heraus schaffen. Aber in diesem Gegenüberstellen, Sich-Gegenüber­stellen dem Menschen auch als einem Objekte liegt zugleich die Möglichkeit, unendlich vieles zu sehen, was vorhergehende Zeiten nicht sehen konnten. Was hätte denn überhaupt die ganze Kunst für einen Sinn, wenn sie nur die Wirklichkeit wiedergeben würde so, wie die Menschen sie sehen? - Gerade dasjenige soll die Kunst wiedergeben, was im gewöhnlichen Leben nicht ge­sehen wird. Es ist natürlich, da wir es mit dem Zeitraum zu tun haben, der die Ausbildung der Bewußtseinsseele gibt, daß der Mensch vor allem auf den Menschen selber hingerichtet ist, auf dasjenige, was sich durch den Menschen aussprechen läßt. Wenn der alte Künstler, der Künstler des vierten nachatlan­tischen Zeitraumes, wie ich es Ihnen oft charakterisiert habe, mehr aus dem inneren Sich-Erfühlen heraus geschaffen hat, aus dem inneren Sich-Erleben heraus, schafft der Künstler des fünften nachatlantischen Zeitraumes aus dem Anschauen heraus. Und Rembrandt ist der entschiedenste Anschauungskünst­1er. Aber dies gibt für den Menschen künstlerische Selbsterkenntnis, und ich glaube, daß man durchaus nicht auf etwas Zufälliges hinweist, wenn man auf die Tatsache hinweist, daß Rembrandt so viele «Selbstbildnisse» gemacht hat. Ich glaube, daß das einen tiefen, einen bedeutungsvollen Sinn hat, daß er immer wieder und wiederum künstlerische Selbsterkenntnis suchen mußte, nicht bloß, weil ihm die eigene Gestalt das bequemste Modell war - sie war ja nicht das schönste, denn Rembrandt war kein schöner Mensch -, sondern weil es sich ihm darum handelte, den Zusammenklang desjenigen, was im Inneren

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lebt, mit dem, was man von außen beobachten kann, gerade da immer mehr und mehr zu verspüren, wo es sich beobachten läßt, nämlich am Selbstporträt. Einen tieferen inneren Grund hatte es wohl, daß der erste große Maler des fünften nachatlantischen Zeitraumes so viele Selbstporträts machte.

So könnten wir noch lange in einzelnen Bemerkungen über Rembrandt sprechen. Aber alles das würde nichts anderes liefern können, als darauf auf­merksam zu machen, wie Rembrandt wirklich eine isolierte Erscheinung ist, aber in seiner Isoliertheit schafft aus dem Quellenborn des mitteleuropäischen Geisteslebens heraus, gerade aus dem heraus, was so charakteristisch ist für dieses Geistesleben: hinzuschauen auf die Wirklichkeit, aber nicht mit einem Blick, der nur realistisch die Wirklichkeit sehen will, sondern mit einem Blick, der sich befruchtet mit dem, an dem sich der Blick überhaupt befruchten kann, - mit der elementaren wogenden Welt, also beim Maler mit Hell-Dunkel auf den Farbenwogen, um an der äußeren Wirklichkeit nur die Gelegenheit zu haben, dieses Weben und Leben im Hell-Dunkel und in der Farbenwelt entwickeln zu können.

Und nun wollen wir sehen, wie sich das bei Rembrandt verfolgen läßt, wenn wir einzelne charakteristische seiner Bilder auf unsere Seele wirken lassen. Dies ist eine

496 Darstellung Jesu im Tempel

Sie werden ja gleich bei diesem Bilde sehen, wie sich das in der Wirklich­keit zeigt, was angedeutet worden ist. Man muß immer nur im Auge behal­ten bei Rembrandt, daß man, steht man dem farbigen Bilde gegenüber, auch durchaus das Gefühl hat, daß aus der Farbe heraus lebt, was schon im Hell-Dunkel veranlagt ist. Man wird, wenn man dieses und andere Bilder aus der biblischen Geschichte, die er gemalt hat, auf seine Seele wirken läßt, schon den Unterschied bemerken, den zum Beispiel Rembrandt zeigt gegenüber, nun, sagen wir, Rubens oder auch den italienischen Malern. Bei ihnen haben wir es überall zu tun mit solcher Wiedergabe der biblischen Gestalten, welche auf der Legende beruhen. Bei Rembrandt haben wir es zu tun mit der Wiedergabe der biblischen Gestalten, die hervorgegangen sind aus einer Persönlichkeit,

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welche die Bibel selbst las. Bedenken wir, daß die Zeit, in die Rembrandts Schaffen hineinfiel, ja gerade mehr oder weniger der Höhepunkt derjenigen Zeit war, in welcher der Katholizismus, der Jesuitismus namentlich, darauf aus war, den großen Kampf aufzunehmen gegen alles Bibellesen. Bibellesen war dazumal verpönt; man durfte die Bibel nicht lesen. Hier auf diesem hol­ländischen Grund nun, der sich eben frei gemacht hatte von südlichen Ein­flüssen, auch von südlicher Herrschaft, hier entwickelte sich der Drang, zur Bibel selbst zu gehen. Und aus dem Erleben mit der Bibel selbst - nicht bloß mit der katholischen Legende - sehen wir dasjenige heraus entstehen, auf das Rembrandt so wunderbar sein Hell-Dunkel strahlen läßt. Das Bild ist etwa aus dem Jahre 1628.

497 Simson und Delila

ebenfalls aus dem Jahre 1628 498 Christus in Emmaus

das ist ein Jahr später, 1629.

Nun haben wir ein erstes «Selbstbildnis» von Rembrandt:

528 Selbstbildnis, 1629

Es ist bei ihm die Anordnung selbst der Kleidung so, daß er in entspre­chender Weise sein Hell-Dunkel zur Entwickelung bringen kann. Später hat er sogar sehr geliebt, einen Metallkragen anzuwenden, auf dem das Licht glitzert.

499 Die Heilige Familie das ist von 1630 oder 1631.

500 Porträt

Das ist nun ein Porträtbild, welches ja durchaus Ihnen das bestätigen wird, was ich gesagt habe, Ihnen zugleich aber auch zeigen wird, wie gerade unter diesem Einfluß der künstlerischen Art der Auffassung - also trotzdem etwas durchaus verwendet wird, was die Wirklichkeit in die Phantasie hinaufhebt

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- ungemein tief bedeutsam das Seelische an die Oberfläche tritt. Es ist das Bildnis von Nicolaes Ruts, 1631.

501 Frauenbildnis

502 Der Philosoph

Eine reinste Hell-Dunkel-Studie, an der man empfindet eben dasjenige, was ich versuchte, Ihnen ganz in Kürze zu charakterisieren, daß das eigent­liche Kunstwerk dasjenige ist, zu dem all das, was hier um die Gestalt herum ist, die Architektur und so weiter, nur die Veranlassung gibt; das wirkliche Kunstwerk ist die Lichtverteilung.

503 Die Ruhe auf der Flucht

504 Alte Frau

505 Die Anatomie des Professor Tulp, 1632

506 Rembrandt und Saskia

Nun haben wir ein Bild Rembrandts mit seiner Frau Saskia vor dem Spiegel.

507 Rembrandt mit Saskia

Noch ein Bildnis von Rembrandts Frau:

522 Saskia mit der roten Blume, 1641 auch

508 Bildnis eines Orientalen, 1635

Es ist sehr interessant, was Herman Grimm erlebt hat und erzählt. Er hat ja das Kinetoskop in den Universitätsunterricht eingeführt. - Nun zeigt es sich ja auch bei anderen Gelegenheiten, wieviel man gewinnen kann durch Lichtbildapparate in der Auffassung künstlerischer Werke. - Bei einer Rem­brandt-Vorlesung bekam Herman Grimm die Bilder etwas spät, so daß die Vorlesung beginnen mußte, und er hatte selber die Sache noch nicht geprüft, entwickelte also die Bilder, indem er sie selber erst sah, und besprach sich mit

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seinen Zuhörern, unter denen stets ältere Leute waren. Und nicht wahr, wäh­rend sonst die Hörsäle ja beleuchtet sind und mehr oder weniger Aufmerk­samkeit herrscht, manchmal mehr, manchmal weniger, da trat in diesem un­gewöhnlichen Zustand - der Hörsaal war ja verfinstert - etwas ein bei der damaligen Vorführung von Rembrandt: Die Zuhörer - durchaus Leute, die schon etwas wußten von diesen Sachen - mußten immer wieder betonen, so erzählt Herman Grimm selbst, wie, hervorgerufen durch die übrige Dunkel­heit, durch die Art, wie das Lichtbild wirkt - wie man wirklich durch die Lebendigkeit, die Rembrandt erreicht, das Gefühl hatte, daß sich eine solche Gestalt unmittelbar unter den Anwesenden befindet. Sie ist hereingestellt. -Und würden Sie sich auch noch dieses notwendige Beiwerk hier wegdenken, würden wir nur das Lichtbild haben, dann würden wir auch besonders klar und deutlich das haben, wie einfach um Einen vermehrt ist unsere Menschen-zahl hier - so energisch lebt das unter uns. Und das ist eben gerade bei Rem­brandt erreicht, daß er hineinstellt seine Gestalten in das, in dem ja der Mensch immer drinnen steht, nur wird er sich dessen nicht bewußt, nämlich in das Hell-Dunkel. Dieses gemeinsame Hell-Dunkel, das gießt er aus über die Ge­stalten, und deshalb stellt er alle seine Gestalten in die Wirklichkeit hinein. Er ist nicht ein Schaffer, indem er nur so hineinstellt seine Gestalten in das Hell-Dunkel, sondern er stellt sie in das Lebendige hinein, indem er mit seinem Hell-Dunkel ein Gemeinsames mitgibt und in diesem etwas gibt, in dem der Zuschauer auch lebt. Das ist so das Bedeutende bei ihm gerade.

5C9 Kreuzabnahme, von 1633

Hierinnen sehen Sie, was ich Sie bitte zu berücksichtigen, eine Art von Anlauf zu einer Komposition. Aber man wird doch sagen müssen: die Kom­position als solche ist ziemlich verunglückt und entspricht jedenfalls nicht dem, was man in südlicher Kunst das Kompositionelle nennt. Sehen Sie da­gegen auf das eigentlich Rembrandtsche, wie wir es charakterisieren mußten, so werden Sie auch hier wirklich überall in der Verteilung der Lichtmassen sehen unendlich Geheimnisvolles heraussprechen aus dem Bilde. Die Kompo­sition ist wirklich nicht sehr bedeutend; aber dennoch macht das Bild einen

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außerordentlich tiefen Eindruck, wie ich glaube. - Zeigen wir gleich das nächste:

510 Grablegung, von 1639

Dieses Bild und das nächste (511) führe ich Ihnen hier vor, obwohl ich eigentlich das übernächste Bild (512) hier zeigen müßte. Aber ich bitte Sie, sich gerade diese zwei Bilder (510, 511) anzusehen und sie dann zu verglei­chen mit dem, das folgen wird, dem aber der Zeit nach diese zwei Bilder höchst wahrscheinlich vorangegangen sind. Ich möchte daran anschaulich machen, indem ich diese zwei Bilder vorwegnehme, wie Rembrandt in dieser Zeit - es liegen etwa zwei Jahre zwischen diesen Bildern und dem dritten, das dann folgen wird - sich wirklich vervollkommnet hat. Er war ja fortwährend, wie ich sagte, ein Ringender. Wenn wir dieses Bild (510) und das nächstfolgende:

511 Auferstehung, von 1639

vergleichen in bezug auf Verinnerlichung mit dem dritten (512), so sehen wir, wie Rembrandt gestiegen ist in diesen drei Jahren:

512 Himmelfahrt, von 1636

Dieses Bild hätte ich also zeitlich eigentlich anreihen müssen an die «Kreuz­abnahme» (509) und dann würden wir zu der «Grablegung» gekommen sein, die tatsächlich einen Ruck nach vorwärts bedeutet:

510 Grablegung, von 1639

Damit sind wir schon gegen das Jahr 1640 in Rembrandts Schaffen her­angekommen oder wenigstens in die letzten der dreißiger Jahre.

513 Die Predigt des Johannes

514 Das Opfer Abrahams

515 Wie Abraham die drei Engel bewirtet

516 Wie der Erzengel Raphael den Tobias verläßt

517 Die keusche Susanna

520 Die Hochzeit des Samson

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Nun zwei Proben Rembrandtscher Landschaften:

518 Die Landschaft mit dem barmherzigen Sarnariter

519 Die Landschaft mit der Bogenbrücke

Daran anschließend:

521 Die Heimsuchung der Maria

522 Saskia mit der roten Blume

Das nächste Bild wird gewöhnlich genannt:

524 Die Eintracht des Landes

Nun haben wir hier eines derjenigen Bilder, die ja zu den berühmtesten von Rembrandt gehören:

525 Der Aufzug der Amsterdamer Bürgergarde in der Nacht

die Schützenkompame, - eine ganze Menge von Gestalten. Solche Bilder haben auch andere Maler gemalt in dieser Zeit, wenigstens in dieser Art; aber hier bei Rembrandt haben wir ja eines in besonderer Vollendung. Solche Bilder zeigen im besonderen, wie der Maler wurzelt in seinem Volkstum. Die ganze Gesellschaft, irgendeine Gilde oder dergleichen, zusammengehörige Leute eines Standes, Berufes und so weiter, sie haben sich dieses Bild bestellt; jeder zahlte seinen Anteil daran. Derjenige, der hier auf diesem Bilde nur den hal­ben Kopf zeigt, der war dann natürlich sehr böse, da gab es sehr viele Ver­drießlichkeiten für Rembrandt dadurch, daß einer sich nicht in seiner vollen Herrlichkeit darauf sah. Das Bild, das also den Aufzug der Schützengarde in der Nacht zeigt - die «Nachtwache» würden wir sagen -, zeigt gerade in der allerschönsten Weise, wie Rembrandt fortgeschritten ist in der wunderbaren Ausarbeitung des Hell-Dunkel-Bildes. Und nun sind wir unmittelbar an dem Zeitpunkt angekommen, den man eben mit Recht als den Zeitpunkt der Vertie­fung Rembrandts auffassen kann. Dieses Bild ist schon 1642 entstanden; in das Jahr 1642 fällt auch der Tod der Frau, die wir vorhin hier im Bilde, im Ge­mälde gesehen haben (522) und auf den Bildern mit ihm zusammen (506, 507).

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523 Die Dame mit dem Fächer

526 Die Heilige Familie

ich glaube, man kann gerade an diesen Bildern eine gewisse Abgeklärtheit empfinden, indem man fortschreitet von früheren zu diesen Bildern.

Nun wollen wir einige «Selbstbildnisse» nacheinander zeigen:

530 Selbstbildnis 1645, Radierung

Ein anderes

531 Selbstbildnis 1657

Und noch ein weiteres

532 Selbstbildnis 1660

Dann haben wir eine

527 Anbetung der Hirten

Und dann das bekannte Blatt:

563 Der Leser am Fenster - Jan Six, Radierung

Nun bitte ich Sie, dieses in seiner Anspruchslosigkeit, möchte ich sagen, eines der besonders charakteristischen Bilder zu beachten, bei dem das Sub­jekt selber dazu benützt ist, um im Lichte den Leser zeigen zu können, so daß hier gewissermaßen das Licht selber zum Inhalte gemacht ist, auch zum no­vellistischen Inhalte.

534 Sus anna und die beiden Alten 535 Bildnis eines Malers

Und nun haben wir wiederum einen «Christus in Emmaus»:

536 Christus in Emmaus

Das Bild ist von einer ungeheuren Innigkeit. - Wir sind nun schon ange­langt beim Jahre 1648.

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537 Die Vision des Daniel

Das ist ein Bildnis von

538 Rembrandts Bruder Adrian

539 Christus und die Ehebrecherin

Aufmerksam darauf zu machen ist, daß bei den weitaus meisten Bildern Rembrandts Christus durchaus nicht schön ist.

540 Junge Frau vor dem Spiegel

Und nun dieses wunderschöne Rembrandtbild: die Frau, die eben das Buch aufmacht, um zu lesen

541 Lesende alte Frau, um 1654

542 Ein Krieger in Rüstung

Nun das feine Bildchen von dem Sohn Titus:

543 Rembrandts Sohn Titus

Der sogenannte «Polnische Reiter»:

544 Der polnische Reiter

Was Rembrandt ist, man würde es zum Beispie se en, wenn man neben diesem Bilde hätte, sagen wir ein Bild von Rubens, auf dem ein Roß ist; dann würde man sehen den ganzen Unterschied in der Auffassung des Rembrandt und des Rubens. Dieses Pferd läuft; es ist wirklich ein lebendiges Pferd. Kein Rubenssches Pferd läuft wirklich:

544a Rubens Philipp II. von Spanien zu Pferde

Man glaube aber nicht, daß das nicht zusammenhängt mit der Auffassung aus dem Lichte heraus. Derjenige, der auf die Anschauung hinarbeitet und wiedergeben will die Wirklichkeit, der wird niemals etwas anderes geben können als die erstarrte Form im Grunde genommen doch; selbst wenn malerisch

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noch so viel erreicht wird, wird doch immer auch ein bißchen von dem erreicht, was man nennen könnte: es ist ein bißchen Starrkrampf über dem Ganzen ausgegossen. Derjenige, der den Augenblick festhält in dem weben-den Elemente, in der sich regenden Umgebung, also nicht aus der äußeren Wirklichkeit heraus schafft, sondern die Gestalten in die Wirklichkeit hinein­stellt, nämlich in die elementarische Welt, der bringt den Eindruck des Be­wegten zustande:

544 Der polnische Reiter

545 Der Arzt Tholinx

546 Jakob segnet Manasse und Ephraim

547 Die Anbetung der Könige, der Magier

548 Alte Frau, sich die Fingernägel schneidend

Nun sehen Sie einmal: schneidet nicht diese alte Frau wirklich sich die Nägel?

550 Geißelung

551 Jakob ringt mit dem Engel

552 Das Mahl des Julius Civilis

des Führers der Bataver gegen die Römer.

549 Die Dame mit dem Straußenfächer

553 Die Staalmeesters

Nun haben wir hier wiederum ein solches Bild, das auf gemeinsame Be­stellung der hohen Herren, die darauf sind, gemalt ist, das aber deshalb trotz­dem zu den größten Meisterwerken von Rembrandt gehört. Sehen Sie nur, in welcher ungeheuren Einfachheit die hohen Herren sind, diejenigen Herren, welche die Aufgabe hatten, die gemachten Tuche zu untersuchen und die Sie­gel darauf zu drücken zum Zeichen, daß die Tuche in Ordnung sind, also die eigentlichen Vorsteher der Tuchmachergilde, die Staalmeesters. Die be­zahlten selbstverständlich gemeinsam dieses Bild; aber hier mußte Rembrandt, da dies besonders hohe Herren waren, darauf Rücksicht nehmen, daß kein

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Gesicht verdeckt war, sondern jedes Gesicht ordentlich hervortrat. Das ist aber auch bei aller hohen künstlerischen Vollendung dieses Bildes erreicht. Soweit sind ja die Herren doch nicht gegangen, wie die sezierenden Universi­tätsprofessoren der «Anatomie», von denen einer einen Zettel in der Hand hat, auf dem ihre Namen stehen

505 Die Anatomie des Professors Tulp, von 1632

554 Bildnis einer alten Dame

Wiederum ein Selbstbildnis:

533 Selbstbildnis 1663

Und dann noch ein Werk aus dem hohen Alter Rembrandts:

555 Die Rückkehr des verlorenen Sohnes

Nun möchte ich Ihnen noch das bekannte «Faustbild» zeigen:

564 Doktor Faust, Radierung

Wenn man dieses sieht, dann denkt man an das, was ich in einer dieser Betrachtungen angeführt habe: wie Goethe dieses «Weben im Lichte» selber als dem 16. Jahrhundert angehörig in seinem «Faust» beschreibt, wie es aber von Rembrandt schon früher gezeigt worden ist.

Ich möchte durchaus bemerken, daß es, um Rembrandt voll kennenzu­lernen, auch nötig ist, sich in seine Radierkunst einzulassen, wie überhaupt die besondere Vorliebe, besondere Hingebung für die Radierkunst durchaus jener Strömung angehört, der sich Rembrandt mitteilen wollte, und daß er als Ra­dierer durchaus so groß und bedeutend dasteht wie als Maler.

558 Die Kreuzabnahme, Radierung

557 Der Zinsgroschen, Radierung

559 Ecce homo, Radierung

567 Christus am Ölberg, Radierung

565 Christus heilt die Kranken, Radierung

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das sogenannte «Hundertguldenblatt»: «Kommet her zu mir alle, die ihr müh­selig und beladen seid...».

Wir sehen darauf, wie nun wirklich das Schöne der Rembrandtkunst gerade in diesen charakteristischen Gestalten, die um die Christusgestalt herum sind, zum Ausdruck kommt.

566 Die drei Kreuze, Radierung

Und jetzt wollen wir zu den Ihnen gezeigten Selbstbildnissen noch eines hinzufügen als Schlußbild, ebenfalls eine Radierung:

529 Selbstbildnis, Radierung, 1639

Wir konnten heute in Rembrandt und seiner großen Verschiedenheit von dem, was wir vorher gesehen haben - denn eigentlich haben wir ja nur auf­leuchten sehen dasjenige, was bei Rembrandt in besonderer Höhe erscheint, bei Dürer -, wiederum einen ganz anderen Künstler sehen als diejenigen waren, die wir kennengelernt haben, allerdings wieder einen einzigartigen, der, wie ich sagte, isoliert dasteht. Es ist wohl ganz besonders reizvoll, in dieser fort­laufenden Kunstbetrachtung sich einzulassen gerade auf das Charakteristische im individuellen Schaffen der einzelnen Persönlichkeiten. Und Rembrandt ist besonders geeignet, den Blick zu werfen auf dieses Unmittelbar-Individuelle einer starken, einer kräftigen, einer gewaltigen Persönlichkeit, die da heraus-leuchtet aus dem 17. Jahrhundert. Und in einer solchen Zeit, wie die jetzige es ist, mag es schon ganz bedeutsam sein, hinzublicken in eine solche Zeit, in der neben Verwüstung, die in Europa Platz gegriffen hat, ein unmittelbares Schaffen stattfindet aus einer Menschenseele heraus, von der man schon glauben darf, daß sie mit den ursprünglichen Elementen des Weltendaseins in einem unmittelbaren Zusammenhang steht. Hoffentlich gelingt es uns, solange wir noch hier zusammen sein können, auch noch einiges andere Ihnen aus der Fortentwickelung der Kunst zeigen zu können.

ZU VORTRAG V VI NIEDERLÄNDISCHE MALEREI vornehmlich des 15. Jahrhunderts Dornach, 13. Dezember 1916

#G292-1981-SE161 Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse

#TI

ZU VORTRAG V

VI

Das auftretende Wirken der Bewußtseinsseele in der Kunst

des fünften nachatlantischen Zeitraums.

NIEDERLÄNDISCHE MALEREI

vornehmlich des 15. Jahrhunderts

Dornach, 13. Dezember 1916

#TX

Wir werden Ihnen heute eine Reihe von Bildern vorführen, welche einen Teil der Entwickelung der niederländischen Malerei, der niederländisch­flandrischen Malerei, in die Zeit des 15. Jahrhunderts herein bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts zeigen sollen. Wir weisen damit gerade auf einen in innergeschichtlicher Entwickelung auch allerwichtigsten Zeitpunkt in der Kunstentwickelung hin. Das können Sie ja vor allen Dingen daraus ersehen, daß wir damit in bezug auf die Kunstentwickelung unmittelbar in der Zeit ste­hen nach dem Anbruch des fünften nachatlantischen Zeitraumes, also desje­nigen Zeitraumes, der berufen ist, herauszugestalten aus der Menschheitsevo­lution alles dasjenige, was zusammenhängt mit der Entwickelung der Bewußt-seinsseele. Und wenn man es nur einigermaßen dahin gebracht hat, kein nach modernem Zuschnitt gebildeter Kunsthistoriker zu sein, so wird man vielleicht wenigstens ein elementares Verständnis entgegenbringen können demjenigen, was sich gerade an einer charakteristischsten Stelle wie in diesem Abschnitt «Niederländische Malerei» künstlerisch so zum Ausdruck bringt, daß man in jeder Einzelheit sieht dieses Wirken, dieses auftretende Wirken der Bewußt­seinsseele. Wenn man allerdings ein nach modernstem Zuschnitt gebildeter Kunsthistoriker ist, wozu ja selbstverständlich gehört, daß man einen solchen Kunsthistoriker wie Herman Grimm für einen ganz untergeordneten Geist ansieht, wenn man ein solcher Kunsthistoriker zu sein nicht das Unglück hat, so wird man, selbst wenn man gar nichts weiß von den Gesetzen der Im­pulse, die wir kennengelernt haben in der Geistesentwickelung für die Menschheitsevolution,

#SE292-162

finden, daß gerade in der Kunstentwickelung die wunderbarste Bestätigung liegt für dasjenige, was Geisteswissenschaft, sagen wir namentlich für die Unterschiede des dritten, vierten, fünften nachatlantischen Zeitraumes aufweist. Und es ist interessant zu sehen, wie langsam und allmählich in den Jahrhunderten dieser Zeiträume herauskommt, was heute eigentlich als das Grundgeiüst der Kunstanschauung anzusehen ist, und wie die einzelnen Ele­mente dieses Grundgerüstes an den verschiedensten Stellen der Menschheits­entwickelung herauskommen.

Sehen Sie, wenn wir zurückgehen in der zeichnerischen, in der maleri­schen Darstellung, so finden wir, daß zum Beispiel die Gesetze der Raumbe­handlung wirklich durch ungeheure Anstrengungen der Menschenseele erst herausgekommen sind. Daher ist die ältere zeichnerisch-malerische Darstel­lung so, daß sie in unserem heutigen Sinne eigentlich nicht eine bildnerische Kunst darstellt, sondern man möchte sagen: nur die auf eine Fläche fixierte Novellistik ist, eine auf eine Fläche fixierte Erzählung. So könnte man selbst Darstellungen noch gar nicht lang hinter uns liegender Zeiten nennen. Ich werde, ohne viel auf historische Gesichtspunkte einzugehen, nur im allgemei­nen heute ein paar Gesichtspunkte angeben. Man kann wahrnehmen, wie man in solchen älteren Zeiten, ohne Rücksicht zu nehmen auf Raumdarstellungen, einfach im Auge hat, irgend etwas, was man auch erzählen kann, darzustellen, und wie man, was man darstellt, eben einfach auf der Fläche fixiert, so daß nebeneinanderstehen die erzählten Dinge auf der Fläche. Wir würden von un­serem Gesichtspunkte aus dieses ja nur als eine Art Illustration heute ansehen können und würden heute sogar schon von der Illustration wünschen, daß sie nicht so vorgeht, Anordnung des Erzählten, des Dargestellten auf der Fläche zu geben.

Eine nächste Stufe besteht darin, daß man versucht, in allereinfachstet Weise die Raumanordnung zu fixieren, indem man das Prinzip der sogenann­ten Überschneidung einführt, das heißt, Veranlassung nimmt, das Sichtbar-werden zu verwenden: etwas deckt ein anderes zu, ist also Vormann; das an­dere ist hinten. Da wird dann schon die Fläche dazu benützt, durch die Über-schneidung die Tiefendimensionen wenigstens anzudeuten.

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Eine nächste Stufe ist diejenige, die man so charakterisieren kann, daß man die einzelnen Figuren gegeneinander vergrößert und verkleinert, wodurch man schon dem Rechnung trägt, daß das, was größer erscheint, mehr vorne ist, das, was kleiner erscheint, mehr rückwärts ist. Wenn wir nun zurückgehen in den dritten nachatlantischen Zeitraum, so finden wir, daß eine Raumbe­handlung durchaus noch nicht vorhanden ist in dem Sinne, wie wir heute von Raumbehandlung sprechen, daß entweder die Anordnung in der Fläche einge­halten wird oder daß der Raum verwendet wird, um den Gedanken auszu­drücken. Und das reicht dann noch herein in den griechisch-lateinischen Zeit­raum. Wir können da in diesem Zeitraum finden, wie entgegen der Art, wie man die Dinge sieht, gewisse Figuren, die augenscheinlich vorne, also dem Zuschauer näher gestellt sein müssen, kleiner sind als Figuren, die vom Zu­schauer weiter entfernt sind. In dieser älteren Zeit gibt man sich etwa einer solchen Behandlung hin: wenn wir zum Beispiel im Hintergrund einen König postiert sehen, im Vordergrund die Untertanen, so macht man die Untertanen kleiner. Sie sind nicht räumlich kleiner, aber sie sind nach der Anschauung der Menschen dem Gedanken nach kleiner - also stellt man sie vorne hin und macht sie kleiner. Das aber bildet dann den Übergang zu etwas, was wir in der älteren Zeit sehr häufig finden können und was wir nennen können die umgekehrte Perspektive im Verhältnis zu dem, was wir Perspektive nennen. Bei der umgekehrten Perspektive müssen wir uns vorstellen, daß die Dinge so fixiert werden, wie sie irgendeine Figur im Bilde selbst sieht. Da können also die vorderen - für uns vorderen - Gestalten kleiner seiri als die rückwärtigen Gestalten, wenn eine rückwärtige Gestalt als diejenige vorgestellt wird, welche eigentlich das Ganze anschaut. Dann muß sich aber der Anschauer einer sol­chen Darstellung vollkommen ausschalten; er muß sich wegdenken oder er muß sich gewissermaßen in das Bild hineindenken, in die Gestalt, in die Per­sönlichkeit hineindenken, die als diejenige gedacht wird, welche das Ganze anschaut. Wir haben es also da zu tun mit einer unpersönlichen Perspektive. Eine solche unpersönliche Perspektive war noch angemessen dem vierten nachatlantischen Zeitraum, in dem die Bewußtseinsseele in der Art, wie sie bewußt später geboren wurde, noch nicht geboren war. Der Mensch des fünften

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nachatlantischen Zeitraumes kann sich nicht selber vergessen, sondern er muß eine Darstellung verlangen, die auf seinen Augenpunkt hingeordnet ist. Daher tritt eigentlich die strenge Kunst der Perspektive auf den Augenpunkt des Anschauers hingeordnet erst auf mit Brunellesco, mit dem die Renaissance im wesentlichen beginnt.

Nun kann man sagen: In diesem Zeitpunkt wird eigentlich erst das, was wir heute Perspektive nennen, richtig eingeführt in die Kunstbehandlung. Und der Süden ist aus den Impulsen heraus, die ich Ihnen bei früheren solchen Be­trachtungen gekennzeichnet habe, der Erfinder der Perspektive. Denn dem Süden kommt es an auf Hinordnung, Anordnung in die Raumesverhältnisse hinein; dem Süden kommt es an auf das Extensive. Daher ist er auch vor allen Dingen in der Kunst des Kompositionellen zur Meisterschaft geeignet. Und so sehen wir denn später von der Renaissance befruchtet im Süden das kom­positionelle Element im Zusammenhang mit alldem, was ich schon dargestellt habe als das Eigentliche emporkommen und bis zur hohen Vollendung kom­men. Damit also wird etwas in der Kunst zum Ausdruck gebracht, was man nennen kann: Zusammenfassung von Wesenheiten im Raume, so daß dabei der Mensch als Beschauer mitgedacht wird, wie es entspricht dem Zeitalter, in dem die Bewußtseinsseele geboren wird, das heißt: der Mensch seiner selbst bewußt wird.

Nun sehen wir im Süden und in alldem, was mit der südlichen Kultur so zusammenhängt, wie ich es schon dargestellt habe, dieses Prinzip der Perspek­tive so auftreten, daß wir sehen: es wird naturgemäß aus dieser Südkultur heraus eigentlich richtig entwickelt. Dagegen wird ein anderes Prinzip im Norden entwickelt, und wir sehen es, ich möchte sagen: im Status nascendi, im Momente des Entstehens, wenn wir den Blick hinrichten auf die Brüder van Eyck.

Wenn wir den Blick richten auf die Brüder van Eyck, zunächst auf Hu-bert van Eyck, dann auf seinen Bruder Jan van Eyck, so sehen wir in ihnen dasjenige auftreten - allerdings noch in einer ganz anderen Form -, was später so herauskommt, wie ich es Ihnen charakterisieren konnte, zum Beispiel bei Rembrandt. Aber wir sehen dieses Prinzip herauswachsen aus dem mitteleuropäisch-nordischen

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Elemente; und solche Dinge drücken sich ja auch durch äußere, ich möchte sagen: reale Symbole aus. In Brunellesco hat man den eigentlichen Erfinder der neuzeitlichen Perspektive zu denken. Denn die ältere Perspektive, wie sie den griechischen Reliefdarstellungen zugrunde liegt, die hat zum Beispiel nicht dasjenige, was man einen Fluchtpunkt nennt, sondern eine ganze Fluchtlinie; so daß also nicht die Sache so dargestellt wird, wie wenn in einem Punkte zusammenlaufen würde, was man überschaut, sondern in einer ganzen Fluchtlinie; darin ist sogar der radikale Unterschied der älte­ren Perspektive gegenüber der neuzeitlichen Perspektive, der Perspektive des fünften nachatlantischen Zeitraumes zum Ausdruck gekommen. Wie nun im Süden durch Brunellesco die Perspektive gefunden wird, so wird im Norden -und es ist ja nicht bloß eine Tradition, sondern es ist etwas tief Wahres daran -die Olmalerei gefunden. Und wenn auch nicht Hubert van Eyck allein die 01-malerei gefunden hat, so ist es doch so, daß in dem Zeitalter und aus dem Mi­lieu heraus, aus dem er geschaffen hat, diese Olmalerei gefunden worden ist. Was heißt denn das aber eigentlich? Woher kommt so etwas? Denn die 01-malerei wird dann ja nach dem Süden getragen. Die Perspektive wird von der südlichen Kunst nach dem Norden genommen, die Olmalerei wird von dem Norden nach dem Süden getragen! Was heißt denn das? - Das wurzelt tief im ganzen Grundcharakter, in der ganzen Grundseelenstimmung des Nordens, also Mitteleuropas. Der Süden hat mehr Talent für das Sich-Fügen in die Gruppe; der Süden hat mehr noch Anhänglichkeit an die Gruppenseele als solche. Daher bezeichnet sich der Süden gern als zu irgendeiner Gruppe ge­hörig und hat wenig Verständnis für das Individuelle. Das müßte man natür­lich durchaus berücksichtigen; denn die Völker werden sich nie verstehen, wenn sie sich nicht Mühe geben, die besonderen Charakteristiken ins Auge zu fassen. Wenn ein in romanischem Geiste Erzogener, also mit südlichem Cha­rakter Impulsierter, von seiner Zugehörigkeit zum Volkstum spricht, sich einen Patrioten nach der einen oder anderen Richtung nennt, so meint er etwas ganz anderes, als wenn der Mitteleuropäer von Patriotismus spricht. Denn für alles dieses Zusammengehörige, dieses die Menschen in Gruppen Zusammen­fassende, ist eigentlich in Mitteleuropa kein Talent vorhanden. Da ist das Talent

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für das Individuelle; und der ursprüngliche Charakter Mitteleuropas kommt zum Vorschein eben in der Anerkennung des Individuellen, daher zu­nächst in der Zeit der Entwickelung der Bewußtseinsseele in der Anerkennung des Persönlichen, des Menschlich-Individuellen. Wenn man im Gruppenhaf­ten, also im extensiv Ausgedehnten das Wesentliche sieht, dann lebt man so-zus agen auch in dem Kompositionellen; dann hat man das Vers tandnis fur dieses Kompositionelle. Wenn man Verständnis hat für das Individuelle, dann will man das Individuelle von innen heraus gestalten; man sieht nicht den Geist wie Fangarme ausstreckend und eine Gruppe zusammenhaltend, sondern man sieht den Geist in jedem einzelnen; man stellt die einzelnen individuellen Dinge zusammen und sieht den Geist in jedem einzelnen, das heißt: man will dasjenige, was im Inneren, im Seelenhaften ist, an die Oberfläche des Körper­lichen bringen.

Das geschieht nun nicht durch die Perspektive, sondern das geschieht durch die lichtdurchflossene Farbengebung. Und daher kommt es, daß die ur­germanischen Brüder van Eyck gerade der Ausgangspunkt sind für die mo­derne Farbengebung, die Farbengebung, welche in der Farbe selber versucht, dasjenige festzuhalten, was aus dem Individuell-Seelischen an die Ober­fläche des Körperhaften tritt. Und so sehen wir, daß ihre eigentliche Inner­lichkeit die Brüder van Eyck und ihre Nachfolger aus diesem nordisch-mittel­europäischen Elemente hernehmen. Und dasjenige, was in ihren Darstellungen allmählich als Kompositionelles eindringt, das nehmen sie von Frankreich, von Burgund herüber.

Nun ist es keineswegs ein Zufall, daß diese besondere Entwickelung, diese charakteristische Entwickelung im 15. Jahrhundert gerade in die Zeit hineinfällt, in der die Gegenden, in denen diese Maler leben, noch nicht festes staatliches Gefüge haben. Dieses staatliche Gefüge wird ihnen dann erst über-gegossen vom Süden her, von Frankreich, und namentlich von Spanien. Das­jenige, was sich dazumal ausdehnt in den nördlichen und südlichen Nieder­landen, das sind eigentlich individuelle Städtebildungen, die nur sehr wenig staatsmäßig zusammenhingen. Das ist eine Zeit, in der in dieser Gegend die Leute kein Talent haben, daran zu denken, daß Menschen gruppenmäßig zusammengehalten

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werden müssen durch Staatsgebilde, bei denen das Staatsge­bilde die Hauptsache ist, und es darauf ankommt, daß gerade so und so weit dieses Staatsgebilde im Raume sich ausdehnt. Den Leuten, aus denen empor­gewachsen sind die Brüder van Eyck, kommt es gar nicht darauf an, welchem Volkstum sie angehören, wie weit sich irgend etwas, was sie Staaten nennen, an das sie überhaupt nicht denken, ausdehnt, sondern es kommt ihnen darauf an, daß Menschen, vollwertige Menschen sich entwickeln, gleichgültig, zu welcher Gruppe sie gehören. Und so sehen wir in den südlichen Niederlands­gegenden, in den flandrischen Gegenden, wie in einer sinnigen und innigen Weise des Menschen Inneres in die Körperoberfläche herausgeholt wird da­durch, daß eben gerade dasjenige, was die Farbe in die individuell-seelische Charakteristik bringen kann, was lichtdurchflossen ist, in das Bild hineinge­heimnißt wird. Und wir sehen dann, wie die nordisch-niederländische Bürger­lichkeit in den südlichen Aristokratismus sich hineinerstreckt, und wie gerade aus dieser Bürgerhaftigkeit dasjenige hervorgeht, was den einzelnen Menschen so recht hineinstellt in die Welt und was damit künstlerisch wirklich eine Art Überwindung der Gruppenhaftigkeit ist.

Dabei können - und wir werden das gleich bei den ersten Bildern heute sehen -, dabei können geradezu großartige Massenentwickelungen auf diesen Bildern auftreten. Aber diese Massenentwickelungen sind nicht so, daß sie von vornherein gruppenhaft gedacht werden, daraufhin konstruiert sind, daß sie so und so verteilt sind und raumhaft zusammengehören, sondern es entstehen die Gruppen dadurch, daß jede einzelne Wesenheit voll wichtig ist und sich neben die anderen hinstellt.

Das also ist es, was wir gerade aus diesem Stück Kunstentwickelung wer­den ins Auge fassen können. Wir werden sehen bei den Brüdern van Eyck gerade, ich möchte sagen, eine vielfach noch zurückgebliebene Raumanord­nung, aber trotz dieser zurückgebliebenen Raumanordnung eine hohe Inner­lichkeit und ein Anpassen an dasjenige, was man sieht, ohne Rücksicht zu nehmen auf irgend etwas konventionell Feststehendes. Und so sehen wir denn, daß hier der andere Pol des Eingehens auf die physische Wirklichkeit ist, künstlerisch, wie das dem fünften nachatlantischen Zeitraum angemessen

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ist. Der andere Pol - denn der eine ist im Norden - geht von der italienischen Kunst, von der Kunst der Renaissance aus. Dort das Kompositionelle, und alles übrige gewissermaßen dienend dem Kompositionellen; im Norden das­jenige, was von innen heraus schafft, und was sich erst allmählich dazu durch-ringt, aus der Zusammenstellung des verinnerlichten Individuellen ein Kom­positionelles herauszuarbeiten. Dieses bedingt dann, daß die eine Seite des naturalistischen Kunstprinzips des fünften nachatlantischen Zeitraumes eben hier eigentlich eine ihrer Ursprungsstätten hat. Es wird in die unmittelbar den Menschen umgebende Wirklichkeit das Erzählende hineingestellt. Aus dieser den Menschen unmittelbar umgebenden Wirklichkeit war herausgenommen zum Beispiel die biblische Geschichte, wenn sie künstlerisch dargestellt wird in älteren Zeiten. Diese Zeit beginnt, die biblische Geschichte hineinzustellen in die unmittelbar naturalistische Wirklichkeit. Niederländische Menschen stehen vor uns und sind die Gestalten der biblischen Geschichte. Dasjenige, was früher sich von der äußeren, näturalistischen Welt abgeschlossen hat, ich will sagen, der Goldhintergrund, dasjenige, was so zur Darstellung kam, das hört auf zu sein. Auf dem Boden, auf dem wir selbst stehen, gehen und stehen auch die biblischen Szenen.

Das aber verknüpft sich unmittelbar wie selbstverständlich damit, daß überall in der Umgebung des Menschen entweder auftritt die Behandlung des Raumes als Innenraum oder die Behandlung des äußeren Raumes. Ich möchte sagen: Der Raum hat aufgehört, selber in der Komposition des Bildes zu le­ben; dafür muß er auf das Bild versetzt werden, muß im Bilde selber auftre­ten. Wie kann er auftreten? Nun indem man einen Teil des Bildes selber als Raum gestaltet. Das heißt, daß man einen Innenraum, ein Zimmer oder irgend etwas nimmt und die Gestalten hineinstellt; oder aber, indem man den Raum gestaltet so, wie er sich naturalistisch um den Menschen herum gestaltet als Landschaft. Daher sehen wir ganz naturgemäß mit alldem, was in der geschil­derten Weise als die neuzeitlichen Impulse gerade diese niederländische Kunst durchsetzt, in großartiger, in gewaltiger Weise die Landschaft überall in dem Hintergrund oder sonst auftreten. Und am schönsten, am blühendsten entwik­kelt sich diese Kunst in der Zeit der Freien Städte, in der Zeit, in der in jenen

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Gegenden jede Stadt stolz ist auf ihre Unabhängigkeit, in der sie kein Bedürf­nis hat nach territorialem Zusammenschluß mit anderen Städten. Da entwik­kelt sich ein gewisses internationales Bewußtsein. Und dieses ganze Freisein von Gruppengesinnungen, das ist hervorwachsend aus dem urtüchtigen ger­manischen Bürgertum gerade jener Gegenden, jener Zeit, aus dem Nord- und Süd-Niederländischen, das nur ganz wenig influenziert ist von dem Komposi­tionellen des Südens; es ist hervorwachsend aus dem Nord- und Süd-Nieder­ländischen, das nur ganz wenig influenziert ist von dem Kompositionellen des Südens, nur insofern influenziert ist, als es angrenzt an den Süden, das aber gerade aus der demokratischen Bürgertüchtigkeit heraus auch das Künstleri­sche schafft, seine Blüte entfaltete, bis in jene Zeiten hinein, wo wiederum Gruppengesinnung, ich möchte sagen: die Sache überdeckt.

So ist die Zeit der Kunstentwickelung, die wir heute vorführen, auch zu­gleich eine Zeit der freien Entwickelung der Menschen. Und selbstverständlich, ich müßte jetzt noch sehr vieles sagen; aber ich wollte Ihnen vor allem den welthistorischen Zeitraum fixieren, in den diese Kunstentwickelung hineinge­stellt ist. Und jetzt können wir ja zu dem Aufzeigen einer Anzahl von Bildern unmittelbar übergehen.

Wir beginnen mit dem weltberühmten «Genter Altarbild» der Brüder van Eyck.

433 Hubert und Jan van Eyck Genter Altar, Gesamtbild

Dieses Altarbild besteht aus sehr vielen Teilen. Sie sehen hier das Mittel­stück - wenn die vorderen Flügel aufgemacht sind. Sie sehen da zunächst den oberen Teil davon:

434 Hubert und Jan van Eyck Genter Altar, Teil: Gotivater

Gottvater in der Mitte, im päpstlichen Ornat. Alles aus dem Christlichen des Südens heraus gedacht - Gottvater wirklich wie ein Papst. Aber dasjenige, was ich angedeutet habe, es ist in der künstlerischen Auffassung enthalten. Wenn wir zurückgehen würden, so würden wir finden, daß die frühere Ent­wickelung ganz in christliche Vorstellungen getaucht ist, in traditionell-christliche

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Vorstellungen, wie sie der Klerus den Leuten aufgedrängt hat, wie sie im eminentesten Sinne entsprachen einem aus dem Gruppenbewußtsein heraus-kommenden Denken einer solchen Gesinnung. Und wir sehen ganz aus die­sem heraus das Individuelle sich geltend machen.

Nun die beiden Seitenbilder, die noch zum oberen Mittelteil gehören:

links «Maria», rechts «Johannes».

437 Hubert und Jan van Eyck Genter Altar, Teil: Maria

438 Hubert und Jan van Eyck Genter Altar, Teil: Johannes

Damit sind wir also im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts: 1426 stirbt Hubert van Eyck; sein Bruder macht dieses Altarbild fertig: Jan van Eyck.

Wir werden jetzt die links und rechts vom Mittelteil befindlichen Engel-bilder des Genter Altars vorführen:

439 Hubert und Jan van Eyck Genter Altar, Teil: Musizierende Engel

Sie sehen eine Engelgruppe musizierend, ganz verschieden von dem, was wir heute gesehen haben, selbst, wenn Sie sie mit den Engeln vergleichen in der unmittelbar vorangehenden christlichen deutschen Malerei, wie wir sie bei Stephan Lochner und dem «Kölner Meister» gefunden haben. - Sie sehen den großen Unterschied: Hier haben wir vollentwickelte Menschen als Engel, wenn auch, ich möchte sagen, in kirchlichen Zeremonialgewändern, voll-entwickelte Menschen, nicht mehr wie früher haibkindliche Gestalten. Aber zugleich sehen Sie, wie ein vollständig durchgebildetes Arbeiten in der Per­spektive an einem solchen Gruppenbilde noch nicht eingehalten wird. Es ist durchaus noch in sehr geringem Maße eine Perspektive durchgeführt. Sie se­hen das Ganze, ich möchte sagen, auf der Fläche, teppichartig.

Nun das andere Engelbild von der anderen Seite:

440 Hubert und Jan van Eyck Genter Altar, Teil: Die singenden Engel

Das ganze Bild ist auf Bestellung eines reichen Bürgers für die Kirche St. Bavo, damals die Johannes-Kirche in Gent, gemacht worden, ist jetzt in der Welt zerstreut in den einzelnen Teilen: in Gent, Brüssel und Berlin.

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Und nun kommen wir gewissermaßen zu dem Hauptteil des Bildes, das sich am Altar unterhalb dieser drei befindet:

435 Hubert und Jan van Eyck Genter Altar, Teil: Die Anbetung des Lammes

Hier sehen Sie eines der Grundmotive dieser und der früheren Zeit.

Es ist diese ganze grandiose Darstellung wiedergebend eine religiöse Grundidee, möchte ich sagen, die sich so allmählich im Laufe der Jahrhunderte heraufgebildet hat, und die es zu einer künstlerischen Verkörperung erst brin­gen konnte, als man eben so weit war, künstlerisch das auszudrücken, was man sich dachte als «Anbetung des Lammes». Es hatte sich ja in den Jahrhun­derten der Christenheit allmählich herausgebildet diese Idee von der Erlösung durch das Opfer, von der Befreiung des Menschen durch das Opfer.

Man muß weit zurückgehen, wenn man die ganze Bedeutung dieser Idee ins Auge fassen will. Sie können unmittelbar ein solches Bild hier, das heißt seine novellistische Seite, sein Motiv vergleichen, ich will sagen: mit einer Darstellung des Mithras-Opfers:

436 Mithras-Relief

Wenn Sie dieses Mithras-Opfer nehmen, wie Mithras auf dem Stier sitzt, ihn verwundet, wie das Blut fließt, so sehen wir die Erhöhung des Mithras und damit auch seine Erlösung durch die Überwindung des Tieres herbeige­führt. Sie kennen die tiefere spirituelle Bedeutung dieses Motivs. Ich möchte sagen: es ist das polarisch entgegengesetzte Motiv von diesem:

435 Hubert und Jan van Eyck Genter Altar, Teil: Die Anbetung des Lammes

Der sich dort (436) aufbäumende, bekämpft werden müssende Stier muß sein Blut lassen; das Lamm gibt freiwillig sein Blut. Damit aber wird heraus­gehoben die Erlösung aus dem Elemente, in dem sie früher stand, herausge­hoben aus dem Gewalttätigen, Kämpferischen, und wird verlegt in das Hin­gebende, Gnadeerwirkende. Und so drückt sich darinnen die Idee aus: nicht dadurch, daß der Mensch sich in Hochmut über sich selbst hinausheben und das Niedere töten will, sondern dadurch, daß er das durch die Welt Flutende,

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in Geduld für die Welt Leidende in seiner Seele durchlebt, erlangt er in jedem Punkt des Weltendaseins seine Befreiung. Dieses universalistische und damit gerade individuell-universelle Befreiungsprinzip ist damit ausgedrückt. Das Lamm ist ein Einzelnes, aber kein Einzelner durchsticht es; daher ist es für jeden hier geopfert, die es anbeten, die aus den verschiedenen Lebenssphären heraus sich ihm nähern, nähern dem Erlöser-Lamm, und nähern dem Quell, dem Brunnen des Lebens.

Es ist also der größte Gedanke, die größte Idee, die sich allmählich im Laufe der Jahrhunderte herausgebildet hat im ausgehenden Mittelalter, durch die Brüder van Eyck festgehalten worden. Damit haben wir gerade innerhalb dieser Entwickelungsperiode eine der größten, bedeutsamsten Kunstschöpfun­gen, die wir natürlich beurteilen müssen von dem Gesichtspunkte aus, den ich Ihnen gerade geltend gemacht habe. Ich möchte sagen: es kämpft noch das Individuelle, aus dem Inneren heraus Schaffende mit einer mangelnden Be­herrschung der Raumbehandlung. Sie werden namentlich sich bei einem sol­chen Bilde schwer unmittelbar einen Zuschauer denken können, der in seinem Augenpunkte angebracht ist so, wie er sich darbietet mit der Raumverteilung der Figur, die da unten ist auf dem Bilde, dem Brunnenengel.

Van Eyck hat dann in großartiger Weise die einzelnen Berufszweige, wie in sie alle der Impuls des Lammes hineinwirkt, dargestellt. Eine nächste Gruppe daraus; einzelne heben wir heraus:

441 Hubert und Jan van Eyck Genter Altar, Teil: Die Richter

442 Hubert und Jan van Eyck Genter Altar, Teil: Die Ritter

wie sie sich nähern dem Lamm. Das sind alles Teile dieses großen Genter Al­tares.

Das Nächste ist dann das Innige:

443 Hubert und Jan van Eyck Genter Altar, Teil: Die Einsiedler

444 Hubert und Jan van Eyck Genter Altar, Teil: Die Pilger

wobei wir eben schon bewundern können die Behandlung des Zusammcn­klanges des Menschen mit seinen Landschaften.

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Hubert van Eyck ist gestorben 1426, wie ich schon sagte; da war dieses Altarbild noch lange nicht fertig; viele Jahre noch hat daran sein Bruder, Jan van Eyck, gearbeitet, und die Gelehrten beschäftigen sich schon seit langer Zeit mit dem ihnen so wichtig erscheinenden Streite, welche einzelnen Teile dem Hubert und welche dem Jan gehören, ein Streit, der für den, der auf das Künstlerische geht, ja ein ziemlich überflüssiger ist.

Nun kommen wir zu einem anderen Bilde des Jan van Eyck:

445 Jan van Eyck Die Madonna des Kanonikus Georg van der Paele

Das Bild ist 1436 gemalt, und Sie werden daran ebenso bewundern kön­nen die Innigkeit der Madonna in ihrem Ausdruck, wie auf der anderen Seite die nun wirklich aus einer grandiosen Naturbeobachtung heraus, aber zu­gleich mit einem gewissen Sinn für das Charakteristische, bei aller Primitivität der damaligen Weise natürlich, bei dem Kanonikus.

Nun kommen wir zu einem Bild, das Jan van Eyck in Spanien gemalt hat, wohin er geschickt worden ist:

446 Jan van Eyck Der Brunnen des Lebens

mit der gotischen Architektur im Hintergrunde. Die Wasser des Lebens, die Brunnen des Lebens, im Zusammenhange mit dem Opfer des Lammes darzu­stellen, war ja damals etwas, worauf die Ideen gingen. Wiederum finden Sie hier das Motiv des Gottvaters in ähnlicher Weise, wie auf dem ersten Bild; Madonna und Johannes - eigentlich nur mehr, ich möchte sagen: in das südlich Kunstgemäße, das eben herangetreten ist, da er dieses Bild in Spanien gemalt hat, dasjenige verwandelt, was in nordischer Art in dem ersten Bilde vor Ihre Seele getreten ist.

Und nun wollen wir sehen, wie in einer «Kreuzigungsdarstellung»

447 Jan van Eyck Kreuzigung

die besonders charakteristische Art dieser Kunst zum Ausdruck kommt. Das Menschliche überwiegt weit das Traditionelle, das aus der Bibel Entlehnte. Von dort her ist, ich möchte sagen: nur der Anlaß genommen; aber man sieht,

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wie allgemein-menschlich mitgefühlt ist, wiedererweckt ist dasjenige, was bi­blisches Motiv ist. Nicht bloß ist hier die Meinung: man solle das darstellen, was in der Bibel mitgeteilt ist, sondern nacherlebt, nachgefühlt im eminente­sten Sinne ist es. Man würde sich nicht leicht denken können, daß unmittel­bar ein südlicher Künstler diese Linie hier und diese Linie - bei Maria und Jo­hannes - zusammengemalt hätte; aber wenn es nicht auf das Kompositionelle, sondern darauf ankommt, den Eindruck der Innerlichkeit zu geben, dieses Innerliche wiederzugeben, dann wirkt eben diese Linie hier zusammen mit dieser hier, weil es gerade die verschiedenen Seelenverfassungen so charakteri­stisch zum Ausdrucke bringt.

Und nun noch zwei Bilder der Profanmalerei desselben Künstlers:

448 Jan van Eyck Die Vermählung des Tuchhändlers Arnolfini

Diese zeigt besonders deutlich, wie weit eben der Künstler gekommen ist in der Fähigkeit, charakteristisch auszudrücken, was er ausdrücken wollte.

Und das letzte Bild von van Eyck, das wir haben, das zeigt Ihnen den Versuch, weiterzukommen gewissermaßen in der Porträtdarstellung:

449 Jan van Eyck Männliches Porträt

wobei bei diesem Bilde besonders deutlich zu sehen ist, wie man gar nichts darauf gibt, sich Vorstellungen zu machen, wie der Mensch sein soll, und aus diesem Impuls heraus arbeitet, sondern wie man den Menschen anschaut, und was der Anschauung sich darstellt, das gibt man wieder.

Und nun kommen wir zu einem Zeitgenossen, der den van Eyck etwas überlebt, zu dem Meister von Flémalle, wie man ihn nennt, in dem wir einen Sucher mit ähnlichen Impulsen sehen, der aber viel mehr beeinflußt ist von dem, was von Frankreich herüberkommt, was man in der Linienführung, in dem Nachwirken der künstlerischen Tradition sieht. Bei van Eyck sieht man:

es ist aus einem elementarischen Bedürfnis heraus erwachsen. Hier sieht man, daß schon zugrunde lag die Meinung, dies oder jenes müsse so oder so gestal­tet werden; aber sie überwiegt nicht sehr, diese Meinung. Aber dennoch, man sieht darinnen, daß eben gewisse ästhetisch-künstlerische Traditionen Prinzipien

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sind. Man wird nicht leicht zum Beispiel gerade diese besonders eigen­tümliche Handlage oder auch die ganze Führung in der Gesichtsdarstellung bei van Eyck finden, sondern Sie werden sie hier finden als mitbewirkt durch einen gewissen Einfluß von Frankreich her.

450 Meister von Flémalle Die Heilige Veronika

Dafür ist natürlich der Hauch mehr, ich möchte sagen: eleganten Lebens über die Gestalten gegossen als über die van Eycks.

Dann von demselben Meister haben wir:

451 Meister von Flémalle Der Tod der Maria

nun wirklich dafür charakteristisch, wie in die unmittelbare Gegenwart her­ein die christliche Legende versetzt wird. Das sind Bilder, die etwa in den dreißiger Jahren des 15. Jahrhunderts geschaffen sind.

Und nun kommen wir zu Roger van der Weyden, der nun ebenso von Frankreich herüber beeinflußt ist wie der vorige, aber alle die Elemente hat, die aus der deutlich vorhandenen Nachfolge des van Eyck, beziehungsweise der van Eycks herstammen.

452 Roger van der Weyden Die Beweinung Christi

In dieser sehen Sie, wie aber charakteristisch unterscheidend bei diesem Meister das auftritt, daß in das Bild dramatisches Leben hineinkommt, wäh­rend van Eyck durchaus episch ist. Van Eyck stellt die Gestalten ruhig neben­einander; sie wirken gewissermaßen aufeinander, ohne daß man einen das Ganze durchsetzenden Zug hat. Hier (bei van der Weyden) finden Sie in dem Zusammenwirken der Gestalten Dramatik, nicht bloß Epik.

Nun dasselbe Motiv von demselben Maler noch einmal:

453 Roger van der Weyden Kreuzabnahme. Madrid

Und jetzt ein Bild aus der christlichen Legende. Sie sehen den Evangeli­sten Lukas, der ja nach der Legende ein Maler war, die Maria auf dem Bilde malend.

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454 Roger van der Weyden Der Evangelist Lukas malt die Maria

Nun haben wir noch ein Bild von diesem Meister:

455 Roger van der Weyden Anbetung der Heiligen Drei Könige

wobei der eine der Könige Philipp von Burgund ist und der andere Karl der Kühne, der den Hut abzieht; es ist auch die ganze Szene sehr in die damalige Gegenwart hereingerückt schon durch diese Äußerlichkeit; denn er hat eben seine mehr oder weniger unmittelbar gegenwärtigen Fürstengestalten als Kö­nige genommen, die kommen, das Kind anzubeten.

456 Roger van der Weyden Porträt Karls des Kühnen

Alle diese Maler erlangen eine gewisse Vollkommenheit in der Porträt-kunst.

Und nun kommen wir zu einem Meister Petrus Christus. Sie sehen da zwei Altarflügel von ihm:

457 Petrus Christus Verkündigung an Maria

458 Petrus Christus Geburt Christi

Von Petrus Christus muß man sagen, daß er eigentlich ohne besonderes Ausgesprochenes nach der einen oder nach der anderen Richtung in der Linie arbeitet, wie van der Weyden nach der einen und van Eyck nach der anderen Seite. 1452, also in der Mitte des 15. Jahrhunderts, sind diese Bilder gemalt.

Nun kommen wir immer mehr und mehr zu denjenigen Bildern, welche dem Charakter nach das mehr nordholländische Element noch hineintragen. Und dabei finden wir dann ganz besonders mit Vollkommenheit die Land­schaft ausgebildet.

Die nächstfolgenden Bilder sind von Dierick Bouts dem Jüngeren.

Gerade für diese Künstlerschaft außerordentlich Charakteristisches:

460 Dierick Bouts d. J. Johannes der Täufer

461 Dierick Bouts d. J. Christophorus

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auf der einen Seite der Täufer, auf der anderen Seite der Christophorus, der Christusträger - Bilder, in denen wirklich die ganze unmittelbar menschliche Innigkeit zum Ausdruck kommt und auf der anderen Seite das wirklich dann dazugehörige landschaftliche Element. Gerade auch bei Bouts sehen Sie dieses eintreten, sehen in der Kunst dieses Hineingestelltsein des Menschen in die freie Natur.

459 Dierick Bouts d. J. Die Anbetung der Könige

Und nun kommen wir aber immer mehr und mehr zu dem sich Hin-durcharbeitenden einer ganz realistischen Darstellung. Das heißt: es ist der Mensch, der Künstler immer mehr imstande, dasjenige, was angestrebt war auf diesem Wege, wirklich in der unmittelbaren Wiedergabe des Natürlichen zu suchen. Wir sehen das zunächst bei Hugo van der Goes:

462 Hugo van der Goes Die Anbetung des Kindes, aus dem Portinari-Altar

463 Hugo van der Goes Die Anbetung, Teil: Die Hirten

Hier ist der Realismus eben wirklich bis zu einem gewissen hohen Grade der Vollkommenheit innerhalb dieser Kunstevolution gekommen.

Hugo van der Goes

464 Der Heilige Antonius und Matthäus mit Stiftern

465 Die Heilige Margarethe und die Heilige Magdalena mit Stiftern

466 Die Anbetung der Hirten

Unten sind diejenigen, die das Bild gestiftet haben; darauf

467 Hugo van der Goes Der Tod der Maria

468 Hugo van der Goes Der Sündenfall

Sehen Sie, diese Kunst hat nicht - ich habe einmal schon darüber gespro­chen im Hinblick auf den Meister Bertram - eine Schlange unmittelbar darge­stellt, sondern das Luziferische:

469 Meister Bertram Der Sündenfall

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Daß die Schlange selber, so wie sie als physische Schlange existiert, den Menschen verführt hat, das ist erst eine Erfindung des Naturalismus der neuesten Zeit, des Materialismus.

Und nun kommen wir zu dem Künstler, der in der Schule von van der Weyden gebildet worden ist und gewissermaßen diese Schule fortsetzt, der dort in dieser Schule genannt wurde der «deutsche Hans», - nämlich zu Hans Memling. Sie sehen hier

472 Hans Memling Maria mit dem Kinde

Der Künstler ist in der Mainzer Gegend geboren und hat in diesem Bilde -wenn wir nächstens können, werden wir Ihnen die eigentliche Oberdeutsche Malerei vorführen, die besonders charakteristische Eigentümlichkeiten hat -einiges von dem offenbar in seinen Anlagen liegende hinübergetragen, aber im übrigen alles, was in der niederländischen Malerei in dieser Zeit lebte, ein­schließlich ihrer Einflüsse von Frankreich her, angenommen hat.

Und nun von demselben Hans Memling ein Motiv, das der damaligen Zeit auch nahelag: die verschiedenen Ereignisse, die sich an Maria anfügten, darzustellen:

470 Hans Memling Die sieben Freuden der Maria

Es sind meistens Szenen aus dem Leben der Maria. Es ist natürlich zu klein, als daß man auf die Einzelheiten auch nur im Anschauen eingehen könnte.

Aber nun nehmen wir ein charakteristisches Bild von Memling:

471 Hans Memling Jüngstes Gericht

in dem er in einer in seiner Art wirklich genialen Weise seine Vorstellung vom Jüngsten Gericht zum Ausdruck gebracht hat. Sie sehen selbstverständlich etwas von Eckigkeit, Kantigkeit, aber doch von einer menschlich innigen Durchdringung des Vorganges. Das Bild ist gegenwärtig in Danzig, weil ein Handelsherr, der ein Räuber war, das Bild geraubt hat, und es, weil er sehr fromm war, der Kirche von Danzig nachher gestiftet hat.

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Nun wollen wir noch die Porträtkunst dieses selben Hans Memling ken­nenlernen, und Sie werden sehen, wie alle diese Maler wirklich in der Wie­dergabe der menschlichen Individualität in ihrer Art Großes leisten.

473 Hans Memling Männliches Bildnis. Berlin

Die Wiedergabe des Seelischen in diesem Antlitz ist schon etwas ganz Außerordentliches. - Und nun noch ein anderes:

474 Hans Memling Männliches Bildnis. Den Haag

Dieses Bild ist ja sehr bekannt.

Nun kommen wir dann schon zu immer späteren Künstlern, die gewis­sermaßen schon nicht mehr den ganz freien Zug, sondern ein gefundeneres Wesen zeigen. Zunächst Gerard David. Er ist geboren schon gegen 1460: er ist aus Holland nach Brügge zugewandert. Und während wir bis jetzt die künstlerische Vor-Reformation gehabt haben, haben wir in diesem Künstler schon dasjenige, was sich immer mehr der Reformation nähert:

475 Gerard David Anbetung der Könige

Wir sehen, wie da natürlich schon das südliche Element hereinwirkt in das Kompositionelle.

477 Gerard David Taufe Christi von demselben Künstler und

476 Gerard David Madonna mit dem Kinde, mit Heiligen und Engeln

478 Gerard David Madonna mit dem Kinde

Und nun kommen wir zu einem Künstler, der gewissermaßen nur eine Art Nachahmer des Gerard David ist, der schon mit achtundzwanzig Jahren gestorben ist - Geertjen tot Sint Jans, der aber doch in gewissem Sinne alle die Eigenheiten dieser Kunstperiode in sich trägt:

479 Geertjen tot Sint Jans Heilige Familie

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Und noch ein Bild von demselben

480 Geertjen tot Sint Jans Maria, das Kind anbetend

Je weiter es nun vorangeht in die Zeit gegen das 16. Jahrhundert zu, desto mehr kommen andere Elemente hinein in das eigentlich Charakteristische für die Eyck-Periode, die ich angeführt habe. So kommen wir jetzt zu Hieronymus

Bosch:

481 Hieronymus Bosch Kreuztragung, Gent

Da sehen Sie schon, wie ein stark kompositionelles Element hineinkommt und gewissermaßen nicht mehr die bloßen naturalistischen Beobachtungen vor­handen sind, wie ein phantasievolles Element durchwirkt. Daher wird er auch der Maler von allerlei bloß Phantastischem, Spukhaftem.

Zunächst noch eine weitere «Kreuztragung» :

482 Hieronymus Bosch Kreuztragung, Madrid

Wir haben dann ein Bild von ihm, das die «Hölle» darstellt:

483 Hieronymus Bosch Die Hölle

Da sehen Sie also das Phantastische mit dem, was gelernt worden ist nach dieser Richtung, vermischt. Sie sehen diesen merkwürdigen Aufenthalt.

Und nun kommen wir zu Quentin Massys, der schon durchaus stark das Kompositionelle vorwiegend hat. Das ist schon 16. Jahrhundert:

485 Quentin Massys Die Heilige Familie

Das Bild ist 1509 gemalt.

486 Quentin Massys Beweinung Christi

Da sehen Sie schon das ganz bewußte Kompositionelle.

Im nächsten Bilde werden Sie sehen, wie die kompositionelle Phantasie auch in einem, was verhältnismäßig weniger Gestaltung hat, sich verbindet mit dem Charakteristischen:

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484 Quentin Massys Der Wechsier und seine Frau

Nun wollen wir wieder zu einem Künstler gehen, der insbesondere im Landschaftsbilde Ihnen die Eigentümlichkeiten dieser Periode zeigt - Joa­chim de Patinir malt insbesondere gerade bedeutende Landschaftsbilder, wie überhaupt in dieser Zeit und von dieser Seite her die Landschaft hineinwächst in die Kunst. Man kann ja sagen, daß eigentlich wirklich die Landschaft erst von dieser Zeit ab entdeckt ist für die Kunst:

487 Joachim de Patinir Ruhe auf der Flucht. Madrid, Prado

488 Joachim de Patinir Ruhe auf der Flucht. Berlin, Deutsches Museum

489 Joachim de Patinir Taufe Christi

Ich bitte Sie, diese Bilder hauptsächlich vom Gesichtspunkte der Land­schaftsmalerei anzusehen. Es ist ja natürlich, daß diese Landschaft erst im Zeitalter der versuchten naturalistischen Nachbildung eintreten kann; und da beginnt ja erst die Landschaft einen Sinn zu haben in der Malerei.

490 Joachim de Patinir Versuchung des Heiligen Antonius

Nun kommen wir zu einem Künstler, der schon eben stark in das

16. Jahrhundert herüberfällt, der das, was ich das Bürgerliche genannt habe, sogar, ich möchte sagen, bis zum Bauernhaften hat, ganz aus dem elemen­taren Volkstum heraus malt, aber auf der anderen Seite alle möglichen Ein­flüsse in sein Schaffen einströmen hat und sogar Italienisches aufgenommen hat - merkwürdigerweise also das Holländisch-Elementare mit dem schon auf die Renaissance hin Arbeitenden vereinigt und einen gewissen Humor hat. Das ist Pieter Brueghel der Altere, geboren 1525.

Da haben wir den frommen Mann und hinter ihm den Teufel:

491 Pieter Brueghel d. Ä. Der Teufel und der Fromme oder

492 Pieter Brueghel d. Ä. Die Parabel von dem Blinden

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Dann haben wir einen Fall der Engel von ihm - wie die Engel verworfen werden:

493 Pieter Brueghel d. Ä. Der Fall der Engel

Dann haben wir noch biblische Bilder von ihm:

494 Pieter Brueghel d. Ä. Die Kreuztragung

495 Pieter Brueghel d. Ä. Die Anbetung der Könige

Damit wollen wir für heute schließen.

VII MOSAIKE MINIATUREN ITALIENISCHE, NIEDERLÄNDISCHE UND DEUTSCHE MEISTER Domach, 2. Januar 1917

#G292-1981-SE183 Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse

#TI

VII

Weihnachtsmotive aus mehreren Jahrhunderten:

Geburt des Christus Jesus - Anbetung der Hirten - Anbetung der Könige Flucht nach Ägypten

MOSAIKE MINIATUREN

ITALIENISCHE, NIEDERLÄNDISCHE UND DEUTSCHE MEISTER

Domach, 2. Januar 1917

#TX

Wir werden Ihnen heute, da Herr Dr. Trapesnikoff die Diapositive bestellt hat, Lichtbilder zeigen, welche nicht unter demselben Gesichtspunkt vorge­führt werden, wie das bei den vorangehenden Vorführungen dieser Art der Fall war, sondern unter einem mehr stofflichen Gesichtspunkt. Wir werden Ihnen nämlich Bilder zeigen, die sich beziehen auf die «Geburt des Christus Jesus», auf die «Anbetung der Hirten», auf die «Anbetung der Könige» und auf die «Flucht nach Ägypten».

Diese Bilder, die mehrere Jahrhunderte Entwickelung umfassen, sollen uns gewissermaßen das von einer anderen Seite vor die Seele führen, was in den «Weihnachtspielen» lebt und was lebte in den Auseinandersetzungen, die ich in den letzten Vorträgen gegeben habe. Ich werde daher heute, da es sich ja nicht in erster Linie um das Künstlerische handeln wird, sondern um das Behandeln eines gewissen Stoffgebietes durch die Kunst, auch weniger von der Entwickelung in künstlerischen Prinzipien sprechen, Sie dafür aber auf einige andere Gesichtspunkte für das Vorzuführende aufmerksam machen.

Den allgemeinen Zug, den Sie für die christliche Kunstentwickelung ja entnehmen konnten aus den angestellten Betrachtungen bei den Lichtbild-Vor-führungen in den letzten Wochen, den werden Sie allerdings auch heute be­merken, indem wir vorschreiten werden von künstlerischen Darstellungen der ersten christlichen Jahrhunderte bis in die Renaissancezeit hinein. Sie werden insbesondere bemerken, wie aus der typischen Darstellung der ersten Zeiten,

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die gewissermaßen, wie ich es charakterisiert habe, unter dem Einflusse der Offenbarung aus der geistigen Welt stehen, die weniger auf die naturalistische Ausprägung der Formen und Farben sehen als auf die Wiedergabe der geisti­gen Imagination, die aus der geistigen Welt heraus sich offenbart, aus dieser Zeit werden Sie sich herausentwickeln sehen die christliche Kunst auch auf diesem Stoffgebiete zum Naturalismus hin, das heißt zu einer gewissen Wie­dergabe dessen, was für den physischen Plan Wirklichkeit genannt werden kann, so daß wir immer menschlicher und menschlicher die heiligen Persön­lichkeiten in der Kunst vor uns dargestellt sehen werden.

Was uns aber heute besonders interessieren muß, ist, ich möchte sagen:

die bildhafte Verkörperung eines Gedankens, der die letzten Vorträge durch­setzt hat. Wir werden zuerst vorgeführt sehen, was sich auf die «Geburt Chri­sti» bezieht. Es ließ sich das nicht ganz genau trennen von dem nächsten Stoff-gebiete, von der «Anbetung der Hirten». Also ich kann sagen: zuerst sehen wir das, was sich auf die Geburt Christi bezieht im Zusammenhang mit der Anbetung der Hirten, und dann werden wir Bilder sehen, bei denen es sich hauptsächlich handeln wird um die «Anbetung der Könige», der Weisen aus dem Morgenlande, der Magier. Ich bitte Sie, das Augenmerk darauf zu len­ken, wie diese beiden Strömungen sich entwickelt haben, von denen man ja die eine nennen kann: die Strömung des Lukas-Evangeliums, die andere: die Strömung des Matthäus-Evangeliums - wir können sie nennen die Strömun­gen, welche anknüpfen an die beiden Jesusknaben -, wie sich diese beiden Strö­mungen entwickelt haben. Auch künstlerisch müssen wir ja sehen in alledem, was mehr oder weniger zusammenhängt mit der Anbetung der Hirten, das, was besonders gut verstanden werden konnte, gefühlsmäßig, empfindungs­mäßig gut verstanden werden konnte unter dem Einflusse dessen, was zurück­geblieben war von jenen nordländischen Mysterien, als deren Zentrum ich Ihnen Dänemark bezeichnet habe. Mit dieser Strömung hängt alles das zusam­men, was auf die Jesus-Geburt sich bezieht, was gewissermaßen mit Jesus herauswächst aus der irdischen Evolution, aus denjenigen Geistigkeiten, die mit dem Naturdasein verbunden sind.

Die gnostische Strömung dagegen finden wir direkt ausgesprochen überall

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da, wo wir es zu tun haben mit der Anbetung beziehungsweise mit der Mis­sion der Magier aus dem Morgenlande, die unter dem Einfluß des Sternes -das heißt ja nichts anderes, als unter dem Einfluß desjenigen, was aus dem Kosmos geoffenbart wird - an den sich verkündenden Christus herankom­men, der sich in dem Zarathustra-Jesus offenbaren wird. In all dem, was mit der Anbetung der Könige zusammenhängt, haben wir eben die gnostische Strömung, das heißt: das Bewußtsein vor uns, daß das Christus-Ereignis ein kosmisches ist, daß gewissermaßen eine Befruchtung aus dem Kosmos herein stattgefunden hat.

Unsere Freunde waren so liebenswürdig, hier Ihnen die Könige aufzu­zeichnen - das Bild ist aus einem alten Evangelienbuch entnommen -, welche anbetend, das heißt: Erkenntnis suchend durch Aufwendung aller Seelen-kräfte, des ganzen Seeleninneren, zu dem Stern aufschauen, in dem heran­kommt der Geist, der die Erde befreien soll.

678 Miniatur Die drei Könige sehen den Stern, der ihnen die Geburt des Christus anzeigt, Federzeichnung nach dem «Speculum humanae salvationis», München

Man kann sagen, daß diese Strömung, die sich ausdrückt in dem Mat­thäus-Evangelium, im Grunde genommen mit den weiter verfließenden Jahr­hunderten immer weniger und weniger verstanden worden ist; sie lebt zwar auf, wie wir ja wissen, auch in den Weihnachtsspielen; allein solches Ver­ständnis kann gerade der Erscheinung der Magier aus dem Morgenlande heute nicht entgegengebracht werden, wie der Erscheinung des Jesus gegenüber den Hirten, der Erscheinung des Jesus gemäß dem Lukas-Evangelium, einfach aus dem Grunde, weil das letztere Verständnis ein Gefühls- und Empfindungs­verständnis ist; das Verständnis aber, das entgegengebracht werden muß dem, was mit den Magiern aus dem Morgenlande zusammenhängt, muß schon ein gnostisches Verständnis sein. Und was alles gemeint ist mit dem «Folgen dem Sterne», das wird der Menschheit erst wiederum zum Bewußtsein kommen können, wenn jetzt nicht die Gnosis, sondern die anthroposophisch orien­tierte Geisteswissenschaft eben mehr Bekennerschaft finden wird.

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Dann werden wir zuletzt einige Bilder vorführen, welche die «Flucht nach Ägypten» zeigen, die auch zusammenhängt mit dem, was man nennen könnte:

gnostische Offenbarung über den Christus Jesus. Darüber wollen wir heute nicht viel sprechen; es kann ein anderes Mal darüber gesprochen werden. Es handelt sich ja dabei zunächst darum, wirklich von dem Bewußtsein auszu­gehen, daß alles dasjenige, was in den Evangelien steht, wirklich so kompo­niert ist, daß schon auf die Komposition etwas zu geben ist. Die Flucht nach Ägypten, die im Zusammenhange uns erscheint mit der Mission, also getreu dem Evangelium im Züsammenhange mit den Magiern, auf Grundlage dessen gewissermaßen sich vollzieht, was die Magier zuerst unternommen haben -diese Flucht nach Ägypten bezeugt uns ja, daß das Evangelium Rücksicht darauf nimmt, daß ein Zusammenhang besteht zwischen dem, was im Alten Testament über die Ägypter, das Ägyptische überhaupt gesagt ist, und dem jüdischen Volke. Moses war bewandert in der Wissenschaft der Ägypter, das heißt in der eigentümlichen Gnosis der Ägypter. Und nun wird uns im Evan-gelium erzählt, daß die Magier aus dem Morgenlande durch den Stern, der im Grunde genommen der Christus-Stern ist, kommen bis zu der Geburtsstätte des Christus Jesus; daß dann aber etwas eintreten muß, was gewissermaßen nicht ganz dem Lauf des Sternes entspricht, was auch nicht im Bewußtsein der Magier lebt, das wird ja ausdrücklich angedeutet im Evangelium. Wir haben hier einen derjenigen Fälle, in denen uns gezeigt wird, daß gewissermaßen die Determination, sagen wir, die astrologisch bestimmbare Determination, für gewisse große Ereignisse durchbrochen werden muß. Wie genau die astrolo­gische Determination demjenigen entspricht, was man wissen kann über die historischen Vorgänge, das haben Sie ja gesehen dadurch, daß Ihnen gespro­chen worden ist von dem Horoskop, das unsere Freunde gestellt haben für den Punkt im Laufe der Zeit, der für den Todestag des Christus Jesus angegeben wurde. Aber wir sehen zugleich, daß der Jesusknabe, in dem die Zarathustra-Seele lebte, herausgebracht werden mußte aus dem Gebiet dieses Sternes; und er wird nach Ägypten gebracht, aus Ägypten dann wieder zurückgeführt in den Bereich dieses Sternes. Das enthält das ganze Mysterium der abflutenden alten Evolution, welche in der ägyptischen Gnosis atavistisch geworden ist,

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mit der gewissermaßen die neue Offenbarung noch eine Verbindung eingehen muß, damit sie sich bewußt herauslöst. Das alles liegt diesen Dingen zugrunde, wenn es auch in den Evangelien weniger gesehen wird, aber in der Komposi­tion liegt es darinnen.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf aufmerksam machen, daß es von ganz besonderer Wichtigkeit ist, daß man bei den Evangelien auf die Kompo­sition sieht; denn der Text ist ja in vieler Beziehung korrumpiert, kann heute nur noch von denjenigen gelesen werden, die mit Hilfe, ich möchte sagen, des okkulten Textes lesen können, so wie er dasteht. Insbesondere gar in den Übersetzungen ist der Evangelientext natürlich nicht zu verstehen. Aber in der Komposition - Sie können das in dem Vortragszyklus, der über das Jo­hannes-Evangelium handelt, der in Kassel gehalten worden ist, sehen - liegt dasjenige, was unmittelbar jedem gleich auffallen kann, wenn er die Evange­lien betrachtet.

Eine Bemerkung möchte ich nun noch machen, bevor wir die Bilder zei­gen. Für unsere heutige materialistische Zeit ist ja eine Anschauung, ich möchte sagen : für das eigentliche Zeitbewußtsein ganz verlorengegangen, welche auf solche Zusammenhänge geht, die zugrunde liegen der Offenbarung der Ma­gier aus dem Morgenlande. Dasjenige, was heute Astrologie genannt wird, ist ja ganz und gar in dilettantische Hände übergegangen, die allen möglichen Un­fug damit treiben, und nur wenige meinen es heute ernst, wenn sie von der Beziehung der Erde zum Kosmos insofern sprechen, als diese Beziehung aus­gedrückt wird in physischen Verhältnissen, nämlich in der Konstellation der Sterne. Für dasjenige, was sich heute Wissenschaft nennt, als Wissenschaft ausgibt, ist ja Astrologie überhaupt ein alter Aberglaube. So gründlich zu­grunde gegangen, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, ist das Diesbe­zügliche eigentlich erst im 18. Jahrhundert; und im 18. Jahrhundert hat man noch gesprochen von etwas, was außerordentlich wichtig ist, wenn man Ver­ständnis haben will für das Tiefe, das der Erscheinung der Magier zugrunde liegt, der drei Magier. Im 18. Jahrhundert wird von denjenigen, die sich noch etwas bewahrt haben aus den alten Initiationsverhältnissen, Einweihungsver­hältnissen heraus, gesprochen von der Bedeutung der physischen Sternkonstellationen,

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aber auch von der Bedeutung unsichtbarer Sternkonstellationen; es wird ja im 18. Jahrhundert bei einigen Wissenden noch ausdrücklich ge­sagt: Es gibt auch Sterne, die erst der Eingeweihte sehen kann. - Das ist wahr; und das muß insbesondere berücksichtigt werden, wenn man verstehen will, warum den Hirten Imaginationen erscheinen, den Magiern aber Sterne er­scheinen. Damit wird darauf hingewiesen, daß den Hirten die Offenbarung dadurch wird, daß sie im alten atavistischen Sinne angeborenes, traumhaftes Schauen haben; für die Magier aus dem Morgenlande wird angedeutet, daß sie durch die Wissenschaft, die noch überliefert worden ist, Kenntnis haben von den Beziehungen des Kosmos zu der Erde und dadurch wissen, was sich herannaht, gewissermaßen berechnen können, was sich herannaht. Da­her sehen wir auch - und Sie werden das bemerken können, wenn wir die Evolution der Bilder betrachten werden - trotz allen Übergehens zum Natura­lismus, ich bitte Sie, das nachher zu beachten, die bildhafte Darstellung für die drei Magier immer weniger entsprechen. Für die drei Magier paßt das Älteste, Typische am allerbesten, denn dasjenige, was gemeint ist, ist ja aus dem Irdischen herausgehoben. Inniger wird die Jesus-Darstellung, indem sie immer mehr ins Naturalistische übergeht, weil hier das angemessen ist, in dem gerade dasjenige, was vom physischen Plane her dem Christus entgegen­kommt, also mit dem natürlichen Dasein zusammenhängt, auch durch natür­liche Mittel seine beste Darstellung finden kann.

Nun werden wir, nachdem ich diese Bemerkungen gemacht habe, zuerst dasjenige sehen, was mit der Geburt Christi und der Anbetung der Hirten und dann der Könige zusammenhängt.

Hier haben wir eine Mosaikdarstellung aus Palermo.

679 Mosaik Die Geburt Christi. Palermo, Chiesa della Martorana, aus dem

12. Jahrhundert

Sie sehen in diesen älteren Darstellungen eben alles typisch aufgefaßt und im Grunde genommen zurückgehend auf typische Darstellungen, die zum großen Teil vom Morgenlande her in alten Zeiten vorhanden waren für die alten Mythen. Denn auf ganz naturgemäße Weise wächst das Typische der

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Mythusdarstellung hinein in die Darstellung des Christlichen. Geradeso wie man den Orpheus-Typus, den Typus des Guten Hirten, der auf ältere My­thendarstellungen, Kultdarstellungen zurückgeht, genommen hat, um das neue Ereignis darzustellen, so wurden eben auch andere alte, ich möchte sagen, Kompositionsmotive einfach auf das neue Christus-Ereignis übertragen.

Das nächste Bild ist eine Darstellung aus einer sogenannten Armenbibel:

680 Holzschnitt Die Geburt Christi, Ende des 15. Jahrhunderts

Diese Bibeln, die in früheren Jahrhunderten gemacht worden sind, zeigen gewöhnlich parallele Darstellungen aus dem Alten und Neuen Testament. Was man ins Auge gefaßt hat: daß das Neue Testament die Erfüllung des Alten Testamentes ist, das ist vielfach in diesen Armenbibeln enthalten. Hier auch haben wir, was uns vorzugsweise interessiert, in der Mitte: Die Geburt des Christus Jesus.

Nun haben wir aus einem Evangeliar, das sich in Köln befindet:

681 247 Miniatur Die Geburt Christi, aus dem ii. Jahrhundert

Es ist sehr interessant, wie das im Weltenall damit Verbundene hier rings-herum ist, und wie noch ein Bewußtsein sich verrät von den geistigen Zusam­menhängen.

Dann haben wir das Motiv aus dem «Hortus deliciarum»:

682 Herrad von Landsberg Die Geburt Christi, Ende 12. Jahrhundert darunter: Die Flucht nach Ägypten

die wir, weil sie mit dem anderen Bild verbunden ist, damit zusammen zeigen. Wir werden diese Flucht nach Ägypten sonst erst später sehen. Oben haben Sie wunderschön naiv die Darstellung der Geburt. Sie werden den Zusammen­hang fühlen mit dem, was in den Weihnachtsspielen gegeben ist, die ja freilich einer späteren Zeit angehören, aber eigentlich auch auf ältere Weihnachtsspiele zurückgehen, die nur nicht erhalten sind.

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Und nun werden wir das Motiv nehmen, wie es auftritt bei Niccolo Pisano im 13. Jahrhundert auf einem Kanzelrelief:

683a 619 Niccolö Pisano Die Geburt Christi und bei Giotto :

683b 20 Giotto Die Geburt Christi

Sie sehen, wie alles langsam in das Naturalistische, in die naturalistische Darstellung hineinwächst.

Das nächste ist nun:

683c 637 Giovanni della Robbia Die Geburt Christi

Damit sind wir schon im 15. Jahrhundert.

Und das ist von

683d 345 Meister Francke Die Anbetung des Kindes

Das Bild befindet sich in Hamburg; ich erinnere mich, daß ich es selber vor nicht allzulanger Zeit dort gesehen habe.

Nun die «Weihnacht» von Filippo Lippi:

684 Fra Filippo Lippi Maria, das Kind verehrend

Man sieht also wirklich, wie im Laufe der Zeit der Naturalismus die Dar-stellung ergreift. - Das nächste Bild ist

685 Piero della Francesca Die Geburt Christi - Weihnacht

Wir schreiten weiter zu Correggio :

686 Correggio Christi Geburt, Dresden noch eine andere Correggio-Darstellung:

687 Correggio Maria, das Kind verehrend, Florenz

und nun begeben wir uns jetzt zu den nördlicheren Meistern - die Namen

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kennen Sie aus den vorhergehenden Besprechungen -, zunächst jetzt zu einer Darstellung der «Weihnacht» von Schongauer:

688a 251 Schongauer Die Geburt Christi

Sehr interessant, hintereinander die italienischen und die nordischen Mei­ster zu sehen : dort die größere Typisierung noch immer, hier die Individuali­sierung und dieses Schaffen aus dem Seelischen heraus. Man darf schon sagen:

bis zu den zarten Füßchen ist hier alles seelisch, wenn auch die Kunstvollen-dung nicht so bedeutsam ist wie bei den südlichen Meistern.

Nun ein Bild von Herlin, in Nördlingen, aus dem 15. Jahrhundert:

688b 347 Friedrich Herlin Die Geburt Christi

Damit sind wir eben am Ende des 15., hart am Ende des 15. Jahrhunderts und kommen jetzt an die Wende des 15. und 16. Jahrhunderts, zu Dürer:

688c 308 Albrecht Dürer Geburt Christi, Holzschnitt

Auch an diesem Bilde bemerken Sie, wie alles dasjenige, was ich über die Lichtdarstellung gesagt habe, eben die Kunst ergreift. Es ist immer wieder sehr interessant, dies bei Dürer zu studieren.

Das nächste ist von dem, der Nachfolger Dürers war, von Altdorfer:

688d 346 Albrecht Altdorfer Die Geburt Christi

Und jetzt werden wir eine Reihe von Bildern, die sich vorzugsweise auf die «Anbetung der Hirten» beziehen, bringen.

Zunächst ältere Miniaturbilder, die sie für Bibeltexte, Evangelientexte darstellen :

690a 248 Miniatur Die Verkündigung an die Hirten aus einer in Trier befindlichen Handschrift um 980

689 Miniatur Die Verkündigung an die Hirten und die Geburt Christi, aus dem Menologium des Basilius, ii. Jahrhundert.

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Und nun gehen wir über zu der italienischen Darstellung der «Anbetung der Hirten» und haben zunächst

690b 6 Cimabue Die Anbetung der Hirten

Sie wissen, mit Cimabue stehen wir im 13. Jahrhundert. Wir gehen jetzt weiter in das 15. Jahrhundert zu Ghirlandajo:

692a 55 Ghirlandajo Die Anbetung der Hirten

Wir haben ja gerade über diesen Meister gesprochen.

Ein weiterer Meister aus dem 15. Jahrhundert ist Piero di Cosimo, Flo­renz

691 Piero di Cosimo Die Anbetung des Kindes

Wir gehen jetzt herauf in das, was wir als die Niederländische Kunst kennen.

Und jetzt bitte ich, sich eine ganze Weile für die Betrachtung dieses Bildes zu nehmen.

692d, e 462, 463 Hugo van der Goes Die Anbetung des Kindes

Wir haben auch von diesem Meister Goes schon gesprochen.

692b 560 Rembrandt Die Verkündigung an die Hirten, Radierung

692c 527 Rembrandt Die Anbetung der Hirten

Und jetzt wollen wir zu den Darstellungen übergehen, welche die «An­betung der Magier» zeigen.

Da haben wir zunächst ein Relief von einem altchristlichen Sarkophag in Ravenna :

695a 667 Sarkophagrelief Die Huldigung der Magier, 4. Jahrhundert

Dann ein Mosaikbild in S. Apollinare nuovo, ebenfalls in Ravenna:

693 Mosaik Die Huldigung der Magier, unterer Teil des Bildes, 6. Jahrhundert

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Also auch die älteren Bilder zeigen eben durchaus die Ereignisse in Zu­sammenhang mit der spirituellen Welt und durchaus also fern von allem Na­turalismus, alles gehoben in eine höhere Sphäre.

694 Miniatur Die Huldigung der Magier, aus dem Menologium des Basilius,

iI. Jahrhundert

Jetzt gehen wir wiederum ins 13. Jahrhundert zu Niccolö Pisano:

695b 617 Niccolö Pisano Die Anbetung der Könige

Das ist ein Kanzelrelief.

698a 372 Tympanon Die Anbetung der Könige. Freiberg, «Goldene Pforte»

Das ist also die Freiberger «Goldene Pforte». Damit sind wir in der zwei­ten Hälfte des 13. Jahrhunderts und schreiten nun weiter zum 15. Jahrhun­dert:

696 Domenico Veneziano Die Anbetung der Könige

früher dem Pisanello (Vittore Pisano) zugeschrieben.

Das ist also der schon früher besprochene Stephan Lochner:

698b 239 Stephan Lochner Die Anbetung der Könige

Nun ein Bild von Gentile da Fabriano:

697 Gentile da Fabriano Die Anbetung der Könige

Und jetzt von dem Künstler, der in der Darstellung dieses Ereignisses ebenso liebenswürdig ist wie in seinen anderen - Fra Angelico:

699a 66 Fra Angelico Die Anbetung der Könige

699b 52 Filippino Lippi Die Anbetung der Könige

Sehen Sie bei jedem dieser Motive, wie der Naturalismus fortschreitet. Wenn man sie durch Jahrhunderte verfolgt, gerade wenn man ein Motiv ver­folgt, so ist es, von diesem Gesichtspunkt aus, besonders interessant.

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699c 71 Botticelli Die Anbetung der Könige

Nun kommen wir in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts, zunächst zu

699d 56 Ghirlandajo Die Anbetung der Könige und Ende des 15. Jahrhunderts:

699e 62 Mantegna Die Anbetung der Könige

700 Giorgione Die drei Weisen aus Morgenland

Jetzt kommt

701 Gentile Bellini Die Anbetung der Könige

Nun bitte ich Sie, sich zu erinnern an die verschiedenen niederländischen, holländischen Maler, die wir angeführt haben; denn jetzt haben wir dasselbe Motiv bei van der Weyden und Bouts:

702a 455 van der Weyden Die Anbetung der Könige

702b 459 Dierick Bouts d. J. Die Anbetung der Könige

Über den Charakter dieser Maler haben wir ja in den vorigen Betrach­tungen gesprochen.

703 Miniatur Die Anbetung der Könige, aus dem Brevianum Grimani

Das nächste Bild ist von einem Maler, der auch in Brügge gemalt hat, wo er 1523 gestorben ist:

704a 475 Gerard David Die Anbetung der Könige

Und nun das gleiche Motiv bei Lionardo,

704b 116 Lionardo da Vinci Die Anbetung der Könige dann bei Lionardos Schüler Luini:

705 Luini Die Anbetung der Könige

#SE292-195

Dann gehen wir wieder nach Norden:

706a 280 Albnecht Düren Die Anbetung der Könige

Und noch dasselbe Motiv bei

706b 495 Pieter Brueghel Die Anbetung der Könige

Dasselbe Motiv bei Rembrandt

706c 547 Rembrandt Die Anbetung der Könige

Und nun kommen wir zu dem letzten Motiv eben, das wir in den auf­einanderfolgenden Bildern betrachten; zu der «Flucht nach Ägypten». - Zuerst eine Darstellung aus dem 13. Jahrhundert, die wir schon gesehen haben:

707a 682 Herrad von Landsberg Die Flucht nach Ägypten, aus dem «Hortus deliciarum»

Dann dasselbe Motiv bei Malern aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhun­derts und vom Anfang des 16. Jahrhunderts:

707b 487 Patinir Die Ruhe auf der Flucht

708 Correggio Die Madonna mit der Schüssel

707c 348 Bernhard Strigel Die Flucht nach Ägypten

Er hat auch in Wien gemalt, ist 1528 gestorben.

709a 301 Albrecht Düren Rast der Heiligen Familie in Ägypten, Holzschnitt

707d 285 Werkstatt Dürer Die Flucht nach Ägypten

709c 327 Hans Baldung, genannt Grien Die Ruhe auf der Flucht

der auch schon in das 16. Jahrhundert herübergeht.

709b 267 Cranach d. Ä. Die Ruhe auf der Flucht

Und zum Schluß dasselbe Motiv bei Rembrandt:

709d 562 Rembrandt Nachtstück : Die Ruhe auf der Flucht, Radierung

#SE292-196

Damit haben wir für heute unsere Bilderserie erschöpft.

Ich bitte Sie, sich nachher vielleicht doch in der Nähe diese hier aufge­stellte sehr eindrucksvolle Bilddarstellung der «Drei Könige» anzusehen, die direkt eine Anbetung des Sternes mit dem Hereinkommen der Christus-Jesus-Seele bedeutet.

#Bild s. 196

ZU VORTRAG V VIII RAFFAEL DÜRER UND ANDERE DEUTSCHE MEISTER Dornach, 17. Januar 1917

#G292-1981-SE197 Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse

#TI

ZU VORTRAG V

VIII

Spezielle Ergebnisse aus den Ideen

über südeuropäische und nordische Künstlerschaft:

RAFFAEL

DÜRER UND ANDERE DEUTSCHE MEISTER

Dornach, 17. Januar 1917

#TX

Wir werden heute durch die Bilder, die wir Gelegenheit haben vorzufüh­ren, in der Lage sein, eine Art Rekapitulation von manchem vorzunehmen, was schon in Anlehnung an die früher vorgeführten Bilder durch unsere Seele zie­hen konnte. Ich möchte bei dieser Gelegenheit im Verlauf der Vorführung der Bilder auf einiges aufmerksam machen, das sich nun auch anschließt an das schon Gesagte. Wir haben im Laufe unserer Betrachtungen unterschieden zwi­schen einer mehr südeuropäischen künstlerischen Strömung und einer nord-beziehungsweise mitteleuropäischen künstlerischen Strömung, und wir haben ja aus beiden Strömungen Charakteristisches vorgeführt. Wiederholen diejeni­gen Vorstellungen, die schon vorgebracht worden sind, möchte ich nicht, son­dern ich möchte, da wir in der Lage sind, einige Reproduktionen von Raffaels Schöpfungen vorzuführen, zunächst solche, die wir früher nicht vorgeführt haben, gerade in bezug auf die Persönlichkeit Raffaels einige Worte sagen, die sich, ich möchte sagen, wie eine Art speziellen Ergebnisses - gerade mit Bezug auf Raffael spezielle Ergebnisse -, aus den Ideen über südeuropäische Künstler-schaft entwickeln lassen.

Wer Raffaels Schöpfungen auf sich wirken läßt, der wird finden, daß in Raffael wirklich mit Bezug auf gewisse künstlerische Intentionen ein Höch­stes erreicht ist. Man frägt, wenn man Raffaels Schöpfungen verstehen will, wenn man sie auf sich wirken läßt, man frägt gleichsam in sich selbst nach der Art, wie dasjenige, was in seinen künstlerischen Schöpfungen zum Ausdruck

#SE292-198

kommt, in allgemeinen Weltbeziehungen darinnensteht. Denken Sie einmal von diesem Gesichtspunkte aus an die «Madonna della Sedia»:

195 Raffael Die Madonna della Sedia

Denken Sie, wie im Grunde genommen nach allen Richtungen hin dieses Madonnenbild in eine große Weltperspektive hineingestellt ist. Nehmen Sie zunächst das Bild als Ausfluß der christlichen Weltanschauung: Es gibt einen Impuls der christlichen Weltanschauung - die Geburt des Christus Jesus im Zusammenhange mit der Madonna - in einer solchen Weise, daß man sich sagt: dasjenige, was der Idee, der Intention, dem Impuls nach ausgedrückt werden soll, der welthistorischen Bedeutung nach ausgedrückt werden soll, ist mit Mitteln ausgedrückt, die nicht überboten werden können. Man kann sich von einem gewissen Gesichtspunkte aus keine Erhöhung des Eindruckes den­ken, den jenes Motiv auf die Menschenseele machen könnte: die Madonna mit dem Jesuskinde - man kann sich keine Erhöhung des Eindruckes denken -, als diese Darstellung. So ist eine der Ideen, eine der Vorstellungen der christli­chen Weltanschauung mit in einer gewissen Beziehung höchsten denkbaren Mitteln zum Ausdruck gekommen.

Betrachtet man das Bild, ich möchte sagen, so, als ob man nichts wüßte von christlicher Anschauung, so, wie Herman Grimm einmal von diesem Bilde gerade gesprochen hat, betrachtet man es einfach als Ausdruck für das tiefe Mysterium des Zusammenhanges der Mutter mit dem Kinde: eine Mut­ter mit dem Kinde - wiederum durch die Mittel des Ausdruckes ein Höchstes erreicht in bezug auf eines der mysteriösesten Motive des ganzen uns Men­schen im physischen Leibe vorliegenden Kosmos. Also selbst wenn man das von allem welthistorischen Geschehen abliegende, reine Naturbild nimmt: die Mutter mit dem Kinde - wiederum ein in sich Abgeschlossenes, in seiner Art ein Höchstes Darstellendes.

Immer ist es bei Raffael so, daß man nach der Weltbedeutung der Mo­tive fragen kann, und dann aus jenen Strömungen, die wir darstellen konnten für die südliche Welt, hervorgehend die Mittel, in einer in sich vollendeten Weise das Motiv zum Ausdruck gebracht. Aber das ist eben das Eigentümliche,

#SE292-199

daß man die Motive in einer gewissen Weltbedeutung darinnen denken muß. Sieht man das Motiv christlich an - man könnte es noch von verschiedenen anderen Gesichtspunkten als den zwei angeführten betrachten -, sieht man das Motiv christlich an, dann stellt es sich in einen großen historischen Zu­sammenhang hinein, löst sich von dem einzelnen Individuell-Menschlichen los; stellt man es in den Naturzusammenhang hinein wie in dem zweiten der Gesichtspunkte: es löst sich los von den Menschen; es ist gleichsam so, daß man vergißt das Menschliche, das dabei betätigt war im Hervorbringen, das Menschliche des Raffael. Hinter dem Maler stehen die großen Weltanschau­ungsperspektiven, die sich in ihm zum Ausdruck bringen. Das kennzeichnet solch einen Maler wie Raffael gerade als den Maler des ausgehenden Zeitalters, das wir als den vierten nachatlantischen Zeitraum bezeichnet haben. Solche Zeiträume, zu Ende gehend, oder auch in ihrer Innerlichkeit noch herüberra­gend über die Zeitengrenze, drücken ein Höchstes aus.

Wir werden nachher sehen, wie ganz anders die Dinge liegen, wenn wir ebenso etwa die Persönlichkeit Dürers betrachten; da liegen die Dinge ganz anders. Sie könnten ebenso, wie wir das mit Bezug auf die genannte Madonna getan haben, die Sixtinische Madonna betrachten:

193 - 194 Raffael Die Sixtinische Madonna

Wiederum würden Sie sich sagen müssen: dasjenige, was dargestellt ist, interessiert vor allen Dingen dadurch, daß es sich abhebt von einer größeren Weltanschauungsperspektive; und ohne den Hintergrund einer größeren Welt­anschauungsperspektive ist die Sache nicht zu denken.

Von diesem Gesichtspunkte aus sehen wir uns einmal Raffaels Bilder an, soweit sie uns heute zur Verfügung stehen, und beachten wir gerade diesen charakterisierten Gesichtspunkt. Um in diesem charakterisierten Gesichts­punkte zu schaffen, um gerade von diesem Gesichtspunkte aus herauszuhe­ben die Schöpfungen aus einer großen Weltenperspektive, mußte in Raffaels Seele etwas so, ich möchte sagen, auch Kosmisch-Gesetzmäßiges wirken, wie es sich ausdrückt in seinem ja höchst merkwürdigen Lebensgange. Man denke sich nur, wie regelmäßig - Herman Grimm hat es bereits hervorgehoben

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- Raffaels Schaffen eigentlich zyklisch erfolgt: einundzwanzigjährig schafft er «Marias Vermählung» (178), vier Jahre etwa danach: «Die Grablegung» (225-229); weitere vier Jahre danach wird er mit den Ausmalungen der «Ca­mera della Segnatura» (197-210) fertig; weitere vier Jahre danach schafft er die «Cartons zu den Teppichen» (231-233) und die beiden Madonnen (193-195) und weitere vier Jahre danach - siebenunddreißigjährig - ist er damit beschäftigt, «Christi Verklärung» (217-219) zu gestalten, die unfertig dasteht, als er den physischen Plan verlassen hat. In richtigen vierjährigen zyklischen Perioden schafft, ich möchte sagen: etwas wie ein kosmisches Prinzip in Raffael dasjenige, was «aus Weltperspektiven Hervorgehen» ist. Deshalb löst sich Raffaels Schaf­fen so stark von seiner Persönlichkeit ab. Und wir können immer bei ihm ver­anlaßt sein, die Frage aufzuwerfen: Wie vollkommen, wie in sich geschlossen werden die Motive, die nun weltgeschichtliche Motive sind, zum Ausdruck gebracht, die er zum Ausdruck bringen will. Und weil, mehr noch als von irgend etwas anderem gerade von der Kunst, in der Raffael darinnensteht, alle Kunstbetrachtung auch bis heute noch hergenommen ist, so sehen wir alle Kunstbetrachtung, die heute im exoterischen Leben waltet, mehr oder weni­ger so gestaltet, daß man sieht: die Begriffe, die Vorstellungen, die Ideen sind an der Kunst gelernt, deren höchster Ausdruck Raffael ist, an der Kunst der italie­nischen Renaissance. Daher hat man im äußeren Leben die besten Begriffe, um diese Kunst auszudrücken, und alle andere Kunst an den Hervorbringungen dieser Kunst wie an Idealen zu messen; und weniger Worte stehen uns zur Verfügung, weniger Vorstellungen und Ideen, um irgendeine andere, spezi­fisch davon unterschiedene Kunstrichtung eigentlich auch nur zu besprechen. Das ist das Eigentümliche.

Und jetzt werden wir eine Reihe von Bildern einfach an unserer Seele vorüberlaufen lassen, die wir noch nicht bei Raffael betrachtet haben, mit Ausnahme von einigen. Das ist «Die Vision des Ezechiel»:

215 Raffael Die Vision des Ezechiel

Die Vision des Ezechiel - natürlich leben die Vorstellungen heute nicht mehr, aus denen dergleichen, auch zu Raffaels Zeiten noch - lebendig hervorgegangen

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ist. Dieses Wandern der Seele durch die geistige Welt in Men­schengestalt so sachgemäß vorzustellen, gelingt den Menschen, die der Gei­steswissenschaft fernstehen, heute selbstverständlich nicht mehr. Das Tierische nach unten, als Ausdruck desjenigen, was der Mensch von sich abgestreift hat, was aber selbstverständlich sogar noch in seinem ätherischen Leibe wohl zu finden ist, wenn dieser ätherische Leib losgetrennt wird von dem physischen Leibe. Das Verbundensein mit dem Kindlichen in der Weise, wie es hier durch die Engelfiguren dargestellt ist, das entspricht einer ganz realen Vorstellung, das entspricht der Vorstellung einer wirklichen Realität. Wenn man den Men­schen völlig betrachtet, wie er ist, so kann man sagen: die Dreigliedrigkeit, von der gesprochen werden mußte, als über den «Hüter der Schwelle» Mit­teilung gemacht wurde, diese Dreigliedrigkeit tritt überall hervor, wo das vom Physischen emanzipierte Geistige des Menschen gemeint ist; so daß man dieses Dreigliedrige in den mannigfaltigsten Formen, die nicht symbolisch sind, sondern die eigentlich geistigen Wirklichkeiten entsprechen, findet: wie hier in dem ausgewachsenen Menschen in seinem Verhältnis zum Kinde und zum Tier.

76 Perugino, Werkstatt Die Verrnählung der Maria, Studie zur (oder nach der) Predella von Peruginos «Madonna mit Heiligen»

Hier haben wir die Möglichkeit, eine Studie vorzuführen zu der Vermäh­lung der Maria,

75 Perugino «Sposalizio» 75a Raffael «Sposalizio»

- also jenem Gemälde, mit dem Raffaels große Künstlerlaufbahn eigentlich erst beginnt, das er einundzwanzigjährig geschaffen hat, als dem Anfang der vierjährigen Perioden, die sein ganzes künstlerisches Schaffen beherrschen.

230 Raffael Die Berufung Petri

216 Raffael Die Kreuztragung

Das ist nun wiederum ein Entwurf zu einer Beweinung Christi durch die Frauen

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226 Raffael Entwurf zu einer Beweinung

234 Raffael Die Predigt des Paulus zu Athen

Und nun haben wir noch einmal eine Reproduktion der sogenannten «Dis­puta»:

197 Raffael Die Disputa zu der wir auch Details haben.

201 Raffael Dreifaltigkeit

wie sie genannt wird, und eine «Skizze zur Disputa»:

199 Raffael Skizze zur Disputa

Dann folgt:

196 Raffael Die Heilige Cäcilie

von der wir schon im ersten Vortrag gesprochen haben. Dann haben wir eine Probe von Raffaels Porträtkunst:

224 Raffael Bildnis eines Kardinals

Und nun zwei Proben seiner «Teppiche» im Vatikan:

232 Raffael Petri Fischzug

Es sind das diejenigen Bilder Raffaels, denen gegenüber Goethe gemeint hat, daß nichts sich ihnen vergleichen ließe an Größe von dem, das er damals kannte.

Das andere stellt dar:

233 Raffael Die Heilung des Lahmen

Nun bitte ich Sie, wenn Sie gerade wiederum Ihren Blick auf die heuti­gen Bilder Raffaels zurückwenden, zu gedenken, wie in diesen Bildern, man kann das zum Beispiel gerade auch mit Rücksicht auf die heute vorgezeigten

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Skizzen sagen, zu sehen ist der Nachglanz einer gewaltigen Kunsttradition. Es ist ein Letztes und damit ein Höchstes, das den Abschluß bildet einer Kunsttradition. Dann aber bitte ich Sie: denken Sie nur zum Beispiel an das Bild der «Paulus-Predigt» (234), an andere, wie zum Beispiel die «Disputa» (197-198) oder sonstige Bilder, Sie können ja im Grunde genommen nehmen, was Sie wollen, von den gesehenen Bildern, überall können Sie sagen: ich unterscheide dasjenige, was dargestellt ist, und frage mich um den Vorgang oder die Persönlichkeit, die dargestellt ist; es wird niemals genügen, bloß die Antwort zu geben: nun ja, was dargestellt ist, hat diese oder jene Beschaffen­heit, drückt dieses oder jenes aus, sondern überall muß die Frage aufgewor­fen werden: Wie denkt der Künstler dasjenige, was er darstellt, hohen Kunst-ideen gemäß auszudrücken? - Wir dürfen nicht bloß fragen: wie wird Paulus die Hände emporgehoben haben, wenn er gepredigt hat? -, sondern wir müs­sen fragen bei Raffael: wie muß dem Kunstebenmaß gemäß zum Ausdruck gebracht werden der Winkel, den die Arme mit dem Körper zu bilden haben und dergleichen. Überall ist, ich möchte sagen: der Zauberhauch besonderer Kunstgesetzmäßigkeit über alles ausgegossen. Sie können bei dem Knaben, der hier, neben der rechten Säule steht, nicht bloß fragen: was geht in der Seele dieses Knaben vor? -, sondern Sie müssen nach besonderen Kunsteben­mäßigkeitsgesetzen fragen, müssen fragen, wie in das Ganze des Bildes sich hineinstellt die nach beiden Seiten hin gehende Verlängerung der Arme, die in der gleichen Richtung sind und so weiter, überall nach den Gesetzen der Har­monie fragen. Kurz, wir können genau unterscheiden dasjenige, was sich künstlerisch abhebt, möchte ich sagen, und dasjenige, was als Motiv dahinter liegt, nur so, daß die Kunst hier so gewaltig auftritt, daß sie alles Motivhafte in ihre Sphäre hereindrängt. Und wir können daher geradezu bei einem sol­chen Künstler wie Raffael das Wort prägen in seiner ureigensten Bedeutung:

die künstlerische Wahrheit macht alles übrige wahr, die künstlerische Wahr­heit zwingt alles übrige in ihren Kreis.

Dieses Wort, so wie es hier gemeint ist, können Sie nun nicht anwenden auf die Reihe der folgenden Bilder, die wir jetzt werden vor unserer Seele vorbeiziehen lassen.

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Da haben wir - um uns wiederum an Schongauer, der 1491 gestorben ist, zu erinnern - eine «Kreuztragung» von ihm:

252 Schongauer Kreuztragung

Da sehen Sie allerdings, ich möchte sagen, genau das Umgekehrte. Hier sehen Sie überall zunächst, daß der Künstler den Hauptwert darauf legt, das­jenige auszudrücken, was er ausdrücken will, und daß ein solches besonderes Künstlerisch-Wahres, das schon den Abschluß einer größeren Tradition bil­den würde, nicht wie ein Zauberhauch darüberliegt, sondern daß angestrebt wird, so gut es durch die Bewältigung der Kunstmittel dem Künstler eben möglich ist, dasjenige, was in den Seelen liegt, auszudrücken. Hier spricht die Welt unmittelbar, nicht durch eine große Kunsttradition, zu uns.

Und nun werden wir ebenso in einer Reihe von Bildern, die wir uns noch nicht vorgeführt haben, die Persönlichkeit Dürers auf unsere Seele wirken lassen. Bei Dürer - man könnte sagen: dem Zeitgenossen Raffaels - haben wir nun eine ganz und gar andere Persönlichkeit vor uns. Unmöglich ist es, bei Dürer ebenso zu denken wie bei Raffael. Bei Dürer werden wir nicht leicht finden, daß wir die Persönlichkeit, das Menschliche vergessen könnten; nicht, als ob wir es unbedingt uns immer vorstellen müßten, aber die Bilder selber zeigen das unmittelbar der Menschenseele Intime, der Menschenseele elementar Entspringende. Und wie Raffael im Grunde immer auf dem Hin­tergrunde einer großen Weltperspektive malt, so daß er nur denkbar ist, wie wenn in seiner Seele, ich möchte sagen: der christliche Genius selber malte, auf der einen Seite; und auf der anderen Seite nur denkbar ist so, wie stehend eben im Abschluß einer großen Kunstepoche, in der vorangegangen ist, daß Schüler bei ihren Meistern viel gelernt haben über dasjenige, was künstlerisches Ebenmaß ist, was in einer gewissen Weise gemacht werden muß, daß es den Anforderungen der großen Kunst entspricht, während man bei Raffael immer vor dies gestellt ist, sieht man bei Dürer überall im Hintergrunde, ich möchte sagen: etwas wie die Aura des damaligen mitteleuropäischen Lebens, die Aura des deutschen Städtewesens. Und unsichtbar waltet in diesen Bil­dern alles dasjenige, was in der Freiheit des Städtetums aufblühte, was sich

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entgegenarbeitete der Reformation. Zugleich steht Dürer eigentlich nicht so, daß irgendeine, irgendwie große Weltperspektive im Hintergrunde ist, sondern, ich möchte sagen: das gewöhnlich Menschliche, das an die Bibel herantritt, das an die Mitmenschen herantritt und die eigene Seele zum Ausdruck bringt, so daß man dieses Menschliche eben, wie gesagt, niemals trennen kann davon. Etwas so kosmisch durch die Seele Durchwirkendes wie bei Raffael, wird man allerdings bei Dürer nicht suchen dürfen; dagegen etwas Inniges, etwas, man kann es nicht oft genug sagen, enge mit der Menschenseele, ihrem Fühlen, Suchen, Sehnen, Trachten Zusammenhängendes.

294 Dürer Die vier Hexen

277 Dürer Melanchthon

Hier haben wir das Bild des Melanchthon, des theologischen Trägers der Reformation, gegenüber Luther, der der priesterliche Träger war.

Nun haben wir das sogenannte Rosenkranzfest, das in Prag ist:

282 Dürer Das Rosenkranzfest

Es werden der Papst, der Kaiser und Vertreter der Christenheit mit Ro­sen gekrönt von Maria, vom Jesuskind und von dem heiligen Dominikus. Wie sich da oben rechts die zwei Gestalten an den Baum lehnen, von denen der eine Dürer darstellt, das sehen Sie dann auf dem Detailbild:

283 Dürer Rosenkranzfest, Teil: Selbstbildnis

Dann haben wir wiederum Proben von Dürers Porträtkunst. Das ist

275 Dürer Dürers Vater

276 Dürer Porträt Imhoff

Gerade wenn Sie solch ein Porträt ansehen, so kann lebendig werden das ganze Leben der damaligen Zeit, und insofern kann man wirklich sagen, daß Dürer eine historische Persönlichkeit allerersten Ranges ist; denn man lernt eigentlich durch kein historisches Dokument so gut kennen, was es für Leute in der damaligen Zeit gab, als durch dasjenige, was Dürer geschaffen hat.

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Damit haben wir die Reproduktionen einer Anzahl von Gemälden, die wir zur Verfügung haben, vorgeführt. Jetzt wollen wir von Dürers Zeichnun­gen und so weiter dasjenige vorführen, was ihn bis zu einem gewissen Grade charakterisieren kann. Zuerst einige Holzschnitte aus seinem Zyklus «Die Apokalypse», den er 1498 in 15 Blättern geschaffen hat. Sie sehen hier das Bild

296 Dürer Die vier apokalyptischen Reiter

Das nächste Bild

Dürer

297 Das Sonnenweib

298 Lobgesang der Auserwählten im Himmel

299 Loslösung der Engel

300 Michael mit dem Drachen

Und jetzt wollen wir aus der sogenannten «Kupferstich-Passion» eine Anzahl von Bildern vorführen:

302 Dürer Das Schweißtuch der Veronika

Dann das Motiv, das ja in dieser Zeit immer wieder auftritt:

303 Dürer Der Schmerzensmann

Dann:

304 Dürer Die Geißelung

305 Dürer Die Domenkrönung

306 Dürer Ecce Homo

Nun wollen wir eine Reihe von Bildern aus der Passion in kleinen Holz­schnitten, der «Kleinen Holzschnitt-Passion», vorführen, die im ganzen 37 Bilder umfaßt. Wir werden also einige dieser außerordentlich innigen Bilder vorführen. Das ist das Titelblatt:

307 Dürer Christus mit dem Dornenkranz

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Nun innerhalb dieser Passion:

309 Dürer Das Abendmahl

310 Dürer Die Geißelung

Dann das, was man die «Verspottung» nennt:

Dürer

311 Christus am Kreuz

312 Das Schweißtuch der Veronika

313 EcceHomo

314 Die Kreuztragung

316 Die Beweinung Christi

317 Die Auferstehung

Und nun

318 Dürer Die Himmelfahrt

295 Dürer Der große Herkules

Nun können wir noch zwei Holzschnitte zeigen von Hans Baldung, Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts, der vermutlich in Dürers Werkstatt, wenigstens eine Zeitlang, gearbeitet hat:

332 Hans Baldung Die drei Parzen und auch

331 Hans Baldung Ecce Homo

Dann einen Holzschnitt von Hans Sebald Beham:

333 Hans Sebald Beham Der Schmerzensmann

Nun möchte ich folgendes bemerken: Mehr als man aus den gebräuch­lichen Geschichtshandbüchern, die man so gewöhnlich zur Hand nimmt, wis­sen kann, drückt sich wirklich in dem ganzen Leben im 12., 13., 14., 15., 16. Jahrhundert das aus, was zusammenhängt mit dem Übergang aus dem vierten

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in den fünften nachatlantischen Zeitraum. Man muß ja in Betracht ziehen, daß in solchen Zeiten, in denen man also an Zeitengrenzen steht, wirklich im Zeitleben vieles wahrzunehmen ist, das den großen Umschwung zum Aus­druck bringt. Die Geschichte verläuft schon nicht so, wie man dieses nach den Handbüchern glauben könnte, daß immer Wirkung auf Ursache, und immer wieder und wiederum Wirkung auf Ursache und so weiter kommt; sondern in charakteristischen epochalen Wendungspunkten stehen auch ganz charakteristische Erscheinungen auf den verschiedensten Gebieten. Beim Über­gang aus der Zeit der Verstandes- oder Gemütsseele in die Zeit der Bewußt­seinsseele liegen verschiedene Erscheinungen der verschiedensten Mittel, die zeigen, wie gefühlt wurde, als eben herankamen die Impulse, die mit der Ent­wickelung der Bewußtseinsseele zusammenhängen. Mit dieser Entwickelung der Bewußtseinsseele hängt ja zusammen die Ausgliederung der Verhältnisse, die der Mensch besonders ausbilden soll im fünften nachatlantischen Zeitraum zum rein physischen Plane; und der Mensch soll besonders gekettet werden an den physischen Plan. Nun natürlich erscheinen damit auch alle Reaktionser­scheinungen, alle Erscheinungen, die sich dagegen auflehnen; es erscheint aber auch alles dasjenige, was wiederum aus dem früheren Zeitraum herüberragt, sich herüberverzweigt und sich herübergliedert.

Und so sehen wir hervortreten unter den vielerlei Symptomen dieser Zeit das Beschäftigen der Menschen in intensiver Weise mit dem Phänomen des Todes. Auf den verschiedensten Gebieten - man kann das schon nachweisen -tritt der Gedanke an den Tod an den Menschen heran. Der Tod gewisserma­ßen in seinem Mysteriencharakter tritt an die Seelen heran in der Zeit, als gerade die Seelen sich anschicken sollen, am meisten herauszutreten auf den physischen Plan. Außerdem aber ragen ja die Erscheinungen des vierten nach-atlantischen Zeitraums herüber in den fünften nachatlantischen Zeitraum: die Auswüchse des zum reinen Machtimpuls gewordenen romanischen Papsttums und alles dessen, was damit zusammenhängt, die Auswüchse der alten Stände-gliederung, des überhandnehmenden Reichtums der höheren Stände und des Übermutes der höheren Stände, die Veroberflächlichung der höheren Stände und die Veräußerlichung der religiösen Motive auf der einen Seite, auf der

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andern Seite das Nachdenken der zur Innerlichkeit kommenden Menschen über das Hereinragen der geistigen Welt in die physische. Dazu die Notwen­digkeit, die Aufmerksamkeit zu wenden auf die geistige Welt, da die Keime und Impulse des Verderbens ja gerade in dieser Zeit so furchtbar hereinragen in die physische Welt. Es sind ja auch die Jahrhunderte, in denen die Pest wütet in weiten Gegenden Europas, ein furchtbares Sterben. Der Tod trat an die Menschen heran auch unmittelbar, als sichtbare Erscheinung in furcht­barster Gestalt. Und so sehen wir auch in der Kunst den Tod in seiner Bedeu­tung studiert. Es tritt uns ja das besonders entgegen in jenem berühmten «Zug des Todes», ich möchte sagen, als eine der ersten Erscheinungen, in der Kirch­hofmauer in Pisa (80-84). Dann aber finden wir die Darstellungen des Todes, wie er herantritt an den Menschen, wie er unter der Gesetzgebung des Schick­sals an jeden einzelnen Menschenstand herantritt. Der «Totentanz» in Dar­stellungen, das heißt: der Umzug des Todes durch die Welt, der Einzug des Todes in alle menschlichen Verhältnisse, wird ein oft, oft dargestelltes Thema. Und aus dieser ganzen Stimmung heraus schafft nun auch Holbein seine «To­tentanz-Bilder», von denen wir drei vorführen wollen.

Diese Totentanzbilder des Holbein hatten mehr die Aufgabe, zu zeigen, wie der Tod herantritt an den reichen Menschen, herantritt an Menschen in allen Ständen, an Oben und Unten herantritt, aber auch als ein gerechter Richter. Alle möglichen Verhältnisse, in denen der Tod an das Leben heran­tritt, wollte gerade Holbein in seinen Totentanzbildern darstellen. Erst «Der Tod an den König herantretend», ihn herausreißend aus seinem königlichen

Leben:

319 Holbein Der König

Dann «Der Tod an den Mönch herantretend»:

320 Holbein Der Mönch

An solchen Darstellungen hatte das Volk seinen besonderen Gefallen in der damaligen Zeit. Es ist ja die Zeit, in der die Reformation ein Ende machen will mit all der Verweltlichung, der Veroberflächlichung, der Veräußerlichung

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des religiösen Wesens, mit all dem eben, was man dazumal «die Verderbnis der Kirche und des Klerus» nannte.

Dann «Wie der Tod an den reichen Mann herantritt» und ihn beim Hau­fen Geld findet:

321 Holbein Der reiche Mann

Wir haben nun gesehen, wie sich die deutsche Kunst auslebt an bedeu­tenden Erscheinungen, insbesondere in ihrer bedeutendsten Erscheinung, in Dürer, Ende des 15. Jahrhunderts, im Beginn des 16. Jahrhunderts. Die Frage muß einen immer wieder und wieder interessieren: wie ist es eigentlich mit der Entstehung, mit der Entwickelung dieser besonderen Kunstströmung? Und um einiges über diese Entwickelung zu sagen, seien jetzt ein paar Bilder vor­geführt, welche in einem charakteristischen Momente uns zeigen, wie die Fak­toren stehen.

In der Entwickelung gerade der mitteleuropäischen, der deutschen Kunst, und zwar der süddeutschen Kunst im Beginne des 15. Jahrhunderts, können wir eigentümliche Studien machen. Allerdings, die Bilder, die wir zeigen wer­den, sollen vorführen die Ergebnisse erst einer längeren Entwickelung; aber diese Ergebnisse werden uns an diesen Bildern charakteristisch hervortreten. Gewiß, wenn man einen größeren Umriß von Erscheinungen zu charakteri­sieren hat, muß man vieles zusammenfassen, und will man wahr sein, so muß man dieses so zusammenfassen, daß dasjenige, was man als charakteristisches Bild wählt, vielleicht nicht in einem einzelnen Fall gerade sich verwirklicht hat, aber im Ganzen sich doch verwirklicht hat. Man muß sich insbesondere -und charakteristisch zeigt sich schon das Entstehen der mittelalterlichen Kunst, die Entstehung der mittelalterlichen Kunst der Deutschen, gerade am Ab­hange der Alpen und nach Süddeutschland hinein, in südbayrische Gegenden, in schwäbische Gegenden -, man muß sich ja klarsein, daß hier ein Zusam­menfließen stattfindet von zwei Faktoren.

Der eine Faktor ist alles dasjenige, was auf den Wogen der kirchlichen Entwickelung vom Süden her gebracht wird, ich möchte sagen: des römischen Kirchenwesens. Wir müssen uns durchaus vorstellen - wenn auch die geschichtlichen

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Dokumente darüber sehr wenig enthalten, wahr ist es doch, daß die Dinge so sind -, daß auch über Künstlerisches auf dem Umwege durch die Kirche und ihre Träger, insbesondere in die genannten Gegenden hinein außer­ordentlich viele Impulse gekommen sind. Kirchliche Persönlichkeiten wurden ganz gewiß auch Maler, gute und schlechte Maler, und sie standen im Zusam­menhang mit der ganzen Entwickelung des Kirchenwesens vom Süden herauf, vom romanischen Wesen herauf. Da brachten sie mit alles dasjenige, was da an Traditionen vorhanden war. Die künstlerische Tradition, die ihren Höhepunkt selbstverständlich nur in Genies erreichen konnte, aber als Tradition auch bei Stümpern gelehrt worden ist und vorhanden war, die ist ja insbesondere in Italien heimisch; da nehmen sie auf auch die Priester, die Mönche, welche nach dem Norden gehen; und sie übertragen neben allem übrigen, das sie aus dem Römisch-Kirchlichen her haben, auch die Begriffe, wie man künstle­risch schaffen muß: die Begriffe von künstlerischer Harmonie, von künstle­rischem Ebenmaß, die Begriffe, wie man in ein Bild hinein Personen gruppie­ren soll, wie man sonst Linien zu führen hat. All dasjenige, was man in einem Höhepunkt an solchen Schöpfungen wie denen von Michelangelo und be­sonders von Raffael sieht, das ging ja hervor aus weit verzweigten Kunstieh­ren; das war durchaus nicht naive Schöpfung. Raffael hat auch nicht naiv ge­schaffen, sondern geschaffen, wie ich sagte, eben aus einer weitgehenden künstlerischen Tradition. Da wußte man, wie man an der oder jener Stelle die Personen anzuordnen hat, wie man eine Person zu stellen hat, daß sie künstle­risch richtig steht und dergleichen. Da hatte man auch schon - und ich habe das ja das letztemal erwähnt - die Gesetze der Perspektive bis zu einem ho­hen, vollendeten Grade gebracht.

Das alles wurde herauf nach dem Norden übertragen. Solche Dinge wur­den mit denjenigen, die Talent hatten, künstlerisch tätig zu sein, von Mön­chen und Priestern, die selber künstlerische Ausbildung genossen hatten, viel­fach besprochen. Aber man muß sagen: die Menschen, die aus den Gegenden, aus den deutschen Gegenden des heutigen Osterreichs, des heutigen Südbay­erns, Schwabens waren, sie haben ganz gewiß nur mit einem großen Wider­streben diese künstlerischen Regeln aufgenommen, waren gewissermaßen vie­lem

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unverständig gegenüberstehend. Sie haben gehört: so muß man das ma­chen; aber so recht ein ging ihnen das nicht, daß man's so machen müsse; denn sie hatten in sich selber noch nicht ausgebildet das Sehen für diese Dinge. So daß man in der Zeit, aus der ja weniges mehr erhalten ist, gerade aus jenen Gegenden heraus Schöpfungen annehmen muß, welche all das, was der großen Kunsttradition des romanischen Südens entspricht, in recht stümperhafter Weise gefördert hatten. Man konnte nicht recht darauf eingehen, da man dazu nicht viel Talent hatte. Die menschlichen Talente waren eben in diesen Gegen­den anders. Und wenn ich sage: auf der einen Seite kam all das, was durch rö­mische Priesterschaft nach dem Norden getragen war - wenn ich dies das eine Element genannt habe, so möchte ich eben das andere Element nennen: die elementarische Ursprünglichkeit des Gemütes der Menschen selber, die sich in diesen Gegenden geeignet zeigten, irgendwie sich als Maler zu betätigen. Die hatten kein Talent eigentlich, gerade dasjenige zu befolgen, was im Süden als höchste Anforderung des Künstlerischen galt. Für Perspektive hatten sie zunächst gar kein Auge. Daß in einem Bilde zum Ausdruck gebracht werden müsse: die eine Person steht vorne, im Vordergrund, die andere Person weiter im Hintergrund, das konnten sie nach perspektivischen Gesetzen außerordent­lich schwer begreifen. Für diese Gegenden, die in vieler Beziehung aber der Ausgangspunkt der deutschen Kunst sind, für diese Gegenden ist die Anschau­ung des Raumes durchaus in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts noch etwas Verschlossenes. Man kann sich nicht durchringen, die perspektivischen Ge­setze wirklich als etwas Eigenempfundenes zu fühlen. Man fühlt höchstens, daß man durch Überschneidungen ausdrücken muß: das eine ist vorne, das andere ist hinten; dasjenige, das überschneidet ist vorne; was überschnitten wird, ist hinten. Und auf diese Weise sucht man einige Raumanordnung in die Bilder hineinzubringen. Auf diese Weise beginnt man, sich in die Gesetze des Raumes hineinzufinden.

Aber gerade an diesen, aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in cha­rakteristischer Weise auftretenden, noch primitiven Bildern ersieht man, wie schwierig es ist für jene Entwickelung, die sich unmittelbar aus den elementa­ren Kräften des Menschenherzens heraus bilden will, selbständig zu den Gesetzen

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des künstlerischen Schaffens zu kommen. Ich möchte sagen: wir wol­len jetzt an Beispielen gerade aus diesen Gegenden zeigen, wie kein rechtes Verhältnis besteht zu dem, was übertragen ist: zur Tradition, die gleichsam widerwillig aufgenommen worden ist, und wie noch nicht die Möglichkeit besteht, aus dem eigenen Verständnisse heraus die Gesetze des Raumes zu befolgen.

Da möchten wir Ihnen zunächst vorführen einen Künstler aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts - Lukas Moser:

334 Lukas Moser Der Tiefenbronner Magdalenen-Altar

335 Lukas Moser Die Meerfahrt der Heiligen, Teil von 334

Da können Sie sehen, wie es dem Künstler schwer, fast unmöglich wird, aus der einen Fläche hinauszukommen, wie er ganz unvermögend ist, irgend etwas von perspektivischen Gesetzen zu befolgen. Er schafft aus den elemen­taren Kräften seines Gemütes heraus; aber er schafft so, daß er kaum über die Ebene, in der alle Figuren sind, irgendwie hinauskommt. Trotzdem ist es in­teressant, einmal etwas so Primitives zu sehen wie dieses.

Lukas Moser ist also einer derjenigen Künstler, die ja schaffen in einer sozialen Ordnung darinnen, in der natürlich einige von den Kunstgesetzen leben, die vom Süden heraufgebracht worden sind; es spielt schon etwas von dem südlichen Stil herein. Aber es wird zu gleicher Zeit versucht, das, was man selber sieht, dem Bilde mitzugeben. Und das eine widerspricht gewissermaßen dem andern. Denn man sieht nicht selbst irgendwie dasjenige, was die Kunst-regeln zum Ausdruck bringen.

Sehen Sie sich diese sogenannte «Meerfahrt der Heiligen» an, das Wasser, in dem das Schiff, das Sie hier sehen - man kann eben kaum sagen: im Vor­dergrunde sehen -, fährt, das Wasser geht bis nach vorne. Die Wellen werden ausgedrückt dadurch, daß man Wellenkämme macht, die heller sind. Aber wenn Sie versuchen, sich den Augenpunkt des Bildes zu vergegenwärtigen, den Punkt, von dem aus das Ganze als gesehen gedacht werden kann, so wer­den Sie sogleich in Verlegenheit kommen. Natürlich müssen Sie sich den Au­genpunkt hoch denken, so, daß man eine Art Heraufsicht hätte; damit aber

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stimmt wiederum nicht dasjenige, was unten in den Heiligen als Hauptge­stalten erscheint. Auf der andern Seite sehen Sie überall, daß schon dasjenige angestrebt wird, was dann bei den deutschen Künstlern der späteren Zeit, die wir ja betrachtet haben, als ihr eigentliches Großes herauskommt. Also das Naturalistische, die Wiedergabe des Ausdruckes, sehen Sie bei diesen Heiligen, die in diesem Schiffe sind, die auf dem Rande so sitzen, daß sie wohl bei dem geringsten Windstoß sicherlich ins Wasser fallen würden. Aber Sie sehen doch wiederum, wie Feinheit der Beobachtung, Feinheit des seelischen Ausdruckes trotzdem durchaus zum Ausdruck kommen, wie versucht wird, neben allem ungeschickten Beobachten der Kunst- und Harmonieregeln, realistisch zu sein - wenn Sie sich den Heiligen Maximin anschauen in der Mitra, wie ver­sucht wird, zum Ausdruck zu bringen realistisch das, was man beobachtet hat wiederum, ich möchte sagen: im Gegensatze zu der inneren Wahrheit. Denn selbstverständlich könnte das Gesicht nicht diese Haltung haben bei dieser Körperlage. Und dergleichen sind ungeheuer viel Fehler noch darinnen. Das kommt daher, daß der Künstler auf der einen Seite nach dem strebt, was dann die Größe der deutschen Kunst ist, und zu gleicher Zeit unter dem Eindrucke steht: du mußt in die Mitte ein Gesicht machen, das das Antlitz en face zeigt, im Gegensatze dazu mußt du Profile machen; gewisse Regeln, die man ihm beigebracht hat, gewisse Anordnungen im Bilde, das alles will er beobachten -aber er kann es nur nach Maßgabe seiner elementaren Anschauungen, die eben sich noch nicht durchgearbeitet haben zu irgendeiner Perspektive, zu irgend­einer Befolgung der Raumgesetzbeobachtung.

Wenn Sie sich die kleinen Hügel vorstellen und das Ganze doch wiederum so, daß ein eigentliches Zurückgehen durchaus nicht darinnen liegt in dem Bilde, so sehen Sie, welch immenser Fortschritt vorliegt. Wenn Sie die Zeit nehmen - wir haben also dieses Altarbild in der ersten Hälfte des 15. Jahr­hunderts -, wenn Sie beachten, wie kurz die Zeit ist bis zu Dürer und Hol-bein, so werden Sie sehen, wie stark die Kräfte gewirkt haben, die hier aus selbständigen elementaren Impulsen heraus mit Überwindung der vom Süden hergebrachten Kunsttradition - denn die wollte man nicht: man sieht, wie man sich sträubt dagegen -, mit Überwinden der Tradition und mit dem Selbstfinden

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desjenigen, was man nötig hatte, wie man in verhältnismäßig kurzer Zeit weit gekommen ist.

Noch ein anderes Bild von Lukas Moser:

336 Lukas Moser Die schlafenden Heiligen

Sehen Sie sich dieses Bild an: Sie sehen auf der einen Seite, nicht wahr, wie der Künstler etwas schafft, das eigentlich zeigt, wie er Naturanschauung vereint mit einem vollen Sündigen gegen die unmittelbaren Naturalien. Dieses Ziegeldach, der Kirchturm hier, das ganze Ensemble ist natürlich so, daß es der Künstler nirgends gesehen haben kann; das stellt er zusammen. Das stellt er zusammen, weil er gewisse Kunstregeln bekommen hat «über Verteilung der Figuren im Raum». Dabei sehen Sie, wie er die einzelnen Dinge nach seiner Anschauung ausbildet; durchaus naturalistischer Anfang ist bereits dar­innen. Sie sehen zu gleicher Zeit, wie er sich bemüht, naturalistisch zu sein, und dabei doch zum Ausdruck bringen will dasjenige, was er fühlt. Er stellt dar: schlafende Heilige; aber er stellt sie so dar, daß sie durchaus würdig dar­gestellt werden sollen: den Cedonius mit der Mitra schlafend als ersten dort links, rechts Lazarus im Schoße seiner Schwester.

337 Lukas Moser Lazarus im Schoße seiner Schwester

Das Ganze wiederum wie in der Fläche gelegen. Aber eines werden Sie bereits bemerken: daß hier schon auftritt der Versuch, durch Schlagschatten Raumwirkungen hervorzubringen. Während Lukas Moser mit den Gesetzen der Perspektive auf dem allergespanntesten Fuße steht, versucht er durch Schlag-schatten und überhaupt durch Licht- und Schatten-Verteilen Räumlichkeit her­vorzubringen. Ich habe Ihnen bei früheren Gelegenheiten charakterisiert, wie das gerade eine Eigentümlichkeit der deutschen Kunstströmung ist: durch die Fassung des Lichtes, durch die Räumlichkeit des Lichtes, durch die Raumwir­kung des Lichtes zu fühlen die Räumlichkeit. Während man also nicht ausgeht hier von den Gesetzen der linearen Perspektive, von den Gesetzen der Zeich­nung in der Perspektive, geht man aus von dem nach vorn und rückwärts Erweitern der Fläche dadurch, daß man die Lichtwirkungen aufsucht.

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338 Lukas Moser Selbstbildnis. Aus dem Bogenfeld des Magdalenen-Altars.

Besonders bedeutsam sehen wir dieses bei einem Künstler, der schon Na­turwahrheit sucht, aber im Grunde genommen ebenso zu charakterisieren ist wie dieser, bei Multscher:

339 Hans Multscher Christi Geburt

Hier sehen Sie eine Geburt Christi. Wiederum eigentlich von Raumge­setzen in dem Sinne, wie ich vorhin sagte, wie sie vom Süden gekommen sind, nichts; dagegen bereits der Beginn in der Raumwirkung des Lichtes, ich möchte sagen: in dem, was Raum wird aus den Wirkungen des Lichtes heraus, mit großer Aufmerksamkeit schaffend. Das Bild ist 1437 gemalt, ein Sterzin­ger Altarbild.

Gerade in den Bildern von Moser und Multscher haben wir einen wirkli­chen, aus der Natur des deutschen Südens herausgeborenen Kunstimpuls. Das­jenige haben wir da, was dann später aufgegangen ist in der Kunst Dürers, Holbeins und so weiter im Grunde genommen, nur daß sie von den Nieder­landen her, von Flandern beeinflußt waren; auch die Kölner wurzeln in diesen selben Impulsen. Überall sehen Sie, wie merkwürdig im Beginne einer solchen Impulsentwickelung die charakteristischen Dinge schon hervortreten. Sie sehen überall das Bestreben, das Innerliche der Seele der verschiedenen Personen zum Ausdruck zu bringen; aber Sie sehen zu gleicher Zeit eben ein auf ge­spanntem Fuße Stehen mit gewissen anderen Dingen der Naturwahrheit. Wenn Sie sich, nicht wahr, in die Masse, die dort rückwärts ist, hineindenken - neh­men Sie die Nähe der Antlitze: die Personen können nicht nebeneinander stehen, ohne daß man ihnen links und rechts die Arme weghackt, wenn Sie sich sie vorstellen nach der Nähe, die die Gesichter zuweilen haben. Also auf solche Dinge der Raumverteilung wird keine Rücksicht genommen. Eine Per­son steckt in der anderen darinnen.

Ein anderes Bild von Multscher:

340 Hans Multscher Christus am Ölberg

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wobei ich Sie aufmerksam mache, wie er versucht, in die Landschaft, in die Darstellung der Landschaft hineinzukommen. Sehen Sie, wie innig die drei Gestalten der zurückgelassenen Apostel sind, wie wenig es aber dem Künstler gelingt, wirklich einen Unterschied zu machen zwischen Vorder- und Hinter­grund. Wie wenig er imstande ist, irgendwie Raumgesetze zu verfolgen, das können Sie an diesem Bilde ganz besonders scharf ins Auge fassen. Dagegen wiederum, wie er bestrebt ist, durch Lichtwirkungen das Räumliche auszu­drücken, so daß allerdings gerade dasjenige, was dann besonders groß wird in der deutschen Kunst, auch an diesem Bilde wiederum wahrzunehmen ist.

Ein anderes Bild von

341 Hans Multscher Die Grablegung

Gerade in Lukas Moser und Hans Multscher haben wir eben neben ande­ren, von denen aber weniger etwas erhalten ist - man muß diese Dinge eben eigentlich nur überall in den Kirchen finden -, in diesen beiden haben wir di­rekte Anfänge der deutschen Kunst zu sehen. Mit aller Ungeschicklichkeit, mit allem Primitiven, aber eben Anfänge desjenigen, was in den Bildern, die wir aus späterer Zeit angeführt haben, bereits groß herauskommt, sehen wir hier aus dem Primitiven heraus - mit direktem Unvermögen, sich in die Tradi­tionen, die aus dem Süden her kommen, hineinzufinden -, mit diesem direkten Unvermögen malen. Wir sehen eben die Innerlichkeit opponieren gegen das­jenige, was als Regel gebracht wird.

Und nun noch ein anderes Bild von Johannes Multscher:

342 Hans Multscher Die Auferstehung

Sehen Sie sich dieses Bild an, so werden Sie sehen, daß all das, was in bezug auf die beiden Künstler gesagt worden ist, an diesem Bilde ganz beson­ders deutlich hervortritt; wenn Sie einen Punkt suchen wollen, von dem aus die Figuren mit dem Sarkophag - so können wir's ja wohl nennen - gesehen sind, so müßten Sie ihn hoch oben suchen, so daß man eigentlich auf das Ganze daraufsieht; es ist eine Daraufsicht. Wenn Sie aber die Bäume sich an­schauen, so werden Sie sehen, daß diese Bäume so sind, daß sie von vorne gesehen

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sind; so daß also kein einheitlicher Augenpunkt für das Bild vorhanden ist. Die Bäume sind ausgesprochen in frontaler Ansicht; das ganze Bild ist in der Daraufsicht, also einheitliche Raumgesetzanschauung ist nicht vorhan­den. Und auch dasjenige, was Sie sonst an diesem Bild schon sehen, ich möchte sagen, an Perspektive, das würde stark in Wegfall kommen - darinnen täuscht das Auge sehr leicht -, wenn nicht eine innere Gliederung des Raumes in so ausgesprochenem Maße durch die Lichtwirkungen vorhanden wäre. Eine Linienperspektive zu suchen darinnen, das wäre ganz vergeblich, und man würde überall Fehler finden; nicht solche Fehler, wie sie selbstverständlich gemacht werden können, sondern solche Fehler, die eben das Bild unmöglich machen würden. Aber wir sehen überall das Streben aus dem, was das Licht an Räumlichkeit erzeugt, heraus zu überwinden die bloße Linearperspektive. Wir sehen zugleich, wie diese Künstler in Mitteleuropa darauf kommen müs­sen, aus sich selbst heraus ein Ensemble zu empfinden. Es ist interessant, trat allerdings bei diesen Bildern weniger hervor, aber wenn man anderes, gerade auch zu diesen Altarbildern Zugehöriges bei Multscher noch sieht, so kann man finden, wie er zum Beispiel wirklich gerade dadurch, daß er eine feine Lichtempfindung schon hat, fähig ist, Gesichtsausdruck gut hervorzubringen; wie er aber - hier tritt es weniger stark hervor, obwohl auch etwas - kaum in der Lage ist, wahr, künstlerisch wahr die Augen zu bilden, von den Ohren ganz abgesehen, die er noch durchaus so macht, wie es ihn gelehrt worden ist, weil er eben für all das noch nicht die entwickelte selbständige Empfindung hat. Er beobachtet auf der einen Seite dasjenige, was ihm gesagt worden ist, aber ohne viel künstlerisches Verständnis, macht die Dinge so, wie es der Tradition entspricht, aber das macht er schlecht. Dagegen sehen wir schon in primitiver Weise dasjenige, was dann in deutscher Kunst später eben vollendet auftreten kann. Es ist allerdings merkwürdig, wie nun bei einem, der fast Zeit­genosse von Moser und Multscher ist, bei dem Hamburger Meister Francke, all die Dinge in einer großen Vollendung schon auftreten, die wiederum in der deutschen Kunst zu sehen sind.

343 Meister Francke Ecce Homo

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Also bei diesem Ecce Homo, Schmerzensmann, sehen Sie eigentlich, wie der Ausdruck, der sich dann herausarbeitet - ich will sagen: für den Christus-Kopf-, wie der hier schon zu einer hohen Vollendung gekommen ist. Ver­gleichen Sie diesen Christus-Kopf mit dem eben vorhin von Multscher gesehe­nen, so sehen Sie darinnen natürlich einen bedeutenden Fortschritt, ebenso in der ganzen Gestaltung der Figuren. Natürlich fehlt das Eigenartige, das dann herausgekommen ist dadurch, daß eben später die Kunstmittel in vollkom­menerer Weise gehandhabt wurden, wie es bei Dürer sowohl als Maler, als Kupferstecher, als Holzschneider zu bemerken war.

Nun noch von diesem

344 Meister Francke Die Auferstehung

Im ganzen muß man sagen, daß in einem gewissen Sinne die Kunstent­wickelung, die in diesen Anfängen liegt und dann zu Dürer, Holbein und so weiter es gebracht hat, doch im Grunde genommen abgerissen ist. Später tritt eine Unterbrechung ein, indem man sich wiederum zurückwendet zu dem Romanischen, zu dem romanischen Prinzip. Und das 19. Jahrhundert ist ja entschieden in rückläufiger Entwickelung gewesen. Dies hängt ganz sicher mit bedeutsamen inneren Gesetzen der Menschheitsentwickelung zusammen. Es ist in dieser ganzen Kunstentwickelung, die im Grunde herausarbeitet aus dem Hell-Dunkel, und die entdeckt den Zusammenhang des Farbigen mit dem Hell-Dunkel - ich habe das bei Rembrandt erklärt, zu erklären versucht -, diese Kunst arbeitet zu gleicher Zeit aus gewissen kulturhistorischen Not­wendigkeiten heraus auf einen Naturalismus hin. Allein, ihren Gipfel kann sie nicht im Naturalismus haben, weil gerade dieses besondere Begabtsein für die Innerlichkeit der Dinge, nicht die Innerlichkeit der Seele bloß, sondern die Innerlichkeit der Dinge, wie sie in den Raumesgesetzen des Hell-Dunkels, die dann in sich das Mysterium der Farben enthalten, das Goethe in seiner Farbenlehre theoretisch zum Ausdruck zu bringen versucht, weil darin zu­gleich die Möglichkeit liegt, die geistigen Geheimnisse zu malen, darzustellen. Daher liegt das noch offen in der Entwickelung: die geistigen Geheimnisse zu malen aus dem Innerlichen der Farbengebung und aus dem Innerlichen des

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Hell-Dunkeis heraus. Das kann dann natürlich auch auf andere Künste ausge­dehnt werden.

Das ist erst möglich aus einer geisteswissenschaftlichen Weltanschauung heraus zu bewirken, so daß sich in einer gewissen Zukunft zusammenschlie­ßen muß dasjenige, was in den Anfängen dieser Kunst liegt: das Schaffen aus dem inneren Lichte heraus, aus der Gestaltung des Lichtes, aus dem Formge­benden des Lichtes heraus. Solch ein Schaffen, das aber dann auch aus dem Inneren des Seins heraus schafft, das kann aber natürlich nur das spirituelle sein. Daher wird man immer finden, daß mit Bezug auf die Darstellung der Heiligen Geschichte diese Kunst jene Höhe natürlich nicht erreichen kann -trotzdem sie ja in vieler Beziehung eine Vollendung bei dem einen Maler, den wir kennengelernt haben, erreicht hat -, eine solche Vollendung nicht erreichen konnte, wie zum Beispiel bei Raffael die Darstellungen. Dagegen waltet das­jenige, was doch lebt in dieser Kunst bei den Darstellungen, das Geistige sel­ber, wenn man nur findet den Zusammenhang zwischen dem, was aus dieser Kunst heraus pulst, mit den Gesetzen des geistigen Lebens, wo sich, ich möchte sagen: Imagination und Phantasie zusammenschließen und eine imagi­native Kunst schaffen werden.

Ein wenig wurde das ja versucht in seinen Anfängen hier bei unserem Bau, der ja doch vielleicht ein Anfang sein kann zu neuen künstlerischen Im­pulsen. Jeder Anfang muß selbstverständlich etwas haben, was noch primitiv ist; aber auf den verschiedensten Gebieten wurde doch hier versucht, eben ein Neues anzustreben in einem größeren Stile. Nun, vielleicht, wenn man später einmal verstehen wird, was hier angestrebt worden ist, dann wird man auch begreifen, warum gewisse Kunstimpulse, die sich schon in dieser Kunst und in der vorangehenden und gleichzeitigen Skulptur - wir haben ja auch diese Skulpturen - zum Ausdruck bringen, warum in dieser Kunstentwickelung ge­wissermaßen eine Unterbrechung eintreten mußte. Denn wie weit ist entfernt dasjenige, was dann im 19. Jahrhundert etwa hervortritt in der Kunst des Kaulbach, des Cornelius, Overbeck und andern, wie weit ist das wiederum entfernt von dem, was als Impulse in dieser Kunst lebt! Bei Kaulbach, Corne­lius, Overbeck und so weiter sehen wir, wie das südliche Element durchaus,

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ich möchte sagen, rekapituliert wird; während wir hier überall die radikalste Auflehnung gegen das Romanische darinnen haben. Derjenige aber, der dann genauer zusehen will, der wird tiefe Zusammenhänge finden. Denken Sie an die vier Bilder von Multscher, die wir Ihnen vorgeführt haben. Sie stellen ja ge­wissermaßen, ich möchte sagen, die schwäbischen Kunstneigungen vor. Ja, da finden wir eine Begabung für die flächenhafte Auffassung der Welt und das Herausarbeiten aus der Fläche mit Hilfe des Lichtes.

Wer Empfindung hat für feinere Zusammenhänge, wird ein Gleiches noch wahrnehmen können in der Philosophie Hegels, die ja auch aus schwäbischen Talenten hervorgegangen ist, in der Philosophie Schellings - ebenso aus Schwä­bischem hervorgegangen -, und in der Kunst Hölderlins. Dieses Auffassen des Flächigen, aber des Herausarbeitens aus dem Flächigen mit Hilfe des Lich­tes, das findet man nicht nur in dieser Kunst mit ihren primitiven Anfängen, sondern man findet es sogar in Hegels Philosophie; daher Hegels Philosophie, ich möchte sagen: so flächenhaft wirkt, nur wie ein ideales oder ideelles Ge­mälde der Welt, das aus der Fläche heraus arbeitet, und das ja auch nur dar­stellen kann seinerseits wiederum die philosophischen Anfänge für dasjenige, was in die volle Wirklichkeit hinein, nicht bloß in die Projektion der Wirk­lichkeit auf die Fläche, sondern in die volle Wirklichkeit hineinarbeiten muß. Und das kann wiederum nur die Spiritualität sein. Die Dinge hängen zusam­men. Und ich möchte sagen: dasjenige, was ich Ihnen jetzt in dieser Zeit dar­zustellen suchte für andere Gebiete in bezug auf die Kulturentwickelung Euro­pas - es bewahrheitet sich so wunderbar auch in allen Einzelheiten der Kunst. Und Sie können alles dasjenige, was wir auch vorgestern erkannten als einen Impuls in den verschiedenen Gebieten Europas lebend, Sie können es ver­folgen, wenn Sie verfolgen die Kunst im Westen, wenn Sie verfolgen das­jenige, was wir in der Kunst aus den Gegenden der Niederlande hervorgehen sahen und nach Westdeutschland hereinkommen sahen, und wenn wir jetzt betrachten konnten etwas, was, ich möchte sagen: in ureigenster Weise aus dem deutschen Geiste selbst herauswächst. Denn dies ist doch eben das Ge­biet, das zentralste Gebiet des deutschen Geistes, was wir heute vorführen konnten als die Grundlage für Lukas Moser und Hans Multscher; das ist dasjenige,

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wo sich das Deutsche am ursprünglichsten dann, wirklich am entspre­chendsten entwickelt hat, weil hier auf der einen Seite wie durch innere Ver­wandtschaft mit dem Spirituellen des deutschen Gemütes das Christentum innerlich angeeignet worden ist. Der Aneignungsprozeß des Christentums in diesen Gegenden war ein viel innerlicherer; daher werden auch die ursprüng­lichen, elementaren Begabungen des deutschen Wesens hier in der Kunst her­ausgebracht. Nicht dasjenige, was schon verrömisiert das Christentum vom Süden heraufbringt, sondern das Christentum selbst wird aus dem Gemüte heraus künstlerisch wiederum zu schaffen versuchen.

Solches konnte natürlich im nördlicheren Deutschland nicht in dem­selben Maße hervortreten, ohne daß die Anregung vom Süden kam, wie ja auch schon die Hegeische Philosophie vom Süden her angeregt worden ist, die Schellingsche Philosophie vom Süden her angeregt worden ist, während es der Kantschen Philosophie wiederum durchaus anzusehen ist, daß sie ein im eminentesten Sinne norddeutsches Produkt ist und in ihrer Eigentümlich­keit damit zusammenhängt, daß ja die eigentlich ursprünglich preußischen Gegenden verhältnismäßig sehr lange heidnisch geblieben sind und durch einen gewissen außerlichen Prozeß, viel äußerlicherem Prozeß als die süd­deutschen Gegenden, zum Christentum gebracht worden sind in verhältnis­mäßig sehr späten Zeiten. Denn Preußen ist ja bis in sehr späte Zeiten heid­nisch geblieben, das eigentliche Preußen.

Die Dinge, die wir sonst in der geschichtlichen Entwickelung sehen, kön­nen wir also gerade in der Entwickelung der Kunst und auch in der Entwicke­lung des Gedankenlebens bewahrheitet finden. Aus diesem Grunde wollte ich gerade Lukas Moser und Hans Multscher heute an den Abschluß unserer Betrachtungen stellen.

ZU VORTRAG V IX GRIECHISCHE UND RÖMISCHE PLASTIK RENAISSANCE-PLASTIK Dornach, 24. Januar 1917

#G292-1981-SE223 Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse

#TI

ZU VORTRAG V

IX

Das Wiedererleben der Kunst

des vierten nachatlantischen Zeitraumes in der Kunst des fünften:

GRIECHISCHE UND RÖMISCHE PLASTIK

RENAISSANCE-PLASTIK

Dornach, 24. Januar 1917

#TX

Ich habe öfter den Ausspruch zitiert, den Goethe getan hat, als er in Italien den Nachkiang empfand vom Wesen der griechischen Kunst. Und heute, wo wir beabsichtigen, Ihnen einzelnes vorzuführen von Abbildungen der griechi­schen Plastik, darf an diesen Ausspruch Goethes wohl erinnert werden. Goethe schrieb von Italien aus an Weimarische Freunde, daß er beim Anblick der griechischen Kunst, die er also in dem, was von ihr in Italien zu sehen oder we­nigstens zu erahnen war, kennengelernt hatte, zu der Uberzeugung gelangt sei, daß die Griechen nach denselben Gesetzen beim Schaffen ihrer Kunstwerke verfuhren, nach denen die Natur selbst verfährt, und denen er auf der Spur sei.

Dieser Ausspruch schien mir immer von einer tieftragenden Bedeutung zu sein. Goethe ahnte damals, daß in den Griechen etwas lebte, was in intimer Verbindung steht mit den Gesetzen der Welt. Und Goethe hat sich ja schon vor seiner Italienreise vielfach angestrengt, die Gesetzmäßigkeit des Werdens der Welt kennen zu lernen, am meisten durch seine Metamorphosenlehre, mit der er verfolgte, wie die verschiedenen Formen der Natur auf gewisse typische Grundformen zurückgehen, in denen sich die geistige Gesetzmäßigkeit aus­spricht, die hinter den Dingen liegt. Er ging ja aus, wie Sie wissen, von der Botanik, von der Pflanzenlehre; er versuchte zu schauen, wie im Wachsen der Pflanzen sich immer ein Organ, dessen Grundform er in dem Blatt erkannte, umwandelt, metamorphosiert, wie alle Organe Umgestaltungen des einen Organes sind. Und von da ausgehend suchte er wieder zu erkennen, wie alle Pflanzen die Offenbarung einer einzelnen Urform, der Urpflanze sind.

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In gleicher Weise suchte er einen gesetzmäßigen Faden durch die Tier­welt hindurch. Wir haben ja über diese Bestrebungen Goethes öfter gespro­chen; aber man stellt sich das, was er beabsichtigte, zumeist nicht lebendig genug vor; man stellt sich die Dinge, so wie man ja heute gewöhnt ist, sich die Dinge vorzustellen, abstrakt vor, nicht konkret. Goethe wollte, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, das Leben des Lebendigen in seiner gesetz-mäßigen Metamorphose überall auch lebendig erfassen. Er wollte ergründen, wie Natur im Schaffen lebt. Damit steuerte er ja in der Tat auf dasjenige hin, was für die Erkenntnis des fünften nachatlantischen Zeitraumes so charak­teristisch sein muß, wie das, was der Grieche erfaßte und in seiner Kunst zum Ausdruck brachte, für den vierten nachatlantischen Zeitraum charakteri­stisch ist.

Ich habe in dieser Hinsicht öfters darauf aufmerksam gemacht, daß man in der Blütezeit der griechischen Kunst und namentlich, soweit sie uns erhal­ten ist, in der Blütezeit der griechischen Plastik sehen kann, wie aus ganz anderen Voraussetzungen heraus künstlerisch geschaffen wird als später. Der Grieche hatte - wenn wir es in unserer konkreten Art ausdrücken, so müssen wir 50 sagen - ein Gefühl, wie der Atherleib in seiner lebendigen Kraftnatur und Beweglichkeit den Formen und Bewegungen des physischen Leibes zu­grunde liegt, wie in den Formen des physischen Leibes sich der Ätherleib ab-bildet, offenbart, wie in den Bewegungen des physischen Leibes das, was im Atherleib kraftet, sich zum Ausdruck bringt. Die griechische Turnkunst, Athletik war darauf aufgebaut, denjenigen, die an ihr teilnahmen, wirklich ein Gefühl zu geben von dem, was unsichtbar im Sichtbaren des Menschen lebt. So wollte der Grieche auch nachbilden in seiner Plastik, was er in sich selber erlebte. Das ist - wir haben das schon angedeutet - später anders; später ist das so, daß man abbildete, was das Auge sah, was man vor sich hatte. Der Grieche bildete das ab, was er in sich fühlte. Er arbeitete nicht in demselben Sinn nach Modell, wie später nach Modell gearbeitet wurde, ob mehr oder weniger deutlich oder undeutlich, darauf kommt es nicht an. Dieses Nach-Modell-Arbeiten ist erst eine Eigentümlichkeit des fünften nachatlantischen Zeitraumes. Aber es muß sich herausbilden im fünften nachatlantischen Zeitraum

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eine Anschauung der Natur, die eben ihren lebendigen Anfang genom­men hat in Goethes Metamorphosenlehre. Allerdings, heute stehen solcher Auffassung noch gewichtige Hindernisse entgegen. Heute stehen auch auf diesem Gebiete die Vorurteile des Materialismus einer gesunden Auffassung des Daseins gegenüber. Diese gesunde Auffassung des Daseins muß sich her-ausarbeiten mit der Überwindung dieser Hindernisse. Wir erleben es ja in unserer Zeit, obwohl es noch nicht so bemerkt wird, daß, man kann sagen, geradezu solche Bestrebungen und Tendenzen sich geltend machen, welche auf eine Verbarbarisierung gerade des Künstlerischen hinauslaufen. Goethe hat in einer sehr schönen Weise den Zusammenhang geschaut zwischen der Wahrheit im Erkennen und der Wahrheit im Können, in der Kunst, weil ihm das Erkennen eben ein lebendiges Leben im Geiste war.

Zu diesen Hindernissen auf diesem Gebiete gehört dasjenige, was man, wenn man tiefer hineinsieht in alle Impulse des Fortschrittes unserer Kultur und in alle Impulse des Hemmens unserer Kultur, bezeichnen kann als jene Veraffung, Affenhaftmachung unserer Kultur, die man gewöhnlich heute als Sport bezeichnet. Der Sport ist ein Ergebnis der materialistischen Weltan­schauung, welches, man könnte sagen, den andern Pol darstellt zur naturwis­senschaftlichen Auffassung des Menschen. Auf der einen Seite arbeitet man dahin, den Menschen nur als einen vollkommeneren Affen zu begreifen, und auf der anderen Seite arbeitet man dahin, ihn zu einem fleischfressenden Af­fen zu machen durch die Bestrebungen, die man in vieler Beziehung als sport­liche Bestrebungen bezeichnet. Diese beiden Dinge gehen durchaus parallel. Wenn man auch selbstverständlich heute gerade in den sportlichen Bestre­bungen einen großen Fortschritt sieht, sogar in ihnen oftmals sieht ein Auf­leben des alten Griechentums, so sind diese sportlichen Bestrebungen in ihrem Wesen doch nichts anderes, als das Hinarbeiten zum Ideal der Veraffung des Menschengeschlechtes. Und was aus dem Menschen allmählich entstehen kann auf dem Wege des Sports, das ist eben ein veraffter Mensch, der sich dadurch wesentlich unterscheiden wird von den wirklichen Affen, daß der wirkliche Affe ein Pflanzenfresser ist, während dieser veraffte Mensch eben ein fleischfressender Affe sein wird.

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Die Dinge, die heute als Hemmnisse unserer Kultur vorliegen, die muß man zuweilen grotesk bezeichnen, sonst bezeichnet man sie nicht stark genug, daß sie dem heutigen Menschen ein wenig einleuchten können. Es entspricht ja auch sehr gut allen Tendenzen unserer Zeit, auf der einen Seite theoretisch hinzuarbeiten auf die Erfassung des Menschen als eines vollkommeneren Af­fen und auf der anderen Seite auf die reale Herausarbeitung der Affenhaftig­keit des Menschen. Von jenem Menschen, der als ein Ideal den extremen Sportbewegungen zugrunde liegt, wird in der Tat kein Naturforscher anders sagen können, als daß er im wesentlichen ein Dependance-Produkt der Affen­haftigkeit ist. Über diese Dinge alle muß man richtig denken, wenn man über­haupt zu einigem Verständnis kommen will der Edelformen der Menschlichkeit, welche dem Blütenalter der griechischen Kunst zugrunde liegen. Der Mensch mußte ja allerdings im fünften nachatlantischen Zeitraum gewissermaßen her­ausgehen aus seinem Leben im Geistigen. Der Grieche lebte noch im Geisti­gen. Wenn er die Hand bewegte, so wußte er, daß das Geistige, das heißt, der Ätherleib sich bewegt. Und daher war er auch als schöpferischer Künstler gewissermaßen bestrebt, in dem, was er dem physischen Stoff mitteilte, Aus­druck zu schaffen für dasjenige, was er fühlte in sich als Bewegung des Äther-leibes. Auf dem Umwege der Anschauung, verbunden mit der lebendigen Imagination des Webens des Ätherischen im Organischen - was eben Goethe elementar angestrebt hat in seiner Metamorphosenlehre -, auf diesem Um­wege muß es dahin kommen, daß die höhere Stufe, die eben der fünften nach-atlantischen Zeit entsprechende Stufe, die von Erkenntnis durchdrungene Stufe des alten Griechentums wieder auflebt.

Weil Goethe mit seinem ganzen Wesen so darinnen wohnt in diesem Stre­ben nach lebendiger Auffassung des Geistigen in der Welt, deshalb wollte er sich erfrischen und erkraften an demjenigen, was ihm durch das Studium der griechischen Kunst zugänglich werden konnte. Nun, diese griechische Kunst -man muß vielleicht ganz ausgehen von solchen Vorstellungen, wie wir sie eben hingestellt haben, wenn man sie in ihrer Eigenartigkeit, in ihrem durch­aus charakteristischen Hervorgehen aus der Seelenstimmung des vierten nach-atlantischen Zeitraumes verstehen will. Es ist interessant zu sehen, wie in

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dieser Beziehung die griechische Kunst ihren Weg macht. Es ist ja außeror­dentlich wenig von den Originalwerken eigentlich erhalten; das meiste ist ja erhalten nur in späteren Nachbildungen. Und aus diesen späteren Nachbil­dungen haben Leute wie Winckelmann versucht, in großartiger Weise das Wesen der griechischen Kunst zu erkennen; dieses Wesen der griechischen Kunst, das sie versuchten in Worte zu fassen, Winckelmann, Lessing und Goethe in dieser zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in der man eben ver­suchte, zurückzugehen auf das Wesen der griechischen Kunst. Dieses Wesen der griechischen Kunst, es kann, wenn es erfaßt wird, Rettung bringen vor den Gefahren des Materialismus.

Nun würde es natürlich heute viel zu weit führen, würde ich geradezu historisch, geisteswissenschaftlich-historisch auch nur einen ganz flüchtigen Umriß geben wollen über die Entwickelung der griechischen Kunst. Wir wol­len uns vielmehr zunächst einiges davon, soweit es sein kann, ansehen. Nur so viel sei gesagt: selbst in den bis ins 5., selbst zum Ende des 6. Jahrhunderts

v. Chr. zurückgehenden Überresten der griechischen Kunst zeigt sich, daß das schon zugrunde liegt, wovon ich gesprochen habe, wenn auch in dieser Zeit der Grieche noch nicht die Möglichkeit hatte, das, was er in sich erlebte, auch wirklich durch den Stoff zum Ausdruck zu bringen. So sieht man selbst in den unvollkommenen älteren Formen, daß dem künstlerischen Schaf­fen eben das lebendige Gefühl des inneren Webens des Ätherleibes zugrunde liegt. Dadurch konnte auch der Grieche den Weg finden, die menschliche Ge­stalt so wunderbar zu erheben ins Göttliche. Der Grieche war sich ja klar darüber, daß seinen Göttergestalten Wesenhaftigkeit zugrunde liegt in der ätherischen Welt. Daraus entwickelte sich mehr oder weniger instinktiv -denn mehr oder weniger instinktiv war alles in dieser Zeit - das Bedürfnis, die Götterwelt und alles, was zusammenhängt mit der Götterwelt, so darzu­stellen, daß die äußere Gestalt idealisiert-menschlich ist; aber dieses Idealisiert-Menschliche, das war es nicht, worauf es eigentlich ankam; das ist nur der Ausdruck für ein Zeitalter, das die Tiefe der Sache gar nicht erfaßt hat, das die äußere Gestalt idealisiert-menschlich darstellt, das aber durch diese ideali­sierte Menschengestalt sich zum Ausdruck bringt, was eben im ätherischen

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Leben webt und wogt. Wir sehen daher, daß sich aus einer gewissen Steifig­keit, die wir in den ersten Darbietungen sehen werden, dann in dem griechi­schen Zeitalter der Grieche die Möglichkeit entwickelt, wirklich das äthe­rische Menschliche in dem äußeren physischen Leiblichen zur Darstellung zu bringen. Sie werden sehen, wenn Sie die allerersten Abbildungen verfolgen, daß da noch etwas Steifes darinnen ist, daß aber schon in der Gestaltung der Gliedmaßen zu erkennen ist, wie diese Gestaltung hervorgeht aus einem Ver­ständnis des ätherisch Bewegten.

Und wenn wir dann vors chreiten bis zu Myron und von ihm Kunstwerke uns vor die Seele rücken, da werden wir sehen, wie das, was erst nur in der Gestaltung des Gliedlichen zum Ausdruck kommt, übergeht auf ein Ergrif­fenwerden des ganzen Körpers. Bei Myron bereits sehen wir, wie, wenn ein Arm bewegt ist, wenn ein Arm in Bewegung dargestellt wird, wie das etwas bedeutet für den ganzen Atmungsapparat, für die Gestaltung der Brustform. Der ganze Mensch ist innerlich erfühlt, ist innerlich empfunden. Das muß natürlich im allerhöchsten Maße dann bei Phidias und seiner Schule und bei Polyklet der Fall gewesen sein, die das Blütezeitalter der griechischen Kunst darstellen.

Dann finden wir, wie allmählich die Kunst, ich möchte sagen: von der hohen Empfindung des Ätherischen herabsteigt, nicht indem sie außer acht läßt das Ätherische, aber indem sie versucht, die Formen der Natur zu be­zwingen, so, daß die Formen der Natur treuer zum Ausdruck kommen, ich möchte sagen: menschlicher, weniger göttlich zum Ausdruck kommen, und dennoch ein Ausdruck sind des Ätherisch-Lebendigen in dem Leiblichen. Es wird uns bei dem Anblick der einzelnen Kunstwerke weniger darauf ankom­men, die einzelnen Künstler zu besprechen, sondern uns vorzuführen das allmähliche Wachsen der griechischen Kunst. Ob wir dann sprechen bei den letzten Produktionen, wie das in der Kunstgeschichte üblich ist, von einem Wiederherabgehen der griechischen Kunst, darauf kommt es weniger an. Da­durch, daß in der älteren Zeit gewissermaßen die Leiblichkeit mehr in der Lage aufgefaßt wird, ist ausgegossen über der älteren griechischen Kunst eine gewisse Ruhe. Die Bewegung ist so aufgefaßt, wie sie in die Ruhe gekommen

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ist; so daß wir, wenn wir die Gestalten der älteren griechischen Kunst sehen, das Gefühl haben: der Künstler war bestrebt, die Leiblichkeit so darzustellen, daß die Lage, in der die betreffende Gestalt war, dauernd war. Später bestre­ben sich die Künstler, ich möchte sagen, einer größeren Dramatik. Sie halten mehr den Moment fest, der in der fortgehenden Bewegung sich ergibt. Da­durch kommt etwas Bewegteres in die spätere Kunst hinein. Ob man das nun einen Niedergang nennen will, oder nur eine spätere Entwickelungsphase, ist ja schließlich eben bloß von der menschlichen Willkür abhängig.

Nach diesen paar Bemerkungen wollen wir uns nun einzelne Kunstwerke ansehen. Dasjenige, was noch zu sagen ist, können wir ja in Anlehnung an die einzelnen Kunstwerke selber sagen.

Sie sehen zunächst aus der ältesten Zeit, etwa um 560v. Chr., diese Apollo-Figur, den sogenannten

568 Apollo von Tenea

eine Jünglingsgestalt, an der Sie wirklich noch, ich möchte sagen, das volle Erfassen der Leiblichkeit sehen, das Ausgegossensein des Ätherischen in der Gliedlichkeit.

Man wird einmal erkennen, daß der ja oft hervorgehobene Zug dieser ältesten griechischen plastischen Kunst - um die Mundpartie das «Lächeln», wie man es nennt - aus dem Bestreben hervorgeht, nicht den toten Menschen, also bloß den physischen Leib darzustellen, sondern wirklich das innere Le­ben zu erfassen. In der älteren Zeit konnte man das noch nicht anders als durch diesen Zug darstellen.

Und nun wollen wir Ihnen zwei Proben bringen von dem dorischen Aphaia-Tempel zu Aegina:

569 Sterbender Krieger

Die Kunstwerke sind ausgeführt worden als ein Dankopfer für die Schlacht von Salamis und stellen im wesentlichen Kampfszenen vor, beherr­schend das Ganze, wie wir dann sehen werden, die Gestalt der Athene. Diese liegende, sterbende Gestalt ist eine schöne Probe der Gestalten, die sich an

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diesem Tempel finden. Das Ganze stellt Giebelfiguren dar und ist besonders interessant durch das Kompositionelle der Sache, das mit vollständiger Sym­metrie ausgeführt worden ist, links und rechts die Gestalten in sehr schöner Symmetrie.

Dann aus der entsprechenden Gruppe des anderen Giebels

571 Pallas Athene

570 Rekonstruktion des Westgiebeis von Furtwängler

Da sind wir im Anfange des 5. Jahrhunderts.

Nun schreiten wir im 5. Jahrhundert weiter. Da haben wir zunächst einen

572 Jünglingskopf dann einen

573 Wagenlenker

aus Delphi - und jetzt eine 574 Wettläuferin

aber wohl schon aus der Mitte des Jahrhunderts.

Und dann bitte ich Sie, zu beachten, wie bei Myron - da kommen wir schon in das Zeitalter, das man bezeichnen kann als das Blütezeitalter -, wie bei Myron die Behandlung des Leibes eine ganz andere wird, wie er nicht mehr in der Gliedlichkeit aufgeht, was sogar hier (575) noch der Fall ist, sondern wie er den ganzen Leib im Zusammenhang mit den Gliedern zu behandeln weiß:

575 Diskuswerfer, nach Myron

So stehen wir damit in der Mitte des 5. Jahrhunderts und finden in einer solchen Gestalt wahrhaftig schon eine hohe Vollendung in derjenigen Rich­tung gerade, die wir versuchten zu charakterisieren.

Und nun kommen wir, das heißt, wir sind schon darin, ins Perikleische Zeitalter. Von der Zeit des Phidias, von dem ja leider in Wirklichkeit wenig vorhanden ist, haben Sie hier die sogenannte

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576 Athena Leninia

577 Athena Lemnia, Halbprofil

die um 450 entstanden ist und deren Marmorkopie sich in Dresden befindet. Dann eine Kopie nach der Athena von Parthenos

578 Kopf der Athena Parthenos

579 Athena Parthenos, Kopf im Profil

Und nun einige Proben von dem berühmten Parthenon. Sie können in jeder Kunstgeschichte nachlesen die interessante Geschichte dieser Parthenon­Figuren. Es sind ja die wesentlichsten davon wohl verlorengegangen, und wir haben nur eine Vorstellung davon dadurch, daß sie von dem Franzosen Carrey gezeichnet worden sind gegen Ende des 17. Jahrhunderts,

580 Ost- und Westgiebel des Parthenon-Fries

bevor sie noch durch die Venezianer kaputt gemacht worden sind; und nur Reste sind dann gefunden worden am Ende des 18. Jahrhunderts durch Lord

Elgin:

581 Göttinnen-Gruppe

Das sind die sogenannten «Tau-Schwestern» vom Ostgiebel des Parthenon, denen durch die herabkommenden Genien die Geburt der Athene mitgeteilt wird. - Dann haben wir vom Westfries:

582 Jünglinge auf Rossen

Man kann annehmen, daß wohl zumeist im persönlichen Beisein des Phidias diese Dinge von seinen Schülern ausgeführt worden sind.

Und nun noch vom Ostfries die Poseidon-Figuren:

583 Götter-Gruppe

Mit Phidias war in der Tat alles Typische der griechischen Kunst gegeben, alles das, was so als der Stempel, als die Signatur der Leiblichkeit, wie sie darzustellen

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ist durch die Kunst, aufgedrückt war; so daß die Art, wie Phidias und seine Schüler gesehen haben, dann nachgelebt hat, lange, lange nachge­lebt hat. Man sagte: die Linienführung des Antlitzes, Bewegung der Glied­maßen und dergleichen, und Wallung der Kleider müsse so sein, wie sie in dieser Idealzeit der Kunst ausgebildet worden ist. Und das pflanzte sich durch alle Traditionen weiter fort, selbst in diejenigen Zeiten hinein, in denen nur in äußerlicher Weise das noch nachgeahmt werden konnte, was in der Blütezeit der griechischen Kunst lebendig gelebt hat und eben leider in seinen Haupt­sachen zugrunde gegangen ist. Es ist ja heute nicht möglich, durch Anschauung eine Vorstellung zu bekommen gerade von den größten, von den weltüber­ragenden Meisterwerken des Phidias. Und es ist sehr bedeutsam, daß in der Zeit des 18. Jahrhunderts, als durch Winckelmann angeregt Goethe und andere sich in das Wesen der griechischen Kunst vertieften, sie ja nur eindringen konnten im Grunde genommen durch schlechte Imitationen, durch später entstandene Imitationen. Es gehörte ein großes Ahnungsvermögen dazu, dazu­mal einzudringen durch diese Imitationen in das Wesen der Kunst. Und der­jenige, der sich bemüht, über diese Dinge die Wahrheit zu fühlen, der muß sich sagen, daß in der Zeit, in der Goethe jung war, in der er Italien bereiste, noch ein ganz anderes instinktives Sich-Hineinfühlen in die Kunst vorhanden war als dann im 19. oder gar im 20. Jahrhundert. Nur dadurch ist es möglich geworden, daß aus jenen späten Nachahmungsprodukten jene Auffassung der griechischen Kunst hervorgegangen ist, die aus Winckelmann, aus Goethe leuchtete.

Sehen Sie sich zum Beispiel das Bildwerk an, das jetzt kommt und das ja in Rom zu sehen ist, den Zeuskopf, den sogenannten

584 Zeus von Otricoli

da finden Sie etwas, worinnen man sehen kann die Fortsetzung des Typus, der in Phidias' Zeitalter schon geschaffen worden ist, aber selbstverständ­lich in späterer Nachahmung, hier noch sogar mit einer gewissen Großartig­keit nachgeahmt. - Weniger großartig wurde dann nachgeahmt dasjenige, was Polykletos als den Hera-Typ ausgearbeitet hat; und bis zur, ich möchte sagen:

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Leerheit, bis zur schalen Nachahmung, etwa so, wie die Dinge schon erinnern etwas ans Modejournal, ist ja dann die unter diesen Gestalten stehende Pallas Athene, die berühmte

585 Athena Giustiniani, in Rom

die auch den Typus der Athene späterer Nachahmung zeigt und von der man nur ahnen kann, auf welche großartigen Dinge diese spätere Nachahmung zurückgeht. Hat man in dem Zeuskopf (584) das zu sehen, was sich fortge­pflanzt hatte in Phidias, sd in dem nächsten, in dem Herakopf, dasjenige, was Polykletos geschaffen hat als Hera-Ideal, das wir Ihnen gleich im Zusammen­hange damit zeigen:

586 Juno Ludovisi

587 Juno Ludovisi, Profil

Nun gehen wir wiederum zurück zu den Bildern in Olympia, im West­giebel, die ja auch in ihrer Komposition großartig sind:

588 Kampf der Kentauren und Lapithen, Mittelgruppe, Teil: Die geraubte Braut

Und nun noch eine Gruppe daraus:

589 Kampf der Kentauren und Lapithen, Mittelfigur: Apollon

Und nun aus Phidias' Schule das

590 Orpheus-Relief

Wir erinnern uns, daß Phidias ja von seinen Mitbürgern beschuldigt wor­den ist, Gold gestohlen zu haben aus dem in Gold und Elfenbein auszufüh­renden Athene-Standbild, und daß er deshalb ins Gefängnis geworfen worden ist von seinen «dankbaren» Mitbürgern.

591 Büste des Perikles

Durchaus eine Idealauffassung dieser Persönlichkeit, über das Porträt-mäßige weit hinausgehoben.

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Und nun etwas, was wohl ein Jugendwerk des Phidias ist, eine

592 Amazone

Jetzt können wir den Polykletes einschalten und haben hier eine

594 Amazone

vielleicht nach Polyklet.

In Myron und Phidias - und deren Schülern natürlich - haben wir wohl die Persönlichkeiten der Künstler der höchsten Blüte der griechischen Kunst zu sehen, die Bildner auch der Traditionen der griechischen Kunst.

Noch eine Wiederholung der ersten «Amazone» sei an diese Stelle gestellt:

593 Amazone

Und nun, nur um zu zeigen, daß man ungefähr in dieser Zeit auch etwas Genremäßiges gut zustande brachte, den

595 Dornauszieher

ein Knabe, der sich aus der Fußsohle einen Dorn auszieht.

Nun dringen wir allmählich in das Zeitalter ein, auf das ich vorhin auf­merksam zu machen versucht habe, indem ich sagte: es wird die ganze Auf­fassung heruntergerückt ins mehr Menschliche, wenn es auch noch göttliche Gestalten sind, wie hier die

596 Aphrodite von Knidos

Das ganz Erhabene der früheren Künstler wird mehr ins Menschliche heruntergerückt. Bei Praxiteles (596) können wir dies bereits beobachten.

Damit stehen wir also schon im 4. Jahrhundert, und im Zusammenhange damit sei die

597 Demeter von Knidos

gezeigt, die denselben Geist atmet.

Ferner der olympische Hermes des Praxiteles:

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598 Hermes

der das Dionysos-Kind in der linken Hand hat. Und nun noch ein Satyr des Praxiteles:

599 Satyr

Dieser Zeit gehört nun auch die berühmte «Niobe-Gruppe» an, wie Niobe ihre sämtlichen Kinder verliert durch die Rache des Apollo.

600 Flüchtende Niobide

Und indem wir im 4. Jahrhundert weiterschreiten, kommen wir allmäh­lich schon ins Alexandrinische Zeitalter hinein zu Lysippos, der dann geradezu im Dienste Alexanders arbeitet, Alexanders des Großen:

601 Alexander-Herme

Dann ein

602 Hermes

Dann ein

603 Knabe

mit andächtig zum Himmel erhobenen Händen. - Und ein

604 Medusenhaupt

Dann eine Statue:

605 Alexander der Große

Wir sehen eben die Kunst nun vom Typischen etwas ins Individuelle her­untergehen, allerdings im Griechischen, in der griechischen Kunst nirgends so weit wie in späteren Zeitaltern. - Und die

606 Sophokles-Statue

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die durchaus aber an die allerbeste, idealste Tradition der ältesten Zeit, der Blütezeit heranreicht, erinnert. Man könnte ebensogut sagen: der Dichter als solcher ist dargestellt, was symbolisch angedeutet ist durch die Rollen, die Schriftrollen, die mit Absicht angebracht sind.

Wenn Sie diese Figur vergleichen mit mehr oder weniger nach Porträt-ähnlichkeit strebenden Gestalten, die jetzt kommen, so werden Sie sehen, daß eben allerdings aus dem Ideal heraus gestrebt wird, alles etwas porträtähnlicher zu machen:

607 Sokrates

Ebenso dann

608 Plato

Sie sind natürlich nicht nach dem Modell abgenommen, aber es ist eben versucht, sie menschlich-ähnlich zu machen, womit nicht behauptet sein soll, daß sie original-ähnlich sind. Dies wird insbesondere natürlich zu sagen sein mit Bezug auf Homer, der jetzt folgt:

609 Homer

Damit haben wir uns allmählich dem 2. Jahrhundert genähert.

610 Nike von Samothrake

Und nun die berühmte

611 Venus von Milo oder Aphrodite von Melos

die allerdings, wenn sie auch dieser späteren Zeit angehört, durchaus die Tra­dition des Blütezeitalters bewahrt. - Dagegen werden Sie an dem nächsten Werk sehen, wie Bewegung zu geben versucht wird:

612 Schlafende Ariadne

die ja wohl aus etwas späterer Zeit ist; aber wir können sie doch als einen Ge­gensatz anschauen.

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Und nun kommen wir gegen das letzte Jahrhundert vor Christi Geburt, zu der Rhodischen Schule, zu der berühmten

613 Laokoon-Gruppe

von der Sie ja wissen, daß seit dem 18. Jahrhundert, seit Lessings berühmtem «Laokoon», viele Kunstbesprechungen von ihr ausgegangen sind. Es ist außer­ordentlich interessant, in Lessings Erörterung, anknüpfend an diese Laokoon­Gruppe, die von drei Künstlern der Rhodischen Schule herrührt, sich hinein­zufinden. Es ist, wie Sie ja vielleicht wissen, von Lessing versucht worden zu zeigen, wie der Dichter, der die Szene schildert, in der Lage ist, sie ganz anders zu schildern, weil man das, was er darstellt, nicht vor Augen hat, sondern sich nur in der Phantasie lebendig zu machen hat, während man eben das, was der bildende Künstler darstellt, vor Augen hat. Und daher müsse, was der bildende Künstler darstellt, eine viel größere Ruhe in sich tragen, müsse Momente dar­stellen, die gewissermaßen als ruhende Momente wenigstens imaginiert wer­den können.

Nun, es ist viel - gerade mit Anlehnung an Lessings Auseinandersetzun­gen - über diese Laokoon-Gruppe gesprochen worden. Und interessant ist es, daß, ohne natürlich irgend etwas von Geisteswissenschaft zu kennen, in der Mitte des 19. Jahrhunderts der Ästhetiker Robert Zimmermann zu der ja zweifellos zu ergänzenden, aber für jene Zeit und ohne Geisteswissenschaft immerhin richtigsten Erklärung gekommen ist, weil in dieser Erklärung etwas von dem liegt - wenn auch nur instinktiv angedeutet -, was ich heute ausge-führt habe. Wir sehen ja den Priester Laokoon mit seinen Söhnen, durch die Schlangen umwunden und dem Tode entgegengehend. Nun wird zweifellos in dieser Darstellung die eigentümliche Ausgestaltung gerade des Leibes auf­fallen. Über diese Ausgestaltung des Leibes ist ja viel geschrieben worden. Nun hat Robert Zimmermann, der Ästhetiker, mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß die ganze Darstellung so ist, daß man eigentlich den Moment vor sich hat, wo das Leben - wir würden also sagen: der Ätherleib - schon im Entfliehen ist. Schon eigentlich ist ein Moment der Bewußtlosigkeit da. Daher stellt der Künstler die Sache so dar, daß der Leib des Laokoon wie in

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Teile auseinanderfällt. Und das ist das Geistvolle an dieser Sache: dieses Dif­ferenziertwerden des Leibes in seine Teile. Gerade an diesem Spätprodukt der griechischen Kunst kann man sehen, wie der Grieche sich bewußt war des Ätherleibes, indem er in dem Moment, in welchem das Leben übergeht in den Tod, wirklich die Wirkung des Sich-Zurückziehens des Ätherleibes durch den Schock, der durch die Umwindung der Schlangen ausgedrückt wird, zum Ausdruck bringt, wie er gleichsam diese Wirkung des Sich-Zurückziehens des Ätherleibes von dem physischen Leib, dieses Zerfallen, dieses Ausein­anderfallen des physischen Leibes und des Ätherleibes zum Ausdruck bringt. Das ist das Charakteristische bei dem «Laokoon», nicht die anderen Dinge, die sehr häufig gesagt werden, sondern dieses Differenziertwerden des Leib­lichen. Der Leib wäre durchaus so nicht zu denken, wenn nicht der Moment ins Auge gefaßt würde des also Sich-schon-Zurückziehens des Ätherleibes.

Und nun noch zwei Proben von Nachahmungen vielleicht älterer Vor­bilder, die aber gerade großen Eindruck gemacht haben auf die späteren Kunst-betrachter. Der berühmte

614 Apollo vom Belvedere

als eine Art Kampfheld dargestellt. Und dann die 615 Artemis von Versailles

die auch älter ist, in späterer Nachbildung.

Wir wissen ja, die griechische Kunst geht allmählich ihrem Dämmerungs­zeitalter entgegen, als Griechenland von Rom unterjocht wird. In Rom haben wir es ja zunächst zu tun mit einer Art Nachahmung der griechischen Kunst, mit einem Übertragen, aber mit einem allmählichen Versinken in der Ihnen öfter geschilderten allgemeinen Phantasielosigkeit des römischen Volkstums. Die nächsten Jahrhunderte, die auf das griechische Dämmerungszeitalter folgen, also das römische Zeitalter, sind ja vielfach trübe Zeitalter für unsere Entwickelung. Und ein neues Zeitalter beginnt wiederum - ich will das nur kurz erwähnen - im 12., 13. Jahrhundert in Italien, als man durch verschie­dene Umstände die von dem früheren Mittelalter verschütteten Kunstwerke

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zum Teil wiederum auffindet. An der Anschauung dessen, was aus dem Alter­tum wieder aufgefunden wird, entsteht um diese Zeit dann eine neue Kunst, die allmählich zur Renaissancekunst wird. Die Künstler bilden sich nament­lich vom 13. Jahrhundert ab in Italien durchaus an der Antike nach den auf­gefundenen, damals in sehr geringer Zahl sogar noch aufgefundenen Kunst­werken, die ausgegraben werden. Und da sehen wir dann - und wir wollen jetzt übergehen zu diesem, ich möchte sagen: Wiedererheben der alten Kunst im Vor-Renaissancezeitalter - im 13. Jahrhundert in Niccolö Pisano zunächst einen außerordentlich feinen Künstler, der sich zu begeistern weiß an den auf­gefundenen Resten der griechischen Kunst und aus der eigenen Phantasie heraus durch die Befruchtung durch die griechische Kunst, ich möchte sagen:

in dem Geiste dieser Kunst wiederum zu schaffen versucht. Hier haben Sie von ihm eine Kanzel:

616 Niccolö Pisano Kanzel des Baptisteriums zu Pisa mit den Kanzelreliefs

Die Kanzel selber wird von antiken Säulen getragen, zwischen denen gotische Bogenverwindungen sind; an den Säulen unten zum Teil auch Löwen, und oben die Kanzelreliefs, in denen Niccolö Pisano das, was er den Anre­gungen der Antike verdankte, zum Ausdruck gebracht hat. Niccoló Pisano wirkt bis gegen das Ende des 13. Jahrhunderts. Ein Detail aus dieser Kanzel:

617 Niccolö Pisano Anbetung der Könige

Von ihm ist auch ein anderes Relief aus dem Dom zu Siena:

618 Niccoló Pisano Kanzelrelief, Teil: Die Kreuzigung

Und jetzt gehen wir zu Giovanni Pisano, bei dem Sie beobachten wollen, bitte, wie eine viel größere Bewegung hineinkommt. Bei Niccoló Pisano haben wir noch eine gewisse Ruhe über den Figuren ausgegossen.

620 Giovanni Pisano Kapitäl mit Architravfigur, Pistoia

Daß nun also die christliche Kunst in die Lage kommt, wirklich ihre Mo­tive mit einer solchen Vollkommenheit auszudrücken, wie es dann in der Renaissancekunst

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geschieht, das ist durchaus der Anregung der Antike zu ver-danken, die zuerst bei diesen Pisanos hervorgetreten ist.

Nun noch ein Relief aus derselben Kanzel:

621 Giovanni Pisano Kanzeirelief, Pistoia

Und nun von ihm, aus dem Dom zu Pisa:

622 Giovanni Pisano Kanzel

623 Giovanni Pisano Kanzel, Rekonstruktions-Modell von 1872, Aufstellung

seit 1926

Wir sehen zugleich, wie hier naturgemäß die Antike in die Gotik gewis­sermaßen hineinwächst. - Und nun eine Madonna von ihm:

624 Giovanni Pisano Madonna

Eine andere Madonnenstatue:

625 Giovanni Pisano Madonna

Und nun kommen wir zu einer Probe von Andrea Pisano, der berufen worden ist, eines der Bronzetore des Baptisteriums zu Florenz zu bilden. Hier haben wir von ihm eine Darstellung des biblischen, alttestamentlichen Erfin­ders der Erzwaren am Campanile des Domes in Florenz:

626 Andrea Pisano Tubalkain

Damit sind wir herangekommen bis ans 15. Jahrhundert und finden dann Ghiberti, den großen Künstler, der dreiundzwanzigjährig bereits mitkonkur­rieren durfte bei der Ausschreibung für die Türen des Baptisteriums in Florenz:

628 Ghiberti Opferung Isaaks (Konkurrenz-Relief)

und dreiundzwanzigjährig zunächst die nördlichen Türen des Baptisteriums machen durfte:

629 Ghiberti Bronzetüren, Florenz, Baptisterium, Nordseite

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der sich emporgeschwungen hat von dem einfachen Goldschmiedlehrling zu einem der größten Künstler. Diese Reliefdarstellungen an den Türen des Baptisteriums von Florenz gehören eigentlich in ihrer Art zu den größten Meisterwerken der Kunstentwickelung.

Später wurden ihm dann übertragen die östlichen Türen des Baptisteriums:

630 Ghiberti Bronzetüren, Florenz, Baptisterium, Ostseite

die das Alte Testament darstellen, und von denen Michelangelo ja gesagt hat, daß sie würdig wären, «die Pforte des Paradieses» zu bilden, - die auch einen tiefen Einfluß gehabt haben auf die ganze Kunst des Michelangelo, so daß man wiedererkennen kann gewisse Motive bis in Einzelheiten hinein in der Michel­angeloschen Malerei, die er aufgenommen hat von diesen Reliefdarstellungen, von diesen Bronzetüren.

Nun noch ein Relief von diesen östlichen Türen:

631 Ghiberti Opferung Isaaks

Und eine Erzstatue von der Hand dieses Meisters:

627 Ghiberti St. Stephanus, Florenz, Or San Michele

Was Ghiberti also so arbeitet, das beruht durchaus auf treulicher An­schauung der Antike.

Und jetzt wollen wir einfügen die Kunst der della Robbias, zunächst des Luca della Robbia:

632 Luca della Robbia Tanzende Knaben, von einer Sängertribüne

Die Robbias sind ja besonders dadurch berühmt geworden, daß sie die besondere Kunst, gebrannten Ton als Material zu benützen und dann farbig zu glasieren, erfunden haben, so daß ein großer Teil ihrer Kunstwerke dann in diesem Material ausgeführt ist.

Ein anderes Detailbild von dieser Sängertribüne:

633 Luca della Robbia Singende Knaben

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Luca della Robbia füllt nahezu ganz das 15. Jahrhundert aus. Nun noch eine Madonna von ihm:

634 Luca della Robbia Madonna in Rosen

Sie sehen nun, wie wir hier in das Zeitalter gelangt sind, in dem zwar die Kunst, die aus dem unmittelbaren inneren Erleben, aus dem ätherischen Erle­ben geschöpft ist, im eminentesten Sinne anregend wirkt, wo aber die Kunst durchaus auf der Anschauung, auf der Nachbildung der Anschauung beruht, nicht mehr auf dem Inne rlich-Erfühlten. Deshalb ist es ganz interessant, diese zwei Zeitalter so unmittelbar hintereinander auf sich wirken zu lassen.

Jetzt folgt Andrea della Robbia:

635 Andrea della Robbia Madonna della Cintola

Das Relief stellt sie dar in der geistigen Welt.

636 Andrea della Robbia Bambino

Und nun von Giovanni della Robbia ein farbiges Friesrelief:

638 Giovanni della Robbia Aufnahme und Fußwaschung der Pilger

Jetzt schreiten wir weiter zu dem 1386 geborenen Donatello, wobei wir bemerken wollen, wie sich bei ihm verbindet nun mit der Beeinflussung durch die Antike ein ganz entschiedenes Hinneigen bereits zum Naturalismus, eine naturalistische Ausprägung der Anschauung. Bei Donatello tritt es ganz deut­lich hervor: eine Art liebevolle Vertiefung in die Natur, so daß er auf der einen Seite eigentlich Naturalist wird und nur eben das Können aus dem, was sich unter den Vorgängen, die wir eben gesehen haben, heraus entwickelt, aus der Tradition, schöpft. Sein Naturalismus ging so weit, daß, als sein zeitgenössi­scher mitstrebender Freund Brunellesco von ihm einen «Christus» sah:

640 Donatello Kruzifix

dieser behauptete: «Du machst eigentlich keinen Christus, du machst bloß einen Bauern!» - Zunächst verstand der Donatello gar nicht, war er damit

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meinte. Mit dieser Anekdote - sie ist sehr interessant, wenn auch nicht histo­risch treu, so doch typisch - ließe sich das ganze Verhältnis zwischen dem idealisierenden und ganz in der Anschauung, in dem Wiederaufleben der Antike stehenden Brunellesco und Donatello charakterisieren; sie ist typisch für diesen Gegensatz. Brunellesco läßt sich dann herbei, seinerseits einen «Christus» zu machen:

641 Brunellesco Kruzifix

Er bringt diesen Christus zu Donatello, als dieser eben für das Frühstück der beiden eingekauft hat, die miteinander wohnten und miteinander früh­stückten. Donatello kommt mit einer Art Schürze, mit all den schönen Sachen, die sie nun zusammen frühstücken wollen. Und während er noch alles das in der Schürze hat, das ganze Frühstück da, enthüllt Brunellesco seinen «Chri­stus», und Donatello riß so den Mund auf und bekam einen solchen Schrek­ken, daß er das ganze Frühstück zu Boden fallen ließ. Es war für ihn eine Offenbarung, was Brunellesco gemacht hatte. Einen sehr überwältigenden Einfluß hat er dadurch nicht erfahren, aber immerhin, ein gewisser veredelnder Einfluß ist für ihn von Brunellesco doch ausgegangen. Und über diese Szene wird weiter erzählt, daß Donatello so bestürzt war, daß er glaubte, das Frühstück sei überhaupt verschwunden. «Was essen wir jetzt?» sagte er. Dar­auf Brunellesco: «Wir werden halt die Sachen wieder aufheben.» - Donatello aber meinte kopfschüttelnd: «Ich sehe ein, ich werde niemals etwas anderes können als Bauern machen.»

Hier sehen Sie nun den Versuch eines Davids des Donatello

642 Donatello David

Und hier einen anderen

643 Donatello David

Und nun kommen wir zu den wunderbar in sich geschlossenen Marmor-figuren von Donatello in Florenz, die so recht zeigen, wie er durchaus aus sei­nem Naturalismus, aus seiner naturalistischen Anschauung heraus in die Möglichkeit

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versetzt war, feste menschliche Gestalten, wie er sie bilden wollte, hin­zustellen, ich möchte sagen, auf die Beine so, daß sie mit aller Kraft dastehen.

Donatello

644 Jeremias 647 Habakuk, Teil: Brustbild

645 Petrus 648 Johannes der Täufer

646 Habakuk

Hier lebt sich eben bei Donatello der Naturalismus hinein. Es ist nicht jene Seele, die wir bei der nordischen Skulptur gefunden haben, aber eine ent­schiedene naturalistische Anschauung dessen, was der Sinn sieht, was der vergeistigte Sinn sieht.

In Niccoló Pisano und in Donatello haben wir zwei Künstler, die im eminentesten Sinn dann auf Michelangelo Einfluß genommen haben und auf ihn gewirkt haben. Diejenigen, die dann später sahen, was Michelangelo ge­schaffen hat, namentlich in seiner ersten Zeit, und sich an Donatellos Schöp­fungen erinnerten, die haben ja das Wort geprägt, das dazumal gesprochen worden ist: entweder Michelangeloter Donatello - oder Donatellosierter Michelangelo!

649 Donatello Lodovico III. Gonzaga

650 Donatello St. Georg

Besonders charakteristisch ist dieser St. Georg von Donatello; die ganze naturalistische Kraft liegt darin, die ihm eigen war.

Solche Kunstwerke entstanden aus der Freiheit von Florenz, aus der ja auch erwuchs dann Michelangelo Und wenn wir auf der einen Seite sehen, wie wir, ich möchte sagen: durch eine allgemeinere historische Notwendigkeit, kosmopolitischere, historische Notwendigkeit das Aufleben der Antike in Ita­lien finden, so finden wir überall die Hinneigung zum naturalistischen Element verbunden mit der Stimmung, die aufkommt in der Freien-Städte-Kultur. So­wohl hier wie im Norden finden wir, natürlich verschiedenartig, je nach dem Charakter der Völker ausgebildet, das Gleiche heraufkommen aus der Freien-Städte-Kultur heraus, wo der Mensch sich seiner Würde, seiner Freiheit und

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seines Wesens bewußt wird in dieser Städte-Freiheit. Man kann gar nicht anders als so, wie man bei Kunstwerken, die wir für die niederländischen, für die nordischen Gegenden charakteristisch gefunden haben, wie wir da immer erinnern mußten an die Freie-Städte-Kultur und ihre Stimmung, so kann man gar nicht anders, als bei einem solchen, fest in den Raum hineingestellten Mann, wie diesem St. Georg in Florenz (650), an die Freie-Städte-Kultur denken, deren Atmosphäre das möglich machte.

Nun eine Sängertribüne mit Reliefen:

652 Donatello Sängertribüne

Und ein Relief daraus:

653 Donatello Tanzende Knaben

Eine «Verkündigung»:

651 Donatello Verkündigung an Maria

Nun eine Madonna:

654 Donatello Madonna Pazzi

Nun eine Büste:

655 Donatello Niccoló da Uzzano

Dann das Reiterstandbild in Padua:

656 Donatello Gattamelata

657 Donatello Gattamelata, Teil: Brustbild

Und zum Schlusse wollen wir Ihnen noch vorführen den Lehrer Lio­nardos und Peruginos, Verrocchio, als bildenden Künstler. Zunächst die be­rühmte Reiterstatue in Venedig:

658 Verrocchio Bartolomeo Colleoni

659 Verrocchio Colleoni, Teil: Brustbild

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Dann haben wir noch den «David»:

660 Verrocchio David

Damit haben wir die Künstler der Vor-Renaissance vor uns gehabt, die durch ihre Vertiefung in die Antike einerseits das Heraufheben der Antike geführt haben in die Zeit, in der man nicht mehr innerlich in der Seele so lebte wie in antiken Zeiten, sondern in der Anschauung wieder aufleben las­sen mußte, was man in der Antike innerlich instinktiv gefühlt hat, eigentlich besser: fühlend gewußt hat, wissend gefühlt hat; die Künstler, die anderer­seits dies mit dem verbanden, was kommen mußte im fünften nachatlantischen Zeitalter, aus der Anschauung heraus verbanden mit dem Naturalismus, und die dadurch die Vorgängerschaft bildeten zu den großen Renaissancekünstlern Lionardo, Michelangelo und - durch Perugino - auch Raffael, die ja alle unter dem unmittelbaren Einfluß der Kunstwerke dieser Vorgänger standen.

Sie standen ja durchaus auf den Schultern dieser Vor-Renaissance-Künst­1er. Und es ist interessant, zum Beispiel gleich dieser Gestalt gegenüber zu sehen, wie damals rasch fortgeschritten wurde. Wenn Sie diesen «David» (660) vergleichen mit dem «David» von Michelangelo:

660a Michelangelo David

so werden Sie sehen, wie hier verhältnismäßig noch ein Unvermögen da ist zu dramatisieren, die Bewegung zu ergreifen, während Michelangelo gerade in seinem «David» (660a) das Allerhöchste an Bewegung erfaßt hat, nämlich:

festzuhalten den Entschluß des David, gegen den Goliath loszugehen.

Damit haben wir also versucht, uns ein wenig vor die Seele zu führen, was einerseits strahlt aus der griechischen Kunst und andererseits wiederum auf­leuchtet von dieser griechischen Kunst in der Zeit, als die Menschheit ver­suchte, die Kunst wiederum zu finden mit Hilfe des Auflebens des griechi­schen Könnens.

X RAFFAEL: «DISPUTA» - «SCHULE VON ATHEN» Dornach, 5. Oktober 1917

#G292-1981-SE247 Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse

#TI

X

Die künstlerische Darstellung

der imaginativ-spirituellen Bildhaftigkeit des vierten nachatlantischen Zeitraums

im Beginn des materialistisch werdenden fünften:

RAFFAEL:

«DISPUTA» - «SCHULE VON ATHEN»

Dornach, 5. Oktober 1917

#TX

Ich denke heute nicht daran, durch eine Anzahl von Bildern diese kunst-geschichtlichen Vorträge einzuleiten, sondern als Einleitung Ihnen eine Be­trachtung zu geben, die wesentlich nur an zwei Bilder anknüpfen soll, und zwar sollen diese beiden Bilder in die neuere Entwickelungsgeschichte der Menschheit hineingestellt werden. Kunstgeschichtliche Epochen wollen wir dann, wie wir es im vorigen Jahre gemacht haben, weiter an diesen Einlei­tungsvortrag anknüpfen.

Sie sehen hier als erstes das Bild, an das ich vorzugsweise unsere heutigen Betrachtungen zunächst anknüpfen will, und das Sie gut kennen, Raffaels so­genannte «Disputa»:

197 Die «Disputa»

Wir vergegenwärtigen uns ganz kurz, was dieses Bild enthält: Wir sehen unten in der Mitte des Bildes unmittelbar uns gegenüber eine Art Altar mit dem Kelche darauf, welcher die Hostie, also das Symbolum des Altarsakra­mentes enthält. Wir sehen zur Linken und zur Rechten Kirchenlehrer; wir erkennen, daß sie Kirchenlehrer, Päpste, Bischöfe sind, an ihrer Gewandung; und wir sehen, daß gegen die Mitte zu die Gruppen links und rechts beweg­ter werden, namentlich an der Handbewegung der einen Persönlichkeit - von Ihnen aus rechts unmittelbar am Altar. Gerade an ihr sehen wir, daß alle diese Persönlichkeiten teilnehmen an dem, was von oben herunterkommt.

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Wir sehen dann, wenn wir den Raum hinter dieser nahe dem Altare befind­lichen Gruppe betrachten, in die Landschaft hinein und sehen dann - unmit­telbar oberhalb der Landschaft - in der oberen Hälfte des Bildes Wolkenmas­sen beginnen; wir sehen gewissermaßen in den unendlichen Horizont des Raumes hinein. Und dann sehen wir in der Mitte aus diesen Wolkenmassen heraus durch engelartige Genien, die auf beiden Seiten der Taube schweben, die Evangelien gebracht, gebracht aus dem Unbestimmten der geistigen Welt heraus. In der Mitte sehen wir, dargestellt durch das Symbolum der Taube, den Heiligen Geist. Über dem Heiligen Geist haben wir - deutlich zu sehen, aber etwas zurückliegend so, daß also der Heilige Geist mit den vier Engel-figuren, die die Evangelien tragen, etwas weiter nach vorn liegen würde in der Perspektive -, die Figur des Christus Jesus und über der Figur des Chri­stus Jesus die Figur des Gottvaters. Wir haben also die Dreifaltigkeit über dem Kelch, in dem sich das Sanktissimum befindet. Zu beiden Seiten der Christus-Figur haben wir nun entsprechend der irdischen Gruppe eine himm­lisch-geistige Gruppe. Wir haben Heilige zu beiden Seiten der Christus-Figur; in der Mitte, unmittelbar anstoßend links und rechts an die Christus-Figur die Madonna und Johannes den Täufer; dann andere Heilige: David, Abraham, Adam, Paulus, Petrus und so weiter. Noch weiter nach oben gehend in den Wolken haben wir dann eigentliche Genien-Figuren, geistige Individualitäten.

Dieses Bild, das wir hier vor uns haben - es gibt natürlich viel bessere Nachbildungen -, möchte ich zunächst etwas in die Entwickelungsgeschichte der Menschheit hineinstellen.

Vor allen Dingen machen wir uns zunächst den großen Unterschied klar, der sich für uns ergeben würde, wenn wir uns ganz in die Empfindungen der Zeit versetzten, aus der heraus dieses Bild gemalt worden ist. Wenn wir uns in das 16. Jahrhundert versetzen und dieses Bild mit dem Empfindungskom­plex vergleichen, aus dem heraus etwa heute ein Maler so etwas malen würde, müßten wir sagen: damals, im 16. Jahrhundert, und in Rom, da der Papst J ulius II. an der Stätte herrschte, wo der in der Mitte seiner Zwanzigerjahre durch Julius II. nach Rom berufene Raffael wirkte, in jener Zeit und an jener Stätte war aus den menschlichen Empfindungen, die damals dort lebten, heraus,

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dieses Bild eine tiefe Wahrheit. Heute könnte man selbstverständlich etwas Ähnliches malen; wäre aber dieses Ähnliche in der Motivgestaltung so wie dieses Bild, so könnte es keine Wahrheit sein.

Solche Dinge muß man sich nur ganz klar machen, sonst wird man nie­mals zu einer konkreten Betrachtung der Menschheitsgeschichte kommen, sondern immer bei der abstrakten Betrachtung der Legende - der schlechten Legende - verbleiben, die man heute in den Schulen und an den Universitäten Menschheitsgeschichte nennt. Alle Einzelheiten, die wir ins Auge fassen kön­nen, um dieses Bild zu verstehen, künstlerisch zu verstehen, es wirklich künstlerisch zu verstehen, alle Einzelheiten sind von einer gewissen Bedeu­tung. Denken Sie, daß Raffael, diese merkwürdige Individualität Raffael, über die wir ja auch hier öfter gesprochen haben, dazumal im Beginne des 16. Jahr­hunderts nach Rom kommt. Er selbst, Raffael, ist in dem Körper, in dem er damals war, in der Mitte der Zwanzigerjahre; und man kann ruhig annehmen, daß er, als er hauptsächlich an diesem Bilde gemalt hat, am Ende der Zwanziger-jahre war. Er war damals ganz unter dem Einflusse, in der Direktive von zwei alten Leuten, die bereits große Kämpfe des Lebens durchgemacht und die Pläne und Ideen hatten, Ideen die alle, könnte man sagen, die denkbar weit­tragendsten waren.

Machen wir uns nur einmal klar: bis in die päpstliche Vorgängerschaft J ulius II. war das Rom der damaligen Zeit doch im Grunde ein ganz anderes als es dann durch Julius II. wurde. Am hervorstechendsten sind ja aus der Vorgängerschaft Julius II. die Borgias. Zur Zeit Alexanders VI., können wir sagen, war Rom eigentlich so, wie es sich allmählich im Laufe der Jahre her­ausgebildet hatte, wie überdeckend das alte Ruinen- und Trümmerwerk der antiken Welt, die Peterskirche nahezu am Verfall, unbrauchbar geworden. Allerdings waren auch diese Leute schon von einer gewissen Sehnsucht be­seelt, die alte künstlerische Größe der Antike wieder auferstehen zu lassen. Aber es geschieht ein merkwürdiger Einschnitt gerade zwischen den Borgias und Julius II., gerade vom 15. ins 16. Jahrhundert herüber. Unter der Zim­mer- und Säleflucht, zu der auch die Camera della Segnatura gehört, in der sich die beiden Fresken befinden, von denen wir heute sprechen, also im Geschoß

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darunter ist eine Flucht von Zimmern und Sälen, welche Alexander VI. hat ausmalen lassen. Es ist ja doch merkwürdig, daß Julius II., der Protektor von Raffael, diese Zimmer, die da unten sind, die der gewöhnliche Aufent­haltsort seiner Vorgänger waren, so gemieden zu haben scheint, als wenn da drinnen fortwährend die Gespenster der Cholera und der Pest herumgingen. Die hat er ganz gemieden, hat sich nicht bekümmert um das Künstlerische, nicht um das, was da jemals vorgegangen war. Dagegen hat er beschlossen, im Sinne seiner Ideen die Zimmer und Säle des darüberliegenden Geschosses herrichten zu lassen, wie sie jetzt eben zu sehen sind. Wir müssen das durch­aus schon im Zusammenhange damit denken, daß im Beginne des 16. Jahr­hunderts aus dem Kopfe des Papstes Julius II. heraus ein ganz anderer Geist waltet als der Geist, der früher unter seinen Vorgängern gewaltet hat.

Der andere Protektor des Raffael war Bramante. Er hatte in seinem Kopfe den Plan zu der neuen Peterskirche. Beide, sowohl Julius II. wie Bramante, sagte ich schon, waren alte Leute, die die Stürme des Lebens hinter sich hat­ten. Diesen jugendlichen Menschen, den Raffael, beriefen sie nach Rom; der sollte ihnen dienen, malerisch zum Ausdruck zu bringen, was in ihren Köpfen an neuen Ideen mächtig rumorte, an neuen Impulsen, von denen sie dachten, daß sie durch die Menschheit gehen müßten. Man muß sie sich etwas näher anschauen, diese Impulse, die da von Rom aus in die Menschheit eindringen sollen vom Beginne des 16. Jahrhunderts ab. Diese Impulse hängen auf der einen Seite innig zusammen mit der Entwickelung der äußeren christlich-kirchlichen Welt und mit alledem wiederum, was mit den Einrichtungen dieser christlich-kirchlichen Welt zusammenhängt. Auf der andern Seite hängen sie mit der ganzen geschichtlichen Entwickelung des Abendlandes innig zusam­men. Bedenken wir einmal, daß der heutige Mensch es im Grunde außeror­dentlich schwer hat, sich mit seinen Empfindungen und Gedanken hineinzu­versetzen in die Zeit, aus der, sagen wir, dieses Bild, das man so oftmals die «Disputa» genannt hat, herausgewachsen ist. Und noch schwieriger ist es für den heutigen Menschen, sich hineinzuversetzen in noch frühere Jahrhunderte, auch in die Jahrhunderte, in denen das Christentum schon gewaltet hat. Ich habe es ja oftmals erwähnt: man hat heute die Vorstellung: Ach, die Menschen

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sind immer so und so gewesen, wie sie heute sind. - Das ist aber durch­aus nicht der Fall; insbesondere mit Bezug auf das Seelenleben sind die Men­schen nicht so gewesen. Und als vor nahezu zwei Jahrtausenden das Myste­rium von Golgatha sich hereingestellt hat in die Menschheitsentwickelung, da war neben dem, was dieses Mysterium von Golgatha für die Breite der sozia­len Menschheitsentwickelung geworden ist, auch das Mysterium von Golgatha etwas ganz anderes, als es heute für die Auffassung der Menschen sein kann. Man stellt sich doch viel, viel zu schwach vor, was es bedeutet hat, daß ja un­gefähr um die Zeit, in der dieses Bild entstanden ist, hereingebrochen ist über die Menschheit erstens die Entdeckung Amerikas am Ende des 15. Jahrhun­derts; zweitens die ganz andere soziale Verfassung der Menschen, die durch die Erfindung der Buchdruckerkunst gekommen ist; endlich das, was mit dem Kopernikanismus, mit dem Keplerismus in der neueren Naturwissenschaft ent­standen ist.

Sehen Sie sich dieses Bild an. Ich sagte: heute würde es, wenn ein Maler es malen würde, nicht mehr in demselben Sinne Wahrheit sein wie dazumal, könnte es nicht sein; denn man würde heute nicht die Seelen finden, denen dieses Bild in demselben Sinne wie dazumal, als es gemalt worden ist, gegen­ständlich wäre, Seelen, welche eine solche Vorstellung von der Erde haben, die bedingt ist dadurch, daß Amerika noch nicht entdeckt ist. Seelen, die noch in aufrichtiger Gläubigkeit zu den Wolken aufschauen, um über den Wolken das, was wir heute in der geistigen Welt vorzustellen haben, sich gewisser­maßen körperlich-räumlich über den Wolken wirklich vorzustellen. Solche Seelen werden sich heute nicht mehr finden, auch nicht unter den naivsten Menschen. Aber wir stellen uns die Seelen der damaligen Zeit falsch vor, wenn wir nicht glauben, daß der Inhalt dieses Bildes etwas war, was diesen Seelen unbedingt gegenständlich war. Denken Sie doch nur einmal: der Inhalt dieses Bildes, was ist er denn? - Wir können ja heute von unserem geisteswissen­schaftlichen Standpunkt aus einen Namen finden für das, was der Inhalt die­ses Bildes ist; uns ist geläufig, von Imaginationen zu reden als der ersten Stufe der Schauungen nach der höheren Welt hinauf. Wenn wir sagen: die Mensch­heit bis zu diesem 16. Jahrhundert hinein hatte von der Welt, von der großen

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Raumeswelt im Zusammenhang mit der irdischen Welt eine Vorstellung, die in Imaginationen aufging, dann sagt man etwas Richtiges. Imaginationen waren dazumal noch etwas Lebendiges; und Raffael malte die lebendigen Imagina­tionen, die in den Seelen vorhanden waren. Weltanschauung, Weltbild waren dazumal noch etwas Imaginatives.

Diese Imaginationen wurden vertrieben durch die kaustische Kraft des Kopernikanismus, der Entdeckung Amerikas, der Buchdruckerkunst. Die Menschheit stellte erst von dieser Zeit an das äußerlich-gegenständliche Vor­stellen des gesamten Weltengebäudes an die Stelle der Imagination, an die Stelle dessen, was wir die imaginative Erkenntnis, das imaginative Schauen nennen. So daß ja, während der gegenwärtige Mensch sich also vorstellt: da draußen ist die Sonne, da kreisen die Planeten herum und so weiter - die Leute das gar nicht hatten; wenn sie über etwas Ähnliches reden wollten, so redeten sie über Imaginationen. Und Abbild solcher Imaginationen ist dieses Bild. Die Jahrhunderte, in denen sich das imaginative Anschauen der Menschheit so allmählich herausgebildet hat, daß es dann mit solchen Bildern wie diesen Raffaelischen einen gewissen Abschluß im 16. Jahrhundert gefunden hat, diese Jahrhunderte sind also: das 16., 15., 14., 13., 12., 11., 10. Jahrhundert, bis ins

9. Jahrhundert zurück, aber auch nicht weiter. Wenn wir weiter zurück­gehen wollen, so bekommen wir keine richtigen Vorstellungen mehr, wenn wir uns selbst die imaginative Art, wie der Mensch in den genannten Jahrhun­derten empfand, wenn wir uns diese - die wir ohnedies schon schwer genug heute vor die Seele rufen können - vorstellen.

Wenn wir das, was durch das Christentum in den Jahrhunderten vor dem 9. geworden ist, vorstellen wollen, dann müssen wir uns die christ­lichen Vorstellungen viel spiritueller vorstellen, als man das geneigt ist, ge­wöhnlich zu tun. Augustinus hat aus den christlichen Vorstellungen nur das herausgenommen, was er brauchen konnte. Aber wenn man Augustinus heute liest, bekommt man ja ein Gefühl davon, was anderes noch in den Seelen lebte als Weltbild und als Bild von Zusammenhängen der Welt mit den Men­schen als später dann und heute. Und besonders bedeutsame Vorstellungen bekommen Sie, wenn Sie Scotus Erigena lesen, der zur Zeit Karls des Kahlen

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gelehrt hat. Man möchte sagen: in diesen älteren Jahrhunderten vor dem 9. durchsetzten das christliche Denken bei denen, die sich überhaupt zum Denken erhoben, in diesen Jahrhunderten durchsetzten das christliche Den­ken hochspirituelle Vorstellungen. Man möchte sagen: wenn die Menschen sich ein Weltbild machten in diesen älteren Jahrhunderten, dann nahmen sie in dieses Weltbild noch recht wenig von dem hinein, was die unmittel­bar sinnliche Erfahrung gab, sie nahmen aber in dieses Weltbild um so mehr von dem hinein, was nicht die sinnliche Erfahrung gab, sondern was heraus­genommen war aus dem alten hellseherischen Erschauen der Welt. Und wenn wir in die ersten Jahrhunderte nach dem Mysterium von Golgatha zurück­gehen und die christlichen Vorstellungen verfolgen, dann finden wir, daß diese Vorstellungen solche sind, daß man eher sagen kann: die Leute interessierte damals der himmlische Christus, der Christus, wie er in den geistigen Wel­ten war; und was er geworden war auf Erden herunten, das betrachteten sie mehr so wie ein Anhängsel. Den Christus inmitten geistiger Wesenheit zu suchen, ihn zu denken im Zusammenhange mit dem Übersinnlich-Spirituellen, das war das wesentliche Bedürfnis; und das war aus der alten spirituellen -wenn auch atavistisch-spirituellen - Weltanschauung heraus. Diese Weltan­schauung, die erfüllte ja die alte Kultur bis herunter in das dritte nachatlanti­sche Zeitalter. Da dachte man die Erde wirklich als eine Art von Anhängsel zum Geistigen.

Nun muß man sich schon bekanntmachen mit einer Vorstellung, die ganz wesentlich ist, wenn man verstehen, wenn man begreifen will, wie die Menschheit sich eigentlich bis in unsere Tage entwickelt hat. Man muß sich bekanntmachen mit der Vorstellung, daß die europäische Menschheit zur Ent­faltung ihrer Kultur die Zurückdrängung der spirituellen Vorstellungen not­wendig hatte. Darüber darf man nicht mit Sympathie und nicht mit Antipathie urteilen; darüber darf man überhaupt nicht mit kritischem Geist urteilen, son­dern man muß die Tatsachen einfach wie sie sind hinstellen; es war einfach das Schicksal, das Karma Europas, um zu der Kultur zu kommen, zu der es eben kommen mußte. Es war das Schicksal Europas: die spirituellen Vorstellungen zurückzudrängen, zurückzus tauen gewissermaßen.

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Und so kam es denn, daß sich vom 9. Jahrhundert an immer klarer und bedeutungsvoller zeigte: Europa braucht ein Christentum, welches die spiri­tuellen Vorstellungen zurückdrängt. Und ein Ergebnis dieser Notwendigkeit ist die Kirchentrennung in die griechisch-orientalische und in die römisch-katholische Kirche. Damals trennt sich der Osten von dem Westen. Das ist etwas höchst Bedeutsames. Der Westen hat das Schicksal, die spirituellen Im­pulse nach dem Osten hin zurückzustauen. Da verbleiben sie. Und man ver­steht wirklich nicht, was im menschheitlichen Werden ist, wenn man nicht eben sich klar ist, daß diese an Asien und an Rußland angeschlossene euro­päische Halbinsel - Rußland rechne ich jetzt zu Asien - nötig hatte, vom 8., 9. Jahrhundert ab die spirituellen Impulse nach dem Osten zurückzustauen. Die haben sich da zusammengestaut, entwickelten sich abseits vom westeuro­päischen und mitteleuropäischen Leben, entwickelten sich in das heutige Ruß­land hinein.

Das ist sehr bedeutsam. Man halte das nur einmal ordentlich fest. Man ist heute gewöhnt, die Dinge durchaus nicht mehr im Zusammenhange be­trachten zu wollen. Und so kommt einem ein solches Ereignis wie die rus­sische Revolution vor wie etwas, was vor ein paar Monaten entstanden ist -was weiß ich, aus welchen Gründen heraus sich der eine oder andere das vor­stellt -, während in Wahrheit das vorliegt, daß im Hintergrund von alledem eben das steht, daß ein gewisses, nach und nach im Laufe der Jahrhunderte in diesem Osten unsichtbar und ungreifbar gewordenes spirituelles Leben zu­rückgeschoben war, sich gestaut hat und jetzt in einer noch ganz undefinier­baren, chaotischen Weise so arbeitet, daß die Menschen, die in dem, was da im Osten vorgeht, drinnenstehen, wirklich so wenig in dem wirklich drinnen leben, wie die Menschen, die in der See schwimmen, in sich - wenn sie nicht gerade am Ertrinken sind - das Meerwasser haben; das Meerwasser haben sie außer sich. Und so ist auch das, was da an spirituellen Impulsen sich an die Oberfläche arbeitet im Osten, im Geistigen noch vorhanden. Die Menschen schwimmen darinnen und haben nicht viel Ahnung von dem, was da an die Oberfläche drängt und vom 9. Jahrhundert ab nach dem Osten zurückge­schoben worden ist, damit es dort gewissermaßen aufbewahrt werde, um in

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späteren Zeiten eine Entwickelung durchzumachen. Den Menschen, die im Osten entstanden, die im Osten allmählich sich herausbildeten aus der Völker­wanderung und aus sonstigen Verhältnissen, denen wurde in die Seelen hin-eingeschoben an spirituellen Impulsen, was zunächst der Westen und der Sü­den Europas und Mitteleuropas nicht gebrauchen konnten.

Der Westen behält sich etwas Merkwürdiges zurück. Der Osten, ohne daß er es weiß - die meisten wirklich wichtigen Dinge verlaufen ja für die Menschen im Unterbewußten -, der Osten, ohne daß er es wirklich weiß, blieb streng stehen auf der Gründlage des Evangeliensatzes: «Mein Reich ist nicht von dieser Welt». Daher schließt sich im Osten immer noch dasjenige, was physischer Plan ist, streng nach der spirituellen Welt, nach oben hin an. Der Westen war darauf angewiesen, geradezu umzukehren den Satz: «Mein Reich ist nicht von dieser Welt» und so recht zu machen das Reich Christi als ein Reich von dieser Welt. Und dann sehen wir, daß Europa das Schicksal hat, von Rom aus das Reich Christi äußerlich wie ein Imperium zu konstituieren auf dem äußeren physischen Plan. Man möchte sagen: von Rom aus wurde seit dem 9. Jahrhundert das Gesetz aufgestellt: Bruch mit dem alten Satze «Mein Reich ist nicht von dieser Welt», dafür aber gerade ein weltliches Reich zu konstituieren, welches das Reich des Christus Jesus auf Erden, auf dem physischen Plane sein sollte.

Der römische Papst wurde allmählich der, der da sagte: Mein Reich ist das Reich des Christus; aber dieses Reich Christi ist von dieser Welt; und wir haben es so zu konstituieren, daß es von dieser Welt ist, das Reich Christi. Aber es blieb ein Bewußtsein vorhanden, daß eben dieses Reich das Reich Christi ist, daß dieses Reich das Reich, das nicht aufgebaut sein soll auf die bloßen Grundsätze des natürlichen, des äußeren natürlichen Daseins. Man war sich dessen bewußt: wenn man in die Natur hinaussieht, wenn man alles das sieht, was durch die Sonne und was durch die Morgen- und Abendröte ist, was durch die Sterne ist, dann hat man nicht bloß das vor sich, was Augen sehen, was Ohren hören, was Hände greifen können, sondern dann hat man in der Weite des unendlichen Raumes zu gleicher Zeit das vor sich, was das spirituelle Reich ist. Und all das, was hier in der sichtbaren Welt ist, ist gewissermaßen

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der letzte Ausfluß, der letzte Golf der spirituellen Welt. Und diese sichtbare Welt ist nur ein Ganzes, wenn man sich dessen voll bewußt ist, daß sie der Ausfluß ist einer spirituellen Welt. Diese spirituelle Welt ist konkret; die Menschen haben nur das Gesicht verloren für diese spirituelle Welt. Den Menschen ist sie verborgen; aber sie ist eine Realität, sie ist eine Wirklichkeit. Und wenn der Mensch durch die Pforte des Todes tritt, und er ist dafür be­sonders begnadet, so tritt er ein in die spirituelle Welt. Viel lebendiger, als man geneigt sein kann, sich das heute vorzustellen, waren daher diese Men­schen zu denken. Wenn die Toten, namentlich die begnadeten Toten durch die Pforte des Todes gegangen waren, dann traten sie ein in eine Welt, die man sich gegenwärtig vorstellen muß - durchdringend die Wolken, durch­dringend die Sterne, durchdringend die Planetenbahnen. Es war also etwas Konkretes, daß die Toten-Seelen hier im Bild die obere Gruppe bilden. Und die Toten-Seelen hatten das konkrete Mysterium, das konkrete Geheimnis der Dreifaltigkeit in ihrer Mitte, dieses konkrete Geheimnis, das sich zu­sammensetzt aus dem Wesenhaften der Vergangenheit: Gottvater - aus dem Wesenhaften der Gegenwart: dem Christus Jesus - aus dern Wesenhaften der Zukunft: dem Heiligen Geiste.

Was sich aber da auseinanderlegt in die Realität der Zeit, davon muß es, wenn die gegenwärtige Welt, die sinnenfällige Welt nicht eine bloße Illusion sein soll und die Menschen innerhalb dieser sinnlichen Welt wie die Tiere le­ben wollen, davon muß es in dieser sinnlichen Welt auf dem physischen Plan Zeichen geben für das, was unsichtbar in der geistigen Welt über den Wolken schwebt und wohnt. Die Nachgeborenen müssen lebendige Zeichen haben von dem, wovon die Vorgeborenen, die nun schon Post-mortem-Seelen sind, die unmittelbare Anschauung haben.

Auf dem Altar steht der Kelch mit dem Sanktissimum, mit der Hostie. Diese Hostie ist nicht bloß äußere Materie für die Menschen, die da links und rechts unten herumstehen, sondern diese Hostie ist rings umflossen von ihrer Aura. Und mit der Aura dieser Hostie wirken die Kräfte, die von der Drei-einigkeit herunterkommen. Solche Vorstellungen, wie sie in den Köpfen der Kirchenväter, der Bischöfe, der Päpste über das auf dern Altar befindliche

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Sanktissimum leben, hat die heutige Menschheit gar nicht mehr. Die sind im Laufe der Zeit vergangen. Und der Moment ist hier festgehalten im Bilde, in dem es diesen Leuten am Altare unten aufgeht: da ist ein Mysterium, das auf dern Altar steht; da wird die Hostie von etwas umschwebt. Und dieses Etwas, das sehen die Verstorbenen-Seelen, namentlich die begnadeten: David, Abra­ham, Adam und Moses, Petrus, Paulus - das sehen die Verstorbenen so, wie die hier auf dern physischen Plan befindlichen Seelen die Gegenstände der sinnlichen Welt sehen.

Wenn wir uns dieses Untere (197) ansehen, mit dem Sanktissimum in der Mitte, dann haben wir in dem, was da unten, gewissermaßen in der untersten Etage des Bildes steht, das vor uns, von dern solch ein Mensch wie Papst Ju­lius II. etwa gesagt hat: Das will ich in so großer Herrlichkeit, als es nur mög­lich ist, auf der Erde von Rom aus herstellen, ein solches Reich, ein solches Imperium begründen - nicht einen Staat, sondern ein Imperium -, ein solches Reich begründen, daß in diesem Reiche, in diesem Imperium Dinge gesche­hen, die umflossen sind von solchen Auren, daß die Vergangenheit mit ihren Impulsen in diesen Auren lebt. Ein Reich also, das von dieser Welt ist, aber das, indem es von dieser Welt ist, Zeichen ist, Signum ist für das, was in den spirituellen Welten lebt.

Vorstellungen solcher Art wird Julius II. in Bramante zuerst und dann in dern jugendlichen Raffael entzündet haben. Dadurch ist es dazu gekommen, daß der junge Raffael dieses Bild komponieren konnte. Gewissermaßen in seinem Arbeitszimmer wollte Julius II. dieses Bild haben, um es immer vor sich zu haben wie eine heilige Devise, daß von Rom aus das Imperium be­gründet werden solle, in dern die wichtigsten Dinge die Mysterien sind. Aber dieses Reich sollte von dieser Welt sein, von dieser Welt mit dem spirituellen Einschluß.

Nur wenn man alle diese Empfindungen, von denen wir jetzt gesprochen haben, auf seine Seele wirken läßt, hat man einen Eindruck von diesem Bilde, wenn man sich sagt: die spirituelle Welt war nach dem Osten seit dern 9. Jahr­hundert, ich möchte sagen, so zurückgeschoben, wie hier die Wolken nach aufwärts geschoben sind, und wartete nun dort, bis ihre Zeit gekommen war.

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Dagegen bereitete sich vor, einstweilen im Westen, das fünfte nachatlan­tische Zeitalter, dieses fünfte nachatlantische Zeitalter, in dem wir ja immer noch leben, und in dem die Menschheit lange leben wird, und das ganz unter der Signatur steht: mein Reich ist von dieser Welt; und immer mehr und mehr wird das Reich dieses fünften nachatlantischen Zeitalters von dieser Welt sein. Aber in dieses Reich, das von dieser Welt ist, werden solche Dinge hineinge­stellt, fast am Anfange, am Beginne dieses fünften nachatlantischen Zeitalters unter dern Einflusse der alten Leute Bramante und Julius II., von dern jugend­lichen Raffael. Die wichtigsten Dinge geschehen ja in der geschichtlichen Ent­wickelung unbewußt. Und aus unbewußten aber weisheitsvollen Untergrün­den heraus hat sich Julius II. den Raffael geholt. Wir wissen, daß die Mensch­heit im Laufe der Jahrtausende immer jünger geworden ist; wir wissen, daß sie im Anfange des fünften nachatlantischen Zeitalters das Alter der Achtund­zwanzigjährigkeit erreicht hat, jetzt «27 Jahre alt» ist. Gewiß, Bramante und Julius II. waren alte Leute; aber sie waren es auch nicht, die unmittelbar in die Welt hineingestellt haben, was nur der jugendliche Raffael mit seinem Leib hineinstellen konnte, der eben ein jugendlicher Leib war und der die Kraft gerade des Achtundzwanzigjährigen hatte, als er so etwas malte. Das sind bedeutsame spirituelle Hintergründe in der Menschheitsentwickelung.

Und jetzt vergegenwärtigen wir uns, wie Raffael an dem Ihnen eben cha­rakterisierten Gedanken in Rom malte, malte gewissermaßen den Protest des vierten nachatlantischen Zeitalters gegen das fünfte nachatlantische Zeitalter. Es war ja nicht so; aber denken wir uns hypothetisch, es wäre in Raffaels Seele das Folgende angeregt worden: Vor Raffaels Seele wäre gestellt worden -in ihrem Unbewußten lebte es, wir können dieses Unbewußte aber hypothe­tisch vor uns hinstellen -, nehmen wir an, in Raffaels Seele lebte das Wissen dessen, was als fünftes nachatlantisches Zeitalter kommen sollte. Kommen sollte die entgötterte, entgeistigte Welt des fünften nachatlantischen Zeitalters, in dem die Menschheit sich den kahlen, öden, eisigen Weltenraum denkt, durchsetzt, durchlaufen von Sonne und Planeten, geistlos den öden Welten-raum vorstellt, geistlos sich die Erde selbst vorstellt und versucht, durch geist­lose Naturgesetze sich ein ganzes Weltenwerden zu konstruieren. Nehmen

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wir an, das wäre vor Raffaels Seele hinge stellt worden: die Realität der Geist­losigkeit des fünften nachatlantischen Zeitalters. Und diese Seele Raffaels hätte dagegen die Impression gestellt: So darf es nicht sein; ich will hineinwerfen in dieses geistlose Zeitalter, das sich den eisigen Weltenraum mit dern geistlo­sen Weltennebel im Sinne der Kant-Laplaceschen Theorie hinstellt, die Imagi­nation des lebendigen spirituellen Daseins. Ich will erfüllen, soviel ich kann, in der Vorstellung, dieses öde naturhistorische Dasein mit den Imaginationen, die sich ergeben aus dern alten heliseherischen Erfassen der Welt. - Nehmen Sie an, so hätte es in der Seele Raffaels ausgesehen. Es hat so ausgesehen in dern Unterbewußten seiner Seele; es hat selbst so ausgesehen in der Seele Julius II.

Unser Zeitalter hat wahrhaftig nicht nötig, die großen Geister wie Ju­lius II. oder selbst die Borgias so zu verachten, wie es die Geschichtslegende tut; denn die Geschichte wird über unsere Zeitgenossen, über die Größten unseres Zeitalters ganz andere Urteile noch zu fällen haben als wir über die Borgias oder Julius II. oder über ähnliche Persönlichkeiten der Vorzeit. Die Menschen der Gegenwart haben nur nicht die Distanzen dazu.

So war Raffael am Beginne des fünften nachatlantischen Zeitalters ge­boren, man möchte sagen, so recht geboren als ein Kind des fünften nachat­lantischen Zeitalters. Er ist ja wirklich schon aus diesem fünften nachatlanti­schen Zeitalter herausgeboren, aber wie die lebendig gegen dieses Zeitalter protestierende Seele, die in Schönheit in dieses Zeitalter hineinstellen will, was dieses Zeitalter nicht mehr als Wahrheit erleben will; die sinnenfällige Spiri­tualität in die spiritualitätslose Sinnenfälligkeit hineintragen will, das herüber-tragen will in das fünfte nachatlantische Zeitalter, was alte Zeitalter aus spirituel­lem Schauen heraus gewonnen haben. Was spirituell geschaut werden konnte, in sinnenfälligen Bildern übertragen in das Reich dieser Welt, ein zweites Reich in diese Welt, in das, was sinnenfällig, aber in der Sinnenfälligkeit voller Zeichen des Übersinnlichen ist, hineinstellen: das war ungefähr Raffaels Ab­sicht. Und die Wahrheit davon ist dieses Bild, ein durch und durch wahres Bild, weil es aus dern lebendigen Empfinden der damaligen Zeit heraus ent­sprungen ist.

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Und jetzt nehmen Sie dieselbe Zeit, in der das Kind des fünften nachat­lantischen Zeitalters die ganze imaginative spirituelle Bildhaftigkeit des vierten nachatlantischen Zeitalters hereinträgt und auftritt wie das Testament des vierten nachatlantischen Zeitalters in das fünfte hinein, nehmen Sie diese Zeit. Es ist ungefähr auf das Jahr hin dieselbe Zeit, da eine nordische Persön­lichkeit in Rom hinaufrutschte über die Büßertreppe, von der man sagte: wenn man die so-und-soviel Stufen hinaufrutscht, so verrichtet man dadurch solch gottgefälliges Werk, daß einem immer durch eine Stufe über die Treppe hin­auf so-und-soviele Tage des Fegefeuers erlassen werden. In Gläubigkeit, in voller Gläubigkeit ist dieser nordische Mensch in Rom, rutschte - während Raffael im Vatikan in der Camera della Segnatura an solchen Bildern malte -, um ihr Seelenheil besorgt, die Treppe hinauf, um sich so-und-soviele Tage des Fegefeuers zu ersparen durch dieses gottwohlgefällige Werk. Und während sie hinaufrutscht, diese Persönlichkeit, hat sie eine Vision - eine Vision, die ihr zeigt die Nutzlosigkeit solcher Werkheiligkeit wie dieses Hinaufrutschen über die Treppe, um sich Fegefeuertage zu ersparen -, eine Vision, aus der heraus diese Persönlichkeit das Tischtuch durchschneidet zwischen sich und der Welt, die Raffael als das Kind des fünften nachatlantischen Zeitalters malt wie das Testament des vierten nachatlantischen Zeitalters.

Sie wissen, daß diese nordische Persönlichkeit Luther ist, der Antipode Raffaels. In Raffael, selbst wenn Sie es nur äußerlich sehen, ist alles Farbe und Form, alles spirituelle Bildlichkeit, alles Ausdruck und Zeichen einer über­sinnlichen Welt, aber in sinnlichen Farben und Formen, alles Gestalten su­chend und Gestalten bildend. Und Luther in derselben Zeit in Rom mit einer Seele voller Gesang, voller Poesie, aber gestaltenlos, im Formlosen der Seele lebend, ablehnend diese ganze Welt, die in seiner Umgebung in Rom war. Wie im 9. Jahrhundert die spirituelle Welt des Ostens zurückgeschoben wird, schiebt Luther für seine nordische Welt zurück, was als Testament ge­blieben war vorn vierten nachatlantischen Zeitalter im Süden Europas. Luther schiebt das zurück. Und wir haben in der Zukunft die dreigeteilte Welt vor uns: im Osten wartet die Spiritualität zurückgestaut; im Süden gliedert sich etwas an, was wie das Testament des vierten nachatlantischen Zeitraums ist

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und wird wiederum zurückgestaut und abgelehnt. Das Musikalische des Nor­dens setzt sich an die Stelle des farben- und formenreichen Testaments des Südens. Luther ist der wirkliche Antipode Raffaels. Raffael ist das Kind des fünften nachatlantischen Zeitalters, in dessen Seele aber ganz der Inhalt des vierten nachatlantischen Zeitalters lebt. Luther ist der Nachzügler des vierten nachatlantischen Zeitalters; Luther ist kein Mensch des fünften nachatlanti­schen Zeitalters, in dern er lebte, man möchte sagen: nur wie versetzt aus dern vierten nachatlantischen Zeitalter in das fünfte. Luther ist in seiner Gemüts­verfassung ganz und gar ein Mensch des vierten nachatlantischen Zeitalters. Er denkt und fühlt wie ein Mensch des vierten nachatlantischen Zeitalters; aber er ist hereinversetzt in das fünfte nachatlantische Zeitalter und lebt das aus, was nunmehr hineintönen soll in das fünfte nachatlantische Zeitalter mit seiner öden Sinnenfälligkeit, mit seiner bloßen Naturhistorie, mit seinen Eis-feldern der Spiritualitätslosigkeit. Raffael ist der Mensch des fünften nachat­lantischen Zeitalters mit dem Seeleninhalt vom vierten nachatlantischen Zeit­alter; Luther, der, weil er nur hereinversetzt ist aus dern vierten ins fünfte nachatlantische Zeitalter, ist der Mensch, der mit seiner Seele im vierten nach-atlantischen Zeitalter steht, und der alles Äußere ablehnt, und dagegen die Impulse der menschlichen Seele auf das bauen will, was nichts zu tun hat mit dern äußeren Werk und mit der äußeren Handlung des Menschen, auf das, was einzig und allein in einem gestaltlosen inneren Zusammenhang zwischen der menschlichen Seele und der spirituellen Welt begründet, in dern bloßen Glauben liegt.

Denken Sie nun einmal, ein Maler würde ebenso wahr, wie Raffael dieses Bild aus dern südlichen Katholizismus heraus gemalt hat, aus dern Luthertum heraus malen wollen - was würde er malen? - Er würde malen etwa eine Christus-Figur, wie Albrecht Dürer sie gemalt hat; oder er würde malen einen gläubigen Menschen, und im physiognomischen Ausdruck würde man erken­nen, daß da in der Seele etwas lebt, was ganz und gar nichts gemeinsam hat mit der sinnlichen Umgebung und den Gegenständen der sinnlichen Umge­bung, in welche diese Seele versetzt ist.

So schließt sich Zeitalter an Zeitalter. Man hat in der heutigen Zeit ganz

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andere Vorstellungen. Das sehen Sie daraus, daß heute Bilder gemalt werden, wo der Christus wie ein Mensch unter anderen Menschen ist: «Komm, Herr Jesus, sei unser Gast» - und dergleichen, so menschlich wie möglich:

198a Uhde «Komm, Herr Jesus, sei unser Gast»

Hier auf unserem Bilde (197) haben Sie unten die Gruppe von Bischöfen, von Kirchenlehrern; in der Mitte das bloße Signum, das Zeichen. Aber das weist hinan auf eine außersinnliche Welt; da ist konkret die Dreifaltigkeit darinnen.

Wir werden die «Dreifaltigkeit» nunmehr besonders herausheben. Wir haben noch ein Bild, welches diese Dreifaltigkeit allein darstellt:

198 Disputa, Teil: Dreifaltigkeit

Sie sehen oben Gottvater, unten den Geist und den Sohn. Sie sehen diese drei Glieder wie konkreten Inhalt der Zukunft, der Gegenwart, der Vergan­genheit herausgehoben. Es würde die Weltanschauungsströmung der damali­gen Zeit nicht in der Lage gewesen sein, das, was für die begnadeten Toten-Seelen in unmittelbarer Anschauung lebte, zu vermischen mit dem, was äußere sinnliche Welt ist. Aber Raffael brauchte, um im Sinne der damaligen Vorstel­lungen das, was er darzustellen hatte, wahr darzustellen, den freien Ausblick hinaus in die Weite des natürlichen Raumes. Er mußte in dem Bild gewisser­maßen ausdrücken: die bloße Sinnenfälligkeit des den Raum Erfüllenden ist keine wahre; aber als Wahrheit stellt sich dies hinein in den Raum. Daher haben Sie unten - Sie sehen noch den Streifen vom Horizont - die weite, in die Unendlichkeit hinausgehende Perspektive. Gewissermaßen ist ausgedrückt hier der Protest dagegen, die Natur bloß im heutigen Sinne sinnenfällig vor­zustellen.

Raffael ist nicht so ohne weiteres einfach dazu gekommen, auch die Kom­position dieses Bildes zu treffen. Damit das uns anschaulich werden kann, wollen wir uns zwei von den Skizzen anschauen, die Raffael zuerst gezeichnet hat, aus denen heraus dann das Bild nach und nach geworden ist:

199 Zeichnung zur «Disputa»

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Wir müssen uns den ganzen Vorgang so vorstellen, daß Raffael etwa in der Zeit 1507, 1508 nach Rom kam, von Julius II. den Auftrag bekommen hat, und dann versucht hat, zunächst eben das ins Bild zu bringen, was er schon in der Vorstellung hatte. Nach und nach wurde er erst unterrichtet von Julius II.; nach und nach gestaltete sich ihm erst jenes Verhältnis zwischen Raum, Natur und den übersinnlichen und sinnlichen Menschheitsgruppen so, wie es sein mußte.

Auch die andere Skizze

200 Zeichnung zur «Disputa»

die mehr das Untere der ersten Skizze behandelt, zeigt noch eine ganz unvollendete Weise. Sie sehen, er ist noch nicht zurechtgekommen. Das, worauf Raffael kommen mußte, war: sich richtig zu denken im Sinne der da­maligen Zeit das Verhältnis zwischen der spirituellen Welt und der Natur. Die alten Zeiten, noch bis ins 9. Jahrhundert, haben noch eine deutliche Vor­stellung gehabt vom Zusammenhang zwischen der menschlichen Vergangen­heit und der natürlichen Gegenwart. Die Menschen vor dern 9. Jahrhundert -so grotesk das der heutigen Menschheit klingt - haben nicht gedacht, wenn ihnen irgend etwas passierte, so passiere es ihnen aus irgendeinem Zufall her­aus; nein, sie haben gewußt: wenn ihnen irgend etwas passierte, so passiere es, indem in den Ereignissen, in die sie eingesponnen sind, die Toten leben, mit denen sie karmisch verbunden waren. Vor dem 9. Jahrhundert stellten sich in den Ereignissen, die uns umgeben, die Toten vor die Menschen hin. Dann verglommen allmählich solche Vorstellungen; und es blieb das zurück, was ich Ihnen als in das 16. Jahrhundert hineingehend charakterisiert habe.

Gehen wir aber noch einmal zurück in dieses 9. Jahrhundert, dann kom­men wir auch dazu, daß wir uns vorstellen müssen: eine zeitliche Trennung zwischen Natur- und Geisteswelt war nicht vorhanden für diese ahen Völ­ker. Die Natur war gleichsam die Fortsetzung nach unten - vor dem 9. Jahr­hundert, sage ich - die Fortsetzung der spirituellen Welt. Aber es hatte schon das Griechentum hereingearbeitet in dieses Weltbild das, was der Mensch durch sein eigenes Denken, durch sein auf sich selbst gestelltes Ich hineinbringen

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kann. Was da Raffael gemalt hat - er hat es selber zum Ausdruck ge­bracht, indem er oben an der Decke über diesem Bilde, das eine spätere Zeit «Disputa» genannt hat, obwohl sicherlich nichts disputiert wird, angebracht hat eine weibliche Gestalt aus der Symbolistik der damaligen Zeit, welche die Devise trägt: DIVINARUM RERUM NOTITIA = Was geschrieben ist von den göttlichen Dingen. Im Grunde genommen bestand vor dern 9. Jahrhundert als Weltanschauung noch das, «was bekannt war von den göttlichen Dingen», und die Natur war nur wie ein Golf, den die göttliche Welt herunter erstreckte, und in dern sich dann der Mensch befand.

208 Vignette: Divinarurn Rerum Notitia

210 Vignette: Causarum Cognitio

Diese ganze Anschauung war, wie gesagt, nach dem Osten zurückge­schoben worden, und der Nachklang ist in den Imaginationen geblieben, die wie ein Testament aus dern vierten nachatlantischen Zeitalter Raffael malte. Man hat eben dazumal gewollt vom Süden aus auf der Erde, auf dern physi­schen Plan selber, das Reich Christi einrichten als Machtreich, als Imperium. Papst Julius II. hat, ebensowenig wie andere dergleichen Persönlichkeiten, das auf seine Fahne geschrieben, was er eigentlich gewollt hat. Er wollte wirklich das begründen, was dann nicht begründet werden konnte, weil Luther gekom­men ist, weil Calvin, Zwingli gekommen sind. Er wollte ein Reich Christi, das von dieser Welt ist, begründen. Das hätte er aber nicht sagen dürfen. Das be­trachtet man dann gewöhnlich bei solchen Persönlichkeiten als etwas Esoteri­sches. Julius II. hätte nicht wie ein Feldherr durch Italien ziehen dürfen, um zunächst die italienischen Völker in das Imperium, in das neue Imperium Romanum hineinzuspannen. Er hat etwas anderes gesagt. Er hat gesagt, er ziehe als Feldherr durch Italien, um die italienischen Völker zu befreien. Das sagt man ja so. Auch in späterer Zeit sagt man, man müsse dies oder jenes tun, um die Völker zu befreien, während man eigentlich etwas ganz anderes will. Aber geglaubt haben dazumal auch schon viele Menschen, daß Julius II. durch Italien gezogen wäre, um die einzelnen italienischen Völkerschaften zu befreien. Das ist ihm natürlich gar nicht eingefallen; geradesowenig als es etwa

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Woodrow Wilson einfällt oder überhaupt einfallen kann, irgendwelche Völker zu befreien.

Nun, sehen Sie, da haben wir diese mächtige Scheide, möchte ich sagen, zwischen den zwei Zeitaltern: das Zurückstauen dieses Südlichen. Heraufbe­wahrt hatte sich aus der alten Griechenzeit die Zweiteilung in der Weltan­schauung. Man hatte sich klar gemacht: was da die Natur durchwallt aus den lebendigen Taten der Toten, davon gibt es keine Anschauung mehr, wenn der Mensch das entwickelt, was er aus den geistigen Mächten seiner eigenen Brust heraus, aus seiner eigenen Seele heraus entfaltet hat; dann bekommt er nicht:

DIVINARUM RERUM NOTITIA, nicht das, «was aufgeschrieben ist von den göttlichen Dingen», sondern da bekommt er: CAUSARUM COGNITIO

- da bekommt er «die Erkenntnis dessen, was in der unmittelbaren Welt an Ursachen vorhanden ist». Da soll er sich aber hüten, damit die ganze Natur interpretieren zu wollen. Will man von der Natur eine Vorstellung bekom­men - so hätte Julius II. mit Donnerworten in die Welt hineingerufen, wenn er dazu veranlaßt worden wäre -, will man von der Natur eine Vorstellung bekommen und zeigt in ihr, daß die Sonne aufgeht, die Morgen- und Abend-röte da ist, die Sterne da sind, so wie es die Menschen des fünften nachatlan­tischen Zeitalters tun, so lügt man. In Wahrheit verleugnet man dann, daß darinnen die Dreifaltigkeit ist, die Seelen der Toten sind, daß darin wirklich etwas ist, was man imaginativ ausdrückt, indem man herumblickt und die Toten-Seelen, David, Abraham, Paulus, Petrus, und die Heilige Dreifaltigkeit darstellt. Ihr laßt das nur weg, was in der Natur wirklich drinnen ist, die alten Äonen, weil ihr nur den jüngsten Äon hineinstellt! - so hätte er gesagt. Wollt ihr euch auf euch selbst verlassen? Wollt ihr nur das entwickeln, was ihr durch Menschenkräfte, so wie sie an den physischen Leib gebunden sind, entwickeln könnt, da bekommt ihr auch nur eine äußere Wissenschaft, von der äußeren Natur des Menschen, eine Wissenschaft nur insofern der Mensch nicht zu­sammenhängt mit der unendlichen Weite der Welt, sondern eingepfercht ist, einverwoben in den Grenzen, die er sich selber setzt.

Das wird es ungefähr gewesen sein, was Julius II. dern Raffael gesagt hat:

Willst du malen, was der Mensch durch seine eigene Seelenkraft heute wissen

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kann über den Menschen, dann darfst du den Menschen nicht mit der unend­lichen Perspektive nach der Natur hinaus malen, sondern dann mußt du den Menschen einschließen, wenn er noch so genial, noch so weise ist, in Grenzen, die er sich selbst gesteckt hat. In Hallen mußt du ihn einschließen, zeigen: hier in diesen Zimmern, von wo aus die Welt beherrscht wird - denn Julius wollte die Welt malen, wie sie geworden wäre, wenn kein Luther gekommen wäre, oder kein Zwingli, oder kein Calvin. - Willst du die Welt malen, wie sie beherrscht werden soll von diesen Zimmern aus, so male auf der einen Seite das, was wirklich ist in den Weiten der Natur, auf der andern Seite das, was der Mensch finden kann, wenn er nur aus den eigenen Kräften seiner Seele heraus sucht. Dann aber darfst du nicht die Natur malen, sondern den Men­schen innerhalb von Grenzen, die er sich selbst setzt.

Das haben wir, wenn wir das gegenüberliegende Bild auf uns wirken lassen, das auf der andern Seite ist, die sogenannte «Schule von Athen»:

202 Die «Schule von Athen»

Über dieses Bild, das man oftmals - aber erst später - «Schule von Athen» genannt hat, haben die Leute im Laufe der Zeit alles mögliche darübergemalt, und so ist ja bei dern einen Mann, der in der Mitte steht, «Etica» auf das Buch daraufgernalt, bei dem anderen «Timeo»; das alles ist erst später darüber-gemalt. Das Bild ist vielfach ruiniert, und man bekommt natürlich heute in Rom nicht mehr eine richtige Vorstellung von dern Bilde, wie es ursprünglich war. Zu Raffaels Zeiten hat man das niemals «Die Schule von Athen» genannt, sondern das ist erst später gekommen; aber dann haben die Leute Theorien darüber gemacht. Wir haben uns im wesentlichen vorzustellen: wahr wird die Welt gemäß dern andern Bild (197) wenn man in die unendlichen Raumes­weiten hineinsieht und die Natur nicht bloß sinnenfällig vorstellt, sondern durchsetzt von alledem, was in der Ewigkeit und Zeitlichkeit ist, durchsetzt auch von denen, die durch die Pforte des Todes gegangen sind. Das, was der Mensch aus der eigenen Seele weiß, das muß er so hinstellen, daß, wenn sie alle beisammen wären, diese Weisen, wie hier (202), er mit dem Wissen über das Himmlische, das man finden kann, indem man nur auf sich selber baut

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in der einen Persönlichkeit dargestellt wird, die mit der Hand nach oben zeigt (203). Man braucht nicht die unkünstlerische Torheit zu begehen und Plato in dieser Figur zu sehen.

Vorstellen kann man sich: Das, was die eine Figur mit der Hand nach oben versinnbildlicht, geht über in das Wort, das ausgesprochen wird - durch die Handbewegung ist es angedeutet - von der rechten Figur. Die rechte Per­sönlichkeit beginnt zu sprechen, so daß es also wie das Aussprechen in Worte wirkt. Aber alles, was aus den menschlichen Seelen selber hervorkommt, wahr wird es nur vorgestellt, wenn es im eingeschlossenen Raume vorgestellt wird, wenn der Mensch auch bei sich selbst bleibt. Sucht der Mensch aus sich heraus ein Bild der Natur, dann findet er aus sich heraus nichts anderes als ein Bild der abstrakten Natur, wie es die Kopernikanische Weltanschauung gibt, nicht ein Bild der konkreten Natur.

So stellte Raffael nach dern Auftrag Julius II. dern Göttlichen das gegen­über, was in des Menschen Seele im Beginne des fünften nachatlantischen Zeitalters durch diese Seele selbst leben kann. Da haben wir alles gruppiert, was weltliche Wissenschaft ist, aber weltliche Wissenschaft, sich hinauferhebend auch bis zum Begreifen des Göttlichen, zum verstandesmäßigen Begreifen des Göttlichen. Wenn man diese Gruppe analysiert, so findet man die sogenann­ten sieben freien Künste: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Geometrie, Arith­metik, Astronomie, Musik. Dann sich bis zum Ausdruck gipfelnd können Sie finden, wie in dem, der die ganze weltliche Wissenschaft auf das Göttliche an­wendet, und in demjenigen, der sie für das Menschenwort zum Ausdruck bringt - wie da lebt der Gegensatz des Schauenden und des Sprechenden; das geht aus dern Bilde selbst hervor. Unkünstlerisches, laienhaft gelehrtes Schwät­zen hat die ganze griechische Philosophie in diesem Bilde gesehen. Das ist nicht nötig. Das hat mit dern Kunstwerke gar nichts zu tun. Das alles aber hat mit dern Kunstwerke zu tun, wovon wir heute gesprochen haben und was wir jetzt zuletzt andeuteten; denn das zeigt uns, daß auch dieses Bild im Sinne der damaligen Zeit ein wahrhaftes menschliches Empfinden wiedergibt. Emp­findungen über das, was die Seele, wenn sie nur sich selbst überlassen ist im Erkennen, über den Menschen findet.

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Wir haben noch Details von diesem Bilde, die wir noch zeigen wollen:

204 Die «Schule von Athen», Teil: linke Hälfte

205 Die «Schule von Athen», Teil: rechte Hälfte

Wenn Sie sich genauer einlassen würden, so würden Sie hier finden, daß das ganze Erkennen der rechten Figuren anschließt an die mittlere Haupt­figur, die zum Sprechen übergeht; hier rechts (205) haben wir auch alles das, was mehr auf Inspiration beruht, links (204) mehr das, was mehr auf Imagina­tion und dergleichen beruht.

Nun haben wir noch ein Bild von den Mittelfiguren:

203 Die «Schule von Athen», Teil: Mittelfiguren

Es ist also der Gegensatz des Schauenden und des Sprechenden. Seien wir uns klar darüber, daß man die Gegenwart nur verstehen kann, wenn man ver­sucht, in die Vergangenheit immer mehr und mehr solche Blicke hineinzu­werfen, wie man sie hineinwerfen kann, wenn man solche Bilder im künstle­rischen Sinne wahr empfindet. Unsere Zeit ist die Zeit, in welcher manches sich zurückkehrt. In unserer Zeit kehren zurück in Europa, in Mitteleuropa, namentlich auch in Nordeuropa, überhaupt in Westeuropa gewisse Stimmun­gen, die karmisch zusammenhängen mit dern 9. Jahrhundert der europäischen Entwickelung. Das durchschauen die Menschen heute noch nicht genau; ja, nicht nur nicht genau, sondern überhaupt nicht. Was heute geschieht, ist viel­fach aus der Notwendigkeit heraus entstehend, die gegenteilige Maßnahme spirituell zu ergreifen von der, die ergriffen werden mußte zum Schicksal Europas im 9. Jahrhundert. Wie damals zurückgestaut worden ist die spiri­tuelle Welt nach Osten, so muß sie jetzt wiederum dern physischen Plan ein­verleibt werden. Stimmungen des 9. nachchristlichen Jahrhunderts, sie keh­ren in der jetzigen Zeit zurück im europäischen Westen, in der europäischen Mitte, im europäischen Norden. Im europäischen Osten wird sich aus dern Chaos heraus, aus dem furchtbaren Chaos und Brei heraus entwickeln etwas wie Stimmungen, die in einer geheimnisvollen Weise anklingen werden an das 16. Jahrhundert. Und erst aus diesem Zusammenklingen der Stimmungen

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des 9. und des 16. Jahrhunderts wird das Mysterium entstehen, das einiger­maßen hineinleuchten kann in dasjenige, in das die heutige Menschheit, wenn sie sich zu einigem Verständnis der Entwickelung erheben will, hineingeleuch­tet haben muß.

Es ist sehr merkwürdig, wenn Sie sehen, wie im 16. Jahrhundert alles das, was das Geheimnisvollste, das Mysteriöseste für Natur und Mensch und Gott war, durch die Kunst nach außen hin sichtbar hingestellt worden ist. Das heilige Geheimnis der Dreifaltigkeit, wir haben es in einem der bedeut­samsten Bilder der Welt vor unsere Seele gestellt gefunden. Und der Antipode erhebt sich sogleich: die protestantisch- evangelische Stimmung, die nichts wissen will davon, daß diese heiligen Geheimnisse irgendwie in den Raum versetzt werden sollen. Bei Herman Grimm, einem echt nordisch-lutherischen Geist, finden Sie Stellen, wo er davon spricht, daß das, was der Mensch der heutigen Zeit über Christus denkt, er als sein gutes Recht im Innersten seiner Seele bewahrt - das genaue Gegenteil von der Stimmung, die Raffael in die Welt hineingemalt hat.

Sehen Sie, damals im Beginne des 16. Jahrhunderts, da war Reformation, Weiterentwickelung durch eine Reformation gewissermaßen Welten-Los ge­worden, auch in Rom, auch in der Sphäre Julius II., des Papstes. Aber wie? -So war es Welten-Los geworden, daß die Menschen sich besinnen wollten darauf, daß die übersinnliche Welt schaubar ist, aber schaubar ist nur durch die menschliche Entwickelung. Und so wurde denn - das hat Herman Grimm richtig herausgefunden - für Raffael und seine Umgebung ein besonderes Problem das Paulinische Christentum, ja, die Gestalt des Paulus selber. Man kann sagen: bis in das 16. Jahrhundert hinein war das Christentum viel mehr durchdrungen von dem, was man Petrinisches Christentum nennen kann:

Petrus, der noch ungeteilt erblickte übersinnliche und sinnliche Welt, in der sinnlichen noch die übersinnliche darinnen empfand, in der übersinnlichen die sinnliche. Aber es entschwand einem die übersinnliche Welt. Man war sich dessen bewußt geworden so recht bis ins 16. Jahrhundert hinein. Da wurde das, was in Paulus lebte, das Schauen, das Geheimnis von Damaskus, und da­mit die Figur des Paulus überhaupt, ein Problem. Daher hat Raffael in seiner

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ganzen späteren Entwickelung versucht, die Figur des Paulus zu erfassen, die Figur des Paulus hineinzustellen in die verschiedensten seiner Bilder. Und man kann sagen: vom Süden herauf wollte eine Reformation werden, welche das Paulinische Schauen der Welt so vermitteln wollte, wie ich es jetzt dar­stellte, wie es lebte in den Bildern von Raffael, die unter der Inspiration von Julius II. entstanden sind.

Paulus war ihm ein Problem. Man empfindet das, wenn man auf anderen Bildern Raffaels die Gestalt des Paulus verfolgt. Sie sehen in der «Heiligen Cäcilie» einen bildhaften Ausdruck der Sphärenmusik:

196 Die Heilige Cäcilie

Es ist natürlich ungenau zum Ausdruck gebracht. Links in der Ecke, sin­nig, die Gestalt des Paulus. Raffael studiert die Gestalt des Paulus malerisch. Immer wieder und wieder wird ihm Paulus zum Problem. Warum? - Weil Paulus aus seiner Menschheits-Individualität heraus sucht, in das Schauen oder wenigstens dazu zu kommen, in das Schauen hinein zu gelangen. Hier, wir sehen es in der ganzen Haltung, in der Gebärde: Paulus, wie er teilnimmt an dem, was den anderen wie selbstverständlich ist, als ein Suchender. Er ent­wickelt beide Seiten; deshalb ist, wenn es von ihm kommt, das, was als christ­liche Verkündigung geschehen soll, anders. Wie Paulus auffaßt - Sie sehen es hier; wie Paulus lehrt - das wurde für Raffael Problem.

Nun haben wir noch ein Bild: der redende Paulus in Athen:

234 Die Predigt des Paulus in Athen

Sie sehen, Raffael studiert den Paulus. Was ist ihm Paulus geworden? -Der Heros, der spirituelle Heros der Reformation, die vom Süden her hätte glücken sollen, aber nicht geglückt ist. Man hat dann dies zurückgestaut und später den Jesuitismus vom Süden her an die Stelle der Reformation gesetzt. Davon ein andermal. Paulus hätte das durchbringen sollen, was Julius II. als ein Reich Christi auf Erden vorgeschwebt hat.

Und nun prägen Sie sich die zwei Paulinischen Köpfe, die wir jetzt haben auf uns wirken lassen, so recht, recht ein:

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235 196 Kopf des Paulus aus «Die Heilige Cäcilie»

236 234 Kopf des Paulus aus «Die Predigt des Paulus in Athen»

Es sind Köpfe, die Raffael studiert hat, um in ihnen darzustellen diejenige Physiognomie, welche hineinschaut in die Geheimnisse der christlichen Welt, in die spirituellen Geheimnisse und die durch das Wort diese spirituellen Ge­heimnisse nach außen verkünden kann; und wir haben in Paulus das Bindeglied zwischen der Welt, die man erkennt als Welt der Ursachen, und der Welt, die nur dern begnadeten Schauen zugänglich ist, die übersinnliche Welt. Paulus schauend und lehrend, das Verbindungsglied zwischen der Welt des fünften nachatlantischen Zeitalters und der alten spirituellen Zeit. Und nehmen Sie mit, was sich Raffael also erstudiert hat in der Paulus-Physiognomie, in der Paulus-Geste, bis in die Fingerbewegungen hinein - hier nur eben den Arm gehoben -, nehmen Sie das mit und sehen Sie sich jetzt noch einmal die Figur auf der sogenannten «Schule von Athen» an:

203 Mittelfiguren aus «Die Schule von Athen»

und vergleichen Sie die zwei Paulinischen Köpfe, die wir gesehen haben (235, 236), mit dern Kopfe hier (203), mit dern rechten von Ihnen aus, und Sie haben diejenige Persönlichkeit, in der das Schauen zum Worte geworden ist, ich möchte sagen: den Paulus, der hinausgewachsen ist über das Schauen des Ereignisses des Mysteriums von Damaskus, der der Sprecher des Christen­tums geworden ist, der seinen Pakt schließt, einen Kompromiß schließt mit dem, was in der Causarum Cognitio gefunden werden kann, wenn man sich erhebt von der Erkenntnis der irdischen Ursachenwelt zu dem, was der Mensch erfahren kann von den göttlichen Dingen. Und dann werden Sie etwas empfinden von dem, was ja immerhin wie die «Signatur», möchte ich sagen, durch die «Camera della Segnatura» selber schwebt, wenn man von dern Bilde, das in späterer Zeit «Die Disputa» genannt worden ist, zu dern hinüberschaut, das «Die Schule von Athen» genannt worden ist. In der «Dis­puta» die Wahrheit, die spirituelle Wahrheit im naturerfüllten Raum; wendet man den Blick ab nach der anderen, gegenüberliegenden Wand, so tritt einem

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mit seinem Genossen, dern Schauenden, der lehrende Paulus entgegen, der auf die weltliche Gelehrsamkeit hinweist, aus der alles das entspringen kann, was die Menschenseele aus sich selbst finden kann. Schaut man auf die Freske, die die sogenannte «Schule von Athen» ist:

202 Die «Schule von Athen»

so hat man in den Mittelfiguren die Seelen leben, in denen das Inhalt ist, was auf der gegenüberliegenden Freske gemalt ist:

197 Die «Disputa»

Dann hat man ungefähr den Zusammenhang. Nehmen Sie die eine Wand -alles das, was innerlich ist in den Seelen, was man ja nicht sieht, wovon man nur die äußere Körperlichkeit sieht, das ist auf der anderen, gegenüberliegen­den Wand, die die Freske der sogenannten «Disputa» ist, heraus.

Ich möchte sagen: Könnte man hineinsehen in die Seelen dieser zwei Menschen, die auf der einen Wand gemalt sind, so würde man das, was in den Seelen dieser zwei Menschen lebt, auf der gegenüberliegenden Wand, in der sogenannten «Disputa»-Freske sehen. Ein anderes Mal dann davon mehr.

ZU VORTRAG V XI IKONEN MINIATUREN DEUTSCHE MEISTER Dornach, 15. Oktober 1917

#G292-1981-SE273 Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse

#TI

ZU VORTRAG V

XI

Der Kampf der individuellen künstlerischen Darstellungsweise der Mitte

mit der über den Süden heraufdrängenden traditionellen des Ostens (Ikona)

im bedeutungsvollen Zeiteinschnitt zwischen Abendröte des vierten

und Morgenröte des fünften nachatlantischen Zeitraums:

IKONEN MINIATUREN DEUTSCHE MEISTER

Dornach, 15. Oktober 1917

#TX

Ich denke, daß es gerade jetzt gut ist, sich auf den verschiedensten Gebieten des Lebens bekannt zu machen mit jenen Gesetzen des Daseins, die ich in diesen Vorträgen dadurch habe anzudeuten versucht, daß ich sagte: diese Ge­setze des Daseins nehmen auf in ihren Bereich, was man im geistigen Leben das Gewicht der Dinge nennen könnte, das Gewicht der Wesen, während man häufig bei dem, was sich als Weltanschauung bisher geltend gemacht hat, dieses Gewichtgeben eben außer acht läßt. Insbesondere für unsere Gegen­wart scheint es mir notwendig zu sein, so recht zu verstehen diesen gegenwär­tigen fünften nachatlantischen Zeitraum, in dem wir drinnen stehen, ihn zu verstehen mit all seinen Eigentümlichkeiten, damit wir immer bewußter und bewußter zu einer Wirksamkeit in ihnen kommen. Sie wissen ja: wir rechnen den Beginn dieses fünften nachatlantischen Zeitraums vom Anfang des 15. Jahrhunderts ab, von 1413 an etwa. Der Beginn des 15. Jahrhunderts wäre also ein bedeutungsvoller, tiefgehender Einschnitt in der Entwickelung der abendländischen Menschheit. So etwas wie ein solcher Umschwung, der sich da vollzogen hat, vollzieht sich aber nicht mit einem Male, bereitet sich vor. Und in der ersten Zeit, in der die neue Epoche läuft, sieht man auch erst das allmäh­liche Anwachsen. Alte Motive aus der früheren Epoche gehen in die neue herüber und so weiter. Längere Zeit hindurch hat sich vorbereitet, was eigent­lich im Beginn des 15. Jahrhunderts diesen mächtigen Umschwung erlebte.

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Wollen wir in der dieser Mitte des Mittelalters vorangehenden Zeit einen anderen kräftigen Einschlag im geschichtlichen Werden des Abendlandes uns vor Augen führen, so können wir etwa die Regierung Karls des Großen -Sie wissen: 768 bis 814 - ins Auge fassen. Wenn Sie sich vergegenwärtigen alles, was sich im Abendlande zugetragen hat in weitesten Grenzen bis zu Karl dem Großen hin, so werden Sie mit diesem Sich-Vergegenwärtigen einige Schwierigkeiten haben. Für viele Geschichtsbetrachter der Gegenwart beste­hen allerdings solche Schwierigkeiten nicht, weil sie alles über einen Kamm scheren. Allein für den, der die Wirklichkeit betrachten will, bestehen eben solche tiefgehenden Unterschiede. Und man muß sagen: es wird einem heuti­gen Menschen schon ganz schwer, aus den Erfahrungen und Eindrücken der Gegenwart heraus sich einen Begriff zu machen von der ganz andersartigen Beschaffenheit des Lebens in Europa bis zu der Zeit zu Karl dem Großen hin. Dann können wir aber sagen: nach Karl dem Großen, im 10., 11., 12. Jahr­hundert, da beginnt die Zeit, in der sich vorbereitet unser Zeitraum, der fünfte nachatlantische Zeitraum. Er bereitet sich vor. Bis in die Zeit Karls des Großen herein laufen eigentlich ab alte Verhältnisse, für die die Gegenwart, wie schon gesagt, keine rechten Vorstellungen mehr gibt. Dann aber beginnt sich vorzu­bereiten das neue Zeitalter. Und in diesen drei Jahrhunderten, im 10., 11., 12. Jahrhundert - im 9. beginnt es schon -, da geschehen Dinge in Europa auf allen Gebieten des Lebens, die Kräfte erzeugen, die dann in der späteren Zeit, vom 15. Jahrhundert herauf, ganz besonders zum Ausdruck gekommen sind.

Nun kann man sagen, daß für die Zeit der Vorbereitung, für die Jahr­hunderte, die ich soeben genannt habe, mehr als man in der heutigen Zeit ge­neigt ist anzugeben, Rom die Führung der europäischen Angelegenheiten in der Hand hat. Man muß sich nur unter dem, was das Papsttum in der Zeit ist vom 9. Jahrhundert ab, von der Mitte des 9. Jahrhunderts, wo es energisch in die Hand nimmt die Führung Europas, wo es in alle Verhältnisse hinein seine Wirksamkeit erstreckt, man muß sich dieses Papsttum nur nicht vorstellen nach dem Papsttum und seiner Wirksamkeit der späteren Jahrhunderte oder gar der heutigen Zeit. Man kann vielmehr sagen: in jener Zeit wußte das Papst­tum instinktiv für die wichtigsten Gebiete des Lebens, was West- und Mitteleuropa,

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was Südeuropa nötig hat. Und ich habe schon das letztemal darauf hingedeutet, daß gewissermaßen die orientalische Kultur zurückgestaut wor­den ist; sie sollte warten, sollte warten im Osten Europas, im Byzantinismus, im Russizismus. Da hat sie auch gewartet, gewartet bis in unsere gegenwärtige Zeit herein.

Das, was man so im allgemeinen sagen kann, das prägt sich mit beson­derer Deutlichkeit aus auf dem Gebiete, das man im weitesten Sinne das Künst­lerische nennen kann. Und wenn Sie eine Vorstellung davon bekommen wollen, was dazumal zurückgedrängt worden ist, zurückgestaut worden ist nach dem Osten hin, was der Westen, was Mitteleuropa, Südeuropa nicht haben sollten, was nach dem Osten zurückgestaut worden ist, wenn Sie eine Vorstellung davon haben wollen, so vergleichen Sie eine russische Ikona:

245 Russische Ikone Die Gottesmutter von Wladimir mit einer Raffaelischen Madonna:

245a Raffael Die Madonna della Sedia

246a 194 Raffael Die Sixtinische Madonna

Sie haben in dem Marienbild des Ostens noch durchaus einen Ausklang desjenigen, was dazumal nach dem Osten hin zurückgestaut worden ist. In solch einem Bilde herrscht ein ganz anderer Geist, als er jemals in der Kunst des Westens und des Südens und Mitteleuropas geherrscht hat; etwas ganz anderes. Ein solches Ikonenbild stellt heute noch dar eine Gestalt, die eigentlich unmittelbar herausgeboren ist aus der geistigen Welt. Man kann sich, wenn man lebendig vorstellt, hinter dem russischen Madonnenbilde nicht einen physischen Raum vorstellen. Man muß sich vorstellen: was da hinter dem Bilde ist, das ist die geistige Welt, und aus der geistigen Welt sieht dieses Bild heraus. So sind seine Linien, so ist alles das, was in ihm ist. Und wenn man den Grundcharakter eines solchen Bildes nimmt, sein Herausgeborensein aus der geistigen Welt, dann hat man das, was notwendigerweise namentlich vom

9. Jahrhundert ab dem Westen Europas, dem Süden Europas, Mitteleuropa fernegehalten werden mußte:

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246 Italische Ikone Madonna mit Kind

Warum? - Solche Dinge muß man durchaus objektiv historisch betrach­ten. Warum mußte das ferngehalten werden? - Einfach aus dem Grunde, weil die Bevölkerung Europas, Mittel-, West-, Südeuropas ganz andere Fähigkei­ten, ganz andere innere Seelenimpulse hatte als solche, die in der Lage gewe­sen wären, aus der ursprünglichen, elementarischen Natur des Menschen her­aus das zu verstehen, was da nach dem Osten zurückgedrängt worden ist, zurückgestaut worden ist. Auf ganz anderes gerichtet war die westeuropäische Natur, ihre Seelennatur. Und es hätte, wenn hereinverpflanzt worden wäre nach Mittel-, West- und Südeuropa dasjenige, was nach dem Osten zurück-gestaut worden ist, es hätte außerhalb des Ostens von Europa nur ein Äußer­liches bleiben können; es hätte niemals verwachsen können mit den Seelen-eigentümlichkeiten Mitteleuropas, West- und Südeuropas. Es mußte Raum geschaffen werden in diesem West-, Süd- und Mitteleuropa für dasjenige, was gewissermaßen aus den Tiefen heraufkommen wollte, aus den Tiefen der Volksseele selber heraufkommen wollte.

Das hat, ich möchte sagen: mit genialischem Instinkt dazumal tatsächlich Rom begriffen. Wenn auch die Dogmenstreitigkeiten einen ganz anderen Cha­rakter zeigen, so ist der Inhalt der Dogmenstreitigkeiten eben nicht der Inhalt der ganzen, wahren Geschichte; sondern für das, worum es sich handelt, sind die Dogmenstreitigkeiten, ich möchte sagen: nur der letzte spirituelle Ausdruck. Um viel Weitergehendes handelt es sich. Unter anderem handelt es sich auch um das, was ich eben charakterisiert habe. Und so sehen wir, daß vom 9. Jahr­hundert ab durch die folgenden Jahrhunderte von Rom aus mit starker Hand Raum geschaffen worden ist in Europa, damit sich das entwickeln konnte, wo­nach die Volksseele strebte. Es zeigte sich aber auch mit großer Klarheit, wo­nach die Volksseele strebte.

Sehen Sie, wenn man den Blick darauf richtet, was hätte hervorgebracht werden können, wenn das Ostliche nicht zurückgestaut worden wäre, sondern sich über Europa erstreckt hätte - Karl der Große hat einen Ansatz dazu ge­macht -, wenn sich das über Europa erstreckt hätte, so würde über Europa

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gekommen sein - in einer äußerlichen Weise, sagte ich schon, aber es würde gekommen sein - ein gewisses Anschauen von Gegenständlichkeiten, die un­mittelbar heraussprechen aus der geistigen Welt. Das sollte zunächst nicht kommen. Denn in Europa sollte sich der materialistische fünfte nachatlan­tische Zeitraum vorbereiten. Und er hat sich in der wichtigsten Art vorberei­tet gerade in Mitteleuropa. Interesse hatte man vor allen Dingen für etwas anderes als für Linie, Form und Farbengebung, die unmittelbar aus der geisti­gen Welt heraus sprechen. Für etwas anderes hatte man Interesse: Man hatte Interesse vor allen Dingen in Europa für das, was sich in der Zeit abspielt, für das, was zu erzählen ist, was Ereignis ist. Und auch wenn man das Einzel-wesen, den einzelnen Menschen betrachtete, so betrachtete man ihn ganz un­ter dem Gesichtspunkt, wie er sich hineinstellt in die Folge der Ereignisse, die sich erzählen lassen. Man kann die Zeit des 10., 11., 12. Jahrhunderts auch die Zeit des römisch-deutschen Kaisertums nennen, weil sich dazumal von Rom aus eben das Raumschaffen ausgebreitet hat für die Interessen des Er­zählens, für die Interessen des Wirkens in der Zeit, für die Auffassung der einzelnen Gestalt in der Zeit.

Sehen Sie, das ist wieder ein anderer Gesichtspunkt als diejenigen Ge­sichtspunkte waren, die ich im vorigen Jahre bei dem vorigen Zyklus solcher Vorträge hier hervorgehoben habe. Diese Zusammen-Wirkung des mitteleu­ropäischen Kaisertums mit dem Wesen der römischen Kirche und ihrer Aus­breitung, das ist durchaus das innere Bild für die Art, wie sich dazumal der fünfte nachatlantische Zeitraum in Mitteleuropa vorbereitet hat. Wir sehen daher, daß in diesem Mitteleuropa sich so vorbereitet dieser Zeitraum, daß zunächst eigentlich wenig Interesse da ist für räumliche bildende Kunst. Räum­liche bildende Kunst wird entlehnt - erinnern Sie sich mancher Darstellungen, die ich Ihnen im vorigen Jahre vorgeführt habe -, entlehnt von dem, was vom Orient herübergekommen ist, sich dann ausgebreitet hat, ich möchte sagen:

durch die Fugen des Hauptinteresses hindurch. Das, was aus dem Volkstum selber aufgeschossen ist, das wird erzählt. Und was Erzählung werden sollte, wollte man in das Volkstum aufnehmen, mit dem Volkstum innig zusammen­fügen.

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Sehen Sie doch, wie großartige Bilder mitteleuropäischen Lebens, des Lebens der Rheingegend, der Donaugegend, der Gegend der nördlichen Küste, uns entgegentreten in den Schilderungen des Nibelungen-, Walthari-, Gudrun-Liedes. In der Art und Weise, wie in diesen Dichtungen dargestellt wird, haben Sie ausgesprochen das Interesse für das zeitliche Geschehen. Und sehen Sie, wie im Heliand, in dieser Dichtung, die im Zeitalter nach Karl dem Gro­ßen entstanden ist, hereingesponnen werden die Erzählungen des Evangeliums in mitteleuropäischen Charakteren, wie eigentlich der Charakter des biblischen Geschehens aufgenommen wird von den unmittelbaren Interessen Mitteleuro­pas im «Heliand». Es sollte das, was in den europäischen Volksseelen lebte, aus diesen Volksseelen selbst heraus geboren werden. Daher wurde die orien­talische Tradition zurückgeschoben, die wenig auf das Zeitliche geht, die wenig historischen Sinn hat. Das wurde deshalb zurückgeschoben. Und wenn wir dann sehen, wie diese Volksinteressen Europas aus tiefen Untergründen an die Oberfläche heraufkommen, dann ist uns heute oftmals nur schwer mög­lich, uns so recht hineinzuvertiefen in jene Innigkeit, in jenes tiefe Seelische, mit dem dazumal der europäischen Menschen geist seine eigene Vertiefung an die wesentlich geistigen Vorgänge anknüpfte. Man möchte sagen: das, was zurück-gestaut worden ist nach dem Orient, das weist hinaus in räumliche Unend­lichkeiten, und seine Darstellungen schauen herein aus Raumesweiten; das­jenige, was in Mitteleuropa an die Oberfläche treten sollte, sollte unmittelbar herauftauchen aus den Tiefen der menschlichen Seelen selber, aus Seelentie­fen, nicht aus Raumesweiten - aus Seelentiefen.

Das geheimnisvolle Walten der Seelentiefen unter der Oberfläche der unmittelbaren Wahrnehmungen, das war schon etwas, was dazumal in den Seelen lebte. Daß solch eine Menschenseele auf dem Grunde ihres Wesens geheimnisvolle Impulse hat, die nur manchmal in Feieraugenblicken des see­lischen Erlebens heraufschlagen, davon war man instinktiv in den genannten Jahrhunderten durchdrungen. Daß gewissermaßen das Leben tiefer ist als das, was Augen sehen, Ohren hören und so weiter, daß es aus unergründlichen Seelentiefen heraufkommt, das empfand man tief. Und ich möchte sagen: wir vernehmen eine Art Nachklang dieser Tiefe, wenn wir so etwas Schönes hören

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wie eine kleine Dichtung Walthers von der Vogelweide, der gewissermaßen den Abschluß bildet des reinen sprachlichen Zeitalters, jenes Zeitalters, in dem man noch nicht die Fähigkeit gehabt hat, wirklich zum Ausdruck zu bringen in bildhafter Weise, was gestaltenlos in den Seelentiefen sich kundgibt. Von dieser Tiefe werden wir berührt, wenn wir Walthers von der Vogelweide kleines Gedichtchen auf uns wirken lassen, wo er als alter Mann von seinem eigenen Leben spricht, wenn er so zurückschaut auf sein Leben. Als er gereift war als Mann, als Weisheit eingezogen war in seine Seele und manches Licht geworfen hatte auf Seelentiefen, aus denen früher ihm geheimnisvolle Wogen nur heraufschlugen wie im Traum, da kam etwas von Stimmung in Walther von der Vogelweide, welche er so ausdrückt:

«0 weh, wohin entschwanden alle meine Jahr'!

Träumte mir mein Leben, oder ist es wahr?

Was mir stets dünkte wirklich, war's ein Traumgesicht?

Ich habe lang geschlafen und weiß es selber nicht.

Nun bin ich erwacht, und mir ist unbekannt,

was sonst mir war so kundig als meine Hand.»

So spricht Walther von der Vogelweide am Abschluß dieses drei Jahrhunderte langen Zeitraumes, 10., 11., 12. Jahrhundert, des Zeitraumes der Blüte des römisch-deutschen Kaisertums, das mit diesem Zeitraum abgeschlossen ist. Es ist der Zeitraum, in dem sich vorzugsweise das Interesse für das Geschehen ausbildet. Die Kunst verlangt Darstellung, bildlichen Ausdruck des Gesche­hens, in Mittel-, West- und Südeuropa, des Geschehens, des Werdens. Nach dem Osten hinblickend ist der Ausdruck des Seins, des Daseins, der Ruhe, des ruhigen Herausblickens aus der geistigen Welt. Das Geschehen, das un­mittelbar hier sich abspielt, in das die menschliche Seele hineingeboren ist, in dem die menschliche Seele verbunden ist mit dem Größten, mit dem Geheim­nisvollsten, das drängte auch nach bildlicher Darstellung. Dazu bedurfte es allerdings der Befruchtung vom Süden, der sich noch erhalten hatte die Nach­klänge eben all der Traditionen, die dort vom Orient herübergekommen sind. Geschehen auszudrücken also war vor allen Dingen das Bestreben.

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Und so waren enthalten im Kunststreben des Abendlandes, ich möchte sagen: zwei sich bekämpfende Impulse; denn gewiß: es war zurückgestaut worden nach Osten die Darstellung des Seins, aber eben nur zurückgestaut; es waren viele Dinge geblieben. Vor allen Dingen war geblieben etwas von dem, was wir dann im Osten sehen, wo nach strengen Regeln die Ikonen ge­bildet werden mußten, und andere Dinge, nach Regeln, die vom alten Her­kommen aufgenommen sind, gegen die man nicht verstoßen darf bei der Linien­führung, im Ausdruck und so weiter. Das alles verpflanzt sich auch ins Abend­land hinein; aber daneben das Bedürfnis, das, was man in der Umwelt erlebte, zu verbinden mit dem, was als Tradition über den Süden nach Mitteleuropa hereingekommen war. Natürlich gestaltete sich dieses Bedürfnis zuerst aus in der Darstellung, in der primitiven, einfachen Darstellung der biblischen Er­zählungen, der biblischen Geschichten. Erst als die drei nächstfolgenden Jahr­hunderte beginnen, das 13., 14., 15., da erhebt sich auch in Mitteleuropa die Kraft, möchte ich sagen, zur bildlichen Darstellung. Diese Kraft verdankt man einer ganz bestimmten Tatsache. Man verdankt diese Kraft der Tatsache, daß in diesen Jahrhunderten, also im 13., 14., 15. Jahrhundert, vor allen Din­gen groß wurde über ganz Mittel- und Südeuropa hin dasjenige, was man die Städteherrschaft nennen könnte, die Blüte des Städtetums. Die Städte, die dazumal stolz waren auf ihre kraftvolle Souveränität, die entwickelten in ihrer Mitte die volkseigentümlichen Kräfte. Und weil solche Städte nicht in dieser Weise hinein-uniformiert waren, weder in das alte römisch-deutsche Kaiser­tum, das damals im Niedergang war, noch hinein-uniformiert waren in die spä­teren Staatsgemeinschaften, weil diese Städte in sich souverän waren, konn­ten sie individuelle Kräfte entwickeln so, wie es die Individualität des Bodens, der Lebensweise in den einzelnsten individuellsten Orten verlangte. Man ver­steht die Zeit des 13., 14., 15. Jahrhunderts nicht, wenn man nicht immer wieder und wiederum seinen Blick wirft auf die damalige Blüte der Städte-freiheit.

Vergegenwärtigen wir uns einmal jetzt diese Blüte der Städtefreiheit -wir können sie im 11., 12., 13., 14., 15. Jahrhundert approximativ annehmen -, was diese Städtefreiheit vorgefunden hat in bezug auf das Künstlerische. Von

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Rom ausgehend waren gewisse Traditionen geblieben. Die Hauptsache hatte man nach dem Osten abgestaut; aber gewisse Traditionen waren geblieben, Traditionen in der Linienführung, in der Farbengebung, in bezug auf den Ausdruck des Gesichtes; Augen mußten in einer gewissen Weise, die Nase mußte in einer gewissen Weise gemacht werden. Aber das alles stritt mit dem Bedürfnis, das Geschehen darzustellen. Dieses Streiten der zwei Impulse, wir können es da beobachten, wo das Künstlerische sich erst hervorwagt, wo es erst heraus sich stülpt, wo, ich möchte sagen: der von Rom aus geschulte Mönch sich überfluten läßt von dem, was ihm von Mitteleuropa kommt, von dem Bedürfnis, die biblischen Dinge nicht bloß so darzustellen, daß man die Gestalten, die in der Bibel vorkommen, wie herausschauend aus den geistigen Welten darstellt, sondern so darstellt, daß das Biblische selbst ein Abdruck ist davon, wie der Mensch unter Menschen lebt. Das ist ihm nun aufgedrängt, dem Mönch, in seinem einsamen Arbeiten. Wenn er seine Miniaturen malte und da in einer kleinen Weise die biblischen Szenen darstellte, da mußte er Rechnung tragen auf der einen Seite dem Reste der Traditionen und auf der andern Seite dem, was sich als Gestaltung des Lebendigen an die Oberfläche bewegen wollte.

Ich habe Ihnen heute zwei Proben solcher Miniaturmalereien vorzu­führen, aus denen Sie ersehen werden, wie im 11., 12. Jahrhundert - auch im 13. Jahrhundert ist es noch sichtbar - sich da zeigt gerade in dieser Kleinma­lerei, was traditionelle Malerei ist im Kampfe mit dem Geschehen.

Sehen Sie sich ein solches Bild aus einem Evangeliar an, darstellend «Die Geburt Christi» - wir kennen das Bild schon vom vorigen Jahre

247 Miniatur Geburt Christi und Verkündigung an die Hirten

Sehen Sie sich an, wieviel Sie hier noch erinnert an die Tradition des blo­ßen Seins. Sehen Sie, wie hier noch, ich möchte sagen: die Gestalten so darge­stellt sind, daß sie nicht aufgenommen haben, was der Mensch in der äußeren naturalistischen Wirklichkeit, in der er lebt, beobachtet, sondern wie die Ge­stalten hier alle noch herausgeboren sind aus den Vorstellungen, die sich der Mensch von der geistigen Welt macht. Da kommen die Heiligen, da kommt

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die Christus-Figur selbst, alles das kommt noch herüber aus einer anderen Welt. Hinter der Bildfläche können wir uns nur die geistige Welt vorstellen

- natürlich bildhaft und radikal gesprochen. Von alledem, was an den Natu­ralismus erinnert, noch nicht eine Spur. Beachten Sie, wie nicht eine Spur von Perspektive, nicht eine Spur von Versuch da ist in diesem Bilde, den Raum irgendwie darzustellen; alles auf der Fläche; alles aber Geistiges darstellend noch. Und dennoch, wenn Sie den Blick werfen auf die einzelnen Gestalten, so werden Sie - noch ungeschickt, aber dennoch schon darinnen bemerken den Drang, etwas auszudrücken. Sie werden bemerken, daß da zwei Dinge mit­einander kämpfen. Sehen Sie sich in der Figur rechts und in der hier links die Augen an, und Sie werden durchaus bemerken können, daß da noch etwas von Tradition darin ist; daß der, der das gemalt hat in seiner Klosterzelle, noch in seinem Kopf hatte die Lehre: Augen mußt du in einer gewissen Weise machen; so und so muß der Ausdruck sein - aber er kämpft schon damit; er paßt in gewissem Sinne schon den Blick der Situation und dem Geschehen an.

Gerade in diesen Kleinmalereien, die in die Evangelien, in die Bibelbücher hineingemalt worden sind, da sehen wir, wie die genannten Prinzipien mit­einander kämpfen. Daneben sehen Sie aber wieder das, was zum Beispiel bei Cimabue noch so stark hervortritt, was da das Orientalisch-Bildende des Seins ausdrückt. Wie erinnern hier die Engelfiguren oben durchaus - was aber auch schon, wenn es bei Cimabue auftritt, nur ein orientalischer Nachklang der Auffassung des Bildlichen ist - an ein Heraussprechen aus der geistigen Welt selber, an eine Darstellung des Seins, nicht des Geschehens!

Eine andere Probe ist das zweite Bild, das ich vorbereitet habe, das aus einem Trierer Evangeliar ist:

248 Miniatur Geburt Christi. - Verkündigung an die Hirten

Hier sehen Sie unten die Hirtenverkündigung, oben Christi Geburt. Ge­rade wenn Sie diese Hirtenverkündigung nehmen, wie da die Engel den Hirten verkündigen das «Gloria in den Höhen und Friede auf Erden den Menschen, die eines guten Willens sind», wenn Sie dies nehmen, so finden Sie da ganz, ich möchte sagen: das Ineinandermischen dieser zwei Impulse. Wie tritt uns bei

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all den drei Männergesichtern schon entgegen das Bestreben: Geschehen dar­zustellen! Wie aber auf der anderen Seite alles fern ist aller Naturbeobachtung; wie spielt noch Tradition hinein! - Ich möchte sagen: fühlen Sie es doch den Flügeln der Engel oben an, daß in einem Buche gestanden hat: Flügel müssen in einer solchen Weise gestaltet sein, daß sie gegen die Hauptszene hin schief verlaufen, daß sie nach einer Seite weisen, und dergleichen. Sie fühlen die Vor­schrift, und Sie fühlen zu gleicher Zeit aus einer solchen Darstellung das Her­einbrechen des Dranges, der sich aber noch nicht betätigen kann, nach Beob­achtung des Geschehens. Fühlen Sie es dem an und beachten Sie bei alledem, um eben zu sehen, wie wenig Natumbeobachtung noch vorhanden ist, daß nicht die Spur von Raumesbehandlung, nicht die Spur von Perspektive in die­sem Bild vorhanden ist, daß das alles erst, ich möchte sagen: noch implizite, in der Anlage nur, bei dem, der darstellt, vorhanden ist; während Vorschriften, wie man so etwas zu machen hat, die Lehren, während die noch im wesentli­chen gewaltet haben.

Und nun sehen wir, wie bei Ablauf der drei Jahrhunderte römisch-deutschen Kaisertums vor der Städtebegründung dem Drang, Geschehen dar­zustellen jin Verein mit demjenigen, was Vorschrift ist, was Seins-Darstellung ist, wie dem Drang in Mitteleuropa mit einer gewissen Plötzlichkeit zur schön­sten Blüte führt. Köln ist eine demjenigen Städte, in denen die Städtefreiheiten am intensivsten geblüht haben, und die zu gleichem Zeit die Möglichkeit ge­habt haben, durch intensive Verbreitung der katholisch-römischen Herrschaft das aufzunehmen, was an alter traditioneller Gestaltungskunst aus dem Osten gekommen ist. Kein Wunder daher, daß gerade in Köln eine Möglichkeit uns entgegentritt, wie da in der wunderbarsten Weise ineinandergeführt werden, ineinander verwoben werden die beiden Impulse: dasjenige, was man, ich möchte sagen, hatte durch uralt-ehrwürdige Tradition, so daß man sich daran vorstellte: so sieht eine Madonna aus - und der Drang, Geschehen darzustellen. Wie eine Madonna auszusehen hat - im Osten ist es in Spiritualität erstarrt; majestätisch, erhaben, aber in Spiritualität erstarrt. Es soll warten. Die Bewe­gung wird hineingebracht im Westen. Das, was vom Himmel herabgekom­men ist als Offenbarung über die Madonnagestalt, was sich in der russischen

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Madonna so großartig-erhaben damlebt, das wird durchdrungen von dem, was man unmittelbar sieht: Schönstes, das sich offenbaren kann im menschlichen Angesicht, Lieblichstes, unmittelbarer Abdruck menschlicher Liebefähigkeit, menschlichem Freundlichkeit, menschlichen Wohlwollens, alles das, was in der Umgebung lebt in inniger Verbindung mit der geoffenbarten Gestalt der Madonna.

Denken Sie sich das und sehen Sie sich dann an das Bild, das ein Kölner Meister Wilhelm gemalt hat:

243 238 Kölner Meister Madonna mit der Wickenblüte

Hier können Sie sehen, was ich eigentlich andeuten wollte; hier können Sie sehen, wie versucht ist, Leben, das heißt Geschehen, Werden in die Marien­darstellung hineinzubringen. Hier ist individualistisches Beobachten in das Traditionelle hineingetragen, bis in die Einzelheiten hinein, ich möchte sagen:

die alten Vorschriften nur noch in bezug auf ihre Gesinnung beachtend, edel die Gestalten, erhaben die Gestalten, aber nicht mehr bis in die Linienführung hinein, also die Tradition ganz belebt schon von der individuellen Beobach­tung. Das ist es, was wir eben an diesem Meister so sehr zu bewundern haben.

Das andere Bild von demselben Meister:

237 Kölner Meister Schweißt'ich der Veronika

das Ihnen das, was ich eben ausgeführt habe, an einer anderen Darstellung zeigt. Denken Sie sich, wieviel in die traditionell himmlische Gestalt, in die geoffenbarte Gestalt des Erlöser-Antlitzes, des «Veronika-Antlitzes» hin­eingekommen ist von dem, was man unmittelbar beobachten kann als sich offenbarend aus den Seelentiefen heraus. Versuchen Sie sich zu vergegenwär­tigen, wie individualisiert unten die Engelangesichter schon sind! Versuchen Sie sich zu vergegenwärtigen, wie bei diesem Bilde durch die Individualisie­rung der Gestalten es nicht mehr möglich ist, hinten unmittelbar sich den Himmel vorzustellen. Aber etwas anderes ist möglich! Hinter dem Bilde, das aus der orientalischen Gesinnung hervorgegangen ist (245), kann man sich unmittelbar die geistige Welt vorstellen, etwas anderes noch, als das Bild also

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darstellt. Hier (237) kann man sich auch etwas anderes vorstellen, muß etwas anderes empfinden als das Bild darstellt. Man empfindet vieles von dem, was vorangegangen ist, was man weiß aus der Bibel; man empfindet vieles von dem, was nachzufolgen hat; Geschehen empfindet man. Und das, was darge­stellt ist, ist eine Szene aus einem Vorher und Nachher. Also nicht etwas wie ein Geistemreich dahinter, aber etwas wie ein Vorher und Nachher empfindet man. Wenn auch das Einzelne dargestellt wird - die bildende Kunst muß ja das -, so ist das Einzelne doch herausgehoben aus dem Geschehen. Das ist es, was uns, ich möchte sagen, wie der Abschluß jener Periode entgegentritt, in welcher Rom aus so tiefem Verständnisse heraus durch drei bis vier Jahr­hunderte in Europa Raum geschaffen hat für das, was aus den Volkstümern herauswollte. Wie dem Abschluß erscheint uns dieses bei dem in Köln wirken­den, so genialischen Meister, der solches geschaffen hat.

Da tritt also dieses Ineinanderfließen der zwei Impulse, die ich charakte­risiert habe, ganz besonders hervor. Und nun möchte ich, um Ihnen die Kräfte vorzuführen, die da überall wirkten, Ihnen ein paar Bilder zeigen von dem Maler, der von Konstanz aus, wo er wahrscheinlich gebildet worden ist und der dann andere Länder durchzogen hat, verschiedenes gelernt hat, dann nach Köln ge­kommen und gewissermaßen der Nachfolger wurde des sogenannten Meister Wilhelm, Stephan Lochner. Das erste ist ein Marienbild - wir kennen es auch schon -:

244 239 Stephan Lochner Anbetung der Könige

An diesem Bilde sehen Sie - Sie brauchen nur die einzelnen Köpfe zu ver­gleichen - schon den Drang, das Werden durch die individuelle Gestaltung des Bildes völlig zum Ausdruck zu bringen. Dieses Bestreben sehen Sie. Sie sehen zwar noch keine Möglichkeit, den Raum zu gebrauchen; alles ist auf der Fläche, Sie sehen noch keine Möglichkeit, irgendwie Perspektive anzuwenden; aber Sie sehen die Sehnsucht, den Trieb, den Instinkt, das, was man erzählen könnte als Geschehen, festzuhalten in der bildlichen Darstellung, Sie sehen den Trieb, zu charakterisieren; Sie sehen auf ein Vorher, auf ein Nachher, herausge­stellt dasjenige, was bildlich dargestellt ist, als Szene.

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Nun bitte ich Sie, ins Auge zu fassen, daß die zwei vorhergehenden Bil­der (237, 238), die wir von dem Kölner Meister vorgeführt haben, eben in die Blütezeit des Wirkens dieses Meisters fallen, das ist etwa vom Jahre 1370 bis 1410, also unmittelbar in die Zeit hinein, in der seinen Abschluß findet der vierte nachatlantische Zeitraum. Dieses Bild von Stephan Lochner (239) fällt nun schon in den fünften nachatlantischen Zeitraum hinein. Ich habe Ihnen also hier aufeinanderfolgend Bilder gezeigt, zwischen denen die Grenze liegt zwischen dem vierten und dem fünften nachatlantischen Zeitraum.

Und was ist das besonders Charakteristische? - Sehen wir denn nicht dieses besonders Charakteristische des fünften nachatlantischen Zeitraums hineinspielen in diese Darstellung? Sehen wir denn nicht in dem Augennieder­schlag der Maria, in dem segnenden Händchen des Kindes, in dem Unter­schiede der rechten und linken Figur im Gesichtsausdruck, in der individuel­len Ausgestaltung der übrigen Figuren - sehen wir denn nicht dasjenige, was im fünften nachatlantischen Zeitraum das Charakteristische wird: die Persön­lichkeit in die bildliche Darstellung hineinspielen? Sehen wir denn nicht, wie da der Einschlag der Persönlichkeit kommt? Und sehen wir nicht vor allen Dingen hier schon die Sehnsucht, gerade das zum Ausdruck zu bringen, was in diesem fünften nachatlantischen Zeitraum bildnerisch das Bedeutungsvoll­ste ist für Mitteleuropa: das Hell-Dunkel? - Wie wenig Bedeutung hat das Hell-Dünkel für das, was alte Tradition ist, das Hell-Dunkel, in dem der Mensch lebt, das der Mensch nicht nur sieht, sondern in dem er sein Leben fühlt, weil ihn das Licht erfreut, weil ihn das Helle belebt, weil er mit Dunkel in die Ruhe eingeht, weil er im Dunkeln sich zurückzieht in die geheimnisvol­len Seelentiefen. Dieses Drinnenleben in dem Welt der einzelnen individuellen Seelen, das insbesondere im fünften nachatlantischen Zeitraum zum Vorschein kommt, auch im Auftreten des Hell-Dunkel sehen wir es, in dem Verteilen der Lichtmasse: in der Mitte das Licht über dem Kinde, wir sehen dieses Licht sich links und rechts in einzelnen Massen verteilen, nach oben hell werden, nicht mehr in der früheren Weise den Abschluß findend in dem Goldgrunde bloß, sondern in dem Hellen. Also das Hineinspielen des Individuell-Persön­lichen, das ist es, was wir hier beobachten; und niemand kann eigentlich aufeinanderfolgend

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diese Dinge betrachten, die wir jetzt vorgeführt haben, ohne aufmerksam zu werden, daß, wenn auch nur ganz leise, etwas ganz Neues hineinspielt als Element des fünften nachatlantischen Zeitraums in den ab­klingenden vierten nachatlantischen Zeitraum.

Nehmen wir noch einmal das vorige Madonnenbild:

243 238 Kölner Meister Madonna mit der Wickenblüte, Mittelteil

Prägen Sie sich dieses Kindergesicht gut ein, und versuchen Sie zu emp­finden, wie viel hier noch Tradition lebt. Und jetzt stellen wir noch einmal das andere ein:

244 239 Stephan Lochner Anbetung der Könige, Teil: Madonna

betrachten die Madonna und das Kind und sehen hier, wie da wirklich ein neuer Einschlag hineingekommen ist, wie ein ganz neuer Impuls des Indivi­duellen wirklich hineinschlägt. Und so bei den nachfolgenden Bildern des Stephan Lochner, wobei ich ausdrücklich bemerke, daß Stephan Lochner aus der Gegend ja herkommt, in der man am meisten unfähig war, die Tradition aufzunehmen, weil man am meisten Trieb hatte, das Individuelle, in das der Mensch hineingestellt ist, zu bilden. Es ist die Gegend um den Bodensee herum, die Gegend Südbayerns, die Gegend Westösterreichs. Da waren die Stämme, die aus ihrer Volksnatur heraus am meisten nach dem Individuellen gestrebt haben, die am meisten abgelehnt haben das Traditionelle. Nun hat Stephan Lochner das Glück gehabt, mit diesem, ich möchte sagen, bayrischen Gespanntsein auf das Individuelle dorthin zu zielen, wo trotz des Strebens nach dem Individuellen noch gelebt hat die große erhaben-heilige Tradition des Alten. Da hat er, weil stärker als in dem Meister Wilhelm in ihm der re­volutionäre, der individuelle Drang gelebt hat, durch die Verbindung dieses revolutionär-individuellen Dranges seines Innern mit dem abgeglätteten Ty­pischen der Tradition, die nach Köln gekommen war, dieses Bild hervorge­bracht.

241 Stephan Lochner Madorina mit dem Veilchen

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Die Raumkunst ist gewissermaßen für solch einen Künstler wie Stephan Lochner noch nicht erfunden; den Raum darstellen, das konnte man dazumal in Köln nicht; aber die Seele versuchte man in die Bildlichkeit hineinzubringen.

Und völlig in welthistorisches Geschehen, in welthistorische Entwicke­lung hereingestellt hat man diese Dinge, wenn man solch ein Bild des Westens vergleicht mit einer Madonna des Ostens:

245 Russische Ikone Die Gottesmutter von Wiadimir

Sehen Sie sich in dem nächsten Bilde:

242 Stephan Lochner Madonna in der Rosenlaube

das Sie ja auch schon kennen, noch besonders an, wie dieses Ineinanderfügen, dieses Ineinanderweben des Individuellen und des allgemein Typischen bei Stephan Lochner hervortritt, wie bei ihm schon hervortritt das Hell-Dunkel, wenn auch in diesen Bildern noch durchaus kein Streben ist, den Raum zu bezwingen, die Perspektive sich anzueignen; aber im Hell-Dunkel sehen wir eine andere Art der Raumesbezwingung als die durch die Perspektive. Und die Perspektive ist ja gerade im Süden, man könnte sagen: erfunden worden durch Brunellesco - ich habe es Ihnen im vorigen Jahre ausgeführt. Und nun

240 Stephan Lochner Christus am Kreuz

an dem Sie ja sehen, wie von Komposition noch nicht eine Spur da ist, wie auch dort, wo die Darstellung selbst gedrängt hätte, den Raum zu studieren, noch nichts von Raum da ist, wie aber auf der anderen Seite versucht wird, die sechs Nebengestalten jede individuell auszubilden, wie versucht ist, den Erlöser selbst zu individualisiemen. Erinnern Sie sich nur bitte an die Bilder des Kölner Meisters (237, 238) und vergleichen Sie sie mit den vier Bildern von Stephan Lochnem (239-242), die wir gesehen haben. Es kann nicht aus-bleiben, daß sich Ihnen tief einprägt der Einschnitt, der zwischen den zweien liegt; denn dieser Einschnitt ist der zwischen dem vierten und dem fünften nachatlantischen Zeitraum. Stephan Lochner sucht seelisch darzustellen; aber er sucht schon in den Gestalten dem Natur selber die Formen zu finden, in

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denen sich die Seele ausspricht. Der Meister Wilhelm, der hat noch geschwebt in einer übersinnlichen Seelenempfindung, und die prägt er aus, aus einem inneren Gefühl heraus. Er prägt sie nicht so aus, daß er auf das Modell hin­schaut. Hier (237) sehen Sie schon ein Hinschauen auf das Modell, damit die Seele selbst zeigt, wie sie sich ausweist. - Der Meister Wilhelm ist noch ein Ausdrücker seines eigenen Empfindens. - Stephan Lochner ist schon ein Nach­ahmer der Natur. Das ist in der Tat der Realismus; der Naturalismus, er kommt herauf. Und wir können so scharf die Grenze ziehen, wie wir sie zwi­schen diesen eigentlich käum Jahrzehnte auseinanderliegenden zwei Malern haben.

Da sehen Sie, daß die Gesetze, die wir suchen durch die Geisteswissen­schaft, sich wirklich in den einzelnen Lebenssphären zum Ausdruck bringen, wenn man diese Lebenssphären nur nicht ohne Gewicht, sondern mit ihrer Gewichtigkeit sich vor die Seele führen würde.

Und nun möchte ich Ihnen noch einmal diese Tatsache vor die Seele führen, indem ich Ihnen zwei Maler zeige, die mehr im Süden gewirkt haben. Das war also in Köln geschehen. Nun sehen wir mehr nach dem Süden, nach Bayern, nach der Konstanzer, Ulmer oder der Rheinischen Gegend und sehen wir da, wie sich die Verhältnisse vor und nach dem Einschnitt darstellen, durch den der vierte vom fünften nachatlantischen Zeitraum getrennt ist. Da möchte ich Ihnen zunächst zwei Bilder vorführen von Lukas Moser, der im Anfang des 15. Jahrhunderts lebte und durchaus zugezählt werden kann noch dem vierten nachatlantischen Zeitraum.

Sehen Sie sich dieses Bild an:

335 Lukas Moser Meerfahrt der Heiligen

Versuchen Sie bei diesem Bilde noch zu spüren, wie alles darauf so ge­malt ist, daß man merkt, der Maler hat noch durchgemacht die Schule, die ihm gesagt hat: Wenn du Gestalten nebeneinander malst, so mußt du die eine en face, die andere im Profil malen; wenn du Wellen malst, so mußt du sie so malen. - Da sehen Sie das ganze Wellenspiel des Meeres, nicht angeschaut, aber «nach Vorschrift» gemalt; da sehen Sie die Figuren «nach Vorschrift»

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angeordnet; da sehen Sie nichts beobachtet; das alles ist zusammengestellt. Dieses Bild vom Tiefenbronner Altar zeigt also die Seefahrt der Heiligen.

Das nächste Bild stellt die Rast, die Nachtruhe derselben Heiligen dar:

336 Lukas Moser Nachtruhe der Heiligen

ein mattelaltemliches Haus, an eine Kirche angebaut, nun da fällt es Ihnen wohl stark auf, wie wenig irgend etwas dabei angeschaut ist, wie alles aus dem Kopf gemalt ist. Sehen Sie sich an dort den schlafenden Heiligen Zedonius; die Mitra hat er auf beim Schlafen, den Handschuh hat er noch an. Es sollte ganz nach Vorschrift gemalt werden - und nur verstohlen geht dasjenige hin­ein in die Darstellung, woran das Hauptinteresse gelegen ist. Denken Sie sich:

das ist ein fortlaufender Zug, den die Heiligen machen, eine Reise der Heili­gen; sie fahren durchs Meer, sie halten Nachtruhe: Erzählung ist es. Und den­noch, es wird das dargestellt, was sich festgesetzt hat als seiendes Bild, noch ganz in Tradition. Lazarus dort, im Schoße seiner Mutter ruhend!

Wir können zurückblicken, wenn wir eine solche Darstellung vor uns haben, auf das, was dargestellt worden war in früheren Zeiten. Also das ist die letzte Zeit des vierten nachatlantischen Zeitraums. Man hat auch im We­sten noch vorgeschrieben, wie solche Bilder, die man in Kirchen zu malen hatte, gemalt sein müssen. Nach fest bestimmten Traditionsregeln malte man. Der Maler bekam sozusagen aus der Tradition heraus selber seine Auf­gabe: so schaute ein Heiliger Zedonius, so schaute ein Heiliger Lazarus aus, eine Heilige Magdalena und so weitem; die hatte er zu malen; das war Vor­schrift, nicht so streng als im Osten, aber doch Vorschrift. Aber er muß auch auf die Triebe, auf die Instinkte, auf die Interessen sehen und Erzählung bilden! So schwimmen die Dinge ineinander, sie streiten sich am Ende eines Zeitalters.

Nun sehen wir zurück also ins 13., 12., ins ii. Jahrhundert. In allen Kir­chen wurde das dargestellt, was strikte Vorschrift war. Ein Bild schaute dem andern gleich, durch die ganze Christenheit hin, nur ein wenig variiert nach der Art, wie die Dinge bestellt wurden. Aber wurde einmal der heilige Zedo­nius bestellt, so wurde er so gemalt, wie er vorgeschrieben war. Das war die Tradition.

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Jetzt denken wir uns den Einschnitt, den Beginn des 15. Jahrhunderts, und gehen von Lukas Moser, der letzte Nachzügler des vierten nachatlan­tischen Zeitraumes, herüber zu Hans Mültscher und sehen, wie dieser Maler nun wirklich schon ganz darinnen steht in dem Aufgang, in der ersten Mor­genröte des fünften nachatlantischen Zeitraumes. Sehen Sie sich dieses Bild an:

339 Hans Muitscher Geburt Christi

so haben Sie bereits in diesem Bilde wiederum das Auftreten des Individuell­Persönlichen, die Charakteristik des Persönlichen. Sie sehen bei Moser noch nicht die geringste Sehnsucht, die Natur anzuschauen. Hier (339) finden Sie einen Menschen, der sich schon bemüht - trotzdem er keinen Schimmer hat von irgendwelcher Raumbehandlung, trotzdem alles kunterbunt durchein­andergeht, nichts stimmt in bezug auf Raumbehandlung, auf Perspektive -, der bestrebt ist, aus der Seele heraus zu charakterisieren, aber so, wie die Na­tur selber schon aus der Seele heraus charakterisiert. Er versucht schon die individuellen Gestalten nachzubilden.

340 Hans Multscher Christus am Qlberg

Es wird Ihnen das, was ich eben gesagt habe, bei diesem Bild noch mehr auf­fallen, insbesondere, wenn Sie die drei unten schlafenden Gestalten ins Auge fassen. Wie wird da schon versucht, erstens der Ausdruck des Seelischen, wie wird aber auch versucht, die Natur des Schlafes zum Ausdruck zu bringen. Vergleichen Sie das mit dem, was Sie in Erinnerung haben von den schlafen­den Heiligen auf der Meerfahrt (335) auf der Rast (336), dann werden Sie sehen, was für ein mächtiger Einschnitt in der Entwickelung zwischen beiden liegt. Und sehen Sie, wie bewußt das Hell-Dunkel in die Darstellung herein-dringt. Denn einzig und allein dadurch, nicht durch irgendwelche Perspektive, bekommt der Maler eine Raumanordnung heraus. Die Perspektive ist durch­aus unrichtig, denn es ist ja nicht einmal ein einheitlicher Augenpunkt vor­handen; Sie können nirgends einen Punkt finden, von dem aus sich die ganze Situation angeordnet denken ließe; aber eine Raumanordnung, die trotzdem von einer gewissen Schönheit sogar ist durch das Hell-Dunkel.

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341 Hans Multscher Grablegung

Sehen Sie sich diese «Grablegung» an. Sie werden finden: alles, sogar bis auf die Behandlung der Landschaft hin alles so, wie es charakterisiert werden mußte als Eindringen des Individuellen in das Traditionelle: das Jnteresse am Geschehen, nicht an dem Darstellung dessen, was aus der geistigen Welt heraus kommt.

342 Hans Muitscher Auferstehung

Sie sehen hier, wie die Individualisierung insbesondere hineinkommt in das ganze Bild dadurch, daß versucht ist, in einer entsprechenden Weise die Wächter darzustellen; die Verdrehung des Körpers soll zur Individualisierung beitragen. Ich bitte Sie, den einen dort oben links anzusehen, wie versucht ist, seine besondere Situation, sein besonderes Erleben, sein eigenartiges Unauf­merksamsein individuell auszuführen. Versuchen Sie zu sehen, wie der Maler versucht hat, den Kopf hier von vorne zu zeigen, wie er hier rechts charak­teristisch den Schädel von hinten zeigt bei dem anderen Wächter. Man sieht, wie das Streben, individuell zu gestalten, hineinkommt; man sieht auch wie­derum, wie das Hell-Dunkel hineinkommt. Man sieht, wie durch die Indivi­dualisierung versucht wird, den Raum zu gestalten, denn Perspektive ist ja noch gar nicht vorhanden. Wenn Sie sich vorstellen wollen den Punkt, von dem aus die Sehlinien für die Figuren gehen, so werden Sie ihn ziemlich weit hier vorne denken müssen; für den Sarg, dem da aufgestellt ist, müssen Sie ihn wiederum an einem andern Ort denken - und gar für die Bäume! Die sind in völliger Frontalansicht gemalt.

Nun, ich wollte Ihnen zeigen, daß die gesetzmäßigen Entwickelüngsim­pulse, von denen ich schon das letzte Mal hier gesprochen habe in den Bildern der italienischen Malerei, daß diese tief wirksam sind, und daß man dasjenige, was vom 15. Jahrhundert ab als das Charakteristische unseres Zeitalters her­aufkommt, nur verstehen kann, wenn man sich die ganze tiefe Bedeutsamkeit jenes Zeiteinschnittes klar macht, die im Beginne des 15. Jahrhunderts die Grenze bildet zwischen dem vierten und fünften nachatlantischen Zeitraum.

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Was da sich umgestaltet, das lebt schon im ganzen Geschehen und Werden von Europa, nachdem vom 9. Jahrhundert ab zurückgestaut worden ist das, wozu Europa nicht fähig war, weil Europa etwas anderes aus den Tiefen des Wesens heraus gestalten mußte. Das im Osten hat mittlerweile gewartet. Und man sollte sich heute ein Bewußtsein von dem aneignen, was da gewartet hat und was im Westen an die Oberfläche kommen wollte; denn diese Kräfte sind noch durchaus vorhanden, diese Kräfte walten noch in dem gegenwärtigen Geschehen darinnen, wollen noch immer tätig sein. Und ein klares Verständ­nis dessen, was die Welt durchpülst, was in der Welt tätig ist, uns anzueignen, das ist eine dringende Notwendigkeit für das gegenwärtige Zeitalter. Das habe ich jetzt und seit längerer Zeit ja schon immer und immer wiederum betont. Durch die Entwickelung der mittelalterlichen Kunst in dem charak­teristischen Zeitpunkt wollte ich Ihnen das heute klarmachen. Sie sehen, da kommt man, ich möchte sagen, auf zwei Wellenschläge des Geschehens: ein Wellenschlag ist derjenige, der noch etwas Östliches vom Süden heranbringt, einem ist, ich möchte sagen: aus den Tiefen selbst heraufgekommen. In diesen Jahrhunderten - dem 13., 14., 15. Jahrhundert, in den Jahrhunderten der Städtefmeiheiten, da machte sich am stärksten geltend, was aus den Seelentiefen an die Oberfläche kommen wollte. Dann kommt vom 16. Jahrhundert ab wieder ein Rückschlag - die Entwickelung geht wellenförmig, die Entwicke­lung oszilliert -, der dann, selbstverständlich nicht gleich, nach außen hin sichtbar geworden ist; denn die Fortsetzung dessen, was ich Ihnen hier ge­zeigt habe als im 15. Jahrhundert heraufkommend, lebt auf der einen Seite in van Eyck, auf der andern Seite in Dürer, Holbein und so weiter.

Wir sehen in die Niederlande, nach Burgund hinein auf der einen Seite, auf dem andern Seite nach Nürnberg, Augsburg, Basel und wir sehen die Nach­wirkungen dessen, was da kommen wollte, sehen die Woge, die aus Seelen-tiefen heraufschlägt, um den fünften nachatlantischen Zeitraum einzuleiten.

Ich wollte nur einen der Impulse dieses fünften nachatlantischen Zeit­raumes Ihnen heute vorführen. Von anderen Impulsen habe ich ja bei den ver­schiedensten Gelegenheiten gerade jetzt zu sprechen.

ALTCHRISTLICHE PLASTIK, SARKOPHAGE UND RELIEFE BERNWARD VON HILDESHEIM Dornach, 22. Oktober 1917

#G292-1981-SE294 Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse

#TI

XII

Nachklänge dreier Hauptimpulse des dritten und vierten nachatlan tischen

Zeitraums, Zusammenwachsend in der Zeit der Städtekultur

zur Gold-Edelsteinkunst und fortwirkend im fünften Zeitraum:

ALTCHRISTLICHE PLASTIK,

SARKOPHAGE UND RELIEFE

BERNWARD VON HILDESHEIM

Dornach, 22. Oktober 1917

#TX

Ich werde heute einige Betrachtungen einfügen, die so, wie sie heute gegeben werden sollen, in einem loseren Zusammenhang werden zu stehen scheinen mit den fortlaufenden Auseinandersetzungen, die ich in diesen Wochen hier gebe. Allein, trotz der aphoristischen Form, in der ich heute sprechen werde, ist das, was ich heute meine, dennoch ein Stück zu den fortlaufenden Betrach­tungen, und ich denke dann in dem nächsten Zeit, wenn dann noch Vorträge möglich sein sollten, zurückzukommen auf mancherlei, was angeschlagen wor­den ist in diesen Betrachtungen, um dann zu kommen zu einer Gipfelung, zu einem Weltanschauungs-Tableaü so, wie ich glaube, daß es in der Gegenwart notwendig ist, wenigstens wo man kann, es vor die Menschen hinzustellen.

Ich möchte heute erst durch ein paar Bilder, dann durch ein paar Betrach­tungen, die ich nicht durch Bilder unterstützen kann, weil ich die Bilder nicht hier habe, zeigen, wie innerhalb des Werdeganges, innerhalb der Evolution Europas im Laufe, man kann sagen der letzten zwei bis drei Jahrtausende zu­sammengewirkt haben die mannigfaltigsten Impulse, Impulse namentlich drei­facher Art. Es sind natürlich in Wirklichkeit eine unendliche Fülle von Impul­sen; allein es genügt schon, wenn man für bestimmte Elemente der Wirklich­keit die nächstliegenden Impulse ins Auge faßt.

Wir leben in der fünften nachatlantischen Zeit. Wir stehen in demjenigen Zeitalter dieser fünften nachatlantischen Zeit, in dem sich äußerlich ausprägt

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vieles von dem, was an Antagonismen, an Kampfimpulsen in diesem fünften nachatlantischen Zeitmaum zutage treten wird. Wir leben auch innerhalb von vielem, was die Menschheit ermahnen sollte, immer wachsamer und wachsa­mer zu sein auf das, was vor sich geht. Denn man kann sagen: kaum eine Zeit in der weltgeschichtlichen Entwickelung, soweit diese verfolgt werden kann, mahnte so sehr zur Wachsamkeit. In keinem aber hat sich die Menschheit so sehr schläfrig erwiesen wie in unserem. In diese fünfte nachatlantische Zeit mit ihren ganz besonderen Impulsen, die wir ja zum Teil gut kennen aus un­seren anthroposophischen Betrachtungen, spielen herein die Nachklänge des vierten nachatlantischen Zeitraumes, aber auch noch die Nachklänge des drit­ten nachatlantischen Zeitraumes. Nun können wir innerhalb alles dessen, was da brodelt und spielt im gegenwärtigen Geschehen, Verschiedenes unterschei­den; aber wir werden uns heute eben auf die drei hauptsächlichsten Impulse, die die Nachklänge sind des dritten und vierten nachatlantischen Zeitraumes, und auf die gegenwärtig wirkenden des fünften nachatlantischen Zeitraumes von einem gewissen Gesichtspunkte aus beschränken.

Im vierten nachatlantischen Zeitraum hat sich ja ganz besonders geltend gemacht - und hier kommt es uns bei diesen Betrachtungen auf die künstle­rische Entwickelung an -, es hat sich insbesondere geltend gemacht auf dem Gebiete der künstlerischen Entwickelung die Darstellung desjenigen, was der Mensch in sich selber finden kann. Der Grieche und nach ihm dem Römer, sie waren bestrebt, das im Raum und in der Zeit darzustellen, was der Mensch in sich selber als ganzer Mensch erlebt. Wir wissen, warum das so ist; wir haben das öfter dargestellt. In den anderen Kültürformen des vierten nach-atlantischen Zeitraumes, der griechisch-lateinischen Zeit, kommt das auch zum Ausdruck; aber insbesondere tritt es uns auch entgegen bei dem Kunst. Daher steht in diesem Zeitalter innerhalb der griechischen Kunst die Dar­stellung des Menschen, des idealisierten, des typisierten Menschen so ganz besonders hoch. Man kann sagen: das Höchste, was Sinneswelt hervorbrin­gen kann, das Höchste, was Sinneswelt aus sich hemausambeiten kann: den schönen Menschen, im Raum sich ausdehnend in schönen Formen, wandelnd in der Zeit, in schönen Bewegungen im weitesten Sinne des Wortes - das

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Griechentüm suchte ihn darzustellen. Nicht eine andere Zeit in der Erden-entwickelung kann ein Ähnliches anstreben; denn für jede Zeit in der Erden-entwickelung sind besondere Impulse da.

Nun schiebt sich aber fortwährend in diese Darstellung dem schönen Menschlichkeit im vierten nachatlantischen Zeitraum das hinein, was Nach­klang ist des dritten nachatlantischen Zeitraumes. Das ist nicht auf ein gewisses Territorium beschränkt, sondern das ist übem die Kulturwelt des vierten nach-atlantischen Zeitraumes ausgedehnt. So daß man sagen kann: was im dritten nachatlantischen Zeitraum besonders wirksam geworden ist, das bleibt wimk­sam im vierten nachatlantischen Zeitraum, und bleibt auch noch wimksam, obwohl nur schwach anklingend, im fünften nachatlantischen Zeitraum.

Das Christentum, der Christus-Impuls, als er sich ausbreitete, mußte mit diesen Faktoren, mit diesem Ineinanderspielen der Impulse rechnen. Nicht konnte der dritte nachatlantische Zeitraum in dem Kunst ebenso Impulse ent­falten, die sich ganz auf dem physischen Plan befinden, wie der viemte nach-atlantische Zeitraum. Denn eben dem vierten war es ganz besonders gegönnt, das herauszugestalten, was die physische Welt im schönen Menschen hervor­bringt, in der Schönheit des Menschen hervorbringt. Der dritte nachatlantische Zeitraum mußte mehr, wenn auch atavistisch, verinnerlichte Impulse heraus-setzen. Dafür aber müßte in einem gewissen Sinne das Christentum zurück­greifen auf diesen Impuls des dritten nachatlantischen Zeitraumes. Und so sehen wir denn, daß, als der Christus-Impuls sich durch die Welt ausdehnt, künstlerisch die Darstellung dem Schönheit des Menschen zurückgeht, und etwas einschlägt, was wie eine Art Erneuerung der Impulse des dritten nach­atlantischen Zeitraumes ist.

Denn dieses Griechentum, das es in dem Kunst eben zu solcher Blüte ge­bracht hat, dieses Griechentum, ganz im Stil und Sinn des vierten nachatlan­tischen Zeitraumes, es mußte sich vorzugsweise darauf beschränken, darzu­stellen alles Wachsende, alles Blühende, alles Gedeihende. Schönheit war bei den Griechen nie Schmuck. Den Begriff des Schmückens hat der Grieche nicht gekannt. Er hat dafür den Begriff gehabt des Herauswachsens des Lebendigen aus dem Gedeihen. Daß man etwas anbringen kann, um eine Sache auszuschmücken,

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das ist etwas, was erst spätem wieder in die Welt gekommen ist, nämlich durch die fortlaufende Kulturentwickelung. Ein Begriff, der dem Griechentüm so fern wie möglich war, ist dem, welcher sich in das Wort «ele­gant» einschließt. Eleganz kannten die Griechen nicht; Eleganz, welche das Lebendige mit dem Schmückenden überzieht, um es nach außen «scheinen» zu lassen, das kannten die Griechen nicht. Die Griechen kannten nur Formen, nur Ausdrücke, welche aus dem Lebendigen selber hervorgehen.

Das Christentum mußte mit seinen Impulsen hineinstellen in diese Welt, in die das Griechentum vorzugsweise das Gedeihende, das Wachsende, das Lebenfördernde hineingestellt hat, den Tod. Das Kreuz von Golgatha müßte dem Apollo gegenübergestellt werden. Ja, das war eine große Arbeit der Menschheit, eine große künstlerische Arbeit der Menschheit: entgegenzuar­beiten das, was der Tod, das heißt, die jenseitige Welt geben kann, nachdem das Griechentum die diesseitige Welt zur höchsten Blüte des sensualistischen Ideales herausgearbeitet hatte.

Das zeigt sich auch im Nebeneinanderstehen desjenigen, was künstlerisch zum Ausdruck kommt. Das zeigt sich, wenn man sieht, wie das künstlerische Können in der Formung des schönen, des wachsenden, blühenden, jugendli­chen, gedeihenden Menschen zum Ausdruck kommt. Darin hat es ja das künst­lerische Können der griechisch-lateinischen Zeit besonders weit gebracht. Man kann auch sehen, wie das Griechische noch hineinwächst in die ersten christli­chen künstlerischen Schöpfungen, wie aber zugleich diese künstlerischen Schöpfungen ringen dann, das, was nicht sich in die Sinneswelt hereinbannen läßt, künstlerisch zu bewältigen. Daher sehen wir, wie die Vollkommenheit in der Darstellung von Jugend, Lebendigkeit, Gedeihen sich hinstellt neben die noch ungeschickten Darstellungen des Todes, der die Ewigkeit, die Un­endlichkeit in sich schließt und das Tor zu ihr ist.

Ich habe zwei Motive zusammengestellt aus der altchristlichen Kunst der ersten christlichen Jahrhunderte, die Ihnen das, was ich damit meine, veran­schaulichen sollen, zuerst die Darstellung des «Guten Hirten»:

661 Statuette Der gute Hirte

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eine Plastik, die sich im Lateman befindet, an der Sie sehen können, wie das künstlemische Vemmögen, das Wachsende, Blühende, Gedeihende damzustel­len, das Lebendige, wie das hineinwächst in die christliche Kunst; wenn man auch eigentlich die Jesusgestalt mit dem «Guten Hirten» meint. Die grie­chische Kunst, sie war dem Leben gewidmet, sie war dem gewidmet, was sich aus der Sinnenwelt herausarbeitet bis herauf zum Menschen, der die höchste Stufe des Lebens darstellt, aber im Tode ergreift er ein Bewußtsein, das ihm allein den Zugang gibt zur Unendlichkeit, zur Ewigkeit, zum Übersinnlichen. Wir sehen, wie sich anpassen will das, was früher nur Apollo, Pallas Athene, Aphrodite dargestellt hat, was dargestellt hat eben das Jugendlich-Blühende, Wachsende, Gedeihende, wie das hineinwachsen will in ein anderes, auf­fassen will noch dasjenige, was hinstrebt durch die künstlerische Bewältigung des Todes nach dem Unendlichen, nach dem Übersinnlichen in einer solchen Gestalt. Es ist der Nachklang der Kunst, die aus der Sinnlichkeit heraus arbei­tete und zur besonderen Blüte gekommen ist im vierten nachatlantischen Zeit-raume.

Und nun fassen wir ein, aus fast derselben Zeit stammend, ein anderes Bildwerk - aus Holz geschnitzt - ins Auge, eine Darstellung des Kreuzes von Golgatha:

662 Kreuzigung, Relief, Holz, an einer Türe in Santa Sabina, Rom

Christus am Kreuze, zwischen den beiden Schächern. Sehen wir uns an, wie ungeschickt das da neben dem ersten (661) aussieht. Was als das My­sterium des Christentums hereingekommen ist, das kann noch nicht künst­lerisch bezwungen werden; das hat noch eine jahrhündertelange Arbeit vor sich. In den allerersten Jahrhunderten des Christentums tritt uns erst eine so ungeschickte Darstellung des Mittelpunkts-Mysteriums des Christentums ent­gegen.

Man kann schon sagen, obwohl man diese Dinge nicht im Sinne einer falschen Asketik oder einer falschen Sinnlichkeits-Feindschaft auffassen muß:

der Blick, der Seelenblick dem ersten christlichen Zeit war hin gerichtet nach dem Geheimnis des Todes, das sich ja in seiner übersinnlichen Geltung enthüllen

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sollte durch die Erkenntnis des Mystemiums von Golgatha. Indem man sich verbunden glaubte mit dem Mysterium von Golgatha, glaubte man auch hineinzuwachsen in das, was man zu fühlen und zu empfinden hatte, um hin­ter das Tor des Todes nach der ewigen Geltung dem Menschenseele zu sehen. Kein Wundem dahem, daß auf dem Gebiete der mannigfaltigsten Kulturformen der Kultus des Todes in den ersten christlichen Jahrhunderten bei den fühlen­den Christen ganz besonders zu beobachten ist. Und so sehen wir denn diesen Duktus, den ich dadurch habe zum Ausdruck bringen wollen, daß ich Ihnen den Guten Hirten (661) unmittelbar zusammenstellte mit dieser «Darstellung des Mysteriums von Golgatha» (662). So sehen wir denn diesen Duktus des künstlerischen Schaffens in den ersten christlichen Jahrhunderten besonders auch in den Reliefplastiken und überhaupt Plastiken, welche wir an Sarkophagen finden. Den Toten, den Überresten der Toten, der Erinnerungen an die Toten, die in den Samkophag gefaßt werden, beizugeben, was mit dem Mysterium des Todes zusammenhing, das war ein tiefes Bedürfnis der ersten fühlenden Christen. Die Geheimnisse, die die Bibel darstellt im Alten und Neuen Testa­ment, das war es, was man insbesondere gern an den Wänden der Sarkophage zum Ausdruck brachte. Die Sarkophag-Kunst in den ersten christlichen Jahr­hunderten besonders zu studieren, heißt, sich überhaupt zu vertiefen in das­jenige, was das Christentum tat, um gewissermaßen das Mysterium des Todes auch da, wo es sich in der Wirklichkeit zeigt: am Sarkophag, künstlerisch auszudrücken, um zusammenzubringen dieses Mysterium des Todes mit dem­jenigen, was Kunde, Offenbarung des ewigen Lebens sein sollte: mit den bib­lischen Geheimnissen.

So sehen wir zum Beispiel hier einen Sarkophag der ersten christlichen

Kunst:

663 Sarkophag eines Ehepaares Lateran-Museum, aus dem 4. Jahrhundert

In der Mitte oben das Ehepaar, dem der Sarkophag gewidmet ist, in Por­träts angebracht; dann zwei Reihen oben und unten biblische Szenen des Alten und Neuen Testaments. Es beginnt, wie Sie sehen, links oben mit der Auferweckung des Lazarus. Sie sehen dann weitem fortlaufend, rechts von der

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Muschelmundung, die Opferung des Isaak; weitem fomtlaüfend kann man erken­nen den Verrat des Petrus. Sie sehen dann unten rechts zum Beispiel - es sind lauter biblische Figuren des Alten und Neuen Testamentes - das Quellenwun­der des Moses. Und so haben Sie lauter biblische Figuren - es ist hier leider etwas zu klein -, oben und unten Szenen aus der Bibel. Wir sehen: das, was die griechische Kunst bis zur Vollendung geschaffen hat, die freistehende mensch­liche Figur, das muß hier hineingepreßt werden in das, was Wirklichkeit ist, aber Wirklichkeit, die Diesseits und Jenseits miteinander verbindet. Und so sehen wir aufgereiht gewissermaßen die Figuren. Wir sehen dadurch die freie Gestaltung beeinträchtigt selbstverständlich; dieses beeinträchtigte Komposi­tionelle ist es, auf das wir ganz besonders das Augenmerk richten wollen. Und wir haben gerade an diesem Beispiel einer Sarkophag-Ausgestaltung, eines Herausarbeitens des Materials in Formen, ein Beispiel, wie die ganze Kompo­sition hineingepreßt wird. Also bitte, fassen wir das gut auf: die ganze Kom­position wird hineingepreßt, wird hineingestaltet in menschliche Bildung. Überall haben wir menschliche Gestaltung: Moses, Petrus, den Herrn selber, Lazarüs, der auferweckt wird, Jonas dort in der Mitte; also wir haben die Komposition, möglichst zurücktmetend die Raumausgestaltung, das Geome­trisch-Figürale zurücktretend gegenüber der Ausgestaltung der menschlichen Gestalt. Das bitte ich Sie ganz besonders zu berücksichtigen; denn wir werden sehen, daß bei dem nächsten Sarkophag ganz andere Dinge mitspielen. Schon hier sehen Sie, daß nicht alles kompositionell gewissermaßen hineingepmeßt wird in menschliche Bildungen und diese nur hintereinander aufgereiht wer­den, sondern Sie sehen in der Mitte unten, in der Jonas-Szene, schon die Kom­position stark hervortreten.

664 Sarkophag Ravenna, Dom

Die Mittelfigur: der Christus. Beachten Sie, wie die beiden anderen Fi­guren sich so herstellen, und dahinter die Pflanzenmotive zu beiden Seiten.

Erinnern Sie sich an den allerersten Vortrag, den ich hier in Dornach ge­halten habe, wo ich versuchte zu zeigen das Motiv des Akanthusblattes, wie das nicht aus der Nachahmung der Natur entstanden ist, sondern aus der

#SE292-301

geometrischen Form heraus, aus dem Verständnis der Linienführung heraus und erst später, wie ich gezeigt habe, sich angepaßt hat an das naturalistische Akanthusblatt. So sehen wir, wie hier (667) die Linien und Linien-Verhält­nisse eine Art von Hauptsache bilden, und wie gewissermaßen das Bildnerische, dasjenige, worinnen es das Griechentum zur höchsten Blüte gebracht hat, zu­rücktritt, gewissermaßen hineingefädelt wird in das Kompositionelle. Wir können sagen: wir haben hier außen vertikale Linien, dann zwei gegeneinan­der geneigte schiefe Linien und eine Mitte. Wenn wir aufzeichnen würden diese Linien, so würden wir den Raumgedanken haben:

#Bild s. 301a

Dann setzen wir in diese Linien hinein zwei Pflanzenmotive und zwei gewissermaßen in Ehrfurcht gegen die Mitte zuströmende Gestalten:

#Bild s. 301b

Wir sehen, daß hier, wir könnten sagen: das symbolische Zeichen sich verbindet mit demjenigen, was naturalistisch allein nachgeahmt werden kann, weil es selber im Naturalismus das Idealistische birgt: die menschliche Figur oder überhaupt das Organisch-Wesenhafte und das Zeichen, das geht hier ineinander, so daß man es kaum voll unterscheiden kann. Wir werden sehen, daß noch anderes, ganz anderes uns entgegentritt bei anderen Sarkophag­Motiven, zum Beispiel bei dem dritten Sarkophag:

666 Sarkophag Ravenna

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Hier haben Sie schon etwas anderes. Hier haben Sie allerdings auch die Pflanzenmotive; Sie haben dieselben Linien - jetzt nicht mit menschlichen Wesen - ausgefüllt mit tierischen Wesen. Sie haben das Mittelmotiv; aber das Mittelmotiv ist selbst symbolisch; das Mittelmotiv ist ein Zeichen, das Mono­gramm Christi, Chi (X) und Rho (P); also Christus, als Lebensrad aufge­faßt, in dem Mitte. Eigentlich räumlich, kompositionell ist dieses Sarkophag­Motiv dasselbe wie das vorhergehende. Wir haben statt der Christus-Figur in dem Mitte das Christus-Monogramm; statt der beiden Menschen, die ehrfurchts­voll sich nahen, die Tiere; wir haben an den Seiten die Pflanzenmotive. Aber wir sehen merkwürdigerweise das Zeichen hier noch völliger ausgebildet.

Solchen Monogramm-Darstellungen liegt immer eine alte Anschauung zugrunde, die natürlich, wenn man sie heute ausspricht, etwas grotesk er­scheint; aber sie liegt doch dem zugrunde. Sie müssen sich klar darüber sein, daß man eben früher aus der atavistisch-gnostischen Weisheit manches ge­wußt hat, was eigentlich erst ganz zugrunde gegangen ist im 18. Jahrhundert, manches sogar erst im 19. Jahrhundert. Wenn Sie diese Darstellung (666) nehmen, so werden Sie leicht finden, daß Sie, trotzdem es natürlich in die Zeichnung, in das Kunstwerk hineingegangen ist, haben: zunächst den Stein als solchen - physisch; die Pflanzenmotive links und rechts - ätherisch; das Tiermotiv - astralisch; und das Monogramm des Christus in dem Zirkel - das Einwohnen des Christus in dem Ich.

Wenn wir solche Zeichen ins Auge fassen und das, was an dem Bildne­mischen, an dem Naturalistisch-Bildnerischen erscheint als solche Zeichen, dann haben wir das, was hereinspielt in diesen vierten nachatlantischen Zeit­raum aus dem dritten. Denn was war das tiefste Eigentümliche des dritten nachatlantischen Zeitraümcs? - Da, wo er so richtig durch seine eigenen Im­pulse wirkte, dieser dritte nachatlantische Zeitraum, da war es ihm hauptsäch­lich darum zu tun, das Zeichen zu finden, das Zeichen, welches Zauber wirkt. Fassen Sie das wohl auf: das Zeichen, welches Zauber wirkt. Das Zeichen ist es ja, aus dem die Schrift entsteht. Erinnern Sie sich, wie innerhalb der ägyp­tischen Kultur der Priester durch den Gott Hermes selber die Buchstaben, die Worte als von oben herab geoffenbart empfängt. Das Zeichen ist es, durch

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das das Übersinnliche hereinspielt in das Sinnliche. Das Zeichen muß wieder­erscheinen als das, was in die Sinneswelt hemeinwirkt aus dem Übersinnlichen, als der Christus-Impuls kommt. Denn der Christus-Impuls muß selber spre­chen nicht bloß von dem, was äußerlich auszugestalten ist; dem Christus-Im-puls kann nicht bloß die Christus-Figur hinstellen wie den verkörperten Apollo, der Christus-Impuls muß den Christus so hinstellen, daß er sagen kann: «Im Urbeginne war das Wort», das heißt dasjenige, was im Zeichen aus himmlischen Höhen heruntergekommen ist, «und das Wort ist Fleisch geworden».

So muß sich verbinden das, was im Zeichen lebt als der Impuls des drit­ten nachatlantischen Zeitraumes, der noch hereinragt in den vierten nachat­lantischen Zeitraum, mit dem Christus-Impuls. So wie wir in Ägypten finden, daß sich in verhältnismäßig früher Zeit das Zeichen zur Schrift umgestaltet, so sehen wir auch in den nordischen Ländern das Zeichen in den Runen noch mit seinem Zauber behaftet, und der Runen-Priester, der die Runen wirft, er versucht in dem, was das Zeichen enthüllt, zu erkennen, was sich aus geistigen Höhen offenbart. Da sehen wir auch im Norden den dritten nachatlantischen Zeitraum tätig, und wir würden Runen weit, weit zurück finden in all den Jahrhunderten vor dem Christentum. Das pflanzt sich fort, das strömt zusam­men mit dem, was aus dem Griechentum heraus in der naturalistischen Dar­stellung des schon von der Natur spimitualisierten schönen Menschen gegeben ist. Beide Dinge strömen zusammen. Und in dem Motiv (666) können wir sie zusammenströmen sehen. Das ist das Bedeutungsvolle: dieses Überein­andergreifen, dieses Zusammenfließen des dritten und vierten nachatlanti­schen Zeitraumes.

Wenn Sie das nächste Motiv, die «Darbringung des Opfers der Könige» sich ansehen:

667 Sarkophag die andere Längsseite von 666, Ravenna, Dom

so werden Sie sehen, wie da Linienausgestaltung lebt neben der Darstellung des Naturalistisch-Wirklichen.

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Wir wollen nun das nächste Sarkophag-Motiv betrachten:

668 Sarkophag Rom, Lateran-Museum

Da haben wir wiederum das andeme: obwohl in der Aneinandemreihung diesem Figuren, die uns ja hauptsächlich darstellen wiederum biblische Szenen, obwohl wir da wiederum Figuren einfach aneinandergereiht haben, so sehen wir doch, daß versucht ist, in der Bewegung der Figuren wiederum Linienhaf­tes, Raumhaftes zum Ausdruck zu bringen. Also das ist wiederum die andere Art (wie 664).

Das nächste Motiv ist von einem Sarkophag aus dem Grab der Galla

Placidia:

669 Sarkophag Ravenna, Mausoleum

Hier sehen Sie wiederum das Raumhafte in stärkerem Maße ausgeprägt, nur sehen Sie das, was uns schon öfter jetzt entgegengetreten ist (664, 666), das Geheimnis der Fünffaltigkeit, das sehen Sie hier dadurch zum Ausdruck gebracht, daß in der Mitte das Lamm diesmal ist, ich möchte sagen: von den Lammesgenossen unterstützt, wiederum mit dem Pflanzenmotiv nach außen schließend. In der verschiedensten Weise sollte die Raumzeichen-Kunst des dritten nachatlantischen Zeitraumes dem Christentum dienen, wieder herein­greifen, um das Christentum unterstützen zu können. Und das alles als Sarko­phag-Kunst.

Ich bitte Sie, wirklich festzuhalten den Grund, warum das Christentum hereinfließen ließ das, was das Zeichen ist, denn es ist das Zeichen hinein­geheimnißt: Sie haben die Fünfheit, Sie haben hier in der Mitte das Dreieck, also wiederum ein Zeichen; Sie haben außerdem die Linien so, wie ich das früher auseinandergesetzt habe. Warum das Christentum das Zeichen herein-fließen ließ? - Weil man im Zeichen sah den Zauber, Zauberwirkung, die nicht bloß durch dasjenige geschieht, was im Naturalistischen verfließt, son­dern die dadurch übersinnlich wirkt, daß im Zeichen das Übersinnliche zum Ausdruck kommt. Der Mensch hat heruntergeholt in dem Zeichen das, was nicht zum Ausdruck bringen kann die bloß äußerlich naturalistische Form.

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Das nächste Motiv:

670 Sarkophag Ravenna, S. Apolinare in Classe

Hiem sehen Sie das Zeichen mit dem Naturalistischen wiederum ganz be­sonders vermischt: das Monogramm Christi in der Mitte, die beiden Tierge­stalten, die Sie schon früher gesehen haben, zu beiden Seiten. Dann sehen Sie aber das Pflanzenmotiv wie ausgestaltet, wie vervielfältigt, und Sie sehen oben die Zeichen verwendet. Sie sehen also Zeichen und naturalistische Dar­stellung ineinander verfließen; das Zeichen als Zauber, das Zeichen, welches aus derselben Welt kommt, wenn es sinnvoll dargestellt wird, in die der Tote hineingeht aus der Pforte des Todes. So ungefähr fühlte man: aus dem Welt, in die dem Tote durch die Pforte des Todes hineingeht, kommt das Zeichen, das sich dann zur Schrift umgestaltet. Das Naturalistische aber lebt da, wo der Mensch lebt zwischen Geburt und Tod.

Das nächste Motiv ist das Wunder der Brotvemmehmung:

671 Sarkophag Arles, Museum

Hier wiederum die andere Art (663, 668), wo bloß das Architektonische in das Zeichen hineingelegt ist.

Nun, das nächste Motiv ist nicht ein Sarkophag-Motiv, sondern das ist eine Elfenbeins chnitzerei:

672 Elfenbeinrelief Byzantinischer Kaiser

Durch das will ich besonders anschaulich machen, wie da aus dem Stoff heraus gearbeitet wird in einer solchen Art, wie das geblieben ist als Kunst des vierten nachatlantischen Zeitraumes. Wie das aus dem Stoff heraus gear­beitet wird in der Reliefkunst der Elfenbeinschnitzerei der ersten christlichen Jahrhunderte, das vermag den Naturalismus des vierten nachatlantischen Zeit­raumes, den künstlerischen Naturalismus zum Ausdruck zu bringen.

Das nächste Motiv ist ebenfalls eine Elfenbeinschnitzerei:

673 Elfenbeinrelief Maria mit dem Kinde

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Hier sehen Sie schon wiederum mehr von dem Zeichen darinnen, wenn auch zur Ausfüllung der Linien eben das Figurale, das Bildnerische verwen­det ist; aber Sie sehen wohl deutlich genug, wie man gewissermaßen ausfüllen konnte das, worin die Figuren eingefädelt sind, eingereiht sind, wie man das durch geometrische Figuren ausfüllen konnte.

Das sind, ich möchte sagen, die Grundgerüste, die sich das Christentum geholt hat aus der Zeichen-Kunst des dritten nachatlantischen Zeitraumes, und die wir überall auftauchen sehen.

Ich habe noch ein Beispiel aus dem Dom in Ravenna:

665 Sarkophag Schmalseiten von 664

an dem ich Ihnen zeigen kann, wie nun wieder völlig die Motive übergeführt sind in die Verwendung des Zeichens. Wir haben links oben wiederum das Mono­gramm Christi, wir haben hier unten links und rechts wiederum geometrische und figurale Motive, oben in ähnlicher Weise das Monogramm Christi, ein einfaches Motiv, symmetrisch nach links und rechts. Wir werden, wenn Sie Ihre Phantasie ein wenig zu Hilfe nehmen, hierinnen sehen, wie eine wirk­liche Evolution vom ersten zum zweiten Motiv stattfindet. Denken Sie sich oben links im Rundbogen das Chi (X) und das Rho (P), das Monogramm Christi, vereinfacht; denken Sie sich die beiden Balken des Chi vereinfacht, so bekommen Sie dieses mittlere Motiv oben rechts, das kreuzförmige Mono­gramm. Denken Sie sich zusammenwachsend, was links oben um das Mono­gramm geschlungen ist, den Kranz, mit dem bloßen Pflanzenmotiv, der Ranke mit den Blättern, so bekommen Sie rechts oben das Tiermotiv links und rechts. Sie können sich gleichsam als eine vereinfachte und doch höhere Ausgestal­tung oben das rechte Motiv aus dem linken Motiv hervorgehend sehr gut vor­stellen. - Ebenso können Sie unten das rechte Monogramm aus dem linken hervorgehend sehen. Denken Sie sich einmal unten links die Palme des Mono­gramms ausgestaltet in diese Verschlingungen, die Sie hier um das Mono­gramm herum haben; denken Sie sich das linke Motiv so ähnlich hier wach­send, wie das in unserem Bau der Fall ist, wo ein Säulenmotiv aus dem ande­ren herauswächst, denken Sie sich die vereinfachten geometrischen Formen

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organisch mehr ausgestaltet, so haben Sie das rechte Motiv aus dem linken sich entwickelnd.

Wenn man zurückgeht in die Mysterien des dritten nachatlantischen Zeit­raumes, so findet man überall über Europa zerstreut bis nach Norden hinauf, auch nach Amerika hinein - denn es war ja immer eine Verbindung zwischen Skandinavien und Amerika, die nur ein paar Jahrhunderte, bevor Amerika dann entdeckt worden ist von Spanien aus, verlorengegangen ist; von Skan­dinavien fuhr man immer nach Amerika hinüber früher; erst im 13. Jahrhun­dert ist die Verbindung verloren gegangen für kurze Zeit, bis sie dann von Kolumbus wiederum gefunden worden ist -, man findet ausgebreitet über Südeuropa, über Nordafrika, über den bekannten Teil von Asien, den vorde­ren Teil von Asien überall im dritten nachatlantischen Zeitraum die Myste­rien, spater die Nachzügler -, früher die echten Mystemienstätten des dritten nachatlantischen Zeitraumes. Da hat man insbesondere gesprochen von dem Zauber der Zeichen. Was die ägyptische Mythologie erzählt über die Bezie­hungen der Priesterschaft zu Hermes, sind ja nur äußerliche exoterische Nach­klänge dessen, was esoterisch in den Mysterien über den Zauber der Zeichen, was in nordischen Ländern über den Zauber der Runen gelehrt worden ist. Das war der Zauber, der da gekommen ist von der einen Seite her, von der geistigen Seite her, der Zauber, den man dadurch zu bewirken gesucht hat, daß man Zeichen formte, rein aus dem Geistigen heraus Zeichen formte, ge­wissermaßen in den Raum die Zeichen durch die menschliche Willkür hinein-versetzte, aber so, daß sich eben dadurch, daß man bestimmte Zeichen machte, die Kraft des Übersinnlichen in die Zeichen hinein ergoß.

Das war aber nicht das einzige, wo man Zauber suchte. Und das ist sehr bedeutsam, daß man den Zauber auf der einen Seite suchte, ich möchte sagen, im Übernaturalistischen. Nicht wahr, das Naturalistische war das Griechische, das zugleich spiritualistisch war in der griechischen Kunst. Im übernatura­listischen Zeichen suchte man den Zauber, der eben bloß im Zeichen lag. Aber unternaturalistisch suchte man auch den Zauber. Und außer den My­sterien, welche von den Runen, welche von den Zeichen sprachen in alten Zeiten, gab es andere Mysterien, welche von anderen Rätseln sprachen: von

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dem unternaturalistischen Zauber, von jenem Zaubem, den man entdeckt, wenn man ganz besondere Produkte, die unter dem Oberfläche dem Erde zu finden sind hauptsächlich, wenn man diese Produkte ins Auge faßt. Geht man nach oben, so kommen einem die Götter der Höhe entgegen, die einem den Sinn der Zeichen geben, in denen das Übersinnliche als Zaubem wirkt, so daß es erfassen kann das Sinnliche, sich künstlerisch mit ihm vereinigen kann. Geht man aber ins Unternatumalistische, ins Innere dem Erde, so findet man das, was da den Zauber enthält.

Unter den mannigfaltigen Zaubern suchte man ganz besonders zu erken­nen zwei Rätsel. Wenn wir heute aussprechen wollten die Lehme von diesen zwei Rätseln, müßten wir sagen: in geheimen Mysterien wumde besondems ge­pflegt das Rätsel des Goldes, wie es sich in den Adern der Erde findet, und das Rätsel des Edelsteins. So sonderbar das klingt, den wirklichen histori­schen Tatsachen entspricht es. Den Zauber des Zeichens hat sich insbesondeme die Kirche angeeignet. Sie suchte aus den Mysterien des dritten nachatlanti­schen Zeitraumes zu übernehmen den Zauber des Zeichens Den Zauber des Goldes - da also, wo sich zur besonderen Materie gestaltet dasjenige, was in der Natur vorhanden ist -, und den Zauber des Edelsteins, da, wo sich auf­hellt dasjenige, was sonst dunkel den Raum ausfüllt, da, wo Licht wird inner­halb des Materiellen, in dem, was sonst als Finsternis waltet im Materiellen:

das war es, dem sich nun nicht die Priesterschaft hingab, sondern dem sich hingab die profane Menschheit, die außerhalb der Kirche stehende Menschheit.

Und so kam es, daß aus gewissen Impulsen, die sehr, sehr alt sind - als die Freie-Städte-Kultur sich begründete in der Art, wie ich das neulich ausge­führt habe, als überall die Freien-Städte-Bildungen entstanden, daß in diesen Freien-Städte-Bildungen an die Oberfläche kamen -, wie durch Wogen des geistigen Lebens an die Oberfläche kamen die Freude am Edelstein, die Freude am Gold, die Freude an dem Bearbeitung des Goldes, die Freude an der Ver­wendung des Edelsteines. So wie aus Himmelshöhen herunter die Kirche das Zeichen bringen wollte, so wollte aus den Tiefen der Erde heraus dasjenige, was dann Freie-Städte-Kultur geworden ist, das Geheimnis des Goldes, das Geheimnis des Edelsteines bringen. Nicht ein bloßer Zufall, sondern eine

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tiefe historische Notwendigkeit ist es, daß aus der Städtekultur heraus sich die Goldschmiedekunst entwickelt hat und, ich möchte sagen: nur wie ein Annex der Goldschmiedekunst, die andere metallische Kunst, daß sich aber auch die Sehnsucht aus der Städtekultur heraus ergeben hat, den Edelstein zu verwenden, weil Gold und Edelstein den Zauber enthalten, weil der Zauber von unten dem Naturalistischen, das sich vom den Sinnen ausbreitete, entwun­den werden sollte.

Heute ist noch der Nachklang dieses städtischen Arbeitens mit Gold und Edelstein schön zu beobachten in der Kunst, die der Bischof Bern ward in Hildesheim begründet hat. In Hildesheim, in der Mitte des nördlichen Mittel­europas, sehen wir zahlreiche solche Kunstwerke - es sind sonst auch welche vorhanden, aber dort sind sie besonders konzentriert -, wo Edelsteine in fein-geartetes metallisches Kunstwerk hineingearbeitet sind:

Bernward von Hildesheim

674 Bernwardkreuz

675 Bernwardkreuz, Rückseite

676 Bernwardleuchter

677 Einband zu einem Evangeliar

In Hildesheim tritt es, ich möchte sagen, urphänomenal bedeutsam einem entgegen. Aber es breitete sich aus; und eigentlich tritt einem dasselbe, was insbesondere in Mitteleuropa blüht aus den Impulsen heraus, die ich eben dargelegt habe, dann auch in den italienischen Städten entgegen. Denn im Grunde genommen geht ja auch in Florenz die Goldschmiedekunst, das, was ausgestaltet worden ist durch die späteren Goldschmiede und was dann die große Kunst geworden ist auf dem Gebiete der Relief-Plastik und der Plastik überhaupt, das geht ja auf denselben Ursprung zurück. Die Dinge sind ja in dem mannigfaltigsten Weise miteinander verknüpft.

Nun aber denken Sie an das Folgende. Ich habe gesagt, wie im 9. Jahr­hundert, da die Kirche von Rom aus das Papsttum noch anders verstanden hat als später, was da eigentlich im Abendland zu geschehen hatte, von gewissen Gesichtspunkten aus habe ich dargestellt, wie vom 9. Jahrhundert an von

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Rom aus die Kräfte, die in Europa, ich möchte sagen, von unten herauf sich geltend machen, wie diese von Rom aus systematisiert werden, wie sie in die Gesetze, die man aus der geistigen Welt bekam, eingefaßt werden sollten. Und da kann man sehen auf der einen Seite Rom: im Süden aufgehend den Zauber der Zeichenwelt, die von oben kommt, aber hingerichtet den Blick nach dem Norden, wo sich das freie Städtetum bildet, hingerichtet den Blick nach Nor­den, wo gedeiht die Freude am Geheimnis des Goldes, am Geheimnis des Edelsteines. Aber dieser Norden hat schon aus seinen alten Mysterien heraus etwas vorgebildet, was notwendigerweise zusammenhängen muß mit diesem Mysterium, etwas, was zusammenhängt auf dem einen Seite mit dem Myste­rium des Edelsteines - das wollen wir heute aus dem Spiel lassen -, auf der andern Seite, was zusammenhängt mit dem Mysterium des Goldes. Denn das Christentum ist nicht bloß als ein Impuls entstanden; dem Christentum ist auch entgegengearbeitet worden. Wie ihm im Süden entgegengearbeitet wor­den ist mit dem Zauber des Zeichens, so ist ihm im Norden entgegengearbei­tet worden, indem man in der Sagenwelt Mitteleuropas und des Nordens das große Goldes-Mysterium verkörpert, veranschaulicht hat.

Und mit dem Goldes-Mysterium hängt zusammen die Gestalt des Sieg­fmied, der das Gold erbeutet hat, aber an der Tragik des Goldes zugrunde geht. Alles, was sich im Nibelungenliede anknüpft an die Siegfried-Gestalt, hängt mit dem Mysterium des Goldes zusammen. Denn es durchzieht den Sinn des Nibelungenliedes wie ein roter Faden, daß das Gold mit seinem Zau­ber der übersinnlichen Welt allein gehört, nicht der sinnlichen gewidmet werden muß.

Wenn man es so faßt, so faßt man für das Gemüt am tiefsten das My­sterium des Goldes. Denn was sagt die Kunde von Siegfried? Was sagt das Ni­belungenlied? Was enthält es für eine große Lehre? - Opfemt das Gold den Toten! Laßt es im übersinnlichen Reich; denn im sinnlichen Reiche stiftet es Unheil.

Das war die Lehre, die dem Christentum vorangegangen ist in nordischen Ländern. Das hat man in Rom verstanden, als die große Synthesis stattfand zwischen dem, was römisch war im 9. Jahrhundert und dem nördlicher gelegenen

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Europäischen, als auch künstlerisch vereinigt wurde dasjenige, was aus dem Zeichen heraus auf dem einen Seite arbeiten konnte, was auf der an­dern Seite in das Zeichen hineinfügte das gearbeitete Gold und den Edelstein. Schön ist es, zusammenfließen zu sehen in den Zeiten des 8., 9., 10., 11., 12. Jahrhunderts die Zeichen-Kunst mit der Gold- und Edelstein-Kunst. Hier sehen wir überall drinnen in dieser altchristlichen Kunst das Zeichen. Da­durch, daß sich die anderen Impulse damit verbinden, sehen wir hineinwach­sen in das Zeichen das gearbeitete Gold und den Edelstein.

Das ist nun wirklich von Rom aus systematisch angestrebt worden. Das war aber auch vorbereitet in Europa. Denn in den ersten Zeiten sehen wir vom Süden heraufkommend die christlichen Überlieferungen in einer solchen Form, daß selbst in dem Unbildlichen, bloß durch das Wort Mitgeteilten, das Zeichen wirkt und webt. Das Heidnische kommt vom Norden entgegen so, daß man darbringen will das, was weltlich ist, darbringen will das Schmük­kende, das Zierende, das, was den Zauber des Unternaturalistischen enthält, dem Zeichen. Und indem sich mit dem Kreuze aus dem Süden verband das Schmückende von Gold und Edelstein des Nordens, das aus den alten heid­nischen Mysterien herkam, wie ja auch das Zeichen des Kreuzes selber aus den Mysterien für das Mysterium von Golgatha verwendet worden ist, sehen wir die drei Impulse zusammenwachsen: Darstellung, naturalistisch, der spiri­tualisierten Natur, indem man die griechische Gestaltungskraft im vierten nachatlantischen Zeitraum nimmt; dann die zwei andern Impulse: das Zeichen, den Zauber des Zeichens, den Zauber des Untermateriellen in Gold und Edelstein.

Ja, lange sind vorbereitet im geschichtlichen Werden die Dinge, die spä­ter hervortreten. Unsere Zeit ist schon die Epoche, in welcher, ich möchte sagen: alles schreit zu dem Menschen, daß er lernen möge, nicht bloß schläfrig in die Gegenwart hineinzuschauen, sondern die in der Evolution lebendigen Impulse wirklich zu fassen; denn sonst wird er nimmermehr bezwingen, was zum Chaos in der Gegenwart geworden ist.

Ich habe heute nicht die Möglichkeit, aber in der nächsten Zeit wird sich vielleicht diese Möglichkeit ergeben, Ihnen zu zeigen, wie, indem die Kunst

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vom Süden nach dem Norden weiter hinaufdmingt, ein Motiv besonders stark zur Ausgestaltung kommt: das ist das Zusammenfügen des Tierischen mit dem Menschlichen. So tritt in der früheren Zeit auf dasjenige, was spätem Zusammen-Wirkung der Finsternis mit dem Lichte ist. Aus dem figuralen finsteren Tierischen hebt sich das helle Menschliche ab in dem Besiegung des Drachens durch Michael und so weiter, auch in anderen Zusammenfügungen des Tierischen mit dem Menschlichen. Das wird später zur Hell-Dunkel-Kunst. Alle diese Dinge hängen zusammen. Und viel, viel müßte geredet werden, wenn man zeigen wollte, Wie sich auch künstlerisch zum Ausdruck bringt dieses Ineinanderarbeiten der alten Zeit mit dem neuen Zeit, dieses Durchdringen dem heidnischen naturalistischen Impulse mit den christlichen Impulsen, die aber, um Geltung zu haben, wieder erneuern müssen die alten Zaubermotive, nur jetzt des Zaubers im alten heidnischen Sinne entkleidet und heraufgehoben in die wahre spirituelle Welt.

Das wußte man insbesondere in jenen Jahrhunderten, dem 9., 10., 11., 12., 13. Jahrhundert. Man wußte dazumal, daß das alte Heidnische alt gewor­den ist - vieles war davon noch geblieben, aber alt geworden war es -, und daß das junge Christliche sich hineinarbeiten muß, das wußte man. Das tritt uns entgegen in Literatur, in Kunst, in der Sagenbildung, allüberall. Ich habe schon öfter darauf aufmerksam gemacht, wie den Menschen der Gegenwart fast ganz verlorengegangen ist das Zusammendenken des Geistigen mit dem Äußerlich-Wirklichen. Im fünften nachatlantischen Zeitraum, der den Mate­rialismus auf seine Fahne geschrieben hat, ist ja das fast ganz verlorengegan­gen. Man kann sich nicht mehr vorstellen das Hineinströmen des Spirituellen, des Bedeutungsvollen in das rein Naturalistische, in das rein Materielle. Daher stellt man heute auch möglichst abstrakt dar das allmähliche Hinsterben des Heidnischen und das allmähliche Werden der Christus-Impulse in der euro­päischen Kultur. Im 9., 10., 11., 12., 13. Jahrhundert war das nicht so. Da stellte man, wenn man so etwas darstellen wollte, es so dar, daß man etwa Seele und äußere Leiblichkeit auch außerhalb des Menschen im geschichtlichen und natürlichen Geschehen sich dachte, zusammendenken konnte. Überall, wo man hinsah, sah man in dem, was geographisch um einen lag, zu gleicher

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Zeit Geistiges ausgeprägt. Dafür hatte man auch viel Prophetisches in diesen Vorstellungen darinnen.

Man kann heute in unserer Zeit, wenn man nicht obemflächlich empfinden will, sondern wenn man ein Herz hat für das Ungeheuerliche, das in unserer Zeit vorgeht, man kann heute nicht denken an die Nibelungensage, ohne das tief Prophetische ins Auge zu fassen, das in dem Nibelungensage liegt. Wer die Nibelungensage in ihren Tiefen versteht, fühlt in ihr vorbereitet alles, was an furchtbaren Ereignissen die Gegenwart durchzuckt. Denn, indem man so dachte, wie man die Gedanken in das Nibelungenlied prägte, dachte man noch prophetisch, weil man aus dem Mysterium des Goldes heraus dachte. Daß Hagen den Nibelungenschatz, den Goldesschatz, das Gold in den Rhein ver­senken läßt, das ist eine prophetische Vorstellung und wurde in der Zeit, als die Nibelungensage ausgebildet wurde, nie anders empfunden als tief tragisch mit dem Hinblick auf die Zukunft, auf all das, was der Rhein sein wird an Anlaß zu antagonistischen Impulsen gegen die Zukunft hin. Denn man dachte dazumal noch nicht das äußerlich Geographisch-Naturalistische seelenlos, sondern man dachte es im Zusammenhang mit dem Seelischen: in jedem Wind-hauch ein Seelisches, in jedem Flußlauf ein Seelisches. Man möchte sonst ja auch wirklich wissen, welchen Sinn die rein materielle Bezeichnung haben soll: «Der alte Rhein». Was ist denn eigentlich der Rhein im materialistischen Sinne? - Es ist das Wasser des Rheins. Was da in diesen Tagen fließt, wird ja wohl in dem nächsten Zeit schon woanders sein. Das Wasser des Rheins ist es wohl jedenfalls nicht, zu dem man als von dem alten Rhein sprechen kann; und an die bloße Ausfügung der Erde denkt man auch gewöhnlich nicht. Was materiell ist, das fließt vorüber, das bleibt nicht. In alten Zeiten dachte man auch nicht an dieses äußerlich Materielle, das ja ohnedies nur als eine Illusion da ist; man dachte auch nicht äußere Ereignisse bloß in die Strömung, die man als die natumalistische bezeichnen kann, eingefügt. Was äußerlich war, war zugleich gedacht als Ausdruck für Seelisches, das alles materielle Dasein durchwebt. Und so versuchte man insbesondere in der Zeit, in welcher noch nötig war, das alte Heidentum ablösen zu lassen von dem neueintretenden christlichen Impulse - und das war ja in Europa noch in späten Jahrhunderten

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notwendig -, da versuchte man auch das Geographische seelisch zu denken, plausibel zu machen den Seelen, den Herzen, den Gemütern das Geogra­phische seelisch.

Wir blicken zum Beispiel hin auf den Odilienberg und sehen da in den Vogesen das christliche Kloster von Odilia begründet, die von ihrem Vater, dem heidnischen Herzog geblendet worden ist; wir sehen an der Stätte der heidni­schen Mauern das christliche Kloster. Diese heidnischen Mauern sind aber nichts anderes als die Überreste alter heidnischem Mysterien. Wir sehen dort zu­sammenfließen an einem geographischen Punkte absterbendes Heidentum mit aufkommendem Christus-Impuls. Wir sehen das ausgedrückt in der Mythe über die von heidnischem Seite, von ihrer eigenen heidnischen Vorfahrenschaft verhängten Blendung der Odilie, die aber innerlich geistig sehend gemacht wird von dem Priester aus Regensburg, von dem Christus-Impuls. Wir sehen zusammenwirken, was in Regensburg später christlich geblüht hat, was in Albertus Magnus später die großen Früchte getragen hat, wir sehen es da blühend; wir sehen es einträufelnd den Christus-Impuls in das Auge der Odi­lie, die von heidnischen Vorfahren geblendet worden ist. Wir sehen geogra­phisch an diesen Punkt sich ineinanderschieben dasjenige, was christliches Licht ist und die alte heidnische Finsternis. Wir sehen das auf dem Boden, für den verhängt wurde von Rom aus: Nehmet das Gold, aber bringt das Gold dar denjenigen Reichen, die die Reiche des Übersinnlichen sind. Faßt das Gold hinein in das, wofür das Kreuz das Zeichen ist! - In unserer Zeit sehen wir demgegenüber den Fluß des Goldes ganz in dem Sinne aufgefaßt, wie es in der alten heidnischen nordischen Sage zum Ausdruck gebracht ist.

Wir sehen die Zeit sich stellen gegen das, was als übersinnliches Licht dem Golde sich gegenübergestellt hat. Nach Isenland ist Siegfried gezogen, um aus dem Nibelungenlande das Gold zu holen. Was er als Gold vom Nibelun­genlande gebracht hat, das wurde geopfert dem Christus-Impulse. Dieser Christus-Impuls darf nicht verleugnet werden; dieser Christus-Impuls darf nicht wiederum verheidnischt werden!

Oh, könnte man mit viel, viel feurigeren Worten reden, als Menschen-worte sind, um den furchtbaren Sinn dieser Zeit so recht zu treffen! Denn in

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dieser Zeit sprechen so viele Zeichen. Und in diesem Zeit wollen Menschenoh­ren leider so wenig hören. Es kam das erste Jahr dieses furchtbaren Chaos -die Menschen stellten sich vor: es wird schon bald vorübergehen. Sie wollten nicht hören, daß tiefe Kräfte walten in diesem Chaos -, auch im zweiten und dritten Jahr, und auch jetzt. Und erst, wenn das angebetete Gold angefmes­sen werden wird, werden die Menschen Ohren haben, um zu hören, daß nicht mit den gewöhnlichen Mitteln das getroffen werden kann, was dieser Zeit notig ist, nicht mit den Mitteln, die von alten Zeiten herübergekommen sind, sondern einzig und allein mit Erneuerung dessen, was aus dem Christus-Im-Puls fließt, aber in vieler Beziehung gerade als Christus-Impuls vergessen worden ist. Nicht anders können die Dinge besser werden, als wenn möglichst viele Menschen sich entschließen, etwas zu lernen, zu lernen vom Geiste. Denn seit dem Heraufkommen des fünften nachatlantischen Zeitraumes ist man immer weiter und weiter in der Verleugnung des Geistes gekommen.

Sehen wir vor allen Dingen einmal, wie die Menschheit früher verstan­den hat, früher selbst nicht bloß Windrichtungen nicht materialistisch zu den­ken, sondern die Windrose beseelt zu denken; beseelt zu denken die Gegend, wo auf der einen Seite der Odilienberg, auf der anderen Seite Regensburg ist. Und so war es auch mit den anderen Orten.

Lerne die Menschheit wiederum fühlen, daß über dem Erdboden nicht bloß Luft, sondern über dem Erdboden Geist ist, der gesucht werden muß; daß unter dem Erdboden nicht bloß das ist, was man von ihm zu holen hat, um damit materielle Werkzeuge zu machen, sondern daß dasjenige, was als Unternaturalistisches gewonnen wird, geopfert werden muß dem Übersinn­lichen. Verstehe die Menschheit wiederum, daß es ein Mysterium des Goldes gibt! Das lehrt nicht nur Geisteswissenschaft, sondern das lehrt auch ein wirk­lich im spiritualistischen Sinne verstandener Verlauf der Kunst. Oh, es ist furchtbar, mitanzusehen, wie die gegenwärtige Menschheit von Tag zu Tag wartet und nicht verstehen will, daß Neues zu begreifen ist, daß man mit den alten, abgebrauchten Vorstellungen nicht weiterkommt! Davon dann ein anderes Mal mehr.

ZU VORTRAG V XIII Wandlungen der Christus-Auffassung in der künstlerischen Darstellung: ALTCHRISTLICHE MALEREI UND MOSATKE ITALIENISCHE MEISTER DÜRER Dornach, 29. Oktober 1917

#G292-1981-SE316 Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse

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ZU VORTRAG V

XIII

Wandlungen der Christus-Auffassung in der künstlerischen Darstellung:

ALTCHRISTLICHE MALEREI UND MOSATKE

ITALIENISCHE MEISTER

DÜRER

Dornach, 29. Oktober 1917

#TX

Ich möchte Ihnen heute über die Wandlungen der Christus-Auffassung von einem gewissen Gesichtspunkte aus durch einen gewissen Zeitraum hindurch einiges vorbringen. Man kann ja in gewissem Sinne von einem Einfluß des Mysteriums von Golgatha auf jedes menschliche Kulturgebiet sprechen, und man bekommt eine um so richtigere Vorstellung von dem, was in der Erden-entwickelung durch das Mysterium von Golgatha geschehen ist, wenn man, wo-möglich unabhängig für die einzelnen Kulturgebiete, den Einschlag dieses Im­pulses von Golgatha betrachtet.

Man kann nun wirklich auch in der Kunstentwickelung davon sprechen, daß im allgemeinen Fortgang der Menschheit das Mysterium von Golgatha eingeschlagen hat, bedeutsame Veränderungen hervorgerufen hat. Aber man wird mit diesen Gedanken nicht zurechtkommen, wenn man nicht sein Au­genmerk lenkt auf gewisse, ich möchte sagen, Intimitäten der Kunstentwicke­lung in der Entwickelung der einzelnen Künste.

Wenn wir darüber Nachforschungen anstellen, wann die Menschheit Europas begonnen hat, die Christus-Figur darzustellen, so kommt man immer wieder und wieder darauf, daß der Versuch, die Christus-Gestalt künstlerisch darzustellen, eigentlich erst gemacht worden ist von dem Augenblick in der weltgeschichtlichen Entwickelung angefangen, als die Evangelien-Auffassung, also man kann sagen, als die literarische Auffassung des Christentums einen gewissen Abschluß erfahren hatte, als aus der Evangelien-Masse, aus den Evangelien-Traditionen durch die kirchlichen Maßnahmen ausgeschieden waren

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gewisse Nachrichten; die man dann als apokryphe betrachtet hat. Als der Grundstock der Evangelien-Literatur fertig war und als auch bis zu einem gewissen Grade übergegangen war in die Gemüter der Menschen dasjenige, was in den Evangelien steht, da begann im Abendlande die Sehnsucht, darzu­stellen, künstlerisch darzustellen die Szenen und die Gestalten, die sich in den Evangelien finden.

Das ist jedenfalls etwas, was man nicht aus dem Auge verlieren soll. Be­vor die Evangelien abgeschlossen und in die Gemüter derjenigen, die sich Christen nannten, in einer gewissen Einheitlichkeit übergegangen waren, be­schränkte man sich in der Darstellung auf dasjenige, was durch Signaturen, wie Sie sie hier durch das Lichtbild sehen, zugegen war, auf das Monogramm des Christus:

710 Christus-Monogramm

Sie sehen in der Mitte das X und das P, also Chi und Rho, was zu glei­cher Zeit das schiefe Kreuz ist mit dem Rho.

Oder in einer ähnlichen Form, wie Sie es hier sehen:

712 Christus-Monogramm

Oder aber mit irgendwelchen Tierfiguren kombiniert:

713 Christus-Monogramm zwischen Tauben

Oder in der veränderten Form, wie wir es hier haben:

711 Christus-Monogramm

Das war es, auf das man sich beschränkte in der Zeit, während welcher sich die Stoffmasse der Evangelien vereinheitlichte und allmählich in die Ge­müter der Menschen überging. So daß man von eigentlich bildnerischen Dar­stellungen der heiligen Geschichte erst vom 2., 3. Jahrhundert ab sprechen kann.

Ich habe nun manches im Laufe der hiesigen Kunstbetrachtungen schon hervorgehoben, auf das ich heute in einem anderen Zusammenhang wiederholentlich

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wieder verweisen muß. Ich habe hervorgehoben, daß die ersten Darstellungen, welche man gegeben hat, sich noch ganz in den Formen der alten, der antiken, der heidnischen Kunstentwickelung bewegten. Man übertrug einfach dasjenige, was das Heidentum an Kunstformen entwickelt hatte, auf den Inhalt der christlichen Entwickelung. Das ist außerordentlich wichtig. Und man kann sagen: bis zum Beginn des 3. Jahrhunderts war noch nichts fertig in der abendländischen Kulturentwickelung, als eine solche Übertragung des Heidnischen, der heidnischen Art, Bildnerisches darzustellen, auf die Szenen des Evangeliums. Wir finden da, daß die Gestalten, an die sich die christlichen Vorstellungen knüpften, ähnlich dargestellt werden, wie man gewohnt war die Gestalten der heidnischen Mythen darzustellen.

Wir werden uns heute beschränken in unserer Betrachtung auf die Ge­stalt des Christus selbst. Und in dieser Beziehung finden wir in den ersten Zeiten, als man anfing, den Christus darzustellen, am allerhäufigsten das Bild des guten Hirten, das in den mannigfaltigsten Formen im Altertum, in der vorchristlichen Zeit dargestellt war. Dieses Bild - ausgewählt als eines aus den zahlreichen Darstellungen des <(Guten Hirten»

714 Mosaik Der gute Hirte

erinnert ja sehr an die Gestalt, in welcher David unter den Tieren dargestellt wurde. Es erinnert an andere, griechische Darstellungen. Und wenn wir uns heute eben besonders beschränken auf die Christus-Figur, so hat sie hier auf dem Bilde, wie sie steht, absolut den antiken Ausdruck. Wir sehen das Bestre­ben, das in dieser bildnerischen Darstellung liegt: ein mildes, ein edles Ange­sicht zu geben, wie das in diesen älteren Zeiten üblich war, bartlos, mit noch ungescheiteltem Haar, jugendlich, holdselig. Das war das Bestreben, welches in all diesen Darstellungen lebte. Wir sehen gerade in diesen Darstellungen einziehen das Christlich-Bildnerische in das Heidnisch-Bildnerische aus dem Grunde, weil eigentlich auf solchen Bildern noch alles heidnisch-bildnerisch ist.

Nun entsteht gerade gegenüber solchen Darstellungen die Frage: Worin­nen liegt denn im Künstlerischen - ich spreche jetzt rein vom künstlerischen Gesichtspunkte aus - das spezifisch Heidnische? Man hat, soviel auch über

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Kunst geschrieben und gesagt worden ist, diesen eigentlichen Grundnerv des Heidnischen in der Kunstdarstellung, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, man hat ihn nicht hervorgehoben. Wenn Sie - soviel man das aus dem, was noch vorhanden ist, kann - griechische Gestalten studieren, so werden Sie immer wieder und wiederum bewahrheitet finden, daß diese griechischen Ge­stalten realistisch in dem Sinne, wie wir heute von realistisch sprechen, nicht waren. Die Formen des menschlichen Organismus waren von den Griechen nicht so dargestellt, wie es einer unmittelbaren Porträtähnlichkeit mit irgend­einem Modell entsprechen würde, wie es überhaupt entsprechen würde einem bloßen Abbilde des menschlichen Leibes, wie er auf der Erde herumwandelt; die Griechen hatten schon einmal einen Ideal-Leib im Sinne. Und in diesem Ideal-Leib, den sie im Sinne hatten, da verkörperten sie eigentlich etwas ganz anderes, als was das menschliche Auge am Modell sehen kann. Man muß, um die hauptsächlichsten der griechischen Körperformen richtig zu verstehen, der künstlerischen Körperformen, absehen von dem, was das Auge am Modell an Formen sieht, man muß durchaus festhalten an dem, was ich ja im vorigen Jahre hier schon hervorgehoben habe: daß der Grieche eigentlich gestaltete nach dem Innengefühl, das er im Leibe hatte. Er gestaltete einen Muskel nicht nach der Form, wie ihn das Auge sieht, sondern wie er ihn empfand, wie sein inneres Gefühl mitging mit der Beweglichkeit, mit dem Gestrafften, mit dem Anspannen des Muskels. Er drückte aus in der künstlerischen Materie dieses innere Gefühl, das er von seiner Leiblichkeit hatte.

Wodurch war dies allein möglich? - Ja, das war allein dadurch möglich, daß der Grieche, wenn er seine Gedanken auf das Leibliche des Menschen lenkte, bei einer weitaus größten Anzahl seiner bildnerischen Schöpfungen ab-sah von dem Individuell-Seelischen des Menschen. Davon sah er ab. Er sah, indem er den Leib des Menschen gestaltete, eben nur auf das Leibliche. Aber bitte: er sah so auf das Leibliche, daß er dieses Leibliche betrachtete als ein Ergebnis des ganzen Kosmos, auch als ein spirituelles Ergebnis des ganzen Kosmos. Wenn Sie eine Zeus-Gestalt, eine Pallas-Athene-Gestalt, eine Apollo-Gestalt, eine Aphrodite-Gestalt nehmen, so finden Sie Seele darinnen. Aber diese Seele, die Sie in diesen Gestalten finden, ist nicht die individuelle menschliche

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Seele, sondern es ist die Seele, die lebt als ein Ergebnis des ganzen Kos­mos: Weltseele in der menschlichen Gestalt. Man könnte sagen: das, was der Grieche da auf diesem Gebiete als Seele betrachtete, suchte er durchaus außer­halb des Menschen als ein Ergebnis des ganzen Weltalls so, daß er sich dachte, wie die Kräfte des Weltalls zusammenwirken, um die Krone ihrer Gestaltungs­kraft, die Krone ihrer Schöpfermacht hervorzubringen, den menschlichen Organismus. Wie konzentriert die schöpferischen Kräfte des ganzen Welten-alls, so gestaltete der Grieche den menschlichen Organismus. In diesem grie­chischen Organismus bei solchen Gestalten, wie ich sie aufgezählt habe, da finden wir also den konzentrierten Ausdruck dessen, was gesetzebildend durch die ganze Kultur, aber auch durch das ganze Geistesall waltet: das Schöpferische des Kosmos auf den Menschen konzentriert.

Man möchte sagen: der Grieche gestaltete den Leib in der folgenden Weise. Ja, es sieht sonderbar aus; aber viel richtiger, als man denkt, ist das­jenige, was ich jetzt sagen werde. Man denke sich den Menschen einschla­fend, so daß die Seele, also das Ich und der astralische Leib außerhalb des Leibes sind, und jetzt den schlafenden Leib durchseelt von Universal-Seeli­schem, eingenommen von dem Seelischen, das dem Kosmos angehört, von dem Seelischen, das vertrieben worden ist aus dem menschlichen Leib da­durch, daß das Individuell-Seelische während der Erdenentwickelung in den Menschen hineinfuhr, dann hat man dasjenige, was den Griechen begeisterte zu der Ausprägung der besonderen Menschenformen bei solchen Gestalten, wie ich sie angeführt habe. Nicht als ob der Grieche kein Verständnis gehabt hätte für das Individuell-Seelische; aber er sah dieses Individuell-Seelische noch nicht durchdringend die menschliche Form; die menschliche Form war ihm noch etwas Universell-Individualistisches. Und so kommt es denn, was merkwürdig genug ist, daß das Individuell-Seelische, das spezifisch Mensch­lich-Seelische in der griechischen Kunst eigentlich nur dann auftritt, wenn der Grieche jetzt nicht diejenigen Gestalten darstellt, die für die griechische Kunst in ihrer Höhenentwickelung die typischen sind. Wenn der Grieche den Apollon oder den Zeus, die Pallas Athene oder die Hera oder die Aphrodite darstellt, dann stellt er etwas Typisches dar; wenn er nicht diese darstellt, wenn

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er Satyre und Faune darstellt, dann stellt er dar, was er dem Individuell-Menschlichen zuschreibt, was er jeder Seele zuschreibt, die mit dem Aufwa­chen in den Leib hineinfährt und mit dem Einschlafen aus dem Leib herausgeht.

Sehen Sie, das ist das Eigentümliche der heidnischen Kunstentwickelung in ihrer höchsten Ausgestaltung in Griechenland. Die spezifisch menschliche Seele ist noch nicht in den Kunstformen darinnen, wenn diese Kunstformen den Ideal-Typus annehmen. Dagegen ist dasjenige, was als menschliche Seele wirkt, was an Emotionen, in Impulsionen die menschliche Seele durchzieht, noch in diesen Gestalten, mit Vorliebe den Satyr- und Faun-Gestalten, man könnte sagen, mehr ans Tierische erinnernd. Wenn der Grieche den Apoll darstellte, so lebte in dem Apoll eine noch übermenschliche, überindividuelle Seele in der künstlerischen Gestalt des Apollo. Ein Herüberschwenken zum Menschlichen finden wir erst, indem der Grieche darstellt den Merkur-, den Hermes-Typus. Den finden wir ja auch sehr viel - Sie können das studieren am Hermes-Typus - an den Faun-, an den Satyr-Typus angelehnt. Man möchte sagen: es war Überzeugung der griechischen Kunst, daß die Menschenseele noch nicht so weit ist in ihrer Entwickelung, daß sie ihre eigenen Kräfte im menschlichen Leib darstellen dürfe, wenn dieser Menschenleib in seiner vollen Schönheit herauskommen soll.

Gehen wir nun gar weiter zurück hinter die griechische Kunst, gehen wir in die orientalischen Kunstformen hinein, dann haben wir völlig Kosmisch-Universelles in den Formen zum Ausdruck kommend. So daß die griechische Kunst schon die letzte Blüte ist dieses Kosmisch-Universalistischen, das man in und durch die menschlichen Formen zu bewältigen versuchte. Es ist außer­ordentlich bedeutsam, daß man dieses ins Auge faßt.

Nun, man möchte sagen: wie der Christus ein Erlöser wurde mit Bezug auf die übrige Kräfteentfaltung der Menschheit, so wurde er auch ein Erlöser mit Bezug auf diese Kunstanschauung. Man stelle sich vor, daß ein bedeuten­der Geist sich die Frage gestellt hätte: wie kann man hinaufidealisieren so, daß dadurch auch etwas Kunstgemäßes zum Ausdruck kommt, etwas Geisti­ges zum Ausdruck kommt, etwas Menschliches zum Ausdruck kommt, wie kann man hinaufidealisieren dasjenige, was man früher sich nur getraute darzustellen

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in den genannten Abweichungen vom Ideal-Typus, im Faun, im Sa­tyr und so weiter. Wie kann erlöst werden das spezifisch Menschliche in bezug auf die Form, wie kann idealisiert werden dasjenige, was man im Altertum nicht hat idealisieren wollen, sondern gerade im Gegensatz zum Göttlich-Menschlichen als das Allzumenschliche hingestellt hat? - So ist diese Frage ja allerdings niemals ausgesprochen worden auf dem physischen Plan. Aber be­antwortet wurde sie von der weitergehenden Kunstentwickelung. Sie ist ja im Grunde genommen auch von der Geschichte der Menschheit beantwortet worden.

Es wird immer zu den außerordentlich interessanten Tatsachen gehören, daß derjenige Mann in Griechenland, der so tief in das griechische Leben ein­gegriffen hat, daß sich in seinem eigenen Schicksal gewissermaßen das Erlöser-Schicksal wie vorbereitete, - daß Sokrates traditionell nicht einen Ideal-Typus des Griechentums darstellt, sondern eher etwas vom Satyr oder Faun.

Es ist, als ob die Weltgeschichte selber das spezifisch Menschliche erst hätte heraufarbeiten wollen aus dem Untermenschlichen.

715 Sokrates London, British Museum

Und so sehen wir denn, daß der weitere Fortgang in der Formgestaltung der ist, daß dasjenige, was noch nicht durchbricht an Ideal-Menschlichem in der griechischen Gegenkunst, in der Satyr- und Faun-Kunst, sich zum Durch­bruch verhelfen will, indem es ergreifen will dasjenige, was man nur als Men­schengestalt hat vom Kosmos erlangen wollen. Das Individuell-Menschliche bricht ein in dasjenige, was nur in Gemäßheit der aus dem Kosmos gewon­nenen spirituellen Linien und Formen gestaltet worden war. Die orientali­schen Formen mussen wir noch durchaus im Kosmischen suchen; die abend­ländischen Formen in dem Individuell-Menschlichen.

So sehen wir, daß sich umwandelt in dem Moment, wo man das Heid­nische überwinden will, gerade der Christus-Typus, so daß, ich möchte sagen, das spezifisch Menschliche in dieses Kosmisch-Typisch-Allgemeine wie hin-einfährt. Beobachten Sie nur, wie das nach und nach hineinfährt in das All­gemeine.

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Hier haben wir eine

716 Katakombenmalerei eine Christus-Darstellung

aus etwas späteren Zeiten der alt-christlichen Kunst, bereits mit einem Bart-ansatz, während viele Christus-Darstellungen der ersten Jahrhunderte bartlos sind. Aber wir sehen, wie hier durchaus nicht mehr das Bestreben ist, bloß das Kosmische in der Gestalt zu verwirklichen, sondern wie dieses Kosmische kämpft mit dem Individuellen, das sich heraufarbeitet. Das Kosmische über­wiegt hier noch, aber es überwiegt eigentlich nur als Tradition. Dasjenige, was man übernommen hatte aus dem Orientalisch-Griechischen, das wiegt noch vor. Und es wiegt noch lange vor. Erst allmählich geschieht dieses Hin­einfahren des Spezifischen, des Individuell-Menschlichen in diese Formen. Und so sehen wir, wie das ganz allmählich geschieht.

Ich habe Ihnen hier dann zu zeigen im nächsten Bilde eine

717 Katakombenmalerei Christus inmitten der Apostel

Da sehen Sie schon - es gehört auch den ersten Jahrhunderten an -, wie das Bestreben besteht, die Linien, die aus dem Kosmos stammen, zwar noch beizubehalten in der ganzen Anordnung und so weiter, aber wie etwas spezi­fisch Menschliches hineinfährt. Eben dadurch entstand dieser merkwürdige Streit, der ja in diesen alten Jahrhunderten von besonderer Bedeutung ist, die­ser alte Streit: wie man den Christus darzustellen habe; ob man ihn darzustel­len habe so, daß er mehr der Apollinischen Schönheit entspricht, oder ob man ihn individuell-menschlich-seelisch darstellen dürfe. Ihn individuell-mensch­lich-seelisch darzustellen, das wird das Bestreben. Und das ist jetzt das Eigen­tümliche, sehen Sie. Da vollzieht sich nämlich einer jener Umschwünge, wie wir ihn kennengelernt haben auf einem anderen Gebiete in den letzten Tagen:

das Individuell-Menschliche darzustellen, einfach dasjenige, was man früher verpönt hat, heraufzuholen. Das entwickelt sich gerade im höchsten Maße innerhalb der griechischen Strömung - während sich im Westen, im Lateiner­tum, die Fortsetzungen bildete desjenigen, was einmal so recht östlich war -, einen gewissen kosmischen Typus herauszugestalten. Das war in einer Zeit,

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als allerdings die Kunstentfaltung des Westens zur Neige ging und man nicht mehr recht darstellen konnte.

Und so kam es denn, daß in der Darstellung der Christus-Form selbst der östliche, der orientalische, der byzantinische Typus siegte, und daß man den individuellen Christus nicht einführte. Aber weil die Kunstentwickelung dazumal abwärts ging, so kann man sagen, degenerierte dieser Typus; er be­hielt nicht die erhabene Würde bei, die ihm der Orient geben wollte, sondern er bekam etwas, man möchte sagen, das Menschheitliche abwärts Treibendes. So etwas bekam er, was die Eigenschaften des Menschlichen in eine Art von Degeneration hineintrieb. Das Haar wurde gescheitelt, der Bart nahm beson­dere Formen an, der Gesichtsausdruck wurde so, daß man sah: das Über-menschlich-Kosmische sollte überwunden werden, überwunden gerade durch das Menschliche. Aber man war noch nicht in der Lage, dieses Menschliche wirklich in einer Art Ideal-Typus heraufzugestalten.

Dies sehen wir, wenn wir die weiteren Christus-Bilder auf uns wirken lassen, zum Beispiel selbst dieses sehr schöne

718 Mosaik Christus-Bild San Vitale in Ravenna

in welchem wir allerdings noch große Schönheit, Kosmisch-Universelles fin­den, in welchem aber schon der Versuch gemacht ist, das Menschliche hinein­zubringen.

Noch deutlicher tritt uns das auf einem der ausdruckvollsten Bilder ent­gegen, auf dem Bilde von Monreale:

719 Mosaik Christus

Das ist ein Bild, das durch die wunderbare Wirkungskraft des Mosaiks den denkbar größten Eindruck macht. Aber gerade an diesem Bilde sieht man den Kampf jener beiden Strömungen, von denen ich Ihnen gesprochen habe. Und gerade durch diesen Kampf gehört dieses Bild mit zu dem Interessante­sten, was vorhanden ist.

Das alles gehört zusammen mit dem allgemeinen Gang der Menschheits-entwickelung. Wir sehen wie in einer Schleifenlinie das Individuelle hinüberspringen

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in den Osten, dasjenige, was sich abstrahierendes Kosmisches ist, herübergehen nach dem Westen. Ich sage: sich abstrahierendes Kosmisches herübergehen nach dem Westen! - Wenn man das verstehen will, so muß man sich allerdings ganz hineinversetzen in diejenige Wesensart, seelische We­sensart, welche im Römertum zu finden ist. Bedenken wir doch, was dieses Römertum war. Man muß sich da frei machen von all dem, was ja gerade dem gebildeten Menschen heute so eingeimpft ist, weil er das Römertum aufnimmt durch die Schule, weil unsere ganze Bildung eigentlich vom Römertum aus­geht. Aber man muß nicht vergessen, daß der eigentliche Inhalt des Römer­tums, wenn wir die erste große Blütezeit des Römertums betrachten, daß diese erste Blütezeit ihren Inhalt zwei Jahrhunderte lang vom Griechentum hat, bis zur Blüte des Römertums unter dem Julischen Kaiserhause. Also un­gefähr 150 bis 200 Jahre vor dem Mysterium von Golgatha und dann noch etwas darnach sehen wir, wie das griechische Bildtum, die griechische Kultur übernommen wird von dem phantasielosen Römertum, wie dieses phantasie-lose Römertum sich aneignet den griechischen Inhalt. Dasjenige, worinnen Rom immer groß war, das ist gerade durch jene eigentümliche Verschleifung, von der ich gesprochen habe, die Übertragung des abstrahierten Kosmischen auf menschliche Angelegenheiten. In Rom entstand das besondere Talent, Weltherrschaft zu begründen, dieses besondere Talent, Weltherrschaft zu be­gründen, das in alten Zeiten - als die Verschleifung noch nicht geschehen war, die sich hier bildet, das Übereinandergreifen - die Eigentümlichkeit war der orientalischen großen Reiche der dritten nachatlantischen Kulturepoche, - das ging über auf das Römertum. Weltherrschaft war ja das Ideal des Römertums. Die ganze damalige Kulturwelt unter die Herrschaft Roms zu bringen, war das Ideal der römischen Kaiserzeit. Den Inhalt ließ es sich geben, dieses Rö­mertum, vom Griechentum, das fortgeschritten war zu der Sehnsucht, Indivi­duelles zu gestalten. Ja, man empfand innerhalb des Römertums diese grie­chische Sehnsucht, Individuelles zu gestalten, sogar als Häßlichkeit; so daß das Lateinertum den griechischen Typus zwar übernahm, aber sich erst sträubte, weil es einen schönen Typus wollte, und weil dieser ihm zuerst gar nicht als schön vorkam, sondern als häßlich. Es erinnerte sich schon der Lateiner an

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den alten Faun- und Satyr-Typus, der hier heraufgehoben werden sollte zum Höchst-Menschlichen. Gewissermaßen kam innerhalb des griechischen Wesens selber der kosmische Typus des Zeus, des Apollon, der Pallas Athene, der Aphrodite in die Dekadenz; und herauf lebte sich dasjenige, was früher nur im Gebiete des Häßlichen dargestellt war, zur veredelten moralischen Schön­heit, die jetzt angestrebt wird.

Daß im Westen vom Römertum ausgehend sich nicht ein ganz anderer Christus-Typus, gerade eine Fortgestaltung des heidnischen Apollo-Typus ausgebildet hat, das ist nur dem Umstande zuzuschreiben, daß man in Italien zur Zeit dieser Jahrhunderte die bildnerische Erfindung, die Fähigkeit der eige­nen bildnerischen Erfindung nicht gehabt hat, sie überhaupt nicht gehabt hat, weil das Römertum eigentlich in seinem Wesen phantasielos ist.

Wir können nun weitergehen. Sehen Sie, wir finden dann brachliegende Jahrhunderte, Aneignung des Griechischen, aber zu gleicher Zeit Verfall im Römertum. Eine Periode der Hoffnung tritt erst wiederum in der Zeit auf, als Augustinus, aber jetzt von Griechenland herüber das Christentum über-nehmend, erscheint. Wiederum dieselbe Erscheinung: das Römertum schickt sich an, die geistliche Weltherrschaft an sich zu reißen, eignet sich aber wie­derum an dasjenige, was an Inhalt gezeugt worden ist von Griechenland. Die­selbe Erscheinung.

Das war ja zu gleicher Zeit diejenige Periode, in der Hieronymus die Bi­bel übersetzte ins Lateinische. In den folgenden Jahrhunderten entwickelte sich eigentlich alles so von Rom aus, daß das Bestreben ging, Rom zum Mit­telpunkte der irdisch-menschlichen Weltordnung zu machen. Diese soziale Struktur der Welt einzuprägen, das Kosmische, aber jetzt ganz verabstrahiert, das war dasjenige, was sich da ausbildete. Und in der Kunst ging das - so­weit man von Kunst in der damaligen Zeit sprechen konnte - bis ins 13. Jahrhundert hinein parallel damit, daß man immer wieder und wiederum von den Anregungen, die vom Osten herüberkamen, das aufbaute, was man eben aufbauen wollte. Und so sehen wir, daß dann abgeschlossen wird diese Peri­ode mit Kunstformen auch in bezug auf den bildnerischen Ausdruck des Christus Jesus selber, die durchaus nichts Neues gebracht haben, sondern

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den griechisch-orientalischen Typus nach dem Westen herübergeholt haben. Dies ist ja im wesentlichen dasjenige, was wir bei Cimabue zum Ausdruck gebracht sehen.

Nun wollen wir gerade im 13. Jahrhundert wiederum festhalten die Gestalt, die der Christus-Typus angenommen hat:

720a 7 Cimabue Christus am Kreuz

Sie sehen hier bei Cimabue etwas, was sich, ich möchte sagen, Ihnen die gan­zen vorigen Jahrhunderte sogleich in die Seele fahren läßt. Sie sehen, wie dasje­nige, was vom Orient herübergenommen worden ist in das Griechische, wie das da noch lebt. Wir sehen ja, wie auf dem Bilde die Erde mit dem Himmel ver­bunden ist, wie der Himmel tätig ist ebenso in seinem Wesen, wie die Erde tätig ist. Wir sehen aber selbst bei dem gekreuzigten Christus durchaus jene zwei Strömungen noch ineinandergehend, von denen ich Ihnen gesprochen habe.

Das ist an Kunst hineingestellt in eine Welt, die selbst nicht kunstschöp­ferisch sein kann, die die positiven Anregungen für die Phantasie aus dem Osten her doch empfängt.

Das nächste Bild, das wir zeigen werden, ist schon von Giotto:

72Db 36 Giotto (?) Kreuzigung Assisi, San Francesco

Sie sehen förmlich dieses Giotto-Bild aus dem früheren (720a, 7) heraus-wachsen. Sie sehen noch immer den Himmel mitwirkend in seinen Wesenhei­ten. Noch immer ist nicht völlig herabgestiegen dasjenige, was aus dem Uni­versalistischen der Welt herausgestaltet werden sollte ins Irdische. Aber wir sehen schon das Irdische, das noch ganz verschämt und schamvoll im grie­chischen Satyr- und Faun-Typus pulsiert, das sehen wir heraufsteigen, seine Herrschaft ausbreiten, sich idealisieren, das Menschliche geltend machen. Denn das, was da herauswollte, durfte sich erst dann zeigen der Welt, als es durch­christet war.

Man könnte sagen: dreierlei läßt sich unterscheiden. Erstens jene For­men, in denen kosmische Seelenhaftigkeit lebt, sie finden wir in der alten Kunst. Sie finden wir dann im Kampfe mit dem Menschlich-Seelenhaften in

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dem ersten Auftreten der christlichen Kunst. Sie sehen wir noch immer im Kampfe in solcher Gestaltung, wie wir sie da vor uns haben. Das Kosmische ist überall noch - ich meine das Spirituell-Kosmische, nicht das Kopernika­nisch-Materiell-Kosmische, sondern das Spirituell-Kosmische -, überall durch­schimmernd, aber zu gleicher Zeit von unten auf das spezifisch Menschlich­Seelenhafte hinstrebend; dasjenige, was von der Seele aus dem Körper seine Form gibt, das will sich nach oben bringen. Das wäre also das zweite, was ich hervorzuheben hätte, wo die beiden im Kampfe miteinander sind, wo das Menschlich-Seelische dem Kosmisch-Seelischen gegenübertritt. Und vielleicht bei keinem Künstler sehen wir diesen Kampf in einer so intensiven Weise, als gerade bei Giotto. Daher ist es immerhin interessant, sich gerade bei Giotto diesen Kampf anzusehen. Giotto strebt von der einen Seite her schon ganz wesentlich nach dem Modell hin. Er hat eine starke naturalistische Ader in sich. Aber in ihm liegen noch die allgemeinen, ich möchte sagen aus der gei­stigen Welt empfangenen Formen, die noch völlig dem Cimabue eigen waren.

Das nächste Bild. Da sehen Sie eine andere «Kreuzigung» von Giotto:

721 a 35 Giotto Kreuzigung Padua, Arena-Kapelle

Das vorhergehende Bild war nicht einmal ein echter Giotto, vielleicht sogar von einem anderen herrührend. Hier sehen Sie in echtester Weise Giotto. Hier sehen Sie noch beibehalten den Himmel, durchaus noch mitwirkend. Aber Sie sehen schon hineingefahren dasjenige, was nun auch in die Erlöser-Gestalt - und die interessiert uns ja hauptsächlich heute - etwas vom Leidens-zug der Seele hineinbringt, in die Art, wie der Körper gebaut ist. Da sehen wir schon Menschliches hineinkommen, was man bei einer Apollo-Gestalt noch durchaus nicht sieht.

Ich bitte, mir das Sachliche, das ich jetzt sagen werde, nicht übelzuneh­men. Dasjenige, was ich jetzt sage, sage ich ja ungern in dieser Zeit, aber es hieße Sie verkennen, wenn ich durchaus glauben wollte, daß Sie mir das Sach­liche ganz übelnehmen. Wahrheitsgemäße Forschung ergibt nämlich etwas ganz Besonderes. Wenn wir in einem solchen Bilde, wie es das Giottosche ist, hineinfahren sehen in die alten Traditionen ein neues Element, ein Idealisieren

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desjenigen, was die Griechen nur unidealisiert im Faun, im Satyr haben zum Ausdruck bringen können, ein Heraufidealisieren des Menschlichen, wenn wir das bei Giotto wahrnehmen, so dürfen wir gerade Giotto so wesentlich in Gegensatz stellen zu seinem Lehrer und Meister Cimabue, der sein Römer­tum befruchtet hat noch immer vom Orient herüber. Wie kommt nun etwas ganz Neues hier in die Sache hinein? - Da kommt eben das, was, wie gesagt, jetzt schwer zu sagen ist: es breitet sich aus über die äußeren Punkte, die äußeren Territorien Europas dasjenige, was eigentlich in Mitteleuropa seinen Ursprung hat, was wir ja schon oft in Mitteleuropa entspringend gesehen haben: der Impuls, der neue Impuls, das Individuell-Menschliche seelisch zu gestalten. Es fließt wenig altes Römerblut zum Beispiel in den heutigen Ita­lienern, wahrhaftig recht wenig. Da ist vieles, vieles hineingeflossen - man studiere nur die Geschichte, soweit sie sich studieren läßt nach äußerlichen Urkunden -, da ist vieles hineingeflossen, was mitteleuropäisches Blut war:

Daher kam die Befruchtung. Dasjenige, was in Giotto lebt als naturalisti­sches Prinzip, seelisch-naturalistisches Prinzip, das ist entstanden durch Be­fruchtung des Römertums, des phantasielosen Römertums mit dem, was von Mitteleuropa ausgeströmt ist. Das Römertum ist eigentlich groß nur in den Ideen, die sich damit beschäftigen, die soziale Struktur im Sinne einer abstra­hierten Kosmologie zu gestalten; dasjenige, was man eigentlich «Staat» nen­nen kann, das ist im Speziellen wirklich römisches Produkt, ist aus römischer Geistigkeit heraus gestaltet. Der Staat, der sich ausbreiten will, überall, wo er entsteht, ist er eine Kopie desjenigen, was aus dem Römerkopf als dessen Ureigenstes entspringen mußte.

Wir gehen zum nächsten Bild, das wiederum ein Giotto ist

721b 32 Giotto Christus thronend

Wir sehen hier einen Christus. Ich habe ihn ausgewählt aus dem Grunde, weil in diesem Bilde Giotto wohl am meisten dafür begeistert ist, den alten Typus herüberzunehmen vom Orient. Allein, sehen Sie sich dieses Gesicht an, wieviel er Individuelles hineingebracht hat! Sehen Sie sich jeden Finger an der aufgehobenen Rechten, wieviel er in diesem Bilde Individuell-Seelisches hineingebracht

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hat, wieviel da im besten Sinne Spirituell-Naturalistisches darinnen lebt! Da tritt allmählich dasjenige ein in die südliche Kunst, was sich eben verbindet mit dem orientalischen Wesen, mit dem kosmologisch-orientali­schen Wesen; dasjenige tritt ein, was sich in Mitteleuropa selbst - wir haben die Bilder gesehen - in seiner Reinheit gibt, ohne das kosmologische Wesen, bloß aus dem Menschlich-Seelischen heraus.

Das nächste Bild ist wiederum ein Giotto:

722a 21 Giotto Die Taufe Christi

Auch hier sehen Sie noch hereinspielen den Himmel in die Erde. Aber wenn Sie gerade die Christus-Gestalt selbst ins Auge fassen: Sie werden fin-den, wie Giotto sich bemüht, das Seelische in der göttlichen Gestalt zum Aus­druck zu bringen, nicht nur in dem Antlitz, in der ganzen Gestalt, in der Haupthaltung und Handgebärde.

Hier haben wir, wiederum von Giotto, ein Abendmahl:

722b 34 Giotto Abendmahl

Sie sehen den Christus links darauf, zum Teil durchaus der Schatten des griechischen Christus-Typus zum Ausdruck kommend, dennoch aber der Versuch, auch da das Seelisch-Individuelle heraufzuheben. Überall sehen wir diesen Einschlag, und so sehen wir das Merkwürdige, daß sich Strömungen, die im eminentesten Sinne künstlerisch sind, die orientalischen und die noch von dem alten persischen Kulturimpulse abhängigen mitteleuropäischen, ich möchte sagen, ein Rendezvous geben auf einem eigentlich unkünstlerischen, bloß für staatliche Strukturen veranlagten phantasielosen Boden.

Noch ein Giotto:

723a 40 Giotto Einzug in Jerusalem

was ich wiederum gewählt habe, um Ihnen dasselbe Phänomen vor Augen zu führen. Gerade wenn man den Christus in diesen verschiedenen biblischen Szenen ins Auge faßt, so sieht man, wie Giotto bemüht ist, das Seelische in­dividuell zum Ausdruck zu bringen.

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723b 33 Giotto Dornenkrönung

Wir wollten eben diese Wandlungen der Christus-Gestalt selbst Ihnen heute bringen durch diese Jahrhunderte.

Nun gedenken Sie der ersten tastenden Versuche, die wir in der alten christlichen Kunst gefunden haben. Gewiß, es ist vieles abhängig von dem Ma­terial, aber daß man das Material verwendet hat, daß man es gerade für diese Ideen brauchbar gemacht hat, das ist auch das Bezeichnende, das man da sieht. - Nun

724a 31 Giotto Auferstehung

Überall werden Sie bewahrheitet finden das, was ich zu dem Zusam­menfluß dieser beiden Strömungen ausgesprochen habe. Aber zugleich sehen Sie die Intensität, mit der das griechische Christus-Ideal weiterwirkt. Denn als Hintergrund, möchte ich sagen, in den schaffenden Kräften des Künstlers ist es ja doch noch überall vorhanden.

Nun kommen wir etwas weiter. Ich habe nun ein Bild ausgewählt aus dem 14. Jahrhundert von Orcagna, das Ihnen den «Christus als den Welten-richter» darstellt:

725 Orcagna Weitgericht

Es ist aus der Kirche Santa Maria Novella in Florenz. Und hier sehen Sie bei noch deutlichem Festhalten des alten Typus eine vollständige Individuali­sierung angestrebt, zart Seelisches hervortretend.

Wir stehen damit schon im 14. Jahrhundert. Die verschiedenen Entwicke­lungsströmungen der menschlichen Kultur bewegen sich mit verschiedenen Geschwindigkeiten. Wir sehen bis hier hereinspielen immer noch nicht nur den griechischen Christus-Typus, sondern wir sehen hereinspielen auch etwas von den Begeisterungskräften, die in der orientalischen Kunst sind. Ich möchte sagen: in all diesen Bildern kommt noch nicht zum Ausdruck, was in der rö­mischen Weltherrschaftskirche, und zwar mit vollem historischem Rechte -das ist ja keine Kritik, die ich sage, sondern es sind nur Tatsachen, die ich anführe

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- aus dem römischen Weltherrschaftsrechte heraus schon seit dem 9. Jahrhundert sich angebahnt hat. Griechentum lebt eigentlich noch in der Kunst, vermischt mit wenig Mitteleuropäischem.

Verstanden, daß das so sein müsse, das hat man von der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts von Rom aus sehr gut. Man hat gewußt: es muß zurück-gestaut werden, wie ich mich einmal ausgedrückt habe, das östliche Wesen. Es muß durchdrungen werden das Abendland mit dem, was wie aus dem Grunde des abendländischen Volkslebens selbst zur Höhe arbeiten will. Wir sehen da heraufkommen eine Gesinnung, die ich Ihnen damit charakterisiert habe, daß ich es als freies Städtetum charakterisiert habe, dieses freie Städte­tum, das von Mitteleuropa seinen Ausgangspunkt genommen hat und sich über die verschiedenen anderen Territorien verbreitet hat. Dieses freie Städte­tum hatte den Drang, in sich das spezifisch Menschlich-Seelische zum Aus­druck zu bringen. Jetzt, im 9. Jahrhundert, verstand man in Rom, daß man Rechnung zu tragen hat diesem europäischen Impulse und trug ihm Rech­nung. Dasjenige, was aber nun durch die Institutionen der Weltenkirche ging, was die spezifisch westliche Form des Katholizismus ausmachte, im Gegen-satze zu dem, was nach dem Orient zurückgestaut war, das kam eigentlich erst spezifisch zum Ausdruck in demjenigen Künstler, der die Kunst, die Ma­lerei so recht katholisch machte, in dem wunderbaren Fra Angelico:

724b 65 Fra Angelico Abendmahl

Hier erst sehen wir, wenn wir Verständnis für solche Dinge haben, das westlich-katholische Element über die Kunst ausgegossen. Der Unterschied zwischen dem vorigen (725) und diesem Bilde (724b, 65), auch zwischen dem vorigen Abendmahl (722b, 34) und diesem Bilde (724b, 65) - er ist ein ungeheurer. Denn in diesem Bilde lebt, ebenso wie darinnen eine liebens­würdige Kunst lebt, so lebt in diesem Bilde eine westkatholische Gesinnung. Sie sehen die Formen, zu denen es das Meßopfer gebracht hat, ebensogut in diese Komposition des Bildes hineingeheimnißt wie die Erinnerung an das Abendmahl vor Golgatha. Sie sehen nicht nur das Abendmahl vor Golgatha, Sie sehen die Fortwirkung dieses Abendmahles in dem katholischen Meßopfer

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in der Komposition dieses Bildes darinnen. Katholisches Fühlen des Abendinahles ist über dieses Bild, vor allen Dingen über die Gestalt des Erlö­sers ausgegossen. Hier erst wird der Erlöser das Vorbild des abendländischen Priesters in der Kunst. In Wirklichkeit ist er es ja schon früher, in der äuße­ren Wirklichkeit.

Wir sehen also jetzt die römische Weltherrschaftskirche ihre Herrschaft auch über die Kunst in ganz entschiedener Weise ausbreiten. Wir können von Giotto noch sagen, daß er aus einer freien individuellen Seele heraus das künst­lerische Opfer dem Franz von Assisi gebracht hat. Hier sehen wir in Fra Ange­lico denjenigen, der ebenso malt wie er Messe liest in San Marco in Florenz. Es geht die Aura des Katholizismus durch diese Bilder. Es ist nicht mehr das individuelle Opfer, sondern es malt die Kirche mit.

Nicht minder sehen Sie das bei dem nächsten Bild von

726a 64 Fra Angelico Kreuzigung

Das Katholische malt mit in der Kunst.

Ich bitte, sich nur einmal recht genau das nächste Bild anzusehen, wo Sie sehen können, wie wirklich das Wesen der katholischen Kunst, dieses katho­lische Organisieren so lebt, daß selbst im Weltgericht, ich möchte sagen, die Kräfte der katholischen Kirche bis in das Reich der überirdischen Wesen hin­ein organisierend wirken.

726b 6869 Fra Angelico Weltgericht

Dies finden wir nunmehr sich steigernd bei einem anderen Frater, vori dem ich Ihnen das folgende Bild zeigen möchte:

727 Fra Bartolorneo Christus und die vier Evangelisten

Aber hier sehen wir nun, ich möchte sagen, das dritte Stadium des interes­santen Prozesses. Hier sehen wir hineinspielen ein neues Auffrischen, jetzt durch das wiedererstandene alte Griechentum. Das fährt nun wiederum hin­ein, das alte Griechentum.

#SE292-334

Und so sehen wir, wie eine Zeitlang der von dem individualisierend See­lischen ergriffene Christus-Typus, der uns ja heute vorzugsweise interessiert, wie der gewaltet hat. Nehmen Sie die ganze Gestaltung, wie er geworden ist von dem, in dem kosmische Kräfte walten im Anfange, der dann das Indivi­duell-Seelische aufgenommen, gerade durch den griechischen Impuls immer mehr umgestaltet hat, wie er immer mehr individualisiert und individualisiert worden ist. Wie ist dieser Christus individualisiert, meine lieben Freunde? Jetzt sehen wir, wie neuerdings eingreift, einfließt die Antike, hier noch ganz wenig, aber sie ist schon darinnen. Es ist schon wiederum ein Herausarbeiten aus dem Charakteristischen in das Typisch-Schöne hinein. Und das können Sie fortgehend bemerken. Denn das ist eigentlich das Geheimnis der Renais­sance. Indem diese Bilder, die ich Ihnen jetzt noch zuletzt zeige, der Aus­gangspunkt wurden für die Renaissance-Künstler, sehen wir eben in den Re­naissance-Künstlern das Griechentum vollständig erneuert wieder herauf­kommen; aber nicht hineinkommen in das, was erobert war durch die Gestal­tung des Individuellen.

Hier haben Sie ein Abendmahl von Andrea del Sarto:

728 Andrea del Sarto Abendmahl

das in Florenz ist. Wiederum schöne Gestalten; also etwas noch das Bewußt­sein des Kosmischen, das der Grieche noch hatte, etwas von den Traditionen des Kosmischen wiederum in die Gestalten hineinbringend; nur aus der Tra­dition heraus, nicht mehr aus der unmittelbaren Anschauung, dem unmittel­baren Erfühlen, wie das beim Griechen war. Das finden wir dann hier; das ge­staltet sich aus und wird zu Raffael, Lionardo da Vinci, Michelangelo. Sie sehen es werden, das, was dann bei Lionardo da Vinci besonders geworden ist, in diesem Bilde, eine Taufe, von Verrocchio, dem Lehrer des Lionardo

729a 92 Verrocchio Taufe Christi

Das gleiche Motiv noch bei Masolino aus derselben Zeit.

729b 50 Masolino Taufe Christi

#SE292-335

Jetzt wollen wir noch einmal einschieben das Bild «Die Taufe» von Giotto:

722a 21 Giotto Die Taufe Christi

Sehen Sie sich diese Taufe an, wo Sie noch den Kampf der beiden Prinzi­pien haben, ohne den griechischen Einschlag, also ohne den altgriechischen, ohne den antiken Einschlag, den neuen griechischen, den christlichen Ein­schlag ganz besonders stark haben.

Und jetzt führen wir noch einmal die zwei anderen Bilder vor:

729a 92 Verrocchio Taufe Christi

729b 50 Masolino Taufe Christi

Sie sehen, wie Renaissance wirkt. Und aus Verrocchio wird dann Lio­nardo; vielleicht hat sogar Lionardo an diesem Bilde schon mitgearbeitet.

Jetzt möchte ich Ihnen zum Schlusse nur noch zwei Bilder zeigen, an denen Sie sehen können, was von Norden, von Mitteleuropa herüberkom­mend, eben sich mit all dem anderen, das ich Ihnen gezeigt habe, vermischt hat. Hier haben wir ein rein nordisches Produkt, den Schmerzensmann, den von Dürer:

730a 303 Dürer Der Schmerzensmann

Hier haben wir das Bestreben ohne allen kosmischen Einschlag: den Menschen in dem Christus.

Hat Fra Angelico ausgegossen über sein künstlerisches Schaffen das Ka­tholische, hier sehen wir die Aufbäumung gegen die Weltherrschaft; hier sehen wir dasjenige, was aus der menschlichen Individualität heraus seinen Christus gestalten will. Hier arbeitet an einem Bilde nur ein einzelner Mensch. Als Fra Angelico in der San Marco-Kirche in Florenz malte, malte die ganze katho­lische Gesinnung mit. Hier arbeitet ein einziger Mensch aus seiner biblischen Vorstellung heraus. Das ist hier geblieben in dieser Zeit. Später kam die Re­naissance ja herauf; aber nach Süden ist es gezogen, was sich mit den anderen Strömungen vermischt hat.

#SE292-336

Ich habe dann noch ein anderes Bild:

730b 311 Dürer Christus am Kreuz

das Ihnen dasselbe darstellen soll.

Diese Dinge sollten uns zeigen, wie durch Jahrhunderte hindurch die Christus-Gestalt sich gewandelt hat. Ich habe aus den späteren Jahrhunder­ten nur eben diese zwei Bilder vorgeführt. Ich möchte im weiteren Fortlaufe dieser Betrachtungen, wenn sie möglich sein werden, Ihnen noch zeigen, wie sich die Christus-Bilder weiterentwickeln. Denn man könnte auch eine Welt­geschichte schreiben seit dem Mysterium von Golgatha, indem man nur den Wandel der Abbildungen, die man von Christus machte, beschriebe. Alles das­jenige, was sich in Wirklichkeit zugetragen hat, drückt sich darin aus, drückt sich wirklich darin aus. Und man könnte auch bis in die Gegenwart gehen.

Christus-Darstellungen, die in der Gegenwart versucht worden sind: ich habe ja vor Jahren sogar eine ganze Kollektion von Christussen in einer Aus­stellung gesehen, eines der Bilder war scheußlicher als das andere! Was in der Gegenwart versucht wird, auch das ist ein Abbild desjenigen, was in der Ge­genwart geschieht, was in der Gegenwart zu jenem Chaos geführt hat, in dem wir darinnen leben. Und wenn hier versucht wird - ohne gerade aus der Ab­sicht, wie ich neulich ausgeführt habe, eine Christus-Figur zu schaffen -, wie­derum hineinzutragen dasjenige, was in diesen Gestalten liegt, in die geistige Welt, plastisch, in Anfängen, in ersten Versuchen - malerisch, so gut es geht mit unseren beschränkten Mitteln, so liegt das eben doch auch in der Fortent­wickelung derjenigen Kulturlinie, die in den Realitäten der Menschheitsentfal­tung gegeben ist.

Rudolf Steiner

731 Malerei (Pflanzenfarben) in der kleinen Kuppel des ersten Goetheanum,

Dornach, Ausschnitt mit dem Mittelmotiv, mit Teil des Arcbitravs

732 Malerei (Pflanzenfarben), in der kleinen Kuppel des ersten Goetheanum,

Dornach, Mittelmotiv: Der Menschheitsrepräsentant zwischen Luzifer

und Ahriman

#SE292-337

733 Der Menschheitsrepräsentant zwischen Luzifer und Ahriman, Entwurf

für die Malerei in der kleinen Kuppel des ersten Goetheanum, Dornach,

Pastell

734 Malerei in der kleinen Kuppel des ersten Goetheanum, Dornach, Teil:

Der Menschheitsrepräsentant, Brustbild

735 Antlitz des Menschheitsrepräsentanten, Bleistift-Skizze

736 Plastische Holzgruppe: Der Menschheitsrepräsentant zwischen Luzifer

und Ahriman

737 Plastische Holzgruppe, Teil: Der Menschheitsrepräsentant

738 Modell für die plastische Holzgruppe, Gipsabguß

739 Plastische Holzgruppe, Teil: Kopf des Menschheitsrepräsentanten,

Seitenansicht

740 Plastische Holzgruppe, Teil: Kopf des Menschheits rep räsentanten

741 Studie zum Kopf des Menschheitsrepräsentanten, Plastilin

Und es ist gut, in der Gegenwart sich recht, recht sehr auch zu befruchten mit solchen Ideen, die man von dem Kulturgebiete der Kunst gewinnen kann, auch da sich zu bemühen, ein wenig auf die Wahrheit zu sehen. Denn es werden in der Gegenwart manche Götzen angebetet, welche nur dadurch an-gebetet werden, daß man kein Talent hat, die Wahrheit wirklich zu schauen.

In dieser Zeit (1917), in der es möglich ist zu sagen, daß sich verbünden sollen vier Fünftel der Welt gegen ein Fünftel, in der Zeit, in der so etwas mit jener Gleichgültigkeit hingenommen wird, mit der es hingenommen wird, in der Zeit ist gar mancher Anlaß, die Begriffe, die man aufgenommen hat aus dem historischen Werden der Menschheit, ein wenig zu revidieren.

ZU VORTRAG V ANHANG REDAKTIONELLE BEMERKUNGEN

#G292-1981-SE341 Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse

#TI

ZU VORTRAG V

ANHANG

REDAKTIONELLE BEMERKUNGEN

#TX

Die in den Vorträgen gezeigten Lichtbilder sind im Bildband in der entsprechenden Reihenfolge geordnet. Dabei wurden zwei Ausnahmen gemacht:

Der besseren Übersicht wegen wurden alle Bilder eines Künstlers zusammengestellt, im all-gemeinen bei dessen erster Erwähnung in einem Vortrag; gelegentlich wurden einzelne vorweg erwähnte Bilder zurückgestellt bis zur ausführlicheren Behandlung des Künstlers. Da die Abbil­dungen aber durchlaufend numeriert sind, von 1 bis 741, kann es keine Schwierigkeit bedeuten, sie aufzufinden.

In Vortrag VII (Weihnachtsbilder) und Vortrag XIII (Christus-Darstellungen) wurden viele Bilder nochmals behandelt; deshalb wurden die Abbildungen dazu an den Schluß des Bildbandes gestellt, und zwar nur die erstmals vorkommenden ganzseitig, die wiederholten wurden in verkleinertem Maßstab und mit einer zweiten Nummer, der ein Buchstabe beigefügt ist, in die Reihenfolge des jeweiligen Vortrags eingeordnet.

Die laufenden Nummern beziehen sich also auf die Vorträge I-VI, VIII-XII mit den erwähnten Variationen, dann folgen VII und XIII. - Das Verzeichnis der laufenden Nummern steht am Schluß des Bildbandes.

In den hier folgenden Übersichten über die in den einzelnen Vorträgen gezeigten Lichtbilder, die den Hinweisen zum gleichen Vortrag vorangestellt sind, werden alle weiteren Vorträge, in denen ein Bild erwähnt ist, angegeben, das Gleiche gilt für die Liste der laufenden Nummern und das alphabetische Künstler-Verzeichnis im Bildband.

Die Legenden der Bilder, die im Vortrag - entsprechend den Nachschriften - gelegentlich verkürzt oder abweichend benannt werden, sind von C. S. Picht übernommen worden; wenige eindeutig festzustellende Veränderungen sind berichtigt. Gelegentlich sind im Vortrag zwar er­wähnte, doch erst von Picht beschaffte Bilder aufgenommen; das ist in den Hinweisen vermerkt, wenn es erforderlich schien. Im übrigen sind die Angaben zu den Bildern häufig vereinfacht; Datierung und Zuschreibung sind für die meisten der erwähnten Künstler heute sehr vollständig in den Werkkatalogen der «Klassiker der Kunst», im Kunstkreis Luzern bzw. in anderen neuen Monographien zu finden, ebenso weitere bibliographische Angaben.

Die Hinweise wurden bis auf die dort erwähnte Ausnahme zum II. Vortrag gegenüber der ersten Ausgabe ebenfalls vereinfacht. Beibehalten und ergänzt wurden die zahlreichen Verwei­sungen auf andere Vorträge Rudolf Steiners, da er deren Kenntnis vielfach voraussetzt. Umfang­reichere Anmerkungen von Picht sind mit «P» gekennzeichnet. Grundsätzlich liegt hier (in die­ser Ausgabe) im Rahmen der RudolfSteiner Gesamtausgabe das Gewicht auf dem Vortragstext.

Der Ausführung der Bildwiedergaben wurde besondere Beachtung geschenkt. Glücklicher­weise stand der größere Teil der Bildvorlagen von den früheren Auflagen her zur Verfügung, andere mußten neu beschafft werden. Es liegt nahe, daß bei einer so großen Zahl von Abbil­dungen nicht alle Vorlagen von gleich guter Qualität sind. Im Interesse des Verkaufspreises der Ausgabe wurde jedoch auf wünschbare, aber kostspielige Retouchierarbeiten weitgehend ver­zichtet.

ALPHABETISCHES KÜNSTLER- UND SACHWORTVERZEICHNIS mit den Vorträgen, in denen die Werke besprochen sind

#G292-1981-SE342 Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse

#TI

ALPHABETISCHES KÜNSTLER- UND SACHWORTVERZEICHNIS

mit den Vorträgen, in denen die Werke besprochen sind

#TX

Altdorfer, Albrecht VII

Angelico, Fra Giovanni I, VII, XIII

Baldung, gen. Grien, Hans IV, VII, VIII

Bartolomeo, Fra XIII

Beham, Hans Sebald VIII

Bellini, Gentile VII

Bernward von Hildesheim XII

Bertram, Meister VI

Bosch, Hieronymus VI

Botticelli, Sandro I, VII

Bouts d. J., Dierick VI, VH

Breughel d. A., Pieter VI, VII

Brunellesco, Filippo IX

Carrey IX

Christus, Petrus VI

Cimabue, Giovanni I, VII, XIII

Correggio VII

Cosimo, Piero di VII

Cranach d. A., Lucas III, VII

David, Gerard VI, VII

Donatello IX

Duccio di Buoninsegna I

Dürer, Albrecht III, IV, VII, VIII, XIII

Eyck, Hubert van VI

Eyck, Jan van VI

Fabriano, Gentile da VII

Flémalle, Meister von VI

Francke, Meister VII, VIII

Geertjen tot Sint Jans VI

Ghiberti, Lorenzo IX

Ghirlandajo, Domenico I, VII

Giorgione VII

Giotto di Bondone I, VII, XIII

Goes, Hugo van der VI, VII

Grünewald, Matthias III

Herlin, Friedrich VII

Herrad von Landsberg VII

Holbein d. J., Hans III, VIII

Lionardo da Vinci I, II, VII, XIII

Lippi, Filippino I, VII

Lippi, Fra Filippo VII

Lochner, Stephan III. VI, XI

Luini VII

Mantegna, Andrea I, VII

Masaccio I

Masolino I, XIII

Massys, Quentin VI

Meister vom Oberrhein III

Meister der Ton-Apostel IV

Meister, Unbekannter III

Meister, Unbekannter (Pisa) I

Meister der Veronika III, XI

Memling, Hans VI

Michelangelo II, IV

Moser, Lukas VIII, XI

Multscher, Hans IV, VIII, XI

Orcagna XIII

Patinir, Joachim de VI, VII

Perugino, Pietro I, II, VIII

Piero della Francesca VII

Pisano, Andrea IX

Pisano, Giovanni IX

Pisano, Niccoló VII, IX

Raffael I, II, III, VIII, X, XI

Rembrandt V, VII

Riemenschneider, Tilman IV

Robbia, Andrea della IX

Robbia, Giovanni della VII, IX

#SE292-343

Robbia, Luca della IX

Roger van der Weyden VI, VII

Rubens, Peter Paul V

Sarto, Andrea del XIII

Schongauer, Martin III, VII, VIII

Signorelli, Luca I

Sluter, Claus IV

Amiens, Kathedrale IV

Bamberg, Dom IV

Biblia Pauperum VII

Blutenburg bei München, Kapelle IV

Christus-Monogramme XIII

Elfenbeinschnitzerei XII

Freiberg/Sachsen, Dom IV

Griechische Plastik

(und römische Kaiserzeit) IX, XIII

Halberstadt, Dom IV

Ikone, Italische XI

Ikone, Russische III, VII, XI

Steiner, Rudolf XIII

Stoss, Veit IV

Strigel, Bernhard VII

Traini, Francesco I

Uhde, Fritz von X

Veneziano, Domenico VII

Verrocchio, Andrea II, IX, XIII

Katakombenmalerei XIII

Köln, Dom IV

Miniaturen, diverse VII, XI

Mithras-Relief aus Osterburken VI

Mosaik, Altchristliches VII, XIII

Mosaik, Palermo VII

München, Frauenkirche IV

Naumburg, Dom III

Rom XII

Sarkophage VII, XII

Straßburg, Münster III

Wechselburg, Schloßkirche IV

HINWEISE ZUM VORWORT

#G292-1981-SE344 Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse

#TI

HINWEISE ZUM VORWORT

#TX

Zu Seite

15 in seiner Autobiographie «Mein Lebensgang»: GA Bibl. -Nr.28, Kapitel 37.

15 Russische Künstler ... haben diese Zeit ... beschrieben: Assja Turgenieff-Bugaieff, 1890

bis 1966, Graphikerin und Malerin, mit Andrej Belyj verheiratet, seit 1914 in Dornach

als Schnitzerin und Bühnen-Eurythmistin. Unter Anleitung von Rudolf Steiner führte sie

die Radierung der farbigen Glasfenster für das erste Goetheanum aus und entwickelte

aufgrund dieser Anregungen eine graphische Hell-Dunkel-Schraffurtechnik. Siehe A.

Turgenieff, »Erinnerungen an Rudolf Steiner und die Arbeit am ersten Goetheanum»,

2. Aufl. Stuttgart 1973.

Andrej Belyj, 1880-1934, »Verwandeln des Lebens. Erinnerungen an Rudolf Steiner«,

Basel 1975. Andrej Belyj (Boris Nikolajewitsch Bugaieff) in Deutschland vor allem durch

seine Romane »Die silberne Taube» und »Petersburg» bekannt, einer der bedeutenden

russischen sogenannten Symbolisten (Belyj: «Im Zeichen der Morgenröte. Erinnerungen

an Aleksander Blok», Basel 1974) begegnete 1912 Rudolf Steiner, lebte zeitweise in Dor­

nach, kehrte 1916 nach Rußland zurück, schrieb 1928/29 seine Erinnerungen an die Zeit

mit Rudolf Steiner, die aber erst nach Jahrzehnten in die Schweiz gelangten und somit

erst 1975 erstmals veröffentlicht werden konnten.

Margarita Woloschin, 1882-1973, «Die grüne Schlange. Lebenserinnerungen», 1954.

5. Auflage Stuttgart 1975.

15 Herman Grimm, 1828-1901, Literatur- und Kunsthistoriker, Professor in Berlin. Um­

fangreiche Publikationen über Goethe, Michelangelo, Raffael; mehrere Essay-Bände, No­

vellen. Siehe Rudolf Steiner, »Methodische Grundlagen der Anthroposophie». Gesam­

melte Aufsätze 1884-1904, Bibl.-Nr. 30, GA 1961, S. 365ff und 469, sowie «Der

Goetheanum-Gedanke inmitten der Kulturkrisis der Gegenwart», Gesammelte Aufsätze

aus der Wochenschrift »Das Goetheanum» 1921-1925, Bibl.-Nr. 36, GA 1961, S. 169-186.

15 Triphon Trapesnikoff, 1878-1922, Kunsthistoriker, lebte zeitweise als Mitarbeiter in

Dornach, bereitete die Kunstvorträge vor, besorgte die Lichtbilder. Nach der russischen

Revolution war er Mitbegründer des Kunsthistorischen Instituts in Petersburg und des

Denkmalschutzes. Kehrte später nach Deutschland zurück, starb am Ammersee.

15 «Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umnß dargestellt» (1914), GA Bibl. -

Nr.18, auch als Taschenbuch.

16 Carlo Septimus Picht, 1887-1954, Privatgelehrter, verfaßte die Bibliographie »Das Litera­

rische Lebenswerk Rudolf Steiners», Dornach 1926, und war als Herausgeber, Schriftleiter

usw. im Rahmen der anthroposophischen Arbeit tätig. Siehe C. S. Picht «Gesammelte

Aufsätze und Fragmente», Stuttgart Mellinger-Verlag 1964, mit einem Lebensbild von

Richard Schubert; »Carlo Septimus Picht», Bibliographie und Biographische Notiz von

Robert Friedenthal. Basel, Verlag die Pforte 1971.

#SE292-345

ZU VORTRAG I

Die Wandlung des menschlichen Bewußtseins in der Kunst der sich allmählich herausbildenden italienischen Renaissance im Übergang des vierten nachatlantischen Zeitraums zum fünften:

CIMABUE GIOTTO

UND ANDERE ITALIENISCHE MEISTER

Dornach, 8. Oktober 1916

Abbildungen zu Vortrag I

Die in der rechten Spalte angegebenen Vortragsziffern beziehen sich auf weitere Erwähnung

dieses Bildes.

Eine zweite Ziffer mit beigefügtem Buchstaben weist auf wiederholte Abbildung in kleinerem

Maßstab in einem der Sammelvorträge VJI oder XIII hin.

Giovanni Cimabue

i Madonna mit Engeln und Propheten, Teil. Florenz, Uffizien I 8a

2 Madonna mit Engeln und Propheten. Florenz, Uffizien

3 Madonna mit Engeln und Propheten, vor der Restaurierung

4 Madonna mit Engeln und Propheten, Teil. Florenz, Uffizien

Duccio di Buoninsegna

5 Madonna Rucellai. Florenz, S. Maria Novella

Giotto di Bondone

8 Madonna mit Engeln. Florenz, Uffizien

Giovanni Cimabue

8a Madonna mit Engeln und Propheten. Florenz, Uffizien

Giotto di Bondone

9 Huldigung für den Hl. Franz. Assisi, S. Francesco

10 Die Darstellung im Tempel. Assisi, S. Francesco

i i Die Erscheinung des Hl. Franz. Assisi, S. Francesco

i i Das Wunder des Quells. Assisi, S. Francesco

i 3 Die Armut. Assisi, S. Francesco

#SE292-346

Abbildungen zu Vortrag!

14 Die Auferweckung des Jünglings von Suessa. Assisi, S. Francesco

I 5 Die Beweinung des Hl. Franz durch die Nonnen. Assisi, S. Francesco

16 Der Tod des Hl. Franz. Florenz, S. Croce

17 Joachim bei den Hirten. Padua, Arena-Kapelle

I 8 Die Heimsuchung der Maria. Padua, Arena-Kapelle

19 Die Vermählung der Maria. Padua, Arena-Kapelle

21 Die Taufe Christi. Padua, Arena-Kapelle XIII 722a

22 Papst Innozenz III. bestätigt dem Hl. Franz die Ordensregeln

Florenz, S. Croce

23 Die Gerechtigkeit. Padua, Arena-Kapelle

24 Die Ungerechtigkeit. Padua, Arena-Kapelle

25 Die Himmelfahrt des Evangelisten Johannes. Florenz, S. Croce

26 Johannes der Evangelist auf Patmos. Florenz, S. Croce

27 Die Auferweckung des Lazarus. Padua, Arena-Kapelle

28 Die Flucht nach Ägypten. Padua, Arena-Kapelle

29 Der Hl. Anna wird die Geburt der Maria verkündigt

Padua, Arena-Kapelle

30 Die Heimsuchung der Maria. Assisi, S. Francesco

31 Die Auferstehung Christi. Padua, Arena-Kapelle XIII 724a

33 Die Dornenkrönung und Verspottung Christi. Padua, Arena-Kapelle XIII 723b

34 Das Abendmahl. Padua, Arena-Kapelle XIII 722b

37 Das Jüngste Gericht, Teil: Untere Gruppe der Seligen

Padua, Arena-Kapelle

38 Der Zorn. Padua, Arena-Kapelle

39 Die Beweinung Christi. Padua, Arena-Kapelle

41 Das Gastmahl des Herodes. Florenz, S. Croce

42 Die Erscheinung des Hl. Franz in Arles. Florenz, S. Croce

Giotto di Bondone, Schule

43 Die Kirchenlehre. Florenz, S. Maria Novella, Spanische Kapelle

44 Das Kirchenregiment. Florenz, S. Maria Novella, Spanische Kapelle

45 Das Kirchenregiment, Teil: Gruppe links unten

Florenz, S. Maria Novella

46 Das Kirchenregiment, Teil: Mittlere Gruppe rechts

Florenz, S. Maria Novella

Giotto di Bondone

47 Die Namengebung für Johannes den Täufer. Florenz, S. Croce

Luca Signorelli

48 Die Predigt des Antichrist. Orvieto, Dom

#SE292-347

Abbildungen zu Vortrag I

Masolino

49 Das Gastmahl des Herodes. Castiglione d'Olona, Baptisterium

50 Die Taufe Christi. Castiglione d'Olona, Baptisterium XIII 729b

Filippino Lippi

51 Die Vision des Hl. Bernhard. Florenz, Badia

Masaccio

53 Der Zinsgroschen. Florenz, S. Maria del Carmine

54 Die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradiese

Florenz, S. Maria del Carmine

Domenico Ghirlandajo

57 Das Abendmahl. Florenz, Ognissanti

58 Francesco Sassetti und Sohn. London, Sammlung Benson

Andrea Mantegna

59 Die Madonna della Vittoria. Paris, Louvre

6o Der Hl. Sebastian. Wien, Gemäldegalerie

61 Der Parnass. Paris, Louvre

Fra Angelico

63 Die Kreuzabnahme. Florenz, Akademie

64 Die Kreuzigung. Florenz, S. Marco XIII 726a

65 Das Abendmahl. Florenz, S. Marco XIII 724b

67 Die Krönung der Maria. Florenz, Uffizien

68 Das Jüngste Gericht, Mittelteil. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum XIII 726b

69 Das Jüngste Gericht, mit Flügeln. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum

Sandro Botticelli

70 Bildnis eines jungen Mädchens, Frankfurt, Städel

71 Die Anbetung der Könige. Florenz, Uffizien VII 699c

72 Die Beweinung Christi. München, Ältere Pinakothek

73 Madonna mit Engeln «Magnificat». Florenz, Uffizien

Pietro Perugino

74 Die Kreuzigung. Florenz, S. Maria Maddalena de' Pazzi

75 Die Vermählung der Maria - »Lo Sposalizio». Caen, Museum II VIII

Raffael

75a Die Vermählung der Maria - «Lo Sposalizio». Mailand, Brera II I 78

Pietro Perugino

77 Die Schlüsselübergabe. Rom, Sixtinische Kapelle

78 Die Vision des Hl. Bernhard. München, Ältere Pinakothek

#SE292-348

Abbildungen zu Vortrag I

Francesco Traini

79 Der Hl. Thomas von Aquino. Pisa, S. Caterina

Unbekannter Meister, Pisa

8o Der Triumph des Todes. Pisa, Camposanto

81 Der Triumph des Todes, Teil: Jagdzug. Pisa, Camposanto

82 Der Triumph des Todes, Teil: Bettlergruppe. Pisa, Camposanto

83 Der Triumph des Todes, Teil: Fliegender Dämon. Pisa, Camposanto

84 Der Triumph des Todes, Teil: Fröhliche Gesellschaft. Pisa, Carnposanto

Lionardo da Vinci

87 Karikaturen, Feder. Venedig, Akademie

95 Madonna Litta. Leningrad, Eremitage

99 Das Abendmahl. Mailand, S. Maria delle Grazie

100 Apostelköpfe: Judas und Petrus, Karton. Weimar, Schloß

101 Apostelkopf: Johannes, Karton. Weimar, Schloß

102 Apostelköpfe: Thomas, Jakobus d. Ä., Karton. Weimar, Schloß

103 Apostelkopf: Philippus, Karton. Weimar, Schloß

104 Apostelkopf: Bartholomäus, Karton. Weimar, Schloß

105 Apostelkopf: Jakobus d. J., Karton. Weimar, Schloß

1o6 Apostelkopf: Andreas, Karton. Weimar, Schloß

107 Apostelkopf: Matthäus, Karton. Weimar, Schloß

I I 6 Die Anbetung der Könige. Florenz, Uffizien II VII 704b

I I 8 Der Hl. Hieronymus. Rom, Vatikan II

Raffael

196 Die Hl. Cäcilie. Bologna, Pinakothek X VIII 235

220 Papst Julius II. Florenz, Uffizien II

221 Papst Leo X. Florenz, Palazzo Pitti II

#SE292-349

Zu Seite Hinweise zu Vortrag I

19 Dante Alighieri, 1265-1321, «Divina Commedia» (Die Göttliche Komödie).

20 die Römer ein «phantasieloses» Volk: Siehe u. a. Vortrag Dornach, 16.9.1916, «Griechen­

tum und Römertum in ihrem Fortwirken in unserer Geschichte» in «Innere Entwicklungs­

impulse der Menschheit», GA Bibl.-Nr. 171.

21 Bildwerke, ... geradezu apollohaft: Als eine derartige Christus-Darstellung der früh­

christlichen Zeit ist die Statuette «Der gute Hirte» (661) im Lateran-Museum anzusehen.

- Der erwähnte Streit über das Aussehen der Erlösergestalt spielt sich in der nachapostoli­

schen Literatur bei den Kirchenvätern ab, die zum Teil nach Jes. 52, 14 und 53, 2 die An­

schauung vertreten, er sei häßlich gewesen, während andere aus Ps. 45,3 ihre entgegenge­

setzte Meinung begründen. P.

24 die vierte nachatlantische Zeit ..., die fünfte: Die griechisch-lateinische Kulturepoche (Verstandes- und Gemütsseelen-Entwicklung), etwa 747 v. Chr. bis 1413 n. Chr., und die germanische Kulturepoche (Bewußtseinsseelen-Entwicklung) etwa seit 1413 n. Chr., siehe «Die Geheimwissenschaft im Umriß» (1910), GA Bibl.-Nr. 13, Kapitel «Die Welt-entwickelung und der Mensch».

25 Franz von Assisi, 1182-1226, siehe Vortrag Norrköping, 28.5.1912 in «Christus und die menschliche Seele», GA Bibl.-Nr. 155.

28 Bilder aus der Heiligenlegende: «Von Sanct Franciscus» in «Vitae sanctorum» des Jacobus Voragine, um 1230-1298, aufgeschrieben zwischen 1263 und 1273. Im 13. und 14. Jh. in zahlreichen Handschriften verbreitet, später «Legenda aurea» genannt, bis heute in viel­fältigen Ausgaben und Bearbeitungen aufgelegt.

29 Lied auf die Natur: der sogenannte «Sonnengesang» des Franz von Assisi. Siehe Vortrag Kristiania, 6.6.1912 in «Der Mensch im Lichte von Okkultismus, Theosophie und Philo-sophie» GA Bibl.-Nr. 137, und die Übertragung in Rudolf Steiner, «Wahrspruchworte, Richtspruchworte. Zweite Folge», Dornach 1953.

43 Lionardo: Die von Rudolf Steiner gebrauchte Namensform des heute meistens üblichen «Leonardo» entspricht der alttoskanischen Form, die durch zahlreiche Urkunden bezeugt ist. Vgl. «Klassiker der Kunst», Kunstkreis Luzern, Mario Pomilio und Angela Ottoni Della Chiesa «Leonardo da Vinci. Angaben über Leben und Werk». - Diese Ausgabe des Gesamtwerkes bringt im «Katalog der Werke» eine ausführliche Darstellung der fachwis­senschaftlichen Diskussion über die Zuschreibungen, auf die hier nicht eingegangen wer­den soll.

44 «Madonna Litta» (95) Eremitage, Leningrad, ev. nur teilweise eigenhändig, aber eindeu­tig als Werk Lionardos bezeugt durch die Silberstiftzeichnung aus dem Louvre «Brustbild einer Frau», die unverkennbar eine Studie zu dem Bilde ist.

#SE292-350

Hinweise zu Vortrag I

44 Apostelköpfe (100-107): Die Kartons in Weimar werden heute als gute Kopien ange­sehen.

45 als ihn der Abt ... drängte: Die Judas-Anekdote findet sich bei Giambattista Giraldi, gen. Cinthaio «Discorsi intorno al comporre dei Romanzi, delle Commedie e delle Tragedie e die altre maniere di Poesie», Venedig 1554, S. 194. P.

47 «Triumph des Todes» (80): Siehe den Vortrag Berlin, 23. 12. 1913, in «Die Welt des Gei­stes und ihr Hereinragen in das physische Dasein», GA Bibl.-Nr. 150.

48 Thomas von Aquino, 1225-1274, Scholastiker aus dem Dominikaner-Orden. Siehe dazu «Die Philosophie des Thomas von Aquino» (3 Vorträge Dornach 1920), GA Bibl.-Nr. 74.

50 Die Leute streiten sich: Vgl. Carl Justi «Raffaels Heilige Cacilie» in «Zeitschrift fur christ­liche Kunst», Düsseldorf 1904, S. 110ff., insbesondere wohl gemeint Laurenz Müllner «Literatur- und kunstkritische Studien», Wien und Leipzig 1895, S. 183 (Raffaels Heilige Cäcilie).

Cädlientag: Der Kalendertag der Heiligen Cäcilie ist der 22. November.

Heiligenlegende: Legenda Aurea «Von Sanct Cäcilia».

#SE292-351

ZU VORTRAG II

Die drei großen Renaissance-Meister:

LIONARDO MICHELANGELO RAFFAEL

Dornach, 1. November 1916

Abbildungen zu Vortrag II

Die in der rechten Spalte angegebenen Vortragsziffern beziehen sich auf weitere Erwähnung

dieses Bildes.

Eine zweite Ziffer mit beigefügtem Buchstaben weist auf wiederholte Abbildung in kleinerem

Maßstab in einem der Sammelvorträge VII oder XIII hin.

Pietro Perugino

75 Die Vermählung der Maria - «Lo Sposalizio». Caen, Museum I VIII

Lionardo da Vinci

85 Selbstbildnis, Rötel. Mailand, Ambrosiana

86 Selbstbildnis, Rötel. Turin, Königliche Bibliothek

88 Karikaturen, Feder. Windsor, Königliche Bibliothek

89 Allegorie auf den Neid. Oxford, Christ Church College

90 Brustbild eines Kriegers, Silberstift und Kreide

London, Britisches Museum

91 Regenlandschaft, Rötel. Windsor, Königliche Bibliothek

Verrocchio/Lionardo

92 Die Taufe Christi. Florenz, Uffizien XIII 729a

Lionardo da Vinci (Verrocchio)

93 Frauenbildnis. Wien, Galerie Liechtenstein

Lionardo da Vinci, Schüler 94 Die sog. «Belle Ferronié re». Paris, Louvre

Lionardo da Vinci

96 Mona Lisa. Paris, Louvre

97 Die Hl. Anna selbdritt. Paris, Louvre

98 Die Madonna in der Felsengrotte. Paris, Louvre

99 Das Abendmahl. Mailand, S. Maria della Grazie

#SE292-352

Abbildungen zu Vortrag II

Lionardo da Vinci, Kopie?

108 Christuskopf, Kreide. Mailand, Brera

Unbekannter Meister

109 Das Abendmahl, Fresco- Kopie nach Lionardo Ponte Capriasca/Lugano, Parrocchia

Lionardo da Vinci

I 10 Das Abendmahl, Kupferstich von Raphael Morghen

I I I Das Abendmahl, Kupferstich von Rudolf Stang

I I 2 Das Abendmahl, Apostelgruppe: Judas, Petrus, Johannes

Mailand, S. Maria delle Grazie

I I 3 Das Abendmahl, Apostelgruppe: Bartholomäus, Jakobus d.J., Andreas

Mailand, S. Maria delle Grazie

I 14 Das Abendmahl, Apostelgruppe: Thomas, Jakobus d. Ä., Philippus

Mailand, S. Maria delle Grazie

I I 5 Das Abendmahl, Apostelgruppe: Matthäus, Thaddäus, Simon

Mailand, S. Maria delle Grazie

I 16 Die Anbetung der Könige. Florenz, Uffizien I VII 7o4b

Lionardo da Vinci, Schule?

I I 7 Die Verkündigung an Maria. Florenz, Uffizien

Lionardo da Vinci

118 Der Hl. Hieronymus. Rom, Vatikan

I 19 Anghiari-Schlacht, Mittelgruppe?, Kupferstich von Gerard Edelinck nach der Kreide-Kopie von Peter Paul Rubens

Lionardo da Vinci?

I 20 Dionysus-Bacchus, stark übermalt. Paris, Louvre

Lionardo da Vinci

121 Johannes der Täufer. Paris, Louvre

Michelangelo

122 Selbstbildnis? Ev. von Jacopo del Conte. Florenz, Uffizien

123 Der Kampf der Kentauren und Lapithen, Marmorrelief

Florenz, Casa Buonarroti

I 24 Die Madonna an der Treppe, Marmorrelief. Florenz, Casa Buonarroti

125 Madonna mit dem Kinde und Johannes d. T., Marmorrelief

Florenz, National-Museum

126 Madonna mit dem Kinde, Marmorstatue. Brügge, Notre Dame

127 Pieta', Marmorgruppe. Rom, S. Pietro

#SE292-353

Abbildungen zu Vortrag II

128 Bacchus, Marmorstatue. Florenz, National-Museum

I 29 David, Marmorstatue. Florenz, Akademie IX 66oa

I 30 Die Heilige Familie. Florenz, Uffizien

I 3 I Sixtinische Kapelle mit dem «Jüngsten Gericht», Decken-, Zwickel- und Lünettengemälden. Rom, Vatikan

I 32 Sixtinische Kapelle: Die Trennung des Lichtes von der Finsternis Rom, Vatikan

I 33 Siztinische Kapelle: Die Erschaffung von Sonne, Mond und Erde Rom, Vatikan

I 34 Sixtinische Kapelle: Die Erschaffung der Tierwelt (bzw. «Trennung von Wasser und Erde»). Rom, Vatikan

I 35 Siztinische Kapelle: Die Erschaffung des Adam. Rom, Vatikan

I 36 Siztinische Kapelle: Die Erschaffung der Eva. Rom, Vatikan

I 37 Sixtinische Kapelle: Der Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies. Rom, Vatikan

I 38 Sixtinische Kapelle: Die Erythräische Sibylle. Rom, Vatikan

,39 Siztinische Kapelle: Die Cumäische Sibylle. Rom, Vatikan

140 Sixtinische Kapelle: Die Delphische Sibylle. Rom, Vatikan

141 Sixtinische Kapelle: Die Delphische Sibylle, Brustbild Rom, Vatikan

142 Siztinische Kapelle: Die Libysche Sibylle. Rom, Vatikan

,43 Sixtinische Kapelle: Der Prophet Zacharias. Rom, Vatikan

,44 Siztinische Kapelle: Der Prophet Jeremias. Rom, Vatikan

,45 Siztinische Kapelle: Der Prophet Joel. Rom, Vatikan

146 Siztinische Kapelle: Der Prophet Ezechiel. Rom, Vatikan

147 Sixtinische Kapelle: Der Prophet Jesaias. Rom, Vatikan

148 Siztinische Kapelle: Der Prophet Jonas. Rom, Vatikan

,49 Sixtinische Kapelle: Der Prophet Daniel. Rom, Vatikan

I 50 Sixtinische Kapelle: Die Jakob-Gruppe. Rom, Vatikan

I 51 Siztinische Kapelle: Die Jesse-Gruppe. Rom, Vatikan

I 52 Siztinische Kapelle: Die Salomon-Gruppe. Rom, Vatikan

I 53 Sixtinische Kapelle: Jüngling, rechts oberhalb der Persischen Sibylle Rom, Vatikan

I 54 Sixtinische Kapelle: Jüngling, links oberhalb der Persischen Sibylle Rom, Vatikan

I 55 Sixtinische Kapelle: Jüngling, rechts oberhalb des Propheten Daniel Rom, Vatikan

156 Sixtinische Kapelle: Jüngling, links oberhalb des Propheten Daniel Rom, Vatikan

#SE292-354

Abbildungen zu Vortrag II

I 57 Mediceer Kapelle, Grabmahl des Lorenzo de' Medici

Florenz, S. Lorenzo

I 58 Mediceer Kapelle, Grabmahl des Lorenzo de' Medici:

Lorenzo de' Medici. Florenz, S. Lorenzo

I 59 Mediceer Kapelle, Grabmahl des Lorenzo de' Medici: Die Nacht

Florenz, S. Lorenzo

160 Mediceer Kapelle, Grabmahl des Lorenzo de' Medici: Der Tag

Florenz, S. Lorenzo

161 Mediceer Kapelle, Grabmahl des Giuliano de' Medici

Florenz, S. Lorenzo

162 Mediceer Kapelle, Grabmahl des Giuliano de' Medici:

Giuliano de' Medici. Florenz, S. Lorenzo

163 Mediceer Kapelle, Grabmahl des Giuliano de' Medici: Der Abend

Florenz, S. Lorenzo

164 Mediceer Kapelle, Grabmahl des Giuliano de' Medici: Der Morgen

Florenz, S. Lorenzo

165 Die Madonna Medici. Florenz, S. Lorenzo

166 Pietä, Marmorgruppe. Florenz, Dom

167 Siztinische Kapelle: Das Jüngste Gericht. Rom, Vatikan

168 Siztinische Kapelle: Das Jüngste Gericht, Teil: Christus-Gruppe

Rom, Vatikan

169 Sixtinische Kapelle: Das Jüngste Gericht, Teil: Kopf des Christus

Rom, Vatikan

Griechische Plastik

170 Kopf des Apollo von Belvedere. Rom, Vatikan IX 614

Michelangelo

171 Siztinische Kapelle: Das Jüngste Gericht, Teil: Charon mit dem Nachen

Rom, Vatikan

172 Siztinische Kapelle: Das Jüngste Gericht, Teil: Gruppe von Verdammten

Rom, Vatikan

I 73 Entwurf zum Julius-Grab, Kopie von Jacopo Rocchetti nach Zeichnung

von Michelangelo Berlin, Kupferstich-Kabinett

174 Moses, Marmorstatue. Rom, S. Pietro in Vincoli IV 398

175 Sterbender Sklave. Paris, Louvre

176 Gefesselter Sklave. Paris, Louvre

Raffael

,77 Selbstbildnis. Florenz, Uffizien

178 Die Vermählung der Maria - «Lo Sposalizio». Mailand, Brera I 75a

#SE292-355

Abbildungen zu Vortrag II

179 Der segnende Christus. Brescia, Galerie

180 Der Traum des Ritters. London, National Gallery

I 8 I St. Georg mit der Lanze. Leningrad, Eremitage

182 Madonna di Terranova. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum

183 Madonna di Casa Tempi. München, Ältere Pinakothek

184 Die Madonna im Grünen. Wien, Gemäldegalerie

185 Die Madonna mit dem Stieglitz. Florenz, Uffizien

186 Die Heilige Familie aus dem Hause Canigiani

München, Ältere Pinakotbek

I 87 Die Hetlige Familie mit dem Lamm. Madrid, Prado

I 88 Maria mit derß Kinde und Johannes d. T. - «Die schöne Gärtnerin»

Paris, Louvre

I 89 Madonna di Casa d'Alba. Washington, National Gallery of Art

190 Madonna di Foligno. Rom, Vatikan

191 Die Heilige Familie unter der Eiche. Madrid, Prado

192 Die sog. «Große Heilige Familie». Paris, Louvre

193 Sixtinische Madonna. Dresden, Zwinger VIII

194 Siztinische Madonna, Teil: Madonna mit dem Kinde. Dresden, Zwinger VIII XI 246a

197 Camera della Segnatura, «Disputa». Rom, Vatikan VIII X III 286a

201 Die Dreifaltigkeit. Perugia, S. Severo VIII

202 Camera della Segnatura: Die Schule von Athen. Rom, Vatikan, Stanzen X

206 Camera della Segnatura: Lunette, Drei Kardinaltugenden: Fortitudo,

Prudentia, Temperantia. Rom, Vatikan, Stanzen

207 Camera della Segnatura: Medaillon, Justitia, vierte Kardinaltugend

Rom, Vatikan, Stanzen

208 Camera della Segnatura: Medaillon, Theologie - Divinarum rerum X

notitia. Rom, Vatikan, Stanzen

209 Camera della Segnatura: Medaillon, Poesie. Rom, Vatikan, Stanzen

210 Camera della Segnatura: Medaillon, Philosophie - Causarum cognitio X

Rom, Vatikan, Stanzen

211 Die Vertreibung des Heliodor. Rom, Vatikan, Stanzen

212 Die Begegnung Leo 1. mit Attila. Rom, Vatikan, Stanzen

213 Die Befreiung des Petrus aus dem Gefängnis. Rom, Vatikan, Stanzen

214 Die vier Sibyllen. Rom, S. Maria della Pace

217 Die Transfiguration. Rom, Vatikan

218 Die Transfiguration, Teil: Der Christus. Rom, Vatikan

219 Die Transfiguration, Teil: Der besessene Knabe. Rom, Vatikan

220 Papst Julius II. Florenz, Uffizien

22 I Papst Leo X. Florenz, Palazzo Pitti

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Abhildun gen zu Vortrag II

222 Weibliches Bildnis. Florenz, Palazzo Pitti

223 Conte Baldassare Castiglioni. Paris, Louvre

225 Die Grablegung. Rom, Galerie Borghese

226 Entwurf zu einer «Beweinung», Feder. Paris, Louvre VIII

227 Entwurf zur Grablegung: Die Hauptgruppe, Feder. Florenz, Uffizien

228 Entwurf zur Grablegung: Die drei Träger, als Akte gezeichnet, Feder und

Rötel. Oxford, Universitäts-Galerie

229 Entwurf zur Grablegung: Ein Jüngling wird getragen, mit zwei

Frauengestalten, Feder. Oxford, Universitäts-Galerie

231 Die Bekehrung des Paulus, Bildteppich. Rom, Vatikan

Hinweise zu Vortrag II

Zum besseren Verständnis der in diesem Vortrag besonders stark hervorgehobenen zeitgeschicht­lichen Zusammenhänge sind die biographischen und historischen Anmerkungen von C. S. Picht hier weitgehender übernommen (Kennzeichnung: P.).

zu Seite

57 Andeutungen, die ich in meinen Vorträgen gemacht habe: Siehe «Lionardos geistige

Größe am Wendepunkt zur neueren Zeit», öffentlicher Vortrag Berlin, 13.2.1913, in

«Ergebnisse der Geistesforschung», GA Bibl. -Nr. 62.

Über das «Abendmahl» siehe insbesondere «Die Evolution vom Gesichtspunkte des

Wahrhaftigen», GA Bibl.-Nr. 132, III. und IV. Vortrag.

58 was erzählt wird: siehe Giorgio Vasari »Le Vite dé piü eccelenti Architetti, Pittori et Scultori», 1. Ausgabe Florenz 1550.

Herman Grimm, 1828-1901, der mit Rudolf Steiner befreundete und von ihm hochge-

schätzte Kunsthistoriker und Verfasser der hier vornehmlich in Betracht kommenden

Werke: «Leben Michelangelos», Hannover 1860-63, und «Das Leben Raffaels», Berlin

1872, von denen namentlich das erstere Ausführungen über Lionardo enthält. - Über die

Beziehungen Rudolf Steiners zu Herman Grimm siehe »Mein Lebensgang» (1924/25)

GA Bibl.-Nr. 28. P.

59 Lodovico Sforza, genannt «11 Moro», 1452-1508, Herzog von Mailand, Sohn des Con­dottiere und späteren Herzogs von Mailand, Francesco Sforza, 1401-1466. Für ein Reiter-standbild des letzteren schuf Lionardo im Auftrage Lodovicos ein großartiges Modell, das aber nicht zur Ausführung gelangte und zugrunde ging. Zahlreiche Handzeichnungen

#SE292-357

Hinweise zu Vortrag II

Lionardos geben eine Vorstellung von dem beabsichtigten Denkmal. Lodovico erteilte auch den Auftrag für das «Abendmahl». P.

59 aus einem Pferdeschädel: Nach Vasari «In Form eines Pferd eschädels» .

als er nach Florenz zurückkehrt: 1503 erhielt Lionardo von der Stadt Florenz den Auftrag zu einem Wandgemälde für eine Saalwand des Palazzo Vecchio, das die «Schlacht von Anghiari« (119) darstellen sollte; 1504 wurde Michelangelo die gegenüberliegende Wand für ein Schlachtenbild angetragen, für welches er die «Schlacht von Cascina» als Vorwurf wählte. Lionardos Werk blieb unvollendet und ging in der Folge zugrunde; Michelangelos Arbeit kam nicht über den ebenfalls verlorenen Karton hinaus, der nur teilweise in Sti­chen überliefert ist. P.

60 kann man von Michelangelo sagen: Siehe «Michelangelo und seine Zeit vom Gesichts­punkte der Geisteswissenschaft», Öffentlicher Vortrag Berlin. 8.1.1914 in «Geisteswis­senschaft als Lebensgut», GA Bibl.-Nr. 63.

61 Lorenzo de' Medici, gen. «il Magnifico», 1449-1492, Stadtherr von Florenz. Ihm folgte sein Sohn Piero II., 1472-1503, während sein zweiter Sohn Giovanni, 1475-1521, als Leo X. und sein Neffe Giulio, 1478-1534, als Clemens VII. Päpste wurden. P.

62 Julius II., 1443-1513, seit 1503 Papst. Sein Bildnis (220).

in früheren Vorträgen: z. B. «Ergebnisse der Geistesforschung» (14 öffentliche Vorträge, Berlin 1912/1913) GA Bibl.-Nr. 62.

63 Malatesta Baglioni, t 1531, war 1529 Oberbefehlshaber der florentinischen Armee. Durch seinen Verrat fiel 1530 Florenz, dessen Verteidigung Michelangelo mit anvertraut gewesen war und das dieser Malatestas wegen, in welchem er von jeher einen Verräter sah, kurze Zeit hatte verlassen müssen. Die alsbald durch die wieder aufgerichtete Tyran­nenherrschaft der Medici in Florenz entstehenden Verhältnisse verbitterten Michelangelo das Leben, so daß er 1534 in Rom eine neue Heimat suchte, wohin ihn auch der Auftrag Clemens VII. für das «Jüngste Gericht» rief. P.

64 Girolamo Savonarola, 1452-1498, Dominikaner und Reformator, 1498 in Florenz ver­brannt unter Papst Alexander VI.

Protest der Reformation: Die deutsche Reformation begann 1517 (Luthers 95 Thesen:

Wittenberg) und hatte mit den Reichstagen zu Worms 1521 und Augsburg 1530 schon

großen Umfang angenommen. In Italien waren Savoyen, Ferrara, Venedig und Neapel

Zentren, von denen aus nach Rom gewirkt wurde. Die Einführung der Inquisition in

Italien 1542 als Gegenreformation unter Paul III, und deren brutale Durchführung unter

Paul IV. bereitete der Bewegung dort ein rasches Ende. P.

#SE292-358

Hinweise zu Vortrag II

65 Vittoria Colonna, Marchesa von Pescara, 1492-1547, gefeierte Dichterin, in inniger Altersfreundschaft Michelangelo verbunden. Sie stand (nach Hermann Grimm a.a.O.) der liberalen reformatorischen Bewegung des Kapuzinermönches Fra Occhino nahe, die für eine friedliche Einigung mit den Lutheranern tätig war, und kam dadurch in Gegen­satz zur radikalen reformatorischen Bewegung Carafas, die dann 1542 mit der Einführung der Inquisition in Italien, vollends aber 1555 mit der Wahl Carafas zum Papst (Paul IV.) eine Inquisitionswelle über Italien hingehen ließ, durch welche auch Vittoria schwer be­drängt wurde. P.

65 Paul IV. »Carafa», 1476-1559, seit 1555 Papst, führte den »Index librorum prohibitorum» ein. Unter ihm wütete eine Inquisitionswelle in Italien. Er war es, der den Figuren auf dem «Jüngsten Gericht» von Michelangelo Gewänder aufmalen ließ. - Dem Jesuitenorden war schon von Papst Paul III., 1534-1549, 1540 die vorlaufige, 1543 die unbedingte Bestätigung erteilt worden. P.

Urbino: Der Geburtsort Raffaels, liegt in den Marken, Perugia, der Ort seiner Lehrzeit, in Umbrien. Für die Marken sind vornehmlich Allegretto Nuzzi t 1473, Jacopo und Lorenzo Salimbene da San Severino t nach 1427 und vor 1420, und Gentile da Fabriano, t 1427, zu nennen, für Umbrien im engeren Sinne Fiorenzo di Lorenzo, t um 1525, Perugino, t 1523, Pinturicchio, t 1513, in weiterem Sinne auch Luca Signorelli, t 1523, und Piero della Francesca, t 1492, selbst Melozzo da Forli, t 1494, der eigentlich der Romagna entstammt. Als weniger bedeutend angesehener Meister gehört auch Raffaels Vater, Giovanni Santi, ca. 1435-1494, hierher. Über letzteren sagt Rudolf Steiner: ... . in ihm hat ein viel größerer Maler gelebt, als äußerlich zur Geltung gekommen war ...; aber in seiner Seele lebte ein wirklich großer Maler. Da stirbt er, als Raffael elf Jahre alt war ...» Vortrag Kopenhagen, 23.5.1912, in »Christus und die menschliche Seele», GA Bibl.-Nr. 155. P.

66 Das ist überall über die Werke Raffaels ausgegossen: Siehe «Raffaels Mission im Lichte der Wissenschaft vom Geiste», öffentlicher Vortrag Berlin, 30.1.1913, in «Ergebnisse der Geistesforschung», GA Bibl.-Nr. 62.

67 daß Verrocchio nicht mehr malen wollte: Siehe Vasari, «Die florentinischen Meister des sechzehnten Jahrhunderts»: «Er [Lionardol hatte sich also, wie gesagt, durch Ser Piero [seinen Vater] in seiner Kindheit in die Kunstlehre zu Andrea del Verrocchio begeben. Dieser malte ein Tafelbild, wie Sankt Johann Christum tauft, und Leonardo machte einen Engel, der einige Gewandsrücke hielt; und, seiner Jugend ungeachtet, malte er ihn so, daß Leonardos Engel viel besser geraten war als die Figuren von Andrea; das hatte zur Folge, daß Andrea nie wieder den Pinsel anrühren wollte, denn es war ihm nicht recht, daß ein Knabe mehr davon verstand als er.» P.

69 Christian Morgenstern, 1871-1914. Siehe Ansprachen Rudolf Steiners in Wien, 10.4.1914 und Kassel, 10.5.1914, in «Unsere Toten», GA Bibl.-Nr. 261.

#SE292-359

Hinweise zu Vortrag II

69 in Vorträgen, die früher von mir gehalten worden sind: Innerhalb der vielen Ausführun­gen siehe insbesondere Rudolf Steiner, «Weltenwunder, Seelenprüfungen und Geistes­offenbarungen», GA Bibl. -Nr. 129, IV-VII. Vortrag. Zu dem Gemälde selbst ist zu bemerken, daß es ursprünglich einen «Johannes der Täufer» darstellte, der dann (um 1700) durch Hinzufügung eines Pantherfells, eines Kranzes aus Weinlaub und eines rhyrsosstabes (statt des Rohrkreuzes) zu einem Dionysos umgewandelt wurde. Die Zu-schreibung ist fraglich. P.

69 (98) Eine Madonna mit Jesus-Knaben: Johannes ist also nicht genannt - womit auf die zwei Jesus-Knaben hingewiesen sein könnte, den «salomonischen» des Matthäus-Evange­liums und den «nathanischen» des Lukas-Evangeliums. Siehe dazu «Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit» (1911), GA Bibl.-Nr. 15, und «Aus der Akasha­Forschung - Das fünfte Evangelium» (17 Vorträge, in verschiedenen Städten 1913/14), GA Bibl.-Nr. 148. Ferner C. S. Picht, «Lionardos Felsenmadonna» in «Blätter für Anthro­posophie», Basel 1954, Heft 4; H. Krause-Zimmer, «Die zwei Jesusknaben in der bildenden Kunst», Stuttgart 1977, u. a.

70 Fresco-Kopie eines unbekannten Meisters in Ponte Capriasca bei Lugano, die Rudolf Stei­ner gelegentlich einer Reise aufgesucht hat, wohl angeregt durch Ausführungen von Herman Grimm (Herman Grimm, «Fünfzehn Essays», Gütersloh 1890).

auch in Weimar: Die Weimarer Kartons wurden im ersten Vortrag gezeigt.

73 Sixtinische Kapelle: Zum «Raumgedanken» in der Sixtina siehe Vortrag Hamburg, 29.5.

1908 in: «Das Johannes-Evangelium», (12 Vorträge, Hamburg 1908), GA Bibl.-Nr. 103.

wie in der Tradition noch gelebt hat: Es wird hier auf geisteswissenschaftlich erforschte Vorgänge in der Erdenentwicklung hingewiesen, die auch im hebräischen Wortlaut der «Genesis» durch die Unterscheidung der zunächst als Schöpfer genannten «Elohim» und des dann den Menschen schaffenden «Jahve-Elohim» angedeutet sind, wovon noch ein ge­wisser traditioneller Nachklang in der Darstellung Michelangelos lebte. Luther hat in sei­ner Übertragung einheitlich «Gott» gesetzt. Näheres dazu siehe «Die Geheimnisse der biblischen Schöpfungsgeschichte. Das Sechstagewerk im 1. Buch Moses» (11 Vorträge, München 1910), GA Bibl.-Nr. 122. Dort ist auch die irrtümliche Auslegung der Unter­scheidung durch die wissenschaftliche Bibelforschung berücksichtigt. Vgl. auch Ansprache Rudolf Steiners, München 25.8.1910 in «Blätter für Anthroposophie», Basel 1951, Heft 12. P.

74 Leipziger Vortragszyklus: «Christus und die geistige Welt» (6 Vorträge, Leipzig 1913/14), GA Bibl.-Nr. 149.

#SE292-360

Hinweise zu Vortrag II

76 über diese Mediceer-Gräber: Siehe Vortrag Wien, vom 3.11.1912, in «Okkulte Untersu­chungen über das Leben zwischen Tod und neuer Geburt», GA Bibl.-Nr. 140, und Vortrag vom 5.11.1912, Berlin, in: »Das Leben zwischen Tod und neuer Geburt im Verhältnis zu den kosmischen Tatsachen», GA Bibl.-Nr. 141.

76 Vortrag, der gedruckt ist.. Berlin, 5.11.1912 in «Das Leben zwischen Tod und neuer Geburt im Verhältnis zu den kosmischen Tatsachen», GA Bibl.-Nr. 141.

Grabmahl des Lorenzo de' Medici, gewöhnlich des Giuliano genannt: Rudolf Steiner teilte, und zwar, wie er ausdrücklich betont (Vortrag vom 5.11.1912 in Berlin, in «Das Leben zwischen Tod und neuer Geburt im Verhältnis zu den kosmischen Tatsachen» (10 Vorträge Berlin 1912/13), GA Bibl.-Nr. 141, auf Grund eigener Forschung die von Herman Grimm geäußerte und von diesem gegen heftige Angriffe aufrecht erhaltene Ansicht, daß die Statuen der beiden Mediceer ausgewechselt worden und demnach die Namen zu vertauschen seien. Herman Grimm «Über Künstler und Kunstwerke», 1. Jg., Berlin 1865, S. 171ff.

In neueren Ausgaben z. B. Goldscheider «Michelangelo» Phaidon-Verlag; Baldini «Das bildhauerische Werk Michelangelos» Klassiker der Kunst, und auch Nardini «Michel­angelo» Urachhaus-Verlag, Stuttgart 1977 sind die traditionellen Bezeichnungen beibehalten.

Siehe auch «Michelangelo und seine Zeit vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft» Berlin, 8.1.1914 in «Geisteswissenschaft als Lebensgut», GA Bibl.-Nr. 63.

Das jüngste Gericht: Siehe Vortrag Dornach 3.4.1916 in «Der Baldur-Mythos und das Karfreitags-Mysterium», Einzelausgabe, u. Vortrag Linz, 18.5.1915 in «Das Geheimnis des Todes», GA Bibl.-Nr. 159/160.

Herman Grimm hat gezeichnet: Siehe Herman Grimm «über Künstler und Kunstwerke», Berlin 1865, 1. Jg., S. 30: «Der Kopf Christi auf dem Jüngsten Gerichte Michelangelos, den ich ganz in der Nähe gesehen und gezeichnet habe, scheint direkt nach dem des Apoll von Belvedere gearbeitet zu sein ...». Über diese Christus-Darstellung siehe Berlin 16.3. 1915 in «Menschenschicksale und Völkerschicksale», GA Bibl.-Nr. 157, und «Der Baldur-Mythos», siehe Hinweis oben.

77 Entwurf zum Julius-Grab: Im zweiten Projekt des Grabmals von sieben nachweisbaren, die in die Jahre 1505-1542 fallen, stieg die Zahl der dafür vorgesehenen Figuren nach dem Vertrag vom 6. Mai 1513 auf 60. - Noch vorhandene Sklaventorsos (Akademie der schö­nen Künste, Florenz) und die «Siegesgruppe» (Palazzo Vecchio, Florenz) sind unfertig geblieben, wohl daher hier nicht erwähnt.

Zur Moses- Gestalt: Siehe oben Bibl. -Nr. 63; zur tieferen Bedeutung der Hörner des Mo­ses Vortrag Stuttgart 25.8.1906 in «Vor dem Tore der Theosophie», GA Bibl.-Nr. 95.

78 Alexander VI. (Borgia), 1430?-1503, seit 1492 Papst.

#SE292-361

Hinweise zu Vortrag II

78 Leo X. (Medici) (1475-1521), seit 1513 Papst. Zweiter Sohn des Lorenzo de' Medici. Er ermöglichte 1512 die Rückkehr der Medici nach Florenz. Sein stark idealisiertes Bildnis (218), darauf links von ihm sein Vetter Kardinal Giulio de' Medici, der spätere Papst Cle­mens VII. P.

81 Zur «Disputa» und «Schule von Athen» siehe Vortrag Berlin, 5.5.1909, in «Bilder okkul­ter Siegel und Säulen», GA Bibl.-Nr. 284/285; Vortrag Berlin, 30.1. 1913, GA BibI.­Nr.62, siehe Hinweis zu S. 62, und Vortrag Köln, 6.5.1912 (ungedruckt): »Raffael stand die Szene vor Augen (Apostelgeschichte 17, 22ff.), in der die eine Gestalt, die sonder­barerweise als der Aristoteles angesprochen wurde auf dem Bilde, die aber im Geiste des Raffael als Paulus gelebt hat, steht, von dem Christus sprechend, vor den Athenern -:

Paulus.» P.

82 Thomas von Aquino: S. Hinweis zu Vortrag I, S. 48.

Sogar in den Architekturmotiven: Gemeint ist die auf der «Disputa» die Höhe der mensch­lichen Gestalt nur wenig überragende unvollendete Architektur, die nach Herman Grimm als Basis eines der Pfeiler, welche nach Bramantes Plan die Kuppel der neuen Peterskirche tragen sollten, zu erkennen ist.

86 Sixtinische Madonna: Siehe Vortrag Leipzig, 2.9.1908 in «Ägyptische Mythen und My­sterien», GA Bibl.-Nr. 106; Stuttgart, 4.8.1908 in «Welt, Erde und Mensch», GA Bibl.­Nr.105; speziell über die malerischen Mittel Raffaels Vortrag Dornach 8.6.1923 in «Das Künstlerische in seiner Weltmission», GA Bibl.-Nr. 276.

Transfiguration: Namentlich Giulio Romano, 1499-1546, der Schüler Raffaels, soll an­geblich an der Vollendung des Bildes gearbeitet haben, was aber wohl nur für den unteren Teil in Frage kommt, während der obere ganz von Raffaels Hand zu stammen scheint.

in . . . okkult-realistischem Sinne: Vortrag Basel, 26.9.1909 in «Das Lukas-Evangelium», GA Bibl.-Nr. 114; Vortrag Bern, 10.9.1910 in «Das Matthäus-Evangelium», GA Bibl.­Nr.123; Basel, 23.9.1912 in «Das Markus-Evangelium», GA Bibl.-Nr. 139.

87 Herman Grimm hat ausgerechnet: Siehe Herman Grimm, «Fragmente», Berlin, Stutt­gart 1900/02, 2. Bd., S. 182: «Mit einundzwanzig Jahren malte er Marias Vermählung [1504], vier Jahre später [etwa] die Grablegung [1507]; abermals vier Jahre darauf war die Camera della Segnatura vollendet [1511], vier Jahre darauf kamen die Cartons zu den Teppichen [1515/16] und bald darnach die beiden Madonnen [Sistina, della Sedia 1516]. Die «Verklärung Christi» stand zu den Füßen des Sterbebettes [1520].» - Es ist dies der Schluß des ersten Kapitels (Fragment): «Raffael als Weltmacht», das heißt des vierten Versuchs von Herman Grimm, das Leben Raffaels umfassend zu beschreiben, bei wel­chem - es wurde nur noch ein kurzes Stück des zweiten Kapitels niedergeschrieben - der Tod dem Verfasser die Feder aus der Hand nahm. P.

#SE292-362

Hinweise zu Vortrag II

87 225 Raffael, «Die Grablegung», Rom, Galerie Borghese: Die Abbildung wurde von C. S. Picht eingefügt und hier übernommen.

Skizzen zur «Grablegung»: Es handelte sich um die von Herman Grimm herangezogenen Entwürfe Raffaels, die C.S. Picht in seiner Ausgabe in dem genannten Zusammenhang erstmalig publizierte. Siehe H. Grimm, «Das Leben Raphaels», 3. Kap.; Wilhelm Kelber:

«Raphael von Urbino», Stuttgart 1979; insbesondere aber auch Oskar Fischel: »Raphaels Zeichnungen, Band I-VIII», Berlin 1913-1944, und weitere Publikationen vorwiegend in englischer Sprache während seiner Emigration.

88 diese großen Charaktere:

15. Jahrhundert 16. Jahrhundert

Lionardo 1452 -1519

Michelangelo 1475 -1564

Raffael 1483 -1520

89 Im Jahr 1504 stand Lionardo im 52., Michelangelo im 29., und Raffael im 21. Lebens­jahr. P.

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ZU VORTRAG III

Grundlagen zum Verständnis des mitteleuropäisch-nordischen Kunstimpulses. Gegensatz und Zusammenhang der mitteleuropäisch-nordischen und der südlichen Kunst:

DEUTSCHE PLASTIK UND MALEREI BIS ZU DURER UND HOLBEIN RAFFAEL

Dornach, 8. November 1916

Abbildungen zu Vortrag III

Die in der rechten Spalte angegebenen Vortragsziffern beziehen sich auf weitere Erwähnung

dieses Bildes.

Eine zweite Ziffer mit beigefügtem Buchstaben weist auf wiederholte Abbildung in kleinerem

Maßstab in einem der Sammelvorträge VII oder XIII hin.

Meister der Veronika, Köln

237 Das Schweißtuch der Veronika. München, Ältere Pinakothek XI

238 Madonna mit der Wickenblüte. Köln, Wallraf-Richartz-Museum XI 243

Stephan Lochner

239 Die Anbetung der Könige. Köln, Dom VII 698b XI 244

240 Christus am Kreuz, mit Heiligen. Nürnberg, Germanisches Museum XI

241 Die Madonna mit dem Veilchen. Köln, Diözesan-Museum XI

241 Die Madonna in der Rosenlaube. Köln, Wallraf-Richartz-Museum XI

Russische Ikone, 11./12. Jh.

245 Die Gottesmutter von Wladimir. Moskau, Historisches Museum VII XI

Martin Schongauer

249 Maria im Rosenhag. Colmar, Martinskirche

250 Die Geburt Christi. München, Ältere Pinakothek

253 Die Versuchung des Hl. Antonius, Kupferstich

Oberrheinischer Meister

254 Die Versuchung des Hl. Antonius. Köln, Wallraf-Richartz-Museum

Matthias Grünewald

255 Die Kreuztragung. Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle

#SE292-364

Abbildungen zu Vortrag III

256 Isenheimer Altar, Die Kreuzigung. Colmar, Museum

257 Isenheimer Altar, Die Versuchung des Hl. Antonius. Colmar, Museum

258 Isenheimer Altar, Der Hl. Antonius und Paulus im Gespräch

Colmar, Museum

259 Isenheimer Altar, Predella, Die Grablegung, Teil: Personengruppe

Colmar, Museum,

26o Isenheimer Altar, Predella, Die Grablegung. Colmar, Museum

261 Isenheimer Altar, Die Auferstehung. Colmar, Museum

Lucas Cranach d. Ä.

262 Der Jungbrunnen. Berlin, Deutsches Museum

263 Judith mit dem Haupt des Holofernes. Stuttgart, Staatsgalerie

264 Die Madonna mit der Weintraube. Berlin, Deutsches Museum

265 Maria mit dem Kinde. Glogau, Dom

266 Ruhe auf der Flucht. Berlin, Gemäldegalerie

268 Die Kreuzigung. Weimar, Stadtkirche

269 Albrecht von Brandenburg verehrt den Gekreuzigten

München, Ältere Pinakothek

Albrecht Dürer

270 Selbstbildnis. Madrid, Prado

271 Selbstbildnis. München, Ältere Pinakothek

272 Katharina Fürlegerin. Frankfurt, Städel

273 Hieronymus Holzschuher. Berlin, Deutsches Museum

274 Bildnis eines Greises. Paris, Louvre

278 Die Beweinung Christi. München, Ältere Pinakothek

279 Die Geburt Christi, Paumgartner Altar, Mittelteil

München, Ältere Pinakothek

280 Die Heiligen drei Könige. Florenz, Uffizien VII 706a

281 Herkules im Kampf mit stymphalischen Vögeln

Nürnberg, Germanisches Museum

284 Der Jesuslmabe unter den Schriftgelehrten. Rom, Palazzo Barberini

286 Die Anbetung der Heiligen Dreifaltigkeit, «Allerheiligen-Bild»

Wien, Gemäldegalerie

Raffael

286a Camera della Segnatura: «Disputa». Rom, Vatikan, Stanzen II VIII X

Albrecht Dürer

287 Die Vier Apostel, Teil: Johannes und Petrus

München, Ältere Pinakothek

288 Die vier Apostel, Teil: Paulus und Markus. München, Ältere Pinakothek

#SE292-365

Abbildungen zu Vortrag III

289 Die vier Apostel, Teil: Johannes und Petrus, Brustbild

München, Ältere Pinakothek

290 Die vier Apostel, Teil: Paulus und Markus, Brustbild

München, Ältere Pinakothek

291 Ritter, Tod und Teufel, Kupferstich

292 Hieronymus im Gehäuse, Kupferstich

293 Die Melancholie, Kupferstich

314 Die Kreuztragung, Kleine Holzschnitt-Passion VIII

Raffael

3 14a Die Kreuztragung. Madrid, Prado VIII 216

Albrecht Dürer

315 Kreuztragung, Große Holzschnitt-Passion

Hans Holbein d. J.

319 «Totentanz»: Der König, Holzschnitt VIII

320 «Totentanz»: Der Mönch, Holzschnitt VIII

321 «Totentanz»: Der Reiche, Holzschnitt VIII

322 Selbstbildnis. Florenz, Uffizien

323 Erasmus von Rotterdam. Basel, Kunstmuseum

324 Charles de Morette. Dresden, Zwinger

325 Die Familie des Künstlers. Basel, Kunstmuseum

326 Die Madonna des Bürgermeisters Meyer. Darmstadt, Gemäldegalerie

Naumburg, Dom

349 Stifter im Westchor: Hermann und Reglindis, Steinplastik

350 Stifter im Westchor: Wilhelm, Steinplastik

35' Stifter im Westchor: Dietrich, Steinplastik

352 Stifter im Westchor: Gepa, Steinplastik

353 West- Lettner: Maria, Steinplastik

354 West-Lettner: Johannes, Steinplastik

Straßburg, Münster

355 Prophet, linkes Gewände des Mittelportals

356 Die vier Kardinaltugenden, linkes Gewände des Nordwest-Portals

357 Christus und die klugen Jungfrauen, rechtes Gewände des

Südwest-Portals

358 Der Verführer und die törichten Jungfrauen, linkes Gewände des

Südwest-Portals

359 Die Kirche (Kopie) vom Süd-Portal des Querschiffs

360 Die Synagoge (Kopie) vom Süd-Portal des Querschiffs

#SE292-366

Abbildungen zu Vortrag III

361 Die Kirche, Teil: Brustbild

362 Die Synagoge, Teil: Brustbild

Unbekannter Meister, um 1500

363 Maria, Holzfigur. Nürnberg, Germanisches Museum

Hinweise zu Vortrag III

Zu Seite

98 Die beiden deutschen Mystiker: Johannes Tauler, um 1300-1361, Dominikaner, in naher Beziehung zu den «Gortesfreunden», und Valentin Weigel, I 533-1588, protestantischer Pfarrer.

den Himmel mit der Erde verbinden: Siehe Faust I, Nacht:

«Wie alles sich zum Ganzen webt, Eins in dem andern wirkt und lebt.»

«Ach könnt' ich doch auf Bergeshöhn In deinem lieben Lichte gehn, Um Bergeshöhle mit Geistern schweben, Auf Wiesen in deinem Dämmer weben.»

Vgl. a. Rudolf Steiner, Brief an Friedrich Eckstein v. 30. November I 890 (Weimar):

« ... Wissen Sie, daß Faust bei Widmann, an hohen Festtagen, wann die Sonne zu mor­gens früh aufging, das ,crepusculum matutinum' gebrauchte? » in «Briefe. Band I, 1881-1891», Dornach 1955, Seite 139.

in Worten, die Goethe gesprochen, niedergeschrieben hat: Hier besonders in den Zusam­menhang mit Dürers Kunst gestellt; siehe dazu Vortrag Dornach, 30.9.1916, in «Innere Entwicklungsimpulse der Menschheit. Goethe und die Krisis des 19. Jahrhunderts», GA Bibl.-Nr. 171.

101 Albrecht Dürer, 1471-1528, vgl. a. Erich Panofsky «Das Leben und die Kunst Albrecht Dürers», München 1977.

103 Walther von der Vogelweide, um 1170-1230; Wolfram von Eschenbach, um 1170-um 1220.

105 Stephan Lochner, t 1451. Als Geburtsort wird eigentlich Meersburg angenommen, wo seine Eltern nachweislich verstorben sind. Andererseits rechnet man aber mit der Möglichkeit,

#SE292-367

Hinweise zu Vortrag III

daß der Künstler durch das Konzil von Konstanz (1414-18), das große Auftrag-geber der Kunst und von diesen bevorzugte Maler dort versammelte, mindestens stark be­rührt worden ist. P.

110 Es ist durchaus zurückzuweisen: Diese «Zurückweisung» dürfte ganz allgemein gegen unklare Vorstellungen über den Einfluß der italienischen Kunst auf Dürer gerichtet gewe­sen sein. Rudolf Steiner war nicht nur überzeugt von der völligen Eigenständigkeit Dürers bei dem «Allerheiligenbild», die er hier mit allem Nachdruck vertritt und die ja heute kaum noch in Zweifel gezogen wird, sondern er war sogar der Ansicht, daß diese Eigen­ständigkeit gerade durch Dürers Eindrücke in Italien zum Durchbruch gekommen sei:

»Man kann erwarten, daß die Ich-Natur aus dem Charakter des Menschen heraus Formen hervorbringe, die in der Kunst auftreten; man muß erwarten von der Ich-Natur knorrige, charakteristische Formen, die mehr aus dem Ich heraus geschaffen sind. Man findet sie bei Holbein und Dürer. Aber man findet sie bei Dürer erst, nachdem er nach Italien gegan­gen war und von der italienischen Empfindungsseelen-Kultur befruchtet worden ist». Vortrag Dornach, 18.10.1914 in «Der Dornacher Bau als Wahrzeichen geschichtlichen Werdens und künstlerischer Umwandlungsimpulse», Dornach 1937.

I I I daß Raffael . . . Dürersche Zeichnungen vorliegen gehaht hat: Bekanntlich hat der italieni­sche Kupferstecher Marc Anton (Marcantonio Raimondi, um 1480 bis um 1530) viele Dürerblätter kopiert und Holzschnitte von ihm in Kupferstich umgesetzt. Man weiß auch durch Vasari, daß Dürer mit Raffael Arbeiten austauschte und daß in dessen Werkstatt Zeichnungen, Holzschnitte und Kupferstiche Dürers an der Wand hingen. P.

115 bei dem Worte «Melancholie»: Die vollständige lateinische Inschrift auf der Tafel, welche das Fledermaus-ähnliche Wesen trägt, lautet: MELENCOLIA [kommt sprachlich neben Melancolia vor] 1. Sie wird teils gelesen: Melencolia Nr. I, wonach das Blatt als erstes eines zweiten (andere Art von Melancholie) oder einer Folge weiterer Blätter (Tempera­mente) vermutet wird, teils nimmt man das «I» als Imperativ von ire gehen und liest in psychologischem Sinne: «Melancholie (Schwermut), gehe fort (weiche)!» - Melancholie kommt aus dem Griechischen und heißt wörtlich «Schwarzgalligkeit». Wie sich der Vor­tragende den vollständigen Titel gelesen dachte, geht aus seinen Ausführungen nicht her­vor; ebenso iSt bis jetzt nicht geklärt, wie die Lesart «Schwarzfärbung» zu verstehen sei, die der Vortragende als humoristisch-laienhaft von Dürer gedachten Doppelsinn der In­schrift neben «Melancholie» hypothetisch annimmt. Die Form «Schwarzfärbung Nr. I» wäre nur verständlich, wenn man das Wort einfach als Bezeichnung für Schwarzweiß-Kunst gesetzt denken wollte, also etwa: Schwarzweißblatt Nr. I . P.

117 mit Faust-Bildern, die es auch gibt: Siehe hier Vortrag V, Rembrandts Radierung «Doktor Faust» (564). Siehe Rudolf Steiner, «Zeitgeschichtliche Betrachtungen. 2. Teil», GA Bibl.­Nr. 174.

#SE292-368

ZU VORTRAG IV

Das selbständig Großartige des nördlichen Kunstschaffens neben der Renaissance-Kunst Italiens:

DEUTSCHE UND NIEDERLÄNDISCHE PLASTIK MICHELANGELO

Dornach, 15. November 1916

Abbildungen zu Vortrag IV

Die in der rechten Spalte angegebenen Vortragsziffern beziehen sich auf weitere Erwähnung

dieses Bildes.

Eine zweite Ziffer mit beigefügtem Buchstaben weist auf wiederholte Abbildung in kleinerem

Maßstab in einem der Sammelvorträge VII oder XIII hin.

Hans Baldung Grien

327 Die Ruhe auf der Flucht. Nürnberg, Germanisches Museum VII 709c

328 Kopf eines Greises. Berlin, Deutsches Museum

329 Die Kreuzigung. Berlin, Deutsches Museum

330 Christus am Kreuz zwischen den beiden Schächern. Basel, Kunstmuseum

Halberstadt, Dom, um I 200

364 Innenaufnahme des Chors mit der vollständigen Kreuzigungs-Gruppe

365 Kreuzigungs-Gruppe, Holz, Mittelteil

366 Kreuzigungs-Gruppe, Teil: Christus

367 Kreuzigungs-Gruppe, Teil: Maria

Wechselburg, Schloßkirche, um 1200

368 Kreuzigungs-Gruppe, Holz

369 Kreuzigungs-Gruppe, Holz, Teil: Kopf des Christus

370 Kreuzigungs-Gruppe, Holz, Teil: Kopf des Adam

Amiens, Kathedrale, I 3. Jh.

37' Le Beau Dieu, Steinfigur

Albrecht Dürer

371a Der Schmerzensmann, Kupferstich-Passion VIII 303 XIII 730a

#SE292-369

Abbildun gen zu Vortrag IV

Freiberg/Sachsen, Dom, um 1230

372 Anbetung der Könige, Stein, Bogenfeld der «Goldenen Pforte» VII 698a

373 Ecclesia und Aaron, Steinfiguren aus dem rechten Gewände der

«Goldenen Pforte»

Bamberg, Dom, 13. Jh.

374 Zwei Propheten der Chorschranke: Jonas und Hosea, Steinrelief

375 Bogenfeld des Fürstenportais: Das Jüngste Gericht, Steinrelief

376 «Adamspforte», linkes Gewände: Stephanus, Kaiserin Kunigunde,

Kaiser Heinrich, Steinfiguren

377 «Adamspforte», linkes Gewände, Teil: Kaiserin Kunigunde, Steinfigur

378 «Adamspforte», rechtes Gewände: Petrus, Adam und Eva, Steinfiguren

379 «Adamspforte», rechtes Gewände, Teil: Eva, Brustbild

380 «Adamspforte», rechtes Gewände, Teil: Adam, Brustbild

381 Maria, Steinfigur

382 «Fürstenportal»: Die Kirche

383 «Fürstenportal»: Die Synagoge, Steinfigur

384 «Fürstenportal»: Die Synagoge, Seitenansicht

385 «Fürstenportal»: Die Kirche, Teil: Brustbild

386 «Fürstenportal»: Die Synagoge, Teil: Brustbild

387 Der Reiter, Steinfigur

388 Der Reiter, Teil: Brustbild

Köln, Dom, um 1330

389 Maria, Steinfigur

390 Johannes, Steinfigur

39' Jakobus d. Ä., Steinfigur

Meister der Tonapostel, um 1400 392 Paulus, Tonfigur. Nürnberg, St. Jakob

Claus Sluter

393 Dijon, Chartreuse de Champmol, Portal: Madonna mit Stiftern, Steinfiguren

394 Dijon, Chartreuse de Champmol, Portal, Teil: Madonna

395 Dijon, Chartreuse de Champmol, Portal, Teil: Philipp der Kühne,

Johannes der Täufer, Steinfiguren

396 Dijon, Chartreuse de Champmol, Portal, Teil: Brustbild des Jesaias

397 «Mosesbrunnen», Teil: Moses, Dijon, Chartreuse de Champmol,

Brustbild, Marmor.

Michelangelo

398 Moses. Rom, S. Pietro in Vincoli (Teil von 174) II I 74

#SE292-370

Abbildungen zu Vortrag IV

Claus Sluter

399 «Mosesbrunnen», Sockel: David, Dijon, Chartreuse de Champmol,

Jeremias, Marmorfiguren

400 «Mosesbrunnen», Sockel: Zacharias, Dijon, Chartreuse de Champmol,

Daniel, Jesalas, Marmorfiguren

401 Grabmahl Philipps des Kühnen, Marmor. Dijon, Museum

402 Grabmahl Philipps des Kühnen, Teil: Philipp der Kühne mit zwei Engeln,

Marmor. Dijon, Museum

403 Grabmahl Philipps des Kühnen, Teil einer Seitenwand mit trauernden

Mönchen. Dijon, Museum

404 Grabmahl Philipps des Kühnen, Teil einer Seitenwand, trauernde

Mönche. Dijon, Museum

Hans Multscher

405 Madonna mit dem Kind, Holzfigur. Vipiteno (Sterzing), Pfarrkirche

406 St. Georg, Holzfigur. Vipiteno (Sterzing), Palazzo Municipale

407 St. Florian, Holzfigur. Vipiteno (Sterzing), Palazzo Municipale

Blutenburg bei München, Kapelle

408 Matthias, Holzfigur

409 Maria, Holzfigur

410 Thomas, Holzfigur

411 Johannes, Holzfigur

München, Frauenkirche 412 Chorgestühl: Baruch, Markus, Job

Tilman Riemenschneider

413 Adam, vom Portal der Marien-Kapelle, Steinfigur. Würzburg, Museum

414 Eva, vom Portal der Marien-Kapelle, Steinfigur. Würzburg, Museum

415 Adam, vom Portal der Marien-Kapelle, Teil: Kopf des Adam

Würzburg, Museum

416 Eva, vom Portal der Marienkapelle, Teil: Kopf der Eva. Würzburg, Museum

417 Hl. Elisabeth, Holzfigur. Nürnberg, Germanisches Museum

418 Madonna mit dem Kinde, Holzfigur. Frankfurt/M., Liebighaus

419 Die zwölf Apostel, Holz-Halbfiguren: Petrus

München, National-Museum

420 Die zwölf Apostel, Holz-Halbfiguren: Jakobus d. J.

München, National-Museum

421 Die zwölf Apostel, Holz-Halbfiguren: Judas Thaddäus

München, National-Museum

#SE292-371

Abbildungen zu Vortrag IV

422 Die zwölf Apostel, Holz-Halbfiguren: Andreas München, National-Museum

423 Die zwölf Apostel, Holz-Halbfiguren: Philippus München, National-Museum

424 Die zwölf Apostel, Holz-Halbfiguren: Bartholomäus München, National-Museum

42 5 Die zwölf Apostel, Holz-Halbfiguren: Johannes München, National-Museum

426 Die zwölf Apostel, Holz-Halbfiguren: Jakobus d. Ä. München, National-Museum

427 Die zwölf Apostel, Holz-Halbfiguren: Matthias München, National-Museum

428 Die zwölf Apostel, Holz-Halbfiguren: Simon München, National-Museum

429 Die zwölf Apostel, Holz-Halbfiguren: Matthäus München, National-Museum

430 Die zwölf Apostel, Holz-Halbfiguren: Thomas München, National-Museum

Veit Stoss

43 I Marien-Altar, Mittelschrein. Krakau, Marienkirche

432 Der Englische Gruß, Holzbildwerk. Nürnberg, St. Lorenz

Hinweise zu Vortrag IV

Zu Seite

123 schwache Nachklänge von Spielen: Ludus paschalis de adventu et interitu Antichristi (Osterspiel von der Ankunft und dem Untergange des Antichrists). - Spiel von den zehn klugen und den zehn törichten Jungfrauen (aufgeführt 1322 zu Eisenach vor dem Thürin-ger Landgrafen Friedrich »dem Freidigen»). P.

127 Kreuzigungsgruppe: Man muß sich vergegenwärtigen, daß (nach Adolph Goldschmidt «Die Skulpturen von Freiberg und Wechselburg», Berlin 1924) diese «Kreuzigungs­gruppe» (sog. Triumphkreuz) durch unerfreuliche Restaurierung manches von ihrer Ur­sprünglichkeit eingebüßt hat. So ist nicht nur das dem eigentlichen Kreuz unterlegte Kreuz mit den Dreipässen erneuert, sondern auch die Inschrifttafel, die Nimben der Figuren

#SE292-372

Hinweise zu Vortrag IV

und der Kelch sind neuere Zutaten. Das Kreuz reichte früher bis in die erhobene Hand des Adam, die es zu halten schien (vgl. das Triumphkreuz von Halberstadt) und in welche träufelnd demnach das Blut des Erlösers zu denken wäre. Auch die Bemalung des Ganzen ist äußerst roh erneuert. - Es wäre noch darauf aufmerksam zu machen, daß es sich bei dieser Kreuzigungsgruppe um einen sterbenden Christus, bei der vorangehenden Kreuzigungsgruppe um einen gestorbenen Christus handelt. Es gibt dann, weit seltener, noch Kreuz-Darstellungen mit dem triumphierenden Christus, der den Tod überwunden hat. P.

137 «Rosenkranz»-Bildschnitzer: Bezieht sich auf die Rosenkranz-Madonna in Volkach von

1521/24 von Tilman Riemenschneider.

ZU VORTRAG V Eine einzigartige Erscheinung in der künstlerischen Menschheitsentwickelung: REMBRANDT Dornach, 28. November 1916

#G292-1981-SE373 Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse

#TI

ZU VORTRAG V

Eine einzigartige Erscheinung in der künstlerischen Menschheitsentwickelung:

REMBRANDT

Dornach, 28. November 1916

Abbildungen zu Vortrag V

#TX

Die in der rechten Spalte angegebenen Vortragsziffern beziehen sich auf weitere Erwähnung

dieses Bildes.

Eine zweite Ziffer mit beigefägtem Buchstaben weist auf wiederholte Abbildung in kleinerem

Maßstab in einem der Sammelvorträge VII oder XIII hin.

Rembrandt

496 Simeon im Tempel. Hamburg, Kunsthalle

497 Simson und Delila. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum

498 Christus in Emmaus. Paris, Musée Jacquemart- André

499 Die Heilige Familie. München, Ältere Pinakothek

500 Nicolaes Ruts. New York, J. Piermont-Morgan

501 Frauenbildnis. Wien, Gemäldegalerie

502 Der Philosoph. Paris, Louvre

503 Die Ruhe auf der Flucht. Den Haag, Mauritshuis

504 Alte Frau. London, National Gallery

505 Die Anatomie des Professors Tulp. Den Haag, Mauritshuis

506 Selbstbildnis mit Saskia. London, Buckingham Palace

507 Selbstbildnis mit Saskia auf dem Schoß. Dresden, Zwinger

508 Bildnis eines Orientalen. Chatsworth, Duke of Devonshire

509 Die Kreuzabnahme. München, Ältere Pinakothek

510 Die Grablegung. München, Ältere Pinakothek

511 Die Auferstehung. München, Ältere Pinakothek

512 Die Himmelfahrt. München, Ältere Pinakothek

513 Die Predigt des Johannes d. T. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum

514 Abrahams Opfer. München, Ältere Pinakothek

515 Abraham bewirtet die drei Engel. Leningrad, Eremitage

516 Der Erzengel verläßt den Tobias. Paris, Louvre

#SE292-374

Abbildungen zu Vortrag V

517 Susanna im Bade. Den Haag, Mauritshuis

518 Gewitterlandschaft mit dem barmherzigen Samariter. Krakau, Museum

519 Gewitterlandschaft mit der Bogenbrücke

Berlin, Kaiser Friedrich-Museum

520 Die Hochzeit des Samson. Dresden, Zwinger

511 Die Heimsuchung der Maria. Detroit, Institute of Arts

522 Saskia mit der roten Blume. Dresden, Zwinger

523 Die Dame mit dem Fächer. London, Duke of Westminster

524 Die Eintracht des Landes. Rotterdam, Museum Boymans

525 Aufzug der Amsterdamer Bürgergarde - «Die Nachtwache»

Amsterdam, Rijksmuseum

526 Die Heilige Familie. Leningrad, Eremitage

527 Die Anbetung der Hirten. München, Ältere Pinakothek VII 692c

528 Selbstbildnis, um 1629. Den Haag, Mauritshuis

529 Selbstbildnis mit aufgestütztem Arm, 1639, Radierung

530 Selbstbildnis, 1645, Radierung, erster Zustand

531 Selbstbildnis, 1657. Dresden, Zwinger

532 Selbstbildnis, 1660. London, National Gallery

533 Selbstbildnis, 1663. London, Kenwood House, Iveagh-Stiftung

534 Susanna und die beiden Alten. Berlin, Gemäldegalerie

535 Bildnis eines Malers. New York, Sammlung Frick

536 Christus in Emmaus. Paris, Louvre

537 Die Vision des Daniel. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum

538 Rembrandts Bruder Adrian (?). Den Haag, Mauritshuis

539 Christus und die Ehebrecherin. Minneapolis, Sammlung T.B. Walker

540 Junge Frau vor dem Spiegel. Leningrad, Eremitage

541 Lesende alte Frau. London, Duke of Buccleuch

542 Geharnischter Mann. Kassel, Gemäldegalerie

543 Rembrandts Sohn Titus. London, Earl of Crawford

544 Der polnische Reiter. New York, Sammlung Frick

Peter Paul Rubens

544a Philipp II. von Spanien zu Pferde. Madrid, Prado

Rembrandt

545 Der Arzt Arnold Tholinx. Paris, Musée Jacquemart-André

546 Jakob segnet Manasse und Ephraim. Kassel, Gemäldegalerie

547 Die Anbetung der Könige. London, Buckingham Palace VII 706c

548 Alte Frau, sich die Fingernägel schneidend

New York, Metropolitan Museum

#SE292-375

Abbildungen zu Vortrag V

549 Bildnis einer Dame mit Straußenfächer

Philadelphia, Sammlung Joseph Widener

550 Christus an der Martersäule. Darmstadt, Gemäldegalerie

551 Jakob ringt mit dem Engel. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum

552 Das Mahl des Julius Civilis - «Die Verschwörung der Bataver»

Stockholm, National-Museum

553 Die Staalmeesters. Amsterdam, Rijksmuseum

554 Alte Dame - Margaretha de Geer. London, National Gallery

555 Die Rückkehr des verlorenen Sohnes. Leningrad, Eremitage

556 Der Barmherzige Samariter, Radierung 1633

557 Der Zinsgroschen, Radierung 1634

558 Die «Große Kreuzabnahme», Radierung 1633

559 Ecce homo in der Höhe, Radierung 1636

563 Der Leser am Fenster - Jan Six, Radierung 1647

564 Doktor Faust, Radierung 1652 III

565 Christus heilt die Kranken - Hundertguldenblatt, Radierung 1649

566 Die drei Kreuze, Radierung 1653

567 Christus am Ölberg, Radierung 1657

#TI

Hinweise zu Vortrag V

#TX

Zu Seite

141 «Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen»: (Julius Langbehn) Leipzig 1890. Siehe auch Rudolf Steiner «Die Philosophie der Gegenwart» in «Litterarischer Merkur«, Weimar 1892; wieder gedruckt in «Methodische Grundlagen der Anthroposophie. Ge­sammelte Aufsätze 1884-1901«, S. 318/19, Bibl.-Nr. 30, GA 1961, und Rudolf Steiner «Mein Lebensgang« (1924/25), S. 189/90, Bibl.-Nr. 28, GA 1962.

143/144 «Der Rembrandt-Deutsche Julius Lan gbehn». Von seinem Freunde Benedikt Momme Nissen (aus dem Predigerorden), Freiburg i. Br. 1926.

145 Herman Grimm sagt mit Recht: Siehe Herman Grimm «Beiträge zur Deutschen Kultur-geschichte« Berlin 1897, S. 355, bzw. 382: «Die Umgestaltung der Universitätsvorlesun-gen über Neuere Kunstgeschichte durch die Anwendung des Skioptikons».

#SE292-376

Hinweise zu Vortrag V

145 wie Herman Grimm es sagt: Wörtlich: «(Die historischen Porträts des] Vandyck, Murillo und Velasquez lassen uns die Menschen erblicken, mit deren Hilfe die Habsburgische Dynastie im 16. und 17. Jahrhundert in Spanien und in den Niederlanden allmächtig war» (s. Herman Grimm, Zehn Ausgewählte Essays, Berlin 1871, S. 171).

148 Saskia starb den 14. Juni 1642; sie war seit 1634 Rembrandts Frau.

149 Rembrandt Selbstbildnisse: Man kennt von Rembrandt, einschließlich Zeichnungen und Radierungen, über neunzig als echt geltende Selbstbildnisse; nachweisbar sind über hun­dert in Frage kommender Darstellungen.

152 Was Herman Grimm erlebt hat: Siehe Herman Grimm «Beiträge zur Deutschen Kultur­geschichte», Berlin 1897, S. 386ff.

Kinetoskop, oder Skioptikon, eine verbesserte Laterna Magica, Vorläufer der heutigen Projektionsapparate.

158 Eindruck des Bewegten: Rubens Philipp II. zu Pferde (544a). Es wurde als Vergleichs-bild die dem Rembrandtschen Bilde ähnlichste Pferdedarstellung von Rubens hier einge­fügt. Für die erwähnte Verschiedenheit in der Pferde- bzw. Bewegungsdarstellung lassen sich naturgemäß auch noch andere Gründe geltend machen. Die vom Vortragenden be­tonte Lichtwirkung, die ja augenscheinlich ist, weist aber auf einen wesentlichen Unter­schied in der Darstellungstendenz der beiden genannten Künstler hin. P.

159 «Anatomische Vorlesung des Professors Nicolaes Tulp» von 1632, Den Haag, Mau­ritshuis, (505). Auf dem Papier, das der eine Hörer in der Hand hält, sind nicht nur die Namen der Anwesenden verzeichnet, sondern es kann auch durch die beigesetzten Num­mern jeder einzelne identifiziert werden. P.

ZU VORTRAG VI Das auftretende Wirken der Bewußtseinsseele in der Kunst des fünften nachatlantischen Zeitraums: NIEDERLÄNDISCHE MALEREI vornehmlich des 15. Jahrhunderts Dornach, 13. Dezember 1916

#G292-1981-SE377 Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse

#TI

ZU VORTRAG VI

Das auftretende Wirken der Bewußtseinsseele in der Kunst

des fünften nachatlantischen Zeitraums:

NIEDERLÄNDISCHE MALEREI

vornehmlich des 15. Jahrhunderts Dornach, 13. Dezember 1916

Abbildungen zu Vortrag VI

#TX

Die in der rechten Spalte angegebenen Vortragsziffern beziehen sich auf weitere Erwähnung

dieses Bildes.

Eine zweite Ziffer mit beigefügtem Buchstaben weist auf wiederholte Abbildung in kleinerem

Maßstab in einem der Sammelvorträge VII oder XIII hin.

Hubert und Jan van Eyck

433 Der Genter Altar, Gesamtbild. Gent, St. Bavo

434 Genter Altar, Teil: Gottvater. Gent, St. Bavo

43 5 Genter Altar, Teil: Anbetung des Lammes. Gent, St. Bavo

Mithras-Relief

436 Stiertötender Mithras, Römisch, aus Oster-Burken/Baden

Karlsruhe, Schloßmuseum

Hubert und Jan van Eyck

437 Genter Altar, Teil: Maria. Gent, St. Bavo

438 Genter Altar, Teil: Johannes. Gent, St. Bavo

439 Genter Altar, Teil: Musizierende Engel. Gent, St. Bavo

440 Genter Altar, Teil: Singende Engel. Gent, St. Bavo

441 Genter Altar, Teil: Die Richter. Gent, St. Bavo

442 Genter Altar, Teil: Die Ritter. Gent, St. Bavo

443 Genter Altar, Teil: Die Einsiedler. Gent. St. Bavo

444 Genter Altar, Teil: Die Pilger. Gent, St. Bavo

Jan van Eyck

445 Die Madonna des Kanonikus van der Paele. Brügge, Museum

446 Die Brunnen des Lebens. Madrid, Prado

447 Die Kreuzigung. Berlin, Deutsches Museum

#SE292-378

Abbildungen zu Vortrag VI

448 Die Verlobung des Giovanni Arnolfini. London, National Gallery

449 Der Mann mit der Nelke. Berlin, Deutsches Museum

Meister von Flémalle

450 Die Hl. Veronika. Frankfurt/M. Städel

451 Der Tod der Maria. London, National Gallery

Roger van der Weyden

452 Die Beweinung Christi. Den Haag, Mauritshuis

453 Die Kreuzabnahme, Mittelteil eines Flügelaltars. Madrid, Prado

454 Der Hl. Lukas malt die Madonna. München, Ältere Pinakothek

455 Die Anbetung der Könige. München, Ältere Pinakothek VII 702a

456 Bildnis Karls des Kühnen von Burgund. Berlin, Deutsches Museum

Petrus Christus

457 Die Verkündigung an Maria, Altarflügel. Berlin, Deutsches Museum

458 Die Geburt Christi, Altarflügel. Berlin, Deutsches Museum

Dierick Bouts d. J.

459 Die Anbetung der Könige, Mittelteil des Tragaltars «Perle von Brabant» VII 702b

München, Ältere Pinakothek

460 Johannes d.T., Flügel des Tragaltars «Perle von Brabant»

München, Ältere Pinakothek

461 Der Hl. Christophorus, Flügel des Tragaltars «Perle von Brabant»

München, Ältere Pinakothek

Hugo van der Goes

462 Die Anbetung des Kindes, Portinari-Altar, Mittelteil. VII 692d

Florenz, Uffizien

463 Die Anbetung des Kindes, Portinari-Altar, Mittelteil,Teil: Die Hirten VII 692e

Florenz, Uffizien

464 Hl. Antonius und Hl. Matthäus mit Stiftern, Portinari-Altar, Flügel

Florenz, Uffizien

465 Hl. Margarethe und Hl. Magdalena mit Stiftern. Portinari-Altar, Flügel

Florenz, Uffizien

466 Die Anbetung der Hirten. Berlin, Deutsches Museum

467 Der Tod der Maria. Brügge, Museum

468 Der Sündenfall. Wien, Gemäldegalerie

Meister Bertram

469 Der Sündenfall, Grabower Altar, Teil. Hamburg, Kunsthalle

Hans Memling

470 Die sieben Freuden der Maria. München, Ältere Pinakothek

#SE292-379

Abbildungen zu Vortrag VI

47' Das Jüngste Gericht, Mittelteil. Danzig, Marienkirche

472 Madonna mit dem Kind. Florenz, Uffizien

473 Männliches Bildnis. Berlin, Deutsches Museum

474 Männliches Bildnis. Den Haag, Mauritshuis

Gerard David

475 Die Anbetung der Könige. München, Ältere Pinakothek VII 704a

476 Maria mit dem Kind in einer Landschaft. Berlin, Deutsches Museum

477 Die Taufe Christi. Brügge, Museum

478 Maria mit Heiligen und Engeln. Rouen, Museum

Geertjen tot Sint Jans

479 Die Sippe Christi in der Kirche. Amsterdam, Rijksmuseum

480 Die Geburt Christi. London, National Gallery

Hieronymus Bosch

481 Die Kreuztragung. Gent, Gemäldegalerie

482 Die Kreuztragung. Madrid, Prado

483 Die Hölle, «Garten der Lüste», rechter Innenflügel des Mtars

Madrid, Prado

Quentin Massys

484 Der Geldwechsler und seine Frau. Paris, Louvre

485 Die Sippe Christi, Annen-Altar, Mittelteil. Brüssel, Gemäldegalerie

486 Die Beweinung Christi, Johannes-Altar, Mittelteil. Antwerpen, Museum

Joachim de Patinir

487 Die Ruhe auf der Flucht. Madrid, Prado VII 707b

488 Die Ruhe auf der Flucht. Berlin, Deutsches Museum

489 Die Taufe Christi. Wien, Gemäldegalerie

490 Die Versuchung des Hl. Antonius. Madrid, Prado

Pieter Breughel d. Ä.

491 Der Teufel und der Fromme. Neapel, Nationalmuseum

492 Die Parabel von den Blinden. Paris, Louvre

493 Der Fall der Engel. Brüssel, Gemäldegalerie

494 Die Kreuztragung. Wien, Gemäldegalerie

495 Die Anbetung der Könige. London, National Gallery VII 7o6b

#SE292-380

Hinweise zu Vortrag VI

Zu Seite

164 Filippo Brunellesco (Brunelleschi), 1377-1446, der Begründer der Renaissancebaukunst, der zuerst von allen Künstlern der Renaissance sich mit den Problemen der malerischen Perspektive auseinandersetzte und zu ihrer Ergründung hinleitete. P.

169 Der Genter Altar ist seit 1919 wieder in Gent vereinigt.

171 (435) Anbetung des Lammes: Siehe dazu Vortrag, Dornach 27.11.1916 in «Karma des

Berufes«, GA Bibl.-Nr. 172.

177 nicht eine Schlange: Siehe Vortrag Berlin 7.3.1916 u. 4.4.1916 in «Gegenwärtiges und Vergangenes im Menschengeiste», GA Bibl.-Nr. 167.

178 (471) Hans Memling: «Das Jüngste Gericht»: Das Altarbild war ursprünglich gestiftet von dem als Vertreter der Medici in Brügge tätigen Kaufmann Jacopo Tani und dessen Gattin Caterina und vermutlich für eine der Florentiner Kirchen bestimmt. Im Jahre 1473 wurde das Bild in Brügge auf der Galeide «St. Thomas» des in Brügge ansässigen Tom­rnaso Portinari mit Tuchen, Pelzwerk, Spezereien, Teppichwirkereien u. a. zum Trans­port nach Italien verfrachtet. In dem damals herrschenden Seekrieg des Hansabundes ge­gen England wurde das Schiff von dem Danziger Schiffer Peter Bencke gekapert. Das Bild gelangte alsbald in die Hände der Danziger Reeder Sidinghusen, Valandt und Niderhoff, die es auf den Altar der Kapelle der Georgenbruderschaft ihrer heimatlichen Pfarrkirche stifteten. Im Jahre 1807 von den Franzosen nach Paris entführt, kam das Bild nach den Napoleonischen Kriegen gemäß dem Friedensvertrag von 1815 zunächst nach Berlin und 1816 nach Danzig zurück. Darüber berichtet auf einer unter dem Bilde angebrachten Tafel das Distichon: «Als das ew'ge Gericht des Kleinods Räuber ergriffen, gab der gerechte Monarch uns das erkämpfte zurück».

181 (491) Pieter Brueghe d. Ä.: «Der Teufel und der Fromme»: Die Inschrift lautet: Om dat de Werelt (Welt) is soe ongetru/Daer om gha ic in den ru. - Dem Einsiedler, der sich von der ungetreuen Welt zurückziehen will, stiehlt diese (der Teufel in der Erdkugel) noch den Beutel mit den Ersparnissen. P.

#SE292-381

#TI

ZU VORTRAG VII

Weihnachtsmotive aus mehreren Jahrhunderten:

Geburt des Christus Jesus - Anbetung der Hirten - Anbetung der Könige Flucht nach Ägypten

MOSAIKE MINIATUREN ITALIENISCHE, NIEDERLÄNDISCHE UND DEUTSCHE MEISTER

Dornach, 2. Januar 1917

Abbildungen zu Vortrag VII

#TX

Erstmals erwähnte Bilder sind ganzseitig abgebildet und stehen in der fortlaufenden Reihenfolge. In verkleinertem Maßstab wiederholt abgebildete sind außerdem durch einen Buchstaben gekenn­zeichnet. In der rechten Spalte steht die Ziffer der ganzseitigen Abbildung mit dem entsprechen­den Vortrag, bzw. weitere Erwähnungen.

Russische Ikone, 11./12. Jh.

245 Die Gottesmutter von Wladimir. Moskau, Historisches Museum III XI

Miniatur, 14. Jh.

678 »Die drei Könige sehen den Stern», aus dem «Speculum humanae

salvationi», Federzeichnung. München, Staatsbibliothek

Mosaik, 12. Jh.

679 Die Geburt Christi. Palermo, Chiesa della Martorana

Biblia Pauperum, um 1470

680 Die Geburt Christi, Holzschnitt. Paris, Nationalbibliothek

Miniatur, 11. Jh.

681 Die Geburt Christi, aus dem Evangeliar des Klosters Limburg XI 247

Köln, Dombibliothek

Herrad von Landsberg, 12 Jh.

682 Die Geburt Christi, Die Flucht nach Ägypten, aus dem »Hortus VII 707a

deliciarium», Kopie. Berlin, Kupferstichkabinett

Niccolé Pisano

683a Kanzel-Relief: Die Geburt Christi, Marmor. Siena, Dom IX 619

#SE292-382

Abbildungen zu Vortrag VII

Giotto di Bondone

683b Die Geburt Christi. Padua, Arena-Kapelle 20

Giovanni della Robbia

683c Die Geburt Christi, glasiertes Ton-Relief. Florenz, National-Museum 637

Meister Francke

683d Die Anbetung des Kindes. Hamburg, Kunsthalle 345

Fra Filippo Lippi

684 Maria, das Kind verehrend. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum

Piero della Francesca

685 Die Geburt Christi. London, National Gallery

Correggio

686 Die Heilige Nacht. Dresden, Zwinger

687 Maria, das Kind verehrend. Florenz, Uffizien

Martin Schongauer

688a Die Geburt Christi. Berlin, Deutsches Museum 251

Friedrich Wilhelm Herlin

688b Die Geburt Christi. Nördlingen, Museum 347

Albrecht Dürer

688c Die Geburt Christi, Kleine Holzschnitt-Passion 308

Albrecht Altdorfer

688d Die Geburt Christi. Berlin, Deutsches Museum 346

Miniatur, Anfang 11. Jh.

689 Verkündigung an die Hirten, Geburt Christi, aus dem Menologium des

Basilius II. Rom, Vatikan

Miniatur, um 1000

690a Die Verkündigung an die Hirten (und die Geburt Christi), 248

Codex Egberti. Trier, Stadtbibliothek

Giovanni Cimabue

69ob Die Anbetung der Hirten. Assisi, S. Francesco 6

Piero di Cosimo

691b Die Anbetung des Kindes. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum

Domenico Ghirlandajo

692a Die Anbetung der Hirten (und der Könige). Florenz, Uffizien 55

#SE292-383

Abbildungen zu Vortrag VII

Rembrandt

692b Die Verkündigung an die Hirten, Radierung 1634 560

692c Die Anbetung der Hirten. München, Ältere Pinakothek V 527

Hugo van der Goes

692d Die Anbetung des Kindes. Florenz, Uffizien VI 462

692e Die Anbetung des Kindes, Teil: Die Hirten. Florenz, Uffizien VI 463

Altchristliches Mosaik, 6. Jh.

693 Die Huldigung der Magier. Ravenna, S. Apollinare Nuovo

Miniatur, Anfang 11. Jh.

694 Die Huldigung der Magier, aus dem Menologium des Basilius II.

Rom, Vatikan

Altchristlicher Sarkophag, 4. Jh.

695a Die Huldigung der Magier. Ravenna, S. Vitale XII 667

Niccolo' Pisano

69 5b Die Anbetung der Könige, Kanzelrelief. Pisa, Baptisterium IX 617

Domenico Veneziano

696 Die Anbetung der Könige. Berlin, Gemäldegalerie

Gentile da Fabriano

697 Die Anbetung der Könige. Florenz, Uffizien

Bogenfeldrelief, um 1230

698a Die Anbetung der Könige. Freiberg/Sachsen, «Goldene Pforte» W 372

Stephan Lochner

698b Die Anbetung der Könige. Köln, Dom, Altar der Stadtpatrone, Mittelteil III 239 XI 244

Fra Angelico

699a Die Anbetung der Könige. Florenz, S. Marco 66

Filippino Lippi

699b Die Anbetung der Könige. Florenz, Uffizien 52

Sandro Botticelli

699c Die Anbetung der Könige. Florenz, Uffizien 1 71 Domenico Ghirlandajo

699d Die Anbetung der Könige. Florenz, Spedale degli Innocenti 56

Andrea Mantegna

699e Die Anbetung der Könige. Florenz, Uffizien 62

#SE292-384

Abbildungen zu Vortrag VII

Giorgione

700 Die drei Weisen aus dem Morgenlande. Wien, Gemäldegalerie

Gentile Bellini

701 Die Anbetung der Könige. London, Sammlung Layard

Roger van der Weyden

702a Die Anbetung der Könige, Dreikönigsaltar, Mittelteil. VI 455

München, Ältere Pinakothek

Dierick Bouts d. J. (?)

702b Die Anbetung der ,Könige, Flügelaltärchen «Perle von Brabant», Mittelteil VI 459

München, Ältere Pinakothek

Miniatur, ,5. Jh.

703 Die Anbetung der Könige, aus dem Breviarium Grimani

Venedig, S. Marco

Gerard David

704a Die Anbetung der Könige. München, Ältere Pinakothek VI 475

Lionardo da Vinci

7o4b Die Anbetung der Könige. Florenz, Uffizien II I 116

Luini

705 Die Anbetung der Könige. Saronno, Santuario

Albrecht Dürer

706a Die Anbetung der Könige. Florenz, Uffizien III 280

Pieter Breughel d. Ä.

7o6b Die Anbetung der Könige. London, National Gallery VI 495

Rembrandt

706c Die Anbetung der Könige. London, Buckingham Palace V 547

Herrad von Landsberg

707a Die Flucht nach Agypten, aus dem »Hortus deliciarium» (aus 682, unten) VII 682

Berlin, Kupferstich-Kabinett

Joachim de Patinir

707b Die Ruhe auf der Flucht. Madrid, Prado VI 487

Bernhard Strigel

707c Die Flucht nach Ägypten. Stuttgart, Staats galerie VIII 348

Dürer, Werkstatt (?)

707d Die Flucht nach Agypten. Dresden, Zwinger

#SE292-385

Abbildungen zu Vortrag VII

Correggio

708 Die Madonna mit der Schüssel. Parma, Pinakothek

Albrecht Dürer

709a Die Rast der Heiligen Familie in Ägypten, 301

Holzschnitt aus dem «Marienleben»

Lucas Cranach d. Ä.

709b Die Ruhe auf der Flucht, Holzschnitt 267

Hans Baldung Grien

709C Die Ruhe auf der Flucht. Nürnberg, Germanisches Museum IV 327

Rembrandt

709d Nachtstück: Die Ruhe auf der Flucht. Radierung 562

Hinweise zu Vortrag VII

Zu Seite

183 Dr. Tri'hon Trapesnikoff (gest. 1925 in Breitbrunn), russischer Kunsthistoriker, damals in Dornach lebend, bereitete die Lichtbilder-Vorträge vor. Veröffentlichung »Die Portrait-darstellungen der Mediceer des XV. Jahrhunderts» mit 60 Abb., Strassburg 1909 (Zur Kunstgeschichte des Auslandes, Heft 73).

«Weihnachtspiele»: Aus der ersten Hälfte des 15. Jhs. stammende, von Karl Julius Schröer, dem Lehrer und väterlichen Freund Rudolf Steiners in Ungarn gesammelte Spiele wurden seit 1910, in Dornach seit 1915, im Rahmen der anthroposophischen Arbeit aufgeführt, aufgrund sehr eingehender Angaben Rudolf Steiners, vgl. »Weihnachtspiele aus altem Volkstum. Die Oberuferer Spiele. Mitgeteilt von K. J. Schröer, szenisch einge­richtet von Rudolf Steiner». S. Auflage 1976; K. J. Schröer: »Deutsche Weihnachtspiele aus Ungarn». Neue Ausgabe Wien 1862; Helmut Sembdner, »Die Oberuferer Weih­nachtspiele im Urtext. Karl J. Schröers Fassung von 1858 in Verbindung mit der Andauer Handschrift und dem anonymen Erstdruck von 1693», Stuttgart 1977.

184 die letzten Vorträge: Basel, 21.12.1916 und Dornach, 24.12.1916, beide in »Zeitge­schichtliche Betrachtungen. Erster Teil», GA Bibl.-Nr. 173.

Die Strömung des Lukas-Evangeliums, ... die Strömung des Matthäus-Evangeliums: Siehe

dazu »Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit» Berlin 1911, GÄ Bibl.­Nr.15, und die Vorträge in Basel 1909 »Das Lukas-Evangelium», GÄ Bibl.-Nr. 114; in

Bern 1910 »Das Matthäus-Evangelium», GÄ Bibl.-Nr. 123. - Von den vier Gruppen der

#SE292-386

Hinweise zu Vortrag VII

vorgeführten Lichtbilder beziehen sich «Christi Geburt» und »Anbetung der Hirten» auf die Kindheit des Nathanischen Jesusknaben, «Anbetung der Könige» und »Flucht nach Ägypten» auf die Kindheitsgeschichte des Salomonischen Jesusknaben, in dem die Indi­vidualität des Zarathustra verkörpert war. P.

184 von jenen nordiändischen Mysterien: Die Mysterien der Ingävonen oder Ingväonen (auf Jütland) siehe Vorträge Basel und Dornach 1916 in GA Bibl.-Nr. 173, s. Hinweis oben.

185 die Mission der Magier: in der »Legenda aurea» des Jacobus de Voragine heißt es:

«Es erzählen etliche, als Chrysostomus schreibet, daß an dem Tage der Geburt unsres Herrn den Magiern, da sie auf einem Berge beteten, ein Stern erschien in eines schönen Kindleins Gestalt, ob des Hauptes leuchtete ein Kreuz; und das Kind sprach zu ihnen:

,Machet euch auf nach Judäa, da findet ihr das Kindlein geboren'.» - Vgl. Bild (678) und Matth. 2,1 - 19. P.

Unsere Freunde waren so liebenswürdig: Das «Sternbild», das als vergrößerte Skizze nach »einem alten Evangelienbuch» gelegentlich des Vortrags im Saal aufgestellt gewesen war, ließ sich nicht mehr feststellen. Es wurde daher eine dem »Speculum humanae salvationis» («Heilsspiegel») eigentümliche, meist sehr ähnlich wiederholte Darstellung aus dem Co­dex latinus 146 der Münchner Staatsbibliothek, einer Handschrift des 14. Jahrhunderts, welche aus dem Hause der Johanniter in Schlettstadt stammt, abgebildet. Die Inschrift lautet: »Magi i(n) oriente vide(n)tes stella(m).» matth. 2». - Die Bänder, auch das ring­förmige um den Stern, sind noch unbeschriebene Schriftbänder. Offenbar war die Zeich­nung zur Illuminierung vorgesehen, worauf auch das Wort aureu(m) (goldfarben) über dem Kreuz als Angabe für den Miniator hinweist (678). P.

186 was gewissermaßen nicht ganz dem Lauf der Sterne entspricht: Die Flucht nach Ägypten, nicht, wie man zunächst denken könnte, das den Magiern im Traum ergangene Verbot der Rückkehr zu Herodes, das nur damit zusammenhängt, indem es durch Verzögerung des bethlehemitischen Kindermordes die Flucht ermöglicht, von der aber die Magier ja nichts wissen. Ober die näheren Zusammenhänge siehe Vortrag Basel, 19.9.1909 in «Das Lukas­Evangelium», GÄ Bibl.-Nr. 114.

die astrologisch bestimmbare Determination: Rudolf Steiner hat sehr frühzeitig, z. B. im Vortrag München, 9.1.1912 in »Das esoterische Christentum und die geistige Führung der Menschheit», GA Bibl.-Nr. 130, für den Todestag Christi den 3. April angegeben. Nachprüfungen dieses Datums durch Horoskopberechnungen erwiesen die Angabe als zutreffend. (P.)

187 Vortragszyklus in Kassel: »Das Johannes-Evangelium im Verhältnis zu den drei andern Evangelien, besonders zu dem Lukas-Evangelium» (14 Vorträge, Kassel 1909), GA Bibl.­Nr. 112.

#SE292-387

Hinweise zu Vortrag VII

188 Sterne, die erst der Eingeweihte sehen kann: Ein solcher »Wissender des 18. Jahrhun­derts», den der Vortragende hier in erster Linie im Auge gehabt haben dürfte, ist Lonis Claude Marquis de Saint-Martin, 1743 bis 1803. Siehe dessen Buch «Tableau naturel des rapports qui existent entre Dieu, 1'homme et l'univers» (Edimbourg [Lyon] 1782), deutsche Ausgabe in freier Übersetzung von A. W. Sellin, Konstanz-Leipzig 1919, S. 82:

»Durch [das göttliche Feuer des Geistes, wenn wir lernen, es auf die geistigen Substanzen zu richten] erlangen die unseren Blicken sonst undurchdringlichen Dinge eine Klarheit und Durchsichtigkeit, welche unserem Verlangen, sie in ihrer Wesensart kennenzulernen, keinerlei Schranke mehr entgegensetzt. Sie gewähren dem Menschen die nötigen Mittel, um... die Geheimnisse der Natur zu belauschen, sowohl in den kleinsten Gegenständen als durch die Erhebung des geistigen Blickes bis zu den fernsten Sternen, selbst solchen, die das sinnliche Auge nicht mehr wahrzunehmen vermag.» -189 Zum Holzschnitt (680): Das im Vortrag gezeigte Blatt der 5oblättrigen xylographischen

»Biblia pauperum» (einziges bekanntes Exemplar in Paris, National-Bibliothek) war eine »Anbetung der Könige», wurde aber im Vortrag als »Geburt Christi» bezeichnet. Es ist daher hier statt des gezeigten das benannte Blatt wiedergegeben, das im übrigen bezgl. der vom Vortragenden berührten Anordnung dem anderen völlig entspricht; es ist die fol­gende:

Dan. 2,46. Esa. 9,6.

Moses am feurigen Busch, 2. Mos. 3,5.

Christi Geburt

Der Stecken Aarons grünt, 4. Mos. 17,8.

Habac. 3,2. Mich. 5,2. P.

192 Meister Goes: Siehe hier Vortrag VI (662) und VII.

Sarkophagrelief: In diesem Vortrag wurden Ausführungen, die zu einem auf dem Diaposi­tiv vom Bild (670) mit diesem zusammen erscheinenden nicht hergehörenden und deshalb hier nicht wiedergegebenen zweiten Sarkophagrelief gemacht worden waren, hier gestri­chen und dem entsprechenden Text zu diesem Relief in Vortrag XII, Bild (669) ange­hängt, wo sie die dortige Charakterisierung ergänzen. P.

#SE292-388

#TI

ZU VORTRAG VIII

Spezielle Ergebnisse aus den Ideen

über südeuropäische und nordische Künstlerschaft:

RAFFAEL

DÜRER UND ANDERE DEUTSCHE MEISTER

Dornach, 17. Januar 1917

Abbildungen zu Vortrag VIII

#TX

Die in der rechten Spalte angegebenen Vortragsziffern beziehen sich auf weitere Erwähnung

dieses Bildes.

Eine zweite Ziffer mit beigefügtem Buchstaben weist auf wiederholte Abbildung in kleinerem

Maßstab in einem der Sammelvorträge VII oder XIII hin.

Pietro Perugino

75 Die Vermählung der Maria - «Lo Sposalizio». Caen, Museum I II

Pietro Perugino, Werkstatt?

76 Die Vermählung der Maria, Karton. Wien, Albertina II

Raffael

,93 Sixtinische Madonna. Dresden, Zwinger II

194 Sixtinische Madonna, Teil: Madonna mit dem Kinde. Dresden, Zwinger II

197 Camera della Segnatura, «Disputa». Rom, Vatikan II X III 286a

199 Entwurf zur «Disputa», linke Hälfte, Bister x

201 Die Dreifaltigkeit. Perugia, S. Severo II

2 I 5 Die Vision des Ezechiel. Florenz, Palazzo Pitti

216 Die Kreuztragung. Madrid, Prado III 3 14a

224 Bildnis eines Kardinals. Madrid, Prado

226 Entwurf zu einer «Beweinung», Feder. Paris, Louvre II

230 Die Übergabe der Schlüssel an Petrus, Karton

London, South Kensington Museum

232 Der wunderbare Fischzug, Teppich. Rom, Vatikan

233 Die Heilung des Lahmen, Teppich. Rom, Vatikan

234 Die Predigt des Paulus in Athen, Karton X 236

London, South Kensington Museum

235 Die Hl. Cäcilie, Teil: Kopf des Paulus (aus 196). Bologna, Pinakothek I X 196

#SE292-389

Abbildungen zu Vortrag VIII

Albrecht Dürer

252 Die große Kreuztragung, Kupferstich

275 Dürers Vater. Florenz, Uffizien

276 Bildnis eines Unbekannten. Madrid, Prado

277 Philipp Melanchthon, Kupferstich

z8z Das Rosenkranzfest. Prag, Museum

283 Das Rosenkranzfest, Teil: Selbstbildnis. Prag, Museum

294 Die vier Hexen, Kupferstich

295 Der große Herkules, Kupferstich

296 Die apokalyptischen Reiter, Holzschnitt der «Apokalypse»

297 Das Sonnenweib und der siebenköpfige Drache,

Holzschnitt der «Apokalypse»

298 Die Huldigung der Heiligen vor Gott, Holzschnitt der «Apokalypse»

299 Der Kampf der Engel, Holzschnitt der «Apokalypse»

300 Michaels Kampf mit dem Drachen, Holzschniu der «Apokalypse»

302 Das Schweißtuch der Hl. Veronika, Kupferstich

303 Der Schmerzensmann, Kupferstich-Passion IV 371a XIII 730a

304 Die Geißelung Christi, Kupferstich-Passion

305 Die Dornenkrönung, Kupferstich-Passion

306 Ecce Homo, Kupferstich-Passion

307 Der Schmerzensmann, Kleine Holzschnitt-Passion

309 Das Abendmahl, Kleine Holzschnitt-Passion

310 Die Geißelung, Kleine Holzschnitt-Passion

31 I Christus am Kreuz, Kleine Holzschnitt-Passion XIII 73ob

3 I 2 Das Schweißtuch der Veronika, Kleine Holzschnitt-Passion

313 Ecce Homo, Kleine Holzschnitt-Passion

314 Die Kreuztragung, Kleine Holzschnitt-Passion III

316 Die Beweinung, Kleine Holzschnitt-Passion

3 i 7 Die Auferstehung, Kleine Holzschnitt-Passion

318 Christi Himmelfahrt, Kleine Holzschnitt-Passion

Hans Holbein d. J.

319 «Totentanz»: Der König, Holzschnitt III

320 «Totentanz»: Der Mönch, Holzschnitt III

321 «Totentanz»: Der Reiche, Holzschnitt III

Albrecht Dürer

331 Ecce Homo, Holzschnitt

332 Die drei Parzen, Holzschnitt

#SE292-390

Abbildungen zu Vortrag VJII

Hans Sebald Beham

333 Der Schmerzensmann, Holzschnitt

Lukas Moser

334 Der Magdalenen-Altar. Tiefenbronn, Kirche

335 Der Magdalenen-Altar, Teil: Die Meerfahrt der Heiligen XI

Tiefenbronn, Kirche

336 Der Magdalenen-Ältar, Teil: Die Heiligen im Schlaf. Tiefenbronn, Kirche XI

337 Der Magdalenen-Ältar, Teil: Lazarus, im Schoße seiner Schwester

ruhend. Tiefenbrönn, Kirche

338 Der Magdalenen-Ältar, Teil: Selbstbildnis aus dem Bogenbild

Tiefenbronn, Kirche

Hans Multscher

339 Die Geburt Christi. Berlin, Deutsches Museum XI

340 Christus am Ölberg. Vipiteno (Sterzing), Palazzo Municipale XI

34' Die Grablegung. Stuttgart, Gemäldegalerie XI

342 Die Auferstehung. Berlin, Assisi, S.Francesco XI

Meister Francke

343 Christus als Schmerzensmann. Hamburg, Kunsthalle

344 Die Auferstehung. Hamburg, Kunsthalle

Bernhard Strigel

348 Die Flucht nach Ägypten. Dresden, Zwinger VII 707C

Hinweise zu Vortrag VIII

Zu Seite

198 Herman Grimm, «Das Leben Raffaels», 5. Auflage, Stuttgart und Berlin 1913, S. 161 f.:

«Maria scheint das Kind, über das ihr einer Arm gelegt ist, mit dem ganzen Körper decken und umfangen zu wollen. Durch dieses sanfte Sichvorbeugen, an dem auch der Kopf teil­nimmt, entsteht bei aller Ruhe eine Art von Handlung gleichsam: alles, was mütterliche Liebe zu gewähren imstande ist, scheint von ihr auszugehen. Sie blickt von der Seite zu uns hin, als wolle sie fragen, ob sie genug getan für das Kind, aus dessen Antlitz die Sicher­heit herausleuchtet, mit der es sich im Schoße der Mutter geborgen fühlt... Maria ist von Raffael in verschiedenen Standesverhältnissen gemalt worden: die Madonna della Sedia

#SE292-391

Hinweise zu Vortrag VIII

vereInigt vornehm und niedrig in herrlichem Zusammenklange. Eine Mutter mit ihrem Kinde ist immer das Vornehmste, was die Welt bietet. Die ärmste Mutter könnte dasitzen wie die Madonna della Sedia... Ein Schimmer von Harmonie liegt auf dem Gemälde, der geistiger und materieller Natur gleicher Zeit, jedes Versuches einer Wiedergabe spottet. Die bildende Kunst hat wenig solcher Werke hervorgebracht, die wirklicher in ihrer Schönheit dastehen als die Natur selber, die so viel Vorzüge auf einer Stelle nicht vereini­gen zu wollen scheint.»

199 Herman Grimm ... hat hervorgehoben: Herman Grimm, »Fragmente», Berlin und Stutt­

gart 1900/02, 2. Bd., S. 182.

201 die Dreigliedrigkeit: Die Spaltung der Persönlichkeit während der Geistesschulung. Ru­

dolf Steiner, »Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» (1904/05), GA Bibl.­

Nr. 10.

202 Goethe über Bilder Raffaels. Goethe, Italienische Reise II (Rom 1787): «Die Raffaeli­

schen Kartone... bleiben noch immer die Bewunderung der Welt... sprechen wir aus, daß

sie alle männlich gedacht sind: sittlicher Ernst, ahnungsvolle Größe walten überall, und,

obgleich hie und da geheimnisvoll, werden sie doch denjenigen durchaus klar, welche von

dem Abschiede des Erlösers und den wundervollen Gaben, die er seinen Jüngern hinter­

ließ, aus den heiligen Schriften genugsam unterrichtet sind.»

207 Dürer, Der große Herkules: Dieser Kupferstich war im Vortrag nicht gezeigt worden; er

wurde hier eingefügt, weil er ihn im Vortrag Dornach, 15. November 1914 (in: «Der

Zusammenhang des Menschen mit der elementarischen Welt», GÄ Bibl. I 58) mit den

folgenden Ausführungen über Dürer erwähnt hat:

»Eine satyrhafte, faunenhafte Gestalt hält gleichsam umschlungen ein weibliches Wesen.

Aus dem Hintergrunde erscheint ein anderes weibliches Wesen, welches wie strafend sich

diesem Paare nähert. Und eine herkulesartige männliche Gestalt steht in der Nähe, die

eine Keule in der Hand hält und das strafende weibliche Wesen von der Gruppe des Wei­

bes mit dem Satyr zurückhält, so daß sie nicht heran kann.

Albrecht Dürer wußte noch, daß die Menschen im Schlafe noch eindringen können in

eine geistige Welt. Heute ist dieses Bewußtsein verlorengegangen. Dürer aber wußte noch,

daß es zum Beispiel Männer gibt, welche während der Schlafenszeit in Gemeinschaft mit

der elementaren Welt allerlei Allotria treiben, Männer, die während der gewöhnlichen Zeit

ganz gesittete Männer sind, aber während der Schlafenszeit in die Triebwelt zurückfallen

und allerlei unnütze Dinge treiben.

In dem Bilde des Albrecht Dürer sehen wir den Satyr und den Herkules mit der Keule.

Der gute Herkules, der da steht, möchte gern selber dieser Satyr sein, aber er lebt ja in

der physischen Welt, in einer sittlichen Welt auf dem physischen Plan, - und die Gattin

gestattet es nicht. Sie kommt deshalb heran und will ihn wegtreiben. Ihm aber gefällt das

doch, was er sich wünscht, und er hält sie zurück.

#SE292-392

Hinweise zu Vortrag VIII

Wir sehen hier einen inneren Seelenprozeß und erkennen, daß Albrecht Dürer noch etwas

wußte von diesen Dingen. So ist vieles in der Kunst gar nicht so weit zurückliegender

Jahrhunderte zu erklären, weil damals noch ein Bewußtsein des Zusammenhanges des

Menschen mit der unmittelbar an das Physische anstoßenden geistig-elementaren Welt

vorhanden war.»

213 Lukas Moser um 1431. Es ist von ihm nur dieses Lebensdatum aus der Inschrift auf dem

Tiefenbronner Altar bekannt, welche lautet: » t Lucas Moser maler von Wil maister

dez werx bit got vir in t Schri kunst schri und klag dich ser din begert

jecz niemen mer so o we 1431», -also wohl ein resignierter Stoßseufzer des ge­

alterten Malers, aus dem hervorgeht, daß dessen Schaffen eine Epoche abschließt, wäh­

rend der Meister freilich zugleich durch seinen Realismus in die heraufkommende aller­

nächste Zeit hinüberführt. Ob »Wil» (Weil, die Stadt, Württemberg) sein Geburts- oder

nur damaliger Wohnort ist, steht offen. Ändere Werke von Lukas Moser sind bis heute

nicht nachgewiesen. Sein vermutliches Selbstbildnis ist der »Simon von Bethanien» aus

dem obersten Teilbild des Altars, zweite Gestalt von links (338); P.

216 Hans Multscher, geb. um 1400 zu Reichenhofen bei Leutkirch (Schwäbisches Oberland), Bildhauer und Maler, tätig in Ulm zwischen 1427 und 1467, in Sterzing 1457. Im Jahre 1467 zu Ulm als verstorben erwähnt.

220 Anfang zu neuen künstlerischen Impulsen: «Der Baugedanke des Goetheanum» Vortrag Bern, 29.7.1921, GA Bibl.-Nr. 290; «Wege zu einem neuen Baustil» (5 Vorträge, Bern 1914), GA Bibl.-Nr. 286, u.a.

138 Wilhelm von Kaulbach, 1804-1874, Schüler von Cornelius. -Peter von Cornelius, 1783-1867, anfänglich den »Nazarenern», angeschlossen, später von großartiger Selbständigkeit. -Friedrich Overbeck, 1789-1869. Die genannten Maler bildeten mit W. v. Schadow, J. Schnorr v. Carolsfeld u. a. in Rom 1812 die Kunstbruderschaft der «Nazarener«. P.

221 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, 1770-1831, geb. in Stuttgart. -

Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling, i 775-1 854, geb. in Leonberg bei Stuttgart. -

Friedrich Hölderlin, 1770-1843, geb. in Lauffen am Neckar.

222 Immanuel Kant, 1724-1804, geb. in Königsberg. - Erst im Jahre 1283 wurde der letzte noch freie Preußenstamm, die Sudauer, vom Deutschen Orden unterworfen und teils christianisiert, teils vertrieben, das Land germanisiert. P.

ZU VORTRAG IX Das Wiedererleben der Kunst des vierten nachatlantischen Zeitraumes in der Kunst des fünften: GRIECHISCHE UND RC)MISCHE PLASTIK RENAISSANCE-PLASTIK Dornach, 24. Januar 1917

#G292-1981-SE393 Kunstgeschichte als Abbild innerer geistiger Impulse

#TI

ZU VORTRAG IX

Das Wiedererleben der Kunst

des vierten nachatlantischen Zeitraumes in der Kunst des fünften:

GRIECHISCHE UND RC)MISCHE PLASTIK

RENAISSANCE-PLASTIK

Dornach, 24. Januar 1917

Abbildungen zu Vortrag IX

#TX

Die in der rechten Spalte angegebenen Vortragsziffern beziehen sich auf weitere Erwähnung

dieses Bildes.

Eine zweite Ziffer mit beigefügtem Buchstaben weist auf wiederholte Abbildung in kleinerem

Maßstab in einem der Sammelvorträge VII oder XIII hin.

Griechische Plastik, 6. Jh. v. Chr.

568 Archaische Jünglingsgestalt - «Apoll von Tenea»

München, Glyptothek

568a Archaische Jünglingsgestalt - «Apoll von Tenea», Seitenansicht

München, Glyptothek

Griechische Plastik, 5. Jh. v. Chr.

569 Sterbender Krieger, vom Ostgiebel des Äphaia-Tempels auf Ägina

München, Glyptothek

Aphaia-Tempel

570 Rekonstruktion des Westgiebels, von Furtwängler

Griechische Plastik, 5. Jh. v. Chr.

571 Äthena, vom Westgiebel des Aphaia-Tempels auf Ägina

München, Glyptothek

Griechische Plastik, 5. Jh. v. Chr.

572 Jünglingskopf, Marmor. Athen, Akropolis-Museum

Griechische Plastik, s. Jh. v. Chr.

s73 Wagenlenker, Erzstatue. Delphi, Museum

#SE292-394

Abbildungen zu Vortrag IX

Griechische Plastik, 5. Jh. v. Chr.

574 Siegreiche Wertläuferin, Marmorkopie einer Erzstatue. Arme ergänzt,

Baumstamm Kopistenzutat. Rom, Vatikan

Griechische Plastik, s. Jh. v. Chr.

575 Diskuswerfer, Marmorkopie der Erzstatue des Myron

München, Glyptothek

Griechische Plastik, s. Jh. v. Chr.

576 Athena Lemnia, Marmorkopie der Erzstatue des Phidias

Dresden, Skulpturensammlung

577 Athena Lemnia, Marmorkopie der Erzstatue des Phidias, andere Ansicht

Dresden, Skulpturensammiung

Griechische Plastik, s. Jh. v. Chr.

578 Athena Parthenos, manirierte Marmorkopie des Kopfes der Gold-

Elfenbein-Statue des Phidias. Berlin, Altes Museum

579 Athena Parthenos, manirierte Marmorkopie des Kopfes der Gold-

Elfenbein-Plastik des Phidias. Berlin, Altes Museum

Carrey

580 Zeichnungen nach dem Ost- und Westgiebel des Parthenon

Zeichnungen nach dem Parthenonfries

Griechische Plastik, 5. Jh. v. Chr.

581 Drei Göttinnen vom Ostgiebel des Parthenon. (Aphrodite-Gruppe?)

Es kann sich nur um die bei der Geburt der Athena anwesenden großen

olympischen Gottheiten handeln; die früheren Deutungen auf 3 Parzen

oder 3 Kekropstöchter (Tau-Schwestern) sind fallengelassen.

London, Britisches Museum

Griechische Plastik, 5. Jh. v. Chr.

582 Reiter, Marmorrelief vom Nordfries des Parthenon

Athen, Akropolis-Museum

Griechische Plastik, s. Jh. v. Chr.

583 Sitzende Götter. Marmorrelief vom Ostfries des Parthenon

Athen, Akropolis-Museum

Griechische Plastik, 4. Jh. v. Chr.

584 Zeus von Otricoli, Kolossaler Marmorkopf, Kopie, Haar stark ergänzt.

Rom, Vatikan

#SE292-395

Abbildungen zu Vortrag IX

Griechische Plastik, 4. Jh. v. Chr.

585 Äthena Giustiniani, Marmorkopie einer Erzstatue. Hälfte des rechten

Armes, Teile an den Fingern der linken Hand und Kopf der Schlange

ergänzt; stark geputzt und geglättet.

Rom, Vatikan

Griechische Plastik, römische Kaiserzeit

586 Juno Ludovisi, Kolossaler Marmorkopf, vermutlich einer römischen

Kaiserin. Klassizistisches Werk der früheren Kaiserzeit.

Rom, Nationalmuseum

587 Juno Ludovisi, Kolossaler Marmorkopf, Seitenansicht

Rom, Nationalmuseum

Griechische Plastik, 5. Jh. v. Chr.

588 Westgiebel des Zeus-Tempel zu Olympia: Kampf der Lapithen mit den

Kentauren, Teil. Olympia, Museum

Griechische Plastik, s. Jh. v. Chr.

589 Westgiebel des Zeus-Tempel zu Olympia, Äpollon, Mittelfigur im Kampf

der Lapithen mit den Kentauren. Olympia, Museum

Griechische Plastik, s. Jh. v. Chr.

590 Weihrelief mit Orpheus, Eurydike und Hermes, Marmorkopie nach

Phidias. Neapel, National-Museum

Griechische Plastik, 5. Jh. v. Chr.

591 Perikles, Marmorkopf, Kopie nach einer Erzstatue. Berlin, Altes Museum

Griechische Plastik, s. Jh. v. Chr.

592 Amazone Mattei, Marmorkopie nach einer Erzstatue, Kopf nicht

zugehörig, Nase, Arme u. a. ergänzt, Waffen unten Kopistenzutat.

Rom, Vatikan

Griechische Plastik, 5. Jh. v. Chr.

593 Replik der Amazone Mattei. Trier, Landes-Museum

Griechische Plastik, 5. Jh. v. Chr.

594 Amazone, Marmorkopie nach einer Erzstatue; Nase, rechter Arm, linker

Unterarm, Füße, Pfeiler und Basis ergänzt. Berlin, Altes Museum

Griechische Plastik, römische Kaiserzeit

595 Dornauszieher, Erzstatue, freie Kopie nach hellenistischem Vorbild

Rom, Konservatorenpalast

#SE292-396

Abbildungen zu Vortrag IX

Griechische Plastik, 4. Jh. v. Chr.

596 Äphrodite von Knidos, Marmorkopie einer Marmorstatue des Praxiteles.

Lange Zeit durch Hinzufügung eines Zinkblech-Gewandes entstellt, das

1932 endgültig abgenommen wurde. Rom, Vatikan

Griechische Plastik, 4. Jh. v. Chr.

597 Demeter von Knidos, Marmorstatue. London, Britisches Museum

Griechische Plastik, 4. Jh. v. Chr.

598 Hermes mit dem kleinen Dionysos, Marmorstatue des Praxiteles;

rechter Unterschenkel, linker Unterschenkel und Fuß ergänzt.

Olympia, Museum

Griechische Plastik, 4. Jh. v. Chr.

599 Ausruhender Satyr, Marmorkopie nach einer Erzstatue. Rom, Vatikan

Griechische Plastik, 4. Jh. v. Chr.

600 Flüchtende Niobide, Marmorstatue, Teil einer Gruppe. Rom, Vatikan

Griechische Plastik, 4. Jh. v. Chr.

601 Alexander der Große, Marmorherme mit Inschrift, Kopie nach Erzstatue

evtl. des Lysipp. Paris, Louvre

Griechische Plastik, 4. Jh. v. Chr.

602 Ruhender Hermes, Erzstatue, Kopie. Neapel, National-Museum

Griechische Plastik, 4. Jh. v. Chr.

603 Betender Knabe, Erzstatue, Kopie nach der Schule des Lysipp

Berlin, Altes Museum

Griechische Plastik, römische Kaiserzeit 604 Medusa Rondanini, Marmormaske. München, Glyptothek

Griechische Plastik, 4. Jh. v. Chr.

60: Alexander der Große, Marmorkopie einer zeitgenössischen Erzstatuc :

Arme und rechtes Bein ergänzt, Panzer Kopistenzutat.

München, Glyptothek

Griechische Plastik, 4. Jh. v. Chr.

606 Sophokles, Marmorkopie nach einer Erzstatue des 4. Jh.; Behälter mit

Schriftrollen Kopistenzutat. Rom, Lateran

Griechische Plastik, 4. Jh. v. Chr.

607 Sokrates, Marmorkopie nach Erzwerk des Lysipp

Rom, National-Museum

#SE292-397

Abbildungen zu Vortrag IX

Griechische Plastik, 4. Jh. v. Chr.

6o8 Platon, Marmorherme, Kopie nach Erzstatue. Rom, Vatikan

Griechische Plastik, 3. - 1. Jh. v. Chr.

609 Homer, Marmorkopie der späthellenistischen Homer-Büste

Neapel, National-Museum

Griechische Plastik, 3. - 1. Jh. v. Chr.

610 Nike von Samothrake, überlebensgroße Marmorstatue. Paris, Louvre

Griechische Plastik, 3. - i. Jh. v. Chr.

611 Aphrodite von Melos, Marmorstatue. Paris, Louvre

Griechische Plastik, römische Kaiserzeit

612 Schlafende Äriadne, Marmorwerk, Kopie nach hellenistischem Vorbild.

Klassizistisch-eklektische Komposition; Nase, Lippen, rechte Hand u. a.

ergänzt. Rom, Vatikan

Griechische Plastik, 3. - i. Jh. v. Chr.

613 Laokoon-Gruppe, Marmorwerk der rhodischen Künstler Ägesandros,

Äthanadros und Polydoros, um 50 v. Chr. ; die drei rechten Hände bzw.

Arme ergänzt. Rom, Vatikan

Griechische Plastik, römische Kaiserzeit

614 Apollo vom Belvedere, Marmorwerk, Kopie nach Vorbild des 4. Jh.; II 170

Teile von Chlamys und Beinen ergänzt. Rom, Vatikan

Griechische Plastik, römische Kaiserzeit

615 Ärtemis von Versailles, Marmorwerk nach früh-hellenistischer Erzstatue;

Nase, Ohren, Hände, Teile der Arme, rechter Fuß u. a. ergänzt.

Paris, Louvre

Niccoló Pisano

616 Marmorkanzel mit Reliefs, Ärchitrav-, Säulen- und Sockelbildwerken

Pisa, Baptisterium.

617 Kanzel-Relief: Die Anbetung der Könige, Marmor. Pisa, Baptisterium VII 695b

618 Kanzel-Relief: Die Kreuzigung, Marmor. Siena, Dom

619 Kanzel-Relief: Die Geburt Christi, Marmor. Siena, Dom VII 683a

Giovanni Pisano

620 Kanzel-Architravfiguren: Die zweite Sibylle, Marmor. Pistoia, S. Andrea

621 Kanzel-Relief: Die Kreuzigung, Marmor. Pistoia, S. Andrea

622 Marmor-Kanzel. Pisa, Dom

623 Rekonstruktions-Modell von 1872 der Dom-Kanzel. Pisa, Museo Civico

#SE292-398

Abbildungen zu Vortrag IX

624 Madonna, Marmor. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum

625 Die Madonna dell' Arena, Marmor. Padua, Chiesa dell' Annunziata

Andrea Pisano

626 Tubalkain, Marmorrelief. Florenz, Dom

Lorenzo Ghiberti

627 Stephanus, Bronzestatue. Florenz, Or S. Michele

628 Die Opferung Isaaks, Bronzerelief. Florenz, National-Museum

629 Bronzetüre. Florenz, Baptisterium, Nordseite

630 Bronzetüre «Paradiestür». Florenz, Baptisterium, Ostseite

631 Bronze-Relief der «Paradiestür», Teil: Die Opferung Isaaks

Florenz, Baptisterium, Ostseite

Luca della Robbia

632 Marmorrelief der Sängertribüne: Tanzende Knaben

Florenz, Dom-Museum

633 Marmorrelief der Sängertribüne : Singende Knaben

Florenz, Dom-Museum

634 Die Madonna in Rosen, glasiertes Ton-Relief

Florenz, National-Museum

Andrea della Robbia

635 Madonna della Cintola, glasiertes Ton-Relief. Foiano, Collegiata

636 Bambino, glasiertes Ton-Relief. Florenz, Ospedale degli Innocenti

Giovanni della Robbia

638 Die Aufnahme und Fußwaschung der Pilger, glasiertes Ton-Relief,

Teil des Frieses mit Hauswand. Pistoia, Ospedale del Ceppo

639 Die Aufnahme und Fußwaschung der Pilger, glasiertes Ton-Relief,

Fries an einer Hauswand. Pistoia, Ospedale del Ceppo

Donatello

640 Kruzifix, Holz. Florenz, S. Croce

Filippo Brunellesco

641 Kruzifix, Holz. Florenz, S. Maria Novella

Donatello

642 David, Marmorstatue. Florenz, National-Museum

643 David, Bronzestatue. Florenz, National-Museum

644 Jeremias, Marmorstatue. Florenz, Campanile

645 Petrus, Marmorstatue (ev. Nanni di Banco). Florenz, Or S. Michele

646 Habakuk, Marmorstatue. Florenz, Campanile

#SE292-399

Abbildungen zu Vortrag IX

647 Habakuk, Marmorstatue, Teil: Brustbild. Florenz, Campanile

648 Johannes d. T., Marmorstatue. Florenz, National-Museum

649 Lodovico III. Gonzaga, Marmorbüste. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum

650 St. Georg, Marmorstatue von Or S. Michele Florenz, National-Museum

651 Die Verkündigung an Maria, Steinbildwerk. Florenz, S. Croce

652 Sängertribüne, Marmorreliefs. Florenz, Dom-Museum

653 Sängertribüne, Marmorreliefs, Teil: Tanzende Knaben Florenz, Dom-Museum

654 Madonna Pazzi, Marmorrelief. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum

655 Niccoló da Uzzano, bemalte Tonbüste. Florenz, National-Museum

656 Erasmo Gattamelata, Bronze-Reiterdenkmal. Padua, Piazza di S. Antonio

657 Erasmo Gattamelata, Bronze-Reiterdenkmal, Teil Padua, Piazza di S. Antonio

Andrea Verrocchio

658 Bartolomeo Colleoni, Bronze-Reiterstandbild.

Venedig, Campo S. Giovanni e Paolo

659 Bartolomeo Colleoni, Bronze-Reiterstandbild, Teil

Venedig, Campo S. Giovanni e Paolo

660 David, Bronzestatue. Florenz, National-Museum

Michelangelo

66oa David, Marmorstatue. Florenz, Akademie II 1 29

Hinweise zu Vortrag IX

Zu Seite

223 Ausspruch ... den Goethe getan hat: Goethe «Italienische Reise 1» (Rom 1787: Den

28. Januar): «Die zweite Betrachtung [die ich, da sie mir klargeworden, zu bezeichnen nicht verfehlen will] beschäftigt sich ausschließlich mit der Kunst der Griechen und sucht zu erforschen, wie jene unvergleichlichen Künstler verfuhren, um aus der menschlichen Gestalt den Kreis göttlicher Bildung zu entwickeln, welcher vollkommen abgeschlossen ist und worin kein Hauptcharakter so wenig als die Übergänge und Vermittlungen fehlen. Ich habe eine Vermutung, daß sie nach eben den Gesetzen verfuhren, nach welchen die Natur verfährt und denen ich auf der Spur bin. Nur ist noch etwas anderes dabei, das ich nicht auszusprechen wüßte.» -

#SE292-400

Hinweise zu Vortrag IX

223 [Goethe] ging ja aus . . . von der Pflanzenlehre: Rudolf Steiner: «Goethes Naturwissen­schaftliche Schriften.» Sämtliche Einleitungen zur Herausgabe in »Kürschners Deutsche National-Litteratur», GA Bibl. -Nr.1; «Goethes Naturwissenschaftliche Schriften» einge­leitet und kommentiert von Rudolf Steiner, aus «Kürschners Deutsche National-Litteratur» (1883-1897), GA Bibl.-Nr. i a-e. S. auch Rudolf Steiner, «Grundhnien einer Erkenntnis theorie der Goetheschen Weltanschauung, mit besonderer Rücksicht auf Schiller» zugleich eine Zugabe zu «Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften» (1886), GA Bibl.-Nr. 2.

224 Ich habe . . . öfters darauf aufmerksam gemacht: Vortrag München, II .3.1913 (nicht ge­druckt): »Wir haben gleichsam eine absteigende Linie der Menschheitsentwickelung von dem ursprünglichen Hellsehen, und jetzt [in unserer Zeit] eine Art Aufsteigen durch Selbstbewußtsein, Verstandesbegriffe und äußere wissenschaftliche Anschauung zum Hell-schen. Und in der Mitte spüren wir das Griechentum, - dieses Griechentum, das gerade deshalb so merkwürdig ist, weil es auf der einen Seite den Abschluß bedeutet des alten traumhaften Hellseherbewußtseins und auf der anderen Seite den Anfang des äußeren Ge­genstandsbewußtseins. Daher erscheint dieses Griechentum so merkwürdig, mit seinen ganz besonderen Eigenschaften, die darin bestehen, daß der Grieche noch viel mehr das Geistige unmittelbar erlebte, aber nicht so, wie der Mensch der Urzeit es erlebte, daß er sozusagen äußerlich sah in Gliedern, - sondern er verspürte seine eigene Persönlichkeit verwoben mit allem äußeren Dasein, er fühlte sich noch im Kosmos, in der Außenwelt darin stehend und fühlte die Gesetze, die durch die Außenwelt , in sei­nem eigenen Wesen.»

Vortrag mit gleichem Thema Berlin, 13.2.1913 «Lionardos geistige Größe am Wendepunkt zur neueren Zeit» in «Ergebnisse der Geistesforschung», GA Bibl.-Nr. 62; ferner Vortrag Berlin, 8. i. 1914 «Michelangelo und seine Zeit» in «Geisteswissenschaft als Lebensgut» GA Bibl.-Nr. 63; Vortrag Dornach, 21.12.1923 in «Mysteriengestaltungen», GA Bibl.­Nr.232 (Schilderung der Kabiren-Mysterien auf Samothrake und noch älterer griechi­scher Kultur als Ausgangspunkt der griechischen Plastik); Hedwig Hauck: Handarbeit und Kunstgewerbe. Angaben von Rudolf Steiner. (Menschenkunde und Erziehung Bd. 14) 4. Aufl. 1977, Gruppe 27: Der griechische Mensch und sein künstlerisches Schaffen.

226 Goethe hat den Zusammenhang geschaut: «Einleitungen zu Goethes naturwissenschaft­lichen Schriften», s. o. Bibl.-Nr. 1, Kap. VIII: «Von der Kunst zur Wissenschaft», und «Goethes Weltanschauung» (1897), GA Bibl.-Nr. 6.

227 Johann Winckelmann> 1717-1768. Vergl. : Winckelmann und sein Jahrhundert. In Briefen

und Aufsätzen herausgegeben von Goethe, Stuttgart 1805, ferner: Lessing, Laokoon oder

über die Grenzen der Malerei und Poesie, 1766.

231 Jacques Carrey, 1649-1726, franz. Maler, zeichnete die beiden Giebelfelder, die Metopen

der Südseite und große Stücke des Frieses 1674 im Auftrage des Marquis dc Nointel, Botschafter

#SE292-401

Hinweise zu Vortrag IX

Ludwig XIV. in Konstantinopel (580). Die Zerstörung durch die Venezianer

(Beschießung) erfolgte 1687. Abgenommen wurden die restlichen Figuren vom Tempel

1800-03 durch Lord Thomas Bruce Elgin, (1766-1842, brit. Diplomat, 1799-1803 Ge­sandter in Konstantinopel; großzügiger Sammler), der sie nach London überführte; seit

1816 sind sie dort im Britischen Museum. P.

233 586. Juno Ludovisi: Eine zuverlässige Kopie nach dem kolossalen thronenden Gold-El­fenbeinbild, das Polyklet für den nach dem Brande von 423 v. Chr. wieder aufgebauten Tempel dieser Göttin in Argos schuf (es gibt nur kleine Darstellungen des Bildwerkes auf Münzen), ist bisher nicht bekannt. Der im Vortrag herangezogene Juno-Kopf aus der Villa Ludovisi (586) der einst Goethe so begeisterte, kann heute nicht mehr als Nachbil­dung angesehen werden.

237 Gotthold Ephraim Lessing, »Laokoon, oder über die Grenzen der Malerei und Poesie»,

1766.

Drei Künstler der Rhodischen Schule: Agesandros, Atlianadoros und Polydoros.

Laokoon-Gruppe: Siehe Vortrag München, 4.6.1907, in «Die Theosophie des Rosenkreu­zers», Bibl.-Nr. 99: «Die Laokoon-Gruppe stellt dar, wie die Priesterweisheit des alten Troja durch die menschliche Klugheit und Menschenweisheit, die in den drei Schlangen ausgedrückt ist, überwunden wird.»

Robert Zimmermann, Studien und Kritiken zur Philosophie und Ästhetik. Wien 1870, 2. Bd., S. 359ff: «Auch ein Wort über Laokoon». Über Rudolf Steiners Beziehungen zu Robert Zimmermann siehe »Mein Lebensgang» (1924/25), GA Bibl.-Nr. 28 (Namen-register).

238 Phantasielosigkeit des römischen Volkstums: Siehe hier Vortrag 1, Hinweis zu S. 20.

240 Giovanni Pisano, Kanzel aus dem Dom zu Pisa: Im Vortrag wurde die fertiggestellte Kanzel in der Form gezeigt, wie sie nach dem Dombrand von 1595 auseinandergenommen war und 1872 von Guiseppe Fontana rekonstruiert wurde, Modell im Museo Civico, Pisa (622). Ihre jetzige Form im Dom zu Pisa, in der die gotischen Architrave stark auf­gelöst sind (seit 1926, nach Péleo Bacci) mit Verwendung der alten Originalteile zeigt Abb. 623. P.

240/241 Ghibertis Bronzetüren: Herman Grimm («Leben Michelangelos» I) führt Darstel­lungen an der Decke der Sixtinischen Kapelle (Erschaffung Adams, Trunkenheit des Noah, Tötung Goliaths) und Körperwendungen, die Michelangelo mit Vorliebe bei seinen Schöpfungen anwendet, auf Einflüsse der Baptisterium-Türen Ghibertis zurück.

243 Anekdote Donatello-Brunellesco: Die Anekdote, die hier frei wiedergegeben ist, erzählt Vasari »Le Vite de' piü eccellenti Architetti, Pittori, et Scultori», Ausgabe von G. Mila­nesi, Florenz 1878-1882, II, S. 333 und 398.

#SE292-402

#TI

ZU VORTRAG X

Die künstlerische Darstellung

der imaginativ-spirituellen Bildhaftigkeit des vierten nachatlantischen Zeitraums im Beginn des materialistisch werdenden fünften:

RAFFAEL:

«DISPUTA» - »SCHULE VON ATHEN»

Dornach, 5. Oktober 1917

Abbildungen zu Vortrag X

#TX

Die in der rechten Spalte angegebenen Vortragsziffern beziehen sich auf weitere Erwähnung

dieses Bildes.

Eine zweite Ziffer mit beigefügtem Buchstaben weist auf wiederholte Abbildung in kleinerem

Maßstab in einem der Sammelvorträge VII oder XIII hin.

Raffael

196 Die Hl. Cäcilie. Bologna, Pinakothek I VIII 235

,97 Camera della Segnatura, «Disputa», Rom, Vatikan II VIII III 286a

198 Camera delle Segnatura, «Disputa«, Teil: Die Dreifaltigkeit.

Rom, Vatikan

Fritz Uhde

198a «Komm, Herr Jesus, sei unser Gast». Berlin, National-Galerie

Raffael

,99 Entwurf zur «Disputa», linke Hälfte, Bister VIII

200 Entwurf zur «Disputa», Teil: Die Kirchenlehrer, Kreide

Windsor, Königliche Bibliothek

202 Camera della Segnatura: Die Schule von Athen. Rom, Vatikan, Stanzen II

203 Camera della Segnatura: Die Schule von Athen, Teil: Mittelfiguren

Rom, Vatikan, Stanzen

204 Camera della Segnatura: Die Schule von Athen, Teil: Linke Hälfte

Rom, Vatikan, Stanzen

205 Camera della Segnatura: Die Schule von Athen, Teil: Rechte Hälfte

Rom, Vatikan, Stanzen

#SE292-403

Abbildungen zu Vortrag X

208 Camera della Segnatura: Medaillon, Theologie - Divinarum rerum notitia. II

Rom, Vatikan, Stanzen

210 Camera della Segnatura: Medaillon, Philosophie - Causarum cognitio II

Rom, Vatikan, Stanzen

235 Die Hl. Cäcilie, Teil: Kopf des Paulus (aus 196). Bologna, Pinakothek I VIII 196

236 Die Predigt des Paulus, Teil: Kopf des Paulus (aus 234) VIII

London, South Kensington Museum

Hinweise zu Vortrag X

Zu Seite

247 Dieser Vortrag war - als Fortsetzung derer des vorangehenden Winters - der erste im Herbst 1917. - Über «Disputa» und «Schule von Athen» siehe u. a. a. Vortrag Berlin, 5. Mai 1909, in «Bilder okkulter Siegel und Säulen. Der Münchener Kongreß, Pfingsten 1907 und seine Auswirkungen», GA Bibl.-Nr. 284/285.

248 Julius 11. 1443-1513, seit 1503 Papst. Sein Bildnis siehe Abb. 220, hier Vorträge I u. II.

249 Die Individualität Raffaels: Vortrag Basel, 26.9.1909 in »Das Lukas-Evangelium», GA Bibl.-Nr. 114; Bern 10.9.1910 in «Das Matthäus-Evangelium», GA Bibl. Nr. 123; Basel, 23.9.1912 in «Das Markus-Evangelium», GA Bibl.-Nr. 139; auch Berlin, 2.5.1912 in «Der irdische und der kosmische Mensch», GA Bibl.-Nr. 133.

Borgit', spanisches Adelsgeschlecht, aus welchem Alfonso de B. 1455 als Calixtus III. und dessen Neffe Roderigo Lenzuela, gen. B. 1492 als Alexander VI. Päpste wurden. Der Sohn des letzteren, Cesare B., Bruder der Lucrezia B., der Kardinal geworden war, wurde von Julius II. gefangen gehalten und floh 1506 zum König von Navarra, in dessen Diensten er fiel.

250 Bramante, 1444-1514, italienischer Baumeister, begann 1506 den Bau der neuen (jetzigen) Peterskirche im Auftrag Julius II.

252 Augustinus, 354-430, der Kirchenvater.

Scotus Erigena (Johannes Scotus) um 833 bis um 877, mittelalterlicher Philosoph, Über­setzer der Schriften des Dionysius Areopagita und Verfasser des Werkes «De divisione naturae«, deutsch von L. Noack, Leipzig 1870-74.

254 die spirituellen Impulse zurückstauen: Über das Zurückstauen des Ostlichen durch das Papsttum siehe Vortrag über Papst Nikolaus 1., Dornach 1.10.1922 in «Die Grundimpulse des weltgeschichtlichen Werdens der Menschheit», GA Bibl.-Nr. 216

#SE292-404

Hinweise zu Vortrag X

255 das Reich Christi: Siehe Joh. 18, 36: «Jesus antwortete [zu Pilatus]: Mein Reich ist nicht von dieser Welt; wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener hätten sich gewehrt, daß ich den Juden nicht in die Hände gefallen wäre; nun ist aber mein Reich nicht von hier.»

258 Jüngerwerden der Menschheit: Siehe Vortrag Bern, 30. iI. 1917, «Geisteswissenschaftliche Ergebnisse über die Ideen der Freiheit und das sozial-sittlichen Lebens» in »Die Men­schenschule» 1962, Heft 1/2, und Vortrag Dornach, 7.10.1917 in «Die spirituellen Hin­tergründe der äußeren Welt. Der Sturz der Geister der Finsternis», GA Bibl.-Nr. 177.

260 Martin Luther, 1483-1546, der Antipode Raffaels: Raffael arbeitete an «Disputa» und «Schule von Athen» um 1508 bis 151 I. Luthers Romreise fällt in das Jahr 1510, der An­schlag der 95 Thesen, Wittenberg in das Jahr 1517, die endgültige Loslösung vom Papst­tum durch die Leipziger Dissertation dann in das Jahr 1519.

262 198a Uhde, «Komm, Herr Jesus, sei unser Gast»: Rudolf Steiner hat diesem Bild von Fritz von Uhde (gemalt 1885) mehr Bedeutung beigemessen, als man vielleicht aus der kurzen Erwähnung hier schließen würde. Im Vortrag Berlin, 22.10.1908 «Goethes ge­heime Offenbarung - exoterisch» in «Geisteswissenschaft als Lebensgut», GA Bibl. Nr. 57, sagt er darüber: «Ich erinnere Sie an ein Bild, das vielen in unserer Zeit wert geworden ist. Man mag zu dem Bilde stehen wie man will, aber es ist ein Ausdruck der modernen Zeit. Ich meine das Bild «Komm, Herr Jesus, sei unser Gast«. Das Bild lebt nicht nur bei dem, der es geschaffen hat, sondern es lebt auch die Sehnsucht in denen, die es genießen wollen, die Gestalt des Jesus in der unmittelbaren Gegenwart zu sehen, wie sie sich hinstellt an den Tisch. Man könnte sagen, daß das Bild nicht nur Wert für diese Zeit hat, sondern für alle Zeiten, daß es ein ewiges unvergängliches Dasein hat, und daß jede Zeit das Recht hat, diese Gestalt in ihre eigene Epoche hineinzustellen. Nur mit diesen wenigen Worten sei das Gefühl angedeutet, das viele gegenüber diesem Bilde haben...».

265 Thomas Woodrow Wilson, 1856-1924, Professor der Rechts- und Staatswissenschaft in Princeton, 1912-1920 Präsident der USA. Rudolf Steiner wandte sich entschieden gegen die aus naturwissenschaftlichen Vorstellungen heraus entwickelten abstrakten sozialen «Schein»- Ideen der Wilsonschen »Vierzehn Punkte», vgl. Rudolf Steiner: «Wilsons Erbe» in »Der Goetheanum-Gedanke inmitten der Kulturkrisis der Gegenwart; Gesammelte Auf-sätze 1921-1925«, GA Bibl.-Nr. 36; Vorträge Zürich, 12. und 14.11.1917 in : «Die Er­gänzung heutiger Wissenschaft durch Anthroposophie», GA Bibl. -Nr. 73, und viele andere Ausführungen.

269 die protestantisch-evangelische Stimmung: Siehe x B. Herman Grimm, «Leben Michel­angelos», 15. Aufl., Berlin und Stuttgart [1912], 2. Bd., S. 209: «Dem deutschen Geiste widerstrebt es, das in fester, bildlicher Gestaltung zu erblicken, was sich in Gedanken nicht einmal erreichen läßt. . . Wie war Christus gestaltet? usw.«

#SE292-405

Hinweise zu Vortrag X

269 das bat Herman Grimm richtig herausgefunden: Herman Grimm, »Fünfzehn Essays, Dritte Folge», Berlin 1882, S. 119ff., ferner Herman Grimm, «Das Leben Raphaels«,

5. Aufl., Berlin und Stuttgart 1913, Kap. 4 und 5.

269ff. Zu Paulus: Vortrag Berlin, 2.5.1912 in «Der irdische und der kosmische Mensch», GA Bibl.-Nr. 133, »Wir fühlen [bei der sog. «Schule v.A.»], daß Raffael eigentlich jenen Moment darstellen wollte, da Paulus unter die Griechen trat. Ja, wenn Sie genau im Evangelium [Apostelgeschichte 17. (21., 26.)] nachsehen, so finden sie sogar in der Ge­stalt der Persönlichkeit mit der erhobenen [nicht der nach oben zeigenden] Hand eine Persönlichkeit aus dem Evangelium, so daß man im Evangelium sogar das Modell für eine Persönlichkeit dieses Bildes sehen könnte, nämlich für die Persönlichkeit des Paulus!»

272 Ein anderes Mal dann davon mehr: Rudolf Steiner ist auf dieses Thema nicht mehr zu­rückgekommen.

#SE292-406

ZU VORTRAG XI

Der Kampf der individuellen künstlerischen Darstellungsweise der Mitte

mit der über den Süden heraufdrängenden traditionellen des Ostens (Ikona) im bedeutungsvollen Zeiteinschnitt zwischen Abendröte des vierten

und Morgenröte des fünften nachatlantischen Zeitraums :

IKONEN MINIATUREN DEUTSCHE MEISTER Dornach, 15. Oktober 1917

Abbildungen zu Vortrag XI

Die in der rechten Spalte angegebenen Vortragsziffern beziehen sich auf weitere Erwähnung

dieses Bildes.

Eine zweite Ziffer mit beigefügtem Buchstaben weist auf wiederholte Abbildung in kleinerem

Maßstab in einem der Sammelvorträge VII oder XIII hin.

Meister der Veronika, Köln

237 Das Schweißtuch der Veronika. München, Ältere Pinakothek III

Stephan Lochner

240 Christus am Kreuz, mit Heiligen. Nürnberg, Germanisches Museum III

241 Die Madonna mit dem Veilchen. Köln, Diözesan-Museum III

242 Die Madonna in der Rosenlaube. Köln, Wallraf-Richartz-Museum III

Meister der Veronika, Köln

243 Die Madonna mit der Wickenblüte, Teil: Die Madonna (aus 238) III 238

Köln, Diözesan-Museum

Stephan Lochner

244 Die Anbetung der Könige, Teil: Die Madonna (aus 239). Köln, Dom III 239 VII 698b

Russische Ikone, I 1./12. Jh.

245 Die Gottesmutter von Wladimir. Moskau, Historisches Museum III VII

Raffael

245a Die Madonna della Sedia. Florenz, Palazzo Pitti VIII 195

Italische Ikone, Mitte 13. Jh.

246 Madonna mit dem Kinde, Gnadenbild «Maria Schnee» Rom, S. Maria Maggiore

#SE292-407

Abbildungen zu Vortrag XI

Raffael

246a Die Sixtinische Madonna, Teil: Die Madonna mit dem Kinde II ,94 VIII ,94

Dresden, Zwinger

Miniatur, II. Jh.

247 Die Geburt Christi. Aus dem Evangeliar des Klosters Limburg VII 681

Köln, Dom-Bibliothek

Miniatur, um 1000

248 Die Verkündung an die Hirten. Aus dem Codex Egberti VII 690a

Trier, Stadtbibliothek

Lukas Moser

335 Der Magdalenen-Altar, Teil : Die Meerfahrt der Heiligen VIII

Tiefenbronn, Kirche

336 Der Magdalenen-Altar, Tei: Die Heiligen im Schlaf. Tiefenbronn, Kirche VIII

Hans Muitscher

339 Die Geburt Christi. Berlin, Deutsches Museum VIII

340 Christus am Ölberg. Vipiteno (Sterzing), Palazzo Municipale VIII

34' Die Grablegung. Stuttgart, Gemäldegalerie VIII

342 Die Auferstehung. Berlin, Assisi, S. Francesco VIII

Hinweise zu Vortrag XI

Zu Seite

275/276 Über das Verhältnis von Ikone und Madonna: s. «Die schwerelose Farbe als Forderung der neuen Malentwicklung», Vortr. Dornach, 29.7.1923 in : «Das Wesen der Farbe«, GA Bibl.-Nr. 291. Die «Italische Madonna« wurde hier eingefügt als Beispiel für den über Süden eindringenden Osten. P.

276 Den «Ansatz bei Karl dem Großen» zu einer gegenteiligen Politik als der päpstlichen findet man im Vortrag vom 24.7.1915 etwas näher angedeutet: «Der Baum des Lebens und der Baum der Erkermtnis des Guten und des Bösen. Die Geheimnisse in der Kunst» (6 Vortr. Dornach 1915), Dornach 1936.

278 Heliand: Um 830 von einem unbekannten sächsischen, wohl aus dem Bauernstand her­vorgegangenen Geistlichen verfasst.

#SE292-408

Hinweise zu Vortrag Xl

279 Walther von der Vogelweide (um 1170-1230). Im Urtext lautet diese Gedichtstrophe:

Owì war sint verswunden alliu miniu jâr!

ist mir min leben getroumet, oder ist ez wâr?

daz ich ie wande ez waere, was daz allez iht?

dar nâch han ich geslâfen und enweiz es niht.

nü bin ich erwachet, und ist mir unbekant

daz mir hie vor was kündic als min ander .......

280 Ikonen-Regeln: Siehe Godehard Schäfer, «Das Handbuch der Malerei vom Berge Athos»,

Trier 1855, u. a.

281 Wir kennen das Bild vom vorigen Jahr: Siehe hier Vortrag VII, Weihnachtsbilder.

284 Zum Kölner Meister: vgl. Klaus-Heinrich Schweitzer; «Der Veronika-Meister und sein

Kreis. Studien zur kölnischen Malerei um 1400», Würzburg 1935.

285 Stephan Lochner, t 1451. Man rechnet bei ihm, der vermutlich in Meersburg geboren ist, wo seine Eltern nachweislich verstorben sind, mit der Möglichkeit, daß das Konzil von Konstanz (1414-18), das große Auftraggeber der Kunst und von diesen bevorzugte Ma­ler dort versammelte, fruchtbar auf ihn gewirkt hat, wie man auch annimmt, daß er in den Niederlanden weitergelernt hat. P.

291 Christus am Ölberg (340): Jetzt dem sogenannten Meister des Sterzinger Altars zuge­schrieben, wohl Werkstattgenosse Multschers .

293 Ich habe ja . . . gerade jetzt zu sprechen: Die zur gleichen Zeit in Dornach gehaltenen Vor­träge sind erschienen als »Zeitgeschichtliche Betrachtungen», Dornach u. Basel 1916/ 1917, Teil I. II., GA Bibl.-Nr. 173/174.

#SE292-409

ZU VORTRAG XII

Die Nachklänge dreier Hauptimpulse des dritten und vierten nachatlantischen Zeitraumes, zusammenwachsend in der Zeit der Städtekultur zur Gold-Edelsteinkunst und fortwirkend im fünften Zeitraum:

ALTCHRISTLICHE PLASTIK, SARKOPHAGE UND RELIEFE

BERNWARD VON HILDESHEIM

Dornach, 22. Oktober 1917

Abbildungen zu Vortrag XII

Die in der rechten Spalte angegebenen Vortragsziffern beziehen sich auf weitere Erwähnung

dieses Bildes.

Eine zweite Ziffer mit beigefügtem Buchstaben weist auf wiederholte Abbildung in kleinerem

Maßstab in einem der Sammelvorträge VII oder XIII hin.

Statuette, 3. Jh.

661 Der gute Hirte, Marmor. Rom, Lateran-Museum

Relief, 5 . Jh.

662 Kreuzigung, an der Holztür von S. Sabina, Rom

Sarkophag, 4. Jh.

663 eines Ehepaares, mit Bildreliefs, Frontseite. In der Muschelrundung:

Die im Sarkophag Bestatteten; links oben: Lazaruserweckung,

Speisungswunder; darunter: Moses löst seine Sandalen, Heilung des

blurflüssigen Weibes, Hochzeit zu Kana; unten in der Mitte:

Jonasgeschichte; daneben: Daniel in der Löwengrube, Bedrängung des

Petrus, Quellenwunder des Moses; rechts oben : Abrahams Opfer,

Blindenheilung, Ankündigung der Verleugnung an Petrus, Christus mit

Kornähre und Lamm zwischen Adam und Eva. Rom, Lateran-Museum

Sarkophag, s. Jh.

664 des Hl. Rinaldus, Frontseite. Relief: Christus thronend, mit zwei

Aposteln zwischen Palmen. Ravenna, Dom

665 des Hl. Rinaldus, Schmalseite; links: Christus-Monogramm, umkränzt,

und Pflanzen-Motive; rechts: Kreuz-Monogramm zwischen Lämmern,

Kelch mit viergeästeltem Weinstock. Ravenna, Dom

#SE292-410

Abbildungen zu Vortrag XII

Sarkophag, 4. Jh.

666 des Exarchen Isaak, Rückseite. Ravenna, S. Vitale

667 des Exarchen Isaak, Frontseite. Ravenna, S. Vitale VII 695a

Sarkophag, s. Jh.

668 Frontseite, mit Reliefs. In der Mitte: Christus über dem personifizierten

Himmel thronend, umgeben von Aposteln; links: Abrahams Opfer,

Paulus, Judaskuß (?); rechts : Petrus empfängt von Christus das Gesetz des

Neuen Bundes, Vorführung Christi und Händewaschung des Pilatus.

Rom, Lateran-Museum

Sarkophag, s. Jh.

669 Valentinianus III., Längsseite. Christuslamm und Apostellämmer

zwischen Palmen. Ravenna, Mausoleum der Galla Placidia

Sarkophag, 6. Jh.

670 des Erzbischofs Theodorus, Längsseite. Christus-Monogramm zwischen

Pfauen und Weinstöcken. Ravenna, S. Apolinare in Classe

Sarkophag, 4. Jh.

671 Frontseite. Abrahams Opfer, Paulus, Segnung der Brote und Fische durch

Christus, Petrus, Daniel mit dem Drachen.

Arles, Museum für christliche Kunst

Elfenbeinschnitzerei, 6. Jh.

672 Byzantinischer Kaiser, Teil eines Diptychons, Mittelfeld, Relief.

Mittelfeld : Der Kaiser zu Pferd stößt, während ihm die personifizierte

Erde den Steigbügel hält, mit der Lanze nach unten; links: Flehender

Barbar; oben: Auf urnkreuzter Weltkugel schwebende Viktoria bringt

dem Kaiser den Kranz. Seitenteil: Gepanzerter Krieger bringt eine

Statuette der Siegesgöttin dem Kaiser dar. Unteres Querstück: Inmitten

von tributbringenden Völkern des besiegten Landes die Gestalt der

Siegesgöttin. Oberer Querstreifen: Das von zwei Engeln getragene Bild

Christi. Paris, Louvre

Elfenbeinschnitzerei, 6. Jh.

673 Maria mit dem Kinde, Teil eines Diptychons, Relief. Vor einer

Nischenarchitektur Maria mit dem Kinde in feierlicher Haltung zwischen

zwei Engeln thronend, von denen einer die bekreuzte Weltkugel hält.

Das Kind segnet, die Linke auf eine Schriftrolle stützend. In den Zwickeln

Sol und Luna. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum

#SE292-411

Abbildungen zu Vortrag XII

Bernward von Hildesheim, i 1. Jh.

674 Das Bernwardskreuz. Hildesheim, Magdalenen- Kirche

675 Das Bernwardskreuz, Rückseite. Hildesheim, Magdalenen-Kirche

676 Die Bernwardleuchter. Hildesheim, Magdalenen-Kirche

677 Einband zu einem Evangeliar. Hildesheim, Dom

Hinweise zu Vortrag XII

Zu Seite

300 Motiv des Akanthusblattes: Vortrag Dornach, 7. 6. 1914 in «Wege zu einem neuen Bau-stil» Stuttgart 1957, GA Bibl.-Nr. 286. Vergleiche auch Friedrich Kempter, «Akanthus. Die Entstehung eines Ornamentes», Straßburg 1934. Die Skizzen zeichnete Assia Turgenieff.

306 in unserem Bau: Siehe Rudolf Steiner, «Der Baugedanke des Goetheanum», Lichtbilder­vortrag Bern, 29.6.1921. Stuttgart 1958, GA Bibl.-Nr. 290.

309 Bernward, Bischof von Hildesheim, t 1022. s. Curt Habicht, «Des heiligen Bernward von

Hildesheim Kunstwerke», Bremen 1922 (mit ausführlicher Literaturangahe). - Ferner

Bertha Meyer-Jacobs, «Kleinodienkunst nach Hinweisen und Entwürfen von Rudolf

Steiner», Dornach 1929, S. 61.

313 den Nibelungenschatz... in den Rhein versenken: »Nibelungenlied», XIX. Aventiure:

»er [Hagen] sancte'n [den grözen scaz] dâ ze Lóche allen in den Rin.

er wânde er sold' in niezen, des enkunde niht gesin.». . .

»Dó sprachen sie [die vürsten] gemeine: ,er hât übelé getân'.». . .

«Der alte Rhein»: Vergleiche auch den Vortrag Berlin, 28.3.1905 in «Nachrichten für die Mitglieder», 1936, Nr.44/45 in dem der Rheinstrom im Sinne des Nibelungenliedes und der Tetralogie Richard Wagners als »die Seele des fünften nachatlantischen Zeitraumes, aus dem das Ich-Bewußtsein hervorgeht», bezeichnet wird.

314 Heilige Odilie, etwa 660-720. Siehe Theodor Maurer, «Die heilige Odilie. Ein Führer durch Legende und Geschichte», Straßburg 1930. - Über den Odilienberg als alte Myste­rienstätte, siehe Günther Wachsmuth, «Bilder und Beiträge zur Mysterien- und Geistes­geschichte der Menschheit», Dresden 1938.

Innerlich sehend gemacht: Nach der »Vita Sanctae Odiliae», vermutlich aufgezeichnet im

9. oder Anfang des 10. Jahrhunderts in St. Gallen, war dieser Priester ein Bischof aus

Bayern namens Erhard. Dieser Erhard aber war Bischof von Regensburg, ebenso wie

später, 1260-62, Albertus Magnus (1193-1280).

#SE292-412

ZU VORTRAG XIII

Wandlungen der Christus-Auffassung in der künstlerischen Darstellung:

ALTCHRISTLICHE MALEREI UND MOSAIKE ITALIENISCHE MEISTER

DÜRER

Dornach, 29. Oktober 1917

Abbildungen zu Vortrag XIII

Erstmals erwähnte Bilder sind ganzseitig abgebildet und stehen in der fortlaufenden Reihenfolge. In verkleinertem Maßstab wiederholt abgebildete sind außerdem durch einen Buchstaben gekenn­zeichnet. In der rechten Spalte steht die Ziffer der ganzseitigen Abbildung mit dem entsprechen­den Vortrag, bzw. weitere Erwähnungen.

Altchristliches Steinrelief, 5.- 6. Jh.

710 Christus-Monogramm aus einem Epitaph, einfache Form, mit A und 0.

Civaux, Dépt. Vienne, Kirche

Altchristliches Steinrelief, 5.-6. Jh.

71 I Christus-Monogramm, in Halbbogen, mit A und O und dem Worte

XRISTOS aus dem Schlußstein eines Apsisbogens

Kal-Blo-Zé, Zentral-Syrien, Ruine der Basilika

Altchristliches Steinrelief, 5.-6. Jh.

712 Christus-Monogramm an einem Sarkophag, von Eichenlaubkranz

umgeben, den ein Legionsadler trägt. Fragment von der Längswand eines

inzwischen rekonstruierten Sarkophags.

Arles, Museum für christliche Kunst

Altchristliches Steinrelief, 5.-6. Jh.

713 Christus-Monogramm an einem Sarkophag, mit A und 0, von glattem

Kranz umgeben, zwischen zwei Tauben. Aus der Längswand eines

Sarkophags. Lyon, St. Irénée

Altchristliches Mosaik, 5 . Jh.

714 Der gute Hirte. Ravenna, Mausoleum der Galla Placidia

#SE292-413

Abbildungen zu Vortrag XIII

Griechische Plastik, 4. Jh. v. Chr.

715 Sokrates, verkleinerte Kopie nach lebensgroßer Erzstatue evtl. des Lysipp London, Britisches Museum

Katakombenmalerei, 6. od. 7. Jh. 716 Christus. Rom, Katakombe des Pontianus

Katakombenmalerei, 4. Jh.

717 Christus und die Apostel. Rom, Katakombe der Domizilla Altchristliches Mosaik, 6. Jh.

718 Christus mit Erzengeln, den Hl. Vitalis krönend. Ravenna, S. Vitaie

Altchristliches Mosaik, 12. Jh.

719 Christus, unter ihm die Gottesmutter mit dem Kind

Palermo-Monreale, Dom-Apsis

Giovanni Cimabue

72oa Die Kreuzigung. Assisi, S. Francesco 7

Giotto di Bondone

720b Die Kreuzigung. Assisi, S. Francesco 36

72 1a Die Kreuzigung. Assisi, S. Francesco 35

72 I b Christus thronend. Rom, S. Pietro 32

722a Die Taufe Christi. Padua, Arena-Kapelle I 21

722b Das Abendmahl. Padua, Arena-Kapelle I 34

723a Der Einzug in Jerusalem. Padua, Arena-Kapelle 40

723b Die Dornenkrönung und Verspottung Christi. Padua, Arena-Kapelle I 33

724a Die Auferstehung. Padua, Arena-Kapelle I 31

Fra Angelico

724b Das Abendmahl. Florenz, S. Marco I 65

Andrea Orcagna

725 Das Jüngste Gericht. Florenz, S. Maria Novella

Fra Angelico

726a Die Kreuzigung. Florenz, S. Marco I 64

726b Das Jüngste Gericht. Berlin, Kaiser Friedrich-Museum I 68

Fra Bartolomeo

727 Christus und die vier Evangelisten. Florenz, Palazzo Pitti

Andrea del Sarto

728 Das Abendmahl. Florenz, S. Salvi

#SE292-414

Abbildungen zu Vortrag XIII

Verrocchio/Lionardo

729a Die Taufe Christi. Florenz, Uffizien II 92

Masolino

729b Die Taufe Christi. Castiglione d'Olona, Baptisterium I 50

Albrecht Dürer

730a Der Schmerzensmann, Kupferstich-Passion IV 371a VIII 303

730b Christus am Kreuz, Kleine Holzschnitt-Passion VIII 3 I I

Rudolf Steiner

73 i Malerei (Pflanzenfarben) in der kleinen Kuppel des ersten Goetheanum,

Dornach, Ausschnitt mit dem Mittelmotiv, mit Teil des Architravs

732 Malerei (Pflanzenfarhen) in der kleinen Kuppel des ersten Goetheanum,

Dornach, Mittelmotiv : Der Menschheitsrepräsentant zwischen Luzifer

und Ahriman

733 Der Menschheitsrepräsentant zwischen Luzifer und Ahriman, Entwurf

für die Malerei in der kleinen Kuppel des ersten Goetheanum, Dornach,

Pastell. Dornach, Goetheanum

734 Malerei in der kleinen Kuppel des ersten Goetheanum, Dornach, Teil:

Der Menschheitsrepräsentant, Brustbild

735 Antlitz des Menschheitsrepräsentanten, Bleistift-Skizze

Dornach, Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung

736 Plastische Holzgruppe: Der Menschheitsrepräsentant zwischen Luzifer

und Ahriman. Dornach, Goetheanum

737 Plastische Holzgruppe, Teil: Der Menschheitsrepräsentant.

Dornach, Goetheanum

738 Modell für die plastische Holzgruppe, Gipsabguß. Dornach, Goetheanum

739 Plastische Holzgruppe, Teil: Kopf des Menschheitsrepräsentanten,

Seitenansicht. Dornach, Goetheanum

740 Plastische Holzgruppe, Teil: Kopf des Menschheitsrepräsentanten,

Dornach, Goetheanum

741 Studie zum Kopf des Menschheitsrepräsentanten, Plastilin.

Dornach, Goetheanum

#SE292-415

Hinweise zu Vortrag XIII

Zu Seite

317 Apokryphen, die »verborgenen» Bücher der jüdischen und altchristlichen Literatur, also des Alten und Neuen Testamentes, die letzten Endes in die kanonischen Schriften nicht aufgenommen wurden, zum Teil aber sehr wertvolle Angaben enthalten.

Der Vorführung gerade dieser Christus-Mono gramme, die von frühchristlichen Denkmä­lern aus Frankreich und Zentral-Syrien stammen, lag keine besondere Absicht zu-grunde. Im Vortrag stand das Diapositiv mit Christus-Monogrammen dieser Abbildung

(nach älteren Zeichnungen) zur Verfügung.

# Bild s. 415

Die hier wiedergegebene Zusammenstellung findet sich bei Franz Xaver Kraus, «Ge­schichte der christlichen Kunst», Freiburg i. Br. 18%-97, Bd. 1, S. 133.

Durch angestrengte Bemühungen gelang es C. S. Picht, von einem zahlreichen freund­lichen Helferkreis unterstützt (s. Ausgabe 1957, Anmerkungen S. 24) die Originale der Zeichnungen ausfindig zu machen. Die Aufnahmen dieser Fragmente finden sich als Nr. 710-713 im vorliegenden Bildband.

322 Sokrates (469-399 v. Chr.). Bekanntlich wurde Sokrates in seinem 70. Lebensjahre, weil er die Jugend verführe und nicht an die Staatsgötter, sondern an andere, neue Dämonen glaube, zum Tod durch den Giftbecher verurteilt.

#SE292-416

Hinweise zu Vortrag XIII

323 Dieser merkwürdige Streit: Über das Aussehen Christi, s. Hinweis zu Vortrag 1, S. 19.

Einer jener Umschwünge: Siehe die Vorträge Dornach, 26., 27., 28. 10. 1917 in: «Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt. Der Sturz der Geister der Finsternis.» GA Bibl.-Nr. 177.

326 Augustinus, 354-430 n. Chr., einer der «Kirchenväter».

328 sage ich ungern in dieser Zeit: Die Zuhörerschaft gehörte ja verschiedenen miteinander kriegführenden Nationen an.

333 Franz von Assisi, 1182-1226, vgl. insbesondere hier im I. Vortrag.

336 Im weiteren Fortlaufe dieser Betrachtungen: Die Reihe der Kunstbetrachtungen endet hiermit, wohl durch die Kriegsereignisse bedingt.

Christus-Darstellungen: Siehe Rudolf Steiner, Ansprache am 21.10.1917, Dornach, bei der V. ordentlichen Generalversammlung des Johannesbauvereins, abgedruckt in »Rudolf Steiner. Aufbaugedanken und Gesinnungsbildung», Dornach 1942:.... Wer der Gruppe den Namen einer Christus-Gruppe geben will, der muß es tun aus seiner eigenen persön­lichen Überzeugung heraus, wenn die Sache auf ihn den Eindruck macht, daß er die Mit­telfigur als Christus ansprechen kann. Auch da ist es nicht gut, von vornherein dokumen­tarisch irgend etwas festzusetzen. Was einem entgegentritt, ist zunächst der Repräsentant der Menschheit, allgeistiges, verinnerlichtes Menschentum. Natürlich wird mancher sofort dieses verinnerlichte Menschentum in Zusammenhang bringen mit der Christus-Wesen­heit. Er wird recht tun. Aber wiederum, - stigmatisieren, die Gruppe Christus-Gruppe zu nennen und dergleichen, das wird nicht gut sein. Überlassen sie das jedem selbst, der diese Gruppe sich interpretieren will, der sie ansieht, mit welchem Namen er sie belegen will». - Zu der Wiedergabe des Ausschnittes aus der kleinen Kuppel des ersten Goethe­anums sind die Worte Rudolf Steiners aus dem Vortrag vom 29. Juni1921, Bern zu be­rücksichtigen: »Indem Sie diese Motive sehen, werden Sie am besten die Sache empfinden, wenn Sie sich sagen: daran kann ich eigentlich gar nichts sehen, - das muß ich farbig se­hen. Denn es ist eben durchaus aus der Farbe heraus empfunden und gedacht und gemalt.»

- In «Der Baugedanke des Goetheanum», Stuttgart 1957, siehe auch die verschiedenen farbigen Kunstdrucke nach Entwürfen Rudolf Steiners.

Die in der »Übersicht über die Vorträge» der ersten Ausgabe angekündigten Einzelausführungen liegen jetzt in der Gesamtausgabe (GA) in chronologischem Zusammenhang vor:

Die Fresken »Das Jüngste Gericht» von Michelangelo in Rom und von Peter Cornelius in München im Vortrag München, 28.11.1915 in »Aus schicksaltragender Zeit», GA Bibl.-Nr. 64. Das Gemälde »Die Himmelfahrt Maria» von Tizian in Venedig im Vortrag Dornach, 9.6.1923 in »Das Künstlerische in seiner Weltmission», GA Bibl.-Nr. 276, und in «Das Wesen der Farben», GA Bibl.-Nr. 291.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.