GA 204

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

Perspektiven
der Menschheitsentwickelung

Der materialistische Erkenntnisimpuls
und die
Aufgabe der Anthroposophie

Siebzehn Vorträge, gehalten in Dornach
zwischen dem 2. April und 5. Juni 1921

GA 204

1979

Inhaltsverzeichnis


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ERSTER VORTRAG Dornach, 2. April 1921

Die Zeit der materialistischen Entwickelung liegt ja vorzugsweise in der Mitte und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Heute mag uns zunächst von dieser materialistischen Entwickelung mehr die theoretische Seite interessieren. Manches von dem, was ich heute über diese theoretische Seite sagen werde, kann aber auch in un­gefähr derselben Weise für die mehr praktische Lebensseite des Ma­terialismus gesagt werden. Allein, wie gesagt, davon wollen wir heute absehen, wir wollen mehr sehen auf dasjenige, was durch die ganze zivilisierte Welt in der Mitte und in der zweiten Hälfte des 19. Jahr­hunderts als die materialistische Weltanschauung aufgetreten ist.

Bei einer solchen Sache handelt es sich eigentlich um ein Zwei-faches. Es handelt sich erstens darum, daß wir uns klar sein müssen darüber, inwiefern so etwas wie die materialistische Weltanschauung zu bekämpfen ist, daß wir gewissermaßen in uns tragen müssen alle diejenigen Vorstellungen und Ideen, durch die wir gerüstet sein kön­nen, um die materialistische Weltanschauung als solche abzuweisen. Allein neben diesem Gerüstetsein mit der nötigen Vorstellungswelt haben wir gerade vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft aus noch etwas anderes nötig. Wir haben nötig, diese materialistische Vor­stellungsweise zu verstehen, zu verstehen erstens ihrem Inhalte nach, zweitens aber auch zu verstehen, inwiefern in der Menschheitsentwickelung einmal diese extreme materialistische Weltanschauung auftreten konnte.

Es könnte als ein Widerspruch erscheinen, daß auf der einen Seite hier gefordert wird, man müsse die materialistische Weltan­schauung bekämpfen können, und auf der anderen Seite wiederum, man müsse sie verstehen können. Es ist dies für denjenigen, der auf dem Boden der Geisteswissenschaft steht, nicht in Wirklichkeit ein Widerspruch, sondern es ist nur ein scheinbarer Widerspruch. Die Sache verhält sich vielmehr so. Im Laufe der Menschheitsentwicke­lung müssen Momente auftreten, welche zunächst diese Menschheit

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in einer gewissen Weise herunterziehen, welche die Menschheit unter ein gewisses Niveau herunterbringen, damit sie sich dann durch sich selber wiederum heraufheben könne. Und es würde für die Mensch­heit keine Hilfe sein, wenn sie durch irgendeinen göttlichen Rat­schluß oder dergleichen davor bewahrt werden könnte, nicht die Niederungen des Daseins durchmachen zu müssen. Es ist für die Menschheit, damit sie zum vollen Gebrauche ihrer Freiheitskräfte komme, durchaus notwendig, auch in die Niederungen sowohl der Weltauffassung wie des Lebens herunterzusteigen. Und das Gefähr­liche liegt eigentlich nicht darin, daß zur rechten Zeit - und die war für den theoretischen Materialismus eigentlich die Mitte des 19. Jahr-hunderts - so etwas auftritt, sondern das Gefährliche besteht darin, daß wenn im Laufe der normalen Entwickelung so etwas aufgetreten ist, dann daran festgehalten wird, daß dann dieses für einen gewissen Zeitpunkt Notwendige hinübergetragen wird in künftige Zeiten. Und wenn man sagen kann, daß der Materialismus in gewisser Beziehung für die Menschheit eine Prüfung war in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die durchzumachen war, so ist es auf der anderen Seite auch wiederum richtig, daß das Festhalten an dem Materialismus jetzt einen furchtbaren Schaden bringen muß, und daß dasjenige, was wir an furchtbaren Weltkatastrophen und Menschheitskatastrophen durchmachen, eben darauf beruht, daß die Menschheit an diesem Materialismus in weiten Kreisen fest­halten möchte.

Was bedeutet eigentlich der theoretische Materialismus? Er bedeutet die Anschauung, daß der Mensch zunächst der Umfang desjenigen sei, was die materiellen Prozesse seines physischen Leibes ausmacht. Der theoretische Materialismus studierte die physisch-sinnlichen Prozesse des physischen Leibes, und wenn auch zunächst dasjenige, was er in diesem Studium erreicht hat, mehr oder weniger am Anfange ist, so hat er doch die letzten Konsequenzen in bezug auf die Weltanschauungen bereits gezogen. Er hat den Menschen gewissermaßen erklärt als den Zusammenfluß dieser physischen Kräfte, er hat sein Seelisches erklärt als etwas, was nur hervorgerufen wird durch das Zusammenarbeiten dieser physischen Kräfte. Er hat

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aber auch eingeleitet die Untersuchung der physischen Natur des Menschen. Dieses letztere, die weitere Untersuchung der physischen Natur des Menschen, das ist dasjenige, was bleiben muß. Was das 19. Jahrhundert als Konsequenz aus dieser physischen Untersuchung gezogen hat, das ist das, was eine vorübergehende Erscheinung bleiben muß in der Menschheitsentwickelung. Aber als solche vorübergehende Erscheinung wollen wir sie zunächst einmal begrei­fen.

Was liegt denn eigentlich da vor? Nun, wenn wir zurückblicken in die Menschheitsentwickelung und an der Hand desjenigen, was ich in der «Geheimwissenschaft im Umriß» angegeben habe, ziemlich weit zurückblicken, dann müssen wir sagen: Dieses Menschenwesen hat die verschiedensten Stadien durchgemacht. - Wir brauchen uns ja nur zu beschränken auf dasjenige, was das Menschenwesen im Laufe der Erdenentwickelung selber durchgemacht hat, und wir werden uns sagen müssen: Dieses Menschenwesen ging im Verlauf der Erdenentwickelung von einer allerdings im Verhältnis zu seiner heutigen Gestaltung primitiven Bildungsform aus, wandelte dann diese Bildungsform um und kam immer näher und näher derjenigen Gestalt, die eben der Mensch heute hat. Solange man im groben der menschlichen Gestaltung bleibt, so lange wird man, wenn man das geschichtliche Dasein des Menschen verfolgt, die Unterschiede nicht so außerordentlich groß finden. Wer etwa nach den Mitteln, die für die äußere Geschichte vorhanden sind, die Gestalt eines alten Ägypters oder selbst eines alten Inders vergleichen will mit der Gestaltung eines Menschen der heutigen europäischen Zivilisation, der wird nur verhältnismäßig kleine Unterschiede finden, wenn er eben durchaus im gröberen der Betrachtung bleibt. In bezug auf dieses gröbere der Betrachtung treten ja die großen Unterschiede gegenüber den primitiven Bildungsformen, die der Urmensch gehabt hat, erst hervor in den Zeiten, die weit hinter den geschicht­lichen zurückliegen. Aber wenn wir ins feinere hineingehen, wenn wir in das hineingehen, was sich allerdings den äußeren Blicken ver­birgt, dann gilt das nicht mehr, was ich eben gesagt habe, dann muß man durchaus sagen: Zwischen dem Organismus eines heutigen

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Zivilisationsmenschen und dem Organismus eines alten Ägypters oder selbst eines alten Griechen oder Römers ist ein großer, ein be­deutsamer Unterschied. Und wenn auch die Umwandlung in viel feinerer Weise sich vollzogen hat in geschichtlichen Zeiten, so hat sie sich eben doch in bezug auf alle feinere Gestaltung des menschlichen Organismus vollzogen. Und was sich da vollzogen hat, das hat eine gewisse Kulmination, einen gewissen Höhepunkt erreicht in der Mitte des 19. Jahrhunderts. So paradox es klingt, es ist durchaus so, daß in bezug auf seine innere Formung, in bezug auf dasjenige, was der menschliche Organismus überhaupt werden kann, der Mensch um die Mitte des 19. Jahrhunderts am vollkommensten war, und daß gerade seit jener Zeit eine Art Dekadenz wiederum eintritt, daß der menschliche Organismus in Rückverwandlung begriffen ist. Daher war es auch in der Mitte des 19. Jahrhunderts so, daß nament­lich diejenigen Organe am vollkommensten ausgebildet waren, welche als die physischen Organe der Verstandestätigkeit dienen.

Was wir den menschlichen Verstand, den menschlichen Intellekt nennen, das braucht ja physische Organe. Diese physischen Organe waren in früheren Zeiten bei weitem weniger ausgebildet, als sie es in der Mitte des 19. Jahrhunderts waren. Es ist durchaus so, daß das­jenige, was wir zum Beispiel am Griechen, was wir selbst an solchen vollendeten Griechen bewundern, wie P/ato oder Aristote/es es waren, darauf beruht, daß diese Griechen nicht so vollkommene Denkorgane im rein physischen Sinne hatten, wie die Menschen des 19. Jahrhunderts sie hatten. Je nachdem man den Geschmack dazu hat, kann man sagen: Gott sei's gedankt, daß die Menschen der Griechenzeit nicht so vollkommene Denkorgane hatten wie die Menschen des 19. Jahrhunderts! - Ist man aber ein Nüchterling des 19. Jahrhunderts selber und will man diese Nüchterlingheit beibe­halten, dann kann man sagen: Die Griechen waren eben Kinder, die haben noch nicht jene vollkommenen Denkorgane gehabt, die der Mensch des 19. Jahrhunderts hat, und man muß daher mit einer ge­wissen Nachsicht auf das herunterschauen, was Plato und Aristoteles zutage gefördert haben. - Gymnasiallehrer tun das oftmals, indem sie sich ungeheuer erhaben fühlen in der Kritik über Plato und Aristoteles.

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Aber verstehen wird man das, was ich jetzt eben angedeutet habe, nur dann vollkommen, wenn man sich bekanntgemacht hat mit Menschen, die es ja auch gibt, welche bis zu einem gewissen Grade eine Art Schauvermögen haben, dasjenige, was man, im besten Sinne des Wortes, eine Art hellseherisches Bewußtsein nen­nen kann.

Bei Menschen, die ein solches hellseherisches Bewußtsein heute haben, kann das Vorhandensein dieses hellseherischen Bewußtseins - diejenigen, die etwa in diesem Auditorium ein solches hellsehe­risches Bewußtsein haben sollten, mögen mir die Erzählung dieser Wahrheit verzeihen - gerade auf der mangelhaften Ausbildung der mangelhaften Verstandesorgane beruhen. Es ist durchaus eine ganz gewöhnliche Erscheinung, daß wir innerhalb unserer heutigen Welt Menschen treffen können mit einem gewissen hellseherischen Be­wußtsein, die eigentlich von dem, was man heute den wissenschaft­lichen Verstand nennt, außerordentlich wenig haben. Und so wahr dieses ist, so wahr ist aber auch das andere, daß nun solche hellsehe­rischen Menschen dazu kommen können, gewisse Dinge, die sie selber durch ihre Erkenntnis hervorbringen, aufzuzeichnen oder zu erzählen, und daß in diesen Erzählungen, in diesen Aufzeichnungen Gedanken leben, die viel gescheiter sind als die Gedanken derjenigen Menschen, die, ohne Hellseherisches zu entwickeln, mit den aller­besten Verstandeswerkzeugen arbeiten. Es kann vorkommen, daß vom Gesichtspunkte der heutigen Wissenschaft aus dumme - ver­zeihen Sie den Ausdruck -, dumme hellseherische Personen Gedan­ken produzieren, durch die sie zwar nicht gescheiter werden, aber die gescheiter sind als Gedanken der autoritativsten Wissenschafter von heute. Diese Tatsache ist schon durchaus vorhanden. Und worauf beruht sie? Sie beruht darauf, daß solche hellseherische Personen gar nicht nötig haben, irgend etwas von Denkorganen anzustrengen, um zu diesen Gedanken zu kommen. Sie schaffen aus der geistigen Welt heraus die betreffenden Bilder, und da drinnen sind schon die Ge­danken, sie sind schon fertig, während die anderen Menschen, die nicht hellsehend sind und nur denken können, zur Ausbildung ihrer Gedanken ihre Denkorgane ausbilden müssen. Schematisch gezeichnet,

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wäre das so. Nehmen wir an, solche heliseherischen Personen bringen in allerlei Bildern irgend etwas aus der geistigen Welt heraus; das hier (siehe Zeichnung, rot) sei so etwas, was durch solche Personen aus der geistigen Welt herauskommt. Aber da drinnen sind Gedan­ken, es ist ein Gedankennetz drinnen. Das denken die betreffenden Personen nicht, sondern sie schauen es, sie bringen es mit aus der geistigen Welt heraus; sie haben nicht nötig, Denkorgane anzustren­gen.

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Schauen wir einen anderen an, der nicht hellseherisch begabt ist, sondern der denken kann, von dem Roten da ist nichts vorhanden bei ihm, das bringt er nicht heraus; er bringt auch aus der geistigen Welt dieses Gedankengerippe (siehe Zeichnung links) nicht heraus; aber er strengt seine Denkorgane an und bringt dann durch seine Denkorgane dieses Gedankengerippe zur Welt (siehe Zeichnung rechts).

Man kann, wenn man heute die Menschen betrachtet, die Abstufungen zwischen diesen zwei Extremen überall bemerken. Für denjenigen, der sein Anschauungsvermögen nicht geschult hat, ist es allerdings außerordentlich schwer, zu unterscheiden, ob der andere wirklich gescheit ist in dem Sinne, daß er durch seine Ver­standesorgane denkt, oder ob er gar nicht durch seine Verstandesorgane

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denkt, vielmehr irgendwie etwas herschafft in sein Bewußt­sein, und daß nur das, was bildhaft ist, was imaginativ ist, sich bei ihm entwickelt, aber so schwach, daß es von ihm selber nicht bemerkt wird. Und so sind alle möglichen Menschen heute vorhanden, die sehr gescheite Gedanken hervorbringen, aber deshalb gar nicht gescheit zu sein brauchen, während andere sehr gescheite Gedanken denken, aber in gar keiner besonderen Weise mit irgendeiner geisti­gen Welt in Beziehung stehen. Das Einschulen auf diese Unterschei­dung, das gehört zu den bedeutsamen psychologischen Aufgaben in unserer Zeit und es liefert die Grundlage zu wichtiger Menschen­kenntnis in der Gegenwart. Wenn Sie das zur Erklärung nehmen, so wird es Ihnen nicht mehr so unverständlich sein, daß sich der em­pirischen übersinnlichen Betrachtung eben ergibt, daß in der Mitte des 19. Jahrhunderts der menschliche Organismus bei dem Gros der Menschen eben die vollkommensten Denkorgane hatte. Es wurde niemals so ausschließlich viel gedacht wie um die Mitte des 19. Jahr­hunderts, und so wenig gescheit wie um diese Zeit.

Gehen Sie nur zurück - das tun nur die Menschen heute nicht -in die zwanzigerJahre oder vor die zwanzigerJahre des 19. Jahrhun­derts und lesen Sie durch, was damals wissenschaftlich produziert war, so werden Sie sehen: das hat noch einen ganz anderen Ton, da lebt eben noch durchaus nicht jenes ganz abstrakte, auf die mensch­lichen physischen Denkorgane angewiesene Denken wie später, ganz zu schweigen von solchen Dingen, wie sie etwa ein Herder oder Goethe und £chd/er hervorgebracht haben. Da leben noch großartige Anschauungen darinnen. Daß man das nicht glaubt, und daß die Kommentare heute so sprechen, als ob das nicht der Fall wäre, darauf kommt es ja nicht an. Denn diejenigen, die diese Kommen­tare schreiben und die Goethe und Schiller und Herder zu verstehen glauben, die verstehen sie eben nicht, die sehen das Wichtigste bei ihnen nicht.

Das ist eine wichtige Tatsache, daß um die Mitte des 19. Jahr­hunderts der menschliche Organismus in bezug auf seine physische Gestaltung gewissermaßen bei einer Kulmination, bei einem Höhe­punkt angekommen war und daß er seitdem wiederum zurückgeht,

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und zwar - in einer gewissen Weise für das verständige Erfassen der Welt - rasch zurückgeht.

Mit dieser Tatsache hängt aber zusammen die Ausbildung des Materialismus in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Denn was ist denn eigentlich dieser menschliche Organismus? - Dieser menschliche Organismus ist ja ein getreues Abbild des Geistig-Seelischen des Menschen. Man braucht sich gar nicht zu verwundern, daß dieser menschliche Organismus in seinem Bau manchem, der eben nicht auf das Geistig-Seelische einzugehen vermag, schon wie die Erklä­rung des ganzen Menschen erscheint. Insbesondere, wenn man die Hauptesorganisation und im Haupte wiederum die Nervenorgani­sation berücksichtigt, tritt das ja stark hervor.

Ich habe neulich in Stuttgart innerhalb meiner Vorträge ein Er­lebnis erwähnt, das wirklich geeignet ist, Licht zu werfen auf diese Sache. Ich sagte: Es war so am Beginne des 20. Jahrhunderts in einer Versammlung des Berliner Giordano-Bruno-Vereins, da sprach zu­nächst ein Mensch - was ich einen handfesten Materialisten nenne -, ein sehr kundiger Materialist war es, der den Gehirnbau ebensogut kannte, wie man heute den Gehirnbau, wenn man gewissenhaft studiert hat, wirklich kennt; und er war einer von denjenigen Men­schen, welche in der Analyse des Gehirnbaues eigentlich schon die ganze Seelenkunde sehen, welche sagen: Man muß nur erkennen, wie das Gehirn arbeitet, dann hat man die Seele, dann beschreibt man die Seele. - Nun war es interessant; er malte auf die Tafel diese verschiedenen Hirnpartien auf, also die Verbindungsstränge und so weiter, und lieferte da eben jenes wunderbare Bild, das man ja be­kommt, wenn man diesen menschlichen Gehirnbau verfolgt. Und er glaubte eben durchaus mit der Schilderung dieses Gehirnbaues et­was gegeben zu haben, was Seelenkunde ist. Nachdem er seine Aus­einandersetzungen gemacht hatte, erhob sich ein handfester Philo­soph, ein Herbartianer. Dieser Herbartianer sagte: Gegen die An­sichten, die der Mann entwickelt hat, daß man schon die Seelen­kunde besitzt, wenn man den Gehirnbau erklärt, gegen diese An­sichten muß ich mich natürlich entschieden wenden; aber gegen die Zeichnung, die er gemacht hat, brauche ich mich gar nicht zu

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wenden, diese Zeichnung stimmt ganz gut auch mit meiner Her­bartschen Ansicht überein, daß die Vorstellungen sich miteinander vergesellschaften, daß von einer Vorstellung zu der anderen gewisse Verbindungsstränge rein seelischer Art gehen. Und er fügte hinzu, er könne als Herbartianer ganz gut dieselbe Zeichnung machen, nur würden bei ihm die einzelnen Kreise und so weiter nicht Gehirnpar­tien bedeuten, sondern Vorstellungskomplexe. Aber die Zeichnung würde ganz dieselbe bleiben!

Sehr interessant, sehen Sie! Wenn es darauf ankommt, die Sache in die Wirklichkeit hineinzustellen, da sind die Leute ganz entge­gengesetzter Ansicht; wenn sie Zeichnungen machen von derselben Sache, so müssen sie eigentlich dieselben Zeichnungen machen, und der eine ist ganz und gar Herbartscher Philosoph, der andere ist handfester materialistischer Physiologe.

Worauf beruht das? Das beruht darauf, daß es in der Tat so ist: Wir haben das geistig-seelische Wesen des Menschen, das tragen wir in uns. Und dieses geistig-seelische Wesen, das ist der Schöpfer der ganzen Form unseres Organismus. Und wir brauchen uns nicht zu verwundern darüber, daß da, wo der Organismus seine vollkom­menste Partie hat, im Nervensystem des Gehirns, daß da das Abbild, das die geistig-seelische Wesenheit heraussetzt, voll­kommen ähnlich sieht diesem geistig-seelischen Wesen. Es ist in der Tat so, daß da, wo der Mensch am meisten, wenn ich so sagen möchte, Mensch ist, in seinem Nervenbau, daß er da ein getreues Abbild ist des Geistig-Seelischen, so daß derjenige, der zufrieden ist mit dem Abbild, der vor allen Dingen ein Sinnliches vor sich haben will und zufrieden ist mit dem Abbild, in der Tat dasselbe, was man zunächst mit Bezug auf den Menschen im Geistig-Seelischen sieht, auch in dem Abbild sieht. Und da er kein Verlangen hat nach dem Geistig-Seelischen, da er gewissermaßen nur das Abbild will, so hält er sich an den Bau des Gehirns. Und weil dieser Bau des Gehirnes ebenso besonders vollendet sich darstellte dem Betrachter um die Mitte des 19. Jahrhunderts, so lag es wiederum, wenn man die damalige Veranlagung der Menschheit nimmt, ungeheuer nahe, den theoretischen Materialismus auszubilden.

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Denn was liegt eigentlich beim Menschen vor? Wenn man den Menschen als solchen betrachtet - ich will ihn hier schematisch zeichnen - und dann den Gehirnbau nimmt, dann ist das so, daß zunächst der Mensch ein dreigliedriges Wesen ist, wie wir wissen: der Gliedmaßenmensch, der rhythmische Mensch und der Nerven­Sinnesmensch. Wenn wir den Nerven-Sinnesmenschen ansehen, so haben wir den vollkommensten Teil des Menschen vor uns, sozusagen den am meisten menschlichen Teil. In diesem am meisten menschlichen Teil spiegelt sich die äußere Welt (siehe Zeichnung, rot). Ich will dieses Spiegeln dadurch bezeichnen, daß ich zum

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Beispiel die Wahrnehmungen durch das Auge bezeichne. Ich könn­te auch die Wahrnehmungen durch das Ohr zeichnen und so weiter. Die äußere Welt also spiegelt sich in dem Menschen, so daß wir vorliegen haben den Bau des Menschen und die Spiegelung der äußeren Welt in diesem Menschen. Solange wir den Menschen so betrachten, können wir eigentlich gar nicht anders, selbst wenn wir über die manchmal recht groben Vorstellungen des Materialismus hinausgehen, als den Menschen materialistisch zu deuten. Denn wir haben auf der einen Seite den Bau des Menschen. Wir können diesen Bau verfolgen in all seinen feineren Gewebestrukturen und

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bekommen, je mehr wir gegen die Kopforganisation heraufgehen, ein getreues Abbild des Geistig-Seelischen. Und wir können dann weiterverfolgen dasjenige, was sich von der Außenwelt in dem Menschen spiegelt. Das ist aber bloßes Bild. Wir haben die Realität des Menschen, die wir in ihre feineren Strukturen hinein verfolgen können, und wir haben das Bild der Welt.

Halten wir das recht gut fest: wir haben des Menschen Realität in seinem Organausbau und wir haben dasjenige, was sich drinnen im Menschen spiegelt. Das ist eigentlich alles, was zunächst der äuße­ren sinnlichen Beobachtung vorliegt. Bei dieser äußeren sinnlichen Beobachtung liegt also im Grunde das Folgende vor: Diese ganze Struktur des Menschen zerfällt, wenn der Mensch stirbt, zerfällt als Leichnam. Außerdem liegen ihr die Bilder der äußeren Welt vor. Wenn Sie den Spiegel zerbrechen, kann sich nichts mehr spiegeln; die Bilder sind also auch vergangen, wenn der Mensch durch den Tod geht. Ist es also nicht natürlich, daß da der äußeren sinnlich-physischen Beobachtung nichts anderes vorliegt als das, was ich eben angeführt habe, daß da gesagt werden muß: Mit dem Tode zerfällt die physische Struktur des Menschen? - Die spiegelte früher die Außenwelt. Was der Mensch in der Seele trägt, ist Spiegelbild; das vergeht aber. Diese Tatsache stellte einfach der Materialismus des 19. Jahrhunderts hin. Er mußte sie hinstellen, weil er schließlich von anderem nichts wußte. Nun wird die Sache schon anders, wenn man ein wenig eingeht auf das menschliche geistige und seelische Leben selber. Da aber betreten wir schon ein Gebiet, wohin die phy­sisch-sinnliche Beobachtung nicht dringen kann.

Nehmen wir eine naheliegende Tatsachenreihe der Seele heraus, die einfache Tatsachenreihe, die damit gegeben ist, daß wir der Außenwelt beobachtend gegenüberstehen. Wir beobachten die Dinge, wir nehmen sie wahr, haben sie dann vorstellungsgemäß in uns. Aber wir haben auch ein Gedächtnis, ein Erinnerungsvermö­gen. Was wir an der Außenwelt erleben, das können wir wiederum heraufheben in Bildern aus den Tiefen unseres Wesens. Wir wissen, welche Bedeutung diese Erinnerung für den Menschen hat. Bleiben wir zunächst bei dieser Tatsachenreihe stehen. Nehmen Sie diese

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zwei inneren Erlebnisse: Sie schauen durch die Augen die Außen­welt an oder hören sie mit Ihren Ohren, nehmen sie sonst mit Ihren Sinnen wahr. Da sind Sie in einer gegenwärtigen seelischen Betäti­gung. Das geht über in Ihr vorstellungsgemäßes Leben. Das was Sie heute erlebt haben, Sie können es in ein paar Tagen aus den Unter­gründen Ihrer Seele in Bildern wiederum heraufheben. Es geht ja in irgendeiner Weise etwas in Sie hinein, Sie holen es wiederum aus sich heraus. Es ist unschwer zu erkennen, daß dasjenige, was da in die Seele hineingeht, von der Außenwelt herrühren muß. Ich will mich jetzt gar nicht weiter einlassen auf etwas anderes als auf den reinen Tatbestand, der ja offen zutage liegt, daß das, was so erinnert wird, von der Außenwelt kommen muß. Denn wenn Sie irgend­einen roten Gegenstand gesehen haben, so erinnern Sie sich wie­derum an den roten Gegenstand, und was in Ihnen vorgegangen ist, ist nur das Bild des roten Gegenstandes, das wiederum in Ihnen heraufkommt. Also es ist etwas, was die Außenwelt in Sie hineinge-prägt hat, tiefer hineingeprägt hat, als wenn Sie sich nur unmittelbar vorstellend in der Außenwelt betätigen. Aber stellen Sie sich jetzt vor: Sie gehen an irgend etwas heran, beobachten es, sind also in einer gegenwärtigen Seelenbetätigung gegenüber dem Beob­achteten. Sie verlassen es; nach einigen Tagen haben Sie Veran­lassung, die Bilder des Beobachteten wieder aus dem Untergrund Ihres Wesens heraufzuheben, da sind sie wieder da; sie sind blasser, gewiß, aber sie sind da, sie sind bei dem Menschen da. Aber was war in der Zwischenzeit?

Nun bitte ich Sie, halten Sie das fest, was ich Ihnen gesagt habe, und vergleichen Sie dieses eigentümliche Spiel von gegenwärtigen Wahrnehmungsvorstellungen und Erinnerungsvorstellungen mit dem, was Sie gut kennen als das Bild des Traumes. Sie werden un­schwer bemerken können, wie mit dem Erinnerungsvermögen das Träumen zusammenhängt. Die Traumvorstellungen brauchen ja nur nicht sehr konfus zu sein, dann werden Sie sehen, wie sie an die Fr­innerungsvorstellungen anknüpfen, wie also eine Verwandtschaft besteht zwischen dem Träumen und demjenigen, was da aus den le­bendigen Vorstellungen in die Erinnerung übergeht.

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Aber jetzt betrachten Sie etwas anderes. Der Mensch muß orga-nisch vollkommen gesund sein, wenn er sozusagen das Träumen richtig vertragen will. Zum Träumen gehört, daß man sich organisch völlig in der Hand hat, daß der Moment immer wiederum eintreten kann, wo man weiß: Das ist ein Traum gewesen. - Es muß irgend et­was nicht in Ordnung sein, wenn jemand nicht zu dem Moment kommen könnte, wo er vollkommen durchschauen würde: etwas ist ein Traum gewesen. Man hat ja Menschen kennengelernt, die haben geträumt, daß sie geköpft worden sind. Nun denken Sie, wenn diese Menschen hinterher nicht unterscheiden können dieses geträumte Köpfen von dem wirklichen Köpfen und glauben würden, daß sie nun wirklich geköpft sind und würden doch weiterleben müssen, bedenken Sie doch nur einmal, wie wenig solche Menschen, ohne konfus zu werden, die Tatsachen durch das Unterscheiden zusam­menbringen könnten. Sie müßten fortwährend erleben: Ich komme eben vom Köpfen. - Und wenn sie voraussetzen müßten, daß sie das glauben müßten, dann kann man ja ungefähr ermessen, welche Worte sich da ihren Lippen entringen würden. Also, es handelt sich darum, daß der Mensch immerzu die Möglichkeit hat, sich so in der Hand zu haben, daß er Träume von dem In-der-Wirklichkeit-Drin­nenstecken mit seinem Vorstellen unterscheiden kann. Aber es gibt doch auch Menschen, die können das nicht. Es gibt Menschen, die erleben allerlei Halluzinatorisches, Visionäres und dergleichen und halten es für Wirklichkeiten. Die können es nicht unterscheiden, die haben sich nicht so stark in der Hand. Was bedeutet das? Das bedeutet, daß bei diesen Leuten das, was im Traume lebt, einen Einfluß auf ihre Organisation hat, daß ihre Organisation angepaßt ist der Traumvorstellung. Sie haben irgendwo etwas nicht voll­ständig ausgebildet in ihrem Nervensystem, was vollständig aus­gebildet sein sollte: daher ist der Traum in ihnen tätig , er wirkt in ihnen.

Wenn also irgend jemand seine Traumvorstellungen nicht von den erlebten Wirklichkeiten unterscheiden kann, so bedeutet das, daß die Traumkraft in ihm organisierend wirkt. Sobald der Traum unseres ganzen Gehirnes mächtig würde, würden wir überhaupt die

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ganze Welt als Traum anschauen. Wer solch eine Tatsache in ihrem vollen Werte betrachten kann, der wird nach und nach zu Dingen kommen , zu denen sich allerdings unsere gewöhnliche Wissenschaft heute nicht aufschwingen will, weil sie nicht den Mut dazu hat; er wird dazu kommen, einzusehen, daß in dem, was im Traumleben kraftet, dasselbe liegt, was in uns Organisationskraft ist, was Wachs­tums- , Belebekraft ist. Nur dadurch , daß gewissermaßen unser Organismus so in sich konsolidiert ist, daß er so feste Strukturen hat , daß er widersteht dem gewöhnlichen Traum, nur dadurch hat die Kraft der gewöhnlichen Träume nicht die Macht , seine Struktur auseinanderzureißen, und der Mensch kann unterscheiden das Traumerlebnis vom Wirklichkeitserlebnis.

Aber wenn das Kind klein ist und heranwächst, wenn es also im­mer größer und größer wird , da ist eine Kraft in ihm. Das ist dieselbe Kraft, die im Traume ist, nur daß man sie beim Traume an­sieht. Und wenn man sie nicht ansieht, sondern wenn sie im Leibe wirkt , diese Kraft , die sonst im Traume ist , dann wächst man durch sie. Und man braucht nicht einmal so weit zu gehen, auf das Wach­sen hinzuschauen. Auch wenn Sie täglich zum Beispiel essen und das Gegessene in sich verdauen, es in dem ganzen Organismus ver­breiten, so ist es durch die Kraft, die im Traume lebt. Wenn daher irgend etwas im Organismus nicht richtig ist , dann hängt das auch mit unrichtigem Träumen zusammen. Es ist dieselbe Kraft, die in dem Traumleben äußerlich angeschaut wirkt, und die da in einem wirkt selbst bis in die Verdauungskräfte hinein.

So können wir sagen: Wir werden gewahr, wenn wir nur das Leben des Menschen richtig anschauen, die wirksame Traumeskraft in seinem Organismus. Und indem ich das schildere, diese wirksame Traumeskraft, betrete ich eigentlich in dieser Schilderung dieselben Wege, die ich betreten muß, wenn ich den menschlichen Ätherleib beschreibe.

Denken Sie sich, irgend jemand könnte durchschauen alles das­jenige, was im Menschen wächst vom Kinde auf, was im Menschen die Verdauung bewirkt, was im Menschen wirkt, um den ganzen Organismus in seiner Tätigkeit zu erhalten; denken Sie sich, ich

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könnte dieses ganze Kraftsystem nehmen, herausnehmen aus dem Menschen und es vor den Menschen hinstellen, dann hätte ich den Ätherleib vor den Menschen hingestellt. Dieser Ätherleib , dieser Leib also, der sich nur in Unregelmäßigkeiten in dem Traume offen­bart, war in sich viel mehr ausgebildet vor dem Zeitpunkte im 19. Jahrhundert, den ich angeführt habe. Er wurde immer schwächer und schwächer in seiner Struktur. Dafür wurde der physische Leib immer stärker und stärker in seiner Struktur. Der Ätherleib kann in Bildern vorstellen , er kann traumhafte Imaginationen haben , aber er kann nicht denken. Und sobald in irgendeinem Menschen der Ge­genwart dieser Ätherleib besonders stark tätig zu sein beginnt , dann wird er das, was ich vorhin sagte, er wird etwas hellseherisch; aber er kann dann weniger denken, denn zum Denken braucht er gerade den physischen Leib.

Daher ist es nicht zu verwundern , daß die Menschen , wenn sie im 19. Jahrhundert das Gefühl hatten , sie könnten besonders gut denken , eigentlich zum Materialismus hingetrieben wurden. Was ihnen zu diesem Denken am meisten hal{ das ist dieser physische Leib , mit anderen Worten ausgedrückt. Aber mit diesem Denken gerade, mit diesem physischen Denken hängt die besondere Art des Gedächtnisses zusammen , die im 19. Jahrhundert entwickelt worden ist , es ist ein Gedächtnis , das womöglich wenig bildhaft ist , womöglich in Abstraktionen verläuft.

Interessant ist solch eine Erscheinung. Ich habe öfters den Krimi­nalanthropologen Moriz Benedikt angeführt; ich möchte auch heute ein interessantes Erlebnis , das er selber erzählt in seinen «Lebenserin­nerungen», anführen. Er hatte eine Rede zu halten auf einer Natur­forscherversammlung, und nun erzählt er, daß er sich auf diese Rede , indem er Tag und Nacht nicht geschlafen hat , zweiundzwan­zig Nächte lang vorbereitet hat. Zweiundzwanzig Nächte hat er die Rede vorbereitet, und am letzten Tag, bevor er die Rede gehalten hat , ist ein Journalist bei ihm erschienen , der sollte diese Rede veröf­fentlichen. Er diktierte sie ihm. Er hatte die Rede nicht niederge­schrieben, erzählt er, er hatte sie nur dem Gedächtnis eingeprägt. Er diktierte sie dem Journalisten; also im Kämmerchen diktierte er sie

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dem Journalisten und dann hielt er bei der Naturforscherversamm­lung diese Rede. Was der Journalist nach dem Diktat abgedruckt hat , stimmte nun bis aufs Wort genau mit dem überein, was Benedikt dann der Naturforscherversammlung vorgetragen hat. - Ich muß sagen , ich bewundere so etwas außerordentlich! Denn man be­wundert immer dasjenige, was zu leisten man selbst niemals im­stande wäre. Das also ist eine sehr interessante Erscheinung. Der Mann hat zweiundzwanzig Nächte lang daran gearbeitet, Wort für Wort einzuverleiben seiner Organisation , was er vorbereitet hat , so daß er niemals hätte irgendeinen Satz anders sagen können in der Wortfolge, als wie er saß in seinem Organismus, so fest saß er da.

So etwas ist nur möglich, wenn man die ganze Rede absolut aus dem allmählich sich formenden Wortlaut dem physischen Organis­mus einprägen kann. Es ist schon richtig so, daß man das , was man da ausdenkt , so fest dem physischen Organismus einprägt , wie die Naturkraft das Knochensystem fest aufbaut. Dann ruht diese ganze Rede wie ein Gerippe im physischen Organismus. Es ist ja das Ge­dächtnis gewöhnlich an den Ätherleib gebannt, aber hier hat sich der Ätherleib ganz im physischen Organismus abgedruckt. Der ganze physische Organismus hat etwas in sich , wie er seine Knochen in sich hat, was als ein Gerippe dieser Rede dasteht. Dann kann man auch so etwas machen, wie es der Professor Benedikt gemacht hat. Und so etwas ist eben nur möglich, wenn dieser physische Organismus in seiner Nervenstruktur so ausgebildet ist, daß er in seine Plastik das­jenige hineinnimmt, ohne Widerstand hineinnimmt, was in ihn hineingebracht wird, nach und nach allerdings, zweiundzwanzig Tage beziehungsweise zweiundzwanzig Nächte hindurch mußte es hineingearbeitet werden.

Man braucht sich da nicht zu verwundern, daß jemand, der so auf seinen physischen Leib baut, das Gefühl bekommt, dieser phy­sische Leib ist das einzig Arbeitende im Menschen drinnen. - Und es war schon das Leben des Menschen allmählich so geworden, daß es sich ganz und gar in den physischen Leib hineinarbeirete, und er daher auch zu dem Glauben kam: der physische Leib ist al/es in der menschlichen Organisation. Ich glaube nicht, daß ein anderes Zeitalter

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als dasjenige, welches auf den physischen Leib diesen großen Wert legt , hätte zu einer so grotesken Erfindung - verzeihen Sie diesen Ausdruck - kommen können , wie es die Stenographie ist. Denn man hat ja, als man keine Stenographie gehabt hat, nicht solchen Wert darauf gelegt, das Wort und die Wortfolge so unbe­dingt festzuhalten und so festzuprägen die Worte , wie sie im Steno-gramm festgehalten werden wollen. So festprägen kann sie ja nur der Abdruck im physischen Leib. Also nur die besondere Vorliebe für das Abprägen im physischen Leibe bewirkt auch die andere Vor­liebe , dieses abgeprägte Wort zu erhalten, ja nicht irgend etwas zu erhalten, was um ein Niveau höher erhoben ist. Da hätte die Steno­graphie nämlich nichts zu suchen, wenn man diejenigen Formen festhalten wollte , die sich im ätherischen Leibe ausprägen. Es gehörte schon die materialistische Tendenz dazu , um etwas so Groteskes zu erfinden , wie es die Stenographie ist.

Nun, das sollte nur erläuternd hinzugefügt werden zu dem, was ich zu dem Problem beitragen möchte: das Verstehen des Auftretens des Materialismus im 19. Jahrhundert. Die Menschheit war bei einer gewissen Verfassung angelangt, die hinneigte zu dem Einprägen des Geistig-Seelischen in den physischen Organismus. Sie müssen das, was ich gesagt habe , als eine Interpretation nehmen , nicht als eine Kritik der Stenographie. Ich will nicht, daß die Stenographie heute gleich abgeschafft wird. Das ist niemals die Tendenz , die solchen Charakteristiken zugrunde liegt. Denn man muß sich ganz klar sein: Damit, daß man etwas versteht, will man es ja auch nicht durchaüs gleich abschaffen! Es gibt vieles in der Welt, was notwendig ist zum Leben, was aber auch nicht zu allem dienen kann - ich will das Thema nicht weiter ausführen - und was man doch auch in seiner Notwendigkeit begreifen muß. Aber wir leben, das muß ich immer wieder betonen , in einem Zeitalter , in dem es durchaus notwendig ist , etwas mehr in die Tiefe sowohl der Naturentwickelung wie der Kulturentwickelung einzudringen, sich sagen zu können: Woher kommt die eine oder die andere Erscheinung? - Denn mit dem bloßen keiferischen Aburteilen und Abkritisieren ist es nicht getan; man muß alle Dinge der Welt wirklich verstehen.

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Was ich also heute ausgeführt habe, möchte ich dahin zusam­menfassen , daß uns die Entwickelung der Menschheit zeigt, daß gewissermaßen die Strukturvollendung des physischen Leibes in der Mitte des 19. Jahrhunderts einen Höhepunkt erreichte, daß jetzt schon wieder die Dekadenz eintritt, und daß mit diesem Vervoll­kommnen des physischen Leibes der Aufschwung der theoretischen materialistischen Weltanschauung zusammenhängt. Ich werde ja über diese Dinge in den nächsten Tagen von dem einen oder an­deren Gesichtspunkt aus das eine oder das andere noch zu sagen haben. Heute möchte ich gerade dieses vor Sie hingestellt haben , was ich eben zusammengefaßt habe.

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ZWEITER VORTRAG Dornach, 3. April 1921

Ich bemerke zuvor ausdrücklich, daß dieser heutige Vortrag nicht in die Reihe der Kursusveranstaltungen gehört , sondern in einer gewis­sen Beziehung sich anschließen soll an das , was ich gestern Abend ausgeführt habe. Es hat sich gestern darum gehandelt, hinzublicken auf jene besondere Entwickelungsgestaltung des geschichtlichen Menschheitswerdens , die in die Mitte und noch in die zweite Hälf­te des 19. Jahrhunderts fällt , auf den Entwickelungsimpuls des Materialismus. Ich habe gesagt , daß unser Augenmerk gerichtet sein soll bei diesen Betrachtungen nicht so sehr auf den Materialismus im allgemeinen , der ja wieder andere Gesichtspunkte erfordert , als viel­mehr im besonderen auf den theoretischen Materialismus , auf den Materialismus als Weltanschauung. Und ich habe darauf aufmerksam gemacht, daß es ja notwendig ist, in einer hinreichenden Kritik diesem Materialismus gegenüberzutreten, daß aber auf der anderen Seite dieser Materialismus eine notwendige Entwickelungsphase der Menschheitsgeschichte war, daß wir nicht etwa bloß davon sprechen dürfen , daß dieser Materialismus abzuweisen sei, daß er eine menschliche Verirrung sei , sondern daß dieser Materialismus verstan­den sein will. Die beiden Dinge schließen sich nämlich durchaus nicht aus. Und es ist gerade bei einer solchen Betrachtung wichtig, das Gebiet jener Vorstellungen , die sich auf Wahrheit und Irrtum bez iehen , weiter auszudehnen , als das gewöhnlich geschieht. Man spricht ja gewöhnlich darüber, daß man sich im logischen Gedankenleben irren kann, oder daß man die Wahrheit findet. Aber man spricht nicht davon , daß unter Umständen auch der auf die äußere Welt fallende Blick in der äußeren Wirklichkeit Irrtümer vorfinden kann. Und so schwer es für das heutige Vorstellen auch noch sein wird , im Naturgeschehen Irrtümer anzuerkennen - was aber auch durch die Geisteswissenschaft geschehen will - , so liegt es doch dem heutigen Menschen schon nahe, in dem, was heraufkommt im Laufe des geschichtlichen Werdens , was gewissermaßen im gemeinsamen ,

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im sozialen Leben der Menschheit sich auswirkt, reale Irrtümer anzu­erkennen , Irrtümer, die nicht bloß logisch korrigiert sein wollen , sondern die aus ihren Entstehungsbedingungen heraus begriffen sein wollen.

Im Denken hat man ja den Irrtum einzig und allein abzuweisen. Man hat aus dem Irrtum herauszukommen und durch die Überwin­dung des Irrtums zur Wahrheit zu gelangen. Wenn es sich aber um Irrtümer handelt, die im Tatsächlichen wurzeln, dann muß man im­mer sagen, daß diese Irrtümer auch ihre positive Seite haben, daß sie in einer gewissen Weise durchaus für die Menschheitsentwickelung ihren Wert haben. Und so darf auch nicht bloß in einseitig phili­ströser Weise der theoretische Materialismus des 19. Jahrhunderts verdammt werden, sondern er muß in seiner Bedeutung für die ganze Menschheitsentwickelung begriffen werden. Er bestand ja darin - und was von ihm geblieben ist, besteht noch heute darin -, daß man sich einer gewissenhaften genauen Erforschung der äußeren materiellen Tatsachen hingibt , daß man sich in einer gewissen Weise an diese Tatsachenwelt verliert, und daß man dann, ausgehend von dieser Untersuchung der Tatsachenwelt , an die man sich stark ge­wöhnt, eine Lebensauffassung findet, dahin zielend, daß es nur diese Tatsachenwelt als Wirklichkeit gebe , daß alles das , was geistig , seelisch ist, im Grunde genommen nur ein Produkt ist, das sich er­gibt aus diesem materiellen Geschehen. - Auch diese Lebensauffas­sung war in einem gewissen Zeitalter notwendig, und das Gefährliche bestünde nur, wenn sie starr festgehalten würde und die weitere Ent­wickelung der Menschheit in einer Zeit beeinflussen würde, in der schon andere Inhalte in das menschliche Bewußtsein einziehen müssen.

Heute wollen wir einmal untersuchen, worauf denn dieser Ent­wickelungsimpuls des theoretischen Materialismus eigentlich be­ruht. Dazu kommen wir, wenn wir von einem gewissen Gesichts­punkte aus heute noch einmal uns vor die Seele rücken die «Drei-gliederung des menschlichen Organismus». Ich habe bei den ver­schiedensten Gelegenheiten diese «Dreigliederung des menschlichen Organismus» charakterisiert. Ich habe gesagt: Wir haben zu unterscheiden

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innerhalb der menschlichen Gesamtorganisation dasjenige , was man nennen kann zunächst für den physischen Menschen die Sinnes-Nervenorganisation; sie ist vorzugsweise im menschlichen Haupte konzentriert , erstreckt sich aber in einer gewissen Art auch über den ganzen menschlichen Organismus, durchdringt auch die anderen Glieder dieses Organismus. Wir haben dann als zweites Glied die rhythmische Organisation des Menschen , deren Haupt­sächlichstes uns entgegentritt in dem Atmungsrhythmus und in der Blutzirkulation. Und wir haben als drittes die Stoffwechselorganisa­tion des Menschen im weiteren Sinne, wozu ja auch das gesamte Gliedmaßensystem des Menschen gehört. Das Gliedmaßensystem des Menschen ist Bewegungssystem, und alle Bewegung des Men­schen ist im Grunde genommen nur ein Ausdruck seines Stoffwech­sels. Wenn man einmal des Näheren wird untersuchen können , was eigentlich im Stoffwechsel vor sich geht, wenn der Mensch in Bewe­gung ist, dann wird man diesen innigen Zusammenhang zwischen dem menschlichen Gliedmaßensystem und dem Stofiwechselsystem erkennen.

Wenn wir diese drei Systeme des Menschen uns vorhalten , dann haben wir zunächst den tiefgreifenden Unterschied gegeben , welcher zwischen diesen drei Systemen besteht. Ich habe schon gestern dar­auf aufmerksam gemacht , wie zwei Menschen von ganz verschiedener Weltauffassung durch dieselben Zeichnungen sich klarmachen woll­ten , was sich auf die menschliche Hauptorganisation , aber auch auf das menschliche Vorstellen bezieht. Ich habe darauf hingewiesen, wie es mir einmal passiert ist bei einem Vortrag anwesend zu sein , der gehalten wurde von einem extremen Materialisten. Er wollte das Seelenleben beschreiben , beschrieb aber eigentlich das menschliche Gehirn, beschrieb die einzelnen Partien dieses Gehirnes, ihre Ver­bindungsfasern und so weiter. Er bekam dadurch ein Bild heraus; dieses Bild, das er auf die Tafel zeichnete, das war bei ihm nur der Ausdruck desjenigen, was materiell physisch im menschlichen Gehirn vorgeht , es war aber zu gleicher Zeit der Ausdruck für ihn des seelischen Erlebens , vorzugsweise des Vorstellungserlebens. Ein anderer , der Herbartischer Philosoph war , sprach von Vorstellungen ,

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von Assoziationen der Vorstellungen , von der Wirkung also einer Vorstellung auf die andere und so weiter, und er sagte, er könne dasselbe Bild gebrauchen. - Es liegt da, ich möchte sagen, ganz em­pirisch etwas vor, was außerordentlich interessant ist. Es liegt das vor, daß jemand , dem das Seelenleben für die Beobachtung , wenigstens in seinen Vorstellungen - das muß man ja beim Herbartianismus immer hinzusetzen -, etwas Reales ist, daß der durch dasselbe Bild sich klarmacht, wie dieses Seelenleben wirkt, wie der andere, der eigentlich nur die Geschehnisse im Gehirn darstellen will , das Seelenleben beschreibt.

Nun, was liegt denn einer solchen Sache eigentlich zugrunde? Das liegt zugrunde, daß ja in der Tat das menschliche Gehirn in seiner plastischen Gestaltung ein außerordentlich getreues Abbild ist desjenigen, was wir als Vorstellungsleben kennen. In der Plastik des menschlichen Gehirnes drückt sich wirklich das Vorstellungsleben in einer, man möchte fast sagen adäquaten Weise aus. Um aber diesen Gedanken wirklich zu Ende denken zu können, ist noch etwas notwendig. Dazu ist notwendig, daß man dasjenige, was man als die Vorstellungsverkettungen in der gewöhnlichen Psychologie lernt , zum Beispiel auch in der Herbartischen Psychologie, was man lernt als die Vorstellungsverkettungen im Urteil , im Schließen durch Logik und so weiter, daß man das nicht bei Gedanken beläßt, sondern daß man es wenigstens in der Phantasie - wenn man auch nicht aufsteigen kann zu hellseherischen Imaginationen -, es wenig­stens dann in der Phantasie ins Bild auslaufen läßt; also dasjenige, was das Gewebe der Logik ist, was das Gewebe ist, das uns die Psychologie über das Vorstellungsleben gibt, die Seelenkunde, daß man das ins Bild auslaufen läßt. Wenn man in der Tat dazu gelangt, ich möchte sagen , Logik und Psychologie malerisch-plastisch ins Bild hinüberzugestalten, dann kommt die menschliche Gestaltung des Gehirnes heraus, dann haben wir ein Bild hingezeichnet. dessen Verwirklichung das menschliche Gehirn ist.

Worauf beruht das eigentlich? Das beruht darauf, daß in der Tat das menschliche Gehirn, überhaupt das ganze Nerven-Sinnes-system, ein Abdruck eines Imaginativen ist. Und vollständig verstehen

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lernt man den Wunderbau des menschlichen Gehirnes erst, wenn man imaginativ forschen kann. Dann hat man dieses mensch­liche Gehirn gegeben als realisierte menschliche Imagination. Das imaginative Erkennen lehrt, das äußere Gehirn, das Gehirn, das wir durch die Physiologie und durch die Anatomie kennenlernen, als realisierte Imagination kennenzulernen. Das ist bedeutsam.

Eine andere Tatsache daneben ist aber nicht minder bedeutsam. Halten wir auf der einen Seite fest: Das menschliche Gehirn ist reale menschliche Imagination. Wir werden ja schon geboren , wenn auch nicht mit dem fertigen Gehirn, so doch mit den Wachstumstenden­zen des Gehirnes; es will sich dahin entwickeln , realisierte imagi­native Welt zu sein, es will Abdruck werden einer imaginativen Welt. Das ist sozusagen das Fertige an unserem Gehirn, daß es ein Abdruck ist einer imaginativen Welt. In diesen Abdruck der imagi­nativen Welt bauen wir hinein, was Vorstellungserleben nun ist in der Zeit, die wir durchlaufen zwischen der Geburt und dem Tode. Wir haben in dieser Zeit Vorstellungserlebnisse; wir stellen vor, wir verwandeln die Wahrnehmungen in Vorstellungen , wir urteilen, wir schließen und so weiter. Das bauen wir in unser Gehirn hinein. Was ist dieses für eine Tätigkeit?

Solange wir im unmittelbaren Wahrnehmen leben, solange wir in der Wechselwirkung stehen mit der Außenwelt , solange wir un­sere Augen öffnen den Farben und im Zusammensein mit den Farben leben, solange wir unsere Hörorgane öffnen den Tönen und im Zusammensein in diesen Tönen leben, so lange lebt die Außen­welt, indem sie durch die Sinne wie durch Goffe eindringt in unseren Organismus , in uns weiter. Wir umfassen mit unserem in­neren Leben in uns diese Außenwelt. In dem Augenblicke aber, auf den ich schon gestern aufmerksam machte , wo wir aufhören mit diesem unmittelbaren Erleben der Außenwelt, in dem Augenblicke, wo wir das Auge abwenden von der Farbenwelt, das Ohr unaufmerk­sam werden lassen in bezug auf das Tönen der Außenwelt, oder in dem Augenblicke, wo wir diese Sinne anderem zuwenden, tritt dasjenige , was Konkretheit hat - unsere Wechselwirkung mit der Außenwelt im Wahrnehmen -, in die Tiefen unserer Seelen

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hinunter und kann in der Erinnerung wiederum im Bilde her­vorgeholt werden. Wir können sagen: Während unseres Lebens zwischen Geburt und Tod gliedert sich vorstellungsgemäß unser Wechselverkehr mit der Außenwelt in zwei Teile, in das unmittel­bare Erleben der Außenwelt in Wahrnehmungen und umgestalteten Vorstellungen. Da sind wir sozusagen an die Gegenwart ganz hinge­geben , da hört unsere innere Tätigkeit in der Gegenwart auf. Dann aber setzt sich fort diese gegenwärtige Tätigkeit. Sie entzieht sich zum großen Teile zunächst unserem Bewußtsein; sie tritt in das Un­bewußte hinunter, kann aber wiederum heraufgeholt werden in die Erinnerungsvorstellung. Wie ist sie da in uns vorhanden?

Da ist ein Punkt , wo nur das unmittelbare Anschauen , das errun­gen werden kann in der Imagination, Aufschluß zu geben vermag. Der Mensch, der ehrlich in seinem Wissenschaftsstreben seinen Weg verfolgt, muß sich unbedingt sagen: in dem Augenblick, wo das Rätsel der Erinnerung an ihn herantritt, kommt er mit seinem For­schen keinen Schritt mehr weiter. Indem sich dasjenige, was in un­mittelbarer Gegenwart erlebt wird , hinunterschiebt in das Unterbe­wußtsein, entrückt es sich dem gewöhnlichen Bewußtsein; man kann es da nicht weiter verfolgen. Wenn nun entsprechend gearbeitet wird in der Menschenseele durch diejenigen seelisch-geistigen Übungen, von denen oftmals gesprochen worden ist in diesen Be­trachtungen, dann kommt man dazu, nicht mehr zu verlieren den Anblick der Fortsetzungen unseres unmittelbaren Wahrnehmungs-und Vorstellungserlebens, das dann in die erinnerungsmöglichen Vorstellungen übergeht. Ich habe ja des öfteren auseinandergesetzt, wie eine erste Folge , ein erstes Ergebnis des Aufsteigens zu imagina­tiven Vorstellungen das ist, daß man wie in einem mächtigen Lebenstableau vor sich hat, vor der Seele hat die Erlebnisse seit der Geburt. Während sonst nur der Strom des Erlebens im Unbewußten hinfließt und die einzelnen Vorstellungen, die in der Erinnerung kommen, aus diesem unbewußten oder unterbewußten Strom her-auftauchen durch eine halb träumerische Tätigkeit, wird für den­jenigen, der das imaginative Vorstellen entwickelt hat, die Möglich­keit geboten, wie in einem Bilde zu überschauen den Strom der

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Erlebnisse. Man möchte sagen, die Zeit, die da verfiossen ist seit unserer Geburt, nimmt sich dann aus wie der Raum selber. Man sieht im Zusammenhange der Bildform dasjenige, was sonst im Unterbewußtsein ist. Wenn man in dieser Weise in unmittelbares Schauen herauf erhebt dasjenige, was sonst ins Unterbewußtsein entschlüpft , dann kann man beobachten diese Fortsetzung der gegenwärtigen unmittelbaren Wahrnehmungs- und Denkerlebnisse bis zu den erinnerungsmöglichen Vorstellungen; man kann ver­folgen, was im menschlichen Wesen vor sich geht, sagen wir, mit irgendeinem Erlebnis, das man in der Vorstellung hat, von dem Zeitpunkte , wo man es zunächst für das Vorstellen verloren hat , bis zu dem Zeitpunkte, wo man sich wiederum daran erinnert. Da geschieht ja fortwährend , vom Erleben bis zum Erinnern , etwas in diesem menschlichen Organismus; für das imaginative Vorstellen wird das anschaubar; es wird in Imaginationen anschaubar, aber es enthüllt sich nun in einer ganz besonderen Weise.

Die Gedanken , die da ins Unterbewußte gewissermaßen sich ver­loren haben, die regen in diesem Unterbewußtsein nicht eine Tätig­keit an , welche mit unserem Lebensimpuls , mit unserem Wachstums-impuls zusammenhängt , sondern sie regen eine Tätigkeit in uns an, welche zusammenhängt mit unserem Sterbeimpuls. Das ist das be­deutungsvolle Ergebnis , das sich auf dem Wege , den ich heute nur andeuten konnte , dem imaginativen Erkennen ergibt , daß der Mensch seine Erinnetungstätigkeit , die zur Erneuerung von Ge­danken , von Vorstellungserlebnissen , von Wahrnehmungserleb-nissen führt, nicht knüpft an dasjenige, was uns ins Leben ruft, was uns ins physische Leben ruft, was uns im physischen Leben die Ver­dauung befördert , so daß wir die unbrauchbar gewordenen Stoffe durch brauchbare ersetzen und so weiter. Nicht mit diesem auf­steigenden Lebenssystem des Menschen hängt das zusammen, was wir als Erinnerungskraft hinunterschicken in die menschliche Wesenheit, sondern mit dem hängt es zusammen, was wir in uns tragen auch schon seit unserer Geburt , mit dem wir ebenso ge­boren werden wie mit dem, wodurch wir leben und wachsen, es hängt mit dem zusammen, was uns dann, zusammengedrängt in

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einem einzigen Momente , für den ganzen Organismus erscheint im Sterben.

Das Sterben erscheint nur solange als ein großes Rätsel , solange es nicht gesehen wird in dem fortgehenden Leben zwischen Geburt und Tod. Wir sterben nicht nur - wenn ich mich paradox ausdrücken darf -, wenn wir sterben, wir sterben im Grunde genommen in jedem Momente unseres physischen Lebens. Und indem ausgebildet wird in unserem Organismus jene Tätigkeit, welche zur Erinnerung führt als das erinnerungsmäßige Denken - und jedes Erkennen im gewöhnlichen physischen Leben ist ja im Grunde genommen an die Erinnerung geheftet - , insofern ausgebildet wird dieses Erkennen, insofern sterben wir fortwährend. Es ist ein leises Sterben , ausgehend von unserer Hauptesorganisation , fortwährend in uns. Indem wir gerade diese Tätigkeit ausführen , die sich fortsetzt in der Erin­nerung, beginnen wir den Akt des Sterbens fortwährend. Nur wird diesem Akt des Sterbens entgegengearbeitet durch dasjenige, was in uns Wachstumskräfte in den anderen Gliedern des menschlichen Organismus sind , die überwältigen die Sterbekräfte. Und so halten wir das Leben durch. Käme es auf unsere Hauptesorganisation , auf die Nerven-Sinnesorganisation an, so wäre eigentlich jeder Augen­blick im Leben für uns ein Todesaugenblick. Wir besiegen als Men­schen fortwährend den Tod, der von unserem Haupte nach unserer übrigen Organisation gewissermaßen hinströmt. Unsere übrige Or­ganisation wirkt diesem Tode entgegen. Und erst wenn unsere übrige Organisation erlahmt , erlahmt durch das Alter oder erlahmt durch irgendeine andere Schädigung, so daß diese andere Organisation nicht den todbringenden Kräften des menschlichen Hauptes ent-gegenwirken kann , erst dann tritt für den ganzen Organismus der Tod ein.

Ja, wir arbeiten eigentlich im heutigen Denken, in dem Denken der heutigen Zivilisation , mit Begriffen , die wie erratische Blöcke nebeneinanderliegen, ohne daß wir den Zusammenhang in richtiger Weise erkennen. Licht muß hineinkommen in dieses Chaos von er­ratischen Blöcken unserer Begriffs- und Vorstellungswelt. Wir haben auf der einen Seite das menschliche Erkennen, das so eng an die Erinnerungsfähigkeit

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gebunden ist. Wir schauen dieses menschliche Erkennen an und ahnen nicht seine Verwandtschaft mit der Vorstel­lung, die wir vom Tode haben. Und weil wir diese Verwandtschaft nicht ahnen, deshalb bleibt uns das, was sich sonst im Leben ent-rätseln könnte , so rätselvoll, Wir können nicht dasjenige , was sich im Alltag erleben läßt, mit den großen außerordentlichen Augen­blicken des Erlebens verbinden. Die mangelnde geistige Überschau über das , was als Brocken herumliegt in unserer Vorstellungswelt , die bewirkt , daß das Leben nach und nach trotz der großen Errungen­schaften des 19. Jahrhunderts so undurchschaubar geworden ist.

Wenden wir jetzt den Blick auf das zweite System , auf das zweite Glied der menschlichen Organisation; da haben wir die rhythmische Organisation. Diese rhythmische Organisation ist ja auch in der menschlichen Hauptesorganisation vorhanden. Das Innere des menschlichen Hauptes atmet mit dem Atmungsorganismus mit. Das ist schon eine äußerliche physiologische Tatsache. Aber die At­mung des menschlichen Hauptes ist gewissermaßen mehr nach in­nen liegend, sie verbirgt sich vor der Nerven-Sinnesorganisation. Sie ist verdeckt durch dasjenige, was für die Hauptesorganisation die Hauptsache ist. Aber das menschliche Haupt hat durchaus auch seine verborgene rhythmische Tätigkeit. Diese verborgene rhyth­mische Tätigkeit tritt aber vorzüglich zutage eben in der mensch­lichen Brustorganisation , in den Verrichtungen des menschlichen Organismus, die ihren Mittelpunkt im Atmungsorgan und im Herzen haben. Wenn wir allerdings diese Organisation, wie sie sich uns äußerlich darbietet, anschauen , so können wir nicht in der gleichen Weise wie bei der Hauptesorganisation in ihr erblicken wie ein plastisches Bild dasjenige , was als seelisches Gegenstück dazu vorhanden ist, namlich das Gefühlsleben. Unser Gefühlsleben erscheint uns ja schon, wenn wir das seelische Erleben betrachten, als etwas mehr oder weniger ineinander Verschwimmendes. Wir haben von unseren Vorstellungen scharfe Konturen. Wir haben auch von den Assoziationen der Vorstellungen wiederum deutliche Begriffe. Aber wir haben nicht in derselben Weise scharfe Konturen der Einzelheiten unseres Gefühlslebens. Das regt sich und lebt sich ineinander.

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Und man wird niemals einen Herbartianer finden, der dasjenige, was er als Abbild für das Gefühlsleben schafft, in einer ähnlichen Zeichnung wird charakterisieren wollen, wie etwa der Anatom oder der Physiologe das Lungensystem oder das Herz­Blutsystem aufzeichnet. Da findet man schon, daß zwischen dem­jenigen, was innerlich seelisch ist, und demjenigen, was äußerlich ist, ein solcher Bezug nicht da ist. Daher kann man sich aber auch nicht diesen Zusammenhang des seelischen Gefühlslebens mit dem rhythmischen System durch die Erkenntnis der Imagination vor die Seele führen. Dazu ist notwendig dasjenige, was ich in meinen Schriften charakterisiert habe als die Erkenntnis der Inspiration. Dieser besonderen Erkenntnisart der Inspiration ergibt sich, daß das Gefühlsleben des Menschen einen unmittelbaren Bezug zu dem rhythmischen System hat, daß ebenso wie das Nerven-Sinnessystem dem Vorstellungsleben zugeeignet ist, das rhythmische System dem Gefühlsleben des Menschen zugeeignet ist. Aber - gewissermaßen vergleichsweise gesprochen - der Wachsabdruck des Gefühlslebens ist das rhythmische System nicht so, wie das Gehirnsystem der Wachsabdruck des Vorstellungslebens ist. Daher können wir nicht sagen , in unserem rhythmischen System sei ein imaginatives Abbild gegeben des Gefühlslebens. Dagegen müssen wir sagen, dasjenige, was sich in uns als rhythmisches System ausbildet, was in uns als rhythmisches System lebt, das ist - nun ganz abgesehen von jeder menschlichen Erkenntnis - durch Weltinspiration entstanden. Es ist inspiriert in uns. Die Tätigkeit, die in der Atmung, die in der Blut­zirkulation ausgeübt wird, ist ja nicht nur etwas, was in uns lebt in­nerhalb unserer Haut, sie ist ein Weltgeschehen, wie das Blitzen und Donnern ein Weltgeschehen ist. Wir hängen ja auch durch unser rhythmisches System zusammen mit der Außenwelt. Die Luft, die jetzt in mir ist, sie war vorher draußen; die Luft, die jetzt in mir ist, sie wird nachher draußen sein. Es ist ein Wahn, zu glauben, daß der Mensch nur innerhalb seiner Haut lebt. Er lebt als ein Glied der­jenigen Welt, die um ihn ist. Und aus dieser Welt herein inspiriert ist die Gestalt seines rhythmischen Systems, das in engster Bezie­hung zu seinen Bewegungen steht.

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Wenn wir nun zurückblicken darauf, können wir sagen: Im menschlichen Haupte haben wir zugrunde liegend zuerst die Ver­wirklichung einer imaginativen Welt , dann , ich möchte sagen , unter dem, was sich da als eine imaginative Welt realisiert, die Welt des rhythmischen Systems, also eine inspirierte Welt. Von unserem rhythmischen System können wir nur sagen: Da drinnen ist realisiert eine inspirierte Welt.

Und wie ist es mit unserem Stoffwechsel-Gliedmaßensystem? -Der Stoffwechsel gehört mit dem Gliedmaßensystem zusammen, wie ich schon vorhin angedeutet habe. Was sich uns im Stoffwechsel des Menschen darbietet, steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der menschlichen Willenstätigkeit. Aber dieser Zusammenhang enthüllt sich weder der imaginativen Erkenntnis noch der inspirier­ten Erkenntnis. Er enthüllt sich erst der intuitiven Erkenntnis , dem , was ich in meinen Schriften die «intuitive Erkenntnis» genannt habe; daher rührt die Schwierigkeit, dasjenige, was äußerlich-materiell im Stoffwechsel erscheint , als Realisierung einer Weltintuition an­zusehen. Aber dieser Stoffwechsel ist ja auch vorhanden im rhythmi­schen System. Der Stoffwechsel des rhythmischen Systems verbirgt sich unter dem Lebensrhythmus, wie sich unter der Nerven-Sinnes-tätigkeit im menschlichen Haupte verbirgt der Lebensrhythmus.

Beim menschlichen Haupte haben wir eine realisierte imagina­tive Welt , darunter verborgen eine realisierte inspirierte Welt mit Bezug auf den Rhythmus im Haupte. Darunter aber ist auch im Kopfe der Stoffwechsel , also das realisierte Intuitive , so daß wir zu­nächst unser Haupt begreifen, wenn wir in ihm sehen den Zusam­menfluß des realisierten Imaginativen , des realisierten Inspirierten und des realisierten Intuitiven. Im menschlichen rhythmischen System fällt das Imaginative weg , da ist nur die Realisierung des In­spirierten und Intuitiven. Und im Stoffwechselsystem fällt auch die Inspiration weg, da haben wir es nur mit der Realisierung einer Weltintuition zu tun.

So tragen wir in uns in diesem dreigegliederten menschlichen Organismus zuerst die Hauptesorganisation, ein Abbild desjenigen, was wir anstreben in der Erkenntnis, in der Imagination, Inspiration,

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Intuition. Wollen wir das menschliche Haupt verstehen , müßten wir uns eigentlich sagen: wenn wir nur die äußere gegenständliche Er­kenntnis haben, die ja nicht einmal Imagination ist, die nicht bis zum Intuitiven aufrückt , ist mit dieser Erkenntnis , die nur eine gegenständliche , an der äußeren Sinneswelt gewonnene ist , halt­zumachen vor dem menschlichen Haupte. Denn das menschliche Haupt beginnt erst sich in seiner inneren Wesenheit der imagina­tiven Erkenntnis zu erschließen, und hinter dem, was sich da er­schließt , liegt dann ein Tieferes , das sich der Inspiration erschließt , und hinter diesem wiederum dasjenige, was sich dem intuitiven Erkennen erschließt. Das rhythmische System ist auch für die Imagi­nation noch nicht zugänglich , das erschließt sich erst im inspirierten Erkennen. Und dasjenige, was unter ihm verborgen ist, ist das In­tuitive. Und den Stoffwechsel sollten wir durchaus unbegreiflich finden innerhalb des menschlichen Organismus. Der richtige Stand­punkt gegenüber dem menschlichen Stoffwechsel , er kann kein anderer als der folgende sein. Wir können nur sagen: Draußen beobachten wir den Stoffwechsel der Welt; wir versuchen, ihn mit den Gesetzen des gegenständlichen Erkennens zu durchdringen , erlangen dabei eine Naturerkenntnis des äußerlichen Stoffwechsels. In demselben Momente, wo dieser äußerliche Stoffwechsel sich um­wandelt , metamorphosiert in unseren inneren Stoffwechsel , wird er etwas ganz anderes, und er wird etwas, in dem dasjenige lebt, was sich erst der Intuition ergibt.

Man müßte deshalb sagen: In der Welt, die uns zunächst sinn­lich vorliegt, gehört zum Unbegreiflichsten des Unbegreiflichen das­jenige, was die Stoffe innerhalb der menschlichen Haut machen, die wir draußen durch Physik, Chemie und so weiter kennenlernen. -Man müßte sich sagen: Zum höchsten geistigen Erfassen muß man aufrücken, wenn man erkennen will, was mit den Stoffen, die wir draußen so gut anschauen nach ihrer Außenseite, was mit denen eigentlich im menschlichen Organismus vor sich geht.

So sehen wir, daß im Aufbau unseres Organismus dreierlei zu­nächst tätig ist. In diesem Aufbau des Organismus ist zuerst tätig dasjenige, was der intuitiven Erkenntnis sich erschließt, es baut aus

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dem Stoffe der Welt zuerst den Organismus auf. Es ist in diesem Organismus außerdem tätig dasjenige, was sich der inspirierten Er­kenntnis erschließt; es gliedert ein dem Stoffwechselorganismus das rhythmische System. In diesem menschlichen Organismus ist weiter tätig dasjenige , was sich der imaginativen Erkenntnis erschließt; es gliedert ein das Nervensystem. Dann , wenn dieser Organismus sich in die äußerliche physische Welt durch die Geburt hineinstellt , dann entwickelt sich dasjenige, was ja gewissermaßen durch ihn fertig ist, weiter, indem der Mensch zwischen Geburt und Toddiegegenständ­liche Erkenntnis entwickelt. Aber wir haben gesehen von dieser gegenständlichen Erkenntnis, daß sie gebunden ist an die Erinne­rungstätigkeit , daß sie nun nicht einem Aufbau angehört , sondern einem Abbau angehört. Wir haben gesehen, wie diese Erkenntnis ein langsames Sterben, vom Haupte ausgehend, ist, so daß wir sagen können: Durch dasjenige, was begriffen werden könnte in Intuition , Inspiration , Imagination , ist der menschliche Organis­mus aufgebaut worden, das lebt auf eine dem heutigen Erkennen unzugängliche Weise in diesem menschlichen Organismus. Das­jenige aber, was er als unsere gegenständlichen Erkenntnisse in ihn hineinbaut zwischen Geburt und Tod, das baut ihn ab, das zerstört ihn. Und in die Zerstörung hinein denken wir eigentlich , stellen wir vor, wenn wir das Vorstellungs-, das Denkleben entwickeln.

Man kann , wenn man durchschaut , worin das Erkennen , das mit der Erinnerungsfähigkeit so innig zusammenhängt , eigentlich be­steht , gar nicht Materialist sein. Denn wollte man Materialist sein , so müßte man sich vorstellen,daß der Mensch durch seine Wachstums­kräfte aufgebaut wird , daß die Kräfte tätig sind , welche die Stoffe aufnehmen , sie weiterbefördern zu den verschiedenen Organen , um die Verdauung im weiteren Sinne im Organismus zu vollziehen; man müßte sich diese Fähigkeit, die im Wachstum, in der Verdau­ung und so weiter im Aufbau liegt, fortgesetzt denken, und irgend­wo müßte sie dann ausmünden in das Vorstellen, in das Denken, das zum gegenständlichen Erkennen kommt. Das ist aber nicht der Fall. Der menschliche Organismus wird aufgebaut durch etwas, was der Intuition, der Inspiration, der Imagination zugänglich ist. Er ist

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dann aufgebaut , wenn er diese Kräfte in sich verarbeitet hat. Dann beginnt aber die Rückentwickelung, dann beginnt das Zerfallen. Und dasjenige, wodurch das Zerfallen beginnt, das ist das gewöhn­liche Erkennen zwischen Geburt und Tod.

Wir bauen im gewöhnlichen Erkennen nicht in die aufbauenden Kräfte hinein , sondern wir schaffen dabei zuerst , indem wir den Aufbau zerstören, die Grundlagen eines fortwährenden Todesele­mentes im Menschen. Und in dieses fortdauernde Todeselement setzen wir unsere Erkenntnis hinein. Wir wühlen nicht im Materiel­len , indem wir vorstellen, nein , wir zerstören das Materielle , wir übergeben das Materielle den Todeskräften, Und in den Tod hinein denken wir, in das Vernichten des Lebens hinein denken wir. Ver­wandt ist das Denken, verwandt ist das gewöhnliche Erkennen nicht dem sprießenden, sprossenden Leben, verwandt ist es dem Tode. Und wenn wir auf dieses menschliche Erkennen schauen, so finden wir nicht in den natürlichen Gestaltungen bis zum menschlichen Gehirn hinauf ein Analogon, wir finden allein ein Analogon in dem Leibe, der nach dem Tode zerfällt. Denn dasjenige, was der zer­fallende Leib, ich möchte sagen, intensiv darstellt, was der zerfal­lende Leib in einer gewissen Größe darstellt, das muß fortwährend vor sich gehen in uns, wenn wir im gewöhnlichen Sinne gegenständ­lich erkennen.

Man schaue auf den Tod hin, wenn man das Erkennen begreifen will. Man schaue nicht in materialistischer Weise auf das Leben hin, sondern man schaue auf das hin, was die Negation, die Aufhebung des Lebens ist. Dann kommt man zu einem Begreifen des Denkens. Dann allerdings gewinnt dasjenige, was wir den Tod nennen, eine ganz andere Bedeutung, es gewinnt schon aus dem Leben heraus eine andere Bedeutung.

Man kann auch an äußeren Erscheinungen so etwas schon ermes­sen. Ich sagte Ihnen gestern: Die Kulmination der materialistischen Weltanschauung lag in der Mitte des 19. Jahrhunderts oder im letz­ten Drittel des 19. Jahrhunderts. Sie sah auf den Tod hin als auf et­was, was unbedingt abgewiesen werden muß, und sie kam sich in gewisser Weise vornehm vor in diesem Hinschauen auf den Tod, der

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das Leben schließt, das Leben, das man allein eigentlich betrachten wollte und das man aber selber als abgeschlossen betrachten wollte mit dem Tode. - Man sieht vielfach etwas verächtlich zurück auf das «kindliche Volksbewußtsein». Aber nehmen Sie ein Wort dieses «kindlichen» Volks bewußtseins. Nehmen Sie das Wort «verwesen» für dasjenige, was nach dem Tode geschieht: «ver-wesen», die Vorsilbe «ver» ist immer ein Hinbewegen zu demjenigen, was das Wort aus­drückt; «verbrüdern» heißt , sich nach der Richtung des Bruderwer­dens bewegen, «versammeln» heißt, sich nach der Richtung des Sam­melns bewegen. «Verwesen» bedeutet im Volksmund nicht auflösen , nicht aufhören , sondern in das Wesen hinein sich bewegen. Solche , mit dem geistigen Erfassen der Welt während eines instinktiven Erkennens zusammenhängende Wortbildungen wurden sehr selten. Im 19. Jahrhundert materialisierte man, lebte man nicht mehr in dem, was die geistmäßige Durchdringung des Wortes war. Und man könnte viele solche Beispiele anführen, welche zeigen würden, daß sich einfach schon in der Sprache der Menschen der Materialismus in seiner Kulmination dargelebt hat.

So können wir verstehen, wie , nachdem der Mensch aufgebaut war, wie ich gestern sagte , bis zu einer Kulmination durch Kräfte , die sich in der Inspiration, Intuition und Imagination erschließen, er dann zu einer höchsten Kulmination im 19. Jahrhundert kam, und wie dann wieder eine Dekadenz folgte. Wir können begreifen, daß gewissermaßen der Mensch sich entfernte von der Kraft , sich inner­lich zu erfassen , indem er am stärksten die Kräfte ausbildete , die dem Tode als Erkenntniskräfte am verwandtesten sind , die Abstrak­tionskräfte. Und hier ist es , wo dann von der heutigen Betrachtung ausgehend , man fortschreiten kann zu dem , was in der ganzen Menschheitsentwickelung der eigentliche wesentliche Impuls ist des­jenigen , was man den materialistischen Erkenntnisimpuls innerhalb der Menschheitsgeschichte nennen kann.

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DRITTER VORTRAG Dornach, 9. April 1921

Ich möchte am heutigen Abend nicht in direkter Weise die Betrach­tungen, die sonst an Sonnabenden und Sonntagen hier gepflegt werden, fortsetzen. Sondern ich möchte - damit die Freunde unserer Sache, die hierher gekommen sind, möglichst viel von dem mitneh­men können, was gerade in einem weiteren oder engeren Zusam­menhange mit den Betrachtungen steht, die hier während dieser Woche angestellt worden sind - einige allerdings intimere Betrach­tungen noch anstellen , die sich aber anschließen sollen an die Fragen , die auch schon in dieser Woche angeschlagen worden sind.

Ich habe selbst mit Hinblick auf die Befruchtung des Sprachwis­senschaftlichen durch die anthroposophische Geisteswissenschaft darauf hingewiesen, wie eine ursprüngliche Empfindungsweise gegenüber der Sprache verlorengegangen ist , und wie anstelle dieser Empfindungsweise mehr ein abstraktes Hingeordnetsein auf die Dinge der Umwelt getreten ist. Ich habe darauf hingewiesen , daß es eine bedeutsame Entwickelungskraft in der menschlichen Geschichte darstellt , daß durch Aristoteles , also im 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, das auftaucht, was dann die Logik genannt worden ist. Denn das bewußte Hineinleben in das Logische, das vorher in der menschlichen Seelenverfassung mehr unbewußt und instinktiv gewaltet hat, bedeutet eben ein Hingeordnetsein nach der Welt im abstrakten Sinne.

Ich sagte , daß in älteren Zeiten ein innerer, konkreterer Vorgang noch gefühlt worden ist , der sich vergleichen läßt mit dem , was wir studieren können im Geschlechtsreifwerden des Menschen. Was auf­tritt im Kinde, wenn es sprechen lernt, ist eben eine Metamorphose, eine mehr nach innen sich ausbildende Metamorphose des Prozesses, der sich beim Geschlechtsreifwerden später im Menschen dann ent­faltet. Und was in diesem Prozeß des Sprechenlernens im Inneren des Menschen verläuft, das hatte für die ältere Menschheit dann Nachwirkungen für das ganze menschliche Leben: Der Mensch

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fühlte sich so, als ob in ihm durch das Wort etwas zum Ausdrucke käme, was auch in den Dingen draußen lebt, was die Dinge aber nicht aussprechen , weil sie gewissermaßen verstummt sind. Im Er­klingen des Wortes im Inneren wurde etwas gefühlt , was Vorgängen im Äußeren entspricht. Was da erlebt wurde, war ein viel Inhalts­volleres, ein dem menschlichen Leben viel Näherliegendes als das­jenige , was heute innerlich erfahren wird in dem Erfassen der Welt durch abstrakte Begriffe. Aber was da der Mensch erlebte durch das Wort , es war, ich möchte sagen , organischer, es war instinktiver, es war mehr dem Animalisch-Seelischen zugeneigt , als das ist , was sich durch das begrifflich abstrakte Erfassen der Dinge erfahren läßt. Man wurde dem geistigen Leben nähergerückt durch dieses abstrakte Erfassen. Aber zugleich wurde eben der Mensch zur Abstraktion gebracht. So daß in dem Augenblicke, dem weltgeschichtlichen Augenblicke , in welchem der Mensch gleichsam heraufgehoben wurde , um allmählich den Geist zu erfahren , er zu gleicher Zeit -man kann sich ja in diesen Dingen nur mehr oder weniger bildhaft ausdrücken , da die Sprache noch nicht eigentliche Worte dafür ge­prägt hat - gewissermaßen in seinem Geist-Erleben eine Verdün­nung erfuhr, eben eine Verdünnung in die Abstraktion hinein.

Dieser Prozeß vollzog sich, wie Sie ja begreifen werden, nicht bei allen Völkern in der gleichen Weise. Bei den Völkern , die gewisser­maßen die zunächst hervorragendsten Träger der Zivilisation waren , vollzog er sich früher, andere blieben zurück. Und ich konnte ja sagen, daß die in Mitteleuropa sitzenden Völker etwa im 11. Jahr­hunderte noch auf einem Standpunkte standen, der gegenüber der griechischen Zivilisationsentwickelung als voraristotelisch bezeichnet werden muß. In Mitteleuropa überschritt man den Punkt, den die Griechen durch Aristoteles überschritten, eben erst viel später. Die Griechen nahmen durch den Aristotelismus vieles von dem voraus , was für die mitteleuropäischen Völker und diejenigen , die in der Zivilisation zu ihnen gehören , eigentlich erst mit dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts eintrat.

Nun hängt zweierlei mit diesem Fortschreiten des Menschen in bezug auf das Verstehen des Sprachlichen und das Verstehen des

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Abstrakten zusammen. Auf das eine habe ich ja schon hingedeutet: Indem mit dem Aristotelismus - der aber nur das Symptom war für eine allgemeine Erfassung der Sache in der griechischen Zivilisation -des Menschen Seelenleben heraufgehoben wurde in die Abstraktion, wurde es fremd jenem unmittelbaren Erleben des Wortes, der Sprache. Und damit schloß sich gewissermaßen das Tor nach der­jenigen menschlichen Lebensentfaltung, die gegen die Geburt zu liegt. Der Mensch fand sich nicht mehr in seinem gewöhnlichen Erleben zurück bis zu dem Punkte, wo er am Sprechenlernen hätte sehen können , wie Geistig- Seelisches in ihm waltet , ein ebenso Geistig-Seelisches wie draußen in der Welt. Dadurch aber wurde er auch abgelenkt, weiter zurückzuschauen. Und die nächsten Etappen hätten ja ergeben, was man nennen könnte: Verbindung des Geistes mit der physisch-leiblichen Materie überhaupt. Sie hätten ergeben das Durchschauen der Präexistenz , die Erkenntnis davon , daß das Geistig-Seelische des Menschen in übersinnlichen Welten ein Dasein führt, bevor es sich verbindet mit dem körperlichen Wesen, das in­nerhalb der physischen Materie gegeben ist. Diese Erkenntnis war allerdings in älteren Zeiten der Menschheitsentwickelung nicht in der ausgesprochenen bewußten Form, wie wir sie uns heute wieder erringen wollen durch Geisteswissenschaft, sondern in einer instink­tiven Weise vorhanden; und die Reste davon sind ja in dem, was uns als orientalische Kultur entgegentritt, geblieben, für welche das Hinschauen auf die präexistierende Menschenseele eine Selbstver­ständlichkeit ist.

Und ist der Mensch dann noch in der Lage weiterzugehen, so wird auch das , was noch schwieriger zu durchschauen ist als die Prä­existenz, nämlich die wiederholten Erdenleben , eine wirkliche Er­kenntnis , eine wirkliche Anschauung. Diese Anschauung , sie war da, allerdings in instinktiver Weise, in älteren Zeiten der Mensch-heitsentwickelung. Sie hat sich dann erhalten in einer mehr poeti­schen, phantasievollen Form in den Zivilisationen des Orients, als diese aber schon in die Dekadenz gekommen waren, wenn auch in eine sehr bedeutsame , schöne Dekadenz.

So finden wir, wenn wir - ohne die Vorurteile der heutigen Anthropologie

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- zurückblicken auf ältere Zeiten der Menschheitsent­wickelung, eine zwar instinktive, aber in die Dinge eindringende Anschauungsweise. Indem der Mensch gewissermaßen den Sprach­werdeprozeß noch verstand, verstand er etwas von dem seelischen Walten auch in der äußeren Natur, und indem er verstand die Ein­körperung des Geistig-Seelischen in das Physisch-Leibliche , verstand er etwas von dem die Welt durchwellenden und durchwallenden Geist.

So weit die historische griechische Erkenntnis zurückgeht , sind nurmehr die spärlichen Reste dieser alten Geist-Erkenntnis tradi­tionell in der griechischen Zivilisation enthalten. Man findet, wenn man hinter Aris tote/es, hinter Plato zurückgeht zu den ionischen Philosophen etwa bis in die Wende des 5. und 6. Jahrhunderts der griechischen Gedankenentwickelung, man findet etwa bei Anaxa­goras eine Philosophie , die aus den heutigen Voraussetzungen heraus nicht verstanden werden kann. Es sollten sich eigentlich aus einer gewissen gesunden Erkenntnis heraus die Philosophen des Abendlandes sagen: Um den Anaxagoras zu verstehen, dazu fehlen eigentlich der abendländischen Philosophie die Voraussetzungen; denn was Anaxagoras - in einer dekadenten Form bereits - als seinen Nus anerkennt, das geht in jene Zeiten zurück, von denen ich eben gesprochen habe, in denen noch empfunden, erkennend empfun­den worden ist , wie die Welt vom Geistigen durchwellt und durch-wallt ist, und wie aus dem Geistigen heraus das Geist-Seelische des Menschen herabsteigt , um sich mit dem Physisch-Leiblichen zu ver­binden. Dies war in älteren Zeiten eine instinktiv anschauliche Erkenntnis. Sie hat sich dann abgeschwächt zu der Erkenntnis , die eben durch das instinktive Durchschauen des Sprachvorganges ge­geben war, was dann auch zur Zeit des Aristotelismus verlorenge­gangen ist gerade für die fortgeschrittensten Zivilisationen.

Als man noch hineinschaute in diesen Sprachwerdeprozeß, da fühlte man , wie ich schon sagte , im Erklingen des Wortes etwas , was ein Ausdruck war für ein objektives Geschehen draußen in der Natur. Und damit komme ich auf einen wesentlichen Unterschied:

Was die in diesem Sinne alte «Sprachkenner» zu Nennenden als

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die Weltenseele auffaßten , wurde vorzüglich raumerfüllend ge­dacht, und der Mensch fühlte sich aus diesem raumerfüllenden Geistig-Seelischen herausgestaltet. Aber das war etwas anderes als dasjenige, worauf man kommt, wenn man weiter rückwärts geht von dem Nus des Anaxagoras. Da kommt man zu etwas, was in die Prä-existenz der Menschenseele hineinführt, was nicht bloß damit zu tun hat, daß die Menschenseele in der Gegenwart drinnen mit dem Weltengeist und der Weltenseele webt und west, sondern wir finden hier, daß diese Menschenseele mit dem Weltengeist und der Wel­tenseele in der Zeit lebt.

Man muß diese Dinge durch ein inneres Verständnis kennen, wenn man einen ganz bedeutsamen Vorgang in der westasiatisch-europäischen Zivilisationsentwickelung historisch wirklich verstehen will. Man hat heute eigentlich keine zutreffende Vorstellung von der Geistesverfassung jener Menschheit, welche gelebt hat in der Zeit, als das Christentum begründet worden ist. Gewiß, wenn man die allgemeine menschliche Seelenverfassung von heute in ihrer beson­deren Konfiguration ins Auge faßt , muß man sich im Verhältnis zu der stolzen Bildung von heute die große Mehrheit der Menschen Westasiens und Europas als ungebildet vorstellen. Aber aus dieser großen Masse der Ungebildeten ragten dazumal einzelne Menschen hervor. Ich möchte sagen , die Nachfolger der alten Eingeweihten oder Initiierten ragten hervor mit einem bedeutsamen Wissen, mit einem Wissen, das allerdings nicht in derselben Weise in der Seele lebte wie unser von abstrakten Begriffen überall durchzogenes und deshalb zum vollen Bewußtsein gekommenes Wissen. Es war noch etwas Instinktives selbst in dem höchsten Wissen der damaligen Zeit. Aber es war zugleich in diesem instinktiven Wissen etwas Ein­dringliches gegeben, etwas, was doch in die Tiefen der Dinge ging.

Es ist merkwürdig, welche kuriose Angst viele Vertreter der ge­genwartigen traditionellen Glaubensbekenntnisse davor haben, daß irgend jemand dahinterkommen könnte, daß ein solches eindringliches Wissen in der damaligen Zeit bestanden hatte, ein Wissen, das zu feinen Begriffen kam, wenn diese, wie gesagt, auch mehr in instinktiven Bildern angeschaut und in Sprachformen ausgedrückt

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wurden , für deren Erfassung heute wenig Empfinden vorhanden ist. Von dem , was Gnosis genannt wird , soll unsere Anthroposophie keine Erneuerung sein; aber unsere Anthroposophie ist der Weg, in das Wesen dieser Gnosis hineinzublicken. Und wie unsere Anthro­posophie, trotzdem sie in bezug auf ihre Quellen nichts gemein hat mit den alten indischen Philosophien , wie sie trotzdem in das Eindringliche , Großartige , aus den Dingen Herausfließende der Vedanta- oder Sankhya- oder der Jogaphilosophie eindringen kann , weil sie in bewußter Weise die Regionen der Welt wieder erreicht , die dazumal instinktiv erreicht worden sind , geradeso kann sie auch eindringen , unsere Anthroposophie , in das Wesen der Gnosis. Jene Gnosis ist ja durch gewisse Sekten der ersten christlichen Jahrhunderte ausgetilgt worden , so daß historisch sehr wenig Gnosti­sches vorhanden ist, und die Gnosis der neueren Menschheit eigent­lich nur durch die Schriften derjenigen bekanntgeworden ist, die sie widerlegen wollten , und die daher Zitate aus den schriftlichen Auf­zeichnungen in ihren Gegenschriften haben, während die ursprüng­lichen Schriften selbst verlorengegangen sind; so ist die Gnosis eigentlich nur auf die Nachwelt gekommen durch die Schriften der Gegner , die natürlich nur zitiert haben , was sie entsprechend ihrer Kiugheit zu zitieren angemessen fanden.

Nun, studieren Sie einmal die Zitierkünste unserer Gegner, dann werden Sie eine Vorstellung davon bekommen , wie sehr man in das Wesen einer solchen Sache eindringen kann, wenn man an­gewiesen ist auf die Schriften der Gegner! Die Erkenntnis der Gnosis ist vielfach angewiesen gewesen - äußerlich historisch ist sie heute noch fast darauf angewiesen - auf die Schriften der Gegner der Gnosis. Stellen Sie sich nur einmal vor: es könnte doch ganz ge­wiß im Sinne , sagen wir, so eines Herrn von Gleich sein , daß die sämtlichen anthroposophischen Schriften verbrannt würden -es wäre ihm ja sicher am liebsten! - und daß man Anthroposophie nur aus seinen eigenen Kundgebungen eben auf die Nachwelt kommen lassen würde. Man muß sich die Dinge nur immer durch etwas versinnlichen , was auf sie wirklich aufmerksam machen kann.

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Aber wenn man aus diesen Gründen nicht hineinschauen kann in das, was dazumal schon war, so wird man mit allen wissenschaftlich noch so gut gemeinten Untersuchungen fehigehen, die sich auf etwas Wichtigstes gerade im Verständnis des Christentums beziehen. Das­jenige, worin noch fast alles zu leisten ist, weil alles Geleistete durch­aus nicht zu dem führt, was ein ehrlicher Erkenntnistrieb als wirk­liche Erkenntnis bezeichnen könnte, das ist der Logosbegriff, der uns im Johannes-Evangelium gleich bei seinem Eingang auftaucht. Diesen Logosbegriff kann man nicht verstehen, wenn man nicht in­nerlich versteht die geistig-seelische Entwickelung der Menschen vor­geschrittenster Zivilisation jener Zeit, namentlich wenn man nicht versteht die geistig-seelische Entwickelung, wie sie ihren Weg durch das Griechentum genommen hat, das ja ausgestrahlt hat nach Asien hinüber, und das seine Schatten wirft in das, was uns im Johannes-Evangelium entgegentritt. Diesem Logosbegriff darf man sich nicht etwa bloß durch irgendeine lexikale oder äußerlich philologische Methode nähern. Diesem Logosbegriff kann man sich nur nähern, wenn man innerlich studiert die seelisch-geistige Entwickelung, die hier in Betracht kommt , etwa vom 4. Jahrhundert der vorchristlichen Zeit bis zum 4. Jahrhundert der nachchristlichen Zeit. Was da inner­lich in der fortgeschrittensten Menschheit und ihren repräsentativen Weisheitsvertretern geschehen ist , darüber ist eigentlich noch keine Geschichte in befriedigender Weise geschrieben. Denn das hängt zusammen mit dem Untergange des Verständnisses für das Spre­chenlernen. Das andere, das Verständnis für die Präexistenz, hat sich ja traditionell forterhalten bis zu Orig enes; aber dem innerlichen Durchschauen ist es viel früher verlorengegangen als das Verständnis des Sprachprozesses, des Erklingens des Wortes im menschlichen In­neren.

Wenn wir die seelisch-geistige Verfassung der vorderasiatischen und europäischen Bevölkerung in ihren repräsentativen Weisheits­vertretern ins Auge fassen, so finden wir eben, daß da ein Um­schwung eintritt. Was als einheitlicher Prozeß da war in der An­schauung, das Erklingen des Wortes, und im Worte des Wesens der Welt, das wird differenziert in ein Hinschauen auf die abstrakten

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Begriffe und Ideen und in ein Fühlen, ein dumpfes Fühlen des­jenigen , was mehr in das Unterbewußtsein hinuntergedrückt wird: des Wortes als solchem. Und was ergab sich dadurch? Dadurch ergab sich für das menschliche Seelenleben eine ganz bestimmte Tatsache: undifferenziert empfand der ältere Mensch Wortinhalt und Ideen­Begriffsinhalt des Bewußtseins. Nun sonderte sich der Begriffsinhalt ab. Aber er behielt in den ersten Zeiten noch etwas von dem, was man einst im Undiffrrenzierten von Wort, Begriff, Vorstellung gehabt hatte. Man sprach von «Begriffen» und man sprach von der «Idee», aber man kann es, ich möchte sagen, mit Händen greifen noch bei Plato , daß man die Idee noch voll inhaltlich , geistig fühlte. Indem man von der Idee sprach, war in ihr noch etwas enthalten von dem , was man früher bei dem undifferenzierten Wortbegriff inner­lich erschaute. Man näherte sich also schon der Idee , die als bloßer Begriff erfaßt wird , aber es hing dieser Erfassung noch etwas an von dem , was im alten Worterklingen verstanden worden ist. Und in­dem dieser Fortgang sich bildete, wurde dem Menschen der Inhalt der Welt , den er geistig erfaßte , zu dem , was dann im Logosbegriff sich ausdrückte. Den Logosbegriff hat man nur, wenn man weiß, in ihm liegt dieses Hingehen zur Idee , aber ohne ein Anhaften vom alten Wortbegriff im Erfassen dieser Idee. Und indem man von dem Logos als dem Weltschöpferischen sprach , war man sich nicht mehr deutlich , aber undeutlich bewußt , daß dieses weltschöpferische Geistige etwas in seinem Inhalt hat , was eben in älteren Zeiten durch die Wortanschauung erfaßt worden ist.

Diese ganz besondere Nuance des seelischen Erlebens der Außen­welt im Logos muß man ins Auge fassen. Da hat eine ganz besondere Nuance seelischer Anschauung, die Logosanschauung, gelebt. Ari­stoteles hat dann sich herausgearbeitet, sich näher zur Abstraktion hingearbeitet und die subjektive Logik daraus gewonnen. Bei Plato aber ist die Idee das weltschöpferische Prinzip, und bei Plato ist sie noch von konkreter Geistigkeit durchzogen , weil sie noch die Reste des alten Wortbegriffes in sich hat, weil sie im Grunde genom­men der Logos, wenn auch in Abschattierung ist.

Und so kann man sich vorstellen: Was mit dem Christus in den

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Menschen Jesus eingezogen ist , das sollte als das weitschöpferische Prinzip aus den Anschauungen der damaligen Zeit heraus bezeich­net werden. Man hatte dafür eine Vorstellung, die Vorstellung, die eben im Logosbegriff erhalten war. Der Logosbegriff war da. Durch den Logosbegriff wollte man begreifen , was mit der Geschichte des Christus Jesus der Welt gegeben war. Der Begriff, der sich aus alten Zeiten herausgebildet und eine ganz besondere Form angenommen hatte, der wurde dazu verwendet, den Ausgangspunkt des Christen­tums auszudrücken, so daß man also damals höchste Weisheit ver­wendete, um dieses Mysterium zu durchschauen. Man muß sich ganz in die Zeit hineinversetzen können, aber nicht im Sinne einer äußerlichen Anschauung, sondern im innerlichen Erfassen dessen , wie die Menschen dazumal die Welt anschauten.

Es ist ein großer Sprung von Plato zu Aristoteles. Aber auf der anderen Seite ist der ganze Duktus des Johannes-Evangeliums so gefaßt, daß man sieht: er ist zustande gekommen dadurch, daß zugrunde lag eine lebendige Erfassung des weltschöpferischen Prin­zips und zu gleicher Zeit bei dem, der es zum Niederschreiben des Johannes-Evangeliums gebracht hat, ein Bekanntsein mit dem ent­schwundenen Logos begriff. Alles Übersetzen des Johannes-Evange­liums ist eine Unmöglichkeit, wenn man nicht eingehen kann aufdie-se Entstehung des Logosbegriffs. Dieser Logosbegriff hat wirklich bei den repräsentativen Weisheitsvertretern der am meisten fortgeschrit­tenen zivilisierten Welt in voller Frische gelebt zwischen dem 4. vor-christlichen Jahrhundert und dem 4. nachchristlichen Jahrhundert -

Als das Staatschtistentum entstand, dem dann die spätere katho­lische Kirche nachgebildet worden ist, da war das Zeitalter erreicht, wo auch , ich möchte sagen , die letzte Nuance vom alten Wort , vom alten Wortbegriff verlorengegangen ist aus der Vorstellung der Idee -Aristoteles hat im Grunde genommen nichts anderes getan, als die subjektive Logik herausgelöst aus dem Logos und die Theorie dieset subjektiven Logik ausgebildet. Die herrschende Geistes- und Seelen-verfassung der Menschheit hat aber damals noch wenig berücksich­tigt, was Aristoteles so als die subjektive Logik begründet hat. Im Gegenteil, es ist vergessen worden und erst wiederum auf dem

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Umwege der Araber in die spätere Zeit hineingekommen. Es hat gelebt; aber so, wie es außer diesem Umweg durch direkte Tradition gelebt hat, hat man noch genau empfunden, daß man es da zu tun hat auf der einen Seite mit der subjektiven Logik, auf der anderen Seite aber mit der Anschauung eines weltschöpferischen Prinzipes im Logos , in welchem noch etwas war von dem , was man erfaßt hatte in der alten Vorstellung vom Worteerklingen im Inneren des Menschen als dem Gegenbild des Wortverstummens, aber des im Verstummen die Natur schaffenden Logos.

Dann, im 4. Jahrhundert der nachchristlichen Zeit ging diese Nuance verloren aus dem Logosbegriff. Sie ist nicht mehr aufzu­finden, sie verschwindet. Sie erhält sich höchstens in einigen ein­samen Denkern, mystischen Forschern. Aus dem allgemeinen Bewußtsein auch der repräsentativen Kirchenväter und Kirchen-lehrer verschwindet sie. Und was dann noch immer als eine sehr um­fassende , ideell durchgeistigte Weltanschauung auftritt etwa bei Scotus Erigena, darin ist nicht mehr der alte Logosbegriff, wenn auch das Wort gebraucht wird - Es ist der alte Logosbegriff völlig flltriert zum abstrakten Ideenbegriff. Und das weltschöpferische Prinzip wird jetzt aufgefaßt nicht durch den alten Logosbegriff, sondern durch den sublimierten oder filtrierten Ideen begriff. Das ist es , was in der Schrift des Scotus von der Einteilung der Natur dann aufgetreten ist, was aber schon vollständig im Grunde aus dem Bewußtsein verschwunden ist: dieses Nicht-mehr-Haben des Logos­begriffs, diese Umwandlung des Logos begriffs in den Ideenbegriff.

Man hatte in der europäischen Menschheit, von der ich ja gesagt habe , daß sie sich für eine spätere Zeit eine ältere Entwickelung bewahrt hat, nötig, sogar hinter die Zeit zurückzugehen, in der der Logosbegriff in seiner vollen Frische gewirkt hatte. Aber man ging zurück in einer abstrakten Form - Und man machte dieses Zurück­gehen in einer abstrakten Form sogar dogmatisch. Auf dem achten ökumenischen Konzil zu Konstantinopel 869 ist festgestellt worden, daß die Welt und der Mensch nicht zu denken sind als gegliedert in Leib, Seele und Geist, sondern bloß in Leib und Seele, und daß die Seele eben einige geistige Eigenschaften habe.

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Dem, was da dogmatisch festgesetzt worden ist, geht jener Ent­wickelungsprozeß parallel, von dem ich eben jetzt gesprochen habe. Für den , der die Entwickelung der abendländischen Zivilisation stu­diert von den ersten christlichen Jahrhunderten herauf, wo so vieles noch gnostisch durchdrungen war, bis ins 4., 5. Jahrhundert der nachchristlichen Zeit herein , ist es eine außerordentlich interessante Tatsache , dieses Abklingen des Logosbegriffs zu erfahren. Und als dann später die Evangelien übersetzt wurden, da war selbstverständ­lich in diese Übersetzung nichts hineinzubringen von einer Empfin­dung für den Logosbegriff, wie er in den acht Jahrhunderten, in deren Mitte das Ereignis von Golgatha liegt, innerhalb der vorchrist­lichen Menschheit gewaltet hat. Man muß diese Eigentümlichkeit jenes Zeitalters, aus dem das Christentum sich herausgebildet hat, auch durch solche Intimitäten studieren. Man möchte heute durch­aus mit leichtgeschürzten Begriffen, mit den Begriffen, die man sich leicht aneignet , die schwierigsten Probleme lösen. Allein solche geschichtlichen Probleme, wie das von dem ich Ihnen eben gespro­chen habe, lassen sich nur lösen, wenn man die Vorbereitung zur Lösung im Aneignen von ganz bestimmten Nuancen des mensch­lichen Seelenlebens sucht, wenn man von der ehrlichen Vorausset­zung ausgehen will, daß wir einfach in der gegenwärtigen Zeit in der allgemeinen Kultur jene Nuance nicht im Seelenerleben haben, die zum Logosbegriff, wie er im Johannes-Evangelium gemeint ist, hingeht. Daher dürfen wir nicht mit dem Wortschatz , mit dem Begriffsschatz der Gegenwart das Johannes-Evangelium verstehen wollen. Wenn wir mit diesem Begriffsschatze der Gegenwart das Johannes-Evangelium verstehen wollen, dann diktiert uns von vorne­herein die Oberflächlichkeit. Es ist etwas, was durchaus mit wachem Seelenauge durchschaut werden muß, was auch historisch auf sol­chen Gebieten zu leisten ist, denn mit Bezug auf die Historie dieser Gebiete steht es eigentlich recht böse in der Gegenwart. Ich habe erst in diesen Tagen wiederum eine außerordentlich bedeutsame Tatsa­che vor meine Seele treten lassen müssen in bezug auf dieses Kapitel.

Es kam mir vor Augen der Brief, den einer der geschätztesten Theologen geschrieben hat - der Brief war nicht an mich geschrieben.

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Dieser geschätzte Theologe der Gegenwart sprach sich aus über Anthroposophen, Irvingianer und ähnliches Gezücht. Fr verwechselt alles. Namentlich aber tritt in seiner Auseinandersetzung ein Punkt in merkwürdiger Art hervor: Ich habe - so sagte er von sich selbst -für solche Art von Anschauung, die auf das Übersinnliche geht, wie es die Anthroposophie tun will, kein Organ; ich muß mich be­schränken auf alles dasjenige, was die menschliche Erfahrung gibt.

Ein Theologe, dessen Handwerk es ist, fort und fort von dem Übersinnlichen zu reden, der berühmt geworden ist dadurch, daß er historisch über das Leben des Übersinnlichen in der Menschheits­entwickelung dicke Bücher geschrieben hat, die eine Autorität sind für unzählige Menschen der Gegenwart, auf die es ankommt, ein Theologe der Gegenwart gesteht, daß er für das Übersinnliche kein Organ hat , sondern sich an die «menschliche Erfahrung» halten will! Er redet aber über das Übersinnliche und sagt nicht: Ich will mich an die menschliche sinnliche Erfahrung halten , deshalb negiere ich alle Theologie -, nein, er wird in unserer Zeit ein berühmter Theologe! Haben wir nicht, meine sehr verehrten Anwesenden, nötig, mit wachsamem Auge auf alles das hinz ublicken , was eigentlich heute , man möchte sagen , in gewisser Beziehung dekretierend ist in unserer Jugend, was aber zu gleicher Zeit sich erweist als eine innere Unmög­lichkeit.

Es ist notwendig, daß mit starker Kraft erfaßt werde, wie man zu aufrichtiger und ehrlicher Erkenntnis vorzuschreiten hat. Man kann es vielleicht gerade an solchen Problemen sehen, wie das Logospro­blem eines ist, und es sollte eigentlich derjenige, der sieht, was An­throposophie über ein solches Problem geltend machen muß, daran sehen, daß es sich diese Anthroposophie nicht gerade leicht macht, daß sie ernst und ehrlich forschen will , und daß sie nur dadurch in Konflikt kommt mit allerlei zeitgenössischen Strömungen, weil man heute geradezu entweder Haß oder Furcht hat vor solch einer Gründ­lichkeit, die aber angestrebt werden muß, und die wir brauchen, brauchen auf allen Gebieten des wissenschaftlichen Lebens. Ich frage Sie: Weiß denn überhaupt die Welt der Gegnerschaft, die so leichtgeschürzte Urteile über Anthroposophie abgibt, weiß sie denn

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überhaupt , womit sich Anthroposophie beschäftigt? Weiß sie, daß diese Anthroposophie ringt mit solchen Problemen , wie es das Logos­problem ist, das ja nur eine Einzelheit ist, wenn auch eine wichtige Einzelheit? Es wäre schon Pflicht derjenigen , die heute im wissen­schaftlichen Leben tonangebend sind , sich erst einmal anzuschauen , worüber sie so von außen her urteilen. Allerdings, das ist es ja, daß man das äußere Leben heute bequem mitmachen kann - und für viele Menschen gilt das doch -, wenn man sich nicht in die Unbe­quemlichkeit einläßt, in ernster Weise zu forschen. Allein man merkt bei einem solchen Lieben der Bequemlichkeit nicht, wie starke Niedergangskräfte in unserer gegenwärtigen Zivilisation sind. Das «nach uns die Sintflut» beherrscht sehr stark gerade die gegenwärtige landläufige wissenschaftliche Welt.

Das ist es, was ich heute habe veranschaulichen wollen an einem wichtigen Probleme sprachlich geschichtlicher Forschung. Es ist ja meine Hoffnung, daß, wenn gerade die verehrten Kommilitonen immer mehr und mehr sehen werden , wie gewissenhaft versucht wird, gerade diejenigen Probleme ins Auge zu fassen, die so links liegen gelassen werden von der landläufigen Forschung , daß dann immer mehr und mehr gerade auch in der Jugend ein Sinn dafür aufgeht, daß solche Wege begangen werden müssen. Ich hege diese Hoffnung, und ich weiß auch: Wenn genügend gearbeitet werden wird in der Richtung hin nach der Entwickelung des Enthusiasmus und des Bekenntnisses gegenüber der Wahrheit, dann muß das-j enige , was wir brauchen , damit wir wieder Aufgangskräfte bekom­men in der menschlichen Zivilisation, doch erreicht werden. Vielleicht können für eine gewisse Zeit manche Mächte der Finsternis niederdrücken, was angestrebt wird von hier aus. Auf die Dauer werden sie es nicht können, wenn die Wirklichkeit dem Wollen ent­spricht, wenn wirklich etwas Lichtes enthalten ist in dem, was An­throposophie will. Denn die Wahrheit hat Wege, welche nur sie auffinden kann, und welche den Mächten der Finsternis doch nicht auf­findbar sind. Möchten wir uns doch vereinigen, alt und jung, jung und alt, um uns einen klaren Blick anzueignen für das Auffinden solcher Wahrheitswege!

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VIERTER VORTRAG Dornach, 15. April 1921

Eine Betrachtung, die ich begonnen habe, bevor unser Kursus in Szene gesetzt worden ist, wird erst völlig verständlich werden, wenn wir noch weiter zurückgehen in der Betrachtung der Entwickelung der Menschheit der neueren Geschichte, denn wir haben ja im wesentlichen nur zunächst einige Andeutungen gegeben über die Menschheitsentwickelung im 19. Jahrhundert. Nun wollen wir heute einmal die geistige Entwickelung der Menschheit um einiges weiter zurück verfolgen und zwar zurückweisend auf einen außer­ordentlich wichtigen Einschnitt in der abendländischen Zivilisationsentwickelung, auf jenen Wendepunkt, der da liegt im 4. nachchrist­lichen Jahrhundert. In diesem 4. nachchristlichen Jahrhundert taucht ja auf als eine Gestalt, deren Andenken gewissermaßen noch klar geblieben ist für die abendländische Zivilisation, Aurelius Au­gustinus. In ihm sehen wir eigentlich eine Persönlichkeit, welche in der intensivsten Weise zu kämpfen hat auf der einen Seite mit dem­jenigen, was herübergekommen ist aus alten Zeiten, was in den ersten Jahrhunderten des Christentums aus einer gewissen alten Weisheit heraus das Christentum zu begründen versuchte, und einem anderen Elemente, demjenigen, das dann zunächst für die abendländische Zivilisation gesiegt hat, das diese ältere Weise ab­lehnte und sich darauf beschränkte, das Christentum mehr in einer äußerlich materiellen Weise aufzufassen, es nicht zu durchdringen mit Ideen alter Weisheit, sondern einfach es seinem tatsächlichen Gründungsverlaufe nach zu erzählen und es dann, so gut es damals schon ging, intellektuell zu begreifen.

Diese Kämpfe zwischen diesen zwei Richtungen, ich möchte sagen, zwischen der Richtung eines weisheitsvollen Christentums und eines mehr oder weniger nach einem materialistischen Auffassen hin erscheinenden Christentums, diese Kämpfe mußten die Seelen gerade des 4. und des beginnenden 5. Jahrhunderts am intensivsten durchmachen. Und in Augustinus ist eben eine solche Persönlichkeit

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dem Andenken der Menschheit erhalten geblieben, welche solche Kämpfe durchgemacht hat. Wir müssen uns nur heute darüber völlig klarsein, daß über dasjenige, was eigentlich vor diesem 4.nach-christlichen Jahrhundert lebte, die historischen Dokumente fast völlig irrtümliche Vorstellungen hervorrufen. So klar dies eben liegt seit dem 5. Jahrhundert, so unklar sind eigentlich alle gewöhnlichen Vorstellungen über diejenigen Jahrhunderte, die vorangehen. Wenn wir aber zunächst ins Auge fassen, was eigentlich die meisten wissen könnten aus dieser Zeit vor dem 4. nachchristlichen Jahrhundert, so werden wir auf zwei Gebiete verwiesen, auf ein Gebiet, das mehr ein Gebiet, sagen wir, des Erkennens ist, ein mehr in den Schulen gepflegtes Gebiet, und ein anderes Gebiet, das mehr ein solches des Kultus ist, der Verehrung, des religiösen Elementes. In diese zwei Gebiete ragt allerdings noch etwas sehr Altes aus der Mensch­heitszivilisation herein; aber in einer gewissermaßen christ­lichen Umfärbung war dieses Alte nach den beiden Richtungen hin, nach der Weisheitsseite und nach der Kultusseite eben in den ersten vier christlichen Jahrhunderten mehr oder weniger noch vorhanden.

Sehen wir nach der Weisheitsseite hin, so finden wir eine Lehre bewahrt aus früheren Zeiten, die allerdings schon in einem gewissen Sinne ersetzt worden war durch dasjenige, was wir heute das helio­zentrische Weltsystem nennen - ich habe darüber in früheren Vor­trägen auch hier gesprochen -, aber das doch noch vorhanden war aus älteren astronomischen Lehren heraus und das man nennen könnte eine Art Astronomie, jetzt nicht vom Standpunkt physischer kosmologischer Betrachtung aus. Man ist in sehr alten Zeiten auf diese - nennen wir sie ätherische im Gegensatz zu unserer physi­schen - Astronomie auf folgende Art gekommen. Man hatte in alten Zeiten durchaus noch ein Bewußtsein davon, daß der Mensch mit seinem Wesen nicht nur der Erde angehört, sondern daß er auch an­gehört zunächst der kosmischen Nachbarschaft der Erde, dem Pla­netensystem, und eine alte Weisheit hatte ziemlich konkrete Vor­stellungen über diese ätherische Astronomie. Es wurde etwa das Folgende gelehrt. Wenn man dasjenige ins Auge faßt, was mehr die Organisation des oberen Menschen ausmacht - ich bediene mich

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jetzt derjenigen Ausdrücke, die uns heute geläufig sein sollten -, in­sofern man seinen Ätherleib betrachtet, so steht der Mensch im Wechselverhältnis mit Saturn, Jupiter und Mars, so daß also hinge­sehen worden ist auf gewisse Wechselwirkungen zwischen dem oberen Teil des menschlichen Ätherleibes und Saturn, Jupiter und Mars. Dann sagte man sich, derjenige Teil des Menschen, der mehr astralischer Natur ist, der steht wiederum in einer Art von Wechsel­wirkung mit Venus, mit Merkur und mit dem Mond. Und die­jenigen Kräfte, welche den Menschen dann hereinführen in sein ir­disches Dasein, welche machen, daß sich diesem Ätherleib ein physischer Leib eingliedert, das sind die Kräfte der Erde. Diejenigen Kräfte aber, welche machen, daß der Mensch nicht aufgeht im ir­dischen Leben, daß der Mensch gewissermaßen eine Art Ausblick hat vom irdischen Leben hinaus, das sind die Kräfte der Sonne.

Und so sagte man sich: Der Mensch kommt aus unbekannten geistigen Welten, die er durchgemacht hat im präexistenten Leben, und er tritt ein nicht etwa bloß ins irdische Leben, sondern er tritt ein aus außerplanetarischen Welten in das planetarische Leben. Das planetarische Leben nimmt ihn so, wie ich es beschrieben habe, nach Sonne, Mond, Erde, Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn auf. In dem Umlaufe des Saturn sah man etwa die Sphäre, in die der Mensch eintritt seinem ätherischen Leibe nach aus dem außerpla­netarischen Leben in das planetarische Leben. Und man brachte durchaus dasjenige, was ätherisch ist am Menschen, mit diesem planetarischen Leben in Beziehung. Nur insofern der Ätherleib sich dann auslebt im physischen Leib, brachte man diesen physischen Leib mit der Erde in Beziehung. Insofern der Mensch aber durch sein Ich sich wiederum heraushebt aus ätherischem und astralischem Leib, brachte man das mit der Sonne in Beziehung.

So hatte man eine Art ätherischer Astronomie. Diese ätherische Astronomie hat durchaus auch noch die Möglichkeit gehabt, nicht so bloß auf die physischen Geschicke des Menschen hinzuschauen wie die physische Astronomie; sondern, da man des Menschen Äther­leib, der wiederum mit dem Geistigen des Menschen in einem in­timeren Zusammenhange steht, im Wechselverhältnis erblickte mit

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denselben Kräften des Planetensystems, so hatte man die Möglich­keit, weil ja im Menschen sich aus dem Planetensystem heraus auf dem Umwege durch den ätherischen Leib die Schicksalskräfte ausleben können, von der menschlichen Konstitution zu reden und in diese menschliche Konstitution die Schicksalsmächte einzube­ziehen.

Es war also in dieser Lehre alter Schule, welche fortgepflanzt wurde, nachdem man schon das heliozentrische System als eine Art esoterisch-physischer Wissenschaft ausgebildet hatte, es war in dieser ätherischen Astronomie eine letzte Weisheitslehre aus alten instinktiven Weisheitsforschungen hervorgegangen, und diese hatte sich als Tradition erhalten. Man redete nicht anders von den Ein­flüssen des Himmels, als daß man sich sagte: Ja, diese Einflüsse des Himmels sind vorhanden; sie tragen aber nicht bloß die Natur-angelegenheiten, sie tragen auch die menschlichen Schicksalskräfte. -Und so war durchaus dazumal eine Verbindung zwischen dem, was man nennen könnte die Naturlehre, die Kosmologie, und dem, was dann später übergegangen ist in alles das, was die Leute nun als Astrologisches auffassen, was aber in alten Zeiten einen viel ex­akteren und auf unmittelbarer Beobachtung ruhenden Charakter hatte.

Wenn der Mensch dann gewissermaßen auf seinem Weg zur neuen Geburt die Planetensphäre - so dachte man sich das - betre­ten hat und von ihr seinem ätherischen Leib nach aufgenommen worden ist, so betritt er fernerhin die Erde. Er wird von der Erde auf­genommen. Aber auch da dachte man noch nicht bloß etwa an die feste Erde, sondern auch da dachte man eigentlich an die Erde in ihren Elementen. Man sagte sich: Der Mensch wird außerdem, daß er von der Planetensphäre aufgenommen wird - wodurch er aber ein überirdisches Wesen sein würde, wodurch er dasjenige sein würde, was er eigentlich nur als Seele ist -, als Kind aufgenommen von den Elementen der Erde, von Feuer oder Wärme, von Luft, von Wasser und von der eigentlichen Erde. - Das war erst die eigentliche Erde. Und dadurch, dachte man sich, wird sein Ätherleib von diesem äußeren Elemente so tingiert, so durchtränkt, daß nun in diesem

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Ätherleib die Temperamente entstehen. So dachte man sich diese Temperamente an den Ätherleib und damit an die Vitalorganisation des Menschen eng gebunden. Man sah also in demjenigen, was eigentlich physisch im Menschen ist, oder wenigstens was durch den physischen Leib sich offenbart, durchaus etwas Geistiges mit in dieser alten Lehre. Und ich möchte sagen, der menschlichste Teil dieser Lehre war dann dasjenige, was zum Beispiel noch deutlich zu sehen ist in der Medizin der damaligen Zeit. Die Arzneimittel, die Heillehre, das war durchaus hervorgegangen aus dieser Anschauung von dem Verhältnis des ätherischen Leibes des Menschen zu dem Planetensystem und außerdem zu dem Eindringen gewissermaßen des ätherischen Menschen in die höheren Sphären, in Luft, Wasser, Wärme, Erde, wodurch sich also in seine Organisation hineinfanden die physischen Abdrücke seiner ätherisch-seelischen Temperamente: schwarze Galle, weiße Galle, die anderen Säfte, Phlegma, Blut und so weiter. Diese Anschauungsweise also, daß in den Säften des Menschen erkannt werden kann das Wesen der menschlichen Kon­stitution, das war etwas, was in dieser Lehre gang und gäbe war. Man studierte dazumal nicht etwa die einzelnen Organe, die sich zeichnen ließen, sondern man studierte in der Medizin die Säfte­zusammenmischung, die Säftedurchdringung, und man sah in einem Organ eben ein Ergebnis einer besonderen Säftedurchdrin­gung. Man sah in dem gesunden Menschen eine bestimmte Art, wie sich die Säfte durchdringen, man sah in dem kranken Menschen eine abnorme Durchdringung der Säfte, so daß man sagen kann: Die Medizin, welche sich aus dieser Lehre ergab, war durchaus begründet auf der Anschauung des wäßrigen menschlichen Organismus, des flüssigen menschlichen Organismus. Was wir heute die Erkenntnis des menschlichen Organismus nennen, das ist ja begründet auf dem festen menschlichen Organismus, auf dem erdigen menschlichen Organismus. In bezug auf die Anschauung vom Menschen ist der Gang der, daß man von einem älteren Durchschauen des flüssigen Menschen übergegangen ist zu einem neueren Durchschauen des festen Menschen mit den scharfen Konturen der Organe.

Dieser Gang der medizinischen Lehre geht parallel dem Übergang

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der alten ätherischen Astronomie zu der modernen physischen Astronomie. Der ätherischen Astronomie entspricht noch im wesent­lichen die Medizin des Hippokrates, aber auch noch bis in das 4. nachchristliche Jahrhundert hinein sind die Leistungen dieser medi­zinischen Anschauung vorhanden, welche sich aufdie Säftemischung des Menschen bezieht, und zwar in einer exakten Weise, nicht wie später in der Tradition. Und indem verdunkelt worden ist diese alte Lehre seit dem 4. nachchristlichen Jahrhundert, und dann heraufge­kommen ist mit dem 15. Jahrhundert die physische Astronomie an die Stelle der alten ätherischen Astronomie, ist auch die Pathologie, ist die ganze medizinische Anschauung begründet worden auf der Lehre von dem Festen im Menschen, von dem durch scharfe Kon­turen im menschlichen Organismus zu Begrenzenden und Auszu­drückenden. Das ist im wesentlichen die Seite der Entwickelung der Menschheit in dem anorganischen Zeitalter.

Wir können nun aber auch den Blick weffen auf dasjenige, was von jenen Zeiten zurückgeblieben ist an Kulthandlungen, an reli­giösen Zeremonien. Die religiösen Zeremonien wurden mehr der großen Masse gegeben; dasjenige, was ich jetzt auseinandergesetzt habe, wurde mehr eben als ein Weisheitsgut der Schule betrachtet. Diejenigen kultischen Verrichtungen, welche sich von Asien herüber nach Europa erstreckt haben und welche durchaus entsprechen als Kultusbestrebungen dieser Anschauung, die ich Ihnen jetzt ent­wickelt habe, die sind der Mithrasdienst, jener Mithrasdienst, den wir ja durchaus noch in den ersten christlichen Jahrhunderten finden, sich herübererstreckend vom Osten nach dem Westen, den wir verfolgen können den Donauländern entlang bis zu den Rhein-gegenden, bis nach Frankreich hinein. Dieser Mithrasdienst, den Sie ja seinen äußerlichen Formen nach kennen, läßt sich etwa kurz durch eine Formel dadurch charakterisieren, daß mit dem irdischen und kosmischen Zusammenhange imaginativ bildhaft der Besieger des Mithrasstieres dargestellt worden ist: der Mensch auf dem Stiere rei­tend und die Stierkräfte besiegend. Man hat heute sehr leicht die Vorstellung, daß sich solche Bilder, die ja alle Kultbilder sind -religiöse Versinnbildlichungen, wenn wir so sagen dürfen, die aus

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den alten Weisheitslehren organisch hervorgegangen sind -, daß sich solche Kultbilder einfach abstrakt-symbolisch aus den alten Weis­heitslehren ergeben hätten. Aber es ist eine ganz und gar falsche Vorstellung, wenn man glauben würde, es hätte alte Weisheitslehrer gegeben und die hätten sich hingesetzt und hätten gesagt: Jetzt wollen wir ein Symbol ausdenken; für uns ist die Weisheitslehre, für das dumme Volk müssen wir Symbole ausdenken, die dann zu ihren Kultushandlungen führen können und dergleichen. - Solche Voraussetzungen wären grundfalsch. Eine solche Voraussetzung haben ungefähr die modernen Freimaurer, und die modernen Frei­maurer denken ähnlich auch über das Wesen ihrer Symbolik. Aber es ist das nicht die Anschauung der alten Weisheitslehrer gewesen. Die Anschauung der alten Weisheitslehrer, möchte ich Ihnen jetzt gerade an den Beziehungen des Mithrasdienstes zu derjenigen An­schauung, die ich eben entwickelt habe, darlegen. Diejenigen Menschen, die noch eine lebendige Anschauung hatten von diesem Aufgenommenwerden des Menschen durch die planetarische Welt hinsichtlich seines Ätherleibes, von dem Aufgenommenwerden des Menschen dann in die irdische Elementensphäre, Wärme oder Feuer, Luft, Wasser, Erde, und von dem Herausbilden von schwarzer Galle, weißer Galle, Phlegma, Blut aus der Einwirkung dieser Ele­mente auf die menschliche Ätherwesenheit, diejenigen, die davon eine Ahnung hatten, die konnten sich auch noch eine bedeutsame Frage vorlegen, eine grundbedeutsame Frage. Sie legten sich eine Frage vor, auf die man kommen kann, wenn man wirklich eine ima­ginative Anschauung hat. Die Antwort auf diese Frage, sie war dazu­mal eine instinktive imaginative Anschauung, aber man kann sie heute wiederholen mit vollem Bewußtsein. Wenn man sich eine imaginative Anschauung, von diesem Hereingehen des Menschen aus der geistigen Welt durch die Planetensphäre in die irdische Feuer-, Luft-, Wasser-, Erdensphäre, wenn man sich eine solche Vorstellung bildet, da kommt man nämlich dazu, sich zu sagen: Ja, wenn da etwas hereingeht aus der außerplanetarischen Sphäre in die planetarische und in die Erdensphäre und aufgenommen wird von der Erdensphäre, da wird ja gar kein wirklicher Mensch daraus;

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ich meine, wenn man sich die Vorstellung bildet von dem, was da eigentlich wird, wenn man dasjenige, was man in rein imaginativer Vorstellung erblicken kann außerhalb der Planetensphäre, was da hereingeht und aufgenommen wird von der Planetensphäre, was dann ergriffen wird von dem, was von der Erdensphäre ausgeht, wenn man das als imaginative Anschauung hat, so wird ja kein Mensch daraus. Man kommt nicht zu der Vorstellung des Menschen. Man kommt zu der Vorstellung, die sich am deutlichsten wiedergibt, wenn man nicht einen Menschen sich vorstellt, sondern einen Stier sich vorstellt, ein Rind sich vorstellt. - Es sagten sich die alten Weis­heitslehrer: Wenn es nur das gäbe, was da als eine außerplanetarische Wesenheit herunterzieht in diese planetarische Werdesphäre, so lebten auf Erden keine Menschen. Man kommt allerdings, sagten sie sich, wenn man das zunächst betrachtet, dazu, sich diese Vor. stellung zu bilden von dem Hereinziehen einer Wesenheit aus der außerplanetarischen in die planetarische und Erdensphäre; aber wenn man nun herausgestalten will ganz plastisch eine imaginative Anschauung aus dem, was man in diesen Vorstellungen hat, da wird es kein Mensch, da wird es ein bloßer Stier. Und wenn man nichts anderes begreift im Menschen als dieses, begreift man im Menschen auch nur das Stierhafte. - Diese Vorstellungen haben die alten Weis­heitslehrer sich gebildet, diese Vorstellung war da. Nun sagten sie sich: Also muß der Mensch gegen dieses Stierhafte mit noch einem Höheren ankämpfen. Er muß dasjenige, was diese Weisheit als Anschauung gibt, überwinden. Er ist als Mensch mehr ein Wesen, das bloß aus der außerplanetarischen Sphäre kommt, in die planeta­rische Sphäre hineinkommt und von den irdischen Elementen er­griffen wird; er hat etwas in sich, was mehr ist.

Ich möchte sagen, bis zu diesem Begriff kamen diese Weisheits­lehrer, und deshalb bildeten sie dann den Stier aus, setzten den Mithras darauf, den kämpfenden Menschen, der den Stier überwin­det und der sich sagt: Ich muß einen weit höheren Ursprung haben als denjenigen, den ein solches Wesen hat, welches im Sinne jener alten Weisheitslehre vorgestellt wurde. - Und nun sagten sich diese Lehrer: Diese alte Weisheitslehre enthält allerdings eine Hindeutung

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auf das, worauf es hier ankommt. Diese alte Weisheitslehre blickt auf in die Planetensphäre zu Saturn, Jupiter, Mars, Merkur, Venus, Mond und so weiter; aber sie sagt auch: Indem der Mensch sich der Erde nähert, wird er fortwährend von der Sonne herausge­hoben, daß er nicht aufgehe in dem Irdischen, daß er nicht bloß bleibe dasjenige, was aus der Mischung von schwarzer und weißer Galle, Phlegma und Blut und aus dem Ätherleib hervorgeht, wenn er von der Planetensphäre aufgenommen wird, und wenn der astra­lische Leib von der anderen Planetensphäre aufgenommen wird durch Merkur, Venus, Mond. Was den Menschen heraushebt, es wohnt in der Sonne. Daher sagten sich diese Lehrer: Machen wir den Menschen aufmerksam auf die in ihm wohnenden Sonnenkräfte, so ist er der Mithras, der den Stier besiegt!

Das war dann das Kultusbild. Es sollte nicht bloß ein ausgedach­tes Symbolum sein, sondern es sollte tatsächlich das Faktum, das kosmologische Faktum geben. Die religiöse Zeremonie war mehr als ein bloßes äußeres Zeichen; sie war etwas, was gewissermaßen heraus­geschnitten war aus dem Wesen der Welt selber.

Dieses Kultartige, das war etwas, was seit sehr alten Zeiten da war, was aus Asien nach Europa herübergebracht worden war. Es war, ich möchte sagen, das Christentum von der einen Seite ange­sehen, von der äußeren, von der astronomischen Seite angesehen, denn Mithras war die Sonnenkraft im Menschen. Mithras war der Mensch, der sich auflehnte gegen das bloß Planetarische und Irdi­sche. Und nun entstand ein gewisses Bestreben, dessen Ausläufer wir überall wahrnehmen können, wenn wir auf die ersten christlichen Jahrhunderte zurückgehen. Es entstand das Bestreben, die histori­sche Tatsache, das Mysterium von Golgatha zusammenzunehmen mit dem Mithrasdienst. Zahlreich waren in der damaligen Zeit, insbesondere innerhalb der römischen Legionschaft, die Menschen, die dasjenige, was sie in Asien, was sie überhaupt im Oriente er­fahren konnten, herübertrugen in die Donauländer bis weit herein nach Mitteleuropa, ja sogar nach Westeuropa. In dem, was sie da als Mithrasdienst herübertrugen, lebten Empfindungen, die, ohne das Mysterium von Golgatha zu reflektieren, durchaus christliche Anschauungen,

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christliche Empfindungen in sich hatten. Der Mithras­dienst wurde als ein konkreter Dienst betrachtet, der sich bezog auf die Sonnenkräfte im Menschen. Nur wurde noch nicht gesehen in diesem Mithrasdienst, daß mit dem Mysterium von Golgatha diese Sonnenkraft selber heruntergestiegen war als die geistige Wesenheit und sich mit dem Menschen Jesus von Nazareth vereinigt hatte.

Und nun gab es - und je weiter wir in den Untersuchungen nach Osten gehen, desto klarer wird es - bis in das 4. nachchristlicheJahr­hundert herein Weisheitsschulen im Osten, welche nach und nach Berichte bekamen, Nachrichten bekamen, Kenntnis bekamen von dem Mysterium von Golgatha, von dem Christus. Sie bemühten sich nun, ein Diktum über die Welt hin zu verbreiten, und es war eine Zeitlang durchaus das Bestreben, in den Mithraskultus hineinzu­gießen dasjenige, was der übersinnlichen Anschauung entspricht: Der wahre Mithras, das ist der Christus, und Mithras ist sein Vor­läufer; man muß hineingießen in diejenigen Kräfte im Menschen, welche den Stier besiegen, die Christus-Kraft. Aus dem Mithras­dienst einen Christus-Dienst zu machen, das ist etwas, was in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten bis ins 4. hinein intensiv lebte. Und ich möchte sagen, der Verbreitung des Mithrasdienstes folgte die Strömung, welche nun diesen Mithrasdienst verchristli­chen wollte. Eine Synthese wurde angestrebt zwischen dem Christen. tum und dem Mithrasdienst. Ein altes bedeutsames Bild vom Wesen des Menschen, der auf dem Stier reitende und den Stier besiegende Mithras, sollte in Zusammenhang gebracht werden mit der Christus­Wesenheit. Man möchte sagen: Ein ganz glorioses Bestreben bestand in dieser Richtung, und es war in einer gewissen Weise dieses Bestre­ben stark.

Wer nun die Verbreitung des östlichen Christentums, die Ver­breitung des Arianismus beobachtet, kann an der Verbreitung des Arianismus wahrnehmen, wie ein Mithraselement in diesem Aria. nismus drinnen ist, obwohl es schon sehr geschwächt ist. Und jede Übersetzung der Ulfilas-Bibel in die neueren Sprachen bleibt unvoll-kommen, wenn man nicht weiß, daß in die Termini des Ulfilas, des

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Wulfila, noch Mithraselemente hineinspielten. Aber wer beachtet denn heute im linguistischen, im sprachlichen Elemente noch diese tieferen Zusammenhänge. In Griechenland gab es bis ins 4. Jahr­hundert hinein Philosophen, welche daran arbeiteten, die alte ätherische Astronomie mit dem Christentum in Einklang zu brin­gen, und daraus entstand jene wahre Gnosis, welche durch das spätere Christentum gründlich ausgerottet worden ist, so daß nur einige Fragmente von den literarischen Proben dieser Gnosis übrig­geblieben sind. Was wissen denn die heutigen Menschen, das sagte ich schon neulich, eigentlich über die Gnosis, von der sie in ihrer Torheit sagen, daß unsere Anthroposophie eine Aufwärmung dieser Gnosis sei. Selbst wenn sie es wäre, so könnten es diese Menschen gar nicht wissen, denn sie kennen von der Gnosis eben nur das, was in den abendländischen christlichen kritischen Schriften über die Gnosis steht. Die Zitate kennen sie, welche die Bekämpfer der Gnosis von ihr hinterlassen haben. Von der Gnosis ist ja kaum mehr vorhanden als nur dasjenige, was sich etwa durch folgenden Ver­gleich ausdrücken läßt: Denken Sie einmal, es gelänge dem Herrn von Gleich, alles auszurotten, was von der anthroposophischen Lite­ratur da ist, und es bliebe nichts anderes als seine Zitate, und dann würde man später einmal konstruieren wollen diese Anthroposophie nach diesen Zitaten, dann würde man im Abendlande ungefähr das Verfahren haben, das man hat mit der Gnosis. Wenn also die Leute sagen, die neuere Anthroposophie ahme die Gnosis nach, so können sie, selbst wenn sie es täte, es ja nicht wissen, denn sie kennen die Gnosis nicht, sie kennen sie ja nur von den Gegnern!

Also in Athen namentlich war bis ins 4. Jahrhundert herein, ja noch länger, eine Weisheitsschule, welche sich bemühte, die alte ätherische Astronomie mit dem Christentum in Einklang zu bringen. Die letzten Reste dieser Anschauung von dem Hereinkommen des Menschen aus höheren Welten durch die Planetensphäre in die Erdensphäre, sie durchglänzen noch die Schriften des Origenes, glänzen noch durch selbst durch die Schriften der griechischen Kir­chenväter. Man kann überall sehen, wie das da durchglänzt; und es glänzte namentlich durch die Schriften des wahren Dionysius des

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Areopagiten. Dieser Dionysius der Meopagite hinterließ ja eine Lehre, die eine reine Synthesis war zwischen der ätherischen Astro­nomie und demjenigen, was im Christentum lebte: daß sich die gewissermaßen in der Sonne astronomisch oder kosmisch lokalisier­ten Kräfte in dem Christus durch den Menschen Jesus von Nazareth in die Erdensphäre hineinbegeben haben, und daß damit eine gewisse Beziehung, die vorher nicht vorhanden war, zur Erde ent­standen ist in bezug auf alle höheren Hierarchien, die Hierarchien der Engel, die Hierarchien der Weistümer, die Hierarchien der Throne, die Hierarchien der Seraphime und so weiter. Eine Durch­dringung dieser Hierarchienlehre mit ätherischer Astronomie, das war es, was beim ursprünglichen Dionysius dem Areopagiten vor­handen war.

Im 6. Jahrhundert hat man dann versucht, die Spuren zu ver­wischen auch der älteren Lehren des Dionysius des Areopagiten, und man hat sie so umgestaltet, daß man darin eigentlich nur noch eine abstrakte Geisteslehre hatte. So wie heute die Lehre des Dionysius des Areopagiten vorliegt, ist sie ja eine Geisteslehre die nicht mehr viel mit ätherischer Astronomie zu tun hat. Und so nennt man ihn dann den Pseudo-Dionysius. Auf diese Weise hat man der Weis­heitslehre einen Untergang bereitet, auf der einen Seite,indem man den Dionysius verballhornt hat, und auf der anderen Seite da­durch, daß man jene noch in Athen ganz lebhaft lebendige Lehre, welche die ätherische Astronomie mit dem Christentum vereinigen wollte, ausgerottet hat, und daß man in bezug auf das Kulthafte dann den Mithrasdienst ausgerottet hat.

Und dann haben ein übriges getan solche Persönlichkeiten wie Konstantin, dessen Taten in späterer Zeit verstärkt wurden dadurch, daß ja der Kaiser Justinian die Athenische Philosophenschule schließen ließ, so daß die letzten Menschen, welche sich damit be­faßt haben, die alte ätherische Astronomie mit dem Christentum in Einklang zu bringen, auswandern mußten und in Persien eine Stätte fanden, wo sie wenigstens ihr Leben fortfristen konnten. Justinian hat ja aus demselben Programm heraus, aus dem er die Athenische Philosophieschule schloß, auch den Origenes für einen Ketzer erklären

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lassen, und er hat die römische Konsulswürde aus dem­selben Grunde abgeschafft, die ja eigentlich nur noch ein Schatten­dasein führte, in der man aber doch, selbst als sie nur noch ein Schat­tendasein führte, eine Art Widerstandskraft suchte gegenüber der romanischen Staatsidee, die in der reinenJuristerei aufging. Das alte Menschliche, das man noch mit der Konsulswürde verband, ließ man verschwinden in dem staatlichen Imperialismus des Romanen­tums.

So sehen wir im 4. Jahrhunderte abglimmen, was als Kultus­dienst mit dem Menschen näher hätte zusammenbringen können das Christentum, wir sehen abglimmen dasjenige, was als alte Weis­heitslehre in einer ätherischen Astronomie sich vereinigen wollte mit der Erkenntnis von der Bedeutung des Mysteriums von Golgatha. Und wir sehen im Westen an dessen Stelle treten dasjenige, was nun schon die Keime des späteren Materialismus in sich trug, der ja erst sich theoretisieren konnte im 15. Jahrhundert, als der fünfte nach-atlantische Zeitraum begann, der aber vorbereitet wurde im wesent­lichen durch die Vermaterialisierung desjenigen, was noch spirituell aus dem Oriente herübergekommen war.

Diesen Gang der europäischen Zivilisation müssen wir durchaus ins Auge fassen. Es wird uns sonst niemals ganz durchsichtig werden, welches eigentlich die Grundlagen der europäischen Zivilisation sind. Und es wird uns sonst niemals ganz klar werden, wie es eigentlich hat möglich sein können, daß immer wieder und wiederum dieMen­schen, wenn sie nach dem Orient gezogen sind, starke spirituelle Anregungen aus diesem Orient haben mitnehmen können. Vor allen Dingen war ja durch das ganze erste Mittelalter hindurch ein lebendiger Handelsverkehr von dem Orient an der Donau herauf, gerade jene Wege entlang, die der alte Mithrasdienst, der natürlich im ersten Mittelalter bereits verklungen war, genommen hatte. Die Leute, die da als Handelsleute nach dem Orient und vom Orient her zogen, haben immer wieder das im Orient gefunden, was dem Christentum vorangegangen war, was aber durchaus schon nach dem Christentum hintendierte. Und wir sehen es ja auch, als die Kreuz­fahrer nach dem Oriente zogen, wie sie aus den Resten, die sie noch

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haben erkennen können im Orient, Anregungen empfangen haben, wie sie altes Weisheitsgut nach Europa gebracht haben. Ich sagte: Mit diesem alten Weisheitsgut war die alte Säftemedizin verknüpft.

- Immer wieder brachten die Menschen, die nach dem Orient zogen, auch noch diejenigen, die als Kreuzfahrer oder mit den Kreuzzügen nach dem Orient zogen und die wiederum nach Europa zurückkamen, immerzu brachten sie auch noch Reste dieser alten Medizin nach Europa. Diese Reste einer alten Medizin wurden überall durch Tradition dann in Europa fortgepflanzt. Einzelne Menschen, die dann zu gleicher Zeit mit ihrer eigenen geistigen Ent­wickelung ihrer Zeit vorangegangen waren, machten dann merkwür­dige Entwickelungen durch, wie die Persönlichkeit, die unter dem Namen des Basilius Valentinus weiterlief.

Was war denn das für eine Persönlichkeit? Es war eine Persön­lichkeit, welche unter den Leuten, mit denen sie ihre Jugend ver­lebt hatte, die Tradition der alten Säftemedizin, zuweilen ganz un­verständig, übernommen hatte, in dieser oder jener Andeutung. Bis vor ganz kurzer Zeit - heute ist das schon weniger der Fall - waren in den alten Bauernregeln noch Überreste dieser aus dem Orient durch die Wanderzüge herübergetragenen medizinischen Tradition vor­handen, die eigentlich im Bauerntum sich ablagerten, die dann gehört wurden von denjenigen, die im Bauerntum aufwuchsen; sie waren in der Regel diejenigen, die dann Priester wurden. Nament­lich diejenigen, die Mönche wurden, wuchsen aus dem Bauerntum heraus. Sie hatten da dies oder jenes gehört, was aber eben verball­horntes, dekadent gewordenes altes Weisheitsgut war. Sie machten aber eine sel bständigere Entwickelung durch. Was man als Entwicke­lung durchmachte durch die christliche Theologie, war ja bis zum 15., 16. Jahrhundert noch etwas viel Freieres als es später geworden war. Da brachten diese Priester und Mönche allmählich aus ihrer eigenen Geistigkeit heraus eine gewisse Ordnung in die Dinge hin­ein. Sie dachten nach über das, was sie gehört hatten; aus dem eigenen Genie heraus verbanden sie die Dinge, und so entstanden dann die Schriften, die sich erhalten haben als die Schriften des Basilius Valentinus. Ja, es bildete sich durch so etwas sogar durchaus

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noch eine Schule, in der auch Paracelsus und selbst Jakob Böhme lernten. Auch diese nahmen noch das, ich möchte sagen, in der Volksgruppenseele lebende alte medizinische Weisheitsgut auf. Man kann das ja beiJakob Böhme, wo dieses elementar gilt, auch bei Paracelsus und anderen bemerken, auch wenn man die Schriften nur so äußerlich nimmt. Aber wenn man so etwas nimmt bei Jakob Böhme, wie seine Schrift «De signatura rerum», da wird man in der Art der Darstellung finden, daß das, was ich gesagt habe, da mit Händen zu greifen ist. Es ist das solch ein altes Volksgut, das aber im Grunde genommen in sich verballhorntes Weisheitsgut enthielt. Solch ein altes Volksgut war durchaus noch nicht so abstrakt, wie unsere heutige Wissenschaft es ist, sondern es war da etwas von dem Erfühlen des Objektiven in den Worten. Man fühlte in den Worten. So wie man heute in den Begriffen erkennen will, so fühlte man in den Worten. Man wußte, daß der Mensch die Worte aus dem ob­jektiven Wesen der Welt selber hervorgeholt hat. Das kann man merken, wenn sich Jakob Böhme so viel Mühe gibt, zu fühlen, was eigentlich steckt in der Silbe «Sul», und was wiederum steckt in der Silbe «fur»: Sulfur. Sehen Sie sich an, wie zum Beispiel in «De signatura rerum» Jakob Böhme ringt, ich möchte sagen, um etwas herauszusaugen aus einem inneren Wort, einen inneren Wortex­trakt, aus dem Worte Sulfur etwas herauszusaugen, um auf eine Wesenheit zu kommen. Es ist da durchaus das Gefühl vorhanden, daß, wenn man den Extrakt der Worte erlebt, man auf etwas Reales kommt. Es hat sich in älteren Zeiten, so fühlte man, in die Worte dasjenige hineingesetzt, was aufgenommen hat die menschliche Seele, als sie hereingezogen ist aus außerweltlichen Sphären durch die Planetensphäre ins irdische Dasein. Was sie da aber aus ihrem noch Näherstehen der Säftemischung in die Worte hineingelegt hat, wenn das Kind sprechen lernte, das war noch etwas Objektives, es war noch etwas in der Sprache, was wie ein Götterunterricht war, nicht bloß ein menschlicher Unterricht. Und man sieht bei Jakob Böhme dieses schöne Bestreben, das etwa sich so aussprechen läßt, wie wenn er gefühlt hätte: Ich möchte in der Sprache etwas sehen, wo noch hinten den Erscheinungen lebendige Götter in die menschliche

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Organisation hereinwirken, um in den Menschen die Sprache zu formen und mit der Sprache zugleich ein gewisses Weisheitsgut. -Da sehen wir, wie durchaus auch noch in spätere Zeiten sich fortsetzt das alte Weisheitsgut, aber schon aufgenommen vom modernen Denken, das allerdings kaum angedeutet ist bei solchen elemen­taren Geistern wie Jakob Böhme oder Paracelsus. Und in das prägt sich jetzt hinein dasjenige, was rein intellektualistisch-theoretisch ist, was aus dem physischen Denken des Menschen heraus bloß das Physische ergreift. Wir sehen, wie auf der einen Seite entsteht die rein physische Astronomie, wie auf der anderen Seite entsteht die rein auf die fest begrenzten Organe des Menschen gerichtete Physio­logie und Pathologie, kurz, die ganze medizinische Abschattung. Und so steht allmählich der Mensch da mit einer Welt um sich, die er nur physisch begreift, in der er natürlich als kosmisches Wesen nicht darinnen sein kann - Er begreift an sich nur noch dasjenige, was er durch die Erde geworden ist, denn durch die Erde ist er dieses festbegrenzte physische organische Wesen geworden. Er kann keinen Einklang mehr finden zwischen dem, was ihm vom Kosmos durch die Erkenntnis gegeben wird, durch die physische Astronomie gegeben wird, und demjenigen, was in seiner Gestalt lebt, was aller­dings auf etwas anderes weist; aber er wendet den Blick ab von dem, wie diese menschliche Gestalt auf etwas anderes weist. Er verliert schließlich ganz das Bewußtsein, daß sein Aufrichtebestreben und die besondere Art und Weise, wie er aus seinem Organismus heraus die Sprache hat, nicht entstehen können in dem Mithnasstier, sondern erst in dem Mithras. Er will mit alledem sich nicht mehr beschäftigen, denn er segelt dann hinein in den Materialismus. Er muß hineinsegeln in den Materialismus, denn das religiöse Bewußt­sein selber hat ja von dem Christentum nur aufgenommen die äußere materielle Erscheinung und diese äußere materielle Erschei­nung dogmatisiert, indem man nicht versucht hat, aus irgendeiner Weisheit heraus zu erkennen, wie sich das Mysterium von Golgatha zugetragen hat, sondern indem man versuchte, durch Beschlüsse festzustellen, was die Wahrheit ist.

So sehen wir den Übergang von der orientalischen alten Gedankenstellung

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aus der Welterkenntnis heraus zu der besonderen römisch-europäischen Art der Feststellung. Wie wurde im Orient «festgestellt», und wie mußte aus orientalischem instinktivem An­schauen heraus auch etwas über das Mysterium von Golgatha «fest­gestellt» werden? - Indem man nahm die Erkenntnis, die sich aus der Welt heraus ergeben hatte, indem man hinaufschaute in Stet­nenwelten, da ergab sich aus der Erkenntnis heraus, wenn sie auch eine instinktive, elementare war, oder sollte sich wenigstens ergeben, auch das, was das Mysterium von Golgatha war. Das war der Weg, der im Orient genommen wurde. Dieser Weg wurde vom 5-Jahr­hundert an nicht mehr empfunden. Frühere Konzilien schon hat­ten, indem sie an die Stelle des Asiatischen mehr das Ägyptische ge­setzt hatten, darauf hingewiesen, daß man ja nicht auf diese Art ausmachen solle, wie es mit dem Mysterium von Golgatha eigentlich beschaffen ist, sondern daß man durch die Mehrheit der Väter, die auf den Konzilien versammelt sind, entscheiden lassen solle. Es wur­de das juristische Prinzip an die Stelle des orientalischen Erkennt­nisprinzips gestellt, es wurde die Dogmatik in das Juristische her­übergebracht. Man hatte nicht mehr das Gefühl, daß aus dem Weltengewissen heraus über die Wahrheit zu entscheiden ist. Man eignete sich das Gefühl an, daß man aufjuristische Art durch Konzil-beschlüsse sagen könne, ob die göttliche und die menschliche Natur in Christus Jesus zwei Naturen oder eine Natur sei und dergleichen. Wir sehen in das innerste Gefüge der abendländischen Zivilisation das Ägyptisch-Romanisch -Juristische einziehen, dasjenige, was heute noch so tief in den Menschen sitzt, die nicht die Neigung haben, entscheiden zu lassen über ihr Verhältnis zur Wahrheit diese Wahrheit, sondern die aus ihren Affekten heraus entscheiden wollen und daher keinen anderen Maßstab für das Festsetzen haben als die Majorität in irgendeiner Form.

Davon wollen wir dann morgen noch weiter sprechen.

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FÜNFTER VORTRAG Dornach, 16. April 1921

Ich habe gestern hingewiesen auf den bedeutsamen Übergangs-punkt, der in der abendländischen Zivilisationsentwickelung liegt im 4 - nachchristlichen Jahrhundert, und ich habe darauf hingewie­sen, wie aus der europäischen Zivilisation damals verschwindet auf der einen Seite die griechische Weisheit, jene Weisheit, durch die man versuchte, die Tiefen des Christentums eben weisheitsvoll zum Ausdrucke zu bringen. Der äußere Zeitpunkt des Verschwindens liegt ja etwas später. Er liegt da, wo der Kaiserjustinian die Schriften des Origenes für ketzerisch erklärte, die römische Konsulwürde ab-schaffte und die griechische Philosophenschule von Athen schloß, so daß die Träger griechischer Weisheit nach dem Oriente entfliehen mußten und gewissermaßen sich zurückzogen vor dem, was euro­päische Zivilisation war. Was sich vom Orient aus vorgeschoben hatte bis nach Griechenland hinein, was dann in Griechenland seine besondere Form angenommen hatte, das war die eine Seite.

Die andere Seite aber war diese, daß der Mithrasdienst in einem bedeutsamen äußeren Kultus andeuten sollte, wie der Mensch sich herausheben sollte durch sein Geistig-Seelisches aus alledem, was zu begreifen war durch den Zusammenfluß der Wesen in den Planeten-sphäre mit den irdischen Mächten, wie dieser Mensch sich als Vollmensch fühlen könnte. Das sollte eben angedeutet sein im Mithras­kultus. Und dieser Mithraskultus, der dahin tendierte, dem Men­schen sich selber zu zeigen, er verschwand ebenfalls, nachdem er sich ausgebreitet hatte die Donauländer herauf bis nach Mittel- und Westeuropa. Und was in Europa an die Stelle dieser beiden Strö­mungen, einer kultischen und einer Weisheitsströmung trat, das war zunächst etwas, was eine den äußeren Tatsachen nach verlaufende Erzählung der Ereignisse von Palästina war. Und so kann man sagen:

Weder konnte zunächst in Europa den Einzug halten ein Kultus, welcher in dem Christus Jesus den Überwinder alles desjenigen ge­sehen hätte, was der Mensch in der Weltenentwickelung unter sich

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zu bringen hatte, noch konnte in dieses Europa einziehen dasjenige, was die eigentlichen Geheimnisse des Christentums weisheitsvoll ergreifen wollte, und es breitete sich aus die äußerliche Erzählung der Vorgänge in Palästina. Was aber begrifflich festgestellt werden sollte an diesen Ereignissen von Palästina, das wurde eingetaucht in ein juristisches Denken, in dem an die Stelle der Erforschung der Weltengeheimnisse die Feststellung der Dogmen durch die Mehr­heitsbeschlüsse der Konzilien und so weiter trat -

Nun zeigt gerade diese Tatsache, daß ein bedeutungsvollen, ein gewaltiger Umschwung in der abendländischen Zivilisationsent­wickelung und damit in der Entwickelung der ganzen Menschheit sich in diesem 4. nachchristlichen Jahrhundert vollzogen hat. Alles dasjenige, was vom Orient ausgehend den Osten der europäischen Zivilisation ergriffen hatte, das wurde sozusagen nach dem Orient wieder zurückgeschoben. Dasjenige allein konnte sich abendländisch halten neben der Erfassung der äußeren sinnlichen Tatsachenwelt, was in der romanischen Welt aufgekommen war als ein Anlauf zum abstrakten Denken.

Wie lebendig sind doch die Vorstellungen über die griechischen Götter bei den Griechen gewesen, und wie abstrakt begrifflich sind die Vorstellungen, die sich die Römer von ihren Göttern gemacht haben. Im Grunde genommen war in der späteren Zeit dasjenige, was die Griechen an Ideen hatten über die übersinnliche Welt, schon ein Unlebendiges, obwohl es in sich sehr lebendig war, aber verhält­nismäßig ein Unlebendiges gegenüber den lebendigen Vorstellun­gen der übersinnlichen Welten, die darstellten ein Darinnenleben in diesen übersinnlichen Welten, wie sie in der älteren persischen Zi­vilisationsform vorhanden waren oder in der älteren indischen Zivi­lisationsform - Da lebte man in den übersinnlichen Welten, wenn auch durch ein instinktives menschliches Erkennen, da lebte man aber doch mit diesen übersinnlichen Welten so, wie in der Gegen­wart eine spätere Menschheit mit der sinnlichen Welt lebt. Für den alten Orientalen war die geistige Welt durchaus etwas Erschlossenes. Für den alten Orient war die geistige Welt etwas, was für den Men­schen so da war in bezug auf ihre Wesenheiten, wie für den späteren

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Menschen, nun, sagen wir, die anderen Menschen sind, die als seine Nebenmenschen neben ihm da sind, und der Grieche hatte aus dieser lebendigen übersinnlichen Welt heraus sein Begriffssystem gebildet. Die griechischen Ideen waren bis auf Aristoteles herunter im 4. Jahrhundert der vorchristlichen Zeit nicht solche abstrakte Ideen, die an der äußeren sinnlichen Beobachtung gewonnen und dann hinaufabstrahiert waren, diese griechischen Ideen waren noch herausgeboren aus der lebendigen übersinnlichen Welt, aus einer uralten Anschauung. Diese lebendigen griechischen Ideen durch­seelten, durchwärmten noch den Menschen, gaben ihm noch den nötigen Enthusiasmus zu seiner Art des sozialen Lebens, insofern er an diesen Ideen teilnehmen konnte. Gewiß, man darf niemals vergessen, daß ein großer Teil des griechischen Volkes nicht teilneh­men durfte; es war das die weitausgebreitete Sklavenwelt. Aber die­jenigen Menschen, welche die Träger der griechischen Kultur waren, die waren eben durchaus in einer Ideenwelt, die im Grunde genom­men ein Herunterstrahlen übersinnlich-geistiger Mächte in die Welt des Irdischen war.

Demgegenüber nahm sich allerdings die römische Welt, die nur durch das Meer abgeschieden war von der griechischen Welt, ganz abstrakt aus. Die Römer bezeichneten ihre Götter, man möchte sagen, in derselben nüchternen, trockenen Weise, wie unsere Natur-forscher ihre Naturgesetze bezeichnen. Und wenn sich schon darin der bedeutsame Umschwung ausdrückt, auf den ich hier hinzuwei­sen habe, so tritt er uns noch ganz besonders entgegen, wenn wir nun recht aufmerksam hinschauen auf eine seelische Tatsache, die sich nur halb in der Weltentwickelung ausgelebt hat, die nicht voll­ständig zur Entwickelung gekommen ist. Betrachten Sie einmal das Schicksal des alten griechischen Volkes. Dieses Schicksal des alten griechischen Volkes hat eine gewisse Tragik in sich - Dieses griechi­sche Volk, nach seiner großen Blüte siecht es dahin; es verschwindet im Grunde genommen doch aus der Weltgeschichte. Denn was in seinem Territorium dann als ein Schatten hingetreten ist, ist ja nicht eine wirkliche Nachkommenschaft. In schwerer weltgeschichtlicher Krankheit siecht das griechische Volk dahin und bringt aus seinen

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alten Ideen etwas heraus, das, ich möchte sagen, die Morgenröte aller späteren Kultur ist, bringt den Stoizismus, den Epikuräismus aus sich hervor, in denen sich als in bestimmten Lebensanschau­ungen schon vorausverkündet, was dann in der abendländischen Zivilisation auf viel abstraktere Art gewonnen wird - Aber man sieht es auch dem Stoizismus, dem Epikuräismus an, man sieht es selbst der späteren griechischen Mystik an, daß sie ausdrücken ein Hin-siechen des alten Griechentums.

Warum mußte denn in der Weltenentwickelung dieses Griechen-rum krank werden und dann im Grunde genommen absterben? -Man möchte sagen, in diesem Krankwerden und Absterben des alten Griechenvolkes liegt ein bedeutsames weltgeschichtliches Mysterium - Ja, dieses Griechenvolk sah noch mit dem, was es als einen Nachklang der alten orientalischen Weltanschauung herüber-bekommen hatte, den seelisch-geistigen Menschen in seinem vollen Lichte. Und in den älteren Zeiten der griechischen Kultur sah sich doch jeder Mensch an als ein seelisch-geistiges Wesen, das aus gei­stigen Welten durch die Geburt oder durch die Empfängnis herun­tergestiegen ist, das seine Heimat hat in übersinnlicher Sphäre, das berufen ist zu übersinnlichen Sphären. Aber es fühlte zu gleicher Zeit, dieses Griechenland, selbst noch in seiner Blütezeit - ich habe das oftmals erwähnt - seinen weltgeschichtlichen Niedergang. Es fühlte, daß der Mensch nicht Mensch werden kann auf der Erde durch dieses Hinaufschauen, durch dieses alleinige Hinaufschauen in übersinnliche Welten. Es fühlte sozusagen sich umschlungen und durchdrungen von den irdischen Mächten. Daher jener uralte griechische Spruch: Besser ein Bettler zu sein in der sinnlichen Welt, als ein König im Reiche der Schatten. - Der Grieche hatte in seinen alten Zeiten noch allen Glanz der übersinnlichen Welt geschaut; aber er hat zu gleicher Zeit dadurch, daß er in diesem Griechenland ganz Mensch wurde, gefühlt, wie er ihn nicht erhalten kann, diesen Glanz der geistigen Welten, wie er ihm verlorenging, und wie sein Seelisches verstrickt wurde in die irdischen Dinge, und er fürchtete sich gewissermaßen vor dem Sterben deshalb, weil die Seele durch das Leben zwischen Geburt und Tod entfremdet werden kann ihrer

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übersinnlichen Heimat. Man muß das Griechentum durchaus nach diesem Gefühle schildern.

Solche Menschen wie Nietzsche, sie haben im Grunde genom­men richtig gefühlt - Nietzsche hat richtig gefühlt, wenn er das Zeit­alter der griechischen Entwickelung, das dem sokratischen, dem platonischen vorangegangen ist, das tragische Zeitalter griechischer Entwickelung genannt hat. Denn schon bei den Denkern Thales, namentlich aber bei Anaxagoras, Heraklit sehen wir hinabdämmern eine großartige Weltanschauung, über die die heutige Geschichte so gar nichts mehr vermeidet. Wir sehen die Furcht, entfremdet zu werden der übersinnlichen Welt und verbunden zu werden mit dem, was einem einzig und allein bleibt beim Durchgang durch das Leben zwischen Geburt und Tod, verbunden zu werden mit der Welt des Hades, mit der Schattenwelt, die im Grunde genommen dem Menschen zuteil wird. Aber der Grieche hatte doch etwas geret­tet, gerettet dasjenige, was in seiner schönsten Blüte erscheint in der platonischen Idee. Ich möchte sagen, mit dem absterbenden Siech­tum tritt diese platonische Ideenwelt, der letzte glanzvolle Rest des alten Orients auf, der selber dann bestimmt ist zu sterben im Aristo­telismus, aber es tauchen eben doch auf diese griechischen Ideen. Und fortwährend empfand der Grieche, wie das Ich des Menschen im menschlichen Leben eigentlich etwas Verlorengehendes ist. Das war im Grunde genommen Grundempfindung der Griechen Nehmen Sie die Schilderung, die ich über die Ich-Entwickelung in meinen «Rätseln der Philosophie» gegeben habe, wie da das Ich mit dem Denken verbunden war, mit der äußeren Wahrnehmung. Da aber mit dem Denken das ganze Ich-Erleben zusammenhängt, so fühlte der Mensch auch das Ich noch weniger in seiner eigenen Leib­lichkeit drinnen, als er es verbunden fühlte mit alledem, was draußen in der Welt lebt, mit dem Blühen der Blumen, mit dem Blitzen und Donnern draußen im Weltenraum, mit den hinstür­menden Wolken, mit den Bäumen, mit dem aufsteigenden Nebel und dem herabfallenden Regen. Mit alledem verknüpft fühlte der Grieche sein Ich. Er fühlte sozusagen mit den Kräften des Ichs, gleichsam ohne das Gehäuse dieses Ichs; er fühlte vielmehr: Wenn

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ich hinauswende den Blick auf die Blumenwelt, da haftet mein Ich, da blüht es mit den Blumen. - Das fühlte er. Und man kann eben schon sagen, diese griechische Kultur konnte sich nicht fortsetzen. Wie aber wäre sie geworden, wenn sie sich fortgesetzt hätte? Es lag gar nicht in ihr die Möglichkeit, sich in gerader Linie fortzusetzen. Was wäre aus ihr geworden? - Der Mensch hätte nach und nach sich gefühlt als ein Erdenwesen, das untermenschlich ist, und das, was das eigentlich Geistig-Seelische im Menschen ist, das hätte man ge­fühlt wie etwas, was eigentlich in den Wolken und in den Blumen, in den Bergen, in Regen und Sonnenschein wohnt und das da kommt, einen zu besuchen. Gefühlt hätte man nach und nach, wenn die griechische Kultur in gerader Linie sich weiterentWickelt hätte, daß man ja, wenn man des Abends einschläft, das Heran-nahen seines eigenen Ichs in seinem Glanze erfühlen kann, daß es einen da besonders besucht. Aber gefühlt hätte man auch, daß, wenn man wiederum des Morgens aufwacht und sich einläßt auf die Welt der niederen Sinne, daß man dann eigentlich nur als Erden­mensch das äußerliche Gehäuse ist. Eine gewisse Fremdheit gegen­über dem Ich wäre eingetreten bei einer geradlinigen Fortentwicke­lung desjenigen, was man gefühlsmäßig merken kann als den eigentlichen Grundton, als das eigentliche Grundtemperament der griechischen Natur.

Das war notwendig, daß gewissermaßen das den Menschen ent­fliehende Ich, das hinaus in Natur und Kosmos enffliehende Ich, daß das gefestigt wurde in der menschlichen Innenwesenheit als einer organischen, auf der Erde wandelnden Wesenheit. Dazu bedurfte es eines kräftigen Impulses. Das war ja die Eigentümlichkeit des Orientalismus, daß er zwar scharf auf das Ich hingewiesen hat, gerade dadurch hingewiesen hat, daß er die wiederholten Erden-leben in bezug auf die menschliche Lebensauffassung lehrte, daß aber zu gleicher Zeit in ihm die Tendenz lag, dieses Ich dem Menschen zu entfremden, dieses Ich dem Menschen zu nehmen. Deshalb hatte das Abendland, das sich eben nicht bis zur griechi­schen Höhe emporschwingen konnte, auch nicht die Kraft, die griechische Weisheit entgegenzunehmen in ihrer vollen Gestalt, es

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ließ sie sozusagen zurückfluten nach dem Orient. Es hatte auch nicht die Kraft, den Mithraskultus zu übernehmen, es ließ auch ihn zu­rückfluten nach dem Orient. Es hatte nur die Kraft, aus der vollen Robustheit des Menschen heraus, aus der irdischen Menschennatun heraus sich erzählen zu lassen die rein tatsächlichen Vorgänge von Palästina und sie bekräftigen zu lassen durch die konzilienmäßig festgesetzte Dogmatik. Gewissermaßen zunächst in einen Persön­lichkeits-Materialismus wurde der europäische Mensch hineinge­stellt.

Das zeigt sich dann am intensivsten in dem Umschwung im 4. nachchristlichen Jahrhundert. Da schwindet allmählich alles nach Asien zurück, was ein tieferes Erfassen des Christentums gebracht hätte, was einen Kultus hätte bringen können, welcher den Christus als den Triumphierenden hätte ansehen können, nicht bloß als den­jenigen, der unter den schweren Lasten des Kreuzes hinuntersinkt und dessen Triumphieren man nur ahnen kann hinter dem Kruzi­fixus. Es handelte sich für das Abendland bei diesem Zurückfluten­lassen der Weisheit und des alten Zeremonialdienstes um die Befe­stigung zunächst des Ichs. Aus der robusten Kraft der nordischen Barbarenvölker ging hervor dasjenige, was die Kraft dieser Befesti­gung des Ichs im irdischen Organ des Menschen sein sollte - Und während sich das vollzog in den Gegenden der Donauländer, in denen, die etwas südwärts davon waren, im Süden Europas, im Westen Europas, verpflanzte sich nun vom Orient herüber in anderen Gestalten, als was früher orientalische Weisheit war, der Arabismus. Der Arabismus pflanzte sich nach Spanien hinein fort, und man sah den Südwesten Europas überflutet von einer phanta­stischen Verstandeskultur, die es in der äußeren künstlerischen Welt nur bis zu der Arabeske brachte, die es nicht bis zu einem Durch­dringen des Organischen mit dem Geistig-Seelischen brachte. So war Europa erfüllt auf der einen Seite von der Erzählung des rein Tatsächlichen in bezug auf die Kultushandlungen, so war es auf den anderen Seite erfüllt mit einer abstrakt phantastischen Wahrheit, Weisheit, mit demjenigen, was dann flltriert die reine Verstandes-kultur bildete und was über Spanien nach Europa hereinkam.

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Innerhalb dieser Welt, in welcher also nur die rein auf das Äußerliche bezüglichen Erzählungen von den Ereignissen in Palä­stina lebten, in welcher nur das lebte, was an phantastischer Verstan­desweisheit durch den Arabismus gekommen war, in dieser Welt tauchten auch einzelne Menschen auf - einzelne gibt es ja immer wieder und wiederum innerhalb des Gros der Menschheit -, denen etwas aufging von dem, wie eigentlich die Sache war. Es stieg in ihrer Seele auf, daß es ja ein großes christliches Geheimnis gibt, für das die höchste Weisheit nicht hoch genug ist, um es in seiner ganzen Bedeutung zu durchdringen, für das das intensivste Fühlen nicht stark genug ist, um dafür einen Zeremonialdienst auszubilden, daß eben von dem Kreuz von Golgatha etwas ausging, was mit höchster Weisheit und kühnstem Gefühle erfaßt werden müsse. Das ging in einzelnen Menschen auf. Und ihnen stieg so etwas auf, wie die bedeutsame Imagination: In dem Brote des Abendmahles war etwas vorhanden wie eine Synthesis, wie eine Zusammenfassung der Kraft des äußeren Kosmos, der mit alledem, was aus dem Kosmos an Kräfteströmung herunterkommt auf die Erde, diese Erde durch­dringt, aus dieser Erde hervorzau bert die Vegetation; dann wird das­jenige, was da aus dem Kosmos der Erde anvertraut wird, was dann aus der Erde hervorquillt, zusammengefaßt synthetisch im Brote und konstituiert den menschlichen Leib.

Und etwas anderes noch ging durch alle Nebel, möchte ich sagen, die sich hinübergezogen haben über die alten Traditionen, etwas anderes ging auf diese europäischen Weisen über, etwas, was ja allerdings im Orient seinen Ursprung genommen hat, was aber eben durch die Nebel durchdrang und von einzelnen verstanden wurde. Das war das andere Mysterium, das sich an das Mysterium des Brotes anreihte, das Mysterium von der heiligen Schale, in welcher Joseph von Arimathia aufgesammelt hat das herunterträufelnde Blut des Christus Jesus, das war die andere Seite des Weltengeheimnisses. Wie im Brote zusammengenommen ist alles dasjenige, was der Ex­trakt des Kosmos ist, so ist im Blute zusammengenommen alles das­jenige, was der Extrakt der menschlichen Natur und Wesenheit ist, in Brot und Blut, wofür ja der Wein nur das äußere Symbolum sein

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sollte, in Brot und Blut drückte sich das aus für diese europäischen Weisen, die wirklich wie aus geheimnisvollen Mysterienorten sich herausentwickelt hatten, weit hinausragend über das Gros der euro­päischen Bevölkerung, das nur die Tatsachen von Palästina hören konnte und das, wenn es zur Gelehrsamkeit heranwuchs, nur sich allmählich hineinfand in die abstrakte Phantastik des Arabismus. Bei diesen Menschen, die sich ebenso auszeichneten durch etwas, was wie eine reifste, überreife Frucht orientalischer Weisheit war und zugleich eine reifste Frucht europäischen Empfindens und Fühlens, bei ihnen entwickelte sich dasjenige, was sie nannten das Geheimnis des Grals. Aber, so sagten sie sich, auf der Erde ist nicht zu finden, was das Geheimnis des Grales ist.

Die Menschen sind gewohnt worden, einen Verstand zu ent­wickeln, wie er ja seine höchste Blüte trieb im Arabismus. Die Men­schen sind gewohnt, nicht hinzuschauen auf den Sinn der äußeren Tatsachen, sondern lediglich sich diese äußeren Tatsachen ihrer sinnenfälligen Wirklichkeit nach erzählen zu lassen. Durchdringen muß man zu demjenigen, was in dem Geheimnis des Brotes ist, das ja in derselben Schale gebrochen worden sein soll durch den Christus Jesus, in der dann das Blut durch Joseph von Arimathia aufgefangen worden ist, welche Schale dann entrückt worden ist nach Europa, aber, wie die Sage sagt, so von Engeln über der Erdoberfläche, hoch oben über der Erdoberfläche gehalten wurde, bis Titurel kam, der diesem Gral, dieser heiligen Schale, dieser das Mysterium des Brotes und Blutes umfassenden Schale den Tempel auf dem Montsalvatsch schuf. In heiliger spiritueller Tempelstätte wollten schauen die­jenigen, die auf diese Weise europäische Mysterienweise geworden waren, durch die Nebel der Abstraktion hindurch und durch die Nebel der reinen Tatsachenerzählungen hindurch das Geheimnis vom Gral, das Geheimnis vom Kosmos, das verschwunden war mit der ätherischen Astronomie, das Geheimnis vom Blute, das ver­schwunden war mit der alten medizinischen Anschauung. Wie die alte medizinische Anschauung übergegangen ist in abstraktes Den­ken, so ist übergegangen die alte ätherische Astronomie in abstraktes Denken. Das hatte sich in der höchsten Blüte zu einer bestimmten

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Zeit gerade durch die Araber in Spanien abgelagert. In diesem Spa­nien war es, wo man äußerlich unter den Menschen nicht finden konnte das Geheimnis des Grales. Da war nur abstrakte Verstandes-weisheit. Bei den Christen war nur äußere Tatsachenerzählung, bei den Arabern, bei den Mauren phantastische Verstandesentwicke­lung. Und in Höhen nur über dieser Erde schwebte der Heilige Gral, und nur von denjenigen, denen von göttlichen Mächten dazu die Fähigkeiten gegeben wurden, konnte betreten werden dieser spiri­tuelle Tempel, dieser Heilige Gral, dieser die Geheimnisse des Brotes und Blutes umschließende Tempel. Es ist kein Zufall, daß er gefunden werden sollte in Spanien, wo wirklich meilenweit aus dem, was die irdische Tatsächlichkeit bot, herausgeschritten werden mußte, wo durchbrochen werden mußten dornige Hecken, um vor­zudringen zu dem spirituellen Tempel, welcher den Heiligen Gral umschloß.

Aus solchen gefühlsmäßigen Voraussetzungen heraus entwickelte sich die Anschauung des Heiligen Grals. Die unsichtbare Kirche, die übersinnliche Kirche, die doch aber auf Erden zu finden ist, das war es, was sich mit dem Mysterium des Grals umhüllte. Es war ein un­mittelbar Daseiendes, das aber derjenige nicht findet, der sein In­neres teilnahmslos der Welt gegenübersteht. In alten Zeiten, da sind die Mysterienpriester aus den Mysterien hinausgegangen in die Welt, haben Umschau gehalten unter den Menschen, haben aus dem Anblicke der menschlichen Aura sich gesagt: Das ist einer, den wir hereinnehmen müssen in die Mysterien; das ist ein anderer, den wir hereinnehmen müssen in die Mysterien. - Man brauchte nicht zu fragen, man wurde erwählt. Es brauchte nicht im Inneren des Menschen selber die Aktivität zu entspringen, man wurde erwählt, man wurde hineingeholt in die heiligen Mysterienstätten. Diese Zeit war um das 11., 12. und das 9., 10. Jahrhundert schon vorbei. Befe­stigt mußte im Menschen durch die Christus-Kraft, die eingezogen war in die europäische Zivilisation, dasjenige sein, was ihn drängte zu fragen: Was sind die Geheimnisse des Daseins? - Und keiner konnte sich dem Grale nähern, der teilnahmslos schläfrig mit seinem Inneren die Außenwelt durchwanderte und durchschritt. Allein derjenige,

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so sagte man, könne eindringen in die Wunder, das heißt in die Geheimnisse des Heiligen Grals, der in seiner Seele den Antrieb empfand, zu fragen nach den Geheimnissen des Daseins, des kosmi­schen Daseins und des innermenschlichen Daseins. Und seither ist es im Grunde genommen so geblieben. Nur nachdem um die Mitte des Mittelalters herum die Menschen ernst hingewiesen worden waren auf dieses Fragestellen, auf dieses Fragensollen, trat zunächst seit dem Beginne des 14. Jahrhunderts, das heißt im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts, der große Rückschlag ein. Immer weniger und weniger blieben von denen, die da fragten nach den Wundern des Heiligen Grals, immer inaktiver und inaktiver wurden die Seelen. Sie sahen nunmehr hin nach den äußeren Gestaltungen der mensch­lichen Wesenheit auf Erden und nach dem, was sich anschauen läßt und was sich zählen und wägen und messen und errechnen läßt im Kosmos. Aber geblieben ist auch diese schon im frühen Mittelalter in die europäische Zivilisation hereintretende heilige Aufforderung: zu fragen nach den Geheimnissen des Kosmos ebensowohl wie nach den inneren Geheimnissen des Menschen, das heißt nach den Mysterien des Blutes. Die Menschen haben ja in den verschiedensten Phasen durchgemacht dasjenige, was notwendigerweise der Materia­lismus mit all seinen Kräften über die europäische Zivilisation brin­gen mußte. Es waren schon eindringliche Worte, wenn sie auch viel­fach verklungen sind. Man muß nur bedenken, wie groß die Mög­lichkeit war, daß bedeutsame Worte erklingen konnten innerhalb der europäischen Zivilisation. Dasjenige, was für ein bestimmtes Zeitalter geschaffen war, das Erzählen der äußeren Tatsache von Palästina, das Durchdringen dieser äußeren Tatsache mit dem Ara­bismus, was dann die Scholastik des Mittelalters besorgt hat als mit­telalterliche christliche Philosophie, das war für ein gewisses Zeit­alter groß. Aber so, wie es sich herausentwickelt hat aus einer Zeit größerer Weisheit und größerem Zeremoniellen, die nur zurückge­schoben wurden in den Orient, so hat es das, was sich da heraus­gebildet hat, auch nicht verstanden: hinzuhorchen auf die über­sinnlichen Mysterien des Christentums, auf die Mysterien des Hei­ligen Grals. Und all die wirklich eindringlichen Stimmen, die ertönt

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haben im Frühlingsalter - es waren ihrer nicht wenige -, sie sind ebenso zum Verstummen gebracht worden durch den immer mehr und mehr in die Dogmatik hinein versinkenden Katholizismus Roms, wie die Gnosis - wie ich ja auch gestern wiederum angedeutet habe - mit Stumpf und Stiel ausgerottet worden ist.

Man darf nicht negativ urteilen über das Zeitalter vom 4. nach­christlichen Jahrhundert bis ins 12., 13. Jahrhundert herein, weil von den zahlreichen, ich möchte sagen, mit heiliger Süße und Über­reifheit durch die europäische Zivilisation, die im übrigen barbarisch war, hindurchklingenden Stimmen nur die etwas ungehenke eines Menschen zurückgeblieben ist, der nicht schreiben konnte, die des Wolfram von Eschenbach. Er ist noch groß genug; ihn hat das­jenige übriggelassen, was als Dogmatik sich in Europa festgesetzt hat und was im Grunde genommen dasjenige ausgerottet hat, was an mächtigen Stimmen, aber eben unter Kampf und Bitterkeit den Ruf nach dem Heiligen Gral ertönen ließ. Und diejenigen, die ertönen ließen den Ruf nach dem Heiligen Gral, sie wollten ihn schon als in der dumpfen Seele heraufdämmernde Freiheit ertönen lassen. Sie wollten dem Menschen nicht seine Freiheit nehmen, sie wollten ihm nichts aufdrängen, er sollte ein Fragenden sein. Er sollte aus den Tiefen seines Seelenwesens heraus nach den Wundern des Grals fra­gen. Was da an geistigem Leben untergegangen ist, war wahrhaftig noch größer als sein Gegenspiel, wenn dieses auch nicht einer ge­wissen Größe entbehrt. Und als dann dasjenige, was als einen geisti­gen Weg bezeichnet hatten die Diener des Heiligen Grals, abgelöst wurde von dem physischen Weg nach dem physischen Jerusalem im Orient drüben, abgelöst wurde der Kreuzweg nach dem Gral durch die Kreuzzüge nach dem physischen Jerusalem, und als dann Gott­fried von Bouillon im Gegensatz zu Rom ein äußerliches Reich in Jerusalem aufrichten wollte, aus seinem Empfinden heraus seinen Ruf «Los von Rom» ertönen ließ, da war dieser allerdings weniger suggestiv als derjenige des Peter von Amiens, der wie eine gewaltige Suggestion wirkte, um dasjenige, was die Diener des Heiligen Grals spirituell gemeint hatten, in das Materialistische zu übersetzen.

Das war auch einer der Wege, die durch den Materialismus gegangen

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worden sind, der Weg nach dem physischen Jerusalem statt nach dem spirituellen Jerusalem, das in Titureis Tempel bergen sollte dasjenige, was von dem Mysterium von Golgatha in dem Heili­gen Gral übriggeblieben war. Titurel, so sagte man, habe ihn aus den Wolken, wo ihn die Engel schwebend gehalten haben -während Arabismus und rein äußere Tatsachenerzählungen herrschten -, Ti­turel habe ihn heruntergebracht, den Heiligen Gral, auf die Erden-sphäre. Aber das materialistische Zeitalter fing nicht an, nach ihm zu fragen. Einsame Menschen, vereinzelte Menschen, Menschen in der «Dumpfheit», nicht gerade in der Weisheit, wie der Parzival, waren es, welche Wege antraten zu dem Heiligen Gral, aber sie verstanden es im Grunde genommen auch nicht richtig, die entspre­chende Frage zu stellen. Und voran ging schon dem geistigen Mate­rialismusweg, der dann in dem ersten Drittel des 14. Jahrhunderts begann, der andere Materialismusweg, der im Grunde genommen schon in der Wendung nach dem Osten hinüber war, nach dem physischen Jerusalem. Und diese Tragik erlebte die moderne Mensch­heit, die eben durch diese Tragik hindurchgehen mußte und muß, um sich in dieser Tragik innerlich zu ergreifen und so recht zu Fragenden zu werden. Diese Tragik mußte und muß die moderne Menschheit erleben, daß das Licht, das ihr einstmals aus dem Osten gekommen war, nicht erkannt wurde als spirituelles Licht, daß das spirituelle Licht zurückgeschoben worden ist und dafür gesucht wor­den ist das physische Land, die physische Materialität des Orients. Den physischen Orient fing man an im Mittelalter zu suchen, nach­dem man im Ausgang des Altertums den spirituellen Orient zurück­gestellt hatte.

Das ist die europäische Situation, und in dieser europäischen Si­tuation ist auch unsere heutige noch. Denn noch sind wir, wenn wir den wahren innersten Ruf der Menschheit verstehen, Suchen nach dem Heiligen Gral und müßten es sein, Sucher nach dem Heiligen Gral. Noch müssen die Bestrebungen der Menschheit, wie sie, ange­fangen in den Kreuzzügen, hervortreten, die Umwandlung, die Metamorphose ins Spirituelle erfahren. Noch müssen wir wiederum kommen zu einem solchen Erfassen der kosmischen Welten, daß wir

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den Ursprung des Christus in diesen kosmischen Welten suchen können. Solange diese kosmischen Welten nur mit der äußeren physischen Astronomie erfaßt werden, können sie selbstverständlich nicht als die Heimat des Christus aufgefaßt werden, denn aus dem, was heute der Astronom lehrt als das Geheimnis des Himmels, für dessen Beschreibung er nur die Geometrie, die Mathematik, die Mechanik hat, für dessen Anschauung er nur das Teleskop hat, aus diesem Himmel kann der Christus nicht herabgestiegen sein auf die Erde, um sich in dem Menschen Jesus von Nazareth zu verkörpern. Denn diese Verkörperung, sie kann auch nicht verstanden werden, wenn man lediglich den Menschen kennenlernt, so wie man ihn, um ihn zu erforschen, aus dem lebendigen Leben heraus in die Klinik bringt, wo man den Leichnam seziert, um sich dann von der Leiche Vorstellungen über den lebendigen Menschen zu machen. Die Alten hatten eine lebendige Astronomie, sie hatten eine lebendige Medizin. Suchen müssen wir wiederum nach einer lebendigen Astronomie, nach einer lebendigen Medizin. So wie uns eine leben­dige Astronomie zeigen wird einen Himmel, einen Kosmos, der wirklich von jener Geistigkeit durchdrungen ist, aus der der Christus heruntersteigen kann, so wird uns die verlebendigte Medizin den Menschen wiederum so vorführen, daß wir ihn ergreifen mit unserem Wissen, mit unserem Erkennen bis in sein Geheimnis des Blutes hinein, bis in diejenige organische innere Sphäre, wo sich die Kräfte des ätherischen, des astralischen Leibes, des Ichs umwandeln in das physische Blut. In dem Augenblicke, wo wir das Geheimnis des Blutes ergriffen haben von einer wirklich medizinischen Erkennt­nis und wo wir begriffen haben die Weltensphäre, die kosmische Sphäre durch eine durchgeistigte Astronomie, werden wir verstehen, wie aus diesen kosmischen Sphären der Christus heruntersteigen konnte auf die Erde und wie er finden konnte auf der Erde den Menschenleib, der mit seinem Blute ihn aufnehmen konnte. Es ist das Geheimnis des Grais, das im Ernste auf diese Weise gesucht werden muß: uns mit dem ganzen Menschen, mit Kopf und Herz auf diesen Weg nach dem spirituellen Jerusalem zu machen. Das ist die Aufgabe der modernen Menschheit.

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Es ist merkwürdig, wie dasjenige, was geschehen soll, objektiv durch die Sphäre des Daseins webt. Und wenn es nicht in richtigen Weise Empfindung wird, so wird es äußerlich empfunden, wird es äußerlich vermaterialisiert. Wie die Christen zuerst nach Jerusalem gezogen sind, so ziehen jetzt Ansammlungen des jüdischen Volkes nach Jerusalem, damit wiederum eine Phase des Materialismus zum Ausdruck bringend, zeigend, wie dasjenige, was geistig verstanden werden sollte von der modernen Menschheit in allen ihren Teilen, nun doch materialistisch verstanden wird. Aber es muß die Zeit kommen, in der in der richtigen Weise wiederum das Geheimnis des Grals empfunden werden kann. Sie wissen, ich habe es erwähnt in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß», ich habe es gewissermaßen in den Text verwebt, der dasjenige ausspricht, was auf diesem Wege der Geisteswissenschaft gesucht werden soll, und ich habe dadurch hingedeutet auf dasjenige, was wir uns erobern müssen als eine Art Bild und Imagination für das, was aber in ernster Geistesanstrengung und mit tiefem menschlichem Fühlen gesucht werden soll eben als der Weg zum Gral.

Wir wollen morgen wiederum hier darüber weiter reden.

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SECHSTER VORTRAG Dornach, 17. April 1921

In diesen Tagen habe ich mich bemüht, zu zeigen, wie die abend­ländische Zivilisation entstanden ist, wie ein bedeutsamer, ein ge­waltiger Einschnitt in der Menschheitsentwickelung überhaupt zu verzeichnen ist im 4. nachchristlichen Jahrhundert, und es ist not­wendig gewesen, darauf hinzuweisen, wie das Griechentum allmäh­lich gewissermaßen zu dieser Abenddämmerung hin sich entwickelt hat, wie dann aus ganz anderen Impulsen heraus die Mittel- und Westeuropäische Zivilisation entstanden ist, und wie die Auffassung des Christentums sich unter diesen Einflüssen herausgebildet hat. Versuchen wir zunächst von einem gewissen anderen Gesichtspunkte aus noch einmal auf die entsprechenden Tatsachen hinzuweisen. Das Christentum entsteht im westlichen Orient aus dem Mysterium von Golgatha heraus. Die orientalische Kultur war in ihrer besonderen Eigenart schon durchaus im Sinken. Die alte Urweisheit war in ihren letzten Phasen vorhanden in dem, was sich herausbildete gegen Vor­derasien, Griechenland zu als Gnosis. Diese Gnosis war immerhin noch eine solche Weisheit, welche in der verschiedensten Art zusam­menfaßte, was dem Menschen vorlag an Welt- und Naturerschei­nungen. Sie hatte aber doch schon im Verhältnis zu dem unmittel­baren anschaulich-instinktiven Einblicke in die geistige Welt, der eigentlich der orientalischen Entwickelung zugrunde lag, sie hatte demgegenüber einen schon mehr, man könnte sagen intellektuellen, verstandesmäßigen Charakter. Es war das geistige Leben, das im alten Orient alles menschliche Anschauen durchdrang, nicht mehr vorhanden. Und eigentlich aus den letzten Resten der alten Urweis­heit heraus suchte man jene philosophisch-menschliche Anschauung zusammenzusetzen, die man als Weisheitsgut anwendete, um das Mysterium von Gohgatha zu verstehen. Es wurde gekleidet das­jenige, was im Mysterium von Golgatha lag, in die Weisheit, die sich; ins Griechentum herüber vom Orient gerettet hatte.

Nun fassen wir einmal diese Weisheit ganz im geisteswissenschaftlichen

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Sinne auf. Wenn wir den Menschen betrachten wollen, so wie er sich dieser Weisheit einstmals hingegeben hat, so finden wir, daß im alten Orient das Wesentliche doch war, daß der Mensch mit dem, was in ihm sein astralischer Leib wirkte, mit dem, was er durch seinen astralischen Leib in seiner Seele erleben konnte, die Welt ansah, auch wenn sich Empfindungsseele, Verstandes- oder Gemütsseele herausgebildet hatten. Es war der astralische Leib, welcher in diese seelischen Glieder des Menschen hineinwirkte und welcher den Men­schen befähigte, den Blick eigentlich abzuwenden von den irdischen Erscheinungen, dasjenige noch klar zu durchschauen, was im Gei­stig-Übersinnlichen aus dem Kosmos hereindringt. Der Mensch hatte noch nicht eine Ich-Anschauung der Welt. Sein Ich sprach nur dumpf. Sein Ich war für den Menschen noch nicht eine eigentliche Frage. Der Mensch lebte im Astralischen und in diesem Astralischen lebte er noch in einem gewissen Einklang mit den ihn umgebenden Welterscheinungen. Gewissermaßen war für ihn die eigentlich rätsel­hafte Welt diejenige, die er mit seinen Augen erblickte, diejenige, die sich abspielte als Menschenwelt um ihn herum. Dagegen war für ihn die verständliche Welt die übersinnliche Götterwelt, die Welt, in welcher die geistigen Wesenheiten ihr Dasein hatten. Der Mensch blickte hinüber zu diesen geistigen Wesenheiten, zu ihren Hand­lungen, zu ihren Geschicken. Das war ja das Wesentliche in der Anschauung des alten Orients, daß der Blick hingerichtet war auf diese geistigen Welten. Aus den geistigen Welten heraus wollte man die sinnliche Welt verstehen.

Wir stehen heute als innerhalb unserer Zivilisation befindlich auf dem gegenteiligen Standpunkte. Uns ist die sinnlich-physische Welt gegeben, und von ihr aus wollen wir die geistige Welt irgend­wie begreifen, wenn wir das überhaupt wollen, wenn wir es nicht ab­lehnen, wenn wir nicht im bloßen Materialismus stecken bleiben. Die materielle Welt betrachten wir als das Gegebene. Der alte Orien­tale betrachtete die geistige Welt als das Gegebene. Aus der materiel­len Welt wollen wir etwas herausbekommen, um die Wunderbarkeit der Erscheinungen, die Zweckmäßigkeit des Baues der Organismen und so weiter zu verstehen, und aus dieser physisch-sinnlichen Umwelt

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wollen wir uns die übersinnliche beweisen. Der alte Orientale wollte die physisch-sinnliche Umwelt aus der ihm gegebenen über-physischen, übersinnlichen Welt verstehen. Aus ihr heraus wollte er das Licht empfangen, er empfing es auch, und ohne es war ihm die physisch-sinnliche Welt überhaupt Finsternis und Bangigkeit. Und so empfand er auch dasjenige, was er als sein innerstes Wesen noch ganz vom astralischen Leibe durchstrahlt empfand, als aus den gei­stigen Welten hervorgegangen. Er sagte sich nicht: Ich bin herauser­wachsen aus dem irdischen Leben -, er sagte sich: Ich bin heraus-erwachsen aus dem göttlich-geistigen Wesen, ich bin herunterge­stiegen aus göttlich-geistigen Welten und das Beste, was ich in mir trage, ist die Erinnerung an diese göttlich-geistigen Welten. -Noch Plato, der Philosoph, spricht davon, wie der Mensch Erkennt­nisse hat, Erinnerungen aus seinem präexistenten Leben, aus dem Leben, das er geführt hat, bevor er heruntergestiegen ist in die physisch-sinnliche Welt. Der Mensch betrachtete sein Ich durchaus als einen Strahl, der hervorkam aus dem Lichte der übersinnlichen Welt. Für ihn war rätselhaft die sinnliche Welt, nicht die über­sinnliche Welt.

In Griechenland hatte dann diese Anschauung ihre Ausläufer gefunden. Der Grieche fühlte sich schon in seinem Leibe, aber er fühlte noch nicht in seinem Leibe irgendwie etwas, was diesen Leib besonders erklären konnte. Er hatte noch die Überlieferungen des alten Orients. Er schaute sich in gewissem Sinne an als etwas, was heruntergestiegen war aus den geistigen Welten, aber was in gewis­sem Sinne das Bewußtsein von diesen geistigen Welten schon verloren hatte. Es ist tatsächlich die letzte Phase des orientalischen Weisheitsiebens, die in Griechenland auftrat. Und aus dieser Welt-empfindung heraus sollte das Mysterium von Golgatha verstanden werden. Es legte ja dieses Mysterium dem Menschen das große Pro­blem vor, dieses ungeheure Lebensproblem: Wie hat das überwelt­liche, das übersinnliche Wesen, das kosmische Wesen, der Christus, seinen Platz finden können im menschlichen Leibe? - Die Durch­dringung des Jesus mit dem Christus, das war das große Problem, und wir sehen es aufleuchten überall in den gnostischen Bestrebungen.

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Aber der Mensch hatte ja von sich aus kein solches Verständnis des Zusammenhanges zwischen dem Übersinnlichen seines eigenen Wesens und dem Sinnlich-Physischen dieses Eigenwesens, und weil er an sich die Erkenntnis des Zusammenhanges des Geistig-Seelischen und des Leiblich-Physischen nicht hatte, wurde gerade für dasjenige, was unter dem Einfluß der griechischen Anschauung stand, das Mysterium von Golgatha ein unauflösliches Problem, aber ein Problem, mit dem das Griechentum rang, dem es seine besten Weisheitskräfte widmete. Die Geschichte überliefert viel zu wenig von dem, was da eigentlich stattfand an geistigen Kämp­fen.

Ich habe aufmerksam darauf gemacht, daß ja die gnostische Li­teratur ausgerottet worden ist. Würde sie noch da sein, diese gnosti­sche Literatur, so würde man in ihr sehen dieses tragische Ringen um das Verstehen des Zusammenlebens des übersinnlichen Christus mit dem sinnlichen Jesus, man würde dieses so außerordentlich tiefe Pro­blem in seiner Entwickelung sehen. Aber dieses Ringen ist ausge­löscht worden. Diesem Ringen wurde ein Ende gemacht durch das nüchterne, abstrakte Wesen, das vom Romanismus ausging, das nur durch, ich möchte sagen, Aufpeitschung der Emotionen dazu kommt, Innerlichkeit hineinzutragen in die Abstraktionen. Die Gnosis wurde überschüttet, und Dogmatik und Konzilsbeschlüsse wurden an die Stelle gesetzt. Durchtränkt wurden die tiefen An­schauungen des Orients, die nichts vomJuristischen hatten, mit einer Form, die das Christentum annahm in der mehr westlichen Welt, der damals westlichen Welt, der römischen Welt.

Aus diesem Römertum ging das Christentum hervor, indem es sozusagen durchjuristet wurde, indem überall juristische Begriffe einzogen, indem die römischen Staatsbegriffe über das Christentum sich ausbreiteten. Das Christentum nahm die Form des römischen Staatskörpers an, und wir sehen hervorgehen aus demjenigen, was einstmals die Weltenhauptstadt Rom war, die christliche Haupt­stadt Rom. Wir sehen, wie dieses christliche Rom annimmt vom alten Rom die besonderen Anschauungen, wie man Menschen regieren muß, wie man über Menschen seine Herrschaft ausdehnen

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muß. Wir sehen, wie sich ausbreitet eine Art kirchlichen Imperialis­mus, indem hineingegossen wird dasjenige, was das Christentum ist, in die römische Staatsform. Was in spirituelle Erkenntnisformen gegossen war, ging ein in juristisch-menschliche Staatsform. Das erste Mal wurde in einer gewissen Weise zusammengeschmiedet Christentum und äußerliche Staatsweisheit, und in dieser Form breitete sich da das Christentum dann aus. Im Christentum sind so tiefe Kräfte, im Christentum sind so gewaltige Impulse, daß sie natürlich tätig und fortwirkend sein konnten, trotzdem sie in die Form des römischen Staatstums hineingegossen waren. Und es konn­ten sich eben, als diese römische Staatsform die westliche Welt ergriff, neben dem forterhalten die schlichten Erzählungen, das Tatsächliche, was in Palästina geschehen ist.

Aber in dieser westlichen Welt war man in einer ganz besonderen Weise auf das Christentum vorbereitet und man war so vorbereitet, daß der Mensch sich aus seiner physischen Natur heraus erfaßte, sein Ich fühlte aus seiner physischen Natur heraus. Es zeigte sich da der Unterschied, als gewissermaßen das Christentum durchging durch die griechische Weht und diese griechische Welt abschmolz, es zeigte sich der gewaltige Unterschied dieses griechischen Christentums und desjenigen Christentums, das dann das eigentlich staatliche Chri­stentum war, das Herrschaftschristentum, das romanische Christen­tum. Und es zeigte sich dann mehr vom Norden herein jenes Chri­stentum, welches hineingegossen wurde in die nördlichen Menschen, die von den Griechen und Römern die Barbaren genannt worden sind, in jene nördlichen Menschen, welche aus ihrer Natur heraus, ich möchte sagen, ihr eigenes Wesen zusammenfassend ihr Ich fühl­ten und aus dem ganzen Menschen im Physisch-Sinnlichen, aus der menschlich-physisch-sinnlichen Ich-Verkörperung heraus sich be­griffen und nun auch dasjenige begreifen wollten, was als schlichte Erzählung sich bis zu ihnen fortpflanzte von den Vorgängen in Palästina. Und so stießen zusammen in dieser barbarischen Welt die schlichte Erzählung von den Vorgängen in Palästina mit dem, was Ich-Gefühl, ich möchte sagen, Bluts-Ich-Gefühl war, namentlich in der mittleren europäischen Welt und in der nordischen europäischen

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Welt. Diese Dinge stießen zusammen. Und man wollte begreifen, aus diesem Ich-Erfassen des Menschen heraus wollte man begreifen die schlichte Erzählung über die Vorgänge in Palästina. Ihren tiefe­ren Gehalt wollte man nicht erfassen. Mit Weisheit wollte man sie nicht durchdringen. Man wollte sie nur eben in das Physisch Sinn­lich Menschliche hereinziehen.

Man sieht, wie im «Heliand» ganz vermenschlicht und ganz in die europäische menschliche Welt, in diese Ich-Welt hereingezogen erscheinen diese Erzählungen über die Vorgänge in Palästina. Wir sehen, wie da alles vermenschlicht wird, wie da kein Vermögen vor­handen ist, so wie es Griechenland gemacht hat, mit Weisheitsgut zu durchdringen das Mysterium von Golgatha. Und es entwickelte sich der Drang, ohne Aufblick zum Übersinnlichen auch als schlichte menschliche Vorgänge darzustellen das Wirken des Christus Jesus in der Welt, immer mehr und mehr diese Erzählungen zu vermensch­lichen. Und dahinein wurde geschoben dasjenige, was sich vom ro­manisch-christlichen Imperium dogmatisch als Konzilsbeschlüsse ausbreitete; wie zwei einander fremde Welten schoben sich diese in­einander, jenes Christentum, welches sozusagen vereuropäisierte die Palästinaerzählung, und jenes Christentum, welches verjuristet­romanisiertes Griechentum war, abstrakt geworden war. Das ist das­jenige, was nun in den Jahrhunderten fortlebte, und in das sich hineinstellen konnten nur einzelne in der Weise, wie ich es gestern erzählt habe von den Weisen, die die Vorstellung über den Gral aus­gebildet haben und die darauf hingewiesen haben, daß ja einstmals in orientalische Weisheit gekleidet war der Impuls des Christentums, daß aber der Träger dieser orientalischen Auffassung, die Heilige Gralsschale, der Heilige Gral nach Europa nur so gebracht werden konnte, daß er über der Erde schwebend gehalten wurde von über­irdischen Geistern, und dann erst ihm eine verborgene Burg gebaut wurde, die Gralsburg auf dem Montsalvatsch. Aber es war auch zu­gleich daran die Vorstellung gefügt, daß der Mensch sich allein durch unwegsame Gebiete nähern könne demjenigen, was die Wunder des Heiligen Grales sind. Dann sagten diese Weisen nicht:

Sechzig Meilen ist der Umkreis, den man unwegsam zu absolvieren

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hat, wenn man zu den Wundern des Grales kommen will -, sondern dann sagten sie in einer viel esoterischeren Weise, wie dieser Weg zum Heiligen Gral eigentlich ist, dann sagten sie: Oh, diese Menschen Europas, sie kommen nicht zu dem Heiligen Gral, denn der Weg, den sie gehen sollen, um zum Heiligen Gral zu kommen, der ist so weit, wie der Weg von der Geburt bis zum Tode, und erst, wenn die Menschen am Tode ankommen, indem sie den für Europa unwegsamen Weg durchgemacht haben, der da sich erstreckt von der Geburt bis zum Tode, erst dann kommen sie bei der Gralsburg auf dem Montsalvatsch an. - Das war im Grunde genommen das esote­rische Geheimnis, das dem Schüler mitgeteilt wurde. Mitgeteilt wurde den Schülern - weil noch nicht erwacht war die Zeit, in der die Menschen mit klarem Bewußtsein sehen konnten, wie die geistige Welt wiederum gefunden werden kann -, mitgeteilt wurde den Schülern aus diesem Grunde, daß sie nur in einzelnen Licht-blitzen hineinkommen können zu der heiligen Gralsburg. Aber be­sonders tief wurde ihnen eingeschärft, daß sie zu fragen hatten, daß die Zeit gekommen sei in der Menschheitsentwickelung, in der der Mensch, wenn er nicht frägt, das heißt, wenn er nicht sein Inneres entwickelt, wenn er nicht aus sich heraus den Impuls der Wahrheit sucht, wenn er passiv bleibt, er nicht zu einem Erleben seines Selbstes kommen könne. - Denn der Mensch muß sein Ich finden aus seiner physischen Organisation heraus. Und dieses Ich, das aus der physischen Organisation heraus sich findet, das muß durch seine eigene Kraft sich wiederum hinaufschwingen, um sich da zu sehen, wo selbst noch in der älteren griechischen Zivilisation dieses Selbst gesehen worden ist, in übersinnlichen Welten. Das Ich muß sich erst wiederum hinaufheben, um sich zu erkennen als ein Übersinn­liches.

Im alten Orient sah man, was in dem astralischen Leibe vorging, und in dem astralischen Leibe sah man die Folge der früheren Erden-leben. Daher sprach man da von Karma. In Griechenland war die Vorstellung bereits abgeschattet. Man nahm nur noch dumpf astra­lisch die Weltgeschehnisse war. Daher sprach man unbestimmt vom Schicksal, vom Fatum. Diese Anschauung vom Schicksal, vom

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Fatum, ist nur eine Abschwächung, eine Ablähmung der vollen konkreten Vorstellung des alten Orients von dem Durchgang des Menschen durch die wiederholten Erdenleben, deren Folgen sich in dem Erleben innerhalb des astralischen Leibes, wenn auch nur in­stinktiv, aber doch ankündigten, so daß gesprochen werden konnte vom Karma, das sich ausbildete in den wiederholten Erdenleben, und dessen Folgen eben da waren in dem astrahischen Erleben.

Jetzt rückte man vor gegen den Westen zu in dem Ich-Erleben. Aber dieses Ich-Erleben war zunächst gebunden an den physischen Leib. Dieses Ich-Erleben war egoistisch in sich selber abgeschlossen. Dieses Ich-Erleben lebte zunächst in der Dumpfheit, das lebte, selbst wenn in ihm ein starker Impuls nach übersinnlichen Welten hin war, in der Dumpfheit; und Parzival, der pilgert nach dem Hei­ligen Gral, wird uns als ein Mensch in der Dumpfheit geschildert. Man muß es durchaus verstehen, daß, als der Mithrasdienst sich aus­breitete herüber aus dem Orient nach dem Westen, er von dem Westen zurückgewiesen wurde, nicht verstanden wurde. Denn der da auf dem Stier saß, der der Besiegen werden sollte der niederen Kräfte, der fand sich ja selbst als aus niederen Kräften hervorgehend. Sah der westliche Mensch den auf dem Stiere reitenden Mithras, so verstand er dieses Wesen nicht, denn dieses Wesen konnte ja nicht dasjenige sein, was das Ich herausempfindet und -erlebt aus seiner physischen Organisation. Es verging, verglomm das Verständnis für diesen reitenden Mithras.

Man kann sagen: Das alles mußte geschehen, denn das Ich mußte seinen Impuls in der physischen Organisation erleben. Das Ich mußte sich fest binden an die physische Organisation, aber es darf sich nicht in diesem Sich fest Fühlen in der physischen Organisation versteifen. - Es war das eine gewaltige Reaktion auf die Weisheitsgüter des Orients, als man im Westen immer mehr und mehr drang auf das aus dem reinen Physischen heraus sich Ent­wickelnde. Diese Reaktion mußte da sein. Es fand sich auch in Europa alles mögliche zusammen, um diese Reaktion zu einer recht starken zu machen. Aber sie durfte sich nicht länger als einige Jahr­hunderte in dieses geistige Streben hinein erstrecken. Eine neue

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Geistigkeit ist ja dann heraufgezogen, aber eine abstrakte Geistig­keit, eine sublimierte Geistigkeit, eine flitrierte Geistigkeit seit dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts.

Die Menschen haben die physische Astronomie ergriffen, auch die physische Medizin, und mußten zunächst diese Anregung aus diesem physisch erfühlten Ich-Impuls heraus haben. Aber es darf sich weiterhin nicht versteifen in der europäischen Zivilisation, wenn diese europäische Zivilisation nicht ihren Niedergang finden will. Und Niedergangskräfte sind ja genug schon da, Reste, die eben nur Reste sein sollten, die man als Reste erkennen sollte. Man bedenke nur einmal, wie gerade die modernste Theologie, ich habe das oft-mais hervorgehoben, verloren hat die Möglichkeit, den Christus zu begreifen, wie sie immer mehr und mehr dazu gekommen ist, den Christus Jesus ganz zu verirdischen, ganz zu vermenschlichen, wie sie den «schlichten Mann aus Nazareth» an die Stelle des Christus Jesus setzte, wie in einem materialistisch gestalteten Herrschaftsverhältnis vom Romanismus aus immer mehr und mehr verloren wurde die lebendige Geistigkeit, durch die das Mysterium von Golgatha wirk­lich dem Menschen nahegebracht werden kann. Und man sehe, wie sich eine Wissenschaft herausentwickelt in der neueren Zeit, welche alles, was äußerlich ist, begreifen will, welche aber nicht herandrin­gen will zum Menschen. Und man sehe, wie im Gefolge dieser Wis­senschaft Impulse im sozialen Leben entstehen, die nur menschliche physische Ordnung herbeiführen wollen und die nicht durchdringen wollen die menschlichen physischen Ordnungen mit demjenigen, was das göttlich-geistige, das übersinnlich-geistige Prinzip ist.

Dabei ist es immer nur so, wie wenn in den Menschenseelen, in einigen Menschenseelen zurückbliebe so ein einzelner Lichtblick. Wenn ein Strahl von dem, was noch immer in ihnen von diesem Astralischen lebt, mit diesem Ich sich vermischt, dann bekommen sie solche Lichtblicke, und es gehört zu den eindrucksvohlsten Erschei­nungen des neueren Europa, wenn wir sehen, wie aus dem Osten herüberstrahlt eine gewaltige Mahnung in der Religionsphilosophie, in der ganz, ich möchte sagen, in östliche Schwüle getauchten Reli­gionsphilosophie des Solowlow, wie da herüberstrahlt etwas von

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dem: es müsse durchdringen die irdische soziale Ordnung ein Über­sinnlich-Geistiges. Wir sehen gewissermaßen, wie dieser Solowjow eine Art Christus-Staat träumt. Er kann diesen Christus-Staat träu­men, weil letzte Reste eines das Ich durchstrahlenden astralischen subjektiven Erlebens in ihm sind.

Halten wir neben diese Träume eines durchchristeten Staates, halten wir daneben dasjenige, was mit der Ablehnung alles Geistigen nunmehr im Osten aufgerichtet worden ist, das, was nur Nieder-gangskräfte in sich birgt - ein ungeheurer, ein kolossaler Kontrast! Die Welt müßte aufmerksam werden auf einen solchen kolossalen Kontrast. Und wenn man heute schon Distanz genug hätte, diese Dinge zu sehen, man würde hinstellen auf die eine Seite den For­derer des durchchristeten Staates, des durchchristeten sozialen Ge­bildes, Solowjow, man würde ihn betrachten als jemanden, der noch von orientalischem Wesen angeregt war und gewissermaßen einen letzten Funken hinwarf in dieses erstarrende Europa, um es von diesem Gesichtspunkte aus zu beleben. Man würde dann auf der anderen Seite ruhig zusammenstellen können den Zaren Nikolaus oder seine Vorgänger und den Zaren Lenin, denn daß sie verschieden schwatzen in die Weltenentwickelung der Menschheit hinein, das macht ihren Unterschied im Grunde genommen nicht aus. Nur das macht es aus, was an weltgestaltenden Kräften in ihnen lebt, und da lebt das gleiche in Lenin, das gleiche in dem russischen Zaren; da ist im Grunde genommen kein besonderer Unterschied. Es ist selbstver­ständlich schwer, innerhalb dieser durcheinanderwogenden, aus der Vorzeit in die europäische Zivilisation hereinragenden Kräfte sich zurechtzufinden. Ein Gewoge ist es zunächst, und zu suchen ist eine feste Richtung. In nichts anderem kann diese feste Richtung gefun­den werden, als in dem Hinaufheben des Ich zu einem geistigen Be­greifen der Welt. In einem geistigen Begreifen der Welt muß der christliche Impuls wiedergeboren werden. Was angestrebt worden ist für die äußere Welt seit dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts, das muß für den Menschen angestrebt werden, der ganze Mensch muß aus der Welt heraus begriffen werden. Im Einklange muß geschaut werden Weltbegreifen und Menschheitsbegreifen. In Phasen, in

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Metamorphosen müssen wir die Erdenentwickelung begreifen. Frühere Verkörperungen unserer Erde müssen wir sehen, aber nicht müssen wir hinschauen auf menschenleere Urnebel. Hinschauen müssen wir auf Saturn, Sonne und Mond, welche schon durchtätigt waren von der Menschenwesenheit, hinschauen müssen wir, wie die jetzige Gestaltung der Menschenwesenheit aus der Gestaltung der früheren Metamorphosen des Erdenplaneten entstanden ist, wie da schon die menschliche Gestaltung ebenfalls in früher Phase tätig war. Den Menschen müssen wir erkennen in der Welt, und aus die­ser Erkenntnis des Menschen in der Welt wird auch wiederum ein Verständnis hervorquellen können des Mysteriums von Golgatha. Die Menschen müssen lernen zu verstehen, warum eine unwegsame Gegend um die Gralsburg herum ist, warum der Weg zwischen der Geburt und dem Tode unwegsam ist. Und wenn sie verstehen, warum er unwegsam ist, wenn sie verstehen, daß das Ich sich darin­nen nun erfühlt aus der physischen Organisation heraus, wenn sie fühlen, wie unmöglich eine bloße physische Astronomie ist, wenn sie fühlen, wie unmöglich eine bloße physische Medizin ist, dann werden sie sich selbst die Wege bahnen, dann werden sie in dieses bisher unwegsame Leben zwischen der Geburt und dem Tode etwas hineinbringen, was durch die eigene Seehenarbeit des Menschen ent­steht. Aus dem Material der Seele, des Geistes heraus selber müssen die Werkzeuge geschaffen werden, durch die zustande kommen die Spatenstiche auf jenem Felde, das ein Seelisches sein muß, das hin­führt zur Grahsburg, zum Geheimnis des Brotes und des Blutes, zur Erfüllung des Wortes: Tuet dies zu meinem Angedenken. - Denn vergessen ist dieses Angedenken, unbewußt ist worden dasjenige, was in den Worten lebt: Tuet dieses zu meinem Angedenken. -Denn man tut dieses zum Angedenken an den großen Moment von Golgatha, wenn man versteht, in dem Symbolum des Brotes, das heißt desjenigen, was aus der Erde sich heraus entwickelt durch die Synthesis der kosmischen Kräfte, und wenn man versteht, in einer wiederum durchgeistigten Kosmologie und Astronomie die Welt zu begreifen, und wenn man lernt, den Menschen zu verstehen aus demjenigen, was sein Extrakt ist, das dasjenige ist, wo das Geistige

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in ihm unmittelbar eingreift, wenn man versteht das Mysterium des Blutes. Hingefunden werden muß durch die Arbeit am Inneren der Menschenseelen der Weg zum Heiligen Gral. Das ist eine Er­kenntnisaufgabe, das ist eine soziale Aufgabe. Das ist aber auch eine Aufgabe, welche im weitesten Umfange in der Gegenwart ge­haßt wird.

Denn was die Menschen vermöge ihres Darinnenstehens in den Ich-Erz iehung der westlichen Zivilisation in sich entwickeln, das ist vor allen Dingen eine Sehnsucht, innerlich-seelisch passiv zu bleiben, sich nicht aus dem Weltendasein geben zu lassen, was die Seelen vor­wärts bringen sollte. Das aktive Erfassen der Seelenkräfte, das in­nerliche Erleben, das ja nicht gleich eine okkulte Entwickelung zu sein braucht, sondern das Erleben des Seelischen überhaupt, das ist das, was eine Menschheit in Europa nicht will, welche fortsetzen will, was für das uns unmittelbar vorangegangene Zeitalter selbst­verständlich war: die Ich-Entwickelung, was aber hineinführt in den krassesten Egoismus, in das blindeste Wüten der Instinkte, wenn es ausgedehnt wird über seine Zeit hinaus. In die nationalen Chauvi-nismen hinein hat sich dieses über sein Zeitmaß hinaus erstreckende Ich-Gefühl zunächst begeben; in den nationalen Chauvinismen er­scheint es, und aus den nationalen Chauvinismen kommen die Gei­ster heraus, welche den Weg zum Heiligen Gral unwegsam erhalten wollen. Aber die Verpflichtung ist ja, alles zu tun, was getan werden kann, um die Menschenseelen aufzurufen zur Aktivität sowohl auf dem Erkenntnisge biete wie auf sozialem Gebiete. Aber gegen einen solchen Aufruf erstehen eben alle diejenigen Kräfte, die von Haß er­füllt sind gegen diese Aktivität der Seele. Hat man denn die Men­schen nicht lange genug dazu erzogen , daß sie sich gesagt haben: Wir sollen als ketzerisch ansehen die eigene Arbeit der Seelen, um von Schuld frei zu werden, wir sollen das Sünden- und Schuldbewußt-sein recht entwickeln, denn wir sollen nicht durch uns vorwärts-kommen, wir sollen in Passivität durch den Christus auch erlöst werden?

Den Christus verkennt man, wenn man ihn nicht so erkennt, daß er diejenige Weltenkraft ist, die sich ganz mit uns vereinigt, wenn

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wir uns durch Fragen, durch innere Aktivität zu ihm hindurcharbei­ten. Und überall sieht man heute aufstehen aus den Bekenntnissen heraus, aus der Theologie, aus denjenigen, die mit der Theologie immer verbunden waren, aus dem Soldatentum, aus den Wissen­schaft, überall sieht man diejenigen Mächte heute aufsteigen, die den Weg der Aktivität verbauen wollen.

Daß dies der Fall ist, darauf mußte ich seit langer Zeit hinweisen und seit langer Zeit mußte ich immer wieder und wiederum sagen: Was heraufzieht als gegnerische Mächte, das wird immer heftiger und heftiger werden; und bis heute ist das durchaus eingetroffen. Und nicht etwa ist es möglich, heute zu sagen, daß diese Gegner­schaft ihren Höhepunkt erreicht habe. Diese Gegnerschaft hat noch hange nicht ihren Höhepunkt erreicht. Diese Gegnerschaft hat eine starke organisierende Kraft im Zusammenfassen alles desjenigen, was zwar in Wirklichkeit zum Untergange bestimmt ist, was aber in seinem Untergehen durchaus für die Zeit aufhalten kann dasjenige, was mit den Aufgangskräften arbeitet. Und demgegenüber sind die Kräfte, die hinarbeiten zur Aktivität der Seelen, heute schwach. Die­jenigen Kräfte sind schwach, welche aus dem Erfassen der geistigen Weht heraus die Aufgangskräfte zu den Kräften ihrer eigenen Seele machen wollen. Die Welt hat einen ahrimanischen Charakter an-genommen. Denn das mußte geschehen, daß das Ich, indem es sich im Physischen erfaßte, dann, wenn es nicht zur rechten Zeit sich hinaufhebt zum geistigen Sich-Erfassen als eines Geisteswesens, daß es dann, wenn es im Physischen bleibt, von den ahrimanischen Mächten ergriffen wird. Und dieses Ergriffenwerden von den ahri­manischen Mächten, das sehen wir; das sehen wir daran, daß, so­wenig es sich die schläfrigen Seelen gestehen wollen, geradezu eine Hinneigung zum Bösen heute sich überall geltend macht. Eine Hin-neigung zum Bösen ist ja deutlich wahrzunehmen gerade in der Kampfesart, die zum Beispiel gegen anthroposophische Geisteswis­senschaft und alles dasjenige unternommen wird, was mit dieser zusammenhängt. Aus den trübsten Pfützen wird dasjenige entnom­men, mit dem heute Persönlichkeiten gegen anthroposophische Geisteswissenschaft kämpfen, die in der Welt sogar ein wissenschaftliches

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oder theologisches Ansehen genießen. Nicht wird gefragt nach der Wahrheit, sondern nur gesehen wird darauf, welche Verleum­dung diesen Persönlichkeiten besser gefällt, welche Verleumdung ihnen sympathischer sein kann; es ist ein starkes Besessensein der Menschheit von den Kräften des Bösen, von der Liebe zum Bösen. Und wer heute nicht zu rechnen versteht mit dieser Liebe zum Bösen, mit diesem Immen-größer-und-größer-Werden gerade dieser Liebe zum Bösen in dem Kampf gegen anthroposophische Geisteswissen­schaft, der wird ein Gefühl, eine Erkenntnis nicht in sich entwickeln können von dem, was noch alles heraufziehen wird an gegnerischen Kräften und gegnerischen Mächten. Seit Jahren wird gesprochen von mir von diesem Immer-größer-und-größer-Werden. Und wenn zu-nächst auch nichts anderes zu erlangen ist als ein deutliches Gefühl davon, dann muß wenigstens dieses deutliche Gefühl, das immerhin auch eine Macht ist, aufrechterhalten werden. Man muß hinein­schauen in die Welt, wie sie uns heute umgibt, und man muß nüch­ternen Blickes sehen, was eigentlich mit so etwas gegeben ist, wie mit den Schmutzereien, die jetzt bei unseren Gegnern auftauchen und die um so mehr Eindruck machen, je trüberen Pfützen sie ent­stammen.

Es ist schon notwendig, daß man sich mit dieser besonderen Ei­genart, die immer mehr und mehr auftreten wird, mit dieser Liebe zum Bösen bekanntmacht und daß man nicht in einer schläfrigen Weise immer wieder und wiederum in Entschuldigungsgründen schweigt, daß die Gegner von diesen Dingen überzeugt seien. Glauben Sie überhaupt, daß Sie in einem solchen Menschen, wie der, der als der neueste Gegner aufgetreten ist gegen anthnoposophi­sche Geisteswissenschaft, glauben Sie denn, daß in dem überhaupt die Möglichkeit einer inneren Überzeugungskraft vorhanden ist? -Es ist in ihm gar nicht die Möglichkeit einer Überzeugungskraft vorhanden. Er handelt aus ganz anderen Untergründen heraus. Und es ist schon, ich möchte sagen, ein schlauer Griff, gerade nach dieser Seite hin zu suchen, zu suchen nach derjenigen Art, die Dinge an­zuschauen, die ja gerade darauf beruht, den Gegner zu täuschen. Wann ist man ein besserer Feldherr? - Wenn man besserden Gegner

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täuschen kann! - Wenn aber übertragen wird dieses Prinzip auf die Kampfesweise um die Wahrheit, dann ist dieser Kampf ein Kampf der Lüge, der personifizierten Lüge gegen die Wahrheit. Und damit muß man sich bekanntmachen, daß diesen Kampf der personifizier­ten Lüge gegen die Wahrheit zu allem fähig ist, daß er dasjenige, was wir versuchten und versuchen, namentlich an äußeren Stützen zu gewinnen, um der Wahrheit Träger zu finden in der Zivilisation, daß er uns das durchaus wird nehmen wollen. Es ist nicht über­trieben, wenn gesagt wird: Alles dasjenige, was da ist als «Wahdorf-schule» und so weiter, als dieser Bau, es ist demgegenüber die tiefste, gründlichste Sehnsucht in der Welt vorhanden, uns das zu nehmen! Und wenn wir darauf nicht aufmerksam sind, wenn wir nicht einmal ein Gefühl von der ganzen Art und Weise dieser Kampfesweise in uns entwickeln, dann bleiben wir eben schlafende Seelen, dann er­greifen wir doch nicht mit innerer Wachsamkeit dasjenige, was durch anthroposophische Geisteswissenschaft quellen will.

Im Grunde genommen sollte eigentlich der Zeitpunkt nicht ge­kommen sein, wo man sich verwundert, daß die Gegner so werden konnten; denn das konnte lange voraus gewußt werden. Und wir stehen ja durchaus heute unter dem Eindrucke dessen, daß wir zu-wenige Persönlichkeiten haben, die sich zu aktiven Trägern unserer Geistesströmung machen. Es ist im allgemeinen unter Menschen heute noch leichter, durch Gewalt und Macht und Unrecht zu wirken als durch die Freiheit. Diejenige Wahrheit, die durch anthro­posophische Geisteswissenschaft verkündet werden soll, sie darf nur rechnen auf die Freiheit der Menschen. Sie muß Frager finden. Und man darf gar nicht sagen: Warum hat diese Wahrheit nicht in sich selber durch göttlich-geistige Macht die Gewalt, die Seelen zu zwin­gen? - Das will sie nicht, das kann sie nicht. Sondern weil sie, was sie immer tun wird, die innere Freiheit, die Freiheit des Menschen über­haupt als das Unantastbarste ansehen wird. Soll der Mensch zur an­throposophischen Geisteswissenschaft mit seinem Urteil kommen, er muß ein Frager werden, er muß in der innersten Freiheit des Urteiles sich selber überzeugen. Gesprochen werden soll zu ihm das Wort von der geistigen Wahrheit; überzeugen muß er sich selber. Soll er

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mittätig sein im sozialen Leben, so muß er das aus dem innersten Impuls seines Herzens heraus tun. Frager müssen diejenigen Men­schen werden, die im wahren Sinne des Wortes zur anthroposophi­schen Geisteswissenschaft gehören.

Was erblicken wir auf der gegnerischen Seite? - Glauben Sie nicht, daß da nur diejenigen sich zusammen organisieren, die ir­gendwie einseitig sind in irgendeinem Bekenntnis. Nein, in Stuttgart wird in einer katholischen Kirche gepredigt: Gehet hinein zu dem Vortrag des Herrn von Gleich, denn dadurch könnt ihr eure katho­lischen Seelen stärken, ihr könnt die Gegner euren katholischen Seelen überwinden! - Und die katholischen Seelen gehen hinein, der katholische General von Gleich hält einen Vortrag und schließt mit einem Lutherlied! Schöne Vereinigung hüben und drüben, zusammen organisieren sich Gegner! - Es kommt nicht darauf an daß sie irgendwie in ihrem Glauben, in ihren Meinungen einig sind.

Für uns kommt es aber an auf die Kraft, festzustehen auf dem als richtig erkannten Boden. Ja, es wird nichts unversucht bleiben, um diesen Boden zu untergraben, dessen können Sie sicher sein. Ich mußte das noch einmal aussprechen, gerade in Anlehnung an die Betrachtungen des Herganges der europäischen Zivilisation, denn es ist notwendig, daß wenigstens die Absicht entsteht, sich fest zu stellen auf den Boden, den wir als den richtigen erkennen müssen. Und es ist notwendig, daß man unter uns sich nicht den ja auch so beliebten Illusionen über die Gegnerschaften hingibt. Es wird darauf ausgegangen, uns den Boden zu unterhöhlen. An uns ist es, so viel zu arbeiten, als nur irgend geht, und wenn der Boden unterhöhlt werden sollte und wir hineinfielen in den Spalt, dann müßte unsere Arbeit dennoch so gewesen sein, daß sie ihren geistigen Weg durch die Welt findet. Denn was da auftritt, es ist das letzte Zucken einer untergehenden Welt; aber sie kann auch noch, wenn es das letzte Zucken ist, wie ein Tobsüchtiger um sich schlagen; man kann unter diesem tobsüchtigen Umsichschlagen sein Leben verlieren. Deshalb muß wenigstens erkannt werden, aus welchen Impulsen heraus das tobsüchtige Umsichschlagen geschieht. Mit kleinen Mitteln wird

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nichts erreicht; an das große müssen wir appellienen - Versuchen wir, gewachsen zu sein einem solchen Appellieren!

Ich mußte dieses einschließen, damit gefühlt wende, daß wir in einem wichtigen, bedeutungsvollen, entscheidungsvollen Momente stehen und daß wir zu überlegen haben, wie wir die Kraft finden sollen, um durchzukommen.

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SIEBENTER VORTRAG Dornach, 22. April 1921

Eine zukünftige Geschichtsschreibung wird diese Tage als zu den wichtigsten der europäischen Geschichte gehörig verzeichnen; denn es ist ja heute bekanntgeworden, wie von Mitteleuropa aus der Ver­zicht geleistet wird auf einen eigenen europäischen Willen . Es wird sich zeigen, in welcher Weise sich die Dinge in den nächsten Tagen weiter entwickeln, aber wie immer auch das geschehen mag, es ist ja schließlich ein Akt, der viel mehr als diejenigen, die in unserer kata­strophalen Zeit ihm vorangegangen sind, zusammenhängt mit menschlicher Willensentschließung, mit jener menschlichen Willensentschließung, die im vollen Sinne aus den Niedergangskräften der europäischen Zivilisation heraus erfolgte. An einem solchen Tage kann man zurückerinnert werden an diejenigen Zeiten, von denen ja alles das ausgegangen ist innerhalb der europäischen Zivilisation, was ich in den letzten Wochen hier seiner Herkunft nach geschildert habe, was gewissermaßen seinen Ausgangspunkt hat in dem von der Ge­schichte so obefflächlich Geschilderten, aber in die Zivilisation der Menschheit tief Eingreifenden des 4. nachchristlichen Jahrhunderts.

Wir haben ja diese Ereignisse nach gewissen Seiten hin charak­terisiert. Wir haben charakterisiert, wie vom 4. nachchristlichen Jahrhundert ab eigentlich dasjenige, was man den total juristischen Geist nennen kann, in kirchliche und weltliche Zivilisation des Abendlandes einzieht und dann immer intensiver und intensiver wird. Wir haben dann hingedeutet, aus welchen Quellen diese Dinge hervorgegangen sind, und wir haben ja auch schon früher darauf aufmerksam gemacht, wie in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Menschheit der modernen Zivilisation eine Ktisis durchmacht, die zwar weniger bemerkt wird, die aber sogar, wie wir vor einigen Wochen hier gesehen haben, anatomisch-physiologisch beschrieben werden kann. Unter dem Einfluß desjenigen, was in der Mitte des 19. Jahrhunderts sich vollzogen hat, steht ja dann alles dasjenige, was sich abgespielt hat in der zweiten Hälfte, namentlich im letzten

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Drittel des 19. Jahrhunderts und was dann ausgelaufen ist in die unglückseligen beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts .

Eben der heutige Tag gibt Veranlassung, diese Betrachtungen, die wir hier in diesen Tagen nun pflegen wollen, einzuleiten in der ja schon öfters gepflogenen, aber vielleicht gerade von dem Gesichts­punkte, den ich heute einnehmen will, besonders wichtigen Weise mit der Betrachtung einer Persönlichkeit, welche in einer ganz in­tensiven Weise, man möchte sagen, halb als Zuschauer, halb als tragische Persönlichkeit, welche durch die Ereignisse geht, miterlebt hat, was da an Absterbekräften innerhalb der europäischen Zivilisa­tion im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts vorhanden war . Ich meine Friedrich Nietzsche.

Nicht um irgendwie die Persönlichkeit Nietzsches als solche etwa biographisch zu betrachten, wollen wir heute unseren Gesichtspunkt einnehmen, sondern um an Nietzsche einiges zu zeigen aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Sein Wirken fällt ja ganz und gar in dieses letzte Drittel des 19. Jahrhunderts hinein. Er ist die­jenige Persönlichkeit, die, ich möchte sagen, mit feinvibrierenden Nerven mitgemacht hat alles dasjenige, was im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts an geistigen Strömungen über Europa hinweg-gezogen ist, und er ist diejenige Persönlichkeit, die in der tragisch­sten Weise gelitten hat an diesen Strömungen, die in der schreck­lichsten Weise mitempfunden hat die Niedergangskräfte, welche in diesen Strömungen drinnenliegen, und die ja an dieser Tragik, an diesen Schrecknissen zuletzt zerbrochen ist.

Man kann natürlich die verschiedensten Linien zu dem Bilde zie­hen, welches wir da im Auge haben . Es sollen heute einige von diesen Linien gezogen werden . Aus einem mitteldeutschen Pfarrhause stammt Friedrich Nietzsche. Er hat um sich damit von Kindheit auf dasjenige, was bezeichnet werden kann mit der neuzeitlichen Kultur-enge, Zivilisationsenge . Er hat um sich alles das, was sich philiströs­sentimental gibt, was zu gleicher Zeit selbstzufrieden, hochmütig ist und trivial-genügsam. Selbstzufrieden, hochmütig aus dem Grunde, weil es glaubt, in leichtgeschürzten Empfindungen die Unsumme der Weltengeheimnisse in sich zu tragen, trivial-genügsam, weil diese

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Empfindungen nun wahrhaft die alleralltäglichsten sind, die eindrin­gen in die philiströse Sentimentalität aus dem Allerallermenschlich­sten und die so gewertet werden in der philiströsen Sentimentalität, als wenn sie das wären, was der Gott in der Menschenbrust spricht.

Aus dieser Zivilisationsenge ist Nietzsche hervorgegangen und er hat als junger Mann alles das aufgenommen, was derjenige aufneh­men kann, der, man möchte sagen, als zeiten- und weltenfremder Jüngling durchgeht durch die Gymnasialbildung der Gegenwart. Er hat ahnen können durch die Gymnasialphilistrosität die Größe des Griechentums . Er ging ja schon in frühesten Jünglingsjahren mit vollem Herzen hinein in alles das, was ausströmt aus der griechischen Tragik eines Sophokles oder Äschylos, er erfüllte sich mit alledem, was aus dem griechischen Vollmenschentum hinaufstrebt zu einer gewissen Erfassung des geistig-physischen Welterlebens, und er wollte als Vollmensch mit allem Denken, Fühlen und Wollen drin­nenstehen in diesem Erleben des totalen Weltganzen, von dem der Mensch sich fühlen kann als ein einzelner Teil, als ein einzelnes Glied. Und es mag wohl immer wieder und wiederum vor der Seele des Jünglings Friedrich Nietzsche jener große Kontrast gestanden haben zwischen dem, was eben in philiströser Sentimentalität und engherziger, trivialer Selbstzufriedenheit die Mehrzahl der moder­nen Menschen Realität nennt auf der einen Seite und dem Hoheits­streben der griechischen Tragiker und Philosophen der älteren griechischen Zeit auf der anderen. Gewiß pendelte seine Seele hin und her zwischen dieser philiströsen Realität und diesem über alles trivial-menschliche Maß hinausgehenden Hoheitsstreben des grie­chischen Geistes . Und als er dann eintrat in die Sphäre moderner Gelehrsamkeit, da ödete ihn besonders an die Geist- und Kunst-losigkeit dieser modernen Gelehrsamkeit, das bloß intellektualisti­sche Treiben. Seine geliebten Griechen, an denen er das Hoheits­streben am intensivsten empfunden hatte, waren ihm durch die moderne Wissenschaft in philologisch-formale Trivialitäten gegossen . Er mußte sich herausfinden aus diesen philologisch-formalen Tri­vialitäten, und so faßte er denn seine gründliche Antipathie gegen denjenigen Geist, den er als den Ursprungsgeist des neuzeitlichen

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Intellektualismus auffaßte: er wurde ergriffen von einer tiefen Anti­pathie gegen Sokrates und alles sokratische Streben .

Gewiß, es gibt ja die großartigen, guten Seiten des Sokrates, es gibt alles das, was man in intensiver Weise an Sokrates lernen kann. Aber da ist auf der einen Seite Sokrates, wie er einstmals innerhalb der Griechenwelt stand, und da ist der Sokrates, das Schauerge­spenst, welches durch die Schilderung der modernen Gymnasial­lehrer und Universitätsphilosophen geht. Wen konnte denn schließ­lich der junge Nietzsche kennenlernen, indem er zunächst seine Umgebung betrachtete? - Doch nur das Schauergespenst Sokrates! Und so faßte er denn seine Antipathie gegen diesen Sokrates aus dem, was durch den Sokratismus innerhalb dieser europäischen Zivi­lisation heraufgezogen ist . So sah er in Sokrates den Abtöter des Vollmenschentums, das in der vorsokratischen Zeit künstlerisch und philosophisch durch die europäische Zivilisation hindurchgeströmt ist, und so erschien ihm zuletzt eine philiströs gewordene, öde ge­wordene Wirklichkeit als dasjenige, was auf dem Grunde des Daseins die Welt überschaut, und aus dem sich herausarbeiten muß, was als Hoheitsstreben hinauf will zu den geistigen Sphären des Daseins .

Das letztere konnte er nicht sehen in irgend etwas, was hervor­gebrochen wäre etwa aus dem Erkenntnisstreben; er konnte es nur sehen in dem, was hervorgebrochen ist in demjenigen Streben, das künstlerischen Charakter angenommen hat . Es durchglänzte ihm die Philisteratmosphäre, zu der der Sokratismus endlich geworden war, das, was vom alten Griechentum herüber als tragische Kunst auch heraufgekommen war. Er sah es gewissermaßen wiedergeboren wer­den Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre in dem, was Richard Wagner als Tragödie aus dem Geiste der Musik erschaf­fen wollte . Er sah in diesem Musikdrama, das da geschaffen werden sollte, etwas, was mit Ignorierung des Sokratismus unmittelbar an­knüpfte an die erste griechische Vollmenschenzeit, und vor seiner Seele standen die zwei Kunstrichtungen: auf der einen Seite die dio­nysisch-orgiastische, die aus unergründlichen Tiefen herauf den Vollmenschen hereinsaugen will in die Welt, und auf der anderen Seite jene andere Richtung, welche nach und nach in Europa so abgekehrt

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worden ist, daß sie allen Glanz verloren hat und so verfallen ist in die absolute geistige Sklerose des modernen Gelehrtentums:

die apollinische Richtung. Und er strebte nach einer neuen diony­sischen Kunst. Das durchweht sein erstes Werk: All das, was Nietzsches Seele an diesem Gegensatze erleben konn­te, all das ließ er ja dann ausströmen im Beginn der siebzigerJahre in seine vier sogenannten «Unzeitgemäßen Betrachtungen» . Die erste dieser Betrachtungen war gewidmet dem eigentlichen Bildungs-philister der modernen Zeit. Man muß diese «Unzeitgemäßen Be­trachtungen» nur im rechten Lichte sehen . Es sollten gewiß nicht die einzelnen Persönlichkeiten damit getroffen werden. Es sollte zum Beispiel in der ersten Unzeitgemäßen Betrachtung gewiß nicht der sonst ja ganz brave und wackere David Strauß als Persönlichkeit getroffen werden, sondern er sollte gefaßt werden als der Typus des modernen Bildungsphilisteriums, welches so unendlich zufrieden ist mit dem, was in diesem modernen Leben an Trivialitäten sich ent­wickelt. Wir erleben es ja wieder und immer wieder, denn die Dinge haben sich ja im Grunde genommen seit jenen Zeiten nicht gebes­sert, sondern gesteigert.

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Es ist ungefähr das gleiche Erlebnis, das man hat, wenn versucht wird, aus den geisteswissenschaftlichen Untergründen heraus ein Weltbegrerfen zu geben. Dann kommen allerlei Leute und sagen:

Ja, das mag ja alles richtig sein, was da gesagt wird über einen Äther-leib, über einen Astralleib, über eine geistige Entwickelung; aber wenn das alles auch richtig ist, man kann es nicht beweisen . Aber beweisen kann man eines: zwei mal zwei ist vier . Und man muß vor allen Dingen sich auseinandersetzen darüber, wie denn diese un­beweisbare Geisteswissenschaft steht zu der sicheren Wahrheit: zwei mal zwei ist vier. - Das ungefähr hört man ja heute in allen Tonarten

- wenn auch nicht gerade in dieser radikalen Abschattierung -, daß ja doch einzuwenden ist gegen alles, was über Seelen- und Geistes­lande gesagt wird: Zwei mal zwei ist vier! - Als ob irgend jemand bezweifeln würde, daß zwei mal zwei vier ist!

Das Bildungsphilisterium der modernen Zeit wollte Friedrich Nietzsche treffen, indem er seinen Typus, den David Friedrich Strauß, den Verfasser des «Alten und Neuen Glaubens», dieses ur­philiströsen Buches, schilderte . Und dann wollte er zeigen, wie öde es um die moderne Geistigkeit eigentlich geworden ist . Man braucht sich ja nur zurückzuerinnern an wichtige Tatsachen, um zu zeigen, wie öde es um diese moderne Geistigkeit geworden ist. Man braucht sich nur zurückzuerinnern, wie in der ersten Hälfte des 19. Jahr­hunderts noch in einem gewissen Sinne Feuergeister da waren, wie zum Beispiel jener Rotteck, der die Geschichte, wenn auch in ein­seitig freisinniger Weise, dennoch mit einer gewissen Feuergeistig­keit vortrug . Man braucht sich nur daran zu erinnern, wie in Rottecks «Geschichte» überall etwas lebt von einem, ich möchte sagen, wenn auch etwas ausgetrocknetem, so doch ausgetrocknetem Vollmen­schen, der in das ganze Erdenleben der Menschheitsentwickelung wenigstens so viel Geistigkeit hineinbringen wollte, als in ihr Ver­nünftigkeit ist. Und man braucht nur dagegenzustellen diejenigen Menschen, die dann auftraten und sagten: Ach was, Staatsverfas­sung, Menschheitszustände aus der Vernunft heraus konstruieren zu wollen, das ist ja doch nichts . Man muß die alten Zeiten studieren, man muß sich in die Geschichte vertiefen, man muß sehen, wie alles

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verlaufen ist und sich darnach richten, um die Gegenwart einzu­richten .

Das ist ja der Geist, der zuletzt auch in der Nationalökonomie und Volkswirtschaftslehre etwa durch einen Lujo Brentano seine öden Früchte getragen hat, der Geist, der nur hinblicken wollte auf die Historie, der also eigentlich glaubte, daß nur in alten Zeiten irgend etwas Produktives in die Menschheitsentwickelung hinein­gebracht werden konnte, daß man gegenwärtig aber eigentlich das Innere der menschlichen Wesenheit aushöhlen müsse und es ganz wie einen Sack vollpfropfen müsse mit dem, was man aus der Hi­storie gewinnen kann, damit dann dieser moderne Mensch zwar noch Haut und allenfalls ein bißchen etwas von dem, was unter der Haut liegt, habe, aber dann unterhalb dieses Bißchens ganz vollgepfropft ist mit dem, was alte Zeiten hervorgebracht haben, so daß er altes Griechentum, altes Germanentum und so weiter von sich geben kann . An eine Produktivität, an ein Selbsterfülltsein der mensch­lichen Seele in der Gegenwart, an das dachte man nicht und wollte man nicht glauben. Historie wurde die Losung der Zeit. Das ekelte den Nietzsche der siebziger Jahre an und er schrieb sein Buch: «Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben», wo er andeutete, wie der moderne Mensch unter der Historie erstickt . Und er forderte, daß man wiederum zur Produktivität komme.

Es lag noch der Geist des Künstlerischen in ihm . Nachdem er zu einem «gewissermaßen Philosophen», zu Wagner, sich hingewendet hatte, wendete er sich wiederum zu einem Philosophen, zu Schopen­hauer. In dem, was in Schopenhauer lebte, sah er eine Art Wirk­liches des sonst öden, staubigen Philosophengeistes. Er sah in Scho­penhauer eine Art von Erzieher der modernen Menschheit, nicht etwa einen solchen nur, der es gewesen ist, sondern einen solchen, der es werden müßte. Und er schrieb sein Buch: «Schopenhauer als Erzieher» und ließ dann diesem folgen: «Richard Wagner in Bay­reuth», noch einmal, ich möchte sagen, selbst in orgiastischer Weise hindeutend darauf, wie aus der Kunst eine Belebung der modernen Zivilisation hervorgehen müßte .

Es ist merkwürdig, aus welchen Untergründen gerade diese

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Schrift: «Richard Wagner in Bayreuth» hervorgegangen ist. Fried­rich Nietzsche hat ja selbst sorgfältig ausgesondert, was er zu dem noch hinzugeschrieben hatte, was dann unter dem Titel «Richard Wagner in Bayreuth» in die Welt hinausgezogen ist . Man möchte fast sagen: jede Seite dieses damals 1876 gedruckten Buches hat eine zweite Seite, welche etwas ganz anderes enthält. Während in schwungvoller Weise Bayreuth und seine Tätigkeit gefeiert wird in dem Buche «Richard Wagner in Bayreuth», schrieb Nietzsche dane­ben, ich möchte sagen zu jeder solchen Seite, eine andere, die erfüllt ist von tief tragischen Empfindungen über die Niedergangskräfte der modernen Zivilisation . Und er kann nicht, kann doch nicht glauben an das, was er selber schreibt, er kann nicht glauben, daß in Bayreuth die Kraft liegt, nun wirklich diese Niedergangskräfte in Aufgangs­kräfte zu verwandeln . Diese Tragik herrscht vor in den damals aus-gesonderten, als Manuskript liegenbleibenden Blättern, die ja erst nach der Erkrankung von Friedrich Nietzsche dann das Licht der Öffentlichkeit gesehen haben . Und damals kam der große Ruck, eigentlich schon 1876. Diese Periode in Nietzsches Leben endete tragisch mit dem Schmerze über das, was an Niedergangskräften in der modernen Zivilisation war. Im Jahre 1876 sehen wir Nietzsche schon so, daß der Ekel über den Niedergang in ihm größer ist als die Süßigkeit der Aufgangskräfte, die er anfangs in Bayreuth gesehen hat. Und nun wird er vor allen Dingen in seiner Seele übefflutet von dem Ansehen alles dessen, was in die moderne Zivilisation herein-gezogen ist an unwahren Elementen, an moderner Unwahrhaf­tigkeit . Und ich möchte sagen: Das gliedert sich ihm zusammen zu einem Bilde von dem, was in dieser modernen Zivilisation mensch­lich wirkt . Er kann in dieser modernen Zivilisation nicht mehr sehen etwas, was in Wahrheit etwa sich hinüberlegt wie eine erlösende Geistigkeit über das, was philiströser Wirklichkeitsgeist ist, und er tritt in seine zweite Epoche ein, wo er dem, was in verlogener Gestalt der Mensch sich in der modernen Zeit über sich selber vorstellt, wo er dem entgegenstellt dasjenige, was er das «Allzumenschliche» nennt, das, worüber dieser moderne Mensch kein Bewußtsein haben will, was aber doch die wahre Gestalt ist .

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Man möchte sagen: Man sehe hin auf diejenigen, welche die mo­derne Historie in einer solchen Weise gefeiert haben, wie etwa die Savignys oder Lujo Brentanos oder die anderen Historiker, wie die Rankes und so weiter; man sehe hin auf sie alle, was treiben sie denn eigentlich? Was wird denn da getrieben im Gewebe des spinnenden Weltengeistes? - Es wird etwas hingestellt, was wahr sein soll . Warum wird es hingestellt als wahr? - Es wird hingestellt als wahr, weil diejenigen Geister, die von solcher Wahrheit sprechen, in Wirk­lichkeit selber impotente Geister sind . Sie leugnen den Geist, weil sie ihn nicht haben, weil sie nicht auf ihn kommen können. Sie diktieren der Welt: So mußt du sein -, weil ihnen selber das Licht fehlt, das sie über die Welt breiten sollen . Das Allzumenschliche, das ganz menschlich Eingeengte, das ist dasjenige, was zum Mensch­lichen hinauforganisiert wird und was wie eine absolute Wahrheit vor die Menschheit hingestellt wird . Das lebt als Empfindung vom Jahre 1876 an in Nietzsche, während er seine zwei Bände «Mensch­liches, Allzumenschliches» schreibt; dann die «Morgenröte» und endlich die «Fröhliche Wissenschaft», durch die er sich, ich möchte sagen, trunken hineinstürzt in die Natur, um herauszukommen aus alledem, was ihn eigentlich umgeben hat.

Aber es ist dennoch eine tragische Empfindung in ihm . Auf ihn hat gewirkt der deutsche Norden, überhaupt der europäische Nor­den und das mittlere Europa, er hat alles das angenommen, er hat aus Schopenhauer, Richard Wagner heraus den Weg zum Voltai­rismus genommen, und Voltaire ist die Schrift «Menschliches, Allzu­menschliches» gewidmet . Er versucht den Sokratismus zu erneuern, indem er ihm Leben einzuhauchen versucht, aber indem er hinter der modernen Zivilisationslüge sucht die allzumenschliche Wahr­heit, die menschliche Engigkeit. Er sucht aus dieser menschlichen Engigkeit heraus den Geist zu erringen. Er findet ihn nicht hinter dem, was die Menschen in der neueren Zeit hervorgebracht haben. Er glaubt ihn durch eine Art trunkenen Sich-Hineinstürzens in die Natur zu finden. Und dieses trunkene Sich-Hineinstürzen in die Natur, das versuchte er zu leben, indem er immer wieder und wie­derum während seiner Urlaubszeit nach dem Süden ging, um in der

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warmen Sonne und unter dem blauen Himmel eben zu vergessen, was in der neueren Zeit Menschen hervorgebracht haben . Dieses trunkene Sich-Hineinstürzen in die Natur, das liegt als Empfindung, als der Grundton in seiner «Morgenröte» und in der «Fröhlichen Wissenschaft» . Froh ist er dabei nicht geworden, tragisch ist er ge­blieben. Und es ist eine merkwürdige Empfindung, die wir da in ihm finden . Sie tritt uns besonders entgegen, wenn wir ihn diese Empfindung in Lyrik einschließen sehen und von ihm hören:

Die Krähen schrei'n

und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:

bald wird es schnei'n, -

wohl dem, der jetzt noch - Heimat hat!

Er hat auch keine Heimat. «Flieg', Vogel, schnarr dein Lied im Wü­stenvogelton . » Er hat keine Heimat; denn so kam er sich vor, als ob die Krähen um ihn herum schrieen, als er von Deutschland immer wieder geflohen war nach Italien . Aber daß er in dieser Stimmung nicht stehenbleiben darf, das zeigt sich gleich; es gibt von Nietzsche Sprüche, wo er sich gleich wiederum dagegen verwahrt, daß man diese Stimmung von «Die Krähen schrei'n und ziehen schwirren Flugs zur Stadt» zu ernst nehme . Er will nicht als der tragische Mensch bloß genommen werden, er will doch zu gleicher Zeit lachen über all das, was sich da in der modernen Zivilisation abgespielt hat. Wie gesagt, lesen Sie die paar Zeilen, die dann auf dieses «Krähen schrei'n»-Gedicht in der jetzigen Nietzsche-Ausgabe folgen. Und so sehen wir denn, wie gewissermaßen in Nietzsche ein Geist da ist in diesem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, prädestiniert dazu, zu verlassen alles das, was die Menschen der modernen Zivilisation her­vorgebracht haben, herauszufliehen aus alledem, was die Kunst her­vorgebracht hat, was die Erkenntnis hervorgebracht hat, um ein Ur­sprüngliches zu finden, um neue Götter zu finden und die alten Götzen zu zertrümmern.

Man möchte sagen, die Zeit hat aber diesem Geiste zu tiefe Wunden geschlagen, als daß diese Wunden hätten heilen können

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und etwa gar aus diesen Wunden hervorgegangen wäre ein produk­tiveres Neues. Und so springen denn hervor aus diesen Wunden in­haltleere Geschöpfe, inhaltleere Ideen; es erscheint, von blutender Lyrik durchschwült, der «Übermensch». Unmöglich für Nietzsche, im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts aus der Naturwissenschaft heraus, die den Menschen ausgelöscht hat, aus der Soziologie und dem sozialen Leben des letzten Jahrhunderts heraus, das die Maschi­nen hat, aber nicht mehr den Menschen, nur den Menschen, der an der Maschine steht -, unmöglich für Nietzsche, da noch zu dem Menschen vorzudringen. Aber den Drang erlebt er: heraus, mit Negation heraus aus dem, was nicht mehr als Mensch gewußt und empfunden ist. Statt des Begreifens des Menschen aus der ganzen Welt heraus, statt einer «Geheimwissenschaft», der abstrakte «Über-mensch», lyrisch durchschwült, lyrisch überhitzt, krankhaft, krampf­haft, in Visionen vor seine Seele tretend im «Zarathustra», in Visio­nen, die zum Teil die tiefsten Seiten des menschlichen Wesens be­rühren, die aber im Grunde genommen immer disharmonisch irgendwo erklingen, die gewollte Disharmonie aus sich heraus-setzend.

Und dann die andere Negation oder eigentlich inhaltsleere Idee . Dieses Leben zwischen Geburt und Tod des Menschen, es kann nicht begriffen werden, wenn es nicht zugleich in Erweiterung gedacht wird über das eine Erdenleben hinaus. Derjenige, der wirklich einen Sinn hat, das eine Leben zwischen Geburt und Tod zu erfassen, der­jenige, der es nur mit einer so tiefen Empfindung und mit einem solchen Lyrismus erfaßt, wie Friedrich Nietzsche es erfaßt hat, der ahnt zuletzt: Es kann dieses Leben nicht verstanden werden als ein einzelnes, man muß es in seiner Entwickelung durch viele Leben be­trachten. - Aber sowenig Nietzsche dem Menschen einen Inhalt geben konnte und deshalb zu der Negation «Übermensch» hinan-schreitet, krampfhaft, so wenig konnte er den wiederholten Erden-leben einen Inhalt geben. Er höhlte sie aus, diese Leben, sie wurden zu der öden Wiederkehr des Immergleichen, zu der ewigen Wieder­kehr des Gleichen. Man denke sich nur einmal, was uns vor die Seele treten kann in den wiederholten Erdenleben, die im Karma durch

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ein mächtiges Schicksalsrollen miteinander zusammenhängen, man denke sich, wie da das eine Leben in das andere Inhalt hineingießt, und man denke sich nun ausgeleert diese Erdenleben bis zumwesen­losen Balg, allen Inhaltes entleert, und die ewige Wiederkehr des Gleichen steht da, das Zerrbild der wiederholten Erdenleben.

Und unmöglich, durchzudringen durch das, was die modernen Konfessionen geben, zu dem Bilde des Mysteriums von Golgatha -so erschien für Nietzsche dasjenige, was sich ihm durch das Christen­tum hätte erschließen können! Unmöglich, durch das, was seit dem 4. nachchristlichen Jahrhunderte entstanden ist an konfessionellen Anschauungen, hindurchzudringen zu dem Bilde desjenigen, was sich abgespielt hat im Beginne unserer Zeitrechnung in Palästina . Aber erfüllt war Nietzsche von einem tiefen Wahrheitsdrang . Das Allzumenschliche war in trauriger Gestalt vor seine Seele gezogen . Nicht wollte er mitmachen die Lüge der modernen Zivilisation; er ließ sich nicht ein Bild des Mysteriums von Golgatha vormachen, wie es etwa die Widersacher des Christentums von dem Schlage Adolf Harnacks vor die Welt hinstellen, in absoluter Verlogenheit . Er wollte selbst noch in der Lüge, die als das wirklich Gegebene da war, die Wahrheit erkennen . Daher seine Verzerrung des Mysteriums von Golgatha im «Antichrist». Im «Antichrist» stellte er das Bild hin, das man hinstellen muß, wenn man herauswächst aus dem modernen konfessionellen Vorstellen und wenn man, statt zu lügen, die Wahr­heit sagen will aus diesem Vorstellen heraus, wenn man aber zu­gleich nicht hindurchdringen kann durch dasjenige, was die moderne Erkenntnis bietet, zu dem, was nun wirklich dasteht mit dem Mysterium von Golgatha.

So etwa stand Nietzsche da im Jahre 1886, 1887. Verlassen hatte er all es, was moderne Zivilisationserkenntnis bietet . Zur Negation des Menschen im «Übermenschen» war er übergegangen, weil er aus der modernen Erkenntnis, die den Menschen ausgetilgt hatte aus ihrem Bereiche, den Menschen nicht gewinnen konnte. Aus seiner Empfindung gegenüber dem einen Erdenleben hatte er die Ahnung empfangen von den wiederholten Erdenleben, aber die moderne Er­kenntnis konnte ihm keinen Inhalt dafür geben. So leerte er aus dasjenige,

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was er erahnte; keinen Inhalt hatte er mehr, nur das formale Fortrollen des Ewiggleichen in ewiggleicher Wiederholung, das stand vor seiner Seele; und das Zerrbild des Mysteriums von Golgatha, wie er es in seinem «Antichrist» schilderte, weil kein Weg ist, wenn man die Wahrheit beibehalten will, von demjenigen, was moderne Theo. logie bietet, zu dem, was die Anschauung des Mysteriums von Gol­gatha ist .

Über die Christlichkeit der neueren Theologie hatte er ja schon in den Schriften des Basler Theologen Overbeck manches lesen kön­nen . Daß diese moderne Theologie nicht christlich ist, sollte im wesentlichen durch Overbecks Schriften über die moderne Theologie bewiesen werden . Alles was im modernen Christentum als Unchrist­liches lebt, hat tief in der Seele Nietzsches gewohnt . Ihm war durch die Aussichtslosigkeit dieser modernen Erkenntnis ein wirklicher Überblick über das, was beim Menschen durch das eine Leben für das andere gezeugt wird, genommen worden, und so erstand ihm der inhaltsleere Gedanke von der Wiederkehr des Gleichen . Ihm war genommen worden der christliche Impuls durch dasjenige, was sich in der modernen Zeit Christlichkeit nennt, und ihm war vor Augen getreten die Unwahrhaftigkeit der modernen Zeit, so daß er nicht einmal an die Wahrhaftigkeit der Kunst glauben konnte, an die er hat glauben wollen im Beginne seiner aufsteigenden Laufbahn. Und er ist schon mit dieser Tragik erfüllt, als sich aus seiner Seele solche Aussprüche heraus entwickeln wie der: «Und die Dichter lügen zu viel...». Aus dem tiefsten menschlichen Wesen heraus haben aller­dings Dichter und Künstler in der neueren Zivilisation zuviel gelogen und lügen zuviel bis heute. Denn was für die Zukunfts­kräfte am meisten gebraucht wird und was die moderne Zivilisation am wenigsten hat, das ist der Geist der Wahrheit.

Nietzsche strebte nach diesem Geist der Wahrheit, der allein den Menschen vor den Menschen hinstellen kann, der allein durch die Entwickelung der Erdenleben diesem Erdenleben einen anderen Sinn geben kann als die sinnlose Wiederkehr des Gleichen. Ihn dürstete aus einem Wahrheitssinne heraus nach der wirklichen Ge­stalt desjenigen, der über die Fluren Palästinas gewandelt ist. Er fand

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nur das Zerrbild innerhalb der modernen Theologie und innerhalb der modernen Christlichkeit . An alldem zerbrach er . Und so ist die Persönlichkeit Friedrich Nietzsche der Ausdruck für das Zerbrechen des nach Wahrheit strebenden Geistes innerhalb der Unwahrhaftig­keit, welche heraufgezogen war seit dem Krisenpunkt der neueren Zeit, seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. So stark war sie herauf-gezogen, diese Unwahrhaftigkeit, daß ja die Menschen nicht einmal ahnen, wie tief sie verstrickt sind in die Netze dieser Unwahrhaftig­keit, daß die Menschen schon gar nicht mehr daran denken, wie man heute schon in jedem Augenblicke an die Stelle der Unwahrhaftig­keit stellen sollte die Wahrhaftigkeit . Aber nicht anders als indem man darauf aufmerksam wird, wie gerade diese Grundempfindung:

Wahrheit anstelle der Unwahrhaftigkeit, unsere Seele durchziehen muß - nicht anders als durch diese Grundempfindung kann anthro­posophische Geisteswissenschaft leben . Die moderne Zivilisation ist auferzogen in dem Geiste der Unwahrhaftigkeit, und mit dem Geist der Unwahrhaftigkeit - man kann dies schon sagen als ein Exempel -hat gerade anthroposophische Geisteswissenschaft am allermeisten zu kämpfen . Und jetzt ist es schon einmal so, wie ich auch am Schlusse meiner letzten Betrachtungen hier gesagt habe, daß wir in einer tiefen, in einer intensiven Krise auch in bezug auf anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft stehen, und wir hätten es gar sehr notwendig, daß aus einem Enthusiasmus der Wahrheit heraus ge­wirkt werde, intensiv gewirkt werde . Denn schließlich exemplifiziert sich an dem, was stündlich und täglich geschieht, dasjenige, woran unsere Zivilisation krankt, dasjenige, an dem sie zugrunde gehen muß, wenn sie sich nicht ermannt .

Sehen Sie,in einer Wochenschrift, die zumeist der Ausdruck ist einer weitverbreiteten öffentlichen Meinung, sehen wir in der letzten Nummer Stimmung gemacht gegen das, was Simonssche Politik ist . Selbstverständlich hat anthroposophische Geisteswissenschaft eben­sowenig wie «Dreigliederung» irgend etwas zu tun mit der Simons­schen Politik . Aber zusammengeworfen wird heute aus einem tiefen Unwahrhaftigkeitsgeiste heraus anthroposophische Geisteswissen­schaft mit Simonsscher Politik. Man weiß, was man mit solchen

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Dingen erreicht, und man wird viel damit erreichen. Und es drückt sich wirklich etwas von der ganz versumpften Verlogenheit aus, wenn man lesen muß einen solchen Satz, der unter Anführungszeichen hier in dieser Wochenschrift erscheint und mit dem Simons charak­terisiert werden soll: «Er ist der Lieblingsschüler des Theosophen Steiner, der ihm eine große Zukunft prophezeit hat, steht fest auf dem Evangelium der Dreigliederung, ist aber auch im Sinne seines Wuppertales ein frommer Christ.»

Nun, so viele Worte, so viele Lügen! Ich sage nicht: so viele Sätze, so viele Lügen, sondern ich sage ganz bewußt: So viele Worte, so viele knüppeldicke Lügen - mit Ausnahme des letzten Satzes -; die ersten Sätze sind in jedem Wort erlogen: «Er ist der Lieblings­schüler des Theosophen Steiner, der ihm eine große Zukunft pro­phezeit hat, steht fest auf dem Evangelium von der Dreigliederung»

- es ist natürlich alles erlogen! - «ist aber auch im Sinne seines Wup­pertales ein frommer Christ . »

Damit wird, mit diesem letzten Satze, indem er zu den früheren hinzugefügt wird, zu der Verlogenheit selbstverständlich noch die absolute Paralyse hinzugefügt . Denn man stelle sich nur einmal vor dieses Geschöpf, das entstehen würde, wenn es wirklich zustande kommen könnte, daß irgendeiner mein Lieblingsschüler würde, daß ich diesem Lieblingsschüler eine große Zukunft prophezeien würde, daß er feststehen würde auf dem «Evangelium der Dreigliederung», und daß er nun im Sinne der biederen Leute im Wuppertal ein frommer Christ wäre! Man stelle sich dieses Gebilde eines Menschen vor! Das aber ist heutige Zivilisation, ist, so unbedeutend es schei­nen mag, dennoch ein deutliches Symptom für moderne Zivilisation. Denn diejenigen, die sehr häufig gegen solche Dinge polemisieren, die polemisieren mit gleicher Lüge und mit gleicher Paralyse. Und die anderen merken gar nicht, was für sonderbare Gebilde «vor ihre dummen Augen gezaubert werden», verzeihen Sie, ich zitiere nur, was in einem meiner Mysterien von den Gnomen gesagt wird. Sie merken gar nicht, was vor die, nun ja, sagen wir jetzt «intelligenten» Augen - so wie Intelligenz in der neueren Zivilisation gemeint ist -gezaubert wird. Man nimmt tatsächlich heute alles hin, weil die

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Empfindung fehlt für die Wahrheit und Wahrhaftigkeit, und der Enthusiasmus fehlt für das Geltendmachen der Wahrheit undWahr­haftigkeit inmitten einer unwahren und unwahrhaftigen Zivilisation .

Ehe man nicht ernst macht mit solchen Dingen, eher kann es nicht weitergehen. Man muß ein anderes Bild heute vor die Seele hinstellen. In diesen Tagen tritt es deutlich vor die Seele der Men­schen, daß Europa das Grab seiner Zivilisation schaufeln will und daß es herbeirufen will, dieses Europa, ein Außereuropäisches, damit über dem zugeschaufelten Grab der alten Zivilisation, auch schon über dem zugeschaufelten Grab des Goetheanismus, etwas ganz anderes sich erhebe. Nun, es wird sich ja zeigen, ob aus dem­jenigen, dem ja durch die Politiker das Grab geschaufelt werden soll, noch etwas hervorgehen kann, das nun wirklich aufnimmt die Aufgangskräfte, das da findet den Menschen, das da findet die wie­derholten Erdenleben als den einzig wirklichen Impuls des Ewig­keitsgedankens, das da findet das wahre Mysterium von Golgatha als den richtigen Impuls, das Christentum gegenüber alldem, was auf diesem Gebiete als das Unwahre und Unwahrhaftige auftritt .

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ACHTER VORTRAG Dornach, 23. April 1921

Ich werde heute ein scheinbar entlegeneres Kapitel vorzubringen haben, das sich aber doch mit dem gestern Gesagten und morgen zu Sagenden zu einem Ganzen zusammenschließen wird. Ich habe öfters erwähnt, daß der Mensch, indem er die Entwickelung der Menschheit überblickt, zu sehr von der Anschauung ausgeht, daß eigentlich die Gesamtverfassung des menschlichen Seelenlebens, so lange es überhaupt eine menschliche Entwickelung gibt, die ge­schichtlich oder vorgeschichtlich zu verfolgen ist, im wesentlichen gleichgeblieben sei. Aber das, was da geglaubt wird, entspricht eben durchaus nicht den Tatsachen . Allerdings, es ist schwer zu konstatie­ren, wie die aufeinanderfolgenden Metamorphosen der menschlichen Seelenentwickelung gewesen sind, wenn man bloß in der Lage ist, auf die geschichtlich durch Dokumente überlieferten Tatsachen zu sehen . Wenn man jedoch weiter zurückschauen kann, als diese Tat­sachen gehen, dann zeigt sich auch das geschichtlich Überlieferte in einem anderen Lichte, und dann zeigt sich, daß es mit der mensch­lichen Seelenbeschaffenheit nicht immer so gewesen ist, wie es heute ist, oder wie es in den Zeiten war, die gerade noch durch Äußerliches zu überschauen sind. Vor allen Dingen glaubt man: Nun ja, der Mensch hat zum Beispiel heute so etwas wie eine Geometrie, er hat so etwas wie eine Arithmetik, die ja im wesentlichen die Lehre vom Zählen ist, und er hat dann die Kunst des Wägens, des Gewicht­bestimmens. Man macht sich Vorstellungen darüber, was messen ist, was ein Maß ist. Man macht sich Vorstellungen darüber, wie man heute zählt und wie man die Dinge abwiegt, und man denkt sich:

Gewiß, in der Zeit, in der nach unserer nun einmal bestehenden Meinung die Menschen noch ganz kindlich waren, in der haben sie eben noch nicht messen, zählen und rechnen gekonnt. Aber seitdem man das kann, seitdem wird es eben ungefähr in derselben Weise ausgeübt, wie das heute ausgeübt wird.

Das ist eben durchaus nicht der Fall, und wenn es auch, wie

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gesagt, in ein entlegeneres Gebiet führt, wir müssen uns schon ein­mal, bevor wir auf das Geschichtliche der Menschheit eingehen, et­was genauere Vorstellungen bilden über Maß, Zahl und Gewicht. Sie wissen ja, daß auch nach der äußeren Überlieferung in der pytha­goräischen Schule über die Zahlen etwas andere Ansichten ge­herrscht haben als heute herrschen . Die Pythagoräer haben , wie Sie ja alle wissen, bestimmte Vorstellungen verknüpft mit der Zahl - eins, zwei, drei, vier und so weiter -, sie haben ganz bestimmte Vorstel­lungen verbunden mit der geraden Zahl, mit der ungeraden Zahl. Kurz, sie haben in einer gewissen qualitativen Weise, nicht bloß in quantitativer Weise von der Zahl gesprochen .

Wenn man dasjenige, was da zugrunde liegt, geisteswissen­schaftlich betrachtet, so kommt man dazu, einzusehen, wie das, was in der pythagoräischen Schule vorhanden war, die ja immerhin noch eine Art Geheimschule war, im Grunde schon nur mehr der letzte Nachklang von einer viel älteren Zahlenweisheit war, die in uralte Zeiten zurückgeht, und von der sich nur Überlieferungen erhalten haben. Und das, was uns über Pythagoras gesagt wird, das ist im Grunde genommen schon etwas, was im Niedergange begriffen war von einer uralten Zahlenlehre . Man kommt eben, wenn man die Sachen geisteswissenschaftlich verfolgt, über Maß, Zahl und Ge­wicht zu wesentlich anderen Vorstellungen, als wir sie heute haben . Aber wie gesagt, wir müssen uns da ein wenig klarmachen können, wenn das auch manchen von Ihnen Schwierigkeiten be­reiten mag, wie es heute um diese Begriffe Messen, Zählen, Wägen steht.

Messen - wie messen wir? Wir können nur ein Maß haben, und dieses Maß, das muß in irgendeiner Weise angenommen sein. Wir können nicht sagen, daß dieses Maß, das wir zugrunde legen, nehmen wir also heute das Metermaß, irgendwie absolut bestimmt sei. Es ist angenommen, es ist bestimmt als ein bestimmter Teil des nördlichen Erdmeridianquadranten, der durch Paris geht, und es ist nicht einmal dieser Teil, der zehnmillionste Teil, genau enthalten in jenem gewissermaßen ehernen Grundmaßstab, der zu Paris sich be­findet als der Urmeterstab. Aber es ist angenommen. Man sagt, man

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will von einem bestimmten Maß ausgehen, und dann mißt man an­dere Längen damit oder auch Flächen, indem man aus dem Längen­maß ein Quadratmaß bildet. Aber dasjenige, was man da herausbe­kommt über das zu Messende, ist zurückgeführt auf ein rein Will­kürliches, auf ein einmal Angenommenes. Das ist wichtig, daß wir uns das klarmachen, daß wir eigentlich ein willkürliches Maß zugrunde legen, so daß wir immer nur das Verhältnis irgendeiner Größe zu diesem willkürlich angenommenen Maß haben, wenn wir messen. Mit der Zahl verhält es sich schon etwas anders.

So wie wir heute einmal in unserem abstrakten Dasein leben, so zählen wir «eins», «zwei», «drei»; wir zählen «eins», «zwei», «drei», wenn wir Äpfel zählen, wenn wir Menschen zählen, wenn wir Pferde zählen, wenn wir Stühle zählen. Für das, was da durch die Zahl be­stimmt werden soll, ist es gleichgültig, wofür wir «eins» sagen . Wir haben unsere besondere Art des Zählens für alle Dinge, die wir eben abzählen und die als Einheit etwas in sich Geschlossenes bilden.

Merken Sie, wenn wir messen, so legen wir eine willkürliche Maßeinheit zugrunde; aber auf diese willkürliche Maßeinheit bezie­hen wir dann alles . Diese Maßeinheit ist gewissermaßen etwas, sie ist da; sie ist sogar vorstellbar, ich möchte sagen, in einer dingähnlichen Art, in einer sachähnlichen Art . Die Einheit als Zahl, die ist nicht vorstellbar in einer dinglichen Art. Was die Einheit als Zahl ist, das ist ein völliges Abstraktum, das ist etwas, was auf alles anwendbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob wirJahre zählen oder ob wir Men­schen zählen oder ob wir Sterne zählen, wir werden ins völlig Ab­strakte geführt, in dasjenige, mit dem gar keine Wirklichkeit ge­meint werden kann, weil alle Wirklichkeiten damit gemeint sein können und keine Wirklichkeit gemeint sein kann. Wenn wir arith­metisch die Einheit zugrunde legen, da entfällt uns das bißchen Dinghafte' Sachhafte, was wir noch haben, wenn wir messen. Und gar beim Wägen, beim Wägen haben wir es zu tun damit, daß wir dasjenige gar nicht übersehen, was wir zugrunde legen. Da entfällt uns die Geschichte noch mehr als bei der Zahl. Bei der Zahl haben wir wenigstens, wenn wir etwa Stühle zählen und sagen «eins», «zwei», «drei», mit dem dritten Stuhle abgeschlossen und er steht als

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Einheit vor uns . Wenn wir aber eine Waage haben, da legen wir auf der einen Seite ein Gewicht auf - das Gewicht ist ja für sich nichts, wenn es nicht angezogen wird von der Erde, wie wir sagen -, und das wiederum, was wir abwägen, ist gleich dem Gewichte des Gewichtes . Aber wir stehen da gar nicht mehr allein; wir stehen im Grunde ge­nommen mit der ganzen Erde da. Dasjenige, worauf wir uns be­ziehen, liegt völlig irgendwie außerhalb des Bereiches, den wir über­schauen . Wir kommen in ein völliges Abstraktum hinein, wenn wir sagen: Irgend etwas wiegt fünf Kilo . - Denken Sie nur, was Sie da eigentlich in der Vorstellung haben, wenn Sie sagen, etwas wiegt fünf Kilo, Sie legen ein Fünfkilogewicht auf eine Waagschale, ja, aber ein Fünfkilogewicht' das ist ja nichts für sich! Es ist keine Eigen­schaft des Dinges da . Wenn ich sage: Ein Stuhl - so ist wenigstens dieses «eins» geschlossen in dem Stuhl drinnen; aber diese fünf Kilo, die müssen sich auf die Erde beziehen. Da haben Sie nur irgend et­was, was eine Beziehung zu etwas ist, was Sie gar nicht überschauen:

zum ganzen Erdenkörper. Und wenn Sie dann das andere auf der Waagschale, die fünf Kilo abwiegen sollen, so haben Sie wieder etwas, was Ihnen ganz entschlüpft, was wieder einem Ganzen ange­hört, was weniger ist als ein Abstraktum .

Gehen wir von der Zahl aus. In früherer Zeit - und wir werden dabei zurückgeführt eigentlich bis in den zweiten nachatlantischen Zeitraum -, in dem zweiten nachatlantischen Zeitraum, da behan­delte man das ganze Denken über die Zahl wesentlich anders, als es heute in der äußeren Welt behandelt wird . Da hatten wirklich die Menschen Vorstellungen über «eins», über «zwei», über «drei». Für uns ist «zwei» nichts anderes als das zweimalige Vorhandensein der Einheit; und «drei» ist das dreimalige Vorhandensein der Einheit und «vier» eben das viermalige Vorhandensein der Einheit. Und so zählen wir fort, indem wir immer nur «eins» dazugeben, also denselben Denkakt wiederholen . Wir können ihn ad infinitum, ins unendliche wiederholen .

So war es nicht in dem zweiten nachatlantischen Zeitraum . Da fühlte man, sagen wir zwischen «zwei» und «drei», einen solchen Unterschied, wie man ihn heute nur zwischen Gegenständen fühlt .

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Man fühlte in der Drei etwas wesentlich anderes als in der Zwei, nicht bloß daß die Einheit dazugefügt ist, sondern man fühlte in der Drei etwas Geschlossenes, etwas, wo sich die drei Dinge aufeinander beziehen, in der Zwei etwas Offenes, etwas, wo die zwei Dinge gleichgültig nebeneinanderliegen. Diese Gleichgültigkeit des Neben­einanderliegens, an das dachte man, wenn man «zwei» sagte. In der Drei fühlte man nicht etwas gleichgültig Nebeneinanderliegendes , sondern man konnte sich unter Drei nur etwas vorstellen, was zu­sammengehört, wovon sich jedes auf das andere bezieht. Von der Zwei konnte man sich vorstellen, daß das eine links entwischt, das andere rechts entwischt . Von der Drei konnte man sich das nicht vorstellen . Von der Drei stellte man sich immer vor: Wenn das eine entwischt, dann sind die zwei anderen nicht mehr das, was sie ge­wesen sind, denn dann sind sie ein Gleichgültig-Daseiendes . Die Drei schloß gewissermaßen die Zwei zu einer Totalität , zu einem Ganzen zusammen. Ein solches Rechnen, wie wir es haben, das elementare Rechnen, das Wiederholen desselben Aktes , das gab es in jenen älteren Zeiten überhaupt nicht. Und erst heute werden wir durch die Geisteswissenschaft wiederum in einer gewissen Weise in das Qualitative der Zahl hineingeführt .

Ich kann Ihnen das an einem Beispiel , das Sie längst kennen , veranschaulichen , so daß Sie sehen werden: man ist genötigt , nicht bloß eins zu eins zu eins und so weiter hinzuzufügen , sondern mit der Zahl nun auch wirklichkeitsgemäß unterzutauchen in das Da­sein. Damit Sie eine, es ist noch, ich möchte sagen, die elementarste, Vorstellung von der Sache bekommen, machen Sie mit mir das Fol­gende durch. Sie finden in meiner «Theosophie» die einzelnen Glieder des Menschen beschrieben; diese Glieder des Menschen wer­den beschrieben:

1. Physischer Leib

2. Ätherleib

3. Astralleib

4. Empfindungsseele

5 . Verstandes- oder Gemütsseele

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6. Bewußtseinsseele

7. Geistselbst

8. Lebensgeist

9. Geistesmensch

Aber diese Glieder der menschlichen Wesenheit so nebeneinander­zufügen, das heißt, sie nacheinander abstrakt aufzuzählen, das heißt nicht in die Wirklichkeit untertauchen. Denn diese Neun hier, die gibt es ja gar nicht; man kann gar nicht so zählen: 1. Physischer Leib, 2. Ätherleib , 3. Astralleib , 4. Empfindüngsseele; man kann gar nicht so zählen , wenn man sich die menschliche Wesenheit klarmachen will, wenn man heute den Menschen seiner Wirklichkeit nach an­sieht . Tatsächlich muß man so sagen: Physischer Leib , gut , der grenzt sich als ein in sich Geschlossenes ab, Ätherleib auch; aber der Astral-leib, indem wir also zum Dritten übergehen, der ist nicht etwas in sich Abgeschlossenes, und wir können nicht einfach die Empfin­dungsseele zu ihm hinzuzählen beim wirklichen Menschen, sondern wir müssen diese zwei, Astralleib und Empfindungsseele, unbedingt zusammenfassen und dadurch, daß wir in der Wirklichkeit über­gehen von eins zu zwei zu drei, können wir gewissermaßen real ab­zählen, können wir in der Drei nicht finden ein einfaches Hinzu­fügen.

Dasjenige, was im Menschen sich bildet als «Astralleib» und «Empfindungsseele», die ineinanderwirken, ist abstrakt einfach ein Drittes; aber dadurch , daß wir in dieser Realität übergehen zum Dritten , können wir nicht mehr einfach zu den zwei Ersten ein Drit­tes hinzufügen, sondern müssen uns klar sein: dieses Dritte ist in sich etwas anderes als die beiden Ersten .

Dann kommen wir dazu, das Vierte zu zählen, was eigentlich das Fünfte ist, und dann müssen wir wiederum im Grunde genommen das Sechste und Siebente zusammenrechnen im heutigen Menschen, so daß wir eigentlich haben , wie Sie das auch in meiner «Theosophie» verzeichnet finden: drei , vier, funf, sechs, sieben . Wir bekommen sieben wirkliche Glieder, die aber, wenn sie abstrakt aufgezählt werden, neun Glieder sind:

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#Bild s. 132

Wir lernen aus der Wirklichkeit heraus zu sagen: Indem wir nach der Regel der Zahl vorgehen, ist nicht gleichgültig das eine dem an­deren . Einfach dadurch , daß dies das Dritte ist (siehe Zusammen­stellung, 3>, ist es etwas anderes. Gewiß, wir mussen uns das heute, weil wir gewöhnt sind , über die Zahl abstrakt zu denken, ein wenig veranschaulichen, weil es dem gewöhnlichen Bewußtsein weit ab-liegt. Aber in alten Zeiten , also in der ersten und zweiten Periode nachatlantischer Zeit, da fiel es gar niemandem ein , in den Zahlen beim Vorrücken das gleichgültige Hinzufügen des einen zum an­deren sich vorzustellen , sondern man erlebte etwas , wenn man über­ging, sagen wir von der Zwei zur Drei, so wie man hier etwas erlebt, wenn man übergeht von der Zwei zur Drei (siehe Zusammenstel­lung) . Heute kann man es gerade erst fühlen an einem solchen Bei­spiel; man fühlt es noch nicht an der Zahl selber. In jenen alten Zeiten fühlte man es an den Zahlen selber. Man sprach von den Zahlen in ihren Verhältnissen zueinander. So empfand man zum Beispiel: Alles dasjenige , was als Zwei vorhanden ist , das hat etwas nach der Welt Offenes , das ist nichts Abgeschlossenes; dasjenige, was als Drei, als wirkliche Drei vorhanden ist , das ist etwas Abge­schlossenes. Nun werden Sie sagen, man muß da einen Unterschied machen, je nachdem, was man zählte. Wenn man zählte: Ein Mann, eine Frau, ein Kind, so ist Mann, Frau gleich Zweiheit, unab­geschlossen zur Welt; in dem Kinde schließt es sich ab , bildet eine Ganzheit. Wenn man Äpfel zählte, dann konnte man allerdings nicht sagen , daß drei Äpfel mehr abgeschlossen sind als zwei Äpfel .

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Ja, das Äußere empfand man nur so, aber die Zahl empfand man nicht so; die Zahl empfand man nämlich ganz anders .

Sie werden sich erinnern , daß gewisse Stämme , die noch der Ur­bevölkerung angehören , nach ihren zehn Fingern zählen, indem sie die Anzahl des außen Vorhandenen mit ihren Fingern vergleichen, so daß man also sagen könnte, wenn drei Äpfel daliegen , das ist gleich drei Finger.

Aber nun würde man nicht gesagt haben: Eins , zwei , drei -natürlich in der entsprechenden Sprache: Daumen , Zeigefinger, Mittelfinger. - Da hat man zwar draußen in der Welt nichts Be­stimmtes; aber in dem, was einem innerlich repräsentierte das , was draußen ist, da hatte man etwas sehr Bestimmtes , denn die drei Finger, die sind voneinander verschieden . Nun , wir haben es so herrlich weit gebracht als Menschheit jetzt in der fünften Periode der nachatlantischen Zeit - es war schon in der vierten im wesentlichen so -, daß wir nicht mehr nötig haben, zu sagen: Daumen, Zeige­finger, Mittelfinger - , sondern wir sagen: Eins, zwei, drei. - Der Genius der Sprache wird nicht mehr berücksichtigt. Denn wenn Sie hinhören würden auf die Sprache, so würden Sie rein empfindungs­gemäß sich sagen: Eins, entzwei - das heißt auseinander. In der Sprache liegt es noch. Wenn Sie aber sagen: Drei - und haben ein Gefühl für die Laute , dann haben Sie das Geschlossene . Drei: sind nur zu denken eigentlich - wenn man sie richtig denkt - als zuein­andergehörig im Kreise liegend . Zwei: entzwei; drei: in sich ge­schlossen . Der Genius der Sprache hat das noch .

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Ja, also wie gesagt, wir haben es «so herrlich weit gebracht», daß wir abstrakt eine Einheit an die andere herantragen können, und

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dann empfinden wir, nun ja: Das ist zwei, das ist eins; bei drei ist ja noch eins dabei und so weiter. Aber warum können wir denn über­haupt zählen? Ja, in Wirklichkeit machen wir es nämlich nicht anders als die Wilden, nur haben die Wilden das mit ihren fünf Fingern gemacht, mit ihren fünf physischen Fingern. Wir zählen auch, nur zählen wir mit den Fingern unseres Ätherleibes und wissen nichts mehr davon . Das spielt sich im Unterbewußtsein ab , da abstrahieren wir . Denn dasjenige , wodurch wir zählen , das ist eigentlich der Ätherleib , und eine Zahl ist noch immer nichts anderes in Wirklich­keit als ein Vergleichen mit demjenigen , was in uns ist . Die ganze Arithmetik ist in uns , und wir haben sie in uns hineingeboren durch unseren Astralleib , so daß sie eigentlich aus unserem Astralleib herauskommt, und unsere zehn Finger sind nur der Abdruck die­ses Astralischen und Ätherischen . Und dieser beiden bedient sich nur dieser äußere Finger, während wir, wenn wir rechnen, dasjenige, was durch den Astralleib bewirkt Inspiration von der Zahl , im Äther-leib ausdrücken und dann durch den Ätherleib, mit dem wir über­haupt denken, zählen . So daß wir sagen können: Äußerlich ist heute für uns das Zählen etwas recht Abstraktes , innerlich hängt es damit zusammen - und es ist sehr interessant, die verschiedenen Zählungs­methoden nach der Zehnzahl' nach dem Dezimalsystem oder nach der Zwöffzahl bei den verschiedenen Völkern zu verfolgen, wie das mit der verschiedenen Konstitution ihres Ätherischen und Astra­lischen zusammenhängt -, innerlich hängt es damit zusammen , daß wir zählen, weil wir selbst erst gczählt sind; wir sind aus der Welten­wesenheit heraus gezählt und nach der Zahl geordnet. Die Zahl ist uns eingeboren, einverwoben von dem Weltenganzen. Draußen werden uns nach und nach die Zahlen gleichgültig; in uns sind sie nicht gleichgültig, in uns hat jede Zahl ihre bestimmte Qualität. Versuchen Sie es nur einmal , die Zahlen herauszuwerfen aus dem Weltenall, und sehen Sie sich an, was der Zahl gemäß gestaltet wird, wenn einfach eins zu dem anderen hinzugesetzt würde; sehen Sie sich an, wie dann Ihre Hand ausschauen würde, wenn da der Daumen wäre, und nachher würde einfach das Nächste hinzugesetzt als die gleiche Einheit , dann wiederum , wiederum: Sie hätten fünf

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Daumen an der Hand, an der anderen Hand auch wiederum fünf Daumen! - Das würde dann entsprechen dem abstrakten Zählen.

So zählen die Geister des Weltenalls nicht. Die Geister des Wel­tenalls gestalten nach der Zahl und sie gestalten in jenem Sinne nach der Zahl, den man früher mit der Zahl verband, wie gesagt , noch in der ersten , noch in der zweiten Periode der nachatlantischen Zeit . Das Herausentwickeln der abstrakten Zahl aus der ganz konkreten Vorstellung des Zahlenhaften , des Zahlenmäßigen , das hat sich erst im Laufe der Menschheitsentwickelung gebildet. Und darüber muß man sich klar sein, daß es eine tiefe Bedeutung hat , wenn aus den alten Mysterien heraus überliefert wird: Die Götter haben den Men­schen nach der Zahl gebildet . - Die Welt ist voller Zahl, das heißt , alles wird nach der Zahl gebildet, und der Mensch ist nach der Zahl herausgestaltet, so daß unser Zählen in jenen alten Zeiten nicht vorhanden war; aber ein bildhaftes Denken in den Qualitäten der Zahl , das war vorhanden.

Da kommen wir in alte Zeiten zurück, wie gesagt , bis in die erste, zweite nachatlantische Periode , in die urindische , in die urpersische Zeit, in denen ein Zählen in unserem Sinne durchaus nicht möglich war, wo man mit der Zwei etwas ganz anderes verbunden hat, als zweimal die Eins , mit der Drei etwas ganz anderes , als zwei und eins und dergleichen.

Sie sehen , die menschliche Seelenverfassung hat sich schon im Laufe der Zeit ganz beträchtlich verändert . Und wenn wir nun den etwas späteren Zeitraum betrachten, der die dritte Periode der nach-atlantischen Zeit ist , dann stellt sich das Maß als etwas ganz anderes heraus . Heute messen wir , indem wir eine willkürliche Maßeinheit annehmen. Aber an eine solche willkürliche Maßeinheit dachte man zum Beispiel noch im dritten nachatlantischen Zeitraum eigentlich nicht, sondern man hatte da auch in bezug auf das Messen etwas durchaus Bildhaftes im Auge. Man hatte dasjenige im Auge, was Ihnen vielleicht klarwerden kann, wenn wir uns sagen: Wir sehen zum Beispiel dieses als Säule und sehen dann das als Säule an (siehe Zeichnung); wir sehen nach diesen zwei Säulen hin. Wenn wir abstrakt empfinden , sagen wir, die zweite Säule ist zweimal so groß

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wie die erste; wir haben sie mit der ersten ge­messen . - Aber das ist sehr abstrakt vorgestellt . Konkret vorgestellt ist das erwa in der fol­genden Weise auszudeuten: Fühlen wir uns der ersten Säule gegenüber, so fühlen wir sie schwach gegenüber der zweiten; wir fühlen , daß sie wachsen muß, und wir fühlen, wenn sie wächst und wächst, daß , wenn sie bis hier­her gewachsen ist, sie etwas Besonderes ist . Sie hat soviel Kraft aufgewendet auf dieses Wach­sen, daß sie jetzt eine Stärke hat, wodurch sie etwa in ihren zwei Teilen sich so verhalten kann, daß die beiden gleich stark sind. Man kann da etwas Qualitatives empfinden. Man kann weitergehen. Man kann sagen: Ich habe hier ein Gebilde, ich messe es an dem anderen und bekomme so die Symmetrie heraus; es erweitert sich mir der Begriff des Maßes, er geht hinein in das Bild.

Auf diese Weise bekommt man allmählich eine Vorstellung , daß Maß tatsächlich etwas zu tun hat mit dem , was wir heute noch ganz dunkel empfinden, wenn wir von mäßig und maßvoll reden, wobei wir auch nicht an Abmessen denken. Wählen wir einmal dieses Bei­spiel: Wenn jemand eine bestimmte Speise in einem bestimmten Quantum zu sich nimmt, so finden wir das manchmal maßvoll, ohne daß wir es messen . Wir finden etwas anderes unmäßig . Aber wir messen da nicht irgend etwas ab , wir vergleichen nicht messend den Magen mit demjenigen, was hineinkommt und dergleichen. Wir messen auch nicht das Stück Fleisch ab und essen es dann , wir messen es nicht an der Größe des Menschen, sondern wir haben et­was Qualitatives , etwas Eigenschaftliches , wenn wir von maßvol] oder von maßlos und dergleichen sprechen. - Da kommen wir zu et­was, was zwar nicht so stark verschieden ist von dem, was wir heute das Maß nennen, was aber doch immerhin zeigt, daß wir heute unter dem Maß etwas Abstraktes, nämlich «das Enthaltensein der Maß­einheit in irgendeiner bestimmten Größe» verstehen, während man

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früher darunter etwas, was qualitativ mit den Dingen zusammen­hing, verstand . So vor allen Dingen empfand man maßvoll jedes einzelne Glied des Menschen in bezug auf den Gesamtmenschen, ohne daß man dabei an eine Einheit dachte. Uns ist davon noch et­was zurückgeblieben, nämlich , daß es uns ekelhaft ist, wenn wir als Künstler irgend etwas abmessen sollen; wenn wir als Künstler messen sollen mit dem wirklichen Maßstabe , damit nun die Nase nicht zu lang oder zu kurz ist , so ist das eigentlich unkünstlerisch . Künst­lerisch ist es nur , wenn im Anschauen eine Sache die Größe hat , die sie haben muß an einem Organismus . Also hier handelt es sich auch nicht um einen abstrakten Vorgang, sondern um etwas, was mit dem Bildhaften zusammenhängt. Und wenn Sie schließlich auf dasjenige Maßverhältnis , das heute noch eine gewisse Rolle spielt , sehen , auf den sogenannten Goldenen Schnitt, so hängt dieser ja nicht zu­sammen mit dem Messen, söndern er hängt zusammen mit etwas, was nur qualitativ ist: das Kleine verhält sich zum Mittleren , wie das Mittlere zum Großen. Das Kleine mag so groß sein, wie es will, es muß nur immer sich verhalten zu dem Mittleren wie das Mittlere zu dem Großen . Wir haben nicht eine Maßeinheit im Auge , sondern wir haben im Auge etwas, was sich im Anschauen aufeinander be­zieht, und reden doch von dem Maß und dem Maßvollen, das sich im Goldenen Schnitt zum Ausdrucke bringt. Wir können gar nicht irgendwie beim Goldenen Schnitt dasjenige zugrunde legen, was Maßeinheit wäre im abstrakten Sinne , wie wir das sonst können . Wir können also sagen: Mit Bezug auf das Messen sehen wir in der Menschheitsentwickelung, indem wir die Zeiten durchgehen, daß im vierten nachatlantischen Zeitraum, im griechisch-lateinischen' allmählich dieses anschauliche Empfinden des Maßes sich umwan­delt in das abstrakte Messen . Das ist eigentlich erst im vierten nach-atlantischen Zeitraum der Fall . Im dritten empfand man viel mehr noch die Maßverhältnisse so, wie wir nur noch empfinden, wenn wir den Goldenen Schnitt empfinden. Und unser abstraktes Zählen geht zurück , indem wir in alte Zeiten kommen , auf ein Erleben der inneren Eigenschaft der Zahl .

Nun, beim Gewicht, da ist der heutige Mensch schon ganz weit

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draußen, ganz furchtbar weit draußen aus dem, was im ersten nach­atlantischen Zeitraum als Erleben des Gewichtes vorhanden war. Sie brauchen sich ja nur an eine sehr bekannte Erscheinung zu erinnern, die gewiß die meisten von Ihnen erlebt haben, wenn der Athlet kommt und seine furchtbar schweren Gewichte trägt , auf denen «200 Kilo» steht; und er schleppt sie und schleppt sie und er schwitzt, und Sie schwitzen schon fast mit ihm. Und dann, wenn er Sie lange genug hat schwitzen lassen, dann hebt er sie plötzlich auf und läuft davon . Das Ganze hat gar kein Gewicht, sondern es ist Ihnen nur vorgetäuscht . Aber Sie empfinden eigentlich nach dem Abstraktum, was da daraufsteht: «200 Kilo.» Das Erleben des Ge­wichts ist uns eben heute durchaus entzogen. Daher gehört es auch zu den größten Erlebnissen , wenn beim hellseherischen Bewußtsein , wie es ja durchaus der Fall ist, gegenüber den Naturerscheinungen das Erlebnis des absoluten Gewichtes auftritt . Es ist durchaus so, daß in jenem ersten nachatlantischen Zeitraum , den wir den urindischen nennen, der Mensch in sich noch etwas empfand von Gewichtsverhält-nissen. Ich habe Ihnen öfters davon gesprochen , daß eigentlich unser Gehirn im Gehirnwasser schwimmt und dadurch ja nach dem be­kannten Gesetze , wonach ein schwimmender Körper scheinbar so viel leichter wird, als das Gewicht des verdrängten Wassers beträgt , das Gehirn wesentlich an seinem Gewichte verliert; sonst würde es uns ja die darunterliegenden Adern fortwährend zerdrücken. Das Gehirn schwimmt im Gehirnwasser; aber heute merkt der Mensch in seinem abstrakten Erleben nichts mehr davon . Er merkt auch von den anderen Verhältnissen nichts mehr in sich . Er erlebt nicht mehr das Gewicht, er gibt nicht acht auf dieses Erleben des Gewichtes. Es ist wesentlich verschieden, das Gewicht seines Körpers zu erleben, wenn man zwölfJahre alt ist , oder wenn man , sagen wir , fünfmal so alt geworden ist; aber die meisten haben ja vergessen , wie sie sich selber schwer vorgekommen sind in ihrem zwölften Lebensjahre , und können es daher nicht gut vergleichen. Aber nehmen wir meiner-willen irgendwie zwei Lebensalter an, in denen man der Waage nach gleich schwer ist; dann kommt es nicht darauf an, sondern da kommt es auf das Erlebnis der Schwere an . Dieses Gewichtserlebnis , das

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heute also für den Menschen nur da ist in Beziehung zur Erde , dieses Gewichtserlebnis war ein Absolutes in dem ersten nachatlantischen Zeitraum .

Heute empfinden wir nur noch einen Rest davon in der Kunst, in der Kunst allerdings sehr stark. Ich brauche Sie nur auf folgendes aufmerksam zu machen . Nehmen Sie an , ich zeichne zwei Figuren:

Da haben Sie für meine Anschauung eigentlich etwas Ungeklärtes , etwas Unaufgelöstes , etwas , was nicht sein soll . So zwei Dinge ne­beneinander , die fordern mich auf, ein Drittes dazuzumachen . Aber ich kann das Dritte nur so machen, daß es größer ist, die beiden zusammenhält in einer gewissen Weise . Dann habe ich das Gefühl , die drei schweben in der Luft und können sich gegenseitig halten .

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Wenn der kompositionelle Maler heute drei Engel malt, die ja eine Schwereanschauung nicht haben , so verteilt er sie im Raume so, daß sie sich gegenseitig tragen , daß der eine von dem anderen ge­tragen ist . Drei Engel einfach nebeneinander zu malen auf eine Fläche , das ist selbstverständlich das Schlechteste, was man künst­lerisch leisten kann; da hat man kein wirkliches künstlerisches Ge­fühl für solche Dinge. Man muß ein Gefühl haben für das gegensei­tige Gewicht , wie das eine das andere trägt, und im künstlerischen Empfinden ist noch ein leiser Anflug von dem vorhanden, was er­lebt wurde vor allen Dingen innerlich im Menschen in der nachatlan­tischen Zeit als das Gewichtende. Das Erlebnis von Gewicht, Zahl und Maß, das entwickelt sich durch die drei ersten nachatlantischen

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Zeiträume so, wie es sich eben entwickeln mußte, indem der Mensch sich da drinnen fühlte im Kosmos. Und von dem, wonach er aus dem Kosmos heraus gebildet worden ist, wurden dann die anderen Dinge beurteilt, dasjenige , was er aus sich hervorbrachte . Schaute er auf das, was sein astralischer Leib in den Ä therleib hineinstieß, so mußte er sagen: Der Astralleib zählt, aber zählt differenzierend, zählt den Ätherleib. Er gestaltet ihn zählend. - Zwischen dem Astralleib und Ätherleib liegt die Zahl, und die Zahl ist ein Leben­des, ein in uns Wirksames. Zwischen dem Ätherleib und dem phy­sischen Leib liegt etwas anderes . Aus dem Ätherleib heraus wird durch die inneren Verhältnisse dasjenige gebildet, was wir dann sehen; nach dem Goldenen Schnitt sind wir ja im Grunde genom­men auch organisch aufgebaut: die Stirn zu einem gewissen Teil , und wiederum dieser andere Teil zu der ganzen Kopflänge und so weiter. Das alles prägt der Ätherleib aus dem Kosmos, aus kosmi­schen Verhältnissen unserem physischen Leib ein. Das Maß und das Maßvolle, das in uns ist, das ist der Übergang vom Ätherleib zum physischen Leib. Und endlich im Übergang vom Ich zum astrali­schen Leib liegt dasjenige, innerlich erlebbar, was Gewicht ist. Ich habe Ihnen öfters gesagt, das Ich wurde eigentlich erst geboren im Laufe der Menschheitsentwickelung. Der alte Inder der urindischen Zeit erlebte nicht ein solches Ich. Er erlebte aber innerlich das Ge­wichten, das Gestaltetsein , so daß er sowohl seine Schwere , sein Hinunterdrängen , wie seinen Auftrieb , sein Hinaufsteigen empfand . In sich empfand er dieses, was da überwunden wird, indem das Kind aus einem Kriecher ein Geher wird; das empfand er. Er empfand nicht «Ich», aber er empfand , wie er durch die ahrimanischen Mächte an die Erde gefesselt wurde , «gewichtigt» wurde , wie er aufgetrieben wurde durch die luziferischen Mächte, hinaufgehoben wurde , und er empfand dies als seine Gleichgewichtslage . Würden wir die alten Worte, die für das Ich da waren, studieren, so würden wir finden, daß eben das in der Bildung der Worte selber drinnenliegt . So wie zusammengefügt wurden in den Verben die Worte ihrer inneren Konfiguration nach , so war da drinnenliegend das Gleichgewicht zwischen dem Schweben und dem Fallen.

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Unsere so abstrakten Vorstellungen: Gewicht, was ja überhaupt schon gar nicht mehr abstrakt ist , denn wir stehen einem ganz Un­bekannten gegenüber; Zahl , was vollständig abstrakt ist , weil es dem, was gezählt wird, ganz gleichgültig ist; und Maß, was bei uns auch schon immer mehr abstrakt geworden ist -, das alles projiziert der Mensch eigentlich von seinem Inneren auf das Äußere . Er über­trägt dasjenige, was in ihm eine reale Bedeutung hat , weil er nach Maß, Zahl und Gewicht konstruiert ist , aufgebaut ist , er überträgt das auf die gleichgültig äußeren Dinge , entmenscht sich in diesem Abstraktionsprozeß selber, so daß man sagen kann: Die Menschheits­entwickelung tendiert dahin , die inneren Erlebnisse von Gewicht , Zahl und Maß zu verlieren, nur einen letzten Anflug im Künstleri­schen aufzubewahren , dann aber sie nicht mehr so zu erleben , daß der Mensch selber sich herausgestaltet fühlt aus dem Kosmos nach Gewicht , Zahl und Maß. Was wir heute als abstrakte Geometrie haben, wo wir kongruente und ähnliche Figuren vergleichen, wo wir sagen, daß eine Ellipse entsteht, wenn die Summe der Entfernung jedes ihrer Punkte von zwei bestimmten Punkten eine konstante Größe ist , das ist für uns etwas Abstraktes . Da messen wir im Grunde genommen die Entfernungen und finden ihre Summe im­mer gleich der großen Achse der Ellipse . Aber in diesem eigentüm­lichen Verhältnis von zwei voneinander verschiedenen Größen zu­einander, in dem erlebte man noch im dritten nachatlantischen Zeit­raum die Ellipse, auch wenn man sie gar nicht irgendwie vorstellte . Man fühlte in dem Maß des einen zu dem anderen schon das Elliptische , so wie man in der gleichen Zeit den Kreis fühlte . Und so fühlte man auch das Wesen der Zahl . So entwickelte sich die Menschheit vom konkreten Erleben zum Abstrakten hin und bildete aus dem alten Maßerleben die Geometrie aus, aus dem alten Zahlenerleben die Arithmetik und aus dem alten Gewichtserleben,

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indem der Mensch ganz und gar das Gewichtserlebnis verlor, sich ganz entmenschte, nur dasjenige, was äußerliches Beob­achten ist.

Ja, durch alles dieses bereitete sich schon langsam vor, was sich dann im 19. Jahrhundert zu der vollständigen Kulmination ent­wickelt hat , es bereitete sich langsam vor das Abstraktwerden des inneren menschlichen Erlebens: der Mensch ging der menschlichen Auschauung verloren . Der Mensch kommt nicht mehr an sich her­an; er ahnt nichts mehr davon, daß er Geometrie bildet, weil er nach dem Maß herausgebildet ist aus dem Kosmos, daß er zählt an sich , durch sich . Er ist überrascht , wenn die Wilden ihre Finger nehmen , um damit die äußeren Dinge zu vergleichen; aber er weiß nicht, daß er nach der Zahl herausgebildet ist aus dem Kosmos und daß er im Grunde genommen in dieser Beziehung immer ein Wilder bleibt und in seinem Ätherleib , der seinem astralischen Leib gemäß den inneren Eigenschaften der Zahlen selber die Zahlen eingebildet hat, daß er danach die Zahlen außen erlebt hat und so weiter. Geo­metrie , Arithmetik und die Gewichtslehre , das Wägen, das sind Dinge , die durchaus in die Sphäre des Abstrakten im Laufe der Menschheitsentwickelung eingezogen sind und die mitgewirkt haben , daß also der Mensch sich nurmehr überlassen konnte einer solchen Wissenschaft, einem solchen wissenschaftlichen Forschen , das diese Dinge im Äußeren anschaut .

Was tun wir heute , wenn wir wissenschaftlich forschen? Wir messen , wir zählen , wir wägen . Sie können heute schon merkwürdige Definitionen des Seins lesen. Es gibt heute bereits Denker, die sagen:

Seiend ist dasjenige, was man messen kann. - Aber dabei denkt man natürlich nur an das Messen mit einem willkürlichen Maßstab , und es ist merkwürdig, daß man nun das Sein zurückführt auf irgend etwas, dem eigentlich die Willkür zugrunde liegt. Man lebt also in etwas , was ganz und gar der Mensch aus sich herausgesetzt hat , be­züglich dessen er ganz und gar den Zusammenhang mit sich selber verloren hat. Unter solchen Einflüssen kam dann das zustande, was ich ja gerade während dieses Kurses von den verschiedensten Seiten her betont habe: daß in der neueren Erkenntnis der Mensch sich

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selber verloren hat . Er hat sich verloren , habe ich oft gesagt , in seiner Erkenntnis, indem er eigentlich nur dasteht wie der letzte Schluß­punkt der Tierreihe; er hat sich verloren in dem sozialen Leben, in dem wir zwar außerordentlich gute Maschinen ausgebildet haben , während wir aber nicht in unser soziales Leben einbeziehen können, was die Menschen bedeuten, die an den Maschinen stehen. Man muß lernen, hineinzuschauen in die Menschheitsentwickelung , man muß namentlich auf diese Weise beobachten, wie der Prozeß der In­tellektualisierung des Menschen sich gebildet hat . Denken Sie nur einmal, was das für eine andere Seelenverfassung war, wenn in dem ersten nachatlantischen Zeitraum der Mensch fortwährend , indem er ein Bein vorstellte , die Gleichgewichtslage anders erlebte , fortwäh­rend das Gewichtigwerden, das Fallen und Schweben erlebte, wenn er fühlte , wie die Zahl in seine eigene Gestalt hineingeschossen ist , wie er nach dem Maß aufgebaut ist . Denken Sie, wie das anders war, als wenn wir nur außerlich messen, zählen, wägen und den Men­schen dabei ganz aus dem Spiele lassen . Es ist schon so, daß heute höchstens, wie ich ja angedeutet habe, für denjenigen, der eine feinere Empfindung für die Sprache hat , noch etwas ersichtlich werden kann aus den Zahlworten über das Wesen der Zahl, denn in denen liegt schon etwas darinnen von dem Wesen der Zahl, oder aus dem künstlerischen Anschauen heraus, wenn jemand zum Beispiel empfindet , daß dies möglich ist:

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aber dieses hier unmöglich ist in dieser Beziehung:

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Dann hat er einen Hauch von dem, was Empfinden der inneren Ge­wichtigkeit ist, des inneren Gleichgewichtes . Wenn ich folgen kann mit der Linie irgendeinem Verhältnis bei einem anderen , so habe ich ein gegenseitiges Sich-Halten . Wenn ich aber da ein Horn zeichne, wo keins sein kann, so habe ich für das gegenseitige Sich-Halten keine Empfindung. Sehen Sie sich nur einmal an, wie die Mensch­heit ringt, um, ich möchte sagen, aus dem Inneren herauszusetzen das äußere Maß , die äußere Anschauung gegenüber dem innerlichen Erleben . Sehen Sie sich an in dem Bilde von Raffael - eigentlich auf allen Bildern von Raffael, aber insbesondere in dem Bilde von Raf­fael, wo die «Vermählung von Maria und Joseph» gegeben wird -, sehen Sie sich da an, wie die Figuren dastehen, wie alles so ist, daß da die Dinge gegenseitig sich tragen , daß man verliert das Gefühl , es zieht auch nach unten. Sehen Sie sich insbesondere an, wenn wirk­lich ältere Maler irgendeine fliegende Gestalt malen, wie das moti­viert ist, wie man dieser Gestalt ganz genau ansieht, daß das nicht heruntergewichtet, sondern daß sich das irgendwie durch die an­deren Verhältnisse selber trägt. Da haben Sie dieses Übergehen von dem innerlichen Gewichten zu dem äußerlichen Bestimmten des

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Gewichtes, und da haben Sie den Gang der Menschheit in der nach­atlantischen Zeit vom inneren Erleben zum Intellektualismus , dieses Heraufringen zum Intellekt, wo alles, was vom Menschen in Vor­stellung erlebt wird , vom Menschen losgelöst ist , wo der Mensch das Zerreißen , das «entzweien» gar nicht mehr erlebt , wenn er «zwei» sagt.

Leise tritt das auf. Wenn man dann dieses Wort weiter anwendet , wenn man sagt: «zweifeln», da empfindet man den Anklang an «entzwei» . Wer zweifelt , der sagt: Vielleicht ist das richtig , vielleicht ist das nicht richtig. - Das geht offen nach beiden Seiten hin; da ist das «entzweien» drinnen im Vorstellungsakt . Das liegt aber schon in der Zahl zwei.

Drei - da können Sie nicht in derselben Weise empfinden, wenn Sie es auf etwas anwenden . Wenden Sie es auf das Urteil an , so haben Sie den Obersatz, den Untersatz, den Schlußsatz: eine Drei­heit , eine in sich geschlossene Sache . Nehmen Sie die berühmteste logische Persönlichkeit , den Cajus: «Alle Menschen sind sterblich; Cajus ist ein Mensch , also ist Cajus sterblich.» Die Sachen gehören zusammen: Obersatz , Untersatz, Schlußsatz . Aber nehmen Sie bloß Obersatz und Untersatz - und es bleibt offen .

Also ich wollte Ihnen hierdurch andeuten , wie der Weg der Menschheit zur Abstraktion hin ist , wie tatsächlich die Mensch­heit , indem sie sich selber verloren , in ihre Entwickelung den In­tellekt hereingeholt hat .

Davon wollen wir dann morgen weiterreden . Das Heutige sollte eine Episode sein; aber Sie werden schon sehen , wie sich das mit den weitergehenden Betrachtungen zusammenschließt .

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NEUNTER VORTRAG Dornach, 24. April 1921

Wir haben im Verlaufe der letzten Woche eine Reihe von Betrach­tungen angestellt, die geeignet sind, Licht zu verbreiten über die geistige Veffassung der Gegenwart und der nächsten Zukunft. Wir haben ja in der letzten Zeit ganz besonders hingewiesen auf jenen Zeitpunkt europäischer Menschheitsentwickelung im 4. nachchrist­lichen Jahrhundert, der einen tiefen Einschnitt bildet. Vorher ver­stand man, wenigstens im Süden Europas, bis zu einem gewissen Grade aus orientalischen Weisheitsuntergründen heraus das Myste­rium von Golgatha. Man hatte noch mit einem gewissen Verständnis umfaßt, was heute so sehr mit Antipathie angesehen wird von ge­wissen Seiten: die sogenannte Gnosis. Die Gnosis war ja eben der letzte Rest orientalischer Urweisheit, jener Urweisheit, die aus in­stinktiven Erkenntniskräften der Menschen hervorgegangen ist, die aber tief eingedrungen ist in das Wesen des Weltgefüges. Was nun im Mysterium von Golgatha sich abgespielt hat, man konnte es ein­sehen mit Hilfe derjenigen Vorstellungen und Empfindungen, die man aus diesem gnostischen Erkennen heraus gewonnen hatte. Aber an dem Zugrundegehen dieses gnostischen Erkennens arbeitete ja jene christliche Strömung, die immer mehr einmündete in das römische Staatswesen, die immer mehr und mehr annahm die Form des römi­schen Staatswesens. Diese christliche Strömung rottete aus bis auf ganz geringfügige Reste, aus denen wenig zu gewinnen ist, alles das, was einst als Gnosis vorhanden war. Und wir haben ja gesehen, es blieb dann nichts zurück von der alten orientalischen Urweisheit im lebendigen europäischen Menschheitsbewußtsein als die einfachen, in materielle Geschehnisse gekleideten Erzählungen über das, was sich in Palästina zur Zeit des Mysteriums von Golgatha zugetragen hat.

Diese Erzählungen wurden zunächst ja in jene Form gekleidet, die aus dem alten Heidentum heraus stammte, wie Sie das am «He-liand» sehen. Sie bürgerten sich ein in der europäischen Zivilisation.

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Allein man hatte immer weniger das Gefühl, daß man sie mit einer gewissen Erkenntniskraft durchdringen soll. Man hatte immer weni­ger das Gefühl, daß ein tiefes Weltenrätsel und Geheimnis zu schauen sei in dem Mysterium von Golgatha; denn über dasjenige, was als Christus mit dem Jesus verbunden war, hatte man durch Konzilsbeschlüsse festgestellte Formeln aufgebracht. Man hatte den Glauben gefordert an diese festgestellten Formeln, und allmählich ging alles, was an lebendigem Wissen noch vorhanden war bis in die Zeit des 4. nachchristlichen Jahrhunderts, eben in das festgefügte Formelwesen der römischen Staatskirche über.

Und wenn man, ich möchte sagen, das ganze System dieser abendländischen christlich-kirchlichen Strömung überschaut, dann sieht man eben, daß in gewisse feste, starre, immer mehr und mehr unverständliche Formeln gekleidet wurde dasjenige, was das Myste­rium von Golgatha war, daß aber ein lebendiges spirituelles Wissen eigentlich ausgerottet wurde.

Es liegt da eine eigentümliche Tatsache europäischer Entwicke­lung vor. Man möchte sagen: Dasjenige, was fruchtbares, lebendiges orientalisches Urwissen war, das floß ein in die Formeln und erfror in den Formeln, welche das römische Kirchentum annahm. Und in Formeln pflanzte es sich fort durch die folgenden Jahrhunderte. Diese Formeln waren da. Es gab allerdings Leute, welche aus diesen Formeln noch irgend etwas zu machen wußten; aber es war unmög­lich geworden, daß das allgemeine Menschheitsbewußtsein eben et­was anderes empfing als tote Form. Gewiß, wir haben eine Reihe ganz ausgezeichneter Geister. Wir brauchen uns nur an manche der­jenigen zu erinnern, die von den irländischen Wissensstätten aus­gingen, wir brauchen uns nur an den am Hofe Karls des Kahlen lebenden Scotus Erigena zu erinnern. In solchen Persönlichkeiten haben wir eben Menschen, welche die Formeln aufnahmen und in diesen Formeln den Geist noch ahnten, oder ihn mehr oder weniger herausfanden. Wir haben dann die Scholastik, über die wir ja öfters in einem gewissen Zusammenhang gesprochen haben, die in einer mehr abstrakten Form dann versuchte, die Formeln erkenntnis-gemäß zu durchdringen. Es liegt eben die Tatsache vor, daß ein weit

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ausgebreitetes System religiösen Inhaltes in Formeln erfroren vor­lag, durch die Jahrhunderte von Generation zu Generation ver­pflanzt worden ist und als solches Formelwesen weiterlebte. Auf der einen Seite lagen also die theologischen Formeln vor, auf der anderen Seite die in materialistische Bilder gekleideten Erzählungen über die Ereignisse in Palästina.

Man darf nun durchaus nicht vergessen, wenn man die heutige Zeit verstehen will, was es im Grunde genommen mit diesen in rö­mische Staatsbegriffe gekleideten römisch-katholischen Formeln auf sich hat. Da sind Formeln von großer Bedeutung, großartige For­meln. Da ist vor allen Dingen die Formel der Trinität, die Formel also, welche hinweist, in der Terminologie der späteren Zeiten, auf Vater, Sohn und Geist. In dieser Formel war allerdings eine alte, tiefe Urweisheit eingefroren, etwas Großes und Gewaltiges, das einstmals die menschliche Erkenntnis instinktiv besessen hat. Aber höchstens der genial inspirierte Blick einzelner konnte ahnen, was in einer solchen Formel steckt.

Da war dasjenige, was durch die verschiedenen Konzilsbeschlüsse durchgehend zuletzt erfroren ist in der Formel über die zwei Naturen des Christus und des Jesus in einer Person. Da waren Formeln über die Geburt, über die Wesenheit des Christus Jesus, über Tod und Auferstehung und Himmelfahrt. Da waren endlich Formeln, welche die verschiedenen Feste festsetzten, und alles das war im Grunde genommen das Gerippe, das Schattenbild einer wunderbaren ur­alten Weisheit. Und dieses Schattenbild, dieses Gerippe setzte sich durch die Jahrhunderte fort. Es konnte sich namentlich dadurch fortsetzen, daß es eine gewisse Form alter Kulte annahm, und das­jenige, was in Formeln, in die höchsten Formeln gekleidet war, wie zum Beispiel die Formel der Verwandlung des Brotes und Weines in den Leib und in das Blut des Christus, das konnte sich fortpflanzen, weil es gekleidet wurde in eine uralt heilige Kultform wie das Meß­opfer, das nur eben etwas umgestaltet wurde, aber sich als solches fortsetzte. Es lebten dann die verschiedenen Metamorphosen der christlichen Feste durch das ganze Kirchenjahr hindurch. Es lebten diejenigen Dinge, die Sie kennen als die Sakramente, welche gewissermaßen

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durch die Kirche den Menschen herausheben sollten aus dem gewöhnlichen materiellen Leben und ihn hinaufheben sollten in eine höhere geistige Sphäre. Durch das alles und durch seine Ver­bindung mit dem Impuls des Christentums lebte sich das in den Jahrhunderten europäischer Entwickelung fort. Daneben, wie ge­sagt, war die schlichte, aber in materialistische Formeln gekleidete Erzählung über die Ereignisse in Palästina.

Das aber alles zusammen war etwas, was durch seinen bedeut­samen Inhalt - weil man ja im Grunde etwas anderes nicht hatte, um eine Beziehung zu begründen zu den übersinnlichen Welten - auf diejenigen Geister wirkte, die nach solcher Erkenntnis strebten; was aber auch diejenige Art von Wirksamkeit enrfalten konnte durch den Kultus, durch die schlichte Evangelienerzählung, welche auf die große breite Masse der europäischen Bevölkerung ihren Einfluß ge­wonnen hat.

Daneben pflanzte sich nun fort als Einzelnes ein anderes System des Kultus, das weniger mit dem Christentum als solchem rechnete, das das Christentum oftmals aufnahm, aber im Grunde genommen nicht organisch mit dem Christentum verbunden war, das mehr her­vorging aus noch älteren Kultformen. Es pflanzte sich dasjenige fort, was dann in das Formelwesen der neuzeitlichen Freimaurerei ein-mündete, was eben nur eine äußerliche Beziehung zu dem Christen­tum hatte und hat. Und Sie wissen ja, daß sich das, was sich in die Form der römisch-katholischen Dogmatik kleidete und den römisch-katholischen Kultus hat, und dasjenige, was in freimaurerischer Weise an andere Kuliformen und an andere Symbolik anknüpft, sich bis in unsere Tage herein bis aufs Messer bekämpfen.

Diese Entwickelung ist ja mehr oder weniger zu verfolgen, wenn man nur mit einigem Sinn die geschichtlichen Tatsachen, die vor­liegen, ins Seelenauge faßt. Aber so richtig verstehen kann man das, was da vorliegt, eigentlich doch nur, wenn man hinblicken kann auf jenen Einschnitt europäischer Entwickelung, der im 4. nachchrist­lichen Jahrhundert sich vollzog und der, ich möchte sagen, wie in einen Abgrund hinunter versenkte dasjenige, was alte spirituelle Weisheit und ihre Nachklänge waren; so daß man eigentlich in

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Europa durch die folgenden Jahrhunderte wenig wußte von dem, was orientalische Urweisheit war.

Nach und nach waren ja der Menschheit die inneren Fähigkeiten hingeschwunden, welche es dem Menschen in alten Zeiten, wie ich das gestern angedeutet habe, möglich machten, Gewicht, Zahl und Maß in ihrem eigenen Wesen zu erleben. Maß, Zahl, Gewicht wur­den Abstraktionen, und als Abstraktionen wurde mit ihnen dann im fünften nachatlantischen Zeitraum dasjenige begründet, was heute unsere naturwissenschaftliche Weltanschauung ist, was den Men­schen nicht aufnehmen konnte in sein Gebiet, was vor dem Menschen haltmachte, was den Menschen ganz und gar nicht begriff, was aber eben mit den Abstraktionen von Gewicht, Zahl und Maß die äuße­ren Naturerscheinungen, abgesehen vom Menschen, mit einer gewis-sen Großartigkeit umfaßte, und was dann eine Art Höhepunkt er­reichte im 19. Jahrhundert.

Zu diesen Dingen haben die Menschen heute noch zuwenig Di­stanz; sie sehen noch nicht, wie tatsächlich in der Mitte des 19. Jahr­hunderts ein ganz besonderer Zeitpunkt europäischer Entwickelung war. Das intellektuelle Streben, das reine Verstandesstreben, das kam in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu seiner vollsten, zu seiner höchsten Entfaltung. Es war dies dasjenige Streben, das sich aus den­selben Quellen heraus ergeben hatte, aus denen eben seit dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts die modernen naturwissenschaftlichen Anschauungen flossen. Es war aber zu gleicher Zeit dasjenige Streben, welches zuletzt nichts mehr anfangen konnte, im Grunde genom­men schon lange nichts mehr hat anfangen können mit dem Kultus, der sich fortgepflanzt hatte, welches schon lange nichts mehr hat an-fangen können mit den dogmatischen Formeln, die durch die Kon­zilien festgelegt worden waren. Lediglich einige Ranken waren ge­blieben, einige Abfälle, wie zum Beispiel der Abfall des Konzils von 869, wo man beschlossen hatte, daß der Mensch nicht bestehe aus Leib, Seele und Geist, sondern nur aus Leib und Seele, und daß die Seele einige geistige Eigenschaften habe. Dieser Abfall war geblieben, und dieser Abfall lebt in den modernen philosophischen Anschau­ungen fort, die glauben, unbefangen zu sein, die aber im Grunde

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genommen nur nachplappern, was dieser katholischen Dogmatik entstammt.

Aus all diesen Strömungen heraus bildete sich die moderne Stimmung der europäischen Zivilisation, die immer mehr hinten­dierte zu einer rein intellektuellen, zu einer verstandesmäßigen Auf­fassung des Weltenalls. Und diese Stimmung, die aber schon durch Jahrhunderte vorbereitet war, erreichte ihren Höhepunkt in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Und wie können wir, wenn wir auf den Menschen hinschauen seelisch-geistig, diesen Höhepunkt begreifen? Da müssen wir einmal einen Blick auf die Menschennatur werfen, wie sie in alten Zeiten war, und wie sie allmählich geworden ist. Wir haben es von verschiedenen Gesichtspunkten aus schon getan, wol­len es heute wiederum von einem gewissen Gesichtspunkte aus tun.

Stellen wir einmal schematisch die menschliche Wesenheit vor uns hin. Nehmen wir zunächst einmal des Menschen physischen Leib (siehe Zeichnung, rot). Wie gesagt, ich zeichne schematisch.

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Nehmen wir des Menschen Ätherleib (blau); nehmen wir des Men­schen astralischen Leib (gelb), und nehmen wir des Menschen Ich. Betrachten wir nun zunächst einmal diese menschliche Wesenheit,

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wie sie war in alten Zeiten, in jenen alten Zeiten, in denen das in­stinktive Hellsehen noch vorhanden war, das dann abblühte, ver­welkte und allmählich verschwand. Das Ich ist ja im Grunde genom­men Erdenprodukt, auf das brauchen wir weniger zu sehen; allein klar müssen wir uns sein, daß in des Menschen physischem Leib, Ätherleib, astralischem Leib ja im Grunde genommen die ganze Welt lebt. Wir können sagen: In diesem physischen Leib lebt das­jenige, was die ganze Welt ist. Er ist herausgeboren, ergänzt sich noch immer durch die Nahrungsaufnahme aus ihr. Im ätherischen Leib lebt die ganze Welt; fortwährend kommen auf den verschie­densten Wegen in ihn hinein diejenigen Dinge, welche auf über-physische Weise in den Menschen hereinwirken, die sich in seinen Wachstumskräften äußern, die sich zum Beispiel in der Zirkulation seines Blutes äußern, die im Atem leben und so weiter, und die nicht etwa dieselben sind wie die Kräfte, die in der Nahrungsauf­nahme und in der Verdauung leben. Wir haben dann alles das, was in seinem astralischen Leibe lebt, was ja auch aufnimmt Eindrücke aus der Welt, was durch die Sinne eindringt und so weiter. Das war so und es ist heute noch so, als der Mensch mit seinem alten instink­tiven Hellsehen lebte; aber es war während dieser Zeit des alten in­stinktiven Hellsehens der Mensch intimer verbunden mit seinem physischen Leib, mit seinem Ätherleib, mit seinem Astralleib, als er es heute ist. Wenn er des Morgens aufwachte, so tauchte er hinein mit seinem Ich und seinem astralischen Leibe in seinen physischen Leib und in seinen Ätherleib. Ein inniges Gefüge bildete sich zwischen seinem Ich und seinem astralischen Leibe und seinem Ätherleibe und seinem physischen Leibe. Und er lebte nicht nur in seinem physischen Leibe, er lebte in den Kräften, die in seinem physischen Leibe darinnen arbeiteten.

Ich möchte Ihnen das ganz anschaulich schildern. Nehmen Sie einmal an, der Mensch des alten Hellsehens aß eine Pflaume. Es nimmt sich ja für den heutigen Menschen fast grotesk aus, wenn man so etwas schildert, aber es ist tief wahr. Nehmen wir an, dei Mensch des alten Hellsehens aß eine Pflaume; diese Pflaume hat in sich ätherische Kräfte. Wenn der Mensch heute eine Pflaume ißt,

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weiß er ja nicht, was in dieser Pflaume vorgeht. Der Mensch des alten Hellsehens aß eine Pflaume, hatte sie nun im Magen, verdaute sie und erlebte mit, wie das, was da ätherisch in der Pflaume lebte, in seinen Leib überging; er erlebte es kosmisch mit. Und erst wenn er nun innerlich seinen Vergleich anstellte zwischen den verschiede­nen Dingen, die er in seinen Magen hineinbeförderte, da lebte alles das, was an Beziehungen vorhanden war in der Welt draußen, das lebte in ihm weiter fort, das nahm er innerlich wahr. Er erfüllte sich vom Aufwachen am Morgen bis zum Einschlafen am Abend mit einem innerlichen lebendigen Anschauen desjenigen, was draußen die Pflaumen leben, was die Äpfel leben, was auch vieles andere noch lebt, das er zu sich nahm. Er kannte innerlich durch den At­mungsprozeß die geistige Wesenhaftigkeit der Luft. Er kannte durch das, was in seinem Zirkulationsprozesse vor sich ging, wenn die Wärme drinnen zirkulierte, was als Wärmekräfte im Kosmos in seiner Umgebung war. Er hörte nicht damit auf, das Licht im Auge bloß zu empfinden; sondern er fühlte, wie das Licht durch seine Augennerven einstrahlte, in seinem eigenen Ätherleib aufstieß auf die physischen Glieder, in den physischen Gliedern lebte; er erlebte sich ganz konkret drinnen im Kosmischen. Das war allerdings ein dumpfes Bewußtsein, aber es war eben vorhanden. Es war allerdings während des Tages übertönt von dem, was auch der damalige Mensch schon äußerlich wahrnahm. Aber selbst in den ersten Zeiten der griechischen Zivilisation war es so, daß die Menschen schon noch einen Nachklang desjenigen hatten, was heute ja nur noch andere Wesen haben. Ich habe schon einmal oder sogar vielleicht öfters darauf hingewiesen, daß es außerordentlich interessant ist, mit spiri­tuellem Blick hinzuschauen auf eine Weide, wo Kühe liegen und verdauen. Dieses ganze Geschäft des Verdauens ist für die Kühe ein kosmisches Erleben, für die Schlangen erst recht; wenn sie liegen und verdauen, so erleben sie in der Tat Weltgeschehen. Da blüht und sproßt aus ihrem Organismus für sie, für ihre Anschauung etwas auf, was Welt ist. Da steigt aus ihrem Inneren etwas au{ was viel schöner ist als alles dasjenige, was der Mensch jemals durch Augen von außen sehen kann. Und so etwas war, ich möchte sagen, als

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Unterton bei den Menschen, die das alte instinktive Hellsehen hat­ten, vorhanden. Es war allerdings die größte Zeit des Tages gedämpft durch das äußere Anschauen. Wenn aber dann diese Menschen ein-schliefen, dann trugen sie das, was sie da erlebt hatten und was sie aufgenommen hatten in ihren astralischen Leib und in ihr Ich, hinaus, wenn ihr Ich mit seinem astralischen Leib allein war, und dann stieg es in Form von realen Träumen mächtig auf; dann erleb­ten sie in Form von realen Träumen nach, was sie nur dumpf während des Tages erlebt hatten.

Sehen Sie, da weise ich Sie hin auf das innerliche seelisch-leib­lich-physische Erleben der Menschen älterer Zeiten, die gerade da­durch, daß sie so seelisch-leiblich-physisch erlebten, kosmisch er­lebten, die gerade darinnen ihr kosmisch-übersinnliches Schauen hatten. Und wenn dann im Orient die Menschen den Somatrank tranken, dann wußten sie, was der Geist der Höhe ist. Dieser Soma­trank, der durchsetzte und durchwühlte und durchwob ihr Inneres, der durchlebte ihr Blut. Und wenn sie dann einschliefen und das­jenige, was als Ich und astralischer Leib im Blute gewoben hatte, mit-nahm die Formen, die entstanden waren durch das Verdauen des Somatrankes, dann dehnte sich ihr Wesen aus in Raumesweiten, und sie fühlten die Geistigkeiten des Kosmos nach in ihrem nächt­lichen Erleben.

Solch ein Erleben war durchaus noch zu finden bei denjenigen, bei denen der alte Zarathustra in der urpersischen Zeit ein geneigtes Ohr fand. Man versteht das, was schließlich aus den orientalischen Urkunden, die geblieben sind, zu uns herübertönt, nicht, wenn man nicht solche Dinge weiß. Aber dieses lebendige kosmische Schauen, es verglomm allmählich. Es ist schon in der historisch-ägyp­tischen Zeit wenig zu finden, aber es sind die Nachklänge noch da, und es schwindet bis auf letzte Reste, die sich bei primitiven Men­schen ja immer erhalten haben, im 4. nachchristlichen Jahrhundert dahin. Und von da ab rang sich immer mehr aus dem Menschen heraus das, was nun ganz und gar an den bloßen physischen Leib gebunden ist in seiner Isoliertheit von der Welt: der Intellekt, das Verstandesmäßige.

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Man kann nicht anders, wenn man ein bildliches Vorstellen hat und hinuntertaucht in seinen Leib, als etwas Kosmisches mitempfin­den. Man kann nicht anders, wenn man noch etwas von der inneren Eigenschaft der Zahl hat und dann hinuntertaucht in seinen Leib, als die Zahlenmäßigkeit des Kosmos miterleben. Und so ist es auch mit den Gewichtsverhältnissen. Aber wenn man mit der Kraft des Ichs, welche als rein Verstandesmäßiges, als rein Intellektuelles wirkt, wenn man damit hinuntertaucht in den menschlichen Organismus beim Aufwachen, dann taucht man damit nur in den isolierten menschlichen Leib ein, in dasjenige, was der menschliche Leib nur durch sich ist, was er ist ohne seine Verbindung mit dem Kosmos. In den irdischen menschlichen Leib in voller Isolierung taucht man ein, so daß man, wenn man dieses verstandesmäßig zeichnen wollte,

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eben sagen müßte: Da ist zwar auch vorhanden Ätherleib, Astral­leib, Ich (siehe Zeichnung blau, gelb, Mitte); aber das Ich erlebt hier in der menschlichen Wesenheit nichts vom Kosmischen mehr. Es er­lebt eben nur dumpf sein Sein, sein Untergetauchtsein in den isolier­ten menschlichen Organismus. Wenn daher dieses rein verständige Ich schlafend in die Umwelt herausgeht, nimmt es nichts mit. Und dieses Nichts-Mitnehmen, das bewirkt, daß höchstens Reminiszenzträume,

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Traumbilder irrealer Art im Menschen auftauchen können, aber daß dieses Ich nicht kosmisch irgendwie von etwas durchdrun­gen ist. Der Mensch erlebt also im Grunde genommen vom Ein­schlafen bis zum Aufwachen nichts Wesentliches, weil sein ganzes Erleben auf den isolierten menschlichen Organismus berechnet ist, der aber nunmehr mit denjenigen Kräften auf dieses Ich wirkt, welche nichts mit dem Kosmos zu tun haben. Daher wird das Ich stumpf vom Einschlafen bis zum Aufwachen. Das muß auch so sein. Die alten instinktiv-hellseherischen Menschen haben zwar ihr kosmisches Schauen gehabt, sie haben, in instinktiven Intuitionen, in instinktiven Inspirationen, in instinktiven Imaginationen gelebt; aber sie haben nicht ein selbständiges Verstandesdenken gehabt, denn dieses selbständige Verstandesdenken, dieses eigentlich in­tellektuelle Denken, das muß sich bedienen des Werkzeuges des isolierten menschlichen Leibes, wenn es sich ausbilden will. Das muß stumpf sein zwischen dem Einschlafen und Aufwachen, bringt daher auch beim Aufwachen nichts mit, während der alte Mensch mitgebracht hat das, was er, nachdem er das Erleben im Leibe hinausgetragen hatte in den Kosmos, erlebt hat im Begegnen dieser Nachklänge, dieser kosmischen Nachklänge mit dem draußenste­henden wirklich geistig-kosmischen Geschehen. Von dem, was er da erlebt hat, brachte er wieder Nachklänge zurück; er hatte dadurch einen lebendigen Verkehr mit dem Kosmos. Was im verstandes-mäßigen Denken vom Menschen errungen wird, das wird errungen vom Aüfwachen bis zum Einschlafrn, wird stumpf nach dem Ein­schlafen. Der Mensch ist nun auf das Wachen angewiesen.

Sehen Sie, es liegt ein merkwürdiges Verhältnis vor, es liegt das Verhältnis vor, daß in alten Zeiten der Mensch mehr an seinen Leib gebunden war als er es heute ist, aber daß er eben im Leibe das Gei­stige des Kosmos erlebte. Dieses Erleben im Leibe hat der neuere Mensch verloren. Der neuere Mensch ist geistig, aber er hat den ver­dünntesten Geist, er lebt im Intellekt und kann im Geiste nur leben vom Aufwachen bis zum Einschlafen, und er wird stumpf, wenn er in die geistige Welt geht mit seinem ganz verdünnten intellektiven Geiste.

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Warum haben wir eigentlich den Materialismus bekommen? Und warum haben die alten Menschen den Materialismus nicht ge­habt? - Die alten Menschen haben den Materialismus nicht gehabt, weil sie in der Materie des Leibes gelebt haben; die neueren Men­schen haben den Materialismus, weil sie nur im Geiste leben, weil sie ganz ftei sind von einem kosmischen Zusammenleben mit ihrem Leibe. Der Materialismus kommt gerade daher, daß der Mensch geistig geworden ist, aber verdünnt geistig. Am geistigsten war der Mensch in der Mitte des 19. Jahrhunderts; aber er hat sich ahrima­nisch selbst belogen, indem er nicht erkannte, daß das, worin er lebt, der verdünnte Geist ist, und er nahm nur auf in das Geistigste, was ihm werden konnte, die Vorstellung von der Materialität. Der Mensch war ganz und gar ein geistiger Behälter geworden; aber er ließ in diesen geistigen Behälter nur die Gedanken vom materiellen Dasein hineinfließen. Das ist das Geheimnis des Materialismus, daß der Mensch wegen seiner Geistigkeit sich der Materie zuwandte. Das ist die Ableugnung des modernen Menschen gegenüber der eigenen Geistigkeit. Der Kulminationspunkt des Geistigseins war in der Mitte des 19. Jahrhunderts erreicht; aber der Mensch erfaßte dieses Geistigsein nicht.

Das aber, wie gesagt, bereitete sich langsam vor durch die Jahr-hunderte. Hinabgeglommen war die alte instinktive Geistigkeit im 4. nachchristlichen Jahrhundert, herauf kam die neue Geistigkeit im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts; dazwischen ist gewissermaßen eine Episode des menschlichen Erlebens. Aber jetzt, nach diesem Zeitpunkt, nach dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts, nach dem 15. Jahrhundert überhaupt, machte sich dieses Angewiesensein des Menschen auf seinen isolierten irdischen physischen Leib geltend. Jetzt fing er eben an, keine Beziehung mehr zu entwickeln zu dem, was eingefroren war in den dogmatischen Konzilienformeln, was ja allerdings eingefroren war, aber doch einen großartigen Inhalt hatte. Und er konnte im Grunde genommen auch keine Beziehung mehr finden zu den schlichten Erzählungen von Palästina. Er zwang sich noch einige Zeit, einen Sinn damit zu verbinden - Man kann aber nur einen Sinn damit verbinden, wenn man sie erkennend durchdringt.

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Insbesondere aber konnte er keinen Sinn mehr damit ver­binden, dieser moderne Mensch, immer weniger und weniger Sinn verbinden mit den Kultformen, mit dem Kultus selbst. Das Meß­opfer, eine Handlung von höchster kosmischer Bedeutung, wurde zum äußeren Symbolum, da man es nicht verstand; das Sakrament der Transsubstantiation, das sich forterhalten hatte das Mittelalter hindurch, und das eine tiefe kosmische Bedeutung hat, wurde in die rein intellektuelle Diskussion der Menschen hineingeworfen. Es war ganz selbstverständlich, daß man mit dem isolierten Verstand, wenn man anfing zu fragen, in welcher Weise der Christus enthalten sei im Altarsakrament, das nicht begreifen konnte; denn zum Ver­standesbegreifen sind diese Dinge eben nicht geeignet. Jetzt fing man an, sie mit dem Verstande begreifen zu wollen.

Das führte dann dazu, daß jene Diskussionen von so großer welt-geschichtlicher Bedeutung auftauchten, die als «Abendmahlsstreit» bekannt sind, und die geknüpft sind an Namen wie Hus und an­dere. Und die fortgeschrittensten, die im verständigen Auffassen der Welt fortgeschrittensten Menschen der europäischen Zivilisation mündeten in die verschiedenen Protestantismen hinein. Es ist die Reaktion des Intellekts gegen dasjenige, was aus einer viel breiteren, viel intensiveren Erkenntniskraft hervorgegangen war als es der In­tellekt ist. Wie fremd standen sich gegenüber die Kräfte, die sich in der modernen Seele gebildet hatten als intellektive Kräfte, und das­jenige, was in den eingefrorenen Formeln lebte, aber was in sich doch umschloß ein Großes, ein Gewaltiges! Die evangelischen Be­kenntnisse der verschiedensten Art kamen herauf, Kompromisse zwischen dem Intellekt und den alten Überlieferungen, und das 16., 17., 18., 19. Jahrhundert, sie liefen ab, und der Mensch stand eben in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf dem Höhepunkt seiner intel­lektuellen Entwickelung; er wurde ein ganz und gar geistiges Wesen. Er konnte durch diese Geistigkeit begreifen, was in der äußeren Sin­neswelt ist; aber er begriff sich selber nicht als Geist. Kaum hatte man noch eine Ahnung, was ein solcher Satz bedeutete, wie der des Leibniz, der da sagte: «Nichts lebt im Intellekt, was nicht vorher in den Sinnen gelebt hat, außer dem Intellekt selber.» Diese letztere

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Wendung hatte der moderne Mensch ganz und gar weggelassen und er bekannte sich nur zu dem Satze: Nichts lebt in dem Intellekt, was nicht vorher in den Sinnen gelebt hat -, während Leibniz ganz und gar durchschaute, daß der Intellekt ein durch und durch Geistiges ist, etwas, was im Menschen arbeitet, ganz unabhängig von aller physischen Körperlichkeit.

Wie gesagt, der Intellekt wirkte, aber er erkannte sich nicht. Und so haben wir es erlebt, daß der Mensch nun auf dem Übergange zu einer anderen Entwickelungsphase seines Lebens ist, und er trägt gewissermaßen nichts in die Nacht hinaus. Denn dasjenige, was verstandesmäßig erarbeitet wird, wird durch den Leib erarbeitet und hat keine Beziehung zu dem Außerleiblichen. Nun muß sich der Mensch neuerdings hineinarbeiten in die geistige Welt. Es tritt für ihn die Möglichkeit ein, in diese geistige Welt hineinzuschauen; sie ist deutlich da. Was der Mensch früher aus seinem physischen, aus seinem Ätherleib, aus seinem astralischen Leib herausgeholt hat an instinktivem Anschauen über den Kosmos, es kann heute wieder er­rungen werden. Wir können zu Imaginationen kommen und kön­nen die Weltentwickelung durch Saturn, Sonne und Mond, Erde und so weiter in Imaginationen schildern. Wir können dasjenige, was da lebt, in die Zahlnatur, in die Zahlwesenheit hineinschauen und können dadurch die Inspiration empfangen, wie aus der Welten-geistigkeit heraus sich durch die Zahlengesetzmäßigkeit die Welt gestaltet. Es ist zunächst durchaus möglich, daß das da ist, was in dieser Weise imaginativ und inspirativ und intuitiv über die Welt zu erringen ist.

Die meisten Menschen werden sagen: Wenn wir nicht selberhell­sichtig geworden sind, so können wir das höchstens studieren. - Gut, aber man kann es studieren, und immer wieder und wiederum ist gesagt worden, der gewöhnliche Intellekt kann es einsehen. Heute soll hinzugefügt werden, warum der gewöhnliche Intellekt es ein­sehen kann. Nehmen Sie an, Sie lesen so etwas wie die #SE204-160

gebunden ist. Sie nehmen aber etwas auf, was Sie durch diesen In­tellekt nicht haben aufnehmen können, weil dieser Intellekt sich selber nicht begriffen hat durch die Jahrhunderte hindurch. Jetzt nehmen Sie etwas au{ was für diejenigen Begriffe, die der Intellekt nur aus der äußeren Sinneswelt entlehnt, unverständlich ist, was aber verständlich wird, wenn der Intellekt sich aufrafft, um aus sich selber heraus etwas zu verstehen, um zunächst nicht zu bejahen oder zu verneinen, sondern nur zu verstehen. Das ist ja, was gesagt wird:

Verstehen soll man die Dinge. - Man braucht sie zunächst einfach nur zu verstehen. Versteht man sie, so schafft man ja mit dem, was das Ich sich als Verständnis errungen hat, nun in die Nacht hinein. Da bleibt man nicht mehr stumpf, wie bei dem bloßen intellektiven Verhalten zur Welt, da lebt man vom Einschlafen bis zum Aufwa­chen mit einem anderen Inhalt in der fein flltrierten Geistigkeit. Und dann wacht man auf und hat, eine allerdings immer nur kleine Möglichkeit des innerlichen Aneignens zugesetzt zu dem, was man sich bemüht hat, intellektuell zu verstehen. Aber ich möchte sagen, mit jeder Nacht, mit jedem Schlafen setzt sich etwas dazu von einer innerlichen Beziehung, der Mensch bekommt eine innerliche Be­ziehung. Er trägt das, was er als Nachklang seines Tagesverstehens in die außerkörperliche Welt hinausträgt, beim Einschlafen wieder her­ein, und dadurch bekommt er eine Beziehung, eine ganz aus dem Realen herausgeholte Beziehung zu der geistigen Welt, wenn er sich diese Beziehung nicht ruiniert durch dasjenige, wodurch er sie sich ja heute vielfach ruiniert; ich habe diese Hilfsmittel des Ruinierens der Geistigkeit ja öfters angeführt. Sie wissen, zahlreiche Menschen sehen sehr darauf, vor dem Einschlafen etwas zu erlangen, was sie die «Bettschwere» nennen; sie trinken so viele Gläser Bier, bis sie die nötige Bettschwere haben. Das ist ein ganz gewöhnlicher Ausdruck, der heute weit verbreitet ist gerade in der «Intelligenz». Da aller­dings können sich jene Kräfte nicht hineinentwickeln, von denen ich jetzt eben gesprochen habe.

Aber die Geistigkeit ist zu erforschen. Die Geistigkeit kann auf die eben geschilderte Weise auch erlebt werden. Der Mensch ist her-ausgewachsen aus der Geistigkeit. Er kann wiederum hineinwachsen

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in diese Geistigkeit. Wir stehen heute am Anfange dieses Hinein­wachsens in die Geistigkeit. Was sich in den veffiossenen Jahrhun­derten, seit dem 15. Jahrhundert bis ins 19. Jahrhundert herein, wo der Verstand auf der höchsten Stufe stand, entwickelt hat, was sich gerade unter den fortgeschrittensten Menschen Europas entwickelt hat, das ist zwar eine gewisse Geistigkeit, die aber zunächst ohne In­halt ist; denn erst wenn man wieder an die Imagination sich wendet, bekommt diese Geistigkeit den ersten Inhalt. Das, was höchstfil­trierte Geistigkeit ist, das muß seinen Inhalt bekommen. Er wird zunächst noch von den weitesten Kreisen der Welt abgelehnt. Die Welt will bei der flltrierten Geistigkeit bleiben und nur einen Inhalt geben, der der äußeren materiellen Welt entlehnt ist. Sie will mit diesem Verstande sich nicht aufraffen, um dasjenige, was aus dem Schauen der geistigen Welt gegeben wird, zu verstehen. Die Evan­gelienbekenntnisse, sie sind eben Kompromisse zwischen dem In­tellekt und den alten Traditionen; sie haben den Zusammenschluß verloren. Der Kultus sagt ihnen nichts, daher hat der Kultus nach und nach ziemlich aufgehört innerhalb dieser Bekenntnisse. Bis zu abstrakten Vorstellungen ist es gekommen statt des lebendigen Er­fassens von so etwas wie der Transsubstantiation. Die schlichten Erzählungen können höchstens erzählt werden, aber man kann mit ihnen ja keinen anderen Sinn verbinden als den, den man eben mit einer materialistischen Theologie verbinden kann: daß man es nämlich zu tun hat mit Ereignissen, die sich angliedern lassen an den schlichten Mann aus Nazareth und so weiter. Das ist etwas, was zu keinem Inhalte kommen kann, das ist etwas, was allen Zusammen-hang mit der Geistigkeit verliert.

Und so haben wir heute die Weltsituation, daß dasteht das­jenige, was zunächst den Intellekt abgelehnt hat, was solche Kom­promisse nicht eingegangen ist, wodurch in weiten Kreisen der Bevölkerung eine Beziehung sich erhalten hat, wenn auch eine völlig instinktive, zu den Formeln, die in den Dogmen leben, deren Inhalt für den Menschen nicht mehr daliegt, aber der ja doch ausgeflossen ist in diese Formeln. Auch haben sich diese Kreise ihr lebendiges Verhältnis zum Kultus, zum Zeremoniell erhalten, ihren Zusammenhang

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mit dem Sakramentalen. So sehr auch das alles ausgepreßt ist, es lebte einmal in dem, was da Gerippe, was Schatten geworden ist, die alte Geistigkeit, diejenige Geistigkeit, zu der eben noch durch die Formeln eine Beziehung da ist. In den neueren Bekennt­nissen protestantischer Art, in denen man einen Kompromiß ver­sucht, lebt eine solche Beziehung nicht. - Und dann sind die Men­schen da, die sich die ganz aufgeklärten nennen, die bloß im Intel­lekt leben, der allerdings geistig ist, der aber das Geistige nicht er­fassen will.

Das sind die drei Strömungen, die wir haben, und wir können ja rechnen für die Zukunft nicht mit solchen Strömungen als frucht­baren, die nur einen äußerlichen Kompromiß haben eingehen wollen, wir können nicht rechnen mit der bloßen Intellektualität, die zu keinem Inhalt kommen kann, die daher sich selbst verlieren muß, weil sie sich nicht selbst erkennen will. Wir können nur rech­nen mit dem, wozu allmählich die Strömungen auslaufen, immer deutlicher und deutlicher laufen sie aus, wir können rechnen mit dem, was sich in alte Formeln gegossen hat, was die fortlebende rö­misch-katholische Kirche ist, und mit demjenigen, was ernst macht mit der neuen Intellektualität, diese Intellektualität imaginativ, in­spirativ und intuitiv vertieft und zu einer neuen Geistigkeit kommt. In diesen zwei Gegensätzen lebt sich die moderne Welt auseinander. Auf der einen Seite stehen die Menschen da mit dem Intellekt. Sie sind innerlich träge, sie wollen diesen Intellekt nicht anwenden; aber sie brauchen einen Inhalt. Sie greifen zurück zu den toten For­meln. Gerade unter intelligenten Leuten, die aber innerlich träge sind, die in gewisser Beziehung intellektuell-dadaistisch sind, in denen macht sich heute eine jungkatholische Bewegung geltend, welche aufgreifen will das Alte, das in Formeln erstarrt ist, welche von außen einen Inhalt bekommen möchte, in historischen Erschei­nungen aber erstarrt. Sie krampft aus dem Intellekt heraus, einen Sinn zu verbinden mit dem alten Inhalt, und wir haben solche intel­lektualistischen Krämpfe, welche durch alten Inhalt ihre erstarrten Formeln sich neuerdings zubereiten wollen zum Gebrauche der Menschen.

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Wir haben zum Beispiel ein intellektuell verkrampftes Sich-Hin­neigen zu erstarrten Formeln auf vielen Seiten in dem neuen «Tat»-Heft. Denn der Verleger Diederichs tut schließlich alles, er bringt alles in Kategorien und auf Papier, und so hat er auch einer jung­katholischen Bewegung jetzt ein ganzes «Tat»-Heft gewidmet, wo­raus man sehen kann, wie man heute krämpfig denkt, wie man ein innerlich-krämpfiges Denken entwickelt, um nicht sich innerlich aufzuraffen, um innerlich träge bleiben zu können und mit dem In­tellekt, der nun schon einmal da ist, das sich am trägsten Fortschie­bende aufzufassen. Das alles versuchen die Menschen, um ablehnen zu können dieses lebendige Hinarbeiten aus der neueren Intellek­tualität heraus zu der Geistigkeit, die ergriffen werden kann und die ergriffen werden muß. Und immer mehr und mehr werden sich die Dinge so zuspitzen, daß eine mächtige Bewegung durch die Welt geht, welche faszinierend wirkt, suggerierend wirkt, hypnotisierend wirkt auf alle diejenigen, die träge bleiben wollen im Intellekt. Eine katholische Welle geht durch die Welt selbst der intelligenten Leute, die aber in ihrer Intelligenz träge bleiben wollen. Die schläfrigen Seelen merken es nur nicht. Aber unfruchtbar muß das bleiben, demjenigen zuzustreben, was Oswald Spengler so anschaulich ge­schildert hat in seinem «Untergang des Abendlandes». Man kann das Abendland katholisch machen, aber man tötet damit seine Zivilisa­tion. Dieses Abendland muß sich zuwenden dem Aufwachen, dem Innerlich-regsam-Werden, dem Nicht-träge-Bleiben der Intelligenz, denn diese Intelligenz, sie kann sich aufraffen, sie kann sich inner­lich erfüllen mit Verständnis für die neue Geistesanschauung.

Dieser Kampf, er bereitet sich vor, er ist da, und er ist dieHaupt­sache. Alles andere gerät in der Zukunft zwischen diesen beiden Strömungen unter die Räder in bezug auf dasjenige, was Weltan­schauungsftagen sind. Auf das hin muß der Blick gerichtet werden, denn was sich da auslebt, verbirgt sich in mancherlei Formeln und Formen. Und wer da glaubt, mit dem, womit man vielleicht noch im Beginne dieses Jahrhunderts sich einem Traum hingegeben hat, weiterkommen zu können, der lebt nicht mit das Leben der Gegen­wart. Derjenige lebt allein das Leben der Gegenwart, der sich ein

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Auge entwickelt für das, was in diesen beiden geschilderten Strö­mungen lebt. Darauf muß mit wachen Augen hingesehen werden. Denn all das, wovon ich vor acht Tagen gesprochen habe, daß heute zahlreiche Menschen das Böse lieben und aus dem bloßen Hang zum Bösen in der Weise verleumden, wie es Ihnen charakterisiert worden ist, das muß uns vor die Seele treten. Jene innere Unwahrhaftigkeit muß uns vor die Seele treten, daß, wie ich es Ihnen erwähnt habe, die Leute, welche in ihrem katholischen Bewußtsein gestärkt werden sollen, in die katholische Kirche in Stuttgart zum Vortrag des Ge­nerals von Gleich geschickt werden, und daß dieser katholische Ge­neral mit dem Lutherliede schließt! - Da findet sich das zusammen, was nicht auf das Bekenntnis hält, sondern was nur im Ausschleimen der Lüge zusammenströmen will.

Auf diese Dinge muß heute hingesehen werden. Wenn man nicht hinsieht, so schläft man, macht nicht mit dasjenige, was heute eigentlich doch nur den Menschen zum wahren Menschen machen kann.

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ZEHNTER VORTRAG Dornach, 29. April 1921

Wir haben uns in dieser Zeit beschäftigt mit der europäischen Zivili­sationsentwickelung, und wir werden den Versuch machen, einiges zu dem Gesagten hinzuzufügen, immer mit der Absicht, dadurch ein Verständnis desjenigen herbeizuführen, was in der Gegenwart in das menschliche Leben von den verschiedensten Seiten her hereinspielt und was zum Ergreifen der Gegenwartsaufgaben führt. Wenn Sie das.einzelne menschliche Leben betrachten, so kann Ihnen das ja ein Bild geben von der Entwickelung der Menschheit. Allein Sie müssen natürlich dabei berücksichtigen, was wir mit Bezug auf die Unterschiede der individuellen menschlichen Entwickelung und der menschlichen oder menschheitlichen Gesamtentwickelung gesagt haben. Ich habe ja wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß, während der einzelne Mensch immer älter und älter wird, sich für die Gesamtheit eigentlich die Sache so stellt, daß sie immer jünger und jünger wird, gewissermaßen herauftückt zum Erleben jüngerer Abschnitte. Wenn wir aber berücksichtigen, daß also in dieser Be­ziehung gewissermaßen Leben der Gesamtheit und Leben des ein­zelnen individuellen Menschen polarisch entgegengesetzt sind, so können wir aber dann doch, wenigstens zur Verdeutlichung, davon sprechen, wie uns das einzelne menschliche Leben ein Bild sein kann von dem Leben der Gesamtmenschheit. Und betrachten wir dann so das Leben des einzelnen Menschen, so finden wir, daß in jedes Lebensalter gewissermaßen etwas ganz Bestimmtes als Summe von Erlebnissen hineingehört. Wir können nicht, sagen wir, einem sechs-jährigen Kinde beibringen, was wir einem zwölfjährigen beibringen können, und wir können nicht voraussetzen, daß wiederum das zwölfjährige Kind mit demselben Verständnis denjenigen Dingen entgegenkommt, die erst der zwanzigjährige Mensch begreift. Der Mensch muß gewissermaßen hineinwachsen in das, was für seine ein­zelnen Lebensepochen das Angemessene ist. So ist es auch mit der Gesamtmenschheit. Es ist schon einmal so, daß diese einzelnen Kulturepochen,

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die wir aus der Erkenntnis der Menschheitsentwickelung heraus anzugeben haben - urindisches, urpersisches, ägyptisch­chaldäisches, griechisch-lateinisches Zeitalter und dann das Zeitalter, dem wir selbst angehören -, daß diese Zeitalter ganz gewisse Zivili­sationsinhalte haben, und daß die Gesamtmenschheit in diese Zivi­lisationsinhalte hineinwachsen muß. Aber sowie der einzelne Mensch gewissermaßen hinter sich selbst, hinter seinen Entwickelungs­möglichkeiten zurückbleiben kann, so können das auch gewisse Teile der Gesamtmenschheit - Das ist eine Erscheinung, welche durchaus berücksichtigt werden muß, namentlich in unserer Zeit berücksich­tigt werden muß, weil ja die Menschheit jetzt einrückt in das Ent­wickelungsstadium der Freiheit und ihr es also selbst überlassen ist, sich hireinzufirden in das, was ihr für dieses und das nächste Zeit­alter vorgesetzt ist. Es liegt gewissermaßen in der menschlichen Will­kür, zurückzubleiben hinter dem, was ihr vorgesetzt ist. Dem ein­zelnen Menschen, wenn er zurückbleibt in bezug aüf das, was ihm vorgesetzt ist, stehen gegenüber andere, die sich hineinfinden in ihre richtigen Entwickelungsinhalte; diese anderen schleppen ihn dann gewissermaßen mit sich. Aber es bedeutet das auch in gewissem Sinne ein ihm oftmals nicht gerade behagliches Schicksal, wenn er empfinden muß, wie er da in einem gewissen Sinne zurückbleibt hinter den anderen, die das entsprechende Entwickelungsziel er­reichen.

Es kann auch so im großen Menschenleben geschehen; es kann geschehen, daß einzelne Völker das Ziel erreichen, andere zurück­bleiben. Die Ziele der verschiedenen Völker sind ja, wie wir gesehen haben, auch voneinander verschieden. Wenn nun irgendein Volk sein Ziel erreicht, andere hinter ihrem Ziel zurückbleiben, so geht erstens etwas verloren, was nur gerade durch dieses zurückbleibende Volk hätte erreicht werden können, andererseits aber wird das zu­rückbleibende Volk sehr vieles annehmen, was ihm eigentlich gar nicht angemessen ist, und was es, ich möchte sagen, nachahmend von anderen Völkern, die ihre Ziele erreichen, dann aufnimmt.

Solche Dinge geschehen eben in der Merschheitsentwickelung; sie zu beachten, ist in der Gegenwart von ganz besonderer Bedeutung.

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Nun werden wir zunächst heute einiges zusammenfassen und von einem bestimmten Gesichtspunkte aus beleuchten, was uns ja bekannt ist von anderen Seiten her. Wir wissen: Die Zeit vom 8. vor­christlichen Jahrhundert bis zum 15. nachchristlichen Jahrhundert ist die Zeit der Entwickelung der Verstandes- oder Gemütsseele bei dem eigentlichen zivilisierten Teil der Menschheit. Diese Entwicke­lung der Verstandes- oder Gemütsseele beginnt im 8. vorchristlichen Jahrhundert in Südeuropa, in Vorderasien, und wir können es verfol­gen, wenn wir auf die Anfänge der geschichtlichen Entwickelung des griechischen Volkes hinschauen. Das griechische Volk hat ja durchaus noch sehr viel von dem in sich, was man nennen kann Entwickelung der Empfindungsseele, die insbesondere angemessen war dem dritten nachatlantischen Zeitalter, dem ägyptisch-chaldäischen Zeitalter. Da war alles Entwickelung der Empfindungsseele. Da gab sich der Mensch den Eindrücken der Außenwelt hin und in den Eindrücken der Außenwelt empfing er zugleich alles dasjenige, was er dann als seine Erkenntnisse schätzte, was er in seine Willensimpulse überge­hen ließ. Der ganze Mensch war gewissermaßen so, daß er sich fühlte als ein Glied des ganzen Kosmos. Er befragte die Sterne und ihre Be­wegungen, wenn es sich darum handelte, was er tun solle und so weiter. Dieses Miterleben der Außenwelt, dieses Sehen von Gei­stigem in allen Einzelheiten der Außenwelt, das war ja dasjenige, was die Ägypter in dem Höhenzeitalter ihrer Kultur auszeichnete, was in Vorderasien lebte und was bei den Griechen eine gewisse Nach-blüte hatte. Die älteren Griechen hatten ja durchaus diese freie Hin­gabe der Seele an die äußere Umgebung, und mit diesem freien Hingeben der Seele an die äußere Umgebung war eben verknüpft ein Wahrnehmen des Elementar-Geistigen in den äußeren Erschei­nungen. Aber es entwickelte sich dann bei den Griechen dasjenige heraus, was die griechischen Philosophen «Nus» nennen, was ein allgemeiner Weltverstand ist und dann eigentlich überhaupt die Grundeigenschaft der menschlichen Seelenentwickelungen bis ins 15. Jahrhundert hinein geblieben ist, im 4. nachchristlichen Jahr­hundert eine Art Höhepunkt erlebte und dann wieder abflutete. Aber diese ganze Entwickelung vom 8. vorchristlichen Jahrhundert

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bis zum 15. nachchristlichen Jahrhundert entwickelt eigentlich das­jenige, was Verstand ist. Wenn wir aber in diesem Zeitalter von «Verstand» sprechen, so müssen wir absehen von dem, was wir jetzt in unserem Zeitalter eigentlich als Verstand ansprechen. Für uns ist der Verstand etwas, was wir eigentlich nur in uns tragen, was wir in uns entwickeln und wodurch wir die Welt begreifen. So war es nicht bei den Griechen und sowar es auch noch nicht im 11., 12., 13.Jahr-hundert, wenn von Verstand gesprochen wurde. Der Verstand war ein Objektives, der Verstand war etwas, was die Welt erfüllte. Der Ver­stand ordnete die einzelnen Welterscheinungen. Man betrachtete die Welt und ihre Erscheinungen und sagte sich: Dasjenige, was eine Erscheinung auf die andere folgen läßt, was hineinstellt die einzel­nen Erscheinungen in ein größeres Ganzes und so weiter, das macht der Weltverstand. - Dem menschlichen Kopfe sprach man nur zu, daß er teilnehme an diesem allgemeinen Weltverstand .

Wenn wir heute vom Lichte sprechen, dann sagen wir, wenn wir moderne Physik und Physiologie treiben wollen: Das Licht ist in uns -Aber mit dem naiven Bewußtsein wird kein Mensch glauben, daß das Licht nur in seinem Kopfe ist. Ebensowenig wie das naive Be­wußtsein von heute sagt: Da draußen ist es ganz finster, das Licht ist nur in meinem Kopfe -, ebensowenig sagte der Grieche oder sagte noch der Mensch des 11., 12. nachchristlichen Jahrhunderts: Der Verstand ist nur in meinem Kopfe. - Er sagte: Der Verstand ist draußen, er erfüllt die Welt, er ordnet da alles. Geradeso wie der Mensch sich bewußt wird des Lichtes durch seine Wahrnehmung, so sagte er sich, wird er sich bewußt des Verstandes. Der Verstand leuchtet gewissermaßen in ihm auf.

Es war ein Wichtiges verbunden mit diesem Heraufkommen des Weltverstandes in der menschlichen Kulturentwickelung. Vorher, als die Kulturentwickelung im Zeichen der Empfindungsseele ver­lief, da sprach man nicht von einem solchen die ganze Welt über­greifenden Einheitsprinzip, da sprach man von Geistern der Pflanzen, von Geistern, welche die Tierwelt regulieren, von Geistern des Flüssigen, von Geistern der Luft und so weiter. Es war eine Viel­heit von geistigen Wesenheiten, von denen man sprach. Nicht nur

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war es der Polytheismus, die Volksreligion, welche von dieser Viel­heit sprach, sondern es war durchaus auch in denjenigen, die Ein­geweihte waren, das Bewußtsein vorhanden, daß sie es mit einer wesenhaften Vielheit draußen zu tun haben. Dadurch, daß das Verstandeszeitalter heraufrückte, entwickelte sich eine Art von Monismus. Der Verstand wurde als ein einziger, die ganze Welt um­fassender angesehen; und dadurch entwickelte sich auch eigentlich erst der monotheistische Charakter der Religion, der allerdings schon im dritten nachatlantischen Zeitalter seine Vorstufe hatte . Aber das, was wir wissenschaftlich festhalten sollen von diesem Zeitalter - vom 8. vorchristlichen bis zum 15. nachchristlichen Jahrhundert -, das ist schon die Tatsache, daß es das Zeitalter der Entwickelung des Welt-verstandes ist, und daß man ganz anders über den Verstand dachte, als wir heute denken.

Woher kommt es nun, daß man anders über den Verstand dachte? Man dachte anders über den Verstand aus dem Grunde, weil man auch, indem man verständig war, indem man durch den Verstand etwas zu begreifen suchte, anders fühlte . Der Mensch ging durch die Welt, er sah die Dinge an durch seine Sinne; aber er emp­fand gewissermaßen immer, wenn er nachdachte, einen gewissen Ruck. Es war etwa so, wenn er nachdachte, wie wenn er etwas von stärkerem Aufwachen empfinde, als er empfand im gewöhnlichen Wachen. Das Nachdenken war noch etwas, was man unterschieden empfand von dem gewöhnlichen Leben. Vor allen Dingen empfand man im Nachdenken noch, daß man da in etwas drinnensteht, was objektiv ist, was nicht bloß subjektiv ist. Daher war es auch, daß bis in das 15. Jahrhundert, und in der Nachwirkung noch bis in spätere Zeiten, die Menschen ein gewisses Gefühl hatten gegenüber dem tieferen Nachdenken über die Dinge, ein Gefühl, das der Mensch heute gar nicht mehr hat. Heute hat der Mensch gar nicht das Ge­fühl, daß das Nachdenken in einer gewissen Seelenverfassung voll­bracht werden sollte . Bis in das 15. Jahrhundert hatte der Mensch das Gefühl, daß er eigentlich nur etwas Schlechtes bewirkt in der Welt, wenn er nicht gut ist und doch nachdenklich wird. Er machte sich gewissermaßen einen Vorwurf, wenn er als ein schlechter

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Mensch nachdachte. Das ist etwas, was man gar nicht mehr so rich­tig gründlich empfindet. Heute denken die Menschen: Ich kann schlecht sein, wie ich will, in meiner Seele, ich denke halt nach . -Das haben die Menschen bis zum 15. Jahrhundert nicht getan. Die haben es eigentlich als eine Art Beleidigung des göttlichen Welten-verstandes empfunden, wenn sie in einer schlechten Seelenverfas­sung nachgedacht haben; sie haben also in dem Akte des Nach­denkens schon etwas Reales gesehen, sie haben sich darinnen gewis­sermaßen mit der Seele schwimmend gesehen in dem allgemeinen Weltenverstande . Woher kommt das?

Das kommt davon her, daß die Menschen eigentlich in diesem Zeitalter vom 8 - vorchristlichen bis zum 15. nachchristlichen Jahr­hundert, insbesondere im 4. nachchristlichen Jahrhundert, ausge­sprochen ihren Ätherleib verwendeten, wenn sie nachdachten. Nicht als ob sie sich sagten: Jetzt, jetzt bringe ich den Ätherleib in Tätig­keit. Aber dasjenige, was sie empfanden, die ganze Seelenstim­mung, die brachte der Ätherleib in Bewegung, wenn gedacht wurde. Man kann geradezu sagen: Die Menschen dachten in diesem Zeit­alter mit dem Ätherleib. - Und das ist das Charakteristische, daß im 15. Jahrhundert angefangen wird, mit dem physischen Leib zu denken. Wir denken mit den Kräften, die der Ätherleib in den physischen Leib hineinsendet, wenn wir denken. Das ist also der große Unterschied, der sich ergibt, wenn man das Denken vor dem 15 - Jahrhundert und nach dem 15. Jahrhundert betrachtet . Wenn man das Denken vor dem 15. Jahrhundert betrachtet, dann verläuft es im Ätherleib (siehe Zeichnung, helle Schraffierung), gewisser­maßen gibt es dem Ätherleib eine gewisse Struktur. Wenn man das Denken jetzt betrachtet, verläuft es im physischen Leib (dunkel). Jede solche Linie des Ätherleibes ruft ein Abbild von sich hervor, und dieses Abbild ist dann im physischen Leib; es ist also gewisser­maßen ein Siegelabdruck der ätherischen Tätigkeit im physischen Leibe, was seit jener Zeit in der Menschheit vor sich geht, wenn ge­dacht wird. Das war im wesentlichen die Entwickelung vom 15. bis ins 19., 20. Jahrhundert herein, daß der Mensch immer mehr und mehr sein Denken herausgeholt hat aus dem Ätherleib und daß er

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sich hält an dieses Schattenbild, das er im physischen Leib erhält von dem eigentlichen Gedankenursprung im Ätherleib. Es ist also wirk­lich das vorhanden, daß in diesem fünften nachatlantischen Zeit­raum eigentlich gedacht wird mit dem physischen Leib, daß aber im Grunde genommen das nur ein Schattenbild ist desjenigen, was das Weltendenken einstmals war, daß also seit jener Zeit in der Mensch­heit nur ein Schattenbild des Weltendenkens lebt.

Sehen Sie, im Grunde genommen ist all das, was da entstanden ist seit dem 15. Jahrhundert, was sich ausgebildet hat als neuere Mathematik, als neuere Naturwissenschaft und so weiter, Schatten­bild, Gespenst des früheren Denkens; es hat kein Leben mehr. Die Menschheit macht sich heute eigentlich keinen Begriff davon, ein wieviel lebendigeres Element das Denken vorher war . Der Mensch fühlte sich im Denken zu gleicher Zeit erfrischt in jener älteren Zeit, er war froh, wenn er denken konnte, denn das Denken war ein Labe­trunk der Seele für ihn. Daß das Denken etwa auch ermüden könne, das war keine Ansicht jener Zeiten - Es konnte der Mensch gewisser­maßen durch etwas anderes ermüden; aber wenn er wirklich denken konnte, so fühlte er dies als eine Erfrischung, als einen Labetrunk

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der Seele, er fühlte auch immer etwas von Begnadung, die ihm wurde, wenn er in Gedanken leben konnte.

Dieser Umschwung in der Seelenverfassung ist einmal geschehen, und wir haben heute in dem, was als Denken der neueren Zeit auf­tritt, ein durchaus Schattenhaftes . Daher auch die große Schwierig­keit, durch das Denken - wenn ich mich so ausdrücken darf - den Menschen überhaupt in irgendeinen Schwung zu bringen. Vom Denken aus kann man ja zu dem modernen Menschen alles mögliche reden, aber er kommt nicht in Schwung. Dennoch ist es das, was er lernen muß. Der Mensch muß sich bewußt werden, daß er in seinem modernen Denken ein Schattenbild hat, und daß dieses Schatten­bild nicht Schattenbild bleiben darf, daß dieses Schattenbild, das das moderne Denken ist, belebt werden muß, damit es Imagination werden kann. Es ist immer ein Versuch, das moderne Denken zur Imagination zu machen, was zum Beispiel zutage tritt in einem sol­chen Buch wie in meiner «Theosophie» oder wie in meiner «Ge­heimwissenschaft im Umriß», wo eben überall in das Denken hinein die Bilder getrieben werden, damit das Denken zur Imagination, also wiederum zum Leben aufgerufen werde. Es würde sonst die Menschheit vollständig veröden . Wir könnten vertrocknete Gelehr­samkeit weit verbreiten, aber diese vertrocknete Gelehrsamkeit würde nicht zum Wollen sich aufraffen und nicht entfiammen kön­nen, wenn in dieses schattenhafte Denken, in dieses Denkgespenst, das in der neueren Zeit eben in die Menschheit hereingekommen ist, nicht wiederum das imaginative Leben einziehen würde.

Das ist ja, ich möchte sagen, die große Schicksalsfrage der neue­ren Zivilisation, daß eingesehen werde, wie das Denken auf der einen Seite tendiert, ein Schattenwesen zu werden, wie die Men­schen immer mehr und mehr sich in dieses Denken zurückziehen, einkapseln, und wie daneben dasjenige, was ins Wollen übergeht, eigentlich bloß eine Art Auslieferung an die menschlichen Instinkte wird. Je weniger das Denken wird Imagination aufnehmen können, desto mehr wird das volle Interesse desjenigen, was im äußeren sozialen Leben lebt, in die Instinkte übergehen. Die ältere Mensch. heit, wenigstens in denjenigen Zeiten, welche die Zivilisation

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trugen, bekam - das haben Sie aus den letzten Vorträgen entnehmen können - aus ihrem ganzen Organismus heraus etwas, was geistig war. Der moderne Mensch bekommt nur aus seinem Kopfe etwas heraus, was geistig ist, daher überläßt er sich in bezug auf den Willen seinen Trieben, seinen Instinkten . Das ist die große Gefahr, daß die Menschen immer mehr und mehr bloße Kopfmenschen werden und in bezug auf das Wollen in der Außenwelt sich ihren In­stinkten überlassen, was dann selbstverständlich zu den sozialen Zuständen führt, die jetzt im Osten Europas Platz greifen und auch bei uns infizierend Platz greifen allüberall. Dadurch, daß das Denken Schattenbild geworden ist, dadurch kommt das auf. Man kann nicht oft genug auf diese Dinge hinweisen . Gerade aus solchen Untergründen heraus wird man das Bedeutsame begreifen, was an­throposophisch orientierte Geisteswissenschaft eigentlich will . Sie will, daß das Schattenbild wiederum ein lebendiges Wesen werde, daß wiederum unter Menschen herumgehe das, was ergreift den ganzen Menschen. Das kann aber nicht geschehen, wenn das Denken Schattenbild bleibt, wenn nicht die Imaginationen in dieses Denken wieder einziehen, wenn nicht zum Beispiel die Zahl so belebt wird, wie ich es gezeigt habe, indem ich hingewiesen habe auf den sieben­gliedrigen Menschen, der eigentlich ein neungliedriger ist, wobei aber immer zweites und drittes, und sechstes und siebentes Glied, sich so zusammenschließen, daß sie jeweils eine Einheit werden, so daß gewissermaßen sieben herauskommt, wenn man neun Glieder summiert . Dieses innere Eingreifen desjenigen, was einmal dem Menschen von innen gegeben war, das ist dasjenige, was angestrebt werden muß. In dieser Beziehung muß man recht ernst nehmen, was durch Geisteswissenschaft, anthroposophisch orientiert, gerade von dieser Seite her charakterisiert wird .

Von anderer Seite her ist gesehen worden, wie das Denken schat­tenhaft wird, und daher ist im Jesuitenorden eine Methode geschaf­fen worden, welche von einer gewissen Seite her Leben in dieses Denken hineinbringt. Die jesuitischen Exerzitien gehen daraufhin-aus, Leben in dieses Denken hineinzubringen. Aber sie tun es, in­dem sie altes Leben wiederum erneuern, indem sie vor allen Dingen

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nicht auf die Imagination hin und durch die Imagination arbeiten, sondern durch den Willen arbeiten, der ja insbesondere in den jesui-tischen Exerzitien eine große Rolle spielt. Die Menschheit der Gegenwart sollte begreifen und begreift viel zuwenig, wie in einer solchen Gemeinschaft, wie es die jesuitische ist, alles Seelenleben et­was radikal anderes wird, als es bei den anderen Menschen ist . Die anderen Menschen der Gegenwart sind alle im Grunde genommen in anderer Seelenverfassung als diejenigen, die Jesuiten werden . Die Jesuiten arbeiten aus einem Weltenwillen heraus, das ist nicht zu leugnen. Sie sehen daher gewisse Zusammenhänge, die da sind, und höchstens werden solche Zusammenhänge von manchen anderen Orden noch gesehen, die wiederum von den Jesuiten bis aufs Messer bekämpft werden - Aber dieses Bedeutungsvolle, wodurch Realität hineinkommt in das schattenhafte Denken, das ist es, was den Jesuiten zu einem Menschen anderer Art macht, als es die modernen Zivilisationsmenschen sind, die überhaupt nurmehr in Schattenbil­dern denken und daher im Grunde genommen schlafen, weil das Den­ken nicht ergreift ihren Organismus, weil es nicht vibriert in ihrem Blute, weil es nicht eigentlich wirklich durchflutet ihr Nervensystem .

Noch niemals wird jemand, wie ich glaube, einen begabten Jesuiten nervös gesehen haben, währenddem die moderne Gelehr­samkeit und die moderne Bildung immer mehr nervös werden. Wann wird man nervös? Wenn die physischen Nerven sich geltend machen. Dann macht sich etwas geltend, was eigentlich physisch gar keine Berechtigung hat, sich geltend zu machen, weil es bloß da ist, um das Geistige durchzuleiten. Diese Sachen hängen innig zu­sammen mit der Verkehrtheit unseres modernen Bildungswesens, und der Jesuitismus ist gewiß von einem Standpunkte aus, den wir entschieden bekämpfen müssen, aber eben von einem Standpunkte des Belebens des Denkens aus, etwas, was mit der Welt geht, wenn es auch wie ein Krebs zurückgeht. Aber es geht, es steht nicht still, während unsere Wissenschaft, wie sie heute gang und gäbe ist, im Grunde genommen den Menschen gar nicht ergreift.

Wenn ich Sie da auf etwas hinweisen darf, so muß ich sagen: Ich habe ja schon öfters zum Ausdrucke gebracht, wie es einem eigentlich

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fortwährend immer wieder und wiederum Schmerz bereitet, daß dieser moderne Mensch, der ja alles mögliche denken kann, der so furchtbar gescheit ist, aber doch mit keiner Faser seines Lebens auch lebendig drinnensteht in der Gegenwart, nicht sieht, was um ihn herum vorgeht; er sieht es ja nicht, was um ihn herum vorgeht, er will nicht mitmachen . Das ist beim Jesuiten anders . Der Jesuit, der den vollen Menschen in Regsamkeit bringt, der sieht, was heute durch die Welt vibriert . Dafür möchte ich ein paar Worte aus einer Jesuitenflugschrift der Gegenwart vorlesen, aus der Sie sehen, was darinnen für ein Leben pulsiert:

«Für alle diejenigen, die es mit den christlichen Grundsätzen ernst nehmen, denen das Volkswohl wirklich Herzenssache ist, denen das Heilandswort einmal tief in die Seele gedrungen, für diese alle ist jetzt die Zeit gekommen, wo sie getragen von den Grundwellen der bolschewistischen Sturmflut, mit viel größerem Erfolg mit dem Volk und für das Volk arbeiten kön­nen. Und da nur nicht zu zaghaft sein. Also grundsätzliche und allseitige Bekämpfung des , der Ausbeutung und Auswucherung des Volkes, schärfere Betonung der Arbeitspflicht auch für die höheren Stände, Beschaffung menschenwürdiger Wohnungen für Millionen von Volksgenossen, auch wenn diese Beschaffung Inanspruchnahme der Paläste und größeren Woh­nungen erfordert, Ausnutzung der Bodenschätze, Wasser- und Luft-kräfte nicht für Trusts und Syndikate, sondern für das Gemeinwohl, Hebung und Bildung der Volksmassen, Beteiligung aller Volkskreise an Staatsverwaltung und Staatsleitung, Benutzung der Idee des Rätesystems zum Ausbau einer neben der parlamentarischen Massen-vertretung einhergehenden und gleichberechtigten Ständevertre­tung, um die von Lenin mit Recht gerügte zu verhindern - . . . Gott hat die Güter der Erde für alle Menschen gegeben, nicht daß einzelne in üppigem Überfluß schwelgen, Millionen aber in einer physisch und moralisch gleich verderblichen Armut schmachten. . . .»

Sehen Sie, das ist das Feuer, das allerdings etwas spürt von dem, was vorgeht . Das ist ein Mensch, der in seinem übrigen Buche den

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Bolschewismus streng bekämpft, der natürlich vom Bolschewismus nichts wissen will, der aber nicht sitzt wie irgend jemand, der heute sich schön auf einen Stuhl niedergelassen hat und ringsherum das Feuer der Welt nicht merkt, sondern der es merkt und der weiß, was er will, weil er sieht.

Die Menschen haben es dazu gebracht, über die Dinge der Welt bloß nachzudenken und sie im übrigen laufen zu lassen, wie sie laufen. Das ist es, worauf man immer wieder hinweisen muß, daß der Mensch noch etwas anderes in sich hat als bloße Gedanken, durch die man eben nachdenkt, und sich nicht kümmert eigentlich um das Wesen der Welt. Da braucht man ja bloß hinzuweisen auf das, was zum Beispiel die Theosophische Gesellschaft ist. Die Theo­sophische Gesellschaft weist hin auf die großen Eingeweihten, die irgendwo sitzen; gewiß, das kann sie mit Recht. Aber es handelt sich nicht darum, daß die da sitzen, sondern es handelt sich darum, wie diejenigen, die von ihnen reden, auf sie hinweisen. Die Theosophen stellen sich vor, die großen Eingeweihten regieren die Welt; dann setzen sie sich selber nieder und haben gute Gedanken, die sie über­allhin ausströmen lassen, und dann reden sie von Weltregierung, reden von Weltepochen, von Weltimpulsen - Wenn es aber wirklich einmal dahin kommt, daß eine reale Sache, wie Anthroposophie es ist, notwendigerweise, weil es nicht anders sein kann, drinnen leben muß im realen Gang der Welt, dann findet man das ungemütlich, weil man eigentlich dann nicht mehr auf dem Stuhl sitzenbleiben könnte, sondern miterleben müßte das, was in der Welt vorgeht.

Scharf muß betont werden, wie das, was Verstand ist, in den Menschen geworden ist zum Schatten, weil es früher erlebt worden ist im ätherischen Leib und jetzt gewissermaßen hinuntergerutscht ist in den physischen Leib und da nur ein subjektives Dasein führt. Aber es kann durch die Imagination lebendig gemacht werden. Dann führt es zur Bewußtseinsseele, und diese Bewußtseinsseele kann nur als ein Reales erfaßt werden, wenn sie das Ich als das Ewige in sich fühlt, und wenn durchschaut wird, wie dieses Ich herunter-steigt zur Verkörperung aus geistig-seelischen Welten, wie es durch die Todespforte wiederum in geistig-seelische Welten geht. Wenn

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diese innerliche geistig-seelische Wesenheit des Ichs ergriffen wird, dann kann tatsächlich das Schattenbild des Verstandes mit Realität erfüllt werden. Denn vom Ich aus muß dieses Schattenbild des Verstandes mit Realität erfüllt werden.

Es ist notwendig, daß gesehen werde, wie es ein lebendiges Den­ken gibt. Denn was kennt denn der Mensch seit dem 15. Jahrhun­dert? - Er kennt ja bloß das logische Denken, er kennt nicht das lebendige Denken . Auch darauf habe ich wiederholt aufmerksam gemacht . Was ist lebendiges Denken? - Ich will ein naheliegendes Beispiel nehmen. Ich habe 1892 die «Philosophie der Freiheit» ge­schrieben . Diese «Philosophie der Freiheit» hat einen bestimmten Inhalt. Ich habe 1903 geschrieben die «Theosophie», die hat wieder einen bestimmten Inhalt. In der «Theosophie» ist die Rede vom Ätherleib, Astralleib und so weiter . Davon ist in der «Philosophie der Freiheit» nicht die Rede . Da kommen nun diejenigen Menschen, die bloß das logisch Tote kennen, bloß den Leichnam des Denkens kennen, und sagen: Ja, ich lese die «Philosophie der Freiheit», ich kann aus ihr heraus keinen Begriff «herausmutzeln», keinen Be­griff herausnehmen vom Ätherleib, Astralleib; das geht nicht, das bekomme ich nicht heraus aus den Begriffen, die dort sind - - Aber das wäre ja derselbe Vorgang, wie wenn ich einen kleinen fünfjäh­rigen Knaben hätte und möchte einen Mann von sechzig Jahren aus ihm machen, und ich nehme ihn und ziehe ihn in die Höhe und möchte ihn in der Breite ausdehnen! Ich darf da nicht einen mecha­nisch-leblosen Vorgang an die Stelle des Lebendigen setzen. Aber stellen Sie sich die «Philosophie der Freiheit» als etwas Lebendiges vor, was sie wirklich ist, stellen Sie sich vor, daß sie wächst; dann wächst aus ihr das heraus, was nur derjenige, der aus den Begriffen etwas «herausmutzeln» will, nicht herausbekommt . Darauf beruhen eben alle die Einwände von Widersprüchen: daß man nicht ver­stehen kann, was lebendiges Denken ist, im Gegensatz zu dem toten Denken, das heute die ganze Welt, die ganze Zivilisation beherrscht . In der Welt des Lebendigen entwickeln sich die Dinge von innen heraus. Derjenige, der weiße Haare hat, der hat sie, wenn er früher schwarze gehabt hat, nicht dadurch bekommen, daß sie ihm

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weiß angestrichen worden sind, sondern er hat sie von innen heraus bekommen. Das Aufundabsteigende entwickelt sich von innen heraus, und so ist es auch mit dem lebendigen Denken. Heute aber setzt man sich hin und will bloß Konklusionen entwickeln, will bloß äußerliche Logik empfinden. Was ist Logik? - Logik ist Anatomie des Denkens, und Anatomie studiert man an Leichnamen, und Logik ist am Leichnam des Denkens studiert. Es ist ja gewiß berech­tigt, Anatomie an den Leichnamen zu studieren . Ebenso berechtigt ist es, Logik an Leichnamen des Denkens zu studieren! Aber niemals kann man mit dem, was am Leichnam studiert ist, das Leben be­greifen. Das ist dasjenige, worauf es ankommt, worauf es wirklich ankommt, wenn man heute lebendig Anteil nehmen will mit ganzer Seele an dem, was durch die Welt eigentlich wallt und webt - Man muß schon immer wiederum auf diese Seite der Sache hinweisen, weil wir im Sinne der guten Weltentwickelung, im Sinne der guten Menschenentwickelung eine Belebung brauchen des schattenhaft gewordenen Denkens - Dieses Schattenhaftwerden des Denkens, das hat seinen Höhepunkt in der Mitte des 19. Jahrhunderts erlebt. Daher fallen in diese Mitte des 19. Jahrhunderts gerade diejenigen Dinge, welche, ich möchte sagen, die Menschheit am meisten berückt haben . Wenn auch diese Dinge als solche nicht groß gewesen sind: wenn sie an den richtigen Platz gestellt werden, erscheinen sie groß.

Nehmen wir das Ende der fünfziger Jahre . Da erscheinen Dar­wins «Entstehung der Arten», Karl Marx' «Die Prinzipien der poli­tischen Ökonomie» sowie die «Psycho-Physik» von Gustav Theodor Fechner, in der versucht wird, das Psychische, das Seelische durch das äußere Experiment aufzudecken . In demselben Jahre wird der Menschheit die berückende Entdeckung der Kirchhoff- und Bunsen­schen Spektralanalyse vorgeführt, wodurch gewissermaßen gezeigt wird, daß, wo man hinschauen mag im Weltenall, man dieselbe Stofflichkeit findet . Es wird gewissermaßen alles getan in dieser Mitte des 19. Jahrhunderts, um die Menschen darin zu berücken, daß das Denken hier schon subjektiv zu bleiben hat, eben schattenhaft zu bleiben hat und ja nicht eingreifen darf in das Äußere, so daß man

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sich gar nicht vorstellen darf, daß in der Welt Verstand, Nus, irgend etwas im Kosmos selber Lebendes sei .

Das ist es, was diese zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts so un­philosophisch, aber auch im Grunde genommen so tatenlos machte und was bewirkte, daß während die wirtschaftlichen Verhältnisse im­mer komplizierter und komplizierter wurden, der Welthandel sich zur Weltwirtschaft ausdehnte, so daß tatsächlich die ganze Erde ein Wirtschaftsgebiet wurde, daß gerade dieses schattenhafte Denken die immer wuchtigere Wirklichkeit nicht erfassen konnte . Das ist die Tragik des allermodernsten Zeitalters - Die wirtschaftlichen Verhält­nisse sind immer wuchtiger und wuchtiger, immer brutaler und brutaler geworden, das menschliche Denken blieb schattenhaft, und die Schatten konnten schon gar nicht mehr eindringen in das, was sich äußerlich in der brutalen wirtschaftlichen Wirklichkeit ab­spielte.

Das ist es, was unsere gegenwärtige Misere ausmacht - Wenn ein Mensch nun wirklich einmal glaubt, feiner organisiert zu sein und Bedürfnis zu haben nach dem Geistigen, dann gewöhnt er sich wo­möglich an, ein langes Gesicht zu machen, in Fistelstimme zu spre­chen und davon zu reden, wie man sich erheben müsse von der brutalen Wirklichkeit, denn nur im Mystischen könne im Grunde genommen das Geistige erfaßt werden . Das Denken ist so fein geworden, daß es weggehen muß von der Wirklichkeit, daß es in seinem Schattendasein ja gleich zugrunde geht, wenn es eindringen will in die brutale Wirklichkeit . Die Wirklichkeit entwickelt sich nach den Instinkten darunter, die wuchtet und brutalisiert. Wir sehen oben die fetten Eier der Mystiken und Weltanschauungen und Theosophien schwimmen und unten das Leben brutal ablaufen. Das ist etwas, was zum Heile der Menschheit eben aufhören muß. Das Denken muß belebt werden, und der Gedanke muß so mächtig werden, daß er sich nicht zurückzuziehen braucht vor der brutalen Wirklichkeit, sondern daß er in diese brutale Wirklichkeit unter-tauchen kann, leben kann als Geist in dieser brutalen Wirklichkeit; dann wird die Wirklichkeit nicht mehr brutal sein. Das muß man verstehen.

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Was nach allen möglichen Richtungen hin nicht verstanden wird, das ist, daß das Denken, wenn darinnen das Weltenwesen lebt, gar nicht anders sein kann, als daß es seine Kraft ausgießt über alles mögliche . Das ist doch eigentlich etwas ganz Selbstverständ­liches . Aber diesem modernen Denken gilt es als Sakrileg, wenn nur einmal auftritt so etwas wie ein Denken, das gar nicht anders kann, als seine Fäden zu ziehen nach den verschiedenen Gebieten hin. Was den Ernst des Lebens heute ausmachen soll, das ist, daß ein­gesehen werden soll: Wir haben in dem Denken, und zwar mit Recht, ein Schattenbild gehabt; es ist aber das Zeitalter angekom­men, das in dieses Denk-Schattenbild hinein Leben bringen muß, damit von diesem Denk-Leben, von diesem inneren seelischen Leben das äußere physisch-sinnliche Leben seine soziale Anregung erhalten kann .

Davon wollen wir dann morgen weiterreden .

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ELFTER VORTRAG Dornach, 30. April 1921

Wir haben im Verlaufe dieser Betrachtungen gesehen, welch wich­tiger Punkt in der Menschheitsentwickelung des Abendlandes die Mitte des 19. Jahrhunderts ist. Wir haben aufmerksam darauf ge­macht, wie in dieser Mitte des 19. Jahrhunderts gewissermaßen der Höhepunkt materialistischer Gesinnung, materialistischer Lebens-ansicht vorhanden ist; aber wir haben auch aufmerksam darauf machen müssen, wie das, was sich da im Menschen seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts herausgerungen hat, eigentlich ein Geistiges ist, so daß man sagen könnte: Das war das Charakteristische in diesem Entwickelungspunkt neuzeitlicher Menschheitsentwickelung, daß der Mensch, indem er am geistigsten geworden ist, diese Gei­stigkeit nicht erfassen konnte, sondern sich nur erfüllte mit materia­listischem Denken, materialistischem Fühlen und auch materialisti­schem Wollen und Tun. Und die Gegenwart steht ja noch immer unter den Nachwirkungen desjenigen, was sich da, ich möchte sagen, von vielen Menschen unvermerkt vollzogen hat und was ja in­nerhalb der Menschheitsentwickelung einen Höhepunkt erreicht hat. Wozu war dieser Höhepunkt da? - Er war da, weil ja ein Ent­scheidendes geschehen sollte in bezug auf das Erringen der Bewußt­seinsseelenstufe durch die neuzeitliche Menschheit.

Fassen wir einmal ins Auge, wie sich die Menschheitsentwicke­lung abgespielt hat, dann müssen wir sagen: Wir haben, wenn wir beginnen beim dritten nachatlantischen Zeitraum, etwa bis, sagen wir, zum Jahre 747 (siehe Zeichnung) vor dem Mysterium von Gol­gatha, was wir als die Entwickelung der Empfindungsseele in der Menschheit bezeichnen können. Es beginnt dann das Zeitalter der Verstandes- oder Gemütsseele, die bis zum Jahre 1413 etwa dauert, die ihren Höhepunkt erreicht in demjenigen Zeitpunkt, von dem die äußere Geschichte ja wenig mitteilt, der aber ins Auge gefaßt werden muß, wenn man überhaupt die europäische Entwickelung begreifen will - Es ist ungefähr der Zeitpunkt 333 nach Christus . Seit

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dem Jahre 1413 haben wir es zu tun mit der Entwickelung der Be­wußtseinsseele, in welcher Entwickelung wir noch darinnenstehen, die eben ein entscheidendes Ereignis erlebte um das Jahr 1850, besser gesagt 1840.

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Es war um dieses Jahr 1840 die Sache so, daß wenn wir die Menschheit als Ganzes auffassen - wie sich die einzelnen Nationen dazumal verhielten, das werden wir nachher gleich zu betrachten be­ginnen -, wir sagen können, daß, insofern wir auf repräsentative Persönlichkeiten der Nationen hinschauen, sie in diesem Jahre 1840 vor dem Punkte standen, wo der Verstand schon am meisten zum Schattenwesen geworden war. Der Verstand hatte seinen Schatten-charakter angenommen. Ich habe Ihnen ja gestern diesen Schatten-charakter des Verstandes zu charakterisieren versucht . So weit war die Menschheit der zivilisierten Erde gediehen, daß von da ab die Möglichkeit bestand, aus der allgemeinen Kultur heraus ohne Ein­weihung die Empfindung zu bekommen: Wir haben den Verstand, der Verstand hat sich heraufentwickelt, aber dieser Verstand hat für sich selber keinen Inhalt mehr . Wir haben Begriffe, aber diese Be­griffe sind leer, wir müssen sie mit etwas erfüllen - - Das ist der Ruf, der sozusagen durch die Menschheit, allerdings noch dunkel und unvernehmlich, geht. Aber in den tiefen, untergründigen, unter­bewußten Sehnsuchten der Menschen lebt der Ruf, eine Erfüllung zu bekommen für das Schattenhafte des Verstandesdenkens. Es ist eben der Ru{ der nach Geisteswissenschaft geht . Wir können aber diesen Ruf auch konkret fassen.

Es war einfach in dieser Mitte des 19. Jahrhunderts die mensch­liche Organisation, in deren physischem Teil ja dieser schattenhafte Verstand geübt wird, so weit, daß sie den Verstand, den leeren

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schattenhaften Verstand gut ausbilden konnte . Nun gehörte in diesen schattenhaften Verstand etwas hinein, er mußte mit etwas erfüllt werden. Erfüllt werden kann er nur, wenn der Mensch sich bewußt wird: Ich muß etwas aufnehmen von dem, was sich mir auf der Erde selbst nicht darbietet, was auf der Erde selber nicht lebt, was ich nicht erfahren kann in dem Leben zwischen der Geburt und dem Tode . Ich muß wirklich in diesen Verstand herein etwas aufneh­men, was zwar ausgelöscht wurde, als ich aus geistigen Seelenwelten mit den Ergebnissen meiner früheren Erdenleben in eine physische Körperlichkeit herunterstieg, etwas, was zwar verdunkelt worden ist, was aber ruht in den Tiefen meiner Seele . Ich muß es von da herauf-bringen, ich muß mich auf etwas besinnen, was in mir ist einfach dadurch, daß ich ein Mensch des 19. Jahrhunderts bin.

Es war vorher nicht so, daß die Menschen in derselben Weise hätten Selbstbesinnung üben können . Daher mußten sie erst ihre Menschheit so weit bringen, daß der physische Leib eben sich immer reifer und reifer machte, um den schattenhaften Verstand vollstän­dig auszubilden, vollständig zu üben. Jetzt waren die physischen Leiber, wenigstens bei den vorgerücktesten Menschen, so weit, daß man hätte sagen können, besser gesagt, man kann es seither: Ich will mich darauf besinnen, was suche ich aus den Untergründen meines Seelenlebens heraufzubringen, um in diesen schattenhaften Ver­stand etwas hineinzugießen? - Dadurch wäre dann dieser schatten­hafte Verstand von etwas durchgossen worden, und dadurch hätte aufgedämmert die Bewußtseinsseele . Es war also gewissermaßen in diesem Zeitpunkt die Gelegenheit dazu gegeben, daß die Bewußt­seinsseele hätte aufdämmern können .

Nun werden Sie sagen: Ja, aber schon die ganze Zeit vorher, seit dem Jahre 1413, war ja das Zeitalter der Bewußtseinsseele. - Ge­wiß, aber es ist eben eine vorbereitende Entwickelung zunächst ge­wesen, und Sie brauchen nur zu bedenken, welche Grundbedingun­gen zu einer solchen Vorbereitung gerade in diesem Zeitalter gegen­über allen früheren Zeitaltern vorhanden waren . In dieses Zeitalter fällt ja zum Beispiel die Entdeckung der Buchdruckerkunst, die Aus­breitung der Schrift . Die Menschen nehmen seit dem 15. Jahrhundert

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durch die Buchdruckerkunst und durch die Schrift nach und nach eine ganze Menge von geistigem Inhalt auf. Aber sie nehmen ihn eben äußerlich auf; und das Wesentliche dieses Zeitalters ist ja, daß eine ungeheure Summe von geistigem Inhalt äußerlich aufgenom­men worden ist. Die Völker der zivilisierten Erde haben ja äußerlich etwas aufgenommen, was sie früher eigentlich in ihren großen Massen nur durch die hörbare Sprache haben aufnehmen können. Im Zeitalter der Verstandesentwickelung war es so, und im Zeitalter der Empfindungsseele war es erst recht so, daß im Grunde genom­men alle Verbreitung der Bildung auf dem mündlichen Sprechen beruht hat. Durch die Sprache klingt noch etwas durch von Geistig-Seelischem. In den Worten lebte besonders in früheren Zeiten durch­aus das, was man nennen kann den «Genius der Sprache» - Das hörte auf, als in abstrakter Form, durch Schrift und Druck, der In­halt der menschlichen Bildung aufgenommen wurde. Das Ge­druckte und Geschriebene hat ja die Eigentümlichkeit, daß es in einer gewissen Weise das auslöscht, was der Mensch durch die Geburt mitbekommt aus seinem überirdischen Dasein .

Selbstverständlich soll das nicht heißen, daß Sie nun aufhören sollen zu lesen oder zu schreiben, sondern es soll heißen, daß eine stärkere Kraft heute notwendig ist, um das, was in der menschlichen Wesenheit unten liegt, heraufzuheben . Aber diese stärkere Kraft muß auch notwendig erlangt werden. Wir müssen auf Selbstbesin­nung kommen, trotzdem wir lesen und schreiben, wir müssen eben diese stärkere Kraft entwickeln gegenüber der früheren - Das ist die Aufgabe im Zeitalter der Entwickelung der Bewußtseinsseele.

Bevor wir uns nun ein wenig ansehen können, wie ja nun in einer gewissen Weise doch begonnen hat das Herunterwirken der gei­stigen Welt in die physisch-sinnliche Welt herein, wollen wir uns einmal heute die Frage vorlegen: Wie haben denn eigentlich die Na­tionen der neueren Zivilisation diesen Zeitpunkt von 1840 ange­troffen?

Wir wissen aus früheren Vorträgen, daß das charakteristische Volk für die Ausbildung der Bewußtseinsseele, also für dasjenige, worauf es gerade in diesem Zeitalter ankommt, das angelsächsische

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Volk ist - Dieses angelsächsische Volk ist das Volk, das durch seine ganze Organisation daraufhin angelegt ist, die Bewußtseinsseele be­sonders auszubilden. Darauf beruht ja die besondere Stellung des angelsächsischen Volkes, des anglo-amerikanischen Volkes in un­serem Zeitalter, daß es für die Ausbildung der Bewußtseinsseele besonders veranlagt ist. Aber jetzt fragen wir uns einmal rein äußer­lich: Wie ist denn eigentlich dieses angelsächsische Volk angekom­men an diesem Zeitpunkte, der der wichtigste ist in der modernen Kulturentwickelung?

Man kann sagen: Gerade das angelsächsische Volk hat lange Zeit fortgelebt in einem Zustande, den man vielleicht am besten dadurch bezeichnen kann - selbstverständlich mit den entsprechenden Vari­anten und Metamorphosen -, daß man sagt: Es haben sich in bezug auf die innere Seelenverfassung innerhalb des angelsächsischen Volkes bis ins 19. Jahrhundert herein diejenigen inneren Impulse erhalten, welche im Griechentum schon anderen Formen gewichen sind. - Man könnte sagen, im 11. und 10. vorchristlichen Jahrhun­dert ist das Eigentümliche, daß da die Nationen das, was durch­gemacht wird, in verschiedenen Zeiten durchmachen, daß sich gewissermaßen die Zeiten übereinanderschieben . Nur bemerkt man solche Dinge außerordentlich schwer aus dem Grunde, weil ja natür­lich im 19. Jahrhundert schon alles mögliche da war - Schreiben, Lesen -, weil andere Daseinsbedingungen da waren in Schottland und in England, als sie vorhanden waren in der Homerischen Zeit .

Aber dennoch, wenn man die Seelenverfassung des Volkes eben als Nation ins Auge faßt, so ist das so, daß geblieben ist diese Seelen-verfassung der Homerischen Zeit, die in Griechenland im tragischen Zeitalter überwunden worden ist, die in den Sophoklismus über­gegangen ist . Diese Zeit hat sich in der angelsächsischen Welt er­halten bis ins 19 - Jahrhundert herein, eine Art patriarchalischer Lebensauffassung, eine Art patriarchalischen Lebens. Insbesondere hat sich ausgebreitet dieses patriarchalische Leben von der Seelen­verfassung in Schottland herein, und es ist aus diesem Grunde, warum gerade auf das angelsächsische Volk nicht etwa dasjenige gewirkt hat, was von den Einweihungsstätten Irlands ausgegangen

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ist - Das hat ja, wie wir bei anderen Gelegenheiten gehört haben, hauptsächlich im kontinentalen Europa gewirkt. Auf der britischen Insel selber hat hauptsächlich dasjenige gewirkt, was vom Norden, von Schottland herunter auch an Einweihungswahrheiten gekom­men ist, und diese Einweihungswahrheiten haben dann das andere durchdrungen. Aber es ist etwas in der ganzen Auffassung der menschlichen Persönlichkeit, das gewissermaßen uralt geblieben ist -Und das wirkt noch nach, das wirkt nach selbst in der Art und Weise, wie, sagen wir, das Verhältnis vonWhigs und Tories in dem englischen Parlamente sich entfaltete . Es ist ja so, daß wir es ursprünglich nicht etwa zu tun haben mit dem Gegensatz von liberal und konservativ, sondern wir haben es zu tun mit zwei Schattierungen in politischen Ansichten, für die man heute eigentlich gar keine Empfindungen mehr hat.

Die Whigs sind ja im wesentlichen eigentlich die Fortpflanzung desjenigen, was man nennen könnte, eine von allgemeiner Men­schenliebe getragene, in Schottland aufgegangene Menschheits­strömung. Die Tories sind ursprünglich katholisierende, der Sage nach, die aber einen gewissen historischen Hintergrund hat, sogar katholisierende Pferdediebe aus Irland gewesen. Dieser Gegensatz, der sich dann ausdrückt in dem besonderen politischen Wollen, der spiegelt ein gewisses patriarchalisches Sein; und dieses patriarcha­lische Sein, das hat gewisse elementare Kräfte fortbehalten - Man kann das sehen aus der Art und Weise, wie die Besitzer größerer Ländereien zu denjenigen Menschen gestanden haben, die als Untertanen auf diesen Ländereien gesessen haben. Bis ins 19. Jahr­hundert geht ja dieses Untertanenverhältnis; bis ins 19. Jahrhundert war es ja so, daß im Grunde genommen niemand ins Parlament gewählt wurde, der nicht durch ein solches grundbesitz erliches Ver­hältnis eine gewisse Macht hatte. Man muß nur bedenken, was das bedeutet. Solche Dinge wiegt man nicht in der richtigen Weise. Man muß nur bedenken, was es bedeutet, daß zum Beispiel erst im Jahre 1820 im englischen Parlament das Gesetz abgeschafft wurde, wonach man einen Menschen, der eine Uhr gestohlen oder der gewildert hat, mit dem Tode bestrafte. Bis dahin war es durchaus

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gesetzliche Bestimmung, daß jemand, der eine Taschenuhr gestohlen hatte oder der Wilddieb war, mit dem Tode bestraft wurde. Das zeigt ja durchaus, wie geblieben waren gewisse alte elementare Zu­stände. Heute sieht der Mensch das, was in seiner unmittelbaren Gegenwart lebt, und er verlängert sozusagen die wesentlichsten Grundbestandteile der Zivilisation der Gegenwart nach rückwärts und sieht nicht, wie kurz eigentlich die Zeit ist, in der für die wich­tigsten europäischen Gegenden diese Dinge sich aus ganz elementa­ren Zuständen erst herausgebildet haben.

So können wir sagen, daß sich da diese patriarchalischen Zu­stände als der Grund und Boden desjenigen erhalten haben, in was dann einschlug das Allerallermodernste, das nicht zu denken ist in der sozialen Struktur ohne die Entwickelung der Bewußtseinsseele. Bedenken Sie nur schon im 18. Jahrhundert den ganzen Umschwung, der in der sozialen Struktur eingetreten war durch die technische Metamorphose in bezug auf die Textilindustrie und so weiter. Bedenken Sie, wie da das maschinelle Element, das tech­nische Element hineingezogen ist in dieses Patriarchalische, und bilden Sie sich eine anschauliche Vorstellung, wie auf dem Grunde des Patriarchalischen, dieses gutsherrlichen Verhältnisses zu den Untertanen, sich da hineinschiebt die Entstehung des modernen Proletariats durch die Umgestaltung der Textilindustrie . Denken Sie sich, was da für ein Chaos sich durcheinanderschiebt, wie sich die Städte herausbilden aus den alten Landschaften, wie das Patriarcha­lische, ich möchte sagen, mit einem kühnen Sprung hineinspringt in das moderne sozialistische, proletarische Leben .

Man kann geradezu, wenn man es graphisch darstellen will, sagen, es entwickelt sich dieses Leben in der Form, wie es in Grie­chenland bis etwa um das Jahr 1000 vor Christus war (siehe Zeich­nung). Dann macht es einen kühnen Sprung, und wir stehen plötz­lich im Jahr 1820. Innerlich ist das Leben im Jahre 1000 vor Christus stehengeblieben; aber äußerlich sind wir im 18. Jahrhundert, sagen wir 1770 (Pfeile). Da wälzt sich hinein alles dasjenige, was dann im modernen Leben, ja in derJetztzeit dasteht. Aber den Anschluß, die Notwendigkeit findet dieses englische Leben erst 1820 (siehe Zeichnung);

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da sind ja solche Dinge überhaupt erst spruchreif geworden, wie die Abschaffung der Todesstrafe für einen kleinlichen Dieb­stahl und dergleichen. So kann man sagen: Es ist durchaus hier zusammengeflossen ein Uraltes mit dem Allerallermodernsten; und so trifft dann die Weiterentwickelung hinein in das Jahr 1840.

Was hatte nun in diesem Zeitalter hier, in der ersten Hälfte des 19 - Jahrhunderts, gerade bei dem anglo-amerikanischen Volke zu geschehen? Wir müssen bedenken, daß erst nach dem Jahre 1820, sogar erst nach 1830 Gesetze notwendig geworden sind in England, wodurch Kinder unter zwölf Jahren nicht zu längerer Fabrikarbeit angehalten werden durften als zu achtstündiger, Kinder von drei­zehn bis zu achtzehn Jahren höchstens zu zwölfstündiger Tages-arbeit. Bitte, vergleichen Sie das mit den heutigen Verhältnissen! Bedenken Sie, was heute als Achtstundentag von der breiten Masse des Proletariats gefordert wird! Im Jahre 1820 noch wurden in England Knaben länger als acht Stunden beschäftigt in Bergwerken und Fabriken, und erst in diesem Jahre wurde für diese der Acht­stundentag angesetzt; aber für Kinder vom zwölften bis achtzehnten Lebensjahre herrschte noch der Zwölfstundentag -

Man muß diese Dinge durchaus ins Auge fassen, wenn man sehen will, was da eigentlich zusammengestoßen ist, und im Grunde genommen könnte man sagen, erst im zweiten Drittel des 19. Jahr­hunderts wandte sich England heraus aus dem Patriarchalischen und sah sich genötigt, zu rechnen mit dem, was sich langsam durch die Maschinentechnik hineingeschoben hat in dieses Alte. So traf das­jenige Volk, welches vorzugsweise berufen ist, die Bewußtseinsseele sozusagen auszubilden, so traf dieses Volk der Zeitpunkt von 1840.

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Nehmen Sie jetzt andere Völker der modernen Zivilisation; neh­men Sie dasjenige, was vom lateinisch-romanischen Elemente ge­blieben ist, was also das Romanisch-Lateinische vom vierten nach­atlantischen Zeitraum herübergetragen hat, was gewissermaßen als Erbgut herübergebracht hat die alte Verstandesseelenkultur im Zeit­alter der Bewußtseinsseele. Seine Kulmination, seinen Höhepunkt hat ja das, was da noch vorhanden war an Leben der Verstandesseele, in der Französischen Revolution am Ende des 18 - Jahrhunderts ge­funden . Wir sehen, wie da plötzlich in äußerster Abstraktion auf­tauchen die Ideale von «Freiheit», «Gleichheit», «Brüderlichkeit». Wir sehen, wie sie ergriffen werden von solchen Skeptikern wie Vol­taire, von solchen Enthusiasten wie Rousseau, wir sehen, wie sie überhaupt auftauchen aus der breiten Masse des Volkes; wir sehen, wie die Abstraktion, die vollberechtigt ist auf diesem Gebiete, hier eingreift in das Gefüge der sozialen Struktur - eine ganz andere Ent­wickelung als drüben in England. In England die Überreste des alt-germanischen patriarchalischen Lebens, durchsetzt von dem, was die moderne Technik, was das moderne materialistische wissenschaft­liche Leben in die soziale Struktur hineinsenden konnte, in Frank­reich alles Überlieferung, alles Tradition . Man möchte sagen: Mit demselben Duktus, mit dem einstmals ein Brutus oder Cäsar in Rom in den verschiedensten Schattierungen gewirkt haben, mit dem­selben Duktus wird jetzt die Französische Revolution in Szene ge­setzt. So taucht wiederum auf in abstrakten Formen das, was Frei­heit, Gleichheit und Brüderlichkeit ist . Und nicht von außen herein wird da zersprengt, wie in England, dasjenige, was als altes patriar­chalisches Element vorhanden ist, sondern das romanisch-juristische Festsetzen, das Festhalten an dem alten Eigentumsbegriff, an den Grundbesitzerverhältnissen und so weiter, an den Erbschaftsverhält-nissen namentlich, das, was römisch-juristisch festgesetzt ist, wird von der Abstraktion her zersetzt, wird von der Abstraktion her aus­einandergetrieben .

Man braucht nur zu denken, welchen ungeheuren Einschnitt in das ganze europäische Leben die Französische Revolution brachte . Man braucht ja nur daran zu erinnern, daß vor der Französischen

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Revolution diejenigen, die, ich möchte sagen, herausgesondert waren aus der Masse des Volkes, auch Rechtsvorteile hatten . Nur gewisse Leute konnten, sagen wir, zu gewissen Staatsstellungen kom­men. Da Breschen hineinzuschlagen, das zu durchlöchern, das war dasjenige, was aus der Abstraktion heraus, aus dem schattenhaften Verstande heraus die Französische Revolution forderte. Aber sie trug eben durchaus in sich das Gepräge des schattenhaften Verstandes, der Abstraktion, und es blieb im Grunde genommen das, was da gefordert wurde, eine Art Ideologie. Daher, könnte man sagen, schlägt dasjenige, was schattenhafter Verstand ist, sogleich um in sein Gegenteil.

Wir sehen dann den Napoleonismus und wir sehen das staatlich. soziale Experimentieren im Laufe des 19. Jahrhunderts. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts ist ja in Frankreich ein Experimentieren ohne Ziel - Wie sind die Ereignisse, durch welche so ein Louis-Phi­lippe zum Beispiel König von Frankreich wird und dergleichen, wie wird da experimentiert? - Es wird so experimentiert, daß man sieht, der schattenhafte Verstand vermag nicht wirklich in die realen Ver­hältnisse einzugreifen. Es bleibt alles ungetan im Grunde genom­men, es bleibt alles unvollendet, es bleibt alles Erbschaft des alten Romanismus. Man könnte sagen: Heute ist noch immer nicht das Verhältnis, das die Französische Revolution im Abstrakten ganz klar hatte, das Verhältnis, sagen wir zur katholischen Kirche, in der äußeren konkreten Wirklichkeit in Frankreich geklärt. Und wie un­klar war es von Zeit zu Zeit immer wiederum im Laufe des 19. Jahr­hunderts. Der abstrakte Verstand hatte sich zu einer gewissen Höhe heraufgerungen in der Revolution, und dann ein Experimentieren, ein Nicht-Gewachsensein den äußeren Verhältnissen. Und so traf diese Nation das Jahr 1840.

Wir könnten auch andere Nationen in Betracht ziehen. Sehen wir zum Beispiel Italien an, das noch, ich möchte sagen, ein Stück Empfindungsseele mitbehielt beim Durchgang durch die Verstandes-kultur, das dieses Stück Empfindungsseele in die neuere Zeit herauf-brachte, und es daher nicht bis zu den abstrakten Begriffen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit brachte, bis zu denen man

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es in der Französischen Revolution gebracht hatte, das aber doch den Übergang suchte von einem gewissen alten Gruppenbewußtsein der Menschen zu dem individuellen Menschheitsbewußtsein. Italien traf das Jahr 1840 so, daß man sagen kann: Was sich da in Italien her­aufarbeiten will an individuellem Menschheits bewußtsein, wird ei­gentlich immerfort niedergehalten von demjenigen, was nun im übrigen Europa ist. Wir sehen ja, wie die Habsburgische Tyrannei in einer furchtbaren Weise lastet gerade auf dem, was sich in Italien an individuellem Menschheitsbewußtsein heraufarbeiten will . Wir sehen ja jenen merkwürdigen Kongreß von Verona, der in denzwan­ziger Jahren des 19. Jahrhunderts eigentlich ausmachen wollte, wie man sich auflehnen kann gegen den ganzen Sinn der modernen Zivilisation . Wir sehen, wie da von Rußland, Österreich ausging, ich möchte sagen eine Art von Verschwörung gegen dasjenige, was das moderne Menschheitsbewußtsein bringen sollte . Es ist kaum etwas so interessant, wie dieser Veroneser Kongreß, der im Grunde ge­nommen die Frage beantworten wollte: Wie schlägt man alles das tot, was sich als modernes Menschheitsbewußtsein heraufentwickeln will?

Und dann sehen wir, wie nun die Menschheit im übrigen Europa ringt, so ringt, daß in Mitteleuropa ja überhaupt nur immer ein klei­ner Teil der Menschheit sich heraufringen kann zu einem gewissen Bewußtsein, sozusagen in einer gewissen Weise erlebt, daß jetzt das Ich eintreten soll in die Bewußtseinsseele. Wir sehen, wie das in einer gewissen geistigen Höhe erreicht werden soll . Wir sehen es in jener merkwürdigen Kulturhöhe des Goetheschen Zeitalters, in der ein Fichte gewirkt hat, wir sehen, wie sich da das Ich vordrücken will zur Bewußtseinsseele herein . Aber wir sehen, wie die ganze Goethe-Kultur etwas bleibt, was im Grunde genommen nur bei ganz wenigen lebt. Ich glaube, die Menschen studieren allzuwenig, was selbst noch in der jüngsten Vergangenheit war. Die Menschen denken zum Beispiel einfach: Goethe hat gelebt von 1749 bis 1832; er hat den «Faust» und alles Mögliche geschrieben. - Das ist das, was man weiß von Goethe, und das war seither da.

Bis zum Jahre 1862, also dreißigJahre nach Goethes Tode, war ja

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überhaupt für die wenigsten Menschen ein Exemplar von Goethe zu beschaffen . Goethe war nicht frei; nur ganz wenige Menschen be­saßen irgendwie ein Exemplar von Goethes Schriften. Es war also dasjenige, was Goetheanismus ist, etwas, was ganz wenigen eigen geworden war. Erst in den sechziger Jahren konnte eine größere An­zahl von Menschen überhaupt Kunde erlangen von dem, was in Goethe lebte, und da war im Grunde genommen schon das Ver­ständnis, die Verständnisfähigkeit wiederum hinuntergeschwunden -Es ist zu einem richtigen Verständnis Goethes im Grunde genommen gar nicht gekommen. Und das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts war überhaupt gar nicht geeignet, ein rechtes Verständnis für Goethe hervorzurufen .

Ich habe es ja öfters erwähnt, wie Herman Grimm in den sieb­ziger Jahren zunächst seine «Vorlesungen über Goethe» an der Ber-liner Universität gehalten hat - Das war ein Ereignis, und das Buch, das vorhanden ist als der «Goethe» Herman Grimms, ist eine bedeu­tende Erscheinung innerhalb der mitteleuropäischen Literatur . Aber wenn man jetzt dieses Buch nimmt, was bedeutet es denn? Ja, alle Gestalten, die mit Goethe im Zusammenhange lebten, kommen darinnen vor, aber sie haben immer nur Ausdehnungen nach zwei Dimensionen; sie sind Schattenfiguren - Alles das, was da Porträts sind, sind Schattenfiguren. Goethe selber ist bei Herman Grimm eine zweidimensionale Wesenheit. Es ist gar nicht der Goethe selber. Ich will gar nicht sprechen von dem Goethe, den man in Weimar in den Nachmittags-Kaffeekränzchen den «dicken Geheimrat mit dem Doppelkinn» nannte; von dem will ich gar nicht sprechen; aber er hat überhaupt keine «Dicke» in Herman Grimms «Goethe», sondern er ist dort ein zweidimensionales Wesen, er ist der Schatten, der an eine Wand hingeworfen ist. Und ebenso all die anderen, die da auf­treten; Herder, ein Schatten, der an eine Wand hingemalt ist. Etwas mehr Greifbarkeit tritt uns gerade bei Herman Grimm bei denjeni­gen Persönlichkeiten entgegen, die aus dem Volke heraufsteigen zu Goethe, wie Friederike von Sesenheim, die so wunderschön da ge­schildert ist, oder wie die Frankfurterin Lili Schönemann, also gerade dasjenige, was heraufsteigt nun nicht aus der Atmosphäre, in der

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Goethe eigentlich geistig lebte. Das ist mit einer gewissen Und das konnte auch nicht anders sein. Denn es ist wirklich so:

Deutscher durfte man sich ja in Deutschland überhaupt nicht nen­nen in der Zeit, in der zum Beispiel Herman Grimm noch jung war. Die Art und Weise, wie man von Deutschen gesprochen hat in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die wird ja insbesondere in der Gegenwart mißverstanden . Wie «gruselt» es die Leute des Westens, die Ententeleute, wenn sie heute anfangen Fichtes «Reden an die deutsche Nation» zu lesen und da finden: «Ich spreche zu Deutschen schlechtweg, von Deutschen schlechtweg .» Geradeso wird das un­schuldige Lied «Deutschland, Deutschland über alles», töricht in­terpretiert, indem ja dieses Lied nichts anderes heißen soll als, man will Deutscher sein, nicht Schwabe, nicht Bayer, nicht Österreicher, nicht Franke, nicht Thüringer. Wie dieses Lied sich nur auf die Deutschen stellt allseitig, so wollte Fichte nur sprechen «zu Deutschen schlechtweg», nicht zu Österreichern, zu Bayern, zu Badensern, zu Württembergern oder zu Franken, oder zu Preußen gar; er wollte «zu Deutschen» sprechen . Das versteht man natürlich zum Beispiel in einem Lande nicht, wo es längst selbstverständlich geworden ist, daß man sich einen Franzosen nennen kann. In Deutschland wurde man in gewissen Zeiten eingesperrt, wenn man sich einen Deutschen nannte . Man konnte sich einen Österreicher, einen Schwaben, einen Bayer nennen; aber Deutscher sich zu nen­nen, war hochverräterisch . Wer in Bayern sich einen Deutschen nann­te, der bekundete damit, daß er nicht nur hinaufschauen wollte zum bayerischen Throne, der seine Grenze da und dort hat, sondern daß er hinausschauen wollte über die Grenze von Bayern hinaus. Das war aber Hochverrat! Man durfte sich nicht einen Deutschen nennen.

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Daß diese Dinge, die von Deutschen und über Deutschland gesagt worden sind, eben Bezug haben auf dieses Zusammendrängen des­jenigen, was deutsch ist, das wird heute gar nicht verstanden, und man stellt das törichte Zeug hin, als wenn so etwas wie das Hoff­mannsche Lied sich darauf beziehen würde, daß Deutschland herr­schen soll über alle Nationen der Welt; während es nichts anderes heißen soll als: nicht Schwaben, nicht Österreich, nicht Baden über alles in der Welt, sondern Deutschland über alles in der Welt, gerade wie der Franzose sagt: Frankreich über alles in der Welt. Aber gerade da in Mitteleuropa war dieses Eigentümliche, daß man im Grunde genommen eine Stammeskultur hatte. Sie können ja heute noch diese Stammeskultur in Deutschland überall sehen . Der Würt­temberger ist verschieden vom Franken, er ist verschieden bis in die Begriffs- und Wortformen, bis in die Gedankenformen hinein, die sich in der Literatur ausbreiten . Es ist ja auch durchaus, sagen wir, ein grandioser Unterschied, wenn Sie einen Franken nehmen, wie zum Beispiel den klotzigen Michael Conrad - wenn ich die neuere Literatur hernehme -, und ihn vergleichen mit irgend etwas, was etwa von einem Württemberger, also im Nachbarlande, in der­selben Zeit geschrieben worden ist. Bis in die ganze Konfiguration der Gedanken spielt ja das bis in die neueste Zeit hinein. Aber all das, was sich da ausbreitet, was da in den Stammeseigentüm­lichkeiten lebt, das bleibt ja unberührt von dem, was nun eigent­lich erreicht wird von den repräsentativen Trägern der Nationen . Man hat doch, sagen wir, in dem Gebiete, das man Deutschland nennt, so etwas erreicht, wie den Goetheanismus mit alledem, was dazugehört. Aber das ist ja nur von wenigen intellektuellen Menschen erreicht worden, davon ist die große Masse der Mensch­heit gar nicht berührt. Die große Masse der Menschheit bleibt ungefähr auf dem Standpunkte, der eigenommen worden ist in Mitteleuropa etwa um das Jahr 300 oder 400 nach Christus. Ge­radeso wie man im angelsächsischen Volke stehengeblieben ist bei dem Jahre 1000 vor Christus, so bleibt man in Mitteleuropa stehen bei dem Jahre 400 nach Christus. Das bitte ich nicht so zu nehmen, daß jetzt wiederum ein furchtbarer Hochmut aufkommen

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könnte, indem man sagt: Die Angelsachsen, die sind im homerischen Zeitalter zurückgeblieben, und wir waren schon im Jahre 400 nach Christus! - So sind die Dinge nicht zu be­werten, sondern es wird eben nur auf gewisse Eigentümlichkeiten hingewiesen .

Nun ergeben aber wiederum die geographischen Verhältnisse, daß dieser Stand der allgemeinen Seelenbildung in Deutschland viel länger dauert als in England drüben . England hat in sein altes pa­triarchalisches Leben schnell hineinfließen lassen müssen dasjenige, was zunächst bei ihm auf dem Gebiete der Textilindustrie, aber später auch auf dem Gebiete anderer Techniken aus dem modernen materialistisch-wissenschaftlich-technischen Leben die soziale Struk­tur gestaltet hat. Was deutsches Gebiet war, und was überhaupt Mitteleuropa war, das hat sich dem zunächst entgegengestellt, das hat die alten Eigentümlichkeiten viel länger behalten, bis, ich möchte sagen, zu einem Zeitpunkte, wo schon über die ganze Welt in voller Geltung war, was durch die moderne Technik gekommen ist. England hat noch den Anschluß gefunden mit der Umgestaltung der sozialen Struktur bis zu einem gewissen Grade in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts . Das alles, was da errungen worden ist, das ging durchaus vorüber an Mitteleuropa.

Mitteleuropa nahm zwar etwas von abstrakten Revolutionsideen auf. Das kam in den vierziger Jahren, in der Mitte des 19. Jahr­hunderts, dann in verschiedenen Wogen und Wellen zum Durch­bruch; aber es wartete gewissermaßen ab, bis die Technik die ganze Welt erfüllte, und dann trug sich ja das Eigentümliche zu, daß solch ein Mensch - wir könnnten auch andere Repräsentanten nehmen -, der in Deutschland denken gelernt hat vom Hegelismus, wie Karl Marx, dann hinübergegangen ist nach England und dort sich das soziale Leben angeschaut und daraus die sozialistischen Doktrinen gebildet hat . Für diese sozialen Doktrinen war dann am Ende des

19. Jahrhunderts Mitteleuropa reif. Diese sozialen Doktrinen wurden dann von Mitteleuropa angenommen, so daß also, wenn man in einer etwa ähnlichen Weise nun aufzeichnen wollte, was sich in Mitteleuropa entwickelt hat, man sagen müßte: Es ging die Entwickelung

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elementarer fort, wenn auch durch Schrift und Druck Mannigfaltiges von außen aufgenommen worden ist. Es ging das­jenige, was wie vierhundert Jahre nach Christus war, weiter, machte dann einen Sprung und fand erst im Grunde genommen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts den Anschluß, etwa im Jahre 1875. So daß, während das Jahr 1840 von der angelsächsischen Nation schon mit einer Umwandlung der Verhältnisse angetroffen wird, schon mit der Notwendigkeit, die Bewußtseinsseele aufzunehmen, das deutsche Volk fortträumte, und im Traume erlebte es noch das Jahr 1840 und verschlief dann die Zeit, die da gewesen wäre, um eine Brücke zu bauen zwischen den führenden Persönlichkeiten und dem, was aus der Masse des Volkes als Proletariat aufstieg und was sich dann der sozialistischen Doktrin bemächtigte und eben dadurch einen gewaltsamen, radikalen Zwangsdruck ausübte hin zu der Bewußtseinsseele, etwa von 1875 an. Aber auch dies ist eigentlich nicht bemerkt worden, jedenfalls nicht in irgendwelche Kanäle gebracht worden, und wird ja im Grunde genommen heute noch immer in der schiefsten Weise beurteilt .

Um auf all die Anomalien zu kommen, welche da zugrundeliegen, braucht man ja nur daran zu erinnern, daß Oswald Spengler, der das bedeutende Buch geschrieben hat über den «Untergang des Abend­landes», ja auch ein Büchelchen, das, wie ich glaube, schon in 60 000 Exemplaren verbreitet ist, oder vielleicht in noch mehr, geschrieben hat über den Sozialismus. Spengler hat ja ungefähr die Anschauung, daß diese europäische, diese abendländische Zivilisation überhaupt sich ihr Grab gräbt. Wenn das Jahr 2200 geschrieben sein wird, so wird man nach Spengler auf dem Boden der Barbarei leben. Man muß Spengler Recht geben in bezug auf gewisse Seiten seiner Aus­führungen; denn wenn die europäische Welt dabei bleibt, sich so weiter entwickeln zu wollen, wie sie es jetzt tut, so wird, wenn das dritte Jahrtausend beginnt, alles barbarisiert sein. In dieser Bezie­hung hat Spengler vollständig recht; nur sieht Spengler nicht und will nicht sehen, wie aus dem Inneren des Menschen der schatten­hafte Verstand zu Imaginationen und damit die ganze Menschheit des Abendlandes zu einer neuen Kultur erhoben werden kann.

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Diese Belebung der Kultur durch das, was anthroposophische Gei­steswissenschaft will, das sieht nämlich ein Mensch wie Oswald Spengler nicht. Aber er hat den Gedanken, der Sozialismus - der richtige Sozialismus, wie er meint, dieser Sozialismus, der wirklich ein soziales Leben herbeiführt -, der müsse noch vor diesem Unter-gange entstehen; es habe noch die Menschheit des Abendlandes die Mission, den Sozialismus zu verwirklichen. Aber, sagt Oswald Spengler, die einzigen Menschen, die berufen sind, den Sozialismus zu verwirklichen, das sind die Preußen. Daher hat er das Büchelchen geschrieben «Preußentum und Sozialismus». Jeder andere Sozia­lismus ist nach Spengler falsch, lediglich derjenige, der im Wilhel­minischen Zeitalter seine ersten rosigen Strahlen gezeitigt hat, lediglich dieser Sozialismus müsse die Welt erobern; dann werde die Welt den wahren, den richtigen Sozialismus erleben . So spricht heute ein Mensch, den ich zu den genialsten Menschen der Gegen­wart zu zählen habe . Es kommt nicht darauf an, die Menschen zu beurteilen nach dem Inhalte dessen, was sie sagen, sondern es kommt darauf an, die Menschen nach ihrer geistigen Kapazität zu beurteilen. Dieser Oswald Spengler, der fünfzehn Wissenschaften beherrscht, ist natürlich «gescheiter als alle die Schreiber, Doktoren, Magister und Pfaffen» und so weiter, und man kann schon sagen, er hat mit seinem Buch über den Untergang des Abendlandes etwas hingestellt, was Berücksichtigung verdient, was ja übrigens auch namentlich in der Jugend Mitteleuropas einen ungeheuer tiefen Ein­druck macht. Aber daneben steht die Idee, die ich nunmehr jetzt ausgeführt habe, und Sie sehen, wie heute gerade genialische Men­schen zu den ausgefallensten Ideen kommen können . Man ergreift Verstand, der heute wirkt, und der ist schattenhaft . Die Schatten huschen hin, man ist in einem Schatten drinnen, dann huscht man den anderen nach, nichts lebt. Es ist ja auch in der Silhouette, in dem Schattenbild einer Frau, das auf die Wand geworfen wird, ihre Schönheit gar nicht zu erkennen, und so ist es, wenn die Sachen in Schattenbildern betrachtet werden, auch. Das Preußentum im Schattenbilde ist durchaus zu verwechseln mit dem Sozialismus . Wenn eine Frau der Wand den Rücken zuwendet und ihr Schatten

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auf die Wand fällt, dann kann man die Häßlichste für schön halten; in gleicher Art kann man auch das Preußentum für den Sozialismus halten, wenn der schattenhafte Verstand dasjenige, was die Genia­lität ist, innerlich durchsetzt .

So muß man heute diese Dinge ansehen . Man darf heute nicht auf die Inhalte gehen, sondern man muß auf die Kapazitäten gehen, das ist das Wichtige. Und so muß man anerkennen, daß so ein Mensch wie Spengler ein genialer Mensch ist, wenn man auch eine große Anzahl seiner Ideen für eine Narretei halten muß. Wir leben in einem Zeitalter, wo ursprüngliche, elementare Urteilsbegründun­gen auftreten müssen; denn aus gewissen elementaren Untergrün­den heraus muß zu einem Verständnis der Gegenwart und damit zu Impulsen für Wirklichkeiten für die Zukunft gekommen werden -

Vollkommen verschlafen natürlich hat der Osten dasjenige, was sich im Jahre 1840 ergeben hat. Denken Sie doch nur an die Hand­voll Intellektueller in der großen Masse der durch die orthodoxe Re­ligion, namentlich durch den orthodoxen Kultus noch tief im Orien­talismus steckenden Angehörigen des russischen Volkes . Und denken Sie an die einschläfernde Wirkung eines Alexanders I., Nikolaus 1. und aller derjenigen «I.», die nachgefolgt sind! Was heute gekommen ist, war also dasjenige, was hin wollte nach diesem Punkte, an dem die Bewußtseinsseele ihren Einschlag haben sollte in das europäische Leben .

Davon wollen wir dann morgen weiterreden .

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ZWÖLFTER VORTRAG Dornach, 1. Mai 1921

Dasjenige, was ich versuchte gestern zu zeigen als die verschiedenen Vorbereitungen der verschiedenen Nationen für den wichtigen Punkt der Menschheitsentwickelung, der da liegt in der Mitte des 19. Jahr-hunderts, und das, was dann gewissermaßen von diesem Zeitpunkte aus abflutet bis in unsere Zeit, das kann man durch die Schilde­rungen der Zusammenhänge äußerer Erscheinungen und des inneren Ganges, des geistigen Ganges der Entwickelung illustrieren. Wir wollen heute einiges von dem hier zusammentragen, was auf die eigentliche tiefere Geschichte des 19. Jahrhunderts etwas Licht werfen kann. Es ist ja einmal in der Mitte des 19. Jahrhunderts der Punkt, in welchem die Verstandestätigkeit völlig eine Funktion, eine Betätigungsart des menschlichen physischen Leibes wird. Während diese Verstandestätigkeit im ganzen vorigen Zeitraum, in dem Zeit-raume von dem 8. vorchristlichen Jahrhundert bis zu dem 15. nach­christlichen Jahrhundert, eine Tätigkeit des Ätherleibs war, wird sie seit dem Beginne des 15. Jahrhunderts immer mehr eine Tätigkeit des physischen Leibes, und das erreicht einen Höhepunkt eben in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Damit ist der Mensch ja in der Tat geistiger geworden, als er früher war. Die Einsichten in die geistige Welt, die sich früher ergeben hatten, die ja allerdings schon abgedämmert waren seit der neueren Zeit, kamen ja gerade aus der in-tensiveren Verbindung mit dem physischen Leib und mit dem Ätherleib des Menschen zustande. Jetzt, da der Mensch einfach in die Lage versetzt wurde, mit seinem physischen Leibe ein ganz Un­physisches, die Verstandestätigkeit, auszuüben, wurde er hier in dieser Weise in bezug auf seine Betätigung ein ganz geistiges Wesen. Aber er verleugnete, wie ich schon gestern sagte, diese Geistigkeit. Er bezog das, was er im Geistigen ergriff, nur auf die physische Welt. Und für diesen Punkt in der Entwickelung der neueren Zivili­sation waren eben in einer solch verschiedenen Art die verschiedenen Nationen vorbereitet, wie ich das gestern zu charakterisieren versuchte.

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Es wird Ihnen hervorgegangen sein aus dieser gestrigen Charakteristik, wie grundverschieden die ganze Seelenverfassung des romanisch-lateinischen Teiles der europäischen Bevölkerung von dem angelsächsischen Teil eigentlich ist. Da besteht in der Tat in bezug auf innere Seelenveffassung ein radikaler Unterschied. Diesen radikalen Unterschied kann man am besten charakterisieren, wenn man Strömungen, die in der Menschheitsentwickelung verlaufen sind seit alten Zeiten, die erkannt worden sind seit alten Zeiten, an­wendet auf den Gegensatz zwischen Frankreich, Spanien, Italien und den Bewohnern der Britischen Inseln mit ihrem ganzen ameri­kanischen Nachwuchs. Man kann das so charakterisieren, daß man sagt: Alles, was einstmals in der urpersischen Zeit der Ahura Mazdao-Kultus war, das Aufblicken der Menschheit zum Lichte, was dann abgeschwächt uns entgegentrat in der ägyptisch-chaldäischen Kultur, noch abgeschwächter in der griechischen Kultur, was dann abstrakt geworden war in der romanischen Kultur, das gliedert sich ab in demjenigen, was da durch das Mittelalter und durch die Neu­zeit in dem romanischen Teil der europäischen Bevölkerung bleibt. Es ist da gewissermaßen der letzte Ausläufer des Ormuzdtums zurückgeblieben - Ormuzdtum, Ahura-Mazdao -, während auf der anderen Seite als eine neuzeitliche Kultur aufdämmert, was in der alten persischen Weltanschauung als die ahrimanische Strömung angesehen worden ist. Wirklich wie Ormuzd und Ahriman stehen einander gegenüber diese beiden Kulturen in der neueren Zeit. Und in die Ormuzdströmung finden wir hineingegossen alles das, was von der römischen Kirche kommt. Die Formen, die das Christentum angenommen hat, indem es sich umkleidet hat mit den römisch. juristischen Staatsformen, indem es zur Papstkirche in Rom ge­worden ist, diese Formen sind die letzten Ausläufer. Wir haben auf manches andere hingewiesen, woraus sie hervorgegangen sind. Aber mit alledem sind sie die letzten Ausläufer des Ormuzdkultus. Man kann noch im Meßopfer und in alledem, was da ist, diese letzten Ausläufer des Ormuzdkultus erkennen, und richtig wird man auf das, was da zugrunde liegt, nur hinschauen können, wenn man weniger Wert legt auf das Unbedeutendere gegenüber den großen

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Menschheitsströmungen und den wahren Wert sucht bezüglich der Betrachtung, bezüglich der Erkenntnis in dem, was als Gedanken-form, als Empfindungsform lebt. Äußerlich, in bezug auf die äußer­liche Zivilisation hat sich ja das, was neuzeitliche Impulse sind, in der Französischen Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts tumul­tuarisch zum Ausdrucke gebracht. Da lebt, wie ich Ihnen gestern angedeutet habe, in Abstraktionen der Appell an den einzelnen in­dividuellen Bewußtseinsmenschen. Aus der Ideenwelt heraus ist gerade, man möchte sagen wie ein Gegenschlag gegen das, was im Romanentum fortlebt, diese Abstraktion entstanden von der Frei­heit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Aber man muß unterscheiden zwischen dem, was sich da, aus uralten Geistesströmungen kom­mend, hineinlebte in die romanische Empfindungs- und Gedanken-form, und dem, was aus dem Menschentum heraus entstanden ist. Wir müssen ja immer unterscheiden, was Wesenheit der einzelnen Nationalität ist und was als ein fortlaufender Strom des allgemeinen Menschentums geht. Wir werden heute noch sehen, wie sich auch spater im 19. Jahrhundert gerade aus dem Franzosentum ein Licht herauskristallisiert, das mit aller Energie hinweist auf diesen charak­teristischen Punkt in der Menschheitsentwickelung im 19. Jahr­hundert. Aber das Nationale im Franzosentum, im Spaniertum, im Italienertum, das hat in sich die Fortsetzung des Ormuzdtums in der Zeit, in der das Ormuzdtum, natürlich verändert durch die Katho­lizität des Christentums, als ein Schatten uralter Zivilisation dasteht. Daher sehen wir, wie trotz allen Freiheitsdranges das Romanentum der Träger wird und der Träger geblieben ist desjenigen, was die römische Kirche als Weltherrschaft darstellt.

Man versteht eigentlich nicht viel von dem Gange europäischer Entwickelung, wenn man sich nicht klar ist, wie in diesemRomanen­tum das römische Kirchentum bis in unsere Tage hinein weiterlebt. Im Grunde genommen leben sogar in dem Kampfe gegen die Ein­richtung der Kirche die Gedankenformen, die selbst wiederum diesem kirchlich-katholischen Denken entnommen sind. Und so müssen wir unterscheiden jenen allgemeinen Strom, der den ab­strakten Charakter angenommen hat, der der allgemeine Menschheitsstrom

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der Entwickelung ist, der durch die Französische Revolu­tion geht, und den besonderen nationalen Strom, den romanischen Strom, den lateinischen Strom, der eigentlich ganz infiziert ist von der römischen Katholizität.

Nun steigt auf mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts aus diesem Strom der römischen Katholizität eine großartige Erscheinung, eine Erscheinung, die im Grunde genommen in ihrer ganzen Bedeutung für die europäische Entwickelung viel zuwenig beachtet wird. Die meisten Menschen, die so verschlafen gegenüber den Zivilisations­erscheinungen dahinleben, die wissen nichts von dem, was eigentlich ganz tief seit dem Beginne des 19. Jahrhunderts in der europäischen Zivilisation drinnen lebt und ganz und gar fußt in römischer Katho­lizität. Es ist alles das, was sich, ich möchte sagen, zusammenfaßt dann im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts in dem Wirken der Per­sönlichkeit de Maistres. De Maistre ist eigentlich der Repräsentant der von den Wogen des Romanismus getragenen Katholizität, die aber die Aspiration hat, ganz Europa wiederum zurückzuführen in den Schoß dieser römischen Katholizität. Und in de Maistre tritt auf eine Persönlichkeit von der denkbar größten Genialität, von der eindringlichsten Geistigkeit, aber durch und durch romanisch­katholisch.

Wir wollen nur ein wenig hineinschauen in dasjenige, was die protestantisch denkenden Menschen, die evangelisch denkenden Menschen gar nicht kennen, was aber doch in einer verhältnismäßig ziemlich großen Anzahl von Menschen der europäischen Bevölke­rung lebt. Man weiß es gewöhnlich nicht, daß es ja eine Geistesströ­mung gibt, welche ganz fremd ist demjenigen, was sonst herauf-gezogen ist seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts, welche aber gut bekannt ist mit den Wirkungen dieses neuen Geistes der fünften nachatlantischen Periode.

Wir wollen ein wenig charakterisieren, was als Weltanschauung in den Köpfen lebt, deren genialer Repräsentant de Maistre ist im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Er ist längst tot; der Geist, der ihn beseelt hat, lebt in einer verhältnismäßig großen Anzahl von Menschen innerhalb Europas, und jetzt in unserer Gegenwart ist die

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Zeit, in der er sich neu belebt, in der er neue Formen annimmt, in der er immer größere und größere Formen zu gewinnen sucht. Wir wollen mit ein paar Sätzen die Weltanschauung, die hier zugrunde liegt, charakterisieren. Sie sagt: Der Mensch, so wie er auf der Erde lebt in der Zeit seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts, er ist auf einer abschüssigen Bahn. Seit diesem Beginn des 15. Jahrhunderts haben sich in der europäischen Zivilisation nur Liederlichkeit, Gottlosig­keit, Geistlosigkeit ausgebreitet; der bloße Verstand, der auf das Nützliche gerichtet ist, hat die Menschheit ergriffen. Aber die Wahr­heit, die identisch ist mit der Geistigkeit der Welt, die sagt seit Ur­zeiten etwas anderes. Nur hat dieser moderne Mensch diese uralt heilige Wahrheit vergessen. Diese uralt heilige Wahrheit, die besagt:

Der Mensch ist eine gefallene Kreatur, der Mensch hat nur die Ver­anlassung, zu appellieren an sein Gewissen und an die Reue in seiner Seele, damit er sich erheben kann, und damit seine Seele nicht ver­fällt der Materialität. Indem aber seit der Mitte des 15. Jahrhunderts die Materialität von der europäischen Bevölkerung angewendet wird, zerfällt die europaische Zivilisation, zerfällt die ganze Menschheit.

So sagt diese Weltanschauung, deren haupsächlichster Reprä­sentant de Maistre ist. Die ganze Menschheit zerfällt in zwei Katego­rien, in diejenige, die darstellt das Reich Gottes und in diejenige, die darstellt das Reich der Welt. Und die Anhänger dieser Weltan­schauung schauen hin auf die Bevölkerung der Erde und unterschei­den die Menschen, von denen sie sagen, sie gehören dem Reiche Gottes an. Das sind diejenigen Menschen, die noch an die uralten Wahrheiten glauben, die verschwunden sind im Grunde genommen in ihrer wahren Gestalt mit dem Beginn des 15. Jahrhunderts, und die man noch erkennen kann in ihren besten Nachklängen in der Er­kenntnis des Augustinus, der auch unterscheidet diejenigen Men­schen, die vorbestimmt sind zur Seligkeit, und diejenigen Menschen, die vorbestimmt sind zur Verdammnis. Wenn man einen Menschen trifft in dieser Welt - so sagen die Anhänger de Maistres -, so ist er entweder angehörig dem Reiche Gottes oder dem Reiche der Welt. Nur dem Scheine nach sind diese Menschen vermischt. Vor den Augen der Geistetwelt sind sie streng voneinander getrennt, und

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man kann sie voneinander unterscheiden. Im Altertum haben die Menschen, die angehört haben dem Reiche der Welt, dem Aber­glauben gehuldigt, das heißt, sie haben sich falsche Bilder von der Göttlichkeit gemacht; seit dem Beginne des 15. Jahrhunderts hängen sie am Unglauben. - So sagen diese Leute. Was die Mehr­zahl der europäischen Bevölkerung verschlafen hat, daß nun wirklich mit dem Beginne des 15. Jahrhunderts ein neues Zeitalter angebro­chen ist, die Anhänger de Maistres wissen es gut. Sie weisen hin auf diesen Zeitpunkt; sie weisen aber hin auf diesen Zeitpunkt als den, in welchem die Menschheit vergessen hat, was der Quell, der eigent­liche Quell der göttlichen Wahrheit ist. Die Anhänger de Maistres sagen so: Durch den bloßen Gebrauch des schattenhaften Ver­standes ist die Menschheit in eine Lage gekommen, in der das Ver­bindungsband zwischen ihr und dem Quell der ewigen Wahrheit zerrissen ist, und die Vorsehung ist seit jener Zeit der Menschheit nicht mehr die Gnade schuldig, sondern nurmehr die Gerechtigkeit, und diese Gerechtigkeit wird erscheinen am Tage des Gerichts.

Es ist, wenn man so etwas erzählt, wie wenn man den Leuten Märchen erzählen wollte; und dennoch, es gibt die Menschen in Eu­ropa, welche an dieser Anschauung, daß mit dem Beginne des 15 . Jahrhunderts die göttliche Weltenregierung eine ganz andere Stel­lung bekommen hat zu dem Erdenmenschen, welche an diesem Satze ebenso hängen wie die modernen Naturforscher an dem Gesetz der Schwere oder so etwas. Trotzdem das Vorhandensein die­ser Lebensauffassung etwas Urbedeutsames ist gerade für die Gegen­wart, wollen die Menschen der Gegenwart nicht hinschauen auf so etwas. Den stärksten Abfall von der uralten Wahrheit sieht de Maistre in der Französischen Revolution. Er betrachtet sie nicht so, wie wir sie betrachtet haben, als das abstrakte Auffiattern desjeni­gen, was den Menschen zur Bewußtseinsseele bringen soll, sondern er betrachtet sie als das stärkste Hineinfallen in den Unglauben, als das Schlimmste, was der neueren Menschheit hat passieren können. Und insbesondere bedeutet ihm die Französische Revolution eben dieses, daß es nun ganz besiegelt ist, daß die göttliche Weltregierung keine Verpflichtung hat, dem Menschen noch irgendwelche Gnade

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zukommen zu lassen, sondern lediglich die Gerechtigkeit, die sich äußern wird, wenn der Tag des Gerichtes kommen wird. Und schon vorherbestimmt - so nimmt man an in diesen Kreisen - sind die­jenigen Menschen, die verfallen müssen den Untergangsmächten, und schon signiert sind diejenigen Menschen, die die Kinder des Reiches Gottes sind, die bestimmt sind, sich zu retten, weil sie noch festhalten an dem, was als uralte Weisheit seinen besonderen Glanz im 4. nachchristlichen Jahrhundert gehabt hat .

Ein solcher Impuls geht schon durch die Schrift, die de Maistre 1796 geschrieben hat, als er noch im Piemont war: «Betrachtungen über Frankreich.» Schon da hält er Frankreich, dem Frankreich der Revolution, das Sündenregister vor, schon da verweist er auf die Untergründe des Romanismus, der noch das, was aus alten Zeiten hergekommen ist,in sich birgt . Besonders stark aber tritt das in den späteren Schriften de Maistres hervor, und diese Schriften hängen ja zusammen mit der ganzen welthistorischen Sendung, die de Maistre sich zugeschrieben hat.

Er suchte sich ja zu dem Schauplatz seines Wirkens Petersburg aus; von Petersburg gingen dann auch seine späteren Schriften aus . De Maistre hatte den grandiosen Gedanken, anzuknüpfen an das Russentum, namentlich an das, was von uralten Zeiten her von Asien herüberlebte in der orthodox-katholischen russischen Religion, und von da aus wollte er die Verbindung schlagen herüber zum Romanis­mus . Er wollte die große Fusion zustandebringen zwischen dem, was in der orientalischen Denkungsweise lebt bis ins Russentum herein, und dem, was von Rom ausgeht. Schon beseelt von dieser Anschau­ung ist die Schrift, die er 1810 von Petersburg aus geschrieben hat:

«Versuch über den schöpferischen Urgrund der Staatsverfassungen . »Und an dieser Schrift sieht man schon, wie de Maistre zurückgeht auf dasjenige, was das Christentum in bezug auf seine metaphysische Ansicht war vor der scholastischen Zeit, was es war in den erstenJahr­hunderten, aber so war, daß es von Rom akzeptiert worden ist. Rö­misches, katholisches Christentum wollte er als reale Macht; aber er wies doch in gewissem Sinne zurück, was schon das Mittelalter ge­wissermaßen als eine Neuerung dadurch gebracht hat, daß es auf

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Aris toteles gefußt hat . Aristoteles wollte er in einem gewissen Sinne ausschalten; er war ihm schon die Vorbereitung zu dem, was dann seit dem 15. Jahrhundert als die moderne Verstandesfähigkeit her-aufgezogen ist . Er wollte durch andere Kräfte des Menschen als durch Logizismus den Zusammenhang mit der Geistigkeit erreichen.

Aber besonders stark bewegt sich dann jene Schrift in dem Fahr­wasser dieser Lebensauffassung, die er im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts geschrieben hat: «Über den Papst», eine Schrift, von der man sagen möchte, daß sie Kiassizität atmet in der Art ihrer Ab­fassung, die sozusagen den besten Zeiten der französischen Kultur unter Ludwig XIV. angehört und die zugleich so eindringlich wirkt, wie nur irgendeine inspirierte Schrift . Es wird der Papst hingestellt -und es ist wichtig, daß das von Petersburg aus gesagt wird - als der rechtmäßige Fürst der modernen Zivilisation . Er wird hingestellt so , daß man zu unterscheiden habe zwischen dem Zeitlichen, dem, was durch einzelne Päpste an Verderblichem in die Welt gekommen ist, was anfechtbar ist bei den verschiedenen Päpsten, und dem ewigen Prinzip des römischen Papsttums . Und es wird gewissermaßen in dem Papst hingestellt die Inkarnation desjenigen, was als der Geist der Erde auf dieser Erde zu herrschen hat. Man möchte sagen: All die Wärme, welche lebt in dieser Schrift über den Papst, sie ist das Aufleuchten von Ormuzd, das geradezu den Ahura-Mazdao selber inkarniert sieht in dem römischen Papste und was daher verlangt, daß die romanisch-katholische Kirche in ihrer Fusion mit alldem, was sich vom Orient herüber nach Rußland gelebt hat - denn das steht doch im Hintergrunde -, herrschen wird und hinwegfegt alles das, was herübergebracht hat die Verstandeskultur seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts .

In dieser Richtung hat de Maistre eigentlich genial gewirkt. Im Jahre 1816 ist von ihm eine Übersetzung Plutarchs erschienen , durch die er zeigen wollte , welche Macht das Christentum hatte , das , wie er meint, sich in die Abhandlungen des Plutarch, der ja noch heid­nisch gesinnt ist , dennoch als Gedankenform hineingeschlichen hat . Und dann erscheint als das Letzte, was von de Maistre herrührt, wie­derum von Petersburg ausgehend, die «Abendstunden zu St. Petersburg»,

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in zwei Bänden, in denen erstens alles das besonders stark hervortritt , was ich schon charakterisiert habe , aber dann noch ganz besonders hervortritt der radikale Kampf des romanischen Katholi­zismus gegen dasjenige, was auf den Britischen Inseln auftritt als sein Widerpart.

Sehen wir auf der einen Seite , wie sich nach einer gewissen Seite hin kristallisiert in alledem der romanische Katholizismus, sehen wir, was sich anknüpft an Persönlichkeiten wie Ignatius von Loyola' Alfonso di Lig uori, Franz Xaverius und so weiter an romanischem Katholizismus , verbinden wir das mit dem genialen Kopf de Maistres, sehen wir auf alles das hin, was da lebt, dann sehen wir da, ich möchte sagen , das veraltete , das zurückgebliebene Ormuzdlicht . Und wir sehen auf der anderen Seite dasjenige , was de Maistre auf­gehen sieht auf den Britischen Inseln und was er nun scharf und mit beißender Lauge seines durchdringenden Geistes bekämpft . Es ist einer der grandiosesten Geisteskämpfe, die jemals stattgefunden haben , dieser Kampf de Maistres gegen das eigentliche Wesen des Angelsächsischen . Er nimmt sich da besonders aufs Korn die Philo­sophenpersönlichkeit des Locke und sieht in Locke geradezu die In­karnation desjenigen Geistes, der die Menschheit in den Niedergang hineinführt . Geistvoll bis zum Exzeß wird die Philosophie von Locke bekämpft. Man muß nur bedenken, was diese Philosophie für eine Bedeutung gehabt hat. Man muß im Hintergrunde sehen auf der ei­nen Seite die romanischen Einweihungsprinzipien , die wie ein fortge­setzter Ormuzddienst sich ausleben; man muß alles dasjenige sehen, was dieser Seite zugeflossen ist durch einen Ignaz von Loyola, durch einen Bossuet, und was dann in grandioser Weise durch de Maistre geflossen ist . Auf der anderen Seite muß man im Gegensatze zu alle­dem , was seinen Mittelpunkt hat im römischen Katholizismus in Rom selber, was aber durchaus auf Einweihung fußt, was durchaus, ich möchte sagen , die neueste Phase der Ormuzdinitiation ist , alle die Geheimgesellschaften sehen , die sich von Schottland herunter und durch England ausbreiten, und von denen ein Ausdruck dann dasjenige ist, was englische Philosophie und Politik und so weiter ist, wie ich es zu einer anderen Zeit ja hier dargestellt habe von einem

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gewissen Gesichtspunkte aus . De Maistre ist ebensogut unterrichtet über das, was ja aus einem ahrimanischen Einweihungsprinzip sich geltend macht , wie er unterrichtet ist über das , was er als die Ormuzd­initiation in der neuen Form geltend machen will für die euroi päische Zivilisation . De Maistre weiß diese Dinge alle abzuschätzen; er ist geistreich genug , sie auch esoterisch zu treffen , indem er den Philosophen Locke , der gewissermaßen ein Kind , ein äußerliches , exoterisches Kind ist dieser anderen , ahrimanischen Initiation , aufs Korn nimmt. Er nimmt damit ja eine wichtige Persönlichkeit aufs Korn , diejenige Persönlichkeit , die mit jenem epochemachenden Versuch «Über den menschlichen Verstand» aufgetreten ist , der dann seinen großen Einfluß hatte auf das französische Denken . Locke wurde ja von Voltaire vergöttert und hatte einen so großen Einfluß, daß Frau von Sévigné von einem italienischen Schriftsteller, der Locke für Italien schriftstellerisch zurechtrückte , sagte , jener Schriftsteller hätte am liebsten in jeder Fleischbrühe die Floskeln des Lockes gegessen.

Nun nahm de Maistre den Locke auch unter die Lupe und sagte:

Es ist unmöglich, daß zum Beispiel Voltaire, daß die anderen Fran­zosen diesen Locke auch nur gelesen haben können! - Und er ver­breitet sich in seinen «Aberdunterhaltungen zu St. Petersburg» aus­führlich darüber , wie Schriftsteller eigentlich zu Weltruhm kom­men . Er zeigt , wie es durchaus möglich ist , daß Voltaire den Locke überhaupt gar nicht gelesen hat; er könne ihn eigentlich nicht ge­lesen haben , er würde sonst geistreich genug gewesen sein , ihn nicht zu verteidigen, wie er es tut.

Trotzdem de Maistre in Voltaire geradezu einen Teufel sieht, wird er ihm doch gerecht , indem er das von ihm sagt . Und um dies zu belegen, gibt er ganze Abhandlungen darüber, wie geschrieben wird , wie gesprochen wird in der Welt über Leute wie Locke , die als große Menschen angesehen werden, ohne daß man sich primär über­haupt um sie in Wirklichkeit kümmert und sie eigentlich nur ganz sekundär aus anderen Quellen kennt. Wie wenn die Menschheit in Irrtum eingekerkert worden wäre , so wirkte Locke auf diese Men­schen, und die ganze moderne Denkweise, die dann nach der Anschauung

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de Maistres zu dem Unglück der Französischen Revolution geführt hat , die geht eigentlich von Locke aus , das heißt , Locke ist der Exponent, das Symptom, das historische Symptom dafür. Von da aus , wovon Locke ausgegangen ist , beherrscht diese Denkweise die Welt. De Maistre nimmt ihn unter die Lupe, diesen Locke, er sagt , eigentlich habe es wenig Schriftsteller gegeben , die einen so absoluten Mangel an Stilgefühl gehabt haben wie Locke, und zeigt das im einzelnen. Er sucht im einzelnen zu beweisen, daß das, was Locke sagt , so trivial , so selbstverständlich ist , daß man eigentlich überhaupt damit nicht zu rechnen habe, oder daß es unnötig ist, sich damit überhaupt in Gedanken zu befassen - Er sagt: Voltaire sage , Locke habe immer definiert , alles klar definiert; aber, sagt de Maistre , was sind diese Definitionen von Locke im Grunde? - Nichts weniger als Wahrheiten , «quatschige Tautologien», wenn ich ein modernes Wort gebrauchen würde, und lächerlich. Die ganze Schreiberei des Locke sei eine Lächerlichkeit ohne Stil , ohne Genie , voller Tautologien , voller Plattheiten .

So charakterisiert de Maistre dasjenige , was das Wertvollste ge­worden ist für die moderne Menschheit: daß diese moderne Mensch­heit Größe sieht in der Plattheit , in der Gemeinverständlichkeit , in der Genielosigkeit , in der Stillosigkeit , in dem , was auf der Straße zu finden ist , sich aber als Philosophie ausstaffiert .

Dabei ist de Maistre wirklich ein Mensch , der überall auf die tieferen geistigen Prinzipien, auf das geistig Wesenhafte sieht. Man kann solche Dinge , wie sie da vorliegen , dem heutigen Menschen eigentlich nur sehr schwer verständlich machen; denn die Art und Weise , wie eine solche Persönlichkeit , wie de Maistre , denkt , liegt dem heutigen Menschen , der ganz an den schattenhaften Verstand gewöhnt ist , eigentlich fern - De Maistre sieht nicht den einzelnen Menschen bloß , de Maistre sieht das geistige Weser , das durch den einzelnen Menschen wirkt. Was dieser Locke geschrieben hat, ist im Sinne de Maistres eben so zu charakterisieren, wie ich es Ihnen jetzt mitgeteilt habe . Nur sagt es de Maistre mit einer außerordentlichen Geistreichigkeit , Genialität . Aber er sagt zugleich: Wenn ich nun wiederum diesen Locke als Person betrachte , so war er doch ein ganz

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anständiger Mensch; man kann gar nichts gegen ihn haben als Per­son . Er ist der Verderber der europäischen Menschheit des Westens , aber er ist ein anständiger Mensch, und würde er heute geboren und sehen müssen , wie die Menschen diese Trivialität, nachdem er sie selber kennengelernt hat nach seinem Tode , anwenden , so würde er bittere Tränen darüber weinen, daß die Menschen aufseineGemein­verständlichkeit, auf seine Plattheit in dieser Weise hereingefallen sind.

All das sagt de Maistre mit einer riesigen Kraft , mit einleuch­tender Stärke. Es lebt in ihm der Impuls, auf diese Weise totzu­schlagen, was ihm als der eigentliche Widerpart desjenigen er­scheint , was römischer Katholizismus ist , was insbesondere drüben über dem Kanal nach seiner Anschauung lebt. Eine Stelle aus den «Petersburger Abendunterhaltungen» möchte ich Ihnen wörtlich vorlesen , wo er über die nach seiner Ansicht unglückselige Wirksam­keit des Locke in der Politik spricht : «Diese furchtbaren Keime» , sagt er , «wären unter dem Eise seines Stils vielleicht nicht zur Zeitigung gekommen; in dem heißen Schlamme von Paris belebt , haben sie das Ungeheuer der Revolution erzeugt , welches Europa verschlungen hat . » Und nachdem er solche Dinge gegen den Geist sagt , der durch Locke erschienen ist , wendet er sich wiederum zu Locke als Person . Das ist etwas , was man den Menschen der heutigen Zeit so schwer beibringen kann , die die äußere Persönlichkeit mit dem geistigen Prinzip , das sich durch den Menschen ausspricht, immerfort ver­wechseln und als Einheitliches anschauen. De Maistre unterscheidet immer das, was sich unter der eigentlichen Geistigkeit offenbart, von dem, was der äußere Mensch ist. Wiederum wendet er sich zu der äußeren Persönlichkeit und sagt: Er ist eigentlich ja ein Mann, der alle möglichen Tugenden besessen hat , aber er hat sie ungefähr so besessen, wie, nach Swift, jener Tanzmeister, der so ausgezeichnet war in allen Künsten des Tanzes und bloß den einen Fehler hatte:

daß er hinkte. - So habe Locke alle Tugenden besessen. Er sieht ihn geradezu an als eine Inkarnation des bösen Prinzips - das ist nicht meine Redensart, sondern diesen Ausdruck gebraucht de Maistre selbst -, das durch Locke spricht und das übersinnlich waltet seit

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dem Beginn des 15. Jahrhunderts . Man bekommt schon einigen Respekt vor der eindringlichen Geistigkeit, die in diesem de Maistre lebte . Aber man muß doch auch wissen , daß es wirklich Menschen gibt, die heute wieder an Macht gewinnen, die heute daran sind, ihren Einfluß über die europäische Zivilisation sich zurückzuerobern und die durchaus inspiriert sind von jener Geistigkeit, die de Maistre auf der höchsten Höhe dargestellt hat .

Dieser de Maistre hatte noch etwas in sich von jenen älteren in­stinktiven Einsichten in den Zusammenhang von Welt und Mensch. Das geht insbesondere aus jener Abhandlung hervor, die er über das Opfer und über den Opferkultus geschrieben hat. Es lebte so etwas in ihm wie ein Bewußtsein davon, daß dasjenige, was an den physi­schen Leib geknüpft ist in bezug auf die Bewußtseinsseele, sich selb­ständig im Menschen geltend machen muß und daß es verkörpert ist im Blute. Und de Maistre sah im Grunde genommen die Göttlich­keit in der Menschenentwickelung nur vorhanden so bis in das 4. nachchristliche Jahrhundert . Den fortwirkenden Christus , den wollte er nicht zugeben - Auslöschen wollte er vor allen Dingen alles das , was seit dem Beginne des 15. Jahrhunderts da war; zurück wollte er in die alten Zeiten , und da bekam die Vorstellung von dem Christus, die er hatte, etwas von der alten Jahve-Art, überhaupt etwas von der Art alter heidnischer Götter; er ging ja zurück bis zum Ormuzdkultus im Grunde. Und von diesem Gesichtspunkte aus sah er ein , wie eigentlich das Göttliche nur jenseits der menschlichen Bewußtseinsseele zu suchen ist, also auch jenseits des Blutes. Aus solchen tiefen Untergründen einer Weltanschauung heraus spricht es de Maistre aus, daß die Götter - also die Götter, von denen er redet -eine gewisse Abneigung haben gegen das Blut, und durch das Blut, durch das Blutsopfer erst versöhnt werden müssen. Das Blut muß sich zum Opfer darbringen.

Das ist wiederum etwas , worüber selbstverständlich der so furcht­bar aufgeklärte heutige Mensch lacht, wenn man es ihm sagt. Das aber ist etwas , was auch übergegangen ist von de Maistre auf die , die seine Anhänger sind und die immerhin einen ernst zu nehmenden Teil der Menschheit bilden, die aber auch innig zusammenhängen

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mit alledem , was nun heute ausgeht vom romanischen Kirchentum . Man darf nicht vergessen, daß man gerade in de Maistre den reinsten und genialsten Repräsentanten vor sich hat desjenigen, was da aus dem Romanismus heraus ins Franzosertum hineingegangen ist, was im Franzosentum auch in einer, man m&hte sagen , genialen , aber volkstümlich-genialen Form zum Ausdruck gekommen ist. Was da lebt im Franzosentum, das ist dasjenige, was immerzu bewirkt hat, daß im Laufe des ganzen 19. Jahrhunderts durch alles, was in der französischen Politik lebte , der Klerikalismus eine bedeutsame Rolle gespielt hat . Hart aneinander stießen in Frankreich die abstrakten Impulse von Freiheit , Gleichheit und Brüderlichkeit immer mit dem , was da als römischer Katholizismus lebte, und man muß eigent­lich tief fühlen , was in solch einem Menschen wie Gambetta lebte , dem sich in einem entscheidungsvollen Angenblicke der tiefe Seufzer entrang: «Le cléricalisme, voilá l'ennemi!» Er fühlte diesen Klerikalismus , der heraufpulsierte durch alles das , was die soziale Experimentierkunst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war, was in Napoleon III. lebte, womit selbst die Kommune zu kämpfen hatte, was aber sich bis in die späteren Zeiten hinauflebte, was lebte im Boulangismus in den achtziger Jahren , was lebte in den Kämp­fen , die sich um die Persönlichkeit des Dreyfus abspielten , was heute noch lebt. Es lebt da eben dasjenige, was in einem innerlichen, gei­stigen, urradikalen Gegensatz steht zu alledem, was jenseits des Kanals ist und was im Grunde genommen verkörpert ist in dem , was zurückgeblieben ist von anderem, was zurückgeblieben ist in den verschiedenen Freimaurerorden, -logen. Haben wir auf der einen Seite den eingeweihten römischen Katholizismus , so haben wir auf der anderen Seite diejenigen geheimgesellschaftlichen Strömungen , die ich hier von einem anderen Gesichtspunkte aus schon charakteri­siert habe, und die die ahrimanische Strömung darstellen. Es ist ein gewaltiger Unterschied zwischen der Art , wie sich die moderne Frage der individuellen Geltung des einzelnen Menschen, sagen wir, durch die Wahlen zu dem Parlament in Frankreich auslebt, und der Art und Weise, wie sie sich in England drüber auslebt. In Frankreich geht alles aus einer gewissen Theorie hervor, aus gewissen Ideologien.

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In England drüben geht alles aus den unmittelbar praktischen Verhältnissen des Handels- und Industrielebens hervor, das in Zu­sammenstoß kommt, wie ich es gestern dargelegt habe, mit den alten patriarchalischen Verhältnissen , die sich insbesondere im Groß­grundbesitzerleben ausgestaltet haben. Man sehe hin auf die Art und Weise, wie sich in Frankreich die Dinge abspielen. Man hat eigentlich überall das, was man geistige Kämpfe nennt . Man kämpft um Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, man kämpft um die Abgliederung der Schule von der Kirche, man kämpft, um die Kir­che zurückzudrängen . Man vermag sie aber nicht zurückzudrängen, weil sie in den Untergründen des Seelendaseins lebt. Aber es spielt sich alles ab, ich möchte sagen, auf dem Gebiete einer gewissen Dialektik, einer gewissen Diskussion .

In England drüben spielt sich das ab als Machtfrage . Wir haben da eine gewisse innere Strömung, die insbesondere der anglo-ameri­kanischen Bevölkerung angehört . Da sagten sich gewisse Leute - ich habe das oft dargestellt - , als die Mitte des 19. Jahrhunderts heran-nahte : Es geht nicht mehr anders , es müssen die Menschen hin­gewiesen werden darauf, daß es eine geistige Welt gibt . Mit dem bloßen schattenhaften Verstand geht es nicht . - Aber man konnte sich nicht dazu entschließen , diese Hinneigung zum Geistigen auf eine andere Weise der Welt beizubringen , als durch etwas, was ein «Übermaterialismus» ist, nämlich durch den Spiritismus. Und der Spiritismus, der eine größere Macht wiederum hat , als man glaubt, findet von da seinen Ausgang . Der Spiritismus , der gewissermaßen darauf ausgeht, den Geist äußerlich zu ergreifen , wie man die Materie greift, der eben ein Übermaterialismus ist, ist materialisti­scher als der Materialismus selber. Locke pflanzt sich fort, möchte man sagen , in diesem Übermaterialismus . Und was da gewisser­maßen im inneren Gebiete der modernen Kulturentwickelung lebt, es drückt sich äußerlich aus . Es ist durchaus immer wieder dieselbe Erscheinung . Wir haben ein Hinneigen zu derjenigen Geistesströ­mung , die de Maistre so radikal bekämpft in den vierziger Jahren drüben jenseits des Kanals: alles soll mit materiellen Ertitäten be­griffen werden . Wie Locke im Grunde genommen auf den Verstand

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so hinwies , daß er dem Verstand seine Geistigkeit nahm, daß er gerade das Geistigste im Menschen dazu benützte , um die Geistig­keit im Menschen zu verleugnen, ja , den Menschen nur hinzuweisen auf die Materialität, so wies man jetzt im 19 - Jahrhundert auf der Geist und wollte ihn zeigen durch allerlei materielle Manifesta­tionen . Den Geist wollte man durch Materialismus der Menschheit begreiflich machen. Aber dasjenige, was da lebte in den Eingeweih­ten der verschiedenen Brüderschaften, das ging über in das äußer­liche soziale, politische Leben .

Und man möchte sagen: Der Baumwollhändler Cobden und der Quäker Bright, indem sie für die Abschaffung der Kornzölle 1846 kämpften und sie auch durchsetzten , sie waren im politischen Leben ebenso die äußeren Agenten dieser inneren Geistesströmung, wie es die beiden blindesten Hühnchen waren, die in der Politik jemals da­gewesen sind : Asquith und Grey im Jahre 1914. Gewiß waren Cobden und Bright nicht so blinde Hühnchen wie Asquith und Grey; aber es ist im Grunde genommen dasselbe Hingestelltsein vor die Welt in den äußeren Erscheinungen wie 1846 die Abschaffung der Kornzölle , wo die Industrie siegte über das alte patriarchalische System , nur in einer neuen Etappe , ich habe Ihnen die anderen Etappen , die vorangegangen sind , gestern aufgezählt . Und nun sehen wir, ich möchte sagen , Etappe auf Etappe kommen - Wir sehen die Arbeiter sich organisieren. Wir sehen, wie dann die Whigs ei­gentlich immer mehr und mehr die Partei der Industrie werden , die Tories die Partei der Grundbesitzer , das heißt des alten patriarcha­lischen Wesens. Wir sehen, wie das aber nicht mehr widerstehen kann dem , was da so hart zusammengestoßen ist in der Weise , wie ich es gestern charakterisiert habe : das alte patriarchalische Wesen mit dem , was als moderne Technik, moderner Industrialismus sich mit einem Ruck hineingeschoben hat, so daß Jahrhunderte, jaJahr-tausende übersprungen worden sind und die Geistesverfassung, in der England bis ins 19. Jahrhundert herein war, die zurückgeht bis in vorchristliche Zeiten , einfach sich zusammengeschlossen hat mit dem, was in einer neueren Zeit geworden war.

Wir sehen dann, wie immer mehr und mehr das Wahlrecht ausgedehnt

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wird , wie die Tories sich zu Hilfe rufen einen Mann , der ganz gewiß vor ganz kurzer Zeit noch nicht zu ihnen gerechnet worden wäre : Disraeli, Lord Beaconsfield , der ja jüdischer Abkunft war, ein Outsider. Wir sehen, wie endlich das Oberhaus nurmehr zu einem Schatten wird, und das Jahr 1914 herankommt, wo ein ganz neues England heraufzieht. Man wird dieses Heraufkommen des neuen England in späteren Geschichtsschreibungen erst in der richtigen Weise beurteilen können .

Sehen Sie , so gehen die großen Vorgänge in der Entwickelung des 19. Jahrhunderts ihren Gang. Da sehen wir dann die einzelnen Momente heraufleuchten , welche hinweisen darauf, welch wichtiger Punkt in der Menschheitsentwickelung eigentlich herangekommen ist . Aber nur die erleuchtetsten Geister , möchte ich sagen , können einsehen , welches die wichtigsten Lichtblitze sind . Ich habe oftmals auf eine Erscheinung aufmerksam gemacht , die für das Verständnis der Entwickelung im 19. Jahrhundert im allerhöchsten Grade wichtig ist . Ich habe aufmerksam gemacht auf denjenigen Moment , der sich abspielt im Goethehaus in Weimar, wo Eckermann, nach­dem er von der Juli-Revolution in Frankreich gehört hat , bei Goethe erscheint , und Goethe zu ihm sagte : «Es ist in Paris Ungeheures geschehen , alles steht in Flammen! » Selbstverständlich glaubte Eckermann , Goethe rede von der Juli-Revolution . Die interessierte Goethe gar nicht, vielmehr sagte er: «Das meine ich nicht, das ist es nicht, was mich interessiert; aber in der Akademie in Paris ist der große Streit zwischen Cuvier und Geoffroy de Saint-Hilaire ausge­brochen darüber, ob die einzelnen Typen der Tiere selbständig sind, oder ob die einzelnen Typen so zu betrachten sind, daß sie ineinan­der übergehen.» - Cuvier behauptete das eine, daß man es mit festen , starren Typen zu tun habe , die nicht ineinander übergehen können. - Geoffroy sagte, daß man den Typus als fließend betrach­ten müsse, das eine in das andere übergehend. Das war für Goethe das eigentliche Weltereignis der neueren Zeit!

In der Tat , das war es auch . Goethe hatte also ungeheuer tief, ungeheuer lebhaft gefühlt. Denn was war es denn, was Geoffroy de Saint-Hilaire geltend machte gegen Cuvier? - Er ahnte , daß wenn

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der Mensch hineinschaut in sein Inreres, er diesen schattenhaften Verstand beleben kann; daß dieser schattenhafte Verstand nicht bloß Logik ist , die sich passiv über die äußere Welt hermacht , son­dern daß sie etwas wie die lebendige Wahrheit in sich selber über die Dinge in dieser Welt finden kann. - Das Geltendmachen des leben­digen Verstandes, das ahnte Goethe empfindend in dem, was in Geoffroy de Saint-Hilaire lebte, was eben, ich möchte sagen, in der geheimen Entwickelung der modernen Menschheit sich herauflebte und in der Mitte des 19. Jahrhunderts seinen Höhepunkt hatte . Und Goethe ahnte damals wirklich etwas sehr Bedeutsames .

Cuvier , der grundgelehrte große Forscher , behauptete, man müsse die einzelnen Arten unterscheiden, sie nebeneinander stel­len. Man könne nicht eine in die andere überführen, am wenigsten zum Beispiel den Vogeltypus in den Säugetiertypus und so weiter. Geoffroy de Saint-Hilaire behauptete, man könne den einen Typus in den anderen überführen.

Was stand sich da gegenüber? Gewöhnliche Wahrheit und höhe­rer Irrtum? - 0 nein, so ist die Sache nicht. Man kann das, was Cuvier behauptete , mit der gewöhnlichen abstrakten Logik, mit dem Schattenverstand ebensogut beweisen , wie man beweisen kann , was Geoffroy de Saint-Hilaire behauptet hat. Auf Grundlage des ge­wöhnlichen Verstandes , der heute noch in unserer Wissenschaft herrscht , ist diese Frage nicht zu entscheiden . Daher hat sie sich auch immer wiederum aufgebaut und daher sehen wir, wie 1830 in Paris gegenübersteht Geoffroy de Saint-Hilaire dem Cuvier, wir sehen, wie in einer anderen Art Weis mann und die anderen gegenüber­stehen Haecke4 auf dem Wege dieser äußeren Wissenschaft sind diese Fragen nicht zu entscheiden. Da treibt dasjenige, was schatten­hafter Verstand geworden ist seit dem Beginn des 15 - Jahrhunderts , was de Maistre so verachtete, das treibt dahin, die Geistigkeit selbei aufzuheben .

De Maistre hat hingewiesen auf Rom, sogar darauf, daß der Papst

- abgesehen von den zeitlich vorübergehenden päpstlichen Persön­lichkeiten - in Rom sitzt als die Inkarnation desjenigen, was berufen ist, die moderne Zivilisation zu beherrschen. Der Schlußpunkt ist zu

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diesen de Maistreschen Ausführungen gesetzt worden imJahre 1870, als das Infallibilitätsdogma verkündet worden ist , als die Infallibilität des Papstes erklärt worden ist. Da ist durch den veralteten Ormuzd-dienst dasjenige heruntergeholt worden , was in geistigen Höhen gesucht werden soll, in die Person des römischen Papstes. Da ist verirdischte Materie geworden, was als Geistigkeit angesehen werden soll; da ist die Kirche zum äußeren Staat gemacht worden , nachdem es der Kirche schon lange gelungen ist, die äußeren Staaten der­jenigen Form anzupassen, die sie selber angenommen hat, als sie zur Staatsreligion geworden ist unter Konstantin .

Da haben wir in dem Romanismus einerseits das, was zum mo­dernen Staate wird, indem sich das Rechtsprinzip selber aufbäumt und gewissermaßen seine eigene Polarität hervorruft in der Französi­schen Revolution; auf der anderen Seite haben wir den veralteten Ormuzddienst . Dann haben wir das , was aus dem Wirtschaftsleben heraus entsteht, denn alle die Maßnahmen, die jenseits des Kanals getroffen worden sind , entspringen dem Wirtschaftsleben . Wir haben in de Maistre die letzte große Persönlichkeit , welche in die juristische Staatsform hineinprägen will die Geistigkeit, welche hinuntertragen will die Geistigkeit in die irdische Materialität. Das ist es , wogegen anthroposophisch orientierte Geistesanschauung sich wenden muß. Sie will einsetzen die übersinnliche Geistigkeit, sie will zu dem , was dasteht als der verlängerte Ormuzddienst, als der ahrimanische Dienst, hinzusetzen dasjenige, was das Gleichgewicht bringt, sie will den Geist selber zum Erdenregiment machen.

Das kann nicht anders gemacht werden, als daß, wenn man auf der einen Seite das Irdische geprägt hat in die Staatsrechtsform , auf der anderen Seite in die Wirtschaftsform , man daneben das Geistes­leben so aufrichtet, daß dieses Geistesleben nicht den Glauben an einen irdisch gewordenen Gott einsetzt , sondern die Regierung durch den Geist selbst, der hereinfließt mit jedem neuen Menschen, der sich auf der Erde verkörpert, das freie Geistesleben, das den Geist ergreifen will, der über dem Irdischen steht.

Wiederum soll geltend gemacht werden, was man nennen könnte die Ausgießung des Geistes.

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Im Jahre 869, auf dem allgemeinen ökumenischen Konzil , wurde die Anschauung von dem Geiste hinuntergedämpft, um die Men­schen nicht mit dem Beginn des 15. Jahrhunderts zu der Anerken­nung des Geistes kommen zu lassen, der vom Himmel aus die Erde regiert, um de Maistre möglich zu machen noch im 19. Jahrhundert.

Das aber ist es , daß wir appellieren müssen von dem irdisch ver­körpert geglaubten Geist, von der in einer irdischer Kirche fortleben-den Christwesenheit an die geistige Wesenheit , die allerdings mit der Erde verbunden ist, die aber im Geiste erkannt und geschaut werden muß. Weil aber alles, was vom Menschen erlangt werden muß innerhalb des Irdischen, in der sozialen Ordnung errungen werden muß, kann es nicht anders geschehen, als wenn man allein das freie Recht des Geistes anerkennt, das mit jedem neuen Men­schenleben heruntersteigt, um sich den physischen Leib zu ver­schaffen, das niemals souverän werden kann in einer irdischen Per­sönlichkeit, das lebt in einer überirdischen Wesenheit.

Das Statuieren des Infallibilitätsdogmas ist ein Abfallen von der Geistigkeit; der letzte Schlußpunkt dessen, was mit dem allgemei­nen ökumenischen Konzil von 869 gewollt war , war vollzogen . Es muß zurückgegangen werden zu der Anerkennung, zu dem Glau­ben, zu der Erkenntnis von dem Geiste. Das kann aber nur gesche­hen, wenn sich unsere soziale Ordnung mit jener Struktur durch­zieht, die möglich macht das freie Geistesleben neben jenen anderen Dingen , die erdgebunden sind als Staatsleben , als Wirtschaftsleben .

So stellt sich dasjenige, was der Mensch heute verstehen muß, in den Gang der Zivilisation hinein. So muß man es darinnen fühlen. Und wenn man es nicht so darinnen fühlt, dann kann man doch nicht an den Nerv desjenigen kommen, was sich eigentlich aus­sprechen will in der «Dreigliederung des sozialen Organismus», was wirken will zum Heile der Zivilisation , die sonst in der von Spengler geschilderten Weise in den Niedergang verfallen muß.

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DREIZEHNTER VORTRAG Dornach, 5. Mai 1921

Die vierte nachatlantische Epoche, in welche hineinfällt die Verstandesentwickelung der Menschheit, sie wurde aus den griechischen Mysterien heraus geleitet. Erst gaben die Mysterien der allgemeinen Bevölkerung Vorderasiens, des europäischen Südens, dasjenige an, was dieser Verstandes- oder Gemütskultur zugrunde liegt. Es spielte in diesen Mysterien das Geheimnis von dem menschlichen Zusam­menleben mit der Sonne eine große Rolle. Wir wissen ja aus den Darstellungen, die ich in meiner «Theosophie» gegeben habe, wie innerhalb der Verstandes- oder Gemütsseele des Menschen das Ich aufleuchtet, das dann gewissermaßen zu seiner vollen inneren Kraft durch die Bewußtseinsseele kommen soll. Insofern nun das Ich des Menschen gewissermaßen zu seiner Erweckung kommen sollte während der Verstandeskulturzeit, mußten sich die Mysterien dieser Zeit beschäftigen mit den Geheimnissen des Sonnenlebens und seinen Zusammenhängen mit demjenigen, was gerade menschliches Ich ist. Es ist Ihnen ja auch bekannt aus meiner Darstellung der «Rätsel der Philosophie», wie der Grieche noch in der Außenwelt seine Vorstellungen, seine Begriffe so wahrgenommen hat, wie wir heute Farben, Töne und so weiter wahrnehmen. Dasjenige, was in den Vorstellungen lebte, das war durchaus für den Griechen nicht eben bloß innerlich in der Seele Erschaffenes, sondern es war für ihn etwas an den Dingen Wahrgenommenes. In dieser Beziehung hatte ja Goethe durchaus etwas Griechisches in sich, was er dadurch be­zeugte, daß, als er in dem berühmten Gespräch von Schiller die Worte hörte, seine Vorstellungen, also etwas Begrifflich-Ideelles, wären keine Wahrnehmungen, sondern eine Idee, daß er darauf sagte, dann sähe er seine Ideen vor sich, wie er eben äußere Wahr­nehmungen vor sich sehe.

Diese griechische Art, sich zu den Vorstellungen zu verhalten, war durchaus verknüpft mit einer ganz bestimmten Empfindung, welche die Griechen hatten, wenn sie ihr Auge richteten auf die

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äußere Welt. Sie sahen in dem, was ihnen als Vorstellungsinhalt entgegenglänzte, überall eigentlich das Geschöpf des Sonnenlebens. Sie empfanden, indem die Sonne am Morgen aufging, auch das Heraufkommen des Vorstellungslebens in dem Raum, und beim Untergange der Sonne empfanden sie das Versinken der Vorstel­lungswelt. Man kann die Entwickelung der Völker nicht verstehen, wenn man nicht diese Änderung des Seelenlebens durchaus ins Auge faßt.

Das ist etwas, meine lieben Freunde, was den Menschen in ihrem Seelenleben eigentlich verlorengegangen ist: mitzuempfinden die Geistigkeit ihrer ganzen Umgebung. Heute sieht der Mensch eben den Sonnenball heraufkommen, und er hat nur die Empfindung für dasjenige, was ihm da entgegentritt an farbiger und leuchtender Lufterscheinung. Und ebenso ist es, wenn er die Sonne in der Abend. röte verschwinden sieht. Der Grieche hatte eben die Empfindung, daß des Morgens aufsteigt diejenige Welt, die ihm die Vorstellungen bringt, und daß sie des Abends untergeht, daß abends diejenige Welt kommt, die ihm diese Vorstellungswelt entzieht. Er war daher so, daß er sich empfand Vorstellung-verlassen in der Finsternis der Nacht. Und wenn er hinausblickte in den Himmel, den wir blau sehen, für den er ja die gleiche Bezeichnung wie für das Dunkel hatte, so fühlte er eigentlich die Welt begrenzt von demjenigen, was außerhalb des Vorstellungslebens war. Dort hörte für ihn das Vor­stellungsleben, so wie es dem Menschen beschert ist, auf, wo er be­grenzt sah den Weltraum. Jenseits dieses Weltraumes waren für ihn andere Gedankenwelten, die Gedankenwelten der Götter. Und sie sah er eben eng gebunden an dasjenige, was er als Licht bezeichnete. Sie offenbarten sich ihm gewissermaßen konzentriert im Sonnen-leben, während sie sonst sich ihm entzogen in der Weite des dunklen Weltenfirmamentes. Man muß in diese ganz andersgeartete Fmpfindungswelt hineinschauen, wenn man verstehen will, wie eigentlich, nachdem diese Anschauungsweise mit aller ihrer inneren Lebendigkeit eine Zeitlang gewirkt hat in der Weltentwickelung des Menschen, wie dann der Mensch in seinen fortgeschrittensten Reprä­sentanten fühlte, wie er im Weltenraum das Sonnenleben nicht

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mehr als ihm etwas geistig Zurückstrahlendes empfinden konnte, und wie er in den ersten Zeiten eben - es war das gerade bei den fortgeschrittensten Repräsentanten der Menschheit der Fall, bei den­jenigen, die noch ihre Bildung in den griechischen Mysterien emp­fangen hatten -, wie er empfand das Mysterium von Golgatha als eine Erlösung, insofern als es ihm die Möglichkeit brachte, in sich nun das Licht zu entzünden. Das Licht, das er vorher als Göttliches wirklich erlebt hat, das wollte er jetzt erleben dadurch, daß er seinen seelisch-geistigen Anteil nahm an den Geschehnissen des Myste­riums von Golgatha. Man lernt dasjenige, was eigentlich in der Menschheit im Laufe der Jahrtausende geschehen ist, nicht kennen, wenn man bloß mit dem Verstande auf diese Dinge hinsieht. Man muß die Umwandlung des Menschengemütes, des menschlichen Seelen­lebens in seiner Ganzheit ins Auge fassen. Und wir, die wir nun seit dem Beginne des 15. Jahrhunderts leben in dem Zeitalter der Be­wußtseinsseelenentwickelung, wir haben ja von jener Verstandes-geistigkeit, welche da war in den Zeiten der vierten nachatlantischen Periode, nur noch das Schattenwesen unserer inneren Verstandes-tätigkeit. Das habe ich ja in den letzten Wochen hier auseinander­gesetzt. Aber wir müssen uns wiederum durchringen zu einer Erkenntnis desjenigen, was dieses Verstandeswesen, dieses schatten­hafte Verstandeswesen durchdringen kann mit einer lebendigen Anschauung des Weltenalls. Gerade durch die moderne Verstandes­schattenkultur ist der Mensch gewissermaßen an die Erde gebannt worden. Er betrachtet heute, insbesondere wenn er sich anstecken läßt von der immer weiter und weiter um sich greifenden, rein wissenschaftlichen Kultur, er betrachtet ja heute nur dasjenige, was ihm die Erde eigentlich gibt. Er hat keine Ahnung davon, daß er mit seinem ganzen Wesen nicht bloß der Erde angehört, sondern daß er mit seinem ganzen Wesen dem außerirdischer Weltall angehört. Und das ist dasjenige, was sich der Mensch wieder erringen muß, diese Erkenntnis seines Zusammenhanges mit dem außerirdischen Weltenall.

Wir bilden heute einfach unsere Begriffe, Vorstellungen, indem wir von dem irdischen Leben ausgehen und uns nach diesem irdischen

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Leben das ganze Weltenall konstruieren. Aber dasjenige, was sich da uns als Weltbild ergibt, ist dann nicht viel anders als eine Übertragung der irdischen Verhältnisse auf die außerirdischen Verhältnisse. Und so ist es denn gekommen, daß aus den grandiosen Errungenschaften der modernen Naturwissenschaft heraus mit der Spektralanalyse und den anderen Ergebnissen, daß da gebildet worden ist eine Anschauung über die Sonne, die eigentlich ganz den irdischen Verhältnissen nachgebildet ist. Man bildet sich die Vor­stellung, wie ein leuchtender Gaskörper eben aussieht. Und nun überträgt man diese Ansicht eines leuchtenden Gaskörpens auf das­jenige, was uns als Sonne entgegenkommt im Weltenall. Wir müssen wiederum geisteswissenschaftliche Unterlagen anwenden lernen, um zu einer Anschauung von der Sonne kommen zu kön­nen. Diese Sonne, von der der Physiker glaubt, wenn er hinaus­kommen würde in den Weltenraum, sie böte sich ihm dar als eine leuchtende Gaskugel; diese Sonne, trotzdem sie das Weltenlicht in ihrer Art uns zurückstrahlt, so wie sie es empfängt, ist ein durch und durch geistiges Wesen, und wir haben es nicht zu tun mit einem physischen Wesen, das da oben irgendwo im Weltenraum herum­gondelt, sondern mit einem durch und durch geistigen Wesen. Und der Grieche empfand noch richtig, wenn er das, was ihm von der Sonne zustrahlte, als dasjenige empfand, was in Zusammenhang gebracht werden muß mit seiner Ich-Entwickelung, insofern diese Ich-Entwickelung gebunden ist an das Vorstellungswesen des Ver­standes. In dem Sonnenstrahl sah der Grieche dasjenige, was in ihm entzündet das Ich. So daß man sagen muß: Der Grieche hatte noch diese Empfindung von der Geistigkeit des Kosmos. Er sah in dem Sonnenwesen substantiell ein dem Ich verwandtes Wesen. Das­jenige, was der Mensch gewahr wird, wenn er zu sich selber Ich sagt, die Kraft, die in ihm wirkt, so daß er zu sich Ich sagen kann, auf die sah der Grieche hin, und er fühlte sich veranlaßt, zur Sonne dasselbe zu sagen wie zu seinem Ich, dieselbe Empfindung der Sonne ent­gegenzubringen, wie er sie seinem Ich entgegenbrachte.

Ich und Sonne, sie verhalten sich wie das Innere und das Äußere. Was draußen durch den Weltenraum kreist als Sonne, ist das

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Welten-Ich. Was drinnen in mir lebt, ist das Ich des Menschen. Man möchte sagen: Gerade noch zu erhaschen ist diese Empfindung für diejenigen Menschen, die etwas tiefer mitfühlen mit dem ganzen All der Natur. Schon sehr verglommen ist dasjenige, was da eigent­lich zugrunde liegt, aber es gibt doch noch heute dasjenige Leben im Menschen, das gewissermaßen heraufkommen vernimmt die Sonne im Frühling, das den Sonnenstrahl noch erleben kann als etwas Gei­stiges, und das das Ich aufleben fühlt, indem der Sonnenstrahl in einer größeren Stärke die Erde erleuchtet - Aber es ist, ich möchte sagen, eine letzte Empfindung, die in dieser äußeren Art nun auch schon verglimmt in der Menschheit, die zugrunde gehen will inner­halb der abstrakten Verstandesschattenkultur, die nach und nach sich unseres ganzen Zivilisationslebens bemächtigt hat. Aber durch­dringen müssen wir wiederum dazu, etwas zu erkennen von dem Menschheitszusammenhang mit dem außerirdischen Dasein. Und in dieser Beziehung möchte ich heute auf einiges hinweisen.

Wir werden, indem wir all dasjenige zusammennehmen, was Sie an verschiedenen Stellen unserer geisteswissenschaftlichen Literatur zerstreut finden, zunächst wiederum den Zusammenhang der Sonne mit dem Ich ergreifen können, und wir werden den bedeutungs­vollen Gegensatz erkennen können, der da besteht zwischen den Kräften, die den Erde von der Sonne zustrahlen, und denjenigen Kräften, welche für die Erde wirksam sind in demjenigen, was wir Mond nennen. Sonne und Mond, sie sind in einer gewissen Bezie­hung das völlige Gegenteil voneinander. Sie sind polar zueinander. Wenn wir die Sonne studieren mit den Mitteln der Geisteswissen­schaft, so strahlt uns die Sonne alles dasjenige zu, was uns gestaltet zu einem Träger unseres Ich. Wir verdanken der Sonnenstrahlung dasjenige, was uns eigentlich die menschliche Gestalt gibt, was uns in der menschlichen Gestalt zu einem Abbild des Ich macht. Alles, was im Menschen von außen wirkt, was von außen seine Gestalt bestimmt, was schon während seiner Embryonalzeit seine Gestalt bestimmt, das ist Sonnenwirkung. Wenn sich der menschliche Em­bryo im Mutterleibe bildet, dann ist durchaus nicht bloß dasjenige vorhanden, was eine heutige Wissenschaft träumt, daß von der befruchteten

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Mutter die Kräfte ausgehen würden, welche den Men­schen formen, nein, der menschliche Embryo ruht nur im mutter­lichen Leibe. Dasjenige, was ihm da die Form gibt, das sind die Son­nenkräfte. Allerdings müssen wir diese Sonnenkräfte in Zusammen­hang bringen mit den ihnen entgegengesetzt wirkenden Monden­kräften. Die Mondenkräfte sind zunächst dasjenige, was sich für den unteren, den Stofiwechselmenschen als das Innerliche geltend macht. So daß wir sagen können, wenn wir schematisch zeichnen:

die Sonnenkräfte sind dasjenige, was den Menschen von außen gestaltet. Dasjenige, was sich im Stoffwechsel des Menschen von in­nen aus gestaltet, das sind die zentral ausstrahlenden Mondenkräfte, die sich in ihm festsetzen.

#Bild s. 224

Das widerspricht nicht dem, daß diese Mondenkräfte zum Bei­spiel das menschliche Gesicht mitformen. Sie formen ja das menschliche Gesicht, weil dasjenige, was im unteren, im Stoffwechselmenschen,

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von dem Zentrum aus winkt, gewissermaßen anziehend von außen auf die menschliche Gesichtsbildung wirkt; differenzie­rend die menschliche Gesichtsbildung wirken die Mondenkräfte, aber indem sie sich summieren mit den Sonnenkräften, während sie vom Inneren des Menschen aus den Sonnenkräften entgegenwirken. Daher hängt auch die menschliche Fortpflanzung als Organismus von den Mondenkräften ab, die Gestalt geben. Aber das Fortge­pflanzte, das hängt von den Sonnenkräften ab. Der Mensch ist mit seinem ganzen Wesen zwischen Mondenkräften und Sonnenkräften eingespannt.

Nun müssen wir aber unterscheiden, wenn wir die Monden­kräfte im menschlichen Inneren, im Inneren des menschlichen Stoff­wechsels suchen, diese Mondenkräfte im Stoffwechsel von den Kräf­ten, die im Stoffwechsel nun selber ihren Ursprung haben. Es spielen die Mondenkräfte in den Stoffwechsel hinein, aber der Stoff­wechsel hat seine eigenen Kräfte - Und diese eigenen Kräfte, das sind die Erdenkräfte. So daß wir sagen können, wenn im Menschen die Kräfte wirken, die in den Substanzen seiner Nahrungsmittel liegen, die Kräfte, die also, sagen wir, in den Vegetabilien oder sonstigen Nahrungsmitteln liegen, so wirken diese Kräfte in ihm durch sich selbst. Sie wirken da als Erdenkräfte. Der Stoffwechsel ist zunächst ein Ergebnis der Erdenkräfte; aber in diese Erdenkräfte wirkt das­jenige hinein, was Mondenkräfte sind. Wenn der Mensch bloß den Stoffwechsel mit seinen Kräften in sich hätte, wenn also gewisser­maßen die Substanzen seiner Nahrungsmittel nur ihre eigenen Kräfte in seinem Leib fortsetzen würden, nachdem sie aufgenommen sind, dann würde der Mensch ein Chaos sein von allen möglichen Kräften. Daß diese Kräfte immerzu wirken, die menschliche Wesen­heit von innen aus zu erneuern, das hängt gar nicht von der Erde ab, das hängt von dem der Ende beigegebenen Mond ab. Von innen heraus wird der Mensch durch den Mond gestaltet, von außen herein wird der Mensch durch die Sonne gestaltet. Und indem die Sonnen­strahlen wieder aufgenommen werden durch das Auge in den menschlichen Kopfonganismus, wirken sie auch innerlich; aber sie wirken doch von außen herein.

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So finden wir, wie auf der einen Seite der Mensch in seiner ganzen Ich-Entwickelung abhängt von den Wirkung der Sonne, wie er ein fest auf der Erde lebendes Ich nicht sein könnte ohne die Sonne; und wie kein Menschengeschlecht wäre, keine Fortpflanzung wäre, wenn nicht der Mond der Begleiter den Erde wäre. Man kann sagen:

die Sonne ist dasjenige, was den Menschen als eine Persönlichkeit, als einzelnes Individuum fest auf die Erde stellt. Der Mond ist das­jenige, was den Menschen in seiner Vielheit, in seiner ganzen Ent­wickelung auf die Erde hinzaubert. Das Menschengeschlecht als physische Folge von Generationen ist das Ergebnis der Monden-kräfte, die es anregen. Der Mensch als einzelnes Wesen, als Indivi­dualität, ist das Ergebnis der Sonnenkräfte. Und wenn wir daher den Menschen und das Menschengeschlecht studieren wollen, dann kön­nen wir nicht bloß die Verhältnisse der Ende studieren. Vergebens suchen die Geologen die Verhältnisse der Erde zu ergründen und daraus den Menschen zu begreifen, vergebens untersuchen sie die anderen Kräfte der Erde, um daraus den Menschen zu begreifen. Der Mensch ist zunächst nicht auf den Ende gemacht. Der Mensch ist geformt aus dem Kosmos herein; der Mensch ist ein Ergebnis der Ster­nenwelt, zunächst von Sonne und Mond. Von der Erde stammen nur diejenigen Kräfte, welche dem Stoff selbst innewohnen, und die wirksam sind außerhalb des Menschen, dann ihre Wirksamkeit fort­setzen, wenn sie in den Menschen durch das Essen und Trinken eingetreten sind; aber sie werden da empfangen von dem Außer-irdischen.

Was im Menschen vorgeht, ist durchaus nicht bloß ein indisches Geschehen, ist durchaus etwas, was von der Sternenwelt aus besorgt wird. Zu dieser Erkenntnis muß wiederum den Mensch sich durch­ringen. Und wenn wir den Menschen weiter betrachten, so können wir Rücksicht nehmen darauf: Er ist zunächst ein physischer Leib. Dieser physische Leib nimmt ja die äußeren Nahrungsmittel auf. In diesem physischen Leib setzen sie ihre Kräfte fort. Aber der physi­sche Leib wird angegriffen von dem astralischen Leib, und in dem astralischen Leib ist tätig die Mondenwirkung, so wie ich es Ihnen dargestellt habe. Und in diesen astralischen Leib wirkt hinein die

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Sonnenwirkung. Sonne und Mond durchziehen kraftend den astra­lischen Leib, und der astralische Leib äußert sich in der Weise, wie ich es jetzt eben beschrieben habe. Der ätherische Leib steht in der Mitte zwischen physischem Leib und astralischem Leib.

Wenn man die Kräfte studiert, welche von den Nahrungsmitteln ausgehen, so werden sie zunächst regsam im physischen Leibe, und sie werden von dem astralischen Leib, der Sonnen- und Monden­wirkung in sich hat, so aufgenommen, wie ich es eben beschrieben habe. Aber dazwischen steht das andere, dasjenige, was im ätheri­schen Leibe wirksam ist. Das kommt auch nicht von der Erde, das kommt aus dem Umkreise des ganzen Weltenraumes. Wenn wir die Erde im Verhältnis zum Menschen betrachten mit ihren Produkten, mit denjenigen Stoffen, die sich darleben als feste, flüssige, luft­förmige Bestandteile, so werden diese aufgenommen vom Men­schen, im Menschen drinnen verarbeitet gemäß den Sonnen- und Mondenkräften. Aber im Menschen wirken auch diejenigen Kräfte, die ihm zustrahlen nun von allen Seiten des Weltenraumes. Die Kräfte, die in den Nahrungsmitteln wirken, sie kommen aus der Erde heraus. Aber ihm strahlen von allen Seiten des Weltenraumes Kräfte zu: das sind die ätherischen Kräfte - Diese ätherischen Kräfte, die ergreifen auch, aber in einer viel gleichfönmigeren Weise, die Nahrungsmittel und verwandeln sie so, daß sie aus ihnen ein Lebens-fähiges machen, daß sie aus ihnen etwas machen, was außerdem das Ätherische als solches, das Licht und die Wärme, innerlich erleben kann. So daß wir sagen können: Der Mensch ist zugeteilt durch seinen physischen Leib der Erde, durch seinen ätherischen Leib dem ganzen Umkreis, durch seinen astralischen Leib ist er zunächst zu­geteilt dem Monde und der Sonne in ihren Wirkungen. Aber diese Wirkungen, die im astralischen Leib als Sonnen- und Mondwirkungen enthalten sind, die werden wiederum modifiziert, so modifi­ziert, daß ein gewaltiger Unterschied besteht zwischen denjenigen Wirkungen, welche ausgeübt werden auf den oberen. und denen, die ausgeübt werden auf den unteren Menschen.

Nennen wir heute «oberen Menschen» denjenigen Menschen, der gewissermaßen durchkneist wird von dem nach aufwärts, nach

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dem Kopfe zu gehenden Blutstrom; nennen wir den

Der Saturn hat Kräfte, die er - betrachten wir es nach der koper­nikanischen Weltanschauung - in seinem Umkreis um die Sonne entwickelt und die er der Ende zuschickt; er hat diejenigen Kräfte, welche eigentlich im ganzen astralischen Leib, namentlich in dem­jenigen Teile, der diesem oberen Menschen angehört, wirksam sind. Der Saturn hat die Kräfte, die in diesen astralischen Leib hineinstrahlen. Und indem sie den astralischen Leib durchstrahlen, beleben, wirken sie auf ihn so, daß von ihnen eigentlich in ganz wesentlicher Weise abhängt, inwiefern sich der astralische Leib in ein richtiges Verhältnis zum physischen Leib des Menschen stellt. Wenn der Mensch zum Beispiel nicht richtig schlafen kann, wenn also sein astralischer Leib nicht richtig herausgehen will aus dem Ätherleib und dem physischen Leib, wenn er beim Erwachen nicht richtig hin­eingehen will, wenn er sonst in irgendeiner Weise sich nicht richtig eingliedert dem physischen Leibe, so ist das eine Wirkung, eine un­regelmäßige Wirkung der Saturnkräfte. Der Saturn ist im wesent­lichen derjenige Weltenkörper, welchen auf dem Umwege durch das menschliche Haupt ein richtiges Verhältnis des astralischen Leibes zum menschlichen physischen Leib und zum Ätherleib herstellt.

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Dadurch liefern die Saturnkräfte auf der anderen Seite wiederum das Verhältnis des astralischen Leibes zum Ich, weil ja der Saturn im Verhältnisse steht zu der Sonnenwirkung. Er steht so im Verhältnis zur Sonnenwirkung, daß das räumlich-zeitlich dadurch ausgedrückt ist, daß ja der Saturn ungefähr seinen Umkreis um die Sonne, wie Sie wissen, in dreißig Jahren vollendet.

Diese Beziehung des Saturn zur Sonne, die drückt sich im Men­schen dadurch aus, daß erstens das Ich in ein entsprechendes Ver­hältnis kommt zum astralischen Leib, aber namentlich daß der astralische Leib sich in einer richtigen Weise in die ganze menschliche Organisation eingliedert. So daß wir sagen können, der Saturn hat seine Beziehung zu dem oberen Teil des ganzen astralischen Leibes. Diese Beziehung, die war für die Menschen älterer Zeiten durchaus etwas Maßgebendes. Und noch in der ägyptisch-chaldäischen Zeit, wenn wir zurückgehen würden in das 3., 4. Jahrtausend vor dem Mysterium von Golgatha, da würden wir finden, daß bei den Leh­rern, bei den Weisen in den Mysterien jeder Mensch daraufhin be­urteilt wurde, wie er sein Verhältnis zum Saturn durch sein Geburts­datum bestimmt hatte; denn man wußte ganz genau, wenn ein Mensch geboren ist bei dieser oder jener Konstellation des Saturn, so war er ein Mensch, der seinen astralischen Leib im physischen Leib richtig brauchen konnte oder weniger richtig brauchen konnte. Die Erkenntnis solcher Dinge spielte in alten Zeiten eine große Rolle. Aber darauf beruht gerade der Fortschritt der Menschheitsentwicke­lung in unserem Zeitalter, das mit dem Beginn des 15. Jahrhunderts seinen Anfang genommen hat, daß wir uns freimachen von dem, was da in uns wirkt.

Meine lieben Freunde, mißvenstehen Sie das nicht. Das heißt nicht, daß der Saturn heute nicht in uns wirkt. Er wirkt in uns geradeso, wie er in alten Zeiten gewirkt hat; nur müssen wir uns davon freimachen. Und wissen Sie, worinnen dieses In-der-rich­tigen-Weise-Freimachen von der Saturnwirkung besteht? Man macht sich am schlechtesten frei von der Saturnwirkung, wenn man dem schattenhaften Intellekt unseres Zeitalters folgt. Da läßt man ge­radezu die Saturnwirkungen in sich wüten, da schießen die Saturnwirkungen

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hin und her und machen einen gerade zu demjenigen, was man in unserem Zeitalter den nervösen Menschen nennt. Den nervöse Mensch beruht im wesentlichen darauf, daß sein astralischer Leib in seine ganze physische Wesenheit nicht ordentlich einge­schaltet ist. Darauf beruht die Nervosität unseres Zeitalters. Und wozu der Mensch gebracht werden muß, ist: das Streben nach wirk­licher Anschauung, das Streben nach Imagination. Wenn der Mensch beim abstrakten Vorstellen bleibt, so wird er immer nervöser und nervöser werden, weil er eigentlich herauswächst aus der Saturn­tätigkeit, diese aber doch in ihm ist, in ihm hin- und herschießt und aus seinen Nerven den astralischen Leib herauszerrt und daher den Menschen nervös macht. Die Nervosität unseres Zeitalters muß kos­misch erkannt werden als eine Saturnwirkung.

So wie es Saturn zu tun hat mit dem oberen Teil des ganzen astralischen Leibes, insofern dieser astralische Leib mit dem ganzen Organismus in Verbindung steht durch das Nervensystem, hat es Jupiter vorzugsweise mit dem menschlichen Denken zu tun (siehe Darstellung S. 233).

Dieses menschliche Denken beruht ja in einer gewissen Weise auch auf einer partiellen Tätigkeit des astralischen Leibes. Ich möchte sagen, eine kleinere Partie des astralischen Leibes ist tätig beim Denken als beim Versorgen des ganzen Menschen durch den astra­lischen Leib. Was in unserem astralischen Leib wirkt, und was zu­nächst überhaupt unser Denken stark macht, das ist Jupiterwirkung. Jupiterwirkung hat es vorzugsweise mit dem astralischen Durchorga­nisieren des menschlichen Gehirnes zu tun.

Sehen Sie, die Saturnwirkungen erstrecken sich eigentlich übet das ganze menschliche Leben, und dieses ganze menschliche Leben hat ja angefangen seit unseren drei ersten Lebensjahrzehnten. Wie wir uns - solange wir in den Wachstumsperioden sind, und ganz hören diese ja eigentlich erst auf nach dem dreißigsten Jahre -, wie wir uns da entwickeln in unserem astralischen Leib, davon hängt unser ganzes Leben und unsere Gesundheit ab. Daher braucht der Saturn dreißig Jahre, um herumzugehen um die Sonne. Das ist ganz auf den Menschen zugeschnitten.

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Dasjenige, was sich in uns als Denken entwickelt, das hat mit den ersten zwölf Lebensjahren zu tun. Dasjenige, was da draußen kreist, das ist nicht ohne Beziehung zum Menschen.

Ebenso wie es Jupiter zu tun hat mit dem Denken, hat es Mars zu tun mit demjenigen, was die Sprache ist. Mars hat es zu tun mit der Sprache.

Saturn oberer Teil des ganzen astralischen Leibes

Jupiter Denken

Mars Sprache

Mars, sehen Sie, hebt gewissermaßen vom astralischen Leib noch ein kleinere Partie, als diejenige ist, die fürs Denken in Betracht kommt, heraus aus seiner ganzen Einorganisierung in den übrigen Menschen. Und von den Manswirkungen in uns hängt es ab, daß ent­faltet werden können die Kräfte, die sich dann in das Sprechen ergießen. Die kleine Umlaufszeit des Mars ist ja auch dafür maß­gebend. Der Mensch lernt ja innerhalb einer Zeit, die durchaus der halben Umlaufzeit des Mars ungefähr entspricht, die ersten Sprach-laute.

Auf- und absteigende Entwickelung! Wir sehen, diese ganze Entwickelung, insofern sie an die Gegend des menschlichen Haup­tes gebunden ist, hängt zusammen mit Saturn-, Jupiter- und Mars-kräften.

Damit haben wir die äußeren Planeten in ihrem Fortwirken in­nerhalb des menschlichen astralischen Leibes gegeben. Während die Sonne mehr mit dem Ich zusammenhängt, haben diese drei Weltenkörper: Saturn, Jupiter und Mars, mit der Entwickelung des­jenigen, was ja an den astralischen Leib gebunden ist, Sprechen, Denken und dem ganzen Verhalten der menschlichen Seele im menschlichen Organismus zu tun. Dann haben wir die Sonne, die mit dem eigentlichen Ich zu tun hat. Und dann haben wir diejenigen Planeten, die wir auch die inneren nennen, diejenigen Planeten, die gewissermaßen der Erde näher sind als die Sonne, diejenigen Pla­neten also, die zwischen der Erde und der Sonne sich befinden,

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während die anderen Planeten, Saturn, Jupiter, Mars, abgewendet sind von der Erde gegenüber der Sonne. Wenn wir diese inneren Planeten ins Auge fassen, dann kommen wir dazu, ebenfalls solche Beziehungen ihrer Kräfte zum Menschen ins Auge zu fassen. Be­trachten wir zunächst den Merkur.

Merkur hat, ich möchte sagen seine Angriffspunkte ähnlich dem Monde mehr im Inneren des Menschen, nur gegenüber dem mensch­lichen Antlitz wirkt er von außen; aber er wirkt schon in demjenigen Teil des Menschen, der unter der Herzgegend liegt. Da wirkt er mit seinen Kräften, indem er innerlich die menschliche Organisation ergreift und seine Kräfte von dort wiederum ausstrahlen. Und da wirkt er so, daß er vorzugsweise es ist, der die Vermittlung besorgt der Wirksamkeit des astralischen Leibes in der ganzen Atmungs­und Zirkulationstätigkeit des Menschen. Er ist der Vermittler zwi­schen dem astralischen Leib und den rhythmischen Vorgängen im Menschen. So daß wir also sagen können: seine Kräfte besorgen die Vermittlung des Astralischen mit der rhythmischen Tätigkeit des Menschen (siehe Darstellung S. 233). Dadurch greifen die Merkur-kräfte ähnlich den Mondenkräften auch ein in den ganzen Stoff­wechsel des Menschen, aber nur insofern der Stoffwechsel dem Rhythmus unterliegt, auf die rhythmische Tätigkeit zurückwirkt.

Dann haben wir Venus. Venus ist dasjenige, was vorzugsweise im menschlichen Ätherleib tätig ist, was also von dem Kosmos aus im menschlichen Ätherleib sich betätigt: Tätigkeit des menschlichen Ätherlei bes.

Und dann haben wir Mond. Über ihn haben wir schon gesprochen. Er ist dasjenige im Menschen, was den Sonnenkräften polarisch ent­gegengesetzt ist, und was von innen aus den Stoff überführt ins Lebendige und dadurch auch mit den Reproduktion zusammenhängt. Der Mond ist also im ausgiebigsten Sinne der Anreger sowohl den inneren Reproduktion wie auch der Fortpflanzungsreproduktion.

Bedenken Sie nun, daß ja dasjenige, was im Menschen eigentlich vorgeht, Ihnen in seiner Abhängigkeit erscheint von dem umlie­genden Kosmos. Der Mensch ist auf der einen Seite mit seinem phy­sischen Leib gebunden an die irdischen Kräfte, mit seinem ätherischen

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Saturn oberer Teil des ganzen astralischen Leibes

Jupiter Denken

Mars Sprache

Sonne Ich

Merkur Vermittlung des Astralischen mit der rhythmischen Tätigkeit des Menschen

Venus Tätigkeit des menschlichen Ätherleibes

Mond Anreger der Reproduktion

Leib gebunden an den ganzen kosrnischen Umkreis. In ihm wird aber differenziert in dieser Weise, wie ich es hier dargestellt habe, und in­dem die Differenzierung vorzugsweise von seinem astralischen Leibe ausgeht, gliedern sich in diesen astralischen Leib die Kräfte von Saturn, Jupiter, Mars, Merkur, Venus, Mond ein. Auf dem Umwege durch das Ich wirkt dann die Sonne in ihm. Bedenken Sie, daß da­durch, daß der Mensch also in den Kosmos eingegliedert ist, es etwas anderes ist, ob der Mensch auf einem Punkte der Erde steht und, sagen wir, Jupiter glänzt vom Himmel, oder ob der Mensch hier auf der Erde steht und Jupiter ist von der Erde zugedeckt. Die Wirkun­gen auf den Menschen sind in dein einen Falle direkt, die Wirkun­gen in dem anderen Falle sind so, daß die Erde sich dazwischen stellt. Das gibt einen bedeutsamen Unterschied. Jupiter, haben wir ge­sagt, steht mit dem Denken in Beziehung. Nehmer wir an, da wo das menschliche physische Denkongan in seiner vorzugsweiser Ent­faltung ist, da erlebt der Mensch, also bald nach seiner Geburt, von seiner Geburt aus, daß Jupiter ihm zuglänzt seine Wirksamkeit. Der Mensch bekommt die direkte Jupiterwirkung. Sein Gehirn wird ganz besonders zum Denkorgan umgegliedert; er bekommt eine gewisse Anlage zum Denken. Nehmen wir an, der Mensch verlebt diese Jahre so, daß derJupiter auf der anderen Seite ist, dieJupiterwirkun­gen also durch die Erde gehindert sind: sein Gehirn wird wenig um­gestaltet zum Denkorgan. Wirkt dagegen die Erde mit ihren Stoffen und Kräften in ihm, und alles dasjenige, was von den Stoffen der Erde ausgeht, wird vielleicht gerade umgestaltet, sagen wir, durch die Mondenwinkungen, die ja immer in einer gewissen Weise da

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sind, so wird den Mensch ein dumpf Träumender, ein dumpf bewuß­tes Wesen nur; das Denken tritt zurück. Dazwischen liegen alle möglichen Grade. Nehmen Sie an, ein Mensch habe aus seiner früheren Inkarnation solche Kräfte in sich, welche sein Denken dazu prädestinieren, in dem Erdenleben, das er nun antreten soll, beson­ders ausgebildet zu sein; dann schickt er sich an, auf die Erde her­unterzukommen. Er wählt sich, da ja der Jupiter seine bestimmte Umlaufszeit hat, diejenige Zeit, in der er auf der Erde erscheint, in der er auf der Erde geboren werden soll, so, daß der Jupiter direkt die Strahlen zusendet.

Auf diese Weise gibt die Sternkonstellation dasjenige ab, in das der Mensch sich hineingeboren werden läßt nach den Bedingungen seiner früheren Erdenleben.

Von dem, was sich Ihnen da erweist, muß sich ja allerdings der Mensch heute im Bewußtseinszeitalter immer mehr und mehr frei. machen. Aber es handelt sich darum, daß er sich in der richtigen Weise freimacht davon, daß er tatsächlich so etwas tut, wie ich es angedeutet habe mit Bezug auf die Saturnwirkungen: daß er ver­sucht, aus dem bloßen schattenhaften intellektuellen Entwickeln zu einem bildhaften, anschaulichen Entwickeln wiederum zu kommen. Was wir auf die Art aus der Geisteswissenschaft entwickeln, wie ich es dargestellt habe in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», ist zugleich eine Anweisung dafür, daß der Mensch in der richtigen Weise unabhängig werde von den kosmischen Kräften, die aber trotzdem in ihm wirken.

Indem der Mensch sich geboren werden läßt, lebt er sich in die Erde hinein, je nachdem die Sternkonstellation ist. Aber er muß sich ausrüsten mit Kräften, die ihn in den richtigen Weise unabhängig machen von dieser Sternkonstellation.

Sehen Sie, zu solchen Erkenntnissen vom Zusammenhange des Menschen mit dem außerirdischen Kosmos muß unsere Zivilisation wieder kommen. Der Mensch muß sich wieder fühlen so, daß er weiß: In meiner Organisation wirken nicht nur die gewöhnlichen, von der heutigen Wissenschaft anerkannten Vererbungskräfte. Gegenüber dem wirklichen Tatbestand ist es zum Beispiel ein bloßer

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Unsinn, zu glauben, innerhalb der Organisation des weiblichen Organismus lägen diejenigen Kräfte, die sich dann vererben - es ist das so eine dunkle, mystische Vorstellung, dieses Vererben -, die dann sich so vererben, daß sie ein Herz, eine Leber ausbilden und so weiter. Kein Herz wäre im menschlichen Organismus, wenn nicht die Sonne eben dieses Herz eingliederte, und zwar vom Kopfe aus, und keine Leber wäre im menschlichen Organismus, wenn ihm nicht diese Leber von Venus eingegliedert würde. Und so ist es mit den einzelnen Organen des Menschen. Die hängen durchaus zusammen mit demjenigen, was außerirdisch ist. Im Gehirn des Menschen wirken die Jupiterkräfte. In der ganzen Konstitution des Menschen, insofern er seinen astralischen Leib gesund oder krank einonganisiert hat in seine physische Organisation, wirken die Saturnkräfte. Der Mensch lernt sprechen dadurch, daß die Marskräfte in ihm wirken, und im Sprechen zeigen sich die Marskräfte.

Das sind Dinge, die wiederum durchschaut werden müssen von der Menschheit. Der Mensch muß wiederum wissen, daß mit einer Wissenschaft, die nur das Irdische umfaßt, sein Wesen durchaus nicht erklärt werden kann. Dann wird man auch den Zusammen­hang des Menschen mit der Erde kennenlernen. Denn die anderen Wesenheiten, die um den Menschen herum leben, sie sind auch nicht bloß Erdenwesen. Erdenwesen sind bloß zunächst die Mine­ralien. Aber auch mit den Mineralien sind Veränderungen vor sich gegangen, welche wiederum abhängig gewesen sind von den Kräf­ten der Umgebung der Erde. So sind alle unsere Metalle, insofern sie kristallisieren, durchaus in ihnen Gestalten deshalb da, weil sie in einer gewissen Weise abhängig sind von den außerindischen Kräf­ten, weil sie gebildet worden sind, als die Erde noch nicht intensiv ihre Kräfte entwickelt hatte, sondern noch die außerirdischen Kräfte in der Erde tätig waren. Heilkräfte, die in den Mineralien, in den Metallen namentlich liegen, sie hängen mit dem zusammen, wie diese Metalle sich innerhalb der Erde, aber aus außerirdischen Kräf­ten gebildet haben.

Wir sehen, wenn wir in der nachatlantischen Entwickelung zu­rückgehen, wie da der Mensch in der ersten Zeit, als die alte indische

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Kultur blühte, durchaus ein Wesen war, das sich fühlte im ganzen Weltenall, ein Bürger des ganzen Weltenalls. Er war, wenn er auch noch nicht diejenigen Kräfte, auf die heute die Menschheit so stolz ist, entwickelt hatte, er war im wahren Sinne des Wortes Mensch. Dann wurde der Mensch mehr oder weniger abgelenkt von den außerirdischen Kräften. Aber wir sehen noch in der ganzen chal­däischen Zeit und in der ersten griechischen Zeit, wie wenigstens der Mensch hinblickte auf die Sonne. Er war noch in gewissem Sinne eine Art Amphibium, das sich freute, wenn es die Sonnenstrahlen empfing, und wenn es nicht mehr in der Dumpfheit der Erde drin­nen zu wühlen brauchte. Aus dem Menschen war ein Amphibium geworden. Jetzt ist der Mensch, indem er glaubt, daß er eigentlich nur mit den Erdenkräften zusammenhängt, man kann nicht einmal sagen ein Maulwurf, er ist eigentlich ein Regenwurm, der höchstens noch wahrnimmt, wenn ihm dasjenige, was erst von der Erde in den Weltenraum hinausgesetzt wurde, das Regenwasser, wiederum zurückkommt. Das ist das einzige, was der Mensch noch von außer-irdischen Kräften wahrnimmt. Aber das nehmen die Regenwürmer auch wahr - Sie haben das heute morgen sehen können, wenn Sie auf den Straßen gegangen sind! Der Mensch ist im Grunde heute in seinem Materialismus ein Regenwurm geworden. Er muß wiederum dieses Regenwurmwesen überwinden. Das kann er aber nur, wenn er sich dahin entwickelt, seinen Zusammenhang mit dem außerirdi­schen Kosmos zu erkennen.

Also, meine lieben Freunde, es handelt sich darum, daß wir es in unseren Zeiten dahin bringen müssen, uns aus unserer Zivilisa­tion heraus zu einem neuen Spiritualismus zu «entregenwurmen».

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VIERZEHNTER VORTRAG Dornach, 13. Mai 1921

Vielleicht haben gerade die Vorträge, die ich hier gehalten habe über das Wesen der Farben, und der Vortrag, der am letzten Don­nerstag diesen Farbenvorträgen vorangegangen ist, gezeigt, wie man an das Wesen des Menschen nur herankommen kann, wenn man ihn im Zusammenhange betrachtet mit dem ganzen Weltenall. Dahin müssen wir ja aber gelangen, wenn wir uns nach dem Wesen des Menschen fragen, aufzublicken von der Erde zu demjenigen, was außerirdisch ist. Und unsere Zeit erfordert das ganz besonders. Wir haben gesehen, wie der menschliche Intellekt immer schattenhafter und schattenhafter geworden ist, wie er eigentlich gerade durch die Entwickelung des 19. Jahrhunderts nicht mehr in der Wirklichkeit wurzelt.

Das alles weist uns darauf hin, daß der Mensch unbedingt daran denken müsse, neue Einschläge in sein Seelenleben zu bekommen. Es wird uns dies nun insbesondere noch dadurch klarwerden, daß wir heute einschlägige, einschlagende kosmische Ereignisse, die von gewissen Gesichtspunkten schon betrachtet worden sind, noch ein­mal vor unsere Seele führen wollen.

Sie erinnern sich ja und wissen es wohl auch aus der Lektüre meiner «Geheimwissenschaft», daß eines jener großen Ereignisse, die in die Erdenentwickelung hereingespielt haben, das Austreten des Mondes aus dem Erdenwesen ist. Dasjenige, was heute als Mond uns zuglänzt aus dem Weltenraum, war ja einmal mit der Erde verbun­den, hat sich von der Erde getrennt und umkreist sie des ferneren als ihr Nebenplanet.

Wir wissen, welche eingreifenden Veränderungen in der ganzen Menschenentwickelung mit diesem Austritt des Mondes aus der Erde zusammenhängen. Sie wissen, wir müssen weit zurückgehen, hinter die atlantische Flut, wenn wir zu der Zeit kommen wollen, in der eben der Mond aus dem Erdensein hinausgegangen ist.

Nun wollen wir uns heute nur dasjenige vorführen, was in bezug

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auf den Menschen und die ihn umgebenden Naturwesen auf der Erde dadurch zutage getreten ist, daß der Mond sich von der Erde getrennt hat. Wir haben es ja gesehen, daß eigentlich die verschie­den gefärbten Mineralien, also die farbigen mineralischen Körper, ihre Farben, ihre Farbigkeit im Grunde genommen auch herleiten von diesem Verhältnis des Mondes zur Erde. Dadurch sind wir gerade in die Lage gerückt worden, diese kosmischen Ereignisse zusammenzubringen mit dem künstlerischen Erfassen des Daseins. Damit hängen aber noch wichtige, sehr bedeutsame andere Dinge zusam­men. Der Mensch hat ja seine Wesenheit herübergebracht aus den vorhergehenden Metamorphosen des Erdendaseins, aus Saturn-, Sonnen- und Mondenwesen; und während er sich entwickelt hat als Saturn-, Sonnen-, Mondenwesen, gab es ja in seiner Umgebung noch kein Mineralreich. Das Mineralreich, alles Mineralische, es ist erst während der Erdenzeit aufgetreten. Und dadurch ist ja auch erst dasjenige, was wir mineralische Materie nennen, in den Menschen hereingezogen während der Erdenzeit. Der Mensch hatte nichts Mineralisches in sich in der alten Saturn-, Sonnen- und Mondenzeit. Er war auch noch nicht ein Wesen, das darauf angewiesen war, sein Dasein auf der Erde zu verbringen, sondern der Mensch war ein Wesen, das durch die Konstitution schon dem ganzen Kosmos ei­gentlich angehörte. Bevor der Mondenaustritt geschah auf der Erde, und bevor das Mineralische in seiner Farbigkeit innerhalb der Erde sich entwickelte, war der Mensch eigentlich noch gar nicht für die Erde geeignet. Wenn man sich so ausdrücken darf: Es war durchaus eine Frage der die Erdenentwickelung leitenden Geistwesen, was mit dem Menschen geschehen soll: soll er auf die Erde versetzt werden, oder soll er sein Dasein außerhalb der Erde verbringen? - Und man könnte es einen Beschluß der Wesen, welche die Menschheitsent­wickelung lenken, nennen, daß der Mond abgetrennt worden ist, dadurch aber die ganze Erde und mit ihr der Mensch verändert wurde. Dadurch, daß diese grobe Mondenmaterie ausgesondert worden ist, ist der Mensch zu derjenigen Organisation gekommen, die es ihm ermöglichte, Erdenmensch zu werden. Erdenmensch ist also der Mensch durch dieses Ereignis, durch den Austritt des

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Mondes und die Eingliederung des Mineralteiches in die Erde, ge­worden. Dadurch hat der Mensch im Grunde genommen seine Erdenschwere erhalten. Aber er wäre niemals ein der Freiheit fähiges Wesen geworden, wenn er nicht diese Erdenschwere erhalten hätte. Er war gewissermaßen vorher noch nicht richtig eine Persönlichkeit. Eine Persönlichkeit wurde er dadurch, daß sich die Kräfte, die seinen Leib bilden sollten, eben zusammenzogen. Und das taten sie durch den Mondenaustritt und durch die Eingliederung des Mineralteiches. Der Mensch wurde also eine Persönlichkeit, dadurch der Freiheit zugänglich.

Diese Entwickelung des Menschen auf der Erde bei herausgetre­tenem Monde, sie vollzog sich seit diesem Mondenaustritt durch die verschiedensten Stadien hindurch. Und man kann sagen: so lange nichts anderes geschehen war, als daß der Mond ausgetreten war, hatte der Mensch eigentlich fortwährend die Möglichkeit, aus seinem ganzen Organismus heraus, aus seinem leiblich-seelischen Wesen heraus Bilder des alten Helisehens zu haben.

Diese Fähigkeit, Bilder des alten Hellsehens zu haben, wurde dem Menschen nicht genommen durch den Mondenaustritt. Der Mensch sah die Welt in Bildern, wie wir das ja oftmals beschrieben haben. Wäre nichts anderes geschehen, der Mensch würde bis heute in dieser Bilderwelt leben. Allein wir wissen ja, die Entwickelung ist weiter vorwärtsgeschritten. Der Mensch ist nicht so geblieben, daß er nur an die Erde gefesselt ist. Der Mensch ist gewissermaßen wieder zu einer Rückentwickelung veranlaßt worden, und für diese Rück­entwickelung hat eigentlich im 19. Jahrhundert sich der Höhepunkt vollzogen. Ich habe es in den letzten Vorträgen wiederholt charak­terisiert. Aber schon in alten Zeiten ist ja das eingetreten, daß der Mensch gewissermaßen, wenn er nun auch als Stoffwechselmensch erdenschwer geworden ist, doch wiederum als Kopfmensch, man könnte sagen, zum kosmischen Dasein befähigt wurde. Der Mensch entwickelte seinen Intellekt. In diesen Intellekt hinein verdichteten sich die Bilder des alten Heilsehens noch bis in das 4. nachchristliche Jahrhundert. Dann erst wurde, und namentlich seit dem 15. Jahr­hundert, der menschliche Intellekt immer schattenhafter und schattenhafter.

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Dieser menschliche Intellekt hat nunmehr überhaupt, trotzdem er ein ganz Geistiges im Menschen ist, kein Sein eigentlich; er hat nur etwas, was im Grunde genommen ein Bildsein ist. Wenn der Mensch heute bloß durch seinen Verstand denkt, so wurzeln diese Gedanken nicht in der Wirklichkeit. Diese Gedanken bewegen sich nur in einem Schattendasein. Und immer mehr und mehr be­wegen sich die menschlichen Gedanken in einem Schattendasein. Und das ist am stärksten geworden im 19. Jahrhundert. Und heute fehlt dem Menschen durchaus der Wirklichkeitssinn. Der Mensch lebt in einem geistigen Elemente, ist aber Materialist. Mit seinen geistigen Gedanken, die aber nur Schattengedanken sind, denkt er nur das materielle Dasein.

So ist dieses zweite Ereignis eingetreten. Der Mensch ist wieder geistiger geworden; aber dasjenige, was ihm früher die Materie ge­geben hat an geistigen Inhalten, das durchseelt ihn nicht mehr. Er ist geistiger geworden, aber er denkt durch sein Geistiges nur das Materielle.

Nun wissen Sie ja, daß der Mond einstmals sich wiederum mit der Erde vereinigen wird. Dieser Zeitpunkt, wo der Mond sich wiederum mit der Erde vereinigen wird, der wird von den in der Abstraktion lebenden Astronomen und Geologen ja Jahrtausende weit hinausgeschoben; das ist aber nur ein Wahn. In Wirklichkeit stehen wir dem Zeitpunkt gar nicht sofern. Sie wissen ja, die Mensch­heit als solche wird immer jünger und jünger. Sie wissen, daß die Menschen immer mehr und mehr dazu kommen, ihre leiblich-seeli­sche Entwickelung nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkte zu haben. In der Zeit von Christi Tod, als das Ereignis von Golgatha stattfand, waren die Menschen bis zum dreiunddreißigsten Jahr im allgemeinen leiblich-seelisch entwickelungsfähig. Heute sind sie es nurmeht bis zum siebenundzwanzigsten Jahre. Und es wird eine Zeit kommen im 4. Jahrtausend, da werden die Menschen nur bis zum einundzwanzigsten Jahre noch entwickelungsfähig sein. Dann wird eine Zeit kommen im 7. Jahrtausend, da werden die Menschen nur bis zum vierzehnten Jahr noch entwickelungsfähig sein durch ihre Leiblichkeit. Die Frauen werden dann aufhören, fruchtbar zu

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sein; es wird eine ganz andere Art und Weise des Erdenlebens ein­treten. Es wird die Zeit sein, in der der Mond sich der Erde wiederum nähert, sich der Erde wiederum eingliedert.

Sehen Sie, meine lieben Freunde, auf solche außerirdischen Er­eignisse muß der Mensch gegenwärtig anfangen zu sehen. Er muß nicht nur im allgemeinen abstrakt von irgendeinem Göttlichen träumen, sondern er muß die Ereignisse, die mit seiner Entwicke­lung zusammenhängen, ins Auge fassen. Er muß wissen: der Mond ist einmal von der Erde ausgetreten; der Mond wird wiederum in die Erde eintreten. Und so, wie es ein einschlagendes Ereignis war, dieser Mondenaustritt, so wird es ein einschlagendes Ereignis sein, dieser Mondeneintritt. Wir als Menschen werden die Erde allerdings dann noch bevölkern, aber wir werden nicht mehr in der gewöhnlichen Weise geboren werden, wir werden in einer anderen Weise als durch die Geburt mit der Erde verbunden sein. Aber wir werden uns bis dahin in einer gewissen Weise entwickelt haben. Und wir müssen dasjenige, was jetzt geschieht, das Schattenhaftwerden des Intel­lektes, das müssen wir in Zusammenhang bringen mit dem, was ein­mal als ein einschlägiges Ereignis in der Erdenentwickelung kommen wird: das wiederum Hereinschwirren des Mondes in die Erdenma­terie.

Schattenhafter und immer schattenhafter wird unser Intellekt. Würde das so fortgehen, würde sich die Menschheit nicht entschlie­ßen, dasjenige, was aus geistigen Welten herauskommen kann, in sich aufzunehmen, dann würde eben der Mensch nach und nach in der Schattenfarbe seines Intellekts immer mehr ünd mehr aufgehen.

Denken Sie einmal daran, was dieser schattenhafte Intellekt eigentlich nur enthält. Dieser schattenhafte Intellekt kann ja das menschliche Wesen selber nicht verstehen. Er versteht die Minera­lien. Das ist schließlich das einzige, was dieser schattenhafte In­tellekt bis zu einem gewissen Grade verstehen kann. Schon das Leben der Pflanze bleibt ihm ein Rätsel, das Leben der Tiere bleibt ihm erst recht ein Rätsel, und sein eigenes Leben wird völlig un­durchsichtig. So gestaltet sich der Mensch Bilder von der Welt, die aber eigentlich nur eine Weltfrage sind, die eigentlich nur, man

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möchte sagen, etwas enthalten, was an das eigentliche Wesen von Pflanze, Tier und insbesondere des Menschen nicht herantritt. Dieses Bildergestalten wird immer weiter und weiter fortgehen, wenn der Mensch sich nicht entschließen würde, dasjenige anzu­nehmen, was ihm überliefert wird von Imaginationen, von neuen Imaginationen, durch die ihm das Weltendasein geschildert wird. In die schattenhaften Verstandesbegriffe und in die schattenhaften in­tellektuellen Vorstellungen muß aufgenommen werden dasjenige, was an lebendiger Weisheit die Geisteswissenschaft geben kann. Dadurch müssen die Schattenbilder des Verstandes belebt werden.

Dieses Beleben der Schattenbilder des Verstandes ist aber nicht nur ein menschliches Ereignis, es ist ein kosmisches Ereignis. Er­innern Sie sich an dasjenige, was ich in meiner «Geheimwissenschaft» dargestellt habe, daß da einmal die Menschenseelen hinaufgewandert sind zu den Planeten und wiederum heruntergekommen sind ins Erdendasein. Ich habe es in meiner «Geheimwissenschaft» dargestellt, wie nacheinander die Mars-, Jupiter- und so weiter Men­schen wiederum herunterkamen auf die Erde. Sehen Sie, es ist ein bedeutsames Ereignis vorgegangen - man kann das nur schildern aus den Tatsachen, die einem in der geistigen Welt bewahrheitet werden -, es ist ein bedeutsames Ereignis vorgegangen am Ende der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts. Während in der alten atlan­tischen Zeit diese Menschen von Saturn, Jupiter, Mars und so weitet auf die Erde heruntergekommen sind, während da also die mensch­lichen Seelenwesen das Erdendasein bezogen haben, beginnt jetzt eine Zeit, in der andere Wesen, die nicht Menschen sind, aber die zur weiteren Entwickelung ihres Daseins darauf angewiesen sind, auf die Erde zu kommen und auf der Erde mit Menschen in ein Verhält­nis zu treten, in der solche Wesen von den außerirdischen Weltengebieten auch herunterkommen. Seit dem Ende der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts wollen in das Erdendasein herein überirdische Wesenheiten. So wie die Vulkanmenschen die letzten waren, die sich hier auf die Erde herunterbegeben haben, so begeben sich Vulkanwesen tatsächlich jetzt in das Erdendasein herein. Wir haben im Erdendasein schon überirdische Wesenheiten. Und diesem Umstand,

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daß überirdische Wesenheiten die Botschaften herunter­bringen in dieses irdische Dasein, diesem Umstande ist zu verdan­ken, daß wir überhaupt eine zusammenhängende Geisteswissen­schaft haben können.

Aber im ganzen, wie benimmt sich das Menschengeschlecht? Das Menschengeschlecht benimmt sich in einer, man möchte sagen, kosmisch-rüpelhaften Weise gegen diese aus dem Kosmos, auf der Erde allerdings erst langsam, aber eben doch erscheinenden We­senheiten. Es kümmert sich nicht um sie, es ignoriert sie, dieses Menschengeschlecht. Und das ist dasjenige, was die Erde in immer tragischere und tragischere Zustände bringen wird; denn unter uns werden im Laufe der nächsten Jahrhunderte immer mehr und mehr Geistwesen wandeln, deren Sprache wir verstehen sollten. Und wir verstehen sie nur, wenn wir dasjenige zu verstehen suchen, was von ihnen kommt: den Inhalt der Geisteswissenschaft. Das wollen sie uns geben, und sie wollen, daß im Sinne der Geisteswissenschaft gehandelt werde, daß umgesetzt werde die Geisteswissenschaft in die soziale Handlungsweise des Erdendaseins.

Wir haben es wirklich zu tun seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mit einem Hereindringen von geistigen Wesen aus dem Weltenall, zunächst von solchen Wesenheiten, die in der Sphäre zwischen Mond und Merkur wohnen, die aber durchaus, ich möchte sagen, schon hereinstürmen ins Erdendasein und versuchen im Erdendasein dadurch Fuß zu fassen, daß die Menschen sich er­füllen mit dem Gedanken an die geistigen Wesenheiten des Welten-alls. So kann man es auch schildern, was ich vorhin schilderte, daß wir unseren schattenhaften Intellekt mit den Bildern der Geistes­wissenschaft beleben müssen. So schildert man es abstrakt. Konkret schildert man es, wenn man sagt: Geisteswesen wollen herunter ins irdische Dasein, und sie sollen empfangen werden. Erschütterung über Erschütterung wird es geben, und zuletzt müßte das Erden-dasein in das soziale Chaos einmünden, wenn diese Wesenheiten herunterkommen und das Menschendasein nur Opposition gegen das Herunterkommen dieser Wesenheiten wäre. Nichts anderes wollen ja diese Wesenheiten, als die Vorposten sein für dasjenige,

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was mit dem Erdendasein geschehen wird, wenn der Mond sich wiederum mit der Erde vereinigen wird.

Sehen Sie, heute kann es den Menschen verhältnismäßig noch harmlos erscheinen, wenn sie nur diejenigen Gedanken ausdenken, automatische, leblose Gedanken, welche entstehen, wenn man er­faßt die mineralische Welt und das Mineral an Pflanzen, das Mineral an Tieren, das Mineral am Menschen. Ich möchte sagen, an diesen Gedanken, an denen laben sich heute die Menschen, mit denen fühlen sie sich als Materialisten wohl, denn nur sie werden heute gedacht. Aber bedenken Sie einmal, die Menschen dächten so fort, die Menschen würden wirklich nichts anderes ausbilden als solche Gedanken, bis zu dem Zeitpunkte, wo im 8. Jahrtausend das Mon­dendasein wiederum sich mit dem Erdendasein vereinigt, was würde dann entstehen? Ja, die Wesenheiten, von denen ich gesprochen habe, sie werden nach und nach auf die Erde herunterkommen, Vulkanwesenheiten, vulkanische Übermenschen, Venus-Übermen­schen, Merkur-Übermenschen, Sonnen-Übermenschen und so weiter werden sich mit dem Erdendasein vereinigen. Aber wenn die Men­schen fortfahren, ihnen bloß Opposition zu machen, so wird das Erdendasein in ein Chaos im Laufe der nächsten Jahrtausende über­gehen. Die Erdenmenschen werden ihren Intellekt ja weiter automa­tisch entwickeln können; der kann sich auch innerhalb der Barbarei entwickeln; aber das Vollmenschentum wird nicht hineingezogen sein in diesen Intellekt, und die Menschen werden keine Beziehung haben zu denjenigen Wesenheiten, die sich ihnen hinunterneigen wollen ins Erdendasein herein. Und alle diejenigen Wesen, welche nun vom Menschen unrichtig gedacht werden, die Wesen, welche unrichtig gedacht werden aus dem Grunde, weil der bloße schatten­hafte Intellekt nur das Mineralische, ich möchte sagen das grob Materielle im Mineralteich, im Pflanzen-, im Tierreich und sogar im Menschenreich denkt, diese Gedanken der Menschen, die keine Wirklichkeit haben, die bekommen mit einem Schlage Wirklichkeit, wenn der Mond sich mit der Erde vereinigt. Und aus der Erde wird aufsprießen ein furchtbares Gezücht von Wesenheiten, die in ihrem Charakter zwischen dem Mineralreich und dem Pflanzenreich drinnenstehen

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als automatenartige Wesen mit einem überreichlichen Verstande, mit einem intensiven Verstande. Mit dieser Bewegung, die über der Erde Platz greifen wird, wird die Erde überzogen werden wie mit einem Netz, einem Gewebe von furchtbaren Spin­nen, Spinnen von einer riesigen Weisheit, die aber in ihrer Organisa­tion nicht einmal bis zum Pflanzendasein heraufreichen, furchtbare Spinnen, die sich ineinander verstricken werden, die in ihren äuße­ren Bewegungen alles das imitieren werden, was die Menschen aus-dachten mit dem schattenhaften Intellekt, der sich nicht anregen ließ von demjenigen, was durch eine neue Imagination, was über­haupt durch Geisteswissenschaft kommen soll. All dasjenige, was die Menschen an solchen Gedanken denken, die irreal sind, das wird wesenhaft. Die Erde wird überzogen sein, wie sie jetzt mit einer Luftschicht überzogen ist, wie sie sich manchmal mit Heuschrecken-schwärmen überzieht, mit furchtbaren mineralisch-pflanzlichen Spinnen, die sehr verständig, aber furchtbar bösartig sich inein­anderspinnen. Und der Mensch wird, insoweit er nicht seine schat­tenhaften intellektuellen . Begriffe belebt hat, statt sein Wesen mit den Wesen, die heruntersteigen wollen seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, zu vereinigen, er wird sein Wesen mit diesen furchtbaren mineralisch-pflanzlichen Spinnengetieren vereinigen müssen. Er wird selber zusammenleben mit diesen Spinnentieren, und er wird sein weiteres Fortschreiten im Weltendasein suchen müssen in derjenigen Entwickelung, die dann annimmt dieses Spin­nengetier.

Sehen Sie, das ist dasjenige, was durchaus in der Realität der Erdenmenschheitsentwickelung liegt, und was von einer großen An­zahl derjenigen Menschen, die die Menschheit zurückhalten von der Aufnahme geisteswissenschaftlicher Erkenntnisse, heute durchaus gewußt wird. Denn es gibt auch solche, welche durchaus die bewuß­ten Verbündeten des Verspinntwerdens des Erdenmenschendaseins sind. Man muß sich heute nicht mehr abschrecken lassen von Schil­derungen dieser Art. Denn Schilderungen dieser Art, sie stecken hinter dem, was viele Menschen heute noch sagen, die aus alten Traditionen heraus noch irgendein Bewußtsein von solchen Dingen

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haben, die die alten Überlieferungen haben, und die diese alten Überlieferungen mit einem gewissen Schleier des Geheimnisses umgeben möchten. Unsere Erdenmenschheitsentwickelung ist nicht so, daß sie weiterhin mit dem Schleier des Geheimnisses überzogen werden darf; und wenn die Widerstände noch so groß sind von feindlicher Seite, die Dinge müssen gesagt werden, denn es ist, wie ich immer wieder und wiederum sage, ein Ernstes, was als Angele­genheit der Menschheit vorgelegt ist in der Annahme oder in der Ablehnung der geisteswissenschaftlichen Erkenntnisse. Da hat man es nicht mit irgend etwas zu tun, aus dem heraus Entschlüsse ge­faßt werden könnten, die nur mit einer gleichgültigen Sympathie oder Antipathie zusammenhängen könnten, sondern da hat man es mit etwas zu tun, was durchaus eingreift in das ganze Gefüge des Kosmos, da hat man es damit zu tun, ob die Menschheit sich ent­schließen will in der gegenwärtigen Zeit, allmählich hineinzuwach­sen in dasjenige, was ihr gute Geister, die sich mit den Menschen verbinden wollen, aus dem Weltenall heruntertragen, oder aber ob die Menschheit in dem Spinnengezücht der eigenen, bloß schatten-haften Gedanken, im Verstricktwerden, das weitere kosmische Da­sein suchen will. Es genügt heute nicht, daß man bloß in abstrakten Formeln die Notwendigkeit geisteswissenschaftlicher Erkenntnisse hinz eichnet, sondern es ist heute notwendig, daß man zeigt, wie Gedanken Wirklichkeiten werden. Das ist dasjenige, was so schreck­lich ist bei allen abstrakten Theosophen, die auftreten, daß sie solche Abstraktionen hinstellen vor die Menschen, wie: Gedanken werden später Wirklichkeiten -, aber es ihnen nicht einfällt, die volle Trag­weite, die konkrete Tragweite der Sache hinzustellen. Und diese konkrete Tragweite der Sache ist diese, daß die intellektuellen, schat­tenhaften Gedanken, die von den Menschen heute innerlich gespon­nen werden, daß die einstmals als ein Spinnengewebe die Erde über­ziehen werden, und daß die Menschen verstrickt werden in dieses Spinnengewebe, wenn sie sich nicht erheben wollen von diesen schattenhaften Gedanken.

Und der Weg des Erhebens, meine lieben Freunde, er ist einmal vorgezeichnet. Wir müssen durchaus solche Dinge tief ernst nehmen

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wie den Gedanken, mit dem ich meine Farbenvorträge geschlossen habe letzten Sonntag, wo ich gesagt habe, es handelt sich darum, daß die Erkenntnis der Farbe herausgeholt werde aus der abstrakten Physik, daß wirklich die Erkenntnis der Farbe heraufgeholt werde in ein Gebiet, wo durchaus zusammenwirkt die Phantasie, die Empfin­dung des Künstlers, der das Farbenwesen begreift, und ein geistig­wissenschaftliches Hineinschauen in die Welt. Wir haben gesehen, wie die Farbenwesen und das Farbenwesen ergriffen werden können, wie man heraufheben kann dasjenige, was die Physik hinunter­stürzt ins Ahrimanische mit ihren schrecklichen Zeichnungen, wie das Künstlerische heraufgehoben wird, so daß tatsächlich eine Far­benlehre begründet werden kann, die allerdings weit weg liegt von den Denkgewohnheiten der heutigen Wissenschaft, die aber durch­aus eine Grundlage sein kann für das künstlerische Schaffen, wenn der Mensch sich damit durchdringt. Solche Gedanken müssen durch­aus ernst genommen werden.

Und ein anderer Gedanke muß ernst genommen werden. Was erleben wir heute in der ganzen zivilisierten Welt? Unsere jungen Leute werden in die Kliniken und an die naturwissenschaftlichen Fakultäten geschickt; da wird ihnen der Mensch erklärt. Sie lernen das menschliche Knochensystem und den Menschen überhaupt in seiner Organisation durch die Leiche kennen. Sie lernen den mensch­lichen Organismus in abstrakten Gedanken logisch aufbauen.

Aber, meine lieben Freunde, so lernt man den Menschen nicht kennen, so lernt man nur das Mineralische am Menschen kennen. Einzig und allein lernt man am Menschen kennen durch diese Wis­senschaft, was eine Bedeutung hat vom Mondenaustritt bis zur Mondenzurückkunft, und was sich verwandelt in Spinnenwesen, aus Spinnengedanken der Gegenwart. Vorbereitet muß werden eine Erkenntnis, welche den Menschen anders erfaßt, und die kann nur vorbereitet werden, wenn Wissenschaft heraufgehoben wird in künstlerisches Anschauen, wenn man einmal gesteht: Ja, bis zu einem gewissen Punkte kann die Wissenschaft, wie sie heute ge­meint ist, kommen: bis zu dem Mineralischen im Mineralteiche, im Pflanzenreich, im Tierreiche, im Menschenreiche. Aber schon im

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Pflanzenreich muß die Wissenschaft sich umwandeln in Kunst, noch mehr im Tierreiche. Eine Tierform so begreifen wollen, so verstehen wollen, wie es die Anatomen oder Physiologen tun - Unsinn! Und ehe man nicht sich gesteht, daß dieses Unsinn ist, eher kann der schattenhafte Verstand sich nicht in lebendiges Geist-Erfassen der Welt umwandeln. Es muß dasjenige, was heute in einer so trostlos abstrakten Form unseren jungen Leuten gelehrt wird, wenn sie an die Universitäten kommen, überall auslaufen in künstlerisches Erfassen. Denn dasjenige was uns als Natur umgibt, schafft künst­lerisch. Und ehe man nicht verstehen wird, daß dasjenige, was uns in der Natur rings umgibt, künstlerisches Schaffen ist und nur mit künstlerischen Begriffen erfaßt werden kann, kann kein Heil in unsere Weltanschauung hineinkommen. Die Vorstellung sollte Platz greifen, daß die Folterkammern in den mittelalterlichen Schlössern, wo man die Leute in die «eiserne Jungfrau» hineingetan und sie dann mit Spießen durchdrungen hat, nur an eine physisch etwas anschau­lichere Prozedur erinnern, die aber dieselbe Prozedur ist, die man vollzieht, wenn man dem jungen Menschen unserer Zeit Anatomie und Physiologie vorführt und dabei sagt, damit verstünde er etwas vom Wesen des Menschen. Nein, nichts versteht er, als etwas, was durch ein geistig-seelisches Folterelement erzeugt worden ist: Den zeffleischten Menschen, den mineralisierten Menschen versteht er, dasjenige vom Menschen, das einstmals in den Spinnenüberzug der Erde hineinverwoben sein wird.

Ist es nicht hart, daß die Macht der Zivilisation heute bei den­jenigen ist, welche die wahrsten Gedanken, dasjenige, was im Inner­sten und Intimsten zusammenhängt mit dem Heile derMenschheits­entwickelung, mit der ganzen Mission der Menschheitsentwickelung in der Welt, anschauen wie etwas, was eine Narretei ist! Es ist tra­gisch, und man muß sich diese Tragödie vor Augen stellen. Denn nur wenn man sich diese Tragödie ganz anschaulich vor das Seelen-auge stellt, wird man vielleicht sich aufraffen zu einem wirklichen Entschluß, so viel man kann, an diesem Platze einzutreten dafür, daß der schattenhaft gewordene Intellekt die Möglichkeit finde, die aus dem Überirdischen hereintretende Geisteswelt hereinzulassen,

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so daß dieser schattenhafte Intellekt für dasjenige geeignet gemacht wird, in das er eintreten soll. Dieser schattenhafte Intellekt soll ja nicht zurückgestoßen werden ins Unterpflanzliche, in das Spinnen­gezücht, das sich über die Erde verbreitet, sondern es soll der Mensch hinaufgehoben werden, wenn einstmals die Frauen nicht mehr fruchtbar sein werden, wenn das 8. Jahrtausend eingetreten sein wird, wenn der Mond sich wieder mit der Erde vereinigen wird. Es soll dann zurückbleiben das Irdische, das der Mensch nur von außen zu dirigieren hat wie den Fußschemel, dasjenige, was er nicht in das kosmische Dasein mit hinüberzunehmen hat. Es soll der Mensch sich vorbereiten, daß er nicht eins zu werden braucht mit dem, was sich einst auf diese Weise auf der Erdobeffläche entwickeln muß. Denn so wie der Mensch hereingezogen ist aus vorirdischem Dasein in dieses irdische Dasein, wie mit dem Mondenaustritt die physische Geburt, das Geborenwerden des Menschen vom Weibe eingetreten ist, so wird wiederum eintreten dasjenige, was ein nicht mehr Gebo­renwerden des Menschen durch das Weib ist, denn das ist nur eine vorübergehende Episode in der ganzen kosmischen Entwickelung; das ist diejenige Episode, die dem Menschen das Freiheitsgefühl, das Freiheitsbewußtsein, die Geschlossenheit der Individualität und Persönlichkeit bringen soll, eine Episode, die nicht verachtet werden darf, eine Episode, die notwendig war im ganzen kosmischen Fort-gang, aber es ist etwas, was nicht festgehalten werden darf. Und der Mensch darf nicht sich der Bequemlichkeit hingeben, auf ein bloß abstraktes Göttliches hinzuschauen, sondern er muß in Konkretheit schauen dasjenige, was mit seiner Entwickelung zusammenhängt. Er kann nur dadurch zu einer wirklichen inneren Belebung seines ganzen Geist-Seelenwesens kommen, daß er diesen großen Zeit­raum, aber in seiner konkreten Entwickelungsgestaltung, erfaßt, durch den er in seine aufeinanderfolgenden Erdenleben übergeht.

Das ist dasjenige, was uns heute wirkliche Geisteswissenschaft sagt. Es stoßen eben die Dinge zusammen. Es droht heute der Wille, ausgestoßen zu werden von der Geistigkeit, mit dem Spinnennetz der Erde vereinigt zu werden; dieser Wille lebt bewußt in einzelnen Menschen, weil diese glauben, ihre Rechnung dabei zu finden,

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wenn sie selber sich nur geistig erziehen und die anderen in Unwis­senheit lassen. Bei den meisten aber ist die Sache so, daß sie unwis­send dahinleben, daß sie im Grunde genommen ja nicht ahnen, welchem furchtbaren Erdenschicksale sie entgegengehen, indem sie sich verbinden mit demjenigen, was eine ältere Geisteswissenschaft die sechzehn Wege des menschlichen Verderbens nannte. Denn, meine lieben Freunde, so wie es mannigfaltige Wege gibt, sich mit dem schattenhaften Verstande zu wenden an dasjenige, was als Kunde, als Botschaft von der geistigen Welt kommen kann, so gibt es natürlich Variationen, Varianten des schattenhaften Verstandes, um sich mit dem Spinnenkrustenwesen, das in der Zukunft die Erde umspinnen wird, zu verbinden durch diese Verstandestätigkeit. Der Verstand wird dann objektiv walten in den verschiedenen Glied­maßen, welche dieses Spinnengetier haben wird, die sich ineinander-weben werden, die sich umschlingen werden, und die in diesem Umschlingen, in diesen gegenseitigen merkurstabartigen Umschlin­gungen die wunderbarsten, klügsten, geistreichsten - im Sinne des heutigen Wortes geistreich - Gestaltungen hervorrufen werden. Aber dadurch, daß der Mensch wiederum dazu kommt, das Künst­lerische von innen heraus zu verstehen, wird er ein Verständnis ent­gegenbringen können demjenigen, was übermineralisch ist, dem­jenigen, was in der Gestaltung der Pflanze sich auslebt.

Sehen Sie einmal, wie es symptomatisch ist im Werdegang der Menschheit, daß Goethe die Metamorphosenlehre gefunden hat, er, der künstlerisch veranlagt war. Alle die Pedanten, die ringsherum waren, haben ja das für einen Dilettantismus angesehen, und die Pedanten sehen es heute noch für einen Dilettantismus an. In Goethe aber hat sich verbunden die künstlerische Anschauung der Welt, überhaupt der klare Sinn, auch mit demjenigen Anschauen, das in der Natur schon selber die Natur als Künstlerisches sieht. Er war noch nicht so weit, das Tierische weiter als nur in der Gestaltung der Wirbelknochen, der Schädelknochen gerade noch sehen zu kön­nen. Jene wunderbare Umgestaltung eines vorigen Daseins des Menschen, welche die übrige Körperlichkeit bildet zu der Hauptes-gestalt, dieses wunderbare künstlerische Umgestalten der Längsknochen

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in die kugelförmigen Knochen, das ist dasjenige, was, wenn es wirklich durchschaut wird, erst abgibt ein wirkliches inneres Durchdringen des Unterschiedes der ganzen übrigen Menschen­gestalt vom Haupte. Das muß man haben, wenn man angliedern will plastisch das menschliche Haupt an den übrigen menschlichen Organismus.

Das ist aber zugleich als Kunst die wahre Wissenschaft, denn alle Wissenschaft, die sich nicht bis zu dieser Kunst erhebt, ist trüge­rische Wissenschaft, ist eine Wissenschaft, welche den Menschen ins kosmische Unglück stürzt. So daß wir in der Tat sehen, wie auf der einen Seite eine wirkliche Geisteswissenschaft hinweist zu einem künstlerischen Erfassen. Es lebte, ich möchte sagen hymnenartig, in Goethes Seele, als er schon etwa 1780 seinen Prosahymnus «Die Natur» hinschrieb: «Natur, wir sind von ihr umgeben und um­schlungen... » Das ganze webt ein solches Vorstellungsgewebe, daß man sagen möchte, es ist wie die Entwickelung einer Sehnsucht, Geistwesen aus dem ganzen All aufzunehmen. Ja, die Fortbildung dieser Gedanken, die in diesem Goetheschen Prosahymnus «Die Natur» leben, die Fortbildung dieser Gedanken würde eine Stätte abgeben für diejenigen Wesenheiten, die aus dem außerirdischen Kosmos herunter möchten. Dasjenige aber, was ausgebildet worden ist im Laufe des 19. Jahrhunderts, diese furchtbaren Folterbegriffe von menschlicher Physiologie, Biologie, von Pflanzensystemen und so weiter, die im Grunde genommen nichts zu tun haben mit dem­jenigen, was wirkliches Pflanzenwesen ist, worauf wir wiederum hindeuten konnten bei unserer Farbenbettachtung, alle diese un­künstlerischen Begriffe, sie sind dasjenige, was keine Erkenntnis geben kann, was nicht an den Menschen herandringen kann. Daher ist im wesentlichen dasjenige, was heute als Wissenschaft angesehen wird, ein Ahrimanprodukt, etwas, was den Menschen hineinführt in das irdische Verderben, was ihn nicht kommen läßt in diejenige Sphäre, die ihm, ich möchte sagen, entgegengetragen wird seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts von außerirdischen Wesenheiten.

Geisteswissenschaft pflegen, meine lieben Freunde, ist nicht bloß irgend etwas Abstraktes, Geisteswissenschaft pflegen, heißt

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zugleich Tore aufmachen für außerirdische Einflüsse, die vom letz­ten Drittel des 19.Jahrhunderts an auf die Erde herein wollen. Es ist ein reales kosmisches Ereignis, Geisteswissenschaft pflegen; dessen sollen wir uns nur bewußt werden.

So können wir sagen: wir überblicken den Zeitraum vom Mon­denaustritt bis wiederum zu der Mondenzurückkunft. Dieser Mond, der uns das Sonnenlicht, wie wir sagen, reflektiert, hat also eigent­lich eine tiefe Beziehung zu unserem Dasein. Er hat sich von der Erde getrennt, damit der Mensch auf der Erde frei werden kann. Aber der Mensch soll diese Zeit anwenden, um dem Monde nicht zu liefern das Material, das zusammengebunden werden kann mit dem Mondendasein innerhalb der Erde, wenn der Mond wiederum zu­rückgekehrt sein wird, in jenem neuen Naturreiche, von dem ich Ihnen jetzt einiges dargestellt habe in einer einigermaßen anschau­lichen Form.

Man kann sagen, es tritt manchmal heute im Menschen schon irgendeine Vorahnung auf von dem, was da sein wird. Ich weiß nicht, mit welchem Sinne die Menschen dasjenige gelesen haben, was Nietzsche in seinem «Zarathustra» schildert in dem Kapitel über den häßlichsten Menschen im Tale des Todes. Es ist eine ergreifende tragische Schilderung. Nietzsche hat natürlich keine Anschauung gehabt von jenem Tal des Todes, in das das Erdendasein verwandelt werden wird, wenn dieses Spinnengezücht, von dem ich gesprochen habe, die Erde bedecken wird. Aber in derjenigen Zeit, in der die Phantasie in Nietzsche entstanden ist von diesem Tal des Todes, lebte eben unterbewußt in ihm durchaus etwas von diesem Zu­kunftsbilde, und er versetzte in dieses Tal des Todes dann den häß­lichsten Menschen. Es ist das etwas wie eine Vorahnung, wie die Menschen einmal, wenn sie nur ihre schattenhaften Gedanken weiterpflegen werden, als häßlichste Gestalten mitgenommen werden von dem auf die Erde heruntetsinkenden Mondendasein, um als häßlichste Menschen hineinzufallen in diesen Spinnen-schwarm und mit ihm vereinigt zu werden.

Was würde es denn nützen, diese Dinge heute geheim zuhalten, was viele wollen? Es würde heißen, den Menschen Sand in die Augen

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streuen. Ein großer Teil desjenigen, was heute als Geistigkeit ver­breitet wird, heißt ja im Grunde genommen nichts anderes, als den Menschen Sand in die Augen streuen. Man trifft zuweilen Menschen, welche es einsehen, was es heißt, den Menschen Sand in die Augen zu streuen, kein einziges historisches Ereignis so aufzufassen, wie es in Wirklichkeit ist. Wie viele Menschen sind denn heute, die wissen, daß sich in unseren Tagen Ereignisse von fundamentaler Bedeutung zutragen. Ich habe auf solche Dinge schon aufmerksam gemacht. Wie viele Menschen wollen eingehen auf solche Dinge? Die Men­schen möchten die Augen verschließen vor diesen Dingen, möchten sagen: Nun, die Dinge haben doch nicht diese Bedeutung. Aber die Zeichen sind eben durchaus da, und die Zeichen sollten von den Menschen verstanden werden.

Das ist dasjenige, meine lieben Freunde, was ich noch habe hin­zufügen wollen zu meinen Betrachtungen über die Farbenwelt und über den Zusammenhang des Menschen mit dem außerirdischen Kosmos. Wir werden solche Betrachtungen in der Zukunft fortsetzen.

FÜNFZEHNTER VORTRAG Dornach, 2. Juni 1921

#G204-1979-SE254 Perspektiven der Menschheitsentwickelung

#TI

FÜNFZEHNTER VORTRAG

Dornach, 2. Juni 1921

#TX

Ich habe wiederholt in diesen veffiossenen Wochen über den großen Umschwung gesprochen, der sich in der abendländischen Zivilisa­tion vollzogen hat innerhalb des 4. nachchristlichen Jahrhunderts. Wenn eine solche Sache besprochen wird, dann muß man immer wieder auf etwas hinweisen, das ja auch oftmals schon hier den Gegenstand der Betrachtungen gebildet hat, das aber immer wieder notwendig ist ins Auge zu fassen; ich meine die stark voneinander seelisch sich unterscheidenden Metamorphosen der menschlichen Entwickelung. Wenn man von einem solchen Hauptpunkte in der menschlichen Entwickelung spricht, wie er fällt in das 4. nachchrist­liche Jahrhundert, so muß man eben aufmerksam darauf sein, daß das seelische Leben der Menschen sich ja gewissermaßen mit einem Sprung geändert hat. Diese Ansicht hat man ja heute eben nicht. Man hat heute schon einmal die Ansicht: Nun, das Menschenge­schlecht hat eine Geschichte durchgemacht, die verfolgt man zurück, sagen wir etwa bis in das 3., 4. Jahrtausend nach den neuesten Urkunden; dann folgt lange, wenn man zurückgeht, nichts, bis man zu den ganz noch tierisch-menschlichen Zuständen gelangt. Aber für die Zeit der geschichtlichen Entwickelung denkt man, die Men­schen haben eben im wesentlichen immer so gedacht, so emp­funden, wie sie heute empfinden, höchstens daß sie früher auf einer kindlichen Stufe des wissenschaftlichen Lebens gestanden, und daß sie sich endlich zu dem hindurchgerungen haben, von dem wir heute sagen, wie herrlich weit wir es in der Erkenntnis der Welt ge­bracht haben. Nun, eine einigermaßen unbefangene Betrachtung des menschlichen Lebens spricht allerdings von dem Gegenteil, und ich mußte Ihnen ja schildern, wie ein gewaltiger Umschwung da war im 4. nachchristlichen Jahrhundert, wie dann der andere Um­schwung im ganzen menschlichen Seelenleben da war im Beginn des 15. Jahrhunderts, und wie auch im 19. Jahrhundert eine Wendung im menschlichen Seelenleben sich abgespielt hat.

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Wir wollen heute, ich möchte sagen, eine Art Detail dieser ganzen Entwickelung betrachten. Ich möchte heute zunächst eine Persönlichkeit vor Sie hinstellen, die so recht zeigt, wie Menschen in verhältnismäßig gar nicht weit zurückliegenden Zeitaltern eben anders gedacht haben, als man heute denkt. Die Persönlichkeit, die ja auch in früheren Vorträgen schon erwähnt worden ist, soll sein die des im 9. nachchristlichen Jahrhundert am Hofe Karis des Kahlen in Frankreich lebenden Johannes Scotus Erigena. Johannes Scotus Eri­gena, der drüben, jenseits des Kanals, seine Heimat hatte, etwa im Jahre 815 geboren ist und bis weit in die zweite Hälfte des 9. Jahr-hunderts hinein gelebt hat, er ist eine Persönlichkeit, die eigentlich so recht die intimere christliche Denkweise des 9. nachchristlichen Jahrhunderts darstellt, aber diejenige Denkweise, die noch ganz unter den Nachwirkungen der ersten christlichenJahrhunderte steht. Johannes Scotus Erigena war offenbar durchaus beflissen gewesen, sich zu vertiefen in dasjenige, was die gewöhnliche Gelehrten- und theologische Bildung seiner Zeit war. Beide fielen ja in seiner Zeit zusammen, die Gelehrten- und die theologische Bildung. Und diese Gelehrten- und theologische Bildung konnte man sich ja am besten aneignen drüben, jenseits des Kanals, in den irischen Anstalten namentlich, wo in einer gewissen esoterischen Art das Christentum gepflegt worden ist. Dann haben die Frankenkönige verstanden, solche Persönlichkeiten an ihren Hof zu ziehen, und dasjenige, was an christlicher Bildung dann das Frankenreich durchsetzt hat, vom Frankenreiche ja auch weiter nach Osten gegangen ist in das west­liche Deutschland, das ist ja im wesentlichen beeinflußt von den­jenigen Persönlichkeiten, die von den Frankenkönigen herüber-gezogen worden sind von jenseits des Kanals. Johannes Scotus Erigena hat sich aber auch vertieft in alles dasjenige, was namentlich eigen war den griechischen Kirchenvätern, und er hat sich vertieft in diejenigen Schriften, die eine gewisse problematische Natur an sich tragen innerhalb der abendländischen Zivilisation, in die Schriften des Dionysius des Areopagiten. Dieser Dionysius der Areopagite wird ja von einigen für einen unmittelbaren Schüler des Paulus ge­halten. Die Schriften tauchen aber erst im 6. Jahrhunderte auf, und

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manche sprechen daher von pseudo-dionysischen Schriften, die im 6. Jahrhunderte von irgend jemandem abgefaßt worden und dann dem Paulus-Schüler zugeschrieben worden seien.

Wer so spricht, kennt nicht die ganze Art und Weise, wie sich geistige Erkenntnisse in diesen älteren Jahrhunderten fortgepflanzt haben. Solch eine Schule, wie diejenige war, in der Paulus selbst in Athen gelehrt hatte, sie hatte Erkenntnisse, welche zunächst nur mündlich gelehrt worden sind, welche sich dann von Generation zu Generation fortgepflanzt haben, und welche erst viel, viel später aufgeschrieben worden sind. Das, was da später aufgeschrieben worden ist, braucht deshalb durchaus nicht unecht zu sein, sondern kann mit einer gewissen Identität dasjenige wiedergeben, was Jahr­hunderte alt ist. Und einen solchen Wert auf die Persönlichkeit, wie wir heute legen, einen solchen Wert hat man ja in diesen ältesten Zeiten auf die Persönlichkeit nicht gelegt. Und wir werden ja viel­leicht gerade heute rühren können an einem Umstand, den wir zu besprechen haben werden bei Johannes Scotus Erigena, warum das der Fall war, warum man auf die Persönlichkeit in der damaligen Zeit wenig Wert gelegt hat.

Nun aber steht ja eines ohne Zweifel fest: die Lehren, die auf­gezeichnet worden sind auf den Namen des Dionysius des Areopa­giten hin, die hielt man im 6. Jahrhundert als der Aufzeichnung besonders wert. Man hielt sie für dasjenige, was aus den ersten christ­lichen Zeiten erhalten war, und was gerade um diese Zeit besonders aufgezeichnet werden mußte. In dieser Tatsache als solcher sollte man etwas Besonderes sehen. Man hatte einfach in den Zeiten vor dem 4. nachchristlichen Jahrhundert zu dem von Generation zu Generation fortwirkenden Gedächtnis mehr Vertrauen als man in der späteren Zeit hatte. So sehr aufs Niederschreiben war man eben in den älteren Zeiten nicht erpicht. Aber man sah die Zeit heran­kommen, in der es immer mehr und mehr notwendig wurde, die Dinge, die sich früher mit Leichtigkeit mündlich hatten fortpflanzen lassen, aufzuzeichnen, denn es ist in der Tat etwas Subtiles, was da in den Schriften des Dionysius aufgezeichnet wird. Und dasjenige, was Johannes Scotus Erigena in diesen Schriften hat studieren können,

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das war ganz gewiß geeignet, auf ihn einen außerordentlich tiefen Eindruck zu machen. Denn ungefähr war die Denkweise, welche man in diesem Dionysius findet, die folgende: Wir Men­schen, wir können mit unseren Begriffen, die wir uns bilden, mit den Anschauungen, die wir gewinnen können, die sinnlich-physische Welt überschauen. Wir können dann mit dem Verstande unsere Schlüsse ziehen aus den Tatsachen und Wesenheiten dieser phy­sisch-sinnlichen Welt. Wir entwickeln uns gewissermaßen hinauf zu einem Verstandesinhalte, der dann nicht mehr sinnlich anschaulich ist, der in Vorstellungen, in Begriffen erlebt wird, und wenn wir aus den Sinnestatsachen und Sinneswesen unsere Begriffe, unsere Vor­stellungen gebildet haben, dann bekommen wir den Drang, uns mit diesen Vorstellungen zu dem Übersinnlichen, zu dem Geistigen, zu dem Göttlichen hinaufzubewegen.

Aber nun geht Dionysius nicht in der Weise vor, daß er etwa sagt, wir lernen aus den Sinnesdingen dieses oder jenes, unser Ver­stand bekommt seine Vorstellungen und er schließt dann auf eine Gottheit, er schließt auf eine geistige Welt -, so sagt er nicht, sondern er sagt: Diejenigen Vorstellungen, die wir bekommen aus den Sinnesdingen, sind alle ungeeignet, die Gottheit auszudrücken. Wir können einfach, wenn wir uns noch so subtile Vorstellungen bilden von den Sinnesdingen, wir können mit Hilfe dieser Vor­stellungen nicht dasjenige ausdrücken, was die Wesenheit des Gött­lichen ist. Wir müssen daher unsere Zuflucht nehmen von den po­sitiven Vorstellungen zu den negativen Vorstellungen. Wir sprechen zum Beispiel, wenn wir unseren eigenen Mitmenschen begegnen, von Persönlichkeit. Wenn wir von der Gottheit sprechen, so sollten wir nach dieser Anschauung des Dionysius nicht von Persönlichkeit sprechen, weil die Vorstellung der Persönlichkeit viel zu klein, viel zu niedrig ist, um die Gottheit zu bezeichnen. Wir sollten vielmehr sprechen von Überpersönlichkeit. Wir sollten nicht einmal, wenn wir von der Gottheit sprechen, vom Sein sprechen. Wir sagen, ein Mensch ist, ein Tier ist, eine Pflanze ist. Gott sollten wir nicht in demselben Sinne wie dem Menschen, dem Tier, der Pflanze ein Sein zuschreiben, sondern wir sollten ihm ein Übersein zuschreiben. Und

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so sollten wir versuchen, meint Dionysius, uns allerdings hinauf­zuschwingen von der Sinneswelt zu bestimmten Vorstellungen, aber dann sollten wir gewissermaßen diese Vorstellungen überall um­kippen, ins Negative übergehen lassen. Wir sollten gewissermaßen uns hinaufschwingen aus der Sinneswelt zur positiven Theologie, dann aber umkippen und die negative Theologie begründen, die eigentlich so hoch ist, so von Gott und dem göttlichen Denken durchdrungen, daß sie sich nur ausspricht in negativen Prädikaten, in Verneinungen desjenigen, was man sich von der Sinneswelt vor­stellen kann.

Und so glaubte Dionysius der Areopagite hinüberzudringen in die göttlich-geistige Welt, indem er gewissermaßen alles dasjenige, was man im Verstande haben kann, verläßt und sich zu einer über-verständigen Welt hinüberlebt.

Sehen Sie, wenn wir den Dionysius für einen Paulus-Schüler halten, dann lebt er ja am Ende des 1. christlichen Jahrhunderts in das 2. christliche Jahrhundert hinüber und er lebt also ein paar Jahr­hunderte vor dem entscheidungsvollen 4. nachchristlichen Jahrhun­dert. Er fühlt, was da herankommt: den Höhepunkt menschlicher Verstandesentwickelung. Er sieht gewissermaßen mit einem Teil seines Wesens zurück in die alten Zeiten. Sie wissen, vor dem 8. vor-christlichen Jahrhundert haben die Menschen noch nicht so vom Verstande geredet, wie seit dem 8. vorchtistlichen Jahrhundert. Der Verstand oder die Verstandesseele ist ja erst im 8. vorchtistlichen Jahrhundert geboren worden, und aus dieser Geburt der Verstandes-seele ging die griechische, ging die lateinische Kultur hervor. Die waren dann im 4. nachchristlichen Jahrhundert auf ihrem Höhe­punkt. Vor diesem 8. vorchtistlichen Jahrhundert hat man ja gar nicht die Welt mit dem Verstande erkannt; man hat sie erkannt durch die Anschauung. Die älteren ägyptischen, die älteren chal­däischen Erkenntnisse sind durch die Anschauung gewonnen, sind gewonnen so, wie wir unsere äußeren sinnlichen Erkenntnisse ge­winnen, trotzdem diese vorchtistlichen Erkenntnisse geistige Er­kenntnisse waren. Der Geist wurde eben so angeschaut, wie wir heute das Sinnliche anschauen und wie schon die Griechen das Sinnliche

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angeschaut haben. Es ist also gewissermaßen in Dionysius dem Areopagiten etwas wie ein Zurücksehnen zu einer Anschauung, die jenseits des Verstandes liegt.

Nun stand vor dem Dionysius das große Mysterium von Gol­gatha. Er lebte in der Verstandeskultur seiner Zeit. Wer sich in die Schriften des Dionysius vertieft, der sieht, gleichgültig wer es war, wie stark dieser Mann lebte in alldem, was die Verstandeskultur seiner Zeit hervorgebracht hat. Ein feingebildeter Grieche, aber zu gleicher Zeit ein Mann, der in seiner ganzen Persönlichkeit erfüllt war von der Größe des Mysteriums von Golgatha, und der sich sagte:

Wenn wir uns mit unserem Verstande auch noch so sehr anstrengen, an das Mysterium von Golgatha und dasjenige, was dahintersteht, kommen wir nicht heran. Wir müssen über den Verstand hinaus­kommen. Wir müssen von der positiven Theologie zu der negativen Theologie uns hinüberentwickeln.

Das machte auf Johannes Scotus Erigena, als er die Schriften dieses Dionysius Areopagita las, noch im 9. Jahrhundert einen großen Eindruck; denn dasjenige, was auf das 4. nachchristliche Jahrhundert folgte, was mehr augustinisch war, das entwickelte sich ja nur langsam weiter in der Art, wie ich das in den vorigen Vorträ­gen dargestellt habe. Solch ein Geist, gerade einer derjenigen, die sich in den Weisheitsschulen drüben in Irland ausgebildet hatten, lebte noch in den ersten christlichen Jahrhunderten, solch ein Geist konnte noch mit allen Fasern seiner Seele hängen an dem, was in Dionysius dem Areopagiten steht. Und gleichzeitig war doch aber wiederum in Johannes Scotus Erigena der Drang ganz heftig, mit dem Verstande, mit demjenigen, was der Mensch in seinem Intellekt erreichen kann, eine Art positiver Theologie zu begründen, die ihm zu gleicher Zeit Philosophie war, und emsig studierte Scotus Erigena gerade die griechischen Kirchenväter. Wir finden bei ihm eine genaue Kenntnis zum Beispiel des Orig enes, der vom 2. ins 3. nach-christliche Jahrhundert herübergelebt hat.

Wenn wir diesen Origenes studieren, finden wir tatsächlich noch eine ganz andere Anschauung als die christliche, das heißt als die­jenige, die dann später als die christliche Anschauung aufgetreten

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ist. Origenes ist durchaus noch der Meinung, daß man mit Philoso­phie die Theologie durchdringen müsse, daß man nur studieren könnte den Menschen mit seinem ganzen Wesen, wenn man ihn als einen Ausfluß der Gottheit betrachtet, wenn man ihn so betrachtet, daß er einstmals aus der Gottheit seinen Ursprung genommen hat, sich dann immer weiter und weiter erniedrigt, aber durch das Myste­rium von Golgatha die Möglichkeit empfangen hat, wiederum zu der Gottheit aufzusteigen, um sich dann wiederum mit der Gott­heit zu vereinigen. Von Gott in die Welt zu Gott zurück, so etwa kann man den Weg bezeichnen, den Origenes als den seinigen er­kannte. Und im Grunde genommen liegt so etwas auch den Diony­sischen Schriften zugrunde, und es ging dann über auf solche Per­sönlichkeiten, von denen Johannes Scotus Erigena eine war. Es gab deren aber viele.

Man könnte sagen, wie durch eine Art historischen Wunders ist ja eigentlich die Nachwelt dazu gekommen, die Schriften des Johannes Scotus Erigena zu kennen. Sie erhielten sich, im Gegensatz zu ande­ren Schriften aus den ersten Jahrhunderten, die ähnlich waren und die ganz verlorengegangen sind, bis ins 11., 12. Jahrhundert, einige wenige noch bis ins 13. Sie waren ja in dieser Zeit vom Papste als ketzerisch erklärt worden, es war der Befehl gegeben worden, daß alle Exemplare aufgesucht und verbrannt werden müßten. Nur viel später in einem verlorenen Kloster hat man Handschriften aus dem 11. und 13. Jahrhundert wieder gefunden. Im 14., 15., 16., 17. Jahrhundert wußte man ja von Johannes Scotus Erigena nichts. Die Schriften waren verbrannt worden wie ähnliche Schriften, welche Ähnliches enthielten aus derselben Zeit, und bei denen man eben vom Standpunkte Roms aus glücklicher war: man hatte alle anderen Exemplare dem Feuer übergeben können! Von Scotus Erigena blie­ben eben einzelne zurück.

Wenn wir nun das 9. nachchristliche Jahrhundert bedenken, und wenn wir dazu rechnen, daß in Johannes Scotus Erigena ein genauer Kenner der Weisheiten der ersten christlichen Jahrhunderte lebte, dann werden wir uns doch sagen müssen: Das ist ein charak­teristischer Repräsentant für dasjenige, was aus der früheren Zeit,

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aus der Zeit vor dem 4. nachchristlichen Jahrhundert noch herüber­geragt hat in spätere Zeiten. In diesen späteren Zeiten ist ja alles verknöchert, möchte man sagen, in der toten lateinischen Sprache. Es hat sich dasjenige, was früher lebendig war als eine Weisheit von der übersinnlichen Welt, verknöchert, dogmatisiert, ist starr, ver­standesmäßig geworden. Aber in solchen Leuten wie in Scotus Eri­gena lebte noch etwas von der alten Lebendigkeit des unmittelbaren geistigen Wissens, wie es vorhanden war in den ersten christlichen Zeiten, und wie es verwendet worden war von den erleuchtersten Geistern, gerade um das Mysterium von Golgatha zu verstehen.

Diese Weisheit mußte eine Zeitlang aussterben, damit von dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts bis in unsere Zeiten der Verstand des Menschen kultiviert werden konnte. Der Verstand als solcher ist zwar eine geistige Eigenschaft des Menschen, aber er wandte sich zunächst dem Materiellen zu. Das alte Weisheitsgut mußte ver­schwinden, damit der Verstand in seiner Schattenhaftigkeit geboren werden konnte. Wenn wir uns nicht in schulmäßig-pedantischer Weise in seine Schriften vertiefen, sondern mit dem ganzen Men­schen, so merken wir, daß bei Scotus Erigena noch etwas aus anderen seelischen Untergründen heraus redet als diejenigen sind, aus denen heraus später gesprochen worden ist. Da redet gewissermaßen der Mensch noch aus Tiefen heraus, die später nicht mehr erreicht werden konnten von dem seelischen Leben. Alles ist geistiger, und wenn der Mensch überhaupt erkenntnismäßig redete, redete er von Dingen, die sich im Geistigen abspielen.

Es ist außerordentlich wichtig, einmal genau hinzusehen, wie die Gliederung der Erkenntnis bei Johannes Scotus Erigena war. Er unterscheidet in seiner großen Schrift über die Gliederung der Natur, die eben auf die geschilderte Weise auf die Nachwelt gekom­men ist, in vier Kapiteln dasjenige, was er über die Welt zu sagen hat, und er spricht zuerst im ersten Kapitel von der nichtgeschaf­fenen und schaffenden Welt (siehe Darstellung S. 262). Das ist das erste Kapitel, das schildert in der Art, wie Johannes Scotus Etigena dies glaubt tun zu können, gewissermaßen Gott, wie er war, bevor er herangetreten ist an irgend etwas, das Weltschöpfung ist. Johannes

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#Bild s. 262

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Scotus Erigena schildert da durchaus so, wie er es, ich möchte sagen, gelernt hat durch die Schriften des Dionysius, und er schildert, in­dem er höchste Verstandesbegriffe ausbildet, aber zu gleicher Zeit sich bewußt ist, mit denen kommt man nur bis zu einer gewissen Grenze, jenseits welcher die negative Theologie liegt. Man nähert sich also nur dem, was eigentlich wahres Wesen des Geistigen, des Göttlichen ist. Wir finden da in diesem Kapitel unter anderem die schöne, für die heutige Zeit noch lehrteiche Abhandlung über die göttliche Trinität. Er sagt, wenn wir die Dinge um uns herum an­schauen, so finden wir zuerst als allgeistige Eigenschaft das Sein (siehe S. 262). Dieses Sein ist gewissermaßen das, was alles umfaßt. Wir sollten Gott nicht das Sein, so wie es die Dinge haben, beilegen, aber wir können doch nur gewissermaßen, indem wir hinaufschauen auf das, was Übersein ist, doch nur zusammenfassend vom Sein der Gottheit sprechen. Ebenso finden wir, daß die Dinge in der Welt von Weisheit durchstrahlt und durchsetzt sind. Wir sollten Gott nicht bloß Weisheit, sondern Überweisheit beilegen. Aber eben, wenn wir von den Dingen ausgehen, kommen wir bis zu der Grenze des Weisheitsvollen. Aber es ist nicht nur Weisheit in allen Dingen:

Alle Dinge leben; es ist Leben in allen Dingen. Wenn also Johannes Scotus Erigena sich die Welt vergegenwärtigt, so sagt er: Ich sehe in der Welt Sein, Weisheit, Leben. Die Welt erscheint mir gewisser­maßen in diesen drei Aspekten als seiende, als weisheitsvolle, als lebendige Welt. Gleichsam sind ihm das drei Schleier, die sich der Verstand ausbildet, wenn er über die Dinge hinblickt. Man müßte durchsehen durch die Schleier, dann würde man in das Göttlich-Geistige hineinsehen. Aber er schildert zunächst die Schleier und sagt: Wenn ich auf das Sein sehe, so repräsentiert mir das den Vater; wenn ich auf die Weisheit sehe, so repräsentiert mir das den Sohn im All; wenn ich auf das Leben sehe, so repräsentiert mir das den Heili­gen Geist im All.

Sie sehen, Johannes Scotus Erigena geht durchaus von philoso­phischen Begriffen aus und erhebt sich zu dem, was die christliche Trinität ist. Er macht also den Weg im Inneren noch durch, vom Begreifen ausgehend, in das sogenannte Unbegreifliche hinein. Das

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ist auch durchaus seine Überzeugung. Aber er redet eben so, daß man der Art und Weise, wie er die Dinge gibt, ansieht, daß er von Dionysius gelernt hat. Er möchte eigentlich in dem Momente, wo er zu Sein, Weisheit, Leben kornmt, und ihm diese repräsentieren Vater, Sohn und Geist, er möchte eigentlich diese Begriffe ausein­anderschwimmen lassen in ein allgemeines Geistiges hinein, in das sich der Mensch dann überbegrifilich erheben müßte. Aber er schreibt dem Menschen nicht zu die Fähigkeit, zu solchem Über-begrifflichen zu kommen.

Damit ist Johannes Scotus Erigena ein Sohn seines Zeitalters, das den Verstand ausbildete, und das ja wirklich, wenn es sich selbst richtig verstand, sich sagen mußte, es könne nicht hineinkommen in das Überbegriffliche.

Das zweite Kapitel schildert dann gewissermaßen eine zweite Schichte des Weltendaseins, die geschaffene und schaffende Welt (siehe S. 262). Das ist diejenige Welt der geistigen Wesenheiten, in der wir zu suchen haben Angeloi, Archangeloi, Archai und so weiter. Diese Welt der geistigen Wesenheiten, die wir ja auch bei dem Dionysius dem Areopagiten verzeichnet finden, diese Welt der gei­stigen Wesenheiten schafft überall in der Welt, aber sie ist selbst geschaffen, sie ist von dem höchsten Wesen angefangen, also ge­schaffen, und sie schafft in allen Einzelheiten des Daseins, das uns umgibt.

Als dritte Welt im dritten Kapitel schildert er dann die geschaf­fene und nichtschaffende Welt. Das ist die Welt, die wir um uns herum mit unseren Sinnen wahrnehmen. Das ist die Welt der Tiere, Pflanzen und Mineralien, der Sterne und so weiter. In diesem Ka­pitel behandelt er ungefähr alles dasjenige, was wir nennen würden Kosmologie, Anthropologie und so weiter, dasjenige, was wir etwa heute bezeichnen als den Umfang des Wissenschaftlichen.

In dem vierten Kapitel behandelt er die nichtgeschaffene und nichtschaffende Welt. Es ist wiederum dieses die Gottheit, aber so, wie sie sein wird, wenn alle Wesen, namentlich alle Menschen, zu ihr zurückgekehrt sein werden, wenn sie nicht mehr schaffend sein wird, wenn sie in sich aufgenommen hat in seliger Ruhe - so stellt

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sich ja Johannes Scotus Erigena das vor - alle diejenigen Wesen, die eben aus ihr hervorgegangen sind.

Nun, wenn wir diese vier Kapitel überschauen, so haben wir ja darinnen eigentlich, ich möchte sagen, etwas wie ein Kompendium alles Überlieferten, so wie es vorhanden war in den Weisheitsschulen, aus denen Johannes Scotus Erigena hervorgegangen ist. Wenn man dasjenige nimmt, was er schildert in dem ersten Kapitel, so haben wir etwa dasjenige, was man in seinem Sinne die Theologie genannt hat, die Theologie, die eigentliche Lehre von dem Göttlichen.

Wenn man das zweite Kapitel nimmt, so hat man darinnen das­jenige, was er nennt Idealwelt, etwa in unserer heutigen Sprache, Ideal aber vorgestellt als wesenhaft. Er schildert ja nicht abstrakte Ideen, sondern eben Engel, Erzengel und so weiter, er schildert die ganze intelligible Welt, wie man es nannte, die aber nicht eine in­telligible Welt wie die unsre war, sondern die eine Welt von leben­diger Wesenheit war, von lebendigen intelligiblen Wesenheiten.

In dem dritten Kapitel schildert er, wie gesagt, dasjenige, was wir heute unsere Wissenschaft nennen würden, aber doch anders. Wir haben seit der Galilei-Kopernikus-Zeit, die ja später fällt, nicht mehr dasjenige, was man in der Zeit des Scotus Erigena Kosmologie oder Anthropologie nennt. Was man die Kosmologie nennt , ist durch­aus noch etwas, das aus dem Geiste heraus beschrieben wird, ist et­was, das so beschrieben wird, daß geistige Wesenheiten die Sterne lenken, daß geistige Wesenheiten auch in den Sternen leben, daß die Elemente Feuer, Wasser, Luft, Erde durchsetzt werden von gei­stigen Wesenheiten. Also es ist etwas anderes, was da als Kosmologie geschildert wird. Jene materialistische Anschauungsweise' die seit der Mitte des 15. Jahrhunderts heraufgekommen ist, die gab es eben dazumal noch nicht, und was er etwa als Anthropologie hat, das ist auch etwas ganz anderes, als was wir heute etwa Anthropologie in unserem materialistischen Zeitalter nennen.

Da kann ich Ihnen ja etwas sagen, was außerordentlich charak­teristisch ist für dasjenige, was bei Johannes Scotus Anthropologie ist. Er sieht den Menschen an und sagt: Der Mensch trägt zunächst das Sein in sich. Er ist also mineralisches Wesen, er hat in sich mineralisches

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Wesen. Also erstens: der Mensch ist ein mineralisches Wesen (siehe S. 262). Zweitens: der Mensch leibt und lebt wie eine Pflanze. Drittens: der Mensch empfindet als Tier. Viertens: der Mensch urteilt und schließt, macht Schlüsse als Mensch. Fünftens:

der Mensch erkennt als Engel.

Nun, das ist selbstverständlich etwas in unserer Zeit Ungeheuer­liches! Wenn Johannes Scotus Erigena von Urteilen, Schließen spricht, was man ja zum Beipiel auch macht in der Gerichtsstube, wenn man über jemanden aburteilen will, dann urteilt und schließt der Mensch als Mensch. Wenn er aber erkennt, wenn er erkennend eindringt in die Welt, dann verhält sich der Mensch nicht als Mensch, sondern als Engel! Ich will das zunächst aus dem Grunde sagen, um Ihnen zu zeigen, daß Anthropologie für diese Zeit noch etwas ande­res ist als für die jetzige Zeit, denn, nicht wahr, es würde heute kaum irgendwo, nicht einmal an einer theologischen Fakultät gehört werden können, daß der Mensch erkennt als Engel. So daß man sagen muß:

Dasjenige, was Johannes Scotus Erigena im dritten Kapitel schildert, das haben wir als unsere Wissenschaft nicht mehr. Es ist etwas an­deres geworden bei uns. Wenn wir es mit einem Worte nennen wollten, das heute auf nichts Betriebenes anwendbar ist, so würden wir etwa sagen müssen: Geistige Lehre vom Weltall und dem Men­schen, Pneumatologie.

Und dann das vierte Kapitel. Dieses vierte Kapitel enthält bei Johannes Scotus Erigena erstens die Lehre von dem Mysterium von Golgatha und die Lehre von dem, was der Mensch als die Zukunft zu erwarten hat, als seinen Hingang in die göttlich-geistige Welt, also dasjenige, was man etwa nach heutigem Gebrauche benennen würde Soteriologie, Soter ist ja der Heiland, der Erlöser, und die Lehre von der Zukunft, Eschatologie. Wir finden da behandelt die Begriffe von Kreuzigung, Auferstehung, von der Ausströmung der göttlichen Gnade, von dem Hingang des Menschen zur göttlich-geistigen Welt und so weiter.

Eines sollte Ihnen dabei auffallen, und das fällt einem ja wirklich auf, wenn man unbefangen ist, indem man so etwas wie dieses Werk «De divisione naturae» von Johannes Scotus Erigena' von der Gliederung

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der Natur, aufmerksam liest. Da ist von der Welt geredet durchaus als von etwas, das in geistigen Qualitäten erkannt wird. Man spricht vom Geistigen, indem man die Welt betrachtet. Und was ist nicht darinnen? Man muß ja auch auf das aufmerksam sein, was nicht in einer solchen Universalwissenschaft ist, wie sie da Johan­nes Scotus Erigena begründen will.

Sie finden bei Johannes Scotus Erigena ungefähr gar nichts von dem, was wir heute Soziologie nennen, Sozialwissenschaft und der­gleichen. Man möchte fast sagen, es sieht so aus, als ob der Johannes Scotus Erigena den Menschen, wie er sich sie dachte, ebensowenig eine Sozialwissenschaft habe geben wollen, wie etwa, wenn irgend­eine Tierart, die Löwenart oder die Tigerart, oder irgendeine Vogel-art eine Wissenschaft herausgeben würde, sie auch nicht eine Sozio­logie herausgeben würde. Denn der Löwe würde nicht reden über die Art und Weise, wie er mit anderen Löwen zusammenleben soll, oder wie er zu seiner Nahrung kommen soll und so weiter; das ist ihm instinktmäßig gegeben. Ebensowenig können wir uns eine Sozio­logie der Spatzen denken. Spatzen könnten gewiß allerlei höchst In­teressantes an Weltengeheimnissen von ihrem Gesichtspunkte aus hervorbringen, aber sie würden niemals eine Ökonomie, eine Ökono­mielehre hervorbringen, denn das würden die Spatzen für das ganz Selbstverständliche ansehen, daß sie das tun, was ihnen eben ihr In­stinkt sagt. Das ist das Eigentümliche: Indem wir bei Johannes Scotus Erigena so etwas noch nicht finden, sind wir uns klar darüber, daß er die menschliche Gesellschaft noch so ansah, als ob sie das Soziale aus ihren Instinkten hervorbrächte. Er weist hin gerade in seiner besonderen Art von Erkenntnis auf dasjenige, was in dem Menschen noch als Instinkt lebte, auf die Triebe, die Impulse des sozialen Zusammenseins. Über diesem sozialen Zusammensein ist dasjenige, was er schildert. Er schildert, wie der Mensch aus dem Göttlichen hervorgegangen ist, welche Wesenheiten über der Sinnes-welt liegen. Er schildert dann, wie der Geist die Sinneswelt durch­zieht, etwa in einer Art Pneumatologie, er schildert dasjenige, was in die Sinneswelt als Geistiges eingedrungen ist in seinem vierten Kapitel in der Soteriologie, in der Eschatologie. Aber er schildert

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nirgendwo, wie die Menschen zusammenleben sollen. Ich möchte sagen, alles ist herausgehoben über die Sinneswelt. Das war über­haupt ein Charakteristikum dieser älteren Wissenschaft, daß alles über die Sinneswelt hinausgehoben war.

Und vertieft man sich im geisteswissenschaftlichen Sinn in so et­was wie die Lehre des Johannes Scotus Erigena' so sieht man, er hat gar nicht mit denjenigen Organen gedacht, mit denen heute die Menschheit denkt. Man versteht ihn eben nicht, wenn man ihn verstehen will mit demjenigen Denken, das heute die Menschheit vollführt. Man versteht ihn nur, wenn man sich durch Geisteswissen­schaft eine Anschauung errungen hat von dem, wie man mit dem Ätherleib denkt, mit demjenigen Leib, der als ein feinerer Leib dem groben sinnlichen Leib zugrunde liegt.

AlsoJohannes Scotus Erigena hat nicht mit dem Gehirn, sondern mit dem Ätherleib gedacht. Wir haben in ihm einfach einen Geist, der noch nicht mit dem Gehirn gedacht hat. Und alles dasjenige, was er niederschreibt, kommt zustande als Ergebnis des Denkens mit dem Ätherleib. Im Grunde genommen beginnt man erst nach seiner Zeit mit dem physischen Leib zu denken, und so recht eigentlich erst vom 15. Jahrhundert an. Was man gewöhnlich nicht sieht, ist daß sich wirklich das menschliche Leben als Seelenleben in dieser Zeit geän­dert hat, daß man wirklich, wenn man zurückgeht ins 13., 12., 11. Jahrhundert, auf ein Denken stößt, wie es der Johannes Scotus Erigena hatte, daß man da kommt an ein Denken, das noch nicht mit dem physischen Leib, sondern mit dem Ätherleib voll­zogen worden ist. Dieses Denken mit dem Ätherleib, das sollte nicht hereinragen in die spätere Zeit, in der man scholastisch dialektisiert hat über starre Begriffe; da wurde dieses ältere Denken mit dem Äthetleib, das aber durchaus auch das Denken der ersten christ­lichen Jahrhunderte war, eben verketzert. Deshalb auch die Ver­brennung der Schriften des Johannes Scotus Erigena. Und man wird es nun begreifen, wie die Seelenverfassung eines solchen Denkers in der damaligen Zeit eigentlich war.

Wenn wir in ältere Zeiten zurückgehen, so finden wir da bei allen Menschen ein gewisses Hellsehen. Die Menschen dachten

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überhaupt nicht mit ihrem physischen Leib, sondern sie dachten mit ihrem Ätherleib in älteren Zeiten, und sogar mit ihrem astralischen Leib beziehungsweise führten sie ihr Seelenleben durch. Vom Denken sollten wir da gar nicht reden, da ja der Intellekt, wie gesagt, erst im 8. vorchtistlichen Jahrhundert entstanden ist. Aber von diesem alten Hellsehen hatten sich Erbstücke erhalten, und gerade bei den hervorragendsten Geistern sucht man durch den Verstand, der jetzt schon geboren ist, einzudringen in dasjenige, was sich heraufvererbt hat durch die Tradition aus älteren Zeiten. Man versuchte zu begreifen, was in ganz anderer Art in älteren Zeiten angeschaut worden war. Man versuchte zu begreifen, aber mußte nun Hilfe haben durch abstrakte Begriffe: Sein, Weisheit, Leben. Man wußte also, möchte ich sagen, noch etwas von einer früheren durchgeistigteren Erkenntnis und fühlte sich schon ganz drinnen­steckend in der rein intellektualistischen Erkenntnis.

Das wurde später gar nicht mehr gefühlt, als die intellektuali­stische Erkenntnis dann zum Schatten geworden war; aber dazumal fühlten die Menschen: es war in alten Zeiten etwas, was den Men­schen aus den höheren Welten lebendig durchlebte, was er nicht bloß dachte. Bei Johannes Scotus ist es so, daß er in diesem Zwiespalt lebt. Er kann bloß denken; aber wenn dieses Denken zum Erkennen wird, da fühlt er, da ist noch etwas da von den alten Mächten, welche den Menschen durchdrungen haben in der alten Art der Erkenntnis. Er fühlt den Engel, den Angelos in sich. Daher sagt er, der Mensch erkenne als Engel. Es war Erbstück aus den alten Zeiten, daß in dieser Zeit der Verstandeserkenntnis ein solcher Geist wie Scotus Erigena noch sagen konnte, der Mensch erkenne wie ein Engel. In den Zeiten der ägyptischen, der chaldäischen Zeit, in den älteren Zeiten der hebräischen Zivilisation würde niemand etwas anderes gesagt haben, als: Der Engel erkennt in mir, und ich nehme Teil als Mensch an der Erkenntnis des Engels. Der Engel wohnt in mir, der erkennt, und ich mache das mit, was der Engel erkennt. -Das war in der Zeit, als noch kein Verstand da war. Als dann der Verstand heraufgekommen war, da mußte man das mit dem Verstande durchdringen; aber es war eben in Scotus Erigena

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noch ein Bewußtsein von diesem Durchdrungensein mit der An­gelosnatur.

Nun geht es einem aber ganz eigentümlich, wenn man sich ein­läßt in diese Schrift des Scotus Erigena und sie ganz verstehen will. Schließlich bekommt man doch ein Gefühl, man habe etwas sehr Bedeutendes gelesen, etwas gelesen, was noch sehr in geistigen Re­gionen lebt, was über die Welt als eine geistige Angelegenheit spricht. Aber dann wieder hat man doch das Gefühl: Ja, es geht im Grunde alles durcheinander. Und dann sagt man sich: Wir leben eben mit dieser Schrift schon im 9. nachchristlichen Jahrhunderte; der Verstand hat schon manches in Unordnung gebracht. Und so ist es wirklich. Liest man nämlich das erste Kapitel, so hat man es mit der Theologie zu tun, aber mit einer Theologie, die für Johannes Scotus schon durchaus sekundär ist, der man es ansieht, daß sie auf etwas Größeres, Unmittelbareres zurückweist. Es muß einmal etwas dagewesen sein - ich rede jetzt so, als wenn die Dinge Hypothese wären, aber Geisteswissenschaft kann dann das, was ich jetzt in der Hypothese entwickele , durchaus als Tatsache konstatieren -, man sieht gewissermaßen auf etwas zurück, wo diese Theologie noch nicht so verstandesmäßig angesprochen wurde, wo sie angesprochen wurde als etwas, in das man sich hineingelebt hat. Und von solcher Theologie haben ohne Zweifel jene Ägypter gesprochen, von denen jene Griechen, die ich angeführt habe, berichteten, daß ägyptische Weise zu ihnen gesagt hätten: Ihr Griechen seid ja wie die Kinder, ihr habt kein Wissen von dem Weltenursprung; wir haben dieses heilige Wissen von dem Weltenursprung. - Da wurden die Griechen offenbar auf eine alte lebendige Theologie hingewiesen. Und so muß man sagen: In dem, was wir immer genannt haben die dritte nachatlantische Zeit, die ja im 4. vorchristlichenJahrtausend beginnt und im 1. vorchtistlichen Jahrtausend endet, im 8. vorchtistlichen Jahrhundert, im Jahre 747 approximativ endet, in dieser Zeit gab es eine lebendige Theologie, die jetzt mit dem Verstande von Scotus Erigena durchschaut werden will. Viel lebendiger stand sie offenbar noch vor derjenigen Persönlichkeit, die als Dionysius der Areopagite anzuerkennen ist und viel intensiver noch fühlte dieser Dionysius

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gegenüber dieser alten Theologie. Er fühlte, da ist etwas, was da war, dem man sich nicht mehr nähern kann, das negativ wird, indem man sich ihm nähern will. Wir können nur, so meinte er, vom Ver­stande aus zur positiven Theologie kommen. Aber er meinte eigent­lich mit der negativen Theologie eine alte, die entschwunden ist.

Und wiederum, wenn man dasjenige durchnimmt, was hier im zweiten Kapitel auftritt als Idealwelt, könnte man glauben, das sei etwas Jüngeres. Das ist aber nicht der Fall. Es trifft wirklich zu­sammen mit einer wahren Anschauung von dem, was in der urper­sischen Zeit, so wie sie in meiner «Geheimwissenschaft» geschildert ist, auftritt, also in der zweiten nachatlantischen Zeit. Bei Plato und bei den Platonikern war diese urpersische lebendige Engelwelt, die Welt der Amshaspands und so weiter, schon zur Idealwelt, zur Ideenwelt verblaßt. Das ist eben einer späteren Entwickelung zu­zuschreiben. Aber dasjenige, was eigentlich in dieser Idealwelt ent­halten ist, und was noch gut durchschaubar ist bei Scotus Erigena, das führt zurück in diese zweite urpersische Zeit.

Und wenn wir zu dem kommen, was hier als Pneumatologie auf-tritt, was gewissermaßen wie ein Pantheismus, aber jetzt nicht ein vager, nebuloser, wie er heute vielfach gilt, sondern als ein Pan­theismus lebendig-geistiger Art auftritt, wenn auch verblaßt bei Johannes Scotus Erigena' so ist das der letzte Rest, ich möchte sa­gen, der ganz durchsiebte Rest der ersten nachatlantischen, der ur­indischen Zeit.

Und was ist denn das vierte? Ja, bei Scotus Erigena tritt es auf als eine lebendige Erkenntnis von dem Mysterium von Golgatha' von der Menschheitszukunft. Von denen reden wir ja eigentlich heute nicht mehr. Es wird noch als altes Erbstück von den Theologen davon geredet, aber sie haben es in erstarrten Dogmen. Sie leugnen sogar, daß der Mensch es durch ein lebendiges Wissen erringen kann. Aber entstanden ist es aus demjenigen, was so gepflegt worden ist als Soteriologie und Eschatologie. Sie sehen, dasjenige, was Theologie war, das wurde gewissermaßen den Konzilien übergeben, das wurde zu Dogmen erstarrt und der Christologie einverleibt. Daran durfte nicht mehr gerührt werden. Das wurde als etwas betrachtet, was für

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die Erkenntnis unzugänglich ist. Es wurde gewissermaßen entrückt demjenigen, was in den Schulen durch Erkenntnis getrieben worden ist. Die exoterischen Dinge waren ja ohnedies schon so erhalten wie Nebelgebilde aus alten Zeiten. Aber dasjenige, was in den Schulen getrieben worden ist, sollte immerhin anknüpfen mit den Gedanken, die eben im Gedankenzeitalter hervorkamen, sollte immerhin an­knüpfen an das Mysterium von Golgatha' an die Menschheitszu­kunft. Man sprach da von dem Walten der Christus -Wesenheit unter den Menschen, man sprach von einem zukünftigen Welten-gerichte; man verwendete dazu die Begriffe, welche man aufbringen konnte.

Und so sehen wir eigentlich, daß Scotus Erigena die drei ersten Kapitel eben verzeichnet wie etwas, was er gewissermaßen ererbt hat. Seinen eigenen Verstand wendet er dann auf das vierte Kapitel an, aber durchaus so, daß er da spricht von etwas, was erhaben ist über die sinnlich-physische Welt, aber doch mit der sinnlich-phy­sischen Welt etwas zu tun hat. Man sieht, wie er sich angestrengt hat, den Verstand zu handhaben an der Eschatologie, an der Soteriologie, und man sieht ja auch, in welche gelehrten Streitigkeiten, in welche gelehrten Diskussionen Erigena verwickelt war. Er war verwickelt in solche Diskussionen, wie zum Beispiel ob der Mensch im Abendmahl, also in etwas, was zusammenhing mit dem Mysterium von Golgatha, das wirkliche Blut und den wirklichen Leib des Christus vor sich habe. Er war verwickelt in alle diejenigen Diskussionen, die sich über die Freiheit und Unfreiheit des menschlichen Willens ergingen im Zusammenhange mit der göttlichen Gnade. Also über alles das­jenige, was Gegenstand seines vierten Kapitels war, schärfte er seinen Verstand, schulte er seinen Verstand. Über das diskutierte man dazumal.

Man könnte sagen: Der Inhalt der drei ersten Kapitel war altes Erbgut. Man veränderte nicht viel daran, sondern man teilte es mit. Das vierte Kapitel aber, das war lebendiges Streben, da wandte man an den Verstand, der geschult wurde.

Was wurde denn aus dem, was da als der Verstand geschultwurde, was in der Soteriologie, in der Eschatologie gesehen wurde von Menschen

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wie Scotus Erigena im 9. Jahrhundert? Ja, sehen Sie, meine lieben Freunde, daraus wurde seit der Mitte des 15. Jahrhunderts unsere der Naturerkenntnis zugrunde liegende Wissenschaft. Der Verstand, mit dem man nachgedacht hat, ob im Altarsakrament Brot und Wein sich verwandeln in Leib und Blut Christi, ob dem Menschen auf diesem oder jenem Wege die Gnade zufließt, dieser selbe Verstand wurde später verwendet dazu, nachzudenken, ob das Molekül aus Atomen besteht, ob die Sonne dieser oder jener Körper ist und so weiter. Es ist die Fortentwickelung des Theologenver­standes, der in der Naturwissenschaft heute lebt. Ganz derselbe Verstand, den im Abendmahlsstreit Scotus und diejenigen, die mit ihm diskutiert haben - und die Diskussionen waren dazumal sehr lebhaft -, belebte, der lebte dann fort in der Galileischen , in der Kopernikanischen Lehre, lebte fort im Darwinismus , lebte fort in, sagen wir, dem Straußschen Materialismus. Das ist die gerade Linie. Daß immer das Ältere erhalten bleibt neben dem Späteren, das wissen Sie ja. Aber derselbe Verstand, der in David Friedrich Strauß das Buch ausbrütete «Der alte und der neue Glaube», wo gewisser­maßen völliger Atheismus gelehrt wird, dieser selbe Verstand be­schäftigte sich in jenen Zeiten mit Soteriologie und Eschatologie; das ist die gerade Linie.

Und man könnte sagen: Würde dieses Buch heute geschrieben werden müssen, und würde es ebenso aus den Zeitverhältnissen heraus geschrieben, wie der Scotus Erigena es aus den Zeitverhält­nissen heraus geschrieben hat, dann würde, weil ja natürlich ein vollständiger Atheismus dem ersten Kapitel widersprechen würde, hier nicht ein vollständiger Atheismus erscheinen, aber hier wurde unsere Naturwissenschaft erscheinen. Im 9. Jahrhundert erschien noch Soteriologie und Eschatologie. Der Verstand wurde auf etwas anderes angewendet. Hier aber (siehe S.262) würde die materiali­stische Wissenschaft erscheinen heute. Die Geschichte sagt uns nichts anderes als dieses. Und jetzt sehen wir vielleicht dasjenige, was einem aus der ganzen Auffassung dieses Werkes hervorgeht.

Im Grunde genommen müßte eigentlich dasjenige, was hier (siehe S.262) steht, in einer anderen Reihenfolge erscheinen, im

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dritten Kapitel müßte es heißen: Weltanschauung der ersten nach­atlantischen Zeit, im zweiten Kapitel der zweiten, im ersten Kapitel der dritten. Das letzte Kapitel wird zunächst so, wie Scotus Erigena meinte - der im vierten nachatlantischen Zeitraum lebte, der ja erst im 15. Jahrhundert sein Ende erreichte -, das wird für die vierte nachatlantische Zeit gelten. Es müßte also diese Reihenfolge sein:

III, II, 1, IV. Das meinte ich, als ich vorhin sagte, es komme einem vor, wie wenn die Dinge eigentlich durcheinandergewürfelt seien . Scotus Erigena hatte einfach die alten Erbstücke; aber er führte sie nicht an der Zeit nach, sondern sie waren da in der Bildung seiner Zeit, und er führte sie an in der Reihenfolge, wie sie ihm am nächsten lagen: das ihm Nächstliegende führte er als das Höchste an; die anderen waren ihm so verschwommen, daß er sie für etwas Niedrigeres hielt.

Aber das vierte Kapitel ist doch etwas sehr Merkwürdiges. Ver­suchen wir einmal von einem gewissen Gesichtspunkte aus zu ver­stehen, was das eigentlich sein müßte. Versetzen wir uns da jetzt in die vorchristliche Zeit zurück. Da würde, wenn wir einen solchen repräsentativen Geist, wie der Scotus Erigena einer für das 9. Jahr­hundert war, etwa unter den Ägyptern suchen würden, da würde ein solcher Geist noch in sehr lebendiger Weise etwas wissen über die Theologie. Er würde noch viel lebendigere Begriffe von der Ideal-oder Engelwelt haben, von dem, was die ganze Welt Durchstrah­lendes und Durchgeistigendes ist. Das alles würde er wissen und er würde sagen: Es hat einmal eine menschliche Anschauung in der ersten Zeit gelebt, die den Geist in allen Dingen sah. Dann wurde der Geist abstrakt hinaufgezogen in die Höhe. Er wurde zur Ideal-welt, dann zur göttlichen Welt. Und dann kommt das vierte Zeit­alter. Das sollte nun noch vergeistigter sein als das theologische Zeit­alter. Dieser griechisch-lateinische Zeitraum, in dem ja Scotus Erigena lebte, sollte also eigentlich vergeistigter sein als der dritte Zeitraum. Und gar erst der fünfte, der darauf folgt, unser eigener, der müßte erst recht ein vergeistigter Zeitraum sein, denn der würde mit der materialistischen Wissenschaft anstelle der Soteriologie oder Eschatologie entweder als viertes angeführt werden müssen, oder

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man müßte ein fünftes daranfügen mit unserer Naturwissenschaft, und die müßte das Geistigste sein.

Aber in der Tat, meine lieben Freunde, die Sachen sind nur verschüttet. Wenn man hört, wie Scotus Erigena sagt, der Mensch ist als ein mineralisches Wesen, leibt und lebt als Pflanze, empfindet als Tier, urteilt und schließt als Mensch, erkennt als Engel - was Scotus Erigena noch wußte durch Tradition der alten Zeiten -, so müßten wir, die wir uns aber aufschwingen zur Geist-Erkenntnis ,ja nun weitergehen. Wir müßten sogar jetzt sagen: Gut, der Mensch ist als ein mineralisches Wesen, der Mensch leibt und lebt als Pflanze, der Mensch empfindet als Tier, der Mensch urteilt und schließt als Mensch, der Mensch erkennt als Engel und sechstens: der Mensch schaut - nämlich imaginativ die geistige Welt - als Erzengel . Und wir müßten uns nunmehr zuschreiben, wenn wir vom Menschen sprechen, seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts: wir erkennen als Engel und entwickeln die Bewußtseinsseele durch Seelenkräfte des Schauens - unbewußt zunächst, aber doch als Bewußtseinsseele -als Erzengel.

Und so hätten wir das Paradoxon, daß im materialistischen Zeit­alter die Menschen eigentlich in der geistigen Welt leben, höher geistig leben, als sie früher gelebt haben . Wir könnten etwa sagen:

Ja, Scotus Erigena hat Recht, das Engelerlebnis lebt auf im Men­schen; das Erzengelerlebnis lebt nun aber auch auf seit dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts . Wir wären also eigentlich in einer geistigen Welt .

Wenn man auf dieses kommt, dann könnte man ja wohl auch zurückblicken auf etwas, das immer sehr trivial ausgelegt wird in den Evangelien, wo ja gesagt wird: Das Weltenende ist nahe und die Reiche der Himmel beginnen. Ja, meine lieben Freunde, wenn wir von uns sagen müssen, daß in uns der Erzengel schaut, damit wir eine Bewußtseinsseele bekommen, dann ergibt sich doch eine sonderbare Vorstellung über dieses Hereinkommen der Himmel, und es wird wohl nötig sein, solche Vorstellungen des Neuen Testa­mentes von diesem geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkte aus noch einmal zu revidieren. Diese Vorstellungen unterliegen gar sehr

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wohl einer Revision, und wir hätten zweierlei Aufgaben: Zunächst einmal zu verstehen, ob denn nicht unser Zeitalter gemeint ist wirk­lich als ein anderes, als es da war in der Zeit, als der Christus auf der Erde gewandelt ist, ob wir nicht jenen Weltuntergang, von dem der Christus sprach, schon hinter uns haben? Das ist die eine Aufgabe, vor der wir stehen. Und wenn wir diesen sogenannten Weltunter­gang hinter uns haben, wenn wir also gewissermaßen schon die gei­stige Welt da haben, wie ist zu erklären, daß sie sich so ungeistig ausnimmt, daß sie so materiell geworden ist, daß sie zuletzt zu jenem furchtbaren, ungeheuerlichen Leben gekommen ist, welches das erste Drittel des 20. Jahrhunderts auszeichnet? Zwei gewaltige überwältigende Fragen, kann man sagen, stellen sich vor unsere Seele hin . Darüber werden wir morgen weitersprechen .

SECHZEHNTER VORTRAG Dornach, 3. Juni 1921

#G204-1979-SE277 Perspektiven der Menschheitsentwickelung

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SECHZEHNTER VORTRAG

Dornach, 3. Juni 1921

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Wir haben gestern geschlossen mit zwei bedeutsamen Fragen, die sich ergeben haben aus der Betrachtung der Stellung einer solchen Persönlichkeit wie Johannes Scotus Erig ena es war. Bei diesem Mann finden wir ja eine Anschauung, die herüberleuchtet aus den ersten christlichen Jahrhunderten in das 9. Jahrhundert hinein. Wir kön­nen sagen, aus allem dem, was sich im Laufe der letzten Zeit ergeben hat, sind die Vorstellungsarten, ist die ganze Art zu denken in den ersten christlichenjahrhunderten noch anders als später. Und ein großer Umschwung hat stattgefunden, wie wir ja schon wissen, im 4. nachchristlichen Jahrhundert. Die Menschen haben einfach von der Mitte des 4. Jahrhunderts an viel verstandesmäßiger gedacht als vorher. Man möchte sagen: alles Erkennen, alles Vorstellungbil­den war vorher viel mehr einer Art von Eingebung entsprungen als später, wo die Menschen sich immer mehr bewußt wurden, selber mit den Gedanken zu arbeiten. Und was sich als solches Bewußtsein für die Menschen vor dem 4. nachchristlichen Jahrhunderte heraus­gestellt hatte, das klingt nach noch in einem solchen Ausspruche wie dem des Scotus Erigena, daß der Mensch als Mensch urteilt und Schlüsse zieht, daß er aber als Engel erkennt. Was da Scotus Erigena, ich möchte sagen wie ein altes Erbstück, wie durch eine Reminiszenz noch heraufholt, das wurde von all denen angenommen vor dem 4. Jahrhundert, die überhaupt Gedanken hatten. Sie kamen gar nicht darau{ die Gedanken, die ein Wissen, ein Erkennen vermittelten, dem Menschen als solchem zuzuschreiben, sondern sie schrieben das dem in ihnen wirkenden Engel zu. Ein Engel bewohnte den Leib des Menschen, der erkannte, und an dieser Erkenntnis nahm der Mensch teil.

Solch ein unmittelbares Bewußtsein war ganz verglommen seit dem 4. nachchristlichenJahrhundert, und in solchen Geistern wie in Johannes Scotus leuchtete es wieder auf, wurde es gewissermaßen mit Mühe herausgeholt aus der Seele. Das beweist eben, daß die

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ganze Art des Weltenschauens anders geworden ist im Laufe dieser Jahrhunderte, und daher wird es so schwer für die Menschen der Gegenwart, sich zurückzuversetzen in die Denk- und Anschauungs­weise der ersten christlichen Jahrhunderte. Erst mit Hilfe der Geistes-wissenschaft muß das wiederum angestrebt werden. Man muß wiederum zu Vorstellungen kommen, die nun wirklich entsprechend sind dem, was in den ersten christlichen Jahrhunderten gedacht worden ist. Schon zur Zeit des Scotus Erigena begannen ja solche Dinge wie der sogenannte Abendmahlsstreit, wie der Streit über die Vorherbestimmung des Menschen. Es waren die Dinge, welche durchaus anzeigen, wie in die Sphäre des menschlichen Diskutie­rens dasjenige hereingezogen ist, was vorher mehr einer Inspiration, einer Eingebung entsprach, und über das man eigentlich nicht ge­stritten hat. Aber es wurden eben später viele Dinge ganz und gar nicht mehr verstanden.

Zu den nicht mehr verstandenen Dingen gehört zum Beispiel der Anfang des Johannes-Evangeliums, so wie er einfach populär vor­liegt. Wenn wir diesen Anfang des Johannes-Evangeliums ernst nehmen, so besagt er ja eigentlich etwas, was im allgemeinen Be­wußtsein der christlichen Bekenner durch die späteren Jahrhunderte gar nicht mehr vorhanden ist. Bedenken Sie doch nur, daß im An­fang des Johannes-Evangeliums die Worte sind: Im Urbeginne war der Logos -, und daß es dann weiter heißt: Durch den Logos sind alle Dinge entstanden, ist alles dasjenige entstanden, was eben zu dem Entstandenen gehört, und außer durch den logos ist nichts von dem Entstandenen geworden.

Wenn man diese Worte ernst nimmt, so muß man sich sagen:

Sie bedeuten, daß durch den Logos die sichtbaren Dinge, die Weltendinge entstanden sind, und daß also der Logos der eigent­liche Schöpfer der Weltendinge ist. Im christlichen Bewußtsein nach dem 4. Jahrhunderte wird ja der Logos, der im Sinne desJohannes­Evangeliums ganz richtig mit dem Christus identifiziert wird, durch­aus nicht als der Schöpfer der sichtbaren Dinge angesehen, sondern der Schöpfer wird dem Christus gegenübergestellt als der Vatergott, der Gottvater. Der Logos wird als der Sohn bezeichnet, aber nicht

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der Sohn wird zum Schöpfer gemacht, sondern der Vater wird zum Schöpfer gemacht. Das ist eine Lehre, die durch die Jahrhunderte gelebt hat, und die durchaus dem Johannes-Evangelium wider­spricht. Man kann nicht das Johannes-Evangelium ernst nehmen und in dem Christus nicht den Schöpfer aller sichtbaren Dinge sehen, sondern in dem Vatergott den Schöpfer der sichtbaren Dinge sehen. Sie sehen, meine lieben Freunde, wie wenig ernst eigentlich das Evangelium in den späteren christlichen Zeiten genommen worden ist.

Nun müssen wir uns schon zurückversetzen in die ganze Denk­weise, die, wie gesagt, einen Umschwung in dem gekennzeichneten Zeitpunkte effahren hat, und die diejenige der ersten christlichen Jahrhunderte war, die ja im Grunde genommen aufgebaut war wiederum auf demjenigen, was aus alten heidnischen Zeiten über die geistige Welt dageblieben war. Wir müssen uns namentlich klar­werden darüber, wie angesehen worden ist dasjenige, was sich ja dann in dem christlichen Meßopfer fortsetzte, wie angesehen worden ist das Abendmahl, dessen wesentlicher Inhalt ja in dem Worte liegt: Dies ist mein Leib - wobei hingedeutet wird auf das Brot -, dies ist mein Blut - wobei hingedeutet wird auf den Wein. Dieser Inhalt des Abendmahles, er war wirklich in den ersten christ­lichen Jahrhunderten verstanden worden, sogar verstanden worden von Menschen, die gar nicht etwa gelehrte Naturen waren, sondern die sich einfach im Zeichen des Abendmahles zum Andenken an den Christus versammelten. Aber was meinte man denn damit eigentlich? Man meinte das Folgende.

Man hatte im ganzen Altertum eine religiöse Weisheitslehre, und im Grunde genommen war diese religiöse Weisheitslehre um so mehr auf dem Wesen des Vatergottes aufgebaut, in je frühere Zeiten man zurückschaut. Wenn wir die religiösen Bekenntnisse sehr alter Zeiten betrachten, die sich dekadent dann erhalten haben in den späteren religiösen Bekenntnissen, wenn wir diese alten Bekenntnisse nehmen, so zeigen sie überall eine gewisse Verehrung desjenigen, was zurückgeblieben war von dem Ahnherrn eines Stammes, eines Volkes. Man verehrte gewissermaßen den Stammvater eines Stammes,

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eines Volkes. Sie wissen ja aus Tacitus' , wie auch diejenigen Völkerschaften, die dann ins Römische Reich gedrungen sind und die neue Zivilisation möglich gemacht haben, durchaus noch Erinnerungen hatten an solche Stammesgottheiten, obwohl sie schon vielfach übergegangen waren, wie ich in den öffentlichen Vor­trägen des letzten Kurses ausgeführt habe, zu einer anderen Form der Gottesverehrung, zu den Lokalgottheiten. Man hatte also die Meinung, Generation nach Generation ist verflossen, seitdem ein alter Ahne da war, der den Stamm, der das Volk begründet hat, und die Seele, das Geistig-Seelische dieses Stammvaters, das waltete noch bis in die spätesten Generationen hinein. Und dieses Walten ist an die physische Gemeinschaft der Leiber des Stammes gebunden. Diese Leiber sind ja alle miteinander verwandt. Sie sind eben ge­meinsamer Abstammung. Durch ihre Adern fließt das gemeinsame Blut. Der Leib und das Blut sind eines. Und wie man hinaufsah zu dem Seelisch-Geistigen des Stammvaters, indem man sich religiös erhob, so fühlte man das Walten der Gottheit, zu der der Stamm­vater gegangen ist, von der der Stammvater nunmehr wirkte durch sein Seelisch-Geistiges auf den ganzen Stamm, auf das ganze Volk. Das Walten dieser Gottheit sah man in den Leibern, in dem Blute, das durch Generationen herunterrann, und etwas tief Geheimnis-volles sah man in den geheimnisvollen Kräften des Leibes und in den Kräften des Blutes.

Man sah wirklich in jenen alten heidnischen Zeiten in dem­jenigen, was im Leibe waltete und was durch das Blut rann, die Kräfte der Gottheit selber. Man kann daher schon sagen, daß wenn ein Bekenner jener alten Weltanschauung tierisches oder gar Men­schenblut herausrinnen sah, er in diesem Blute den Leib der Gott­heit selber erblickte, und er sah in dem, was sich aus dem Blute auf-baute, in den Leibern der Stammesverwandten, der Volksverwand­ten, die Gestalten der Gottheit, das Ebenbild der Gottheit. Wie da in dem Materiellen zu gleicher Zeit das Göttlich-Geistige verehrt wurde, davon können sich die Menschen heute eben keine Vorstel­lungen mehr machen.

Durch das Blut der Generationen rann also die Kraft der Gottheit

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herunter; durch die Leiber der Generationen gestaltete die Gottheit ihr Ebenbild, und zu dieser Gottheit kam die Seele und der Geist des Ahnen und wirkte mit Götterkraft auf die Nachkom­men, wurde verehrt als die Ahnengottheit. Nicht nur für diese alten Bekenntnisse, sondern vor allen Dingen auch für die wirkliche Wahr­heit hängt dasjenige, was im menschlichen Leibe wirkt, von den Kräften der Erde ab. Seine Anlagen, das wissen Sie ja, sind aus viel älteren Zeiten; aber in dem menschlichen Leib, so wie er heute ist mit dem mineralischen Reiche in sich, und im Blute wirken die Kräfte der Erde.

Im menschlichen Blute zum Beispiel wirken nicht bloß diejeni­gen Kräfte, die durch Nahrungsmittel einziehen in den Menschen, sondern die Kräfte, die im ganzen Erdenplaneten tätig sind. Da­durch, daß zum Beispiel der Mensch in einer Gegend lebt, die sehr viel von roter Erde hat, also eine gewisse geologische Beschaffen­heit, gewisse metallische Einschlüsse hat in der Erde, dadurch wird von der Erde auf das Blut gewirkt. Und wiederum, von der Erde ist die Gestaltung, ist der Leib des Menschen abhängig. Anders gestaltet sich der Leib in wärmeren, anders in kälteren Gegenden der Erde. Das Leibliche und das im Blute Wirkende hängt von dem ab, was in der Erde als Kräfte waltet. Diese Wahrheit, zu der wir heute erst wiederum kommen durch geisteswissenschaftliche Untersu­chung, sie war aus ihrer instinktiven Erkenntnis heraus diesen alten Menschen noch ohne weiteres klar. Sie wußten, im Blute pulsieren die Erdenkräfte. Wir sagen uns heute, wenn wir den einen Telegra­phenapparat von der Station A durch einen Draht verbinden mit dem Telegraphenapparat der Station B, so verbinden wir nur ein­seitig die Apparate. Wir leiten durch den Draht den elektrischen Strom; aber der elektrische Strom muß sich schließen. Er schließt sich dadurch, daß wir die sogenannte Erdleitung bilden. Es ist Ihnen ja wohl bekannt, daß wenn wir auf der einen Station einen Telegra­phenapparat haben, wir über die Telegraphenstangen den Draht führen; aber der Strom ist dann nicht geschlossen, der Strom muß geschlossen werden. Wir leiten ihn in die Platte, die wir in die Erde versenken, hinein, hier ebenfalls in die Platte [auf der anderen

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Seite], die wir in die Erde versenken, tun sonst gar nichts. Wir könn­ten auch einen anderen Draht hier legen, dann würde der Strom geschlossen sein, aber wir tun das nicht, wir bringen hier eine Erd­leitungsplatte und hier eine Erdleitungsplatte an (es wird gezeich­net), und die Erde besorgt das andere selbst. Das wissen wir heute als ein Ergebnis der äußeren Wissenschaft. Wir müssen voraus-setzen, daß die Elektrizität, der elektrische Strom in der Erde drin­nen arbeitet. Nun, die alten Menschen wußten nichts von der Elek­trizität und dem elektrischen Strom. Aber sie wußten dafür etwas von ihrem Blute. Sie standen auf der Erde und wußten, da ist etwas in der Erde drinnen, was im Blute auch lebt. Sie sahen die Sache anders an; sie sprachen nicht von Elektrizität, aber sie sprachen von etwas Irdischem, das in ihrem Blute lebt. Wir wissen nicht mehr, daß sie im Blute lebt, die Elektrizität er Erde. Wir reden nur, in­dem wir äußerlich durch mathematisch-mechanische Vorstellungen die Sache zu umfassen trachten._Und so kam es, daß die Menschen mit dem Erdenkörper als solchem verbanden diese Gottesvorstel­lung, die sie hatten. Sie sagten sich: das Göttliche waltet im Blute, waltet im Leibe, es waltet durch die Erde. Das war dasjenige, was in der Gottvatervorstellung erschien. Die Gottvatervorstellung ist eine solche aus dem Grunde, weil man ja den Urvater des Stammes, des Volkes, als den Ausgangspunkt des Göttlichen ansah; aber als das Mittel, wodurch er wirkte, sah man die Erde an, und die Wirkungen der Erde im Blute, im ganzen Menschenleib sah man als dasjenige an, was eigentlich Wirkungen des Göttlichen sind.

Nun aber hatten alle diese alten Menschen noch eine andere Vorstellung. Sie sagten sich: Nicht allein das Irdische wirkt auf den Menschen. Es wäre ja gut, wenn bloß das Irdische auf den Menschen wirkte, aber das ist nicht der Fall, sondern es wirkt der Nachbar der Erde, der Mond, zusammen mit den Kräften der Erde. Und so sagten sie sich: Es wirkt eigentlich nicht die Erde allein, sondern Erde und Mond wirken zusammen, und mit dieser Mischung von Erden- und Mondenkräften verbanden sie die Vorstellungen von jetzt nicht nur einer einheitlichen Gottheit der Erde, sondern von vielen Untergottheiten, die eben dann in der heidnischen Welt da

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waren. Alles dasjenige, was als Gottesvorstellung da war, was auf den Menschen wirkte durch Leib und Blut, das also war der Urquell, der die Gottesvorstellung eigentlich speiste in dieser alten Zeit.

Es war nun kein Wunder, daß alles Erkennen in diesen alten Zeiten sich hinwandte zur Erde, sich hinwandte zum Monde, hin-wandte zu den Wirkungen der Erde, daß man das dazu ergründen mußte, was auf die Erde wirkte. Da bildete man eine feine Wissen­schaft aus. Diese Wissenschaft von der Vatergottheit, die wirkte nach in den drei ersten Büchern des Johannes Scotus Erigena, von denen ich Ihnen gestern gesprochen habe. Im Grunde genommen weiß er es nicht mehr recht, denn er lebte eben schon im 9. nach­christlichen Jahrhunderte; aber Erbstücke der Urweisheit waren vorhanden, die davon sprachen, daß in dem, was den Menschen ir­disch umgibt, der Vatergott lebt, der nicht geschaffen, aber schaf­fend ist, die anderen Gottheiten leben, die geschaffen sind, aber schaffend sind. Das sind also die verschiedenen Wesenheiten der Hierarchien. Dann ist ausgebreitet um den Menschen dasjenige, was sichtbare Welt ist, das Geschaffene und Nichtschaffende, und er­warten soll der Mensch diejenige Welt, in welcher die Gottheit als eine nichtschaffende und nichtgeschaffene, also als eine ruhende waltet, die alles andere in ihrem Schoße aufnimmt. Dies das viene Buch des Scotus Erigena.

Nun, in diesem vierten Buche, das habe ich Ihnen ja gesagt, ist vorzugsweise die Soteriologie und die Eschatologie behandelt. In diesem vierten Buche wird dargestellt die Geschichte des Christus Jesus, die Auferstehung, die Gnadengaben werden dargestellt, aber auch gewissermaßen das Weltenende, das Hineingehen in die ruhende Gottheit. Die drei ersten Kapitel des großen Buches des Scotus Erigena zeigen uns, ich möchte sagen, klar einen Nachklang alter Anschauungen, denn im Grunde genommen recht christlich wird erst das vierte Kapitel. Die drei ersten Kapitel, sie werden christlich durchsetzt mit allerlei Vorstellungen, aber dasjenige, was in ihnen eigentlich wirksam ist, ist im Grunde genommen noch aus der alten Heidenzeit, und wir finden es so, wie es in der Heidenzeit war, auch bei den Kirchenvätern der ersten christlichen Jahrhunderte.

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Wir können sagen: Durch die Natur, durch dasjenige, was der Mensch in den Wesen, die ihn umgaben, sah, sah er die Region des Vatergottes. Er sah eine Idealwelt hinter der Natur. Er sah ge­wisse Kräfte in der Natur. Er sah endlich in der Aufeinandeffolge der Generationen, in diesem Werden der Menschheit selber in den einzelnen Stämmen und Völkern das Walten des Vatergottes. In den ersten christlichen Jahrhunderten war zu dieser Erkenntnis nur eine andere noch hinzugetreten, die fast ganz verlorengegan­gen ist.

Die ersten christlichen Kirchenväter - ihre spätchristlichen Kri­tiker haben ja das gründlich ausgerottet -, die sagten nämlich: In dem, was namentlich durch die Generationen hindurch durch das Blut geflossen ist, was sich in den Leibern ausgestaltet hat, da wirkte schon der Vatergott, aber in fortwährendem Kampf und in fortwäh­rendem Zusammensein mit seinen gegnerischen Mächten, den Naturgeistern. Das war eine besonders lebendige Vorstellung in den ersten christlichen Jahrhunderten, daß es dem Vatergott eigentlich nie gelungen war, allein zu wirken, sondern daß er im steten Kampfe gelegen hatte mit den Naturgeistern, die in allem Möglichen der Außenwelt walteten. Und so sagten diese ersten christlichen Kirchen­väter: Die Alten der vorchristlichen Zeit glaubten an den Vatergott, aber sie konnten ihn ja gar nicht unterscheiden von den Natur-geistern; sie glaubten eigentlich an dieses ganze Reich des Vater-gottes mit dem Naturreich zusammen. Sie glaubten, daß von dem herrührte die ganze sichtbare Welt. Das ist aber nicht wahr, so sagten sie. Es wirken zusammen alle diese geistigen Wesenheiten, diese verschiedenen Naturgottheiten, sie wirken in der Natur, aber sie haben sich erst in die irdischen Dinge hineingeschlichen. Die ir­dischen Dinge aber, die wir mit den Sinnen sehen, die außer uns sind, die also geworden sind als irdische, die rühren nicht von diesen Naturgeistern und auch nicht vom Vatergotte her, der eigentlich nur in denjenigen Metamorphosen sein schaffendes Wesen hatte, die der Erde vorangegangen sind. Dasjenige, was Erde ist, dasjenige, was man sieht als Erde, das rührt nicht vom Vatergotte her und nicht von den Naturgeistern, das rührt von dem Sohne, von dem Logos her,

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den der Vatergott hat aus sich hervorgehen lassen, damit der Logos die Erde schaffe; und dasJohannes-Evangelium ist aufgerichtet, ein großes, bedeutsames Monument, um anzudeuten: Nein, es ist nicht so, wie die Alten geglaubt haben, daß die Erde vom Vatergott ge­schaffen sei; der Vatergott hat den Sohn aus sich hervorgehen lassen, und der Sohn ist der Schöpfer der Erde.

Das sollte das Johannes-Evangelium sagen. Das war im Grunde genommen dasjenige, wofür die Kirchenväter der ersten christlichen Jahrhunderte gekämpft haben, was dann zu fassen dem mensch­lichen Verstande, der sich entwickelte, so schwer geworden ist, daß Dionysius der Areopagite vorgezogen hat, zu sagen: Alles dasjenige, was der Verstand schafft, ist positive Theologie und dringt nicht bis in die Regionen hinein, die die eigentlichen Geheimnisse der Welt enthalten. Dahinein kann man nur kommen, wenn man alle Prädi­kate negiert, wenn man spricht nicht von dem Sein Gottes, sondern von dem Übersein Gottes, wenn man nicht spricht von der Persön­lichkeit, sondern von der Überpersönlichkeit, wenn man also alles ins Negative hinüberversetzt; dann kommt man durch die negative Theologie dem eigentlichen Geheimnis des Daseins bei. Aber Dio­nysius und ein solcher Nachfolger wie Johannes Scotus Erigena, der aber schon ganz von dem Verstande durchsetzt war, die glaubten eben nicht, daß man mit dem menschlichen Verstande überhaupt noch fähig sei, diese Geheimnisse der Welt zu erklären.

Nun, was ist denn damit aber gesagt, daß der Logos der &höpfer von allem ist? Denken Sie an dasjenige, was ja im Grunde genom­men, nur eben dann abgeschwächt gegen die Zeit des Mysteriums von Golgatha hin, aber was im Grunde genommen in allen alten vor-christlichen Zeiten vorhanden war. Die Menschen sagten sich: Durch das Blut, durch den Leib wirkt die Gottheit, und sie hatten damit die Vorstellung verbunden, daß wenn das Blut durch die Adern des Menschen oder der Tiere rinnt, dieses Blut dann eigentlich den Göt­tern weggenommen ist. Es ist der rechtmäßige Besitz der Götter. Man kann also den Göttern sich nähern, wenn man ihnen Blut zu­rückgibt. Sie wollen das Blut eigentlich für sich haben; die Men­schen haben das Blut in Besitz genommen, man muß den Göttern

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wiederum das Blut zurückgeben. Daher die Blutopfer in jenen alten Zeiten.

Nun kam der Christus und sagte: Das ist nicht dasjenige, um was es sich handelt, da kommt man nicht an die irdischen Dinge heran. Die irdischen Dinge sind gar nicht von denjenigen Göttern, die das Blut haben wollen. Sehen wir auf dasjenige, was wirkt im Menschen, bevor die Erde auf ihn wirkt, nehmen wir das Brot, also dasjenige, wovon sich der Mensch ernährt, nehmen wir es so, wie es der Mensch zunächst aufnimmt. Er nimmt es auf durch seinen Geschmack. Es geht das Nahrungsmittel im Menschen bis zu einem gewissen Punkt, bevor es in Blut umgewandelt wird. Es wird ja erst in Blut umge­wandelt, nachdem es durch die Darmwände in die Organisation übergegangen ist. Da beginnt erst die Erdenwirkung; solange das Nahrungsmittel noch nicht übernommen ist vom Blute, hat die Erdenwirkung noch nicht begonnen. Sehet also nicht in dem Blute dasjenige, was dem Gotte entspricht, sehet es in dem Brote, bevor das Brot zu Blut wird, und sehet es in dem Wein, bevor der Wein in das Blut hineingeht. Da ist das Göttliche, da ist die Verkörperung des Logos. Sehet nicht auf dasjenige, was im Blute rinnt, denn das, was im Blute rinnt, das ist bei den Menschen altes Erbstück der Mondenzeit, der vorirdischen Zeit. Dasjenige, was im Menschen ir­disch ist, mit dem hat das Nahrungsmittel zu tun, bevor es Blut wird. Also weg mit den Vorstellungen von dem Blute und von dem Leibe, von dem Fleische, dagegen hingelenkt die Vorstellungen zu demjenigen, was noch nicht Blut geworden ist und noch nicht Fleisch geworden ist, hingelenkt die Vorstellungen auf dasjenige, was auf der Erde draußen bereitet wird, was irdisch ist, ohne daß der Mond einen Einfluß dabei hat, das heißt auf das, was vom Sonnen-einfluß herkommt. Denn wir sehen die Dinge durch das Licht der Sonne, und wir essen das Brot und trinken den Wein, indem wir in ihnen die Sonnenkraft essen und trinken. Die sichtbaren Dinge sind nicht durch den Vatergott, die sichtbaren Dinge sind durch den Logos.

Denken Sie, da war die ganze Vorstellungswelt der Menschen hingelenkt auf dasjenige, was man nun nicht im Stile der Alten

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gewinnen konnte aus der ganzen Natur, was man nur dadurch ge­winnen konnte, daß man hinsah auf dasjenige, was die Sonne erglänzen läßt auf der Erde. Es war auf etwas rein Geistiges hin­gewiesen. Man soll nicht heraussaugen aus den physischen Dingen der Erde dasjenige, was das Göttliche ist, man soll dieses Göttliche sehen in dem reinen Geistigen, in dem Logos. Es wurde der Logos entgegengesetzt den alten Gottvatervorstellungen, das heißt, es wurde der Menschen Sinn auf etwas rein Geistiges hingelenkt. Nie­mals hat in vorchristlichen Zeiten der Mensch durch etwas anderes als durch dasjenige, was in ihm gewissermaßen organisch gekocht worden ist, und in ihm dann innerlich als eine Vision oder derglei­chen aufgegangen ist, das Göttliche gesehen. Er sah schon das Gött­liche auch für ihn aufsteigen aus dem Blute. Jetzt suchte er es im reinen Geistigen zu erfassen. Jetzt sollte er aber auch die Dinge, die um ihn herum sichtbar sind, als ein Ergebnis des Logos ansehen, nicht desjenigen, was sich in die Dinge erst hineingeschlichen hat, als das Ergebnis eines Gottes, der im Vorirdischen geschaffen hat.

Damit, wenn wir so denken, kommen wir den Vorstellungen der ersten christlichen Jahrhunderte eigentlich erst nahe. Aber damit war ja den Menschen zunächst etwas gegeben wie ein Hinweis, daß sie nicht irgendwelcher anderen Kraft, als der Kraft ihres Bewußt­seins entnehmen sollen die Vorstellungen, um zum Göttlichen zu kommen. Die Menschen waren hingelenkt auf das Geistige. Was konnte man ihnen daher sagen? Man konnte ihnen sagen: Ehedem war die Erde so mächtig, daß sie euch die Vorstellung gegeben hat vom Göttlichen. Das hat aufgehört. Die Erde gibt nichts mehr her. Ihr müßt durch euch selbst zum Logos und zum schöpferischen Prin­zip kommen. Ihr habt im Grunde genommen bisher verehrt das­jenige, was im Vorirdischen schöpferisch war; jetzt sollt ihr dasjenige verehren, was im Irdischen schöpferisch ist. Das könnt ihr aber nur durch die Kraft eures Ich, eures Geistes erfassen.

Und das drückte sich aus in dem, daß die ersten Christen sagten:

der Weltuntergang ist nahe. Sie meinten, der Untergang derjenigen Erde, die dem Menschen Erkenntnis gibt, ohne daß er mit seinem Bewußtsein an diesen Erkenntnissen arbeitet. Und es ist in der Tat

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eine tiefe Wahrheit ausgesprochen mit diesem Weltuntergange, denn der Mensch war vorher ein Sohn der Erde. Der Mensch überließ sich den Erdenkräften. Er verließ sich darauf, daß sein Blut ihm seine Erkenntnisse gab. Damit war es aus. Die Reiche der Himmel sind nahe herangekommen, die Reiche der Erde haben aufgehört. Der Mensch kann fortan nicht mehr ein Sohn der Erde sein. Der Mensch muß sich zum Genossen eines geistigen Wesens machen, das von der geistigen Welt auf die Erde heruntergekommen ist, des Logos, des Christus.

Der Weltuntergang wurde prophezeit für das 4. nachchristliche

Jahrhundert: Erdenuntergang, der Anbruch eines neuen Reiches, der Anbruch desjenigen Reiches, wo der Mensch sich fühlen soll, wohnend als Geist unter Geistern. Das wird wohl dem Menschen der Gegenwart am schwierigsten sein, sich vorzustellen, daß tatsächlich unsere gegenwärtige Art, als Menschen zu wohnen, die Menschen der Christus-Zeit nicht als ein irdisches Wohnen angesehen haben würden, sondern als ein Wohnen schon im Geisterreiche, nachdem die Erde, wie sie war, als sie noch für den Menschen die Kräfte her-gab, untergegangen ist. Jemand, der in der richtigen Weise die Denkweise der ersten Christen verstanden hätte, würde heute nicht sagen, die ersten Christen hätten abergläubisch an den Untergang der Welt geglaubt; er sei aber nicht gekommen. In dem Sinne, wie die ersten Christen das gesehen haben, ist dieser Untergang im 4. nachchristlichen Jahrhundert dagewesen, und diejenige Art, wie wir jetzt leben, würden eben diese ersten Christen schon als das neue Jerusalem angesehen haben, als das Reich, in dem der Mensch als Geist unter Geistern lebt. Nur würden sie gesagt haben: Nach unserer Anschauung ist eigentlich der Mensch in den Himmel ein­gezogen, aber er ist so schlecht, daß er das nicht erkennt; er glaubt, daß im Himmel drinnen nur alles von Milch und Honig überfließt, daß da nicht die bösen Geister seien, gegen die er sich zu wehren hat. - Die ersten Christen würden gesagt haben: vorher waren diese bösen Geister in den Naturdingen drinnen, nun sind sie losgelassen, schwirren unsichtbar herum; der Mensch muß sich ihrer erwehren.

Also Weltuntergang im Sinne der ersten christlichen Zeiten war

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eben durchaus da. Man hat es nur nicht verstanden. Man hat nicht verstanden, daß statt des in der Erde wohnenden Gottes, der also sich ankündigte durch die Erdenereignisse, daß statt dessen da war der übersinnliche Logos, den man im Übersinnlichen erkennen muß, an den man sich halten muß durch übersinnliche Kräfte. Und wenn man dies annimmt, dann wird man auch verstehen, wieso im 9., 10., 11. Jahrhundert wiederum Weltuntergangsstimmung da war im zivilisierten Europa. Wiederum erwartete man den Weltuntergang. Man wußte nicht, was die ersten Christen damit gemeint haben, aber aus dieser Weltuntergangsstimmung, die über das ganze zivili­sierte Europa im 9., 10., 11. Jahrhundert verbreitet war, bildete sich dasjenige, was nun auch auf mehr materielle Art den Weg zu dem Christus hin suchte, als man ihn eigentlich hätte suchen sollen. Man sollte erkennen: im Geiste soll man den Logos finden, nicht aus den Naturerscheinungen heraus. Dieses den Logos im Geiste Suchen, das haben diese Menschen, die nun wiederum in die Weltuntergangs-stimmung hineinkamen, nicht begriffen, sondern sie haben es auf mehr materielle Art gesucht. Und so entstand aus dieser Stimmung heraus die Stimmung der Kreuzzüge: den Christus materiell im Orient in seinem Grabe wenigstens noch zu suchen, sich zu halten an den Christus in der Weltuntergangsstimmung, man möchte sagen, in der mißverstandenen Weltuntergangsstimmung.

Ja, man fand nicht den Christus drüben im Oriente. Man hat ungefähr diejenige Antwort bekommen, die auch dazumal die Leute bekommen haben, die den Christus im Grabe sichtbarlich suchten, die Antwort: Der, den ihr suchet, der ist nicht mehr hier -, der muß eben im Geiste gesucht werden.

Und jetzt im 20.Jahrhundert, und die Dinge werden sich wieder vermehren, ist ja auch Weltuntergangsstimmung, wenn auch die Menschen so lethargisch und gleichgültig geworden sind, daß sie nicht einmal mehr diese Weltuntergangsstimmung merken. Aber es hat immerhin derjenige, der von dieser Weltuntergangsstimmung im «Untergang des Abendlandes» spricht, einen bedeutenden, weit­hin bemerkbaren Eindruck gemacht, und diese Weltuntergangs-stimmung wird sich immer mehr und mehr verbreiten.

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Eigentlich aber brauchte man nicht von dem Untergang der Welt zu reden. Sie ist in dem Sinne, daß man aus der Natur heraus das Geistige finden kann, untergegangen, und es handelt sich darum, daß man gewahr wird, man lebt in einer geistigen Welt. Dieser Irrtum der Menschen, nicht zu wissen, daß sie in einer gei­stigen Welt leben, das ist es, was das Unheil über die Welt herauf-gebracht hat, das macht, daß die Kriege immer blutiger und blutiger werden, und daß immer deutlicher und deutlicher wird: die Men­schen sind wie besessen. Sie sind auch von den bösen Mächten besessen, die sie durcheinanderführen, denn sie reden gar nicht mehr, als ob sie dasjenige aussprechen würden, was in ihrem Ich liegt. Sie sind wie von einer Psychose besessen. Diese Psycho­se ist ja etwas, von dem man viel redet, was aber wenig verstan­den wird.

Was die ersten Christen als Weltuntergang gemeint haben, was sie darunter verstanden haben, das ist dagewesen, und die neue Zeit ist da. Sie muß nur erkannt werden, es muß nur durchschaut werden, daß tatsächlich der Mensch, wenn er erkennt, erkennt als ein Engel, und wenn er seiner selbst bewußt wird, er seiner selbst bewußt wird als ein Erzengel. Daß also die geistige Welt bereits heruntergekom­men ist, daß man sich ihrer nur bewußt werden muß, das ist das Wichtige. Viele haben gemeint, sie nehmen das Evangelium ernst. Aber obwohl es im Evangelium ganz deutlich steht, daß alle Dinge, die da entstanden sind, die also in Betracht kommen, nicht aus ihren irdischen Kräften erklärt werden sollen, sondern durch den Logos entstanden sind, trotzdem bekannten sich die Leute zum Vater­gotte, der eben anzuerkennen ist zwar als eins mit dem Christus, aber eben als derjenige Aspekt der Dreieinigkeit, der gewirkt hat, bis die Erde sich gebildet hat; während der eigentliche Regent der Erde der Christus, der Logos ist.

Diese Dinge konnten kaum mehr verstanden werden im 9. Jahr­hundert, als Scotus Erigena wirkte. Daher ist auf der einen Seite dieses Buch über die Gliederung der Natur von Scotus Erigena groß und bedeutend, auf der anderen Seite, wie ich Ihnen eben gestern sagte, wiederum chaotisch, so daß man sich eigentlich erst anfängt

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auszukennen, wenn man es in dem Sinne geisteswissenschaftlich betrachtet, wie wir das gestern und heute getan haben.

Nun, wie gesagt, im vierten Kapitel spricht Johannes der Schotte von der nichtgeschaffenen und nichtschaffenden Wesenheit. Durch­schauen wir das, durchschauen wir den wirklichen Sinn desjenigen, was Scotus Erigena da schildert, die ruhende Gottheit, in der sich alles vereint, so ist der Schritt ja schon da. Die Welt, die in den früheren drei Kapiteln geschildert wird, ist untergegangen. Diese Welt der ruhenden Gottheit, der nichtgeschaffenen und nicht-schaffenden Wesenheit, sie ist da. Die Erde ist im Niedergehen, in­sofern sie Natur ist. Ich habe öfter darauf aufmerksam gemacht, daß das so ist, indem ich Sie hingewiesen habe darauf, daß selbst der Geologe heute sagt: Im großen ganzen entsteht ja auf der Erde nichts mehr. Gewiß, als Nachklang bilden sich Pflanzen und so weiter, pflanzen sich Pflanzen, Tiere und Menschen fort; aber die Erde im großen und ganzen, sie ist ja etwas anderes geworden, als sie war. Sie zersplittert, sie zerschellt. Die Erde ist ja im ganzen in ihrem mineralischen Reiche bereits im Zerfall. - Der große Geologe Sueß drückt das in seinem Werk «Das Antlitz der Erde» aus, indem er sagt, wir gehen auf den auseinanderfallenden Schollen der Erde herum. Und er weist auf gewisse Gebiete dieser Erde hin, wo man das sehen kann, wie man bereits diese auseinanderfallenden Erd­schollen hat. Er weist darauf hin, wie das früher anders war. Das, allerdings nicht aus Naturtatsachen, aber aus den moralischen Tat­sachen der Menschheitsentwickelung heraus meint die Weltanschau­ung und Lebensauffassung der ersten christlichen Jahrhunderte.

Und tatsächlich, seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts leben wir noch mehr, als das für Scotus Erigena der Fall war, in der ruhenden Gottheit darin, die da wartet, bis wir nun in unserer Aktivität dazu kommen, die Imagination, die Inspiration zu erlangen, um die Welt um uns herum als eine geistige anzusehen, um zu erkennen, daß wir ja in der geistigen Welt sind, die die irdische abgestoßen hat, daß wir nach dem Weltuntergang leben, daß wir angekommen sind bei dem neuen Jerusalem.

Es ist in der Tat ein eigentümliches geistiges Schicksal der

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Menschheit, daß sie in der geistigen Welt lebt und es nicht weiß und nicht wissen will. Alle Interpretationen, die darauf ausgehen, das wirkliche Christentum so darzustellen, als ob es verquickt wäre mit irgendwelchen unvollständigen Vorstellungen, wie von einem Welt­untergang, der doch nicht eingetreten ist und der nur symbolisch ge­meint sein soll und so weiter, alle diese Auslegungen sind ein Nichts. Dasjenige, was da steht in den Schriften des Christentums, das muß nur eben im richtigen Sinne verstanden werden, das muß nur richtig aufgefaßt werden. Es muß Kiarheit herrschen darüber, daß es sich handelt darum, daß allerdings die ersten christlichen Vorstellungen solche waren, daß man von einer Welt gesprochen hat, die schon anders war nach dem 4. nachchristlichen Jahrhunderte.

Solche Lehren, wie sie in den ersten christlichen Jahrhunderten vorhanden waren, solche Lehren bewunderten die Weistümer des Heidentums, und die christlichen Kirchenväter versuchten diese zu verbinden mit dem Geheimnis von Golgatha. Man sah tatsächlich die Dinge so an, wie ich sie heute geschildert habe. Aber man glaubte nicht daran, daß die Menschen sie zunächst verstehen kön­nen. Daher konservierte man in Dogmen, die nur geglaubt werden sollen, die nicht verstanden werden sollen, die Geheimnisse der alten Zeit. Die Dogmen sind nicht etwa Aberglaube oder Unwahr­heit. Die Dogmen sind schon wahr, nur daß sie in der richtigen Weise verstanden werden müssen. Verstanden können sie aber nur werden, wenn durch dasjenige, was nun heraufgekommen ist mit dem Beginne des 15. Jahrhunderts, dieses Verständnis gesucht wird.

Sehen Sie, als Scotus Erigena noch lebte, da war der mensch­liche Verstand noch eine Kraft. Scotus Erigena empfand noch, daß der Engel in ihm erkennt. Er war immerhin bei den Besten noch eine Kraft, dieser menschliche Verstand. Seit der Mitte des 15. Jahr­hunderts haben wir ja nur noch den Schatten dieses Verstandes, dieses Intellektes. Wir entwickeln die Bewußtseinsseele seit der Mitte des 15. Jahrhunderts; aber wir haben noch den Schatten des Ver. standes. Wenn der Mensch heute seine Begriffe entwickelt, nun, er ist wahrhaftig weit genug entfernt von der Vorstellung, daß da ein Engel in ihm erkennt. Er denkt sich nun halt: Ich denke da etwas aus

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über die Dinge, die ich erfahren habe. Er redet jedenfalls nicht davon, daß da eigentlich ein geistiges Wesen vorhanden ist, das da erkennt, oder gar ein noch höheres geistiges Wesen, das er ist durch sein Selbstbewußtsein. Dasjenige, womit der Mensch heute die Dinge zu erkennen versucht, das ist der Schatten des Intellektes, wie er sich für die Griechen, zum Beispiel für Plato und Aristoteles, wie er sich selbst für die Römer noch herausgebildet hat, wie er selbst noch lebendig war für Scotus Erigena im 9. nachchristlichen Jahr­hundert.

Aber gerade das, meine lieben Freunde, daß wir uns durch den Verstand nicht mehr zu beirren lassen brauchen,das kann uns weiter­helfen. Die Menschen laufen heute einem Schatten nach, dem Verstande in ihnen, dem Intellekt. Von dem lassen sie sich beirren, statt zu streben nach Imagination, nach Inspiration, nach Intuition, die nun wiederum in die geistige Welt, die eigentlich uns umgibt, hineinführen. Daß der Verstand schattenhaft geworden ist, das ist ja gerade gut. Aber wir haben zunächst mit diesem schattenhaften Verstande die äußere Naturwissenschaft gegründet. Wir müssen von ihm aus weiterarbeiten, und Gott ist zur Ruhe gekommen, damit er uns arbeiten lasse. Der vierte Zustand ist heute vollends da. Der Mensch muß sich nur dessen bewußt werden. Und ohne daß er sich dessen bewußt wird, kann nichts weiter sich bilden auf der Erde. Denn dasjenige, was die Erde als Erbstück empfangen hat, das ist dahin, das ist untergegangen. Neues muß gegründet werden.

Solch ein Mensch wie Spengler schaut auf die Trümmer, die da sind noch von den alten Zivilisationen. Sie sind ja auch genügend zubereitet worden. Im 9., 10., 11. Jahrhundert war Weltuntergangs-stimmung. Nachher kamen die Kreuzzüge. Sie haben nichts eigent­lich gebracht, weil ja im Materiellen gesucht worden ist dasjenige, was im Geiste hätte gesucht werden sollen. Nun, da die Kreuzzüge nichts gebracht hatten, kam den Menschen, man möchte sagen, zunächst wie eine Aushilfe, die Renaissance. Das Griechentum wurde wieder erschlossen, dasjenige, was heute unter den Menschen als Bildung verbreitet wird, das Griechentum war wieder da, es war aber zunächst nicht da als ein Neues. Das Neue war nur in bezug auf

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die äußere Natur in mathematisch-mechanischen Vorstellungen da seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts. Dafür aber waren da die Trümmer des Altertums. Unseren jungen Leuten werden die Trüm­mer des Altertums als Gymnasialbildung eingepfropft. Sie bilden dann die Grundlage der Zivilisation. Oswald Spengler hat diese Trümmer der Renaissance angetroffen. Wie erratische Blöcke schwimmen sie auf dem Meer, das weiteres erzeugen will. Aber schaut man nur hin auf diese Eisblöcke, die da schwimmen, dann sieht man den Untergang. Denn dasjenige, was da aus dem Alten sich erhalten hat, ist in Untergangsstimmung, und niemand kann galvanisieren dasjenige, was unsere heutige Bildung ist. Die geht zu­grunde. Eine andere Zivilisation muß aus dem Geistigen heraus durch Urschöpfung geschaffen werden, denn der vierte Zustand ist da.

So muß Scotus Erigena verstanden werden, der sich seine Weis­heit - ich möchte sagen, für ihn schon schwer verständlich - aus der Irischen Insel herübergebracht hatte, aus den Mysterien, die da auf der Irischen Insel gepflegt worden waren; das muß man heute aus dem Scotus Erigena herauslesen. Und so spricht nicht nur dasjenige, was man aus der Geisteswissenschaft als Urerkenntnis haben kann, sondern so sprechen auch die Dokumente der älteren Zeiten, wenn man sie wirklich verstehen will, wenn man endlich loskommen will von dem Alexandrinismus der neueren philosophischen Wissen­schaft, welche sich Philologie nennt. Man muß schon sagen, so wie diese Dinge getrieben werden heute, merkt man weder viel von Philologie noch von Philosophie. Wenn man die Einpaukereien und die Examensordnungen in unseren Bildungsanstalten sich anschaut, dann ist von «Philo» außerordentlich wenig vorhanden, das muß schon aus einer anderen Ecke heraus kommen, aber wir brauchen es wiederum.

Ich wollte Ihnen vorführen erstens die Gestalt des Scotus Erigena, zweitens aber wollte ich zeigen, wie man die Wege erst suchen muß, um dasjenige, was verschüttet ist von der Urweisheit, in der richtigen Weise fassen zu können. Solche Tatsachen beachten ja die Menschen heute nicht, daß im Johannes-Evangelium klar ausgesprochen ist:

Der Logos ist das Schöpferische, nicht der Vatergott.

SIEBZEHNTER VORTRAG Dornach, 5. Juni 1921

#G204-1979-SE295 Perspektiven der Menschheitsentwickelung

#TI

SIEBZEHNTER VORTRAG

Dornach, 5. Juni 1921

#TX

Wir haben im Laufe der letzten Tage durch das spezielle Beispiel der Persönlichkeit des Johannes Scotus Erig ena noch einmal hinweisen können auf jenen Wendepunkt, der in der abendländischen Zivili­sation eingetreten ist um das 4. nachchristliche Jahrhundert. Und gerade in unserer Gegenwart, wo sich so viele Dinge wenden sollen, ist es außerordentlich notwendig, sich klarzumachen, was eigentlich dazumal geschah mit der ganzen Seelenverfassung der Menschen. Denn es ist schon einmal so, daß wir in der Gegenwart wiederum in einem außerordentlich wichtigen Momente der Menschheitsent­wickelung leben, daß wir nötig haben, gewissermaßen auf die Zeichen der Zeit, auf die Stimmen der geistigen Welt hinzuschauen und hinzuhorchen, damit wir aus dem Chaos der Gegenwart heraus einen Weg in die Zukunft finden können.

In diesem 4. nachchristlichen Jahrhundert sind Veränderungen mit den Menschenseelen, die den führenden Völkern und Volks­stämmen angehörten, geschehen, wie sie eben durchaus in unserem Jahrhunderte sich zum Teil schon wieder angebahnt haben, zum Teil wieder geschehen werden. Und in Johannes Scotus Erigena hat sich uns eine Persönlichkeit gezeigt, die in gewisser Weise unter den Nachwirkungen desjenigen gestanden hat, was noch vor dem 4. nachchristlichen Jahrhundert als menschliche Anschauung vorhan­den war.

Nun wollen wir uns einmal andere Dinge vergegenwärtigen, an denen man den Charakterumschwung auch sehen kann. Betrachten wir einmal von diesem Gesichtspunkte aus, soweit das, ich möchte sagen, in mehr äußerlicher Weise geschehen kann, die Entwickelung des Naturkundlichen, vor allem der Anschauungen des Menschen über Gesundheit und Krankheit. Wir wollen damit zunächst inner­halb der geschichtlichen Zeit stehenbleiben und kommen dann, wenn wir uns fragen, wie sich die Ansichten über die Natur, nament­lich die Natur des Menschen in Zusammenhang mit Gesundheit

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und Krankheit für den Menschen selbst darstellen, in die ältere ägyptische Zeit zurück. Daß man überhaupt von einer Ähnlichkeit der Anschauungen mit den unsrigen sprechen kann in bezug auf die angedeutete Frage, ist eigentlich doch erst bei den alten Ägyptern der Fall. Aber diese alten Ägypter hatten dann namentlich über Gesundheit und Krankheit und deren natürliche Grundlagen ganz andere Anschauungen, als wir sie heute haben, weil sie den Zusam­menhang mit der Naturumgebung ganz anders dachten, als wir das heute denken. Der alte Ägypter hatte im Grunde genommen gar nicht das volle Bewußtsein davon, daß er von der Erde allmählich abgesondert ist. Er stellte den eigenen Leib - und der Ägypter sah ja zunächst auf dasjenige, was wir Leib nennen, beim Menschen hin -, er stellte den menschlichen Leib in inniger Verbindung mit den Kräften der Erde dar. Wir haben schon vorigen Freitag davon ge­sprochen, wie eine solche Vorstellung zustande kommt, daß sich der Mensch mit der Erde gewissermaßen leiblich innig verbunden denkt. Ich habe Sie auf die alten Kräfte hingewiesen, um Ihnen das zu ver­anschaulichen. Aber der alte Ägypter war sich ganz und gar klar darüber, daß er sich doch in einer gewissen ähnlichen Beziehung zur Erde rechnen müsse, wie, sagen wir, die Pflanzen zur Erde gerech­net werden müssen. Wie man in der Pflanze mehr oder weniger sichtbarlich die Säfte oder wenigstens die Kräfteverhältnisse von der Erde in die Pflanze hineinverfolgen kann, so fühlte man im al­ten Ägypten im Menschen gewisse Kräfte walten, die zu gleicher Zeit in der Erde walteten. Man rechnete den menschlichen Leib zur Erde.

Man konnte das nur aus dem Grunde tun, weil man über die Erde eine ganz andere Anschauung hatte, als man über diese Erde heute hat. Die Erde sich so als einen mineralischen Körper vorzustel­len, wie wir das heute tun, das wäre einem alten Ägypter gar nicht eingefallen. Er stellte sich gewissermaßen die Erde als ein großes organisches Wesen vor, als ein Wesen, das zwar nicht ganz so organi­siert ist wie ein Tier oder wie ein Mensch, das aber doch in einer gewissen Beziehung ein Organismus ist, und er stellte sich vor unter den Gesteinsmassen der Erde etwas wie eine Art Knochensystem der

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Erde. Er stellte sich vor, daß in der Erde Vorgänge geschähen, die einfach sich in den menschlichen Leib hinein fortsetzten.

Sehen Sie, der alte Ägypter empfand ja etwas dabei, wenn er den menschlichen Leichnam, nachdem er abgelegt war von der Seele, mumifizierte, wenn er Mumien bildete, wenn er gewissermaßen die Form des menschlichen Leibes erhalten wollte. Er sah gewissermaßen in den formbildenden Kräften, die von der Erde ausgehen und einen menschlichen Leib plastisch gestalten, er sah in ihnen etwas wie den Willen der Erde, und er wollte, daß dieser Wille der Erde dauernd zum Ausdrucke kommt. Er hatte über das Seelische An­schauungen, dieser Ägypter, die dem heutigen Menschen wiederum etwas ferne liegen. Wir müssen sie heute einmal charakterisieren.

Sehen Sie, wir müssen ja betonen, daß wir, wenn wir zurück­kommen in die älteren ägyptischen Zeiten, aber namentlich in die urpersischen und in die urindischen Zeiten, daß wir da weit ver­breitet finden aus der instinktiven alten Weisheit heraus die Lehre von der Reinkarnation, von der Wiederkehr der eigentlichen mensch­lichen Wesenheit in aufeinanderfolgenden Erdenleben. Aber wir tun Unrecht, wenn wir glauben, daß etwa diese alten Menschen der Meinung gewesen wären, dasjenige, was uns heute als Seele bewußt ist, das wäre dasjenige, was immer wiederkehrt. Gerade die ägyp­tische Anschauung zeigt es uns, daß diese Anschauung nicht so bestand, sondern wir müssen uns vorstellen, das Geistig-Seelische des Menschen lebt in geistigen Welten zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Wenn die Zeit heranrückt für das Geistig-Seelische, wo es heruntersteigen soll auf die physische Erde, dann wirkt es von sich aus gestaltend dasjenige, was hervorgeht durch die Vererbung in den Generationen als menschlicher Leib. Aber während des Lebens zwischen Geburt und Tod stellten sich diese alten Menschen nicht vor, daß dasjenige, was sie in ihrem Bewußtsein tragen, die eigent­lich geistig-seelische Wesenheit sei, welche zwischen dem Tod und einer neuen Geburt lebt und dann zwischen der Geburt und dem Tode formt an dem menschlichen Leibe. Nein, sie stellten sich die Sache anders vor, diese alten Menschen. Sie sagten sich: Wenn ich im vollen Wachzustande bin vom Morgen bis zum Abend, weiß ich

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überhaupt nichts von den geistig-seelischen Angelegenheiten, die auch meine Angelegenheiten als Mensch sind. Ich muß abwarten, bis mir im Halbschlaf oder, wie es ja in diesen alten Zeiten der Fall war, in dem von Bildern erfüllten Schlafe mein eigenes wahres Wesen erscheint, welches an mir gebaut hat, als ich hereingetreten bin in das irdische Dasein durch die Geburt.

Also der alte Mensch war sich bewußt, er habe im eigentlichen Wachzustande gar nicht sein wirkliches Seelisches zu erleben, sondern er müsse dieses wirkliche Seelische wie ein Äußeres an­schauen als Bild, das ihn überkommt, wenn er in die Ihnen öfter geschilderten traumhaft-hellseherischen Zustände übergehe. Sein eigenes Wesen empfand der alte Mensch in einer gewissen Weise als etwas, das ihm wie ein Erzengel oder wie ein Engel erschien. Und daß man in einer gewissen Weise dieses menschliche Innere im Wachzustande als zum Seelenhaften unmittelbar gehörend betrach­tete, das war eigentlich erst im alten Ägypten der Fall. Aber wenn wir charakterisieren sollen, wie der alte Ägypter sich das vorstellte, so müssen wir das Folgende sagen.

Er dachte sich: Mein Geistig-Seelisches, das erscheint mir im Traumbilde, wie es ist zwischen Tod und neuer Geburt. Das baut sich seinen Leib auf. Wenn ich den Leib ansehe in seiner Form, dann sehe ich, wie dieses Geistig-Seelische als Künstler an dem Leibe gearbeitet hat. Ich habe eigentlich an meinem Leibe viel mehr einen Ausdruck meines Geistig-Seelischen, als wenn ich in mein Inneres hineinschaue. Deshalb will ich auch diesen Leib konservieren. Des­halb soll er als Mumie in seiner Form erhalten bleiben, denn das­jenige, was zwischen dem letzten Tode und dieser Geburt die Seele sich erbaut hat an diesem Leibe, das ist in dieser Form enthalten. Das erhalte ich, wenn ich den Leib konserviere und als Mumie das Bild festhalte, an dem Jahrhunderte das Geistig-Seelische gearbeitet hat. Dagegen von dem, was der Mensch im Wachzustande erlebte zwischen Geburt und Tod, sagte sich der Ägypter: Das ist eigentlich etwas wie eine Flamme, das ist etwas, was entzündet wird in mir, aber das hat sehr wenig zu tun mit meinem eigentlichen Ich. Dieses Ich ist eigentlich etwas, was sich außerhalb hält, mehr oder weniger

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außerhalb meiner seelischen Erlebnisse im Wachzustande zwischen Geburt und Tod. Diese seelischen Erlebnisse im Wachzustande zwischen Geburt und Tod, sie sind eigentlich eine vorübergehende Flamme. Sie werden angefacht in meinem Leibe durch mein höheres Seelisches; aber sie erlöschen wiederum mit dem Tode, und dann erst leuchtet mein wahrhaft Geistig-Seelisches auf. Dann lebe ich in meinem Geistig-Seelischen bis zu der neuen Geburt.

Es war schon so, daß der alte Ägypter sich vorstellte, er komme im Leben zwischen der Geburt und dem Tode gar nicht so recht zum Erleben seines Seelischen. Er sah in diesem Seelischen gewisser­maßen etwas, was über ihm stand, was sein zeitliches Seelisches an­fachte und auch wieder auslöschte, und was aus der Erde heraus den Erdenstaub nimmt, um den Leib zu formen; diese Form wollte er dann erhalten in der Mumie.

Der alte Ägypter legte auf das Seelische, das im Wachzustande zwischen Geburt und Tod sich erlebte, eigentlich keinen besonderen Wert, denn er sah über dieses Seelische hinaus auf ein ganz anderes Geistig-Seelisches, das Leiber immer wieder aufbaut, das dann die Zeit durchmacht zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Und so sah er ein Wechselspiel der Kräfte zwischen dem, was höheres Menschliches ist, und der Erde. Er sah eigentlich auf die Erde hin; die Erde war ihm ja auch das Haus des Osiris. Er sah über dasjenige, was inneres Bewußtsein war, hinweg.

Und darinnen besteht gerade die griechische Entwickelung, die im 8. vorchristlichen Jahrhunderte begann, daß der Mensch immer mehr und mehr Wert legte auf dieses zwischen Geburt und Tod auflebende Seelische, das der alte Ägypter noch wie eine angefachte und auslöschende Flamme ansah. Dem Griechen wurde wert dieses Seelische. Nur hatte er noch ein Gefühl, der Grieche, daß mit diesem Seelischen wirklich im Tode etwas wie ein Auslöschen ge­schieht. Daher das berühmte griechische Wort, das ich ja öfter von diesem Gesichtspunkte aus schon charakterisiert habe: Lieber ein Bettler auf der Erde, als ein König im Reiche der Schatten. - Diesen Ausspruch machte der Grieche, indem er auf das Seelische sah. Ihm wurde das Seelische wichtig, während es für den Ägypter noch

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weniger wichtig war. Und damit hing dann bei den Ägyptern zu­sammen die Ansicht, die sie über Gesundheit und Krankheit hatten, daß sie sich sagten, von dem eigentlich Geistig-Seelischen, das gar nicht recht hereinkommt in den bewußten Menschen zwischen Geburt und Tod, von diesem Geistig-Seelischen wird der mensch­liche Leib aus dem Erdenelemente entnommen, aus dem Wasser der Erde, der Luft, aus dem Festen der Erde, aus der Wärme der Erde. Da sich der alte Ägypter so sagte, daß dieser menschliche Leib aus der Erde gebildet wird, so hielt er darauf, diesen menschlichen Leib rein zu halten. Und in der Blütezeit der ägyptischen Kultur war daher das Reinhalten des Leibes etwas, was ganz besonders kultiviert wurde. Der Ägypter hielt viel auf diesen Leib, und er sagte sich:

Wenn der Leib krank wird, so ist in einer gewissen Weise sein Ver­hältnis zur Erde gestört, so setzt er sich nicht in das richtige Verhält­nis zum Wasser der Erde namentlich, und es muß dieses Verhältnis zum Wasser der Erde hergestellt werden. In Ägypten gab es daher ganze Scharen von Ärzten, welche das Verhältnis des Irdischen zum menschlichen Leibe studierten, und welche damit beschäftigt waren, die Gesundheit der Menschen zu erhalten und herzustellen, wenn sie gestört war, gerade durch die Anwendung von Wasserkuren, von Luftkuren. Spezialärzte waren in der Blütezeit der ägyptischen Kul­tur schon tätig, und diese Tätigkeit der Ärzte bezog sich ganz beson­ders darauf, den menschlichen Leib in das richtige Verhältnis zu dem irdischen Elemente zu bringen.

Das wurde dann, vom 8. vorchristlichen Jahrhundert angefangen, namentlich für die griechische Zivilisation anders. Da wurde das Seelische, das man bewußt erlebt, wirklich wichtig. Aber man sah dieses Seelische nicht mehr so in Verbindung mit der Erde wie der alte Ägypter es gesehen hatte. Gewissermaßen war schon für den alten Ägypter der menschliche Leib etwas Pflanzenhaftes, das aus der Erde herauswuchs. Für den Griechen war das Geistig-Seelische dasjenige, was zusammenhielt die Elemente, und er kümmerte sich mehr um dieses Zusammenhalten der im Leibe befindlichen Ele­mente durch das Geistig-Seelische des Menschen. Und daraus ent­standen dann die naturwissenschaftlichen Anschauungen des Griechentums,

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die wir insbesondere stark ausgeprägt finden bei dem Zeitgenossen des Phidias, Sokrates, Platos: bei Hippokrates, dem berühmten griechischen Arzt. Bei ihm, der im 4. vorchristlichen Jahrhunderte gelebt hat, sehen wir schon klar ausgebildet dieses Wichtighalten des menschlichen Seelischen, wie es seiner selbst be­wußt wird zwischen Geburt und Tod.

Aber wir würden ganz fehlgehen, wenn wir glauben wollten, daß in dem griechischen Bewußtsein dieses Geistig-Seelische so lebte, wie wir es heute im Bewußtsein haben. Bedenken Sie nur, wie arm eigentlich für den heutigen Menschen, wie abstrakt arm für den heutigen Menschen dasjenige ist, was er seine Seele nennt. Denken, Fühlen, Wollen - es sind recht nebelhafte Gebilde, die sich der Mensch vorstellt, wenn er von Denken, Fühlen, Wollen spricht. Es ist etwas, was gar nicht mehr inh altsvoll auf den Menschen wirkt. Bei dem Griechen hat es inhaltsvoll gewirkt, weil er ein Bewußtsein davon hatte, daß dieses Geistig-Seelische eigentlich die Elemente des Leibes zusammenhält, durcheinanderbrodeln macht. Er hatte gar nicht ein solches abstrakt Seelisches im Auge, wie der Mensch es heute hat, sondern er hatte im Auge ein recht vollinhaltliches Kräf­tesystem, das namentlich das flüssige Element formt, das dem flüs­sigen Element die Menschenform gibt. Der Ägypter sagte sich:

Diesem flüssigen Element gibt das Geistig-Seelische, das von dem Tod zu einer neuen Geburt sich lebt, die Form. - Der Grieche sagte sich: Dasjenige, was ich bewußt erlebe, dieses Seelische, das gibt dem Wasser die Form, das ist dasjenige, was sein Bedürfnis nach Luft hat und was die Zirkulationsorgane dann einformt, was die Wärmeverhältnisse des Körpers bewirkt, und was auch Salz und sonstiges Irdische im Körper ablagert. - So stellte sich der Grieche die Seele eigentlich nicht getrennt vom Körper vor, sondern er stellte sie sich vor, wie sie den wässerigen Leib bildet, wie sie in dem Leib die Luft, das Ein- und Ausatmen macht, wie sie in dem Leib die Wärmeverhältnisse bewirkt, dieses Warm- und Kaltwerden des Leibes, dieses Atmen, dieses überhaupt Bewegen der Säfte, dieses Durchsetzen der Säfte mit den festen Bestandteilen, die ja nur etwa acht Prozent im menschlichen Leibe ausmachen - das stellte sich der

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Grieche in voller Lebendigkeit vor. Und insbesondere auch auf dieses Gestalten der Säfte legte er einen großen Wert. Er stellte sich vor, daß auch in diesen Säften selbst, durch alles dasjenige, was in den vier Elementen Wasser, Erde, Luft und Wärme wirkt, wiederum ein Vierfaches wirkt. Das stellte er sich zunächst vor, der Grieche. Im Winter muß der Mensch sich gewissermaßen abschließen von der äußeren Welt, da kann er nicht mit der äußeren Welt in innigem Kontakt leben; da ist er auf sich selbst zurückgewiesen. Während des Winters macht sich insbesondere der Kopf mit seinen Säften gel­tend. Da ist es dasjenige in den Säften, was am meisten wasserähn­lich ist, was im Menschen innerlich wirkt. Mit anderen Worten ist das für den Griechen dasjenige, was als Phlegma, als Schleim wirkt. Dieses Schleimige im menschlichen Organismus, das sah er, seelisch durchsetzt, namentlich im Winter wirksam. Dann kam der Frühling und der Grieche fand: da macht sich das Blut in größerer Regsamkeit geltend, da kommt das Blut in stärkere Erregung als während des Winters, da ist vorzugsweise sanguinische Zeit für den Menschen; da ist es dasjenige, was in den Adern zum Herzen hin sich zentrali­siert, was im Menschen besonders als Säftebewegung tätig ist. Im Winter die schleimige Bewegung des Kopfes, weshalb der Mensch da auch zu allerlei Erkrankungen gerade der Schleimsäfte neigt; im Frühling die Blutbewegung in besonderer Erregung.

Das alles stellte sich der Grieche so vor, daß für ihn die Stoffe nicht gesondert waren vom Seelischen. Es war gewissermaßen ein halb Seelisches, das Blut, der Schleim, und ein halb Körperliches die Seele selbst in ihren Kräften, wie sie da die Säfte bewegte.

Kam dann der Sommer heran, stellte sich der Grieche vor, daß die Gallentätigkeit insbesondere - er nannte sie gelbe Galle -, welche in der Leber ihren Mittelpunkt hat, in besondere Erregung kommt. Der Grieche hatte noch eine besondere Anschauung, wie das bei dem Menschen selber ist. Diese Anschauung haben ja die Menschen schon zum großen Teil verloren. Sie sehen nicht mehr, wie sich die Haut verfärbt im Frühling von dieser Bluterregung, sie sehen nicht mehr den eigentlichen gelben Schimmer, der von der Leber kommt, in welcher die gelbe Galle ihren Mittelpunkt hat. Der

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Grieche sah in dem, was sich da rosig färbte im Frühling, gelblich im Sommer, in dem sah er eine Seelentätigkeit.

Und wenn der Herbst kam, dann sagte er: Da sind insbesondere diejenigen Säfte in Tätigkeit, die in der Milz ihren Mittelpunkt haben, die Säfte der schwarzen Galle. Und so sah der Grieche im Menschen eine Säftebewegung, eine Säftewirkung unmittelbar unter dem Einfluß des Seelischen. Er nahm gewissermaßen den mensch­lichen Leib gegenüber den Ägyptern aus dem Erdganzen heraus. Er betrachtete ihn für sich selber. Er kam dadurch mehr zu dem In­nerseelischen des Menschen, wie es sich äußert zwischen Geburt und Tod.

Aber als dann diese Zivilisation weiter vorrückte, als nament­lich sich mehr geltend machte das westliche Element, das lateini­sche, das römische Element, da ging bis zu einem gewissen Grad verloren diese Anschauung, die wir besonders bei Hippokrates fin­den, der darauf seine Heilkunde basierte. Er sagte sich, das Geistig-Seelische des Menschen, wie es sich äußert zwischen Geburt und Tod, bewirkt so diese Mischungen und Entmischungen des Säfte-systems; wenn das nun nicht so weit geht, wie es das Geistig-Seelische will, so ist die Krankheit da. Aber das Geistig-Seelische, das hat eigentlich immer das Bestreben, normal diesen Gang zu gestalten. Daher hat der Arzt die besondere Aufgabe, dieses Geistig-Seelische in seinem Kräfteeiriflusse auf die Säftewirkungen zu studieren und die Krankheit zu beobachten. Ist irgendwie die Bestrebung im menschlichen Leibe, die Säftemischung unnormal zu machen, dann greift das Seelische ein, greift ein bis zur Krisis, wo es auf der Kippe steht, ob das Leibliche oder das Seelisch-Geistige siege. Der Arzt muß die Sache so wenden, daß es zu dieser Krisis kommt. Dann zeigt sich das an irgendeiner Stelle, daß heraus will, was schlechte Säftemischung ist. Dann muß man in der Krisis, die man eingeleitet hat, in der richtigen Weise eingreifen, entweder dadurch, daß man die Säfte, die sich in dieser Weise zusammengezogen haben, und die nicht dulden den Einfluß von seiten des Geistig-Seelischen, daß man diese entweder durch Purgieren entfernt, oder durch Aderlaß im richtigen Moment herausbringt.

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Es war ein ganz besonderes, eben mit dieser Anschauung des Menschen zusammenhängendes Heilen des Hippokrates, und es ist interessant, wie da ein inniges Zusammendenken von Geistig-Seeli­schem, wie es sich äußert zwischen Geburt und Tod, und dem Säfte­system, als Anschauung da war. Aber das wurde anders, als dann das lateinisch-römische Element diese Entwickelung fortsetzte.

Dieses römische Element, das hatte weniger Sinn für das pla­stische Erfassen der Form, für das plastische Erfassen der Säfte-mischung. Bei einem Arzt wie Galen, der im 2. nachchristlichen Jahrhundert lebte, sieht man es schon ganz genau, ihm ist dieses Säftesystem, das Hippokrates eben gesehen hat, nicht mehr so durch­sichtig. Sehen Sie, man muß sich das schon so vorstellen: Wenn Sie heute im chemischen Laboratorium eine Retorte sehen, unter der die Flamme ist und Sie sehen da das Produkt der Stoffe darinnen -so durchsichtig in der Wirkung des Geistig-Seelischen in den Säften des Leibes, so durchsichtig, sinnlich-übersinnlich durchsichtig war für Hippokrates dasjenige, was im Menschen vorging. Aber für dieses Plastisch-Anschauliche hatten die Römer keinen Sinn mehr. Sie wendeten dasjenige, was als Geistig-Seelisches im Menschen lebte, nicht mehr nach dem Leibe hin, sondern nach dem Abstrak­ten, nach dem Geistigen. Aber nur so erfaßten sie es, wie eben das Geistig-Seelische zwischen Geburt und Tod dieses Geistige in sich erleben kann. So wie der Grieche hinschaut auf den Leib, wie er in der Säftemischung und Entmischung das Geistig-Seelische geschaut hat, wie für ihn die sinnliche Anschauung in ihrer Plastik das Wesent­liche war, so wurde für den Römer dasjenige, als was der Mensch sich fühlt, das Wesentliche: das seelische Sich-Fühlen. Für den Griechen war es das Anschauen dessen, wie Phlegma, wie Blut, wie schwarze und gelbe Galle durcheinandergehen, wie diese im Men­schen gewissermaßen der Ausdruck sind des Irdischen, von Luft, Feuer, Wasser, Erde, das, was man im Menschen als ein Kunst­werk anschaut. Während der Ägypter die Mumie anschaute, schaute der Grieche das lebendige Kunstwerk an. Bei dem Römer war kein Sinn da für das, sondern für das Sich-auf-seine-Beine-Stellen, inner­liches Bewußtsein entwickeln, den Geist sprechen lassen, nicht den

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Leib anschauen, den Geist sprechen lassen aus dem Seelischen zwi­schen Geburt und Tod.

Das aber ist verbunden damit, daß bei den Ägyptern in der Blütezeit ihrer Kultur namentlich vier Wissenszweige in der alten Form ganz besonders lebten, das waren die Geometrie, die Astro­logie, die Arithmetik und die Musik. Indem der Ägypter auf das­jenige hinschaute, was gewissermaßen als ein Überirdisches aus der Erde heraus den Leib bildete, stellte er sich vor: Dieser Leib wird gebildet in seinen Raumesformen nach dem Gesetz der Geometrie; er steht unter dem Sterneneinflusse nach dem Gesetze der Astrolo­gie; er betätigt sich von innen heraus nach dem Gesetz der Arith. metik, und er ist innerlich harmonisch gebaut nach dem Gesetz der Musik, wobei das Musikalische nicht bloß das Tonlich-Musikalische ist, sondern überhaupt das in Harmonien sich Auslebende. Im Men­schen selber, der da eine Wirkung der Erde war, in diesem Mumien­menschen sah der Ägypter das Ergebnis von Geometrie, Astrologie, Arithmetik und Musik. Das trat für den Griechen zurück. Der Grieche setzte an die Stelle des, ich möchte sagen, Leblosen, Mu­mienhaften, das man begreifen kann durch Geometrie, Astrologie, Arithmetik und Musik, er setzte das lebendige, das seelisch-leben­dige, innerliche, plastisch Sich-Gestalten, künstlerische Sich-Formen des menschlichen Leibes.

Daher sehen wir in einer gewissen Weise untergehen in der grie­chischen Kultur Geometrie, wie sie vorhanden war bei den Ägyptern. Sie wird zur bloßen Wissenschaft; sie ist nicht mehr Offenbarung. Ebenso verhält es sich mit der Astrologie, ebenso mit der Arithmetik. Höchstens das innere Harmonische, das dem Lebendigen zugrunde liegt, bleibt noch in der griechischen Auffassung der Musik.

Und als dann das Lateinische an die Stelle trat, da, wie gesagt, stellte sich der Römer sein Geistig-Seelisches vor, wie es ist zwischen Geburt und Tod, mit dem innerlichen Geistigen, aber so wie es sich ausdrückt jetzt nicht innerlich anschaubar, sondern innerlich erleb-bar, sich selber auf die Erde hinstellend durch Grammatik, durch Dialektik und durch Rhetorik. Daher glänzte auf in den Zeiten, in denen das Griechische überging in das Lateinische, Grammatik: das

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Sich-Darstellen des Menschen als Geist durch das Wort; Rhetorik:

das Sich-Darstellen des Menschen durch das Schöne des Wortes, durch das Formen des Wortes; Dialektik: das Sich-Darstellen der Seele durch das Formen des Gedankens. Und nur wie eine alte Erb­schaft zur Wissenschaft geworden waren noch Arithmetik, Geo­metrie, Astrologie und Musik. Diese Dinge, die im alten Ägypten sehr lebendig waren, die wurden abstrakte Wissenschaften. Dagegen lebendig wurde das, was an dem Menschen haftet: Grammatik, Rhetorik, Dialektik. Es ist ein großer Unterschied zwischen dem, wie im alten Ägypten der voreuklidischen Zeit ein Dreieck empfunden wurde, und dem, wie es später, nach Euklid, empfunden wurde. Das abstrakte Dreieck, das haben die nicht so empfunden, wie es nachher empfunden wurde. Euklid bedeutet die Dekadenz der ägyptischen Arithmetik und Geometrie. Da empfand man Welten-kräfte, wenn man sich ein Dreieck vorstellte. Da war das Dreieck eine Wesenheit. Jetzt wurde das alles Wissenschaft. Und lebendig wurden Dialektik und Grammatik und Rhetorik.

Und nun gestaltete es sich so, daß die Schulen in der Weise ge­bildet wurden, daß man sagte: Derjenige, der ein gebildeter Mensch werden will, der muß das Geistige in dem vorausgehenden Geistig-Seelischen des eigenen Menschen ausbilden. Er muß zunächst ab­solvieren als erste Stufe des gebildeten Unterrichts Grammatik, Rhetorik, Dialektik; dann dasjenige, was nur als Erbschaft da ist, was Gegenstand des höheren Unterrichts bildete, aber was doch eben als Erbschaft, als Überlieferung da ist: Geometrie, Astrologie, Arithmetik, Musik. Und das waren dann auch noch später durch das ganze Mittelalter hindurch die sieben freien Künste: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Geometrie, Astrologie, Arithmetik und Musik. Dasjenige, was mehr hervortrat: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, dasjenige, was mehr im Hintergrunde war, was der alte Ägypter noch lebendig erfaßte, als er mit der Erde im Zusammenhang stand, das war damals das höhere Unterrichten, Gegenstand des höheren Unterrichtens, und das war das Wesentliche, was sich ausbildet zwischen dem 8. vorchristlichen und dem 4. nachchristlichen Jahr-hundert. Schauen Sie noch auf Griechenland hin im 4. nachchristlichen

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Jahrhundert oder auch weiter hinaus im 3-, im 5. Jahrhun­dert, schauen Sie hinüber nach dem heutigen Italien, Sie finden überall, daß da in der Hochblüte steht dieses Wissen von dem Menschen als einem plastischen äußeren Kunstwerke, einem Er­gebnis des Geistig-Seelischen, einem Leben des Geistigen durch Dialektik, Rhetorik, Grarnmatik. So etwa ist Julian Apostata in der athenischen Philosophenschule gebildet worden. So sah er das Men­schenwesen an.

In diese Zeit schlug hinein der Anfang des Christentums. Aber er schlug hinein, als das schon alles in gewissem Sinne im Abglim­men doch war. Im 4.Jahrhunderte war es jaaufseinem Höhepunkte, und wir haben gesehen, wie schon bei Johannes Scotus Erigena nur eine Erbschaft davon vorhanden war. Es ist ja dasjenige, was da gelebt hat zum Beispiel im Griechen aus einer solchen Anschauung heraus, wie ich sie Ihnen charakterisiert habe, es ist ja das dann über­gegangen auf Plato, auf Aristoteles, die das philosophisch ausge­sprochen haben. Aber als das 4. nachchristlicheJahrhundert heran-rückte, verstand man immer weniger den Plato und den Aristoteles. Man konnte höchstens das Logische, das Abstrakte herübernehmen. Man lebte in Grammatik, in Rhetorik, in Dialektik. Arithmetik, Geometrie, Astrologie und Musik waren Wissenschaften geworden. Man lebte sich immer mehr und mehr schon herein in eine Art Ab-straktionselement, man lebte sich schon hinein in ein Element, wo dasjenige, was früher lebendig war, nur wie eine Erbschaft noch da sein sollte. Und als die Jahrhunderte weitergingen, da wurde es im­mer mehr Erbschaft. Diejenigen, die dann sich innerhalb der latei­nischen Sprache ausbildeten, sie behielten zurück, ich möchte sagen, mehr oder weniger verknöchert, Grammatik, Rhetorik, Dia­lektik, während vorher der Mensch gelacht hätte darüber, wenn man ihn gefragt hätte, ob denn dasjenige, was er denkt, auf etwas Reales hinweist; er würde gelacht haben, denn er sagte: Ich treibe ja Dia­lektik, ich treibe doch nicht die Kunst der Begriffe, um irgend etwas Irreales zu treiben. Da lebt doch in mir die geistige Realität. Indem ich Grammatik treibe, spricht in mir der Logos. Indem ich Rhetorik treibe, ist es die Weltensonne, die in mich hereinwirkt. - Das Bewußtsein,

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so zusammenzuhängen mit der Welt, das ging immer mehr und mehr verloren. Die Dinge wurden abstrakte Seelenerleb­nisse, wie sie es ja schon vollends sind bei Johannes Scotus Erigena. Und dasjenige, was erhalten geblieben war aus den älteren Zeiten -der Plato, Aristoteles -, sie wurden eben nur mehr oder weniger noch logisch aufgefaßt. Man fand nicht das Lebendige in ihnen.

Und als nun der Kaiser Konstantin das Römische zum Herr­schenden machte unter dem Votwande, daß er das Christentum zum Herrschenden machen wollte, da wurde vollends alles abstrakt, da wurde es so abstrakt, daß man verstummte, wie der in der athe­nischen Philosophenschule gebildete Julian der Apostat, der mit blutendem Herzen hinschaute auf dasjenige, was Konstantin an­gerichtet hatte an Verknöcherung der Begriffe, Verknöcherung des alten Lebendigen; und er, derJulian Apostata, nahm sich vor, dieses Leben zu erhalten, das ihm noch erschienen ist in den athenischen Philosophenschulen.

Aber von jenem Byzanz und von jenem Konstantinopel aus, das von Konstantin begründet ist, herrschte später Justinian, der die letzten Reste dieser athenischen Philosophenschulen, wo noch ein Nachklang war lebendigen Menschenwissens, aufgehoben hat, so daß die sieben weisen Athener - Athener waren sie nicht, sie waren eigentlich ganz international, Damasker, Syrier und andere, sie waren aus aller Welt hier zusammen -, die sieben weisen Männer fliehen mußten auf das Gebot des Justinian. Sie flüchteten hinüber nach Asien zum König der Perser, wohin sich vorher schon Philoso­phen flüchten mußten, als Zeno der Isaurier eine ähnliche Akademie aufgelöst hatte. Und wir sehen, wie in Asien drüben Zuflucht sucht dasjenige, was in Europa, namentlich in seinem Besten nicht mehr verstanden werden konnte: das lebendige Erleben, wie es im Grie­chentum war.

Dasjenige, was als Griechentum dann später in Europa tradiert worden ist, das ist ja nur der Schatten des Griechentums. Goethe hat ihn auf sich wirken lassen und hat selber als ein volle bendiger Mensch eine solche Sehnsucht bekommen, daß er hätte herausfahren wollen aus dem, was ihm da als der Schatten des Griechentums dargeboten

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worden ist. Er ging hinunter nach dem Süden, um wenigstens die Nachklänge noch erleben zu können.

Und drüben in Asien, da empfingen die Leute, die dazu fähig waren, dasjenige, was ihnen hinübergebracht war von Plato und Aristoteles. Und da kam es dann dazu, daß, als das 6. Jahrhundert herangerückt war, man aus asiatisch-arabischem Geiste heraus den Aristoteles übersetzt hatte. Da hatte der Aristoteles eine andere Gestalt bekommen.

Was war da eigentlich versucht worden? Es war versucht worden, dasjenige, was der Grieche erlebt hatte als den Zusammenhang zwischen dem Geistig-Seelischen und dem Säftesystem des Leibes in voller geistig-seelisch-leiblicher Plastizität und Gestaltungskraft, was der Grieche so gesehen hatte, dahin hinaufzuheben, wo die Ichheit voll erfaßt werden konnte. Und dadurch entstand dann jene arabi­sierende Wissenschaft, welche besonders gepflegt wurde in der Aka­demie von Gondishapur und in der ganzen niedergehenden Zeit des 4. nachatlantischen Zeitraums, und die auch durch Avicenna, durch Averroës herübergebracht worden ist in den späteren Jahrhunderten über Spanien nach Europa, und die dann auf solche Leute wie Roger Bacon und so weiter einen großen Einfluß ausgeübt hat. Aber es war ein völlig neues Element, was in einer Weise, die nicht bestehen konnte, die Akademie von Gondishapur der Menschheit geben wollte auf dem Umwege durch die Übersetzung des Aristoteles und durch gewisse Mysterienweisheiten, die aber dann Wege genommen haben, von denen wir ein andermal sprechen wollen. Und was dann durch Avicenna, durch Averroës herübergebracht worden ist, es war das Ringen um dasjenige, was dann vom Beginn des 15. Jahrhun­derts an in die Zivilisation der Menschheit eintreten sollte; es war das Ringen um die Bewußtseinsseele, denn die Griechen haben es nur bis zur Verstandes- oder Gemütsseele gebracht. Und dasjenige, was dann Avicenna und Averroës herübergebracht haben, was gewisser­maßen der Aristoteles in Asien geworden war, das ringt mit dem Verständnis des menschlichen Ich, das auf eine ganz andere Art - ich habe es in den öffentlichen Vorträgen hier während des Kurses dar­gestellt -, durch die germanischen Völkerschaften von unten nach

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oben sich durchzuringen hat. In Asien drüben wurde es als eine Mysterienweisheit wie eine Offenbarung von oben empfangen und es entstand jene Ansicht, welche in Europa so lange so schwerwie­gende Disputationen hervorgerufen hat: daß das Ich des Menschen eigentlich nicht eine selbständige Wesenheit ist, sondern daß es im Grunde genommen mit dem göttlichen Alisein vereinigt ist. Das Ich wollte man ergreifen. Das Ich sollte sein in dem, was der Grieche angeschaut hat als leiblich-seelisch-geistige Wesenheit.

Aber man konnte den Einklang nicht finden zwischen dem und nun auch noch dem Ich. Daher bei Avicenna die Vorstellung: Das­jenige, was individuelle Seele ist, entsteht mit der Geburt, es endet mit dem Tode. Der Grieche hatte ja, wie wir sahen, damit gerungen. Der Ägypter stellte es sich überhaupt so vor, daß es mit der Geburt aufglimmt, mit dem Tode erlischt. Mit dieser Vorstellung rang man noch immer, wenn man das eigentliche Seelische zwischen Geburt und Tod, das wahre Seelische ansah. Aber das Ich konnte nicht in dieser Weise vergänglich sein. Daher sagte sich Avicenna: das Ich ist eigentlich in allen Menschen eines nur, und es ist im Grunde der eine Strahl der Gottheit, und es geht wiederum in die Gottheit zurück, wenn der Mensch stirbt. Es ist real, aber es ist nicht indi­viduell-real. Ein pneumatischer Pantheismus entstand, als ob das Ich keine Selbständigkeit hätte, sondern als ob das Ich gewissermaßen nur ein Strahl der Gottheit sei, der hineinstrahlt zwischen Geburt und Tod in dasjenige, was der Grieche als geistig-seelisch angesehen hat. Gewissermaßen wird das vergängliche Seelische des Menschen durch den Strahl der Gottheit mit dem Ewigen durchseelt zwischen Geburt und Tod. So dachte man sich das.

Das ist etwas von dem, was Ihnen zeigt, wie da rang die Zeit mit dem Hereinkommen des Ich, des Bewußtseins vom Ich, der Bewußt-seinsseele. Sehen Sie, das ist es, was sich zugetragen hat in dem Zeit-raume zwischen dem 8. vorchristlichen und dem 15. nachchristlichen Jahrhundert, wovon die Mitte das 4. nachchristliche Jahrhundert war. Da waren die Menschen hineingestellt in die Ablösung des Konkreten, das noch ganz gelebt hat in der Säftemischung und Ent­mischung, das im leiblichen Wesen das Seelische geschaut hat, in

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dem Ablösen dieses plastischen Elementes durch ein nur Abstraktes, durch ein mehr Auf-das-Innere-Gerichtetes. Man kann schon sagen:

bis zum 4. nachchristlichen Jahrhundert hat im Römertum noch das Griechentum geherrscht. Eigentlich wurde das Röm ertum erst herr­schend, als es schon untergegangen war. Es war in gewissem Sinne dazu prädestiniert, in seinem Toten erst zu wirken, in seiner toten lateinischen Sprache, in der es dann vorbereitet hatte dasjenige, was hereinkam in die menschliche Entwickelung im 15. Jahrhundert. Man muß den Gang der Zivilisation in dieser Weise ansehen. Denn jetzt stehen wir ja wieder davor, daß wir uns den Weg suchen sollen zum Wissen des Hereinkommens von geistigen Offenbarungen aus höheren Welten. Wir müssen lernen wiederum zu ringen, wie dazu­mal gerungen worden ist.

Nun muß man sich eben klar sein darüber: dasjenige, was wir in der Naturwissenschaft haben, das haben wir auf dem Umwege durch die Araber bekommen, und wir müssen hinaufheben dasjenige, was wir durch die Naturwissenschaften bekommen haben, zur Imagina­tion, Inspiration und Intuition. Wir müssen gewissermaßen aber auch unsere Kraft stählen an der Beobachtung desjenigen, was ver­gangen ist, damit wir sie haben zum Erringen dessen, was wir brauchen für die Zukunft. Das ist die Aufgabe anthroposophischer Geisteswissenschaft. An das müssen wir immer von neuem uns erin­nern, meine lieben Freunde, und wir sollen ganz anschauliche Vor­stellungen bekommen von dem, wie ein Grieche ganz anders von dem Seelischen und von dem Leiblichen dachte. Ihm wäre es lächer­lich erschienen, wenn man ihm zweiundsiebzig oder sechsundsiebzig chemische Elemente aufgezählt hätte. Er sah das lebendige Wirken von den Elementen draußen, von den Säften drinnen.

Der Mensch lebt mit in den Elementen. Der Mensch lebt schon mit seinem Leibe, insofern der Leib von Seele durchdrungen ist, in den vier Elementen, von denen der Grieche sprach, und man ist dazu gekommen, den Menschen zu verlieren, weil man ihn nicht mehr so ansehen kann, weil man hinschaut auf dasjenige, was die Chemie an abstrakten Elementen heute liefert.

HINWEISE

#G204-1979-SE313 Perspektiven der Menschheitsentwickelung

#TI

HINWEISE

#TX

Die in diesem Bande veröffentlichten Vorträge vom 2. bis 17. April 1921 fielen zeitlich zu­sannnen mit dem Zweiten anthroposophischen Hochschulkurs am Goetheanum: Anthro-posophie und Fachwissenschaften, fünf Vorträge vom 3. bis 10. April 1921, in , Bibl.­Nr. 313, Gesamtausgabe Dornach 1963. Der hier abgedruckte Vortrag vom 9. April wendet sich auch an die Teilnehmer des zweiten Hochschulkurses.

Textunterlage: Die von Rudolf Steiner frei gehaltenen Vorträge wurden von der offi­ziellen Stenographin Helene Finckh (1883-1960), die seit 1917 fast alle Dornacher und viele auswärtige Vorträge Rudolf Steiners mirstenographierte, stenographisch aufgenommen und in Klartext übertragen. Eine Überprülung des Textes anhand der noch vorhandenen Original­Stenogramme wurde nur für einzelne Stellen vorgenommen.

Werke Rudolf Steiners, welche in der Gesamtausgabe (GA) erschienen sind, werden in den Hinweisen mit Bibliographie-Nummer und Erscheinungsjahr der letzten Auflage angegeben. Siehe auch die Übersicht am Schluß des Bandes.

Folgende Vorträge wurden in Zeitschriften veröffentlicht:

2. April 1921: 1933, 10. Jg. Nrn. 34, 35; «Gegenwart» (Bern) 1947/48, 9. Jg. Nr.11.

3. April 1921: «Nachrichtenblatt» 1933, 10. Jg. Nrn. 36-38; 9. April 1921: «Das Goetheanum» 1934, 13. Jg. Nrn. 32, 33; 15. April 1921: «Das Goetheanum» 1930, 9. Jg. Nrn. 6-8.

5. Mai 1921: «Nachrichtenblatt» 1933, 10. Jg. Nrn. 20-25.

13. Mai 1921: «Individualität> (Dornach) 1927, 2. Jg. Nrn. 5, 6 (gekürzt); «Das Geetheanum» 1932, 11. Jg. Nrn. 16-20 (vollständig).

5. Juni 1921: «Das Goetheanum» 1930, 9. Jg. Nrn. 17.18.

zu Seite:

17 «Geheimwissenschaft»: Siehe Rudolf Steiner, «Die Geheimwissenschaft im Umriß»,

1910, Bibl.-Nr. 13, GA 1977.

22 Stuttgarter Vortrag: Siehe Vortrag vom 21. März 1921, in «Naturbeobachtung, Mathe­matik, wissenschaftliches Experiment und Erkenntnisergebnisse vom Gesichtspunkte der Anthroposophie», Bibl.-Nr. 324, GA 1972, S.80 ff. Dort findet sich die Schil­derung etwas ausführlicher, auch bezüglich der sich ergebenden Folgerungen.

Versammlung des Berliner Giordano-Bruno- Vereins: Datum und Titel dieses Vortrags sind nicht nachweisbar. Zum «Giordano-Btuno-Bund für einheitliche Weltanschauung« siehe Rudolf Steiner, «Mein Lebensgang», Kap. XXIX, Bibl.-Nr. 28, GA 1962.

Johann Friedrich Herbart, 1776-1841, deutscher Philosoph, Psychologe und Pädagoge.

29 Morix Benedikt, 1835-1920, Kriminalpsychologe. Siehe M. Benedikt, «Aus meinem

Leben». Erinnerungen und Erönerungen, Wien 1906, III. Band, S.315: «Inmittenjener

Aufregungen [Kampf mit der Wiener Fakultät um eine akademische Arbeitsstätte zur

Gründung einer Schule für Nervenpathologie] verfaßte ich innerhalb 22 Nächten von

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22 Tagen, in denen ich nicht eine Sekunde schlief, die Breslauer Rede [für die Narur­forscherversammlung 1874] , und zwar ohne Konzept, im Zimmer auf und ab schreitend. Als am Vonage des Vortrages der Redakteur der das Konzept für sein Blatt und die verlangte, diktierte ich es ihm stenographisch so wortgetreu, daß Stenogramm und Rede absolut aufs Wort stimmten».

33 Kursusveranstaltungen: Vorträge des Zweiten Hochschulkurses; siehe Einleitung zu den Hinweisen.

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36, 42 f. Imagination, Inspiration, Intuition: Siehe Rudolf Steiner, «Die Geheimwissen­schaft im Umriß», das Kapitel «Die Erkenntnis der höheren Welten».

48 die Freunde..., die hierhergekommen sind: Teilnehmer des Zweiten Hochschulkurses.

51 Anaxagoras, um 500-428 v.Chr., griechischer Philosoph. Siehe Rudoff Steiner, «Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt», 1914, Bibl.-Nr. 18, GA 1968 (Register).

53 Herrn von Gleich: Der Generalmajor a. D. Gerold von Gleich trat 1921/22 mit Vor­trägen, die auch als Broschüren erschienen und eine Fülle von Unwalirheiten und Verdrehungen enthielten, als Gegner Rudolf Steiners auf

54 Origenes, um 185-254, griechischer Kirchenschriftsteller. Vgl. auch den Vortrag vom

2. Juni 1921, in diesem Band S. 254 ff., sowie den Hinweis dort.

57 Scotus Erig ena, um 810-877, schottischer Philosoph am Hofe Karls des Kahlen in Paris. Siehe Rudolf Steiner, «Die Rätsel der Philosophie>, 1914, Bibl.-Nr. 18, GA 1968.

was in der Schrift des Scotus ...: «De divisione naturae». Siehe die ausführliche Aus­einandersetzung mit diesem Werk in den Vorträgen vom 2. und 3. Juni 1921 in die>. sem Band.

58 einer der geschätztesten Theologen: Um welchen Theologen es sich handelt, konnte bisher nicht festgestellt werden. Zu jener Zeit waren unter den Theologen zahlreiche aktive Gegner Rudolf Steiners. Vgl. Louis M. Werbeck, «Eine Gegnerschaft als Kultur­Verfallerscheinung», zwei Bände, Stuttgart 1924, 1. Band «Die christlichen Gegner».

61 Aurelius Augustinus, 354-430, Kirchenvater, Philosoph. Siehe über ihn z. B. Rudolf Steiner, «Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums», 1902, Bibl.-Nr. 8, GA 1976 (Register).

70 Arianismus: Lehren des Presbyters Arius in Alexandria (gest. 336 n.Chr.), der die Wesensgleithheit Christi mit Gottvater ablehnte.

Ulfilas. Bibel: Ulfilas (germanisch Wuffila), 311-383, Missionar der Westgoten im

Balkan und Begründer des arianisch-germanischen Christentums, der die Bibel ins

Gotische übersetzte.

71/72 Dionysius der Areopagste: Mitglied des Areopags in Athen. Von Paulus bekehrt (Apostelgeschichte 17, 34). Vgl. auch den Vortrag vom 2. Juni 1921>. in diesem Band S. 254 ff.

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72 Konstantin der Große, 286 oder 287-337, römischer Kaiser von 306-337, unter dem das Christentum Staatsreligion wurde (324».

Justinian L, 483-565, oströmischer Kaner seit 527. Erbauer der Hagia Sophia in Konstantinopel. 529 schloll er die platonische Akademie von Athen.

74 Basilius Valentinus, geb. um 1394, Alehimist des 15. Jahrhunderts. Seine Schriften:

Chymische Schriften alle, soviel deren vorhanden, anitzo, zum ersten Mahl zusammen­gedruckt (hrsg>. von W.S>. Lange>, Hamburg 1677.

75 Theophrastus Bomhgstur Paracelsus von Hohenheim, 1493-1541. Über den großen

Schweizer Arzt und Philosophen siehe: Rudolf Steiner, «Die Mystik im Aufgange des

neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur modernen Weltanschauung>, 1901,

Bibl.-Nr. 7, GA 1960.

Jakob Böhme, 1575-1624. Zur Mystik des Görlitzer Schuhmachermeisters siehe ebenda.

81 Stoizismus: Philosophie und Geisteshaltung der Stoa (begründet um 300v. Chr. durch Zeno). - Epikuräismus: Lehre Epikurs in der von ihm begründeten Philosophen-schule in Athen (306 v. Chr.)

Beide philosophischen Richtungen sind hauptsächlich auf die Lebenspraxis gerichtet und suchen in ihr die «Glückseligkeit»; verstanden wird diese in einem vernünftigen, maßvollen Streben nach Selbstbeherrschung und Vergeistigung, ohne dieNatürlichkeit zu negieren. (Die Ausschweifungen der Epikuräer gehören einer späteren Zeit an.)

Krankwerden und Absterben des alten Griechenvolkes: Über die Gründe dieser Ent­wicklung siehe auch: Rudolf Steiner, «Die Mission einzelner Vollcsseelen im Zu­sammenhange mit der germanisch-nordischen Mythologie», Bibl.-Nr. 121, GA 1962, Vortrag vom 12. Juni 1910.

Besser ein Bettler zu sein in der sinnlichen Welt...: Homer, Odyssee XI. Gesang, Vers 490/91. Die Seele des Achill, durch Totenopfer aus dem Hades heraufbeschworen, spricht diese Worte zu Odysseus.

82 Nietzsche hat richtig gefühlt: Siehe Friedrich Nietasche, «Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen> (1874; Fragment aus dem Nachlaß veröffentlicht).

Thales von Milet, um 625-545 v. Chr.

Anaxagoras: Siehe Hinweis zu S. 51.

Heraküt aus Ephesus, um 535.475 v. Chr.

Vorsokratische Denker; die von ihnen erhaltenen Bruchstücke sind zugänglich durch:

Hermann Diels und Walther Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker, 12. Auflage

1966.

Rudolf Steiner, «Die Rätsel der Philosophie, sn ihrer Geschichte als Umriß dargestellt», 2 Teile (1914), Bibl.-Nr. 18, GA 1968.

86 Titurel: Der Begründer des Gralsgeschlechtes (Großvater der Herzeloide, Urgroßvater Parzivals), der in 30 Jahren den Gralstempel errichtete. Siehe Albrecht von Schaiffen­berg, der um 1270/80 den «Jüngeren Titurel» dichtete in Forrführung Wolftams von Eschenbach.

89 Wolfram von Erchenbach, um 1170-1220, mittelalterlicher Epiker, Dichter des Vers-romans «Parzival> (1210), sowie des «Willehaim» und eines Fragmentes «Titurel».

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89 Gottfried von Bouillon, um 1060-1100, Führer des ersten Kreuzzuges 1096.

Peter von Amiens, um 1050>.1115, Augustinerprior, der durch Frankreich zog und zum Kreuzzug aufrief; er schloß sich später Götrfried von Bouillon an.

92 so ziehen jetzt Ansammlungen des jüdischen Volkes nach Jerusalem: Vgl. Rudoff Steiner, «Die Sehnsucht derJuden nach Palästina>, 1897, in «Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte 1887-1901>, Bibl.-Nr. 31, GA 1966, S. 196-201.

Ich habe es er«uähnt in meiner «Geheimwissenschaft»: Kapitel VI: «Gegenwart und Zukunft der Welt>. und Metscltheitsentwicklung»: «Man kann das , welches von dieser Seite [der des Einfließens der Erkenntnisse neuzeitlichen übersinn>. lichen Bewußtseins] die Metschheit ergreift und immer mehr ergreifen wird, nach einem Symbol die Erkenntnis vom nennen. Wer dieses Symbol, wie es in der Erzahlung und Sage gegeben ist, seiner tieferen Bedeutung nach verstehen lernt, wird nämlich finden, daß es bedeutungsvoll das Wesen dessen versinnlicht, was oben die Erkenntnis der neuen Einweihung, mit dem Christusgeheimnis in der Mitte, genannt worden ist. Die neuzeitlichen Eingeweihten können deshalb auch die genannt werden. Zu der führt der , welcher in diesem Buche in seinen ersten Stufen beschrieben worden ist.>

98 «Heliand» (=Heiland): Altsächsische Evangeliendichtung, entstanden um 830.

101 Der «schlichte Mann aus Nazareth»: So geprägt konnte der Ausdruck nicht nach­gewiesen werden; er faßt aber die Gesamttendenz der Jesusdarstellungen am Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts zusammen.

Wladimir Solowjow, 1853>.1900, russischer Philosoph und Dichter.

107 Waldorfschule: Die «Freie Waldorfschule>, gegründet im Frühjahr 1919 in Stuttgart als einheitliche Vollts- und höhere Schule unter der Leitung von Rudolf Steiner, der auch die an ihr wirkenden Lehrkrafte berufen und ihnen die vorbereitenden seminaristischen Kurse erteilt hat. Heute bestehen annähernd 200 Waldorf- bzw. Rudoff Steiner-Schulen in zahlreichen Ländern.

Bau: Das erste «Goetheanum>, ein von Rudolf Steiner geschaffener künstlerischer Holz-bau, der in der Neujahrsnacht 1922/23 durch Brandstiftung ein Opfer der Flammen wurde. - Nach dem von Rudolf Steiner (t1925) noch plastizierten Modell ist dann ein neuer Bau in Beton und diesem Material entsprechenden Formen als zweites Goethe­anum an derselben Stelle errichtet worden.

108 Vortrag des Herrn von Gleich: Gerold von Gleich beendete seinen Vortrag vom 6. April

1921 in der Liederhalle in Stuttgart mit der Verszeile «Das Reich mußuns doch bleiben» aus dem Liede «Ein feste Burg ist unser Gott...». DerJesuit Sorel hatte am Tag zuvor in der Nikolauskirche den Besuch des Vortrages mit dem Hinweis anbefohlen, durch den Besuch dieses Vortrages sei den Katholiken Gelegenheit geboten, ihren Glauben öffentlich zu bekennen (vgl. die Wochenschrift «Dreigliederung des sozialen Orga­nismus», Stuttgart 2. Jg. 12. April 1921).

110 Verzicht geleistet wird auf einen ... europäischen Willen: Es handelt sich um ein Er­suchen der deutschen Regierung an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Ame­rika, «in der Reparationsfrage die Vermittlung zu übernehmen und die Summe festzu­stellen, die Deutschland an die alliierten Mächte zu zahlen hat» und gleichzeitig um «die dringende Bitte, die Zustimmung der Alliierten zu einer solchen Vermittlung

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herbeizuführen. Dabei erklären sie (die Unterzeichneten) feierlich, daß die deutsche Regierung ohne Einschränkung oder Vorbehalte bereit und willens ist, den Allijerten Mächten diejenige Summe als Reparation zu zahlen, die der Präsident der Vereinigten Staaten nach eingehender Untersuchung recht und billig befinden sollte...» (Mel­dung der Agentur Woff vom 22. April 1921, Nationalzeitung Basel vom 22. April 1921, Abendblatt.)

110 anatomisch-physiologisch beschrieben werden kenn: Siehe den Vortrag vom 2. April in diesem Band.

111 Friedrich Nietzsche, 1844-1900. Siehe Rudolf Steiner, «Friedrich Nietasche, Ein Kämp­fer gegen seine Zeit», 1895, Bibl.-Nr. 5, GA 1963.

112 Aschylos, 525-456, Sophokles, 496-406: Die ersten beiden großen Tragödiendichter der griechischen Blütezeit.

113 Sokrates, 470-399, griechischer Philosoph, Lehrer Platos und der Hauptgesprächs­partner in dessen Dialogen.

114 Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf, 1848-1931, Professor der klassischen Philologie, zuletzt in Berlin, schrieb: «Zukunftsphilologie. Eine Erwiderung auf Friedrich Nietz­sches , Berlin 1872

«Unzeitgemäße Betrachtungen»: Von Friedrich Nietzsche, geschrieben 1873-1876.

1. David Strauß, der Bekenner und der Schriftsteller. II. Vom Nutzen und Nachteil der

Historie für das Leben. III. Schopenhauer als Erzieher. IV. Richard Wagner in

Bayreuth. - Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden, herausgegeben von Karl

Schlechta. München 1954-56, Band I, S. 135-434.

DavidFriedrich Strauß, 1818-1874, Theologe und Schriftsteller. «Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntnis», Leipzig 1872.

115 Karl von Rotteck, 1775-1840. Allgemeine Geschichte, 6 Bände (1813-1818).

116 Lujo Brentano, 1844-1931, Nationalökonom.

Friedrich Nietzsche, «Richard Wagner in Bayreuth»: Schriften und Entwürfe 1872-1876. Werke Band X, hg. von C. G. Naumann, Leipzig 1896, S. 395-425.

118 Friedrich Karl von Savigny, 1779-1861, Rechtshistoriker Leopold von Ranke, 1795-1886, Historiker.

119 Die Krähen schrein: Nietzsches Werke Bd. VIII, hg. von C. G. Naumann, Leipzig

1896, S. 355/56 - Auf das Gedicht «Vereinsamt> (Die Krähen schrein...) folgt das Gedicht «Antwort>, auf das hier Bezug genommen wird; es lautet:

Daß Gott erbarm'!

Der meint, ich sehnte mich zurück

Ins deutsche Warm,

Ins dumpfe deutsche Stuben-Glück!

Mein Freund, was hier

Mich hemmt und hält, ist dein Verstand

Mitleid mit dir!

Mitleid mit deutschem Quer-Verstand!

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120 Übermensch: Friedrich Nietzsche, «Also sprach Zarathustra. Ein Buch für alle und Keinen.> (1882). Ausgabe Schlechta Band II, S. 177-562. Besonders Vorrede und Erster Teil.

ewige Wiederkehr des Gleichen: Siehe: «Also sprach Zarathustra>, Dritter Teil>. Aus­gabe Schlechta S. 403 ff.

121 Adolf von Haruack, 1851>.1930, protestantischer Theologe. «Das Wesen des Christen­tums>. Sechzehn Vorlesungen an der Universität Berlin, Leipzig 1910.

«Der Antichrist>. Fluch auf das Christentum» >: (1888). Ausgabe Schlechta Band II, S. 1161-1236.

122 Franz Overbeck, 1837-1905. Über die Christlichkeit ursserer heutigenTheologie (1873).

«Und die Dichter lügen zu viel>.>.>.»: «Also sprach Zarathustra». Zweiter Teil, Von den Dichtern. - Ausgabe Schlechta Band II, S. 382.

123 Schluß meiner letzten Betrachtungen: Siehe den Vortrag vom 17. April 1921 in diesem Band.

124 «vor ihre dummen Augen zaubern»: Rudolf Steiners Mysteriendrama «Der Seelen Etwachen», 2. Bild. In Bibl.-Nr. 14, GA 1962, S. 421.

130 Rudolf Steiner, «Theosophie». Einführung in übersinraliche Welterkenntnis und Men­schenbestimmung, 1904, Bibl.-Nr. 9, GA 1978.

142 der seinem astralischen leib: Der Text dieser und der folgenden Zeilen bis zum Ende des Absatzes jetzt wörtlich gemäß Stenogramm.

144 Bild von Raffael: II Sposalizio, in der Brera in Mailand.

146 «Heliand» Siehe Hinweis zu S. 98.

147 Johannes Scotus Erig ena: Siehe Hinweis zu S. 57.

150 Konzil von 869: Vgl. hierzu Johannes Geyer, «Ein Konzilbeschluß und seine kultur>. geschichtlichen Folgen», in «Die Drei», 1. Jg., Heft 10(1922) und Alfred Schütze, «Das Konzil 869 zu Konstantinopel und die Verleugnung des Geistes», in «Die Christen-gemeinschaft» Januar/Februar 1956.

154 Somatrank (Sanskrit): Der mit Milch oder Gerste gemischte und vergorene Saft der Somapflanze, einer Sacrostemma-Art, dessen berauschende und begeisternde Kraft als Gott «Soma» verehrt wurde - dem griechischen Dionysos vergleichbar. - Siehe Adolf Kaegi, Der Rigveda, die älteste Literatur der Inder, Leipzig 1881, bes. S. 99 sowie 219. - Zur okkulten Bedeutung von «Soma» vgl. auch H.P. Blavatsky, «Die Geheim>. lehre», Bände I und II

158 «Abendmahlsstreit»: Das Dogma von der Transsubstantiation, der Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi (4. Laterankonzil 1215) wurde von den Reformato>. ren vetworfen.

Johannes Hus, um 1370-1415, tschechischer Vorreformator aus Böhmen, von der Kirche 1410 gebannt und 1415 als Ketzer verbrannt.

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158 Gottfried Wilhelm Leibniz, 1646-1716, deutscher Philosoph>.

«Nichts lebt im Intellekt»: Leibniz, Nouveaux Essais, II, 1-§2 : Nihil est in intellectu. quod non prius fuerit in semu, nisi intelleetus ipse.

163 ein ganzes «Tat»- Heft: «Die Tat> Monatsschrift für die Zukunft deutscher Kultur. XIII. Jahrgang 1921, Heft 1.

175 Jesuitenflugschrift der Gegenwart: Der Bolschewismus, in Flugschriften der «Stimmen der Zeit>, 6>. Heft, 3>. Auflage Freiburg im Breisgau 1919 - von Bernhard Duhr S. J. (1852-1930), Geschichtsforscher.

178 Chades Darwin, 1809-1882, englischer Naturforscher.

Karl Marx, 1818-1883.

Gustav Theodor Fechner, 1801-1887, Natutwissenschafter und Philosoph.

Gustav Robert Kircbhoff, 1824-1887, Physiker.

Robert Wilhelm Bunsen, 1811-1899, Chemiker

191 Kongreß von Verona: Kongreß der «Heiligen Allianz» (1822), der alle europaischen Mächte mit Ausnahme von England und dem Vatikan angehörten, und die unter Metternich einen scharf reaktionären Kurs verfolgte.

196 Oswald Spengler, 1880-1936. Geschichts>. und Kulturphilosoph. «Preußentum und Sozialismus», 1920.

200 Ahura-Mazdao, in neupersischer Form: Ormuzd, der Weltenschöpfer und Lichtgott in der dualistischen Weltanschauung Zarathustras im alten Persien; sein Widerpart, der Geist der Finsternis, ist Ahriman.

202 Joseph-Marie Comte de Mais tre. 1753-1821, französischer Diplomat und Staatstheore­tiker.

205/206 Josepb de Maistre, «Betrachtungen über Frankreich». Berlin 1924, Originaltitel:

«Considérations sur la France», London 1796; «Versuch über den schopferischen Ur­grund der Staatsverfassungen», Berlin 1924, Originaltitel: «Essai sur le prineipe géné­rateur des constitutions politiques», Petersburg 1810; «Vom Papste», 2 Bände Mün­chen 1923, Originaltitel: «Du pape», Lyon 1819.

206 Plutarch, um 45 - um 125 n. Chr., griechischer Philosoph und Historiker der römisch-hellenistischen Zeit, aus Chaironea.

206/207 Joseph de Maistre, «Abenditunden zu St. Petersburg» oder Gespräche über das Wal­ten der göttlichen Vorsicht in zeitlichen Dingen, mit einem Anhang: Erläuterungen über die Opfer, 2 Teile, Frankfurt a. M. 1824 und 1825. Originaltitel: Les soirées de St. - Petersbourg, Petersburg 1821.

207 Ignatins von Loyola, 1491-1556, Begründer desJesuitenordens, 1622 heiliggesprochen

Alfonso Maria di Liguori> 1696-1787, Begründer der Redemptoristen>.Kongregation (des Erlöserordens) 1732; 1839 heiliggesprochen.

Franz Xaverius, 1506-1552, Jesuit, Missionar in Indien und Japan

320

207 John Locke, 1632-1704, englischer Philosoph der Aufklärung. «Über den menschlichen Verstand». - Originaltitel: «Essay on Human Understanding>, 1690.

Jacques Bénigne Bossuet, 1627-1704, ftanzösischer Theologe und Kirchenpolitiker.

208 Voltaire, eigentlich François-Marie Arouet, 1694-1778, Schriftsteller und Philosoph der französischen Aufklärung.

Frau von Sévigné von einem italienitchen Schriftsteller: Siehe de Maistre, «Abendstun-den zu St. Petersburg>, Band I, S. 413. Zur Auseinandersetzung mit Lecke siehe das ganze 6. Gespräch der «Abenästunden>, Band I, S. 337-430.

210 «Diese furchtbaren Keime»: Siehe de Maistre, «Abendstunden>, Band I, S. 419; dort auch über die Tugenden der Person Leckes.

Jonathan St>rft, 1667-1745, Dublin, englischer Schriftsteller, Satiriker. 211 über das Opfer und den Opferkultus: Siehe den 2. Hinweis zu S. 206.

212 Léon Gambetta, 1838-1882, französischer Staatsmann, Republikaner.

>Le cteri.calitme, voilá l'ennemi!»: Rede Gambettas vom 4. Mai 1877.

Kommune: Sozialistisch-kommunistischet Gemeinderat, der nach dem Waffenstill­stand von 1871 mit Deutschland Paris för einige Monate beherrschte. Die Bewegung wurde im Mai 1871 blutig niedergeschlagen.

Boulangismus: George Boulanger, 1837-1891, französischer General, Monarchist.

Alfred Dreyfus, 1859-1935, französischer Offizier, wegen angeblichen Landesverrats 1894 verbannt, 1899 begnadigt. Die Dteyfusalfäre gab Anlaß zur Sammlung der politischen Linken in Frankreich.

214 Riehard Cohden, 1804-1865, undJohn Brig ht, 1811-1889, Anhänger des Freihandels, bewirkten die Abschaffung der Kornzölle, wodurch u. a. Englands industrieller Auf­stieg ausgelöst wurde.

Herhert, Earl ofoxford and Asquith, 1852-1928, war 1914 britischer liberaler Mini­sterpräsident.

Edward Grey, 1862-1933, war 1914 britischer Außenminister, er gehörte zur imperia­listischen Gruppe der Liberalen.

215 Benja min Disraeli, Earl of Beaconffield, 1804-1881, war 1868-1880 britischer Mi­nisterpräsident.

Baron George Cuvier, 1769-1832, und Geoftoy de St.- Hilaire, 1772-1844, französische

Naturforscher. Siehe Eckermanns Gespräche mit Göethe, 3. Teil. Gespräch vom

2. August 1830 (das Zitat ist nicht wörtlich)

216 August Weismann, 1834-1914, Zoologe.

Erust Haeckel, 1834-1919, Naturforscher.

218 «Dreigliederung des sozialen Organismus»: Siehe hierzu Rudolf Steiner, «Die

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Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zu>. kunff», 1919, Bibl>.-Nr>. 23, GA 1976>.

219 in dem berühmten Gespräch (Schiller und Goethe): Goethe btrichtet davon in «Natur­wtssenschaftliche Schriftet>, herausg. und kommentiert von R. Steiner in Kurschners «Deutsche National-Litteratuss, Band I, Bibl.-Nr. la, Nachdruck Dornach 1975, im Aufsatz: Glückliches Ereignis, S. 111/112.

237 die Vorträge über ... das Wesen der Farben: Vorträge vom 6., 7. und s. Mai 1921, in: Rudolf Steiner, «Das Wesen der Farben>, Bibl.-Nr. 291, GA 1976.

Vorirag am letzten Donnerstag: Vom S. Mai, in diesem Band.

238 die verschieden gefärbten Mineralien: Siehe den Vortrag vom 8. Mai in «Das Wesen der Farben>.

251 Prosahymnus «Die Natur»: «Göethes Naturwissenschaftliche Schriften», herausg. und kommentiert von R. Steiner in Kürschners «Deutsche National-Litteratur», Band II, Bibl.-Nr. ib, Nachdruck Dornach 1975, S. 45. - Vgl. auch Goethes «Erläuterung zu dem aphoristischen Aufsatz über die Natur», in: «Methodische Grund­lagen der Anthroposophie 1884-1901>, Bibl.-Nr. 30, GA 1961, S. 320-327.

2S2 der häß>ichste Mensch im Tal des Todes: Friedrich Nietzsche, «Also sprach Zarathustra»,

4. Teil, Ausgabe Schlechta, Band II, S. 501.

255 Karl der Kahle, 828-877, Sohn des Karolingers Ludwig des frommen, 840-877 König des Frankenreiches, seit 875 Kaiser.

Johannes Scotus Erig ena: Siehe Hinweis zu S. 57

Dionysios Areopagita: Siehe den Vortrag vom 15. April in diesem Band sowie den Hinweis zu S. 71.

259 Origenes, um 185-254, griechischer Kirthenvater aus Alexandrien, später Presbyter in Caesarea; Grundlegung seiner philosophischen Theologie: De principiss (Peri archon). Durch das S. ökumenische Konzil in Konstantinopel 553 unter Justinian 1. wurden seine Lehren als ketzerisch verurteilt.

260 Verketzerung des Scotus Erig ena: Nachdem schon seitdem 11. Jahrhundert die Lektüre seiner Schriften von kirchlicher Seite verboten war, wurde 122S die Verbrennung aller Exemplare angeordnet.

270 Ihr Griechen seid ja wie Kinder: Berichtet werden diese Worte von Plato im Timasos,

22 b/c.

271 die Welt der Amshaspands: Siehe einige Ausfühiungen dasüber in: Rudoff Steiner, «Der Orient im Lichte des Okzidents. Die Kinder des Luzifer und die Brüder Christi>, Bibl.-Nr. 113, GA 1960, Vortrag vom 30. August 1909, S. 163/64; und RudolfSteiner, «Christus und die geistige Welt. Von der Suche nachdem HeiligenGral>, Bibl.-Nr. 149, GA 1977, Vortrag vom 31. Dezember 1913, S. 63.

273 David Friedrich Strauß: Siehe Hinweis zu S. 114

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280 Publius Cotneln, um 55 - um 120 n.Chr.>, römischer Historiker>, Konsul. Seine Schrift: «De otigine et siru germanorum> (entstanden um 98 n.Chr.) ist die älteste uns überlieferte Quelle über Geographie und Ethnographie der Germanen.

öffentliche Vorträge des letzten Kurses: Rudolf Steiner, «Die Narutwissenschaft und die weltgeschichtliche Entwicklung der Menschheit seit dem Altertum», 6 Vorträge, Dornach 15. und 16. Mai, Sruttgs:n: 21.-24. Mai 1921, Bibl.-Nr. 325>, GA 1969.

289 Der, den ihr suchet, der ist nicht mehr hier: Matth. 28,5/6; Mark. 16, 6; Luk. 24,5/6.

Oswald Spengler, 1880-1936>, Geschichts- und Kulturphilosoph. «Der Untergang des Abendlandes», 2 Bände, 1918/1922.

291 Eduard Sueß, 1831-1914>, Geologe. «Das Antlitz der Erde>, 3 Bände>, 1885-1909.

296 vorigen Freitag: Vortrag vom 3. Juni 1921, in diesem Band.

299 «Lieber ein Bettler auf der Erde...»: Siehe Hinweis zu S. 81.

301 Phidias, nach 500 - vor 423 v.Chr.; Sokrates, 470-399; Plato, 427-347.

Hippokrates, 460-377 v.Chr.>, galt schon im Altertum alls der größte Arzt; das Kom­pendium griechischen Wissens über die Heilkunde aus dem S. und 6. Jahrhundert ist nach ihm «Cotpus hippoctaticum> benannt>.

304 Galen, 129-199 n. Cht., der bedeutendste Arzt der römischen Kaiserzeit, Leibarzt Marc Aurels, der in seinen Schriften die antike Heilkunde zusammenzufassen suchte.

307 Julian Apostata, 332-363, Neffe Konstantins des Großen, 361-363 römischer Kaiser.

308 Konstantin der Große: Siehe Hinweis zu S. 72.330 Weihung von Byzanz zur neuen Hauptstadt des Reiches unter dem Namen Konstantinopel.

Justinian L: Siehe Hinweis zu S. 72, vgl. ferner Ernst von Lasaulx>, «Der Untergang des

Hellenismus und die Einziehung seiner Tempelgüter durch die christlichen Ksuser»,

(1854), in «Verschüttetes deutsches Schrifttum>, Stuttgart 1925, S. 199 f.>, wo auch die

Namen der «sieben weisen Männer» angegeben werden.

zum König derPerser: Chosrau Nurschivan>, (König von 531-580)>, zog die Weisen aus aller Welt, insbesondere die Heilkundigen, nach Persien und gilt vieffach als der Begründer der Akademie von Gondishapur (siehe Hinweis zu S. 309).

Zeno der Isaurier, 426-491, oströmischer Kaiser 474-401; die Philosophenschule von Edessa schloß er 487.

309 Gondishapur (Djundaisabur): Von dem Sassanidenkönig Shapur 1. (242-272) gegrün­dete Stadt, die lange die geistige Metropole des Reiches war. - Zur geschichtlichen Bedeutung von Gondishapur siehe: Rudolf Steiner, «Die Polarität von Dauer und Entwickelung im Menschenleben. Die kosmische Vorgeschichte der Menschheit»>, 1918, Bibl.-Nr. 184, GA 1968, S. 280 ff.

Ibn Sina Avieenna, 980-1037, persischer Philosoph und Arzt>, der über 100 Bücher verfaßte: Kommentare zu Aristoteles und Konfrontation dieser Gedankenrichtung mit dem Neuplatonismus.

Ibn Roschd Averroës, 1126-1198, arabischer Philosoph, universeller Wissenschafter

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309 Arzt aus Cordova; er suchte im Anschluß an Aristoteles Philosophie und Glauben zu vereinen. Sein Vernunftglaube flhrte zu seiner Verbannung.

Roger Bason, um 1216-1294, englischer Franziskaner>, wegen seiner unifassenden Kenntnisse Doctor mirabilis genannt; er bezog in die theologische Denkart das natur­wissenschaftliche Erkennen mit ein.

in den öffentlichen Vorträgen hier: Siehe Hinweis zu S. 280.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.