GA 197

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

Gegensätze in der
Menschheitsentwickelung

West und Ost
Materialismus und Mystik
Wissen und Glauben

Elf Vorträge, gehalten in Stuttgart
zwischen dem 5. März und 22. November 1920

GA 197

1986

Inhaltsverzeichnis


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ERSTER VORTRAG Stuttgart, 5. März 1920

Ich habe es öfter betont, wie notwendig es ist zum Hereinstellen des Menschen in die großen Aufgaben der Gegenwart, die heute eigentlich jedem Menschen zufallen, sich ein Bewußtsein zu verschaffen von dem Gang der Menschheitsentwickelung über die Erde hin. Dieser Gang der Menschheitsentwickelung kann ja nur verstanden werden, wenn man die tieferen Kräfte jener Wesenheiten sich vor die Seele führt, die in den ganzen Gang der Erdenentwickelung und auch in das Menschen­leben als solches eingreifen.

Nun habe ich von den verschiedensten Gesichtspunkten aus gezeigt, wie wir Menschen drinnenleben in einer gewissermaßen normal fort­laufenden Entwickelung, und wie wir diese überblicken können gerade durch geisteswissenschaftliche Untersuchung über langandauernde Zeit­räume hin. Ich habe Sie aber auch darauf aufmerksam gemacht, wie in diese gewissermaßen normale menschliche Entwickelung eingreifen von der einen Seite gewisse Wesenheiten, die ein anderes Ziel mit den Menschen verfolgen als diejenigen Wesenheiten, welche den Menschen die normale Entwickelung durch die verschiedenen Verkörperungen der Erde geleiten möchten, Wesenheiten, die wir als luziferische haben auffassen müssen, und daß von der andern Seite her Wesenheiten ein­greifen, die wir als ahrimanische bezeichnen. Uber diese Dinge haben wir wiederholt gesprochen. Allein der Ernst, der heute dem Menschen so notwendig ist, kann eigentlich gar nicht in unser Gemüt einziehen, wenn wir nicht das unmittelbare Eingreifen dieser luziferischen und ahrimanischen Wesenheiten in das Menschenleben ins Auge fassen.

Wenn Sie sich erinnern, wie, scharf abgetrennt von dem, was früher geschehen ist, im 15. Jahrhundert ein neuer Zeitraum der Menschheits­entwickelung beginnt, so werden Sie veranlaßt werden, sich nach den verschiedensten Unterschieden im Menschenleben unseres jetzigen Zeit­raumes, der eben mit dem 15. Jahrhundert begonnen hat, zu dem frü­heren, zu fragen. Wir können sagen, zu den mancherlei Eigentümlich­keiten des gegenwärtigen Zeitraumes gehört es, daß vor allen Dingen

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das Denken, der Intellektualismus seit der Mitte des 15. Jahrhunderts sich entwickelt hat. Die Menschheit mußte einmal in der großen Er­ziehung, die sie durchmacht durch die ganze Erdenentwickelung, auch durch diese Erziehung des Intellektualismus hindurchgehen. Sie mußte gewissermaßen probieren, wie sich das Menschenleben leben läßt, wenn vorzugsweise das intellektualistische Prinzip des Denkens ausgebildet wird. Zur wahren Freiheit hätte der Mensch niemals erzogen werden können ohne den Eintritt des intellektuellen Prinzips in sein Wesen. Man macht sich heute gar keine genaue Vorstellung darüber, wie ver­schieden von den Menschen der Gegenwart die Menschen vor der Mitte des 15. Jahrhunderts gerade in dieser Beziehung waren. Man nimmt ja dasjenige, was den Menschen einmal gegeben ist, wie etwas Selbstver­ständliches hin; man denkt nicht weiter darüber nach. Und so glaubt man heute auch, weil hauptsächlich die Menschen der zivilisierten Länder, mit denen wir es zu tun haben, im Intellektualistischen leben, es wäre immer so gewesen, die Menschen hätten immer so gedacht. Das ist aber nicht der Fall. Die Art des Denkens ist eine andere gewesen bei den Menschen vor der Mitte des 15.Jahrhunderts. Es ist gar nicht ein solch abstraktes Denken bei diesen Menschen vorhanden gewesen wie bei den heutigen Menschen. Ihr Denken war viel, viel mehr an­schaulich mit den Dingen der Außenwelt selber verknüpft. Sie waren viel mehr verknüpft mit dem, was im Inneren des Menschen gefühls­mäßig und willensmäßig erlebt werden kann. Wir leben sehr stark in Gedanken, nur sind wir nicht genügend darauf aufmerksam. Wir sind nicht einmal aufmerksam darauf, woraus sich dieses Denken, dieser Intellektualismus, den wir heute als etwas Selbstverständliches hin­nehmen, eigentlich entwickelt hat. Und wir müssen weit und immer weiter zurückgehen in der Menschheitsentwickelung, wenn wir so recht verstehen wollen, woraus sich dieses Denken, dieses Intellektualistische entwickelt hat. Wir müssen uns auch fragen: Gibt es heute noch irgend­welche Uberreste derjenigen menschlichen Betätigung, aus der heraus sich das Denken ergeben hat?

Sie wissen ja, es erhalten sich alte Entwickelungskräfte in spätere Zeiten hinein neben denen, die sich für spätere Zeiten normalerweise ergeben. Und so ist es doch auch bei unserem Denken. Wir erleben

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Reminiszenzen, Nachklänge des Denkens, eine dem Denken ähnliche Tätigkeit im Traum, in jener Bilderwelt, die auftaucht aus dem nächt­lichen Schlaf. Wir lernen durch die Erfahrung unterscheiden, wie diese Denkwelt, die wir vom Aufwachen bis zum Einschlafen in uns ent­wickeln, sich verhält zu der Welt der ganz passiv erlebten Traumbilder. Wenn wir aber zurückgehen in der menschlichen Entwickelung, dann finden wir immer mehr und mehr, daß auch das wache Seelenleben sehr ähnlich war dem, wie heute der Mensch im Traum seine Seelen-tätigkeit erlebt. Das heutige Denken ist ein späteres Entwickelungs­produkt auf dem Wege, auf dessen früheren Stadien die menschliche Seele eine mehr traumhafte Tätigkeit entfaltete. Und wenn wir diese traumhafte Tätigkeit der menschlichen Seele ganz, ganz weit zurück­verfolgen, dann kommen wir über all das hinaus, was Erdenentwicke­lung ist; dann kommen wir zu der vorhergehenden kosmischen Ver­körperung der Erde, die wir gewohnt worden sind, die «alte Monden­entwickelung» zu nennen, innerhalb welcher der Mensch auch schon gelebt hat, aber in einer ganz andern Form als heute. Und während dieser Mondenentwickelung, also während der vorhergehenden Ver­körperung unserer Erde, da hat jenes noch ganz ätherische Menschen-wesen, das der wirkliche Vorfahr des gegenwärtigen Menschen ist, tatsächlich eine traumhafte, eine bildhaft-traumhafte Seelentätigkeit entwickelt. Diese bildhaft-traumhafte Seelentätigkeit hatte aber das Eigentümliche, daß sie in einer ganz andern Beziehung stand zur Au­ßenwelt als unsere denkerische Seelentätigkeit. Ich möchte sagen, mit unserer denkerischen Seelentätigkeit stehen wir doch recht isoliert da in der Welt. Die Welt ist da draußen, sie hat ihre Vorgänge. Wir den­ken in unserem Inneren diese Vorgänge nach, aber wir fühlen uns gerade dann, wenn wir im allertiefsten vermeinen nachzudenken über die äußeren Vorgänge, doch gar nicht drinnen in diesen äußeren Vor­gängen. Wir fühlen oftmals sogar, daß wir am besten über die äußeren Vorgänge denken können, wenn wir uns recht von ihnen isolieren, wenn wir uns ganz auf uns selbst zurückziehen. Solch ein Gefühl hatte der Menschenvorfahr, der noch, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, träumerisch dachte, nicht. Wenn er auf diese Art das in seinen Träumen entwickelte, was wir auf unsere Art seelisch in unserem

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Denken entwickeln, dann wußte er, daß er innig verbunden war in seinem Erleben mit dem Geschehen der Welt. Wir sehen die Wolken, wir denken über die Wolken, allein wir haben nicht das Gefühl, daß dieselben Kräfte, die in der Wolke walten, auch in unserem Denken walten. Das Gefühl aber, daß die gleichen Kräfte, die in der Wolke walten, auch in seinem traumhaften Denken walten, das hatte der Menschenvorfahr. Der Menschenvorfahr sagte wenn ich in unsere Sprache übersetzen will, was er in seiner, gegen die unsere eigentlich stummen Sprache sagte: Die Kräfte, die draußen in der Wolke weben und leben, die bewirken in mir Bilder. Er dachte sich ebensowenig isoliert von jenem Weltenall, in dem die Wolke ihr Wesen entfaltet, wie mein kleiner Finger sich isoliert denken kann von mir selbst. Schneide ich ihn ab, so verdorrt er, ist nicht mehr mein Finger. Der Menschenvorfahr fühlte, daß auch er nicht bestehen kann anders, denn als ein Glied des Weltenalls, das zu ihm gehört. Der kleine Finger müßte sagen: Das Blut, das im ganzen Körper pulsiert, das pulsiert in mir, und mein ganzes organisches Dasein ist von denselben Gesetzen be­herrscht, von denen das organische Dasein des ganzen übrigen Körpers beherrscht ist. Der Menschenvorfahr sagte: Ich bin ein Glied des Wel­tenalls, und das, was in mir pulsiert, indem ich Bilder entwickle, das ist dasselbe wie dasjenige, worauf diese Bilder weisen, ist dieselbe Kraft, die in der Wolkenbildung webt und lebt. Also innig verwandt, intim verbunden fühlte sich dieser Menschenvorfahr mit der ganzen Welt.

Wir aber sind dadurch, daß wir in unserem Denken uns so isoliert fühlen müssen von dem äußeren Geschehen, gewissermaßen abge­schnürt von den wirklich wesenhaften Ursachen des Weltendaseins. Wir verspüren im gewöhnlichen Leben nicht, was eigentlich durch das Weltenall hindurchpulsiert. Unser Denken hat einen abstrakten Cha­rakter angenommen. Unser Denken verrät gewissermaßen gar nichts von dem, was in ihm lebt und webt. Darauf beruht gerade die Möglich­keit, freie Menschen zu werden, daß wir in unseren Gedanken nicht fühlen: Etwas anderes denkt in uns , sondern: Wir selber sind es, die denken. Der Menschenvorfahr aber, der konnte sich nicht sc isoliert vorstellen von dem Weltganzen. Der Menschenvorfahr wußte, da er sich verbunden fühlte mit dem Weltendasein, daß nicht allein abstrakte

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Naturkräfte draußen in diesem Weltendasein da sind, sondern daß waltend sind Wesenheiten, wenn auch Wesenheiten, die anders sind als der Mensch, Wesenheiten, die nicht einen physischen Leib haben wie der Mensch, mit denen sich aber der Mensch als in einem Weltbürger­tum zusammen begriffen denken konnte. Er fühlte nicht etwas wie «Naturkräfte», er fühlte Gemeinschaft mit Naturwesenheiten. Gerade-so wie wir heute sagen: Dasjenige, was vorgeht in der Natur, in das wir selbst einbegriffen sind, vollzieht sich nach Naturgesetzen , so war es naturgemäß für den Menschenvorfahren einer uralten Zeit, daß er sagte: Dasjenige, was draußen in der Natur vorgeht, das vollzieht sich nach den Willensimpulsen der Naturwesenheiten. Wir sagen:

Die Erde zieht die auf ihr befindlichen Körper an durch ihre Schwere gemäß einem Gesetz, wonach diese Schwerkraft mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt, und nennen das den Spezialfall eines Natur­gesetzes. Wir beziehen uns, wenn wir von der Natur reden, auf eine solche Abstraktion. Der Menschenvorfahr war sich dessen bewußt, daß in dem, was wir heute abstrakt Schwerkraft nennen, Wesenhaftes enthalten war.

Aber diese Beziehung zum Menschen, die da entfaltet wurde von besonderen Wesenheiten, die gewissermaßen zur menschlichen Ent­wickelung gehörten, die hörte normalerweise auf in dem Moment, in dem eben für den Menschen die eigentliche Erdenentwickelung begann. Da wurde der Mensch gewissermaßen entlassen aus der Leitung jener übersinnlichen Wesenheiten, die er in seinem Bilderdenken während der alten Mondenzeit als etwas wie in ihn Hereinfließendes und Her­einschwebendes erfühlte. Und fragen müssen wir uns: Welches war denn eigentlich das Wirksame, das den Menschen abb~achte von der Leitung dieser Wesenheiten, mit denen er, wenn auch nur seinem dunk­len Bewußtsein nach, zusammengehörte? Es war die Eingliederung des mineralischen Reiches in die Menschenwesenheit. Denn in jenen alten Zeiten, von denen ich Ihnen eben gesprochen habe, trug der Mensch noch nicht das Mineralreich in sich. Er hatte eine Organisation, die allerdings nicht für die heutigen Sinnesorgane wahrnehmbar gewesen wäre, eine Organisation, die noch nicht mineralische Einschlüsse in sich enthielt. Will man dies verstehen, will man einer solchen Sache

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nicht mit Vorurteil begegnen, dann muß man schon ein wenig sich klarmachen, was das eigentlich heißt: Ein Wesen schließt das Mineral-reich in sich ein. In dieser Beziehung denken ja die Menschen heute außerordentlich oberflächlich. Man sieht ein Mineral an, einen Stein, und betrachtet ihn mit Recht als dasjenige, als was er sich von außen her präsentiert. Aber man sieht eine Pflanze heute genau so an, wie man einen Stein ansieht, während das, was man sieht, in Wirklichkeit gar nicht die Pflanze ist. Die Pflanze ist in Wirklichkeit etwas ganz tlbersinnliches. Man stelle sich vor eine Organisation von Kräften, die einen gewissen Bildcharakter hätte, und die zum Mineralreich in der Beziehung steht, daß sie sich, während sie sonst unsichtbar ist, voll-saugt mit dem Mineralreich und auch mit den Kräften, die zwischen den einzelnen Gliedern des Mineralreiches spielen. Ich habe die Pflanze vor mir: sie ist eine unsichtbare Struktur von Kräften, sie saugt sich nur aus dem Mineralreich voll. Dadurch steht in dem Raumteil, der eine unsichtbare Struktur von Kräften ist, vor meinen Augen auch das Mineralische. Dieses Mineralische schaue ich an, aber es ist nur das­jenige, wovon sich die übersinnliche Pflanze vollgesogen hat. Die über­sinnliche Pflanze muß ich erst finden auf eine ganz andere Art, als die ist, auf der mir das erscheint, womit sie sich vollgesogen hat. Das ist schon bei der Pflanze der Fall. Wir reden überhaupt, wenn wir heute von Pflanzen reden, nur von dem mineralischen Einschluß der Pflanze, gar nicht von der Pflanze selbst.

Worauf es ankommt, ist, daß wir bei der Pflanze das schon ein­sehen, was in noch höherem Maße bei Tier und Mensch der Fall ist. Der Mensch war also in der alten Mondenzeit ohne diesen minerali­schen Einschluß. Er ist auf der Erde so gemacht worden, daß er ihn braucht, daß er sich gewissermaßen vollsog mit dem Mineralreich und seinen Kräften. Was hat er dadurch für sein gesamtes Menschenwesen bekommen? Er hat vor allen Dingen einen mineralischen Körper be­kommen für sein früheres bildhaftes Vorstellen. Das ist in seiner wei­teren Entwickelung dann durch den mineralischen Körper zu dem intellektualistischen Denken geworden, und zwar erst verhältr ismäßig spät, seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, nachdem es sich lange vor­bereitet hatte.

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Daß der Mensch heute intellektualistisch denkt, das beruht darauf, daß er einen mineralischen Körper als Einschluß bekommen hat. Wir brauchen als Mensch diesen mineralischen Körper zu nichts notwen­diger als zu unserem Denken. Aber gerade durch die Aufgabe des Mineralreiches im Irdischen hat sich das alte bildhafte Denken, das sich nicht durch das Mineralreich, sondern durch das Reich, das man das dritte Elementarreich nennt, ausgebildet hatte, umgewandelt. Dadurch hat sich umgewandelt dieses vorirdische Vorstellen in das irdische, denkerische Vorstellen. Dadurch aber sind im Weltenzusam­menhange gewissermaßen auch diejenigen Wesen abgesetzt, mit denen sich der Mensch verbunden denken mußte für sein bildhaftes Vorstellen in jener alten Vorzeit, von der ich gesprochen habe. Aber diese Wesen­heiten müssen wir uns doch etwas anders vorstellen, als wir gewohnt sind, uns außermenschliche Wesenheiten vorzustellen. Da werden ja die Menschen~ sobald sie überhaupt anfangen, noch aus gutem Willen ein Übersinnliches zuzugeben, vielleicht zu sehr anthropomorphisierend. Der Anthropomorphismus ergreift dann das Menschenwesen. Die Men­schen stellen sich alles, was über ihrer Sphäre liegt, vor in ihrem Sinn. Dann ist es leicht, Feuerbach und Büchner Anthropomorphismus vor­zuwerfen. Wir haben ja wahrhaftig vieles von dieser Art erlebt. Wir haben erlebt, daß sich im Abendlande die juristische Denkweise aus­gebildet hat, nach der irdische Vergehen und Verbrechen von irdischen Richtern beurteilt und mit Strafen belegt werden und so weiter. Es ist nach und nach das überirdische, im Sinne eines unvollkommenen Christentums gedachte Belohnen und Bestrafen der Sünde, gar sehr nach dem Muster eines irdischen Gerichtshofes gedacht worden. Wir haben in unseren religiösen Vorstellungen des Abendlandes viel mensch­liche Juristerei drinnen. Wir lassen die Götter solche Strafen vollziehen, wie wir sie von irdischen Gerichtshöfen gewohnt sind. Aber wir müs­sen uns entschließen, wenn wir wirklich über das Menschliche hinaus­kommen wollen, nicht bloß anthropomorphistisch vorzustellen, son­dern, was ja gerade im Menschenleben das Wesentliche ist, tatsächlich dann auch wirklich über das Anthropomorphistische hinauszudenken. So etwas müssen wir schon anwenden, wenn wir uns klarwerden wol­len, daß diejenigen Wesenheiten, die in der alten Mondenzeit auf das

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menschliche Bilddenken Einfluß gewonnen haben, im normalen Fort­gang der Menschheitsentwickelung abgesetzt worden sind, aber das nicht guten Willens hinnehmen. Man könnte ja sagen: Warum fügen sie sich nicht dem Willen der normal führenden Götter? Sie tun es nicht das muß man als Tatsache hinnehmen. Sie waren eigentlich bestimmt, im Menschenzusammenhang nur einen Einfluß zu haben auf das Träumen und auf alles dasjenige, was mit dem Traum verwandt ist. Wir nennen diese Wesenheiten in unserem Zusammenhang luzi­ferische Wesenheiten. Ihr Gebiet wäre erstens alles dasjenige, was Traum ist, und zweitens das, was mit dem Traum verwandt ist. Aber sie begnügen sich nicht damit. Sie treiben ihr Wesen in dasjenige hin­ein, was sich aus ihrem Gebiet herausentwickelt hat: in das an das Mineralische gebundene menschliche Denken. Und in demselben Maße, in dem wir Eingang gewähren in unserem Denken alledem, was sonst nur unseren Traum, unser Phantasieren beherrschen sollte, in dem Maße verfallen wir in unserem Denken dem luziferischen Wesen, dem Einfluß derjenigen Wesenheiten, die nur während der Menschenvor­fahrenzeit einwirken sollten in das alte bildhafte menschliche Denken, die aber zurückgehalten haben ihre Macht und die jetzt, während sie nur sich beschränken sollten auf unser Träumen, unser Phantasieren, unser Kunstschaffen, fortwährend Einfluß suchen auf unsere Gedan­ken, und diese Gedanken abhängig machen von ähnlichen Impulsen, wie sie vorhanden waren in der menschlichen Vorzeit. Es fließt vieles noch ein in unser Denken, das von dieser Seite herkommt, von dieser luziferischen Seite.

Daher ist gerade gegenüber der Menschheitsentwickelung die ernste Frage berechtigt: Aus welchen Kräften kommen denn diese Einflüsse in unser Denken? Ja, sie kommen aus dem Gebiete her, in dem wir Menschen heute noch mit Recht träumen und mit Recht schlafen vor allen Dingen; sie kommen aus dem Gebiet des Fühlens, des Empfindens, aus dem Gebiet der Emotionen. Wir erleben ja unsere Gefühle nur so, wie wir sonst die Träume erleben, und wir erleben unseren Willen, wie wir sonst das Schlafen erleben. Da sind wir mit Recht noch einge­sponnen in die Welt, die in dem Augenblick, wo sie für unser Denken sich entwickelt, die luziferische Welt ist. Daher kommen wir mit un­

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unserer menschlichen Entwickelung nicht zurecht, wenn wir nicht uns anhalten dazu, auch solche Gedanken zu entwickeln, welche unabhängig und immer unabhängiger werden von unseren bloßen Gefühlen, unseren bloßen Emotionen, von dem, was gewissermaßen innerlich aufsteigt aus dem traumhaften inneren Erleben auch des wachen Tageslebens. Das kann man nicht durch theoretische Grundsätze und Prinzipien erreichen, sondern nur durch das Leben selbst. Aber da sieht man, wie die Seelengewohnheiten der gegenwärtigen Menschheit einer auf diesem Gebiet notwendigen Seelenkultur gerade recht widerstreben, so daß man hier auf dieses Widerstreben sehr aufmerksam sein muß. Wir erleben es gerade in unserer Zeit, daß die Menschen sich nicht gewöhnen wollen, hinzuhören auf dasjenige, was nicht aus ihren inneren Vorurteilen, aus ihrem Vorempfinden, ihrer inneren Vorliebe herauskommt, sondern was gewissermaßen unabhängig vom Menschen entschieden wird, so daß sich der Mensch ihm nur zu fügen hat. Ein kleines Beispiel möchte ich anführen, durch das ich einmal jemandem klarzumachen versuchte, wie in bezug auf das, was der Mensch denkt, ein wichtiger Unterschied waltet.

Ich habe einmal vor vielen Jahren in einer süddeutschen Stadt, die heute keine süddeutsche Stadt mehr ist, einen Vortrag gehalten über die Weisheitslehren des Christentums. Sie wissen, daß jeder Vortrag sein begrenztes Thema haben muß und man im Sinne dieses Themas zu reden hat. So macht, wenn jemand nur einen einzigen Vortrag hört, ein solch einziger Vortrag, gerade wenn er sachlich gehalten ist, manch mal auf den einen diesen, auf den andern jenen Eindruck. Jedenfalls kann niemand eigentlich aus einem einzigen Vortrag irgend etwas entnehmen über die ganze Weltanschauung, aus der dieser Vortrag hervorgeht. Denn selbstverständlich wird man nicht, wenn man zum Beispiel über die Weisheitslehren des Christentums zu sprechen hat, aus dem Inhalt des Vortrages schließen können, wie der Mensch, der den Vortrag hält, nun denkt über, sagen wir, die Beziehungen des Lichtes zur Elektrizität, so daß also auch der Fall eintreten könnte, der damals eingetreten ist. Ich habe also über die Weisheitslehren des Christentums gesprochen, und zwei katholische Pfarrer waren dort. Die kamen nachher zu mir und sagten: Es ist eigentlich nichts einzuwenden gegen das,

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was Sie heute gesagt haben - es ist aber jetzt schon viele Jahre her -, aber wir müssen doch sagen, wenn wir auch dasselbe sagen, so sagen wir es doch auf die Art, daß es jeder verstehen kann. Sie sagen es auf die Art, daß es nur für vorbereitete Menschen gelten kann. - Ich sagte dazumal: Ja, Hochwürden, die Sache ist doch so: Ob Sie oder ich aus innerlichem Gefühl heraus empfinden, daß wir für alle Menschen reden, darauf kommt es nicht an, denn das entspringt aus einem subjektiven Gefühl. Es ist doch ganz natürlich: Wenn wir bloß nach unserem Gefühl uns richten, so muß ich ja auch denken, ich rede für alle Menschen, gerade wie Sie es denken; das ist ja selbstverständlich, sonst würden wir es ja anders machen. Aber wir leben heute in einer Zeit, wo es auf das, was wir glauben, daß es berechtigt sei, nicht ankommt. Wir müssen uns erziehen an der Sprache der Tatsachen. Wir müssen lernen, die Tatsachen zu befragen. Also nach Ihrem subjektiven Gefühl denken Sie, Sie reden für alle Leute. Aber ich frage Sie jetzt nach einer Tatsache: Gehen heute noch alle Leute zu Ihnen in die Kirche? Daran würde sich dann zeigen, ob Sie für alle Leute reden. Nun, sehen Sie, für diejenigen, die nicht in die Kirche gehen, wenn Sie reden, für die rede ich! Für diejenigen, die auch ein Recht haben, über die Weisheitslehren des Christentums etwas zu hören, für die rede eben ich. - Das ist Gefolgschaft leisten der Sprache der Tatsachen.

Es ist notwendig, daß wir uns losreißen von den subjektiven Gefühlen, denn wenn wir das nicht tun, dann kommt gerade das Luziferische in unser Denken herein. Wir würden den ganzen furchtbaren Feldzug der Unwahrhaftigkeit, der in den letzten fünf Jahren durch die Welt gegangen ist, als äußerste Konsequenz von etwas, was sich lange vorbereitet hat, nicht haben erleben können, wenn die Menschen gelernt hätten, in einem nötigen Ausmaß sich nach der Sprache der Tatsachen zu richten, und nicht nach der Sprache der Emotionen, wobei die Nationalisten die furchtbarsten Anreger von solchen Emotionen sind.

Auf der einen Seite steht heute die unbedingte Notwendigkeit, daß wir uns in unserem Denken erziehen so, daß wir uns fügen auch dem, was nicht in uns selber liegt. Und auf der andern Seite liegt die Abneigung der Menschen vor dieser Wahrhaftigkeit, die an den Tatsachen ihre Richtschnur sucht.

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Nur derjenige kann in die höheren Welten mit ihren Erkenntnissen aufsteigen, der sich streng erzieht an der äußeren Tatsachenwelt. Wer ein bißchen sich gewöhnt hat, die Darstellung nach den Tatsachen lieb zu gewinnen, der leidet oftmals furchtbare Qualen, wenn ihm die Menschen der Gegenwart etwas mitteilen wollen. Denn er hört sehr häufig Dinge von der Art, daß jemand ihm sagt: Es hat einer etwas gesagt, das war furchtbar, das war entsetzlich! - Ja, wie war es denn eigentlich? Daß es so entsetzlich war, zeigt mir ja nur an, wie Sie es empfunden haben. Ich möchte aber gern hören, was es denn eigentlich war. - Ja, es war eben etwas Schreckliches, das da gekommen ist... - Und so verstehen einen die Leute gar nicht, wenn sie immerfort subjektiv schildern ihre Empfindungen über eine Sache, während man doch eine objektive Darstellung desjenigen hören möchte, was sie äußerlich gesehen haben. Insbesondere, wenn einem die Leute etwas mitteilen, was ihnen jemand gesagt hat, dann kann man heute meistens nicht unterscheiden, ob es sich um etwas handelt, was sie einfach weitersagen, oder ob sie geprüft haben, was sie einem mitteilen. Auf diesem Gebiet muß schon immer wiederum darauf hingewiesen werden, daß man Wahrhaftigkeit im Ubersinnlichen für die Erkenntnis nur erzielen kann, wenn man sich erzieht, hier in der gewöhnlichen Sinneswelt möglichst nur dasjenige darzustellen, was unmittelbare Tatsache ist. Und nur auf diesem Wege, indem er sich zur Tatsachenanschauung erzieht, kann der Mensch die luziferischen Einflüsse überwinden, die in sein Denken hereinfließen.

Diese luziferischen Einflüsse sind dasjenige, dem die Menschheit der Gegenwart auf der einen Seite ausgesetzt ist. Auf der andern Seite sind die ahrimanischen Einflüsse. Wir haben ja sagen müssen: Dieses Erden- denken hat sich eigentlich aus früheren Stadien des menschlichen Seelenlebens nur herausentwickelt dadurch, daß der Mensch gewissermaßen sich vollgesogen hat mit einem mineralischen Körper. Dieser mineralische Körper ist schon das Organ des Erdendenkens. Aber dadurch ist er vornehmlich in das Gebiet derjenigen Wesen geraten, die man die ahrimanischen nennt.

Der Mensch kann ja allerdings sich bewußt werden, daß er sich zu erziehen hat an jener Tatsachenwelt, die ihm abgewöhnt, sich bloß nach seinen subjektiven Emotionen zu richten. Aber er sollte nicht verfallen

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demjenigen Denken, das nun weiter nichts ist als eine innere menschliche Tätigkeit, wie sie nun wiederum aus dem mineralischen Leibe hervorgeht. Auf diesem Gebiete liegt eine für viele Menschen höchst unangenehme Wahrheit.

Nicht wahr, die einen sind Idealisten oder Spiritualisten, die andern sind Materialisten. In der Welt wird viel gestritten darüber, ob nun der Spiritualismus oder der Materialismus das richtige ist. All dieses Streiten hat für gewisse Gebiete der menschlichen Organisation gar nicht den geringsten Wert. Denn der Mensch kann in der Tat zweierlei entfalten. Er kann seinen mineralischen Körper, mit dem er sich vollgesogen hat, als das Instrument benutzen zu seinem Denken, wie er es muß als Erdenmensch, sonst würde er ja nur träumen. Aber er kann sich dann dazu erheben, mit seinen Gedanken über das Instrument wieder hinauszukommen, er kann sich zu einer geistigen Auffassung, zu einer Geistesschau erheben. Tut er das letztere, so hat er zwar mit der materiellen Organisation gedacht, aber er hat sie benutzt, um zu einer weiteren Entwickelungsstufe der Menschheit zu kommen, indem er mit dem Resultat hinaufgeht in die geistige Welt. Er kann aber auch dabei stehenbleiben als Erdenmensch, seinen mineralischen Körper denken zu lassen; denn der kann denken! Das ist gerade das Gefährliche, daß der Materialismus nicht unrecht hat, gerade gegenüber dem Denken nicht. Dieser mineralische Körper ist nicht eine bloße Photographie. Er ist etwas, was für sich denken kann, nur bleibt er mit seinem Denken im Bereich des irdischen Lebens. Der Mensch muß das, was er mit seinem mineralischen Körper erlebt, erst erheben in die Reiche des Übersinnlichen.

So daß man sagen kann: Gewiß, es könnte richtig sein, daß dasjenige, was menschliche Gedanken sind, nur eine Ausschwitzung der menschlichen mineralischen Organisation ist. Das könnte richtig sein, nur muß es der Mensch erst richtig machen. Der Mensch kann aus seiner eigenen Freiheit heraus auf der Erde sich so entwickeln, daß er nur das Produkt der Materie ist. Die Tiere können das nicht; sie kommen nicht so weit, daß sie durch mineralischen Einschluß das Denken entwickeln. Dem Tier steht es nicht frei, die materialistische Anschauung zu bewahrheiten. Dem Menschen steht es frei, die materialistische

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Ansicht zu bewahrheiten; er braucht nur aus materialistischer Gesinnung heraus zu wollen.

Es ist so mit der menschlichen Freiheit beschaffen, daß es sogar dem Menschen frei steht, den Materialismus zu verwirklichen für das Menschenreich, das heißt, diesen Erdenmenschen so zu gestalten, daß er in der Materie aufgeht. Es ist daher im Grunde genommen eine Sache des Beliebens, Materialist zu sein. Wenn man stark genug ist, das auch zu verwirklichen, was man dem Menschen vorsagt als materialistische Gesinnung, dann wird diese Gesinnung durch die Menschen erst wahr.

Was in dieser Form auf den Menschen wirkt, das kommt durch die ahrimanischen Wesen. Die wollen alles dasjenige, was Erdenentwickelung ist, auf der Stufe erhalten, die erst durch die Erdenentwickelung an den Menschen herangekommen ist: bei der mineralischen Organisation. Sie wollen den Menschen vollkommen machen, aber nur als mineralische Organisation, während die luziferischen Wesen den Menschen, auch nachdem er die mineralische Organisation in sein Wesen hereinbekommen hat, doch auf der früheren Stufe, die angemessen war dem Zustand, bevor er die mineralische Organisation bekommen hat, erhalten wollen. Das ist dieses An-zwei-Strängen-Ziehen des luziferischen und des ahrimanischen Wesens. Die luziferischen Wesen möchten den Menschen so entwickeln, daß er zuletzt seinen mineralischen Körper abwirft und eine Entwickelung durchmacht, für die das Irdische uneigentlich bleibt, für die das Irdische gewissermaßen nur eine episodische Erfahrung war. Die luziferischen Wesen haben die Absicht, das Irdische allmählich auszustreichen aus der ganzen Entwickelung der Menschheit. Die ahrimanischen Wesen haben die Absicht, dieses irdische, mineralische Wesen des Menschen so recht zu ergreifen, es dann herauszureißen aus der fortgehenden Entwickelung und es isoliert für sich hinzustellen. Auf diese Weise ziehen die luziferischen und ahrimanischen Wesenheiten an verschiedenen Strängen.

Aber es kommt nun sehr darauf an, daß wir das, was wir so im Großen charakterisieren können, anwenden lernen auf das alleralltäglichste Leben, daß wir wirklich, geradeso wie wir ein halbkreisförmig gebogenes Eisen nicht als ein gewöhnliches Hufeisen ansehen, wenn es doch ein Magnet ist, daß wir das menschliche Leben nicht so

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ansehen, als ob es nur nach seiner Außenseite zu charakterisieren wäre. Derjenige, der Pferdehufe beschlägt mit Magneten, der berücksichtigt nicht, daß im Magneten etwas anderes lebt als im Hufeisen. Derjenige, der das Menschenleben so charakterisiert, wie es heute oftmals geschieht, der handelt aber ganz genau so wie der, der sein Pferd beschlägt mit Magneten anstatt mit Hufeisen. Man geniert sich nicht, von positiver und negativer Elektrizität zu sprechen, wenn man vom Unorganischen spricht, oder von positivem und negativem Magnetismus, aber man geniert sich, vom Luziferischen und Ahrimanischen zu sprechen für das Menschenleben, trotzdem dieses im Menschenleben auf einer höheren Stufe ebenso wirksame Kräfte sind wie positiver und negativer Magnetismus auf dem Gebiete des Leblosen. Nur sind positiver und negativer Magnetismus einfachere Begriffe. Man braucht sich nicht so viel Mühe zu geben, zu ihnen aufzurücken, wie man braucht, wenn man aufrücken will zum Luziferischen und Ahrimanischen. Daher wird man auch nur zurechtkommen in bezug auf dasjenige, was sich heute als Phrase geltend macht und aus der Phrase heraus zur Lüge wird, wenn man weiß: Da wirkt das luziferische Wesen. - Und man wird nur zurechtkommen mit alledem, was als materialistische Gesinnung da und dort auftritt, wenn man weiß: Da wirkt das ahrimanische Wesen. - Denn mit der bloß äußeren Charakteristik wird man für das Verständnis des Menschenlebens in der Zukunft nichts mehr gewinnen können; man wird nur herumreden und die größten Torheiten begehen, wenn man sie dann auf die Wirklichkeit anwenden will; aber man wird das menschliche Leben nicht so verstehen, daß man auch für menschliche Einrichtungen, für menschliche Institutionen aus seinen Erkenntnissen heraus soziale Impulse gewinnen kann. Das ist etwas, was innig zusammenhängt mit dem ganzen Ernste, der einen überkommen muß, wenn man alles dasjenige ansieht, was heute in der Entwickelungstendenz der Menschheit liegt. Wir können heute nicht zu einem Verständnis des Lebens, in dem wir drinnenstehen, kommen, wenn wir nicht den Blick aufwärts werfen vom Irdischen zum Außerirdischen. Da liegt etwas Eigentümliches vor.

Wenn wir zurückblicken in ältere, jetzt weniger alte als die früher charakterisierten Zeiten der Menschheitsentwickelung, so urteilen ja

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die heutigen Menschen zumeist nur nach äußeren geschichtlichen Dokumenten. Es gibt sogar Historiker mit ganz berühmten Namen, die sagen: Die Geschichte der Menschheit hat alles dasjenige zum Inhalt, was man aus dem Geschriebenen entnehmen kann. Wenn man die Geschichte von vornherein so wie Ranke definiert, so ist es ja selbstverständlich, daß man dann zu einer sonderbaren Geschichtsdarstellung kommt. Aber das Schreiben gehört ja selbst der Geschichte an, es entwickelte sich erst wiederum aus etwas anderem heraus, und man kann mit solchen Definitionen eigentlich in Wirklichkeit doch nichts anfangen. Aber geht man zurück nur bis in die chaldäisch-babylonische, in die ägyptische Zeit, so sieht man, daß innerhalb dieser Entwickelungsepoche der Menschheit die ganze Stellung des Menschen auch noch zum Kosmos eine andere war. Man versteht ja heute gar nicht, was eigentlich gemeint war, wenn der Mensch in dieser Zeit sein Leben anknüpfte an den Gang der Sterne, der Planeten, oder deren Verhältnis zu den Fixsternen, zum Tierkreis; das alles ist ja heute die leerste Abstraktion geworden. Glauben Sie denn, daß der Astrologe, der heute die alten astrologischen Werke durchstöbert - und es ist noch gut, wenn er sie durchsucht und keine neuen macht, denn die neuen sind schrecklich -, und da die Horoskope zusammenstellt, daß er in seiner Abstraktion, in seiner abstrakten Denkweise noch eine Ahnung hat von jenem lebendigen Zusammenhang, in dem sich noch der alte Agypter und Chaldäer wußte als Mensch mit dem äußeren irdischen Gang, der Stellung der Sterne? Es ist ja alles anders geworden heute. Man muß sagen: Etwas Wichtiges in der Menschheitsentwickelung seit jenen Zeiten besteht gerade darin, daß dieses ganze Menschenbewußtsein eingeengt worden ist auf das Physische. Wieviel hat solch ein Agypter von der Erde gewußt? Sie war für ihn ein Stück Land. Vom Himmel hat er mehr gewußt. Ins Senkrechte hinauf ging seine Erfahrung. Der Grieche hatte auch noch nicht eine horizontale Erkenntnis; ins Senkrechte ging auch noch seine Erfahrung. Diese senkrechte Erfahrung schränkte sich ein in dem Maße, als sich die horizontale ausdehnte, und das Maximum der Einschränkung der menschlichen Erkenntnis vom Himmel ist die Ausbreitung der menschlichen Erkenntnis von der Erde, als man lernte, die Erde zu umschiffen, um sich zu überzeugen: Wenn man nach

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Westen fährt, kommt man vom Osten wieder zurück. Aber dieses Verfinstern der menschlichen Erkenntnis in vertikaler Richtung mußte eintreten. Der Mensch mußte einmal abgeschnürt werden vom Weltenall, um in sich die Kraft zu suchen, die ihn allein zu seiner menschlichen Freiheit führen konnte. Denn aus dieser menschlichen Freiheit kann nun wiederum das Moralische hervorgehen.

Nun müssen wir, nachdem die Menschen aufgehört haben, so wie die Griechen oder die Chaldäer in vertikaler Hinsicht im Außerirdischen Erfahrungen zu haben, nachdem wir die Erziehung genossen haben, die wir eben haben können durch die bloß horizontale Fläche, wir müssen wiederum auf moralisch-ethischem Gebiet aufsteigen und kennenlernen das Menschenleben, wie es beeinflußt ist von denjenigen Kräften, die nicht im Verlaufe des äußeren Daseins zu bemerken sind. Solche sind eben die luziferischen und ahrimanischen Kräfte.

Die Menschen machen sich allerdings heute mit andern Dingen zu schaffen, und ich habe ihnen manchmal auch etwas mitzuteilen von unserer anthroposophisch orientierten Geistesbewegung, die gerade sich zur Aufgabe macht, ihre Arbeit aus diesem ganzen Ernst der Zeit zu leisten, und die Sprache zu hören, die gewissermaßen vom außer- irdischen Kosmos gesprochen wird, die uns sagt, daß wir wieder erkennen lernen müssen den Zusammenhang des Menschen mit dem ganzen Kosmos. Dahinein tönen dann immer - verzeihen Sie den schroffen Übergang - die Dinge, die heute schon auf die merkwürdigsten Gesichtspunkte hinweisen, von denen aus die Gegnerschaften gegen solchen gewollten Menschheitsfortschritt sich geltend machen. Da kann ich Ihnen eine Stelle aus einem Briefe vorlesen, die recht charakteristisch ist. Wie gesagt, verzeihen Sie den schroffen Übergang, aber wir haben schon die Verpflichtung, Sie bekanntzumachen mit allerlei, was in der Gegenwart geschieht, um zu untergraben, zu vernichten diese Bewegung, die gerade die Aufgabe der Zeit zu erfassen bestrebt ist.

In Norwegen macht sich ein Mensch geltend, der sich die Aufgabe gesetzt hat, unsere Bewegung zu vernichten. Dieser Mann schreibt, um sich zu vergewissern, daß er dazu das Recht hat, an Autoritäten - wie man das so heute macht -; er wendet sich an dasjenige, was sich nennt: «Politisch-anthropologische Monatsschrift.» Von dieser Monatsschrift

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wurde ihm nun die folgende Auskunft gegeben: «Dr. Steiner ist Jude reinsten Wassers. Er ist mit den Zionisten verbunden, eigentlich an sie geknüpft, und steht im Dienste der Entente.» Und der Redakteur fügt hinzu, «daß sie» - nämlich die Leute dieser Art - «schon lange ihre Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet halten».

Ich wollte Ihnen das nur am Schlusse erzählen, wiederum als einen Fall, wie sie sich jetzt so mehren, daß man fast jeden Tag einen zu Gesicht bekommt. So also verhalten sich die Antbropologen heute zu dem, was von anthroposophischer Seite angestrebt wird.

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ZWEITER VORTRAG Stuttgart, 7. März 1920

Es handelt sich darum, wie schon öfter hier gesagt und vorgestern von einem wieder etwas andern Gesichtspunkte ausgeführt worden ist, aus der Entwickelungsgeschichte der Menschheit heraus, wie sie der geisteswissenschaftlichen Forschung vor Augen treten kann, den Ernst der gegenwärtigen Zeit zu empfinden, und aus diesem Ernst der Zeit heraus, gleichgültig an welchem Platz man steht im Leben, zu handeln.

Ich möchte heute wiederum einige Bausteine beitragen zu dem Gebäude, das in seiner Gänze uns zeigen kann, wie die Geistesverfassung der gegenwärtigen Menschheit beschaffen ist und wie aus dieser Geistesverfassung heraus für den weiteren Fortschritt der Menschheit gearbeitet werden muß. Wir werden zurückgreifen zunächst zu einigem, das uns in seinen Hauptzügen schon bekannt ist.

Wir wissen, daß die gegenwärtige zivilisierte Menschheit im wesentlichen darstellt die Fortbildung derjenigen Menschheit, die sich vor der atlantischen Katastrophe entwickelt hat auf dem atlantischen Kontinent, von dem wir ja des öfteren gesagt haben, daß er sich ausbreitete zwischen dem heutigen Europa, Afrika und Amerika an der Stelle, wo heute der Atlantische Ozean ist. Wir wissen, daß unter dem Einfluß der atlantischen Katastrophe, schon als sie sich vorbereitet hat und wie sie dann ihren Fortgang nahm, die damalige Menschheit unseres Westens sich zunächst nach Osten hin bewegte, Europa und weiterziehend Asien bevölkerte, und daß eigentlich die gegenwärtige europäische und asiatische Bevölkerung besteht aus der Nachkommenschaft der alten atlantischen Bevölkerung. Wir wissen auch, daß die Zivilisation dann in einer gewissen Weise den umgekehrten Weg genommen hat, daß Zivilisationsinhalt, Kulturinhalt, der zunächst in Asien erobert worden ist, von der Menschheit durch die Einwanderung von Kolonisatoren nach Europa gebracht worden ist, daß er dann da von verschiedenen Zentren ausgegangen ist. So ist, ich möchte sagen, die physische Grundlage der modernen Zivilisation, die Menschheit Europas und Asiens, Nachkommenschaft der alten atlantischen Bevölkerung, die vom Westen

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nach Osten gezogen ist; die Zivilisation selbst aber hat den Zug von Osten nach Westen gemacht. Diese zwei Wanderzüge werden eigentlich nur richtig unterschieden, wenn man von geisteswissenschaftlicher Forschung ausgeht. Die äußere Anthropologie verwirrt die beiden Dinge und weiß nicht, daß dasjenige, was von Asien nach Europa sich herüber verpflanzt hat, eigentlich nur die Kultur ist, während die physische Grundlage Wanderzügen ihr Dasein verdankt, die von Westen nach Osten sich erstreckten.

Nun aber ist der Mensch niemals ganz ohne Beziehung zu seiner örtlichen Daseinsgrundlage. Er ist in einer gewissen Verwandtschaft zu dem, was unter ihm der Erdboden ist, was der Erdboden hervorbringt, wie der Erdboden in klimatischen Verhältnissen sich auslebt und ihm eine Stätte bereitet. Daraus können Sie schon schließen - was aber durch geisteswissenschaftliche Forschung voll bestätigt wird -, daß diejenigen Menschen, die durch die nachatlantischen Wanderungen weiter nach Asien herübergekommen sind, sich anders entwickeln mußten als diejenigen, die in Europa zurückgeblieben sind. Trivial gesprochen, kann man sagen: Der europäische Boden wirkte eben anders auf die Nachkommen der Atlantier als der asiatische Boden. Und wir können in einer gewissen Weise den Unterschied der asiatischen Bevölkerung von der europäischen Bevölkerung angeben. Dieser Unterschied besteht darin, daß tatsächlich gerade in den ältesten Zeiten der nach- atlantischen Zivilisationsentwickelung, im 9., 8., 7., 6. vorchristlichen Jahrtausend und auch noch in den folgenden Jahrtausenden, die asiatische Bevölkerung in einer andern Weise dasjenige aufgenommen hat, was eigentlich voll herausgekommen ist erst seit dem 15. Jahrhundert, wie ich das letzte Mal angedeutet habe, was aber schon vorbereitet worden ist in den früheren Jahrhunderten nicht nur, sondern in Jahrtausenden: das Intellektualistische, das eigentliche Denken.

So wie wir heute dieses Denken kennen, so wie wir heute den menschlichen Intellektualismus als innere Selbstbetätigung der Seele anerkennen, so kam er in seiner ureigenen Gestalt erst heraus in der allerneuesten Zeit. Aber die ganze Entwickelung, namentlich die nachatlantische, ist ein Hintendieren zu diesem Intellektualismus. Und das Bedeutsame ist, daß die asiatische nachatlantische Bevölkerung alles

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dasjenige, was wir als Intellektualistisches ansprechen können, aufgenommen hat mehr mit den seelischen Elementen; so daß wir da, innerhalb dieser asiatischen Bevölkerung, sagen können: Die örtlichen Verhältnisse prädestinieren diese Bevölkerung besonders dazu, das Seelische mit den Vorstufen des intelligenten Wesens zu durchdringen. Das ist das Bemerkenswerteste in der asiatischen Zivilisation, daß das Seelische als solches das Werkzeug wurde für das Aufnehmen des intelligenten Prinzips.

In Europa, bei den dort zurückgebliebenen Menschen, war das anders. Da war es ganz ausgesprochen so, daß die körperliche Entwickelung, die physische Organisation, nicht nur später das wirkliche Werkzeug des Intellektualismus wurde, sondern sich schon so heraus- bildete, daß sie das Wesentliche dieser europäischen Bevölkerung bildete, daß sie sich besonders geeignet machte, der Träger des intelligenten Wesens zu werden. Wenn man daher die Nachkommen der frühesten Nachkommen der Atlantier, welche wir also selber sind, charakterisieren will, so muß man sagen: Die Asiaten gewöhnten sich daran, mehr mit der Seele zu denken; die Europäer gewöhnten sich daran, mehr mit dem Körper zu denken. - Das ist auch der wesentliche Unterschied zwischen asiatischer und europäischer Zivilisation. Wenn Sie einen durchgreifenden Unterschied aufzeigen wollen zwischen dem, was als intelligentes Wesen in den Veden oder in der Vedantaphilosophie oder andern asiatischen Geistesströmungen hervortritt gegenüber dem europäischen Wesen, so werden Sie sich sagen müssen: Der Asiate denkt eben mehr durch die Seele, der Europäer mehr durch das Leibliche.

Und so kommt es denn, daß, weil der Asiate das Intellektuelle gewissermaßen mit einem höheren menschlichen Wesensglied auffaßte, er viel früher zu einem hohen Grade der Zivilisation, aber einer mehr seelischen Zivilisation kam, einer Zivilisation, die weniger abstrakte Begriffe in ihrer Struktur hatte, die aber die Wege weiter hinauf findet zu dem seelisch-geistigen Weltinhalt durch den seelisch-geistigen Menscheninhalt, ohne zu abstrakten Begriffen ihre Zuflucht zu nehmen. Das macht das spirituelle Wesen der asiatischen Zivilisation aus, daß sie im wesentlichen eine seelische Zivilisation ist. Der Asiate ließ im hohen Grade seine Leiblichkeit unbenützt bei seinem Denken; er trug

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seinen Leib durch seine irdische Laufbahn. Dasjenige, was sein Geistesleben ausmachte, das pflegte er im Rein-Seelischen. Sie verstehen nicht die ganze eigentümliche Artung des asiatischen Wesens, wenn Sie sie nicht von diesem Gesichtspunkte aus betrachten. Der Europäer dachte immer mehr und mehr mit dem Körperlichen. Daher wurde auch bei ihm mehr als beim Asiaten der Grund gelegt zu einer Kultur, welche das Freiheitsprinzip in die Mitte stellen kann. Der Asiate, dem die Intelligenz beschieden war im Seelischen, der war noch mehr darinnen in dem allgemeinen Weltenorganismus. Der menschliche Leib sondert sich ja besonders heraus aus dem übrigen Weltenorganismus, und benutzt man ihn als das besondere Werkzeug des intellektuellen Lebens, so wird man selbständiger, aber auch mehr mit seiner Selbständigkeit an den Leib gebunden als der Asiate, der die Intelligenz innerhalb des seelischen Prinzips entwickelt hat und dafür weniger selbständig wird.

Wir haben also über Asien hin, je mehr wir uns der Zeit nähern in der Menschheitsentwickelung, die das Mysterium von Golgatha brachte, eine hohe seelisch-geistige Kultur, die nun sogar schon wiederum ihren Höhepunkt überschritten hatte, als das Mysterium von Golgatha eintrat, die schon wiederum etwas im Niedergang war. Denn man sollte sich nicht darüber täuschen: Mit europäischen Begriffen ist nicht so ohne weiteres dasjenige zu fassen, was an hoher Kultur durch das Seelisch-Geistige im Asiatentum hervorgebracht worden ist. Und wenn so richtig europäisch denkende Menschen, das heißt Menschen, die ganz mit dem Werkzeug des Leibes denken, wie zum Beispiel Deußen> es unternehmen, das Asiatische dem Europäer nahezubringen, dann kommt etwas heraus, was eben durchaus nicht dem Inhalt der seelisch-geistigen Zivilisation Asiens entspricht, sondern das alles, was dort lebt, ins Europäische übersetzt. Es ist ja sogar unter solchen Einflüssen möglich geworden, daß Interpretationen gewisser indischer Geistesströmungen in Europa Aufsehen gemacht haben, wie die Garbeschen, die nichts anderes bedeuten als die konfuse Ubersetzung des asiatischen seelischgeistigen Wesens durch den europäischen Materialismus. In den Schriften dieser Art ist eben auch nicht eine Spur vorhanden von dem, was der Geist des alten Asiatentums war. Es ist notwendig, heute auf diese Dinge streng hinzuweisen, weil gerade heute, wie ich des öfteren erwähnt

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habe, der Autoritätsglaube einen furchtbar hohen Grad erreicht hat und man eigentlich schon gar nichts mehr hat, was einen veranlaßt, irgend etwas als gültig anzusehen als die Tatsache, daß irgend etwas aus akademischen Kreisen kommt. Es gibt natürlich keinen wirklich inneren Grund, die Deußensche oder Garbesche Verhunzung des Asiatentums als irgend etwas Bedeutsameres anzusehen als den auf Irrpfaden gehenden Autoritätsglauben Europas, der gar nicht mehr in der Lage ist, irgendwie innerliche Gründe zu finden, sondern der eben nur auf äußere Autorität hin noch glaubt, daß das oder jenes richtig ist. Es hilft nichts - wenn das auch neue Feindschaften hervorbringt -, über diese Dinge nicht die Wahrheit zu sagen, denn der Ernst der Zeit fordert durchaus, daß in gewissen Dingen keine Kompromisse geschlossen werden, sondern daß auf die Wahrheit rückhaltlos hingedeutet wird.

Schon als die spirituelle Hochkultur Asiens in einem gewissen Niedergang war, fiel in diese Hochkultur hinein das Ereignis von Golgatha. Dieses Ereignis von Golgatha - man kann es nicht oft genug betonen - wurde zunächst aufgefaßt, begriffen durch dasjenige, was asiatische Kultur hervorgebracht hat. Man muß wirklich unterscheiden zwischen dem Mysterium von Golgatha als Erdentatsache, zwischen dem, was sich im Beginn unserer Zeitrechnung in Vorderasien zugetragen hat, und demjenigen, was die Menschen sich als Vorstellung gemacht haben über dieses Mysterium von Golgatha. Europa hatte zur Zeit, als das Mysterium von Golgatha geschah, noch keine Möglichkeit, dieses Mysterium von Golgatha voll zu begreifen, denn es war ein Ereignis, das nur vom Geistig-Seelischen aus zu begreifen war. Die europäische Zivilisation aber hatte sich ausgebreitet mit dem Werkzeug des Materiell-Körperlichen; mit dem, was in Europa hervorgebracht wurde an materiell-körperlicher Zivilisation, war diese Tatsache, die da geschah im Beginn unserer Zeitrechnung, aber nicht unmittelbar zu begreifen. Die asiatische Zivilisation jedoch konnte Vorstellungen finden aus dem geistig-seelischen Intellektualismus heraus, um dieses Ereignis von Golgatha zu begreifen. Und so ist dasjenige, was geschehen ist in Palästina, gegossen worden in die Vorstellungswelt des Orients. Und es ist als solches gewandert nach dem Westen über Griechenland nach Italien und ist als Tradition gebracht worden nach Europa.

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Nun kann der Mensch äußerlich etwas empfangen, was er innerlich noch nicht erfassen kann; er kann es äußerlich empfangen durch Tradition, durch Überlieferung, durch das geschriebene Wort. Und so bekam Europa zunächst die Erklärung, die Auffassung für das Mysterium von Golgatha durch die orientalische Überlieferung, das heißt, man verstand das Christentum im Lichte orientalischer, geistig- seelischer Weisheit. Sie war groß zur Zeit, als man noch gnostisch begriff das Mysterium von Golgatha und die Stellung des Christus zur ganzen Erdenentwickelung. Sie wurde immer geringer und geringer, als die Europäer immer mehr und mehr ihre Eigenart hineinmischten in die Tradition. Sie mußten ihre Eigenart, das heißt das Gebundensein mit dem Intellektualismus an das Leibliche, hineinmischen in ihre Auffassung. Und was sich insbesondere in Europa zeigte, das war, daß zwar in den alten Zeiten der menschliche Leib der Europäer in hohem Maße das Werkzeug für ihre Art elementaren Intellektualismus war, daß aber dieser Körper allmählich erstarb. Und eigentlich ist die körperliche Entwickelung der europäischen Menschheit bis ins 15. Jahrhundert und noch bis in unsere Zeit herauf ein Ersterben des materiellen Leibes. Unser materieller Leib wird immer dichter und knöcheriger. Das kann man nicht mit äußerer Anatomie und Physiologie nach- weisen, aber es ist der Fall. Wir haben heute nicht mehr diesen innerlich lebendigen Leib, den die Menschen des 1., des 3., ja sogar des 10. und 11 Jahrhunderts noch hatten. Wir haben heute einen europäischen Leib, welcher gegenüber diesem alten, innerlich lebendigen Leib verknöchert ist, abgelähmt ist. Daher stand auf der einen Seite die für das asiatische Geistig-Seelische berechnete Tradition, die die kirchlichen Glaubensbekenntnisse bewahrten, und auf der andern Seite immer mehr und mehr der europäische Leib, dem fremd und fremder wurde das, was aus Asien herübergekommen war, und der nach und nach auch nicht mehr empfangen konnte, was aus Asien herübergekommen war.

Und jetzt kam immer mehr und mehr seit der Mitte des 15. Jahrhunderts herauf unter dem Einflusse des verknöcherten europäischen Leibes die Tatsache, daß die alte Tradition nur noch Jem äußeren, phrasenhaften Wortlaute nach innerhalb der Bekenntnisgemeinschaften bewahrt wurde. Jahrhunderte hindurch war noch die Tradition so

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lebendig, daß man nicht viel Rücksicht nahm auf das Evangelium, sondern sich an das Leben hielt. Unter dem Einfluß des ersterbenden europäischen Leibes fand man sich dann genötigt zu sagen: Die Tradition wollen wir abwerfen, nur noch an das Wort wollen wir glauben, an das Wort, das aufgeschrieben ist. Man glaubt nämlich, man hätte das Wort, indem man die schlechte Übersetzung des Wortes hat. Und so ist man allmählich dazu gekommen, ohne daß man sich das gestehen will, daß man eigentlich nur mehr die äußere Hülle des alten Wortes hatte, das in sich schloß die Kunde über das Mysterium von Golgatha in dem Gewande orientalischer geistig-seelischer Weisheit.

Diese orientalisch geistig-seelische Weisheit wird wenig verstanden von denen, die heute oftmals die Evangelien interpretieren, oder übersetzen, wenig, fast gar nicht. Wir stehen eben heute vor der Notwendigkeit, das Mysterium von Golgatha neu aufzufassen; aber wir können es nicht auffassen, wenn wir in Europa nicht hinauskommen über das, was uns der schon ersterbende europäische Leib gibt. Wir müssen durch geisteswissenschaftliche Entwickelung zu einem Erfassen der geistigen Welt kommen, unabhängig von diesem Leibe. Und alles Heil der Zukunft hängt daran, daß wir zu einem solchen Erfassen der geistigen Welt kommen, das unabhängig ist von dem Leiblichen, das direkt auf das Geistige losgeht. Es wird sich unterscheiden müssen von dem, was die orientalische geistig-seelische Kultur in sich hat. Diese orientalische geistig-seelische Kultur kam durch die Entwickelung des Menschen wie von selbst an diesen heran. Der Europäer der neueren Zeit muß sie sich erwerben. Er muß Geisteswissenschaft pflegen. Er muß die öffentliche Erziehung von der untersten Stufe an so einrichten, daß nicht theoretisch Geisteswissenschaft getrieben wird, aber daß diese einfließt in das ganze Gebaren namentlich des Unterrichts und der Erziehung, daß Geisteswissenschaft auch hineinfließt in den höheren Unterricht, daß Geisteswissenschaft lebt in alledem, was Kunst, Literatur und so weiter, was in dieser Beziehung öffentliches geistiges Leben ist. Und es muß diese europäische Kultur dafür sorgen, daß Geisteswissenschaft als solche gepflegt werde. Was wird dann aus dieser Geisteswissenschaft herauswachsen? Es wird herauswachsen ein neues Verständnis des Mysteriums von Golgatha. Und sagen wird man müssen: Das sind alte

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Zeiten, in denen man nur nach der orientalischen geistig-seelischen Weisheit interpretiert hat das Mysterium von Golgatha, und eine lebendige neue Weisheit muß in neuer Weise das Mysterium von Golgatha erfassen.

In vieler Beziehung haben wir ja über diese Dinge öfter gesprochen, aber sie müssen von allen Seiten unsere Seele ergreifen. Es ist notwendig, daß wir den Ernst in unsere Empfindung aufnehmen, der wirklich uns durchdringt mit der Einsicht von der Notwendigkeit eines neuen Verständnisses des Mysteriums von Golgatha. Und da liegt immerhin etwas vor, was, ich möchte sagen, den Ernst gerade für die mitteleuropäische Bevölkerung zu einem noch herberen macht.

Wenn wir mit einem tieferen Verständnis hinblicken auf dasjenige, was Geistesleben geworden ist in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts gerade innerhalb Mitteleuropas, so werden Sie sagen müssen: Da ist, trotzdem natürlich auch die Bevölkerung dieses Mitteleuropa Leiber hatte, die schon im Absterben waren, doch noch so viel Lebendiges gewesen, daß sich diese Bevölkerung Mitteleuropas herauf erheben konnte zur Lebendigkeit der Ideenwelt, wie sie eigentlich niemals vorher in der Menschheitsentwickelung erreicht worden ist. Es gibt keine solche Erhebung des Menschen zu abstrakten Begriffen, aber zugleich so, daß, wenn man in diesen abstrakten Begriffen lebt, man nicht im Toten lebt, sondern im Lebendigen, wie es zum Beispiel erreicht worden ist vom Goetheanismus oder von den idealistischen deutschen Philosophen. Das gibt es sonst in der Menschheitsentwickelung nicht. Das ist auch in einer gewissen Beziehung ein Höhepunkt, den man sich nur wirklich ganz klarinachen muß. Die heutige Menschheit will eben nichts mehr davon wissen, wie, um jetzt einmal einen Geist aus der Reihe der Goetheanisten herauszugreifen, ein Mensch wie Scbelling - ich habe das öfter geschildert - sich in der Sphäre abstrakter Begriffe bewegt, und doch, obwohl er in abstrakten Begriffen redet, so lebendig in dieser Welt der abstrakten Begriffe sich bewegt, wie sonst einer nur, wenn er von Essen und Trinken spricht. Auch bei Fichte war das der Fall. Dieses Hinuntersteigenkönnen in die Sphäre der Begriffe und Ideen in Lebendigkeit tritt uns auf diesem Gebiet menschlicher Entwickelung ganz besonders

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entgegen. Daher liegt wirklich für diese mitteleuropäische Bevölkerung doch etwas ganz Besonderes vor im ganzen Zusammenhang der neueren Menschheit. Bei dieser mitteleuropäischen Bevölkerung liegt nämlich tatsächlich das vor, daß sie durch ihre besondere Eigenart, die eigentlich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts überflutet worden ist von etwas anderem, am ehesten ergreifen kann den Beruf der modernen Menschheit, wiederum in die Geistigkeit hineinzukommen. Deshalb ist es so furchtbar schmerzlich zu empfinden, daß es heute in Mitteleuropa ein so schläfriges Menschenwesen gibt, das in einem gewissen Sinn auf den Gräbern Lessings und Goethes und Herders und Schellings herumgeht und selber seine Aufgabe im seelischen Schlafen sieht. Denn tatsächlich, im Wiederanknüpfen an dasjenige, was diese Geister geschrieben und gedacht haben, aber nicht in äußerlicherWeise, sondern im Wiederanknüpfen an den Geist, aus dem heraus sie geschrieben haben, würde dasjenige liegen, was Europa in die Höhe bringen könnte. Europa kann nicht in die Höhe gebracht werden, wenn in seinen Kirchen die unverstandenen Evangelienworte nachgeplappert werden. Europa kann nur in die Höhe gebracht werden, wenn die Erfassung der geistigen Welten gesucht wird in einer weiteren Fortbildung desjenigen, was ein Herder, ein Goethe und andere erstrebt haben. Aber davon wird in der Gegenwart fast gar nichts bemerkt. Es ist schon ein trauriges Zeichen der Zeit, daß zum Beispiel innerhalb einer Kultur- gemeinschaft, die so etwas besitzt wie Fichtes «Bestimmung des Menschen», wie Schellings «Bruno», wie Schillers «Asthetische Briefe», und ich könnte Ihnen noch vieles nennen, daß innerhalb einer solchen Kulturgemeinschaft ein Streben aufkommen konnte, das sich zu den lächerlichen, oberflächlichen Amerikanismen eines Ralph Waldo Trine und ähnlichen andern hingewandt hat. Man hat hier weit, weit Höheres, läßt es schlafen und wendet sich zu anderem hin.

Und je mehr man in das eigentliche geistige Gebiet hineindringt, desto stärker offenbart es sich, daß im Leben der heutigen Menschheit Neues offenbar wird. Der Mitteleuropäer wird von dem Westeuropäer wenig verstanden; der Westeuropäer wird von dem Mitteleuropäer wenig verstanden, auch schon im gewöhnlichen Leben. Aber man bemerkt es da nicht so. Man glaubt sich zu verstehen. Man merkt nicht,

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daß man aneinander vorbeiredet. Ich will nicht reden von dem Aneinandervorbeireden der Amerikaner und Europäer, sondern von dem der Mittel- und Westeuropäer. In diesen Dingen kann man ja auch Merkwürdiges erleben.

Ich habe Ihnen auch das letzte Mal, als ich hier war, erzählt, daß das Verleumdungssystem nicht nur hier innerhalb Deutschlands spielt, sondern daß es auch außerhalb der Grenzen Deutschlands spielt. Ich habe Ihnen von diesem Ferrie`re erzählt, der in einer belgisch-schweizerischen Zeitschrift sich zum Verbreiter eines sonderbaren Märchens gemacht hat, indem er erzählte, daß es ja allbekannt wäre von mir, daß ich der «Rasputin> Wilhelms 11. gewesen sei und wesentlich beigefragen hätte zu all den schlechten Ratschlägen, die Wilhelm 11. in der Schreckenszeit gegeben worden sind. Ich habe nun, genötigt durch diese Verleumdung, die sich namentlich innerhalb der französischen ~hweiz ausgebreitet hatte, entgegnet in der Form, daß ich die Wahrkeit, um die es sich hier handelt, niederschrieb, nämlich die nackten Tatsachen: daß ich den ehemaligen Kaiser nur von ferne flüchtig gegehen habe, daß ich niemals ein Wort mit ihm gesprochen habe, daß ich niemals auch nur eine mittelbare Verbindung mit ihm gesucht habe. [ch habe diese nackten Tatsachen niedergeschrieben in einem Brief an FIerrn Dr. ßoos, der dann seinerseits dem Ferrie`re die nötige Abfertieng gegeben hat. Es wurde dies aufgenommen in der betreffenden weitschrift und auch gleich die Erwiderung abgedruckt. Diese Erwidening hat ungefähr den folgenden Inhalt: Man sehe an diesem Beispiel wiederum den großen Unterschied zwischen dem lateinischen Geist und dem germanischen Geist. Der germanische Geist nähme alles so ;erios. «Meine Leser», so schreibt Ferrie`re, «werden sich aber nicht gaben täuschen lassen; sie werden schon herausgefunden haben, daß iasjenige, was ich niederschrieb, als

gemeint ist und nicht als . Im übrigen konstatiere ich, daß man die Erfahrung nachen kann, daß auch dann, wenn man etwas hört von Menschen, von denen man glaubt, daß man ihnen glauben könnte, auch wenn das Gerücht eine weite Verbreitung gefunden hat, es doch nicht wahr sein dann. Ich nehme davon Notiz.» Und so weiter.

Das war die elegante Erwiderung, die der «lateinische Geist» mit

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«plaisanterie» über den seriösen germanischen Geist geben konnte. Wenn solche Dinge noch hervortreten, dann kann man ja noch zufrieden sein, aber sie werden sehr häufig nicht bemerkt.

Aber noch bedeutsamer treten diese Dinge hervor gerade auf dem Gebiet einer tieferen Weltauffassung, da, wo diese Dinge hineinspielen in die Wissenschaft von der Initiation, in die Wissenschaft der Einweihung und in all das, was damit zusammenhängt. Und hier auf diesem Gebiet ist es in der Tat schon notwendig, daß einmal an diese Dinge gerührt werde, an die zu rühren allerdings manche Menschen heute noch für außerordentlich gefährlich halten. Und so möchte ich denn heute zu Ihnen von einer Tatsache sprechen, die nach der Meinung namentlich westlicher Vertreter der Einweihungswissenschaft eben nicht besprochen werden soll.

Sie können von westlichen Vertretern der Einweihungswissenschaft immer wieder und wiederum hören, daß es eigentlich ganz untunlich sei, daß jemand von sich selber aus die selbsterkannte Einweihungswissenschaft verbreitet. Sie werden daher immer finden, daß, wenn wirklich Eingeweihte des Westens durch öffentliche Schriften Einweihungswissenschaft zur Darstellung bringen, sie es ablehnen, selber erfahrungsgemäß von den Dingen, die sie mitteilen, etwas zu wissen. Sie finden es als eine typische Tatsache, daß irgend jemand Dinge mitteilt, die durchaus Einweihungswissenschaft sind, besonders in Amerika erscheinen solche Dinge, da wird dann eine Vorrede dazu gemacht, das gehört einfach zur Technik der Behandlung der ganzen Sache, und darin wird gesagt: Es ist selbstverständlich, daß ich alle diese Dinge nicht von mir habe, denn hätte ich sie von mir, so würde ich sie nicht mitteilen. - Sehen Sie nach, Sie werden bei einer großen Anzahl von Dokumenten gerade der Einweihungswissenschaft des Westens solche Dinge finden. Und wenn dann die Frage entsteht, warum so verfahren wird, dann bekommen Sie eine gewisse Antwort, die innerhalb bestimmter Grenzen für westliche Einweihungswissenschaft durchaus zutreffend ist. Da wird Ihnen gesagt: Derjenige, der direkt, unmittelbar in der geistigen Welt etwas erfährt, der also die Geheimnisse der geistigen Welt kennt, der kann ja dem andern nicht sagen, daß er sie durch eigene Erfahrung kennt - so wird in der Regel die Antwort

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wörtlich lauten -, denn verrät er, daß er aus eigener unmittelbarer Erfahrung Einweihungserkenntnisse besitzt, so begibt er sich lebenslänglich in Abhängigkeit von dem, dem er sein Geheimnis verrät.

Diese Anschauung, die in dem Wesen der westlichen Einweihungswissenschaft begründet ist, führt dazu, daß in einer ganz äußerlichen Weise über alles Einweihungsgemäße bei den westlichen Einweihungsgesellschaften gesprochen wird, daß durchaus unter den westlichen Menschen Eingeweihte herumgehen, von denen kein Mensch weiß, daß sie Eingeweihte sind. Diese Anschauung, die überwunden werden muß von der neueren Zeit, die kann gar nicht in Mitteleuropa gelten, und es muß gerade der Geist, der in Mitteleuropa sein sollte, diese Anschauung bekämpfen. Und zwar muß dieser mitteleuropäische Geist sie dadurch bekämpfen, daß er in der vorhin charakterisierten neuen geistigen Weise verstehen lernt das Mysterium von Golgatha, verstehen lernt das Leben mit dem Christus-Wesen.

Hier liegt ein wichtiges Geheimnis. In westlichen Ländern ist es heute mit der gebräuchlichen Einweihungswissenschaft noch vielfach so, daß sie ferne steht dem Christentum; sonst hätte nicht die Theosophical Society mit Ausschluß des Christentums oder mit einem karikierten Christentum eine rein orientalische, indische Weisheit, eine vorchristliche Weisheit als etwas Neues angewandt. Es ist eine Eigentümlichkeit dieser westlichen Einweihungswissenschaft, daß derjenige, der dort eingeweiht ist, nur etwas hat von seiner Einweihung, wenn er wenigstens einen Schüler hat, der seine Vorstellungen wiederholt. Es nützt gar nichts, die Einweihungswissenschaft nur für sich allein zu haben. Geradeso wie Sie geradeaus sehend mit Ihren Augen auf keinen Gegenstand treffen, so treffen Sie nicht auf Ihre eigenen geistigen Begriffe, wenn Sie als westlicher Eingeweihter nicht schauen können auf die Wiederholung Ihrer Vorstellungen bei einem andern. In der mannigfaltigsten Form wird das schon angedeutet, aber man erkennt es nicht richtig. In der Tat, wenn es so ist, dann gilt es, daß derjenige, der einem andern verrät, daß er selber ein Eingeweihter ist, lebenslänglich in die Qewalt dieses andern kommt; denn der andere kann ihm den Dienst aufsagen und kann ihm sagen: Ich wiederhole deine Vorstellungen nicht. - Es kommt eine gewisse Abhängigkeit heraus unter diesem

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Prinzip. Das gehört im wesentlichen zu den charakteristischen Eigenschaften derjenigen Einweihungswissenschaft, von der ich Ihnen oftmals von andern Gesichtspunkten aus als herrschender Einweihungswissenschaft des Westens erzählt habe.

Nun gibt es gegenüber dieser Abhängigkeit von der Anhängerschaft nur ein einziges: Die Gemeinschaft zu haben mit dem Christus, der ja seit dem Mysterium von Golgatha auf der Erde wirklich zu finden ist. Wer in dieser Gemeinschaft nicht mit einem nichtsinnlichen Menschen- wesen, sondern mit dem unter die Menschen gegangenen ersten Bruder die Gemeinschaft hält, mit dem lebendigen, unter uns wandelnden Christus diejenige Gemeinschaft hält, die man in der vorchristlichen Einweihung mit einem andern Menschen haben mußte, der braucht nicht davor zurückzuschrecken, seine eigene Weisheit an die Mitwelt mitzuteilen. Aber es gibt in der Gegenwart keinen andern Weg, ursprüngliche Initiationsweisheit unmittelbar mitzuteilen, als wenn man die Gemeinschaft mit dem Christus hält. Einen andern Weg gibt es nicht. Und daher wird wirkliche Initiationsweisheit der neueren Zeit diese Gemeinschaft mit dem Christus suchen müssen. Wenn sie nicht gesucht werden könnte, diese Initiationsweisheit, wir könnten in sozialer Erkenntnis nicht vorwärtskommen. Denn mit dem, was nicht aus der Einweihung stammt, ist heute kein soziales Denken mehr zu entwickeln. Das aber gerade brauchen wir. Und wenn aus der westlichen Initiationsweisheit allein herausgeboren würde ein soziales System, so würde das darauf beruhen müssen, daß die Initiationsweisheit selbst bis in weite Gebiete herunter - gewisse höhere Gebiete können ja heute den Menschen nicht mitgeteilt werden, weil dazu Vorbereitung nötig ist - geheimgehalten wird. Aber mit dieser Art von Geheimhaltung ist ja von vornherein nicht vereinbar das Prinzip der Gleichheit aller Menschen, welche immer mehr und mehr angestrebt wird von dem neueren europäischen, überhaupt vom modernen zivilisierten Menschentum. Daraus sehen Sie, daß gerade da, wo man Initiationsweisheit findet, hineinspielt der kolossale Unterschied zwischen der Veranlagung der mitteleuropäischen Menschen und derjenigen der westlichen Menschen. Viel mehr wird dieser Unterschied deutlich, wenn es sich handelt um die Initiationsweisheit, als wenn es sich handelt um dasjenige,

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worin man in der Gegenwart so aneinander vorbeigeht und glaubt, man könne die Menschheit in eine abstrakte einheitliche Form bringen. Das kann man nicht. Die Menschheit ist differenziert und die Differenzierung zeigt sich besonders, wenn man in die Tiefen der Einweihungswissenschaft hineingeht. Mit diesem Thema ist tatsächlich etwas sehr Bedeutsames angeschlagen und ich werde es schon nötig haben, einzelne weitere Erklärungen zu diesem Thema noch zu geben während meiner hiesigen Anwesenheit. - Auf dem Gebiete der wirklichen Geist-Erkenntnis kann nicht mit Überhudeln, mit Nachlässigkeiten, mit einem Wenig-Ernst-Nehmen der Wahrheit gerechnet werden. Das geht eben einfach nicht. Es ist Wahrhaftigkeit notwendig.

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DRITTER VORTRAG Stuttgart, 9. März 1920

Ich möchte die Betrachtungen, die wir in diesen Tagen hier angestellt haben, heute noch durch einiges ergänzen, das geeignet sein kann, in manche Begriffe, aus denen heraus in der Gegenwart gehandelt werden soll,Wirklichkeit einzufüllen, das, ich möchte sagen, geeignet sein kann, Begriffe zu finden, die weniger abstrakt sind als fast alle Begriffe, von denen sich die Menschheit heute beherrschen läßt. Solche Begriffe haben wir gar sehr notwendig, denn nur solche Begriffe gehen ein in die Empfindungswelt des Menschen ,und dadurch in das wirkliche Leben, nur solche Begriffe können auch befeuern das menschliche Wollen und Handeln.

Wir überblicken heute die Welt und sollten eigentlich als eigentümlichstes Kennzeichen des sozialen Lebens über die zivilisierte Welt hin das betrachten können, daß sich an die Stelle früherer kleinerer menschlicher Zusammenhänge größere menschliche Zusammenhänge gestellt haben. Wir brauchen ja nicht weit in der Menschheitsentwickelung zurückzugehen, um zu finden, daß soziale Zusammenhänge nur über ein geringes Territorium ausgebreitet waren. Wir finden, daß Städtegemeinschaften eine verhältnismäßige Einheit bildeten, und im Grunde genommen erst in der neuesten Zeit entstehen die großen imperialistischen Gemeinschaften, aus denen heraus sich das ergeben hat, was Ihnen ja auch schon öfter charakterisiert worden ist: das Imperium der englisch sprechenden Bevölkerung. Es sollte sich über die Folgen dieser Geschehnisse eigentlich gerade in Mitteleuropa heute kein Mensch irgendwelchen Illusionen hingeben. Aber ordentliche, wirklichkeitsgesättigte Begriffe über diese Dinge sind doch nur zu haben, wenn man geisteswissenschaftliche Gesichtspunkte einnehmen will. Diese geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkte führen uns in ältere Zustände der Menschheitsentwickelung zurück und zeigen uns, wie auch da gewisse Zusammenhänge sich offenbarten unter den Menschen, die man aber, wie ich auch schon öfter erwähnte, nicht «Staaten» nennen sollte, weil man dadurch ungeheure Konfusionen hervorruft, sondern die man mit

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irgendeinem andern, mehr gleichgültigen Worte belegen sollte: sagen wir, «Reiche» sind entstanden. Und solche Reiche wurden regiert von einzelnen Menschen, von einzelnen Menschengemeinschaften. Aus ihnen hat sich dann etwas ergeben, was im weiteren Fortgang zu Staatenbildungen führte, die man heute als etwas so Selbstverständliches ansieht, daß man an ihnen nicht rütteln will - wenigstens auf gewissen Gebieten will man nicht an ihnen rütteln -, und, was noch schlimmer ist, über die man, weil man sie als etwas Selbstverständliches ansieht, gar nicht einmal nachdenken will.

Alledem liegt aber etwas zugrunde, was den Menschen verbindet, innerlich verbindet in seinem Seelenleben mit dem Geistig-Göttlichen, wie er es in den verschiedenen Zeiten der Erdenentwickelung genannt hat.

Geht man in halb vorgeschichtliche Zeiten zurück, in Zeiten, die nur noch so hereinragen in das geschichtliche Leben, so findet man, daß in diesen vorgeschichtlichen Zeiten der Begriff eines Reichsregierers, sagen wir - denn all unsere Worte sind ja doch für diese älteren Begriffe nicht zutreffend -, ganz anders geformt war, als wir heute geneigt sind, ihn zu verstehen. Der Begriff eines Regierers eines irdischen Reiches größeren oder kleineren Kalibers wurde sehr nahe herangebracht an das, was der Mensch als seinen Gottesbegriff erkannte. Damit kommt man ja zu Dingen, die dem heutigen Menschen außerordentlich paradox vorkommen müssen. Das ist aber nur deshalb, weil dieser heutige Mensch so wenig geneigt ist, wirklich einzugehen auf dasjenige, was einmal da war in der Menschheitsentwickelung und was sich nicht deckt mit den seit drei bis vier Jahrhunderten gewohnt gewordenen Begriffen des Abendlandes oder seines Anhanges Amerika.

Allerdings, in jenen älteren Zeiten, die halb vorhistorische sind, wurde auch, wenigstens in vielen Imperien, der Reichsregierer auf eine andere Art in sein Amt eingeführt, als das in späteren Zeiten geschehen ist. Wir brauchen nur in das alte Agypten, aber in die älteren, die halb vorhistorischen Zeiten des alten Agypten zurückzugehen, oder in das alte Chaldäa, so finden wir überall, daß es als eine Art Selbstverständlichkeit angesehen wird, daß die Vorläufer der heutigen Priesterschaft die Regenten für ihr Amt vorbereiteten. Man hatte ganz konkrete Vorstellungen

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über diese Art des Vorbereitens eines Regierers durch die Priesterschaft und ihre Einrichtungen. Man hatte die Vorstellung, daß durch diese Vorbereitung aus dem zur Regentschaft Berufenen wirklich etwas wird, was sich noch als letzte Andeutung erhalten hat in der chinesischen Benennung «Sohn des Himmels». Man hatte das Bewußtsein, man mußte eine Art «Sohn des Himmels» machen aus demjenigen, der zum Regierer irgendeines Gebietes berufen war oder berufen wurde. Aber bei diesen Dingen hatte man nicht die Vorstellung, die man heute einzig und allein eigentlich aufbringt, wenn von menschlicher Erziehung oder von der Vorbereitung des Menschen zu irgend etwas die Rede ist. Wenn man sich auch wiederum viel Mühe gibt, darauf hinzuweisen, daß man den Menschen nicht nur so erziehen sollte für das eine oder andere Amt in der Welt, daß man Intellektualistisches in sein Wesen, in seine Seele hineinpfropft, sondern daß man den ganzen Menschen entwickele, so haben doch fast alle unsere heutigen Begriffe von Entwickelung, von Erziehung und dergleichen etwas im höchsten Grade Abstraktes. Man hat die Vorstellung, daß eigentlich nur irgend etwas im Menschenwesen selbst im Sinne eines Fortschrittes geändert oder verwandelt werden soll beim Erziehen, beim Vorbereiten zu einem Amt. Man hat nicht die Vorstellung, daß bei einer solchen Entwickelung aus dem Menschen etwas ganz anderes werden soll, als er vorher war. Vor allen Dingen hat man nicht die Vorstellung, daß etwas Objektives in den Menschen einfließen soll, was vorher nicht in ihm war. Die Vorstellung hat man nicht, die ich etwa in der folgenden Art charakterisieren könnte: Ich rede mit einem Menschen, der nun einmal aus dem heutigen natürlichen und sozialen Leben heraus entstanden ist. Er sagt zu mir dies oder jenes, ich sage zu ihm dies oder jenes. Er spricht zu mir als der Träger eines Namens, der aus den gewöhnlichen staatlich-bürgerlichen Zusammenhängen stammt, aus denen der Mensch heute nun einmal herauswächst. Ich spreche zu ihm ebenso. - Es ist dieses ja fast die einzige Art, wie wir uns als Menschen heute zueinander verhalten und wie wir jeden Menschen unter uns ansehen.

Dies war für die Zeiten, von denen ich hier sprach, im Grunde genommen etwas ganz Fremdes. Vor allen Dingen war es etwas Fremdes für die Menschen, die zu wichtigen Amtern, zur Führung innerhalb der

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Menschheit selbst berufen waren. Da war der äußerliche Naturzusammenhang, Abstammung, Vater, Mutter, Großvater, Großmutter und dergleichen etwas nicht weiter in Betracht Kommendes, wenn die Betreffenden in der richtigen Weise für ihr Amt vorbereitet waren. Da war aber auch nicht dasjenige maßgebend, was wir heute in einem, auch zu den höchsten Sphären emporgehobenen Gegenwartsmenschen suchen und finden, sondern da war man sich bewußt: Spricht man mit einem in dieser Beziehung richtig erzogenen Menschen, so redet durch diesen Menschen gar nicht das gewöhnliche Ich, das da oder dort geboren ist, das durch diesen oder jenen bürgerlichen Zusammenhang abgestempelt ist, sondern es redet etwas, was durch die Vorbereitung, durch die Erziehung innerhalb der Mysterienkultur veranlaßt worden ist, herunterzukommen aus geistigen Höhen und Wohnung zu nehmen in dem betreffenden Menschen. Selbstverständlich spricht man mit solchen Dingen etwas für den heutigen Menschen ungeheuer Paradoxes aus. Aber es ist heute nötig, über solche Dinge sich nicht mehr konfusen, sondern wahrheitsgemäßen Begriffen hinzugeben.

Man hatte eben die Vorstellung, die Erziehung müsse so sein - nicht jede Erziehung, sondern die Erziehung derjenigen, die zu wichtigen Amtern berufen waren -, daß aus diesen Menschen fortan Wesen der höherenHierarchien sprechen, die sich in ihnen nur einWerkzeug schaffen. Man muß dieses Werkzeug durch die Erziehung zubereiten, dann kann es geeignet werden dazu, daß Wesen der höheren Hierarchien durch diesesWerkzeug sprechen.Und was so gepflogen wurde, ging in das allgemeine Bewußtsein über und machte sich in diesem insbesondere geltend, wenn beurteilt wurde durch das allgemeine Volksbewußtsei~, wer der Herrschende, der Regierende ist. Es haben sich eben nur solche Überreste wie die Benennung des Regierers von China als «Sohn des Himmels> aus diesen Zeiten erhalten, in denen aber ein Menschheitsbewußtsein vorhanden war, wie es eben auffindbar ist für geisteswissenschaftliche Forschung in den ältesten ägyptischen und chaldäischen Zeiten. Da war für das allgemeine Volksbewußtsein der Herrscher der Gott. Und einen andern göttlichen Begriff hatte man im Grunde genommen nicht. Der Herrscher wurde so vorbereitet, daß die äußerliche menschliche Gestalt bei ihm nichts war, daß sie nur die Gelegenheit dazu gab,

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daß unter den Menschen sich ein Gott bewegte. Es war ganz selbstverständlich für die ältesten Bewohner des späteren ägyptischen Reiches, anzuerkennen mit ihrem Bewußtsein, daß sie von Göttern regiert werden, die in Menschengestalt auf der Erde wandeln. In diesem Sinne war das älteste soziale Bewußtsein der Menschen auf der einen Seite ein durchaus realistisches. Man erkannte nicht an irgendein besonderes Jenseits, eine besondere geistige Welt. Die geistige Welt war da, wo auch die Welt war, in der die irdischen Menschen wandelten; aber in dieser Welt, in der die irdischen Menschen wandelten, wandelten in Fleischesgestalt nicht nur gewöhnliche Menschen, sondern auch die Götter. Die göttliche Welt war mitten drinnen, aber absolut sichtbar unter den Verhältnissen, die man durch die Mysterienkultur zu schaffen gewohnt war. Wenn dieser Regierende etwas verfügte, etwas wollte, dann wollte es ein Gott. Und im Bewußtsein der ältesten Menschheit dieser halb vorhistorischen Epoche wäre es ein Unsinn gewesen, darüber zu diskutieren, ob nun das geschehen solle oder nicht, was durch den Regierenden gewollt wurde; denn es war ja ein «Gott», der da wollte.

So verband ältestes Menschheitsbewußtsein mit dem, was auf irdischem Boden geschah, die geistige hierarchische Ordnung. Die war da mitten unter den Menschen. Die war nicht etwas, zu dem man erst hinaufsteigt durch irgendwelche geistigen, innerlichen Mittel. Nein, sie war da in den Mysterien als gehandhabte Erziehung für diejenigen Leiber, die zu präparieren man geeignet fand, damit in ihnen die Wesen der höheren Hierarchien Wohnung nehmen und unter den Menschen wandeln und regieren können.

So paradox das dem Gegenwartsmenschen erscheint, dieser Gegenwartsmensch muß endlich dazu kommen, aus seinen bornierten Begriffen, die nur drei bis vier Jahrhunderte alt sind, so wie er sie heute faßt, herauszukommen, und diese Begriffe zu erweitern. Denn man kann nicht mehr in die Zukunft hinüberdenkend sich entwickeln, wenn man nicht dasjenige, was heute zu dem Borniertsein geworden ist auf fast allen Gebieten des Lebens, erweitert dadurch, daß man den Zeithorit zont, den die Menschheit überblickt, ausdehnt, daß man größere Entwickelungsspannen überblickt, als heute der Mensch gewohnt ist, geschichtlich zu überblicken.

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Das, was einmal da war in ältesten Zeiten, in der historischen, in der vorhistorischen Entwickelung, das wird allerdings im weiteren Fortgang durch anderes ersetzt, aber es erhält sich auf gewissen Gebieten. Es erhält sich oftmals auch so, daß es sich veräußerlicht, sich fortträgt in äußerer Form und seinen inneren Sinn verliert. Dasjenige, was dem ältesten Imperialismus eigen ist: das Bewußtsein davon, daß der Herrschende der Gott ist, setzt sich in die Gegenwart herein da oder dort noch fort, nur daß es den Sinn nicht mehr hat, weil eine Menschheitsentwickelung und nicht ein Menschheitsstillstand stattfindet.

Es ist noch nicht lange her, da erschien an einem gewissen Orte ein Hirtenbrief eines katholischen Bischofs. Der setzte nicht mehr und nicht weniger auseinander, als daß der katholische Priester in seinen Kultushandlungen mächtiger sei als der Christus Jesus. Denn indem der Priester auf dem Altar die heilige Handlung zelebriere, zwinge er den Christus Jesus, den Gott des Christentums, hereinzutreten in die irdische Welt, wenn der Priester die Transsubstantiation vollzieht. Der Gott mag wollen oder nicht, er muß durch die Transsubstantiation den Weg nehmen, den ihm der Priester vorschreibt. Auf diese Übermacht des irdischen «Priestergottes» über den aus kosmischen Höhen heruntersteigenden und im Fleische des Jesus auf der Erde wandelnden «Untergott» hat in jüngster Zeit noch ein Hirtenbrief durchaus hingewiesen. Solche Dinge stammen eben aus älteren Zeiten und sind in unseren Zeiten sinnlos geworden. Gewisse Vertreter gewisser Bekenntnisse wissen ganz gut, warum sie solche Dinge aber wiederum in die Menschheit hineinwerfen. Sie sind ebenso sinnlos geworden, wie wenn Herrscher jüngster Zeiten in Stammbücher hineingeschrieben haben: Des Königs Wille ist oberstes Gesetz. - Wir haben auch diese Dinge erlebt. Die schlafende Menschheit hat zu all diesen Dingen geschwiegen, wie sie auch jetzt wiederum schweigt zu den Dingen, die zum Unheil der Menschheit vorgehen, an die man sich gewöhnt, die man nicht sehen will - wie man überhaupt heute kaum irgend etwas von den wichtigeren Vorgängen innerhalb der Menschheitsentwickelung sehen will.

Das ist eine erste Phase in der Entwickelung der irdischen Imperien, daß der Herrschende der Gott ist. In einer ziemlichen Lebendigkeit geht diese Anschauung noch hinein in das Römertum. Wenn man

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auch den Nero darstellen mag, ob man ihn darstellt als den Narren oder den Bluthund, für große Kreise des römischen Volkes bedeutete die furchtbare Tyrannis des Nero nichts anderes, als daß sie staunten darüber, daß ein Gott in solcher Gestalt auf der Erde herumwandeln kann. Einen Zweifel, daß das ein Gott sei, gab es für zahlreiche Bewohner des römischen Imperiums gegenüber der Gestalt des Nero nicht.

Ein zweites Stadium in der Entwickelung der Imperien ist der Übergang der Gottwesenhaftigkeit des Herrschenden zu der Gottbegnadetheit des Herrschenden. Der Herrschende war der Gott in der ersten Zeit der Menschheitsentwickelung der zivilisierten Erde. Der Herrschende bedeutet den Gott; er ist nicht von der Wesenheit des Gottes durchdrungen, aber er ist inspiriert, begnadet von Gott. Was er tut, gedeiht dadurch, daß die göttliche Kraft, die jetzt schon nicht mehr in ihm ist, sondern in einem Reich, das neben dem irdischen Reich steht, in ihn hereinströmt, ihn inspiriert, ihn durchdringt, seine Handlungen dirigiert.

Wollen wir einen Begriff finden für dasjenige, was so der Herrscher der zweiten Stufe irdischer Imperien ist, so müssen wir sagen: der Herrschende ist ein Symbolum. Auf der ersten Stufe war der Herrschende ein göttliches Wesen, das auf der Erde wandelte. Auf der zweiten Stufe ist er dasjenige, was das Wesen bedeutet; er ist das Zeichen, das Bild, durch das sich das Wesen ausdrückt. Der Herrschende ist das Bild des Gottes.

Was sich so in den äußeren sozialen Verhältnissen zur Geltung bringt, das drückt sich dann aber auch aus in den Einrichtungen, in den Institutionen. Während in den ältesten Zeiten die Imperien das Gefüge haben, daß eine Anzahl von Menschen dirigiert wird von einem göttlichen Wesen, das äußerlich ihnen gleich aussieht, innerlich aber von ihnen sehr verschieden ist, das ihr Gott ist, sehen wir auf der zweiten Stufe der Imperien, wie der Führende oder die Führenden den Gott oder die Götter bedeuten, deren Symbole sind.

Wie auf der ersten Stufe menschlicher Imperien Diskussionen darüber, ob dasjenige, was der Herrschende, der Gott tut, berechtigt oder unberechtigt ist, ein Unsinn sind, beginnt auf der zweiten Stufe die Möglichkeit, darüber nachzudenken, ob irgend etwas von ihm Getanes recht

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oder unrecht ist. Auf der ersten Stufe der Imperien ist immer recht, was der Herrschende tut, was der Herrschende denkt, was der Herrschende spricht, denn er ist der Gott. Erst auf der zweiten Stufe wird neben dem, was als irdisches Reich den Gott in sich enthält, den Gottbegnadeten in sich enthält, noch irgend etwas Geistiges vermutet, das neben diesem irdischen Reiche besteht und aus dem in das irdische Reich die Kraft hereinströmt, die das irdische Reich dirigiert und orientiert. Und die Einrichtungen und menschlichen Wesenheiten dieses irdischen Reiches bilden dasjenige ab, was von dem Reiche der höheren Hierarchien hereinströmt.

Es ist interessant zu verfolgen, wie zum Beispiel bei dem sogenannten Pseudo-Dionysios, bei Dionysios dem Areopagiten, der viel echter ist als die echte Wissenschaft sich träumen läßt, die richtige Theorie auftritt von dieser Art der Beherrschung menschlicher Imperien durch die göttlichen Imperien, so daß dasjenige, was unter den Menschen waltet und eingerichtet wird, Sinnbild, Symbol ist desjenigen, was im göttlichen Reich vorhanden ist. Wir sehen, wie Dionysios der Areopagite davon spricht, daß es himmlische Hierarchien gibt gewissermaßen hinter demjenigen, was hier auf der Erde als Menschenhierarchie herumwandelt. Dionysios der Areopagite macht ausdrücklich darauf aufmerksam: Das, was hier in der Priesterhierarchie von den Diakonen, den Archidiakonen bis hinauf zu den Bischöfen angeordnet ist, das muß eine solche Form haben in der sozialen Struktur, daß da sich ausdrückt So wie der Diakon zum Archidiakon, so steht in der Ordnung der Engel zum Erzengel und so weiter. Die irdische Hierarchie ist ein getreues Abbild der himmlischen Hierarchie. Wir sehen da den Hinweis auf die zweite Stufe des Imperiums. Da konnte sich das entwickeln, was dann bis in gar nicht so weit zurückliegende Zeiten das menschliche Bewußtsein beherrschte. Denken Sie doch nur einmal, daß es bis zum Jahre I 806 in Mitteleuropa etwas gegeben hat, was diese #SE197-048

dem Irdischen hervorging, indem dieser Name entstanden ist, zeigt sich, wie ein ganzes Reich sich gebildet hat so, daß es als Abdruck einer himmlischen Einrichtung gedacht sein sollte.

Aus solchen Ideen ist auch hervorgegangen so etwas wie der «Gottesstaat» des heiligen Augustinus, ist hervorgegangen das Buch des Dante «Über die Monarchie». Würden die Menschen heute nur nicht so kurzdenkend sein, wie sie sind, so würden sie sich umsehen bei so etwas wie dieser Beschreibung der Monarchie von Dante, und sie würden dann sehen, daß Dante, den man doch selbstverständlich für einen großen Geist halten muß, noch im 13. und 14. Jahrhundert Begriffe hat, die radikal verschieden sind von den Begriffen, die der heutige Mensch hat. Und wenn man solche Dinge ernst nehmen würde in der geschichtlichen Entwickelung, würde man aufhören mit jenen bornierten Begriffen, die nicht einmal bis zu Dante zurückreichen, sondern nur ein paar Jahrhunderte alt sind, mit denen der heutige Mensch sich seine Illusionen in den Kopf setzt und, nur bis ins Griechentum zurückgehend, die Entwickelung begreifen will. Während er zum Beispiel für die älteren Zeiten des Agyptertums die ganze Struktur nur begreifen kann, wenn er weiß Für die alten Menschen wandelten die Götter auf der Erde herum; für die Zeiten, die darauf folgten, wandelten zwar nicht die Götter herum, aber es mußte dasjenige gebildet sein auf Erden, was ein Symbolum, ein Abbild der göttlichen Weltenordnung ist.

Und dasjenige, was dann entstehen konnte, die Möglichkeit zum Beispiel über so etwas nachzudenken wie über das Recht, nachzudenken darüber, daß man durch menschlichen Verstand etwas herausfinden kann wie ein Urteil über das Rechte und Unrechte, das wurde ja erst möglich in der zweiten Phase der Imperienentwickelung. In der ältesten Phase war es ein Unsinn, nachzudenken darüber, was recht oder unrecht sein konnte. Man hatte hinzuschauen auf dasjenige, was der Herrschende sagte, denn in ihm lebte der Gott, das heißt, er war der Gott. Jetzt, in der zweiten Phase, handelte es sich darum, daß man durch menschliches Urteil feststellen konnte: In dem angrenzenden geistigen Reiche ist etwas, was man nicht durch seinen physischen Menschen erreicht, sondern durch den seelisch-geistigen Menschen. Man glaubte jetzt nicht mehr, wie man in den älteren Zeiten geglaubt hat, daß das

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Göttliche sich mit dem ganzen physischen Menschen vereinigen könne, daß der Mensch selber ein Gott werden könne; man glaubte höchstens - wenn man dasjenige, was in den öffentlichen Einrichtungen lebte, mystisch ausdrückt -, daß das Seelische des Menschen sich mit dem Gotte vereinigen könne.

Im Grunde genommen versteht heute niemand die Ausdrucksweise der Schriften, die noch im 13., 14. Jahrhundert geschrieben und veröffentlicht wurden, der nicht weiß, wie da in den Menschen in ganz anderer Weise, als das heute der Fall sein kann, das Bewußtsein lebte: In gewissen Menschen, die zu einem Amt berufen und erzogen werden, lebt wirklich etwas von göttlicher Inspiration. - Es ist ja die Eigentümlichkeit, daß Dinge, die oftmals auf etwas sehr Ernstes zurückgehen, später, wenn die Entwickelung der Menschheit weitergegangen ist und andere Formen angenommen hat, zum Spottausdruck werden. Wenn heute zum Beispiel einer sagt: Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch den Verstand -, so sagt er es im Grunde genommen nur mit einem etwas humoristischen Gefühl. Aber dasjenige, was heute mit einem humoristischen Gefühl durchtränkt wird, das war in den Zeiten der zweiten Stufe der Imperienentwickelung durchaus etwas Wahres, etwas Richtiges, war etwas das Bewußtsein der Menschen Erfüllendes. Und dasjenige, was vom Menschen galt, galt auch von dem, was innerhalb gewisser Grenzen getan wurde. Die Kultushandlungen wurden so ausgestaltet, daß das, was durch sie geschah, Bilder darstellte von dem, was in den geistigen Reichen geschah. Kultushandlungen, die vollzogen wurden, waren geistiges Geschehen, das hineinragte in physischirdisches Geschehen. Man dachte sich durchaus, daß das geistige Reich neben dem irdischen sei, aber man dachte sich, daß es hineinragte in das irdische Reich, daß im irdischen Reiche das Symbolum zu finden sei, das Zeichen für das geistige Reich.

Erst nach und nach hörte man auf, das als etwas Gültiges im Bewußtsein zu haben. Und wir sehen ein Zeitalter heraufkommen, in dem hinschwindet dieses Bewußtsein des Zusammenhanges des Irdischen mit dem Geistigen. Zu WiclIifs, zu Hus` Zeiten beginnen die Menschen über etwas zu streiten, über das zu streiten früher ein Unding gewesen wäre: über die Bedeutung der Transsubstantiation, das heißt über den

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Zusammenhang dieser Kultushandlung mit etwas, was in geistigen Welten sich abspielt. In Zeitaltern, in denen man über solche Dinge zu streiten beginnt, hören die alten Bewußtseinsinhalte auf; man weiß nicht mehr, wie man die Sachen aufzufassen hat, die man durch Jahrhunderte oder Jahrtausende aufzufassen wußte. Immer bleiben gewisse Dinge, die in einem gewissen Zeitalter die normalen sind, in spätere Zeitalter hinein wirksam. Da werden sie das Deplazierte, da werden sie das Anachronistische, das Luziferische. Und so sind geblieben die großen, weittragenden Symbole, die hinweisen in ein gewisses Zeitalter, auf den Zusammenhang der irdischen Kultushandlungen oder ähnlicher Dinge mit dem göttlich-geistigen Geschehen der Welt. Diese Symbole haben sich verpflanzt in spätere Zeiten, wurden luziferisch konserviert von gewissen Geheimgesellschaften. Namentlich konservierten solche alten Symbole westliche Geheimgesellschaften. Sie sind da traditionell, diese Symbole, aber sie haben ihren Inhalt verloren. Und so sehen wir auf der einen Seite in gewissen Geheimgesellschaften, deren Ausläufer zum Beispiel die Freimaurergemeinschaften, die Jesuitengemeinschaften, die Bekenntnisgemeinschaften sind, in gewisser Weise die Symbole bewahrt, aber es ist das etwas, was einen Sinn eben nur für ein voriges Zeitalter hatte. Wir sehen aber auch in den Worten im Grunde genommen nur luziferisch bewahrt dasjenige, was für ältere Zeitalter eine Bedeutung hatte. Auch in den Worten, die man im öffentlichen Leben anwendet, verliert sich der alte substantielle Gehalt, verliert sich auch das Bewußtsein, daß diese Worte Zeichen sind für ein Geistiges. Denn das Geistige entschwindet allmählich, das Wort wird zum leeren Symbol, zum leeren Zeichen.

Im dritten Zeitalter, auf der dritten Stufe der Imperienbildung, hörte nun auch auf das Bewußtsein von der Gottbegnadetheit eines Menschen, von der Durchdringung irdischen Geschehens, irdischen Sprechens mit dem Göttlichen. Es wird das geistige Reich völlig in ein Jenseits verwiesen. Das Gegenbild tritt ein von dem, was auf der ersten Stufe der Imperienbildung vorhanden war: Der Gott lebte auf der Erde auf der ersten Stufe, er ging in Menschengestalt herum; der Gott ist nur zu denken in der unsichtbaren, übersinnlichen Welt auf der dritten Stufe. Und alles dasjenige, was die Menschen einmal gehabt

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haben, um ihre Beziehungen vom Göttlich-Geistigen auszudrücken, verliert den Sinn. Man spricht weiterhin aus das Wort «Gott». Wenn man das Wort «Gott» vor Zeiten ausgesprochen hat, so suchte man etwas, was äußerlich die Menschengestalt hatte, was unter den physischen Menschen wandelte. Nicht als ob die ältesten Menschen Materialisten gewesen wären. Materialisten konnten erst entstehen, nachdem man die geistige Welt ins Übersinnliche abgeschoben hatte. In der ältesten Periode menschlicher Entwickelung war die geistige Welt mitten unter den Menschen. Für einen Bewohner des ältesten Agypten hätte man nicht erst zu sagen gebraucht: Das Reich des Göttlichen ist mitten unter uns -, denn das war ihnen eine Selbstverständlichkeit. Für das Zeitalter, in dem der Christus Jesus unter den Menschen erschien, mußte man den Menschen erst sagen: Das Reich der Götter kommt nicht mit äußeren Gebärden, es ist mitten unter uns.

Und jetzt leben wir in einem Zeitalter, in dem es unsinnig geworden ist, in einem Menschen irgend etwas anderes zu suchen als die geradlinige, auf Ursache und Wirkung gebaute Fortentwickelung seines Kindheitswesens. Wir leben in einem Zeitalter, in dem es ein Wahnsinn ist, wenn sich der Mensch für etwas anderes hält als für das, was die geradlinige Fortentwickelung desjenigen ist, was auch seine Kindschaft umschließt. Was eine Selbstverständlichkeit war vor, sagen wir acht- tausend Jahren, was dazumal lebte als allgemeines Bewußtsein, heute behauptet, ist es ein Symptom dafür, daß der Mensch, der es behauptet, ein Verrückter ist. Und nur indem man dasjenige, was in den älteren Zeiten das Wirkliche war, nach dem Muster des gegenwärtigen Denkens uminterpretiert in diese Fable convenue, die wir «Geschichte» nennen, nur dadurch breitet man sich einen Schleier über diese radikale Metamorphose, die man finden kann, wenn man wirklich der Wahrheit gemäß die menschliche Entwickelung betrachtet. Dasjenige, was wir heute vielfach aussprechen, was wir heute zeigen im äußeren Leben, ist dadurch entstanden, daß es sich einmal bezog auf etwas, was als Wirklichkeit angeschaut worden ist. Wir sprechen heute noch Worte, wie zum Beispiel - in den letzten Jahren haben sich die Menschen das mehr oder weniger abzugewöhnen versucht, es ist ihnen aber schlecht gelungen -, aber wir wissen nicht, oder wir

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beachten nicht, daß das einmal für das Bewußtsein der Menschheit eine volle Realität, eine Selbstverständlichkeit bedeutete.

Damit deute ich Ihnen aber auf diejenigen Tatsachen hin, welche unserem öffentlichen Leben den Charakter des Phrasenhaften, des Konventionellen geben. Denn dasjenige, was wir durch unsere Sprache, unsere Sitten, sogar durch unser Urteil im öffentlichen Leben geltend machen, das alles weist zurück auf Zeiten, in denen man diese Worte, auch wenn sie erst in der späteren Sprache entstanden sind - sie sind der ursprünglichen Sprache nachgebildet worden -, in einem ganz andern Sinne bildete und gebrauchte. Ausgepreßt sind heute die Worte, die wir für das öffentliche Leben verwenden. Manchen Worten und Zeichen sieht man es an, manchen hat man es lange nicht angesehen. Daß dasjenige, was einstmals, durch magische Handlungen zu einem wichtigen magischen Teil des auf der Erde wandelnden Gottes umgewandelt, ein dem menschlichen Leibe umgehängtes Zeichen war, zu der Nichtigkeit des modernen Ordens wurde, das ist eine Geschichte, die wenig verfolgt wird von der Menschheit. Nicht bloß dasjenige, was sich im Worte ausdrückt, kann Phrase werden, wie unsere wichtigsten, auf das öffentliche Leben bezüglichen Worte Phrasen sind, sondern auch das, was in Gegenständen an den Menschen angehängt ist, kann einen ähnlichen Charakter tragen mit Bezug auf sein Verhältnis zur Wirklichkeit, wie das Wort, das heute leer ist und das einstmals einen geheiligten, substantiellen Inhalt hatte.

Ehe man aber nicht einsieht, daß unsere Entwickelung zunächst eine solche gewesen ist, daß ein älteres Bewußtsein seine Substanz verloren hat, phrasenhaft und konventionell geworden ist, kann ein wirklicher Aufbau unseres heute zerstörten öffentlichen sozialen Lebens nicht stattfinden. Wir müssen uns nach neuen Quellen umsehen, welche wiederum Inhalt bringen in dieses unser öffentliches Leben. Für unser Bewußtsein wandeln die Götter nicht in Menschengestalt herum. Deshalb müssen wir uns die Fähigkeit erwerben, das zu erkennen, was nicht Menschengestalt hat, sondern was diejenige Gestalt hat, die man nur anschauen kann, wenn man sich zur Geistesschau erhebt. Da für unser Bewußtsein die Götter nicht mehr heruntersteigen auf die physischen Throne, müssen wir uns die spirituellen Fähigkeiten erwerben, um zu

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denjenigen Tlironen schauend hinaufzusteigen, auf denen die Götter, iie nur im Geistigen für uns leben können, vorhanden sind. Wir müssen fähig werden, unsere phrasenhaften Abstraktionen zu durchtränken nit einem erlebten geistigen Inhalt. Wir müssen fähig werden, diesen Wahrheiten, die für den, der sie richtig erfaßt, erschütternd sind, ins Antlitz zu schauen. Wir müssen fähig werden, die Dinge so zu sehen, vie sie sind. Das tun wir manchmal nicht einmal über eine Zeitspanne von Jahrzehnten hin. Wir glauben, wir leben innerhalb der europäschen Zivilisation, wenn wir Mitteleuropäer sind. Wir sollten uns ragen: Was machte denn eigentlich unser inneres seelisches Leben zu einem so zwiespältigen in den letzten fünfzig Jahren oder noch etwas inger?

Nun, ich möchte nur auf eines hinweisen: Wenn Sie nach Westen sehen, so sehen Sie zunächst - vom übrigen wollen wir nicht sprechen - I.n in der Dekadenz befindliches Volk, das französische Volk. Aber [nes hat innerhalb dieses französischen Volkes eine Bedeutung. Wenn er Angehörige des französischen Volkes sagte: Ich bin ein Franzose - hat sich das durch Jahrhunderte gesagt -,so hat er damit etwas aussprochen, was mit den äußeren Tatsachen übereinstimmend war und n erlaubtes, wahrhaftiges Bekenntnis gegenüber dem äußeren Leben 'ar. Diejenigen unter uns, die noch gesprochen haben mit Menschen, e ihre Jugend in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Deutsche lebt haben, die könnten mir das Folgende bestätigen: Herman Grimm im Beispiel hat es wiederholt charakterisiert, was es eigentlich bedutet hat für die Menschen, die in seiner Jugend eben auch noch jung aren innerhalb Deutschlands, daß dazumal derjenige, der hätte gehen wollen im äußeren Leben: Ich bin ein Deutscher, ich bekenne ich dazu - nicht als Phrase, sondern als Realität -, ein Staatsver'echer war. Man war Bayer, Württemberger, Preuße, aber man war Verbrecher, wenn man sagte: Ich bin ein Deutscher. - Es hatte einen halt im Westen, zu sagen: Ich bin Franzose -, denn man durfte es n im äußeren Leben. Es hatte einen Inhalt, durch den man ins Gengnis kam oder sonst unmöglich gemacht wurde, wenn man sich hätte ifallen lassen zu sagen, man sei ein Deutscher, man gehöre also einer sammengehörigen Nation an. Die heutige Menschheit hat das vergessen;

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aber diese Dinge sind ja Realitäten. Und es kommt darauf an, daß man diesen Dingen ins Antlitz schaut. Aber man wird nicht den nötigen Enthusiasmus für solche Dinge aufbringen, wenn man nicht sein inneres Leben befruchtet an den großen, richtig gesehenen Erscheinungen der Weltgeschichte, nicht jener Fable convenue, die in unseren heutigen Handbüchern steht, die auf unseren Schulen gelehrt wird, sondern jener wirklichen Weltgeschichte, die durch eine geistige Betrachtung gewonnen werden kann.

Für einen heutigen normalen Evangelischen ist es ganz undenkbar, daß es einmal für Menschen einen Sinn gehabt haben könnte, zu sagen, «der Gott wandelte auf der Erde und der Herrscher war der Gott» und «es gibt nicht irgendein sinnliches Reich, wo noch Götter sind, denn diejenigen Vorgänge, durch die man zum Gotte wird, die sind in dem Reiche, wo das Übersinnliche seine Wohnung hat, innerhalb des Mysteriums>. Das Mysterium war noch in den ersten Zeiten der halb vor- historischen ägyptischen Geschichte ein wirklich Übersinnliches, und erst als die Mysterien zu Kirchen umgestaltet wurden, wurde die Kirche zum Symbol des Übersinnlichen.

Eine Menschheit wie die heutige, die nicht hinschauen will zu den Ausgangspunkten ihrer historischen Entwickelung, die lebt ihr Leben so wie ein Mensch, der fünfundvierzig Jahre alt geworden ist und vergessen hat, was er in seiner Knaben- oder Mädchenzeit erlebt hat, wie ein Mensch, der fünfundvierzig Jahre alt geworden ist und sich höchstens bis zum fünfundzwanzigsten Jahr zurückerinnert. Malen Sie sich einmal aus, was es für das innere Seelenleben eines Menschen für eine Folge hätte, wenn er fünfundvierzigjährig nichts wüßte von alledem, was dem fünfundzwanzigsten Jahr vorangegangen ist. Das ist aber die Geistesverfassung der gegenwärtigen Menschheit und aus dieser Geistesverfassung heraus entstehen heute diejenigen, die Menschheitsführer sein wollen. Aus dieser Geistesverfassung wird heute dasjenige versucht, was einer sozialen Struktur eingefügt werden soll als richtende Kraft. Was vor allen Dingen notwendig ist, das ist, daß der Mensch die Menschheit kennenlerne als einen lebendigen Organismus, in dem ein Gedächtnis vorhanden ist, das nicht totgetreten werden darf, das zurückblickt auf Dinge, die noch in die Gegenwart hereinwirken,

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aber durch die Art, wie sie wirken, geradezu herausfordern, daß sich etwas Neues in sie ergieße.

Wenn man nur einmal ein paar solcher Töne anschlägt, dann sieht man, daß für die Gegenwart etwas notwendig ist, dem gegenüber all das Phrasengedresche, das heute von vielen Seiten aufflackert, eine Nichtigkeit ist. Und man möchte schon, daß einmal eine genügend große Anzahl von Menschen den Ernst der gegenwärtigen Zeit einsähe und die Kraft fände, aus diesem Ernst heraus nun wirklich zu einem Neuen zu kommen. Das ist ja das recht Betrübliche, daß die Menschen der Gegenwart große Aufgaben haben und am liebsten diese großen Aufgaben verschlafen möchten. Das war im Grunde genommen seit Jahrzehnten die Aufgabe, die gerade durch die anthroposophische Bewegung gestellt werden sollte: die schläfrige Menschheit aufzurütteln, hinzuweisen darauf, daß der Menschheit heute etwas gegeben werden muß, was wirklich die Seelenverfassung gegenüber derjenigen, die jetzt besteht, so umgestaltet, wie sich am Morgen beim Aufwachen die träumende Seelenverfassung in die des vollwachen Tageslebens umgestaltet.

Das ist dasjenige, wodurch ich die beiden geisteswissenschaftlichen historischen Betrachtungen, die ich während meiner diesmaligen Anwesenheit vor Ihnen angestellt habe, heute abschließen wollte. Wenn doch von dem, was anthroposophische Bewegung ist, ausgehen könnte das, was unsere sozialen Anregungen wirklich befeuern, durchwärmen, durchkraften müßte! Daß die Menschheit soziale Impulse braucht in der Gegenwart, das tritt ja so stark hervor für die Betrachtung der Erscheinungen, daß es wirklich nicht wieder verkannt werden dürfte. Daß diesen sozialen Impulsen nur entsprochen werden kann, wenn neuer Geist in die Menschheitsentwickelung gegossen wird, das sollten gerade diejenigen einsehen, die sich von irgendeiner Seite her zur anthroposophischen Bewegung bekennen. Dazu ist aber auf dem Boden dieser anthroposophischen Bewegung eben Wahrhaftigkeit und Wachsamkeit notwendig, wirkliche Wachsamkeit. An das Schlafen im öffentlichen Leben hat sich die neuere Kulturmenschheit gewöhnt. Und heute ist dieses Schlafen so stark, daß man manchmal, wenn man eben nicht im geistigen Leben drinnenstehen und den Gang der geistigen Angelegenheiten hinter diesem Physischen sehen würde, aus dem äußeren

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Gang, dem sich die Menschen hingeben in der Verfolgung ihrer Angelegenheiten, recht sehr in Zweifel versetzt werden könnte. Dieser äußere Gang, dem sich die Menschen hingeben in der Verfolgung ihrer Ereignisse, er spricht es ja förmlich aus, daß die Menschen es scheuen, an der Ergreifung desWahrhaftigen in den Erscheinungen irgendwie noch teilzunehmen. Man ist so froh, wenn man nicht hinzuschauen braucht auf die Vorgänge, die geschehen! Man sieht es heute, wie die Menschen sich sagen lassen: Da und dort geschieht das und das! - Sie stehen da auf ihren Beinen, ohne sich irgendwie etwas davon merken zu lassen, daß sie von Dingen gehört haben, die eine tiefe Bedeutung haben für den Weitergang der Ereignisse. Die Menschen hören heute von den bedeutsamsten Dingen, die in die Zerstörung, in den Niedergang hineinführen müssen, und sie können nicht einmal entrüstet sein darüber. Jetzt wiederum gehen Dinge durch die Welt, Absichten gehen durch deutsche Gegenden, über die die Menschen entsetzt sein sollten - und sie sind es nicht! Wer aber über diese Dinge nicht entsetzt sein kann, der hat auch nicht die Kraft, den Sinn für die Wahrheit zu entwickeln.

Das ist dasjenige, worauf heute hingewiesen werden muß, daß eine gesunde Entrüstung über dasUngesunde derQuellpunkt sein muß für die Begeisterung, für die neuen notwendigen Wahrheiten. Es ist heute sogar weniger notwendig, daß man den MenschenWahrheiten überliefert, als es notwendig ist, daß man in diese lethargischen Nervensysteme Feuer- kraft hineinbringt. Denn Feuerkraft ist heute dem Menschen notwendig, nicht mystische Schläferei. Nicht Sehnsucht nach mystischer Ruhe, sondern Dienen dem Geistigen, das ist es, um was es sich heute handelt. Die Verbindung mit dem Göttlichen muß heute in der Aktivität, nicht in der mystischen Faulheit und Bequemlichkeit gesucht werden.

Das sind die Dinge, auf die einmal hingewiesen werden muß. Denn heute muß gesucht werden, wie wir in unser Bewußtsein die Möglichkeit hineinbringen, ein Göttliches wiederum mit dem Außerlich-Wirklichen zu verbinden. Und wir können das nur, wenn wir ohne Vorurteil hinschauen, wie in den Imperien der ersten Art die Menschen die auf Erden wandelnden Götter gefunden haben. Wir müssen die Möglichkeit finden, als Menschenseelen spirituell wandeln zu können in geistigen Welten, damit wir wieder Götter finden!

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VIERTER VORTRAG Stuttgart, 13. Juni 1920

Was jetzt in dieser Zeit denjenigen besorgt macht, der in der Richtung der hier gemeinten anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft arbeiten möchte, das ist eine Tatsache, die ja als solche schon öfter hier besprochen worden ist. Die Tatsache meine ich, daß im Grunde genommen doch ein großer Teil der gegenwärtigen Menschheit unaufmerksam vorübergehen läßt alles das, was sich in deutlicher Weise zeigt an Kräften des Niederganges, an Kräften, die darauf hinwirken müssen, wenn sie in der ihnen entsprechenden Weise zur Geltung kommen, unsere gegenwärtige Zivilisation an den Abgrund zu führen.

Müssen wir uns denn nicht gestehen, daß in der Gegenwart vieles heraufschlägt aus tiefen menschlichen Untergründen und sich abspielt als diese oder jene Tatsache, daß, mit andern Worten, gegenwärtig eigentlich recht viel geschieht, und daß auf der andern Seite ein großer Teil unserer Zeitgenossen sich durchaus nicht entschließen kann, gebührend aufmerksam zu sein auf das, was eigentlich sich zuträgt.

Man kann sagen, daß gegenwärtig aus großen Gesichtspunkten heraus mit einer wirklichen Aufmerksamkeit auf die weltgestaltenden Kräfte nur wenige geistige Richtungen arbeiten. Die eine geistige Richtung ist diejenige, die ich nun schon seit Jahren öfter charakterisiert habe, die ihre Wurzeln namentlich in der englisch sprechenden Bevölkerung der Erde hat, die sehr im Verborgenen arbeitet, die aber außerordentlich wirksam arbeitet. Die zweite ist diejenige Bewegung, die sich zusammenfindet aus alledem, was heute rechnen will mit den ja ganz begreiflichen, auch berechtigten Instinkten der breiten Masse der Menschheit. Es ist das eine Bewegung, die in ihren Extremen vertreten wird von Menschen, die von aller Menschheitsentwickelung nichts verstehen, die nichts wissen von dem, was die Welt vorwärtsbringen kann, die aber durch gewisse Verhältnisse, auf die ich noch hindeuten will, in der Lage sind, sich eine autoritative Stellung zu verschaffen trotz ihrer Borniertheit, trotz ihrer sogar ziemlich weitgehenden verbrecherischen Naturanlagen, wenn sie auch gescheite Menschen

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sind und sich dadurch, daß sie vielen Menschen imponieren, an die Oberfläche der heutigen öffentlichen Verhältnisse bringen können.

Die dritte wirksame Geistesbewegung ist diejenige, die aus einzelnen besonders tatkräftigen Vertretern der verschiedenen Bekenntnisse hervorgeht - Bekenntnisse aller Art - und die ebenfalls durchaus wissen,was sie eigentlich wollen. Sie haben in ihrem Schoße alles dasjenige, was man gewöhnlich Jesuitismus nennt. Und trotzdem sehr viele Menschen sprechen über Jesuitismus und dergleichen, sind doch wiederum eine große Anzahl unserer Zeitgenossen wenig geneigt, mit voller Aufmerksamkeit zu verfolgen, was da eigentlich geschieht.

Wenn man sich ein Urteil verschaffen will über den Verlauf der Ereignisse der Gegenwart, dann kommen verschiedene Dinge in Betracht. Eines aber kommt vor allen Dingen in Betracht, was zusammenhängt mit einer Tatsache, die ich schon in meinem ersten öffentlichen Vortrage hier erwähnt habe, mit der Tatsache, daß mit Bezug auf die innere Seelenverfassung, namentlich mit Bezug auf die Vorstellungsstruktur, die Menschen der Gegenwart unendlich viel fortsetzen von dem, was nur geeignet war zur Vorstellungsstruktur, zur Vorstellungsform während des Mittelalters. Diese war damals groß, war damals bedeutungsvoll, ist aber heute überholt. Diejenigen, welche sich am allerintensivsten das ganze Empfinden und Vorstellen in seinen mittelalterlichen Formen angeeignet haben, das sind heute die weiten Kreise der mehr oder weniger sozialistischen Leute über die Erde hin. Innerhalb dieser Kreise haben sich Vorstellungsformen gebildet, die namentlich ihren Ausdruck finden in einem schier unendlich großen Autoritätsglauben, in einem Sich-Ducken gegenüber allem, was sich einfach durch die robuste Hand Autorität verschafft innerhalb dieser Kreise. Nur dadurch ist es ja möglich geworden, daß solche Menschen wie Lenin und Trotzkij, im Osten von Europa - und die Bewegung setzt sich fort nach Asien hinüber mit rasender Schnelligkeit -, mit Hilfe von wenigen tausend Menschen eine Tyrannis ausüben über Millionen von Menschen, eine Tyrannis, die noch niemals während der schlimmsten Zeiten orientalischer Tyrannei so groß war, wie sie heute ist.

Alle diese Dinge kommen in Betracht, wenn man sich heute über

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das, was vorgeht, ein Urteil bilden will. Denn es steht dem, was nur mit ein paar Strichen jetzt charakterisiert werden kann, im Grunde genommen nur gegenüber, noch rechnend mit den großen weltgeschichtlichen und weltgestaltenden Kräften, dasjenige, was eine ehrliche, auf- richtige, wahre geisteswissenschaftliche Bewegung sein sollte. Und vergleicht man das Interesse, welches gefunden hat eine solche geisteswissenschaftliche Bewegung, mit dem Interesse, welches gefunden haben die andern charakterisierten Bewegungen im Laufe einer verhältnismäßig kurzen Zeit, namentlich mit dem Einfluß, den diese Bewegungen gewonnen haben, so muß man sagen, das Interesse für diese geisteswissenschaftliche Bewegung ist heute noch nahezu gleich Null.

Gewiß, wir wollen nicht verkennen, daß es ja zahlreiche Menschen gibt, welche es mit dieser geisteswissenschaftlichen Bewegung halten, welche sich wenigstens selber sagen, daß sie es mit dieser geisteswissenschaftlichen Bewegung halten. Aber der Unterschied wäre furchtbar groß, wenn man sich vor Augen rücken würde die Intensität, mit der die drei andern charakterisierten Geistesströmungen für das eintreten, was sie an die Oberfläche bringen wollen, und was an Intensität des Interesses der geisteswissenschaftlichen Bewegung entgegengebracht wird. Denn diese geisteswissenschaftliche Bewegung wird im Grunde genommen doch außerordentlich oberflächlich aufgefaßt, oberflächlich in Empfindung und im Gefühlshaften, während die andern Bewegungen gerade vom Empfindungs- und Gefühlshaften in unbegrenzter Intensität aufgefaßt werden.

Wer macht sich denn im Grunde genommen klar, so daß er es in die Mitte seines ganzen Empfindens und Denkens stellt, daß es sich für ein ernsthaftes Eingreifen in weltgestaltende Kräfte von seiten der Geistes- wissenschaft darum handelt, dasjenige zur Geltung und Anerkennung unter den Menschen zu bringen, was von unserem Gesichtspunkte aus genannt wird die Initiationswissenschaft? Die Initiationswissenschaft, sie schließt heute das ernsteste Interesse der Menschheit ein. Das Interesse, das ihr von vielen, die da meinen, sich ehrlich dazu zu bekennen, entgegengebracht wird, ist doch ein ziemlich äußerliches, ein nach allen möglichen nebensächlichen Rücksichten eingerichtetes.

Initiationswissenschaft haben, wenn auch in einer für die Menschheit

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durchaus nicht vorteilhaften Weise, diejenigen, die ich oftmals genannt habe die eigentlichen Macher innerhalb der anglo-amerikanischen Weltbewegung. Initiationswissenschaft hat alles dasjenige, was vom Jesuitismus abhängig ist. Und eine Initiationswissenschaft eigentümlicher Art hat auch der Leninismus. Denn daß der Leninismus versteht, sich in einer so klugen Weise durch die Verstandesformen des Kopfes auszudrücken, das hat seinen ganz bestimmten Grund. Im Leninismus arbeitet sich an die Oberfläche der Menschheitsentwickelung die Klugheit des menschlichen Tieres, die Klugheit der menschlichen Animalität. Alles dasjenige, was aus den menschlichen Instinkten, aus menschlicher Selbstsucht fließt, das nimmt Interpretationen und Formen an in dem, was im Leninismus und Trotzkismus in einer äußerlich so klug scheinenden Weise zutage tritt. Das Tier will sich einmal als gescheitestes Tier an die Oberfläche arbeiten und will alle ahrimanischen Kräfte, welche das Ziel haben, Menschliches, spezifisch Menschliches auszuschließen, und alles dasjenige, was an Klugheit verbreitet ist in der Tierreihe - ich habe es oftmals betont -, zu menschheitsgestaltenden Kräften machen.

Denn bedenken Sie nur - ich habe es ja auch hier oftmals betont -, wie eingebildet die Menschen wurden, wenn sie nun irgend etwas erfunden hatten wie zum Beispiel das Leinenlumpenpapier oder das Holzpapier oder etwas dergleichen, das Papier überhaupt. Ja, wieviel früher als die Menschen haben die Wespen oder ähnliche Tiere, die sich ihre Nester machen aus denselben Stoffen, aus denen das Papier ist, diese Erfindung gemacht! Da ist die menschliche Klugheit innerhalb der Tierheit drinnen. Und wenn Sie zusammennehmen alles dasjenige, was in der Tierheit ausgebreitet ist an solcher Klugheit, und wenn Sie sich denken, daß die ahrimanischen Kräfte dieses aufnehmen, um es heraufzuschöpfen in die menschlichen Köpfe derjenigen, die nur nach egoistischen Instinkten gehen, dann werden Sie begreifen, daß eine Wahrheit darin sein kann, wenn man sagt, Lenin, Trotzkij und ähnliche Leute sind die Werkzeuge dieser ahrimanischen Mächte. Das ist eine ahrimanische Initiation, die einfach einer andern Weltensphäre angehört, als unsere Weltensphäre ist. Aber es ist eine Initiation, die in ihrem Schoße die Macht hat, die menschliche Zivilisation von der Erde

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hinwegzubekommen, alles dasjenige, was sich als menschliche Zivilisation gebildet hat, hinwegzubekommen von der Erde.

Mit drei Initiationsrichtungen hat man es zu tun: mit zwei auf dem Plane der Menschheitsentwickelung liegenden und mit einer unterhalb des Planes der Menschheitsentwickelung liegenden, aber ungeheuer willensstarken, fast unbegrenzt willensstarken Initiation. Und das, was Ordnung, was ein menschenwürdiges Ziel in diese ganze Richtung bringen kann, das ist allein dasjenige, was innerhalb wahrer Geistes- wissenschaft liegt. Aber es kann ein wahres Ziel, ein wirklicher Ernst von dieser Geisteswissenschaft nur ausgehen, wenn man sie wirklich zu einer durchgreifenden Angelegenheit des Lebens macht und wenn man aufmerksam darauf ist, wieviel Geschwätz, wieviel Hochmutsteufel und seelischer Egoismus sich vielfach in dem äußert, was, meist ganz ehrlich, angehängt wird dieser geisteswissenschaftlichen Bewegung. Es nützt nichts, diese Dinge zu verschweigen. Sie müssen im Gegenteil immer wieder und wiederum besprochen werden. Denn wie sollte man sonst heute jene Kräfte in die Seelen hineinzubringen hoffen, welche notwendig in den Seelen sein müssen, wenn die Zivilisation nicht ihrem Niedergang entgegengehen soll!

Ich möchte ein paar Minuten etwas ganz anschaulich schildern. Da habe ich vor ganz kurzer Zeit in einer Zeitung den folgenden Satz gelesen: «Die Religion, die einen phantastischen Reflex in den Köpfen der Menschen über ihre Beziehungen untereinander und zur Natur darstellt, ist dem natürlichen Untergang geweiht durch das Anwachsen

und den Sieg der wissenschaftlichen, klaren, naturalistischen Auffaseng von der Wirklichkeit, die sich parallel mit dem planmäßigen Auf-au der neuen Gesellschaft entwickeln wird.»

Nun, nach dem, was man heute erfahren kann mit Bezug auf die schlafenden Seelen der Gegenwart, kann man sich wohl fragen: Wieviel menschen lesen denn das in einem Zeitungsartikel und zucken auf wie von einer Viper gestochen, weil es das furchtbarste Symptom ist, das n solchen Sätzen ausgesprochen werden kann? Denn man denkt nicht, was entsteht auf der Erde, wenn das verwirklicht wird, was in den Worten liegt: «Die Religion, die einen phantastischen Reflex in den Köpfen der Menschen über ihre Beziehungen untereinander und zur

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Natur darstellt, ist dem natürlichen Untergang geweiht durch das Anwachsen und den Sieg der wissenschaftlichen, klaren, naturalistischen Auffassung von der Wirklichkeit, die sich parallel mit dem planmäßigen Aufbau der neuen Gesellschaft entwickeln wird.»

Das, was hier als Religion gemeint ist, ist nicht irgendein Bekenntnis, ist nicht irgendein berechtigt zu tadelndes religiöses Bekenntnis, ist nicht nur die Religion im engeren Sinn, es ist alle Sittlichkeit. Und dasjenige, was folgen würde, wenn das sich bewahrheitete, was in diesen Sätzen liegt, ist, daß die menschliche Gesellschaft über die ganze Erde hin sich verwandeln müßte in eine Tierherde, die nur raffiniert denken kann. Wenn sich nicht die Möglichkeit findet, daß Gegenkräfte erwachen gegen dasjenige, was jetzt im Osten Europas groß wird und nach Asien hinüber sich mit rasender Schnelligkeit ausbreitet, dann ist es so, daß alle Zivilisation dem Untergang geweiht ist. Dann würden sich solche Ideale verwirklichen.

Ich glaube nicht, daß es gerechtfertigt ist gegenüber solchen weIt- geschichtlichen Impulsen, wenn da oder dort Leute auftreten, die wünschen, daß das vielfach getriebene mystische Schwätzen im engsten Kreise, welches, gegen meine Intention, in der langen Zeit, in der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft jetzt schon da ist, da oder dort als ein Ideal betrachtet worden ist, in irgendeiner Weise fortgesetzt werde, ohne Rücksicht darauf, was die großen Interessen der Erdenmenschheit von uns fordern. Wir müssen den Willen haben, in diese großen Interessen der Menschheit vorurteilsfrei hineinzuschauen. Wir müssen uns bequemen, nicht bloß theoretisch verstandesmäßig, sondern instinktiv ganz Ernst zu machen mit gewissen Grundlehren, welche verdeckt sind durch alle europäischen und amerikanischen Bekenntnisse und welche man noch weiter verdecken will.

Wir wissen ja, welche Kampfeshetze jetzt gegen anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft losgeht, wie es von allen Ecken her pfeift. Es wäre schade, wenn man sich immer wieder und wiederum hingeben würde der schädlichen und eigentlich heute schon strafwürdigen Illusion, daß wir jemals hoffen könnten, in dieser oder jener Ecke, wo man gegnerisch gegen uns auftritt, etwas zu erreichen dadurch, daß man den oder jenen bekehrt, der von Amts wegen verpflichtet

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ist, das oder jenes Alte zu vertreten. Kompromißler und Opportunisten können und dürfen wir nicht sein. Das sollten wir gewisser maßen jeden Morgen als unseren besonderen Meditationssatz uns vor Augen stellen. Es hat gutmeinende Leute gegeben, welche gesagt haben, wir sollten nur nach der oder jener Richtung hin den Leuten klarmachen, wie wir versuchen, das Christus-Geheimnis in die Welt hineinzutragen. Je mehr wir das tun, desto schlimmer pfeift es aus gewissen Ecken heraus. Denn nichts widerstrebt zum Beispiel gewissen katholischen oder evangelischen Bekenntnissen in der Gegenwart mehr, als daß eine wahre Ansicht über das Christus-Geheimnis unter der Menschheit Platz greift. Denn dort ist nicht ein Interesse daran vorhanden,daß das wahre Geheimnis über den Christus Platz greift, sondern daß am Alten festgehalten werde. Würden wir irgendein vertracktes Bekenntnis über den Christus haben, dann würde man uns als eine unschädliche Sekte behandeln, als Querköpfe, und uns nicht mit jener Intensität bekämpfen, mit der man uns bekämpft. Weil es aber innerhalb der zwei Richtungen, abgesehen von der dritten, genügend Leute gibt, die wissen, daß aus der Wahrheit heraus einmal geredet werden soll über das Christus-Geheimnis, über die soziale Ordnung aus der Dreigliederung heraus, da horchen sie auf, und dann sagen sie: Uns würde ja der Boden entzogen, wenn wir der Wahrheit entgegenkommen wollten, daher sei ihr Vernichtung geschworen! - Wir werden nicht bekämpft wegen eines Irrtums, sondern wir werden bekämpft, weil man auf gewissen Seiten merkt, daß wir die Wahrheit wollen. Es nützt nichts heute, über gewisse Dinge, die vorgehen, anders als in diesem Sinne zu sprechen. Denn diejenige Geistesbewegung, die hier gemeint ist, hat das allergrößte Interesse an absoluter Klarheit, namentlich auch an Klarheit des Denkens.

Denn erinnern Sie sich an manches, was ich ausgeführt habe! Auf was kommt es denn an beim Einsehen desjenigen, was der Menschheit heute vor allen Dingen not tut? Darauf kommt es an, daß unsere denkerischen Kräfte - alles dasjenige, was wir als Vorstellungskräfte in uns tragen, abgesehen von den Sinneskräften -, daß die eigentlichen denkerischen Kräfte ein Erbgut sind unseres Daseins vor unserer Geburt beziehungsweise vor unserer Empfängnis. Was wir als Menschen

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denken können, das bringen wir uns durch unsere Geburt aus unserem vorgeburtlichen Dasein in die physische Welt herein. Alles was wir als Gedanken in uns entwickeln, während wir im physischen Leibe sind, das sind die Kräfte, welche unser ganzes Menschenwesen beherrschen zwischen dem letzten Tode und der Geburt, durch die wir in dieses Erdenleben eingetreten sind. Jetzt denken wir, und was wir als Denkkräfte, nicht als Gedanken aufwenden, das ist der Schatten von dem, was Wirkung war vor unserer Geburt beziehungsweise Empfängnis.

Denken Sie einmal an dasjenige, was wir heute Naturkräfte nennen, an das, was wirkt im Blitz und Donner, in der bewegten Welle, in der Wolkenbildung, in Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, in Wind und Wetter, im Hervorgehen der Pflanzen aus der Erde, im Empfangen- werden, Geborenwerden und Wachsen der Tiere, denken Sie an alles das, was Sie als Naturkräfte ringsherum wahrnehmen, und denken Sie davon jetzt nicht die reale Gestalt, sondern das bloße Bild. Also bitte, denken Sie sich, daß alles das, was Sie als Naturkräfte um sich herum haben, sein Bild, sein Schattenbild irgendwohin würfe und daß diese Schattenbilder in einem Behälter aufgenommen würden und als Bilder wirkten. Ein ähnliches Verhältnis besteht zwischen der gegenwärtigen Naturwirklichkeit und der dahinterstehenden Realität, wie Sie es haben in dem Verhältnis zwischen Ihrem vorgeburtlichen Dasein und Ihren Denkkräften in diesem Erdenleben. Denken Sie sich einmal, da wäre alles das, was ich schematisch andeuten will, was geschieht mit Ihrer Seele zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, und dann bildet sich ein Schatten davon; von allem, was da ist, bildet sich ein Schatten, und dieser Schatten, der wird zum Inhalt Ihres Kopfes, zum Inhalt Ihrer Gedanken, der ist Ihre Denkkraft. Das, was Sie jetzt denken, das sind die Wirkungskräfte vor Ihrer Geburt. Das ist dort Natur in der geistigen Welt, wenn ich mich des paradoxen Ausdruckes bedienen darf. Es geht nicht weiter in der Menschheitsentwickelung, wenn die Menschen nicht ein Bewußtsein davon bekommen: Indem ich denke, spielt in meine Gedankenkräfte herein mein vorgeburtliches Dasein. Ich bin, indem ich durch die Geburt in dieses Erdenleben eingetreten bin, indem ich denke, der Fortsetzer meines vorgeburtlichen Daseins.

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Wenn man dies nimmt, wem widerstrebt es dann am meisten? Am meisten widerstrebt es denjenigen Bekenntnissen, welche etwa folgendes sagen: Ein Mensch wird geboren. Wenn es hier zwei Leut~n, einem männlichen und einem weiblichen Individuum gefällt, sich zu begatten, so wird in der geistigen Welt von Gott eine Seele geschaffen, damit sie verbunden werden kann mit dem, was hier erzeugt wird von zwei sich begattenden Menschen. So nimmt ein menschliches Individuum seinen Anfang! - Das widerspricht allerdings sehr dem, was jetzt eben gesagt worden ist! Aber davon leben ja die Bekenntnisse der heutigen zivilisiertenWelt. Sie lehren ja alle: Wenn zwei Menschen sich hier begatten, dann tut der Geist ihnen die Gefälligkeit, oben eine Seele zu erzeugen, ganz frisch; die wird dann heruntergeschickt, damit sie sich mit dem entstandenen physischen Leibe vereinigen kann, und dann ist etwas Neues entstanden. - Zu wem reden aber all diese Bekenntnisse? Sie reden ja zu furchtbar egoistischen Menschen, die vor allem den Gedanken der Auslöschung nach dem Tode nicht ertragen können. Jenen andern Gedanken können sie aber ertragen, denn daran sind sie durch Jahrhunderte, bald durch Jahrtausende gewöhnt worden: daß es Gott gefällig sei, Seelen zu schaffen für die Menschenkinder, die hier erzeugt werden. Aber daß mit dem Tode alles aufhört, diesen Gedanken können sie aus ihrem Egoismus heraus nicht ertragen.

Selbstverständlich wissen Sie ja alle - ich brauche darüber mich nicht zu verbreiten -, wie das Leben der Menschen nach dem Tode ist, aber wir wenden unsere Aufmerksamkeit einem ganz andern Gesichtspunkte zu. Die Kanzelredner müssen überall voraussetzen, daß sie zu Menschen reden, die den Gedanken der Auslöschung nach dem Tode nicht ertragen können. Sie müssen ihnen dasjenige Wasser herunter- gießen von der Kanzel, welchen Bekenntnisses die Leute auch sind, die da unten sitzen, das ihnen «klar», das heißt unklar macht, wie es nach dem Tode ist. Sie müssen gerade diejenigen Worte wählen, durch die der Egoismus der Menschen sich am meisten angeregt fühlt; sie müssen gerade diejenigen Sätze aussprechen, durch die diesem seelischen Egoismus der Menschen besonders entgegengekommen wird.

Was würde denn eintreten - das Folgende führe ich Ihnen aus zu einem besonderen Beispiel -, wenn zum Beispiel heute jemand ganz

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unbefangen und ernsthaft gewisse Inhalte des katholischen Bekenntnisses aufs Korn nehmen würde, sagen wir jenes Dogma, welches besagt, daß es eben Gott gefallen muß, wenn zwei Menschen sich begatten, ihnen eine Seele, die frisch gemacht ist, herunterzuschicken. Wenn dieser Inhalt des Bekenntnisses aufs Korn genommen würde, was würde geschehen? - Da würde der, der vorurteilslos zu Werke geht, um die ganze Sache zu untersuchen, finden, daß so etwas mit dem Inhalte des wahren Christentums nicht das geringste zu tun hat, daß aber im Mittelalter die Lehre des Aristoteles eingedrungen ist in die christliche Theologie, und daß Aristoteles diese Lehre aus einem mißverstandenen Platonismus heraus vertreten hat, daß jedesmal für einen frisch erzeugten Menschenleib auch eine frische Seele geschaffen wird und sich mit ihm vereinigt. Das, was da als selbstverständliche Voraussetzung in den christlichen Bekenntnissen figuriert, das hat mit dem Christentum nichts zu tun, das ist aristotelische Anschauung.

Und weiter, nehmen wir etwas anderes: Wir finden als einen gewissen Teil von Bekenntnissen die Lehre von der Ewigkeit der Höllenstrafen. Wieder eine rein aristotelische Anschauung! Aristoteles hat nämlich angenommen: Wenn die Seele geschaffen ist, hier lebt bis zum Tode und dann in die geistige Welt kommt, dann hat sie in dieser geistigen Welt, wie er sie sich vorstellt, nichts anderes zu tun, als in aller Ewigkeit zurückzuschauen auf das, was sie in einem einmaligen Erden- leben hier getan hat. Also Aristoteles stellt sich vor, daß eine frische Seele geschaffen wird für jedes erzeugte Kind, daß diese Seele lebt auf der Erde bis zum Tode und dann in alle Ewigkeit hinein sich beschäftigt damit, hinzuschauen auf das, was in einem Erdenleben geschehen ist. Hat einer einen andern ermordet, so hat er immer hinzuschauen darauf. Das ist der Ursprung der Lehre von der Höllenstrafe. Es ist eine rein aristotelische Lehre.

Denken Sie sich einmal, wenn nun an die Stelle des als Inhalt des Christentums ausgegebenen Aristotelismus die Wahrheit auftritt, dann haben ja diejenigen, die diesen als Christentum maskierten Aristotelismus vertreten wollen, eine heillose Angst, daß man hinter das kommt, um was es sich handelt, daß also die Leute erfahren würden: Unsere Prediger, unsere Pfarrer, die predigen uns ja von den Kanzeln heruntergar

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nicht ein Christentum, sondern einen Aristotelismus, der sich in das Christentum hineingeschlichen hat!

Ebenso ist im Christentum unendlich viel von der Gnosis. Ebenso ist im katholischen Meßopfer unendlich viel von ägyptischen Mysterien. In zahlreichen Kultushandlungen des Katholizismus - und in vielem selbst in dem evangelischen Bekenntnis - ist etwas enthalten, dessen Ursprung man aufsuchen muß in irgendwelchen orientalischen Religionen. Das, was die Leute anstreben, ist nur, daß man ihnen nicht hinter die Sachen kommt, daß man ja nicht dahinterkommt, wo die Sachen her sind. Also was muß man tun? Man muß verleumden! Man muß sagen, daß diejenigen, welche heute mit der Wahrheit auftreten, entlehnen und plagieren vom Orientalismus, von der Gnosis und so weiter.

Man muß «Traubismus» treiben. Man muß in einer solchen Weise mit gelehrten Verleumdungen auftreten, wie der Pastor und Professor Traub und alle diejenigen, die jetzt seine Nachbeter geworden sind. Warum tun das die Leute? Weil die Wahrheit an den Tag kommt und weil sie alles Interesse daran haben, die Wahrheit nicht an den Tag kommen zu lassen. Immer wieder und wiederum werden Menschen auftreten und sagen: Was ihr hier tut, ist diesem oder jenem entlehnt - und werden dadurch etwas hervorrufen, was die Leute aufbringt gegen die Gnosis und alles dasjenige, was sie in ihrem eigenen seelischen Fleische tragen, was sie aber nicht an den Tag kommen lassen wollen in seiner wahren Gestalt. Gnosis - so muß man sagen -, das ist etwas Furchtbares, etwas Greuliches! - Dann werden die Leute sich nicht kümmern um die Gnosis, weil sie sie fürchten, und dann können die Pfarrer reden über das, was eigentlich aus der Gnosis ist. Denn die Pfarrer sind es, die über etwas reden, was aus der Gnosis stammt, nicht diejenigen, die über das reden, was auf dem Boden der anthroposophisch orientierten Geistes- wissenschaft wächst. Und was am meisten gefürchtet wird, ist das, daß die Präexistenz der Seele, daß das Leben der Seele vor der Geburt beziehungsweise vor der Empfängnis, daß dieses Wurzeln der Seele in der geistigen Welt von all den Zeiten her, über die sich nur irgendein wissenschaftliches Bekenntnis der Menschheit ergehen kann, besteht. Denn lernt man die Wahrheit erkennen, dann würde bei vernünftig denkenden Menschen nicht mehr Platz sein für die Gotteslästerung,

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daß für jeden einzelnen menschlichen Leib die Götter verpflichtet sind, eine frisch gebackene Seele aus der geistigen Welt herunterzuschicken, die sich damit verbindet. Aber alle diese Dinge gehen doch zurück auf starke Geltendmachung des Machtgedankens. Hinter alledem steckt der Machtgedanke. Und man kann einfach dadurch, daß man gewisse Lehren befolgt, dem Machtgedanken eine ungeheure Kraft zuführen.

Was passiert zum Beispiel jetzt in Dornach? Ringsherum, fast überall in der Schweiz, erscheinen Artikel über die Anthroposophie, die eigentlich nicht einen einzigen wahren Satz enthalten. Der ganze Feldzug fing damit an, daß ein Artikel erschienen war, der dreiundzwanzig Lügen enthielt. An diese dreiundzwanzig Lügen knüpfen sich nun schon seit Wochen lauter Artikel an, die fast in die ganze katholische Presse der Schweiz übergehen und die alle keinen einzigen wahren Satz enthalten. Warum geschieht das? Das geschieht aus dem Grunde, weil der zahlreiche Anhang dieser Menschen in eine bestimmte Geistesverfassung gebracht wird, wenn man ihm die Unwahrheit sagt, in die Geistesverfassung, in der man Wahrheit von ,Unwahrheit nicht mehr unterscheiden kann.

Denken Sie einmal, was alles aufgewendet wird innerhalb unserer anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft, um genügend klare Vorstellungen hervorzurufen, inwiefern zum Beispiel das, was in traumhafter Form im menschlichen Bewußtsein auftritt, ein Abglanz der Wahrheit sein kann oder nicht. Ohne weiteres kann der Mensch Erlogenes und Wahres nicht unterscheiden, wenn es ihm der Traumvorgang bietet. - In dieselbe Verfassung kommt eine Gemeinde, der man etwas vorlügt, wenn man weiß, daß diese Gemeinde das Erlogene glaubt. Denn dadurch, daß man die Seelenverfassung in die Stimmung bringt, die durch das Erlogene hervorgerufen wird, dadurch hat man sie als ein gefügiges Werkzeug des Machtgedankens. Diejenigen können am besten die Macht über die Menschheit ausüben, welche den Leuten die Illusionen unkenntlich einimpfen. So werden ganz systematisch diese Lügenartikel geschrieben mit der Absicht, dasjenige als Stimmung zu erreichen, was durch die Lüge erreicht werden kann. Das ist dasjenige, zu dem ganz selbstverständlich der Probabilismus, der ja seit

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langer Zeit gelehrt wird von den Jesuiten, kommen muß. Das ist nur der letzte Ausläufer.

Es ist ja schwer, gegen solche Leute die ja zum großen Teil schlafenden Seelen der Gegenwart aufzurufen. - Wir waren genötigt, einen Vortrag zu arrangieren an dem Tag, bevor ich abgereist bin, weil man ja selbstverständlich kämpfen muß, auch wenn man nicht will, gegen das, was sich da als Lüge geltend macht in Dornach. Und HerrDr. Boos,der zu unseren mutigsten jüngeren Kämpfern gehört, hat dann, nachdem er in der Diskussion - derVortrag war öffentlich - jeden aufgerufen hat, der sprechen will zu dem, was gesagt worden ist, und nachdem zu alledem geschwiegen worden war, vor aller Öffentlichkeit gesagt, er erkläre vor aller ~ffentlichkeit, daß der erste Schreiber der dreiundzwanzig Lügen, der Pfarrer Arnet von Reinach, unwürdig sei, sein priesterliches Amt auszuüben und daß er ein geistiger Giftmischer sei.

Man kann sich nicht anders helfen. Und dann haben die Leute, trotzdem ihnen dies gesagt wird, nur einen einzigen, ich möchte fast sagen, einen in den Knien schlotternden Lehrer, der dann auftritt und sagt: Wartet nur ab, es sind ja noch nicht alle Artikel erschienen; am Ende wird es noch kommen -, ja, ich konnte nichts anderes sagen als: Der Anfang bestand aus dreiundzwanzig Lügen, und es mag das Ende erst am Ende der Welt kommen, die Wahrheit der dreiundzwanzig Lügen wird ganz gewiß, wenn dieses Ende noch so lang auf sich warten läßt, nicht herauskommen können. Denn in dem, was bisher erschienen ist - und es sind schon eine stattliche Anzahl von Artikeln erschienen -, ist nicht der leiseste Versuch gemacht, einzugehen auf die dreiundzwanzig Lügen.

Aber andere Proben sind gemacht worden von einer merkwürdigen Logik. Es wurde namentlich die Broschüre von dem Tübinger Redner da ausgespielt - die spielt eine große Rolle -, aber die Leute, die in diesen Artikeln die Broschüre des Professor Traub da ausspielen, die verstehen sie nicht richtig. Sie schreiben: Der Steiner entlehnt alles mögliche alten Schriften, den Upanishaden, den ägyptischen IsisMysterien und der «Akaska-Chronik» - nun, möglicherweise hat es der Setzer nur so geschrieben, aber vielleicht hat es doch auch der geistliche Herr getan. Nun also sagte ich dann, daß es mir ja wahrhaftig nicht

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darauf ankäme, Druckfehler zu berichtigen, aber daß es doch ein sonderbarer Leser der Traubschen Broschüre wäre, der gleich hinterher vergessen hat, daß ja schließlich nicht einmal der Traub den Blödsinn behauptet hat, daß die Akasha-Chronik etwas sei, was man in den Bibliotheken stehen hat, und daß man nicht gerade jemand vorwerfen kann, er entlehne die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft jenem alten Schmöker, der Akasha-Chronik.

Wir haben ja nun unter den liberalen Leuten auch einige Freunde unter den Angriffen bekommen. So konnte Dr. Boos in einer liberalen Zeitung, indem er sogleich scharfes Geschütz auffährt, sagen: Hier ist eine wissentliche Unwahrheit. Denn der, der das geschrieben hat, der muß doch wissen, daß er eine Akasha-Chronik nicht in seiner Bibliothek stehen hat. Er kann sie nicht haben in seiner Bibliothek, also muß er es wissen; er muß also eine wissentliche Unwahrheit hinschreiben. Was tut aber der Betreffende? Er sagt: Herr Dr. Boos drücke sich um die Sache herum, denn es sei selbstverständlich, daß nicht er, sondern der Setzer den Druckfehler «Akaska-Chronik» verursacht habe. Und wenn jemand eine solche Sophisterei treibe, daß er einem einen solchen Druckfehler vorwerfe, dann zeige das, wes Geistes Kind er sei.

Nun, Sie sehen, mit welcher Geistesverfassung man es da zu tun hat. Aber unterschätzen Sie diese Geistesverfassung nur ja nicht! Seien Sie sich klar darüber, daß es ein harter Kampf sein wird, der immer mehr und mehr nach dieser Seite gerade hingeht. Man will verhindern, daß die Leute kennenlernen, was ich zunächst ausgesprochen habe im Arztekursus. Ich sagte da: Gerade wenn man sich einem ernsthaftigen Bemühen unterzieht, aus dem heutigen Leben heraus die geistigen Gesetze der Welt kennenzulernen, wenn man versucht, die tieferen Geheimnisse der menschlichen Natur kennenzulernen, sich diese Dinge also selbst aus dem heutigen Leben heraus aneignet und dann sie wiederfindet in den alten Schriften, wenn auch aus einem instinktiven atavistischen Geistesleben heraus, dann bekommt man eine große Demut vor der Größe einer instinktiven atavistischen Geistesart, die die Menschheit einmal gehabt hat, die verlorenging und die heute wiedergefunden werden muß. - So spricht der, der sich bewußt ist, daß dasjenige, was heute vom Wissen her aus dem Leben heraus gesucht werden

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muß, als instinktive Weisheit in der Menschheit vorhanden war. Selbstverständlich ist manches von dem, was von der alten instinktiven Weisheit gewußt wurde, übergegangen in die Bekenntnisse, die es nur korrumpiert haben. Diese Bekenntnisse wollen aber der Menschheit Angst machen vor dieser Urweisheit, und wenn sie darüber reden, dann reden sie in dem Sinne davon: Die schrecklichen Menschen, die da heute Anthroposophie treiben, die entlehnen alles von dieser Urweisheit. - Würde man der Sache zu Leibe gehen, so würde man sehen, wie sehr sich unterscheidet dasjenige, was heute als anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft den Menschen gebracht wird, von dem, was jemals von irgend etwas, seien es dieUpanishaden oder was immer, entlehnt wurde. - Aus der Akasha-Chronik, diesem «alten Schmöker», muß man schon entlehnen! Und daß das nicht gesehen werde, daß nun etwas auftritt, was in die Gegenwart hereingehört, das wollen diejenigen bewirken, die heute aus allen Ecken mit der Gegnerschaft pfeifen.

Darum seien Sie sich über eines klar, wenn Sie immer wiederum versucht sind, da oder dort Anklänge lobend hervorzuheben: Das Bündnis zwischen Jesuitismus und Sozialdemokratie, das sich jetzt immer mehr und mehr zusammenschließt, ist ein ganz natürliches, das hat nichts Unnatürliches. Denn die Sozialdemokraten sind nur, indem sie die Sache umwenden, von der Reversseite mit denselben Gedanken- formen ausgestattet, mit denen die Jesuiten ausgestattet sind. Aber dasjenige, was so sehr sich von allen Empfindungen unterscheidet, das ist die «Ewigkeit des Menschen», die eine Egoismuslehre geworden ist. In ihre wahre Gestalt tritt sie, indem sie die Präexistenz des vor der Geburt beziehungsweise vor der Empfängnis bestehenden Lebens derMenschenseele wiederum zum wirksamen moralischen Agens macht. Diese Anschauung wird bis aufs Messer bekämpft werden. Und man wird nur dadurch in der Welt vorwärtskommen können, daß erstens die Wahrheit eine innere Kraft hat; aber diese innere Kraft kann nur wirken, wenn zweitens hinzukommt, daß Menschen, wenn sie auch in noch so geringer Anzahl vorhanden sind, den Mut haben, diese Wahrheit in ihrer Seele zu tragen, ernsthaftig und aufrichtig und ehrlich und ohne Kompromisse in ihrer Seele zu tragen. Es nützt nichts, daß wir uns verwischen den gewaltigen Unterschied, der besteht zwischen

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dem katholischen und evangelischen Aristotelismus von dem Schaffen der Seele für einen erzeugten Menschenleib, und zwischen wahrem Christentum. Wir dürfen uns diesen Unterschied nicht verwischen. Denn wenn wir uns diesen Unterschied verwischen, merken wir gar nicht, wo die Quellen des Machtgedankens, des Machtbewußtseins eigentlich liegen.

Ich muß immer wieder hinweisen auf jenen Hirtenbrief eines katholischen Bischofs, der tatsächlich besteht und der da besagt Die Gläubigen haben die Verpflichtung, den Priester als ein höheres Wesen anzuschauen als Gott und Christus, weil jedesmal, wenn der Priester am Altar die Konsekration vollbringt, der Christus gezwungen ist, gegenwärtig zu sein am Altar, mit seinem Leib und mit seinem Blut in Brot und Wein gegenwärtig zu sein. Da der Priester erzwingt, daß der Gott gegenwärtig zu sein hat am Altar, so hat der Priester die größere Macht im Weltenall als der Gott. - Das ist der Inhalt eines Hirtenbriefes, der wirklich besteht und der übrigens in viele andere Hirtenbriefe übergegangen ist. Und wenn Sie mich fragen: Ist das im Sinne jenes Bekenntnisses, das 869 in jenem Konzil zu Konstantinopel den Geist abschafft, konsequent? - dann sage ich Ihnen: Ja. - Denn derjenige, der da sagt, Gott sei mächtiger als der Priester, der sagt es, wenn er es als Katholik sagt, weil die Menschen das andere heute doch nicht gelten lassen wollen. Aber ebenso, wie die Menschen der Gegenwart in ihren Seelen schlafend genug sind, um sich nicht zu fragen: Was sagt der Briefschreiber eigentlich, wenn eine Persönlichkeit, die an Moleschott schrieb, mutig genug war, zu sagen, daß der Verbrecher, der Lügner, der Mörder sittlich nur ist, wenn er die Gesamtheit seiner Anlagen ausleben kann, und unsittlich ist, wenn er diese Anlagen, die in ihm veranlagt sind, nicht zum Ausdruck bringt, denn dadurch würde er seine Persönlichkeit beschränken, und die mörderischen Anlagen seien ebenso berechtigt wie die andern Anlagen? Die gegenwärtigen Seelen sind eben nicht mutig genug, sich zu sagen: Wenn unsere Naturwissenschafter als Grundlage für ein Weltbekenntnis weiter dasjenige lehren, was sie jetzt lehren, dann muß als eine notwendige Konsequenz einfach gesagt werden: Der Verbrecher, der Mörder ist gleichviel wert wie der andere, der sich bemüht, sozusagen sittlich zu sein; die Menschen

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sind nur zu feig, sich das zu gestehen. In der Zeit, in der die Blüte des Materialismus war, in der ein Vogt, ein Moleschott, ein Bücbner geschrieben haben, die mutige Geister waren, in der Zeit hat man solche Geständnisse gemacht. Aber die Gegenwart ist zu feig, sich dieses Geständnis zu machen. Ebenso ist die Gegenwart in den schlafenden Seelen nicht mutig genug, sich einzugestehen: Ja, nach dem, was als Geist in jenen Bekenntnissen ist, ist der Priester mächtiger als der Gott.

Es handelt sich eben darum, daß diejenige Weltanschauung, die als anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft besteht, tatsächlich darauf angewiesen ist, nach allen Richtungen hin Klarheit des Denkens zu schaffen. Denn das, was sie zu sagen hat, ist mit unklaren Gedanken nicht zu fassen, ist nicht mit schwafelnder, schwefelnder Mystik zu fassen, ist zu fassen allein mit kristallenen Gedanken, mit solchen Gedanken, wie ich sie versuchte, in der «Philosophie der Freiheit» zu gleicher Zeit als Ausgangspunkt der wirklichen menschlichen Freiheit zu erkennen.

Über solche Dinge können wir uns ja weiter sprechen, wenn ich in der Lage sein sollte, wiederum vor Ihnen vorzutragen, was, wie ich hoffe, sehr bald der Fall sein soll.

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FÜNFTER VORTRAG Stuttgart, 24. Juni 1920

Da heute noch einmal Gelegenheit ist, zu Ihnen gerade als zu den Freunden der anthroposophischen Bewegung zu sprechen, bevor ich abreise, so möchte ich dem nachkommen, was mir in gewisser Beziehung ein Herzenswunsch ist: einiges zu besprechen, was jetzt notwendig ist zu besprechen. Vielleicht wird ja das meiste von dem, was ich gerade heute zu sagen habe, eine Art Wiederholung sein von Dingen, die öfter aus den verschiedensten Gesichtspunkten heraus erwähnt worden sind, die heute auch schon eine Rolle spielen in den Betrachtungen, die in öffentlichen Vorträgen dargestellt werden. Aber aus gewissen Gründen heraus ist es doch notwendig, daß wir uns über einige Dinge heute noch einmal unterhalten.

Es muß ja, wie ich oftmals betont habe, durchaus verstanden werden von einer genügend großen Anzahl von Menschen, wenn der Niedergang, in den wir uns hineingeritten haben als gegenwärtige zivilisierte Welt, nicht zum völligen Ruin führen soll, daß die gegenwärtige Zivilisation durchtränkt werden muß mit gewissen Impulsen, die nur aus der geisteswissenschaftlichen Erfassung der Welt im weitesten Umfange kommen können.

Der Materialismus, der heraufgezogen ist seit den letzten drei bis vier Jahrhunderten in der europäischen Welt, der dann seinen Höhepunkt erlangt hat im 19. Jahrhundert und sich überschlagen hat im 20. Jahrhundert, dieser Materialismus hat ja eine Eigentümlichkeit, die besonders paradox sich ausnimmt, wenn man nicht richtig auf die Gründe einzugehen weiß, um die es sich dabei eigentlich handelt. Dieser Materialismus hat nämlich die Eigentümlichkeit, daß ihm völlig versagt ist, die materielle Welt in ihrer Wirklichkeit zu erkennen. Ich habe Ihnen ja vielleicht auch hier schon ein Beispiel dafür angeführt.Überall findet man aus der materialistischen Denkweise der neueren Zeit heraus die Anschauung vertreten, die eine breite Oeffentlichkeit ergriffen hat, daß unser Herz innerhalb unseres Organismus eine Art von Pumpe sei, welche das Blut durch den Organismus pumpt. In den mannigfaltigsten

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Varianten findet man diese Anschauung von dem Pumpwerk des menschlichen Herzens heute ausgebaut. Nun ist ja die Sache nicht so, sondern dasjenige, was Wirklichkeit ist, das muß so aufgefaßt werden, daß man sagt: Unser ganzes rhythmisches Zirkulationssystem ist ein Lebendiges, und nicht irgend etwas, was zu vergleichen ist mit irgendwelchen Kanälen oder dergleichen, durch die Wasser fließt, das durch ein Pumpwerk in seinen Kreislauf getrieben wird. Unser rhythmisches Zirkulationssystem, unser Blutsystem ist ein Lebendiges. Es wird in seiner Lebendigkeit erhalten durch die verschiedenen Faktoren, von denen die gröbsten sind: Atmung, Hunger, Durst und dergleichen, also Dinge, die durchaus geistig-seelischer Natur sind. Es bringen ganz primäre Ursprünge unser lebendiges Blutsystem in rhythmische Bewegung, und das, was Bewegung des Herzens ist, rührt davon her, daß dieses Geistige sich einschaltet in diesen Blutrhythmus. Der Blutrhythmus ist das Primäre, Lebendige, und das Herz wird mitgerissen von diesem Blutrhythmus. Die Tatsachen sind also völlig entgegengesetzt dem, was heute von der gebräuchlichen Physiologie von allen Lehrkanzeln herunter verkündet und daher auch von der Schule und von frühester Kindheit an den Menschen eingepaukt wird.

Wir müssen also sagen: Der Materialismus hat nicht einmal vermocht, das in Wirklichkeit zu erkennen, was die materiellen Vorgänge im menschlichen Organismus sind, die sich auf das Herz beziehen. Er hat gerade das Materielle völlig mißverstanden. Das ist aber nur ein Beispiel für viele. Gerade das Materielle ist absolut unerklärt geblieben unter dem Einflusse des Materialismus. Das Herz ist keine Pumpe, sondern es ist etwas, was man eher ansehen kann als ein Sinnesorgan, das einzuschalten ist in den menschlichen Organismus, damit der Mensch in seinem Unterbewußtsein durch das Herz eine Art unter- bewußtes Wahrnehmen hat von seiner Zirkulation, so wie man durch das Auge eine Wahrnehmung hat von den Farben der äußeren Welt. Das Herz ist im Grunde genommen ein in die Blutzirkulation eingeschaltetes Sinnesorgan. Von alledem wird das völlige Gegenteil heute gelehrt.

Nun, das ist scheinbar ein recht in der Ecke stehendes Beispiel. Ich kann mir denken, daß mancher Philister heute geneigt ist zu sagen:

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Was soll das schon für Unheil anrichten, wenn die Menschen eine ganz falsche Ansicht über das Wesen des menschlichen Herzens haben! Eher wird man schon zugeben müssen, da-ß es eine ganz allgemein bedenkliche Bedeutung hat, wenn alle Arzte eine falsche Ansicht über das Wesen des menschlichen Herzens haben. Denn ob die Arzte eine richtige oder falsche Ansicht über das Herz haben, davon hängt doch vieles im menschlichen Leben ab. - Aber so ist es ja mit andern Dingen auch. Und dadurch, daß alle Dinge im Leben zusammenhängen, dadurch ist die Menschheit heute geradezu erfüllt von lauter verkehrten Gedanken, von ganz inversen Gedanken. Und man könnte glauben, wenn man nur wollte, daß das Hängen in verkehrten Gedanken nun überhaupt unser ganzes Denken ruiniert. Das tut es nämlich auch. Unser Denken wird gründlich ruiniert dadurch, daß wir uns auf den verschiedensten Gebieten gewöhnen, weil es uns eingepaukt wird von unserer Kindheit an, das Gegenteil von dem Wirklichen zu denken. Wir gewöhnen uns dadurch niemals ein sicheres, zielbewußtes Denken an. Denn wie kann ein zielbewußtes Denken herauskommen zum Beispiel im sozialen Leben, wenn man in den Dingen, wo vor allen Dingen die Wahrheit gesucht werden muß, auf dem entgegengesetzten Wege ist?

Aber sehen Sie, gewisse Dinge bleiben überhaupt heute dem Menschen verschlossen, die wichtig sind zu wissen. Wenn heute in den gebräuchlichen Anstalten, in den physiologischen, biologischen Laboratorien oder Kliniken oder sonstigen Anstalten der menschliche Organismus untersucht wird, so untersucht man, sagen wir, das Gehirn, indem man es Stück für Stück, so wie es zunächst ausschaut, analysiert, und man untersucht die Leber, indem man sie geradeso analysiert. Aber indem man das tut, sieht man niemals auf etwas, was ganz spezifisch ist für das Verständnis des Menschen. Unsere ganze heutige Hauptesorganisation und alles das, was von derselben beherrscht wird, ist etwas wesentlich anderes als unser übriger menschlicher Organismus.

Was da zugrunde liegt, will ich Ihnen auf folgende Weise zeigen: Es ist etwas, was Sie zeichnen können in der folgenden Weise. Ich will allmählich zu dem, was ich eigentlich sagen will, hinführen. Sie können sagen: Der Mensch hat zwei Wahrnehmungsorgane, deren Wahrnehmungsrichtungen etwa diese sind (siehe Zeichnung, a). Und in einem

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ewissen Verhältnis zu diesen Wahrnehmungsrichtungen stehen zwei ndere Wahrnehmungsrichtungen, die, wenn ich sie schematisch zeichen will, so zu zeichnen sind (b):

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das sind vier Wahrnehmungsrichtungen, die der Mensch hat, deren inien so verlaufen, wie ich es hier in dieser Weise aufgezeichnet habe. Ich habe absichtlich nicht gesagt, wo am menschlichen Organismus iese Wahrnehmungsrichtungen liegen. Wenn ich hier nichts zeichne ls zwei Richtungen (a), die man gewissermaßen ausstreckt und mit enen man wahrnimmt, und da zwei andere (b), durch die man seitlich ahrnimmt, so ist es völlig gleichgültig, ob das hier die Gefühls- oder mpfindungsrichtungen sind, die durch meine zwei Beine gehen, und b das da die Gefühlsrichtungen sind, die durch meine Arme gehen. ~a haben Sie etwas Zusammenstimmendes. Ich nehme gewissermaßen ieine eigene Schwere wahr, indem ich mit meinen zwei Beinen auf em Boden stehe. Da nehme ich wirklich etwas wahr. Und ich nehme :was wahr jedesmal, wenn ich auch nichts berühre, wenn ich meine land, meinen Arm ausstrecke. Das kann ich so zeichnen (a). Aber ich ann auch etwas ganz anderes meinen mit derselben Zeichnung. ~nken Sie sich, ich habe die Horizontale, dann kann ich mit diesen ~iden Richtungen die beiden Augenachsen meinen, dann zeichne ich ie beiden Augenachsen so hin. Und mit dieser Richtung (b) kann ich je Ohrenrichtung meinen, und ich kann dasselbe Schema für Augennd Ohrenwahrnehmungen haben. Das eine Mal habe ich den ganzen Organismus, nur im rechten Winkel gedreht, im Kopfe, das andere Lal in dem übrigen Organismus drinnen. Von einem gewissen höheren wichtspunkte aus ist beides dasselbe. Unsere zwei Beine sind nur eischgewordene Richtungen des Wahrnehmens, die wir in einer geiigeren Weise auch haben, indem sie sich vom Gehirn durch die Augen

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ausstrecken und da Farben wahrnehmen, während wir sonst die Schwere wahrnehmen und alles, was damit zusammenhängt. Wir sehen unser Gewicht und wir treten auf die Farben, könnten wir etwa sagen, wenn wir die beiden Dinge, aber ganz organisch, miteinander verwechseln wollten. Ich höre die Kreide, ich berühre das C oder Cis. Das ist nur ein gradueller Unterschied. Das, was da am Kopfe ist, ist im rechten Winkel gedreht, geistiger, das andere ist in der Vertikalebene und ist materiell. Aber beides geht zum Schluß auf dasselbe zurück. Nur von dem einen weiß ich, von dem, was meine Augen betreten an Farben, was meine Ohren berühren an Tönen, von dem weiß ich, das ist in meinem gewöhnlichen Bewußtsein. Von dem, was meine Beine sehen von den Verhältnissen der Schwere, und von dem, was meine Arme hören von allen andern Verhältnissen, die da in Betracht kommen, ist alles im Unterbewußtsein. Und das, was da im Unterbewußtsein ist, das sind die Verhältnisse des Kosmischen. Mit diesem ganzen Unterbewußtsein weiß ich das Kosmische, weiß ich das Verhältnis der Erde zu den andern Weltenkörpern, weiß ich dasjenige, was mit der Schwere universell zusammenhängt. Mit den Armen höre ich die Sphärenmusik, nicht natürlich mit den Ohren. So daß wir sagen können: Wir bestehen aus unserem sogenannten niederen Organismus, der ein unterbewußtes kosmisches Bewußtsein hat, und aus unserem Haupte, das ein irdisches Bewußtsein, aber eben ein «bewußtes» Bewußtsein hat. Auf diesen Unterschied ist die ganze menschliche Organisation hingebildet. Wie wir äußerlich gestaltet sind, das hängt durchaus ab von diesen Gegensätzen. Und Sie wissen ja: Das, was wir heute als Kopf an uns tragen, das ist der umgestaltete Leib aus der früheren Inkarnation, dem früheren Erdenleben, während unser jetziger übriger Organismus zum Kopf im nächsten Erdenleben wird. Diese Metamorphose machen wir von einem Erdenleben zum andern durch. Der Kopf ist daher der übrige umgestaltete Organismus. Der ist gewissermaßen mehr vollkommen, mehr fertig. Und weil er das ist, sind die Beine so fein geworden, daß sie sich als Sehfühlfäden aus den Augen heraus erstrecken, um da höchst beweglich auf die Farben zu treten. Die Arme des vorigen Lebens sind so ätherisch geworden, daß sie sich jetzt bei den Ohren herauserstrecken und die Töne berühren.

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Nehmen Sie einmal diese konkreten Erkenntnisse des Menschen. Es ist ja gar nichts damit getan, wenn die Leute wissen, es gibt wiederholte Erdenleben und so weiter. Das sind schließlich Dogmen, und da ist es gleich, ob man Dogmen der katholischen oder evangelischen Kirche hat, oder ob man das Dogma von der Wiederholung der Erdenleben hat. Es beginnt das eigentliche Denken erst dann, wenn man in die konkreten Ereignisse eintritt, erst wenn man begreifen kann: Du schaust das menschliche Haupt an, da siehst du es als Umgestaltung deines Leibes aus dem vorigen Erdenleben, den du dir allerdings hauptlos denken mußt, denn das vorige Haupt ist die Umgestaltung eines Leibes in einem noch früheren Erdenleben. Aber in dem, was du jetzt als Haupt siehst, siehst du den umgestalteten Organismus des früheren Erdenlebens. Und was du jetzt siehst als übrigen Organismus, darin siehst du, was im nächsten Leben zum Haupte werden wird, wo sich die Arme so metamorphosiert haben werden, daß sie zu Ohren geworden sind, und die Beine sich so metamorphosiert haben werden, daß sie zu Augen geworden sind. Erst dann, wenn man so hineinschaut in das Materielle und es in seiner geistigen Umwandlung begreift, wenn man den Geist so hat, daß er in das Materielle hineinleuchten kann, dann erst ist dasjenige da, was die Menschheit heute notwendig braucht. Und erst wenn man den menschlichen Geist so organisiert hat, daß er nicht solche Torheiten verkündet, wie sie verkündet worden sind, namentlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als mögliche soziale Anschauungen, erst dann ist man wirklich reif dazu, solche sozialen Anschauungen zu gewinnen, die als Wirklichkeiten in die Welt hinein- getragen werden können. Es ist heute notwendig, daß dieses gründlich durchschaut werde. Es ist eine ernste Angelegenheit, daß sich heute die Leute sagen: Dasjenige, was verehrt wird als die Wissenschaft, die sich heraufgebildet hat, das, was verkündet wird überall, das muß durch etwas anderes ersetzt werden. Es geht gar nicht anders.

Es ist ein Unsinn, wie ich neulich auch in einem öffentlichen Vortrage sagte, von der Errichtung von Volkshochschulen zu reden und zu glauben, man könne das, was getrieben wird heute in unseren gewöhnlichen Hochschulen, in die Volkshochschulen verpflanzen. Das, was an unseren Hochschulen getrieben wird, das hat uns ja in diese

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Katastrophen hineingetrieben, weil es die wenigen führenden Persönlichkeiten als ihre materialistische Grundgesinnung gehabt haben; nun soll es in die ganzen Massen hineingetragen werden, das heißt, es sollen Millionen hineinreiten in die Katastrophen, in die sie hineingeritten worden sind durch eine falsche geistige Führung von wenigen. Was für wenige nichts taugt, soll jetzt für viele ausgestreut werden. So bequem geht es doch nicht mit der Verbreitung der Volksbildung, daß man das, was an Universitäten lebt, einfach hinausträgt, denn dadurch trägt man hinaus, was für den Menschen überhaupt ungeeignet ist. Das klingt heute radikal, aber es gehört zu dem Allernotwendigsten, daß das unbedingt durchschaut wird, wenn man nur im Entferntesten daran denkt, daß der Niedergang nicht weiterrollen soll, sondern daß ein Aufbau zustande kommen soll.

Das ist es, wovon man möchte reden können in Worten, die wirklich die Herzen ergreifen. Es müssen möglichst viele Herzen ergriffen werden von diesen konkreten Wahrheiten. Deshalb war es mir ein solches Bedürfnis, in öffentlichen Vorträgen darauf hinzuweisen, wie wir es doch schon dazu gebracht haben in unserer Waldorfschule, daß in einzelnen Zweigen Anthroposophie positiv hineingetragen wurde in den Geschichtsunterricht. Ebensogut konnte ich auch den anthropologischen Unterricht in der fünften Klasse erwähnen, wo auch Anthroposophie wirkte, wirkte, nicht indem man den Kindern Anthroposophie lehrt - das würde uns nicht einfallen -, sondern indem man belebt den Unterricht durch das, was aus der Anthroposophie kommt, indem man Anthroposophie in den Unterrichtsstoff einfließen läßt. Das wirkt weckend auf die Seelen der Kinder; sie werden ganz anders durch diese Einflüsse. Es wäre eine Bequemlichkeit, wenn man Anthroposophie in den Schulen einfach lehren wollte. Darauf kommt es wahrhaftig nicht an, sondern darauf, daß man dasjenige, was man lehrt, den Kindern zu beleben versteht durch Anthroposophie. Dazu allerdings muß die Anthroposophie in einem selbst völlig lebendig werden, und das ist ja etwas, was so unendlich schwierig geht: daß die Anthroposophie lebendig wird in den Menschen. Denn es wäre heute schon möglich in einer gewissen Beziehung, daß die mannigfaltigsten Zweige nicht etwa nur der Wissenschaft, sondern ich sage geradezu: die mannigfaltigsten

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Zweige des Lebens durchdrungen wären von dem, was durch das Leben in der Anthroposophie kommen kann.

Das ist so eine allgemeine Betrachtung. Ich will eine spezielle Betrachtung daran knüpfen, aus der Sie werden ersehen können, wie die Dinge zusammenhängen, die hier in Betracht kommen.

Sie wissen ja, in der heute weitverbreiteten marxistischen Weltanschauung und Lebensauffassung, die ihren radikalen Ausdruck in dem weltzerstörenden Leninismus und Trotzkismus findet, in dieser marxistischen Lebensauffassung spielt eine große Rolle die Anschauung, die man die «materialistische Geschichtsauffassung» nennt, und namentlich das Dogma von der grundlegenden Wirkung der Produktionsverhältnisse. Es ist ein Dogma, zu dem heute Millionen von Menschen aus dem Proletariat sich bekennen, das Dogma, daß dasjenige, was Sitte, Recht, Wissenschaft, Religion und so weiter ist, etwas ist, was wie ein Rauch, wie eine Ideologie - Sie können in den «Kernpunkten» Genaueres darüber nachlesen - aufsteigt aus den Produktionsverhältnissen, während die Produktionsverhältnisse das einzig Wirkliche wären, dasjenige, was man in der Geschichtsbetrachtung zugrunde zu legen habe.

Ich hielt es von ganz besonderer Wichtigkeit seinerzeit - und eigentlich hängt das zusammen mit meiner ganzen Meinung, daß ich etwas habe tun können in der Berliner Arbeiter-Bildungsschule, von dem man hätte ausgehen können -, in proletarischen Kreisen über diese Anschauung von der alleinigen Wirksamkeit der Produktionsverhältnisse im menschlichen Werdegang aufklärend zu sprechen, und ich habe daher nicht materialistische Geschichtsauffassung, sondern die Wahrheit zu verkünden versucht. Das war dann ja auch der Grund, warum ich her- ausgeworfen wurde, weil das geradeso damals den Führern widerstrebt hat wie jetzt die Idee der Dreigliederung, weil tatsächlich innerhalb der sozialistischen Bewegung dazumal und heute noch ein viel blinderes Autoritätsgefühl und Autoritätsglaube war und ist als in der Katholischen Kirche.

Aber Sie sehen, dasjenige, um was es sich gerade handelt, das ist, zu durchschauen, richtig zu durchschauen, wie die Dinge auch sozial in der Welt zusammenhängen. Wer eine richtige Einsicht gewinnt in

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das, was ich angedeutet habe in meinem Buche «Von Seelenrätseln» als die naturgegebene Dreigliederung des menschlichen Organismus, wer diese Gliederung des Menschen in den Nerven-Sinnesorganismus, den rhythmischen Organismus und den Stoffwechselorganismus versteht, der denkt so, daß er dieses Denken dann auch auf das soziale Leben anwenden kann. Wenn man so etwas tut, so kommen die Toren von heute und sagen: Du machst Analogien; weil der menschliche Leib dreigegliedert ist, gliederst du auch den sozialen Organismus. - Das ist Unsinn! Das tun die «Kernpunkte» gewiß nicht, da wird nicht mit Analogien gearbeitet. Es wird bloß gesagt, daß, wenn einer sein Denken aus den spanischen Stiefeln herauskriegt, in die es durch die heutige Gelehrsamkeit und namentlich das heutige öffentliche Leben eingeschnürt ist, er dieses Denken dadurch, daß es auf Wirklichkeitsgemäßes kommt im menschlichen Organismus, so weit frei bekommt, daß er auch im Sozialen ordentlich denken kann, während das Denken, das das Gehirn des Menschen neben die Leber legt und alles als gleiche Substanzen untersucht, niemals zu einer vernünftigen Einsicht kommen kann.

Wenn man so äußerlich Analogien bilden würde, dann würde man sagen: Wir haben die Dreigliederung des sozialen Organismus und die Dreigliederung des menschlichen Organismus. Der Kopf ist das geistige Organ, also muß man es vergleichen mit dem geistigen Leben des dreigliedrigen Organismus; das rhythmische System, das bringt Einklang zwischen den verschiedenen Funktionen als Herztätigkeit, als Atmungstätigkeit - also Rechtsteil des sozialen Organismus; den Stoffwechsel, das Gröbste, Materiellste, dasjenige, worauf der Mystiker mit einer gewissen Verachtung herabsieht, trotzdem auch er erklärt, daß er essen und trinken muß, den vergleicht man mit dem wirtschaftlichen Leben.

Das ist aber nicht so! Ich habe öfter darauf aufmerksam gemacht bei andern Gelegenheiten, daß die Dinge eben in Wirklichkeit anders liegen, als man nach bloßen Analogien glaubt, daß man zum Beispiel nicht sagen kann, die Sommerzeit lasse sich mit dem Wachzustand der Erde vergleichen und die winterzeit mit dem Schlafzustand. Die Wahrheit ist eine andere. Im Sommer schläft die Erde, im Winter wacht sie. Das habe ich ja in seinen Einzelheiten ausgeführt.

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Aber so ist es auch, wenn man auf die Wirklichkeit und nicht auf Analogien geht, bei dem Vergleichen des sozialen Organismus mit dem menschlichen Organismus. Da muß man vergleichen just das Wirtschaftsleben im sozialen Organismus mit der menschlichen Kopftätigkeit; dasjenige, was Rechtsleben ist, das muß man allerdings - weil es das Mittlere ist, so haben sich die Leute auch nicht geirrt bei der Analogie - mit der rhythmischen Tätigkeit vergleichen. Aber das Geistesleben, das muß man vergleichen mit dem Stoffwechsel. Also das Wirtschaftsleben ist zu vergleichen mit den geistigen Organen, das geistige Leben im sozialen Organismus mit den Stoffwechselorganen. Da hilft nichts. Das Wirtschaftsleben ist der Kopf des sozialen Organismus, und das geistige Leben ist Magen, Leber und Milz für den sozialen Organismus, nicht für den einzelnen individuellen Menschen. Das ist natürlich wieder viel zu unbequem, wenn man in spanischen Stiefeln steckt, daß man zu unterscheiden hat das soziale Leben und das Leben des einzelnen, des individuellen Menschen.

Hier kommt es abermals darauf an, durch Geisteswissenschaft vorbereitet auf die Wirklichkeit hinzusehen und nicht Analogien und vertrackte Symbolistik zu treiben. Dann kommt man schon auf mancherlei wichtige Dinge. Man kommt zum Beispiel darauf, daß man sich sagen kann: Ja, dann aber muß ja das Wirtschaftsleben, wenn es eigentlich der Kopf ist im sozialen Organismus, so wie der menschliche Kopf von dem übrigen Organismus zehren. Dann kann man nicht sagen, Sittlichkeit, Erkenntnis, religiöses Leben sei eine Ideologie, die aufsteigt aus dem Wirtschaftsleben. Nein, ganz im Gegenteil! Das Wirtschaftsleben ist etwas, was abhängt von dem geistigen Leben, vom Stoffwechsel des sozialen Organismus, wie der menschliche Kopf abhängt vom Atmen, von Magen und Leber und Milz. Dann kommt man darauf, einzusehen, daß das Wirtschaftsleben dasjenige ist, was aufsteigt aus dem geistigen und religiösen Leben. Wenn der Mensch keinen Magen hätte, könnte er keinen Kopf haben. Gewiß könnte er auch keinen Magen haben, wenn er keinen Kopf hätte, aber schließlich wird der Kopf vom Magen genährt, und ebenso wird unterhalten das Wirtschaftsleben vom geistigen Leben und nicht umgekehrt. Daher ist das ein Irrwahn, ein furchtbarer Aberglaube, der heute sich als sozialistische

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Theorie über die ganze zivilisierte Welt zu verbreiten droht, weil niemand darauf bedacht war in den letzten Jahrhunderten, die Wahrheit zu erforschen, sondern jeder nur aus den Emotionen heraus dasjenige als Wahrheit verkündigte, was ihm nach seiner Klasse und nach seinem Standpunkt angemessen war. Jetzt erst sieht man ein, welcher Irrwahn es ist, die Produktionsverhältnisse als die Grundlage für das geschichtliche Geschehen anzusehen. Denn man kommt jetzt darauf, wirklich die Tatsachen zu vergleichen, nicht Analogien zu verbreiten. Man schaut jetzt in der richtigen Weise hin und sieht ein, daß, wenn der Stoffwechsel untergraben wird im menschlichen Organismus, der Kopf leidet, daß also jedesmal, wenn das Ethische, das Religiöse, das Erkenntnisleben untergraben wird, im sozialen Organismus nicht ein gesunder Stoffwechsel wirkt und das Wirtschaftsleben dann zugrunde gehen muß. Vom Wirtschaftsleben hängt gar nichts ab, sondern primär hängt alles ab von Anschauungen, von Ideen, von dem geistigen Leben der Menschen.

Und so wie unser Kopf eigentlich fortwährend stirbt - ich habe das in andern Vorträgen ausgeführt -,so wie wir unseren Kopforganismus nur dadurch unterhalten, daß er in fortwährendem Absterben ist, gegen das sich der übrige Organismus auflehnt, so ist es mit dem Wirtschaftsleben. Das Wirtschaftsleben ist dasjenige, welches den geschichtlichen Fortgang der Menschheit fortwährend zum Absterben bringt, das nicht etwa das übrige aus sich hervortreibt, sondern nur den Tod von allem hervorbringt. Und dieser Tod muß fortwährend wieder ausgeglichen werden durch dasjenige, was im geistigen Organismus hervorgebracht wird. Also gerade das Umgekehrte ist wahr. Wer im materialistischen Sinne behauptet, das Wirtschaftsleben sei die Grundlage von dem, was fortschreitet, sagt nicht das Wahre. Die Wahrheit ist, daß das Wirtschaftsleben die Grundlage dessen ist, was immer wiederum in Etappen abstirbt und dessen Absterben vom Geiste aus ausgeglichen werden muß. So vorzugehen, wie jetzt in Rußland vorgegangen wird, bedeutet, der Welt zum Absterben zu verhelfen. Es gibt keine andere Möglichkeit, wenn man in dieser Weise fortarbeitet, als der Welt zum Absterben zu verhelfen, aus dem einfachen Grunde, weil in dem, was man da verrichtet, die Gesetzmäßigkeit des Absterbens drinnen liegt.

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Sie sehen, welche sozial eminent wichtigen Dinge hier vorliegen. Das war es, was ich immer wieder in den verschiedensten Tönen versuchte, seit den zwei Jahrzehnten, seitdem Anthroposophie unter uns getrieben wird, durch die verschiedenen Vorträge durchleuchten zu lassen und klarzumachen, daß es sich bei uns wahrhaftig nicht darum handelt, eine innere seelisch-wollüstige Weltauffassung und Lebensanschauung, eine Art geistigen Snobismus zu kultivieren, sondern daß es sich handelt um dasjenige, was das Zeitalter als seinen wichtigsten Impuls braucht.

Ich wollte dies heute noch einmal vor Ihnen aussprechen in einer wieder etwas andern Form, zusammenhängend mit verschiedenen Dingen, die uns aufklären können über das Wesen des Menschen, weil es jetzt wichtig ist, daß diejenigen, die als Freunde unserer anthroposophischen Bewegung sich bekennen, den Zusammenhang dieser anthroposophischen Bewegung mit dem, was sonst jetzt unter uns vorgeht, einsehen.

Es ist ja, da jetzt oftmals alles in einer recht entstellten Form besprochen wird, was von mir oder andern Freunden ausgeht, es ist ja schwer, einer großen, auch anthroposophischen Versammlung so ganz frei die Dinge zu sagen, aber es muß, weil man ja keine andere Gelegenheit hat, im engeren Kreise so ohne weiteres zu sprechen, und weil über die Dinge gesprochen werden muß, auf einiges aufmerksam gemacht werden. Wir müssen uns dessen bewußt sein, besonders hier in Stuttgart, daß dasjenige, woran wir gehangen haben seit zwei Jahrzehnten als anthroposophischer Bewegung, eben doch in ein neues Stadium getreten ist, und daß wir dadurch, wenn wir es ehrlich meinen mit dieser Bewegung, die Verpflichtung auf uns genommen haben, mitzugehen mit diesem Umschwung, uns anzupassen diesem Umschwung. Sie müssen das nur ordentlich erfassen, daß, indem durch unsere Freunde Molt, Kühn, Unger, Leinhas und einige andere hier der Versuch unternommen worden ist, praktisch die Konsequenz der anthroposophischen Lebensauffassung zu ziehen, daß dadurch eben etwas geschehen ist, was uns alle angeht, was uns alle so angeht, daß wir uns dafür interessieren müssen in unserem ganzen Verhalten. Es ist so, daß bis dahin eigentlich - fassen wir das nur ganz scharf ins Auge - die anthroposophische

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Bewegung eine Weltenströmung war. Eine geistige Weltenströmung ist eben etwas Geistiges. Etwas Geistiges, das geht seinen Weg. Es mögen sich Cliquen bilden, es mögen sich noch so verwerfliche kleine Zusammenrottungen bilden, die persönliche und was weiß ich welche Interessen noch haben, selbst über einen solchen Un-«Rat» wie den Max Seiling kann eine geistige Bewegung hinweggehen. Man muß es ja natürlich in dieser oder jener Weise richtig behandeln, aber so lange es sich um eine bloß geistige Bewegung handelt, kann darüber hinweggegangen werden. Aber nun haben wir doch drei Dinge herausgebildet aus dieser geistigen Bewegung.

Das erste war dasjenige, was sich an meinen Aufruf vom vorigen Jahr angeschlossen hat. Das ist übergegangen in die ja heute noch fragwürdige Dreigliederungsbewegung, in den Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus, der eigentlich dasjenige, was gewollt worden ist, bis jetzt auch nicht in annähernder Weise hat erreichen können. Denn das, was mit dem Aufruf gemeint war, ist ja in einem gewissen Sinne abgelehnt worden, und es wäre gut, wenn ein vollständiges Bewußtsein davon vorhanden wäre, daß ,es abgelehnt worden ist, daß das wenigste davon erfüllt ist, was mit diesem Aufruf gemeint war.

Ich bin dadurch selbstverständlich zu manchem genötigt. Als zum Beispiel in Dornach die Idee auftrat, man solle einen weiteren Aufruf machen, der im internationalen Leben klarmachen würde, was Dorn- ach der Welt bedeutet, da mußte ich den Freunden klarmachen: Ja, draußen im gewöhnlichen Leben, das aber jetzt seinem Zusammenbruche entgegengeht, da ist man gewöhnt, Aufruf an Aufruf, Programm an Programm herauszusetzen. Das kann man nicht aus der anthroposophischen Bewegung heraus. Da handelt es sich darum, einzusehen, daß es in einer gewissen Weise im höchsten Grade ungesund ist, wenn irgend etwas gemacht wird, was nicht gelingt. Da handelt es sich darum, daß man tatsächlich in der allerpräzisesten Weise die Chancen des Gelingens ins Auge faßt, daß man nicht bloß das, was einem gerade einfällt, tut, sondern daß man nur das tut, was gelingen kann. Deshalb sagte ich dazumal das Wort, das wichtig ist und das ich bitte zu erwägen: Es wird mir nicht einfallen, in einer ähnlichen Weise wiederum einen Aufruf zu machen, denn ein zweites Mal darf nicht

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mit einem Aufruf dasselbe geschehen, was mit dem ersten geschehen ist. - Ich konnte hier noch geschehen lassen den Kulturratsaufruf, der nicht von mir selbst gemacht worden ist, aber man muß sich klar sein, daß die Dinge anfangen, ungeheuer viel ernster zu sein, als der Mensch heute geneigt ist, sie aufzufassen, wenn etwas wie die anthroposophische Bewegung im Hintergrunde ist.

Nun haben wir drei Dinge gewissermaßen herausgebildet aus der anthroposophischen Bewegung, von denen jedes etwas ganz anderes darstellt: Die Dreigliederung aus jenem Aufruf - wir müssen daran arbeiten, denn sie wird zum Teil abgelehnt; das zweite Glied ist die Waldorfschule; das dritte die finanzielle, kommerzielle, industrielle Unternehmung «Der Kommende Tag».

Nun bin ich in früheren Zeiten, als wir nur die anthroposophische Bewegung hatten - ich spreche heute nur von Stuttgart -, hierher- gekommen nach Stuttgart, da war ich ja vielleicht drei bis vier Tage da, aber Sie wissen, mit wievielen Menschen ich immer einzeln sprechen konnte. Das alles waren Dinge, die, wie jetzt der Erfolg zeigt, von einer gewissen Bedeutung waren. Es war nicht bedeutungslos, daß dasjenige, was sich mittlerweile ereignet hatte - man wird mich verstehen, wenn man mich verstehen will -, in solchen Unterredungen mit einzelnen Persönlichkeiten wiederum zurechtgerückt werden konnte. Dann konnte die Sache wieder fortgehen bis zum nächsten Mal. Nun, so wie die Sachen unmittelbar stehen, hat man eigentlich jetzt, nachdem sich diese äußeren Dinge herausgebildet haben, mit Sitzungen vom Morgen bis zum Abend, ja bis in die Nacht hinein zu tun, und es kann nicht die Rede sein davon, jene alten Gewohnheiten fortzusetzen, die da waren, als wir noch eine anthroposophische Bewegung waren. Von alledem empfinden sehr viele nichts anderes, als daß es eine Unannehmlichkeit sei, daß es nicht mehr ist wie früher. Es ist aber notwendig, auf den ganzen Umschwung hinzuschauen und sich wirklich zu sagen: Es ist etwas anders geworden seit dem Frühling des vorigen Jahres, und dem muß Rechnung getragen werden.

Nun wird es ja nicht so bleiben können, wie es jetzt ist, aber daß es nicht so bleiben kann, dazu muß mitgearbeitet werden. So kann es aus

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dem Grunde nicht bleiben, weil alles das, was geschieht, sei es für die Waldorfschule, sei es für den Dreigliederungsbund, sei es für den «Kommenden Tag», ja auf der Grundlage der geistigen Arbeit entsteht. Ohne die geistige Arbeit, die geleistet worden ist und weiter geleistet werden muß, hat ja das alles keinen Sinn. Diese geistige Arbeit muß dem Ganzen Konfiguration, muß dem Ganzen Kraft und Inhalt geben. Wenn wir dazu kommen, wozu wir kommen würden, wenn die Sache so weitergehen würde, so wäre die Folge, daß die jetzigen Einrichtungen die ursprüngliche geistige Bewegung auffressen würden; da entziehen wir der Sache ihre ursprünglichen Grundlagen. Es darf das, was herauswächst aus der anthroposophischen Bewegung, nicht auffressen diese anthroposophische Bewegung selbst.

Sie sehen, ich muß sehr ernste Dinge heute besprechen, und es werden mich einige wenigstens verstehen. Aber die Sache kann nicht anders werden, wenn wir nicht das eine Realität sein lassen, daß eben anthroposophisch wirklich viele Jahre, jahrzehntelang gearbeitet worden ist. Diese Arbeit muß eine Realität sein.

Nun bitte ich Sie, zu dem hinzuzunehmen eines: In der Welt gibt es viel Kampf, aber wo ist eigentlich am meisten Kampf? Er spielt sich nur in einer gewissen Form ab, man merkt es nicht, aber er ist am aller- meisten im geistigen Leben. Und zum Beispiel in dem, was sich anthroposophische Bewegung nennt, da ist ja kein Ende des Kampfes. Als aus den alten Usancen heraus - man mußte anknüpfen an sie, Sie wissen ja warum - unsere Bewegung sich gestaltete, das heißt, viele von den Leuten mit den alten theosophischen Gewohnheiten sich anschlossen an unsere Bewegung, hatte ich die Empfindung, daß ein Herr, der damals ein ganz besonders heftiger Verteidiger gerade unserer Richtung war, sehr bald mit allen möglichen andern Leuten streiten werde; denn der Kampf ist etwas, was sich da gerade furchtbar herausbildet. Ja, ich habe sogar immer betont: Der Herr, der so ein ganz waschechter Theosoph ist, er wird nicht nur mit andern Leuten streiten, sondern seine linke und seine rechte Hälfte werden in einen furchtbaren Kampf kommen. Man wird erleben, daß die linke Seite dieser Persönlichkeit mit der rechten in der furchtbarsten Weise zankt.

Es muß eben selbstverständlich der andere Pol entwickelt werden,

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der Pol, der die fortwährend vorhandenen, aus dem Wesen jeder geistigen Bewegung entstehenden Kämpfe - weil jede geistige Bewegung auf die Individualität hinarbeitet - überwinden muß. Es muß der andere Pol vorhanden sein, der Pol der Menschenverständigung, der Pol, der darin besteht, daß man in den Menschen eindringen kann, daß man in die Lebensimpulse eines andern Menschen sich vertiefen kann und so weiter. Es muß möglich sein, daß dasjenige, was wir jetzt als Dreigliederungsarbeit, was wir als «Kommender Tag», was wir als Waldorfschule treiben, getragen wird von einer guten, moralischen Grundlage unserer anthroposophischen Bewegung hier in Stuttgart, von derjenigen moralischen Grundlage, die erarbeitet worden ist seit Jahrzehnten, oder wenigstens erarbeitet werden sollte. Davon muß es getragen sein, denn nur so kommen wir weiter und können uns wiederum ein Gleichgewicht zurückerobern zwischen dem Leben in Sitzungen und dem notwendigen geistigen Arbeiten, das doch die Grundlage bilden muß. Aber wir kommen natürlich nicht dazu, wenn fortwährend solche Dinge sich abspielen hier wie etwa, daß man gesagt bekommt: Da ist wiederum etwas Schreckliches geschehen, da ist ein Mensch, der stänkert fortwährend, der ist schädlich für alle übrigen. - Das mag sein, das kann richtig sein. Aber mir ist es bis jetzt, trotzdem mir solche Dinge während meiner jetzigen Anwesenheit unzählige Male entgegengetreten sind, nicht gelungen, eine solche Sache so weit zu verfolgen, daß, wenn ich zu dem zweiten gekommen bin, er mir dasselbe gesagt hätte wie der erste. Und beim fünften, sechsten wurde es schon das Gegenteil von dem, was mir der erste verkündet hatte. Ja, ich erzähle nur Tatsachen. Ich will keine Kritik üben, ich will nicht tadeln oder loben, wirklich auch das erstere nicht, aber es ist so. Dasjenige aber, was notwendig ist, daß es gerade auf anthroposophischem Boden sich entwickele - ich habe es ja öfter ausgeführt -, ist ein absolutes, treffsicheres Wahrheitsgefühl. Es ist sehr schwierig, in all diesen Dingen weiter zu arbeiten, wenn nicht die Grundlage da ist von Wahrheit, von unmittelbar wirklicher Wahrheit. Ist diese Grundlage von wirklicher Wahrheit da, dann muß es doch so sein, daß, wenn irgend etwas an einen herantritt und man verfolgt es noch bei dem fünften oder sechsten, es sich noch in derselben Weise darstellt. Aber ich erlebe, daß mir

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etwas, was «furchtbar» ist, mitgeteilt wird und jeder, den ich frage, etwas anderes sagt. Ich kann ja selbstverständlich nicht die Dinge, die ich von andern Quellen her weiß, im äußeren Leben anwenden; das habe ich oftmals ausgeführt. Darum handelt es sich nicht, ob ich die Sache weiß oder nicht, ob das richtig sei oder nicht, sondern darum handelt es sich, ob der erste dasselbe sagt wie der sechste, siebente; nicht um mein Wissen handelt es sich. Ich lasse mir in der Regel keine Illusionen vormachen und frage auch gar nicht darum irgend jemand, sondern um ganz anderer Gründe willen. Mich interessiert gewöhnlich gar nicht sehr stark, was mir mitgeteilt wird, aber es handelt sich jetzt darum, daß ich hinschauen kann auf das, was der erste und was der siebente sagt, und da stellt sich sehr häufig heraus, daß der eine etwas sagt, und beim siebenten ist es eben das Gegenteil. Nun glaube ich, folgt mit einer gewissen Evidenz daraus etwas: daß eines davon nicht wahr ist. Das scheint mir doch daraus zu folgen.

Ja, im äußeren physischen Leben, das ja jetzt gerade deshalb dem Niedergang entgegengeht, hat man immer nicht bemerken wollen die Funktion, die einschneidende Bedeutung der Unwahrheit. Auch wenn sie nicht beabsichtigt ist, wirkt die Unwahrheit doch zerstörend. Auf dem Boden, auf dem anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft steht, müßte man unter allen Umständen einsehen: Das, was im physischen Leben eine zerstörende Bombe ist, das ist im Geistigen eine Unwahrheit. Sie ist eine zerstörende Kraft, ein zerstörendes Instrument, und zwar ein ganz real zerstörendes Instrument. Es würde tatsächlich wiederum möglich sein, trotz der vielen Gründungen zu großer fruchtbarer Arbeit zu kommen auch auf geistigem Gebiete, wenn man diesen Dingen einige Aufmerksamkeit zuwenden würde, aber eine sachliche Aufmerksamkeit, nicht eine persönliche Aufmerksamkeit.

Sie wissen, es ist nicht meine Art, Philippiken zu halten; Moralpauken zu halten ist ja nicht meine Art. Aber ich muß Tatsachen, die mir insbesondere jetzt stark entgegengetreten sind, wirklich einmal zur Sprache bringen, weil wir in einer ernsten Lage drinnenstehen. Wir stehen vor Unternehmungen, die nicht mißlingen dürfen, die gelingen müssen, bei denen gar keine Rede davon sein kann, daß sie irgendwie mißlingen, von denen wir heute sagen müssen: sie werden gelingen.

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Aber daß sie nicht die ursprüngliche anthroposophische Bewegung auf- fressen, das hängt davon ab, daß ein jeder wirklich mitarbeitet daran, daß das, was sich moralisch ergeben sollte aus der jahrzehntelangen Arbeit, wirklich da sei. Dazu muß jeder mitarbeiten. Das ist schon einmal notwendig, daß dazu jeder mitarbeitet.

Mir tut es im Herzen weh, daß ich fast keinen der Wünsche befriedigen kann, die jetzt so zahlreich an mich herantreten. Aber ich muß immer die Freunde abweisen, weil ja einfach die Zeit sich nicht verdoppeln läßt und nicht bloß vom Morgen zum Abend, sondern in die Nächte hinein Sitzungen sind. Man kann nicht zu gleicher Zeit mit einzelnen Menschen sprechen selbstverständlich. Aber wenn nicht - die Dinge hängen zusammen - durch eine Besinnung im weitesten Kreise unserer Mitarbeiterschaft diese Dinge weggenommen werden, die so hineinspielen in alles Leben hier und die eben charakterisiert sind mit dem, was ich eben jetzt charakterisiert habe, wenn diese Dinge nicht durch Insichgehen jedes einzelnen gerade heute an diesem Orte aus der Welt geschaffen werden, so ist es gar nicht möglich, daß man die Zeit findet, um die wirklich grundlegende geistige Arbeit zu leisten. Dasjenige, wozu Anthroposophie geführt hat, das wird gelingen. Aber wenn in gewissen Dingen nicht Anderungen eintreten, dann wird es die ursprüngliche geistige Bewegung auffressen und dann würde man durch den Willen der sogenannten Träger dieser geistigen Bewegung einen neuen Materialismus haben, indem eben die geistige Bewegung, die zugrunde liegt, zum Abtreiben gebracht worden ist. Der Geist will gepflegt sein, wenn er nicht zum Absterben kommen soll. Und der Materialismus besteht nicht durch sich selber etwa, den Materialismus kann man nicht begründen, geradesowenig wie man einen Leichnam macht. Ein Leichnam entsteht, wenn der Organismus von der Seele verlassen wird. So auch kann alles dasjenige, was hier aus geistigen Grundlagen, aus Beseeltem heraus geschaffen wird, ein bloß Materielles werden, wenn nicht die Neigung dazu da ist, das Geistige nun wirklich zu pflegen. Dazu ist aber notwendig, daß vor allen Dingen die moralische Grundlage, die ethische Grundlage, die hat erarbeitet werden können, aufmerksam ins Auge gefaßt wird. Vor allen Dingen muß aufmerksam ins Auge gefaßt werden, daß man sich nicht Illusionen hin

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gibt, daß man sich nicht mit Beurteilungen zufrieden gibt, die einem bequem sind, sondern daß man rücksichtslos auf das Leben hinschaut.

Es ist wirklich sehr schlimm, wenn man zum Beispiel sagt: Dreigliederung ist ein schönes Ding, dem muß man anhängen, und weil man sich dann so wohl fühlt, sagt man: Ich gründe jetzt etwas, das ist ganz im Sinne der Dreigliederung; da bin ich dann ein braver Mensch. Ich kann mich als ein so braver Mensch fühlen, wenn ich etwas gründe, was ein Kern der Dreigliederung ist. - Moralisch sich die Finger ablecken vor lauter innerer Wollust, das kann man, wenn man so etwas macht, aber Wirklichkeitssinn braucht man deshalb nicht zu haben. Denn die Dreigliederungsidee ist gerade deshalb eine so wirklichkeitsgemäße Idee, weil man suchen muß, sie mit allen Kräften in die Wirklichkeit umzusetzen. Aber sie ist wegen des unwirklichkeitsgemäßen Geistes in manchem so widerstrebend, daß sie vor allen Dingen erst in eine genügend große Anzahl von Köpfen hinein muß. Man muß den nötigen Wirklichkeitssinn und praktischen Sinn haben.

Vor acht Tagen mußte ich hier reden über die Konsequenzen der Dreigliederung für die Bewirtschaftung von Grund und Boden. Ich habe gesagt, daß die Dreigliederung selbstverständlich dahin arbeitet, daß der soziale Austausch, die sozialen Verhältnisse für Grund und Boden so sein werden, daß man Grund und Boden nicht kaufen und verkaufen kann wie eine Ware. Das ist etwas, was ganz aus der Realität heraus ist, und das entgegengesetzte Verhältnis ist ein Irreales. Das mußte ich an dem Tage auseinandersetzen, an dem ich hier sogar zu spät gekommen bin, weil wir den ganzen Tag auf dem Lande herum- gefahren sind, um Güter zu kaufen. Man kann sich nicht, wenn man Sinn hat für Wirklichkeit, so auf den Boden der Dreigliederung stellen, daß man sagt: Ich muß doch ein guter Mensch sein; ich bilde einen Kern der Dreigliederung. - Nein, man muß ohne Illusionen sich dem hingeben, daß es unmöglich ist, heute für die Dreigliederung in gewisser Beziehung anders zu arbeiten, gerade das zu arbeiten, was das Wichtigste ist, wenn man nicht herausarbeitet aus der unmittelbaren Gegenwart.

Nicht darum handelt es sich, daß man sich die Finger moralisch ableckt, um zu sagen, man ist Anhänger einer Idee. Dadurch wird sie

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unfruchtbar und abstrakt. Es handelt sich aber darum, daß man die Wirklichkeit durchschaut, daß man das Notwendige erkennt. Das ist der Unterschied zwischen Utopisten, Dogmatikern und den Praktikern, daß allerdings der Praktiker in der Idee so weit geht, als irgend gegangen werden kann, daß er aber nicht in irgendeinem Weltfremden lebt bloß aus innerer Wollust, sondern daß er die Wirklichkeit an faßt. Illusionen geben wir uns wirklich nur aus innerer Wollust heraus hin. Das muß eingesehen werden. Und vieles andere noch muß eingesehen werden, was in dieser Richtung liegt. Und ich konnte nicht umhin, trotzdem mancherlei auch für diese Stunde vorgelegen hätte, als diese Stunde noch zu benützen vor meiner Abreise, um gerade auf so manches hinzuweisen, was mir in der mannigfaltigsten Weise so en passant gezeigt worden ist, das aber hineinbrandet in die fruchtbringende Tätigkeit. Die leidet vor allen Dingen dadurch, daß es eigentlich immer notwendig wird, endlose Debatten über Dinge zu führen, die in einer halben Stunde abgetan sein könnten, weil immer sich Dinge hinein- mischen, die eigentlich gar nicht da sein sollten. Wenn man heute gewöhnt ist an gesundes Denken - und daran muß man sich gewöhnen, wenn man die Geisteswissenschaft zustande bringen will, die hier vorgetragen wird -, und wenn man dann versetzt wird, ich rede da nicht Theorien, inmitten desjenigen, was heute im Geschäftsleben in der sogenannten Praxis vor sich geht, so läßt sich das eigentlich am besten so charakterisieren, daß man soviel als möglich die Zeit tottritt, die Zeit verschwendet. Denn es gibt heute Praktiker, die sich rühmen, den ganzen Tag zu tun zu haben. Wenn sie nicht die Zeit verschwenden würden, könnte ihre vielleicht zehnstündige Arbeit in einer Stunde reichlich gemacht werden. Zeit totgetreten wird gerade im heutigen sogenannten praktischen Leben. Und man erzeugt dadurch, daß die Zeit totgetreten wird, ein Auseinanderzerren der Gedanken. Man hat eigentlich das Gefühl, wenn man heute in diesen Betrieb des sogenannten praktischen Lebens hineinkommt, daß man sich fortwährend in einer Nudelfabrik glaubt, wo die Gedanken, die konzentriert da sein sollten, wie der Strudelteig oder Nudelteig auseinandergezogen werden, wo alles breit auseinandergezogen wird. Es ist entsetzlich, diesen auseinandergezogenen Gedanken zu begegnen, die heute als Lebenspraxis

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kultiviert werden. Wenn man mit diesen Gedanken die Welt durchschauen will, diejenigen Dinge durchschauen will, von denen ich heute gesprochen habe, um eine Einleitung zu geben, dann würde man niemals zu irgend etwas kommen. Denn dieses ganze strudelteigige Denken ist eben aus dem Totschlagen der Zeit entstanden, indem dasjenige, was konzentriert sein sollte und nur dann als Gedanken wirken könnte, auseinandergezogen nichts mehr ist. Denn das, was in einer gewissen Dichtigkeit seine Funktionen vollzieht, taugt natürlich nichts mehr, wenn es dünn und schleißig wird. Und so taugt vieles von dem, was in der neueren Wirtschaft figuriert, ganz und gar nicht dazu, irgendwie die Welt weiterzubringen. Das würde gerade unsere Aufgabe sein, auch in bezug auf das praktische Leben zu einem wiederum kompendiösen Denken zu kommen, und nicht die Zeit totzuschlagen. Aber heute muß noch die Zeit totgeschlagen werden, wenn die anthroposophische Bewegung, die gerade hinter unseren Unternehmungen steht, nicht ist, was sie sein müßte: Eine durch und durch wahre Bewegung, in der dasjenige, was lügenhaft ist, sich selber ausscheidet, weil man es nicht darin brauchen kann, weil es sich gleich offenbaren wird.

Das ist dasjenige, was ich, ohne irgend jemand zu meinen - ich bitte, nicht wieder zu erzählen, ich habe das oder jenes treffen wollen -, Ihnen heute sagen wollte. Ich wollte allgemeine Tatbestände charakterisieren, ich habe sie charakterisieren müssen, denn wir stehen heute vor ernsten Weltsituationen, und im Grunde genommen spielt sich wirklich in dem, was hier unter uns in Stuttgart vorgeht, das ab, was an Ernst in der ganzen Zivilisation drinnen ist. Und wir könnten an dem, was zwischen uns spukt, manches lernen über das, was in der ganzen Welt spukt.

Es war nicht bös gemeint. Es sollte auch keine philiströse Philippika sein, keine Kanzelrede, sondern eine Besprechung desjenigen, was mir eigentlich erst indirekt in den letzten vierzehn Tagen immer wieder und wiederum vor Augen und vor die Seele getreten ist.

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SECHSTER VORTRAG Stuttgart, 25.Juli 1920

Durch die Betrachtungen, die auch von dieser Stelle hier in der letzten Zeit angestellt worden sind, ging ja ein Grundton. Immer wieder wurde ausgegangen von der Notwendigkeit, den Ernst der Zeit ins Auge zu fassen, wenn an die Aufgaben, an die Absichten, die mit unserer anthroposophischen Bewegung verbunden sind, gedacht werden soll. Diesem Grundton war dann in einer gewissen Weise angemessen, was in diesen Betrachtungen mitgeteilt worden ist und was auch eine Stütze sein soll, um diesen Grundton immer mehr und mehr in einer größeren Zahl unserer Mitglieder als Seelenempfindung zu entwickeln. In dieser Art wollen wir auch fortfahren, und da möchte ich vor allen Dingen heute auf etwas hinweisen, was uns gewissermaßen innerlich hineinstellen kann in die anthroposophisch orientierte geisteswissenschaftliche Bewegung,

Wie faßt man denn gewöhnlich aus den ganzen EntwickelungsStrömungen der abendländischen Kultur - der ja heute, wie Sie wissen, durch das Buch von Oswald Spengler sogar wissenschaftlich der Untergang bewiesen wird -, wie faßt man denn innerhalb dieser abendländischen Kultur, gleichgültig ob man es mehr oder weniger zugibt oder nicht, Erkenntnis auf? Gerade diejenigen, die sich einbilden, so recht praktisch im Leben drinnenzustehen, fassen ja heute Erkenntnis auf als Theorie und nicht als wirkliche Tat der Menschenseele. Und darauf kommt es heute gerade an, daß wir uns durchringen, Erkenntnis auf- fassen zu können als Tat der Menschenseele, so auffassen zu können, daß wir, indem wir erkennen, nicht irgendeine Theorie, eine Anschauung nur im Auge haben, sondern daß wir etwas im Auge haben, was willensdurchtränkte Tat im ganzen Zusammenhang der Erden- und Menschheitsentwickelung ist.

Ich möchte zunächst mehr methodisch an einer Tatsache der geistigen Welt klarmachen, was zu verstehen ist unter Erkenntnis als Tat. Ich habe ja öfter auf zwei entgegengesetzte Strömungen im Leben der menschlichen Seele hingewiesen. Die eine Strömung ist die abstrakt

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mystische Strömung, die andere ist die abstrakt-materialistische Strömung. Die abstrakt-materialistische Strömung ist diejenige, welche heraufgezogen ist im Laufe der letzten drei bis vier Jahrhunderte aus der Entwickelung der Naturwissenschaft heraus und im Grunde alle diejenigen Kreise ergriffen hat, die heute für den Fortgang der Menschheitsentwickelung in Betracht kommen. Es kommen ja für den wirklichen Fortgang der Menschheitsentwickelung kaum die traditionellen Religionsbekenntnisse, so wie sie offiziell vertreten werden, heute noch in Betracht. Für die Förderung des weiteren Unterganges der abendländischen Kultur würden diese traditionellen Religionsbekenntnisse, so wie sie offiziell vertreten werden, allerdings in Betracht kommen.

Also, wenn es sich zum Beispiel darum handeln würde, daß die Spenglersche Idee von dem Untergang des Abendlandes sich wirklich realisieren sollte, dann würden mitarbeiten können die traditionellen Religionsbekenntnisse, so wie sie offiziell vertreten werden von den Jesuiten, von den positiv Evangelischen und so weiter; nicht aber würden sie in Betracht kommen für dasjenige, was fortschreitet. Es ist, wie ich ja öfter bemerkt habe, selbst bei denjenigen, die es gar nicht wissen, die materialistische Strömung heute deutlich bemerkbar. Es ist das ja wohl das Charakteristische, und wir müssen uns immer daran erinnern, daß sogar die theosophische Weltanschauung, als sie unter diesem Namen «theosophische Weltanschauung» auftrat, in gewissen Kreisen von Materialismus befallen war. Denn was waren schließlich die Schilderungen vom Atherleib und Astralleib des Menschen von seiten dieser Kreise, die immer wieder auf den Ather- und Astralleib als bloße Verdünnungen von Materie hinwiesen und die sich nur irgendwelchen Nebel darunter vorstellten, was waren sie denn anderes als maskierter, spirituell maskierter Materialismus? Am meisten spirituell maskierter Materialismus ist natürlich der Spiritismus, der zwar vom Geiste spricht, aber nichts anderes will, als den Geist in materieller Form beweisen, in materieller Form vorstellen. Alles das, was durch die populäre Literatur, vor allen Dingen durch unsere populären Bücher und Zeitungen, welche in allen möglichen Artikeln die Leute unterrichten von dem, was «richtig» ist, alles, was so unter die Menschen kommt, ganz gleichgültig ob von katholischer oder von evangelischer Seite, das

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ist vom Materialismus durch fressen. Dieser Materialismus ist etwas, das auf der einen Seite zusammenhängt mit der fortschreitenden Kultur. Man hat ihn daher zu berücksichtigen, indem man sich positiv damit beschäftigt. Was historisch traditionell ist wie die Religionsbekenntnisse, das muß natürlich, wenn es Angreifer des Neuen wird, dieses Neue in der intensivsten Weise bekämpfen; aber das ist nicht etwas, womit sich das Gegenwartsvorstellen ernsthaft zu befassen hat, denn es ist etwas, was sich in absteigender Richtung bewegt. Dagegen ist der Materialismus etwas, was - selbstverständlich in materialistischer Färbung, in materialistischer Interpretation - doch eben das hervorbringt, was man in der Gegenwart wissen muß. Man muß wissen, wenn man mitarbeiten will an den Fortschritten des geistigen Lebens, was die materialistische Anatomie, die materialistische Physiologie, die materialistische Biologie, was die Soziologie in der Gegenwart zutage fördert, man muß drinnenstehen in demjenigen, was auf diesem Weg gewußt werden kann, und man muß gerade aus diesem Wissen heraus die Kraft gewinnen, das materialistische Wissen, die materialistische Denk- und Vorstellungsweise umzuwandeln in ein spirituelles Wissen. Es ist also wertvoll innerhalb der heutigen Gegenwart, sich auseinanderzusetzen mit demjenigen, was der Materialismus als Inhalt enthält. Man kann heute nicht in dem Sinn, wie es sich manche denken, sagen wir, die katholische Philosophie des Mittelalters umwandeln. Nur so, wie ich es in Dornach gezeigt habe mit der Thomistik, kann man sie umwandeln, doch da wandelt sie sich selber um. Man kann aber den Materialismus metamorphosieren in spirituelles inneres Seelenleben. Daher ist es ganz unbegründet, wenn von Anthroposophen verachtet wird dasjenige, was der Materialismus hervorbringt. Mit dem muß gerechnet werden. Man kann nicht aus dem blauen Dunst heraus Anthroposophie entwickeln, sondern man muß sie entwickeln im lebendigen Drinnenstehen im gegenwärtigen Leben, und dieses Leben ist eben zunächst das materialistische Leben.

Nun muß man in dem Augenblick, wo man im Sinn des wirklichen Menschheitsfortschrittes den Materialismus empfinden will, eine Grundempfindung in sich entwickeln, gerade jene Grundempfindung, welche weiteste Kreise in unserer Gegenwart, namentlich die gegenwärtigen

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Gelehrtenkreise, gar nicht entwickeln. Es ist die Empfindung, daß alles dasjenige, was uns zunächst in der Wahrnehmungswelt umgibt, was unsere Augen sehen, was unsere Ohren hören und so weiter, nicht eine Realität ist und daß darinnen gar nicht die Realität gesucht werden darf, daß es also grundfalsch ist, wenn man innerhalb dieser äußeren Wahrnehmungswelt Atome und Moleküle sucht als Realitäten, auch in dem Sinne, daß sie Denkmünzen sein sollen. Darauf sind ja manche Vertreter der Wissenschaft besonders stolz, daß sie sagen, sie nehmen gar nicht in den Atomen und Molekülen eine Realität an, sondern nur Gedankenformen, gewissermaßen Gedankenpunkte, die im Raume sind. Aber darauf kommt es nicht an, ob man materielle Punkte oder solche Gedankenpunkte in den Atomen annimmt, sondern darauf, ob man ausgeht von einem lebendigen Erfassen geistiger Wesenheiten, oder ob man dieses lebendige Erfassen perhorresziert und ausgeht von dem, was man nur in der materiellen Welt gewinnt. Und das gilt, auch als Punktkräfte, von den Atomen. Sobald man ausgeht von atomistischen Vorstellungen, steckt man schon in einem in den Untergang hineinführenden Materialismus darinnen. Zurecht kommt man mit der Wahrnehmungswelt nur, wenn man sie als Phänomen, als Erscheinungswelt auffaßt. Was uns durch die Sinne entgegentritt, ist etwas, worinnen die Materie gar nicht ist. Also die Empfindung müssen wir in uns entwickeln - und wir können sie entwickeln durch die Ergebnisse, die niedergelegt sind in unserer anthroposophischen Literatur -, daß wir, wenn wir hinausschauen durch unsere Augen und den gesamten Sternenhiinmel erblicken, die Wolkenkonfiguration erblicken, die Inhalte der drei Reiche, des Mineralischen, Pflanzlichen und Tierischen, aber auch des vierten Reiches, des Menschenreiches erblicken, daß wir in alledem, was wir so wahrnehmungsgemäß an uns herantreten finden, nicht suchen dürfen irgend etwas von Materie. Dahinter steckt keine Materie! Das sind durchaus solche Erscheinungen, solche Phänomene, wie zum Beispiel der Regenbogen selbst, wenn sie auch sonst derber auftreten als dieser Regenbogen. So wie niemand den Regenbogen als irgendeine äußere Realität - als eine wirkliche Brücke meinetwegen, die da gespannt ist in sieben Farben - anschauen soll, sondern als ein Phänomen, als eine Erscheinung, so soll jeder dasjenige, was ihm äußerlich

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entgegentritt durch die Sinne, als ein Phänomen, als eine Erscheinung auffassen, wenn es auch noch so derb auftritt. Auch beim Quarzkristall, wenn wir ihn auch greifen können - beim Regenbogen würden wir ja durchgreifen -, wenn auch der Gefühlssinn dabei affiziert ist, so müssen wir doch auch beim Quarzkristall nur sprechen von einem Phänomen; wir dürfen nicht hineinphantasieren irgendeine materielle Realität, gleichgültig wie es sich auch die heute auf Abwegen wandelnde Naturanschauung vorstellt. Also was wir als «materielle» Erscheinungen vorfinden, sind gar keine materiellen Erscheinungen, ist gar keine Materie in Wirklichkeit. Das sind eben nur Erscheinungen; sie sind das, was kommt und geht aus einer andern Wirklichkeit heraus, die wir nicht fassen, wenn wir sie uns nicht geistig denken können. Das ist die eine Empfindung, die wir entwickeln müssen: nicht die Materie in der äußeren Welt zu suchen!

Daher verfehlen das wirkliche Ziel anthroposophischer Entwickelung gerade diejenigen am allermeisten, die die äußere Materialität verachten, die sagen: Ach, das, was man äußerlich wahrnimmt, ist ja nur Materie, darüber muß man sich erheben! - Das ist eben gerade falsch. Gerade dasjenige, was wir äußerlich wahrnehmen, ist nicht materiell, darin können wir die Materie gar nicht suchen. Wir finden in der Welt, die auf uns Eindrücke macht durch unsere Sinne, eben gar nicht Materie. Das geht Ihnen aus dem hervor, wenn Sie in rechtem Geiste das lesen, was in unserer anthroposophisch orientierten Literatur niedergelegt ist.

Und dann müssen Sie diese Empfindung weiter ausbilden. Da kommt man dann auf Punkte, die dem gegenwärtigen Menschen recht unbequem sind, weil sie hart an das heranstreifen, was man die Erlebnisse beim Hüter der Schwelle nennt. Unbequeme Erlebnisse sind das; aber ohne daß man an sie herantritt, wird man nicht weiterkommen in der inneren Entwickelung. Man muß die Unbequemlichkeit auf sich nehmen, aus dem Theoretischen heraus- und ins Reale hineinzukommen. Erkenntnis muß gewissermaßen mit den Tatsachen rechnen. Wer die Anschauung hat, daß innerhalb der Welt, die wir die materielle nennen, Materie zu finden sei - mancher wird schon glauben, weil man sagt «Materie>, so ist es Materie; mit solcher Wortweisheit geht man heute

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handeln -, wer also sagt, innerhalb der Wahrnehmungswelt sei Materie zu finden, der begeht nicht bloß einen theoretischen Irrtum. Und wer meint, damit sei alles getan, daß man sagt: Falsch ist es, innerhalb der Wahrnehmungswelt Materie zu suchen -, der steht auch noch nicht in der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft darinnen; denn die bloße Korrektur einer theoretischen Anschauung ist noch nicht Geisteswissenschaft. Geisteswissenschaft muß die Erkenntnis als Tat nehmen, Geisteswissenschaft muß mit dem Willen durchdrungenes Erkennen sein, muß also in Realitäten hineingehen, schon wenn sie ihre Definitionen, ihre Erklärungen gibt. Und da wird die Sache unbequem.Es ist leicht, wenn man sagt: Du hast die falsche Ansicht, daß innerhalb der äußeren Wahrnehmungswelt Materie zu finden sei; also korrigiere deine Ansicht! - Ja, das ist theoretisches Herumreden. Theorien annehmen, Theorien bekämpfen, sie richtigstellen, ist einfach theoretisches Herumreden, ist etwas, womit Geisteswissenschaft in Wirklichkeit nicht befriedigt sein darf; sondern es handelt sich darum, daß man in der Empfindung vorschreitet dazu, daß derjenige, der hängen- bleibt an der materialistischen Vorstellung dem Materiellen gegenüber, in seinem ganzen Organismus ungesund ist. Man muß von der bloßen logischen Bezeichnung als unrichtig zu einer Bezeichnung übergehen, welche ins Wirkliche hineinfaßt, also in die Konstitution des Menschen hineinfaßt. Man muß überzeugt werden, daß es nicht bloß logisch unrichtig ist, zu sagen, in der Wahrnehmungswelt trete uns Materie entgegen, sondern daß derjenige, der in der Wahrnehmung Materie sieht, wirklich auf dem Weg zum konstitutionellen Schwachsinn ist, daß es also eine Krankheit ist, in dem angedeuteten Sinne Materialist zu sein.

Da will man mit seinem Vorstellen die Wirklichkeit erfassen. So lange man im Theoretischen bleibt, erfaßt man sie nicht. Und da setzt jeder voraus: Nun, man muß nur gut belehrt werden, dann kann man sich umstellen. - Geisteswissenschaft setzt aber überall die lebendige Entwickelung voraus, setzt voraus, daß man sich gesund macht, wenn man materialistisch in dem angedeuteten Sinn ist, weil das Abirren eine Krankheit ist, weil es der Weg ist zum Schwachsinn.

Da werden die Dinge hart herangerückt an dasjenige, was man als Erkenntnisse bekommt in der Begegnung mit dem Hüter der Schwelle.

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Denn wenn man in dieser Begegnung mit dem Hüter der Schwelle eintritt in die Welten, die andere sind als die physische Welt, die dieser physischen Welt etwas Neues hinzufügen, da hört alles Theoretisieren auf, hört alles auf, was im Intellekt nebelt, da beginnt Realität, da wird jedes Wort durchtränkt von Realität. Da kann man nicht mehr davon sprechen: Du behauptest etwas Richtiges oder Unrichtiges -, sondern da muß man sagen: Du behauptest etwas aus krankem oder aus gesundem Geist heraus. - Da kommt man auf Realitäten. Da kann man auch nicht sagen: Du mußt deine Ansicht berichtigen -, sondern da muß man sagen: Du mußt dich, wenn du auf dem Wege zum Kranksem, zum Schwachsinn bist, wiederum zum gesunden Starksinn um- entwickeln. - Sie sehen, es genügt nicht, daß man heute sogenannte Weltanschauungen, die herumnebeln, rektifiziert, korrigiert, sondern es handelt sich tatsächlich, wenn man Geisteswissenschafter werden will, darum, daß man an sich einen realen Prozeß vollzieht und sich nicht begnügt mit etwas Intellektuellem oder Verstandesmäßigem oder Theoretischem. Wir leben heute in einer so ernsten Zeit, daß uns das Krankhafte des verstandesmäßigen Weltbetrachtens ganz lebendig vor die Seele treten muß.

Wir haben versucht, die eine Seite zu skizzieren, haben versucht, vom Wirklichkeitsstandpunkt aus die eine Seite dessen zu charakterisieren, was heute im Kulturleben vorgeht: die materialistische Seite. Die andere Seite, die Polarität dazu, ist das Mystische. Zu diesem Mystischen flüchten ja heute viele Menschen, welche unbefriedigt sind im Materialismus. Sie finden, daß dieser Materialismus etwas ist, was unrichtig ist, also muß man sich zu einer andern Weltanschauung bekennen, muß man auf einem andern Wege suchen, als diejenigen Wege sind, die der Materialismus geht. Dann versuchen die Menschen sich auf dem Wege des Inneren zu entwickeln, vorzudringen zu einem Erfassen des Geistigen. Es ist ja oftmals hier Mystik als eine Geistesströmung geschildert worden, die in ihrer Einseitigkeit selbstverständlich ebenso berechtigt ist, wenn man diese Einseitigkeit durchschaut, wie der Materialismus berechtigt ist, wenn man ihn in seiner Einseitigkeit durchschaut. Es ist die Mystik geschildert worden als eine Art Reaktion gegen dasjenige, was in den letzten Jahrhunderten als Materialismus

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heraufgekommen ist in der amerikanischen und europäischen Zivilisation. Aber es muß das, was wiederholt erwähnt worden ist, erwähnt worden ist auch in dem Schriftchen: «Durch den Geist zur Wirklichkeits-Erkenntnis der Menschenrätsel», das während des Krieges er- schienen und ja auch ins Feld hinausgeschickt worden ist -, es muß diese mystische Strömung genauer ins Auge gefaßt werden, wiederum indem man nicht bloß auf dieses Theoretisieren eingeht, das man gewöhnlich im Auge hat. Wenn von Mystik die Rede ist, meinen die Leute, sie ziehen sich von dem äußeren Leben zurück, vertiefen sich in ihr Inneres und kommen dadurch heran an das Fünklein, von demMeister Eckhart sprach; da offenbart sich, meinen sie, das wahre Geistige, das nicht enthalten sein kann im äußeren Materiellen. Die Mystiker sind aber oft rechte Materialisten. Also auf dem umgekehrten Weg sind gerade die Mystiker zu allermeist schroffe, starke Materialisten. Sie fangen an zu schimpfen, sobald von der materiellen Welt die Rede ist, finden sich zu gut, sich mit ihr zu beschäftigen - das wurde ja oft gesagt -, fühlen sich erhaben über das Materielle. Aber es handelt sich darum, daß man sich nicht bloß theoretisch mit den Dingen befaßt, sondern daß man zur Realität vorschreitet; es handelt sich darum, daß man wiederum das Wirkliche hinter diesem mystischen Streben ins Auge faßt. Es kommt darauf an, einzusehen, was denn eigentlich das Tätige in uns ist, wenn wir Mystiker werden, was da in uns etwas tut, wenn wir Mystiker werden. Sie können das wiederum aus unserer anthroposophisch orientierten Literatur ersehen. Und da müssen wir sagen: Da ist gerade der Boden, auf dem wir die Materie finden! Wir finden das Materielle wirken in uns, wenn wir Mystiker werden. - Selbst der hohe Mystiker, was bringt er denn für Erscheinungen in sich zur Geltung? Dasjenige bringt er in sich zur Geltung, was brodelt und kocht in seinem Stoffwechsel, wenn dieser auch noch so verfeinert ist. Innerhalb der menschlichen Haut entdecken wir die eigentliche Materie, nicht in der Außenwelt, die auf uns Eindrücke macht. Wir entdecken die Materie, wenn wir das, was entzündet wird im Stoffwechsel, in uns aufsteigen lassen. Wenn wir zum Beispiel uns bei Meister Eckhart informieren, wie er so innerlich Gott geschildert hat: da weist er darauf hin, wie er sich sorgfältig zum Bewußtsein gebracht hat, was in seinem

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Stoffwechsel brodelt und kocht, was ihm erschien als nach dem Herzzentrum wirkend und dort sich umwandelnd in das, was wahrnehmbar wird als Fünklein des göttlichen Selbstes im Menschen; dieses ist das Flämmchen, das entzündet wird durch den Stoffwechsel im Herzen.

Da kommen wir auf das eigentliche Wesen des Materiellen, wenn wir Mystik treiben, und wir müssen, so wie man das echte Ergebnis des Goetheanismus in die höhere Weltanschauung erheben muß, so auch uns klar sein, daß die Ergebnisse der Mystik das sind, was man aufzusuchen hat in der Interpretation des materiellen Wirkens. Wir entdecken nicht im chemischen Laboratorium die materiellen Vorgänge. Nein, wenn der Chemiker in seinem Laboratorium arbeitet, dann ist dasjenige, was sich in der Retorte abspielt, nur eine äußere Erscheinung, wie der Regenbogen eine äußere Erscheinung ist. Auch das ist ein Phänomen, da ist nichts von einer wirklichen Materialität. Dasjenige, was wirklich Materialität ist, lernen wir kennen, wenn wir das Brodeln und Kochen unserer inneren, innerhalb der Haut gelegenen Vorgänge sich so entzünden sehen, wie sich die Stearinkerze zur Flamme entzündet. Da ist dasjenige, wohin gedeutet werden muß als auf die Materialität, und wir erfassen die Mystik nur richtig, wenn wir darauf kommen: Alles dasjenige, was die Mystik als solche als innere Erlebnisse hervorbringt in ihrer Einseitigkeit, ist materielle Wirkung, dar- innen kann die echte Materialität gesucht werden. Wir sollen Materie nicht suchen, indem wir die chemischen Prozesse analysieren, wir sollen Materie suchen in jedem Gebilde, das innerhalb der menschlichen Haut seinen komplizierten Chemismus und seine komplizierte Physiologie vollzieht. Durch die Mystik lernen wir das materielle Rätsel lösen. Durch die Mystik lernen wir aber auch nur das materielle Rätsel lösen. Wir dürfen nicht umdeuten die innere Materialität der menschlichen Organisation so etwa in dem Stil, wie wenn wir sagen würden, wenn wir eine Flamme brennen sehen: die kann doch nicht das Ergebnis dessen sein, was in der Kerze ist, sondern in der Kerze steckt ein kleines Geistchen, das ruft die Flamme hervor. - Das ist natürlich Unsinn. Ebenso ist es Unsinn, wenn wir eine geistige Wirklichkeit suchen in dem, was der Mystiker erlebt.

Man muß sich da schon zu einer ganz bestimmtenVorstellung durchringen,

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zu einer Vorstellung, die eine Schwellenwahrheit ist. Mit dem, was in der Mystik erreicht wird, kommt man nicht sehr weit; denn wir stehen da in betäubenden Erscheinungen drinnen, hingegeben an unsere egoistischen Begierden, die sich nur ja nicht als materialistische Vorgänge der eigentlichen inneren Vorgänge schildern lassen möchten. Wir dringen nicht durch in der betäubenden Fülle der Erscheinungen, die uns in der Wahrnehmungswelt umgeben, bis zu der Erkenntnis, daß da eigentlich überall gar keine Materie darinnen ist. Aber überlegen wir uns, was wir eigentlich sehen, wenn wir zum Beispiel einen fernen Planeten oder einen Fixstern ansehen im Weltenraum draußen. Was sehen wir da eigentlich? Ja, was wir um uns herum auf der Erde sehen an grüner Pflanzendecke, an Wolkengebilden, an braungrauem Boden und so weiter, das sehen wir nicht, wenn wir in den Weltenraum hinausblicken und die Sterne sehen; dazu sind die Sterne, selbst der Mond, zu weit entfernt. Aber das, was da draußen ist, was da lebt auf diesen fremden Weltkörpern, das hat überall ein Inneres, hat umgewandelte stoffliche Vorgänge. Dieses, was da in den entsprechenden höchsten Wesen lebt als stoffliche Vorgänge, das sehen wir, wenn wir das Teleskop auf einen Stern richten. Ebenso, wenn der andere Stern, sagen wir der Mond, das Teleskop auf uns richten würde, sähe er dann unsere Pflanzen, Tiere und so weiter? Nein, dazu ist unsere Erde viel zu weit entfernt vom Monde. Aber wenn er sein Teleskop herunterrichtet auf die Erde, dann schaut er Ihnen in den Magen, in das Herz und so weiter. Das ist der Inhalt dessen, was hinausscheint in die Welt. Weil der Mensch unter den verschiedenen Reichen auf der Erde dem höchsten Reiche angehört, deshalb sieht man von auswärts dasjenige, was innerhalb der Menschenhäute vorgeht. Und dasjenige, was von den fernen Sternen aus gesehen werden kann, das wird, wenn es sich innerlich bewußt entzündet, von den Menschen als Mystik erlebt.

Sie sehen also, es muß der ganz ernsthaft der anthroposophischen Weltanschauung Ergebene auch diese zweite ebenso unbequeme Schwellenwahrheit durchdringen: daß es gerade die Mystik ist, die uns die Erdenmaterie kennen lehrt. Wir lernen nicht die einfachste Erdenkraft kennen, wenn wir nur die Außenwelt schauen. Nehmen Sie ein Physikbuch zur Hand. Sie wissen, es wird da von der Gravitation, von der

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Erdenschwere gesprochen; aber es wird stets hinzugefügt, das Wesen der Schwerkraft kenne man natürlich nicht. Man ist sogar recht selbst- gefällig, wenn man auseinandersetzt, das Wesen der Schwerkraft kenne man nicht.

Wie lernt man das Wesen derjenigen Kraft kennen, die die Kreide herunterfallen läßt, wenn man sie losläßt aus der Hand? Die Kraft, die man die Schwerkraft nennt, man lernt sie auf folgende Weise kennen. Man wird in einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens, vielleicht vom dreißigsten Lebensjahre an, vielleicht auch schon früher, das hängt von der liebevollen Führung durch das Schicksal ab, etwas erkennen, wenn man sich selbst im geisteswissenschaftlichen Sinne, nicht in der gewöhnlichen Weise beobachtet - durch die Methoden der Geisteswissenschaft wird man ja etwas eingeführt in die Methoden wahrer Selbstbeobachtung -, also man wird ungefähr mit dem zweiunddreißigsten Lebensjahre etwas kennenlernen. Man wird, wenn man sich nicht so beobachtet, wie es die abstrakten Mystiker tun, sondern wenn man wirkliche Selbstbeobachtung lernt, zu dieser wirklichen Selbstbeobachtung kommen zum Beispiel, daß wenn man, nun sagen wir, vom fünfunddreißigsten bis zum vierzigsten Jahre lebt, man merkt, daß man organisch ein anderer geworden ist. Manche bemerken es daran, daß ihre Haare grau geworden sind; heute kommt es auch vor, daß die Männer in dieser Zeit Glatzen kriegen. Also man ist anders geworden. Aber wenn man nicht die Fähigkeit errungen hat, sich selbst zu beobachten, dann erlebt man dieses Anderswerden nicht, dann erlebt man nicht im inneren Dasein, wie dieses Anderswerden sich abspielt. Man kann es erleben, wenn man das auf sich anwendet, was in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» gesagt ist. Man kann es erfahren etwa vom zweiunddreißigsten Jahre an, wie das sich innerlich erlebt. Und dann lernt man erkennen an der Art und Weise, wie man immer seinen Körper anders tragen muß, wie der Körper schwerer wird. Dann erlebt man innerlich die Schwere, dasjenige, was man Gravitation nennt. Das muß man aber innerlich erleben.

All das Wischiwaschi, das in der Mystik zum Ausdruck kommt, ist nicht so wichtig wie solch eine konkrete Tatsache, wie man selber innerlich in dieser Zeit das Schwererwerden erleben kann. Das Schwerer

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werden können Sie nicht erleben lernen, wenn Sie hier einen Menschen haben und der nun einen Stein fallen läßt. Nicht an dem Fallen des Steines beobachten Sie die Schwere, denn der Stein enthält die wirkliche Materialität nicht. Das müssen Sie in sich selbst beobachten, indem Sie jetzt nicht auf den Raum schauen, sondern auf die Zeit, das heißt auf das, was Sie nacheinander erleben. Man muß übergehen vom räumlichen Erleben zum zeitlichen Erleben. Man muß erst die Selbstbeobachtung machen können. Man muß dasjenige, was in der äußeren Wahrnehmungswelt nimmermehr zu finden ist, durch innerliche Erlebnisse finden. Und diese sind das zweite Element der Wirklichkeit.

Derjenige, der die äußere Wahrnehmungswelt erlebt, was hat er? Er hat bloß Wahrheit, aber keine Wissenschaft. Derjenige, der innerlich erlebt, abstrakt-mystisch erlebt, der hat bloß Wissenschaft, aber keine Wahrheit; denn er täuscht sich selbst über das Grundphänomen des Inneren, weil das innere Erleben die Flammen materieller Vorgänge sind. Derjenige, der in der Außenwelt bloß Materialitäten sucht, interpretiert die Welt im ahrimanischen Sinne; der andere, der bloß die Wahrheit in abstrakt-mystischer Weise in seinem Inneren sucht, interpretiert sie in luziferischer Weise. Dasjenige, was gesucht werden muß als wahre anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft, ist das Gleichgewicht von beiden, ist das Durcheinanderweben von Wahrheit und Wissenschaft. Wir müssen die Wahrheit nach dem einen Pol und die Wissenschaft nach dem andern suchen und uns bewußt werden, wie die lebendigen Wirklichkeiten sich polarisieren, indem wir Wahrheit mit Wissenschaft und Wissenschaft mit Wahrheit durchdringen. Da wird Erkenntnis zu einer Tat, da geht etwas vor. Da wird nicht nur irgend etwas logisch definiert oder berichtigt, sondern da geht etwas vor, wenn der Mensch anstrebt, die Wissenschaft innerlich zu erleben und die Wahrheit äußerlich zu erfassen, und anstrebt, beide gegenseitig zu durchdringen.

Das ist dasjenige, was die Gegenwart begreifen muß. Die Gegenwart muß begreifen, daß der Mensch im Aquilibrium stehen muß zwischen den beiden Extremen, dem ahrimanischen und dem luziferischen. Der Mensch strebt immer nach einer Seite. Deshalb ist jene Trinitätsgruppe in Dornach so, daß das Luziferische oben, das Ahrimanische unten dargestellt

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ist, und der Christus in der Mitte, das Gleichgewicht haltend. Man kann diese Sachen in Ideen darstellen, kann sie bringen bis zum Destillat der Ideen, dann wird es Wahrheit und Wissenschaft. Man kann diese Dinge aber auch künstlerisch darstellen, dann muß man von allen bloßen Ideen absehen, dann muß man in der Linie, in der Form, in der Gestalt suchen, dann wird es eben zum Beispiel die Gruppe der Trinität in Dornach. Aber das Ganze ist von dem Geist durchdrungen.

Einseitig ist die Mystik und einseitig ist auch der Materialismus. Und wissen muß man, daß man beide ineinanderweben muß in lebendigem Tun und daß in diesem lebendigen Tun die tatsächliche Innerlichkeit des Menschen gesucht werden muß. Unsere Zeit will dagegen einseitig mit dem Materialismus sich befreunden und ist dadurch tatsächlich auf dem Wege zum Schwachsinn. Ich habe gezeigt, daß man nicht beim Theoretisieren stehenbleiben darf, sondern daß man wissen muß im Realen, im Wirklichen: Sobald du dem Hüter der Schwelle begegnest, zeigt sich dir, was der Materialismus ist - ein Weg zum Schwachsinnigwerden! Man muß sich gesund machen, muß nicht bloß widerlegen, um zu etwas anderem zu kommen. Das andere Extrem ist die abstrakte Mystik. Von ihr muß man die Empfindung bekommen können: Sie ist in Wirklichkeit der Weg zum Infantilismus, zur - wenn wir es deutsch sagen wollen, es gibt kein anderes deutsches Wort dafür - Kindsköpfigkeit, zum Auffassen der Welt in dem Sinne, wie es nur angemessen ist dem ganz jungen Kinde - Infantilismus! Also das noch nicht von der Welt berührte, rein in der physischen Materialität, in den physischen organischen Vorgängen lebende Kind stellt uns den Typus des Mystikers dar, nur wird man als Mystiker später dieselben Erlebnisse haben wie das Kind. Sie nehmen sich natürlich anders aus, diese Erlebnisse, aber das Kind empfindet auch dieses Sich-Konzentrieren der organischen Tätigkeit im Herzen, und wenn es dieses Konzentrieren empfindet, dann strampelt es, dann sehen wir, wie das peripherische Strampeln, das Bewegen nach außen das Gegenteil darstellt von dem Sich-Konzentrieren im Herzen. Wenn der Mensch sein ganzes Leben hindurch kindsköpfig bleibt, wenn er zu bequem ist, sich zu durchdringen mit demjenigen, was nur der Materialismus geben kann, dann lehnt er ab die äußere Materie; sie ist für ihn nichts, ist für

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ihn das Niedrige, über das er noch hinausstreben muß. Dann aber strampelt er auch, und indem er strampelt, bringt er seine Mystik hervor. Das ist die Schwellenwahrheit, die unbequeme Schwellenwahrheit. Aber alles abstrakt Mystische, was, so wie die Leute es heute treiben, wie Wollust berührt, so daß sie sich die Finger ablecken, wenn Dinge hingedruckt werden, die eigentlich nur ein Strampeln in Gedanken sind, das ist Infantilismus. Und man muß sich klar sein darüber: Wie der Materialismus zum Schwachsinn führt, so führt die abstrakte Mystik in die Krankheit des Infantilismus, der Kindsköpfigkeit. Aber das wahre Leben besteht darin, daß wir das Gleichgewicht, das Aquilibrium finden zwischen dem Materialismus und der Mystik.

Da ist die Sache wiederum etwas schwierig, denn da wird sie erst recht unbequem. Aber wenn Sie bei der Waage das Gleichgewicht suchen, dürfen Sie auch nicht dasjenige, was auf der einen Seite liegt, verachten, weil, wenn es zuviel ist, es wieder das Gleichgewicht stört, sondern Sie müssen versuchen, auf den beiden Waagschalen das Sichdas-Gleichgewicht-Haltende wirklich aufzulegen. So ist es nötig, daß Sie das nicht verachten, was in die Materie hineinführt und sich nicht nur sagen, das führt ja zum Schwachsinn. Im Gegenteil, derjenige, der eindringen will in die Sache, muß kühn in die Wirklichkeit vorrücken, muß sich sagen: Ich muß allerdings den Weg gehen, der, wenn er einseitig gegangen wird, zum Schwachsinn führt, aber ich bin gewappnet dagegen. Ich bin auch gewappnet dagegen, daß ich auf dem andern Wege stehenbleibe; ich bewahre mir das Nötige aus der Kindheit, bleibe aber nicht bei der Kindheitszeit stehen. - Also man muß das Gleichgewicht finden zwischen dem Materialismus und der Mystik: das ist echter Lebenssinn. Der Lebenssinn ist das Gleichgewicht zwischen Schwachsinn und Kindsköpfigkeit. Und wenn es einem nicht paßt, diese Sache zu durchschauen, so ist man eben unfähig, in die Wirklichkeit einzudringen. Menschen werden nur schwachsinnig, wenn sie nicht beachten, daß der normale Mensch Tag für Tag, Stunde für Stunde den Schwachsinn überwinden muß, der ihm immer droht, und daß er bloß Mensch bleibt, wenn er kindsköpfig, das heißt, genial bleibt. Denn wenn man im richtigen Aquilibrium die Kindsköpfigkeit bewahrt, dann ist man Genie. Man ist nur so viel Genie, als man in die

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Dreißiger jahre hinein die Kindsköpfigkeit bewahrt hat; aber sie muß im richtigen Aquilibrium drinnenstehen. So daß man eben sagen muß: In jedem liegt die Gefahr - ja, wie soll ich es jetzt sagen -, ein Genie zu werden oder ein Kindskopf zu bleiben. Man kann eigentlich beides sagen. Sobald man an Schwellenwahrheiten herandringt, gilt ja auch die gewöhnliche Ausdrucksweise nicht mehr; da weben die Dinge ineinander, die sonst gesondert sind. Alle Worte bekommen eine andere Bedeutung und man kann sagen, es wäre durchaus recht humorvoll, das Bild auch malerisch oder plastisch hinzustellen: Da ist die Schwelle zur geistigen Welt, hier steht der eine, und dadrüben steht der andere; der eine webt im Geistigen und der andere im Materiellen, und sie schreien sich an. Der eine aus der geistigen Welt schreit: Kindsköpfigkeit! - und der andere aus der materiellen schreit hinein: Genialität! - Geradeso wie der Baum von der einen Seite anders aussieht als von der andern, so sehen die Dinge verschieden aus, je nachdem man sie ansieht vom geistigen Gesichtspunkt aus oder vom materiellen. Vom geistigen Gesichtspunkt aus muß man sprechen von Genialität, weil man sich bewahrt hat die Art des Kindes, des spielhaften Vorstellens, von Kindsköpfigkeit, weil man sieht auf das, was eben Kindsköpfigkeit ist, wenn man auf der geistigen Seite steht. Denn da sieht man die Kindsköpfigkeit anders an. Da weiß man, daß der Mensch herunterkommt von der geistigen Welt, daß er sich einlebt in einen physischen Leib, da sieht man, wie das Kind noch ungeschickt ist, wie aber in dem, was noch unentwickelt ist, schon darinnen lebt die höchste Geistigkeit.

Es hat ja einige Leute, wie zum Beispiel den Tropf Dessoir besonders geärgert, wie ich in meinem Büchelchen «Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit> dargestellt habe, daß die Weisheit, die an der Ausgestaltung des Gehirns im Kinde arbeitet, viel gescheiter ist als die Weisheit, die der Mensch später in seinem Leben zum Ausdruck bringt. Das können Tröpfe wie Dessoir nicht begreifen; denn für sie ist der Umfang der Weisheit der, den sie zum Ausdruck bringen, wenn sie ihre Bücher schreiben. Aber die Dinge stehen so, daß wenn man von der geistigen Seite herüber sagt: Kindsköpfigkeit -, so sieht man, wie heruntergestiegen ist als Strahl der göttlichen Wesenheit der Menschengeist, in sich innerlich voll entwickelt. Der hat sich hineinbegeben

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in einen noch unentwickelten Menschenleib; den hat er ergriffen, den arbeitet er durch, so daß schon nach wenigen Monaten das Gehirn etwas anderes ist, als es war, daß der ganze Leib etwas anderes wird im siebenten, im vierzehnten Jahre und so weiter. Man spricht also von Kindsköpfigkeit nicht so, daß es ein Schimpfwort ist, sondern man spricht so, daß man die Kindsköpfigkeit als das bezeichnet, was sich darstellt als Heruntersteigen des Geistes in die physische Welt, als das erste Ergreifen des Leibes, das Noch-Kindsein, das Nicht in einer Menschenverfassung Sein, wo der Mensch durch die Entwickelung des übrigen Leibes, der sich ja am schnellsten entwickelt, während der Kopf am meisten Geist enthält, im Kopf noch nicht gesäubert ist vom Geist. So sieht es aus, wenn man von der übersinnlichen Seite von Kindsköpfigkeit spricht. Denn in dem kindlichen Kopf ist viel Geist und - das ist eine unbequeme Wahrheit - mit zunehmendem Alter wird der Geist immer weniger, wir werden immer petrifizierter und petrifizierter in unserem Kopf. Das Kind hat noch viel Geist. Der verdunstet allmählich. Ich darf das Wort «verdunsten» so gebrauchen, daß der Geist vom Kopf heraus verdunstet in den übrigen Organismus hinunter. Sie sehen daraus, daß es der Ausdruck eines Höchsten ist, wenn ich von Kindsköpfigkeit spreche, von jenseits der Schwelle aus gesehen, und daß es der Ausdruck eines Stehenbleibens ist, wenn ich von Kindsköpfigkeit vom irdischen Standpunkt aus spreche. Allein die Sprache der Erde und die des Himmels sind eben einmal voneinander verschieden, und das ist die Tragik unserer Zeit, daß man gar nicht die Sprache des Himmels verstehen will. Seit es üblich geworden ist zu verlangen, daß auf den Kanzeln so irdisch als möglich geredet werde> haben die Leute die Möglichkeit verloren, die Sprache vom Jenseits zu verstehen. Und dann liegt es nahe, daß, wenn man einmal in einem Zusammenhang etwas vorzubringen hat, was man selbstverständlich aus dem Zusammenhang heraus ausdrückt und sagt, nachdem man vorbereitet hat zum Beispiel das Wort vom Jenseits der Schwelle: Die Wesenheiten der geistigen Welt verdunsten nach unten -, daß dann folgendes heute vorkommen kann. Ich will etwas, was da tatsächlich vorgekommen ist, im Bilde erwähnen. Dann kann es also vorkommen, daß irgend jemand aufschreibt: Der Steiner hat gesagt, die Dinge verdunsten

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nicht nach oben, sondern nach unten. - Dann eignet sich das so ein Professor der Anatomie an und liest es seinem Auditorium vor, das er sich selbst präpariert hat, indem er es auffordert, mit Kindertrompeten und Ratschen zu erscheinen, wenn wirkliche Anthroposophie von einem Redner vorgetragen werden soll! Dann wird Anthroposophie vorgetragen. Nachher spricht der Professor und liest so etwas, was er sich angeeignet hat, vor, und dann fangen die Studenten an mit ihren Trompeten und mit ihren Kinderratschen, die sie sich mitgenommen haben, die wissenschaftlichen Argumente anzuwenden, die man heute in solchen Kreisen gebraucht. Das ist ein Vorgang, der sich ja wirklich in Göttingen in diesen Tagen zugetragen hat. Lesen Sie das Beiblatt, das eben gedruckt worden ist zu der neuen Nummer unserer Dreigliederungszeitung. Da werden Sie es finden.

Wir leben durchaus in einer ernsten Zeit, und deshalb möchte ich das, was ich heute an Tönen angeschlagen habe, indem ich Ihnen charakterisiert habe, wie der Materialismus auf der einen Seite und die Mystik auf der andern Seite in Wahrheit erscheinen, am Freitag fortsetzen, indem ich Ihnen zeigen werde, was unsere Aufgaben sind. Denn heute sind eben unsere Aufgaben nicht, uns zusammenzusetzen in sektiererischen Kreisen, sondern lebendig einzugreifen in die Vorgänge des Lebens und einzuführen dasjenige, was anthroposophische Impulse sind, in das ganze Kulturleben der Gegenwart. Heute dürfen wir nicht, wenn wir unsere Zeitaufgabe verstehen, einseitig Materialisten oder Mystiker bleiben, wir müssen den Weg zur Wirklichkeit antreten, wie ich ihn zu charakterisieren versuchte in dem kleinen Schriftchen, das durch die Bemühungen des Herrn Molt gedruckt worden ist für diejenigen, die draußen im Felde etwas erfahren sollten vom anthroposophischen Geist. Das muß man sich immer vor Augen führen, daß wir heute in einer ernsten Zeit drinnenstehen und daß wir uns ihr nur gewachsen fühlen, wenn wir an uns herankommen lassen dasjenige, was nicht einmal mehr berechtigt genannt werden kann in den alten Sprachformen, sondern was uns in die Notwendigkeit versetzt, selbst neue Sprachformen zu finden, wenn es zu heutiger Wahrheit kommen soll. Die Erkenntnis darf nicht stehenbleiben beim Spintisieren, die Erkenntnis muß zur Tat werden. Dann werden wir als Menschheit nicht

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in den Untergang des Abendlandes hineinsegeln, sondern wir werden wiederum einen Aufgang finden. Aber solange sich der Materialismus der Symbole der Kindsköpfigkeit - der Trommeln und Ratschen - bedient, um die Anthroposophie zu widerlegen, also solange sich der Materialismus der Kindsköpfigkeit und die Mystik sich des Materialismus bedient, indem man möglichst materielle Vorgänge als Geistiges auffrisieren will, so lange wird man in den Untergang des Abendlandes mit aller Macht hineinsegeln. Es handelt sich hier nicht um eine spintisierende Frage, sondern um eine wirkliche Tatfrage.

SIEBENTER VORTRAG Stuttgart, 30. Juli 1920

#G197-1986-SE113 Gegensätze in der Menschheitsentwickelung

#TI

SIEBENTER VORTRAG

Stuttgart, 30. Juli 1920

#TX

Es ist nötig, daß ich heute anknüpfe an einiges, das ich schon bei der vorigen Betrachtung hier gesagt habe, weil es ganz besonders wichtig und auch nötig ist, den Zusammenhang des Gesagten mit demjenigen, was ich heute hinzufügen will, besonders zu betonen. Ich habe neulich ausgeführt, daß der Weg, der zur Geisteswissenschaft führen muß, die Anerkennung fordert von zwei Tatsachen. Die eine Tatsache ist diese, daß man sich klarmache aus dem verschiedensten, das aus der Geistes- wissenschaft aufgenommen werden kann, wie unmöglich es ist, sich zu denken, Materie, Stoff seien in der den Menschen umgebenden Außenwelt zu finden. Wir sehen durch unsere Augen in die Außenwelt, hören durch unsere Ohren in die Außenwelt und bauen ein gewisses Natur- erkennen dann auf, wenn wir dasjenige, was wir sehen und hören und durch die andern Sinne wahrnehmen, durch den Verstand verknüpfen und dann eben meinen, wir wissen etwas über die äußere Natur. Solange man so denkt und glaubt, in dieser äußeren Natur könne man - durch irgendwelche Wissenschaft von ihr - Materie und ihre Gesetze finden, so lange ist man im Irrtum. Und der Irrtum des Materialismus bestand nicht darin, daß er überhaupt von Materie sprach, sondern darin, daß man meinte, Materie und ihre Gesetze, ihr innerliches Gefüge, ihr Wesen in der Außenwelt finden zu können. Daher wird derjenige, der da sagt: Ich will von der Außenwelt nichts wissen, denn die ist ja die materielle Welt; ich will in meinem Inneren mystisch aufsuchen eine geistige Welt -, der wird ebenso zum Materialisten wie derjenige, der einfach diese Außenwelt im materialistischen Sinn interpretiert; denn er glaubt ja, daß in der Außenwelt das Materielle aufzufinden sei. Und darin hauptsächlich besteht der Irrtum der neueren Zeit, daß man in der Außenwelt das Wesen des Materiellen sucht. Darin wird die wesentliche Berichtigung bestehen, daß man in der Außenwelt nicht mehr das Wesen des Materiellen sucht, daß man sich klar darüber ist: wie weit wir auch den Bereich unserer Sinnesbeobachtung dehnen, wir können nirgends etwas finden von dem, was die

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Materie und ihre innere Struktur, ihre Gesetzmäßigkeit ist. Wir müssen uns klar sein, daß uns in der Außenwelt nur vorliegt dasjenige, was man im Orient Maja nennt, dasjenige, was wir Erscheinungswelt, phänomenale Welt nennen, und daß wir, wohin wir auch blicken, etwas Materielles in dieser Außenwelt nicht finden können.

Dagegen muß etwas anderes als zweites Faktum klarliegen: daß wir dieses Materielle, das irrtümlicherweise der Materialismus in der Außenwelt sucht, in unserem eigenen Inneren finden und daß wir es gerade dann finden, wenn wir im einseitigen abstrakten Sinn Mystiker werden. Denn dasjenige, was aufsteigt in unserem Bewußtsein als Inhalt einer gewissen Mystik, dasjenige was wir da zu erleben glauben, ist nichts anderes als, ich möchte sagen, die Flamme, die innerlich angezündet wird durch unsere materiellen organischen Prozesse. Und derjenige denkt eigentlich richtig, der die Mystik des Tauler, des Meister Eckhart so auslegt, daß diese Geister mit einer besonderen inneren Erlebnismöglichkeit das Materielle in ihrem Inneren, so wie es sich entzündet zur Bewußtseinsflamme, zu interpretieren wußten und daß sie durch Mystik das Materielle fanden. Ehe man nicht weiß, daß man durch äußere Beobachtung nur das Phänomenale, die Maja, und durch innere Beobachtung nur Materielles und seine Flamme findet, kommt man nicht zu einer wirklichen Klarheit vom Wesen der Welt und vom Stehen des Menschen in der Welt. Wir dürfen nicht in der Außenwelt durch Naturwissenschaft das Materielle suchen, wir müssen innerlich durch Mystik das Materielle suchen; denn da sind seine Gesetze. Wer das Wesen der Schwerkraft suchen will, soll es nicht suchen durch die Atwoodsche Fallmaschine, sondern er soll versuchen - sagen wir in seinem zweiunddreißigsten Lebensjahre, es kann ja auch ein anderer Zeitpunkt sein -, zu einem innerlichen Bewußtsein zu kommen von der Schwerkraft, so daß er aus innerem Erlebnis heraus weiß, was es heißt, Schwere wirklich zu erleben. Er soll durch inneres konkretes Erleben erfahren lernen, wie man vom dreißigsten bis zum vierzigsten Jahr innerlich immer schwerer und schwerer wird, wie man innerlich erlebt eine Eigenschaft des Materiellen, die sich nur ausdrückt in demjenigen, was mystisches Bewußtsein ist. Und ich habe versucht, dasjenige, was da in Betracht kommt, dadurch zu interpretieren, daß ich sagte: Wenn

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man so drinnensteht im Chaos eines Planeten, wie die heutigen Wissenschafter drinnenstehen, so kann man einen klaren Begriff über diese Dinge gar nicht gewinnen. - Wir sehen dasjenige, was da ist als Pflanzen und Tiere, als Wolkendecke; wir sehen, was die Sterne als ihren Glanz auf uns herabwerfen, sehen Flüsse und Berge und Täler und so weiter. Aber all das kommt gar nicht in Betracht, wenn zum Beispiel beobachtet würde schon vom Mars herunter, was auf unserer Erde ist. Ein Marsbewohner, der durch ein wie immer geartetes Instrument unsere Erde beobachten würde - man könnte sich denken, wie es in Wirklichkeit ja auch ist, wenn auch in anderer Art, daß der Marsbewohner so organisiert ist, daß er die Erde beobachten kann -, der würde nichts wahrnehmen von demjenigen, was wir sehen an Wolkenbildungen, Flüssen und Bergen, von den Erscheinungen des mineralischen, pflanzlichen, tierischen Reiches; dasjenige was er wahrnehmen würde auf unserem Planeten, das würde im Inneren der Häute der auf der Erde lebenden Menschen sich abspielen. Alles übrige würde vor dem Anblick des Marsbewohners verschwinden. Das allein, was im inneren des organischen Lebens der Menschen vorgeht, würde er wahrnehmen; denn das würde er als materielle Welt der Erde empfinden. Und wenn man dieses innerlich Mystische sich zum Bewußtsein bringt, so ist es nicht dasjenige, was viele Mystiker glauben, sondern es ist die Flamme, die gekocht ist in unserem Inneren. Das ist der Ort, wo man die Erdenmaterie kennenlernt. Diese Art der Selbsterkenntnis führt uns in das Wesen der Materie und der Kraft, und in dieser haben die Anschauungen der Menschen des Abendlandes in den letzten Jahrhunderten gerade den entgegengesetzten Gang genommen.

Daran kann man ermessen, wie umgedacht werden muß, wenn der Niedergang wiederum sich in einen Aufgang verwandeln soll. Man glaubt heute, Materialist oder Idealist oder Spiritualist sei man durch den Inhalt einer Weltanschauung. Das ist nicht der Fall. Man ist noch lange nicht Spiritualist, wenn man` sagt, man widmet sich der Betrachtung des Innerlichen und nicht der Betrachtung des Außerlichen. Denn es könnte passieren, daß man sich seinem Inneren widmet und dann erst recht die Materie beobachtet, nämlich so, wie sie innerlich Flamme wird. Man ist nur auf dem rechten Wege dann, wenn man in innerlicher

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Gesinnung erfaßt, was ich meine. Wir finden, wenn wir die äußere Wahrnehmungswelt überschauen, nur Phänomene, nur Erscheinungen und nicht etwas, worin diese Phänomene, diese Erscheinungen wurzeln; denn worin sie wurzeln, das liegt innerhalb unserer eigenen Haut. Dasjenige, was wir außen sehen, ist genau so zu bewerten wie dasjenige, was wir am Regenbogen sehen. Wie derjenige falsch sieht, der glaubt, der Regenbogen sei etwas anderes als ein Phänomen, sei etwas, was sich da ausspannt als eine Materialität, so ist im Irrtum auch derjenige, der glaubt - weil die andern ihn umgebenden Wahrnehmungen neben den andern Sinnen auch den Gefühlssinn berühren, während man durch den Regenbogen durchgreifen kann -, es wären die Erscheinungen, die uns umgeben, nicht Erscheinungen, sondern Materialität. Sie unterscheiden sich vom Regenbogen nur dadurch, daß sie auch andere Sinne berühren; aber Materialität ist in ihnen ebensowenig zu finden wie im Regenbogen. A`ußerlich ist alles Erscheinung. Dasjenige, worin die Erscheinungen wurzeln, liegt also innerhalb der menschlichen Haut. Innerhalb dieser menschlichen Haut geschehen die Vorgänge, welche die Ereignisse der Erde tragen von einem Zeitalter zu dem andern Zeitalter.

So unwahrscheinlich und paradox es dem Menschen der Gegenwart erscheint, wahr ist es doch, daß dasjenige, was uns heute äußerlich an Phänomenen umgibt, was sich in diesen Phänomenen an Gesetzmäßigkeit zeigt, nicht die äußere Folge desjenigen ist, was ungefähr drei Jahrtausende vor dem Mysterium von Golgatha materiell geschehen ist, sondern die Folge von demjenigen, was drei Jahrtausende vor dem Mysterium von Golgatha in den Leibern der Agypter, der Chaldäer und so weiter vorgegangen ist. Das ist von innen nach außen getreten. Und was dazumal äußere Welt war, das ist verflogen, ist versunken. In den Leibern der Menschen liegt der Keim für eine Zukunft, die schon nach Jahrtausenden berechnet werden kann. Das ist etwas, was schon aus den äußeren Naturerscheinungen heute vielleicht durch einen kühnen, aber doch durch einen Schluß erkannt werden kann. Die Menschen sprechen von den Eigenschaften des Radiums. Demjenigen, der die geistige Welt durchschaut, kommt dieses Sprechen manchmal so vor, wie wenn Kinder sprechen würden von demjenigen, was dem

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geistigen Erkennen des Erwachsenen längst aus andern Tatsachen heraus klar war. Die Physik weiß heute, daß das Radium, das auf der Erdoberfläche vorhanden war vor dem Jahre 140 nach Christi Geburt, heute verflogen ist, heute kein Radium mehr ist. Das Radium, das heute vorhanden ist, hat sich erst seit dem Jahre 140 nach Christi Geburt gebildet. Das sind Dinge, die heute schon die Physik lehrt, Dinge, die heute an den Menschen herantreten, um ihn gewissermaßen zu zwingen, endlich abzulassen von demjenigen, was er, als einen Irrtum eben, zur menschlichen Befreiung jahrhundertelang verfolgen mußte.

Das alles aber nötigt uns, dasjenige, was anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft an die Menschen heranbringt, in ganz anderer Weise zu betrachten, als die Dinge sonst gewöhnlich betrachtet werden. Es nötigt uns, von bloßen Theorien zu Realitäten überzugehen, überall überzugehen von dem abstrakten Verstandeswissen zur Taterkenntnis, zu demjenigen, was ein Tun ist, ein wirkliches Tun ist im Weltenzusammenhang. Denn ich habe es schon gesagt - aber es ist notwendig, daß dies mit besonderer Schärfe hervorgehoben werde -, die Leute glauben heute, der eine ist Materialist, der andere ist Spiritualist. Derjenige,der Spiritualist ist,sagt: Der ist Materialist,man muß ihn widerlegen; denn es ist nicht wahr, daß die Seele ein Produkt der Materie ist. Daher ist es falsch, was der Materialist behauptet, und es ist genügend erreicht, wenn man ihn widerlegt hat. Der Materialist ist in einem logischen Irrtum, und man muß ihn widerlegen. - Nein, darum handelt es sich nicht. Das ist keine Sache der Logik, das ist keine Sache des Theoretisierens, und man meint nur, daß Geisteswissenschaft Theoretisieren sei. Anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft steht überall auf dem Boden der Realitäten, wenn sie diese auch manchmal da sucht, wo sie wirklich zu suchen sind: in demjenigen, wo der Geist waltet und west. Wer die äußere Welt ansieht und überall die Materie sucht nach der Methode der neueren Molekular- und atomistischen Theoretiker, gleichgültig ob er sie ansieht als Kraftpunkte oder als kleine Klötzchen, der ist nicht bloß in einem logischen Irrtum, den man zu widerlegen hat. Mit solchen Dingen, die bloß theoretische Begriffe sind, hat es die wahre Geisteswissenschaft nicht zu tun. Sie hat es zu tun mit Realitäten. Wer in der äußeren Welt etwas anderes sucht

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als Phänomene, ist auf dem Wege nicht bloß zu einem logischen Irrtum, sondern zur organischen Erkrankung seines ganzen Wesens. Und man muß nicht sagen, die Verfolgung dieses Weges ist ein logischer Irrtum, sondern man muß sagen, derjenige, der so sucht, ist auf dem Wege zur organischen Erkrankung, auf dem Wege zum Schwachsinn. Das ist es, daß wir vielfach auf dem Gebiete der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft umwandeln müssen die Dinge, die theoretisch gemeint sind, in solche, die real gemeint sind. Das Erklären auf geistigem Gebiete hat es nicht zu tun mit dem bloßen Zustimmen oder Widerlegen, sondern hat es zu tun mit dem, was Gesundheit und Krankheit, was Realitäten im Leben sind. Und so müssen wir sagen: Wer so sucht, daß er in den Phänomenen nicht bloß die Phänomene, sondern die Materie sucht, der ist auf dem Wege zum Schwachsinn, zur organischen Erkrankung. Das ist etwas, was innerhalb der Wirklichkeit verläuft.

Ebenso ist derjenige, welcher das abstrakt Geistige in seinem Inneren sucht, nicht bloß zu widerlegen; sondern derjenige, der das Geistige sucht auf dem Wege bloßer einseitiger innerer Mystik und nicht da rauf- kommt, daß er, wenn er durchschaut das Gewebe dieser Mystik, gerade auf die Materialität kommt, der ist auf dem Wege - ich habe es so genannt, wie man es wohl nennen kann, wenn man es von jenseits der Schwelle aus bezeichnet - zur Erkrankung seines Organismus: der Infantilität, der Kindsköpfigkeit. Wenn hier die Schwelle ist zwischen der sinnlichen und der übersinnlichen Welt und der Hüter der Schwelle da steht, so ist diesseits des Hüters dasjenige, was wir hier Genialität nennen; das aber kann mit Recht jenseits der Schwelle Kindsköpfigkeit genannt werden. Denn kommt es in unrichtiger Weise hier in der sinnlichenWelt zum Ausdruck, dann ist es Kindsköpfigkeit durch das ganze Leben hindurch, während Genialität das ist, daß ein gewisser Fond von Kindlichkeit durch das ganze Leben bewahrt ist. Wir gelangen nur dadurch zur Genialität, daß wir bis ins späte Alter hineintragen können die Art der Seele, die sonst im kindlichen Alter vorhanden ist, und das wird in seiner wahren Gestalt von jenseits der Schwelle aus gesehen. Wenn aber einseitig erfolgt jenes Hineintragen der kindlichen Art der Seele in das spätere Alter, wird das, was, richtig hineingestellt in die menschliche Welt, Genialität wird, zur Kindsköpfigkeit. Das ist

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wiederum etwas, was uns zeigt, wie wir die bloß logischen Begriffe, sobald wir in das Gebiet der Geisteswissenschaft kommen, ersetzen müssen durch reale Begriffe, durch das, was den Menschen nicht bloß zu andern Ansichten bringt, sondern was ihn innerlich seiner organischen Struktur nach verändert.

Das ist der Ernst der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft, der so wenig gewürdigt wird, weil die Menschen die gewöhnliche Gesinnung hineintragen in die geisteswissenschaftlichen Gebiete. Sie möchten so zustimmen oder so widerlegen, wie das gewöhnlich in der äußeren Welt geschieht, möchten die Gepflogenheiten der äußeren Welt hineintragen in die geisteswissenschaftlichen Gebiete, während die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft nur richtig gelehrt werden kann, wenn man mit den Worten von der jenseitigen Welt spricht. Da haben die Worte ganz andere Bedeutung, da ist dasjenige, was hier Schwere ist, was nach unten zieht, Zug nach oben. In der geistigen Welt muß man von dem, was uns hinunterzieht, so sprechen, daß es genau umgekehrt ist. Daher brauchte man sich nicht zu verwundern, wenn derjenige, der es mit der Geisteswissenschaft ernst nimmt, zunächst ganz mißverstanden wird von denjenigen, die auch in die geisteswissenschaftlichen Gebiete hineintragen möchten die Gepflogenheiten, die sich nun einmal im Zeitalter des Materialismus ausgebildet haben. Das ist es, was immer dazu führt, daß solche Dinge, wie ich sie gestern gewagt habe vorzubringen, mißverstanden werden.

Derjenige, der seinen Standpunkt darlegen würde gegen Oswald Spengler, der würde ihn einfach widerlegen. Der Geisteswissenschafter ist in die Notwendigkeit versetzt, ihn nicht in der gewöhnlichen Weise zu widerlegen. Er muß Gesichtspunkte einnehmen und nicht Stierhaftigkeit; er muß sagen: Was durch Oswald Spengler behauptet wird, ist von einem andern Gesichtspunkte aus behauptet, von einem Gesichtspunkt, der unfruchtbar für die nächste Zukunft ist. Dann wird man den Erscheinungen gerecht, wenn man sie nicht einfach widerlegt, sondern ihre Genialität zeigt und mit innerem Anteil von dem spricht, was man überwunden haben möchte. In der Art und Weise, wie man die Dinge behandelt, liegt viel mehr das Geisteswissenschaftliche als in dem platten Vorbringen irgendwelcher mystischer Allgemeinheiten,

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von denen diejenigen, die sie vorbringen, meinen, daß sie ganz besonders gottbegnadete Wahrheiten seien. Diese Dinge müssen betrachtet werden, denn wir gehen einem Zeitalter entgegen, wo wir über das bloß Inhaltliche des intellektuellen Lebens hinauskommen müssen. Und das ist etwas, was ich oft und oft, immer wieder und wiederum betonen möchte: daß wir über das bloß Inhaltliche des intellektuellen Lebens hinauskommen müssen.

Es ist heute, wenn man den bloßen Inhalt nimmt, für jeden törichten Menschen verhältnismäßig leicht, Oswald Spengler zu widerlegen. Das ist nicht schwer, aber darauf kommt es nicht an, sondern darauf, zu sagen, was in Oswald Spengler konkret, real lebt und wodurch er konkret, real überwunden werden kann. Und es wird in der Zukunft immer mehr und mehr darauf ankommen, daß wir, wenn wir eine Persönlichkeit charakterisieren wollen, mehr darauf schauen, was sie vorbringt, als darauf, ob sie gerade das vorbringt, was einem inhaltlich gefällt oder mißfällt. Man muß nicht darauf sehen, ob einem inhaltlich etwas gefällt oder mißfällt, sondern ob es geistige Qualitäten hat. Es ist viel wichtiger für den Gesamteffekt der Weltevolution, daß ein genialer Materialist da ist, der den Materialismus genial vertritt - dazu gehört Geist, und manchmal gehört sehr wenig Geist dazu, um platte Mystik zu vertreten. Der platte Mystiker kann unter Umständen viel mehr zur Vermaterialisierung der Welt beitragen als der geniale Materialist. Auf die Qualitäten des Geistigen kommt es an. Darauf, daß dies erkannt wird, wird es viel mehr ankommen in der Zukunft als auf den Inhalt. Das ist das, was gelernt werden muß; denn wir wollen nicht den Geist anstreben als ein logisches System, sondern in seiner Realität, und da frage ich Sie: Können Sie sich nicht vorstellen, daß Geist lebt in dem geistvollen Materialisten, mehr als in dem platten Spiritualisten? Diese Dinge, die müssen von der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft eingesehen und durchschaut werden; denn auf die Realität des Geistes kommt es an, nicht auf die abstrakte Behauptung des einen oder des andern. Das verkennt man gerade, wie sehr es wirklich ankommt auf Realitäten und nicht auf Theorien!

Daher müssen wir manche Erscheinung des gewöhnlichen Lebens gerade von dem Gesichtspunkt der geisteswissenschaftlichen Erkenntnis

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heute ansehen, sonst kommt man mit ihr nicht zur Klarheit. Bedenken Sie einmal, daß wir in der gewöhnlichen Welt, in die wir uns heute hineinleben, im öffentlichen Leben diese oder jene Partei finden. Wir wollen zunächst die gewöhnlichen Parteien ins Auge fassen. Sie wissen, das Trostloseste, das ~deste, das Platteste ist es, was sich in diesen Parteien darlebt; aber mehr oder weniger steht ja heute fast gezwungen jeder darin, der sich nicht ganz zurückziehen will vom äußeren Leben, oder der durch seine Heimatlosigkeit nicht gleich gezwungen ist, nirgends zu wählen, weil es ihm nirgends gelungen ist, das Recht zu wählen zu erlangen; also jeder, der das Recht zu wählen hat, steht heute unter dem Zwang, nach einer bestimmten Richtung hin seine Stimme abzugeben> das heißt, im Sinne dieser Parteien zu wirken. Parteien sind also da. Diese gehen zurück auf bessere Zeiten des Parteilebens, auf das bekannte englische Schaukelsystem der Konservativen Partei auf der einen und der Liberalen Partei auf der andern Seite. Und wir können sagen: In diesen beiden Schattierungen drücken sich gewissermaßen alle Parteien aus, die heute vorhanden sind. Es färbt sich manchmal das Liberale von links mit dem Konservativismus von rechts und der Konservativismus mit dem Liberalismus von links, wie in der Sozialdemokratie, oder es färbt sich der Konservativismus zum Radikalismus, wie wir das ja heute erlebt haben. Aber im ganzen kann man sagen, dieses Musterschaukelsystem Konservativ und Liberal ist dasjenige, worauf unsere Parteien zurückgehen. Ja, das ist das Bild, das man so äußerlich hat. Man erlebt innerhalb dieser Parteibildungen - wie jeder zugeben muß - das Allerschlimmste. Aber es ist eben da, und die Frage ist nun: Ja, warum ist es da? Was ist denn das eigentlich? Was sind denn eigentlich Parteien?

Alles, was hier in der physischen Welt erscheint, ist ja ein Abbild der übersinnlichen Welt. Wovon sind denn dann die Parteien ein Abbild? Was ist denn in der übersinnlichen Welt dafür da, daß hier in der sinnlichen Welt Parteien sind? Dasjenige, um was es sich da handelt, versteht nur der richtig, der die Voraussetzungen dazu verstanden hat, der versteht, daß man zu etwas ganz anderem, nämlich zu den Realitäten kommt, wenn man die Schwelle der geistigen Welt überschreitet. Hier in der physischen Welt ist man Idealist oder Skeptiker oder Realist

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oder Spiritualist oder wie die -isten alle heißen. Man ist etwas, was man in ein Programm, in ein politisches, soziologisches System zusammenfassen kann, kurz, man ist ein -ist. Da richtet man sich nach einer Abstraktion. Denn alles das, was den Parteien zugrunde liegt, sind ja solche Parteiprogramme oder Systeme oder dergleichen, sind irgendwelche Abstraktionen. Sobald man die Schwelle zur geistigen Welt überschreitet, hat man es nicht mit bloßer Logik und Abstraktionen zu tun, sondern mit Realitäten. Das wird nur gewöhnlich nicht sehr ernst genommen. Aber Sie können nicht auf Parteifahnen schwören, sobald Sie am Hüter der Schwelle vorbeigekommen sind, sondern da können Sie sich nur zu Wesen halten, da wird alles wesenhaft. Da können Sie sich nur an irgendein Wesen der höheren Hierarchien halten und sagen: Das ist derjenige, dem ich nachfolge, mit dem ich mich verbinde. Der andere mag seine Sache in seiner Art vertreten, ich bin mit dem verbunden, ich ergreife dessen Partei. Da bekommt das Wort «Ich ergreife Partei von dem oder jenem» eine sehr reale, nicht bloß eine abstrakte Bedeutung. Für uns Menschen liegt es nahe, uns zu sagen: Sobald wir jenseits der Schwelle hinüberblicken, finden wir die dreifache Art von Wesenheiten: das Christus-Wesen, Ahriman und Luzifer. Man kann nun allerdings zunächst, indem man sich sorgfältig vorbereitet hat für das Erfassen der geistigen Welt, sagen: Ich wähle die Partei des Christus oder die des Ahriman oder die des Luzifer. Man kann aber die Sache auch maskieren, man kann schlecht vorbereitet sein und kann Ahriman wählen und ihn Christus nennen. Aber man folgt einem Wesen - es wird alles wesenhaft jenseits der Schwelle! Man hat es immer mit Realitäten zu tun, nicht mit irgendwelchen programmatischen oder systemhaften Dingen!

Das ist ein gewichtiges Wort, das ich damit ausspreche, charakterisierend das menschliche Verhältnis zur übersinnlichen Welt. Und es gibt da einen Punkt, wo es, weil es zu sehr ärgerlich ist, heute noch nicht möglich ist, das allerletzte Wort zu sprechen; aber die wenigsten Menschen hier auf der Erde wissen heute, daß alles Folgen von Parteifahnen, von Parteiabstraktionen im Grunde genommen gar keine Realität ist, sondern eine Illusion ist, und daß, wenn man anfängt etwas Realem zu folgen, man eigentlich etwas folgen muß, was sich jenseits

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der Schwelle befindet in der übersinnlichen Welt. Aber eine Partei können Sie gleich so charakterisieren, daß sie sehr wohl dieses Geheimnis kennt und es auch befolgt. Und daß in dem Karlsruher Zyklus vom Jahre 1911 dieses öffentlich ausgesprochen ist, hat mir den Haß dieser Partei zugezogen. Das sind nämlich die Jesuiten. Die wissen ganz genau: Einem Parteiprogramm folgen - verzeihen Sie, daß ich mich eines in Deutschland gebräuchlichen Ausdrucks bediene -, ist Mumpitz. Man folgt einem Wesen der übersinnlichen Welt! Daher sehen Sie die Jesuitenübungen damit beginnen, daß der Jesuit sich zunächst vorzustellen hat denjenigen, dem er dann als die Kompanie Jesu nachfolgt, für den er eine militärische Korporation bildet. Und wenn ich sage, das letzte Wort kann nicht gesprochen werden, so möchte ich zurück- halten mit demjenigen, was das ist, was da als der «Jesus» getauft wird. Aber es kommt uns darauf an, zu charakterisieren, daß der Jesuitismus eine Partei bildet, indem er einem geistigen Wesen folgt, und daß er also dieses Geheimnis sehr wohl kennt: daß irgendeiner Parteiung zu folgen, die sich erschöpft in einem Programm innerhalb der irdischen Welt, Mumpitz ist. Und die Wirksamkeit des Jesuitenordens beruht darauf, daß er seine Angehörigen zur Gefolgschaft eines geistigen Wesens erzieht. Da heißt es nicht: Irgend etwas ist richtig oder unrichtig -, sondern da heißt es: Es gehört zu der Mission desjenigen geistigen Wesens, dem ich folge; das verteidige ich. Was nicht zu der Mission des geistigen Wesens gehört, dem ich folge, das bekämpfe ich, wenn es auch in logischer Beziehung verteidigt werden kann, denn logisch verteidigt werden können die Inhalte des Ahriman und Luzifer genauso wie die des Christus. Logische Verteidigungen gibt es in ganz gleichwertiger Weise gerade drei.

Daher erleben wir jetzt das merkwürdige Schauspiel, daß der Jesuitismus, indem er den Kampf gegen die Anthroposophie führt, selbstverständlich weiß, daß die Anthroposophie einer geistigen Richtung folgt, in der sich die Dinge verteidigen lassen. Er weiß ganz gut, daß darin die Dinge nicht damit bekämpft sind, daß er sie logisch widerlegt, denn er weiß allzu gut, daß eine logische Widerlegung ein bloßes Spiel mit Logik ist; er weiß, daß er einfach im geistigen Kampf einem Gegner gegenübersteht, und ihm ist jedes Mittel recht. Daher ist es so

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unsinnig, bloß den Kampf führen zu wollen, indem man das Widerlegen der Jesuiten wieder widerlegt. Dasjenige, was man einwendet, kennen die Jesuiten sehr gut; aber daß sie es kennen und für richtig halten, das ist für sie kein Grund, es nicht zu bekämpfen, weil sie einer andern Wesenheit folgen, als zum Heile der Menschheit Anthroposophie jetzt folgen muß. Da kommt es, sobald es sich um geistige Angelegenheiten handelt, auf Realitäten an; da kommt es darauf an, daß man die geistigen Wege wirklich durchschaut, da kommt es schon darauf an, daß man zum Durchschauen dieser geistigen Wege - was aber dem gesunden Menschenverstand durchaus möglich ist - den ganzen Menschen anwendet, nicht jenen Menschenzwerg, der heute auf unseren gebräuchlichen Lehranstalten ausgebildet wird.

Was sind denn also Parteien hier im physischen Leben? Sie sind die Karikaturen von demjenigen, was in der übersinnlichen Welt seine gute Berechtigung hat; sie sind die verzerrten Schattenbilder von Dingen, die in der geistigen Welt ihre gute Berechtigung haben. Das ist das Schwierige der Sache, daß dasjenige, was in der sinnlichen Welt auftritt, das Abbild sein kann von etwas, was in der geistigen Welt eine ganz gute Bedeutung hat. In der sinnlichen Welt ist es verderblich, verwerflich, denn die Welten haben alle ihre eigenen Gesetze - und wir steuern heute hinein in die Notwendigkeit, uns zur geistigen Welt wieder hinaufzuarbeiten. Aber die erste Etappe wird damit begonnen, daß hier in dem physischen Leben die Karikaturen des geistigen Lebens auftreten, daß die Menschen zunächst hier Parteifahnen aufrichten und Parteigötzen folgen, während sie geistigen Wesenheiten folgen sollten. Da ist es Wahrheit, wenn es in der übersinnlichen Welt geschieht; Lüge und Illusion ist es, wenn es hier in der physischen Welt geschieht. Sie sehen, es ist keine Phrase, wenn davon gesprochen wird, daß es darauf ankommt, das bloß theoretische Wesen in Wirklichkeit zu verwandeln, sobald man von den Wahrheiten jenseits der Schwelle sprechen will.

Mit bloßen Widerlegungen des Materialismus ist es nicht getan, denn die Sache liegt so in bezug auf den Menschen: Der Mensch besteht wirklich seiner ganzen Veranlagung nach aus einem Geistig-Seelischen. Dieses Geistig-Seelische lebt schon vor unserer Konzeption, vor unserer

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Geburt. Es hat sich herausgebildet aus unserer früheren Erdenverkörperung, es ist durch die geistige Welt hindurchgegangen; aber es schafft sich hier, indem es Fleisch annimmt, ein physisches Nachbild, aus Nervensystem, Knochensystem, Blutsystem bestehend. Und nun haben wir hier zweierlei: den geistig-seelischen Menschen, und das Abbild davon, den physisch-leiblichen Menschen. Wenn wir nun gewöhnliche abstrakte Gedanken fassen, was denkt da in uns? Da denkt nicht der geistig-seelische Mensch. Gerade dann, wenn wir abstrakte Gedanken fassen, wenn wir am meisten mit irdischer Logik arbeiten, dann denkt in uns das leibliche Gehirn. Und das Wichtige ist, daß man weiß, die Behauptung der Materialisten, daß das Gehirn denke, ist ganz richtig für den Fall, daß in abstrakten Gedanken gedacht wird, denn das physische Gehirn ist ein Abbild des geistigen Gehirns, und dieses Abbild schafft ein Abbild, und das abstrakte Denken ist nur Abbild. So daß man sagen kann, für diesen Fall des abstrakten Denkens denkt das Gehirn.

Das ist nur eine Spezialwahrheit dessen, was ich an früherer Stelle gesagt habe. Der Materialismus ist nur darauf gekommen, daß in demjenigen Denken, welches in unserem Kulturzeitraum, namentlich seit der Mitte des 15.Jahrhunderts, im Abendlande üblich geworden ist, das Gehirn denkt. Und was Moleschott, Büchner und der dicke Vogt behauptet haben als Materialismus, das ist nicht einfach damit widerlegt, daß man sagt, das ist falsch, sondern das ist richtig für die Menschheit, die sich immer mehr und mehr, namentlich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, zum bloßen Materialismus hinwendet. Es ist einfach der abendländische Mensch auf dem Wege, ein Wesen zu werden, das nur noch mit dem physischen Gehirn denkt. Die Propheten dieses physischen Gehirndenkens, Moleschott, Büchner, haben nur verkündet, was aus dem abendländischen Menschen wird. So daß die Materialisten Recht haben mit demjenigen, was sie für den abendländischen Menschen behaupten; es ist nur falsch, wenn sie es für den Menschen überhaupt behaupten. Was sie sagen, ist nur richtig für die Menschen seit der Mitte des 15.Jahrhunderts, aber für diese ist es richtig. Und die Menschen haben sich nun gewöhnt, bloß mit dem Gehirn zu denken; das ist die heute übliche Denkweise. Alles, was in unserer gewöhnlichen

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Literatur, in unserer ganzen modernen Wissenschaft liegt, ist materielles Denken, ist solches Denken. Da haben die Materialisten schon Recht, und man könnte sagen, daß Büchner,Vogt unkollegial gehandelt hätten gegen ihre materialistischen Kollegen, wenn sie ihnen nachgesagt hätten, daß sie mit dem Geist denken. Das ist ja nicht wahr; sie denken bloß mit dem Gehirn. Da gilt es nicht zu widerlegen, sondern anzuerkennen, daß tatsächlich der Weg zur Materialität nicht bloß eine falsche Weltanschauung ist, sondern etwas, was real wirkt. Deshalb aber sagen diese Menschen auch, wenn so etwas auftritt wie anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft: Diese Gedanken kann man nicht fassen, die kann man nicht begreifen. - Ja, die wollen mit dem Gehirn denken; aber diese Gedanken der Geisteswissenschaft sind mit dem Geistig-Seelischen gedacht, das sich erst losgerissen hat vom Gehirn. Daher müssen die Menschen streben, daß sie durch die Gedanken, die so entstanden sind, selber wieder losreißen ihr Geistig-Seelisches vom Gehirn, indem sie diese Gedanken nachdenken. Die Menschen müssen sich bemühen, die Gedanken nachzudenken, die heute noch bestehende Möglichkeit zu benützen, das Geistig-Seelische loszureißen von dem Materiellen des Gehirns. Denn es ist auf dem Wege, sich an das Materielle des Gehirns zu ketten. Die Menschen müssen sich davon losreißen. Also wir haben es nicht mit einer falschen und richtigen Anschauung zu tun, sondern mit einem Vorgang. Indem die Gedanken der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft der Welt übergeben werden, rechnet man darauf, daß die Menschen, die noch fähig sind, die alten Möglichkeiten des Losreißens in sich zu handhaben, sie wirklich handhaben und die leibfreien Gedanken zu verstehen suchen, damit ihre Seelen leibfrei werden. Also es ist eine Willenssache, Anthroposophie zu verstehen; es ist etwas, was losreißen soll das Geistig-Seelische von dem Physisch-Leiblichen. Daher stehen wir nicht bloß vor der Aufgabe, eine falsche Weltanschauung zu widerlegen, sondern vor der Tatsache, daß ein großer Teil der Menschheit hineinsegeln will, bloß Materie zu werden und aus ihr heraus zu denken, zu wollen und zu empfinden, und daß wir der Welt als Realität übergeben wollen die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft, damit Geist und Seele losgerissen werden von der Materie. Die Menschen sollen vor der Möglichkeit

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bewahrt werden, ihr Geistig-Seelisches zu verlieren, denn dieses Geistig-Seelische steht vor der Gefahr, ganz und gar in das Ahrimanische hineinzusegeln. Die Menschen stehen vor der Gefahr, das GeistigSeelische zu verlieren und mit dem Materiellen sich zu verlieren als Menschen, wie ich es Ihnen früher schon geschildert habe, daß das Materielle verschwindet.

Also es handelt sich nicht um die Ersetzung einer alten Erkenntnis durch eine neue, sondern darum, Taterkenntnis zu gewinnen, durch welche die Seele bewahrt wird vor dem Hineinsegeln in die bloße Materialität, vor dem Hineinsegeln des Geistig-Seelischen - wodurch das Ich aufgehoben würde - in das Ahrimanische. Also nicht darum handelt es sich, den Materialismus zu widerlegen, sondern darum, die Menschheit zu bewahren davor, daß der Materialismus richtig werde; denn er ist auf dem Wege, eine Richtigkeit, nicht eine Falschheit zu sein. Wenn man von falschem Materialismus spricht, so spricht man heute gar nicht von dem, worauf es ankommt, sondern man muß sprechen davon, daß der Materialismus richtig und richtiger wird und heute in der Kultur mit jedem Tag immer richtiger und richtiger wird. Wir können es schon mit dem Beginn des 3. Jahrtausends erleben, daß die Menschheit sich so entwickelt haben wird, daß der Materialismus die richtige Anschauung ist. Nicht darum handelt es sich, den Materialismus zu widerlegen; denn er ist auf dem Marsche, richtig zu werden, sondern darum, ihn unrichtig zu machen, weil er auf dem Wege ist, eine Tatsache zu werden, weil er nicht eine falsche Theorie bloß ist.

Diese Dinge möchten jene Menschen verschweigen, welche es den Menschen möglichst bequem machen möchten, indem sie sagen: Seht nur die Falschheit des Materialismus ein! Wendet euch zu einer abstrakten Mystik hin, dann habt ihr alles! - Man kann sich einer solchen abstrakten Mystik hingeben; aber dadurch fördert man den realen Materialismus und nicht den Materialismus als bloße Theorie. Wir haben diesen Materialismus nicht zu überwinden, weil er falsch ist, durch das Wort, das Theorie bleibt, sondern weil er richtig ist und weil wir gerade bekämpfen müssen, daß er als Richtiges dasteht. Da bekommen die Dinge ein anderes Gesicht, da aber steht man in der Realität der geistigen Welt darin nicht mit Theorien, sondern mit einer

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Erkenntnis, die im kosmischen Zusammenhang eine Tat ist. Es ist den heutigen Menschen höchst unbequem, diese Dinge anzuhören, doch in diesem Licht müßte eigentlich alles betrachtet werden, was auch im einzelnen geschieht. Wahrhaftig, die alten Kampfmethoden sind verbraucht; alles das, was früher üblich sein konnte, ist verbraucht. Die Dinge müssen im geistigen Licht gesehen werden.

Was ist Konservativismus? Was ist Liberalismus? Hier auf der Erde sind das Karikaturen der geistigen Welt. Der Konservative ist ein Ahrimananhänger, der Liberale ist ein Luziferanhänger. Und derjenige, der an dem Hüter der Schwelle vorbeischreitet, der sieht, wie der ganze Konservativismus hinter Ahriman, der ganze Liberalismus hinter Luzifer herläuft. Dem heutigen sehr gescheiten Menschen erscheint das als eine Paradoxie; aber von dem, daß dieses als Paradoxie erscheint, rührt es her, daß anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft so schwer verstanden werden kann. Man versteht eigentlich nie Geisteswissenschaft, wenn man sie bloß denkt, sondern man versteht sie nur, wenn man bei jeder ihrer Vorstellungen leiden kann und sich freuen kann, wenn man Erhebungen hat und Niedergeschlagenheiten, wenn man verzweifeln möchte bei einem Worte, oder bei einem Worte glauben kann, erlöst zu werden, wenn man das Schicksalsmäßige in demjenigen, was man als schattenhafte Theorie gewöhnlich ansieht, ebenso sieht wie in äußeren Taten, wenn Realität wird dasjenige, was nur Wort zu sein scheint aus den Verkündigungen der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft. Dann aber, wenn der innere Impuls dieser anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft eingesehen und gefühlt wird> dann erst wird im richtigen Licht gesehen, warum es heute notwendig ist, dasjenige, was eine Zeitlang nur als Theorie gepflegt werden konnte, weil ja die Menschen zuerst davon wissen mußten, überzuführen in die Realität und Ernst zu machen mit dem, was als Realität in den Worten der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft liegt und wie aus den Notwendigkeiten der Zeit heraus folgt, dasjenige in die Realität überzuführen, was aus den substantiell-wesenhaften Inhalten der Worte folgt.

Noch immer sieht man dasjenige, was man mit solch einer Waldorfschule eigentlich meint, viel zu wenig im Lichte der Realität, viel zuwenig

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in dem Sinn, den ich eben jetzt charakterisieren wollte. Wahrhaftig nicht, um Ihre Herzen zu rühren und wahrhaftig nicht, um auch noch ein wenig zu werben, sondern um das zu sagen, was heute gesagt werden muß, weil die Menschheit es wissen muß, spreche ich hier die Dinge aus, die ich heute ausgesprochen habe. Und man möchte nur wünschen, daß die Möglichkeit herbeigeführt würde, wirklich einmal diese Dinge vor einer genügend großen Anzahl von Menschen aussprechen zu können, so daß diese Menschen die innerliche Impulsivität haben, Worte als Realitäten zu nehmen und nicht bloß sie anzuhören und zu glauben, es seien Theorien gemeint.

Das ist es, was ich durch diese beiden Betrachtungen habe vor Sie hinstellen wollen. Und es wird schon dahin kommen müssen, daß die äußeren Geschehnisse dem nachfolgen, was in der verkündeten Geistes- wissenschaft jetzt nicht an äußerem Inhalte liegt, sondern an inneren Impulsen. Diejenigen, die so kämpfen wie zum Beispiel die Jesuiten, die wissen eben sehr gut, was viele Anhänger der Anthroposophie noch nicht wissen: daß in der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft eine Realität vorliegt, und erst seit sie das merkten - es ist allerdings schon lange her, ungefähr seit 1906,1907-, seit sie das wissen, bekämpfen sie immer stärker und stärker diese Geisteswissenschaft. Und die Art, wie sie sie bekämpfen, ihre besondere Raffiniertheit, ahnt eine große Anzahl von unseren Anthroposophen noch gar nicht, weil man sich nicht will des Ernstes der Lage wirklich innerlich versichern. Man kann ja immer nur mit Worten ein klein wenig von dem hervorrufen, was man eigentlich an die Herzen der Menschen heranbringen m&hte; aber ein klein wenig von dem wollte ich auch in diesen zwei Betrachtungen an Sie heranbringen. Uberlegen wir uns das, was gesagt worden ist, bringen wir es aus der Überlegung zum Fühlen, zur Durchdringung unseres ganzen Menschenwesens, dann wird es nicht abstrakte Mystik und Naturwissenschaft, dann wird es innerliches Wesen des Menschen, dann wird es die Kraft, welche das Geistig-Seelische wiederum loslöst von dem Materiellen, dann wird es zum Uberwinder nicht des falschen, sondern des leider richtigen Materialismus.

ACHTER VORTRAG Stuttgart, 21. September 1920

#G197-1986-SE130 Gegensätze in der Menschheitsentwickelung

#TI

ACHTER VORTRAG

Stuttgart, 21. September 1920

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Sie wissen wohl, daß von vielen Seiten in der Gegenwart, wenn von Geisteswissenschaft die Rede ist, gesagt wird, das, worauf durch eine solche Geisteswissenschaft hingewiesen wird, önne niemals Gegenstand eines Wissens,einer Erkenntnis sein, das könne nur Gegenstand eines Glaubens sein,einer Art subjektiven Fürwahrhaltens. Aus einer solchen Gesinnung geht dann die Unterscheidung hervor, die man überhaupt macht zwischen Wissen und Glauben, und eine großer Teil der Einwendungen, die auch gegen unsere antroposophisch orientierte Geisteswisswnschaft gemacht werden, besteht immer wieder darin, daß man sagt, man wollw hier dasjenige,was man eigentlich nur glauben könne,was im Grunde genommen eine Art subjektiver Erkenntnis oder villeicht gar nicht einer Erkenntnis,sondern eines subjektiven Fürwahrhaltens ist,das wolle man hier gewissermaßen hinaufheben und hinaufschrauben bis zu der Höhe einer sichern,exakten Erkenntnis,einer wirklichen Wissenschaft.

Nun ist es erst in der neueren Zeit dahin gekommen,daß unterschieden wird überhaupt zwischen der Wisenschaft,die sich nur mit dem beschäftigen dürfe,was in der sinnlichen Welt geboten wird,was höchstens noch durch das Experiment erfaßt und erkunden werden kann,der Wissenschaft,die aus solchen Tiefen heraus einzig und allein eine sichere Erkenntnis liefere,und dem Glauben,der sich über das Sinnliche erhebe und von dem man niemals annehmen dürfe,daß seine Gegenstände umgewandelt werden könnten in sichere Erkenntnis.Wissenschaft also auf der einen Seite-aber bloß für die sinnliche Welt;die übersinnliche Welt auf der andern Seite,für jeden annehmbar,soweit er sie annehnbar findet,aber nicht einer sicheren Erkenntnis zugänglich,sondern nur einem subjektiven Glauben.

Es müßte eigentlich jedre Mensch, der es mit dem Leben ernst nimmt,das,was da in weiten Kreisen über einen angeblichen Gegensatz zwischen Wissen und Glauben gesagt wird,als ein notwendig zu lösendes Rätsel empfinden. Aber im Grunde genommen ist es nur möglich, von

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dem Standpunkt der Initiationswissenschaft aus eine wirkliche Aus- kunft zu geben, was es eigentlich für eine Bewandtnis hat, wenn in unserer Zeit - und schon lange, schon Jahrhunderte hindurch - darauf hin- gearbeitet wird, der Menschheit diesen Unterschied beizubringen zwischen der Wissenschaft vom Endlichen, Vergänglichen, Sinnlichen und dem Glauben an ein Unendliches, ein Unvergängliches, ein Übersinnliches. Denn Sie wissen, alles, was hier vom Gesichtspunkte anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft vorgebracht wird, atmet durchaus wissenschaftlichen Geist, macht darauf Anspruch, als Wissen, als Er- kenntnis vom Ubersinnlichen sich vollberechtigt neben die Wissenschaft vom Sinnlichen hinzustellen. Nur muß die Wissenschaft der Initiation weit zurückgehen in der Zeit der Menschheitsentwickelung, wenn sie begreiflich machen will, warum in unserer Zeit ein solcher Gegensatz von Wissenschaft und Glauben der Menschheit beigebracht wurde.

Wenn wir in der Zeit zurückgehen, so finden wir in ganz alten Zeiten der Menschheitsentwickelung - wir haben das öfter besprochen - ein gewissermaßen als Erbschaft der Götter anzusehendes Urwissen, ein Wissen, welches so etwas wie beweisen, wie demonstrieren nicht kannte, ein Wissen, das ganz und gar darauf beruhte, daß im Inneren des Menschen eine Kraft aufstieg, die nicht nur ein leeres, abstraktes Denken oder so etwas war, sondern die erfüllt war von göttlicher Lichtsubstanz, von göttlicher Lebenssubstanz, die sich fühlte wie im Verkehre mit den göttlichen Welten. Ein Wissen von diesem Zusammenhange des Menschen mit den göttlichen Welten hatte man, das man noch empfand und das man wahrnahm, so wie man äußerlich Farben und Töne wahrnimmt, so daß man es nicht zu beweisen brauchte, weil man es ja in unmittelbarer Gegenwart wahrnehmbar hatte. Das Beweisen kannte man nicht, auch nicht das logische Demonstrieren, sondern einfach das Erfülltsein des Menschen mit dem, was in sein Inneres die Götter einträufeln ließen. Aber das war durchaus «Wissen» in den ältesten Zeiten der Menschheit und dieses Wissen war verbunden mit einer Erkenntnis des göttlichen Ursprunges des Menschen. Denn da man sich auf Erden in Verbindung mit den Göttern wußte, da man von den Eingeweihten, von den Initiierten jene Kraft bekam, die einen aufblicken ließ zu dieser Verbindung mit den Göttern, so war man sich

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auch bewußt des göttlichen Ursprungs des Menschen, war sich bewußt, daß die Menschheit zur Erde heruntergestiegen ist aus einer Welt, in der sie in geistig-seelischer Gestalt vorhanden war. Dieser göttlich- geistige Ursprung der Menschheit war eine Selbstverständlichkeit für jenes Urwissen, das überall über die Erde hin in den alten Zeiten der Menschenentwickelung vorhanden war.

Aber dieses Urwissen wollte sich weiter fortentwickeln. Wäre dieses Urwissen geblieben, so wären die Menschen zwar in einer gewissen Beziehung fortdauernd gotterfüllte Wesen geblieben, aber zur Freiheit, zur freien Willensentschließung hätten sie nicht kommen können. Sie hätten, wenn nur ihre Arme sich bewegten, gewissermaßen sich sagen müssen: Ein Gott in mir bewegt meine Arme -, oder wenn sie gingen, hätten sie sich sagen müssen: Ein Gott in mir bewegt meine Füße. - So haben auch durchaus die Urmenschen empfunden. Sie haben gewissermaßen innerhalb ihrer Haut ein göttlich-geistiges Wesen, das mit ihnen war, empfunden, und daher ist auch jene Bezeichnung geblieben, von der wir von verschiedenen Gesichtspunkten aus schon gesprochen haben, der menschliche Leib sei ein Tempel des Gottes, weil der Mensch in der Urzeit in der Tat wie das irdische Wohnhaus des Gottes war, der selber herunterstieg auf die Erde, um Wohnung zu nehmen unter den Menschen. Aber der Mensch sollte selbständig werden. Daher kam es, daß das ursprüngliche göttliche Wissen immer mehr und mehr verglomm, daß diese Göttererbschaft immer mehr und mehr zurückging. Um zur Freiheit zu kommen, mußte der Mensch aus seiner eigenen Kraft ein Wissen, eine Erkenntnis, ein Denken, ein Fühlen, ein Wollen entwickeln. Er wurde gewissermaßen von den Göttern verlassen, aber er wurde - wenn ich mich so ausdrücken darf - zu seinem eigenen Heil von den Göttern verlassen. Damit er eine menschliche Wissenschaft entwickeln könne, zog sich die göttliche Wissenschaft von ihm zurück. Und so kam es in späteren Zeiten, daß der ganze Weg, den eine einstmals über die Erde verbreitete göttliche Wissenschaft zu nehmen hatte zur irdisch-menschlichen Wissenschaft, überwacht werden mußte von den Mysterien aus, daß die Eingeweihten, die Initiierten der Mysterien dazu berufen wurden, gewissermaßen zu regeln, wie die Menschheit erzogen werden sollte, damit sie in der richtigen Weise herauswuchs

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aus dem alten Götterwissen und hineinwachsen konnte in das irdischmenschliche Wissen.

Da aber, nachdem schon so ziemlich das ursprüngliche Götterwissen im Abglimmen war und die Mysterien schon die Aufgabe übernommen hatten, die Menschheit so zu leiten, sie so im großen zu unterrichten, daß der tßergang von der Urweisheit in das menschliche Wissen, das zur Freiheit führen sollte, in der rechten Weise geschehen konnte, da kam es, daß eine gewisse Anzahl von Menschen über weite Gebiete der Erde hin sich zusammenfand, um einen gewissen Weg zu suchen, um diese Absichten der richtigen Menschheitsleitung, die von den Mysterien kam, zu durchkreuzen. Es bildeten sich gewissermaßen Menschengesellschaften, die sich geradezu die Aufgabe stellten, diese richtige Entwickelung zu durchkreuzen. Wir müssen schon zur Geisteswissenschaft gehen, wenn wir die Tätigkeit einer weitverbreiteten Menschengesellschaft der Nachurzeit ins Auge fassen wollen. Denn die Geschichte selbst reicht nicht bis in jene Zeiten zurück; äußere Urkunden aus jenen Zeiten gibt es nicht. Aber eine solche Gesellschaft war es, die sich in einer gewissen Weise das Mysterienwissen aneignete, aus dem Mysterienwissen auch die Methoden, um mit der göttlichen Urquelle des Wissens noch in einer Zeit in Verbindung zu kommen, in welcher die ehrlich arbeitenden Mysterien schon längst damit beschäftigt waren, das alte Götterwissen überzuleiten in das menschlich-irdische Wissen. Und so gab es einmal auf der Erde eine Zeit, wo die berufenen Vertreter des Mysterienwissens ganz damit beschäftigt waren, das alte Götterwissen überzuleiten in menschlich-irdische Wissenschaft; aber in das, was so als eine gesunde, für die damalige Zeit gesunde Anschauung und Empfindung über die Menschheit sich verbreitete, in das tönte hinein - und zwar in einer Zeit, als es schon zu spät dazu war und der Menschheit nicht mehr das alte Götterwissen in die Ohren geraunt werden sollte -, was eine gut organisierte Gesellschaft damals gewissermaßen verspätet als alte Urweisheit der Menschheit wiederum bringen wollte. Es erlebten also die Menschen in einer Zeit, wo sie schon hinausgewachsen waren über den Zustand des göttlichen Wissens, daß von denen, die ein Interesse daran hatten, weiten Kreisen der Menschheit jenes alte Götterwissen noch weiter zugeführt werden sollte.

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Welches Interesse hatten denn diese Mitglieder der Nachurzeit? Sie hatten das Interesse, daß sie die Entstehung des Wissens gewissermaßen in seiner Wurzel vernichten wollten. Sie wollten das äußere menschliche Wissen nicht in der Menschheit entstehen lassen, sie wollten die Menschen nicht zur Freiheit kommen lassen. Ja, es gibt in der Nachurzeit Bestrebungen, die verhindern wollten, daß die Menschheit die Entwickelungsanlage zur Freiheit aufnehmen sollte und die daher das irdisch-physische Wissen in der Wurzel vernichten wollten. Und so machten diese, gewissermaßen «Feinde» der menschlichen Entwickelung der Nachurzeit, einen Unterschied zwischen menschlichem Wissen und Götterwissen, einem Götterwissen, das damals schon nicht mehr berechtigt war. Und die Menschheit, als sie hinausgewachsen war über das Götterwissen, mit diesem zu überfluten, bedeutete, sie dadurch in einen Bewußtseinszustand zu bringen, der träumerisch, schwärmerisch war. Breite Massen der Menschheit lebten in einer solchen Schwärmerei in der Nachurzeit, in der der Sinn erstickt wurde für die Entstehung menschlicher Wissenschaft. Und wenn manches in der menschlichen Wissenschaft, wie wir oft charakterisieren konnten, in späteren Zeiten sehr mangelhaft entstanden ist, wenn bis in die Sprachbildung hinein Mangelhaftes sich eingeschlichen hat, dann war dieses den Menschen schmeichelnde Heraufheben zu einem Götterwissen daran schuld.

Wenn wir nachgehen, unter welchem Einfluß diejenigen standen, die so bestrebt waren, die Menschen zu benebeln und die Entstehung von Wissenschaft und auch von einer aus den Menschheitstiefen heraus- kommenden Sprache in der Wurzel abzuschneiden, dann müssen wir sagen: Diese Geister, diese menschlichen Persönlichkeiten waren durch und durch von luziferischen Kräften beherrscht. Luziferische Kräfte lebten in ihnen, solche luziferische Kräfte, welche den Menschen mit seinem ganzen Empfinden, Wollen und Denken gewissermaßen nicht bis zur Erde herabkommen lassen wollten. Der Mensch sollte immer materieller und materieller werden, aber diese Persönlichkeiten wollten ihn geistig, spirituell erhalten, um ihn den Erdenaufgaben zu entziehen. Diese Geister waren die der Menschheitsentwickelung feindlichen Spiritualisten der Nachurzeit. Denn damals sollte der Mensch die Wege finden, um mit seinem Seelisch-Geistigen immer gründlicher und

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gründlicher in das Körperliche hineinzusteigen. Das aber sollte von diesen Geistern verhindert werden. Wenn wir etwa im Bilde der Gegenwart sprechen - weil es ja schwierig ist, in genau zutreffenden Vorstellungen jenen Zustand der Menschheit in der Nachurzeit zu charakterisieren -, so könnten wir sagen, diese Geister treten auf mit einem starken Anflug von einer gewissen unbewußten Unwahrhaftigkeit. Denn es war ja selbstverständlich durch die Mysterien der Impuls gegeben, in die materielle Welt herunterzusteigen, sich mit ihr zu durchdringen. Das durften diese luziferbesessenen Menschen der Nachurzeit natürlich nicht verleugnen. Deshalb nannten sich diese Menschen nicht etwa - im Bilde der Gegenwart gesprochen; es müßte dann übersetzt werden in die Denkweise der Urzeit - «Spiritualisten», sondern sie nannten sich gerade «Vertreter des Materiellen». Denn sie sagten den Menschen: Ihr erreicht das Materielle, wenn ihr uns folgt, wenn ihr die Macht, die wir euch mit dem späteren göttlichen Wissen geben, ausnutzt, wenn ihr euch seelisch-geistig dadurch stärkt. So könnt ihr als Eroberer über das, was euch auf der Erde zugedacht ist, euch erleben; ihr könnt euch die Erde im Fluge erobern dadurch, daß ihr der Göttermacht teilhaftig werdet! - Und den Ehrennamen «Kämpfer für das Materielle» gaben sich solche luziferbesessenen Führer gewisser Kreise der Menschheit.

So war damals durch diese Persönlichkeiten eine Art Zwiespalt in die Menschheitsentwickelung hineingekommen zwischen dem, was da sein sollte an regulärer Entwickelung der Menschheit und dem, was der Menschheit vorgemacht wurde dadurch, daß man vor sie hinstellte das Ideal der Materialität, das auf ein Erobern des Materiellen ausging - aber nicht durch ein allmähliches Einleben, sondern indem man darauf hinwies, daß man gewissermaßen Göttermacht sich aneignen sollte durch übersinnliches Wissen zur Unzeit, mit dem man dann die sinnlich-materielle Welt erobern sollte.

Das Gegenbild von dem, was da in der Urzeit vorhanden war, erleben wir heute. Wir sehen, daß, von gewissen Konfessionen ausgehend, ein Kampf gegen den regulären Gang, den die Wissenschaft nun nehmen soll, stattfindet. An der Wurzel ist sie gewissermaßen schadhaft geworden. Dadurch tragen die Wissenschaft und die Sprache

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durch die Erdenentwickelung hindurch gewisse Mängel. Aber die Wissenschaft ist doch gekommen, denn es haben sich genügend unter dem Einfluß der ehrlichen Mysterien und der ehrlichen Initiationswissenschaft stehende Menschen gefunden, welche jenen Geistern, die das Wissen in der Wurzel eigentlich austilgen wollten, entgegengetreten sind. Und so hat sich die Wissenschaft entwickelt. So hat sie jenen Weg genommen, den ich im einzelnen oftmals charakterisiert habe, ist bis zu jenem Zustande gekommen, den sie hatte in der Mitte des 15. Jahrhunderts, als der fünfte nachatlantische Zeitraum begonnen hat, und ist bis in unsere Zeit hineingekommen, wo aber für diese Wissenschaft nun wieder - nach der Wissenschaft der Initiation der Gegenwart - ein neuer Wendepunkt da ist. Heute ist diese Wissenschaft dazu reif, gewissermaßen in die Freiheit des Menschen gestellt zu werden. Heute ist diese Wissenschaft, die ja im wesentlichen doch sich heute noch so verhält, daß sie nur Sinnlich-Physisches als exakt, als sicher betrachtet, das was durch Beobachtung oder durch das Experiment gewonnen wird, die Wissenschaft ist dazu reif, wie ich oft ausgeführt habe, sich hineinzuentwickeln in die Erfassung der Imagination, der inspirierten, der intuitiven Welt, sich hineinzufinden in das Erleben, in das Ergreifen des Geistigen. Fortzuwachsen ist diese Wissenschaft berufen, um im Fortwachsen anzunehmen die Gestalt eines geistigen Schauens. Dazu ist sie heute reif.

Damit aber diese Wissenschaft sich regulär fortentwickeln kann, muß jene Gesinnung in der Menschheit ausgebildet werden, die da will, daß dieselben gewissenhaften Untersuchungs- und Forschungstendenzen, die für die äußere sinnliche Welt in Botanik, Physik, Chemie und so weiter vorhanden sind zum Triumphe der äußeren Wissenschaft, auch angewendet werden im Inneren der Menschen, daß dasjenige, was Gesinnung in der äußeren Wissenschaft ist, übergeführt werde in ein solch lebendiges Ergreifen der übersinnlichen Welt, wie es angedeutet ist in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», in der «Geheimwissenschaft im Umriß» oder in andern entsprechenden Büchern. Und wir müssen uns darüber klar sein: Was eigentlich als Streben auf dem Grunde unserer Seele liegen soll und was allein in der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft leben kann, das ist von

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etwas, was seinem Gegenpole gleicht, dem Jesuitismus, dadurch unterschieden, daß gerade der Jesuitismus es ist, welcher die Wissenschaft, das eigentliche Wissen halten möchte auf dem bloß experimentellen oder Beobachtungsfelde. Prüfen Sie einmal - aber prüfen Sie genau - die wissenschaftliche Literatur, die von den Jesuiten ausgeht: Sie ist in der Gesinnung, in der Vorstellungsweise die denkbar materialistischste; sie ist bestrebt, das Wissen ganz in der sinnlichen Welt zu erhalten und streng abzutrennen das Wissen, das nur mit sinnlicher Beobachtung oder mit den durch das Experiment zu beobachtenden Tatsachen zu tun haben soll, von dem, was Gegenstand des Glaubens oder der Offenbarung sein soll. Niemals soll eine Brücke geschlagen werden im Sinne dieser Denkungsart zwischen dem, was äußere Wissenschaft ist, und dem, was Glauben ist. Das will aber gerade anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft suchen: den Weg heraus aus einer physisch- sinnlichen Wissenschaft in eine Geisteswissenschaft, aber in eine Geistes- wissenschaft, die so streng erkenntnismäßig gehalten ist wie die äußere sinnliche Wissenschaft.

So haben wir uns also vorzustellen: Diese physisch-sinnliche Wissenschaft ist die Wurzel und herauswachsen soll aus denselben Impulsen, die in Botanik, Physik, Chemie und so weiter walten - nur daß auf ein anderes Territorium gegangen wird -, die übersinnliche Erkenntnis, das übersinnliche Wissen. In gewissen Kreisen sah man voraus, daß dies kommen wird. Daher legte man dort, wo man ein Interesse daran hat, daß dies nicht komme, in die menschliche Entwickelung das hinein, was jetzt als ein anderer Gegensatz erscheint: der Gegensatz, den ich angeführt habe, von dem regulär zur menschlichen Wissenschaft herüberkommenden alten Wissen und dem Betäuben der Menschheit mit der göttlichen Wissenschaft. Man legte in die Menschheit hinein den Gegensatz zwischen Wissen und Glauben. Man tat das Entgegengesetzte: die Wissenschaft vom Sinnlichen wollte man gerade halten, die betonte man scharf, und es ist einfach wahr, wenn man gerade die jesuitische Literatur über die materialistische Wissenschaft auf Lesbarkeit, auf das Einleuchtende der Darstellung hin durchsieht, daß sie etwas außerordentlich Begabtes darstellt, daß tatsächlich diese von Jesuiten geschriebene Literatur über die materialistische Welt begabter geschrieben

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ist als manches andere, was über diese Welt heute von anderer Seite geschrieben wird. Es ist gut, was zum Beispiel ein Mensch wie der Pater ErichWasmann über die Ameisen schreibt, und wenn Sie das lesen, so werden Sie davon mehr haben als von den pedantisch-philiströsen Ameisenbeschreibungen der anderen Forscher. So könnte man Beispiel über Beispiel anführen. Die Jesuiten [-Schriften] wären gut, wenn sie nur Materialistisches beschreiben würden; denn es ist bewußtes Bestreben [der Jesuiten] ,durch die Beschreibung des Materialistischen die Menschen dabei zu halten, das Wissen überhaupt nur auf die materialistisch-physische Welt zu beziehen. Und das soll hauptsächlich der Menschheit vorgemacht werden, daß man das Übersinnliche nicht mit dem Wissen erforschen kann. Wie jene alten, von Luzifer besessenen Menschen damals den Menschen vorgemacht haben, sie bekommen Macht über die Welt, wenn sie sich des alten Götterwissens bedienen - wahrend aber schon andere Zeiten der Entwickelung da waren -,50 kommen jetzt die Nachzügler jener Menschen aus den Nachurzeiten und machen den Menschen vor, daß es nicht möglich ist, das Wissen in die übersinnliche Welt hinein auszudehnen, daß man mit dem Wissen vor der übersinnlichen Welt haltmachen müsse. Wie jene Menschen der früheren Zeit mit dem über- sinnlichen Wissen die Menschheit betäuben wollten, so wollen die heutigen, ihnen entsprechenden menschlichen Wesenheiten nun die Menschheit recht hineintreiben in die physische Welt, damit sie dort drinnen stecken bleibe und nur mit dem stumpfen Impuls des Glaubens die übersinnliche Welt ergreife. Wie man in der Nachurzeit den Menschen zu viel Wissen über das Übersinnliche geben wollte, so wollen ihnen heute die Nachzügler zu wenig Wissen darüber geben. Jene wollten übersinnliches Wissen unberechtigterweise geben, diese wollen ihnen nur sinnliches Wissen lassen und ihnen über das Übersinnliche etwas lassen, worüber jeder Mensch seine beliebige Stellung haben kann.

Was würde nun geschehen, wenn der Kreis von Leuten, auf den hier hingewiesen ist, irgendeinen Sieg erringen würde, jener Kreis von Leuten,welcher bewußt Wissenschaft und Glauben unterscheidet, während natürlich eine große Anzahl von am Gängelbande geführten Leuten die Tirade vorfinden von der «Trennung von Glauben und Wissen» und sie nachsprechen, aber doch nur nachsprechen? Was hat man da? Im

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entgegengesetzten Sinne will man das ausführen, was auch jene alten Persönlichkeiten der Nachurzeit, nur in ihrem Sinne, ausgeführt haben. Wie man in der alten Zeit die Menschheit nicht ganz hinuntersteigen lassen wollte zur vollen Erdenaufgabe, so will man sie jetzt in der Erden au fgabe drinnen erhalten, will sie nicht sich weiterentwickeln lassen von der Erde aus. Und die, welche heute gerade den Materialismus fördern, nennen sich heute «Spiritualisten» oder die Priester dieses oder jenes Glaubens, die Vertreter des Übersinnlichen. Wie in jenen alten Zeiten die, welche ein unberechtigtes Geistesleben gaben, sich - von dem charakterisierten Gesichtspunkte aus - Materialisten nannten, so nennen sich heute zahlreiche Menschen, die eigentlich die Menschheit beim Materiellen erhalten wollen, Vertreter des Spirituellen. Es ist heute der stärkste Quell des Materialismus nicht dasjenige, was etwa von Büchner> Moleschott oder dem dicken Vogt ausgegangen ist, sondern dieser stärkste Quell ist Rom und alles, was mit diesem Zentrum des Materialismus irgend etwas zu tun hat. Und erreicht wird das, was man erreichen will, indem man nicht sagt Ich will den Materialismus fördern -, sondern indem man die Menschen dadurch im Materialismus erhält, daß man in ihnen nur einen stumpfen Impuls für das Über- materielle aufkommen läßt als Glauben, aber darüber hinaus keinen Impuls in die Menschheit hineinkommen läßt, der das Übersinnliche ergreifen kann. Daß man etwa von Rom aus das Übersinnliche für den Menschen erobern wollte, das ist die weltgeschichtliche Unwahrheit der neueren Zeit, und das muß klar und deutlich durchschaut werden! Und wenn in der neueren Zeit das Protestantentum, das Evangelische aus dem Römischen sich herausgebildet hat, so müssen wir uns klar sein: Es ist manches innerhalb des Protestantismus entstanden aus dem Römischen, allein jene Bestrebung, durch die Abstumpfung des über- sinnlichen Wissens in dem Impulse des Glaubens die Menschheit nicht zum Übersinnlichen kommen zu lassen, die ist gerade auch im Evangelischen sehr stark geblieben, abgesehen davon, daß heute ja schon die Zeichen der Zeit sehr dahin deuten, daß das Evangelische von Rom, das neue und immer neue Anstrengungen machen wird nach der Richtung hin, die ich charakterisiert habe, überwunden wird.

Sie sehen, will man in der Welt etwas erreichen, dann handelt es sich

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darum, wenn das Erreichte das Gegenteil von dem sein soll, was eigentlich im Sinne der normalen Fortentwickelung der Menschheit liegt, daß man sich gewissermaßen einen entgegengesetzten Namen zulegt. Die Menschheit muß lernen, über den Glauben an die Namen hinauszukommen, und sie ist auf dem Wege dazu. Die Menschheit muß zu tieferen Quellen als zu dem Leben in Worten kommen. Angefangen hat die Sache ja im Grunde schon. Denken Sie sich, es läßt sich heute jemand bei Ihnen melden mit seiner Visitenkarte, auf der steht «Ernst Müller>. Sie werden wahrscheinlich nicht vermuten, daß nun ein Mensch hereinkomme, mehlbestaubt und so weiter, der also ein Müller ist. Ebensowenig werden Sie vermuten, wenn sich jemand als «Richard Schmied> meldet, daß ein Mensch hereinkommt, der eben noch Pferdehufe beschlagen hat. Aber wenn man auf dem Dorfe gelebt hat, dann erinnert man sich noch, daß da die Leute gesagt haben: Jetzt kommt der Müller -, da war der wirkliche Müller damit gemeint, oder sie sagten: Jetzt kommt der Schmied -, und meinten den wirklichen Schmied. Da hat der Name noch etwas anderes bedeutet als die äußere Kennzeichnung. Unsere Eigennamen haben den Weg genommen, der es nicht mehr möglich macht, daß wir vom Namen aus auf das Wesen schließen, das diesen Namen trägt. Wir können heute nicht die Sprache nehmen in bezug auf die Eigennamen, um aus diesen etwas herauszubekommen, was das Wesen charakterisiert, das die Namen trägt. Wir wissen heute nicht, wenn wir den Namen Schmied hören für einen Menschen, ob der ein Schmied ist, oder bei einem andern, ob er ein Müller ist, wenn wir den Namen Müller hören. Aber denselben Weg, den bis heute schon unsere Worte gemacht haben in bezug auf unsere Eigennamen, denselben Weg wird die ganze Sprache nehmen, und der Mensch wird lernen müssen, aus andern Bedingungen heraus sich seine Vorstellungen zu bilden als aus den Worten. So wie Sie, wenn ein Herr Müller mit der Visitenkarte sich melden kommt, sich kein Bild machen können über das Wesen dieses Menschen, so müssen Sie sich gewöhnen, nicht aus dem Charakter der Worte das zu entnehmen, was man über die Welt denken muß.

Wenn man Ernst macht mit dem, was eine dringende Forderung der Zeit ist, dann wird man heute noch wenig verstanden. Bedenken Sie

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nur, wenn ich das, was ich als Geisteswissenschaft vorzutragen habe, so bringen würde, wie man es heute fordert nach den Wortwissenschaften, dann würde ich ja nicht dasjenige tun, was ich mich immer bemüht habe zu tun, von den verschiedensten Seiten her irgend etwas zu charakterisieren, bald mehr von der materiellen Seite, bald mehr von der spirituellen Seite her, immer eingedenk des Grundsatzes, den Goethe ausgesprochen hat: Die Wahrheit ist keineswegs zwischen zwei entgegengesetzten Behauptungen in der Mitte zu suchen. - Man kann gar nicht bei der Entwickelung, bei der wir angekommen sind, heute noch glauben, daß man durch eine einseitige Charakteristik in Worten den Inhalt, den man zu geben hat, treffen könne. Man muß von verschiedenen Seiten her charakterisieren, muß in derWortcharakteristik so vorgehen, wie man vorgeht, wenn man zum Beispiel einen Baum von verschiedenen Seiten her photographisch aufnimmt, wo dann die photographischen Bilder ganz verschieden sind. Hält man sie aber dann zusammen, so schaut man hin auf etwas, was man sich vorstellen kann als den Baum.

Lesen Sie nun die verschiedenen erschienenen Vortragszyklen durch und Sie werden sehen, wie dieser Grundsatz bei der Darstellung eingehalten ist, wie da die Dinge wirklich von verschiedenen Seiten her dargestellt sind. Will man das, was den Menschen zum Heile ist und was sie brauchen, heute darstellen, dann muß man sich angewöhnen, so zu sprechen, wie das geschehen ist. Und weil man in gewissen Kreisen das nicht will, weil man in den Wortwissenschaften fortfahren möchte, aber das, was menschliche Angelegenheit ist, nicht in der Wort- wissenschaft gegeben werden kann, deshalb kommen in der jetzigen Zeit jene Sozialismen auf, die weiter in die Wortwissenschaft hinein- gehen wollen, die aber nur in die Zerstörung führen können. Heute glauben die Menschen mit Bezug auf die Ereignisse im Osten, es sei nun die Gefahr vorüber, nachdem jetzt die Polen gesiegt haben, nachdem vorher eine Zeitlang die Bolschewiki gesiegt haben, aber unter furchtbar tragikomischer Art des menschlichen Verhaltens. Gerade am jetzigen russisch-polnischen Kriege kann man aber sehen, wie haltlos im Grunde die heutige Menschheit geworden ist.

Wenn nun so etwas, was nun wirklich aus dem sozialen Leben der

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Gegenwart heraus geschrieben ist wie die «Kernpunkte der sozialen Frage», was auch seinem Stile nach aus den Bedürfnissen dieses Lebens der Gegenwart geschrieben ist, vor die Menschen hingestellt wird, dann kommen die Leute und verlangen, man solle Wortdefinitionen geben - ungefähr nach dem Muster, wie man noch in den meisten heute gebräuchlichen Schulbüchern Wortdefinitionen findet zum Unheil alles Erziehens und Unterrichtens! Aber indem immer mehr und mehr das Wort sich loslöste von dem, was man innerlich erlebte, indem man immer mehr aus andern Verhältnissen als aus den Wortquellen auf die Wirklichkeit schließen muß, ist man ja schließlich auch beim Namen Müller dahin gekommen, aus ganz andern Verhältnissen heraus dar- nach zu fragen, wer das sein kann, wer sich da präsentieren könnte, als durch eine Analyse des Namens Müller. So wird es nötig sein für die Menschheit, daß sie sich vom Worte loslöst und aus andern Quellen heraus das Dasein beurteilt.

Aber lange hat sich so etwas schon vorbereitet, nur wurde es nicht immer im richtigen Sinne der Menschheitsentwickelung angewendet. Daher ist es denn gekommen, daß weit ausgebreitete Gesellschaften heute sagen: Wir bekennen uns zu dem Christus! - Aber das Wort muß ja nicht das Wesen bezeichnen, das sie eigentlich anzubeten vorgeben. Es kommt nicht darauf an, daß man irgend etwas den Christus nennt, daß man sich von diesem Christus Vorstellungen macht, sondern es kommt darauf an, nach welchem realen Wesen die menschliche Empfindungswelt hingeht. Und wenn man dann zum Beispiel von diesem Christus-Wesen sich ein sehr irdisches Bild macht, wenn man sogar während seiner Lehrzeit in militaristischer Weise darin eingeweiht wird, wie man die Seele zuzubereiten hat, damit man sich eine ChristusVorstellung machen kann, wie man ihn als den König Jesus und seine Anhänger und sich als die Heerschar des Königs Jesus vorstellt, da kann es denn sein, wenn man sich ein so materielles Christus-Bild zurechtgemacht hat, daß man den Christus-Namen einer ganz andern Wesenheit gibt. Dann richtet man in Wahrheit seine Seele nach einer ganz andern Wesenheit hin und nennt diese zu Unrecht Christus. Und das geschieht heute sehr oft, geschieht so, daß es manchmal in ganz merkwürdiger Weise empfunden wird.

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Ich hatte einmal vor vielen Jahren in Marburg ein Gespräch mit einem vielgereisten evangelischen Geistlichen. Wir sprachen darüber, wie die eigentliche Christus-Auffassung in der neueren Theologie immer mehr und mehr verlorengegangen ist, wie eigentlich diese neuere Theologie den Christus auf der einen Seite durch gewisse Einweihungszeremonien zu dem Jesus schon im Bilde heruntermaterialisiert und wie auf der andern Seite gewisse Theologen in dem Christus nur den «schlichten Mann von Nazareth» sehen. Da sagte mir dieser vielgereiste, daher die Welt etwas sich angeschaut habende protestantische Theologe: Ja, unsere jüngeren Theologen haben eigentlich keinen Christus mehr, könnten sich gar nicht mehr Christen oder ChristusBekenner nennen; die müßten sich eigentlich, wenn der Name nicht schon vergeben wäre, Jesuiten nennen, denn sie haben nur noch einen Jesus! - Das ist nicht mein Urteil, sondern eines, das eben dem Kopfe eines vielgereisten protestantischen Theologen entsprungen ist. Und damit Sie nicht ein Vorurteil haben und die Theologen hier gar zu sehr verachten, will ich auch noch hinzufügen: dieser Mann war einSchwabe und hat sogar eine Schwäbin, noch dazu eine Stuttgarterin, zur Frau gehabt! Aber das nur, damit Sie kein Vorurteil haben.

Wir haben versucht, das zu erklären, was heute zur Trennung von Wissenschaft und Glauben geführt hat. Diese Trennung zwischen Wissen und Glauben ist es ja auch, die nicht aufkommen läßt, worauf ich schon gestern hingewiesen habe, die Erkenntnis von dem vorgeburtlichen oder vor der Empfängnis liegenden übersinnlichen Leben, die nur aufkommen lassen will den Glauben an das Post-mortem-Leben, den man auch den Menschen beibringen kann, wenn man nur mit einer egoistischen Seelenanlage rechnet. Das vorgeburtliche Leben, das wir durchlaufen haben zwischen dem letzten Tode und der jetzigen Geburt, läßt sich dem Menschen nur beibringen durch Erkenntnis, nicht durch ein Spekulieren auf seelenegoistische Instinkte. Denn die Menschen sind ja so beschaffen, wenn sie hier leben, daß es ihnen ganz egal ist, was sie vorher durchgemacht haben, ehe sie in dieses Dasein hier eingetreten sind; aber aus egoistischen Gründen interessiert es sie, was nach dem Tode mit ihnen geschehen wird. Daher kann man gut predigen über das, was nach dem Tode den Menschen erwarten wird, denn

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das appelliert an die egoistischen menschlichen Seeleninstinkte. Man kann schlecht predigen, aber muß voraussetzen menschlichen Erkenntnisdrang, Streben nach menschenwürdigem Dasein, wenn man von der vorgeburtlichen Existenz des Menschen sprechen will. Und das führt dazu, selbstverständlich, daß uns zunächst die Erziehung und dann das Erdenleben so erscheinen, daß das Erdenleben aufgefaßt werden muß als die Erfüllung einer Aufgabe, die uns mitgegeben ist, nachdem wir aus der geistigen Welt heruntergekommen sind in das physische Dasein.

Das, was sich so unbedingt verbreiten muß in der äußeren Welt, was auch sozial gestaltend wirken muß, das hat, wie Sie aus verschiedenen Untergründen heraus ahnen können, viele Feinde. Und nun will ich heute am Schluß - denn ich muß es tun - Ihnen einiges von den trüben Quellen erzählen, aus denen das kommt, was heute gegen unsere Geistes- wissenschaft vernichtend auftreten will. Es sind schon starke Stücke, die da kommen und sie werden sich immer verstärken, wenn nicht in noch stärkerem Maße, als es bisher der Fall war, die Seelen aufwachen.

Sie wissen ja und unsere Freunde hier haben dagegen gekämpft, daß über ganz Deutschland und darüber hinaus einmal die abscheuliche Verleumdung aufgetreten ist von jenem Verrat deutscher Offiziere an die Entente durch die Bestrebungen der Dreigliederungsleute und so weiter. Ich habe nun in der letzten Zeit einiges aus jenen abscheulichen Schriftstücken geliefert bekommen, die in weiten Kreisen heute verbreitet werden: gefälschte Briefe, von denen gesagt wird, daß sie aus unseren Reihen stammen, die mit aller Raffiniertheit die schlimmsten Verleumdungen verbreiten, gefälschte Interviews, deren Charakter ich Ihnen nur dadurch zu charakterisieren brauche, daß ich Ihnen mitteile, daß ein solches gefälschtes Interview damit schließt: «D. H. gehört in Wirklichkeit nicht zum Steiner-Bunde. Er hat sich nur als Spion eingeschlichen, um hinter die Schliche zu kommen, und das Ergebnis hat er einem kleinen Kreis vaterländisch Gesinnter mitgeteilt, damit gesagt wird, daß der Steiner Hochverrat treibt und mit der Entente im Bunde steht!» Das ist nur ein kleines Pröbchen von den trüben Bestrebungen, die eine viel größere Verbreitung haben, als Sie glauben.

Ein sehr niedliches Beispiel in dieser Beziehung ist etwas, was auch jene Persönlichkeit der hiesigen Nachbarschaft, die ich in einem öffentlichen

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Vortrage einmal mit dem Worte «Schwein» bezeichnet habe - weil alles, was von dieser Persönlichkeit gegen mich gerichtet ist, mit keinem andern Worte bezeichnet werden kann -, jetzt von dort durch die schwarze Kunst verbreitet unter dem Titel: «Die gestohlene Dreigliederung.» Da wird nichts Geringeres behauptet, als daß einmal eine Dame eine Dreigliederung geschaffen habe - allerdings ist die Dame nicht vorsichtig genug, weil sie nichts darüber gelesen hat, wie früh in gewissen Kreisen meine Dreigliederung verbreitet worden ist; sie gibt einen Zeitpunkt an, der etwas später liegt als der Zeitpunkt, wo ich mit sehr vielen Leuten über die hier vertretene Dreigliederung gesprochen habe -, aber diese Dame habe auch eine Dreigliederung geschaffen; das Manuskript habe sie einer philanthropischen Gesellschaft geschickt, es sei dann nach Hamburg gewandert, dort habe es der Betreffende statt vierzehn Tage für vier Wochen behalten, dadurch sei es wahrscheinlich von mir gelesen und so die Dreigliederung aus diesem Manuskript von mir genommen worden. Allerdings kann die Dame nicht gut sagen, daß irgend etwas zwischen der hier vertretenen Dreigliederung und dem, was sie damals in jenes Manuskript hineingeschrieben hat, übereinstimmt. Deshalb sagt sie: «Die Dreigliederung ist zwar aus diesem Manuskript gestohlen - aber sie ist verpfuscht!» Jawohl Der hat mir meine Uhr gestohlen, aber das ist eine ganz andere! Nun hat sie eine Schrift verfaßt über ihre Dreigliederung. Die besteht, wie sie angibt, in dem Goldenen Schnitt «Staat, Kulturreich, Kirche», wobei dann wieder alles durch den Goldenen Schnitt gefordert sein soll. Also wir haben den Einheitsstaat und darin zwei Teile, also genau «dasselbe>, was auch die Dreigliederung will; deshalb ist die verpfuscht! - Damit Sie sich eine Vorstellung machen können, empfehle ich Ihnen sehr diese Schrift; der Titel heißt: «3 : 5, 5 : 8 = 21: 34 - Das Geheimnis, die Schuldenlasten in absehbarer Zeit tilgen zu können», von Elisabeth Mathilde Metzdorfi-Teschner, erschienen 1920 im Selbstverlag. - Sie könnten etwas gut machen, wenn Sie jetzt sagten: Wir haben gearbeitet für die Dreigliederung, aber wir haben eigentlich nur im Auftrage der Frau Elisabeth Metzdorff-Teschner gearbeitet. - Denn das mutet sie uns auch noch zu, indem sie an allerlei Leute Briefe schreibt.

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Das sind die Unterlagen für das, was ein Herr Rohm schreibt und was jetzt in die Schweiz geht und von allen katholischen Seelenhirten den Leuten dort aufgetischt wird. Natürlich hat niemand eine Ahnung davon, was an der Quelle steht, sondern es wird den Leuten in den Artikeln etwas ganz anderes erzählt, was die Leute ganz gut glauben könnten, da man nicht auf diese Narrheit als Quelle hinweist. So wird heute gearbeitet, aber nicht etwa unbewußt, sondern ganz bewußt. Gegen das wird bewußt gearbeitet, was aus ehrlicher Bestrebung heraus dem wirklichen Fortschritt der Menschheit dienen will! Und die, welche allen voran in der Schweiz zum Beispiel in solchem Stile arbeiten, sind für den Augenblick die katholischen Seelenhirten, die alles das nachdrucken, was von jenen Zentralen ausgeht, die von Herrn Knapp und andern befehligt werden und was in den Schmutzkübeln des Herrn Rohm abgeladen wird und so weiter. Dabei fällt mir immer ein, wieviel Leute es bis vor kurzem gegeben hat und noch gibt, die in der Schar der Anthroposophen wackere Abonnenten des «Leuchtturms» des Herrn Rohm sind und die einem immer mit den Ansichten des Herrn Rohm, mit dem oder jenem kamen!

Ich mußte Ihnen aber diese kleinen Proben - ich könnte die Beispiele reichlich vermehren - schon einmal vorführen, damit Sie sehen, mit welchen Mitteln gearbeitet wird.

Anthroposophie soll durch die Kraft, die in der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft liegt, auch die Kraft bekommen, noch etwas anderes aus den Worten zu haben, als den Namen: die Empfindung für die Wahrheit. Wer die Empfindung für die Wahrheit hat, wird auf den Weg kommen, der in etwas ganz anderem liegt, als es die Menschen heute vielfach bequem finden, der aber gesucht wird durch solche Dinge, wie sie auch heute wieder geschildert werden mußten. Denn es ist heute bequemer, etwas anderes zu sagen, als auf die starken feindlichen Kräfte hinzuweisen, die die Direktion sind für das Unterschiedmachen zwischen Wissenschaft und Glauben und die darauf ausgehen, den Weg zu versperren zum Hineinführen der sinnlichen Wissenschaft in die übersinnliche Wissenschaft.

NEUNTER VORTRAG Stuttgart, 8. November 1920

#G197-1986-SE147 Gegensätze in der Menschheitsentwickelung

#TI

NEUNTER VORTRAG

Stuttgart, 8. November 1920

#TX

Wir wollen in unserer Betrachtung heute ausgehen von Tatsachen der Menschenwesenheit, um dann den Übergang zu finden zu einigen weit- geschichtlichen Richtlinien.

Wir haben ja von den verschiedensten Gesichtspunkten aus jenen rhythmischen Wechsel in den menschlichen Zuständen betrachtet, der sich innerhalb von vierundzwanzig Stunden vollzieht, den Wechsel zwischen Schlafen und Wachen. Ich will heute einmal auf die Tatsachen, welche diesem Wechsel von Schlafen und Wachen zugrunde liegen, von einem Gesichtspunkte aus hinweisen, den wir noch weniger ins Auge gefaßt haben.

Wir wissen ja, daß der Mensch ein dreigliedriges Wesen ist. Wir betrachten als einen Teil dieses dreigliedrigen Wesens die Kopforganisation des Menschen. Diese Kopforganisation des Menschen ist ja so, daß zunächst der Außenwelt entgegengehalten wird der Sinnesorganismus. Mehr nach innen gelegen ist dann der eigentliche Gehirnorganismus. Wir wissen ja, daß jede solche Betrachtungsweise nur eine annähernde ist. Denn wir dürfen nicht einfach den Menschen in Sektionen abteilen von räumlicher Natur, wir müssen uns klar sein darüber, daß im Kopf, im Haupte nur hauptsächlich der Nerven-Sinnesorganismus konzentriert ist, daß dieser aber sich räumlich über den ganzen Menschen erstreckt. Das alles, was wir in dieser Beziehung zu sagen haben, gilt auch für den ganzen Menschen. Wir charakterisieren es nach dem hauptsächlichsten Teil, in dem diese Dinge konzentriert sind, nach dem Haupte, nach dem Kopf. Also nach außen der Sinnesorganismus, nach dem Inneren der Gehirnorganismus.

Nun fragt es sich: Was tritt denn da eigentlich ein für den Sinnes-Organismus und den Gehirnorganismus, wenn der Mensch aus dem Ihnen ja bekannten, wenigstens zunächst äußerlich bekannten Zustand des Wachens in den Zustand des Schlafens übergeht? Sie wissen ja, der Sinnesorganismus hört auf, seine Tätigkeit auszuüben. Der Gehirnorganismus kann noch verfolgt werden durch dasjenige, was dem Menschen

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in einer gewissen Weise hereinleuchtet aus dem Schlafzustand: durch das Traumleben. Sehen Sie sich dieses Traumleben einmal an, so werden Sie sich sagen können: Dieses Traumleben bietet Ihnen dem Anblicke nach zunächst eine Art von Umwelt, welche ähnlich ist in einer gewissen Beziehung der äußeren Sinneswelt. Sie enthält Bilder dieser äußeren Sinneswelt. Der Mensch im wachen Bewußtsein weiß ganz genau, daß er im Traumleben Bilder hat, die eine Art von Vorbild in der äußeren Sinneswelt haben. Und wenn dann der Mensch seine Traumwelt genauer sich ansieht, wenn er sie ganz unbefangen betrachtet, dann wird er gewahr, daß die Traumbilder verbunden sind miteinander, sich aufeinander beziehen, in einem Wechselverhältnis stehen, das so bestimmt ist wie die gegenseitigen Beziehungen, das Wechselverhältnis bei den mehr bildlosen Gedanken des Wachlebens. Nur kann man sagen, während der Mensch im bildlosen Denken des Wachlebens seine Gedankenverbindungen voll in der Hand hat, durch den Willen einen Einfluß auf die Verbindung des einen Gedankens mit dem andern ausübt, ist das im Spiel der Traumbilder nicht der Fall. Die Traumbilder ordnen sich selber zusammen. Der Mensch ist diesem Zusammen- ordnen hingegeben. Aber wenn man dann überblickt die Art und Weise, wie sich diese Traumbilder zusammenordnen, so findet man: Es ist, wie wenn verdünnt, gewissermaßen willenlos verlaufen würden die Tatsachen des gewöhnlichen Denkens. Man kann ganz genau noch die Reste sowohl des Sinneslebens wie des Denklebens in dem Traumleben verfolgen. Man wird - was ja dann die Geisteswissenschaft bis zur vollen Gewißheit erheben kann - aus alledem, was sich herausstellt durch diese Betrachtung des Traumlebens, erkennen können, daß das menschliche Gehirn, das ja in einer gewissen Weise der Träger des Vorstellungslebens ist, eine Veränderung durchgemacht haben muß gegenüber dem Wachzustand. Denn im Wachzustand liegt ja die Sache so, daß wir gerade durch unseren Willen die Verbindung der Gedanken in der Hand haben. Im Traumleben haben wir es nicht. Und außerdem: Die Sinne haben ihre Tätigkeit eingestellt, es sind nur die bildhaften Nachklänge an das Sinnesleben im Traumleben vorhanden. Also auch ein abgeschwächtes Sinnesleben ist da. Welche Veränderungen - so fragen wir heute - hat da das Gehirn des Menschen durchgemacht?

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Sie werden bei unbefangener Überlegung zustimmen müssen dem, was da die Geisteswissenschaft geltend machen muß: Das Gehirn ist im Träumen ähnlich geworden einem Sinnesorgan. Ein Sinnesorgan nimmt Bilder aus der Außenwelt auf. Es verarbeitet auch diese Bilder schon, wenigstens bis zu einem gewissen Grade. Aber in der Art, wie das bloße Sinnesorgan der Außenwelt gegenübersteht, liegt kein Wille. Wenn Sie sich gerade dieses der Außenwelt Gegenüberstehen des Sinnesorgans vor Augen führen und dann mit dem Träumen vergleichen, so werden Sie finden, daß das Gehirn als Träger des Träumens - meinetwillen setzen Sie das zunächst hypothetisch voraus, daß das Gehirn der Träger des Träumens ist - einem Sinnesorgan ähnlich geworden ist. Es ist mehr Sinnesorgan geworden, als es im Wachen ist, beziehungsweise im Wachen ist es das nicht, da hat es die Eigenschaft des Sinnesorgans ganz abgestreift.

Und nun werden Sie auch nicht mehr weit davon entfernt sein, einzusehen, wie es mit dem vollen traumlosen Schlafe ist. Der Traum steht ja zwischen dem Wachleben und dem Schlafe mitten drin. Wenn das Gehirn schon im Traume sich annähert dem Sinnesorgan, so wird diese Annäherung im Schlafe eine noch größere sein. Nur ist der Mensch in seiner heutigen Verfassung nicht in der Lage, sich dieses Sinnesorgans im normalen Leben zu bedienen. Aber es gab eine Zeit in der Menschheitsentwickelung, in welcher der Mensch in hohem Grade in der Lage war, sich des Gehirns als eines Sinnesorgans zu bedienen. Jedesmal aber wird zwischen dem Schlafen und Aufwachen das Gehirn in einer gewissen Weise Sinnesorgan. Wir wissen, wo der eigentliche Mensch, der geistig-seelische Mensch vom Einschlafen bis zum Aufwachen ist. Er ist in der Außenwelt. Wir wollen uns jetzt nicht dabei aufhalten, zu beschreiben, wie diese Außenwelt ist, sondern wir wollen uns nur klar sein darüber, daß natürlich der Mensch als seelisch- geistiges Wesen in einer seelisch-geistigen Außenwelt ist. Die Umwelt, die wir vom Aufwachen bis zum Einschlafen nur ansehen können als eine physische Welt, in der wir nicht gewahr werden die geistig-seemischen Ingredienzien, die wird für den Zustand zwischen Einschlafen und Aufwachen so, daß der Mensch als geistig-seelisches Wesen in dieser Umwelt als einer geistig-seelischen drinnen ist. Er erlebt sich un

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bewußt für seine heutige Seelenverfassung in dieser geistig-seelischen Umwelt.

Diese geistig-seelische Umwelt, in der der Mensch ist, die war nun die eigentliche Welt jener Zeit, aus welcher die Urweisheit der Menschheit stammt. Wenn wir zurückblicken auf jene Zeit, in die wir ja öfter schon zurückgeblickt haben, von der ein Nachklang steht in denVeden, in der Vedantaphilosophie, kurz, in den Weisheitsanschauungen, den Weisheitsoffenbarungen des alten Orients, dann haben wir dasjenige, was diese Urmenschheit des alten Orients erlebt hat gerade in dem Zustande zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen in der Außenwelt. Und für diese Menschheit war es noch so, daß das Gehirn während des Schlafes in hohem Maße eine Art Sinnesorgan war. Allerdings ein solches Sinnesorgan, das nicht gestattete, daß zu der gleichen Zeit, während welcher wahrgenommen wurde, auch gedacht wurde. Der altorientalische Mensch konnte dasjenige, was er erlebte zwischen Einschlafen und Aufwachen, in der geistig-seelischen Welt wahrnehmen. Es spiegelte sich gewissermaßen in seinem zum Sinnesorgan gewordenen Gehirn. Aber er konnte es nicht in demselben Zustande auch denken. Er mußte gewissermaßen abwarten die Zeit des Wachens, um das zu denken, was er da wahrgenommen hatte. Und es gibt sogar ein äußeres Zeichen dafür, daß diese Dinge so waren, wie ich sie jetzt geschildert habe. Versuchen Sie nur einmal, zurückzugehen selbst in die späteren Reste der altorientalischen Kultur. Da werden Sie finden, daß diese altorientalische Weisheitskultur durchaus so gestaltet ist, daß sie gewissermaßen den sinnlichen Weltenraum, der aber geistig angesehen worden ist, darstellt. Dasjenige, was heute nur in einer Karikatur vorhanden ist, die Astrologie, war eine lebendige Weisheit für diese alten Zeiten. Dasjenige, was die Sterne offenbarten, was der nächtliche Himmel dem Menschen offenbarte, dasjenige, was verhüllt ist für die Anschauung vom Aufwachen bis zum Einschlafen, das bildet in hohem Maße den Untergrund desjenigen, was diese altorientalische Weisheit enthüllte. Und das war es, was der Mensch erlebte vom Einschlafen bis zum Aufwachen. Er war in der Außenwelt, und er erlebte auf geistigseelische Weise seinen Zusammenhang mit der Gestirnswelt. Und wenn er aufwachte, dann trat sein Gehirn wiederum zurück aus dem Zustand

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des Sinnesorgans in den Zustand, der schon etwas ähnlich war unserem Gehirnzustand, nur war dieses Gehirn noch so gebaut, daß sich der Mensch nun während des Wachens erinnern konnte an dasjenige, was er während des Schlafes erlebte. Und es leuchtete als eine instinktive Imagination dasjenige auf, an das er sich da erinnerte. Während dieser altorientalische Mensch durchging durch das Tagesleben, konnte er die innere Aufmerksamkeit abwenden von dem, was in der Sinneswelt um ihn herum war, und er konnte achtgeben auf dasjenige, was als eine innere Erleuchtung in mächtigen Bildern vor seiner Seele stand als Erinnerung an dasjenige, was er nächtlich erlebt hatte. Und das waren die orientalischen Urimaginationen, die dann in abgeschwächter Gestalt in den noch immer herrlichen Veden und in der Vedantaweisheit und -dichtung erscheinen.

Wie erschienen sie in jener Zeit dem Menschen selber? Von einer solchen Beschreibung des Menschen, wie das in der heutigen Anatomie oder Physiologie der Fall ist, wo das Sinnenfällige des äußeren Menschen zugrunde gelegt wird diesen Beschreibungen, war in diesen alten Zeiten noch keine Rede. Der Mensch erlebte ja unter all dem, was er da in der Außenwelt erlebte zwischen Einschlafen und Aufwachen, sich selber als ein seelisch-geistiges Wesen. Er erlebte den Kosmos als seelisch-geistiges Wesen und sich selber als seelisch-geistiges Wesen in dem seelisch-geistigen Kosmos. Und wie erlebte er sich da? Er erlebte sich als sein eigenes Vorbild. Bitte geben Sie wohl acht auf dasjenige, was gerade in diesen Worten enthalten ist. Wenn dem Menschen die Erleuchtung aufging von dem, was er im Schlafe erlebt hatte, dann erlebte er sich als sein eigenes Vorbild, und er konnte sich sagen: Mein Vorbild sieht so und so aus. In diesem Vorbild sind nun wiederum gewisse spezielle Vorbilder für mein Haupt, für das Innere meines Hauptes für die Lunge, die Leber und so weiter enthalten. Der Mensch erlebte sich nicht in der Art und Weise, wie es die heutige Anatomie und Physiologie gibt, in den äußeren sinnenfälligen 0rganen. Aber er erlebte sich als Vorbild, als dasjenige, was diese äußeren sinnenfälligen 0rgane schafft. Der Mensch erlebte gewissermaßen sich selber als ein göttlich-himmlisches Wesen, als das göttlich-himmlische Vorbild des irdischen Menschen. Der irdische Mensch interessierte ihn daher nicht

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besonders, sondern ihn interessierte sein himmlisch-geistiges Vorbild. Durch diesen ganzen Komplex von Erlebnissen kam er aber noch auf etwas anderes. Er kam darauf, zu erkennen, daß ja dieses himmlischgeistige Vorbild zu gleicher Zeit dasselbe ist, was er war, bevor er als physischer Mensch empfangen beziehungsweise geboren worden ist. Und es erlebte der Mensch durch diese besondere Beschaffenheit während des alten orientalischen Urzustandes sich als himmlischgöttlichen Menschen, aber zugleich erlebte er sich als Mensch vor seinem Erdenwerden. Und das ist das fundamental Wichtige der alten orientalischen Kulturen, daß der Mensch sich erlebte als das Wesen, das er war vor seinem irdisch-physischen Dasein. Sein Bewußtsein von alledem war allerdings ein instinktives, aber es war eben so, daß es zum Ergebnis hatte das feste Erkennen von dem vorirdischen Dasein, von dem Herabsteigen aus einer geistigen Welt in die physisch-sinnliche Welt. Das ist das vergessene Charakteristikon der alten orientalischen Religionen, daß diese Religionen durchaus sprachen von dem vorgeburtlichen Dasein, davon sprachen, daß das Leben auf der Erde eine Fortsetzung eines himmlischen Lebens ist.

Ich habe von einem andern Gesichtspunkte aus schon darauf hin- gedeutet, wie sehr für unsere Zeit verlorengegangen ist das Bewußtsein, das sich da entwickelt hatte, indem wir zwar ein Wort haben, welches negiert, daß das Leben mit dem Tode endet, «Unsterblichkeit», aber kein Wort, welches negiert, daß der Beginn der Anfang des menschlichen Lebens überhaupt ist. Wir haben kein ähnliches Wort wie Unsterblichkeit für das Vorgeburtliche. Wir müßten auch das Wort «Ungeborenheit> haben. Wenn wir das Wort Ungeborenheit hätten und wenn dieses Wort Ungeborenheit in uns so lebendig wäre wie das Wort Unsterblichkeit, dann würden wir uns hineinversetzen können in die Seelenverfassung des altorientalischen Menschen.

Wenn Sie sich innerlich vergegenwärtigen diese ganze Seelenverfassung des altorientalischen Menschen, dann werden Sie sich sagen können: Das irdische Leben ging in einer gewissen Weise für ihn so vor sich, daß er es wenig beachtete, weil er ja in ihm nur das Abbild des himmlisch-geistigen Lebens sah. Auch sich selbst als physischen Menschen nahm der alte Orientale nicht besonders wichtig, denn dieser

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Mensch, der hier auf der Erde herumging, war eben durchaus ein bloßes Abbild des himmlischen Menschen, der vor allen Dingen vor seiner Seele stand. Das Ewige im Menschen, es war für diesen orientalischen Menschen aus der unmittelbaren Anschauung heraus eine Selbstverständlichkeit, weil, wie gesagt, es ihm aufging als Erleuchtung; im Tagesleben, in dem Wachen, war die Erinnerung an das Nachtleben. Um sich eine solche Seelenverfassung vor das geistige Auge zu stellen, muß man also zurückgehen in den alten 0rient. Dasjenige, was da als eine große Geisteskultur im alten 0rient vorhanden war, das gehört sehr, sehr alten Zeiten an. Denn was die Bücher enthalten, selbst die herrlichen Veden, die Vedantaphilosophie, ist nur ein Nachklang. Wollte man in reiner, ursprünglicher Gestalt dasjenige anschauen, was Inhalt der alten orientalischen Urweisheit ist, dann müßte man weit hinter das Zeitalter der Veden, der Vedantaphilosophie zurückgehen. Das kann nur die Geisteswissenschaft. Diese alte orientalische Kultur, die gewissermaßen alles irdische Leben durchleuchtet hat mit der Einsicht in die geistige Welt, die, wenn sie auch nur instinktiv war, doch hoch war, diese alte orientalische Geisteskultur ist dann in die Dekadenz gekommen. Wer das heutige orientalische Wesen, das schon stark dekadent ist, studiert, der findet noch immer als den Grundimpuls in diesem orientalischen Wesen diese Hinlenkung auf den himmlischen Menschen. Selbst in den Koketterien des Rabindranath Tagore finden wir noch die Nachklänge dieses orientalischen Duktus`. Rabindranath Tagore ist ja durchaus durchtränkt von dem, was ja selbstverständlich schon spätere dekadente Kultur ist; aber, wie gesagt, den Grundzug findet man selbst noch in seinen zum Teil außerordentlich interessanten, bedeutsamen, aber in ihrem Grundcharakter ganz koketten Auseinandersetzungen, zum Beispiel in den Aufsätzen, die in seiner Schrift über den Nationalismus zusammengestellt sind. So daß man, wenn man nach dem 0riente hinüberblickt, in eine alte Zeit hineinblickt, in eine hohe instinktive Geisteskultur mit starker Betonung des vorirdischen Daseins. Und man sieht dann auf ein allmähliches Niedergehen dieser ursprünglich hohen Geisteskultur. Im Niedergehen zeigt sich dann nur das Unvermögen, einzugehen auf dasjenige, was nun schon einmal die Aufgabe des modernen Menschen ist: auf das physisch-sinnliche Dasein ,

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das der Mensch durchlebt zwischen Geburt und Tod. Der altorientalische Mensch der Urzeit hatte das Vorbild des Menschen; und er konnte im physisch-sinnlichen Leben das Nachbild dieses Vorbildes sehen. Die Lebendigkeit, die Durchleuchtetheit des himmlisch-göttlichen Vorbildes, die verdüsterte, verdunkelte sich allmählich, und so blieb dem Orientalen nurmehr ein Schattenbild. Heute ist es schon ganz verblaßt. Es blieb ein Schattenbild desjenigen, was einstmals in lebendiger Helle vor seiner Seele stand, als das geistig-seelische Urbild seiner selbst innerhalb der ganzen kosmischen geistig-seelischen Welt. Es blieb aber auch eine gewisse Ohnmacht zurück im orientalischen Wesen. Und das ist etwas, was heute der Mensch, der mit seiner Zeit leben will, ganz besonders aufnehmen muß. Es blieb zurück die Ohnmacht, den Menschen zu betrachten, der da Nachbild ist, den Menschen zu betrachten in der Zeit zwischen Geburt und Tod. Dafür hat der Orientale früher keinen Sinn gehabt, auch da nicht, wo er nicht den Ersatz, sondern etwas ganz anderes, den himmlisch-physischen Menschen vor sich hatte. Aber er hat auch heute noch keinen Sinn dafür, wirklich einzugehen auf den Menschen, wie er ist zwischen Geburt und Tod. Das blieb vorbehalten einer andern Kultursphäre, den Menschen zu betrachten in seinem Wesen hier im physisch-sinnlichen Dasein zwischen Geburt und Tod. Das blieb vorbehalten der Kultur, die ich nennen möchte die Kultur der Mitte. Diese Kultur der Mitte hat zunächst den historisch sichtbaren Ausdruck im späteren alten Griechentum. Das ursprüngliche alte Griechentum ist ja noch unter dem Nach- klang orientalischer Weisheit gestanden. Das spätere Griechentum nimmt schon dasjenige an, was ich nunmehr charakterisieren will als die Kultur der Mitte.

Diese Kultur der Mitte kommt mehr vom Süden herauf, ergreift das spätere Griechenland, ergreift namentlich die römische Welt. Während alles dasjenige, was ich bisher charakterisiert habe für den Orient, ein Schauen war, wird dasjenige, was da vom Süden her kommt, das spätere Griechentum ergreift, in der römischen Welt seine besondere Ausbildung erfährt, was da zur Kultur der Mitte wird - von andern Gesichtspunkten aus haben wir das öfter schon betrachtet -, eine juristische, dialektische, intellektuelle, eine denkerische Kultur, nicht

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eine Kultur des Schauens, sondern eine denkerische Kultur. Diese denkerische Kultur ist insbesondere geeignet, den Menschen zu betrachten in seinem Leben zwischen Geburt und Tod. Nachdem sie ihre Vorstadien durchgemacht hatte im späteren Griechentum, nachdem sie ganz derb, brutal aufgetreten war im Römertum, sich dann erhalten hat durch die Sprache des Römertums, die lateinische Sprache, die für das Mittelalter noch die Sprache der Wissenschaft war, hat diese dialektische, diese intellektuelle Kultur einen Höhepunkt erlangt in der mitteleuropäischen Kulturgröße, die man um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert erlebte in Schiller, Goethe, Herder, und ja auch in den Philosophen Fichte, Schelling und Hegel. Sie brauchen sich nur dasjenige anzuschauen, was in diesen Geistern das eigentlich Charakteristische ist, und Sie werden gleich daraufkommen, daß das stimmt, was ich sage. Nehmen Sie Fichte, Schelling, auch selbst Goethe. Worin sind denn diese Geister groß, worin sind sie bedeutsam?

Diese Geister sind groß und bedeutsam im Erkennen des Menschen zwischen Geburt und Tod. Für diesen Menschen fordern sie eine Totalerkenntnis. Nehmen Sie, um nur ein Beispiel herauszuheben, die Hegelsche Philosophie. Sie finden in der Hegelschen Philosophie stark betont, daß der Mensch ein geistiges Wesen ist. Aber der Geist wird nur betrachtet, insofern der Mensch lebt zwischen Geburt und Tod. Nichts finden Sie bei Hegel von einem vorgeburtlichen, himmlisch-göttlichen Menschen. Nichts finden Sie selbst bei Hegel von einem Menschen nach dem Tode. Sie finden bei Hegel eine geschichtliche Betrachtung alles desjenigen, was verlaufen ist zwischen den Menschen hier auf der Erde, insoferne sie Menschen sind, die leben zwischen Geburt und Tod. Sie finden aber kein Hereinspielen irgendwelcher Mächte derjenigen Welten, die der Mensch durchlebt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Das ist alles wie ausgestrichen in dieser großen Kultur, deren Mission, deren Beruf es eben war, scharf zu betonen, daß der Mensch hier in seinem Leben zwischen Geburt und Tod ein geistig-seelisches Wesen neben einem leiblich-physischen Wesen ist. Aber es war zu gleicher Zeit die Beschränkung dieser Kultur darin gegeben, daß man nicht hinaufschauen konnte in dasjenige Leben, das geistig ist. Und das Seelische, das über Geburt und Tod hinausreicht, das Ewige, insofern

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es sich offenbart zwischen Geburt und Tod, wurde insbesondere von Hegel und auch von den andern allen, insbesondere den deutschen Geistern, mächtig betont, aber es fehlte jede Möglichkeit, hinauszuschauen in das Leben des Ewigen, wie es sich offenbart vor der Geburt, wie es sich offenbart nach dem Tode. Was über den Menschen als ein leibfreies Wesen in dieser Zeit gesprochen worden ist, das war ja altes Erbgut des Orients, das war nicht herausgequollen aus der eigenen Erkenntnis. Es war Tradition. Es war aufs höchste gespannt in diesem Erkennen der europäischen Mitte die Erkenntniskraft, die sich auf das Geistig-Seelische auch im Menschen richtete, aber zu gleicher Zeit sich richtete auf das Leiblich-Physische. Aber diese Spannung ging nicht über das Leben hinaus, das sich zwischen Geburt und Tod abspielt.

Im Westen bereitete sich in der verschiedensten Weise vor ein anderes Leben, ein Leben, welches, wenn es sich später einmal weiter entwickeln wird, in anderer Art das Geistige hereinbringen wird, das leibfrei ist. Wie hat der alte Orientale - machen wir uns das noch einmal klar - das Geistige in das physische Leben hineingebracht? Er hat es dadurch hereingebracht, daß er sich bei Tage erinnerte an dasjenige, was er nächtlich zwischen Einschlafen und Aufwachen außerhalb seines Leibes erlebte. Späterhin wird das anders sein, heute sind nur die Vorboten da, das Vorstadium. Der Mensch erlebt nämlich zwischen dem Aufwachen und Einschlafen in sich nicht etwa bloß dasjenige, was ihm bewußt ist, denn es steigt wenig von dem, was der Mensch erlebt, in das heutige normale Bewußtsein schon herauf. Da unten in der menschlichen Natur wird wirklich unermeßlich viel mehr erlebt, als der Mensch im Bewußtsein haben kann. Das wird ja schon geahnt, gerade im Westen. Daher reden solche Menschen wie William James von dem «Unterbewußten» oder «Unbewußten», weil sie es ahnen; sie konnten es nur noch nicht zur Erkenntnis erheben. Es ist alles ein Lallen, was über diese Dinge gesagt wird, aber geahnt werden die Dinge. Und so wie hereinstieg in den alten Orientalen dasjenige, was im leibfreien Zustand als das Geistig-Seelische des Kosmos erlebt worden ist, so wird einmal heraufsteigen aus den Untergründen im Westen dasjenige, was da in den Untergründen heute unbewußt erlebt wird. Da werden auch Imaginationen heraufkommen. Derjenige, der die

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Psychologien des Westens studiert, sieht heute schon in der Assoziationspsychologie, die, wie sie heute auftritt, ein Unsinn ist, schon eine Vorbereitung hierzu.

Dasjenige also, was für den Menschen der Mitte sich nur zeigte als 0ffenbarung dessen, was zwischen Geburt und Tod erlebt wird, das wird sich in seinem ewigen Aspekte zeigen durch die besonderen Fähigkeiten des Westens.

Insbesondere ist ja da unten in uns dasjenige, was nach dem Tode in der geistigen Welt leben wird. Erinnern Sie sich an dasjenige, was ich Ihnen über diese Dinge oftmals von verschiedenen Gesichtspunkten aus gesagt habe. Ich habe gesagt Das menschliche Haupt ist Ergebnis des früheren Erdenlebens. Dasjenige, was der übrige Mensch ist, das wird das Haupt im nächsten Erdenleben. So wird die Metamorphose sich vollziehen. Was also da unten ist in dem außerkopflichen Menschen, das ist nur für die gegenwärtige Auffassungsweise Fleisch und Blut, Muskeln, Haut, Knochen, das enthält aber im Keime geistig dasjenige, was das Haupt der nächsten Inkarnation ist, das weist über den Tod hinaus. Und dieses über den Tod Hinausweisende, das wird sich einmal der Menschheit der Zukunft, die heute in den primitiven Anfängen im Westen vorhanden ist, in das Bewußtsein hinein offenbaren. Das innere Geistig-Seelische wird also in der Zukunft imaginativ wahrgenommen werden, wie das äußere Geistig-Seelische in der Vorzeit imaginativ-instinktiv wahrgenommen worden ist. Nur wird dasjenige, was von innen heraus sich offenbaren wird, dem vollen Bewußtsein sich offenbaren, während das, was sich dem alten 0rientalen offenbart hat, in einem dumpfen, instinktiven Bewußtsein nur sich offenbarte.

Und wie kündigt sich denn das heute an? Wie sind denn die Vor- boten? Die Vorboten sind zunächst die, daß eine starke Hinneigung vorhanden ist in diesen westlichen Gebieten zum Materialismus. Weil einmal das Geistige aus der menschlich-physischen Materie heraus sich offenbaren soll, neigt heute diese Welt in hohem Maße zum Materialismus hin. Das Geistige sieht sie noch nicht, aber dasjenige, woraus ihr das Geistige wird, das sieht sie heute. Daher der Materialismus, der ja vorzugsweise ein westliches Produkt ist, aber vom Westen her die Mitte überschwemmt hat und nach dem 0sten sich ausbreitet.

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Die Kultur der Mitte ist ja keine materialistische; man könnte sie eine materiell-spirituelle nennen, weil in der Betrachtung des Menschen zwischen Geburt und Tod immer das Gleichgewicht sich hält das Hin- schauen auf Materielles und das Hinschauen auf das Geistige. Es ist durchaus bei den deutschen Philosophen, bei Goethe und Schiller, überall so, daß sie gewissermaßen dem Leibe und dem Geiste das gleiche Recht lassen. Im Westen ist der Geist eben Zukunftssache, der Gegenwartsblick ist zunächst dem Leibe zugewendet. Aber in der Menschheitsentwickelung ist alles im Fluß: aus dieser Leibeserkenntnis, diesem Materialismus, wird einmal ein Spiritualismus werden, der nur von einer ganz andern Seite herkommt, und der vor allen Dingen bewußt sein wird gegenüber dem Spiritualismus des alten Orients.

Sie sehen daraus, wie die eigentümliche Verteilung - ich habe von andern Gesichtspunkten aus schon darüber gesprochen - dieser dreigestaltigen Menschheitskonfiguration durch die Welt hin ist: Der Mensch des Ostens sah sich einstmals als sein himmlisch-geistiges Vorbild an. Der Mensch der Mitte sieht sich an als den Erdenmenschen, der aber Geist und Seele neben Leib und Körper ist. Der westliche Mensch sieht sich heute noch an als den bloß physischen Menschen; aber in dem, was er berufen ist zu entwickeln, kündigt sich eben das an, was heraussteigen wird aus dieser menschlichen Physis und was zukünftig den geistigen Inhalt des Bewußtseins ausmachen wird.

Der Mensch der Mitte ist eben eingeklemmt zwischen Osten und Westen. Der Osten, der einstmals eine hohe Geisteskultur hatte, ist in der Dekadenz. Der Westen, in dem sich ankündigt eine spätere hohe Geisteskultur, ist heute noch ganz in der Materie befangen. Eine Kultur, in der sich, ich möchte sagen, die zwei Dinge ausgleichen, hat sich in der Mitte gebildet: Einerseits ein dialektisch scharfes Denken, wie es zum Beispiel in Schillers Briefen «Über die ästhetische Erziehung des Menschen» waltet und das gerade noch so weit gehen kann, um nicht in die bloße Trivialität der modernen Wissenschaft zu verfallen, sondern das noch beim menschlich Persönlichen stehenbleibt; andererseits eine bildhafte Anschauung über des Menschen soziales Leben wie in Goethes «Märchen» von der grünen Schlange und der schönen Lilie, das schon zu Bildern kommt, aber diese Bilder nicht zu geistigen Anschauungen treibt.

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Diesem Menschen der Mitte ist daher auch die Mission zuerteilt, dasjenige, was er zunächst durch seine besonderen Fähigkeiten erlangt hat für den Menschen zwischen Geburt und Tod, durch unmittelbare Erkenntnis zu erweitern für den Menschen als geistig-seelisches Wesen neben dem physisch-leiblichen Wesen, aber zu erweitern dadurch, daß unmittelbar aus diesem zur Mysterienweisheit wiederum aufgestiegen wird. Dann erhebt sich der Mensch durch Ausbildung derselben Fähigkeiten, durch die er das Geistig-Seelische gerettet hat für das physischleibliche Dasein, durch klares Denken, das sich aber entwickelt zu Imagination, Inspiration, Intuition, wiederum in die geistige Welt hinein, die durchlebt wird zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Hier, innerhalb dieser physischen Welt, erlebt man ein völliges Hinein- leuchten jener Fähigkeiten, die da zu entwickeln sind, nur, wenn man das Problem der Freiheit betrachtet. Ich habe mich daher in meiner «Philosophie der Freiheit> darauf beschränkt, dieses Problem der Freiheit zu betrachten. Da mußte man schon, aber jetzt für bloß irdische Probleme, dieselbe Fähigkeit anwenden, die, wenn man sie dann weiter ausbildet, den Blick erhebt über dasjenige, was über Geburt und Tod hinausliegt.

Sie sehen, in einem gewissen Sinne ist auch die Welt dreigeteilt in ihrer Entwickelung: Im alten 0rient die instinktive Weisheit, in der Mitte ein gewisses dialektisch-intellektuelles Leben, im Westen heute noch der Materialismus, der in seinem Schoß einen Zukunftsspiritualismus in sich trägt. Von der instinktiven Weisheit war im alten 0rient alles abhängig. Ein politisches Leben in unserem Sinne gab es da nicht. Diejenigen, die die Vorsteher der Mysterien waren, gaben auch die Richtung für das politische und wirtschaftliche Leben an. Denn groß war der alte 0rientale für das geistige Leben, das sich bei ihm instinktiv ausbildete. Von diesem geistigen Leben war abhängig das politische und wirtschaftliche Leben. Dann kam das Leben der europäischen Mitte, vom Süden natürlich; schon in Agypten hatte es seine ersten Anfänge. Da entwickelte sich ein Leben, das es dann brachte zu einem dialektischen Ausdenken des staatlich-politischen Elementes. Gerade innerhalb dieser Kultur der Mitte wurde ja das staatlich-politische Leben ausgestaltet. Das geistige Leben hatte man da nur als eine Erbschaft.

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Und gar im Westen, etwa im Puritanertum, da hat man das Geistige als etwas ganz Abstraktes, das man sektiererisch betreiben kann, das man hineinleuchten läßt in das gewöhnliche physische Leben des Alltags.

Hier in der europäischen Mitte ist also der Boden gewesen, auf dem die staatlichen Ideen sich besonders ausbildeten, wie zum Beispiel bei Wilhelm von Humboldt, und auf dem sie sogar solche wunderbaren Formen annehmen als gesellschaftliche Gemeinsamkeit wie in Schillers «Asthetischen Briefen», wo sie in so grandiosen Bildern vor die Menschen sich hinstellen wie bei Goethe, denn es ist im Grunde genommen Staatsidee, die sich in Goethes «Märchen» von der grünen Schlange und der schönen Lilie darstellt.

Dann haben wir im Westen heute erst ausgebildet dasjenige, was einmal notwendigerweise einmünden muß in die Dreigliederung des sozialen Organismus, wir haben es erst ausgebildet im materiell-wirtschaftlichen Gebiet. Staatsidee ist im Westen nur eine Erbschaft der Kultur der Mitte. Es gibt ein dickes Buch von dem einstmals so berühmten Woodrow wilson über den Staat. Da drinnen steht gar nichts Westliches, sondern es ist ganz und gar nur ein Abklatsch desjenigen, was an Staatstheorien bis in die speziellen Ideen hinein in der Mitte entwickelt worden ist. Es ist auch ins Deutsche übersetzt, denn es gab auch in Deutschland eine Zeit, wo man Woodrow Wilson für einen großen Mann angesehen hat.

So kann man sagen, dasjenige, was uns heute vorschwebt als die Dreigliederung des sozialen Organismus, geschichtlich hat es sich entwickelt durch die Menschheitsgestaltung hindurch in drei Stadien: Vorbildlich-instinktiv als geistiges Leben im alten Orient; in einer gewissen Weise halbinstinktiv - denn so wie bei Humboldt, Schiller, Herder oder auch bei späteren die Staatsidee aufgetreten ist, ist sie halb instinktiv und halb intellektuell - hat sich entwickelt die Staatsidee, das politische Leben, das Rechtsleben in der Kultur der Mitte; das Wirtschaftsleben ist eigentlich zunächst eine Sache des Westens, so stark eine Sache des Westens, daß selbst die Philosophen des Westens eigentlich deplacierte Wirtschafter sind. Spencer hätte viel besser getan, wenn er Fabriken begründet hätte statt Philosophien. Denn die

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besondere Konfiguration des Westens paßt eigentlich in die Struktur der Fabrik hinein. Da ist alles da, worauf das Spencersche Denken sich erstreckt.

Man kann die Sache auch noch anders ausdrücken: Der altorientalische Mensch ist aufgestiegen zu dem Göttlichen des Menschen. Ihm war der Mensch in gewisser Weise der Sohn des Gottes, der Ausfluß des Göttlichen. Das Göttliche ragte gewissermaßen für den orientalischen Menschen herab und hatte eine Fortsetzung nach unten, die nur nachgebildet wurde: der irdische Mensch war eine Fortsetzung des göttlichen Vorbildes. Das war für den alten 0rient, oben der göttlich- geistige Mensch, unten der physische Mensch als sein sinnlich-irdisches Abbild, nur so etwas, was gewissermaßen noch herunterhängt und in die irdische Welt hineinragt vom himmlichen Menschen. Und als später vergessen wurde der himmlische Mensch, oder nur eine Ahnung noch vorhanden blieb in der dekadenten Kultur, da hatte man keinen Sinn für dasjenige, was da herunterragte von dem göttlichen Menschen in den irdischen Menschen hinein.

Der Mensch der Mitte ist so organisiert, daß ihm dasjenige, was als der himmlische Mensch herunterragte aus geistigen Höhen, wie eine Art von geschlossenem Halbkreis sich verdichtet hat, und daß sich ihm ansetzt dann darunter der irdische Mensch, so daß ein überschaubares göttlich-geistiges und sinnlich-physisches Wesen herauskommt, wie es so schön in der Hegelschen Philosophie dargestellt wird, wie es Goethe so schön vorgeschwebt hat.

In der westlichen Kultur ist der Blick hingerichtet auf die Tierwelt, das animalische Wesen. Darwin betrachtet es in seiner Entwickelung großartig. Und das hat nach oben eine Art von Kuppe, auf die man auch nicht recht kommt, die man nur als das oberste Entwickelungsprodukt betrachtet: den Menschen. Eigentlich betrachtet man im Westen nur das Tierische, so wie man im 0sten nur das Himmlische, nur den Gott betrachtet hat, der sich im Menschen fortsetzt. Im Westen betrachtet man nur das Tier, das oben eine Kuppe hat, ein Wesen, was da auch noch eine Fortsetzung der Tierreihe ist, so etwas ist wie ein t3bertier, das da hinausgeht über das Tierische. Das ist heute allerdings noch der Zustand des Westens. Das ist auch der Zustand, der sich ausdrückt

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in der westlichen Philosophie und der sich weiterentwickeln wird, indem gerade so, wie der Orientale das Geistige von oben empfangen hat, dereinst der Okzidentale das Geistige von unten ausgestalten wird und in vollem Bewußtsein ausgestalten wird. Die Mitte bildet den Übergang.

Derjenige, der die Wirklichkeiten betrachtet, redet nicht gern von einem Übergangszeitalter. Denn jedes Zeitalter ist selbstverständlich ein Übergangszeitalter, weil immer etwas folgt und immer etwas vorangegangen ist. Aber so wie es bei der Pflanze einen Punkt gibt, wo zum Beispiel der Kelch ist und oben die Blüten und unten die Blätter, wie da deutliche Abschnitte sind, so sind auch schon in der Menschheitsentwickelung solche deutlichen Abschnitte. Und wir können von der Zeit, in der das große Morden geschehen ist, von 1914 an, schon sprechen als von einer Übergangszeit, von einer Zeit, die besonders ausgezeichnet ist in dem geschichtlichen Werden der Menschheit, in der sich auch in einer gewissen Weise innerlich-tragisch das Schicksal des mittleren Menschen entfaltet hat, an den die große Frage herantritt: Wie findet man aus dem physisch-irdischen, zwischen der Geburt und dem Tode liegenden Leben heraus in das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt? Hegels Philosophie ist gleich nachher in Materialismus umgeschlagen. Und die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war ohnmächtig gegenüber der Frage: Wie wird dasjenige, was da für das Irdisch-Geistige gefunden ist, auf das Außerirdische ausgedehnt? Das ist aber die große Frage, die vor uns steht gerade für die Kultur der Mitte. Der Goetheanismus muß seine Weiterentwickelung finden. Er muß sich nach dem Geistig-Seelischen hin entwickeln. Er muß aus dem bloßen Physisch-Menschlichen heraus kosmisch werden. Dieser Versuch wird gemacht gerade durch die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft, die eine Fortsetzung ist des Goetheanismus in das Geistige hinein. Es muß sich der Goetheanismus bis in die Mysterienweisheit hinein erstrecken. Er muß hineinentwickelt werden in die Mysterienweisheit.

Das ist das Bedeutsame, das uns entgegentritt in der Signatur der Gegenwart, das man verstehen muß, wenn man sich bewußt in das Leben der Gegenwart, in die Aufgaben der gegenwärtigen Zeit hineinstellen

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will. Trotz seiner starken Prüfungen hat das Mitteleuropäische, wenn es nicht versagt, die Vertiefungen desjenigen zu vollziehen, was ihm entgegentritt für das physisch-sinnliche Dasein des Menschen, das den Geist im physisch-sinnlichen Dasein bewahrt hat. Das muß die Grundlage bilden für das Ausgestalten einer Mysterienweisheit, die denkerisch ebenso scharf ist wie denkerisch war dasjenige, was für das Physisch-Sinnliche erobert worden ist. Daher muß oder müßte gerade in dieser europäischen Mitte ein gründliches Verständnis für den Ausgleich der drei Gebiete - des Geistigen, des Staatlichen, des Wirtschaftlichen - eintreten. Die andern werden schon folgen. Für hier aber ist es die denkbar größte Nachlässigkeit, wenn die Menschen schlafend vorübergehen an dem, was als eine große Notwendigkeit dasteht: zu begreifen und auszuwirken den Impuls von der Dreigliederung des sozialen Organismus.

Eingeklemmt zwischen den Osten und den Westen ist diese europäische Mitte. Sie liegt heute am Boden. Sie muß gerade aus Dunkelheit, aus Finsternis heraus einen Weg zum Licht finden.

Was da geschehen wird noch vor der Jahrhundertmitte, über das werden wir das nächste Mal sprechen, wo ich Ihnen auseinandersetzen werde die Erscheinung des Christus vor der Mitte des 20. Jahrhunderts. Von dem, was ich in meinem ersten Mysteriendrama angedeutet habe, dem Wiedererscheinen des Christus, werde ich Ihnen sprechen. Heute will ich nur darauf aufmerksam machen, daß dieses Wiedererscheinen des Christus, das aber innig verbunden ist mit dem Verstehen der Dreigliederung des ganzen Weltenwesens, sich entwickelt, indem die Mitte hinschauen muß auf der einen Seite nach der altgewordenen instinktivspirituellen Kultur des Ostens, und hinschauen muß, gründlich verstehend, was sich da vorbereitet, nach der heute noch materialistischen, aber im Materialismus den Keim einer zukünftigen Spiritualität in sich tragenden westlichen Kultur. Da muß sich die Kultur der Mitte hineinstellen, muß die Stärke und die Kraft finden, sich da hineinzustellen und richtunggebend zu werden.

Das ist dasjenige, was einem so wehtut, was einem so große Herz schmerzen verursacht, daß kaum die Worte heute mit der Seele gehört werden, die auf die hier berührten Notwendigkeiten hinweisen, daß

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die Menschen nur schlafen möchten, sich gehen lassen möchten, zurückschreckend vor den großen Aufgaben der Gegenwart. Aber wir müssen hinsehen und müssen verstehen, was im Osten, was im Westen wirkt.

Wir müssen uns klar sein, wie im Westen eine Anfangskultur vorhanden ist. Wir sehen, wie in diesem Westen sich diese Anfangskultur gerade da am allerstärksten ankündigt, wo, ich möchte sagen, das Wirtschaftliche aus dem Technischen aufsprießt. Nichts ist charakteristischer in dieser Beziehung als jenes Ideal, das einstmals vor einem Amerikaner gestanden hat und was ganz gewiß im Westen einmal verwirklicht werden wird, ein rein ahrimanisches Ideal, aber ein Ideal von hoher Idealität, das darin besteht, daß man die eigenen Vibrationen des menschlichen Organismus benützt, indem man sie fein studiert und sie überträgt auf die Maschine, so daß der Mensch an der Maschine steht und seine kleinsten Vibrationen sich in der Maschine potenzieren, so daß dasjenige, was der Mensch an Nervenvibrationen aufbringt, in die Maschine übergeht. Denken Sie an den Keely-Motor, der ja auf den ersten Anhieb noch nicht so weit gelungen ist, daß er ging, weil er noch zu stark aus dem bloßen Instinkt heraus bearbeitet ist; aber es ist etwas, was durchaus der Verwirklichung entgegengeht. Es ist gewissermaßen das, was noch aus dem ganz grob mechanistischen Material heraus hinweist auf dasjenige, was entstehen muß: der Zusammenschluß des Mechanisch-Materiellen mit dem Geistigen.

Dagegen sehen wir, wie im Osten das alte Geistige immer mehr und mehr in die Dekadenz, in den Verfall, in den Zustand des Faulens kommt. Wir erleben im Osten durchaus so etwas, daß man sagen kann: Senil ist geworden der einstmals himmlisch-geistige Mensch für die Anschauung; senil, greisenhaft ist er geworden. Er versteht noch nicht dasjenige, was auf der Erde ist, was ja auch den Menschen umkleidet. Während man im Westen nur dieses Irdische versteht, versteht man im Osten nichts davon. Daher ist das Himmlische schon ganz senil, ganz greisenhaft geworden. Es ist daher immer ein großer Fehler, wenn man auf der einen Seite nicht aufmerksam ist, wie aus dem Mechanismus, dem mechanistischen Materialismus des Westens erst das Geistige herausgewonnen werden muß, wie aus der Naturwissenschaft, die auch noch ganz materialistisch-westlich ist, der Geist herausintuitiert werden

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muß. Und es ist ein ebenso großer Fehler, wenn man nach dem Osten hinschielt und etwa heute noch, wie es einstmals oder auch noch heute die theosophische Adyar-Gesellschaft mit ihren Antiquiertheiten tut, Spirituelles aus dem Osten nach dem Westen tragen will. Wenn man hinüberschaut nach dem Osten, dann hat man es bei allem, was man da findet, mit nichts Gegenwartslebendigem zu tun, sondern mit etwas, was alt geworden ist, was man studieren muß als ein geschichtlich Altgewordenes, was für die Gegenwart keine Bedeutung mehr hat.

Ebenso wie wir, ich möchte sagen, als einen noch ganz groben, brutalen mechanistischen Vorläufer einer Zukunftskultur im Westen Keely haben mit seinem Motor, haben wir als den äußersten Ausläufer der geistigen Senilität des Ostens Tolstoj. In Tolstoj sehen wir, wie gewissermaßen konzentriert auftritt dasjenige, was einstmals groß war und was jetzt in der völligen Dekadenz ist, was ein interessantes Phänomen ist, aber für uns nicht die geringste Gegenwartsbedeutung hat. So wie vieles ausgelöscht worden ist mit den Ereignissen seit dem Jahre 1914, so ist ausgelöscht dasjenige, was ein letztes Aufflackern der östlichen Senilität in Tolstoj war. Vor dem Kriege konnte man noch von Tolstoj als von etwas Gegenwärtigem sprechen. Mit dem Kriege ist das vorüber. Das hat keine Gegenwartsbedeutung. Es ist etwas durchaus Antiquiertes, heute von Tolstoj als von irgend etwas zu sprechen, was eine Gegenwartsbedeutung hat. Und man muß sich hüten vor jeder Art des Hinüberschielens nach dem Osten, nach dem alten Osten und auch nach dem, was in einer gewissen Art des Senilwerdens noch zum letzten Mal in einem Menschen wie Tolstoj sich konzentriert hat. Wir müssen ganz auf dem Boden derjenigen Mission stehen, die die Mission der Gegenwart ist. Und das können wir nur, wenn wir aus den eigenen Fundamenten heraus den Impuls von der Dreigliederung des sozialen Organismus begreifen. Gewissermaßen um ein weltgeschichtliches Symbolum hinzustellen, oder auch als ein Symptom, hat der verfaulende Osten zuletzt in einer, man möchte sagen, innerlich strebsamen, aber doch ohnmächtigen Weise wie seinen letzten Ausläufer noch Tolstoj hingestellt, wie der Westen als einen ersten Vorläufer den Keely mit seinem Motor hingestellt hat. Während Tolstoj ausdrückt das vollständige Luziferischwerden der alten orientalischen Kultur,

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steht die westliche Kultur noch ganz im Zeichen des Ahrimanischen. Das ist dasjenige, was in der Gegenwart erfaßt werden muß. Und ohne zu erfassen, wie wir auf der einen Seite uns zu hüten haben vor dem, was von Osten noch herüberragt von der Vergangenheit, auch in einem lebendigen Menschen noch als Vergangenheit herüberragt, und auf der andern Seite uns zu hüten haben vor dem, was im Westen erst im Aufgange ist, ohne daß man das durchschaut, ist man kein Mensch der Gegenwart. Selbstverständlich kann ein Mensch der Gegenwart Engländer, Franzose, Amerikaner, er kann Russe sein, denn das Menschentum muß heute über die geographischen Sphären hinübergehen. Aber wir müssen diese alten Begrenzungen nehmen, weil sie eine Bedeutung haben für den historischen Werdegang der Menschheit. Hinter uns liegt dasjenige, worin die Menschheitsgeschichte sich dreigliedert: Orient, Mitte, Westen. Vor uns liegt - und anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft soll das so scharf wie möglich betonen - das reine Menschsein, zu gleicher Zeit in uns tragend den Osten, die Mitte und den Westen. Der Mensch, der heute als ein lebendiger Mensch, auch als Asiate, geboren wird, kann alle drei in sich tragen. Der Mensch der Mitte braucht sich nicht zu beschränken, bloß die Mitte in sich zu tragen, sondern er muß den historischen Osten als etwas in Dekadenz Befindliches, den historischen Westen als etwas im Aufsteigen Befindliches in sich erleben. Ebenso kann der amerikanische Mensch, wenn er durch die Betrachtung der Mysterienweisheit - und er ist am meisten darauf angewiesen - erheben will sein bloß wirtschaftliches Denken zu einem Denken, das politisch, das geistig ist, Osten, Mitte und Westen in sich tragen.

Das ist dasjenige, was man heute sagen muß, wenn man die Aufgaben bezeichnen will, die der Mensch als seine innersten Seelenaufgaben erkennen soll aus den großen Notwendigkeiten der Zeit heraus.

ZEHNTER VORTRAG Stuttgart, 14. November 1920

#G197-1986-SE167 Gegensätze in der Menschheitsentwickelung

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ZEHNTER VORTRAG

Stuttgart, 14. November 1920

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In den Betrachtungen, die wir hier angestellt haben, wurde von den verschiedensten Seiten her charakterisiert, mit welchen Wirkungskräften der menschlichen Entwickelung man sich bekanntmachen muß, wenn man richtig verstehen will, was heute geschieht, was vor allen Dingen in die gegenwärtige katastrophale Zeit hineingeführt hat und was notwendig ist, wenn man sich richtig in sie hineinstellen will mit einem kraftvollen Wirken im Sinne eines wirklichen Menschheitsfortschrittes. Es wird ja eben leider viel zu wenig das Augenmerk darauf gerichtet, wie sich die wirkenden Kräfte in der Menschheitsentwickelung in der neuesten Zeit gegenüber verhältnismäßig gar nicht so lange zurückliegenden Zeitläuften verändert haben.

Ich darf vielleicht auch heute noch einmal ausgehen von der großen Katastrophe der letzten Jahre, gerade um hinzulenken auf dasjenige Ereignis, auf das ich mit einigen Worten am Schlusse der letzten hier gehaltenen Betrachtungen hingewiesen habe, auf jenes besondere ChristusEreignis, das, wie ja öfter schon erwähnt worden ist, der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts angehört.

Wenn wir die katastrophalen Ereignisse mit all ihren Folgen, die in unsere heutige Zeit herein ragen und noch lange andauern werden, wirklich unbefangen beobachten, so müssen wir eben bemerken, wie verschieden, möchte ich sagen, das Schicksalsgefüge der zivilisierten Menschheit in dieser neuesten Zeit war gegenüber älteren Zeiten. Wir möchten allerdings gleichzeitig auch darauf hinweisen, wie bei einer großen Anzahl gerade maßgebender Menschen ein Bewußtsein von dem, was da heraufgezogen ist, noch nicht durchgedrungen ist, so daß die Handlungsweise auch maßgebender Persönlichkeiten heute eigentlich noch immer so ist, und vor allen Dingen in den letzten Jahren so war, wie es früheren Zeiten entspricht, wie es aber unserer Gegenwart ganz und gar nicht mehr entspricht.

Wir haben - ich erwähne das alles heute zunächst nur einleitend, gewissermaßen zum Exempel - einen, nun, man nennt es «Krieg» hinter

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uns, der größer war als irgendein Krieg der historischen Menschheitszeiten. Wir haben gesehen, daß in dem, was die Menschen als Gedanken gehabt haben beim Ausgangspunkte dieses Krieges, auch in dem, was die meisten Menschen heute noch immer als Gedanken haben, eigentlich etwas lebt wie ein Gespenst der Vorzeit. Man hat gesehen, daß aus diesem Ideengespenst, das aus der Vorzeit in die Gegenwart noch hereinragt, Urteile über dasjenige entstanden sind, was hat geschehen sollen. Es wurde gehandelt unter solchen Urteilen, es wurden diese und jene Maßnahmen getroffen und man hatte keine Ahnung, daß eigentlich im Grunde etwas ganz anderes geschieht als dasjenige, was in den Vorstellungen der Menschen von diesem Geschehen lebt.

In diesem Kriege standen ja einander gegenüber wie in früheren Kriegen gewiß auch Menschen, kämpfende Menschen. Was aber in früheren Kriegen nicht da war und was in diesem Kriege da war, das waren Energien, Kräfte, die von ganz anderem kamen als aus denjenigen menschlichen Eigenheiten heraus, aus denen die Kräfte in früheren Kriegen gekommen sind. Wir haben in der neuesten Zeit eine große, gewaltige Technik heraufziehen sehen und dieses Heraufziehen einer großen, gewaltigen Technik hat die ganze Situation im Schicksalsgefüge der Menschen geändert. Und die Tatsachen sind in den letzten Jahren so verlaufen, wie es dieser Veränderung entspricht. Aber die Vorstellungen der Menschen haben sich nicht in derselben Weise verändert.

Lassen Sie uns wichtigste Tatsachen dieses Gebietes einmal erwähnen: In der Zeit, die vorangeht der Kriegskatastrophe, war die menschliche Technik, wie sie sich in der neuesten Zeit herausgebildet hat, an einem bedeutsamen Punkte angelangt. Die menschliche Arbeit, oder vielleicht besser gesagt, das menschliche Arbeiten hat, ohne daß sich die Menschheit darauf ordentlich besinnen konnte, ganz andere Formen angenommen, als sie früher vorhanden waren. Man kann sich Vorstellungen machen von diesen andern Formen, wenn man ins Auge faßt etwas, was man als Grundlage bezeichnen muß für die moderne Technik, zum Beispiel die Kohlenförderung in den verschiedenen Staaten der zivilisierten Welt. In dem Maße, wie Mengen von Kohlen zu Tage gefördert werden, liegt ja dasjenige, was dann durch die technische

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Verarbeitung umgewandelt wird in Arbeitskräfte, die dann mehr oder weniger selbständig arbeiten, nur von dem Menschen dirigiert, so daß, möchte ich sagen, die menschliche Arbeit in der neuesten Zeit sehr stark zurückgetreten ist in die dirigierende Stellung und die Maschine arbeiten läßt.

Wenn man diese Sachlage überschaut, so kommt man zum Beispiel darauf, daß in der Zeit, die dem Kriegsausbruch vorangegangen ist, innerhalb Deutschlands an solchen Energien, die von den Menschen dirigiert wurden, die aber eigentlich abstammten von der Kohlenförderung, die also ein Ergebnis waren nicht desjenigen, was der Mensch innerlich in sich entspringen läßt, sondern ganz äußerlicher Vorgänge, ganz äußerlicher Maßnahmen, daß an solchen Energien in Deutschland ja aufgebracht wurden 79 Millionen Pferdekraftjahre. Man rechnet dasjenige, was an Energien angewandt wird, ja nach der Arbeit, die ein Pferd in einem Jahr leistet. So daß man also in Deutschland 79 Millionen Pferdekraftjahre an technischer Energie, die aus der Kohle stammte, hatte in der Zeit, die unmittelbar dem Kriegsausbruch voranging.

Was heißt das eigentlich? Wenn Sie das in einem ganz oberflächlichen Sinn vergleichen mit der Einwohnerzahl Deutschlands, so bedeutet das, daß jeder einzelne Mensch in Deutschland im Durchschnitt ein Pferd neben sich hatte, das heißt, daß von der Bewohnerschaft von Deutschland im Gebiete des Technischen so viel gearbeitet wurde, wie wenn jeder Mensch neben sich ein Pferd zur Arbeit gehabt hätte das ganze Jahr hindurch. Dadurch kommen dann, ebenso wie annähernd 79 Millionen Menschen vorhanden waren, 79 Millionen Pferdekraftjahre heraus. Also in dem, was Maschinen erarbeiten, Maschinen der verschiedensten Art, war das gegeben, was zustande käme, wenn an die Seite eines jeden Menschen ein Pferd gestellt und Arbeit verrichten würde. Diese Möglichkeit, solche Arbeit zu verrichten, war da, als der Krieg ausbrach. Und indem man einen großen Teil dieser Arbeit in den Dienst des Krieges stellte, war die Sache doch so, daß gewissermaßen vorgerückt wurde an die Front dasjenige, was das Ergebnis, das rein technische Ergebnis von 79 Millionen Pferdekraftjahren war.

Nehmen Sie dazu einige andere Zahlen. Ich will zum Beispiel nur die Zahl dazufügen zunächst, damit Sie ein deutlicheres Bild bekommen,

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daß im Jahre 1870, wo ja auch nach Ansicht der Leute ein großes Ereignis stattfand - und mit Recht nach der Ansicht der Leute -, daß da nicht 79 Millionen Pferdekraftjahre erzeugt wurden, sondern bloß 6 ganze und 7/10 Millionen, also etwas, was kaum irgendwie erheblich in Betracht kam gegenüber dem, was Menschen leisteten. 61/2 Millionen 1870, 79 Millionen Pferdekraftjahre 1912. Das bedeutet selbstverständlich eine Umänderung der ganzen menschlichen Situation.

Und nun nehmen Sie noch einige andere Zahlen dazu: In derselben Zeit, die der Kriegskatastrophe vorangegangen war, hatten zur Verfügung Frankreich, Rußland, Belgien zusammen 35 Millionen Pferdekraftjahre. Großbritannien allerdings 98 Millionen Pferdekraftjahre. Aber diese 98 Millionen Pferdekraftjahre konnten durch die besondere Lage Großbritanniens nicht sogleich in genügendem Maße an die Front hinkonzentriert werden, sondern erst im Laufe einiger Jahre. So standen also bei Ausbruch des Krieges nicht nur die Menschen einander gegenüber, sondern vorgeschoben an die Fronten waren 79 Millionen Pferdekraftjahre von Deutschland, etwas über 90 Millionen von den Mittelmächten; ein großer Teil davon war ja natürlich in den Dienst der Kriegsindustrie gestellt, also gewissermaßen indirekt an die Front geschoben worden; dem standen, nach und nach entwickelbar,in Großbritannien gegenüber 98 Millionen Pferdekraftjahre, von Belgien, Rußland und Frankreich zusammen 35 Millionen Pferdekraftjahre. Nun können Sie sich eine Vorstellung davon machen, daß es richtig ist, wenn jemand sagt: Im Grunde genommen war ja durch dasjenige, was Menschen waren, zunächst nur ein vorläufiges Resultat gegeben. Von dem Generalstab hing eigentlich bloß der Abmarsch ab; der konnte in einer gewissen geistvollen Weise ausgedacht werden. Aber nachdem einige Jahre die Fronten entwickelt waren, da standen, vom Menschen ganz unabhängig, technisch hervorgebrachte Pferdekraftjahr-Energien einander gegenüber. Und von der gegenseitigen Größe desjenigen, was also herausgenommen war eigentlich aus dem menschlichen Wirken, hing das Schicksal dieser Menschheitsentwickelung ab. Und wenn Sie zu dem, was ich gesagt habe, nun hinzunehmen das Folgende, dann werden Sie sehen, wie durch vom Menschen unabhängige Kräfte, namentlich durch dasjenige, was die Technik zutage förderte in der neuesten

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Zeit, die Dinge zustande gekommen sind, die sich eben zugetragen haben.

Durch dasjenige, was Menschen bewirken konnten - sie konnten ja nur dirigieren, höchstens Dinge verhindern -, aber durch das, was dirigiert oder nicht verhindert wurde, wurden dann objektiv vom Menschen losgelöste Kräfte ins Feld geführt, von denen die einen gewissermaßen die andern überwinden konnten nach objektiven, vom Menschen unabhängigen Gesetzen. Nehmen Sie das, was eingetreten ist, dazu, daß Amerika eingriff in die ganze Entwickelung. Amerika stand so, daß es in derselben Zeit, in der die andern die genannten Pferdekraftjahre ins Feld führen konnten, 179 Millionen Pferdekraftjahre mobil machen konnte. Da haben Sie das gegenseitige Verhältnis desjenigen, was an Kräften mobil gemacht werden konnte aus der Technik heraus, an Kräften, die ganz losgelöst sind von dem, was aus dem Menschen fließt, natürlich indirekt zusammenhängend mit dem, was die Menschen ausgedacht haben und so weiter. Aber dasjenige, was die Menschen ausgedacht haben, ist eben in diese Richtung hingelenkt worden, so daß zuletzt die Sache so stand, daß objektive Kraft der objektiven Kraft gegenüberstand, was zuletzt ganz selbstverständlich den Ausschlag geben mußte. Der Mensch hatte sein Schicksal vollständig so gelenkt in der neuesten Zeit, daß er, wenn so etwas eintrat, was früher in ganz anderer Weise ablief, ganz selbstverständlich dieses Schicksal ausgeliefert hatte an die Kräfte, die in seinen eigenen Produkten arbeiteten und in denen er abhängig ist von der Produktivität der Erde, von lauter Faktoren, die nicht innerhalb seiner Haut sind.

Da weisen wir auf etwas hin, was charakteristisch ist für die neuere Zeit. Und das, was ich angeführt habe, ist ja nur der eklatanteste Fall. Man kann sozusagen die Sache an diesen eklatanten Fällen anschaulich machen. Aber dasjenige, was sich da im Riesenhaften - man kann nicht einmal sagen im Großen, sondern im Riesenhaften - zugetragen hat, es geschieht ja alltäglich im Kleinen unseres gesamten Schicksals, daß wir ausgeliefert sind an dasjenige, was die Technik macht. Denn in Deutschland war es im Jahre 1912 so weit gekommen, daß der Mensch aus seiner geistigen Produktivität herausgesetzt hat etwas, was so viel arbeitete, wie wenn neben ihm ein Pferd arbeitete. Das ist das Charakteristische

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der neueren Zivilisation, und dieses Charakteristische muß man scharf ins Auge fassen. Denn, was lebt denn in dem, was da der Mensch hinaussetzt innerhalb der neueren Zivilisation an objektiv wirksamen Kräften, die täglich für ihn arbeiten und die sein Schicksal bestimmen, was lebt darinnen? Darinnen lebt, indem wir das Verhältnis dieser Kraft zum Menschenschicksal selbst ins Auge fassen, diejenige Kraft, die wir gewohnt worden sind innerhalb unserer Betrachtungen die ahrimanische Kraft zu nennen. Darin leben die ahrimanischen Kräfte. Von diesen ahrimanischen Kräften, wenn Sie die Sache so ins Auge fassen, werden Sie sagen müssen: mit einer riesigen Schnelligkeit hat ihre Macht zugenommen. Denn Sie brauchen ja eben nur die zwei Zahlen zu vergleichen: 1870 arbeiteten in Deutschland 6 1/2 Millionen Pferdekraftjahre, was nicht so viel neben einem Menschen gibt; im Jahre 1912 arbeiteten in Deutschland 79 Millionen Pferdekraftjahre. Da haben Sie die ganze Summe desjenigen, was beeinflußt unser wirtschaftliches Leben, was aber auch beeinflußt unser ganzes übriges Leben. Da haben Sie, was in einer Welt vorgeht, die zwar der Mensch selbst konstruiert hat, die aber unabhängig von dem dasteht, was der Mensch eigentlich in sich hat. Diese Kräfte stehen ja im krassesten Gegensatze zu alledem, was zum Beispiel gewirkt hat dann, wenn Menschen einander gegenübergestanden haben so, wie in den alten orientalischen Kämpfen, wo nur luziferische Kräfte gewirkt haben, wo Menschen einander gegenübergestanden haben wie selbst noch, sagen wir, in den Tatareneinfällen in Europa und so weiter. Das macht man sich oftmals nicht klar, vor welcher neuen Welt der Mensch heute steht und wie schnell verhältnismäßig diese neue Welt heraufgezogen ist. Anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft hat aber dann dazu noch die Aufgabe, die ganze Tragweite einer solchen Tatsache ins Auge zu fassen. Denn das, was ich Ihnen da geschildert habe, ist ja nur die Außenseite. Wir kommen schon ins Innere, wenn wir auffassen dasjenige,was früher als luziferische und was jetzt als ahrimanische Kräfte sich geltend macht, zwischen denen der Mensch mitten darinnensteht. Aber wir müssen uns ja erst konkret die Vorstellung von dem bilden, was wir das Ahrimanische und das Luziferische nennen.

Gedenken Sie einmal desjenigen, was sich im menschlichen Seelenleben

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abspielte in jenen alten Zeiten, in denen vorzugsweise Luziferisches sich in den großen Menschheitskämpfen geltend machte. Da sahen die Menschen auf die Welterscheinungen hin und Sie wissen, daß die Menschen diese Welterscheinungen so ansahen, daß ihnen innerhalb derselben eine gewisse Summe von, sagen wir, Elementarwesen, dämonenhaften Wesen erschienen. Die materialistische Wissenschaft sagt, das wäre das Zeitalter des Vitalismus gewesen, die Menschen hätten hinein- getragen in die Naturerscheinungen allerlei Nixen, Gnomen und so weiter. Aber wir wissen ja, daß tatsächlich in den Naturerscheinungen geistige Wesenheiten leben. Geradeso wie jetzt der Mensch nur die nüchternen, trockenen Naturerscheinungen sieht, so haben die Menschen jener alten Zeiten in den Naturerscheinungen die geistigen Entitäten gesehen, das Geistig-Wesenhafte. Heute nennt man das Aberglauben. Das ist nach dem Geschmack der Gegenwart. Aber wir wissen, daß die Menschen unter diesem Namen auf dasjenige, was sie geistig in den Naturerscheinungen geschaut haben, also auf etwas Wirkliches in ihrer Wahrnehmung hinwiesen. In alledem, was die Natur dem Menschen darbot, sahen diese Menschen solche elementarischenWesenheiten. Man kann also sagen: In ihr Bewußtsein, mag das nun noch so instinktiv, dunkel, traumhaft gewesen sein, leuchtete etwas herein von diesen elementarischen Wesenheiten.

Dann kamen die Zeiten, in denen das Bewußtsein getrübt wurde für diese Wahrnehmung des Geistigen in den Naturerscheinungen, in dem, was als Natur um den Menschen herum ohne sein Zutun zustande kommt. Und es entstand unsere moderne intellektualistische Auffassung desjenigen, was man heute Wissenschaftlichkeit nennt, wo man es nur zu tun haben will mit dem, was aus der Natur gezogen werden kann an solchen Kräften, die sich versinnlichen lassen durch abstrakte Ideen, kurz, dasjenige, was der Inhalt des menschlichen Intellekts sein kann.

Aber ich möchte sagen, ohne daß der Mensch es ahnt, ja sogar in einer verhältnismäßig kurzen Zeit - nehmen Sie eben die Zeit von 1870, wo in Deutschland wirksam waren 67/10 Millionen Pferdekraftjahre, bis 1912, wo dann wirksam waren 79 Millionen Pferdekraftjahre - entwickelt sich da eine neue Welt, eine Welt, die nicht da war, die jetzt

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auch in der Umgebung des Menschen ist, von der das menschliche Schicksal sogar in so großen Ereignissen, wie die letzten Jahre sie gebracht haben, so abhängt, wie früher von den Naturerscheinungen das menschliche Schicksal abgehangen hat. Und in diesen Kräften, die da auch vorhanden sind und wirken ohne den Menschen, wie die Naturkräfte ohne den Menschen wirken, da sind nun geradeso die Dämonen, die Elementarmächte da rinnen, nur wirken sie in anderer Weise auf den Menschen als diejenigen, die früher von den Menschen beobachtet wurden in den Naturerscheinungen. Die Menschen sahen die Naturerscheinungen an und konstatierten: Da drinnen wirken Elementarwesenheiten. - Das wirkte auf das Bewußtsein, das machte die Seele mit den Naturerscheinungen ab, das stellt einen Bewußtseinszusammenhang mit den Naturerscheinungen her. Heute ist der Mensch «aufgeklärt», und so wie er es als Aberglauben betrachtet, geistige Mächte in den Naturerscheinungen zu beobachten, so kommt er auch nicht darauf, zu ahnen, daß in dem, was er nun selber hergestellt hat, in dem ganzen Umfang der Technizismen, dämonische Wesenheiten drinnen wirken. Und er kann nicht so leicht daraufkommen, denn die wirken jetzt auf den Willen, von dem ich Ihnen sehr oft gesagt habe, daß er schläft. Die wirken im Unterbewußten, die ergreifen den Menschen im Unterbewußten. Und die Folge davon ist, daß, während der alte Mensch noch in der Betrachtung der Naturerscheinungen wenigstens in sein Bewußtsein etwas hineinnahm von den dämonischen Gewalten, heute in den Technizismen die dämonischen Gewalten rumoren; sie wirken im Menschenwillen weiter und der Mensch bequemt sich noch nicht, dieses anzuerkennen. Denn erstens ist es in seinem Unterbewußten, zweitens erscheint es ihm als Aberglaube, zu sagen, in den Maschinen, die er erzeugt, wirken dämonische Wesenheiten. Sie wirken aber trotzdem. Und während die Wesenheiten, die der Mensch sah in den alten Zeiten in den Naturerscheinungen, luziferischer Art waren, sind die Wesenheiten, die in den Maschinen, in den Technizismen wirken, ahrimanischer Natur. Der Mensch umgibt sich also mit einer ahrimanischen Welt, die ganz selbständig wird.

Sie sehen, welches der Sinn der Menschheitsentwickelung ist. Aus der luziferischen Welt heraus, die aber noch in sein Bewußtsein hineinwirkt

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und da sein Schicksal bestimmt, segelt der Mensch, und zwar gerade in der Gegenwart mit einer gewissen Raschheit, hinein in eine ahrimanische Welt. Eine große Gefahr ist vorhanden, daß diese ahrimanische Welt, weil sie auf seinen Willen wirkt, den er nicht in sein Bewußtsein unmittelbar heraufbekommen kann durch die intellektualistische Wissenschaft, den Willen des Menschen ergreift und er ganz direktionslos wird innerhalb der dämonischen Gewalten der Technizismen.

Dasjenige, was im Osten Europas geschieht, wo man aus der Denkweise der Gegenwart heraus gewissermaßen die Wirtschaft militarisieren will zu einer großen Maschine, wo auch noch die Menschen so ausgebildet werden wie sonst die Maschinen, wo die Menschenarbeit vom Menschen gänzlich losgelöst wird - was man da will, ist die Aufrufung von Willensdämonen, in deren Gebiet man da hineinsegelt.

Der Weg vom Luziferischen zum Ahrimanischen, das ist auch etwas, von dem man sagen muß, daß so der Gang der Menschheitsentwickelung geht. Und wir stehen im Grunde mitten drinnen in diesem Heraus- gehen aus dem Luziferischen und dem Hineinsegeln in das Ahrimanische. Das Luziferische ist in vielfacher Weise natürlich vorhanden. Das Ahrimanische, es ergreift die Menschen. Das Luziferische lebt mehr in Gefühlen. Das Ahrimanische wirkt mehr durch den menschlichen Verstand und verwirklicht und verkörpert sich in den Technizismen.

Da hinein stellt sich nun, um dem Menschen eine Richtung zu geben, das Christus-Ereignis, das wir zu erwarten haben für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dieses Christus-Ereignis wird darin bestehen, daß durch objektive Erlebnisse immer mehr und mehr Menschen wissen werden: Es wandelt auf Erden der ätherische Christus, derjenige Christus, der ätherisch die Macht darstellt, die einstmals in dem physischen Christus Jesus auf der Erde gewandelt ist. Und in dem Sich-Bekanntmachen mit dieser Christus-Macht, in dem Sich-Durchdringen mit dieser Christus-Macht liegt die Möglichkeit, in der richtigen Weise das notwendige Heraufziehen der ahrimanischen Mächte auf sich wirken zu lassen. Das Unglück unserer Zeit besteht darin, daß die Menschen hineinsegeln in das Ahrimanische, ohne durch die Christus-Kraft getragen zu sein.

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Es ist also schon etwas sehr Positives, etwas sehr Konkretes, auf das man hinweist, wenn man von diesem Einschlag in die menschheitliche Entwickelung im 20. Jahrhundert spricht, den ich in meinem ersten Mysterium schon angedeutet habe als das Wiedererscheinen des Christus. Und man kann, ich möchte sagen, verfolgen dasjenige, was sich in den Menschenseelen abspielen wird, indem diese Menschenseelen entgegenleben diesem Christus-Ereignis.

Ich habe ja sogar im öffentlichen Vortrag neulich andeuten können, daß die jeder Weltanschauung entbehrende Wissenschaftlichkeit des Westens mit der Erkenntnis vor dem Menschen halt macht. Man begreift vorzugsweise das Unlebendige. Man systematisiert es und dergleichen. Man theoretisiert darüber und über das Lebendige. Der Darwinismus kommt aber nicht weiter als bis zur Entwickelung der Tiere. Er stellt dann an die Spitze den Menschen. Vor dem Menschen macht er eigentlich halt. Man kommt mit der Erkenntnis nicht bis zum Menschen.

Aber auch die Erfassung der sozialen Begriffe macht da halt. Ich habe gezeigt, wie die Praktiker eigentlich Routiniers geworden sind, wie sie bei dem Ahrimanisch-Technischen stehenbleiben. Das haben sie in ihren Büchern, darüber werden Aktiva und Passiva aufgezeichnet. Aber vor den Menschen, mit denen sie arbeiten, bleiben sie stehen. Diese Menschen machen gerade ihre Menschenwürde geltend, aber es wird keine Brücke hinübergeschlagen von demjenigen, der Arbeitsleiter ist, zu dem Arbeitenden. Auch das praktische Leben macht eigentlich vor dem Menschen halt. Erkenntnis macht vor dem Menschen halt - das praktische Leben macht vor dem Menschen halt.

Das ist auf der einen Seite noch heute mehr oder weniger Theorie, oder sagen wir nicht Theorie: Unvermögen der Theorie, der Erkenntnis; auf der andern Seite etwas, was im sozialen Leben sehr zur Geltung kommt. Denn dasjenige, was man nicht in die Bücher geschrieben hat, das ist es, was sich heute in Streiks und revolutionären Bewegungen geltend macht. Damit hat man nicht gerechnet. Das ist in die Buchführung nicht übergegangen. Im Leben erscheint es und entwickelt sich ebensogut aus der Arbeit in der Industrie, aus der Arbeit im Handel und so weiter heraus, wie sich irgendwelche produzierten Artikel herausentwickeln.

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Nur hat man dasjenige, was heute rumort unter den Menschen, nicht in seine Kassenbücher und so weiter einbezogen. Das Leben aber hat es einbezogen und im Leben macht es sich geltend.

Man kann doch schon sagen: über dasjenige, was ich Ihnen vorgebracht habe, auch neulich im öffentlichen Vortrage vorgebracht habe, denken ja im Grunde die wenigsten Menschen nach. In dieser Beziehung hat eigentlich das 19. Jahrhundert recht Nebuloses über den Menschen gebracht. Im 18. Jahrhundert gingen schon einigen, wenigstens radikalen Geistern einige Lichter auf über dasjenige, was sich da allmählich vorbereitete. Das 19. Jahrhundert hat dann die Ereignisse gebracht und großartige Verwirrungen angerichtet. Pierre Bayle hat im 18. Jahrhundert ein merkwürdiges Wort ausgesprochen. Er war einer der Materialisten des 18. Jahrhunderts, die aber schon die richtigen Vorläufer des Materialismus des 19. Jahrhunderts waren. Dieser Pierre Bayle hat das Wort ausgesprochen: In den Staaten werden Ehre und Schande herrschen, Ehrgeiz und Egoismus und so weiter, aber es kann keinen Staat geben, in dem christliche Seelenverfassung wirksam ist; es kann einen Staat geben, in dem die alten heidnischen Tugenden und Untugenden herrschen, aber es kann keinen christlichen Staat geben. - So sagt Pierre Bayle, der radikale Materialist, und er hatte mehr Recht als irgendeiner der idealistischen Geister des 19. Jahrhunderts, denn diese idealistischen Geister machten sich vor, daß Staaten christlich seien. Sie waren es ja nicht in Wirklichkeit. Studieren Sie das Christentum des Mittelalters, dasjenige Christentum, das zunächst Pierre Bayle meint. Das beruhte darauf, daß man die Erde eigentlich verneinte, daß man die Tugend darin sah, sich zu einem Leben zu erheben, das nicht irdisch war. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich ein Leben, das vorzugsweise das Irdische pflegen wollte. Einen christlichen Staat kann es nicht geben, sagte Pierre Bayle, und eigentlich sagte er die Wahrheit. Und im 19. Jahrhundert und im Beginn des 20. Jahrhunderts sagte man die Lüge, indem man sich selber und den andern Menschen weismachen wollte, es könnte dasjenige, was allmählich als moderne Staaten entstanden ist, durchchristet sein. Das können sie eben nicht sein. Aber etwas anderes entstand dadurch: Man war davon durchdrungen, wenn man auf der Kanzel stand, oder wenn man anhörte, was von der Kanzel

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heruntertönte, daß man recht christlich sei. Oder wiederum, wenn man in sein Amt ging, oder seine Orden anlegte, oder sich seiner Titel bediente, die einem der Staat gegeben hatte, bildete man sich auch ein, Christ zu sein. Man war es nicht in Wirklichkeit, denn daß man da drinnenstand, war dadurch gegeben, daß man eben kein Christ war. Man gewöhnte sich so in ein lügenhaftes Leben hinein, man gewöhnte sich ab, die wichtigsten Tatsachen des Lebens wahrheitsgemäß anzusehen. Und das erzeugte jene Nebelatmosphäre, welche gar nicht aufkommen ließ eine unbefangene Ansicht über das, was da allmählich heraufkam: die Ahrimanisierung der Welt.

Es ist viel geredet worden über die Lügenfeldzüge der letzten Jahre. Aber diese Lügenfeldzüge sind ja dasjenige, an das sich die Menschen in den wichtigsten Dingen in der neueren Zeit gewöhnt haben. Sie haben sich ja gewöhnt an das Lügen über die wichtigsten Dinge! Warum sollte denn über die Dinge, über die gelogen wurde während der Kriegskatastrophe, just die Wahrheit gesagt werden, wenn die Menschen doch gewohnt worden sind im 19. Jahrhundert, die Wahrheit über die wichtigsten Angelegenheiten ihres Lebens nicht mehr in den Bereich ihrer Seelenverfassung zu ziehen.

Es ist unbequem, diesen Dingen ins Antlitz zu sehen, aber das ist eben das Schlimme, daß diesen Dingen nicht geradenwegs ins Antlitz gesehen wird. So steckt der moderne Mensch neben anderem auch in der Not darinnen, die durch die innere Unwahrhaftigkeit heraufgekommen ist. Und aus dieser Atmosphäre heraus wird sich eine ganz bestimmte Stimmung entwickeln. Was in vieler Beziehung bis nun eigentlich bloß Theorie ist, bloß Erkenntnis ist: das Nichthingelangen des Menschen bis zum Menschen, das Stehenbleiben vor dem Menschen und auch dasjenige, was im sozialen Leben entwickelt wird als dieses Nichthingelangen bis zum Menschen, das wird sich auf die menschliche Seele ablagern. Dasjenige, was als die äußeren Technizismen auf den Willen wirkt, das wird gewissermaßen heraufreagieren aus dem Unterbewußten in das Bewußte. Es wird natürlich nicht ein Bewußtsein davon erzeugt werden können, denn es ist eben im Unterbewußten, aber eine Stimmung wird es erzeugen. Und immer mehr und mehr im Laufe der nächsten Jahrzehnte, ja im Laufe der nächsten Jahre wird

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diese Stimmung heraufkommen über eine große Anzahl von Menschen. Man wird in den Schulen Kinder unterrichten, man wird merken: Diese Kinder bringen Empfindungen herauf, die ja die Alten gar nicht hatten. Es ist ja in verschiedenen Zeitaltern relativ auch schon so etwas dagewesen, aber in erhöhtem Maße wird es in der nächsten Zeit der Fall sein. Und man wird nur aus tiefer geisteswissenschaftlicher Erkenntnis der Gegenwart heraus taxieren können, was da eigentlich aus den Untergründen der Seelen der heranwachsenden Menschen sich entwickelt. Eine große Sehnsucht wird sich entwickeln, so etwas wie eine sehnsüchtige Entbehrung. Denn dasjenige, was zunächst nur Unvermögen der Theorie ist, den Menschen zu erkennen, was Unvermögen des sozialen Lebens ist, in die Geschäftskalkulationen die Menschenbegabungen aufzunehmen, das wird sich verdichten zum Fühlen, zum Empfinden. Und Menschen werden erstehen - und man wird sie sehen in den heranwachsenden Generationen -, die empfinden werden: Ja, da stehe ich, ich habe eine Gestalt, anders als die andern Wesen, die um mich herum sind; ich schaue nicht aus wie die Tiere, wie ein Ochse, ein Esel, ein Wiesel, ein Adler, ich schaue anders aus, aber ich weiß nicht, was das eigentlich ist, was da anders ausschaut; ich weiß nicht, was ein Mensch ist, ich weiß nicht, was ich selber bin. - Melancholie und Hypochondrie werden sich über die Seelen der heranwachsenden Generation lagern. Man wird das in den Schulen bei der Erziehung, beim Unterricht bemerken können als eine Zeitstimmung. Es wird eine Zeitstimmung sein, die gewissermaßen ins Große geht. Die Menschen sind ja heute so furchtbar oberflächlich, daß man schwer über solche Dinge zu ihnen reden kann. Aber um mich Ihnen vergleichsweise begreiflich zu machen, möchte ich darauf aufmerksam machen, daß ja im 18. Jahrhundert diejenigen Menschen, die etwas von der Seele des Zeitalters verstanden, vom «Werther-Fieber» sprachen. Goethe hat ja nur aus dieser allgemeinen Seelenstimmung einer großen Anzahl von Menschen heraus seinen «Werther» geschrieben. Dann erschien ein Roman «Siegwart>. Der war aus dem «Siegwart-Fieber» der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts heraus geschrieben. Das waren Zeitstimmungen, die sich allerdings nur bei einem beschränkten Kreise von Menschen geltend machten. Aber im weitesten Kreise wird solche allgemeine

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Stimmung in den Seelen heraufkommen, die man wird ausdrücken können: Ja, was bin ich als Mensch? Was ist das Wesen, das ich da selber bin, das auf zwei Beinen geht? Ich habe eine Wissenschaft, die ich ins Großartige getrieben habe; ich habe ein soziales Leben - aber beide machen eigentlich halt vor dem, was ich selber bin. - Diese Stimmung, die das große Zeitfragezeichen sein wird vor der eigenen menschlichen Wesenheit, wird vorbereiten die Seelenaugen für das Wahrnehmen desjenigen, was schwer zu schildern ist, was aber herauf- kommt als das neue Christus-Ereignis. Denn man wird sehen aus der Kraft, die aus dieser Sehnsucht hervorgeht, die Erscheinung des Christus. Die äußere Not wird sich in innere Seelennot verwandeln, und aus dieser Seelennot heraus wird Schauen geboren werden, Schauen des Christus, der übersinnlich unter den Menschen wandeln wird und an den sie sich werden halten müssen, damit sie nicht in unmöglicherWeise aus dem Luziferischen in das Ahrimanische hineinsegeln.

Was nützte uns denn alle Wissenschaft, wenn sie uns nicht dazu brächte, so ganz im Konkreten das unmittelbar menschliche Leben zu ergreifen! Wir müssen uns klar sein: Der Mensch, der heute dasteht, hat eine ganze Reihe von Erdenleben schon hinter sich. Wir leben ja in wiederholten Erdenleben. Diejenigen Menschen, welche die elementaren Gewalten in den Naturerscheinungen gesehen haben, die waren wir ja selbst in unseren früheren Erdenleben. Wir bringen die Ergebnisse dieser früheren Erdenleben in dieses Leben herein. Da haben wir gewußt: Um uns herum sind schicksalbestimmende Naturgeister. Diese tragen wir in uns. Heute schauen wir mit unserem bloßen Intellekt, mit unserem Kopf nur in die Natur hinaus, auch auf die Technizismen, die wir selber hervorbringen. Wir sehen nichts anderes als dasjenige, was Inhalt unseres Intellekts ist. Und dasjenige, was in uns rumort aus vielen Erdenleben, die wir durchlebt haben, was wir aber jetzt nicht sehen wollen, das ist schließlich das, was ich eben als große Sehnsucht, als sehnsüchtige Entbehrung bezeichnet habe. Wir waren ja einmal Menschen, die in die Natur hineingeschaut haben und das Geistige gesehen haben, wodurch wir in uns fühlen konnten, was eigentlich ein Mensch ist. Jetzt haben wir eine Wissenschaft, eine soziale Empfindung, die vor dem Menschen stehenbleibt. Wir tragen die Anlage in

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uns von unserem früheren Schauen unserer Umgebung, uns als Mensch zu fühlen. Wir schauen heute in die menschenleere Natur hinein, bleiben vor dem Menschen stehen. Das wird die große Seelennot der nächsten Jahrzehnte erzeugen. Diese Seelennot ist eine positive Macht und aus dieser positiven Macht herausgeboren wird die Fähigkeit entstehen, den Christus zu schauen.

Die alte Art, zum Christus sich zu verhalten, die allermodernste Theologie hat sie vernichtet. Denn, was ist unter dem Einfluß der modernen Theologie aus dem Christus geworden? Der «schlichte Mann aus Nazareth»! Kann denn heute überhaupt ein Verhältnis des Menschen zu dem Christus-Ereignis stattfinden, wenn nicht eine Erneuerung unseres Geisteslebens Platz greift?

Die katholische Kirche hat gut gewußt, warum sie niemals die Evangelien unter die Menge lassen wollte. Für die Gläubigen der katholischen Kirche ist ja heute theoretisch das Lesen der Evangelien noch immer verboten. Und die Albigenser, die Waldenser, welche sich diesem Verbot nicht fügen wollten, waren ja als Ketzer erklärt worden, weil man natürlich gut gewußt hat, was entsteht, wenn man die Evangelien der Menge übergibt. Da hat man zunächst vier Evangelien. In solch vierfacher Gestalt kann ja das Göttliche zu den Menschen sprechen. Aber nicht aus dem Intellekt heraus kann man dem Menschen ein Ereignis nahebringen auf vierfache Weise, wie es in den Evangelien geschildert ist. Da entwickeln sich dann die Widersprüche. In demselben Moment, wo man den Evangelien die Wirklichkeit abspricht, wo man sie als Produkte des menschlichen Intellekts ansieht, muß man sie widerspruchsvoll finden, da sind sie voller Widersprüche. Das, was da heraufgekommen ist, ist ja ein Vernichten aller Anschauung des Mysteriums von Golgatha.

Und wiederum lebt man unter der Lüge, daß man Christ bleiben soll und doch den Quell verschüttet und negiert, weil die moderne Theologie ja kein Christentum mehr in sich enthält. Um zum Christentum wieder zu kommen, muß man zu einer neuen Geistanschauung kommen. Es muß wiederum der Schatz gehoben werden können, den wir in unserer Seele angesammelt haben, den wir durch viele Erdenleben durchgetragen haben.

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So wie wir dastehen im jetzigen Leben, ist ja dieses Leben der Ausgangspunkt zugleich für die folgenden Erdenleben. Aber wie in unseren Seelen als Erbschaft der früheren Erdenleben dasjenige lebt, was wir abstrakt in Mathematik und konkret in verschiedenen inneren Stimmungen in der Seele tragen, so lebt als Anlage das, was wir von der Außenwelt aufnehmen im jetzigen Leben, in die folgenden Erden- leben hinüber. Der alte Mensch hat von der Außenwelt aufgenommen seine von Elementarwesen durchsetzte Naturanschauung. Als wir früher auf der Erde waren, haben wir die Natur angeschaut und die Eindrücke von den Elementarwesen bekommen; das tragen wir in uns. Heute ist unser Leben im wesentlichen bestimmt von dem, was entsteht durch das «Pferd», das neben uns ist, wie ich es vorhin schilderte, durch die Technizismen. Das fließt in uns ein. Das gestalten wir in uns zu einem Fonds für die folgenden Erdenleben, wenn wir nichts anderes tun. Dadrinnen leben die neuen Dämonen, die ahrimanischen Dämonen. Wir präparieren uns ja gut für die folgenden Erdenleben, wenn wir uns überliefern den ahrimanischen Mächten! Das, was die Maschinen in uns sind, das bereiten wir vor als unser Wissenschaftsleben für die nächsten Erdenleben. Was der Kan6nendonner an den Fronten war, war da gelebt hat in den Maschinen, das gliedern wir in uns ein. So wollen wir eigentlich unbewußt auferstehen in dem nächstfolgenden Erdenleben. Aber der Mensch ist eben nicht bloß ein Intellekt, er hat auch anderes in seinem Wesen: er hat Empfindungen, er hat Gefühle. Die müssen sich abfinden mit dem, was hereinkommt von den Technizismen, von den Maschinen.

Da kommt noch ein anderes Gefühl, als was ich vorhin geschildert habe. Ich sprach vorhin von dem Gefühl entbehrender Sehnsucht, sehnsüchtiger Entbehrung. Das, was da die Seele in dem Unterbewußten vereinigt aus Technizismen heraus, aus den ahrimanischen Mächten, das reagiert herauf, kommt ins Bewußtsein herein als Gedanken, Ideen, aber es kommt als etwas herauf, was ähnlich ist der Furcht. Und zu der sehnsüchtigen Entbehrung wird man heraufkommen sehen bei den Kindern, die man in der Schule haben wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten, eine unbestimmte, aber deshalb nicht weniger lebendige Furcht vor dem Leben, die sich in Nervosität äußern wird, die sich in

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einem zappeligen, nervösen Wesen äußern wird - ich meine es handgreiflich. In der Anlage ist dasjenige, was ich schildere, schon heute da.

Da gibt es nur das eine, daß die Seelen sich erfüllen mit demjenigen, was hier die Kraft gibt, die die Erde selber nicht hergeben kann, die Kraft, die der Erde von außen gekommen ist durch das Wesen des Christus, der nun wieder erscheinen wird. Das ist eine Kraft, die von der Erde selbst nicht kommen kann. Von der Erde kommt die Kraft der Technizismen, die 79 Millionen Pferde, die neben uns hergehen. In uns müssen wir ausbilden dasjenige, was von der Kraft des Christus kommt, damit wir nicht erfüllt sind bloß von der Kraft der Technizismen im nächsten Erdenleben. Es gibt keine andere Heilung für die Nervosität, die sich bei der aufwachsenden Generation geltend machen muß, als die Vorbereitung für das Christus-Ereignis von der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Man muß unsere Zeit nicht schildern nach dem äußeren Anblick, sondern man muß sie schildern nach dem, was sich als die hervorragendsten Empfindungen geltend macht in den Menschen. Das großartig Wichtige in unserer Zeit wäre, daß die Menschen sich ein inneres Auge aneigneten für dasjenige, was in den Menschen lebt. Zumeist wird geschildert, was nur äußerlich ist. In solchen Gebieten, wie es zum Beispiel jetzt der europäische Osten ist, reisen Menschen wie Paquet und ähnliche, die gar nicht in der Lage sind zu sagen, was die Menschen da erleben, die schon viel von der Zukunft erleben, während sie nur reine Außerlichkeiten schildern und so weiter.

Wenn Geisteswissenschaft etwas Lebendiges werden soll, dann muß sie uns hineinführen können in das Verstehen gerade des Empfindungshaften, gerade des Gefühlsmäßigen. Denn nicht dadurch, daß man in einigen Abstraktionen schildert, wie das Christus-Ereignis sein wird, lernt man das Leben wirklich kennen, sondern indem man die Menschenseelen schildert, die auf der einen Seite sehnsüchtig, auf der andern Seite sich fürchtend diesem Christus-Ereignis entgegenleben.

Wie kann denn der heutige Mensch so etwas verstehen wie die Besiegelung des Ausganges der Kriegskatastrophe durch ahrimanische Kräfte, ganz abgesehen von dem, was im Augenblick die Menschen machen konnten? Bestimmt nur durch dasjenige, was die Menschen

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ausgedacht haben und was objektiv geworden ist. Wie können denn die Menschen der Gegenwart das richtig beurteilen, in seinerWirkungsweise richtig abschätzen, wenn sie nicht auf das Geisteswissenschaftliche eingehen? Bedenken Sie doch, was eine solche Tatsache bedeutet wie diese, daß zu den 79 Millionen Pferdekraftjahren von Deutschland, zu den 98 Millionen Pferdekraftjahren Großbritanniens, zu den 35 Millionen Pferdekraftjahren von Belgien, Frankreich und Rußland hinzukommen die 179 Millionen Pferdekraftjahre von Amerika! Also dadurch, daß wir sprechen von etwas, was ganz vom Menschen absieht, reden wir eigentlich von den maßgebenden Ursachen des gegenwärtigen menschlichen Schicksals. Der Mensch hat sich ja ganz ausgeliefert an dasjenige, was nicht mehr Mensch ist. Und jetzt betrachten Sie es in einem neuen Lichte, wenn gesagt wird, der Mensch bleibt mit seiner Erkenntnis vor dem Menschen stehen. Der Mensch bleibt nur im Unmenschlichen stehen, auch im Sozialen im Unmenschlichen stehen, indem er die Brücke nicht findet hinüber zum Menschen. Damit erfüllt der Mensch sein Schicksal. Er macht sein Schicksal auch abhängig von dem, was nicht mehr menschlich ist; er erzeugt auch dasjenige als schicksalbestimmend, woran er als Mensch keinen Anteil mehr hat. Man muß nicht mehr sprechen von der Tapferkeit, von dem Geiste, von der Genialität des Generalstabs und dergleichen, wenn man von dem Ausgang eines Schicksalbestimmenden spricht, sondern von den Verhältnissen der Pferdekraftjahre in den verschiedenen Ländern. Man muß vom Menschen absehen können, wenn man vom menschlichen Schicksal spricht. Es wird einer starken Kraft bedürfen, damit die Menschen wiederum aufkommen undentgegenrufen diesem von dem Nicht- menschlichen bestimmten menschlichen Schicksal: Das Schicksal der Menschheit muß wiederum vom Menschen bestimmt werden! - Das kann aber nur geschehen, wenn die Menschen sich erfüllen mit der Christus-Kraft, die heranrückt, die sie wiederum ihren Menschenkräften zurückgeben wird. Seiner selbst gewiß als Mensch kann wiederum nur derjenigewerden, der auf alledem,was da begründet worden ist anTechnik, wandelt, der sich aber nicht beherrschen läßt von diesen Technizismen, sondern zu schauen vermag auch dasjenige, was ihn durchdringen kann als die Christus-Kraft, die Siegen kann über all diese Technizismen.

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Das sind Lehren, die wir heute aufnehmen müssen. Das sind die Worte, welche hinweisen darauf, wie wir uns vorbereiten sollen für das Christus-Ereignis. Mit all den Trivialitäten, die heute die öffentliche Literatur beherrschen, mit all dem Geschwätz, das heute auf der Tagesordnung ist, kommt die Menschheit nicht vorwärts, sondern nur rückwärts. Einzig und allein mit dem, was aus geistigen Untergründen herausgeholt wird, kommt die Menschheit vorwärts. Und ehe man nicht den Ernst von so etwas wiederum fühlen wird, eher kommt man nicht vorwärts. Und das ist notwendig, daß wir uns klar sind: Die Menschheit hat es einmal heute dazu gebracht, daß sie ringsherum eine Welt hat, eine ganz neue Welt, die Kräfte entwickelt, von denen ihr Schicksal abhängt. Und es sind ja wahrhaftig nicht bloß die kriegerischen Ereignisse. Denn wenn wir auf die Straße gehen und die Fabriken sehen, von denen unser Schicksal bestimmt ist, ist das ja dasselbe für den Alltag, nicht nur für die Schicksale von 1914. Das, was da ist in all den Fabriken, die da dampfen, das sind die ahrimanischen Gewalten - in ihnen hat der Mensch keine Geltung mehr.

Und wenn wir dann von der Fabrik ein Stückchen weitergehen, finden wir die Kirche. Was in der Kirche tradiert wird, ist ein Abstraktum geworden. Das hat längst keinen Bezug mehr zu diesem Leben da draußen. Das beschäftigt sich mit etwas, womit der Mensch nichts anfangen kann, wenn er der Lebenspraxis gegenübersteht. Das ist ebenso luziferisch, wie das in den Fabriken ahrimanisch ist.

Das ist wiederum etwas, was mit dem Schicksal der gegenwärtigen Menschheit zusammenhängt, furchtbar zusammenhängt: daß verloren worden ist da, wo man von dem Geistigen spricht, die Möglichkeit, mit diesem Geistigen in das Leben hineinzuweisen. Ich habe letzthin im öffentlichen Vortrag erzählt von den amerikanischen Pastorenrednern in der Schweiz und andern neutralen Ländern, die ungefähr sagen: Der Völkerbund muß entstehen, denn der wird Heil und Segen bringen für die Menschen; aber aus den Ideen der Staatsmänner wird der Völkerbund sich nicht entwickeln können. Also muß man die Herzen der Menschen gewinnen, damit sie sich zu dem Völkerbund bekennen. - Wer einen unbefangenen Sinn hat, der wird wissen, daß es sehr schöne Reden sind, die die Herren halten; wer aber damit zufrieden ist und

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sich damit begnügt, die Schönheit dieser Reden zu loben, der versteht die Zeit auch nicht. Denn diese Worte könnten noch so honigreich sein, diese Süße dringt nicht zu den Herzen der Menschen. Die Herzen der Menschen sind heute voll von den Sorgen, die die sich über das wirtschaftliche Leben machen, und keine Brücke ist da zu dem, was als Worte aus den alten Bekenntnissen herauskommt. Mit denen kann man ebensowenig einen Völkerbund machen wie mit den Worten, die von Woodrnwilson, von Clemenceau und andern kommen. Dasjenige, um was es sich heute handelt, das ist das Zusammenbringen der beiden, das Durchdringen des Lebens mit dem Geiste und das Heranbringen des Lebens zum Geiste. Geradeso wie das außerirdische Christus-Wesen in dem Menschen Jesus Fleisch angenommen hat, sich mit der physischen Erde verbunden hat, so wird der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erscheinende Christus nicht in der Sprache der abstrakten Religionsbekenntnisse reden, o nein, sondern er wird in der Sprache des praktischen Lebens reden. Und diejenigen, die nur immer in weltfremden, mystischen Höhen die Erbauung der Seele suchen, die werden ihn nicht verstehen. Aber er wird vom Geiste reden, auch wenn er vom praktischen Leben redet. Es wird der Geist sein, der sich ebenso verbindet mit dem praktischen Leben, wie sich das überweltliche, über- sinnliche Wesen Christus mit dem physischen Menschen Jesus verbunden hat. Wir brauchen ein solch neues Verständnis dieses ChristusEreignisses, sonst werden wir es nicht würdigen können, wenn es über die Menschen kommt.

Man kann schon heute die Frage aufwerfen: Wie werden sich eigentlich zu dem Christus-Ereignis von der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts diejenigen verhalten, die offiziell das Christentum predigen? - Dazu ist ja allerdings beim richtigen Verständnis des Evangeliums eine Art von Vorbild geschaffen. Das Evangelium redet von den «Schriftgelehrten und Pharisäern». Man urteilt nicht richtig, wenn man in der Gegenwart auf die Seite der Christus-Bekenner den Adolf Harnack setzt; man urteilt nur richtig, wenn man ihn, folgend dem Evangelium, auf die Seite der Schriftgelehrten und Pharisäer setzt. Und ähnliche Leute mehr muß man auf diese Seite setzen. Denn es ist nötig, ein richtiges Urteil zu gewinnen. Zur Wahrheit müssen wir kommen! Der

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Materialist Pierre Bayle hat gesagt: Ein Staat kann nicht christlich sein; Ehre und Schande herrschen in einem Staate, Ehrgeiz und Egoismus herrschen in einem Staate, aber ein christlicher Staat ist nicht möglich. - Aber eine christliche soziale Gemeinschaft wird möglich sein, wenn man sie nur nicht absolut staatlich haben will, wenn man ein freies Geistesleben begründen wird. Das wird Christus-durchdrungen sein können. Dann wird dieses freie Geistesleben den ChristusImpuls auch ausstrahlen können in dasjenige, was nimmermehr christlich sein kann, in das eigentliche Staatsleben. Dann wird sich auch ein wirtschaftliches Leben der Assoziationen geltend machen können, das als solches selbstverständlich nicht christlich sein kann; aber die Menschen, die darinstehen, die werden christlich sein. Sie werden vom Christus-Impuls durchdrungen sein, nur muß man die Menschen hineinkommen lassen ins freie Geistesleben. So wird das ganze soziale Leben christlich sein können.

Aber zur Wahrheit muß man erst kommen, nicht in der Lüge wird man wohlleben können. Das sind schon Dinge, die man heute aufnehmen muß, die man sich tief ins Herz schreiben muß. Denn wird man es nicht tun, so wird man auf der Seite derjenigen stehen, die den Spengler-Schülern folgen in dem Glauben, daß wir in die Barbarei hinein müssen. Mit einem leichtfertigen Bekenntnis, daß Spengler Unrecht hat, kommt man aber auch nicht weiter. Da belügt man sich nur. In der Wahrheit wird man nur stehen, wenn man sich sagt Die Kraft muß erzeugt werden zum Vorwärtskommen. Die kann aber nur erzeugt werden aus dem lebendigen Geiste heraus, aus dem Geiste, der gesucht wird durch anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft. Sie hat dasjenige, was die Impulse unserer Zeit durchdringen muß, damit wir zu einem Geistesleben kommen können, das wiederum christlich ist, zu einem Staatsleben, das wiederum menschlich ist, das nicht vor dem Menschen halt macht, und zu einem wirtschaftlichen Leben, das wiederum von den Menschen geleitet wird, nicht von den Pferdekraftjahren, die neben ihnen stehen und die eben dasjenige ausdrücken, was aus den Technizismen heraus, aus dem Außermenschlichen und Unmenschlichen heraus das menschliche Schicksal bestimmt.

Was wir in den letzten Jahren erlebt haben, kann nicht aus den

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menschlichen Seelenverfassungen abgelesen werden, das muß aus den Pferdekraftjahren derTechnizismen abgelesen werden, aus jener furchtbaren Schrift, die Ahriman beginnt in die Menschheitsentwickelung hineinzuschreiben. Dasjenige, was die Menschen daraus herausführen soll, das muß hergeholt werden aus einem neuen Christus-Verständnis.

ELFTER VORTRAG Stuttgart, 22. November 1920

#G197-1986-SE189 Gegensätze in der Menschheitsentwickelung

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ELFTER VORTRAG

Stuttgart, 22. November 1920

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Wir wollen uns heute an einiges uns längst Bekanntes erinnern, um daran wichtige Betrachtungen zu knüpfen, welche in einem gewissen Sinn das vor einigen Tagen hier Entwickelte fortsetzen können.

Wir wissen, der Mensch ist ein viergliedriges Wesen, und wir charakterisieren ihn, indem wir sprechen von seinem physischen Leib, von seinem Lebensleibe, von seinem astralischen Leibe oder Empfindungsleibe und von seinem Ich. Wir wissen aber auch, daß wir den Menschen nur voll begreifen, wenn wir zu diesen Gliedern, die ja im wesentlichen dasjenige ausmachen, was jetzt am Menschen entwickelt ist, andere noch hinzufügen, die Ihnen ja bekannt sind als das Geistselbst, der Lebensgeist und der Geistesmensch. Wir wissen aber auch, daß diese letzteren drei Glieder der menschlichen Natur nicht solche sind, daß wir von ihnen als von in der gegenwärtigen Zeit fertig abgeschlossenen sprechen können. Wir können von ihnen nur sprechen als von etwas, was der Mensch gewissermaßen als seine Entwickelungsmöglichkeit in sich trägt und das er in der Zukunft entfalten wird.

Man kann sagen, ebenso wie wir an uns haben einen physischen Leib und so weiter bis hinauf zum Ich, so werden wir dereinst haben ein Geistselbst, einen Lebensgeist, einen Geistesmenschen. Wir wissen aus den Darstellungen, die ja längst in unserer Literatur vorliegen, wie dasjenige, was wir so als die Gliederung des Menschen betrachten, zusammenhängt mit dem ganzen Kosmos und seiner Entwickelung. Wir beziehen in einer gewissen Weise dasjenige, was als physischer Leib an uns ist, auf eine älteste Verkörperung unserer Erde, die wir den alten Saturn nennen. Wir beziehen den Lebensleib auf die alte Sonne, den Astralleib auf den alten Mond, und dasjenige, was wir als unser Ich bezeichnen, im wesentlichen auf unsere gegenwärtige Erde.

Was heißt das eigentlich: Wir beziehen das Ich, das wir an uns tragen, auf unsere gegenwärtige Erde? Das heißt: In dem, was wir als Elemente der Erde, als Kräfte der Erde und so weiter erkennen - oder auch nicht erkennen -, in dem liegt dasjenige, was in uns anregt

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das Ich. Unser Ich hängt innig zusammen mit den Kräften der Erde.

Wenn Sie die ganze Evolution, diese ganze Entwickelung des Menschen betrachten, so werden Sie finden, daß unser heutiges Menschen- wesen zum größten Teil in die Vergangenheit hineinweist, unser physischer Leib in eine längst verflossene Vorzeit, in die alte Saturnzeit, unser Lebensleib in die alte Sonnenzeit und so weiter, daß unser Ich zwar noch nicht voll entwickelt ist, aber daß es in seiner eigentlichen Wesenheit auf das Gegenwärtig-Irdische hinweist. Damit ist aber schon der Hinweis darauf gegeben, daß dasjenige, was wir als Geist- selbst, Lebensgeist und Geistesmenschen bezeichnen, eigentlich in dem Irdischen selbst nicht begründet ist, daß, indem wir als Mensch die Entwickelungsmöglichkeit zum Geistesmenschen, zum Lebensgeist, zum Geistselbst in uns tragen, wir damit etwas in uns tragen, was wir über das Irdische hinausentwickeln müssen, was wir so entwickeln müssen, daß uns dazu das Irdische keine Anleitung gibt. Wir stehen gewissermaßen als Mensch auf der Erde und wir sollen auf dieser Erde zunächst unser Ich voll entwickeln, haben es schon bis zu einem gewissen Grade entwickelt. Indem wir es bis zu einem gewissen Grade entwickelt haben, haben uns die Kräfte, das Wesenhafte der Erde die Anleitung dazu gegeben. Was wir noch durch den Rest der Erdenentwickelung hier entfalten werden, eine gewisse Vertiefung, eine gewisse Verstärkung des Ich, das werden wir der Erde und ihren Kräften verdanken. Aber wir müssen uns auch sagen: Wenn wir bloß der Erde und ihren Kräften unser menschliches Wesen verdanken wollten, dann könnten wir niemals einen Geistesmenschen, einen Lebensgeist und ein Geistselbst entwickeln. Denn das kann die Erde nicht hergeben. Sie kann uns nur anregen zur Ich-Entwickelung. Wir müssen daher die Erde in bezug auf den Menschen als etwas betrachten, was uns von sich aus nicht zum Vollmenschen machen kann. Wir stehen auf der Erde und müssen über die Erde hinaus. Das ist ja auch angedeutet in unserer Literatur, indem darauf hingewiesen ist, wie die Erde abgelöst werden muß für unsere Entwickelung durch eine spätere Jupiter-,Venus- und Vulkan- zeit. Während dieser Zeiträume werden wir auch äußerlich voll zu entwickeln haben das Geistselbst, den Lebensgeist, den Geistesmenschen.

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Aber wir sind einmal mit unserem gegenwärtigen Dasein auf der Erde. Wir müssen uns auf der Erde entwickeln. Wir können nicht alles, was wir in uns entwickeln müssen, damit wir in die Zukunft hinüberkommen zum Geistselbst, zum Lebensgeist, zum Geistesmenschen, von der Erde nehmen. Würden wir alles, was wir in uns entfalten können, nur von der Erde nehmen müssen, dann müßten wir ja verzichten auf die Entfaltung des Geistselbst, des Lebensgeistes, des Geistesmenschen.

Das ist theoretisch wiederum leicht ausgesprochen, aber solche Gedanken genügen nicht in ihrer bloß theoretischen Fassung. Sie ergreifen uns nur richtig als Menschen, wenn wir unseren ganzen Menschen von ihnen erfassen lassen, wenn wir gewissermaßen die ganze Schwere des Rätsels auf uns lasten fühlen, die darin besteht, daß wir uns sagen müssen: Wir Menschen stehen auf der Erde, wir blicken um uns. Aus dem, was uns die Erde geben kann mit ihren Schönheiten, auch mit ihren Häßlichkeiten, mit ihren Schmerzen und Leiden, mit alledem, was sie für uns als Schicksal zimmern kann, aus alledem können wir nicht dasjenige entnehmen, was uns zum Vollmenschen macht. Wir müssen eine Sehnsucht in uns tragen, die über dasjenige hinaus reicht, was uns die Erde geben kann. Das muß gefühlt werden, das muß gewissermaßen alles, was wir nur an Idealen in uns tragen können, durch- leuchten und durchwärmen können. Wir müssen uns ganz im Ernste und tief fragen können: Was machen wir als Menschen, da wir doch nur die Erde um uns herum haben und uns zu etwas entwickeln müssen, wozu uns die Erde selbst keine Anregung geben kann? Wir müssen die ganze Schwere dieser Frage empfinden können, erleben können. Wir müssen gewissermaßen uns schon sagen können, wie die Erde für uns ein Ungenügendes ist, wie wir genötigt sind, als Menschen über das Irdische hinauszuwachsen.

Anthroposophie wird eben durchaus nur dasjenige dem Menschen sein können, was sie sein soll, wenn er in der Lage ist, sich solche Fragen gefühlsmäßig als innere Schicksalsfragen zu stellen, wenn er die Schwere solcher Fragen empfinden kann. Und empfindet man diese Schwere, dann kann man in der rechten Weise zurückgelenkt werden auf dasjenige, was unsere beiden letzten Betrachtungen durchzogen hat.

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Man kann zurückgelenkt werden auf das Mysterium von Golgatha und man kann zurückgelenkt werden auf dasjenige, was sich wie eine Vergeistigung des Mysteriums von Golgatha in unserem Jahrhundert, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewissermaßen wiederholen soll. Denn wir mußten ja immer betonen, wenn wir eingingen auf das Mysterium von Golgatha, daß die Christus-Wesenheit nichts Irdisches ist, daß sie gewissermaßen im rechten Moment aus Außerirdischem in einen irdischen Leib hineingezogen ist, daß mit der Christus-Wesenheit sich etwas verbunden hat mit der Erde, was außerirdisch, überirdisch ist. Und mit diesem Außerirdischen, Überirdischen, mit dem wir unser eigenes Wesen verbinden können, haben wir, wenn wir den Christus richtig erleben, ein Kraftelement, ein Element der inneren Stärkung, der inneren Durchwärmung und Durchleuchtung, das uns hinausführt über das Irdische, weil es selbst nicht dem Irdischen entnommen ist, weil der Christus aus Außerirdischem in die Erde hereingekommen ist.

Wenn wir sehnsüchtig nach etwas Außerirdischem blicken, weil wir uns sagen müssen: Um Vollmensch zu werden, um alles dasjenige in uns zu entfalten, was wir als Geistselbst, als Lebensgeist, als Geistesmensch in der Zukunft entwickeln müssen, wenn wir also sehnsüchtig hin- blicken über die Erde und uns sagen, da ist im Irdischen selbst alles dasjenige nicht, was uns zu diesem Überirdischen in unserer eigenen Wesenheit anregen könnte, dann müssen wir vom Irdischen hinweg zu dem blicken, was aus Außerirdischem in das Irdische hineingekommen ist. Da müssen wir zu dem Christus blicken und uns sagen: Der Christus hat uns diejenigen nichtirdischen Kräfte in die Erde hereingebracht, welche uns anregen können, das zu entwickeln, wozu uns die Erde selbst niemals anregen kann. Und wir müssen dasjenige, was uns zunächst mehr in Begriffen, in Ideen entgegentritt, mit unserem ganzen Menschen erfassen. Wir müssen damit den Christus erkennen lernen als den Retter unseres Menschentums. Wir müssen ihn erkennen lernen als diejenige Wesenheit, welche es möglich macht, daß wir nicht, so könnte man sagen, mit dem Irdischen vereinigt zu bleiben brauchen, daß wir nicht gewissermaßen auf der Erde für alle Ewigkeit begraben werden und das, was in uns sich entwickeln könnte über die Erde hinaus, unentwickelt bleiben müßte. Wenn wir so den Christus als den Retter

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unseres Menschenwesens betrachten können, wenn wir fühlen können aus der Beschaffenheit der Erde, daß wir innerhalb dieses Irdischen etwas haben müssen, das uns aus dem Irdischen hinausführt, wenn wir ihn als den Führer zu unserem vollen Menschentum fühlen, dann fühlen wir die Christus-Kraft in uns. Und wir sollen eigentlich erkennen, daß wir niemals im Ernste reden können von unserer Entwickelung zum Geistselbst, zum Lebensgeist, zum Geistesmenschen, ohne daß wir uns bewußt werden: Über diese Dinge zu reden hat nur einen Sinn, wenn wir an den Christus appellieren, weil der Christus dasjenige ist, was mehr in uns entwickeln kann, als die Erde uns geben kann.

Das ist im Grunde genommen auch die große Frage der Gegenwart. Ein großer Teil gerade der zivilisierten Menschheit der Gegenwart möchte das Irdische gestalten in einer gewissen Weise; er möchte, daß alles dasjenige, was den Menschen werden kann, durch irgendwelche sozialen Konfigurationen des irdischen Lebens selbst erreicht werden könne. Das wird aber niemals sein können. Wir werden niemals ein solches Staats- oder Wirtschaftsleben oder selbst ein Geistesleben auf der Erde entwickeln können, das nur irdisch wäre und das uns zum Vollmenschen machen könnte. Wir leben eben in der Gegenwart noch in einem Zeitpunkte, wo die Menschen solches glauben können, wo sie solches versuchen, wo sie nicht einsehen, daß in uns etwas liegt, das nur durch ein Überirdisches entwickelt werden kann.

Zunächst erschien in der Zeit, die ich Ihnen ja ihrer inneren Wesenheit nach von den verschiedensten Gesichtspunkten aus bisher schon charakterisiert habe, der Christus Jesus in einem physischen Leibe. Jetzt stehen wir in dem Zeitalter, wo er gewissermaßen in übersinnlicher Gestalt dem Menschen wieder erscheinen soll, in der Gestalt, von der ich auch das letzte Mal wiederum gesprochen habe. Selbstverständlich können wir auch heute nicht das ganze erneuerte Mysterium von Golgatha erschöpfend behandeln, aber wir wollen von einem gewissen Gesichtspunkte aus auf dieses Mysterium von Golgatha wiederum hinweisen.

In den letzten Jahrhunderten, seit dem Beginn der fünften nachatlantischen Erdenperiode ist ganz besonders stark geworden unter den

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Menschen der neueren zivilisierten Welt das wissenschaftliche Element und alles dasjenige, was mit diesem wissenschaftlichen Element zusammenhängt, was ich neulich in einem öffentlichen Vortrage den «Wissenschaftsgeist des Westens» genannt habe. Dieser Wissenschaftsgeist des Westens ist zunächst heraufgezogen ganz ohne Beziehung zu der Christus-Wesenheit. Wer unbefangen und ehrlich diese neuere Wissenschaft durchschaut, der wird nicht finden können, daß in ihr eine eigentliche Beziehung zur Christus-Wesenheit ist. Der beste Beweis dafür ist ja das Folgende: Das Christentum hat sich zunächst, wie ich Ihnen auseinandergesetzt habe, in einer Zeit in die Erdenentwickelung hineinbegeben, in der noch Reste alten Hellsehens vorhanden waren, und es ist verstanden worden von den Menschen mit den Resten dieses alten Hellsehens. Es hat sich dann als Tradition erhalten. Es ist immer mehr und mehr zu Begriffen verdünnt worden, aber es hat sich als Tradition erhalten. Es ist sogar zuletzt bloß eine Wortweisheit geworden, aber eben, es hat sich als Tradition erhalten. Aber dann ist dazugetreten in den letzten drei bis vier Jahrhunderten der Geist der Wissenschaft. Dieser Geist der Wissenschaft trat nun auch heran zum Beispiel an die Evangelien. Die Evangelien wurden von zahlreichen Menschen und werden noch heute von zahlreichen Menschen als dasjenige verehrt, das ihnen die Geheimnisse von Golgatha vermittelt. Aber dasjenige, was Wissenschaftsgeist der neueren Zeit ist, das ist insbesondere im 19. Jahrhundert an diese Evangelien herangetreten und hat Widerspruch über Widerspruch in den Evangelien entdeckt, hat sie nicht verstehen können, hat sie in seiner Weise ausgelegt. Und jetzt ist im Grunde genommen durch diese wissenschaftliche Durchdringung der Evangelien das Christus-gemäße dieser Evangelien gerade für die modernste Theologie aufgelöst. Es ist nicht mehr da. Innerhalb dieser modernen Theologie kann nur davon gesprochen werden, daß die Evangelien irgend etwas über den Christus enthalten, wenn man nicht ganz ehrlich ist, wenn man nicht ganz wahr ist, oder wenn man allerlei einander widersprechende Begriffe konstruiert. Man kann schon sagen: Der moderne Wissenschaftsgeist hat dasjenige zerstört, was der Geist des Christentums war, der noch aus den Resten alten Hellsehens bestanden hat, der sich auch in der Tradition durch die Reste alten Hellsehens

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fortgepflanzt hat. Denn dieser moderne Wissenschaftsgeist war zunächst nicht durchtränkt von dem Christus-Geist. Durchtränkt von dem Christus-Geist kann erst wiederum sein die Wissenschaft, die verlebendigt wird durch das Schauen, durch dasjenige, wonach die moderne Geisteswissenschaft strebt.

Diese moderne Geisteswissenschaft strebt ja danach, ebensoviel Wissenschaftsgeist zu haben wie nur irgendeine Wissenschaft sonst. Aber sie strebt danach, diese Wissenschaft nicht als etwas Totes zu haben, sondern sie innerlich zu erleben, so wie man die Lebenskraft des Menschen selber erlebt. Und dieser verlebendigten Wissenschaft wird es wiederum gelingen, zu dem Christus vorzudringen.

Welche Gestalt wird dann diese verlebendigte Wissenschaft annehmen? Vorbereitungen dazu sind ja schon da, aber diese Vorbereitungen werden leider heute noch sehr wenig beachtet. Ich möchte doch darauf hinweisen, daß ich bereits am Beginn der neunziger Jahre, eigentlich schon Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, auf einen gewissen Zusammenhang hingewiesen habe zwischen der Entwickelung Schillers und der Entwickelung Goethes. Ich habe darauf hingewiesen, wie Schiller in seinen Briefen «Über die ästhetische Erziehung des Menschen» in seiner Art versuchte, das menschliche Entwickelungsrätsel zu lösen. Schiller ging aus von ganz abstrakten Begriffen. Er ging aus erstens von dem Begriff der Vernunftnotwendigkeit, der logischen Notwendigkeit. Er sagte sich: Diese logische Notwendigkeit ist etwas, was uns Menschen zwingt. Wir müssen logisch denken. Da gibt es keine Freiheit, wenn wir logisch irgend etwas uns zergliedern sollen, denn da sind wir unterworfen dem Gesetz der Logik. Da gibt es keine Freiheit.-Und auf der andern Seite stand vor Schillers Seele der Begriff der Naturnotdurft beim Menschen, der Begriff von alledem, was im Menschen instinktiv ist, was im Menschen aus dem sinnlichen Begehrungsvermögen entspringt. Auch darin ist der Mensch nicht frei, denn da tritt Notwendigkeit an ihn heran. In einer gewissen Weise ist also das höchste Geistige, zu dem zunächst der abstrakte Verstand dringt, die logische Notwendigkeit, etwas, was den Menschen versklavt. Auf der andern Seite ist die Naturnotdurft, das Beherrschtsein durch die Instinkte auch etwas, was den Menschen versklavt. Aber

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der Mensch kann eine Mitte finden zwischen dem logischen Denken und dem instinktiven Empfinden. Diesen mittleren Zustand sieht Schiller besonders beim künstlerischen Schaffen und ästhetischen Genießen verwirklicht. Wenn wir das Schöne anschauen oder das Schöne schaffen, so denken wir nicht logisch, aber wir denken doch im Geistigen. Wir verbinden Vorstellungen, aber nicht, indem wir uns einem logischen Zusammenhang hingeben, sondern indem wir uns dem ästhetischen Schein hingeben. Und auf der andern Seite strebt die Kunst danach, alles sinnlich-anschaulich zu machen, was sie zur Offenbarung bringt, so wie die Dinge der Notdurft, der Instinkte sinnlich- anschaulich sind. Und so kommt man dazu, meint Schiller, einerseits in der Kunst und im ästhetischen Genießen dasjenige zu haben, was das Logische etwas herunterdrückt, so daß es uns nicht mehr versklavt, daß es gewissermaßen einzieht in dasjenige, was wir persönlich bezwingen, bewältigen, und andererseits dazu, daß das Instinktive heraufgeholt wird in die geistige Sphäre, mit andern Worten, daß das Instinktive zugleich als ein Geistiges empfunden wird, das Logische als ein Persönliches erlebt wird. Diesen Zustand, den Schiller verallgemeinern möchte für den Menschen, weil er sagt Nur in diesem Zustand ist der Mensch weder von oben noch von unten versklavt, sondern frei -, diesen Zustand möchte Schiller auch zu der Kraft gestalten, welche die Gesellschaft, das soziale Leben durchdringt, wenn die Menschen sich gegenüberstehen: daß ihnen das Gute zugleich gefällt und daß sie sich ihren Instinkten hingeben können, weil sie diese Instinkte so geläutert und durchgeistigt haben, daß sie sie nicht mehr hinunter- ziehen. Dann werden sie auch im sozialen Leben so zusammensein, daß eine freie soziale Gesellschaft entsteht. Vor Schiller standen also die drei menschlichen Zustände, aber in einer abstrakten Form: der Zustand der gewöhnlichen Notdurft, der Zustand der Vernunftnotwendigkeit, der freie Zustand des ästhetischen Erlebens.Schiller hat im Beginn der neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts diese Lebensanschauung sich ausgebildet, sie niedergeschrieben in seinen Briefen «Über die ästhetische Erziehung des Menschen» und sie Goethe überreicht. Goethe, der in seiner menschlichen Wesenheit ganz anders war als Schiller, fühlte: Ja, dieser Schiller strebt damit nach der

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Auflösung eines gewissen Rätsels, des Rätsels der menschlichen Wesenheit, der menschlichen Entwickelung, der menschlichen Freiheit. - Aber so einfach lag für Goethe die Sache nicht, daß man aus drei Abstraktionen sich die ganze menschliche Entwickelungswesenheit zusammensetzen kann. Und da leuchtete in Goethes komplizierter und daher tieferer Natur das auf, was das «Märchen» von der grünen Schlange und der schönen Lilie ist, wo Goethe alles dasjenige, was in der menschlichen Seele liegt, in etwa zwanzig Gestalten darstellte und in den Beziehungen dieser Gestalten die menschliche Entwickelung verbildlichte. Was Schiller aus drei Abstraktionen zusammensetzen wollte, das wollte Goethe aus zwanzig Imaginationen sich verbildlichen. Die beiden verstanden sich in einer gewissen Weise in dieser Beziehung. Denn, was hatten sie eigentlich getan? Schiller ging wissenschaftlich vor, indem er die Briefe «Über die ästhetische Erziehung des Menschen» schrieb. Eigentlich ging er ganz im Geiste jener Wissenschaftlichkeit vor, der dann derWissenschaftsgeist des 19. Jahrhunderts geworden ist. Aber er ging nicht so weit wie dieser Wissenschaftsgeist des 19. Jahrhunderts. Er blieb gewissermaßen im Persönlichen stehen. Die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts ist ja ganz vom Persönlichen losgelöst, und sie betrachtet es als ihren Stolz, vom Persönlichen losgelöst zu sein. Je unpersönlicher man das Wissen ausgestalten kann, desto mehr glaubt man das Ideal dieses Wissens erfüllt. Im 19. Jahrhundert sagte man nur und sagt es bis heute: Man weiß über dieses oder jenes das oder das. Man weiß es so, daß es für jeden Menschen in gleicher Weise gelten kann, daß es ganz losgelöst ist vom Persönlichen. Es ist ja so losgelöst vom Persönlichen, daß eigentlich der moderne Mensch mit der Wissenschaft erst zufrieden ist, wenn sie in jene Gräber eingesargt ist, die wir als die Riesengräber des modernen Geisteslebens anerkennen müssen, nämlich in die Bibliotheken, diese Grabstätten des modernen Geistes, wo das tote Wissen aufgespeichert ist, wo man hineingeht, wenn man irgendeinen Knochen braucht, um ihn einer Dissertation oder einem Buche einzuverleiben. Diese Grabstätten, sie sind ja das eigentliche Ideal des modernen Wissenschaftsgeistes. Da wandelt der Mensch drinnen in diesem aufgespeicherten, ganz objektiven Wissen und ist mit seinem Persönlichen gar nicht drinnen, wirklich gar nicht drinnen.

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So weit ist Schiller nicht gegangen in seinen Briefen «Über die ästhetische Erziehung des Menschen», sondern er blieb innerhalb des Persönlichen stehen. Er wollte für jeden Begriff, den er entwickelte, persönlichen Enthusiasmus, persönliches Dabeisein. Das ist wichtig. Und die Briefe «Über die ästhetische Erziehung des Menschen» sind zwar durchaus abstrakt, aber das Abstrakte atmet noch Persönlichkeitsgeist. Man fühlt noch das, was man weiß, als mit seiner Persönlichkeit verknüpft. Also die Abstraktion, der Begriff hat noch etwas Persönliches. Schiller entläßt den Begriff noch nicht in das ObjektivUnpersönliche, das Unmenschliche hinein. Aber immerhin, er schreitet bis zur Abstraktion vor. Für Goethe ist diese Abstraktion unmöglich. Er bleibt beim Bilde, aber er ist sehr vorsichtig. Denn er lebt noch nicht in dem Zeitalter, wo man eine Geisteswissenschaft begründen kann; er hat eine gewisse Scheu, diesen Bildern, die er hinstellt in dem «Märchen» von der grünen Schlange und der schönen Lilie, irgendwie scharf zu Leibe zu gehen. Er deutete an, daß er eigentlich etwas meinte wie einen Zukunftszustand des sozialen Lebens. Sie finden das gut ausgedrückt in dem Schlusse des «Märchens» von der grünen Schlange und der schönen Lilie, aber er möchte nicht durchbrechen bis zu einer scharfen Charakteristik. Er sagte nicht, das soziale Leben müsse drei- gegliedert sein, so wie dreigegliedert sein muß dasjenige, was er darstellt durch den goldenen König, den König der Weisheit, den silbernen König, den König des äußeren Scheins, des Scheinlebens, des politischen Lebens, den ehernen König, des Lebens im Materiellen, im Wirtschaftlichen. Er stellt ja auch dar den Einheitsstaat in dem gemischten König, der in sich selber zusammensinkt; aber er bricht nicht durch zu dieser Charakteristik. Es war nicht die Zeit, in der man solche feinen Märchengestalten umsetzen konnte in derbe Charakteristiken des sozialen Lebens. Nicht wahr, man hat es bei Goethe zu tun mit feinen Märchen- gestalten, aber die Zeit war noch nicht da, um nun das, was da halb in der Phantasie, halb schon in der Imagination lebend vorhanden war, hinauszutragen in das Leben.

Als die Idee entstand vor Jahren, in München zu spielen, da ergab sich die Intention, dasjenige, was enthalten war an weltgestaltenden Wesenskräften in Goethes «Märchen» von der grünen Schlange und der

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schönen Lilie, auf die Bühne zu bringen. Es ging nicht. Man mußte es viel realer fassen. Und daraus entstand das Mysterium «Die Pforte der Einweihung». Es ist ja handgreiflich: es war zu Goethes Zeiten eben noch nicht das Zeitalter da, wo man überleiten konnte dasjenige, was in feinen Märchenbildern noch zu halten war, in die realen Gestalten, die in der «Pforte der Einweihung» sind. Aber als die «Pforte der Einweihung» geschrieben wurde, war auch schon die Zeit vorhanden, wo man mit diesen Dingen bald in das Leben hinausgehen konnte. Und so mußte man nicht bloß interpretieren den goldenen König, den silbernen König, den ehernen König und den gemischten König, sondern man mußte zeigen, wie das moderne soziale Leben, das unter dem Einheitsstaate alles umfassen will, zerschellen muß, wie gegliedert werden muß in ein reinliches Glied des geistigen Lebens - goldener König -, in ein reinliches Staatsglied - silberner König -, in ein reinliches Wirtschaftsglied - eherner König. Die «Kernpunkte der sozialen Frage» sind schon Goetheanismus, richtig verstanden, aber eben Goetheanismus im 20. Jahrhundert.

Also darum handelt es sich, daß Goethe und Schiller in ihrer Zeit bis zu einem gewissen Punkte kommen konnten, Schiller auf dem Gebiete derBegriffsabstraktionen mit seinen Briefen «Über die ästhetische Erziehung des Menschen», Goethe auf dem Gebiete der Bilder, wo er manchmal seiner Umgebung gegenüber sehr eklig wurde, weil sie diese Bilder auslegen wollte und weil er fühlte: Es ist noch nicht die Zeit gekommen, um das derb ins Leben überzuführen. - Das zeigt uns aber doch, daß zur Schiller-Goethe-Zeit gerade der Moment war, wo man noch nicht entlassen mußte den modernen Wissenschaftsgeist ins Unmenschlich-Objektive, sondern wo man ihn noch halten wollte im Persönlichen. Dazu muß man aber wieder zurück und man kann nicht anders zurück als durch die Geisteswissenschaft, indem man durch die Geisteswissenschaft dasjenige als Realität faßt, worauf Schiller mit seinen persönlich-abstrakten Begriffen in den Briefen «Über die ästhetische Erziehung des Menschen» hindeutet, worauf Goethe, nach desselben Rätsels Lösung strebend, in seinem «Märchen» von der grünen Schlange und der schönen Lilie hindeutete.

Der Wissenschaftsgeist muß wieder persönlich werden. Dazu gibt

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die Erde ihre Anregungen nicht mehr her. Dazu brauchen wir die Durchchristung der Wissenschaft selber. Und wenn wir die Wissenschaft durchchristen, dann legen wir die ersten Keime zur Entwickelung des Geistselbst.

Seien wir uns doch klar: Diese Erde, die uns angeregt hat zur Entwickelung des Ich, die uns in ihrem Untergang noch anregen wird zu einer weiteren Erstarkung des Ich, diese Erde ist etwas, was wir für spätere Entwickelungsformen im Jupiter und so weiter verlassen müssen. Diese Erde ist also etwas, mit dem wir unser gesamtes Vollmenschentum nicht verbinden können. Wir müssen unseren Menschen gewissermaßen zurücknehmen von der Erde. Würden wir nur die Erdenwissenschaft entwickeln, zu der Goethe und Schiller nicht hin- wollten - Schiller nicht, indem er die abstrakten Begriffe persönlich hielt, Goethe nicht, indem er bei Halbimaginationen stehenblieb -, würden wir uns nur von den Erdeningredienzien anregen lassen, so würden wir das Geistselbst niemals entwickeln können. Wir würden nur eine tote Wissenschaft entwickeln können. Wir würden immer mehr und mehr jenes Leichenfeld vergrößern, das in den Bibliotheken vorhanden ist, das in unseren Büchern vorhanden ist, das abgesondert vom Menschen ist. Und wir würden zwischen diesen Gedankenleichen hinwandeln, selber gewissermaßen verzaubert in ihnen und würden so das Ideal Ahrimans erfüllen. Denn unter andern Dingen, die uns Ahriman bescheren will, ist dieses: Recht viele Bibliotheken zu machen, recht viel totes Wissen um uns aufzuspeichern. Ahriman möchte, daß, so wie die alten Agypter hingewandelt sind unter ihren Gräbern, wie noch die ersten Christen herumgewandelt sind und Leichen um sich gehabt haben, wir mit unserem menschlichen Wesen immer mehr und mehr in das bloße Instinktwesen, in das egoistische Instinktwesen zurücksinken und daß das, was wir an Gedanken aufbringen können, aufgespeichert wäre in unseren Bibliotheken. Man könnte sich vorstellen, daß eine Zeit heranrückt, wo irgendein junger Mann oder sogar eine junge Dame von etwa zwanzig bis dreiundzwanzig Jahren zunächst nichtwüßte,wodurch sie in derWelt des silbernen Königs weiterkäme - man nennt es äußerlich: sich den Doktor erwerben. Da unten aus dem Menschen steigt ja weniges herauf; denn wenn man das, was

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aus dem Menschen heraufsteigt, etwa in eine Doktordissertation schreiben würde - ich rede also davon, daß eine solche Zeit kommen könnte, wenn Ahriman siegt! -, so würde diese Doktordissertation zurückgewiesen werden, denn das wäre etwas Persönliches, etwas Subjektives. Also setzt man sich in Bibliotheken, nimmt ein Buch nach dem andern, möglichst bloß nach den Katalogen, in denen alles verzeichnet ist, was sich an dieses oder jenes Stichwort anknüpfen läßt - wenn wieder ein neues Stichwort kommt, nimmt man wieder ein neues Buch heraus -, und zimmert eine Schrift zusammen, die einen dann zum Doktor macht. Man ist eigentlich nur mit seiner äußeren physischen Persönlichkeit dabei. Man hat ein Pult vor sich, da liegen viele Bücher drauf. Mit seiner Persönlichkeit ist man insofern dabei, als man, wenn man ein paar Stunden dabei sitzt, hungrig wird und dann diesen Hunger als persönliches Schicksal fühlt. Vielleicht ist man auch dadurch mit seiner Persönlichkeit dabei, daß man menschliche Beziehungen hat, an die man sich erinnert, die man wiederum erfüllen muß nach den paar Stunden. Aber dann klappt man die Bücher zu und ist nicht mehr persönlich damit verbunden. Dasjenige, was man nunmehr zusammengezimmert hat aus den verschiedenen Büchern, wird wiederum ein kleines Buch oder ein dickes Buch und steht wiederum unter den Büchern und wartet, bis es ein andrer wieder benützt. Ich weiß nicht, ob ein solcher Zustand heute schon irgendwo existiert, aber es könnte, wenn Ahriman sein Ideal erreichte, durchaus einmal so werden, und das wären fürchterliche Zustände. Die menschliche Persönlichkeit wurde verkümmern unter diesen fürchterlichen objektiven, außermenschlichen, unpersönlichen Zuständen.

Demgegenüber muß dasjenige, was Wissen ist, eine persönliche Angelegenheit werden. Die Bibliotheken müssen womöglich schrumpfen und die Menschen müssen dasjenige, was in den Bibliotheken steht, mehr in ihren eigenen Seelen tragen. Geistselbst kann nur aus dieser Verpersönlichung des Wissens hervorgehen. Das wird nicht kommen, ohne daß die Menschen sich bekanntmachen mit dem, was nun nicht mehr irdisch ist. Denn die Erde ist über den Mittelpunkt ihrer Entwickelung hinüber. Das ist eben Absterben. In unseren Bibliotheken stirbt das Wissen. In unseren Büchern, diesen Särgen unseres Wissens,

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stirbt es ebenfalls. Wir müssen wiederum zurücknehmen in unsere Persönlichkeit dasjenige, was Wissen ist. Wir müssen es in uns tragen. Dazu wird uns vor allen Dingen die Wiedererneuerung des Mysteriums von Golgatha verhelfen. So wird sie den Wissenden helfen, so wird sie denjenigen helfen, die die Jünger des goldenen Königs sind.

Eine ebensolche Verlebendigung muß auf einem andern Gebiet eintreten, auf dem Gebiet des Rechtswesens. Der Mensch hängt ja heute mit seinem Rechtswesen ebensowenig persönlich zusammen, wie er mit seinem Wissenswesen zusammenhängt. Ich habe neulich einen kleinen deutlichen Beweis dafür im öffentlichen Vortrage vorgebracht. Ich habe gesagt: Seit Jahrzehnten hatte das Deutsche Reich das allgemeine, geheime und gleiche Wahlrecht, das beste Wahlrecht, das man sich nur wünschen kann. Aber hing denn das Leben zusammen mit diesem Wahlrecht? Wählte man denn im Sinne dieses Wahlrechts? War denn dasjenige, was lebendig lebte in der Konfiguration des Deutschen Reiches, ein Ergebnis desjenigen, was durch dieses Wahlrecht gegeben war? Das war ja ganz und gar nicht der Fall. Dieses Wahlrecht stand ja nur in der Verfassung. Es lebte nicht in den Seelen der Menschen. Der Zustand muß eintreten, wo die Menschen es nicht nötig haben werden, in objektiven Verfassungen niederzulegen dasjenige, was zwischen Menschen sich abspielt, sondern wo in dem lebendigen Wechselverkehr unter gleichen Menschen das Recht sich auch als ein Lebendiges erweist. Was braucht es geschriebener Verfassungen, wenn die Menschen in der richtigen Weise ihr Verhältnis von Mensch zu Mensch fühlen, wenn das Verhältnis von Mensch zu Mensch eine persönliche Angelegenheit wird, so wie es eine unpersönliche geworden ist in den drei letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts und geblieben ist unter der starken Vermaterialisierung im 20. Jahrhundert. Das Recht kann nur dadurch etwas Lebendiges werden, daß der Christus-Geist die Menschen durchdringt.

Und so wie im Rechtsleben die Menschen Jünger des silbernen Königs werden müssen, so müssen sie im Wirtschaftsleben Jünger werden des ehernen Königs. Das heißt aber nichts anderes als: Dasjenige, was als abstraktes Ideal hinstellt die Brüderlichkeit, muß Realität werden. Wie wird die Brüderlichkeit Realität? Indem man sich assoziiert, indem man wirklich, der eine mit dem andern, sich verbindet, indem

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man nicht in den Interessengegensätzen sich bekämpft, sondern die Interessengegensätze miteinander verbindet. Die Assoziationen sind die lebendige Verkörperung der Brüderlichkeit. Wie im Recht leben soll der Lebensgeist, so lebt durch die Durchchristung des Wirtschaftslebens der Geistesmensch in der ersten Anlage in den Assoziationen. Aber das alles gibt die Erde nicht her. Das alles kann den Menschen nur werden, wenn sie sich mit dem herannahenden, ätherisch ihnen erscheinenden Christus durchdringen.

Sie sehen, dasjenige, was man nennen kann die geistige Wiedererneuerung des Mysteriums von Golgatha, hängt schon zusammen mit demjenigen, was wir auch aus der anthroposophischen Kosmologie heraus erkennen, was wir erkennen dadurch, daß wir uns sagen, wir tragen die Entwickelungsmöglichkeiten von Geistselbst, Lebensgeist und Geistesmensch in uns. Wir sind aber so abstrakt geworden, daß es heute dem Menschen eigentlich als etwas furchtbar Nüchternes, Prosaisches erscheint, wenn ihm gesagt wird, etwas Hochgeistiges wie der Geistesmensch müsse in den Assoziationen des Wirtschaftslebens, des « niederen » Wirtschaftslebens, des materiellen Wirtschaftslebens zuerst sich ankündigen. Das Wirtschaftsleben ist doch nicht etwas, worauf, ohne daß er sich «entehrt», ein Geistesforscher hinweisen darf. Denn ein Geistesforscher muß die Menschen in Konventikeln vereinigen, wo nichts gesprochen wird von dem, was zusammenhängt mit irgend etwas Eßbarem oder Trinkbarem, wo man nur im «Geiste», in Wirklichkeit aber in Abstraktionen lebt.

Allerdings, was dann dabei herauskommt, ist, daß wenn die Leute lange genug inKonventikeln als Sekten sich innerlich wohlgetan haben, sie schließlich dann doch wiederum herausgehen und ja dann doch auch wiederum Brot und - ich will, um nicht gar zu sehr anzustoßen, sagen - Wasser brauchen. Aber dann nehmen sie in der Regel furchtbar wenig von den Grundsätzen, die sie zu ihren seelischen Wollüsten in den Konventikeln entwickelt haben, in diese Außenwelt mit.

Das wirkliche Geistesleben lebt nur da, wo es stark genug ist, das materielle Leben zu besiegen, nicht es neben sich liegen zu lassen als etwas, was einen versklavt und bezwingt. Das ist dasjenige, was einmal eingesehen werden muß.

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Ich glaube, wenn man eine solche Betrachtung anstellt wie diejenige, die wir jetzt angestellt haben, dann sieht man, daß das Leben in der Gegenwart Ernst braucht, daß dieser Ernst aber eigentlich nur kommen kann, wenn man sich so vertieft, wie diese Vertiefung durch die Geistes- wissenschaft eben geschehen kann. Denn Sie sehen ja, ein Heranbringen des Geistigen an die menschliche Persönlichkeit ist nur möglich durch die Geisteswissenschaft. Schiller und Goethe waren gewissermaßen die letzten, die noch aus einem Alten, einem Herüberragen aus alten Zeiten beim Persönlichen geblieben sind, Schiller, indem er die Abstraktionen nicht bis zur Eiseskälte der Modernen werden ließ, und Goethe, indem er die Imaginationen im Persönlichen gehalten hat und sie nicht ganz durchbrechen ließ bis zum äußeren Leben.

Heute darf man nicht dabei stehenbleiben. Gegenüber unserer derben Wirklichkeit heute kann man weder mit «Asthetischen Briefen» - höchstens bei ästhetischen Tees - noch mit «Märchen» unmittelbar etwas anfangen, als vielleicht im Salon eine sehr schöne Unterhaltung darüber pflegen, auch in jenen Karikaturen von Salons, die sich zu den alten Lehrkanzeln hinzugesellt haben als Lehrsäle für moderne Literaturgeschichte. Aber was wir heute brauchen, das ist, daß wir mit dem, was Goethe und Schiller im Persönlichen gehalten haben, durchbrechen ins Leben. Dazu brauchen wir starke Begriffe und auf der andern Seite starke Imaginationen, dazu brauchen wir den Aufgang eines wirklichen geistigen Verständnisses der äußeren Welt. Aber dazu brauchen wir die Durchdringung mit dem Christus-Geist. Dazu brauchen wir all den Glauben an den Christus-Geist in seinem wahren Sinne, den Glauben, daß die Christus-Wesenheit etwas ist, was wir verbinden müssen mit dem in uns als Mensch, was uns über die Erde hinausführt, was uns zum Vollmenschen macht, indem es uns hilft, Geistselbst, Lebensgeist und Geistesmenschen zu entwickeln.

Alle Dinge hängen innerlich zusammen, die uns auf dem Boden der Geisteswissenschaft entgegentreten. Und durchschaut man dieses innerliche Zusammenhängen, dann wird man schon auch im rechten Lichte sehen können, wie Geisteswissenschaft in die Gegenwart hineingehört und wie Geisteswissenschaft in der Gegenwart berufen ist, in alle einzelnen Gebiete auch des praktischen Lebens wirklich hineinzuwirken.

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Es ist aber dann Geisteswissenschaft genötigt, dem Leben gegenüber wirklich den größten Ernst zu entfalten. Denn es würde dem wahren Geisteswissenschafter als eine innerliche Frivolität vorkommen, wenn er nicht den größten Ernst entfaltete, wenn er stehenbliebe dabei, schöne abstrakte Begriffe zu drechseln, welche der Seele wohltun, welche aber nicht geeignet sind, ins Leben durchzubrechen.

Das ist dasjenige, was gerade auf der Geisteswissenschaft seit mehr als einem Jahr schwer lastet, auf uns hier lastet, die wir in Stuttgart wirken, denn dieses Stuttgarter Wirken hat uns einmal die Verantwortlichkeit auferlegt, Geisteswissenschaft hineinzutragen in das unmittelbar praktische Leben auf allen Gebieten, um das, was bei Goethe noch auftritt in den Märchenbildern des goldenen, silbernen, ehernen und des gemischten Königs, der in sich zusammenbricht, hineinzutragen in das Leben als Dreigliederung des sozialen Organismus. Erinnern Sie sich an das Märchen, wie der gemischte König in sich zusammenbricht und wie dann die Leute kommen und das Gold herauslecken. - Wer aufmerksam die Welt um sich heute anblickt, der kann das Phänomen sehen. Seit dem November 1918 ist dieser gemischte König für Mitteleuropa zusammengebrochen und die verschiedenen Minister, die seit jener Zeit aufgetreten sind, die verschiedenen Volksführer, lecken sie nicht alle das Gold heraus, bis sie es ganz herausgeleckt haben werden? Dann wird die ganze Schablone des gemischten Königs zum Schrecken der Menschen zusammensinken. Dann aber müßte schon Ernst gemacht werden, jetzt nicht mit Märchenbildern, einem goldenen, silbernen und ehernen König, sondern mit einem ehernen Verständnis für die drei Glieder des sozialen Organismus: dem geistigen Glied, dem staatlich- politischen Glied und dem Wirtschaftsglied.

Allerdings, wenn man von diesen Dingen spricht, so kommen einem zwei Gedanken zunächst in die Seele. Den einen Gedanken möchte ich heute erwähnen, weil es ja, je länger wir so arbeiten müssen in Stuttgart, immer ersichtlicher wird, daß für die Freunde, die aus früheren Jahren gewöhnt sind, wegen diesem oder jenem an mich heranzukommen und sich zu beraten, jetzt eben vorläufig einfach keine Zeit gefunden werden kann. Denn alles dasjenige, was früher hätte persönlich besprochen werden können, mußte nun schon seit langer Zeit

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immer wieder auf spätere Zeiten vertröstet werden, und alles dasjenige, was hier getan werden kann, trotz immer längerer Anwesenheiten, muß der großen Aufgabe gewidmet sein. Und ich muß schon auch sagen, gerade diesmal war es ganz unmöglich, persönliche Wünsche irgendwie zu berücksichtigen. Das kann niemandem schmerzlicher sein als mir selber, weil ich weiß, daß es nicht auf die Dauer so bleiben kann, weil sonst der anthroposophischen Bewegung der Boden entzogen würde. Wir würden dann allerdings auf einem losen Boden bauen.

Aber auf der andern Seite muß auch eingesehen werden, daß die Menschen immer hängend waren am alten. Aber das ist ein sehr Neues, was ich nennen möchte das Ernstmachen mit dem goldenen, dem silbernen und dem ehernen König. Das ist etwas sehr, sehr Ernstes. Und darauf kann sich die Geisteswissenschaft nicht verstehen, herauszulecken das Gold aus dem gemischten König, indem der sich setzt und zusammensinkt. Das wird einem dann von gewissen Seiten übel- genommen. Ich weiß, daß ich in ein Wespennest steche, aber ich werde in mancher Beziehung jetzt in ein Wespennest stechen müssen, wenn ich ganz objektiv charakterisiere zum Beispiel einen solchen Menschen wie den Hermann Keyserling, der einfach die Unwahrheit sagt, der lügt.

Es gibt Menschen, die sagen, es würde heute innerhalb der anthroposophischen Bewegung so viel Kritik geübt. Ich muß immer wieder und wiederum das wiederholen, was ich schon öfter gesagt habe: Auf solchen Seiten sieht man, was wir tun müssen, wenn wir uns wehren müssen - und man tadelt es. Man tadelt es oftmals sogar bei denjenigen, die hiersitzen und die Dinge mit anhören, die hier gesagt werden. Und man findet kein Wort der Abweisung - sonst würde man ja selber polemisch - gegen dasjenige, was uns mit Schmutz bewirft von außen. Man findet es lieblos, einen Menschen einen Lügner zu nennen, wenn diese Wahrheit von der anthroposophischen Seite herkommt. Aber man gestattet jedem, der lügen will über die anthroposophische Bewegung, jede beliebige Lüge, die uns entgegengeschleudert wird. Unsere Dreigliederungszeitung wird oftmals zu polemisch gefunden: Man wende sich an diejenigen, gegen die notgedrungen diese Polemik gerichtet

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werden muß; man habe den Mut, dorthin seine Worte zu richten, nicht an uns, die wir von Notwehr getrieben sind. Aber das ist eine alte Unsitte und sie zeigt, wie sehr man die wollüstige Anthroposophie will und nicht die ernste Anthroposophie, die mit den großen Problemen der Zeit rechnet.

Es ist schon notwendig, daß über solche Dinge zuweilen ein ganz ernstes Wort gesprochen wird. Denn solche Dinge, wie ich sie zum Beispiel im öffentlichen Vortrage in bezug auf den Grafen Hermann Keyserling gesagt habe, die beziehen sich nicht etwa bloß auf dasjenige, was von jener Seite über Anthroposophie gesagt wird, die beziehen sich auf die ganze innere Unwahrhaftigkeit dieses Geisteslebens. Lesen Sie solche Dinge wie «Was uns not tut. Was ich will», lesen Sie dieses Kapitel des jüngsten «Unbuches» «Philosophie als Kunst». Es steht da nichts über Anthroposophie drinnen, aber all jener substanzlose Begriffsschematismus ist da drinnen, der leer ist und von dem die leeren Zöpfe sagen, daß er ihnen außerordentlich viel gibt. Das ist aber das Übel der Zeit, daß man zurückweisen will dasjenige, das Substanz hat, was aus dem Geiste, dem lebendigen Geiste heraus schöpft, und daß man die leeren Worte will, die bloßen Worthülsen.

Wenn man weiter dergleichen wollen wird, so wird man die Menschheit damit zugrunde richten. Denn mit diesen Hohlheiten, die von jener Seite kommen - wenn sie sich auch «Tagebücher eines Philosophen» nennen -, höhlt man die ganze Kultur der Menschheit aus. Was sind sie, diese Hohlheiten? Diejenigen Worte sind es, die man prägt, wenn man an dem gemischten König leckt. Ob man nun ein wenig brutaler leckt, wie mancher der heutigen sozialistischen Führer, oder eleganter, in Lackstiefeln leckt, wie der Graf Hermann Keyserling, das macht schon keinen besonderen Unterschied mehr.

Diese Dinge brauchen nicht so aufgenommen zu werden, als ob sie mit irgendeinem Affekt gesprochen würden, wenn sie scharf gesprochen werden. Sie werden scharf gesprochen, weil es leider eben durchaus so ist, daß sich manche zur Anthroposophie zählen möchten, die eigentlich innerlich doch nicht dabei sind, weil sie nicht den nötigen Ernst entfalten können, weil sie nicht den nötigen Ernst entfalten wollen, weil sie nicht ganz dabei sein wollen. Lieblos ist man nicht,

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wenn man die Wahrheit, wo es nötig ist, wirklich ausspricht. Aber ich möchte doch fragen, ob es, wenn man selbst sich zu uns rechnet, sehr liebevoll ist, wenn man uns mit Unrat bewerfen läßt und es dann Lieblosigkeit nennt, wenn wir uns aus Notwehr wehren müssen? Man mag es bedauerlich finden, daß wir uns mit scharfen Worten wehren müssen, aber man sollte gerade deshalb für diese scharfen Worte eintreten und sollte dann nicht aus Gefühlen oder dergleichen das Literatengewäsch von derLieblosigkeit der unberechtigten Polemik irgendwie vorbringen.

Das ist ja das Schwierige innerhalb der Bewegung, die hier als die anthroposophische entfaltet werden soll, daß jene Persönlichkeiten, die mit ihrem ganzen Wesen für die Sache eintreten, in so geringer Zahl heute zu finden sind. Wenn man nötig hat, so etwas zu bewirken, wie es bewirkt werden sollte durch die anthroposophische Bewegung, so braucht man heute schon vieles gerade an Persönlichkeiten. Nun, wir haben hingebungsvolle Persönlichkeiten auf den verschiedensten Gebieten gefunden, vor allen Dingen auf dem pädagogischen Gebiet in unseren Waldorfschul-Lehrern. Wir haben auch auf manchem andern Gebiet hingebende Persönlichkeiten gefunden - aber alles viel zu wenig. Und die Zahl derjenigen, die durchaus nicht Ernst machen wollen, die durchaus nicht mit ihrer ganzen Persönlichkeit eintreten wollen, wie es nötig wäre für unsere Sache, die Zahl derer ist selbst in unseren Reihen außerordentlich groß. Und deshalb kommen wir so schwer vorwärts. Wir haben es ja im Laufe der Zeit immer wieder und wiederum erleben müssen, wie im Grunde genommen eine große Anzahl derjenigen, die sich, damit sie die Dinge hören können, die bei uns verkündet werden, einschreiben lassen, sich äußerlich eben doch in einem gewissen Grade schämen, sich offen zu uns zu bekennen. Wir haben es ja immer wieder hören müssen, daß es besser sei, nicht mit dem Namen Anthroposophie in der Offentlichkeit aufzutreten, sondern den Namen auszulassen und «etwas einfließen zu lassen», wie die angenehme Redensart der Leute, die auf anthroposophischem Gebiete nicht Ernst machen wollen, lautet. Da will wieder einer oder namentlich eine da und dort etwas «einfließen» lassen von Anthroposophie, weil sie sich schämt oder er sich schämt, von Anthroposophie offen zu reden. Da

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läßt man «etwas einfließen»! Dazu braucht man weniger wacker zu sein, damit kann man auch weniger mißfallen - man läßt «einfließen».

Aber heute ist nicht die Zeit zum Einfließenlassen, sondern zum ehrlichen Bekennen und zum Aussprechen derjenigen Worte, welche die Dinge in ihrer Wahrheit bezeichnen. Denn diejenigen, die wider uns sind, die lassen nichts in uns einfließen, die reden in derben Worten. Und es sollte eigentlich gefühlt werden durch all unsere Reihen hin als etwas Empörendes, wenn ein Hermann Keyserling sich erfrecht, davon zu reden, daß diese Geisteswissenschaft hier eine Vermaterialisierung des Geisteslebens ist, eine Naturwissenschaft des Geistes. Man kann nicht anders sagen, als daß der Mann, der sich bemüht hat, bei einer ganzen Anzahl Personen, denn das wissen wir, sich die Zyklen zu erschleichen, um ihren Inhalt kennenzulernen, wenn er heute dieses schreibt, ganz bewußt die Unwahrheit hinschreibt - und dies nennt man lügen. Und wer dawider etwas hat, daß man das sagt, der liebt die Lüge. Und wer sagt, wir polemisierten zuviel, wenn wir die Wahrheit richtig bezeichnen, der hat keinen Sinn für Wahrheit und liebt die Lüge. Und die Lüge lieben, das sollte nicht unser Geschäft sein innerhalb der anthroposophischen Bewegung, sondern wir müssen die Wahrheit lieben. Gefühlt muß werden das ganze Gewicht dieser Worte: die Wahrheit lieben und nicht die Lüge lieben um der Konvention willen, um des angenehmen gesellschaftlichen Lebens willen. Denn nachsichtig sein mit der Lüge, ist gerade so viel schon, wie die Lüge lieben. Die Welt aber wird in der nächsten Zeit nicht durch das frivole Gleichgültigsein gegenüber der Unwahrheit, sondern allein durch das freie und frische Sich-Bekennen zur Wahrheit weiterkommen. Anthroposophie muß mit ernsten und höchsten geistigen Angelegenheiten sich beschäftigen und daran haben wir es niemals fehlen lassen. Und wer da sagt, es wäre ein Materialismus des Geistes, wenn wir von Saturn, Sonne und Mond reden, wenn er jeden Tag Gelegenheit hat, sich anzuschauen, was in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» steht über Saturn, Sonne und Mond, der lügt. Denn dort steht nichts von der Vermaterialisierung des Geistes. Man fühlt nicht den ganzen Ernst der Lage, wenn man jetzt will, daß wir uns in unwahrhaftigen Salonausdrücken gegen unsere Gegner wenden, die uns mit Dreck bewerfen.

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Diese Dinge gehören gerade zur rechten Liebe. Denn zur rechten Liebe gehört ja Enthusiasmus für die Wahrheit. Und weiterkommen wird die Welt nur durch diesen Enthusiasmus für die Wahrheit.

Es war wirklich aus geistigen Untergründen heraus meine Aufgabe, dies heute noch auszusprechen, bevor ich wiederum für eine Weile von Ihnen Abschied nehmen muß. Und so leid es mir tut, daß ich mit einzelnen jetzt gar nicht sprechen kann, weil eben einfach die Zeit nicht ausreicht - gestern sind die Freunde unserer Dreigliederungsbewegung und des Kommenden Tages hier wiederum zu einer Sitzung bis drei Uhr morgens zusammen gewesen, und so geht es jetzt fast von Tag zu Tag -, so leid es mir tut, daß viele Dinge jetzt unterbleiben müssen, welche von manchen geliebt werden, so muß auf der andern Seite gesagt werden: Vielleicht kann man doch hoffen, daß durch die Anstrengungen, die gemacht werden im großen, die anthroposophische Bewegung sich noch jenes Recht in der Welt erwirbt, welches sie sich erwerben muß, weil sie die Kraft und den Willen enthält, um durch die Wahrheit weiterzukommen. Wenn in der Wahrheit gearbeitet werden soll, dann kann man heute schon nicht anders, als die Unwahrheit, wenn sie sich in einer so furchtbar aufdringlichen Weise geltend macht, auch in das rechte Licht zu stellen.

Auf die Verpflichtung gegenüber der Wahrheit mußte diesmal hingewiesen werden, denn es wäre sehr notwendig, meine lieben Freunde, daß wir uns alle, alle durchdringen mit diesem Geiste der Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit. Denn wenn es überhaupt noch menschenmöglich ist: Allein durch diesen Geist der Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit kann die Barbarei, die sonst hereinbrechen muß über die Menschheit, vermieden werden, kann man in einer neuen, vergeistigten Zivilisation vorwärtskommen.

HINWEISE

#G197-1986-SE211 Gegensätze in der Menschheitsentwickelung

#TI

HINWEISE

#TX

Der vorliegende Band umfaßt Nachschriften von jenen Vorträgen Rudolf Steiners, die er vor Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft in Stuttgart während mehreren Aufenthalten in dieser Stadt im Jahre 1920 gehalten hat.

Textgrundlagen: Die Vorträge wurden von verschiedenen Stenographen mitgeschrieben. Die Namen der Mitschreibenden sind nicht überliefert. Der Text folgt den im Archiv der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung vorliegenden Übertragungen in Klartext, wie sie von den Stenographen besorgt worden sind.

Der Titel des Bandes stammt nicht von Rudolf Steiner, sondern von den Herausgebern.

Werke Rudolf Steiners innerhalb der Gesarntausgabe (GA) werden in den Hinweisen mit der Bibliographie-Nummer angegeben. Siehe auch die Übersicht am Schluß des Bandes.

Zu Seite

15 Ludwig Feuerbach, Philosoph. Zu Feuerbachs Anthropomorphismus zitierte Rudolf Steiner mehrmals aus dessen Schrift «Das Wesen der Religion» (1851), u.a. in «Anthroposophie als Kosmosophie», GA Bibl.-Nr. 207, S. 163.

Ludwig Büchner, Philosoph.

17 Ich habe einmal... einen Vortrag gehalten: Kolmar, 21. November 1905 «Die Weisheitslehren des Christentums im Lichte der Theosophie» (Keine Nachschrift).

23 Leopold von Ranke, Historiker.

24 In Norwegen macht sich ein Mensch geltend: Näheres konnte nicht ermittelt werden.

29 Paul Deußen, Philosoph und Sanskritgelehrter.

Richard von Garbe, Sanskritgelehrter.

34 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, «Bruno, oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge. Ein Gespräch».

Johann Cottlieb Fichte, «Die Bestimmung des Menschen» (1800).

Friedrich Schiller, «Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen» (1795).

34 Ralph Waldo Trine,amerikanischer Schriftsteller.

35 Ich habe Ihnen das letzte Mal: Stuttgart, 21. Dezember 1919, in: «Weltsilvester und Neujalirsgedaaken>, GA Bibl.-Nr. 195.

A. Ferriere «La loi du progres e`conomique et la justice sociale» in «Suisse-Belgique Outremer>, Bruxelles-Lausanne, Ire. annee, no.3-4, juillet-aoüt 1919.

Rasputin: Russischer Mönch, Ratgeber des Zaren Nikolaus 11. von Rußland, angeblicher Wundertäter, 1916 ermordet.

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35 Dr. Roman Boos, Anthroposophischer Redner und sozialwissenschaftlicher Schriftsteller, Pionier der Dreigliederungsbewegung.

45 Hirtenbrief:Des Fürsterzbischofs Johann Baptist Katschthaler von Salzburg vom 2. Februar 1905, betitelt mit «Die dem katholischen Priester gebührende Ehre»; abgedruckt in Carl Mirbt, « Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus», 5. Aufl. Tübingen 1934, S. 497 ff. Nachfolgend die auf die priesterliche Konsekrationsgewalt bezügliche Stelle:

«Ehret die Priester, denn sie haben die Gewalt zu konsekrieren. - Kraft der Weihe hat der katholische Priester und wieder nur er, und nicht die protestantischen Pastoren, diese wunderbare Gewalt. - Die Gewalt zu konsekrieren, den Leib des Herrn mit dem kostbaren Blute, mit Seiner ganzen heiligen Menschheit und Seiner Gottheit unter den Gestalten des Brotes und Weines gegenwärtig machen; Brot und Wein verwandeln in den wahren Leib und das kostbare Blut unseres Herrn, welch` hohe, erhabene, ganz wunderbare Gewalt! Wo im Himmel ist eine solche Gewalt, wie die des katholischen Priesters? Bei den Engeln? Bei der Mutter Gottes? Maria hat Christum, den Sohn Gottes, in ihrem Schoße empfangen und im Stalle zu Bethlehem geboren. Ja. Aber erwäget, was bei der heiligen Messe vorgeht! Geschieht nicht unter den segnenden Händen des Priesters bei der heiligen Wandlung gewissermaßen dasselbe? Unter den Gestalten des Brotes und Weines wird Christus wahrhaft, wirklich und wesentlich gegenwärtig und gleichsam wiedergeboren. Dort zu Bethlehem gebar Maria ihr göttliches Kind und wickelte es in WindeIn, der Priester tut gleichsam dasselbe und legt die Hostie auf das Korporale. Einmal hat Maria das göttliche Kind zur Welt gebracht. Und sehet, der Priester tut dies nicht einmal, sondern hundert- und tausendmal, so ofl er zelebriert. Dort im Stalle war das göttliche Kind, das durch Maria der Welt gegeben ward, klein, leidenfahig und sterblich. Hier auf dem Altare unter den Ha`nden des Priesters ist es Christus in seiner Herrlichkeit, leidensunfahig und unsterblich, wie er im Himmel sitzt, zur Rechten des Vaters, glorreich triumphierend, vollkommen in jeder Beziehung. - Machen sie den Leib, das Blut des Herrn bloß gegenwärtig? Nein. Sondern sie opfern, sie bringen dem himmlischen Vater das Opfer dar. Es ist dasselbe, was Christus blutigerweise auf Kalvaria und unblutigerweise beim letzten Abendmahl getan hat. Dort hat der ewige Hohepriester Jesus Christus Sein Fleisch, Sein Blut und Leben selbst dem himmlischen Vater zum Opfer gebracht, hier in der heiligen Messe tut Er dasselbe durch seine Stellvertreter, die katholischen Priester. Die Priester hat er an Seine Stelle gesetzt, damit sie dasselbe Opfer, das Er dargebracht, fortsetzen. Ihnen hat Er das Recht über Seine heilige Menschheit übertragen, ihnen gleichsam Gewalt über Seinen Leib gegeben. Der katholische Priester kann Ihn nicht bloß auf dem Altare gegenwärtig machen, Ihn im Tabernakel verschließen, Ihn wieder nehmen und den Gläubigen zum Genusse reichen, er kann sogar Ihn, den menschgewordenen Gottessohn, für Lebendige und Tote als unblutiges Opfer darbringen. Christus, der eingeborene Sohn Gottes des Vaters, durch den Himmel und Erde geschaffen sind, der das ganze Weltall trägt, ist dem katholischen Priester hierin zu Willen.

(Hervorhebungen nach dem bei Mirbt wiedergegebenen Original.)

Des Königs Wille ist oberstes Gesetz: «Suprema lex regis voluntas» lautet die Eintragung Wilhelms 11., Deutscher Kaiser, ins Goldene Buch der Stadt München. Vgl. J. von Kürenberg, «War alles falsch? Das Leben Kaiser Wilhelms 11.», Basel-Olten 1940, S. 190.

213

47 Dionysios der Areopagite (Schüler des Apostel Paulus): «Von der himmlischen Hierarchie» und «Von der kirchlichen Hierarchie», wiedergegeben in «Die angeblichen Schriften des Areopagiten Dionysius, übersetzt und mit Abhandlungen begleitet von J. G. V. Engelhardt», 2. Teil, Sulzbach 1823.

48 Augustinus: «De civitate dei libri XlI».

Dante: «De monarchia».

49 Wiclif Reformator.

Johann Hus, Reformator, wurde während des Konstanzer Konzils, das seine und Wiclifs Lehren verdarnmte, verbrannt.

53 Herman Grimm: «Fragmente» (I. Bd.), Berlin und Stuttgart, S. 212: «Wir von heute (1891) haben nicht mehr wie ich als Kind (geb. 1828) einstmals die Freiheitskriege gegen den ersten Napoleon als letzte große Erfahrung hinter uns, sondern die Freiheitskriege der sechziger und siebziger Jahre gegen Österreich und Frankreich. Wir sind einmal ein Volk gewesen, in dessen Schoße dem Kinde einzuprägen war, es werde sich nie freiwiffig zugreifend an den Schicksalen des Landes beteiligen dürfen. Heute wird der Deutsche dazu gezwungen. Vor fünfzig Jahren wäre es ein unerhörtes Beginnen gewesen, die Erziehung so einzurichten, daß man dem Kinde klar- machte, es werde einmal der Bürger eines einigen großen deutschen Kaiserreiches sein, und unter seinen Pflichten gegen Gott, Kaiser und Vaterland werde auch die einmal an es herantreten, aus eigener Beurteilung der Bedürfnisse seines Vaterlandes einen Vertreter seiner Meinungen in ein deutsches Parlament zu wählen. Dergleichen nur zu äußern, würde wie Hochverrat geklungen und dem, der es ausgesprochen hätte, vielleicht Lebensruin eingetragen haben. »

58 erster öffentlicher Vortrag: «Der Weg zu gesundem Denken und die Lebenslage des Gegenwartsmenschen», Stuttgart 8. Juni 1920, in «Geisteswissenschaft und die Lebensforderungen der Gegenwart», Heft VI, Dornach 1950, für GA Bibl.-Nr. 355 vorgesehen.

WLadimir Iljitsch Lenin (eigentlich Uljanow).

Leo Trotzkij (eigentlich Bronstein), Führer der russischen Revolution 1917.

61 in einer Zeitung: «Basler Vorwärts» vom 2. Juni 1920, X. N. «Die Politik der Sowjetregierung auf dem Gebiete der Religion. »

66 Aristoteles: Vgl. hierzu Franz Brentano, «Die Psychologie des Aristoteles», Mainz 1867, S. 199 ff.

67 Man muß «Traubismus» treiben: Friedrich Traub, Universitätsprofessor in Tübingen, schrieb: «Rudolf Steiner als Philosoph und Theosoph», Tübingen 1919.

68 fast überall in der Schweiz erscheinen Artikel über die Anthroposophie: Siehe hierzu sowie zu den folgenden Ausführungen Roman Boos, «Aktenmäßige Darstellung der Hetze gegen das Goetheanum», in «Rudolf Steiner/Roman Boos: Die Hetze gegen das Goetheanum», Arlesheim 1920.

72 Hirtenbrief Siehe Hinweis zu S. 45.

214

72 Konzil zu Konstantinopel: Gemeint ist die Verwerfung der sog. Trichotomie durch das genannte Konzil. Rudolf Steiner erwähnt dies verschiedentlich, vgl. u. a. «Bausteine zu einer Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha», GA Bibl.-Nr. 175, 1. und 2. Vortrag.

eine Persönlichkeit, die an Moleschott schrieb: Eine Dame, Mathilde Reichardt, die im Jahre 1856 in Briefen an Moleschott ein Buch über Wissenschaft und Sittenlehre herausgab, hat sich unstreitig das wenig beneidenswerte Vorrecht erworben, unter denen, welche alle sittlichen Begriffe auf den Kopf stellen, in erster Linie und an erster Stelle genannt zu werden. Nach der Meinung dieser Dame hat die Sittenlehre nur danach zu fragen, ob eine Menschennatur die in sie gelegten Elemente harmonisch entwickelt. Die Natur aber - meint sie - spreche durch jeden Menschen einen anderen Willen aus. Sie stehet daher nicht an zu behaupten, «daß so es Menschen gibt, denen eine Neigung, ein vorherrschender Trieb zum Betrügen und zum Stehlen innewohnt, diese Menschen nur als Betrüger, nur als Diebe durch und durch sittliche Menschen sein können». - «Auch der zum Diebe geborene Mensch brachte wie jeder andere das Recht mit sich ins Leben, seine Natur zu vollenden und allseitig zu entwickeln und kann nur auf diese Weise eine kraftvolle, eine sittliche Natur sein. Und wie der Dieb, so jeder andere Lasterhafte, so auch der zum Mörder Geborene. » (Zitiert nach Jürgen Bona Meyer, «Philosophische Zeitfragen», Bonn 1874, S. 323 f.)

73

Carl Vogt Vorkämpfer des Darwinismus.

Jakob Moleschott, Physiologe.

Ludwig Büchner, Philosoph.

79 wie ich neulich in einem öffentlichen Vortrag sagteDie Erziehung und der Unterricht gegenüber der Weltlage der Gegenwart», Stuttgart, 10. Juni 1920, in «Geisteswissenschaft und die Lebensforderungen der Gegenwart» VI, Dorn- ach 1950, in der Gesamtausgabe vorgesehen für GA Bibl.-Nr. 335.

81 (1919), GA Bibl.-Nr. 23.

Arbeiter-Bildungsschule: Vgl. Rudolf Steiner «Mein Lebensgang», GA Bibl. - Nr. 28.

82 (1917), GA Bibl.-Nr. 21.

85 Emil Molt, siehe Hinweis zu S. 87.

Hans Kühn, Schriftsteller und Verleger.

Carl Unger, Diplom-Ingenieur, Inhaber einer Werkzeugmaschinenfabrik, Vorstandsmitglied der deutschen Anthroposophischen Gesellschaft seit 1905, Vortragender und Schriftsteller. 1929 in Nürnberg von einem Geisteskranken erschossen.

Emil Leinhas, Kaufmann, Generaldirektor von «Der Kommende Tag AG», Schriftsteller.

86 Max Seiling, einstiger Anhänger, dann Gegner Rudolf Steiners, trug den Titel eines Hofrats.

215

86 Aufruf vom vorigen Jahr: «An das deutsche Volk und an die Kulturwelt!» Flugblatt 1919, abgedruckt u. a. in «Die Kernpunkte der sozialen Frage», GA Bibl.-Nr. 23.

87 Aufruf zur Begründung eines Kulturrats: Pfingsten 1919, unterschrieben von zahlreichen Persönlichkeiten des Kulturlebens.

Waldorschule:Gegründet von Emil Molt im Jahre 1919 für die Arbeiterkinder der Waldorf~Astoria-Zigarettenfabrik und für die Öffentlichkeit als einheitliche Volksund höhere Schule unter Leitung von Rudolf Steiner, der auch die an ihr wirkenden Lehrkräfte berufen und ihnen die vorbereitenden seminaristischen Kurse erteilt hat.

Der Kommende Tag: «Aktiengesellschaft zur Förderung wirtschaftlicher und geistiger Werte«, gegründet März 1920 in Stuttgart. Bis 1923 war Rudolf Steiner Vorsitzender des Aufsichtsrats. Die Kommende Tag AG wurde ein Opfer der Inflation in Deutschland und mußte 1925 aufgelöst werden.

92 Vor acht Tagen mußte ich hier reden: Stuttgart, 16. Juni 1920; abgedruckt in:

«Landwirtschaft und Industrie / Neuordnung des Bodenrechtes als soziale Forderung der Gegenwart>; Wortlaute aus Schriften und Vorträgen von Rudolf Steiner, herausgegeben von Roman Boos, Stuttgart 1957, S. 84 ff. (vorgesehen für GA Bibl.- Nr. 335).

95 Oswald Spengler, «Der Untergang des Abendlandes», 2 Bände, München 191 ~1922.

97 wie ich es in Dornach gezeigt habe mit der Thomistik: «Die Philosophie des Thomas von Aquino»; drei Vorträge gehalten vom 22. bis 24. Mai 1920 in Dornach; GA Bibl. - Nr. 74.

102 Rudolf Steiner: «Durch den Geist zur Wirklichkeits-Erkenntnis der Menschenrätsel: Philosophie und Anthroposophie. Vier Märchen (aus den Mysteriendramen). Anthroposophischen Seelenkalender. Der Seelen Erwachen, 7. und 8. Bild»; Berlin 1918.

106 Trinirnntsgruppe: Die sogen. plastische Gruppe (der Menschheitsrepräsentant zwischen Luzifer und Ahriman) in Dornach.

109 Max Dessoir: «Vom Jenseits der Seele. Die Geheimwissenschaften in kritischer Betrachtung», Stuttgart 1917, S. 254 ff.

«Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit» (1910), GA Bibl.-Nr. 15.

111 Professor der Anatomie: Prof. Dr. Hugo Fuchs, Göttingen. Siehe dazu Rudolf Steiner: Ein paar Worte zum Fuchs-Angriff: «Dreigliederung des sozialen Organismus», 2. Jahrg. Nr. 5 (Aug. 1920); abgedruckt in: «Aufsätze zur Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 191~1921», GA Bibl.-Nr. 24.

Lesen Sie das Beiblatt: «Dreigliederung des sozialen Organismus», 2. Jahrg. Nr. 4, Beilage (Juli 1920).

in dem kleinen Schritchen: Siehe Hinweis zu S. 102.

114 Atwoodsche Failmaschine: George Aiwood, englischer Physiker, erfand 1784 eine Maschine zur Nachweisung der Gesetze des freien Falls.

123 Karlsruher Zyklus vom Jahre 1911: «Von Jesus zu Christus», GA Bibl.-Nr. 131.

216

125 Moleschott, Büchner, Vogt: Siehe Hinweis zu S. 73.

136

138 Erich Wasmann, Insektenforscher. Forschte besonders über die Ameisen. Die Nachschrift ist an dieser Stelle etwas unklar, und der Text wurde vom Herausgeber durch in [ ] Gesetztes verdeutlicht.

141 Grundsatz, den Goethe ausgesprochen hat: Das Goethe-Zitat lautet wörtlich: »Man sagt zwischen zwei entgegengesetzten Meinungen liege die Wahrheit mitten inne. Keineswegs! Das Problem liegt dazwischen, das Unschaubare, das ewig tätige Leben, in Ruhe gebraucht> («Maximen und Reflexionen»). Die Nachschrift, in der Vorauflage wörtlich wiedergegeben, ist an dieser Stelle unzureichend und wurde jetzt sinngemäß ergänzt.

143 viclgereister evangelischer Geistlicher: Max Christlieb. Er war ein Freund Rudolf Steiners aus der Weimarer Zeit, der sich für die damals soeben erschienene «Philosophie der Freiheit» einsetzte. Vgl. zu Steiner und Christlieb Ludwig Kleeberg, «Wege und Worte», 2. Aufl. 1961, S. 76 ff., wo auch die Begegnung in Marburg erwähnt wird.

worauf ich gestern schon hingewiesen habe: In dem öffentlichen Vortrag «Die großen Aufgaben von heute im Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben. Eine dritte Gegenwartsrede»; veröffentlicht in Rudolf Steiner: «Drei Gegenwartsreden», Geisteswissenschaft und die Lebensforderungen der Gegenwart, Heft VIII, Dornach 1952, in Bibl.-Nr. 335 vorgesehen.

144 die abscheuliche Verleumdung: Siehe den Schluß der Vorträge vom 11. und 17. Januar 1920 in «Geistige und soziale Wandlungen in der Menschheitsentwickelung», GA Bibl.-Nr. 196, S. 52 und 82 ff.

jene Persönlichkeit der hiesigen Nachbarschaft: Karl Rohm, Herausgeber der Zeitschrift «Der Leuchtturm», in Lorch (Württemberg).

145 Metzdo`f-Teschner: Vergl. hierzu E. Uehli: «Die gestohlene Dreigliederung» in

, 2. Jahrg. Nr. 11 (Sept. 1920). 146 Rohm: Siehe Hinweis zu. S. 144.

Alfred Knapp, begründete den sogen. «Internationalen Orden für Ethik und Kultur>.

153 Rabindranath Tagore, Schrtft über den Nationalismus: «Nationalismus»; Übertragung von H. Meyer-Franck, Leipzig o.

156 William James, amerikanischer Psychologe.

158 Goethe-Marchen: «Das Märchen von der grünen Schlange und der Lilie» aus «Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten» (1795), Weimarer Ausgabe, 18. Bd., S. 225 ff.

160 Wilhelm von Humboldt, «Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen», 1792.

217

160 Thomas Woodrow Wilson, «Der Staat. Elemente historischer und praktischer Politik»; übers. von G. Thomas, Berlin-Leipzig 1913.

164 John WorrellKeely: Siehe den Dornacher Vortrag vom 1. Dez. 1918 in «Die soziale Grundforderung unserer Zeit / In geänderter Zeitlage», GA Bibl.- Nr. 186, S. 70 ff.

176 im öffentlichen Vortrag: Stuttgart, 10. Nov. 1920: «Die Geisteskrisis der Gegenwart und die Kräfte zum Menschheitsfortschritt», in Bibl.- Nr. 335 vorgesehen.

177 Picrre Bayle: Näheres zu diesem Ausspruch bisher nicht ermittelt.

Goethe, Werther: «Die Leiden des jungen Werther» (1775), Weimarer Ausgabe, 19. Bd.

179 Siegwart: Sentimentaler Roman von Johann Martin Miller; erschien 1776 (2 Jahre nach ), zeitweilig beliebtestes Buch der Lesewelt.

183 Alfons Paquet, Schriftsteller. Schrieb: «Im kommunistischen Rußland», 1919.

185 Amerikanische Pastorenredner: Vgl. «Die Geisteskrisis der Gegenwart und die Kräfte zum Menschheitsfortschritt>, öffentlicher Vortrag in Stuttgart am 10. November 1920, vorgesehen für GA Bibl.-Nr. 335.

186 Thomas Woodrow Wilson: Siehe Hinweis zu S. 160.

Georges Clemenceau, französischer Politiker.

Adolf von Harnack, protestantischer Kirchenhistoriker.

194 in einem öffentlichen Vortrag: Vgl. Hinweis zu S. 185.

195 Ich möchte da doch darauf hinweisen: «Goethe als Vater einer neuen Ästhetik», Vortrag gehalten im Wiener Goetheverein am 9. November 1888; erstmals erschienen Wien 1889, abgedruckt in «Kunst und Kunsterkenntnis»; GA Bibl.-Nr. 271, S. 7ff.

202 im öffentlichen Vortrage: Stuttgart, 16. November 1920: «Die Wahrheit der Geisteswissenschaft und die praktischen Lebensforderungen der Gegenwart», in Bibl.Nr. 335 vorgesehen.

206 Graf Hermann Keyserling, «Philosophie als Kunst», Darmstadt 1920.

im öffentlichen Vortrage: Siehe Hinweis zu S. 176.

207 Tagebücher eines Philosophen: «Das Reisetagebuch eines Philosophen», Darmstadt 1919.

PERSONENREGISTER

#G197-1986-SE218 Gegensätze in der Menschheitsentwickelung

#TI

PERSONENREGISTER

#TX

(H = Hinweis)

Aquino, Thomas von (12251274) 97 H

Aristoteles (384322v. Chr.) 66 H, 67

Arnet

69

Atwood, George (1745-1807) 114 H

Augustinus (354-430)

48H

Bayle, Pierre (16471706) 177H, 187

Boos, Roman (18891952) 35 H, 69, 70

Büchner, Ludwig (1824-1899) 15 H, 73 H, 125, 126, 139

Christlieb, Max (1 8621916) (ohne Namensnennung)

143 H

Clemenceau, Georges (1 8411929) 186 H

Dante, Alighieri (1265-1 321) 48 H

Darwin, Charles (18091 882) 161

Dessoir, Max (18671947) 109 H

Deußen, Paul (1845-1919) 29 H, 30

Dionysios der Areopagite

47H

Eckhart, Meister (um 12601327) 102, 114

Ferri~re, Adolphe (18791960)

35H

Feuerbach, Ludwig (1804-1 872) 1SH

Fichte, Johann Gottlieb (17621814) 33,34 H, 55

Fuchs, Hugo

(ohne Namensnennung)

111 H

Garbe, Richard von (18571927)

29 H, 30

Goethe, Johann Wolfgang (1749-1832) (auch Goetheanismus)

33, 34, 103, 141, 155, 158, 161, 162,

179, 195, 196, 197, 198, 199,200,204 Grimm, Herman (18281901)

53 H

Harnack, Adolf von (1859-1 930)

186 H

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich

(1770-1 831) 155, 156, 161, 162

Herder, Johann Gottfried (1744-1 803) 34, 155, 160

Humboldt, Wilhelm von (17671 835) 160 H

Hus, Johann (1369-1415)

49 H

James, William (1842i910)

156 H

Katschthaler, Johann Baptist (18321914) (ohne Namensnennung)

45 H

Keely, John Worrell (18271898) 164 H,165

Keyserling, Hermann (1880-1946) 206 H, 207, 209

Knapp, Alfred

146 H

Kühn, Hans (1889-1977)

85H

Leinhas, Emil (1878-1967)

85H

Lenin, Wladimir Iljitsch (1870-1924) 58 H, 60,81

219

Lessing, Gotthold Ephraim (1729-1781) 34

Marx, Karl (1818-1883)

81

Metzdorff-Teschner, Elisabeth Mathilde

145 H

Moleschott, Jakob (18221893) 72, 73 H, 125, 139

Molt, Emil (18761936)

85 H, 111

Nero, Lucius Domitius (3768)

46

Paquet, Alfons (18811944) 183 H

Plato (427347v. Chr.)

66

Ranke, Leopold von (1795-1886) 23 H

Rasputin, Grigorij Jefimowitsch

(18711916)35 H

Reichardt, Mathilde

(ohne Namensnennung)

72 H

Rohm, Karl

144 H,146

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph

(1775-i854)

33,34H,39H, 155

Schiller, Friedrich (1759-1805) 34 H, 155, 158, 160, 195, 196, 197,

198, 199, 200, 204

Seiling, Max (18521928)

86 H

Spencer, Herbert (1820-1 903)

160, 161

Spengler, Oswald (1880-1936) 95 H, 119, 120,187

Tagore, Rabindranath (18611941) 153 H

Tauler, Johannes (1300-136 1)

114

Tolstoj, Leo Nikolajewitsch (1828-1910) 165

Traub, Friedrich (* 1860)

67 H, 69,70

Trine, Ralph Waldo (1866-1958) 34 H

Trotzkij, Leo (1879-1940)

58 H, 60,81

Unger, Carl (1878-1929)

85H

Vogt, Carl (18171895)

73 H, 125, 126, 139 Wasmann, Erich (1859-1931) 138H Wiclif, John (13131384) 49 H Wilhelm II. (1859-1941) 35 Wilson, Woodrow (1856-1924) 160H, 186

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.