GA 140

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE VOR MITGLIEDERN
DER ANTHROPOSOPHISCHEN GESELLSCHAFT

Okkulte Untersuchungen
über das Leben
zwischen Tod und neuer Geburt

Die lebendige Wechselwirkung
zwischen Lebenden und Toten

Zwanzig Vorträge, gehalten 1912/1913
in verschiedenen Städten

GA 140

1970

Inhaltsverzeichnis


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UNTERSUCHUNGEN ÜBER DAS LEBEN ZWISCHEN TOD UND NEUER GEBURT Mailand, 26. Oktober 1912 Erster Vortrag

Es soll an diesem heutigen Abend meine Aufgabe sein, Ihnen von einigen Eigentümlichkeiten in der Erkenntnis der spirituellen Welt zu sprechen und auch die Konsequenzen solcher Erkenntnisse für das ganze Leben anzudeuten. Derjenige, welcher die Aufgabe zu­geteilt erhalten hat, aus den spirituellen Welten etwas seinen Mitmenschen mitzuteilen, kann nicht oft genug daran gehen, seine Erkenntnisse immer wieder zu prüfen auf ihre Richtigkeit und auf ihre absolute spirituelle Korrektheit hin. Meine Ausführungen wer­den zuletzt darauf hinauslaufen, Ihnen einiges mitzuteilen von Erkenntnissen des menschlichen Lebens zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Es ist mir gerade in der letzten Zeit möglich gewesen, die Untersuchungen, die der menschliche Geist auf diesem Boden machen kann, einmal gründlich durchzuprüfen; und von dieser gründlichen Durchprüfung möchte ich Ihnen heute im zwei­ten Teile meiner Ausführungen sprechen. Es ist nämlich notwen­dig, daß ich im ersten Teil meines Vortrages einige Bemerkungen über die Art der Erlangung spiritueller Erkenntnisse vorausschicke.

Zur Erlangung spiritueller Erkenntnisse ist eine ganz bestimmte Verfassung der menschlichen Seele notwendig. Und diese Verfas­sung der menschlichen Seele ist in gewisser Beziehung durchaus entgegengesetzt jener Verfassung, welche die menschliche Seele im äußeren Leben auf dem physischen Plan hat. Im äußeren Lehen, insbesondere in unserer Gegenwart, ist die menschliche Seele im Grunde in einer fortwährenden Unruhe. Von Stunde zu Stunde im Laufe des Tages bekommt die Seele fortwährend neue Eindrücke, und weil die menschliche Seele sich doch mit ihren Eindrücken identifiziert, so bedeutet das eine fortwährende Unruhe der Seele.

Das Gegenteil muß bei demjenigen in der Seele eintreten, der in die spirituelle Welt hineindringen will. Die erste Bedingung zum

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Aufsteigen in die spirituelle Welt und zum Begreifen der Erkennt­nisse aus den spirituellen Welten ist vollständige Ruhe, Stetigkeit, innere Ruhe der Seele. Diese Ruhe der Seele ist schwieriger her­zustellen, als man glauben könnte. Schweigen müssen, damit diese Ruhe der Seele hergestellt werden kann, vor allen Dingen alle Auf­regungen, alle Besorgnisse, alle Kümmernisse und sogar die In­teressen des äußeren Lebens während der Zeit, in welcher wir uns in die spirituelle Welt versetzen wollen. Es muß so sein, wie wenn wir an einem Punkte der Welt stehen würden und keinen Willen hätten, von diesem Punkte auch nur ein wenig wegzutreten, damit die Dinge der geistigen Welt an uns vorüberziehen können. Dabei aber müssen wir bedenken, daß wir in dem alltäglichen Leben auf dem physischen Plan von einem Dinge zum anderen gehen können, und die Dinge sind da. Das ist nicht so in der geistigen Welt. In der geistigen Welt müssen wir durch unser Denken, durch unser Vorstellen tatsächlich die Dinge erst an uns, an den ruhenden Punkt in uns herantragen. Wir müssen gleichsam aus uns heraus-treten, in die Dinge hinein uns begeben, und dann von außen die Dinge zu uns heranbringen. Dabei machen wir dann Erfahrungen, welche beängstigend sein können für die menschliche Seele.

Wir entdecken, daß wir im gewöhnlichen Leben auf dem physi­schen Plan die Dinge ändern können, daß wir uns selber verbessern können, wenn wir die Dinge falsch sehen oder falsch machen. Alles dieses ist auf dem geistigen Plan nicht mehr der Fall. Vielmehr müssen wir auf dem geistigen Plan erfahren, daß uns die Dinge wahr oder falsch erscheinen je nachdem, was schon in uns war in dem Augenblicke, in welchem wir uns an den Geistesplan heran-begeben. Alle Vorbereitung zum richtigen Erkennen der geistigen Welten muß daher in die Zeit vor dem Eintreten in die geistige Welt fallen; denn ist man einmal durch das Tor in die geistige Welt eingetreten, so kann man nicht mehr das darin Geschaute korrigieren, sondern macht die Fehler, die man nach seinen Charak­tereigenschaften machen muß. Und um gewisse Fehler, die man dann gemacht hat, ferner zu vermeiden, muß man wieder zurück­kommen auf den physischen Plan und auf dem physischen Plan

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seine Eigenschaften verbessern, und dann zurückkehren in die gei­stige Welt, um es nun besser zu machen. - Sie werden daraus er­sehen, wie ungeheuer notwendig eine gute, richtige Vorbereitung für die geistige Welt ist, bevor man durch das Tor in die geistige Welt eintritt.

Alles dieses, was ich hier sage, ist abhängig von den Entwicke­lungszyklen der Menschen, und so wie die Dinge heute stehen für die Seele, so war es nicht immer. Gegenwärtig muß der Mensch sich vor einem zu starken Auftreten einer visionären Schau beim Eintreten in die geistige Welt mehr fürchten, als sie willkommen heißen. Es können, wenn wir unsere Übungen beginnen zum Auf­steigen in die höheren Welten, visionäre Erscheinungen, visionäre Tatsachen auf den Menschen eindringen. Und es gibt nur eine einzige Möglichkeit in der gegenwärtigen Zeit, gegenüber der visio­nären Welt den Irrtum zu vermeiden. Diese einzige Möglichkeit ist die Notwendigkeit, von seinen Visionen zuerst sich zu sagen, man erkennt durch diese Visionen zunächst nichts anderes als sich selber. Wenn eine ganze visionäre Welt um uns herum auftritt, so braucht diese nichts anderes zu sein als eine Spiegelung unseres eigenen Wesens. Unsere Eigenschaften, unsere eigene Reife, alles dasjenige, was wir denken und fühlen, verwandelt sich in der visio­nären Welt in Tatsachen, die für uns wie eine objektive Welt aus sehen. Wenn wir zum Beispiel glauben, in der astralischen Welt Wesenheiten oder Vorgänge zu sehen, die uns völlig objektiv er­scheinen, so braucht das nichts anderes zu sein als eine Spiegelung, sagen wir zum Beispiel, irgendeiner unserer Tugenden oder Un­tugenden oder auch nur unseres Kopfschmerzes. Derjenige, der zur wirklichen Initiation aufsteigen will, muß insbesondere heute dazu gelangen, das, was ihm in der visionären Welt entgegentritt, den­kend zu begreifen, denkend zu durchdringen. Der zu Initiierende wird daher nicht eher ruhen, als bis er dasjenige, was ihm in der visionaren Welt entgegentritt, so begriffen hat wie das, was ihm in der physischen Welt entgegentritt.

Nun treten uns aber, wenn wir zur Initiation aufsteigen, die­jenigen Dinge entgegen, die wir auch in der Welt zwischen dem

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Tode und einer neuen Geburt durchleben. Es entstand nun in der letzten Zeit für meine okkulten Untersuchungen die Frage: Wie verhält sich die visionäre Welt, die man finden kann durch Initia­tion oder durch eine den Ätherleib lockernde Erschütterung, zu der Welt, in der man lebt zwischen Tod und neuer Geburt? - Da ergab sich denn das Folgende: Wenn wir also von der Zeit des Kamaloka an, die Sie ja kennen, unsere Aufmerksamkeit lenken auf die weitere Zeit zwischen Tod und neuer Geburt, da sehen wir zunächst, daß wir in einer Art objektiven Welt leben, die sich ver­gleichen läßt mit der Welt des Initiierten. Das soll nicht bedeuten, daß wir nach dem Tode nicht in einer wirklichen Welt lebten; wir leben in einer absolut realen Welt, leben mit denen, mit wel­chen wir in Beziehung getreten sind schon in dieser physischen Welt, in durchaus wirklichen Verhältnissen. Aber wie auf der Erde uns alles vermittelt wird durch die Wahrnehmung der Sinne, so werden uns alle Dinge nach dem Tode vermittelt durch die Visionen.

Setzen wir den Fall, wir treffen nach dem Tode in der geistigen Welt jemanden, der vor uns verstorben ist. Er ist in der Wirklich­keit für uns da, wir stehen ihm wirklich gegenüber, aber wir müs­sen ihn auch wahrnehmen können, müssen in eine Beziehung zu ihm treten in der visionären Welt, geradeso, wie wir in der physi­schen Welt mit einem Menschen durch Augen und Ohren in Bezie­hung treten müssen. Nun aber stellt sich eine Schwierigkeit ein, welche ebenso vorhanden ist für die Erfahrung des Initiierten, wie sie zwischen dem Tode und einer neuen Geburt vorhanden ist: die visionäre Welt gibt uns zunächst, wie schon angedeutet, nur eine Spiegelung unseres eigenen Wesens. Wenn ein Mensch so, wie es charakterisiert worden ist, uns in der geistigen Welt entgegentritt, dann steigt eine Vision auf. Diese Vision gibt aber zunächst nichts anderes wieder als die Art von Liebe oder Antipathie, die wir hier für ihn gehabt haben, oder eine andere Beziehung, die wir zu dem haben, der uns in der geistigen Welt entgegentritt. Wir können also einem Menschen gegenüberstehen in der geistigen Welt und doch nichts anderes wahrnehmen als dasjenige, was sich in uns festgesetzt hat vor dem Tode. Es kann also sein, daß wir dem Menschen

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gegenübertreten und uns mit unseren eigenen Empfindungen, Sympathien oder Antipathien wie mit einem visionären Nebel um­geben, so daß er gerade die Veranlassung wird, daß wir uns durch unseren eigenen Nebel von ihm abschließen. Das wichtigste dabei ist, daß ein solches Verhalten einem Menschen gegenüber in der geistigen Welt nach dem Tode verknüpft ist mit einer realen Emp­findung, mit einem realen inneren Erlebnis. Wir fühlen zum Bei­spiel, daß wir einen Menschen, den wir im Leben nicht vollständig, wie wir es hätten tun sollen, geliebt haben, nicht mehr nach dem Tode lieben können, als wie wir ihn im Leben geliebt haben, trotz­dem wir ihm gegenüberstehen und ihn mehr lieben möchten, und das nicht mehr gutmachen können, was wir im physischen Leben versäumt haben. Dieses Nichtkönnen, dieses Seine-eigene-Seele-ab­solut-nicht-besser-entwickeln-Können, das kann empfunden werden als eine ungeheure Pressung der Seele und wird auch nach dem Tode so empfunden.

Und hier komme ich auf das Kapitel, das sich mir in der letzten Zeit ergeben hat: Die ersten Erlebnisse im sogenannten Devachan sind im wesentlichen erfüllt von dem, was sich schon festgesetzt hat in unserer Seele als unsere Beziehungen zu anderen Menschen vor unserem Tode. Wir können zum Beispiel einem Menschen gegenüber in einer ganz bestimmten Zeit nach dem Tode nicht fragen: Wie soll ich ihn lieben? - sondern wir können nur fragen:

Wie habe ich ihn im irdischen Leben geliebt und wie liebe ich ihn in Konsequenz jetzt? Dieser Zustand ändert sich dadurch, daß wir nach und nach fähig werden können, nach dem Tode auf dasjenige, was wir in Visionen um uns herum haben, die Wesenheiten der geistigen Welt, die Wesenheiten der Hierarchien wirken zu fühlen. Also dieser Zustand, den ich eben beschrieben habe, ändert sich nur dadurch, daß wir nach und nach fühlen lernen: Es wirken auf den Nebel, der uns umgibt, die Wesenheiten der Hierarchien; sie bestrahlen diesen Nebel, wie die Sonne die Wolken bestrahlt. Wir müssen sogar eine gewisse Summe von Erinnerungen an die Erleb­nisse vor dem Tode mitbringen, die uns wie eine Wolke umgeben, und mit ihnen müssen wir uns fähig machen, aufzunehmen das

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Licht der andern Hierarchien. - Im allgemeinen ist auch in der gegenwärtigen Zeit fast jeder Mensch geneigt, sich in dieser Weise den Einflüssen, den Wirkungen der höheren Hierarchien hinzu­geben. Das heißt: Jeder Mensch, der heute stirbt und in die geistige Welt eintritt, kommt dazu, daß die Hierarchien seinen Nebel von Visionen beleuchten.

Aber dieses Einwirken der Hierarchien, das im Laufe der Zeit geschieht, dieses Lichtgeben, verändert sich allmählich. Es verän­dert sich. so, daß wir nach und nach fühlen, wie durch das Herein­brechen des Lichtes der höheren Hierarchien unser Bewußtsein all-mählich herabgedämpft werden kann. Und dann merken wir, daß das Erhalten des Bewußtseins von ganz bestimmten Dingen vor dem Tode abhängt. So zum Beispiel verdunkelt sich das Bewußt-sein leichter bei einem Menschen mit unmoralischer Seelenver­fassung. Das wichtigste also ist, durch den Tod mit moralischen Kräften hindurchzugehen, denn das moralische Bewußtsein hält unsere Seele offen für das Licht der Hierarchien. Es war mir in der letzten Zeit möglich zu untersuchen Menschen nach dem Tode mit moralischer wie auch Menschen mit unmoralischer Seelenver­fassung, und es stellte sich immer dabei heraus, daß die Menschen mit moralischer Seelenverfassung ein Bewußtsein erhalten nach dem Tode, das hell und klar ist; die Menschen mit unmoralischer Seelenverfassung verfallen in eine Art dunkler Bewußtseins-dämmerung.

Man kann nun freilich fragen: Was schadet das, wenn die Men­schen nach dem Tode in eine Art Bewußtseinsschlaf kommen? Dann haben sie nichts zu leiden und entgehen sogar den Folgen ihrer Unmoralität. - Das kann man aber nicht einwenden aus dem Grunde, weil diese Verdunkelung des Bewußtseins verknüpft ist mit ungeheuren Angstzuständen, die sich als Folge der Un­moralität ergeben. Nach dem Tode gibt es keine größeren Angst­zustände als diese Verdunkelung des Bewußtseins.

Später, wenn eine gewisse Zeit nach dem Tode verflossen ist, macht man wieder andere Erfahrungen: Man vergleicht Men­schen verschiedener Art zwischen dem Tode und einer neuen Geburt;

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für die spätere Zeit nach dem Tode kommen außer den mora­lischen Seelenverfassungen die religiösen Seelenverfassungen in Betracht, und es stellt sich einfach als eine Tatsache heraus, gegen die man nichts einwenden kann, daß Menschen mit mangelnden religiösen Vorstellungen in einer gewissen Zeit nach dem Tode durch diesen Mangel an religiösen Vorstellungen eine Bewußtseins­verdunkelung erfahren. Man kann sich gar nicht erwehren dieser Impression, die sich bei solchen Untersuchungen der Menschen ergibt, welche nur materialistische Vorstellungen haben, daß sie tatsächlich ihr Bewußtsein bald nach dem Tode erlöschen, verdämmern fühlen. Und es mögen materialistische Weltanschauungen noch so sehr einleuchten, diese Tatsache, die eben gesagt worden ist, ergibt sich eben einmal gegen das dem Menschen Förderliche der materialistischen Anschauungen. Sie sind nun einmal nicht förderlich der menschlichen Entwickelung nach dem Tode.

Damit habe ich sozusagen zwei Zeitepochen geschildert, die für das menschliche Leben nach dem Tode vorhanden sind: die eine Epoche, wo die moralischen, die andere, wo die religiösen Vorstel­lungen eine Rolle spielen. Dann kommt aber eine dritte, die für jedes menschliche Wesen eine Verdunkelung des Bewußtseins her­vorbringen würde, wenn es nicht gewisse Weltmaßnahmen gäbe, welche diese Verdunkelung des Bewußtseins verhindern. Wenn wir nun diese dritte Epoche untersuchen, so müssen wir Rücksicht neh­men auf die Evolution der ganzen Menschheit durch die verschie­denen Entwickelungszyklen hindurch. Durch dasjenige, was sie auf der Erde haben erwerben können, konnten sich die Menschen der vorchristlichen Zeit nichts von dem verschaffen, was ihnen ein Bewußtsein in dieser dritten Epoche nach dem Tode hätte geben können. Daß die Menschen in dieser vorchristlichen Zeit dennoch ein Bewußtsein hatten während dieser dritten Epoche, kam davon her, daß beim Erdbeginn dem Menschen gewisse spirituelle Kräfte gegeben worden waren, die in der Seele eben das Bewußtsein in dieser dritten Epoche nach dem Tode erhalten konnten. Diese Erbstücke, welche die Menschen noch vom Erdbeginne her hatten, wurden aufbewahrt durch die weisen Maßnahmen, die durch die

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initiierten Führer getroffen worden sind. Wir müssen nämlich durchaus festhalten, daß in den vorchristlichen Zeiten alle ver­schiedenen Völker der Erde die Einflüsse der Initiationsstätten er­halten haben. Es gab Hunderte von Wegen, auf denen das spiri­tuelle Leben aus den Mysterien in das Volksleben hineinfloß.

Diese Impulse wurden immer schwächer und schwächer, je mehr sich die Menschheitsentwickelung in ihren Zyklen dem Mysterium von Golgatha näherte. Ein äußerer Beweis, daß diese Impulse immer schwächer wurden, kann gefunden werden zum Beispiel in dem Auftreten des großen Buddha in der vorchristlichen Zeit. Sie finden, wenn Sie die Lehren des Buddha im Ernst betrach­ten, nirgends wirkliche Andeutungen über das Wesen der spiri­tuellen Welt. Daher ist dort die Bezeichnung für die geistige Welt in der Nirwanalehre eine wirklich negative. Buddha verlangte zwar, daß derjenige, der in die geistige Welt aufsteigen will, sich frei macht von dem Hängen an der physischen Welt; aber in der ganzen Buddha-Lehre finden Sie keine irgendwie hervortretende Beschreibung der geistigen Welt, wie sie vorher zum Beispiel in der Brahman-Lehre gegeben worden ist, die noch Erbstücke der alten Zeiten aufzuweisen hatte. Immer wiederum muß darauf auf­merksam gemacht werden, daß die Tatsachen, die jetzt angeführt worden sind, zum Ausdruck kommen bei den verschiedenen Völ­kern bis zu der Zeit, wo die Griechen die Bedeutung des Myste­riums von Golgatha empfunden haben. Weil während der voran­gehenden griechischen Periode der Menschheitsentwickelung das Bewußtsein herabgedämmert war zwischen Tod und neuer Geburt, empfand der Grieche, der das wußte, den Aufenthalt in der gei­stigen Welt nur wie etwas Schattenhaftes. Ihm war die geistige Welt nur eine Schattenwelt. Alle Schönheit, alles Künstlerische, auch harmonische Einrichtungen der äußeren Welt konnte der Mensch sich aus eigenen Kräften geben, aber nicht konnte er sich in der physischen Welt dasjenige erwerben, was ihm ein Licht gab in der dritten Epoche zwischen Tod und neuer Geburt.

Das hängt durchaus damit zusammen, daß mit der griechischen Zeit herangekommen war derjenige Menschheitszyklus, wo das

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alte spirituelle Erbe abgedämmert war und der Mensch durch eigene Kräfte sich das in der physischen Welt nicht erwerben konnte, was ihm hätte bleiben können nach dem Tode, damit er mit dem ge­schilderten Bewußtsein hätte hineinkommen können in die geistige Welt. Daher mußte in der Weltentwickelung gerade in diesem Zeitpunkte sich etwas ganz Besonderes vollziehen: Es mußte an den Menschen von außen her der Impuls herantreten, der ihm Bewußt­sein gab in diesem Zeitraum nach dem Tode, von dem wir eben gesprochen haben. Die Menschen hatten die eigene Fähigkeit ver­loren, in der Mitte zwischen Tod und neuer Geburt Bewußtsein zu haben aus alten Erbstücken heraus. Sie konnten die Kraft des Bewußtseins wieder gewinnen, hinblickend auf das, was im Myste­rium von Golgatha geschehen ist: Es ist die Sache durchaus so, daß dasjenige, was in der griechischen Periode hat erfahren werden kön­nen durch das Mysterium von Golgatha, dem Menschen in dem entsprechenden Zeitpunkt zwischen Tod und neuer Geburt das Bewußtsein aufgehellt hat. Das Verständnis des Mysteriums von Golgatha ist der Impuls für das Bewußtsein in dem dritten Zeit­raum nach dem Tode.

Blicken wir also auf diesen Zeitpunkt der sogenannten grie­chisch-lateinischen Epoche der Menschheitsentwickelung, so können wir sagen: Für die erste Periode nach dem Tode ist die moralische Verfassung der Seele das Maßgebende; für die zweite ist die reli­giöse Verfassung der Seele das Maßgebende; für die dritte aber war das Maßgebende das Verständnis für das Mysterium von Golgatha. Wer das nicht hatte, dem erlosch in der dritten Epoche nach dem Tode das Bewußtsein, geradeso, wie es vorher den Griechen gefehlt hat. Es bedeutet das Mysterium von Golgatha in der Tat die Bele­bung des menschlichen Bewußtseins gerade in der mittleren Zeit zwischen dem Tode und der neuen Geburt. Was die Menschen an altem spirituellem Erbgut verloren hatten, wurde ihnen durch die­ses Ereignis wieder gegeben. - So wurde das Eintreten des Christus-Ereignisses notwendig aus den menschlichen Voraussetzungen und Lebensverhältnissen heraus. Im weiteren Fortgang wurden die Men­schen mit immer neuen Fähigkeiten ausgestattet. In der ersten Zeit

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der christlichen Entwickelung war es im wesentlichen die reale Anknüpfung an das Mysterium von Golgatha, wie es überliefert wurde von denen, die es miterlebt hatten und die fortgepflanzt haben, was sich ergab als die Kraft des Bewußtseins in der dritten Epoche nach dem Tode, wie ich es geschildert habe. Mit der weite­ren Entwickelung der menschlichen Fähigkeiten wird aber heute wiederum ein neues Verhältnis zu dem Mysterium von Golgatha und zu dem Christus notwendig.

Wenn man das tiefste Wesen der Menschenseele namentlich in unserer gegenwärtigen Zeit erfassen will, so muß man sagen: Dieses tiefste Wesen besteht darin, daß der Mensch heute vordringen kann zu einer gewissen Kenntnis seines Ich. Ein solches Herantreten an das Ich, wie es heute möglich ist, war in früheren Zeiten nicht möglich. Bei den Menschen der äußeren Welt macht sich dieses Herantreten an das Ich in der Form des krassesten Egoismus gel­tend, dann finden sich alle möglichen Abstufungen bis zu jener, die wir die Stufe der Philosophen nennen können. Wenn Sie die heutigen Philosophen studieren, werden Sie finden, daß sie einen gewissen Ruhepunkt doch nur haben, wenn sie auf das menschliche Ich zu sprechen kommen. Wenn in der vorchristlichen Zeit der Mensch versuchte, die Welt zu erkennen, so ging er an die äußere Erscheinung, die an ihn herantreten konnte; das heißt, er ging aus sich heraus, wenn er philosophieren wollte. Heute gehen die Men­schen in sich hinein und finden einen festen Punkt nur, wenn sie an das Ich herankommen. Ich will als Beispiel hier nur anführen den großen Philosophen Fichte und den Gegenwartsphilosophen Bergson und erwähnen, daß eine gewisse Ruhe an diese Menschen erst dann herankommt, wenn sie das menschliche Ich finden. Suchen wir den Grund dieser Erscheinung, so kommen wir darauf, daß die Menschen früher zu einer Ich-Erkenntnis aus sich selbst heraus nicht kommen konnten. Gegeben wurde sie in der grie­chisch-lateinischen Zeit durch das Ereignis von Golgatha. Der Chri­stus gab den Menschen die Gewißheit, daß in der Seele ein Funken des Göttlichen lebt. Er lebt weiter im Menschen, der nicht nur Fleisch geworden ist in einem physischen Sinn, sondern der Fleisch

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geworden ist im christlichen Sinne. Und das bedeutet: ein Ich ge­worden sein. Diese Möglichkeit, das Göttliche in einem mensch­lichen Individuum zu schauen, nämlich in dem Christus, die wird dem Menschen von heute auf dem physischen Plan dadurch immer mehr verdunkelt, daß er immer mehr in sein persönliches Ich hin­eindringt. Es wird die Fähigkeit, den Christus zu schauen, dadurch verdurikelt, daß der Mensch diesen Funken in sich selbst sucht. Und wir haben ja erlebt, daß im Laufe des neunzehnten Jahr­hunderts diese Anschauung von dem Ich sich dazu verdichtet hat, daß die Christus-Gestalt entgottet worden ist und das Göttliche als das Abstrakte aufgefaßt wird, das sich in der ganzen Menschheit ausdrückt. Es machte zum Beispiel der deutsche Philosoph David Friedrich Strauß geltend, daß man nicht hinblicken sollte auf einen einzelnen historischen Christus, sondern auf dasjenige, was sich als Göttliches durch die ganze Menschheit hindurchzieht, daß zum Beispiel die Auferstehungsszene nichts anderes sei als das, was sich in der ganzen Menschheit offenbare: die Auferstehung des gött­lichen Geistes in der ganzen Menschheit.

Aus diesem Grunde ist es, daß ein tieferes Verständnis für das Mysterium von Golgatha immer mehr verloren wird, je mehr die Menschen in sich selbst das Göttliche suchen. Die ganze Tendenz des modernen Denkens geht dahin, das Göttliche nur in dem Men­schen selbst zu reflektieren. Dadurch wird immer mehr die Un­möglichkeit geschaffen zu erkennen, daß das Göttliche in einer Persönlichkeit verkörpert war.

Für das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt hat dieses eine ganz ungeheuer reale Folge. War es schon während der griechisch-lateinischen Zeit so, daß der Mensch sich durch seine eigenen Kräfte das Bewußtsein nicht aufrechterhalten konnte in der dritten Epoche nach dem Tode, so wird das noch viel schwieriger sein in unserer Zeit durch den allgemein menschlichen und auch durch den philosophischen Egoismus. In unserer Zeit schafft sich der Mensch in seine vorhin charakterisierte Visionswolke, in seine Nebelwolke in der dritten Epoche zwischen Tod und neuer Geburt noch mehr Hindernisse hinein als in der griechisch-lateinischen Zeit.

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Wenn man ungeschminkt die Entwickelung der Menschheit in der letzten Zeit ansieht, so muß man sagen: Paulus hat das Wort gesprochen: «Nicht ich, sondern der Christus in mir.> Der heutige Mensch sagt: Ich in mir, und der Christus so weit, als ich ihn zu­geben kann. - Der Christus soll nur so weit gelten, als er durch die Ich-Vernunft, durch den Ich-Verstand zugegeben werden kann. Nun gibt es nur ein Mittel in unserem gegenwärtigen Zeitalter, das Bewußtsein in der geistigen Welt während der dritten Periode nach dem Tode wirklich hell und aufrecht zu erhalten, das ist: daß wir uns aus dem gegenwärtigen Leben ein gewisses Gedächtnis, eine gewisse Erinnerung nach dem Tode erhalten. Wir müßten nämlich während dieser Periode alles vergessen, was wir auf der Erde erlebt haben, wenn wir nicht an ein ganz Bestimmtes uns erinnern kön­nen: Haben wir auf unserer Erde ein Verständnis erlebt und ein Verhältnis gefunden zu dem Christus und dem Mysterium von Golgatha, so pflanzt das in uns hinein Gedanken und Kräfte, die uns das Bewußtsein aufrechterhalten in dieser Zeit nach dem Tode. -Die Tatsachen zeigen also, daß es die Möglichkeit gibt, in dem bezeichneten Zeitpunkte nach dem Tode sich zu erinnern an das, was man hier gelernt und verstanden hat über das Mysterium von Golgatha. Wenn wir uns solche Vorstellungen, Gefühle und Emp­findungen erworben haben, die anknüpfen an das Mysterium von Golgatha, dann können wir uns nach dem Tode an diese Empfin­dungen erinnern und auch an das andere, was sich an solche Emp­findungen, Gefühle und Vorstellungen anknüpft. Das heißt: Unser Bewußtsein muß dadurch, daß wir auf der Erde ein Verständnis erwerben für das Mysterium von Golgatha, nach dem Tode über einen gewissen Abgrund hinweggeführt werden. Wenn wir dieses Verständnis uns erworben haben, dann werden wir von dem betref­fenden Zeitpunkte an in dieser dritten Periode mitwirken können, aus unserer Erinnerung heraus auszubessern die Fehler, die wir in unserer Seele aus unserem Karma heraus haben. Wenn wir uns aber kein Verständnis von dem Christus und dem Mysterium von Gol­gatha erworben haben, kein Verständnis von der ganzen Tiefe des Ausspruches: «Nicht ich, sondern Christus in mir», dann erlischt in

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uns das Bewußtsein und damit die Möglichkeit, unser Karma aus­zubessern, und es muß übernommen werden von anderen Mächten die Arbeit an unseren Fehlern, die wir aus unserem Karma nun zu verbessern haben.

Natürlich kommt jeder Mensch durch eine neue Geburt ins Dasein, aber es ist wesentlich, ob das Bewußtsein abgerissen ist oder ob es sich über diese Kluft hinüber erhalten hat. Wenn wir mit einer Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha an diesem Zeit­punkt nach dem Tode ankommen, dann können wir zurückschauen und uns erinnern, daß wir mit allem Menschlichen aus dem Gött­lichen kommen. Dann empfinden wir aber auch, daß wir unser Bewußtsein herüberretten dadurch, daß wir eine Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha gewonnen haben, und wir bauen das Bewußtsein weiter aus, indem wir diesen Geist, der an uns heran­kommt, sehen können. Wenn wir uns hier ein Verständnis für das Mysterium von Golgatha erworben haben, dann kommen wir an den Zeitpunkt jener dritten Periode nach dem Tode so, daß wir uns erinnern können und daß wir sagen können: Wir sind aus dem Geiste geboren - ex Deo nascimur. Und ich kann Ihnen sagen: Nie­mals vernimmt derjenige, der bis zu irgendeinem Grade der Initiation vorgedrungen ist, dieWahrheit derWorte: «Aus dem göttlichen Geiste bin ich geboren» so stark, wie wenn er sich versetzt in den Zeitpunkt, der eben charakterisiert wurde. In diesem Augenblick sagt es sich jede Seele, die durch das Mysterium von Golgatha verstehend hindurch gedrungen ist. Und man empfindet erst die Bedeutsamkeit dieses Aus­spruches: Ex Deo nascimur, wenn man weiß, daß er in seiner tiefsten Bedeutung, auf seinem höchsten Gipfel empfunden werden kann in dem Zeitpunkt, an den der Mensch in der Mitte zwischen dem Tode und einer neuen Geburt gelangen wird.

Und man möchte, wenn man diese Tatsachen objektiv erkennt, unserem Zeitalter wünschen, daß immer mehr und mehr Menschen dazu kommen, zu verstehen, wie im Grunde dieser eben genannte Ausspruch in seiner höchsten Würde heute nur erkannt werden kann in der Weise, die eben geschildert worden ist. Und wenn durch die rosenkreuzerische spirituelle Bewegung dieser Ausspruch

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zu einer Art Leitspruch in unserem Kreise gemacht worden ist, so ist es getan, um den Seelen Anregung zu geben für das, was in die­sen Seelen leben soll zwischen Tod und neuer Geburt.

Es ist leicht, meine lieben Freunde, solch eine Ausführung wie diejenige, die eben gemacht worden ist, als eine Voreingenommen­heit für die christliche Lebensanschauung zu nehmen. Würde in diesem Sinne ein solches Vorurteil für das christliche Religions­bekenntnis vorhanden sein, so wäre das wirklich untheosophisch. Auf dem Boden der Geisteswissenschaft stehen wir objektiv den Religionen gegenüber und studieren sie mit vollständig gleicher Sympathie. Und die Tatsache, die eben jetzt vom Mysterium von Golgatha geltend gemacht worden ist, hat mit irgendeinem kon­fessionellen Christus nichts zu tun, sondern ist eine objektive okkulte Tatsache. Man hat zwar den Vorwurf gemacht, daß innerhalb unse­rer abendländischen spirituellen Bewegung solche Dinge, wie sie eben gesagt worden sind, aus einer gewissen Voreingenommenheit für das Christentum gegenüber den anderen Religionen entsprun­gen seien. Allein die Stellung, die dem Mysterium von Golgatha hier gegeben wird, wird ihm in demselben Sinne gegeben wie in der äußeren Wissenschaft irgendeiner zu konstatierenden Tatsache. Und wenn gesagt wird, man dürfe nicht das Mysterium von Gol­gatha in seiner Einzigartigkeit für die Menschheitsentwickelung hinstellen, weil andere Religionen dieses nicht so anerkennen kön­nen, so ist das aus folgenden Gründen ein absolutes Mißverständ­nis. Denn nehmen wir einmal die Tatsache, daß wir Religions. bücher der alten indischen Religion haben und daß wir eine abend­ländische Weltanschauung haben. Wir lehren heute die Koperni. kanische Weltanschauung im Abendlande. Niemand wird den Vor­wurf machen, daß man diese Kopernikanische Weltanschauung nicht lehren dürfe, weil sie in den alten indischen Religionsbüchern nicht enthalten ist. Wie niemand verbieten kann, diese Welt­anschauung zu lehren, weil sie nicht in den alten indischen Reli­gionsbüchern steht, so kann auch niemand verwehren, die Tatsache von dem Mysterium von Golgatha zu lehren aus dem Grunde, weil es nicht in den Religionsbüchern der alten Inder enthalten ist.

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Daraus sollen Sie nur ersehen, wie unbegründet der Vorwurf ist, die Charakterisierung des Mysteriums von Golgatha, wie sie hier gegeben ist, entspringe einer Vorliebe für das Christentum. Sie ent­spricht nur der Festsetzung einer objektiven Tatsache. Und wenn Sie mich fragen, warum ich niemals einen Schritt zurückweichen werde in bezug auf die Betonung dieser Tatsache des Mysteriums von Golgatha, so kann Ihnen gerade die heutige Auseinander­setzung eine Antwort darauf geben.

Wir treiben Geisteswissenschaft nicht aus Neugierde oder auch nur aus abstraktem Wissensdrang, sondern wir treiben sie aus dem Grunde, um mit ihr der Seele eine notwendige Nahrung zu geben. Und mit der Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha geben wir der menschlichen Seele die Möglichkeit, in sich diejenige Empfin­dung und Gefühlsstimmung auszubilden, die sie notwendig braucht, um über den geschilderten Abgrund zwischen Tod und neuer Ge­burt hinwegzukommen. Wer einsieht, daß die Seele zwischen Tod und neuer Geburt den für alle Menschenzukunft so schwer zu tra­genden Verlust des Bewußtseins in der angegebenen dritten Epoche zu erleiden hätte, der möchte bei jeder Gelegenheit das Geheimnis von Golgatha der Menschheit nahelegen.

Und aus diesem Grunde gehört zu den wichtigen Dingen, die wir auf geisteswissenschaftlichem Felde verstehen lernen sollen, gerade das Verständnis dieses Mysteriums von Golgatha.

Je mehr wir fortschreiten werden in unserem Zeitalter, desto mehr werden die verschiedenen Religionen der Welt gedrängt werden, anzunehmen die Tatsache, die gerade heute besprochen worden ist. Eine Zeit wird kommen, wo derjenige, der Anhänger der chinesi­schen, der buddhistischen, der brahmanischen Religion ist, es ebensowenig gegen seine Religion finden wird, das Mysterium von Golgatha anzunehmen, wie er es gegen seine Religion findet, anzunehmen das Kopernikanische Weltensystem. Und es wird angesehen werden als eine Art von religiösem Egoismus, wenn man sich in den außerchrist­lichen Religionen wehren wird, diese Tatsache anzunehmen.

Sie sehen, meine lieben Freunde, wir sind bei dem Mysterium von Golgatha angekommen, indem wir die Bedingungen zwischen

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Tod und neuer Geburt betrachten wollten. Man kann in einer ein­zelnen Vortragsstunde immer nur Andeutungen geben über ein sol­ches Gebiet wie dasjenige, das wir heute betreten wollten. Aber ich wollte Sie wenigstens hinweisen auf einige Ergebnisse, die sich mir erschlossen haben durch meine neuesten Untersuchungen.

Da der nächste Vortrag zusammenhängen wird mit dem heuti­gen, so werden wir wahrscheinlich eine kurze Rückschau des Ge­sagten anschließen können und dann zu den in Aussicht genom­menen weiteren Ausführungen übergehen.

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UNTERSUCHUNGEN ÜBER DAS LEBEN ZWISCHEN TOD UND NEUER GEBURT Mailand, 27. Oktober1912 Zweiter Vortrag

Unsere Besprechung hat uns bis zu dem Zeitpunkt geführt, wo das Bewußtsein der Gestorbenen nur noch durch die Erinnerung an das Mysterium von Golgatha aufrechterhalten wird. Alles Leben war bis zu diesem Momente Erinnerungsleben an die Erdenzeit, nicht durch die Sinne, sondern durch Visionen vermittelt. Auch die Realitäten der geistigen Welt können in diesem Zeitpunkt nur durch Visionen wahrgenommen werden.

Allmählich wird es für die Seelen immer schwieriger, die Erin­nerungen an die Erdenzeit zu bewahren; ein Vergessen alles Erleb­ten breitet sich immer mehr aus. Begegnet man zum Beispiel in dieser Zeit zwischen dem Tode und der neuen Geburt einem früher bekannten Menschen, so erkennt man ihn zunächst leicht allmäh­lich aber immer schwerer; später kann man sich nur noch an die Beziehung zu ihm erinnern, wenn man an das Mysterium von Gol­gatha anknüpft. Je mehr man von diesem durchdrungen ist, desto leichter erkennt man seine Umgebung wieder. Ist aber dieser Zeit­punkt erreicht, in welchem wir die Erinnerung an das Mysterium von Golgatha nötig haben, um unser Gedächtnis bewahren zu kön­nen, dann setzt wiederum eine große Veränderung ein. Wir sind dann nämlich nicht mehr imstande, die Visionen von vorher in uns zu erhalten. Wir können bis dahin zum Beispiel von astralen Farb­erscheinungen sprechen, wir können in der Welt, in der wir bis zu diesem Zeitpunkt leben, davon sprechen, daß wir astralische Far­ben sehen; wir können davon sprechen, daß wir auch in visionären Nachbildungen die Wesen um uns sehen. In diesem Zeitpunkt aber, der, wie gesagt, in der Mitte liegt zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, fallen die Visionen und die Erinnerungen gleichsam wie Schuppen von uns ab; wir verlieren das Verhältnis zu ihnen, sie lösen sich vollständig von unserem Wesen. Um diesen Zeitpunkt

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nun genauer zu charakterisieren, ist es gut, etwas heranzuziehen, was sich vielleicht für das erste Verständnis schockierend ausnimmt.

Man fühlt in diesem Zeitpunkt sich der Erde entrückt, die Erde gewissermaßen unter sich, weit fort, und fühlt, daß man in dem Hineinleben in die Geisteswelt in der Sonne angekommen ist. Denn so, wie man sich im Erdenleben mit der Erde vereinigt gefühlt hat, so fühlt man sich nun mit der Sonne und ihrem ganzen Planetensystem vereinigt. Und deshalb wird in unserem modernen Okkultis­mus ein so großer Wert darauf gelegt, daß verstanden werde, wie Christus als Sonnenwesen zu uns gekommen ist, weil notwendig ist, zu verstehen, wie er uns durch das Mysterium von Golgatha zur Sonne geleitet. Es wird uns durch den Okkultismus gezeigt, daß der Christus ein Sonnenwesen ist, das uns wieder zurück zur Sonne führt. Und nun kommt das Schockierende: Wie es notwendig ist, unser Verhältnis zum Christus zu verstehen, so muß nun aber auch ein anderes verstanden werden. Jetzt beginnt die Zeit, wo man, als ein reales Wesen sich gegenüberstehend, dasjenige kennenlernt, was man immer bezeichnet hat als Luzifer. Wenn man sich jetzt in der Sonne fühlt, dann fühlt man sich nicht in strömendem physischem Lichte, sondern man fühlt sich in rein geistigem Lichte. Und von diesem Zeitpunkt an empfindet man Luzifer wie ein Wesen, das jetzt nicht mehr gegnerisch ist wie früher, sondern man empfindet ihn immer mehr als ein in der Welt durchaus berechtigtes Wesen. Man fühlt jetzt die Notwendigkeit, im weiteren Verlauf des Lebens nach dem Tode Luzifer und das Christuswesen wie zwei neben­einander gleichberechtigte Mächte anzusehen. So sonderbar diese Gleichbedeutendheit von Christus und Luzifer klingen mag, man gelangt eben dazu, von dem bezeichneten Zeitpunkte an sie einzu­sehen; wie eine Art von Brüdern beide Mächte anzusehen. Wie das zu erklären ist, das geht aus dem hervor, was man noch im weite­ren Verlauf des Lebens nach dem Tode durchmacht.

Wenn Sie die Schilderung nehmen, die von mir oftmals ge­geben worden ist als Schilderung des Lebens von Saturn, Sonne und Mond, dann haben Sie darin den Verlauf des Weges, den man tatsächlich nach dem Tode geistig durchlebt. Merkwürdig ist nur,

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daß man nicht in der Reihenfolge des kosmischen Entstehens die Sache erlebt: Saturn, Sonne, Mond, sondern zuerst das Mondensein er­lebt, dann das Sonnen- und zuletzt das Saturndasein. Wenn Sie alles das, was von mir als solche Schilderung in der «Akasha-Chronik» gegeben worden ist, durchlesen und vom Monde weiter zurück­gehen, so haben Sie die ,Welt, welche die Seele erlebt auf dem Wege, den sie zurücklegt nach dem Tode. Und es fällt einem dann auf, daß, wenn man diese Dinge gleichsam aus der geistigen Welt heraus schaut, man etwas hat wie eine Erinnerung an das Leben im vorgeburtlichen Dasein. Noch viel bedeutsamer aber ist sozusagen das moralische Element des weiteren Lebens in dieser Welt, die eben jetzt charakterisiert worden ist. Wie in der «Akasha-Chronik» geschildert worden ist, verliert man allmählich das Interesse, das man früher, bis zu diesem Zeitpunkt hin, sehr stark gehabt hat für das auf Erden zu Erlebende. Es schwindet das Interesse für die ein­zelnen Menschen, mit denen man Zusammenhänge gehabt hat; es schwinden die Interessen für die einzelnen Dinge. Man weiß, daß die Erinnerungen, die man jetzt behält, niemand anders weiterträgt als der Christus: der Christus begleitet einen, und infolgedessen kann man die Erinnerung haben. Würde einen der Christus nicht begleiten, so würde die Erinnerung an das Erdenleben schwinden; denn dasjenige, was uns über den geschilderten Zeitpunkt hinaus mit der Erde verbindet, ist tatsächlich das Erlebnis, daß wir uns dem Christus verbunden haben. Durch unser neues Leben dann in der geistigen Welt gewinnen wir ein ganz neues Interesse für Luzi­fer und seine Welt. Wir finden dann nämlich, daß jetzt, wo wir frei geworden sind von den Erdeninteressen, wir ganz ohne Schaden Luzifer gegenübertreten können. Und wir machen die merkwür­dige Entdeckung, daß Luzifer auf uns nur dann schädlich wirkt, wenn wir selber im Irdischen befangen sind. Jetzt erscheint er uns geradezu als das Wesen, welches uns dasjenige erklären kann, was wir weiter in der Welt des Geistes zu durchleben haben, und eine längere Zeit verweilen wir in dem Erlebnis, uns das zu erobern, was uns Luzifer in diesen Weiten der geistigen Welt dann geben kann.

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Vielleicht ist es jetzt wieder schockierend, das zu sagen, was wir nur subjektiv fühlen; aber wenn auch etwas zunächst Schockieren-des ausgesprochen wird, so ist es vielleicht doch in diesem Falle auch das Verständlichste: Wir fühlen uns jetzt nämlich nach einiger Zeit als Marsbewohner. Nachdem wir uns als Sonnenbewohner gefühlt haben, merken wir allmählich, daß so, wie wir früher die Erde hinter uns gelassen haben, wir nun die Sonne hinter uns las-sen, und wir fühlen uns in bezug auf unsere kosmische Wirklich­keit als Bewohner des Mars. Und für das Leben, das wir jetzt durch­machen, scheint es uns in der Tat so, daß Christus uns alles Ver­gangene gegeben hat, das hinter uns liegt, und Luzifer uns vor­bereitet für die künftige Reinkarnation. Wenn wir dieses Mars-leben bewußt durchmachen und uns später auf Erden durch In­itiation daran erinnern können, so erfahren wir, daß alles, was wir nicht als Erlebnisse aus dem Erdendasein in uns tragen durch den großen Weltenraum, daß alles, was wir nicht von der Erde aus haben, uns Luzifer gibt. Unser früheres menschliches Interesse wird jetzt immer kosmischer. Während wir auf Erden das, was uns das Mineral, die Pflanze, das Tier, was uns Luft und Wasser, Berg und Tal gibt, aufnahmen, nehmen wir von diesem Zeitpunkte an die Erfahrungen des Kosmos auf, dasjenige, was von der Welt des Kos­mos auf uns eindringt. Es beginnt jene Form des Wahrnehmens, die man immer bezeichnet hat - die man aber wenig versteht - als die Sphärenmusik. Alles was ist, wird wahrgenommen, indem es uns aus dem Umkreis des Kosmos entgegentönt. Doch so, wie wenn man lauter Harmonien vernehmen würde, tönt es heraus aus dem Kosmos, nicht wie die Klänge aus der physischen Welt. Man gelangt zu einem Punkte des Erlebens, wo man sich selbst wie im Mittel­punkte des Kosmos fühlt, und von allen Seiten hereinklingend nimmt man die Weltentatsachen durch diese Sphärenmusik wahr.

Jetzt haben wir auch das Marsdasein hinter uns gelassen, und der Okkultist spricht davon, daß wir angekommen sind im Jupiterdasein. Wenn wir nun weiterleben, so steigert sich zwar immer die Sphärenmusik; sie wird aber zuletzt so stark, daß sie uns betäubt. Wir leben uns wie in einer Betäubung in die Sphärenmusik hinein.

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Das weitergehende Leben verläuft so, daß, nachdem wir durch das Jupiterdasein gegangen sind, wir auch dieses hinter uns lassen und uns nun tatsächlich dann an der äußersten Grenze unseres Sonnensystems befinden: im Saturn. Hier angekommen, machen wir eine sehr wichtige moralische Erfahrung: Hat uns bis zu diesem Zeitpunkt der Christus die Erinnerung an unsere früheren Erden-zustände erhalten und dadurch vor den Angstzuständen des schwin­denden Bewußtseins bewahrt, so merken wir gerade in diesem unse­rem jetzigen Seelenzustande nach dem Tode, wie wenig angemessen den höheren moralischen Forderungen dasjenige war, was wir auf der Erde durchgemacht haben, wie wenig angemessen es war der Majestät des ganzen kosmischen Seins. Wie ein Vorwurf berührt uns das Leben, das wir hinter uns gelassen haben. Und etwas außer­ordentlich Bedeutsames stellt sich jetzt ein. Wie aus einem un­bestimmten nächtlichen Dunkel heraus tritt die ganze Summe un­seres Lebens, wie sie sich karmisch in der letzten Erdeninkarnation geformt hat, vor die Seele. Wenn Sie Ihr jetziges Erdendasein, Ihre jetzige Inkarnation ins Auge fassen, so haben Sie sie in der Tat wieder so, wie sie sich in jenem Zeitpunkt nach dem Tode, der eben gekennzeichnet worden ist, vor die Seele stellt; aber in sich fühlen Sie scharf alles dasjenige, was Sie einzuwenden haben gegen jene Inkarnation. Sie sehen diese letzte Inkarnation vom kosmischen Standpunkte aus.

Von diesem Zeitpunkt an kann nun nichts mehr, weder das Christus-Prinzip noch das Luzifer-Prinzip, unser Bewußtsein auf­rechterhalten, sondern es tritt unter allen Umständen - wenn nicht im Leben vorher eine Initiation eingetreten ist - eine Herabdäm­merung des Bewußtseins ein. Ein gewisser geistiger Schlaf beginnt, der notwendig ist für das menschliche Leben, nachdem bis zu die­sem Zeitpunkt eine Art Bewußtsein vorhanden war, das aufrecht-erhalten wurde durch die geschilderten Verhältnisse. Dieser geistige Schlaf ist aber nun mit etwas anderem verbunden. Dadurch, daß der Mensch nichts mehr fühlen kann, nichts mehr sich vorstellen kann, können alle kosmischen Einflüsse unmittelbar auf ihn wir­ken, mit Ausnahme desjenigen des Sonnensystems. Denken Sie sich

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das ganze Sonnensystem ausgeschaltet und nur das allein vorhan­den, was außer ihm da ist, dann haben Sie die Wirkungen, die jetzt eintreten. Und da kommen wir an den Punkt, von welchem gestern die Ausführungen ausgegangen sind.

Was jetzt zu untersuchen wichtig ist, das ist nämlich der Zusam­menhang zwischen diesem zweiten Teil des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt und dem Embryonalleben des Menschen. Sie wissen ja, daß das Embryonalleben des Menschen mit dem kugel-runden kleinen Keim beginnt. Nun ist das Merkwürdige für die okkulte Betrachtung, daß dieser Menschenkeim ganz im Anfang sich als ein Spiegelbild dessen darstellt, was der Mensch in der eben geschilderten Weise aus dem Kosmos heraus erlebt. Im Beginne des Embryonallebens ist tatsächlich der Keimling des Menschen ein kosmisches Produkt, ein Spiegelbild des kosmischen Lebens, in wel­chem nicht das Leben innerhalb des Sonnensystems zum Ausdruck kommt. Und das Merkwürdige ist, daß alles das, was jetzt mit dem Keime während des Embryonallebens geschieht, sich erweist als ein Ausscheiden des kosmischen Einschlags und ein Hineinnehmen der Einflüsse des Sonnensystems. Erst in einer verhältnismäßig späteren Zeit, wenn die Vorgänge während des Lebens nach dem Tode wie­derum zurückgegangen sind den Weg durch die Saturn-, Jupiter-und Marszustände, beginnen jene Einflüsse in dem Keim zu wirken, welche die sogenannten vererbten sind. So dürfen wir sagen, daß der Mensch sein Keimleben schon in einem kosmischen Sein vor dem Embryonalleben vorbereitet, in einer Art auch ihn umfangen­den Weltenschlafs. Wenn man dann die Vorgänge nehmen würde, die so im Embryonalleben stattfinden während dieser Art von kos­mischem Sein, von Weltenschlaf, wenn man nacheinander nehmen würde die Zustände des vorgeburtlichen Menschen, des Keimes, und sie zeichnerisch jetzt so betrachten würde, daß man hier ein Spiegelbild machte, also so:

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dann müßte man alle die Zustände, die im Keime sich am spätesten zeigen, im Bilde später haben, und was früher im Embryonalleben ist, hier im Spiegelbilde früher sehen. So würde man ein geistiges Spiegelbild des Embryonallebens nach rückwärts hin bekommen. Wenn ich Ihnen aufzeichnen würde das Keimleben in der einen Richtung und für jeden Zustand ein anderes Spiegelbild in der anderen Richtung, so würde sich dieses auf der Tafel tatsächlich ausnehmen wie Bild und Spiegelbild, und der Punkt, worin gespie­gelt wird, ist die Empfängnis. Würde ich nun zeichnen, dann müßte ich die Zeichnung so machen, daß das eine, das Embryonalleben, klein gezeichnet wird und das andere Spiegelbild nach hinten furchtbar vergrößert wird; denn was der Mensch in zehn Monden­monaten vor der Geburt erlebt, das wird tatsächlich in seiner Spie­gelung in vielen Jahren erlebt. Nehmen Sie nur all dasjenige, was der Mensch nach den geschilderten Andeutungen bis zu seiner Wiederverkörperung in der geistigen Welt erlebt. Im ersten Teil seines Lebens nach dem Tode hat er die Nachklänge an sein frühe­res Erdendasein in sich aufgenommen. Im zweiten Teil dieses Lebens zwischen Tod und neuer Geburt hat er Erfahrungen aus dem Kosmos gesucht. In diesem Erleben zwischen dem Tode und der neuen Geburt ist vieles darinnen, nur eines ist nicht darinnen:

Wir erleben tatsächlich alles wieder, was wir seit der vorigen Inkarnation bis zur jetzigen erlebt haben; wir erfühlen das kos­mische Sein, wir erleben aber während des ersten Teiles unseres Lebens zwischen Tod und neuer Geburt nicht dasjenige, was sich auf der Erde zwischen den zwei Inkarnationen schon zugetragen hat. Bis zum Sonnensein sind wir mit den Erinnerungen an das, was vor dem Tode war, so beschäftigt, daß unser Interesse völlig abgezogen ist von dem, was auf der Erde geschieht. Wir leben mit denjenigen Menschen, die ebenso wie wir im Leben nach dem Tode in der geistigen Welt sind; wir leben uns in alle Verhältnisse hinein, die wir zu diesen Menschen auf Erden schon gehabt haben, und leben in diesen Verhältnissen weiter, gestalten sie in ihren Kon­sequenzen aus. Und weniger Interesse können wir - weil wir fort­während abgelenkt sind - in dieser Zeit uns erhalten für die Menschen,

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die wir auf der Erde noch haben. Nur wenn uns diese Men­schen mit ihrer ganzen Seele suchen, ist ein Verbindungsband mit ihnen geschaffen. Dieses ist als ein sehr wichtiges moralisches Ele­ment zu betrachten. Denn es wirft Licht auf das Verhältnis zwi­schen den Gestorbenen und den Zurückgebliebenen. Jemand, der vor uns hinweggestorben ist und den wir vollständig vergessen, hat es außerordentlich schwierig, zu uns ins Erdenleben zurückzudrin­gen. Unsere Liebe, unsere fortdauernde Sympathie, die wir dem Ver­storbenen bewahren, die liefert einen Weg dazu, weil sie eben eine Verbindung mit dem Erdendasein herstellt. Und aus dieser Verbin­dung heraus müssen in diesen ersten Zeiten nach dem Tode die Hingeschiedenen mit uns leben. Und es ist wirklich eine über­raschende Tatsache, wie sehr der instinktive Gedächtniskultus für die Toten durch den Okkultismus in seinem tiefen Sinne bestätigt wird. Unsere Hingestorbenen erreichen uns am leichtesten, wenn sie auf Erden hier an sie gerichtete Gedanken, Gefühle, Empfindungen finden können.

Für den zweiten Teil des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt stellt sich allerdings wiederum etwas anderes dar. Wir sind so sehr dann eingesponnen in unsere kosmischen Interessen, daß wir über­haupt nur äußerst schwierig in diesem zweiten Zeitraum einen Zu­sammenhang mit der Erde finden. Dasjenige, was uns außer den kosmischen Interessen beschäftigt, ist: mitzuarbeiten an der rich­tigen Herstellung unseres weiteren Karma. Neben unseren kosmi­schen Eindrücken bewahren wir uns am allerbesten dasjenige, was wir gewissermaßen karmisch zu korrigieren haben, und wir arbei­ten mit an der Herstellung eines solchen nächsten Lebens, das dazu beitragen kann, unsere karmischen Schulden auszugleichen.

Mancher Mensch sagt, er könne nicht an die Reinkarnation glau­ben, weil er nicht wiederum in das irdische Leben zurückkommen möchte. Dies ist zum Beispiel ein Einwand, der oftmals gemacht worden ist: Ich wünsche mir durchaus nicht mehr das Zurückkom­men in das Irdische. Das sagen manche. Die Betrachtung des eben angeführten Zeitpunktes zwischen Tod und neuer Geburt korrigiert diese Ansicht beträchtlich. In diesem Zeitraum wollen wir eben mit

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aller Gewalt wieder ins Leben hinein, um unser Karma zu korrigie­ren, und wir vergessen nur, wenn wir aus dem geschilderten kosmi­schen Schlaf wieder erwachen in der Gegenwart, daß wir das gewollt haben, dieses Wiedergeborenwerden. Ob wir während des Lebens zwischen Geburt und Tod nochmals auf Erden wieder-erscheinen wollen, darauf kommt es nicht an, sondern ob wir es wollen zwischen Tod und neuer Geburt. Und da wollen wir es. Wir müssen uns eben vorstellen, daß in vielfacher Beziehung, wie wir es eben gesehen haben, das Leben zwischen Tod und neuer Geburt geradezu das Entgegengesetzte ist von dem, was wir hier auf Erden erleben zwischen Geburt und Tod. Geradeso, wie wir in diesem physischen Leben durch den Schlaf gestärkt und mit neuen Kräften ausgerüstet werden, so werden wir durch den angedeuteten Welten-schlaf mit neuen Kräften für die neue Inkarnation ausgerüstet.

Noch eine andere wichtige Frage wird sich uns durch die ge­schilderten Tatsachen beantworten lassen. Es wird oftmals gefragt:

Warum muß der Mensch, wenn er sich so oft reinkarniert, immer wieder von Kindheit an lernen und kommt nicht schon mit alle­dem zur Welt, was er von Kindheit an lernen muß? Diese Frage beantwortet sich dann, wenn man eines berücksichtigt: daß man ja nicht miterlebt - mit Ausnahme dessen, was angedeutet ist: des Zusammenhanges mit dem Leben, den Menschen und dem ganzen Karma -, daß man nicht erlebt dasjenige, was sich zwischen unseren Inkarnationen auf dieser Erde abgespielt hat. War also jemand zurn Beispiel vor der Erfindung der Buchdruckerkunst auf der Erde in­karniert, und er inkarniert sich heute wieder, so hat er alles das nicht miterlebt, was sich in der Zeit zwischen der Erfindung der Buchdruckerkunst und jetzt entwickelt hat. Und in der Tat, wenn man kulturhistorisch genauer untersucht, so sieht man, daß man in jeder Inkarnation als Kind dasjenige lernt, was sich auf der Erde inzwischen abgespielt hat. Man braucht nur zu betrachten, was eben ein altrömischer Knabe von sechs Jahren gelernt hat: das war etwas ganz anderes, als was ein Kind von sechs Jahren heute lernt. Es vergeht zwischen zwei Inkarnationen ein so langer Zeitraum, daß in der Tat das Kulturbild der Erde dann vollständig verändert

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ist. Wir kommen nicht herunter zu einer Inkarnation, bevor sich die Verhältnisse auf der Erde so weit verändert haben, daß sie fast keine Ähnlichkeit zeigen mit dem Leben in der vorherigen Inkarnation.

Was ich eben geschildert habe, bezieht sich auf das Durch­schnittsleben der Menschen. Aber es ist eben ein Durchschnitt, und es kann zum Beispiel das Bewußtsein bei einem Menschen nach dem Tode schon früher erlöschen, der Schlaf kann schon früher eintreten, wie Sie ja aus einigen Tatsachen, die gestern angeführt worden sind, ersehen können.

Nun besteht aber das kosmische Gesetz, daß dieser Weltenschlaf die Zeit kürzt, die wir im Kosmos nach dem Tode verbringen: der­jenige, der früher in den Zustand der Unbewußtheit hineinkommt, der durchlebt sie schneller, die Zeit vergeht für ihn in schnellerem Tempo, sie ist kürzer als für den, der sein Bewußtsein weiter hinaus erweitert. Ja wir können, wenn wir das Menschenleben unter­suchen zwischen Tod und neuer Geburt, die Bemerkung machen, daß ungeistige Menschen verhältnismäßig am schnellsten wieder­kommen. Wenn jemand nur seinen sinnlichen Genüssen, seinen sinnlichen Leidenschaften, also demjenigen lebt, was man das Tie­rische im Menschen nennen kann, so vergeht ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum zwischen zwei Inkarnationen. Es geschieht dieses aus dem Grunde, weil bei ihm eine verhältnismäßig frühe Bewußt­losigkeit eintritt, ein Schlafzustand, und er dann schnell durch die­ses Leben zwischen Tod und neuer Geburt hindurchgeht.

Außerdem habe ich nur von einer durchschnittlichen Erschei­nung erzählt, weil ich Rücksicht genommen habe vorzugsweise auf diejenigen Menschen, welche sozusagen ein normales Lebensalter erreichen.

Es ist im Grunde ein großer Unterschied zwischen Verstorbenen, die nach dem 35. Jahr gestorben sind, und jenen, die vorher aus diesem Leben geschieden sind. Es lebt eigentlich nur der, welcher das 35. Jahr in seinem Erdenleben überschritten hat, alle die Zu­stände mehr oder weniger bewußt durch, die wir beschrieben haben. Bei einem früheren Tode tritt tatsächlich eine Art früheren Schlaf-zustandes zwischen Tod und neuer Geburt ein.

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Wenn jemand einwenden wollte, daß man für einen frühen Tod doch nichts kann und daher unverschuldet einem früheren Welten-schlaf anheimfällt, so wäre dieser Einwand doch nicht richtig. Er wäre aus dem Grunde nicht richtig, weil ein früher Tod durch frühere karmische Ursachen schon vorbereitet worden ist und durch früheres Wiedereintreten in die kosmischen Welten die Weiter-entwickelung nun gefördert werden kann. Wie sonderbar und eben­falls schockierend dies auch klingen mag, wir wissen aus ganz ob­jektiven Untersuchungen des kosmischen Lebens: Von einem ge­wissen Zeitpunkt an ist der Mensch ein Wesen, das in weite Wel­tensphären hinein ausgedehnt ist und ausgesetzt den Wahrneh­mungen des Kosmos, des Makrokosmos. Wie der Mensch in der Mitte seines physischen Erdenlebens gleichsam am meisten ver­strickt ist mit der Erde, so ist er in der Mitte des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt am meisten verstrickt in das kosmische Sein. Nehmen Sie das Kind: es lebt sozusagen noch nicht völlig auf der Erde, es lebt mit all den Erbstücken, die es von früher her erhalten hat, und es muß sich erst das Erdenleben erobern. Nehmen Sie jetzt das Leben des Menschen nach dem Tode: er lebt in einer gewissen Weise mit dem, was er aus der Erde herausgetragen hat, und muß sich erst die Wahrnehmungsfähigkeit in dem Leben des Kosmos erringen. In der Mitte des Erdenlebens sind wir ja am meisten in irdische Verhältnisse hinein versponnen; in der Mitte zwischen Tod und neuer Geburt sind wir am meisten in kosmische Verhältnisse hineingesponnen. Je mehr es dem Ende unseres Lebens auf Erden zugeht, desto mehr ziehen wir uns aus den Erdenverhältnissen im physischen Sinne heraus. Je mehr wir die Mitte des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt überschreiten, desto mehr ziehen wir uns aus dem Kosmos heraus und neigen uns wieder hin zum Erden. leben.

Das, was ich Ihnen zuletzt als eine Art Analogie gesagt habe, betrachten Sie aber nicht so, als wenn es zugrunde gelegen hätte der geisteswissenschaftlichen Untersuchung. Dem Okkultisten fällt eine solche Analogie erst auf, wenn er die okkulten Untersuchun­gen gemacht hat und mit den vorhandenen Tatsachen vergleicht.

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Eine solche Analogie hat auch insofern noch einen Fehler: Sollten wir das Leben in der ersten Periode nach dem Tode das kindliche Leben nennen und die zweite Periode zwischen Tod und neuer Geburt das Greisenleben, so würden wir einen Fehler machen. Im geistigen Dasein zwischen Tod und neuer Geburt sind wir nämlich zuerst Greise und werden dann in der zweiten Hälfte eben Kinder in bezug auf das geistige Leben. Das geistige Leben verfließt umge­kehrt. Zuerst tragen wir die Fehler und Gebrechen des physischen Lebens da hinein; dann werden sie während des kosmischen Lebens allmählich herausgeworfen.

Ich war sehr überrascht, in alten Traditionen einen Ausdruck zu finden wie eine Art - ich will nicht sagen Bestätigung, aber wie eine Art Hinweis auf diese Erfahrungen. Wenn wir auf der Erde im physischen Leben sind, so sagen wir: Wir werden alt. Im geisti­gen Leben zwischen Tod und neuer Geburt müssen wir ganz sinn­gemäß sagen: Wir werden jung. So daß man also sagen könnte, wenn jemand geboren wird da oder dort und man sein geistiges Dasein betrachtet: Er ist da und dort jung geworden.

Nun finden sich merkwürdigerweise im zweiten Teil des « Faust» die Worte: Er ist «im Nebellande jung geworden». Warum braucht Goethe für Geborenwerden den Ausdruck: «Jung werden»? Wenn wir weiter zurückgehen würden, dann würden wir finden, daß dies eine Tradition ist der Menschheit, die empfand, daß man mit der geistigen Geburt jung wird. Wir finden überhaupt - was in unse­rem Okkultismus immer betont wird -, daß, je weiter wir zurück­gehen in der Entwickelung, wir immer mehr auf hellseherische Zu­stände treffen. Wir finden sie überall bestätigt

Nehmen Sie zum Beispiel dasjenige, worauf gestern hingedeutet worden ist. Von dem Tode an lösen wir uns allmählich aus den irdischen Verhältnissen heraus, aber wir erleben mitten drinnen in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt die kosmischen Zu­stände. Wir erleben sie in Visionen, die an die Stelle der Sinneswahrnehmung treten; dann, habe ich gesagt, fällt auf das, was wir erleben, das Licht der Hierarchien. Es tritt da tatsächlich nach dem Tode eine Art von Zustand ein, den wir in folgender Weise

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charakterisieren können: Denken Sie, Ihr Bewußtsein wäre nicht in Ihnen, sondern außerhalb in der Umgebung, und Sie würden nicht das Gefühl haben, daß das Leben in Ihrem Körper, sondern daß das Leben außerhalb Ihres Körpers sei, und würden von außen fühlen: dies ist mein Auge, dies meine Nase, dies mein Bein. Dann müßten wir dasjenige, was wir außen im Geistigen erleben, auf uns hin beziehen, müßten auch das Leben Gottes auf uns hin be­ziehen und es in uns reflektieren lassen. Ein solcher Zeitpunkt tritt auf, wenn nach dem Tode, indem wir - gleichsam zurückblickend auf den Menschen - alles das, was in der Umgebung ist, sich in ihm zurückspiegeln sehen: so daß selbst die Gottheit sich im Men­schen reflektiert.

Wäre es deshalb gar zu gewagt, es als eine Erkenntnis hinzuneh­men, wenn ein Dichter sagt, daß das Leben nach dem Tode eine Spiegelung des Göttlichen ist? Das wissen wohl alle, daß Dante diesen Ausspruch gebraucht hat, daß im geistigen Leben der Zeit­punkt eintritt, wo man Gott als Menschen sieht.

Es mag gewiß zuweilen solch ein Hinweis wie unberechtigt er­scheinen, vielleicht als eine Spielerei einem vorkommen. Derjenige aber, der in die tiefen Zusammenhänge der Menschheit hinein­blickt, wird diese Dinge nicht mehr als Spielerei ansehen. Bei den großen Dichtern leben eben Nachklänge alter heliseherischer Er­kenntnis der Menschheit immer wieder auf, und durch Initiation werden solche Nachklänge aufgefrischt und zu menschlicher Er­kenntnis erhoben.

Damit, meine lieben Freunde, habe ich Ihnen einige Tatsachen angeführt, die zu den zuletzt gemachten Untersuchungen über das Leben zwischen Tod und neuer Geburt gehören, und ich hoffe, daß wir in nicht zu ferner Zeit weitersprechen können über solche Er­kenntnisse über das Leben zwischen Tod und neuer Geburt.

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DER DURCHGANG DES MENSCHEN DURCH DIE PLANETENSPHÄREN UND DIE BEDEUTUNG DER CHRISTUS-ERKENNTNIS Hannover, 18. November 1912

Wir sind am heutigen Abend versammelt in einer gewisser­maßen neuen Umhüllung unseres lieben Hannoverschen Zweiges, und es ist mit dem heutigen Abend die schönste Einweihung damit gegeben, daß so viele unserer Freunde hier erschienen sind und dadurch in ihren Herzen wiederum einmal auch hier an diesem Orte bekundet haben, daß es ihnen ernst ist mit demjenigen, was wir zusammenfassen in unserer spirituellen Weltanschauungsströ­mung. Es ist ja seit einiger Zeit bei solchen Gelegenheiten auf der einen Seite eben wirklich immer eine Schwierigkeit, die auf der anderen Seite aber uns mit einer gewissen Befriedigung erfüllen kann: daß, wenn unsere Freunde eine solche Umhüllung ihrer Arbeit sich geschaffen haben, sie sich sogleich bei den allerersten Versamm­lungen als zu klein erweist. Dieses ist natürlich eine Sache, die zwei Seiten hat; allein, es ist zugleich dasjenige, was unsere Seele mit Zuversicht und Hoffnung für die Tragkraft unserer Bewegung er­füllen kann. Und so lassen Sie mich denn nur ganz kurz bei Ein­tritt in unsere Betrachtung aussprechen, daß auch in diesen Räu­men Segen und Gedeihen blühen mögen der spirituellen Arbeit, die hier verrichtet wird; lassen Sie mich aussprechen den Herzenswunsch, daß diese Arbeit so verlaufen möge, daß sie durch ihre innere Kraft und Gediegenheit haben kann den Segen derjenigen, die als spirituelle Führer über unserer Bewegung wachen. Diesen Segen, wir können ihn nur dann haben, wenn wir in innerer Ehrlichkeit, Wahrhaftig­keit und Aufrichtigkeit nach den großen, geistigen Idealen streben. Dann aber, wenn wir aus diesem Streben heraus in ernstem und wahrem und ehrlichem Geiste hier zusammen arbeiten, dann können wir auch immer sicher sein, daß der Segen derjenigen, die wir nennen die Meister der Weisheit und des Zusammenklingens der Empfin­dungen, über unserer Sache walten. Und so möge denn dieser Segen

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auf uns herabfließen, damit unsere Arbeit etwas werden kann, was den Seelen Kraft und Stärke gibt, damit diese Arbeit einen kleinen Baustein liefere zu dem, was durch die Geisteswissenschaft der ge­samten Menschheitskultur zugeführt werden soll.

Ausgehen, meine lieben Freunde, wollen wir bei unserer heuti­gen Betrachtung von einem Ins-Auge-Fassen desjenigen, was wir unser menschliches Bewußtsein nennen. Was nennen wir denn unser menschliches Bewußtsein? Nun, wir können zunächst dieses Bewußtsein umschreiben. Wir können sagen: Während wir in dem Zustande des Schlafes sind - vom Einschlafen am Abend bis zum Aufwachen am nächsten Morgen -, da ist dieses Bewußtsein nicht in uns. Keiner, der sozusagen seine fünf Sinne beieinander hat -wenn ich diesen Ausdruck gebrauchen darf -, zweifelt daran, daß er auch vorhanden ist, wenn er am Abend beim Einschlafen dies Bewußtsein gewissermaßen verliert. Denn wenn er daran zweifelte, würde er damit die ganz unsinnige Behauptung aufstellen, daß alles, was er innerlich erlebt hat, während des Schlafes verloren-geht und am nächsten Morgen erst wiederum von neuem entsteht. Wer nicht diese unsinnige Anschauung hat, der ist überzeugt da­von, daß er auch während der Zeit des Schlafes existiert. Aber das­jenige ist nicht in ihm, was wir unser Bewußtsein nennen. Wir sind während des Schlafes nicht erfüllt von Vorstellungen, wir sind nicht erfüllt von Trieben, Begierden und Leidenschaften; wir sind nicht erfüllt von Schmerzen und Leiden - denn wenn die Schmer­zen so stark werden, daß sie uns den Schlaf stören, dann bleibt das Bewußtsein eben vorhanden. Derjenige, der unterscheiden kann zwischen Schlafen und Wachen, kann auch wissen, was Bewußt­sein ist. Bewußtsein ist dasjenige, was bei jedem Aufwachen wieder in die Seele hineinkommt; all die Summe von Vorstellungen, Affek­ten, Leidenschaften, Schmerzen und so weiter, das kommt am Mor­gen wieder in die Seele hinein. Wodurch ist dieses Bewußtsein ganz besonders charakteristisch beim Menschen? Beim Menschen ist es besonders dadurch charakteristisch, daß alles, was der Mensch in

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seinem Bewußtsein haben kann, gewissermaßen begleitet ist von dem Gefühl, von der Empfindung, von dem Erlebnis des Ich; und eine Vorstellung, bei der Sie nicht wenigstens denken könnten:

ich stelle sie mir vor; eine Empfindung, bei der Sie nicht denken könnten: ich empfinde; ein Schmerz, bei dem Sie nicht sagen könn­ten: mich schmerzt er, das würde nicht ein wirkliches inneres Erleb­nis Ihrer Seele sein. Alles was Sie erleben, muß mit der Ich-Vor­stellung verknüpft sein. Das ist es auch. Dennoch wissen Sie, daß dieses Verknüpftsein mit der Ich-Vorstellung - wir haben das öfter schon besprochen - in einem gewissen Zeitpunkt des Lebens erst beginnt. In der Zeit so um das dritte Jahr herum, da beginnt erst das Kind ein Erlebnis damit zu verbinden, wenn es nicht mehr sagt: Karlchen oder Mariechen spielt oder spricht und so weiter, sondern: Ich spreche. - So entzündet sich eigentlich erst das Wissen vom Ich im Verlaufe des kindlichen Alters.

Heute wollen wir uns fragen: Wodurch entzündet sich denn all­mählich im Kinde das Wissen vom Ich? Nun können wir gerade bei dieser Frage sehen, daß sozusagen die einfachsten, scheinbar ein­fachsten Sachen nicht so ganz leicht zu beantworten sind, obwohl die Antwort manchmal recht naheliegt. Wie kommt denn das Kind dazu, von dem allgemeinen Ich-losen Bewußtseinszustande zu Ich-erfüll­ten Vorstellungen zu kommen? Wer das kindliche Leben wirklich studiert, der kann erfahren, wie das Kind dazu kommt. Sehen Sie, es gibt eine sehr einfache Beobachtung, die jeder machen kann, die ihn dazu führen kann, sich zu überzeugen, wie das Kind zu dem Ich-Bewußtsein kommt. Es braucht der Mensch nur einmal so recht ernst zu beobachten, wie sich diese Ich-Vorstellung heranbildet und verstärkt. Beobachten Sie einmal ein Kind, wenn es sich sein Köpf­chen an der Tischkante stößt. Wenn Sie das kindliche Leben ge­nauer beobachten, werden Sie finden, daß das Ich-Gefühl gewach­sen ist, nachdem das Kind sich das Köpfchen gestoßen hat. Es hat sich nämlich wahrgenommen. Das trägt dazu bei, daß das Kind sich selbst kennenlernt. Nun braucht es sich bei einer solchen Sache nicht immer zu verletzen, es braucht nicht immer äußere Schram­men dabei zu geben; schon wenn das Kind seine Hände irgendwo

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auflegt, so ist das ein kleiner Stoß, da nimmt sich das Kind an anderen Dingen wahr. Sie werden sich sagen müssen: Das Kind würde nicht zum Ich-Bewußtsein kommen, wenn es sich nicht an der Außenwelt, an dem Widerstand der Außenwelt wahrnehmen würde. Würde das Kind keinen Widerstand erleben, so würde es niemals zum Ich-Bewußtsein kommen. Daß das Kind eine Außen­welt sich gegenüber haben kann, das bildet im Kind allmählich das Ich-Bewußtsein aus. Dann wissen Sie ja, hat das Kind zu einer ge­wissen Zeit seines Lebens dieses Ich-Bewußtsein. Aber dann hört dasjenige nicht auf beim Menschen, was bis dahin stattgefunden hat; nur findet eine Umkehrung statt. Das Kind hat das Ich-Be­wußtsein ausgebildet, indem es die äußeren Gegenstände als außer sich befindlich wahrnimmt, sich also davon trennt. Wenn dieses Ich-Bewußtsein einmal da ist, stößt es sich noch immer an etwas, muß es sich noch immerfort stoßen. Wo stößt es sich denn? Was mit nichts in Berührung kommt, kann von sich selber nichts wissen, wenigstens nicht innerhalb unserer Welt, soweit wir in der Welt leben. Sehen Sie, von dem Zeitpunkt an, wo das Ich-Bewußtsein da ist, da stößt sich das Ich an der eigenen inneren Leiblichkeit, da fängt das Ich an, nach innen zu leben; da fängt das Ich an, sich an dem eigenen Leib nach innen zu stoßen. Sie brauchen ja nur daran zu denken, wenn Sie sich das vorstellen wollen, daß das Kind an jedem Morgen aufwacht. Das ist ein Hineingehen des Ich und des astralischen Leibes in den physischen und den Ätherleib, da stößt sich das Ich an dem physischen und dem Ätherleib. Ja, denken Sie, wenn Sie schon mit der Hand in das Wasser greifen und das Wasser durchmessen, so haben Sie überall einen Wider­stand, wo Sie sich mit dem Wasser berühren. So ist es, wenn das Ich heruntertaucht am Morgen und sich von seinem Innenleben umspült findet. Aber während des ganzen Lebens ist dieses Ich ein-gesenkt in diesen physischen und Ätherleib und stößt sich an allen Seiten an diesen Leibern. Wenn Sie mit der Hand im Wasser her­umplätschern, werden Sie die Hand von allen Seiten gewahr; so ist es, wenn das Ich heruntertaucht in den Ätherleib und den phy­sischen Leib und sich stößt auf allen Seiten innerhalb dieser Leiblichkeit.

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Und dies geschieht das ganze Leben hindurch. Das ganze Leben hindurch muß der Mensch mit jedem neuen Aufwachen am Morgen untertauchen in seinen physischen Leib und seinen Äther-leib, und dadurch, daß er so untertaucht, geschehen fortwährend Zusammenstöße von dem physischen Leib und dem Ätherleib auf der einen Seite und dem astralischen Leib und dem Ich auf der an­deren Seite. Was ist die Folge davon? Die Folge davon ist, daß die­jenigen Wesenhaftigkeiten, die da zusammenstoßen, abgenutzt wer­den. Es geht dem Ich und dem astralischen Leib auf der einen Seite und dem ätherischen und dem physischen Leib auf der anderen Seite genauso, wie wenn Sie fortwährend zwei Körper aufeinander schlagen. Sie nützen sich ab; und dieses Abnützen, das ist das all­mähliche Älterwerden, Abgebrauchtwerden, das beim Menschen im Verlaufe des Lebens eintritt, und das ist auch der Grund, warum wir überhaupt physisch sterben. Denken Sie einmal: wir hätten keinen physischen, keinen Ätherleib, dann könnten wir auch unser Ich-Bewußtsein nicht aufrechterhalten. Wir würden zwar in die Lage kommen, das Ich-Bewußtsein zu entwickeln, aber wir könnten es nicht aufrechterhalten. Denn wir müssen uns immer nach innen stoßen, wenn es aufrechterhalten werden soll in unserem Bewußt­sein. Daraus folgt nichts Geringeres als die außerordentlich bedeut­same Tatsache, daß wir von der Zerstörung unserer Wesenheit die Entwickelung unseres Ich haben. Könnten wir nicht zusammen­stoßen mit den Gliedern unserer Wesenheit, so könnten wir kein Ich-Bewußtsein haben. Ja, wenn der Mensch fragt, wozu ist Zer­störung da, Altern da, Tod da, da muß man ihm antworten: Zer­störung, Altern, Tod ist dazu da, daß der Mensch, indem er zer­stört, sich entwickelt, nämlich das Ich-Bewußtsein immer weiter entwickelt. Könnten wir nicht sterben - das ist der radikale Aus­druck dafür -, so könnten wir nicht wahrhaft Menschen sein. Wenn wir aber diese Tatsache in ihrer vollen Bedeutung auf unsere Seele wirken lassen, dann kann uns folgender Gedanke kommen, den uns der Okkultismus beantworten kann, nämlich der Gedanke:

Als Menschen brauchen wir doch, wenn wir leben wollen, immer physischen Leib, Ätherleib, astralischen Leib und Ich. So wie wir

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im gegenwärtigen menschlichen Leben sind, müssen wir sagen, wir brauchen diese vier Glieder; damit wir aber das Ich-Bewußtsein erlangen können, müssen wir sie zerstören. Wir müssen sie immer wieder bekommen, damit wir sie immer wieder zerstören. Darauf beruht die Notwendigkeit der wiederholten Erdenleben, um die Möglichkeit zu haben, immer aufs neue die menschlichen Leiber zu zerstören und uns dadurch gerade als bewußte Menschheitswesen weiter zu entwickeln.

Nun haben wir in dem Erdenleben nur ein einziges menschliches Glied, an dessen Entwickelung wir wirklich arbeiten können, das Ist unser Ich. An der Entwickelung unseres Ich können wir in einer gewissen Weise arbeiten. Was heißt nun, im geistigen Sinne, an der Entwickelung seines Ich arbeiten? Wenn wir diese Frage be­antworten wollen, müssen wir uns klar darüber sein, was die Arbeit am Ich notwendig macht. Nehmen wir an, ein Mensch geht auf den anderen los und sagt ihm: Du bist ein schlechter Mensch. Wenn das nicht stimmt, so hat der Betreffende eine Unwahrheit gesagt. Was bedeutet eine solche Aussage des Ich, die eine Un­wahrheit ist? Ja, diese Aussage des Ich, die eine Unwahrheit ist, die bedeutet, daß von dem Zeitpunkt an das Ich weniger wert gewor­den ist. Das ist die objektive Bedeutung der Unmoralität. Wir sind mehr wert vor dem Augenblick, wo wir eine Unwahrheit gesagt haben, als nachher, nachdem wir die Unwahrheit ausgesprochen haben. Und messen Sie alle Räume und alle Zeiten aus: der Wert Ihres Ich wird geringer für alle Räume und alle Zeiten, für alle Unendlichkeit und alle Ewigkeit, wenn Sie ihn durch eine solche Sache geringer gemacht haben. Nun steht uns aber während des Lebens zwischen Geburt und Tod eines zur Verfügung, sozusagen. Wir können dasjenige, was wir so beigetragen haben, um unser Ich weniger wertvoll zu machen, das können wir immer verbessern, wenn wir unsere Lüge überwinden können. Wir können demjeni­gen, zu dem wir gesagt haben: Du bist ein schlechter Mensch, ge­stehen: Ich habe mich geirrt, es ist nicht richtig, was ich gesagt habe, und so weiter. Dann haben wir unserem Ich den Wert wiedergege­ben, dann haben wir den Schaden, den wir unserem Ich zufügten,

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wieder ausgeglichen, dann haben wir bewirkt, daß das, was wir ihm zugefügt haben, wiederum ausgeglichen ist. So haben wir es für viele Dinge, die unser Ich berühren, in der Hand, während unseres Lebens noch einen Ausgleich zu schaffen, das, um was das Ich unvollkommen wird, zu verbessern. Wenn es zum Beispiel zu unserer Aufgabe gehört, irgend etwas zu wissen, und wir haben es vergessen, so ist unser Ich weniger wert; wenn wir uns aber bemühen, können wir es wieder in die Erinnerung bringen. Das Ich hat vorher weniger Wert; wenn wir es wieder in die Erinnerung gebracht haben, dann haben wir den Schaden ausgeglichen. Also:

Wir können dieses Ich weniger wertvoll machen; wir können es aber auch wiederum immer wertvoller machen. - Sehen Sie, diese Fähigkeit, sozusagen zu revidieren ein Lebensglied, ein Mensch­heitsglied von uns, daß wir seine Fehler korrigieren, daß wir es vorwärts bringen, diese Fähigkeit haben wir in bezug auf das Ich.

Das Bewußtsein des Menschen erstreckt sich aber nicht unmittel­bar auf das astralische Sein, auf das ätherische und noch viel weni­ger auf das physische Sein. Dennoch ist das ganze Leben ein fort­währendes Zerstören dieser drei Glieder, aber wir haben kein Wis­sen, wie man das immer wieder ausbessert. Darüber ist der Mensch Herr, wie man das Ich ausbessert, wie man ausgleicht einen mora­lischen, einen Gedächtnisdefekt; über dasjenige aber, was da der Mensch fortwährend zerstört in seinem astralischen, ätherischen und physischen Leib, darüber ist er nicht Herr. Trotzdem wird fort­während diese Dreiheit verschlechtert, und wenn wir so hinleben, führen wir fortwährend Attacken aus gegen unsere drei Mensch­heitsglieder, astralischer Leib, ätherischer Leib und physischer Leib. An dem Ich arbeiten wir. Ja, wenn wir an unserem Ich nicht arbei­ten würden unser ganzes Leben lang zwischen Geburt und Tod, so würde es eben nicht weiterkommen. Nun aber, an dem astralischen Leib, an dem Ätherleib und an dem physischen Leib kann der Mensch nicht so bewußt arbeiten wie an seinem Ich. Dennoch muß das­jenige, was der Mensch da fortwährend zerstört, wieder ersetzt werden. Der Mensch muß in der Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt in der richtigen Art wiederum zusammengestellt

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bekommen als astralischen Leib, Ätherleib und physischen Leib, was er zerstört hat; es muß möglich sein, daß wir in dieser Zeit hergestellt bekommen das, was wir vorher im Leben zerstört haben:

den astralischen Leib, den Ätherleib und den physischen Leib. Das kann aber nur dadurch geschehen, daß etwas an uns arbeitet, was nicht in unserer Hand liegt. Das ist ja ganz offenbar, daß Sie es, wenn Sie nicht besondere magische Kräfte zur Verfügung haben, nicht in Ihrer Gewalt haben, sich einen astralischen Leib zu ver­schaffen, wenn Sie verstorben sind. Das muß dem Menschen aus der großen Welt, aus dem Makrokosmos geschaffen werden.

Da begreifen Sie jetzt die Frage: Ja, woher wird denn das wie­derum hergestellt, was wir zum Beispiel an unserem astralischen Leib zerstört haben? Wir müssen ja einen richtigen Leib haben, wenn wir wiedergeboren werden zu einem neuen leiblichen Dasein. Wo sind die Kräfte zu finden im Weltenall, die den astralischen Leib wieder herstellen? Sehen Sie, diese Kräfte können Sie suchen mit allen möglichen hellseherischen Künsten auf der Erde, Sie fin­den sie auf der Erde nicht. Und wenn es bloß auf die Erde ankäme, so könnte dem Menschen nie wieder sein astralischer Leib her­gestellt werden. Die materialistische Weltanschauung, die da glaubt, alle Menschheitsbedingungen seien auf der Erde zu finden, irrt ganz gewaltig. Der Mensch hat seine Heimat nicht bloß auf der Erde. Das zeigt uns die wirkliche Betrachtung des Lebens zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, daß die Kräfte, die der Mensch braucht, um seinen astralischen Leib wieder herzustellen, bei Mer­kur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn liegen, bei den Sternen unseres Planetensystems liegen. Was von diesen Sternen ausgeht an Kräf­ten, das muß alles arbeiten an der Wiederherstellung unseres astra­lischen Leibes; und wenn wir von da nicht herbekommen die Kräfte, so können wir einen astralischen Leib nicht erhalten. Was heißt denn das aber? Das heißt nichts anderes, als daß wir nach dem Tode oder auch bei einer Initiation mit den Kräften unseres astralischen Leibes herausdringen müssen aus dem physischen Leib. Und dieser astralische Leib dehnt sich hinaus ins Weltenall. Während wir sonst nur an einer Stelle dieses Weltenalls auf einen kleinen Punkt zusammengedrängt

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sind, dehnt sich unser ganzes Wesen nach dem Tode hinaus in den ganzen Kosmos. Tatsächlich ist unser Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt nichts anderes als ein Aus-den-Sternen-Heraussaugen derjenigen Kräfte, die wir brauchen, damit diejenigen Glieder, die wir zerstört haben während des Le­bens, wieder hergestellt werden können. Also aus den Sternen emp­fangen wir wirklich dasjenige, was uns unseren astralischen Leib wieder herstellt.

Auf dem Gebiete, das man im wahren Sinne des Wortes Okkul­tismus nennt, auf diesem Gebiete ist die Forschung eine sehr schwie­rige, eine komplizierte. Nicht wahr, es ist schon so, daß derjenige, der ganz gesunde Augen hat, wenn Sie ihn, sagen wir, in eine Gegend schicken in die Schweiz, und er stellt sich dann auf einen sehr hohen Berg hinauf und er kommt zurück, so wird er Ihnen eine Schilderung geben, die den Tatsachen entspricht. Aber Sie können sich ganz gut vorstellen, wenn er ein zweites Mal nach dieser Gegend geht und wiederum auf denselben Berg steigt, viel­leicht etwas höher, so wird er das, was er so sieht, von einem ande­ren Gesichtspunkte aus beschreiben. Und man wird durch die Be­schreibung von verschiedenen Gesichtspunkten aus einen immer vollständigeren, einen immer richtigeren Begriff von der Bergland-schaft bekommen. Man glaubt nun, wenn einer einmal hellsichtig geworden ist, dann wisse er alles. So einfach ist die Sache nicht. Hier, in der geistigen Welt, handelt es sich auch immer um ein Forschen von Stück zu Stück. Und auch bei Dingen, die genau unter­sucht worden sind, findet man immer Neues und Neues. Nun war es gerade meine Aufgabe in den letzten zwei Jahren, das Kapitel des Lebens zwischen dem Tode und einer neuen Geburt wiederum genauer zu untersuchen und nachzuprüfen, und von diesen neuer­lichen Prüfungen möchte ich Ihnen hier einiges erzählen.

Natürlich müssen Sie bei einer solchen Sache sich klar sein, daß richtiges Verständnis dafür nur derjenige haben kann, der etwas tiefer sich hineinfühlen kann in eine solche Sache, der überhaupt Herz und Sinn hat für solche Betrachtung. Man kann nicht ver­langen, daß alles an einem Abend belegt und bewiesen wird. Aber

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wenn man wirklich in Geduld alles vergleicht und zusammenhält, was gesagt worden ist im Laufe der Zeit, so wird man finden, daß nirgends ein Stück ist in unserem Okkultismus, das sich nicht mit den anderen zu einem wohlabgerundeten Ganzen geschlossen in sich zusammenfügt. Gerade diese Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt zu untersuchen, oblag mir in der letzten Zeit. Und das trat so ganz besonders zutage in diesen Forschungen, die mir in der neueren Zeit aufgetragen waren, das lag so ganz im Sinne dieser Forschung, die Bedingungen, die bestehen für dieses ganze Leben zwischen einem Tode und einer neuen Geburt, ins geistige Auge zu fassen. Da zeigt sich eben wirklich, daß der Mensch, so wie er auf der Erde zwischen Geburt und Tod gleichsam auf seinen kleinsten Raum zusammengezogen ist, sozusagen immer mehr über diesen kleinsten Raum hinaustritt, wenn er diesen phy­sischen Leib ablegt. Indem er durch die Pforte des Todes tritt, dehnt er sich immer weiter und weiter hinaus, er wächst und wächst. Er wächst stückweise in das Planetensystem hinein. Er wächst wirklich erst bis zu der Stelle in unserem Planetensystem, wo der Mond kreist. Und der Mensch wird so groß, daß seine äußersten Grenzen zusammenfallen mit der Sphäre, die durch die Stellung des Mondes markiert ist. Da hört das Kamaloka auf. Wenn der Mensch dann weiter wächst, so wächst er zunächst hinein in die Sphäre, die gebil­det ist durch den Merkur, dann in die der Venus. Da wird tatsäch­lich der Mensch, indem er sich immer weiter und weiter ausdehnt, immer mehr und mehr wächst, da wird er so groß, daß sein Äußer­stes durch die Sonnenbahn begrenzt ist, das heißt, wo man sagt, daß die scheinbare Sonnenbahn ist. Wir brauchen uns dabei nicht um das Kopernikanische Weltensystem zu kümmern; wir brauchen uns nur vorzustellen die Umkreise so, wie das ausgesprochen ist im Düsseldorfer Zyklus über die geistigen Hierarchien und ihre Wider-spiegelung in der physischen Welt. Also der Mensch wächst in das Planetensystem hinein bei seinem Aufstieg in die geistigen Welten, in die Sphäre des Mondes und so weiter bis in die äußerste Sphäre, in die des Saturn hinein. Und das alles ist notwendig, damit der Mensch in der richtigen Weise zusammenkommt mit den Kräften,

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die er für seinen astralischen Leib nur aus den Kräften des Planeten-systems erhalten kann.

Aber nun stellt sich eine Verschiedenheit heraus, wenn man ver­schiedene Menschen beobachtet. Die Verschiedenheit ergibt sich, wenn man zum Beispiel einen Menschen beobachtet nach dem Tode, der sein Leben hindurch in seinem Gemüte eine moralische, gute Stimmung hervorgerufen hat, der eine moralische Seelenverfassung durch den Tod hindurchträgt. Man kann einen solchen vergleichen mit einem, der eine weniger moralische Seelenverfas­sung durch die Pforte des Todes trägt; das macht einen großen Unterschied und dieses zeigt sich schon, indem der Mensch in die Kräfte des Merkur eintritt. Wie zeigt sich das? Nun, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes gegangen ist, so nimmt er durch jene Wahrnehmungsmittel, die wir dann haben nach der Kamalokazeit, zum Beispiel die Wesenheiten wahr, die ihm im Leben nahegestanden haben, die weggestorben sind, ehe er selbst die Pforte des Todes durchschritten hat. Sind diese mit ihm ver­bunden? Gewiß, wir kommen mit allen diesen Wesenheiten zusam­men, wir leben mit ihnen auch im Leben nach dem Tode. Aber es ist ein Unterschied, wie wir leben mit den Wesenheiten, mit denen wir gelebt haben auf der Erde. Es ist ein Unterschied, je nachdem der Mensch eine moralische Seelenverfassung durch den Tod bringt oder ob er eine unmoralische Seelenverfassung hat. Wenn der Mensch unmoralisch gewesen ist im Leben, dann kommt er zwar zusammen mit seinen Familienangehörigen und Freunden, aber es ist immer durch seine eigene Wesenheit etwas geschaffen wie eine Mauer, durch die er nicht hindurch kann bis zu den anderen Wesen. Und es wird der Mensch mit einer unmoralischen Seelenverfassung nach dem Tode ein Einsiedler, ein einsames Wesen, das überall etwas wie eine Mauer um sich hat und nicht hinüber kann zu den Wesen, in deren Sphäre er versetzt ist. Die Seele aber mit einer moralischen Seelenverfassung, die Seele mit solchen inneren Vor­stellungen, die wir haben, wenn wir unseren Willen läutern, die wird sozusagen ein geselliger Geist und findet immer die Brücken und Zusammenhänge mit den Wesen, in deren Sphäre sie lebt. Ob

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wir einsame oder gesellige Geister sind, das entscheidet sich nach unserer unmoralischen oder moralischen Seelenverfassung. Diese Entscheidung hat etwas sehr Wichtiges im Gefolge. Derjenige, der ein geselliger Geist ist und nicht wie in die Schale seiner Wesenheit eingeschlossen ist, sondern heran kann an die Wesen seiner Sphäre, dieser Mensch arbeitet fruchtbar an der Fortentwickelung, an dem Fortschritt der ganzen Welt; der unmoralische Mensch, der nach dem Tode ein Einsiedler, ein einsamer Geist wird, der arbeitet an der Zerstörung der ganzen Welt; der reißt ebensogroße Löcher aus der ganzen Welt heraus, so groß wie der Grad seiner Unmoralität, seiner Abgeschlossenheit ist. Die Wirkung der unmoralischen Taten eines solchen Menschen ist für ihn eine Qual, für die Welt eine Zerstörung.

Die moralische Seelenverfassung hat also eine große Bedeutung schon nach den ersten Zeiten im Kamaloka; sie entscheidet unser Schicksal auch für die nächste Zeit, die man die Venus-Zeit nennt. Es kommen aber noch anoere Vorstellungen in Betracht, die der Mensch ausgebildet hat während des Lebens und die ihn angehen, wenn er in die geistige Welt eintritt. Diese anderen Vorstellungen sind die religiösen Vorstellungen. Anders lebt die Seele in der Venus-Sphäre nach dem Tode, wenn sie ein religiöses Band gehabt hat zwischen dem Vergänglichen und dem Unvergänglichen, und anders lebt sie, wenn sie dieses Band nicht gehabt hat. Wiederum hängt es davon ab, ob wir gesellige Geister werden oder einsame, einsiedlerische Geister, je nachdem wir religiös gestimmt waren im Leben oder nicht. Das Abschließen im Leben, das religiöse Ab­schließen im Leben macht uns zu Einsiedlern, zu ungeselligen Gei­stern. Wie wenn wir in eine Kapsel eingeschlossen wären, wie in einem Gefängnis fühlt sich eine solche unreligiöse Seele. Wir wis-sen zwar, daß außer uns die Wesen sind, aber wir sind wie in einem Gefängnis, in einer Kapsel, so daß wir nicht zu ihnen gelangen können. So werden zum Beispiel die Mitglieder des Monisten­bundes, insofern sie in ihren öden materialistischen Vorstellungen jedes religiöse Gefühl ausgeschlossen haben, nicht nach dem Tode in einer neuen Gesellschaft, in einem Bund vereinigt sein; sie werden

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ein jeder in seinem eigenen Gefängnis eingesperrt sein. Damit soll natürlich nichts gegen den Monistenbund gesagt sein; es soll damit nur eine Tatsache begreiflich gemacht werden.

Hier im Leben sind materialistische Vorstellungen ein Irrtum, im Reiche des Geistes sind sie eine Tatsache, nämlich die Tatsache, daß wir uns durch solche Vorstellungen, durch die wir uns hier im Phy­sischen nur irrtümlich abschließen, uns dort im Geisterland ein-kerkern, uns zu Gefangenen machen unserer eigenen Astralität. -Wir entziehen uns die Anziehungskräfte in der Merkursphäre durch unmoralische Lebensverfassung; wir entziehen uns die Anziehungs­kräfte in der Venus-Sphäre durch irreligiöse Seelenverfassung; wir können die Kräfte, die wir brauchen, nicht herausbekommen aus dieser Sphäre, das heißt, wir bekommen dann in der nächsten In­karnation einen in einer gewissen Art unvollkommenen astra­lischen Leib.

Hier sehen Sie, wie an dem Karma gebaut wird, hier sehen Sie die Technik des Karma. Wenn man diese Tatsache der okkulten Forschung nimmt, dann beleuchtet sich einem in einer merkwürdi­gen Weise solch ein Ausspruch, der wie instinktiv von Kant gemacht worden ist. Als er sagen wollte, welche zwei Dinge ihm am meisten Bewunderung einflößen, da sagte er: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. - Scheinbar sind es zwei Dinge, in Wahrheit aber ist es eines und dasselbe. Ja, warum über­kommt uns ein solches Gefühl der Erhabenheit, des göttlichen hei­ligen Ernstes, wenn wir in die Weiten des Sternenhimmels hinauf-schauen? Weil dann, ohne daß wir es wissen, unser seelisches Hei­matgefühl erwacht; weil dann in der Seele erwacht das Gefühl:

Bevor du heruntergestiegen bist auf die Erde zu einer neuen In­karnation, da warst du selber in diesen Sternen, und aus diesen Sternen hast du die besten Kräfte in dich hineinbekommen. Und dein moralisches Gesetz, es ist dir verliehen worden, als du in dieser Sternenwelt weiltest. Du kannst dasjenige, was der Sternenhimmel zwischen dem Tode und einer neuen Geburt dir gegeben hat, als die besten, schönsten Kräfte deiner Seele erschauen, wenn du Selbst­erkenntnis übst. - Was wir im Sternenhimmel erblicken, ist das

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moralische Gesetz, das uns aus geistigen Welten gegeben ist, denn wir leben mit dem Sternenhimmel zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Wer sich in die Möglichkeit versetzen will, eine Ahnung zu bekommen, woher seine besten Kräfte stammen, der sollte mit solchen Gefühlen den Sternenhimmel betrachten. Wer überhaupt nicht fragen will, sondern stumpfsinnig in den Tag hineinlebt, dem werden die Sterne nichts erzählen. Wer sich aber die Frage aufwirft: Wie kommt dasjenige, was niemals mit meinem Sinnenleib zusammenhängt, wie kommt es in mich? Wenn er dann den Blick zum Sternenhimmel erhebt und ihn jenes eigentümliche Gefühl überkommt; wenn er dann spüren kann, wie er fromm wer­den kann, dann weiß er: es ist die Erinnerung an unsere ewige Hei­mat. So wächst man allmählich hinein in jenen Zustand, wo wir wirklich zusammenleben mit dem Sternenhimmel zwischen dem Tode und einer neuen Geburt.

Wir fragten, so wie wir bisher gefragt hahen, nach unserem astralischen Leib mit seinen Zusammenhängen, seinem Wiederauf­bau in der geistigen Welt. Dieselbe Frage können wir in bezug auf unseren Ätherleib aufwerfen. Auch ihn müssen wir unser ganzes Leben hindurch zerstören; aber ebenso müssen wir von woanders her die Kräfte holen, damit wir ihn wieder aufbauen können, da­mit wir ihn in den Stand setzen, seine Arbeit während des Lebens für den ganzen Menschen zu leisten.

Ja, es gab lange Zeiträume in der menschlichen Erdenentwicke­lung, da konnte der Mensch überhaupt gar nichts tun, um irgend etwas dazu beizutragen, daß sein Ätherleib in der nächsten In­karnation mit guten Kräften ausgestattet war. Aber es hatte der Mensch dazumal noch eine Erbschaft aus den Zeiten, wo er auf der Erde entstanden ist. Solange das alte Hellsehen dauerte, waren in dem Menschen noch solche Kräfte, die beim Tode noch unver­braucht vorhanden waren, gewissermaßen Reservekräfte, durch die der Ätherleib wieder aufgebaut werden konnte. Aber das ist der Sinn der Menschenentwickelung, daß alle Kräfte schwinden und durch neue ersetzt werden müssen. Und heute sind wir wirklich in einem Entwickelungspunkte, wo der Mensch etwas dazu tun muß,

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damit sein Ätherleib wieder aufgebaut werden kann. Durch alles dasjenige, was wir mit den gewöhnlichen moralischen Vorstellun­gen tun, was wir tun mit irgendeiner Religion der Erde, mit einer Religion, die auf ein einzelnes Volk der Erde beschränkt ist, gehen wir allerdings in das Planetensystem und ziehen aus dem Planeten­system die Kräfte, die wir zum Wiederaufbau des astralischen Leibes brauchen; nur durch eines gehen wir durch, ohne daß wir die rich­tigen Kräfte herausziehen: durch die Sonne selbst. Denn aus der Sonne muß zugleich unser Ätherleib die Kräfte ziehen; unser äthe­rischer Leib muß aus der Sonne die Kräfte ziehen, die er zu seinem Wiederaufbau braucht.

In den vorchristlichen Zeiten, da war es so, daß der Mensch, indem er sich hinaufentwickelte in die geistige Welt, einen Teil der Kräfte des Ätherleibes mitnahm, und diese Reservekräfte ließen ihn aus der Sonne herausziehen dasjenige, was er zum Wiederauf­bau seines Ätherleibes in einer neuen Inkarnation brauchte. Das ist jetzt anders: der Mensch bleibt jetzt immer mehr und mehr un­berührt von den Kräften der Sonne. Wenn er nicht das Entspre­chende dazu tut, daß sein ätherischer Leib sich so vorbereitet, daß er in die Seele das hineingießt, was aus der Sonne herausziehen kann die Kräfte, die er braucht zum Wiederaufbau seines Äther­leibes, so geht er unberührt durch die Sonnensphäre hindurch.

Nun kann uns das, was wir fühlen können aus einem einzelnen Religionsbekenntnis der Erde, niemals in der Seele das geben, was wir brauchen, um in der Sonnensphäre bestehen zu können. Das­jenige, was wir in unseren Ätherleib hineingießen können, das­jenige, was wir dann brauchen in der Seele, damit sie fruchtbar durchlaufen kann die Sonnensphäre, das kann uns nur werden aus dem Gemeinsamen, das in allen menschlichen Religionen fließt. Und was fließt darin? Nun, wenn Sie die verschiedenen Religionen der Welt vergleichen - und dies ist ja eine der bedeutsamsten Auf­gaben der geisteswissenschaftlichen Arbeit, den Wahrheitskern der verschiedenen Religionen wirklich zu studieren -, wenn Sie sie alle miteinander vergleichen, so werden Sie eines finden. Sie werden finden, daß diese Religionen immer in ihrer Art vollkommen waren ,

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aber gerade auf ein bestimmtes Volk, auf eine bestimmte Zeitepoche hin; daß sie diesem Volk, dieser Zeitepoche das Bedeutsamste ge­geben haben, was diese Zeit erhalten konnte. Und wir wissen im Grunde genommen am meisten über eine Religion da, wo diese Religionen gerade haben dienen können ihrer Zeit und ihrem Volke dadurch, daß sie sich abgeschlossen haben in einer gewissen egoisti­schen Weise so, wie sie aus dem großen Urquell des Lebens ge­geben waren.

Wir haben ja schon seit mehr als zehn Jahren die Religionen studiert; aber es mußte einmal der Anfang gemacht werden damit, der Menschheit etwas zu geben, das über die einzelnen Religionen hinausgeht, das gleichsam alles das enthält, worauf die einzelnen Religionen hingewiesen haben. Wodurch kam das zustande? Das kam dadurch zustande, daß einmal eine Religion auftrat, die eine unegoistische Religion ist. Ihre Vollkommenheit beruht gerade darin, daß sie sich nicht bloß auf ein Volk und auf eine Zeit beschränkte. Eine im eminentesten Sinne egoistische Religion ist zum Beispiel die Hindu-Religion. Denn wer kein Hindu ist, kann nicht aufgenommen werden in diese Religion. Diese Hindu-Reli­gion ist also in besonderem Sinne zugeschnitten auf das Hinduvolk. Ebenso ist es mit den anderen Territorialreligionen. Darauf beruht die Größe der einzelnen Religionsbekenntnisse, daß sie für die ein­zelnen irdischen Verhältnisse zugeschnitten waren. Wer das nicht ins Auge faßt, daß die Religionen gerade darin ihre Vollkommen-heit haben, daß sie auf einzelne irdische Verhältnisse sich beschrän­ken, wer nur immer betont, daß alle Religionssysteme aus einer Einheitsquelle gekommen sind, der kann nie zu einer Erkenntnis kommen.

Was heißt es denn, nur immer von der Einheit zu sprechen? Das heißt zum Beispiel, jemand sagt: Auf dem Tische stehen Salz und Pfeffer und Paprika und Zucker, aber nicht was jedes für sich bedeutet, wollen wir hervorheben, sondern die Einheit suchen wir, die sich ausdrückt in den verschiedenen Gewürzen, Pfeffer, Salz, Paprika und Zucker. - Reden kann man so über diese Dinge, aber wenn es sich darum handelt, von dem Reden zur Wirklichkeit

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überzugehen, wenn es darauf ankommt, die verschiedenen Gewürze jedes für sich in seiner Eigenart anzuwenden, wird man den Unter­schied schon gewahr werden. Da wird niemand, wenn er die ver­schiedenen Gewürze anwendet, sagen, daß sie alle ohne Unterschied Gewürz seien. Denn wenn wirklich kein Unterschied ist, dann neh­men Sie einmal das Salz oder den Pfeffer und tun diese statt Zucker in Ihren Kaffee oder Tee; da werden Sie den Unterschied schon spüren. Denselben logischen Schnitzer macht jemand, der nicht wirklich die einzelnen Religionsbekenntnisse trennt, sondern sagt: sie kommen alle aus derselben Quelle.

Aber wenn man kennen will, wie das lebendige Band sich durch die verschiedenen Religionen hindurchzieht auf ein großes Ziel hin, dann muß man dieses Band kennenlernen, dann muß man die Religionen in ihrem ,Wert für die einzelnen Sphären wirklich stu­dieren. Das ist geschehen seit mehr als zehn Jahren innerhalb unserer mitteleuropäischen Sektion der Theosophischen Gesell­schaft; aber es ist dann einmal der Anfang gemacht worden, eine Art von Religion zu gewinnen für etwas, was nichts zu tun hat mit den menschlichen Unterschieden, was nur mit dem Mensch­lichen etwas zu tun hat, das ohne Unterschied von Farbe und Rasse und so weiter ist. Worin drückt sich das aus? Haben wir in Wahr­heit eine nationale Religion, wie sie die Hindu oder die Juden haben? Wenn wir den Wotan verehren würden, dann wären wir in der Lage, in der die Hindu sind. Wir verehren aber nicht den Wotan. Das Abendland hat sich zum Christus bekannt, der kein Abend-länder ist, der ein Auswärtiger ist in bezug auf seine Abstammung. Nicht eine national-egoistische Art, sich an ein Bekenntnis zu bin­den, ist die Art, wie das Abendland sich zum Christus gestellt hat. Wir können das hier berührte Gebiet im Rahmen eines einzelnen Vortrages natürlich nicht erschöpfend behandeln; immer können nur einzelne Gesichtspunkte angeführt werden. Angeführt werden sollte, daß die Art, wie sich das Abendland sein Religionsbekennt­nis angeeignet hat, eine absolut unegoistische gewesen ist Auch in einer anderen Art zeigt sich das Überwiegende des Christus-Prinzipes. Rufen Sie zusammen einen ernsten Kongreß, zusammengesetzt

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von Religionsgelehrten der verschiedenen Religionsbekennt­nisse, die sich bemühen sollen, die einzelnen Religionssysteme un­parteiisch miteinander zu vergleichen. Die Frage möchte ich ihnen stellen, ob es in demselben Sinne in irgendeiner Religion etwas gibt, was über die ganze Erde hin Gültigkeit hat wie das Folgende: daß wir eine und dieselbe Bemerkung haben, die von zwei Seiten herkommend etwas ganz Verschiedenes bedeutet, wie im Christentum. Es ist eine tiefe Bemerkung im Evangelium, die da der Christus Jesus macht, in­dem er sagt zu denen, die er lehrte: In euch allen lebt ein Göttliches; seid ihr denn nicht Götter? Er sagt es mit aller Gewalt: «Ihr seid Götter» (Joh. 10, 34). Damit meint der Christus Jesus: Ein Funke liegt in jeder Menschenbrust, der göttlich ist, der angefacht werden muß, so daß man sagen kann: Seid wie die Götter! Zu einer ande­ren, und zwar gerade entgegengesetzten Wirkung führt ein Wort von Luzifer, als er an den Menschen herantritt, um ihn herabzu­ziehen aus dem Götterbereiche, indem er zu den Menschen sagt:

«Ihr werdet sein wie Gott» (I. Mose, 3, 5). Da war der Sinn ganz anders. Der gleiche Ausspruch, der Menschheit zum Verderben, beim Beginn des Herabgehens in den Abgrund; derselbe Ausspruch, ein Hinweis auf unser höchstes Ziel! Das soll man in irgendeinem Religionsbekenntnis in der gleichen Art suchen! Entweder ist das eine oder das andere da; aber es ist nicht beides da. Man forsche

- aber man forsche nur genau - und man wird sehen, wie vieles darin liegt in den wenigen Worten, die jetzt gesagt worden sind. Warum hat das Christentum diese wichtige Sache in sich aufgenom­men? Damit sich zeigt, daß es auf den bloßen Inhalt nicht ankommt, sondern darauf, aus welcher Wesenheit er herkommt. Warum? Weil das Christentum begann, in richtigem Sinne darauf hinzuwei­sen und hinzuwirken, was sein Wesenskern verkündet: Nicht bloß Stammesverwandtschaft ist da, sondern Menschheitsverwandtschaft ist da, etwas, was ohne Unterschied von Rasse, Nationalität und Bekenntnis gilt, etwas, was über alle Rassen und über alle Zeiten herübergreift. Darum ist das Christentum zugleich so intim ver­wandt mit der menschlichen Seele, weil das, was das Christentum geben kann, keiner menschlichen Seele fremd zu bleiben braucht.

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Das geben zwar noch nicht alle Menschen auf der Erde zu. Aber was wahr ist, muß ja doch zuletzt sieghaft sich durchsetzen.

Heute allerdings sind die Menschen noch nicht einmal so weit, einsehen zu können, daß der Buddhist, der Hindu nicht den Christus abzulehnen braucht. Denken Sie doch einmal, was es heißen würde, wenn jemand denkend, tief denkend, auftreten würde und wenn er sagen würde zu uns: Es ist unrecht von euch Christus-Bekennern, wenn ihr besonders von dem Christus sagt: alle Bekenntnisse kön­nen sich in ihm vereinigen, können ihn gleichmäßig als ihr höch­stes Ziel anerkennen. Damit gebt ihr dem Christus den Vorzug. Ihr dürft besonders nicht über den Christus eine solche Behaup­tung aufstellen. - Warum denn nicht? Vielleicht, weil der Hindu verlangen könnte, wir sollten auch seine Lehren allein verehren? Wir wollen nichts nehmen diesen Lehren, die wir wahrhaftig so hoch verehren wie nur irgendein Hindu. Darf der Buddhist sagen:

Ich darf den Christus nicht anerkennen, denn das steht nicht in meinen buddhistischen Schriften? Kommt irgend etwas darauf an, wenn etwas, was wahr ist, nicht in besonderen Schriften steht? Ist es antibuddhistisch, daß man sich zu dem kopernikanischen Welt­system bekennt, obgleich davon nichts in buddhistischen Schriften steht? Darf der Buddhist sagen: Es ist nicht recht, es ist antibuddhi­stisch, daß man sich zu dem kopernikanischen Weltsystem bekennt, denn in meinen Büchern steht nichts von dem kopernikanischen Weltsystem? - Geradeso wie das kopernikanische Weltsystem sind die neueren geisteswissenschaftlichen Forschungsresultate über die Christus-Wesenheit etwas, was von einem Hindu oder Bekenner eines anderen Religionssystems angenommen werden kann; das hat nichts zu tun mit einem Religionsbekenntnis. Wer es ablehnt, was Geisteswissenschaft zu sagen hat über den Christus-Impuls im Ver­hältnis zu den Religionsbekenntnissen, der hat nicht das wahre Ver­ständnis für das, wie man sich zu einem Religionsbekenntnis zu stellen hat. - Vielleicht, meine lieben Freunde, wird noch einmal die Zeit kommen, wo man sehen wird, wie das, was wir über das Wesen des Christus-Impulses und sein Verhältnis zu allen Reli­gionsbekenntnissen und Weltanschauungen zu sagen haben, ebenso

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tief zu unseren Herzen, zu unseren Seelen spricht, wie es sich bemüht, mit einer äußersten Konsequenz bis in die einzelnen Pha­sen zu gehen. - Es ist nicht leicht für den einzelnen, einzusehen, wie versucht wird, die Dinge zusammenzutragen, die zu einem wah­ren Verständnis des Christus-Impulses führen können. Und es braucht der Mensch in seinem gegenwärtigen Zyklus ein Verständ­nis für das, was wir die Christus-Wesenheit nennen. Das Sich-Bekennen zum Christus hat nichts zu tun mit einem einzelnen, sich abschließenden Religionssystem; ein richtiger Christ ist nur der­jenige, der gewohnt ist, einen jeden Menschen anzusehen als sol­chen, der das christliche Prinzip in sich selber trägt; für einen rich­tigen Christen wird das Christliche gesucht in einem Chinesen, einem Hindu und so weiter. - Das wahre Verständnis eines jeden, der sich zum Christus bekennt, beruht darin, daß er sich bewußt wird, daß der Christus-Impuls sich nicht beschränkt auf einen Teil der Erde - ein Irrtum wäre dies. Die Realität ist so, daß seit dem Mysterium von Golgatha wirklich wahr ist, was Paulus schon sagte für die Gebiete, für die er zu sprechen hatte. Paulus hat verkündet:

Christus ist gestorben auch für die Heiden. - Verstehen aber muß die Menschheit, daß der Christus gekommen ist nicht für ein bestimm­tes Volk, für eine bestimmte, beschränkte Zeit, sondern für die gesamte Erdenbevölkerung, für alle. Und dieser Christus, er hat seine Phantomkeime in jede Seele gestreut, und der Fortschritt wird nur darin bestehen, daß die Seelen sich ihrer bewußt werden. Wir arbeiten also nicht nur eine Theorie aus, nicht bloß, daß unser Ver­stand ein paar Begriffe mehr bekommt, wenn wir geisteswissen­schaftlich arbeiten, sondern wir kommen zusammen, daß unsere Herzen und Seelen ergriffen werden. Wenn wir in dieser Art ein Verständnis entgegenbringen dem Christus-Impulse, so wird er es endlich machen, daß alle Menschen auf der Erde zum tiefsten Christus-Verständnis kommen, zum Verständnis des Christus-Wortes:

« Wenn zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, so bin ich mitten unter ihnen. » Die in diesem Geiste zusammen arbeiten, sie finden die Brücke von Seele zu Seele. Das aber wird der Christus-Impuls über die ganze Erde hin machen. Der richtige Christus-Impuls,

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das ist dasjenige, was das lebendige Leben unserer Zweige sein soll. Da kommt dann der Okkultismus und zeigt uns, wenn wir es uns an­gelegen sein lassen dadurch, daß wir etwas fühlen die Realität des Christus-Impulses: dann wird in unsere Seelen etwas hineingesenkt, was sie geeignet macht, den Durchgang zu finden durch die Son­nensphäre, so daß der Ätherleib uns in der richtigen Weise wieder gegeben werden kann in der nächsten Inkarnation. Richtig nehmen wir Geisteswissenschaft erst auf, wenn wir ein tiefgehendes Ver­ständnis der Aufnahme des Christus-Impulses entgegenbringen. Nur so wird unser Ätherleib beim Eintritt in eine neue Inkarnation stark und kräftig sein. Die Ätherleiber werden immer mehr und mehr verkommen, wenn die Menschen nichts wissen von dem Christus und seiner Mission für die ganze Erdenentwickelung. Durch Verständnis der Christus-Wesenheit werden wir diesem Ver­kommen des Ätherleibes entgehen, das macht uns sonnenfähig, sonnenhaft, das macht uns geeignet, daß wir aus dem Gebiete, aus dem der Christus gekommen ist, Kräfte aufzunehmen fähig werden. Seit er da ist, der Christus, kann der Mensch die Kräfte mitnehmen von der Erde, die ihn in die Sonnensphäre führen. Dann können wir zurückgehen auf die Erde und in der nächsten Inkarnation leben die Kräfte, die unseren Ätherleib stark machen. Wenn wir den Christus-Impuls nicht aufnehmen, dann werden die Ätherleiber immer unfähiger und unfähiger, sich ihre erhaltenden, aufbauen-den Kräfte aus der Sonnensphäre mitzunehmen, um hier auf der Erde richtig wirken zu können. Klar sein müssen wir uns, daß das Leben der Erde wirklich abhängt nicht von dem bloßen theoreti­schen Auffassen, sondern von einem gänzlichen Durchdrungensein von dem Ereignis von Golgatha. Das zeigt uns die wahre okkulte Forschung.

Und diese okkulte Forschung zeigt uns weiter, wie wir empfan­gen können, was uns für den physischen Leib vorbereitet. Denn der physische Leib wird uns verliehen durch das, was man nennt das Vater-Prinzip. Aber durch die Eigentümlichkeit, die sich ausdrückt durch das Wort des Christus Jesus: «Ich und der Vater sind Eins» (Joh. 10, 30), werden wir durch den Christus-Impuls auch des Vater-Prinzips

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teilhaftig; das heißt, es führt uns der Christus-Impuls zu­gleich zu den göttlichen Vaterkräften.

Was ist das Beste, das wir gewinnen können aus unserer spiri­tuellen Vertiefung? Man könnte sich vorstellen, daß eine Menschen-seele möglich wäre unter Ihnen, die nachher zur Türe hinausginge und sich sagen würde: Jetzt habe ich eigentlich alles vergessen bis auf alle einzelnen Worte. Es würde dies ein extremer Fall sein, es würde der radikalste Fall sein. Das, meine lieben Freunde, wäre noch nicht einmal der größte Schaden. Denn ich könnte mir den Fall denken, daß so einer, der da hinaustritt auf die Straße, trotz­dem ein Gefühl, eine Empfindung mittrüge, die das Ergebnis ist dessen, was er hier gehört hat, wenn er auch sonst alles vergessen hat. Und dieses Gefühl ist die Hauptsache. Was wir in unserem Gemüt erleben, das ist die Hauptsache. Aber wir können es nicht anders erleben , wenn wir die Worte hören, als dadurch: wir müssen uns ihm hingeben in allen Einzelheiten, damit unsere Gemüter mit dem mächtigen Impulse ausgefüllt werden. Wenn alles dasjenige, was Geist-Erkenntnis uns sein kann, zur Verbesserung unserer Seele beiträgt, dann haben wir das Richtige gewonnen. Und gar, wenn im rechten Sinne durch das, was sich in seinem Gemüte nieder­schlägt durch die Geisteswissenschaft, er fähig wird, nur um ein weniges mehr seine Mitmenschen zu verstehen, dann hat sie an ihm ihr Werk getan. Denn Geisteswissenschaft ist Leben, unmittel­bares Leben. Widerlegt oder bewiesen wird sie nicht durch logische Disputationen. Sie wird durch das Leben bewiesen und gewertet. Und sie wird sich bewähren dadurch, daß sie Menschen finden kann, in deren Seelen sie Eingang findet. Aber was könnte uns mehr erheben, als wenn wir imstande sind zu wissen, daß wir ken­nenlernen die Quelle unseres wahren Lebens zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, unsere Verwandtschaft zu fühlen mit dem ganzen Universum! Was könnte uns mehr bestärken in unseren Pflichten in unserem Leben als das Wissen, daß wir in uns tragen die Kräfte des Universums, zu deren Eingießung wir uns vorberei­ten müssen im Leben, damit sie wirksam in uns werden können, wenn wir wiederum betreten die Welt der Planeten und die Welt

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der Sonne zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Und der, der wirklich begreift die Dinge, die ihm der Okkultismus enthüllen kann über des Menschen Verhältnis zur Sternenwelt, bei dem ist ehrlich das Gebet, das er dann verständnisvoll an die Welt richtet und das etwa so lauten kann: «Je mehr ich mir bewußt werde, wie ich herausgeboren bin aus dem Weltenall, je mehr ich die Verant­wortlichkeit fühle, die Kräfte in mir zu entwickeln, die ein ganzes Weltenall mir gegeben hat, ein um so besserer Mensch werde ich werden können. » Und wer dieses Gebet aus der tief innersten Seele heraus zu beten versteht, der darf auch hoffen, daß es bei ihm ein reales Ideal wird, der darf auch hoffen, daß er durch die Kraft eines solchen Gebetes ein immer besserer und vollkommenerer Mensch werde. So arbeitet bis in die intimsten Tiefen hinein das, was wir durch die wahre Geisteswissenschaft erhalten.

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DIE NEUESTEN ERGEBNISSE OKKULTER FORSCHUNG ÜBER DAS LEBEN ZWISCHEN TOD UND NEUER GEBURT Wien, 3. November 1912

Es ist mir eine große Freude, daß ich heute abend in Ihrer Mitte sein kann gelegentlich meiner Anwesenheit in Wien, die durch anderes notwendig geworden ist.

Sprechen möchte ich zu Ihnen heute abend, meine lieben Freunde, da es ja ein ausnahmsweises Zusammentreffen ist, von einigem, man darf wohl sagen, Intimerem, das sich doch nur besprechen läßt ganz im engen Kreise derjenigen, die schon längere Zeit geisteswissen­schaftlich gearbeitet haben.

Es ist nun so in der okkulten Forschung, daß man eigentlich nicht oft genug gleichsam nachsehen kann, wie es mit den Dingen ist, die ja immer wieder und wieder durchforscht, durchsucht wer­den, von denen immer wieder und wieder verkündet wird, und die, weil sie sich ja in der dem Menschen nicht so leicht zugänglichen, von ihm nicht so leicht faßbaren geistigen Welt befinden, gewissermaßen auch leicht nach der einen oder nach der anderen Richtung hin selbst vom Forscher mißdeutet oder ungenau gesehen werden können; daher muß immer wieder und wieder gewissermaßen nachkontrolliert werden. Gewiß, die Hauptsache der Tatsachen des über­sinnlichen Lebens steht seit Jahrtausenden fest, aber es ist schwie­rig, sie darzustellen. Und deshalb war es mir eine tiefe Befriedi­gung, daß es mir in den letzten Zeiten möglich geworden ist, mich intimer wiederum mit einem Gebiete zu befassen, das auf der Seite des Okkultismus von Wichtigkeit ist: mit dem Gebiete des Lebens zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Gewiß, nicht gerade neue Dinge müssen sich bei einer solchen Gelegenheit zum Durch-forschen herausstellen, aber manches ergibt dann die Möglichkeit, genauer, präziser die Dinge wieder und wieder zu sagen. So möchte ich am heutigen Tage gerade von dieser für die übersinnliche Er­kenntnis so wichtigen Zeit des Menschen, der Zeit zwischen Tod und neuer Geburt, sprechen; nicht so sehr über das nächste Gebiet,

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das ja in den Schriften und auch sonst oft hier zur Sprache gekom­men ist, über das sogenannte Kamaloka-Gebiet, sondern über das­jenige, was sich daran anschließt, über den eigentlichen Aufenthalt des Menschen in der geistigen ,Welt zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Nur ein paar Worte möchte ich dieser Schilderung vorausschicken.

Dasjenige, was zwischen Tod und neuer Geburt liegt, lernt man kennen durch die Initiation, durch die Einweihung oder durch das Durchschreiten der Pforte des Todes. Gewöhnlich nimmt man den Unterschied nicht ernst genug, der besteht zwischen allen Erkennt­nissen, die wir uns aneignen können in bezug auf die sinnliche Welt, in der wir immer mit unseren Sinnen und mit dem Verstande drinnenstehen, und in bezug auf die geistige Welt, in die wir ein­treten entweder durch die Initiation schon in diesem Leibe, in die­sem physischen Dasein, oder ohne diesen Leib, wenn wir durch die Pforte des Todes geschritten sind. Es ist gewissermaßen alles um-gekehrt in dieser geistigen Welt. Zwei Merkmale möchte ich an­führen, welche so recht zeigen können, wie die geistige ,Welt sich ganz bedeutsam unterscheidet von der gewöhnlichen sinnlichen Welt.

Nehmen wir unser Dasein in dieser Sinnenwelt während unseres wachenden Zustandes vom Morgen bis zum Abend. Da sehen wir , daß die Dinge, die wir durch unsere Augen und Ohren wahrneh­men, an uns herankommen; und sozusagen nur die höheren Gebiete des Lebens, die Erkenntnisgebiete, das Kunstgebiet suchen wir auf, die müssen wir tätig an uns heranbringen, da müssen wir mittun -aber das übrige äußere Leben, das uns in Anspruch nimmt, bringt wahrhaftig alles, was auf unsere Sinne und unseren Verstand wir­ken soll, von morgens bis abends an uns heran. Wo wir gehen, auf der Straße, wie wir auch leben, alles und jedes, jeder Augenblick hat seine Eindrücke, und wir tun, mit den angedeuteten Ausnah­men , nichts für das Herbeibringen; sie kommen von selber.

Anders ist es mit dem, was in der physischen Welt durch uns geschieht; da müssen wir tätig sein, da müssen wir von Ort zu Ort schreiten, da müssen wir uns rühren. Das sind die bedeutsamen Kennzeichen des täglichen Lebens, daß das, was sich unserer Erkenntnis

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darbietet, geschieht, ohne daß wir etwas dazu tun. So gro­tesk es ist, im Geistigen ist es umgekehrt. In der geistigen Welt kann man nicht handeln, nicht tätig sein, nicht etwas herbeiführen dadurch, daß man von einem Ort zum anderen geht; man kann auch nichts herbeiführen in der geistigen Welt dadurch, daß man sozusagen Organe rührt, welche analog wären den physischen Hän­den, sondern dasjenige, was vor allen Dingen notwendig ist, damit mit uns etwas geschieht in der geistigen Welt, das ist die absolute Gemütsruhe.

Je ruhiger wir sein können, desto mehr geschieht durch uns in der geistigen Welt, so daß wir also gar nicht sprechen können da­von, daß etwas geschieht in der geistigen ,Welt, wenn wir hasten und treiben, sondern indem wir in aller Gemütsruhe entwickeln eine größere liebevolle Anteilnahme an dem, was geschehen soll, und dann abwarten, wie die Dinge sich entwickeln. Diese Gemüts­ruhe, welche in der geistigen Welt schaffend ist, hat kaum irgend etwas Ähnliches im gewöhnlichen physischen Leben, wohl aber in höheren Gebieten auf dem physischen Plane, im Erkenntnisleben und im Kunstleben. Da haben Sie schon etwas Analoges. Der Künstler kann eigentlich nicht das Höchste, was er vermag, nach seinen Anlagen schaffen, wenn er nicht warten kann, wenn er nicht in aller Gemütsruhe warten kann, bis der rechte Augenblick gekom­men ist, bis die Intuition kommt. ,Wer programmäßig schaffen will, der kann nur minderwertige Produkte zustande bringen. Wer auf irgendeinen äußeren Anlaß hin irgendein Werk, sei es das kleinste, schaffen will, wird es nicht so gut zustande bringen, als wenn er in liebevoller Hingabe und ruhig warten kann auf den Augenblick der Inspiration, wir können auch sagen, auf den Augenblick der Gnade. So ist es auch in der geistigen Welt, da gibt es kein Hasten und Drängen, da gibt es nur Gemütsruhe.

Im Grunde genommen muß es auch so sein bei der Ausbreitung unserer Bewegung. Alle äußere Agitation, alles äußere den Men­schen die Geisteswissenschaft Aufdrängenwollen, führt im Grunde genommen zu nichts. Am besten ist es, wenn wir warten können, bis sich uns im Leben die Menschen zeigen, die in ihrer Seele das

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Bedürfnis haben, etwas zu hören, die sich hinneigen wollen dem Geistigen, und wir sollen gar nicht das Bedürfnis entwickeln, einen jeden an die Geisteswissenschaft heranzubringen. Wir werden die Erfahrung machen, je mehr Ruhe, agitationslose Ruhe wir ent­wickeln können, desto mehr Leute kommen an uns heran, während wir durch eine brüske Agitation die Leute geradezu zurückstoßen werden. Wenn ein öffentlicher Vortrag gehalten wird, geschieht es nur, damit gesagt werde, was gesagt werden muß; wer es aufneh­men will, kann es aufnehmen. Insofern muß unser ganzes Leben innerhalb der geisteswissenschaftlichen Bewegung ein Abbild des Geistigen sein, daß wir das, was geschehen soll, geschehen lassen und es abwarten mit Gemütsruhe.

Nehmen wir einmal einen initiierten Menschen, welcher erkannt hat, daß in einem bestimmten Zeitpunkte irgend etwas aus der gei­stigen ,Welt heraus geschehen soll. Ich habe öfters aufmerksam gemacht auf einen wichtigen Zeitpunkt, in dem etwas geschehen ist von der geistigen Welt aus, nur zeigt es sich jetzt noch nicht in so außerordentlichem Maße. Das war das Jahr 1899, der Ablauf des kleinen Kali Yuga. Das war im wesentlichen das Jahr, welches einen bestimmten Impuls brachte, der dazu bestimmt war, den Menschen dasjenige von innen heraus zu geben, ihnen in der Seele zu erwecken, was im Grunde genommen in den früheren Zeiten durch irgendwelche äußeren Dinge, man nannte es Zufall, aus der geistigen Welt gegeben worden ist. Ich will einen bestimmten Fall anführen: Im zwölften Jahrhundert lebte ein gewisser Norbert. Dieser begründete einen Orden. Er führte zunächst ein recht welt­liches, man könnte sagen, ein ausschweifendes Leben, da traf ihn ein Blitzstrahl. Oftmals kommt es in der Geschichte bei einzelnen Menschen vor, daß ein solches Ereignis eintritt; ein Blitzstrahl kann durchschütteln den physischen und den Ätherleib. Da wurde sein gan­zes Leben verändert. Da ist es so, daß wie ein äußerer Anlaß von der geistigen Welt zu Hilfe genommen wird, um die Menschen zu ver­ändern. Solche Zufälle kommen oft vor, sie durchschütteln den ganzen Zusammenhang zwischen physischem und Ätherleib und verändern den Betreffenden ganz und gar. So war es auch hier. .Das

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sind aber keine Zufälle, das sind in der geistigen Welt wohlvor-bereitete Tatsachen, den Menschen zu verändern. Nun wurden diese Tatsachen vom Jahre 1899 an immer intimer und intimer, viel weniger äußerlich, viel mehr durch das Innere wirkend; verinner­licht wird des Menschen Seele. Und tatsächlich, bei einer solchen Umwälzung in der ,Welt wie im Jahre 1899 müssen mitwirken alle Wesenheiten und Mächte aus der geistigen Welt, aber auch alle Initiierten, die hier leben. Sie sagen nicht: Bereitet euch vor! -, sie sagen es nicht den Leuten in die Ohren, sondern es geschieht so, daß der Impuls von innen kommt, daß die Menschen ihn von innen heraus verstehen lernen. Dann bleiben die Leute in der Seele ruhig, befassen sich mit dem Gedanken, lassen diesen Gedanken in sich wirken und warten. Und je ruhiger sie werden mit dem Gedanken in der Seele, desto kräftiger kommen solche geistigen Ereignisse. Also, abwarten diese Begnadung! Dies ist es vorzugsweise, daß wir abwarten sollen, was mit uns geschehen soll in der geistigen Welt.

Anders ist es mit dem Erkennen im Alltag; da müssen wir alles herantragen, müssen es erwerben, müssen arbeiten, um es uns gewissermaßen entgegenzubringen. Eine Rose, die wir am ,Wege finden, erfreut uns in dieser physischen Welt; auf dem geistigen Plane würde es nicht geschehen, es würde sich uns nichts einer Rose Ähnliches auf dem physischen Plane hinstellen, wenn wir uns nicht bemühten, in bestimmte geistige Gebiete hineinzukommen, um die Dinge an uns heranzubringen. Gerade was wir beim Tun hier machen, müssen wir beim Erkennen im Geistigen machen; und umgekehrt, was durch uns geschehen soll, müssen wir in Ruhe abwarten und nur, sozusagen das Hereinragen aus der geistigen Welt in die physische, die höheren Betätigungen der Menschen, bilden ein Abbild des Geschehens in der geistigen Welt. Daher ist es notwendig, daß derjenige, der durch seine Seele verstehen will die Wahrheiten, die durch die Geisteswissenschaft kommen sollen, die zwei Eigenschaften immer mehr und mehr entwickelt: Liebe zum geistigen Leben, die ihn zum tätigen Heranbringen der geistigen ,Welt führt, und diese ist das allersicherste, uns in die Lage zu versetzen, immer wieder und wieder die Dinge an uns heranzubringen

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- und Ruhe, Gemütsruhe, eine Ruhe, die nicht eitel und ehrgeizig Erfolge herbeiführen will, sondern die begnadet sein will, die auf Inspiration warten kann. Dieses Warten ist im kon­kreten Falle schwierig. Aber ein Gedanke, den wir immer wieder und wieder in unserer Seele haben sollten, kann uns über vieles hinausführen. Er ist schwer zu fassen, weil er sehr gegen unsere Eitelkeit verstößt. Dieser Gedanke ist, daß es gleichgültig ist im Weltenzusammenhang, ob etwas durch uns oder einen anderen Menschen geschieht. Das soll uns nicht abhalten, alles zu tun , was uns zu vollbringen obliegt; nicht von unserer Pflicht soll es uns ab­halten, aber vom Hasten, Treiben soll es uns abhalten. Wie gern hat es ein jeder Mensch, daß er befähigt ist, daß er etwas kann. Es gehört eine gewisse Resignation dazu, ebenso gern zu haben, daß und wenn ein anderer etwas kann. Nicht lieben soll man eine Sache, weil man sie selber tut, sondern lieben, weil sie in der Welt ist, gleichgültig ob durch uns oder durch andere. Dieser Gedanke führt uns sicher zur Selbstlosigkeit, wenn wir ihn immer wieder denken. Solche Stimmungen sind notwendig, um sich einzuleben in die geistige Welt, um nicht nur immer zu forschen, sondern auch zu verstehen, was geforscht wird. Viel wichtiger als Visionen, die wohl auch da sein mussen, sind diese Stimmungen, und eben damit wir die Visionen beurteilen können, sind solche Stimmungen notwendig.

Visionen, man braucht nur dies Wort auszusprechen und jeder weiß, der sich nur ein wenig damit befaßt hat, was eigentlich unter Visionen zu verstehen ist - aber unser ganzes Leben nach dem Tode, wenn das Kamaloka vorüber ist, ist eigentlich ein Leben in Visionen. ,Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes gegangen ist, das Kamaloka hinter sich hat, in die eigentliche geistige Welt eintritt, lebt er in einer Welt, die ganz so ist, als wenn er nach allen Seiten umgeben wäre von lauter Visionen; nur sind diese Visionen Abbilder von Wirklichkeiten. Und man kann sehr wohl sagen, wäh­rend wir die Welt des Physischen wahrnehmen durch Farben, die uns das Auge vorzaubert, durch Töne, die uns das Ohr vermittelt, nehmen wir die geistige Welt auch dann, wenn wir durch die Pforte des Todes getreten sind, als Visionen wahr, in die wir hineinverwoben

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sind. Nun werde ich, weil ich über diese Dinge intimer spre­chen will, manches zu sagen haben in einer mehr erzählenden Form, was, wenn man es zunächst hört, etwas grotesk sich ausnimmt, aber es ergibt sich eben durch eine wirkliche geistige Forschung.

Das Kamaloka selbst verläuft ja, wenn man es inhaltlich schil­dert, so wie ich es in meiner «Theosophie» geschildert habe; aber man kann es noch anders charakterisieren. Ist der Mensch durch die Pforte des Todes geschritten, wo fühlt er sich dann? kann man fragen. Und man kann diese Frage beantworten: Wo ist denn der Mensch während seiner Kamalokazeit? Man kann sogar in Worten, die physisch zu fassen sind, den Raum ausdrücken, wo der Mensch ist während des Kamaloka-Lebens. Wenn Sie sich denken den Raum zwischen der Erde und dem Monde, den Menschen losgelöst von der Erde, aber durchaus noch in dem Raume zwischen der Erde und dem Monde, in jenem kugelförmigen Raume, der sich ergibt, wenn man die Mondbahn als den äußersten Ring ansieht, weg von der Erde, aber in diesem Raume - dort ist der Mensch in der Kamalokazeit. Wenn die Kamalokazeit zu Ende ist, dann geht der Mensch aus diesem Kreise in den wirklichen Himmelsraum hinaus. Wie gesagt, es klingt grotesk, aber es ist so. Auch in dieser Richtung merkt man durch eine wirklich gewissenhafte Forschung, daß diese Dinge entgegengesetzt sind denen auf dem physischen Plane hier. Wir sind von außen an die Erde gebunden, vom Irdischen umgeben und getrennt von den Himmelssphären; nach dem Tode ist die Erde von uns entfernt, und wir sind mit den Himmelssphären zu­sammen. Solange wir drinnen sind in der Mondensphäre, sind wir im Kamaloka, das heißt, daß wir den Wunsch haben, noch mit der Erde verbunden zu sein, und wir kommen hinaus, wenn wir durch das Kamaloka-Leben gelernt haben, auf Affekte, Leidenschaften, Verlangen zu verzichten. Anders als man hier gewohnt ist, muß man sich nun den Aufenthalt in der geistigen Welt vorstellen. Da sind wir ausgebreitet über den ganzen Raum, da fühlen wir uns überall drinnen im ganzen Raume. Daher ist das Leben, sei es das eines Initiierten oder eines Menschen nach dem Tode, ein Fühlen des Sich-Ausbreitens in den Raum hinaus, und man wird so groß nach

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dem Tod oder als Initiierter, daß man dann durch den Mondenlauf begrenzt wird wie jetzt durch die Haut. Ja, es ist nun einmal so und es nützt nichts, solche Dinge durch Worte auszudrücken, die einem die gegenwärtige Zeit leichter verzeiht, denn dadurch drückt man sie nicht richtiger aus. Im öffentlichen Vortrage muß man solche schockierenden Dinge weglassen, aber demjenigen, der sich längere Zeit befaßt hat mit geisteswissenschaftlichen Dingen, ist es gut, mit wahren Namen die Dinge zu benennen.

Dann, nach dem Kamaloka-Leben, wachsen wir weiter hinaus, und das nun hängt ab von gewissen Eigenschaften, die wir uns hier schon errungen haben. Eine lange Zeit unserer Entwickelung nach dem Tode hängt die Art, wie wir uns da ausbreiten können bis zur nächsten Sphäre, ab von dem, was wir an moralischer Verfassung, sittlichen Be­griffen und Gefühlen auf der Erde entwickelt haben. Man kann sagen, der Mensch, der die Eigenschaften des Mitleids, der Liebe entwickelt hat, die Eigenschaften, die man gewöhnlich als sittlich-gute bezeich­net, lebt sich in die nächste Sphäre so hinein, daß er mit den Wesen , die sonst in dieser Sphäre sind, bekannt werden kann, mit ihnen zu­sammenleben kann, während der Mensch, der mangelhafte Moral mitbringt in diese Sphäre, wie ein Einsiedler darinnen lebt. Das ist die beste Bezeichnung, daß uns zum Zusammenleben mit der geistigen Welt vorbereitet das Moralische; zur quälenden Einsamkeit, in wel­cher wir immer die Sehnsucht haben, das andere kennenzulernen, und es nicht können, zu dieser Einsamkeit verurteilt uns das Nicht-moralische unseres Herzens wie unseres Denkens und Verhaltens in der physischen Welt. Und entweder als Einsiedler oder als ge­selliger Geist, der zum Segen ist in der geistigen Welt, leben wir uns ein in die zweite Sphäre, die man im Okkultismus immer ge­nannt hat die Sphäre des Merkur. Heute wird sie Venus genannt in der äußeren Astronomie; es hat bekanntlich eine Umkehrung der Namen stattgefunden, wie schon oft gesagt worden ist. Bis zum Kreise des heutigen Morgen- und Abendsterns breitet der Mensch sein Wesen aus , während er sich früher nur bis zum Monde aus­gebreitet hat. Nun stellt sich etwas Eigentümliches ein. Bis zur Mondensphäre sind wir immer noch mit den irdischen Verhältnissen

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beschäftigt, aber auch darüber hinaus ist das Verhältnis zur Erde nicht ganz abgebröckelt, wir wissen noch immer alles, was wir auf der Erde getan, gedacht haben; wie wir uns jetzt an etwas erinnern können, so wissen wir es, und - sehen Sie, meine lieben Freunde -wieder ist leicht das Erinnern das Quälende! - Wenn wir noch auf der Erde leben und wir haben einem Menschen Unrecht getan oder haben einen Menschen, den wir eigentlich lieben sollten, nicht hin­reichend geliebt, ist es an uns, die Folgen noch abzuwenden; wir können zu ihm hingehen und uns mit ihm auseinandersetzen und dergleichen. Das ist von der Merkursphäre an nicht mehr der Fall. Wir können alle Verhältnisse in der Erinnerung erschauen und diese bleiben auch aufrecht, aber wir können sie nicht mehr ändern.

Nehmen wir an, es ist jemand vor uns gestorben, den wir ver­möge der Verhältnisse auf der Erde eigentlich hätten lieben sollen, aber nicht genügend geliebt haben. Wir treffen ihn - wir treffen tatsächlich die Menschen nach dem Tode wieder, mit denen wir ver­bunden waren -, wir treffen ihn aber so, wie wir zu ihm gestanden waren und können es nicht ändern zunächst. Es lebt also ein Vor­wurf in uns, daß wir ihn nicht genügend geliebt haben, aber wir können unsern Charakter hier nicht mehr ändern, so daß wir ihn jetzt etwas mehr lieben könnten. Es bleibt, was wir auf der Erde begründet haben, wir können es aber nicht ändern. Gerade diese Tatsache, daß wir da eintreten in das richtige, unveränderliche Wahrnehmen in bezug auf die Liebe, sie trat mir in den letzteren neuen Forschungen dieses Sommers ganz kräftig entgegen, und durch solche Dinge wird man auf mancherlei aufmerksam, was sonst dem Menschen entgeht, und auch davon möchte ich Ihnen sozusagen eine Empfindung geben. Man lernt also durch die Er­kenntnis der geistigen Welt diese eigentümliche Tatsache kennen, daß man in der Merkursphäre lebt, wie gesagt, mit allen Menschen in den alten Verhältnissen, die man nicht ändern kann zunächst. Zurückschauend und entwickelnd, was man schon entwickelt hat, so lebt man.

Nun, ich darf wohl sagen, daß ich mich in meinem Leben viel mit Homer beschäftigt habe, aber eine Stelle ist mir erst ganz klar

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geworden, als dies, wovon ich eben sprach, mir in der okkulten For­schung so mächtig entgegengetreten ist; das ist die Stelle, wo Homer das Reich nach dem Tode nennt das Land der Schatten, wo sich nichts verwandeln kann. Man kann sie auslegen nach dem Ver­stande, aber was der Künstler sagen will von der geistigen Welt, wie er als ein Prophet spricht, lernt man kennen, wenn man die betreffende Entdeckung in der geistigen Forschung gemacht hat. So ist es bei jedem wahren Künstler, er braucht es gar nicht zu wissen in seinen Alltagsgedanken, was ihm aus der Inspiration zufließt. Und dasjenige, was die Menschheit durch ihre Künstler im Laufe der Jahrhunderte erhalten hat, wird nicht verblassen durch die Aus­breitung der spirituellen Bewegung, sondern es wird immer mehr und mehr vertieft werden, und ganz gewiß wird den Menschen ein Licht aufgehen über ihre wahren Künstler, wenn sie durch die okkulte Forschung in die geistige Welt, in jene Welt hineinkom­men , aus welcher die Künstler inspiriert sind. Allerdings solche, welche oft einem Zeitalter als Künstler gelten, es aber nicht sind, werden eine solche Beleuchtung nicht erhalten. Manche Tages-größe wird dahin erkannt werden, daß sie nichts hat an Inspiration aus der geistigen Welt.

Die nächste Sphäre kann man im Okkultismus nennen die Venus-Sphäre; da dehnen wir unser Wesen hinaus bis zum Merkur, der okkult die Venus genannt wird; bis dahin dehnen wir unser Wesen aus. In dieser Sphäre, ja da hat wieder etwas einen großen Einfluß auf den Menschen und wiederum hat dies so Einfluß, daß derjenige, der es hat, sozusagen ein geselliger Geist wird, der es nicht hat, ein einsamer Geist; furchtbar quälend ist das Fehlen dieses Etwas - das ist das religiöse Moment. Je religiösere Gesinnung wir uns an­geeignet haben, desto geselligere Geister werden wir in dieser Sphäre. Menschen, denen die religiöse Gesinnung fehlt, die schlie­ßen sich ab zu ,Wesen, die sozusagen nirgends hinaus können über eine gewisse Schale oder Hülle, die sich um sie ausbreitet. Wir lernen, sagen wir, unsere Freunde kennen, trotzdem sie Einsiedler sind, aber wir kommen nicht an sie heran; wir fühlen uns immer , als ob wir eine Hülle durchbrechen müßten, die wir aber nicht

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durchbrechen können. Wenn wir nicht religiöse Innerlichkeit haben, frieren wir gewissermaßen ein in dieser Venus-Sphäre.

Dann kommt eine Sphäre, so sonderbar es klingt, wenn der Mensch - und jeder tut es nach dem Tode - sich hineinlebt in diese Sphäre, fühlt er sich erweitert bis zu unserer Sonne. Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird man auch anders über die Himmels-körper denken, als die heutige Astronomie annimmt. Wir selber sind mit dieser Sonne verbunden; es kommt eben eine Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, wo wir ein Sonnenwesen ge­worden sind. Aber jetzt ist noch ein anderes notwendig: zur ersten Sphäre ist sittliches Leben, zur Venus-Sphäre religiöses Leben, zur Sonnensphäre ist notwendig, daß wir Natur und Wesenheit der Sonnengeister, namentlich des Hauptsonnengeistes, des Christus, wirklich kennen, daß wir uns auf Erden eine Verbindung zu ihm geschaffen haben. Mit dieser Verbindung ist es so: Als die Menschen noch ein altes Heilsehen hatten, fanden sie diese Verbindung so, daß sie sich durch die alte göttliche Gnade hineinlebten; das ver­schwand dann und das Mysterium von Golgatha mit der Vorberei­tung durch das Alte Testament war dazu da, um den Menschen das Sonnenwesen verständlich zu machen. Heute genügt nicht mehr die alte Weise, wie seit dem Mysterium von Golgatha die Menschen sich mehr naiv zum Christus emporgerungen haben; heute soll die Geisteswissenschaft die Welt vom Gesichtspunkte eines Sonnen-wesens begreiflich machen. Das erste Mal, als das so richtig ver­standen worden ist, war die Zeit des Mittelalters, als innerhalb Europas die Gralssage in ihrer eigentlichen tieferen Bedeutung ihren Ursprung genommen hat. Durch das Verständnis dessen, was wie­derum durch die spirituelle Bewegung gegeben wird, wird ja gerade das wieder erobert, was durch den hohen Sonnengeist, den Christus, gebracht worden ist, der herabgestiegen ist und nun der Erdgeist geworden ist durch das Mysterium von Golgatha. Dieser Impuls, der durch das Mysterium von Golgatha gegeben worden ist, ist ge­eignet, in der Geisteswissenschaft alle religiösen Bekenntnisse über das ganze Erdenrund hin in Frieden zu verbinden. Das bleibt die Grundforderung der Geisteswissenschaft: jede Religion mit gleicher

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Hingebung zu behandeln, keiner Religion den Vorzug zu geben durch irgendwelche äußeren Gründe. Wenn zum Beispiel unserer Strömung vorgeworfen wird, daß wir das Mysterium von Golgatha in die Mitte der Weltenentwickelung stellen und daß das eine Be­vorzugung wäre der christlichen Religion, so ist das ein ganz un­gerechter Vorwurf. Verständigen wir uns einmal darüber, was es mit einem solchen Vorwurfe für eine Bewandtnis hätte. ,Wenn ein Buddhist oder Brahmane zu uns käme und uns diesen Vorwurf machen würde, würden wir ihm sagen: Kommt es denn darauf an, was in religiösen Büchern steht, und ist es eine Benachteiligung einer Religion, wenn man das alles nicht ablehnt, was nicht in diesen Büchern steht? Kann nicht jeder Buddhist die kopernikani­sche Weltanschauung annehmen, ohne aufzuhören, ein Buddhist zu bleiben? Das ist ein Fortschritt der allgemeinen Menschheit. Und so ist die Erkenntnis, daß das Mysterium von Golgatha in der Mitte der Weltenentwickelung steht, ein Fortschritt der ganzen Mensch­heitsentwickelung, ob davon in den alten Büchern steht oder nicht, und uns zuzumuten, sozusagen von der chinesischen oder buddhi­stischen Religion nicht so zu denken, wäre dasselbe, wie wenn von diesen Religionen ganz Europa verboten würde, die kopernikani­sche Weltanschauung anzunehmen, weil sie nicht in ihren Büchern steht. Aber gerade dieses Verständnis des Mysteriums von Golgatha

- wenn man erkennt, was da vorgegangen ist - macht uns zu einem geselligen Geiste nach dem Tode in der Sonnensphäre. Überhaupt ist es so: In dem Augenblicke, in dem wir über den Mond hinaus­kommen, da tritt etwas ein, was wir jetzt auch geistig innerlich be­zeichnen können - wir sind von Visionen umgeben. Wenn wir einem verstorbenen Freund begegnen nach dem Tode, ist es eine Vision, aber er ist es selbst, er lebt in dieser Realität drinnen; aber es sind Visionen, die sich aufbauen auf das Gedächtnis an das, was wir hier getan haben.

Später, außerhalb der Mondensphäre, ist das zwar auch noch der Fall, aber es leuchten dann die geistigen Wesen der höheren Hierar­chien an uns heran. Es ist so, als ob die Sonne aufgeht und die Wolken vergoldet. So ist es im Sonnenkreise. Aber wir lernen auch

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die geistigen Hierarchien in der Merkursphäre nur kennen, wenn wir mit religiöser Gesinnung erfüllt sind, in der Sonnensphäre nur, wenn wir mit jahvisch-christlicher Stimmung erfüllt sind. Da treten die äußeren geistigen Wesenheiten an uns heran. Wiederum ist etwas höchst merkwürdig, und was ich gesagt habe, ergibt sich durch objek­tiv okkulte Forschung: Der Mensch ist über den Mond hinaus wie eine Wolke aus Geist gewoben und wird beleuchtet von den geistigen Wesenheiten, sowie er in den Merkur kommt. Daher haben die Grie­chen den Merkur den Götterboten genannt, weil in dieser Sphäre hohe geistige Wesenheiten den Menschen beleuchten. Das sind die großen gewaltigen Eindrücke, die wir empfangen, wenn wir aus dem Kreise der okkulten Forschung entwickeln, was die Menschheit geschaffen hat, was als Kunst, als Mythos gegeben worden ist.

So leben wir uns durchchristet in die Sonnensphäre hinein. Dann leben wir weiter und kommen in eine Region hinein, wo wir die Sonne so unter uns haben, wie wir früher die Erde unter uns gehabt haben. Wir beginnen auf die Sonne zurückzublicken - und da beginnt etwas sehr Merkwürdiges. In diesem Augenblicke zeigt sich uns, daß wir noch einen anderen Geist in seiner eigenartigen Weise zu erkennen beginnen, den Luzifergeist.

Was Luzifer ist, das durchschauen wir, wenn nicht vorher durch die okkulte Wissenschaft oder Initiation, durch das bloße Leben nach dem Tode nicht. Erst wenn wir jenseits der Sonnensphäre an­gekommen sind, lernen wir ihn erkennen, wie er war, bevor er Luzifer geworden ist, als er noch ein Bruder des Christus gewesen ist. Denn daß er anders geworden ist, ist erst in der Zeit eingetreten, da Luzifer zurückgeblieben ist und sich losgelöst hat vom Fortschritt im Kosmos. Und dasjenige, was er Schlimmes tun kann, erstreckt sich nur bis zur Sonne hin. Darüber ist noch eine Sphäre, wo Luzi­fer seine Tätigkeit so entwickeln kann, wie sie vor seiner Loslösung war. Da ist nichts von Schaden, was er da entwickelt, und wenn wir uns mit dem Mysterium von Golgatha in der richtigen Weise zu­sammengehörig gemacht haben, gehen wir, geleitet von Christus, von Luzifer in Fmpfang genommen, in der richtigen Weise in die noch weiteren Sphären des Weltalls hinaus. Der Name Luzifer ist gut gewählt,

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wie überhaupt die Alten sich weise Namen gewählt haben. Wenn wir die Sonne unter uns haben, ist auch das Sonnenlicht unter uns. Da brauchen wir dann einen neuen Lichtträger, der uns hinaus-leuchtet in den Weltenraum. Wir kommen dann in die Mars-Sphäre. Solange wir unter der Sonne waren, blickten wir hinaus in die Sonne; jetzt ist die Sonne unter uns und wir blicken in den weiten Welten-raum hinaus. Und diesen weiten Weltenraum empfinden wir durch das, was immer genannt und so wenig verstanden wird, im eigent­lichen Sinne durch die Sphärenmusik, durch eine Art von geistiger Musik. Immer weniger und weniger Bedeutung haben dann die Visio­nen, in die wir getaucht sind, immer größere und größere Bedeutung gewinnt, was wir geistig hören und vernehmen. Da erscheinen uns die ,Weltenkörper nicht so, daß wir wie die irdischen Astronomen messen , ob der eine schnell oder langsam geht - das schnelle oder langsame Zusammenstimmen ergibt das Tönen der Weltenharmonie. Und dasjenige, was der Mensch dabei innerlich erlebt, ist das, daß er immer mehr und mehr fühlt: das einzige, was ihm bleibt in diese Region hinein, ist das, was er als Spirituelles auf Erden aufge­nommen hat. Dadurch entwickelt er seine Bekanntschaft mit den Wesenheiten dieser Sphäre, bleibt er ein geselliger Geist. Die Men­schen, die sich heute abschließen von dem Spirituellen, geraten trotz des Moralischen, trotz des religiösen Lebens auch nicht in die spiri­tuelle ,Welt. Da ist nichts zu machen. Es ist ja natürlich durchaus möglich, daß solche Menschen in der nächsten Inkarnation dazu­kommen. Alle materialistisch Gesinnten werden, wenn sie über die Sonne hinaus in die Mars-Sphäre kommen, Einsiedler; das ist nicht anders. So töricht es vielleicht manchem erscheinen könnte, es ist doch wirklich; der ganze Monistenbund wird nicht fortbestehen können , wenn seine Anhänger einmal in die Sonnensphäre gelangt sind, weil seine Anhänger nicht zusammenkommen können, weil jeder ein Einsiedler ist.

Auf dem Mars wird der Mensch, der sich hier auf der Erde spiri­tuelles Verständnis erworben hat, noch eine andere Erfahrung machen. Und da wir heute schon intimer sprechen, darf auch das ausgesprochen werden. Es kann ja gefragt werden gerade innerhalb

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unserer Weltanschauung, wie wir sie als Geisteswissenschaft im Abendlande entwickeln: Was ist mit einem solchen Geiste ge­schehen wie dem Buddha nach seiner letzten Inkarnation auf der Erde? Ich habe schon darauf hingewiesen, nicht wahr: Der Buddha hat als Gautama die letzte Inkarnation durchgemacht sechshundert Jahre vor Christus. Wenn Sie meine Vorträge gut verfolgt haben, werden Sie wissen, er hat sozusagen noch einmal gewirkt - er brauchte sich nicht mehr als Buddha zu inkarnieren -, er hat nur geistig gewirkt bei der Geburt des Lukas-Jesusknaben. Geistig hat er aus höheren Sphären herabgewirkt auf die Erde; aber wo ist er selber? Ich habe in Schweden, in Norrköping, auf ein noch späteres Hereinwirken des Buddha auf die Erde hingedeutet. So war im achten Jahrhundert eine Initiationsstätte in Europa, am Schwarzen Meer, da lebte Buddha geistig in einem Schüler, nämlich in einem Schüler, der später Franz von Assisi geworden ist. Franz von Assisi war in der früheren Inkarnation im achten Jahrhundert also ein Schüler des Buddha und hat alle Eigenschaften aufgenommen, um in dieser sonderbaren Weise zu wirken, wie er als Franz von Assisi gewirkt hat. In vielem kann man seine Gemeinde nicht von An­hängern Buddhas unterscheiden, außer durch das, daß die einen Anhänger Buddhas, die anderen Christen waren. Das ist eine Folge davon gewesen, daß er in seinem vorhergehenden Leben ein Schü­1er Buddhas war, des geistigen Buddha. - Wo ist aber der Buddha selbst, wo ist er, der als Gautama gelebt hat? Er ist für den Mars dasselbe geworden, was Christus für die Erde geworden ist; er hat für den Mars eine Art von Mysterium von Golgatha durchgeführt und die eigentümliche Erlösung der Marsleute hat Buddha zustande gebracht; er lebt dort unter ihnen. Und für ihn selbst war gerade sein Erdenieben die richtige Vorbereitung, um die Marsleute zu erlösen, doch war diese seine Erlösung nicht so wie das Mysterium von Golgatha, sondern etwas anders.

Geistig aber lebt der Mensch in der Mars-Sphäre in der angedeu­teten Zeit, dann lebt er wieder weiter, dann lebt er sich in die Jupitersphäre hinein. In der Jupitersphäre wird sozusagen der Zu­sammenhang mit der Erde, der vorher noch ein bißchen bestanden

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hat, schon ganz bedeutungslos für den Menschen; von der Sonne wirkt noch ein wenig auf den Menschen, dagegen wirkt mächtig der Kosmos auf ihn ein. So stellt es sich dar: Alles wirkt von außen herein und der Mensch nimmt Kosmisches auf. Der ganze Kosmos wirkt eben durch die Sphärenharmonie, die immer andere Formen annimmt, je weiter wir das Leben durchforschen zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Es ist schwer zu charakterisieren dieses Leben, diese Veränderung der Sphärenharmonie; man könnte, weil man diese Dinge nicht mit irdischen Worten ausdrücken kann, vergleichsweise sagen: Die Sphärenmusik verändert sich beim Durchgang vom Mars zum Jupiter so, man kann nur sagen, wie das Orchestrale in die gesangliche Musik. Es wird immer mehr zum Tone, zu dem, was den Ton zugleich durchsetzt als das Bedeu­tungsvolle, als das Sein-Wesen-Ausdrückende. Inhalt bekommt die Sphärenmusik, wenn wir uns in die Sphäre des Jupiter hinein-begeben, und sie wird dann in der Sphäre des Saturn zum völligen Inhalt, zum Ausdruck des Weltenwortes, aus dem alle Dinge ge­schaffen sind, und das gemeint ist im Johannes-Evangelium: «Im Urbeginne war das Wort... » Dieses Wort ist das Hineintönen der kosmischen Gesetzmäßigkeit und Weisheit. Dann geht der Mensch, wenn er vorbereitet ist - der geistige Mensch weiter, der nicht gei­stige weniger weit -, in noch weitere Sphären, aber er geht auch über in einen ganz anderen Zustand als der ist, in dem er vorher war. Und wenn man diesen späteren Zustand charakterisieren wollte, muß man sagen: Von da ab, wo der Mensch über den Saturn hinausgeschritten ist, beginnt ein geistiges Schlafen, während das Vorhergehende ein geistiges Wachen war. Das Bewußtsein dämpft sich herab von jetzt an, es tritt ein Benommensein ein, und dieses Benommensein wieder gestattet gerade dem Menschen andere Dinge durchzumachen, als er früher durchgemacht hat. Geradeso, wie wir im Schlafe die Ermüdung wegschaffen und uns neue Kräfte zufüh­ren, so tritt dann durch das Herabdämpfen des Bewußtseins ein Einströmen geistiger Kräfte des Kosmos ein, wenn wir sozusagen eine weit, weit ausgedehnte spirituelle Raumkugel geworden sind. Erst haben wir es geahnt, dann haben wir es als Weltorchester

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gehört, dann hat es gesungen, dann haben wir es als Wort vernom-men, dann schlafen wir ein und es durchdringt uns, und während dieser Zeit gehen wir wieder zurück durch alle diese Sphären unter Herabdämpfung des Bewußtseins; immer dumpfer und dumpfer wird unser Bewußtsein, wir ziehen uns zusammen, je nach unserem Karma langsam oder schnell, und während dieses Zusammenziehens treten wieder auf die Kräfte, die aus dem Sonnensystem kommen. Von Sphäre zu Sphäre gehen wir zurück. Für die Mondensphäre sind wir nicht empfänglich, wenn wir aus dem Kosmos zurück­kommen; wir gehen sozusagen unberührt und ungehemmt durch sie hindurch, und dann sind wir so, daß wir uns zusammenziehen und zusammenziehen, so daß wir uns vereinigen können mit dem kleinen Menschenkeime, der dann seine Entwickelung durchmacht vor der Geburt. Und in aller Physiologie und Embryologie wird gar nichts Wahres enthalten sein, wenn ihr dies nicht aus der okkul­ten Forschung, nicht aus diesen Tatsachen zukommt; denn der Menschenkeim ist ein Abbild des großen Kosmos. Er trägt den gan­zen Kosmos in sich; was zwischen Empfängnis und Geburt mate­riell geschieht und als Mensch sich bildet, aber auch was der Mensch im ,Weltenschlafe durchgemacht hat, trägt er als Kraft im Keim-zustande in sich.

Da berühren wir ein wunderbares Mysterium, das im Grunde genommen in unserer Zeit nur Künstler angedeutet und dargestellt haben, aber es wird schon auch noch besser verstanden werden

- sagen wir die Tristan-Frage - als dasjenige, was in ihr lebt, die Tristan-Stimmung, wenn wir in der Tristan- und Isolde-Liebe ein­mal empfinden werden das Hereinströmen des ganzen Kosmischen, das wir in seiner wahren Gestalt kennenlernen eben durch das Durchlaufen der ganzen Entwickelung des Menschen vom Tode zu einer neuen Geburt hin. Was vom Kosmos hereingeholt wird, was vom Saturn hereingebracht worden ist, wirkt auf Liebende, die zusammengeführt werden. Es wird manches zu einem kosmischen Ereignis gemacht, nur darf es nicht verstandesmäßig analysiert wer­den, sondern es muß empfunden werden, was den Menschen ver­bindet in Realität mit dem ganzen Kosmos. Daher wird es die Geisteswissenschaft

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schon gewiß dahin bringen, daß die Menschheit eine neue Frömmigkeit entwickelt, die eine wahre, echte Religiosi­tät ist, indem dasjenige, was oftmals sich als Kleinstes kundgibt, erscheint als aus dem Kosmos heraus entstanden. Das, was in menschlicher Brust lebt, wir lernen es in der richtigen, weisen Form an seinen Ursprung angliedern, wenn wir es im Zusammenhang mit dem Kosmos betrachten. So kann ausgießen das, was von der Geistes­wissenschaft ausgeht, über das ganze Leben, über die ganze Mensch­heit, die da kommen muß, eine wirklich neue Stimmung. Künstler haben sie vorbereitet, aber das wirkliche Verständnis muß vielfach gerade durch die spirituelle Stimmung erst geschaffen werden.

Das sind so einige Andeutungen, die ich Ihnen geben wollte gerade auf Grund erneuter intimer Forschungen über das Leben des Menschen zwischen dem Tode und der neuen Geburt. Nichts ist eigentlich in der Geisteswissenschaft, was uns nicht in unserer tiefsten Empfindung, im tiefsten Gefühle zugleich berühren würde; nichts bleibt abstrakte Vorstellung, wenn wir es richtig erfassen und verstehen. Die Blume freut uns mehr, wenn wir sie anschauen, als wenn der Botaniker sie zerfasert. Die weit entfernte Sternenwelt kann ein Gefühl der Ahnung uns entwickeln, aber was sich darlebt darinnen, das geht uns erst auf, wenn wir uns mit der Seele in die Sphären hinaus erheben können. Die Pflanze verliert, wenn sie zer­fasert wird; die Sternenwelt verliert nichts, wenn wir hinausgehen über sie und wenn wir erkennen, wie der Geist mit ihr verbunden ist.

Kant hat ein merkwürdiges Wort ausgesprochen, aber nur so wie einer, der die Ethik einseitig erfaßt hat: zwei Dinge berührten ihn eigentümlich, der bestirnte Himmel über ihm und die moralische Welt in ihm. Beide sind eigentlich dasselbe, wir nehmen sie nur aus den Himmelswelten in uns herein. Wenn wir etwas Moralisches haben, damit geboren werden, so ist es daher, daß uns beim Ein­schlafen, bei der Zurückentwickelung, die Merkursphäre viel hat geben können und die Venus-Sphäre, wenn wir auftreten mit reli­giösen Gefühlen. Wie wir des Morgens hier im irdischen Leben gestärkt, mit wiedererwachten Kräften aufwachen, so werden wir geboren mit dem, was uns als stärkende Kraft der Kosmos gegeben

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hat; wir können es aufnehmen gemäß unserem Karma. In dem Maße, als das Karma gestattet, kann uns der Kosmos die Kräfte geben, so daß wir mit diesen als Anlagen geboren werden.

So zerfällt das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt in zwei Teile. Zuerst ist es unwandelbar. Wir leben uns dann hin­auf, die Wesen kommen an uns heran; wir kommen in den Schlaf, da wird es wandelbar; da kommen die Kräfte in uns hinein, mit denen wir geboren werden. Wenn wir diese Entwickelung des Men­schen so ins Auge fassen, dann sehen wir ja zugleich, daß der Mensch, indem er sich nach dem Tode entwickelt, zuerst in einer Welt der Visionen lebt. Was der Mensch geistig-seelisch ist, lernt er später erkennen. Dann kommen die Wesen von außen, die, wie das goldene Morgensonnenlicht die Dinge der Außenwelt beleuch­tet, nun uns beleuchten; so leben wir uns hinauf, so dringt die gei­stige Welt auf uns ein. Dieses Sich-Hineinleben in die geistige Welt von außen, das tritt zuerst dann hervor, wenn das sozusagen ganz reif geworden ist, was wir selber sind in unserer visionären Welt, wenn wir als Mensch entgegentreten den Wesen der geistigen Welt, die von allen Seiten wie Strahlen an uns herankommen.

Versetzen Sie sich jetzt einmal in die geistige Welt, wie wenn Sie zuschauen könnten. Da kommt der Mensch als eine Visionswolke hinauf, da ist er so recht, was er eigentlich ist. Dann kommen die Wesen an ihn heran und beleuchten ihn von außen. Die Rose, im Dunkel sehen Sie sie nicht; wenn wir das Licht anzünden, fällt das Licht auf die Rose, darum sehen wir die Rose, wie sie ist. So ist es, wenn der Mensch sich hinausbegibt in die geistige Welt: es kommt das Licht der geistigen Wesen an ihn heran. Aber es gibt einen Moment, wo der Mensch gar deutlich sichtbar ist, wo er beschienen wird vom Lichte der Hierarchien, so daß er eigentlich zurückstrahlt die ganze Außenwelt, und da erscheint der ganze Kosmos eigentlich vom Menschen zurückgestrahlt. Sie können sich also vorstellen:

Erst leben Sie weiter als eine Wolke, die nicht genug beleuchtet ist, dann strahlen Sie das Licht des Kosmos zurück und dann lösen Sie sich auf. Einen solchen Moment gibt es, wo der Mensch das kos­mische Licht zurückstrahlt. Bis dahin kann man sich erheben.

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Dante sagt in seiner «Divina Cotnmedia», daß man in einem gewissen Teile der geistigen Welt Gott als Mensch sieht. Diese Stelle ist real gemeint, sie ist anders gar nicht verständlich. Man kann sie als eine schöne Sache hinnehmen, wie es die Ästheten tun, aber im inneren Gehalt kann man sie nicht verstehen. Das ist wieder solch ein Fall, wo wir die geistige Welt gespiegelt sehen in den Werken der Künst­ler; so auch namentlich in den Werken der großen Tonkünstler der letzten Zeit, bei Beethoven, Wagner, Bruckner. Da wird es einem so gehen, wie es mir vor einigen Tagen gegangen ist, wo ich mich eigentlich gewehrt habe gegen eine Erkenntnis, weil sie zu frappie­rend ist. Es gibt in Florenz die Mediceer-Kapelle, wo Michelangelo die zwei Denkmäler der Mediceer geschaffen hat und vier allego­rische Figuren, «Tag und Nacht, Morgen- und Abenddämmerung». Man redet leicht von frostiger Allegorie; aber wenn man sich die vier Figuren ansieht, so erscheinen sie doch als etwas anderes denn als frostige Allegorien. Da ist eine Figur, die «Nacht». Sehen Sie, daß es mit der Forschung auf diesem Gebiete nicht besonders gut steht, hat sich mir deshalb schon gezeigt, daß überall gefunden wird, daß von den beiden Mediceer-Denkmälern von Lorenzo und Giu­liano, Lorenzo derjenige ist, der für den Sinnenden gehalten wird. Nun hat sich mir vom okkulten Standpunkte gezeigt, daß das gerade umgekehrt ist, denn derjenige, den die Historiker als Lorenzo ansprechen, ist der Giuliano und umgekehrt. Das wird sich auch historisch beweisen lassen aus dem Charakter der beiden Persön­lichkeiten. Die Denkmäler stehen auf Postamenten, es wird eben im Laufe der Zeiten wahrscheinlich eine Verwechslung stattgefun­den haben. Das wollte ich nicht eigentlich sagen, ich wollte nur bemerken, daß da die Dinge in der äußeren Forschung etwas hapern.

An einer der Figuren, an der, die als «Nacht» bezeichnet wird, kann man gerade recht künstlerische Studien machen, wie die Ge­bärden sind, wie die Stellung ist des ruhenden Körpers, das Haupt in die Hand gestützt, der Arm auf das Bein, wie dies gestellt ist -wenn man das also alles künstlerisch studiert, kann man das Ganze dann so zusammenfassen, daß man sagt: Wenn der Ätherleib ganz besonders tätig ist im Menschen und wenn das dargestellt werden

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sollte, so müßte es in dieser Weise dargestellt werden; so drückt sich das in der Gebärde, in der Äußerlichkeit aus, wenn der Mensch ruht. Wenn der Mensch schläft, ist der ätherische Leib am meisten tätig. Die angemessenste Stellung hat Michelangelo in der «Nacht» geschaffen. Wie die Gestalt daliegt, ist das der wirksame Ausdruck für den tätigen Ätherleib, den Lebensleib.

Wenn man zum «Tag» übergeht, der auf der anderen Seite liegt, ist das der angemessenste Ausdruck für das Ich; die Gestalt der «Morgendämmerung» für den Astralleib, die des «Abends» für den physischen Leib. Das sind keine Allegorien, sondern das sind aus dem Leben heraus gewonnene Wahrheiten, mit einer ungeheuer künstlerisch bedeutsamen Tiefe da verewigt. Ich habe mich gewehrt gegen diese Erkenntnis, aber je genauer ich studiert habe, desto klarer ist es geworden. Ich wundere mich jetzt nicht mehr über eine Legende, die damals in Florenz entstanden ist. Es hieß, Michel­angelo habe Macht über die «Nacht»; wenn er allein mit ihr in der Kapelle sei, stehe sie auf und gehe herum. Wenn sie der Ausdruck ist für den Ätherleib, ist es kein Wunder. Ich wollte damit nur sagen, wie klar und anschaulich alles wird, wenn wir immer mehr und mehr lernen, alles vom Standpunkte des Okkultismus anzu­schauen.

Am meisten aber wird beigetragen zur Entwickelung des gei­stigen Lebens und der Kultur, wenn der Mensch dem Menschen so gegenübertritt, daß er voraussetzt und ahnt das okkult Verborgene. Dann wird das rechte Verhältnis von Mensch zu Mensch gewonnen werden, und die Liebe wird einziehen in die menschliche Seele in der Gestalt, in der sie wirklich echt menschlich ist, wo der Mensch dem Menschen entgegentritt so, daß der Mensch dem Menschen ein heiliges Rätsel ist. In diesem Verhalten kultiviert sich erst, was das richtige Verhältnis der Menschenliebe ist.

So wird Geisteswissenschaft dasjenige sein, was nicht stets zu betonen braucht äußerliche Pflege von allgemeiner Menschenliebe, sondern es wird dasjenige sein, was diese Menschenliebe durch die rechte und wahrhaft echte Erkenntnis im menschlichen Seelenleben empfangen wird.

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DAS LEBEN ZWISCHEN DEM TODE UND EINER NEUEN GEBURT München, 26. November 1912 Erster Vortrag

Die Welt der okkulten Tatsachen - wir haben das ja oftmals betont - ist nicht etwa so einfach zu untersuchen und darzustellen, wie man sehr häufig meint, und derjenige, der auf diesem Gebiete gewissenhaft vorgehen will, wird sich immer wieder und wiederum in die Notwendigkeit versetzt fühlen, gewisse wichtige Kapitel der Geistesforschung sozusagen aufs neue zu untersuchen. Und so oblag mir denn gerade in den letzten Monaten unter mancherlei anderem, wiederum von neuem ein Kapitel zu untersuchen, über welches wir ja auch hier schon öfters gesprochen haben. Bei solch neuen Unter­suchungen ergeben sich dann neue Gesichtspunkte. Das Kapitel, um das es sich da handelt und das wir heute, wenn das auch nur skizzenhaft geschehen kann, ein wenig beschreiben wollen, handelt über das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Wenn gesagt worden ist, neue Gesichtspunkte haben sich dabei ergeben, so ist das nicht so zu nehmen, als ob etwa deshalb das, was früher gesagt worden ist, irgend verändert zu denken wäre. Das ist gerade bei diesem Kapitel nicht der Fall. Aber es ist ja einmal so bei der Betrachtung der übersinnlichen Tatsachen, daß man ihnen eigent­lich nur dann wirklich nahetritt, wenn man sie von den verschie­densten Gesichtspunkten aus ins Auge faßt. Und so werden wir vielleicht manches von dem, was zum Beispiel in meiner «Theosophie» oder «Geheimwissenschaft» mehr von dem Gesichtspunkt des unmittelbaren menschlichen Frlebens dargestellt worden ist, heute von einem universelleren Standpunkt aus darzustellen haben. Die Dinge sind dieselben, aber man soll eben nicht glauben, daß man sie schon kennt, wenn man sie von einem Standpunkt aus ein­mal charakterisiert erhalten hat. Gerade die okkulten Tatsachen sind solche, daß man gleichsam um sie herumgehen und von den ver­schiedensten Gesichtspunkten aus anschauen muß. In der Beurteilung

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dieser Dinge, die von der Geisteswissenschaft mitgeteilt wer­den, wird ja am häufigsten der Fehler gemacht, daß die Leute urtei­len, die, sagen wir, gerade ein paar Ausführungen über eine Sache gehört haben und nicht die Geduld besitzen, wirklich alles, was gesagt werden kann, von den verschiedensten Gesichtspunkten aus auf sich wirken zu lassen. Dann tritt schon auch für den gewöhn­lichen gesunden Menschenverstand das Verständnis ein, von dem wir gestern im öffentlichen Vortrage über «Wahrheiten der Geistes­forschung» gesprochen haben. Wir wollen heute nicht so sehr da beginnen, wo das Leben nach dem Tode, welches wir gewöhnlich als das Kamaloka bezeichnen, anhebt, sondern hauptsächlich da, wo das Kamaloka-Leben zu Ende geht und das Leben in der geistigen Welt beginnt, hauptsächlich nach dem Kamaloka-Leben bis zum Wiedereintritt in ein neues Erdenleben, und wo die Kräfte sich bilden zu einer neuen Inkarnation.

Sie wissen, daß das hellseherische Hineinschauen in die geistige Welt einen in einer gewissen Beziehung in dieselbe Lage versetzt, in welcher der Mensch zwischen dem Tode und einer neuen Geburt ist, so daß innerhalb der Einweihung eben das erlebt wird, was auch zwischen dem Tode und einer neuen Geburt erlebt wird, wenn auch in etwas anderer Weise. Und damit ist ja überhaupt die Möglich­keit gegeben, über diese Dinge sprechen und etwas darüber mittei­len zu können. Da möchte ich zunächst über zwei wichtige Dinge der hellseherischen Anschauung sprechen, die auch zum Verständ­nis des Lebens nach dem Tode führen können. Zunächst ist ja schon öfters aufmerksam darauf gemacht worden, wie verschieden das ganze Leben in der übersinnlichen Welt gegenüber dem Leben hier in der physischen, in der sinnlichen Welt ist. Wenn wir in die über­sinnliche Welt hinaufkommen, dann ist zum Beispiel schon der ganze Erkenntnisprozeß ein anderer als hier in der physischen Welt. Hier in der physischen Welt, da gehen wir gleichsam durch diese Welt, und die Dinge treten an unsere Sinne heran, die Dinge machen ihre Farben- und Lichteindrücke auf unsere Augen, Gehörs-eindrücke auf unsere Ohren und andere Eindrücke auf unsere an­deren Sinnesorgane. Wir nehmen die Dinge wahr, wir gehen durch

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die Welt und müssen durch die Welt gehen, wenn wir die Dinge wahrnehmen wollen, und es hilft uns nichts zur Wahrnehmung irgendeines Dinges, das an einem entfernten Orte ist, wenn wir nicht hingehen; kurz, wir müssen uns in der Welt der Sinne regen, wir müssen uns bewegen, wenn wir die Dinge wahrnehmen wollen. Das genau Entgegengesetzte gilt für die Wahrnehmungen in der übersinnlichen Welt. Je ruhiger wir in unserer Seele werden, je mehr wir sozusagen alles von innerer Beweglichkeit ausschließen, je weniger wir irgendein Ding aufsuchen, je weniger wir danach streben können, daß dieses Ding zu uns komme, je mehr wir warten können, desto sicherer tritt die Wahrnehmung des Dinges ein, desto wahrer ist dann die Empfindung, das Erlebnis, das wir von dem Dinge haben können. In der übersinnlichen Welt müssen wir die Dinge an uns herankommen lassen, das ist das Wesentliche. Innere Ruhe, die müssen wir uns erwerben, dann kommen die Dinge an uns heran.

Und das zweite, das ich berühren möchte, ist dieses, daß, wenn wir die übersinnliche Welt betreten, wir gar sehr nötig haben zu berücksichtigen, daß die ganze Art, wie uns diese übersinnliche Welt entgegentritt, abhängig ist von dem, was wir aus der sinnlichen Welt, aus unserer gewöhnlichen menschlich-sinnlichen Welt in diese übersinnliche Welt hinein mitbringen. Das gibt zuweilen recht große Seelenschwierigkeiten in der übersinnlichen Welt. Es mag für uns in der sinnlichen Welt zuweilen recht peinlich sein, wenn wir wissen, wir haben einen Menschen weniger lieb, als wir ihn eigentlich haben sollten, als er verdiente, von uns geliebt zu wer­den. Demjenigen, der mit so etwas behaftet in die übersinnliche Welt hineintritt, daß er einen Menschen weniger liebt, als derselbe geliebt werden sollte, steht dies mit einer viel, viel größeren In­tensität vor dem geistigen Auge, als es jemals uns vor die Seele treten kann hier in der physisch-sinnlichen Welt. Aber nun kommt etwas dazu, und das ist das ungeheuer Wichtige, was oftmals gerade dem hellseherischen Bewußtsein die größten Seelenschmerzen machen kann. Alle Kräfte, die wir aus der übersinnlichen Welt herausziehen können, alles, was wir in der übersinnlichen Welt

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gewinnen können, kann uns nichts helfen, um irgendein Seelen­verhältnis, das wir als nicht richtig erkennen in der physischen Welt, etwa durch Kräfte, die wir aus der übersinnlichen Welt holen, besser zu machen. Das gibt gegenüber all dem, was uns in der sinnlichen Welt peinigen kann, etwas viel Peinigenderes noch in der übersinnlichen Welt; es gibt ein gewisses Gefühl der Ohn­mächtigkeit gegenüber dem notwendigen Ausleben des Karma, das ja geschehen muß in der sinnlich-physischen Welt.

Sehen Sie, diese beiden Dinge, die dem Schüler der okkulten Wissenschaft sehr bald entgegentreten, wenn er nur ein wenig Fortschritte macht, sie treten sofort auf in dem Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Nehmen wir nur einmal den Fall, daß wir zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, bald nach unserem Tode, mit menschlichen Wesenheiten zusammentreffen, die vielleicht vor uns hier in der physischen Welt gestorben sind. Wir treffen mit ihnen zusammen; wir können das ganze Verhältnis empfinden, das wir zu ihnen hier in der physischen Welt gehabt haben. Wir sind sozusagen mit einem vor uns oder jetzt oder nach uns Hingestorbenen zusammen und empfinden: Genau so standest du im Leben zu diesem Menschen, so war dein Verhältnis zu ihm. Während wir aber in der physischen Welt, wenn wir zum Beispiel darauf kommen, daß wir einem Menschen Unrecht getan haben in unseren Gefühlen oder Taten, imstande sind, irgend etwas dazu zu tun, um die Sache auszugleichen, sind wir das in dem Leben nach dem Tode durchaus nicht unmittelbar. Wir sehen klar ein: So steht es mit unserem Verhältnis, aber wir sehen, daß es unmöglich ist, innerhalb dieser übersinnlichen Welt irgend etwas auch aus der tief­sten Einsicht, daß es anders sein sollte, zu ändern. Es muß zunächst so bleiben, wie es ist. Das ist das Drückende manches Vorwurfes, daß man klar durchschaut, wie das Verhältnis nicht hätte sein sol­len, aber daß man es so lassen muß, während man immer die Emp­findung hat, es sollte anders sein. Und das wird zu übertragen sein auf das gesamte Leben nach dem Tode. Die Dinge, von denen wir wissen, sie sind von uns nicht richtig gemacht im Leben, wir sehen sie um so tiefer ein nach dem Tode; aber wir müssen sie so lassen,

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wie sie sind, müssen sie so weiterleben, wie sie sind. Wir sehen gleich­sam zurück auf das, was wir getan haben, aber wir müssen vollständig die Konsequenz dessen ausleben, was wir getan haben, und haben das deutliche Erlebnis, daß wir nichts daran ändern können.

So geht es nicht nur mit den Beziehungen zu anderen Menschen, so geht es mit unserem gesamten seelischen Leben nach dem Tode. Denn dieses seelische Leben hängt von mancherlei ab. Zunächst möchte ich wie durch Imaginationen schildernd dieses Leben nach dem Tode ein wenig darstellen. Wenn man den Ausdruck Visionen oder Imaginationen so nimmt, wie das gestern zum Bei­spiel auseinandergesetzt worden ist, so kann kein Mißverständnis entstehen über das, was jetzt gesagt werden soll. Während der Mensch hier durch seine Organe in der Sinneswelt wahrnimmt, lebt er nach dem Tode sozusagen in einer Welt von Visionen, nur daß diese Visionen Abbilder von Wirklichkeiten darstellen. Wie wir das innere Wesen der Rose hier in der physischen Welt nicht unmittelbar wahrnehmen, sondern die Röte äußerlich, so nehmen wir einen verstorbenen Freund oder Bruder oder dergleichen nicht unmittelbar wahr, sondern das, was wir nach dem Tode haben, ist das visionäre Bild. Wir sind sozusagen in der Wolke unserer Visio­nen darinnen, aber wir wissen ganz genau: wir sind mit dem ande­ren zusammen; es ist ein reales Verhältnis, ja ein viel realeres, als es hier auf der Erde zwischen Mensch und Mensch sein kann. Durch das Bild nehmen wir das Wesen wahr. In der ersten Zeit, auch nach der Kamalokazeit ist es so, daß unsere uns umgebenden, von uns erlebten Visionen so sind, daß sie eigentlich zumeist auf das, was wir hier auf der Erde erlebt haben, in dem angedeuteten Sinn zu­rückweisen. Wir wissen, sagen wir, es ist außer uns ein verstorbener Freund hier in der geistigen Welt; wir nehmen ihn durch unsere Vision wahr. Dieses Gefühl, mit ihm zusammen zu sein, haben wir vollständig; wir wissen, wie wir mit ihm zusammengehören. Was wir aber hauptsächlich wahrnehmen, ist das, was sich hier auf der Erde mit ihm abgespielt hat; das kleidet sich zunächst anfangs in unsere Vision ein. Eine Nachwirkung unserer irdischen Verhält­nisse ist zunächst die Hauptsache im Erleben; wie wir überhaupt

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auch noch nach der Kamalokazeit in einer gewissen Beziehung in den Konsequenzen unseres irdischen Daseins leben. Und diese Wolke von Visionen, die uns einschließt, ist durchaus abhängig von dem, wie wir unser Erdenleben zugebracht haben. Erst nach und nach, wenn die Zeit etwas verläuft zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, stellt sich für die imaginative Anschauung die Sache so, daß der Mensch, der seelisch wie in seine Imaginationen ein­gehüllt ist, dann anfängt, so zu erscheinen für die Imagination als wie eine Wolke, die zuerst dunkel ist - das wäre der Mensch in der ersten Zeit nach der Kamalokazeit -, dann beginnt diese Wolke von der einen Seite so beleuchtet zu sein, wie wenn wir am Morgen eine Wolke von der Sonne glühend erleuchtet sehen. Wenn dann die Inspiration kommt und diese Imagination erklären soll, so stellt sich heraus: Wir leben zuerst in der Welt, in der Wolke unserer eigenen Erlebnisse der Erde, sind in diese gleichsam eingehüllt und sind nur imstande, zu den Wesen eine Beziehung zu gewinnen, mit denen wir auf der Erde zusammen waren, also vorzugsweise zu den Menschen, die gestorben sind oder die eine Möglichkeit haben, mit ihren Seelen hinaufzukommen von der Erde in die geistige Welt. Das aber, was sich da ausdrückt für die imaginative Welt, daß die Wolke unseres Wesens von der einen Seite erleuchtet wird wie von einem Glimmlicht, das sich herumlegt, das bezeugt, daß wir begin­nen uns einzuleben in das Herankommen der Hierarchien an unsere eigene Wesenheit. Die Wesenheiten der höheren Hierarchien kom­men an uns heran, wir leben uns allmählich in die Welt der höheren Geistigkeit ein. Vorher haben wir nur Zusammenhänge mit der Welt, die wir mitgebracht haben; dann beginnt das Leben der höhe­ren Hierarchien an uns heranzuleuchten und in uns einzudringen; wir bekommen ein Mitleben mit den Wesen der höheren Hier­archien, wir leben uns mehr und mehr in die Welt der höheren Hierarchien ein. Um aber zu verstehen, wie wir uns einleben, dazu ist notwendig, daß wir tatsächlich über die durch die imaginative Erkenntnis wahrzunehmenden sozusagen Größenverhältnisse unse­res Wesens uns aufklären, indem wir uns von unserem physischen Leibe herausziehen mit unserem seelischen Wesen.

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Das tun wir ja, wenn wir durch die Pforte des Todes gehen. Da dehnt sich tatsächlich unser Wesen aus, da wird unser Wesen immer größer und größer. Das ist eine schwierige Vorstellung; aber es ist doch so. Wir sind in der Tat nur auf der Erde versucht zu glauben, daß wir so groß sind wie die Grenze unserer Haut. Es ist ein Hinaus-wachsen in die endlosen Räume, sozusagen ein immer Größer- und Größerwerden. Und wenn wir am Ende der Kamalokazeit an­gelangt sind, sind wir buchstäblich so groß, daß wir bis zu dem Umkreis reichen, den der Mond um die Erde macht. Also, wir wer­den sehr, sehr groß. Wir werden, wie der Okkultist sagt, zu Mondbewohnern; das heißt aber, wir dehnen unser Wesen so weit aus, daß unsere äußere Grenze zusammenfällt mit dem Kreis, den der Mond um die Erde beschreibt. Ich kann auf die Lagenverhältnisse der Planeten heute nicht eingehen, aber Sie werden das, was schein­bar mit der äußeren Astronomie nicht stimmt, aufgeklärt finden, wenn Sie die Dinge mit dem in Düsseldorf gehaltenen Vortrags­zyklus über «Geistige Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der physischen Welt» vergleichen. Und dann wachsen wir weiter hin­aus in den Weltenraum, in unser ganzes Planetensystem hinein, und wachsen dann zunächst in das, was der Okkultist die Merkur-sphäre nennt, hinein. Das heisst, wir werden - in den Grenzen, die Sie sich ja selbst abstecken, wenn Sie die Dinge richtig verstehen -, wir werden nach der Kamalokazeit Merkurbewohner, und wir füh­len uns auch durchaus dann so, daß wir den Weltenraum bewoh­nen. So wie wir uns während unseres physischen Daseins als Erden-bewohner fühlen, so fühlen wir uns dann als Merkurbewohner. Ich kann in Einzelheiten nicht beschreiben, wie sich das ausnimmt, aber das Bewußtsein ist durchaus vorhanden: Wir sind jetzt nicht etwa nur in einem so kleinen Raumteil eingegrenzt wie auf der Erde, sondern unser ganzes Sein umfaßt tatsächlich diesen weiten Umkreis, der be­grenzt wird durch die Bahn, die der Merkur beschreibt. Diese Zeit, die wir da durchleben, wie wir sie durchleben, das hängt auch davon ab, wie wir uns vorbereitet haben hier auf der Erde, was wir hier für Kräfte aufgenommen haben, um in der richtigen oder unrichtigen Art hineinzuwachsen in diese Merkursphäre.

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Man kann nun bei der okkulten Untersuchung zwei Menschen vergleichen - oder mehrere Menschen, aber sagen wir zunächst zwei Menschen -, um zu einer Erkenntnis dieser Tatsache zu kom­inen. Und da ist verglichen worden die Seele eines Menschen zum Beispiel, welcher in unmoralischer Verfassung durch die Pforte des Todes gegangen ist, mit der Seele eines Menschen, der in morali­scher Seelenverfassung durch die Pforte des Todes gegangen ist. Da stellt sich ein beträchtlicher Unterschied heraus. Es zeigt sich schon sehr bald, wie der Unterschied zunächst ist, wenn es sich handelt um das Verhältnis des einen Menschen zu anderen, die er nach dem Tode trifft. Da ist es so, daß bei dem Menschen mit moralischer Seelenverfassung ja auch die Bilder da sind, in die die Seele eingehüllt ist; aber der Mensch findet überall die Möglich­keit, sozusagen bis zu einem gewissen Grad mit diesen anderen Menschen zusammen zu sein. Das macht die moralische Seelen-verfassung. Während bei unmoralischer Seelenverfassung das eintritt, daß der Mensch das wird, was man nennen kann eine Art Ein­siedler in der geistigen Welt. Er weiß zum Beispiel, daß ein Mensch, der auch in der geistigen Welt ist, ihn auf der Erde gekannt hat; er weiß, daß er mit ihm zusammen ist, aber er kann keine Möglichkeit finden, sozusagen aus dem Gefängnis seiner imaginativen Wolke herauszukommen und an ihn heranzutreten. Moralität macht uns zum geselligen Wesen in der geistigen Welt, zu einem Wesen, das Beziehungen anknüpfen kann mit anderen Wesen; Unmoralität macht uns zum Einsiedler in der geistigen Welt, versetzt uns in die Einsamkeit. Und dies ist eigentlich ein wichtiger kausaler Zusam­menhang zwischen Dingen, die sich hier auf der Erde mit unserer Seele abspielen, und dem, was zwischen dem Tod und einer neuen Geburt geschieht.

Und so ist es auch im weiteren Verlauf. Wir durchleben in einet weiteren Zeit, nachdem wir durch die Merkursphäre gegangen sind im Sinne des Okkultismus, die sogenannte Venus-Sphäre, fühlen uns als Venusbewohner. Da ist es, zwischen Merkur und Venus, wo allmählich unsere Wolke sozusagen von außen beschienen wird, wo herankommen können an den Menschen die Wesenheiten der höheren

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Hierarchien. Aber jetzt hängt es wieder davon ab, ob wir uns in der richtigen Weise bereit gemacht haben, als gesellige Geister in die Reihen der Hierarchien aufgenommen zu werden, mit ihnen etwas zu tun haben zu können, oder ob wir zwar wissen, daß sie da sind, aber wie Einsiedler gleichsam an jedem vorbeigehen müs­sen, wie Einsiedler uns da bewegen in der geistigen Welt. Und in dieser Venus-Sphäre ist es wiederum von etwas anderem abhängig, ob wir gesellige Geister sind oder einsam hinwandelnde Geister. Während es in der vorigen Sphäre nur möglich ist, ein geselliger Geist zu sein, wenn wir uns durch Moralität dazu vorbereitet haben auf der Erde, ist im wesentlichen die Kraft, die uns zur Gesellig­keit, das heißt zu einem gewissen sozialen Leben in der Venus-Sphäre führt, das religiöse Leben, die religiöse Stimmung der Seele. Und wir können uns am ehesten zu Einsiedlern in dieser Venus-Sphäre verurteilen, wenn wir während des Erdenlebens keine religiöse Stim­mung, kein Gefühl unserer Zusammengehörigkeit mit dem Unend­lichen, mit dem Göttlichen, entwickelt haben. Ja, es ist das eben so, daß es sich tatsächlich für die okkulte Beobachtung so darstellt, daß der Mensch zum Beispiel durch einen bloßen atheistischen Hang, durch ein Ablehnen jeder Beziehung seiner Endlichkeit zur Unend­lichkeit sich in das Gefängnis seiner eigenen Sphäre einsperrt. Und es ist eine Wahrheit, wenn gesagt wird, daß der sogenannte Monisten­bund, in dem sich die Leute auch gesellig über die Erde vereinigen, durch sein Bekenntnis es wirklich dazu bringt, daß die Leute, die in ihm verbunden sind mit einem nicht zur religiösen Stimmung hin­neigenden Bekenntnis, sich gut dazu vorbereiten, daß sie dann keinen Monistenbund mehr bilden können, sondern wirklich jeder in seinem eigenen Gefängnis sitzt.

Das ist nicht etwas, was ein Urteil begründen soll, sondern was sich eben aufdrängt für die okkulte Beobachtung als etwas, was ganz notwendig als Folge der irdischen religiösen oder unreligiösen Emp­findungen auftreten muß. Nun wissen wir ja, daß auf der Erde die verschiedensten Religionen gestiftet worden sind, und zwar im we­sentlichen im Laufe der Menschheitsentwickelung aus einem ge­meinsamen Quell heraus. Sie sind gestiftet worden so, daß aus diesem

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gemeinsamen Quell heraus die einzelnen Religionsstifter berücksich­tigt haben die Temperamente der einzelnen Völker, Klima und alle Dinge, an welche die Religionen angepaßt werden mußten. So kamen natürlich die Seelen nicht mit einer allgemeinen religiösen Stimmung in diese Sphäre der Venus, sondern sie kamen dahin mit der Stimmung ihres besonderen Religionsbekenntnisses. Wenn man auch ein Gefühl hat für das Geistige, für das Ewige, für das Gött­liche, aber dieses Gefühl mit einer bestimmten Färbung dieses oder jenes Religionsbekenntnisses hat, bewirkt das wiederum, daß man nur ein geselliges Wesen wird für die, welche sozusagen die gleichen Empfindungen haben, welche in demselben Religionsbekenntnis hier auf der Erde gelebt haben. Und daher können wir gerade in der Venus-Sphäre die Menschen abgetrennt finden nach ihren besonde­ren Religionsbekenntnissen. Die Menschen sind ja auf unserer Erde, wie wir wissen, nach Rassen, mehr nach äußeren Merkmalen bisher gegliedert gewesen. Da Rassen-, Stammeszusammengehörigkeiten mit den religiösen Bekenntnissen etwas zu tun haben, so entspricht im allgemeinen, aber nur im allgemeinen, auch etwas diese Konfigu­ration von Gruppen in der Venus-Sphäre - aber doch nicht ganz genau - dem, wie die Menschen hier auf der Erde gegliedert sind, weil eben dort die Menschen nur sich gliedern nach ihrem Verständ­nisse eines gewissen Religionsbekenntnisses. Dadurch schließen sich gleichsam die Menschen in bestimmte Grenzen, in Provinzen ein, daß sie nur Empfindungen haben für ihre bestimmten Religions­bekenntnisse. In der Merkursphäre zeigt der Mensch noch mehr hauptsächliches Verständnis für die Menschen, welche hier auf der Erde mit ihm verbunden waren, zu denen er eine gewisse Beziehung gehabt hat. Wenn er nun eine moralische Seelenverfassung hatte, so ist er während der Merkursphäre im wesentlichen im Umgange mit den Menschen, zu denen sich hier schon ein Verhältnis angesponnen hat. Während der Venus-Sphäre ist der Mensch mehr aufgenommen in die großen religiösen Gemeinschaften, in die er aufgenommen sich fühlte durch die Beschaffenheit seiner Seele hier im Erdendasein.

Die nächste Sphäre nun, die der Mensch zu betreten hat, ist die Sonnensphäre. Und wir kommen in der Tat zwischen dem Tod und

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einer neuen Geburt dazu, uns eine gewisse Zeit hindurch als Son­nenbewohner zu fühlen, das heißt zu wissen: Wir sind mit der Sonne verbunden. Wir lernen in dieser Zeit durchaus das Wesen der Sonne kennen, das ganz anders ist, als die physische Astronomie es heute beschreibt. Und wiederum handelt es sich darum, daß wir in die Sonnensphäre uns einzuleben vermögen in der richtigen Art. In der Sonnensphäre tritt nun namentlich eines uns entgegen: da tritt das starke Bedürfnis in der Seele auf wie durch eine elementare Kraft, dass alle Sonderheiten zwischen den Menschenseelen auf-hören müssen. Während wir in der Merkursphäre mehr oder weni­ger eingereiht sind in den Kreis, zu dem wir auf der Erde Beziehung gehabt haben, während wir in der Venus-Sphäre heimisch sind durch ein religiöses Leben innerhalb der Kreise, die mit uns religiös gleich empfunden haben auf der Erde, und wir uns noch in gewisser Weise befriedigt fühlen können bloß in diesen Gemeinschaften, fühlt die Seele tiefe Einsamkeit auf der Sonne, wenn sie sich ver­urteilt fühlt, kein Verständnis zu haben für alle Seelen, die von der Erde zwischen dem Tod und einer neuen Geburt in diese Sonnen-sphäre versetzt werden, wie zum Beispiel Felix Balde. Nun war es für die alten Zeiten der Menschheitsevolution so, daß ja tatsächlich die Seelen während der Venus-Sphäre sozusagen in den einzelnen Reli­gionsprovinzen befindlich waren, dort ihr Verständnis fanden und gaben und daß, weil alle Religionen aus einem gemeinsamen Quell sind, der Mensch, wenn er in die Sonnensphäre übertrat, gleichsam von dem alten gemeinsamen Erbstück aller Religionsbekenntnisse so viel hatte, daß ihm die Möglichkeit gegeben war, in der Sonnen-sphäre an alle anderen Seelen heranzutreten und mit ihnen zusam­men zu sein, sie zu verstehen, mit ihnen Gemeinsamkeit zu pflegen, mit ihnen geselligen Geistes sein zu können.

Die Seelen der älteren Menschheitsentwickelung konnten durch sich selber nicht viel dazu tun, dieser Sehnsucht, die da auftritt, ent­gegenzukommen; aber dadurch, daß ohne menschliches Zutun ein allgemein menschlicher Kern in den Seelen war, fanden die Seelen die Möglichkeit, über das religiöse Bekenntnis hinaus mit den Seelen anderer Religionsbekenntnisse zu verkehren. Im alten Brahmanismus,

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im chinesischen Bekenntnis, in den anderen Religionen der Erde steckte so viel von dem gemeinsamen religiösen Kern, der mit­gegeben war aus dem gemeinsamen Urquell aller Religionen, daß die Seelen in der Sonnensphäre sich gleichsam in der Urheimat aller Religionen fanden, welche den Quell alles religiösen Lebens in sich birgt. Das ist nun in der mittleren Erdenzeit anders geworden. Der Zusammenhang mit dem Urquell der Religionen ist verloren­gegangen, und er kann erst wiederum durch eine okkulte Erkennt­nis aufgefunden werden; so daß auch für diese Sonnensphäre in un­serem gegenwärtigen Menschheitszyklus sich der Mensch schon auf der Erde vorbereiten muß und nicht von selbst zu einer allgemein menschlichen Geselligkeit kommt. Darin haben wir wiederum etwas, worin das große Bedeutsame des Mysteriums von Golgatha, des Christentums, liegt, daß es für die neuere Menschheit, für den jetzi­gen Menschheitszyklus die Möglichkeit gibt, auf der Erde sich so vor­zubereiten, daß der Mensch zu einem allgemein-menschlich geselli­gen Leben während der Sonnensphäre kommt. Darum mußte der Sonnengeist, der Christus, herniedersteigen auf die Erde. Und nach­dem er her niedergestiegen ist und sich vereint hat mit der Erde, kann auf der Erde die Möglichkeit gefunden werden für die Seelen, in der Sonnensphäre zwischen dem Tod und einer neuen Geburt ein allge­mein menschliches geselliges Wesen zu werden.

Es könnte vieles angeführt werden für das Universelle des wirk­lich verstandenen Christus-Mysteriums. Wir haben ja schon vieles angeführt im Laufe der Jahre; man kann aber dieses Christus-Mysterium immer wieder und wiederum von neuen Seiten beleuch­ten. Wenn gesagt wird, daß durch eine besondere Hervorhebung des Christus-Mysteriums etwa Vorurteile gegenüber den anderen Reli­gionsbekenntnissen hervorgerufen würden - das ist ja oftmals ge­sagt worden, daß zum Beispiel in unserer geisteswissenschaftlichen Bewegung hier in Mitteleuropa das Christus-Mysterium besonders betont würde und dadurch gleichsam die andern Religionsbekennt­nisse nicht gleich behandelt würden -, wäre ein solcher Vorwurf das Unverständlichste, was gemacht werden kann; denn dieses Christus-Mysterium ist seiner eigentlichen Bedeutung nach eben

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sozusagen erst in den neuen Zeiten okkult entdeckt worden. Und wenn etwa der Buddha-Bekenner sagen wollte: Du stellst das Chri­stentum über das Buddha-Bekenntnis, weil du den Christus als irgend etwas Besonderes hinstellst, das steht noch nicht in meinen heiligen Büchern, also benachteiligst du den Buddhismus - so ist das nicht verständiger, als wenn der Buddhist verlangen wollte, man solle auch nicht die kopernikanische Weltanschauung annehmen, weil die auch nicht in seinen heiligen Büchern steht. Es hat nichts zu tun mit der Gleichberechtigung der Religionen, daß Dinge, die später gefunden worden sind, anerkannt werden. Das Mysterium von Gol­gatha ist so, daß es kein besonderes Privileg eines christlichen Be­kenntnisses ist, sondern es ist eine geisteswissenschaftliche Wahrheit, die geradeso wie das kopernikanische Weltensystem von jedem reli­giösen System anerkannt werden kann, und es handelt sich wahr­haftig nicht um die Geltendmachung eines Religionsbekenntnisses, das das Mysterium von Golgatha recht schlecht bisher verstanden hat, sondern um die geisteswissenschaftliche Tatsache des Myste­riums von Golgatha. Ist dieses aber schon recht unverständig, so ist noch unverständiger, davon zu sprechen, daß man nun alle Religions­bekenntnisse abstrakt vergleichen und eine Art abstrakter Gleichheit des Wesens aller Religionsbekenntnisse annehmen solle. Denn da müssen konkret diese verschiedenen Religionsbekenntnisse nicht mit dem, was das Christentum geworden ist als dieses oder jenes Bekennt­nis, sondern mit dem, was es seinem Wesen nach enthält, zusammen­gestellt werden.

Nehmen Sie das Hindu-Bekenntnis. Zu diesem wird niemand auf­genommen, der nicht ein Hindu ist. Das ist im wesentlichen an ein Volk gebunden. So ist es bei den meisten alten Religionsbekennt­nissen. Einzig der Buddhismus hat es durchbrochen; aber auch er ist nur für eine bestimmte Gemeinschaft, wenn er richtig verstanden wird. Aber nehmen Sie jetzt die äußeren Tatsachen. Würden wir zum Beispiel in Europa ein Religionsbekenntnis haben, das in gleicher Weise zu behandeln wäre wie meinetwillen das Hindu-Bekenntnis, dann müßten wir auf den alten Wotan schwören. Das war ein natio­naler Gott, war das, was gegeben war einem einzelnen Stamm, einem

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Volk. Aber was ist geschehen im Abendlande? Wahrhaftig, nicht irgendein nationaler Gott ist angenommen worden, sondern in bezug auf das äußere Leben eine ganz fremde Persönlichkeit: der Jesus von Nazareth ist herübergenommen worden. Während im wesentlichen die anderen Religionsbekenntnisse etwas Religiös-Egoistisches haben und nicht über sich hinaus wollen, ist ja das gerade das Bezeichnende des Abendlandes, daß es zurückgedrängt hat seine religiös-egoisti­schen Systeme, zum Beispiel das alte Wotan-System, und etwas an­genommen hat, was nicht in seinem eigenen Fleisch und Blut ge­wachsen ist, es angenommen hat wegen seines seelischen Gehaltes. Das Christentum ist für das Abendland durchaus nicht in demselben Sinne ein religiös-egoistisches Bekenntnis, als es andere Religions­bekenntnisse für die einzelnen Völker waren. Das ist das außerordent­lich Wichtige, das schon aus den äußeren Tatsachen her ins Auge gefaßt werden muß. Und das macht das Universelle des Christen­tums in einer anderen Beziehung aus, wenn dieses Christentum wirk­lich das Mysterium von Golgatha in den Mittelpunkt des Mensch­heitswerdens zu stellen weiß.

Dieses Christentum ist ja noch nicht sehr weit fortgeschritten in seiner Entwickelung; denn zwei Dinge kann man in diesem Christen­tum noch immer nicht ordentlich unterscheiden. Man wird sogar sehr langsam und allmählich erst dahin kommen, dies zu unter­scheiden. Im richtigen Sinn des Mysteriums von Golgatha, wer ist da ein Christ? Der ist ein Christ, der weiß, daß mit dem Mysterium von Golgatha etwas Reales geschehen ist, dass der Sonnengeist im Christus gelebt hat, sein Wesen ausgegossen hat über die Erde und daß der Christus für alle Menschen gestorben ist. Obwohl Paulus schon verkündet hat, der Christus ist nicht nur für die Juden ge­storben, sondern auch für die Heiden, versteht man dieses Wort heute immer noch recht wenig. Erst wenn man weiß, daß der Christus für alle Menschen die Tat auf Golgatha vollbracht hat, dann wird man das Christentum verstehen. Denn ein anderes ist diese reale Wirkung die sich ausgegossen hat von Golgatha, und ein anderes, ob man sich ein Verständnis dafür angeeignet hat. Daß man weiß, was der Christus ist, soll man anstreben, aber man kann niemals einen Menschen auf

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Erden nach dem Mysterium von Golgatha anders ansehen als so, daß man sagt: Ob du Chinese oder Hindu bist, der Christus ist auch für dich gestorben, und er hat diese Bedeutung für dich wie für einen andern. So daß im richtigen Verständnis des Mysteriums von Golga­tha sich die Anschauung ergibt, daß wir jedem Menschen entgegen-treten und fragen: Wieviel hat er Christliches? - gleichgültig, was er für einen Glauben hat. Weil der Mensch sich immer mehr und mehr Bewußtsein davon erwerben muß, was in ihm real ist, ist es selbstverständlich ein hohes Ideal, auch etwas zu wissen vom Chri­stus-Mysterium. Dieses wird sich immer mehr und mehr verbreiten. Und das wird dazu gehören: Verständnis zu haben für das Mysterium von Golgatha. Das ist aber etwas anderes als die Auffassung, die man haben kann von dem Mysterium von Golgatha: das Universelle, das für alle Menschen gültig ist. Jetzt kommt es darauf an, daß wir es in der Seele empfinden: das macht uns zu geselligen Wesen in der Sonnensphäre. Wir sind dort Einsiedler, wenn wir uns eingeschlossen in irgendein Religionsbekenntnis fühlen; wir sind gesellige Wesen in der Sonnensphäre, wenn wir Verständnis haben für das Universelle des Mysteriums von Golgatha. Da finden wir die Möglichkeit, mit jedem Wesen etwas zu tun zu haben, das in der Sonnensphäre an uns herankommt. Zu frei beweglichen Wesen in der Sonnensphäre macht uns die Empfindung, die wir uns aneignen während der Erdenzeit für das Mysterium von Golgatha innerhalb unseres Menschheitszyklus.

Denn zu was müssen wir in der Lage sein gerade für diesen Zeit­punkt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt?

Hier kommen wir auf eine Tatsache, die außerordentlich wichtig ist für den neueren Okkultismus. Diejenigen Menschen, welche in den Zeiten, bevor sich auf der Erde das Mysterium von Golgatha vollzogen hatte, gelebt haben - im wesentlichen gilt das, was ich jetzt sage, ganz genau nicht -, fanden in der Sonnensphäre sozu­sagen den Thron Christi und den Christus dort darauf. Sie konnten ihn erkennen, weil die alten Erbstücke von der Gemeinsamkeit aller Religionen in ihnen gelebt haben. Aber dieser Christusgeist ist von der Sonne heruntergestiegen, und im Mysterium von Golgatha ist er sozusagen ausgefiossen in das Leben der Erde. Und indem er da

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in das Leben der Erde ausgeflossen ist, hat er die Sonne verlassen, und man findet heute zwischen dem Tod und einer neuen Geburt in der Sonne bloß das Akasha-Bild von dem Christus. Der Thron ist dort nicht eingenommen von dem wirklichen Christus. Wir müssen von der Erde die Vorstellung von dem lebendigen Zusam­menhang mit dem Christus mit hinaufbringen, damit wir durch das Akasha-Bild den lebendigen Zusammenhang mit dem Christus haben können. Dann finden wir die Möglichkeit, von der Sonne aus auch den Christus zu haben, die Möglichkeit, daß er alle Kräfte in uns erregt, die wir erregt haben müssen, wenn wir die Sonnensphäre in der richtigen Weise durchwandern sollen.

Unsere Wanderung zwischen dem Tod und einer neuen Geburt geht noch weiter. Von der Erde aus haben wir die Kraft gehabt, namentlich durch moralische und religiöse Seelenverfassung, uns so-zusagen hineinzuleben in die Wesenheiten, mit denen wir zusammen waren auf der Erde, und dann in die Wesenheiten der höheren Hier­archien. Aber diese Kraft erlahmt allmählich, wird immer dämmer­hafter und dämmerhafter, und das Wesentliche, was uns bleibt, ist eigentlich die Kraft, die wir saugen auf der Erde aus dem Mysterium von Golgatha, daß wir uns zurechtfinden in der Sonnensphäre. Dafür tritt ein neuer Lichtträger in der Sonnensphäre auf, den wir kennen­lernen müssen in seiner urkräftigen Eigenart. Das Verständnis für den Christus bringen wir uns von der Erde mit; damit wir uns aber weiter entwickeln können, weiter hinauf in das Weltenall von der Sonnensphäre in die Mars-Sphäre hinein, dazu ist notwendig, daß wir - und das können wir einfach dadurch, daß wir Menschenseelen sind -, daß wir den zweiten Thron erkennen, der sozusagen neben dem Christus-Thron in der Sonne sich befindet, von dem aus wir das andere Wesen kennenlernen, das jetzt mit dem Christus uns weiterleitet: den Luzifer. Wir lernen jetzt Luzifer kennen, und durch das, was er uns an Kräften zu geben in der Lage ist, können wir die Weiterwanderung durch die Mars-, Jupiter- und Saturnsphäre machen.

Und immer weiter kommen wir in den Weltenraum, in immer dauernder Vergrößerung. Es tritt nun in der Tat, wenn wir uns so

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über die Saturnsphäre hinausbewegen, etwas ein, was unseren Be­wußtseinszustand etwas ändert. Wir geraten gleichsam in eine Art von kosmischer Dämmerung - man kann nicht sagen kosmischen Schlafes, aber kosmischer Dämmerung. Dadurch können aber ge­rade erst recht die Kräfte des gesamten Weltalls auf uns herein-wirken. Von allen Seiten wirken dann die Kräfte auf uns, und wir nehmen Kräfte des ganzen Kosmos in uns auf. Es gibt also, indem wir uns da hinausgedehnt haben, eine Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, wo in unser Wesen wie von allen Seiten die Kräfte des ganzen Kosmos hereinkommen, wie von allen Sternen die Kräfte hereinkommen in unser Wesen. Dann beginnen wir uns zusammenzuziehen, kommen wieder durch die verschiedenen Sphä­ren herein bis zur Venus-Sphäre, ziehen uns zusammen, kleiner und kleiner werdend, bis die Zeit kommt, wo wir uns wiederum mit einem irdischen Menschenkeim verbinden können.

Was aber sind wir da, indem wir uns mit diesem Keim verbinden? Das sind wir, was wir geschildert haben zwischen Tod und neuer Geburt. Aber wir haben die Kräfte des ganzen Kosmos aufgenommen. Draußen in der größten Ausdehnung haben in unser Wesen die Kräfte des ganzen Kosmos hereingewirkt. Während wir beim Hin­ausentwickeln das, was an uns herandringen kann, um so mehr auf­genommen haben, je besser wir uns dazu vorbereitet haben, und unser Karma präpariert wird durch die Art, wie wir zusammengelebt haben mit den Menschen, die wir getroffen haben, bilden sich in uns dadurch, daß wir nach dem Tode mit ihnen zusammenleben, die Kräfte aus, die durch Karma in einem neuen Erdenleben diese Dinge ausgleichen. Daß wir als ein Mensch erscheinen, daß wir imstande sind, innerlich Karma zu haben, welches zugleich die kosmischen Kräfte in sich aufnimmt, das hängt aber davon ab, daß wir in einer bestimmten Zeit zwischen Tod und einer neuen Geburt die Kräfte des ganzen Kosmos aufnehmen. Und wenn ein Mensch herein-geboren wird in die physische Welt, dann hat sich mit dem physischen Menschenkeim das verbunden, was bis ins kleinste zusammengezogen ist, aber herein sich geholt hat aus einer riesenhaften Vergrößerung die Kräfte des ganzen Kosmos. Wir tragen eben den ganzen Kosmos

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in uns, wenn wir uns auf der Erde wieder verkörpern. Und in einer gewissen Beziehung dürfen wir sagen: Wir tragen diesen Kosmos so in uns, wie er sich vereinigen kann, wie er sich richtig vereinigen kann mit dem, was wir beim Hinauswandern, beim uns Ausdehnen in die Sphären nach unserem früheren Erdendasein in der Seele als Stimmung mitgebracht haben.

Diese zwei Dinge werden zusammengefaßt, zusammengepaßt, könnten wir sagen: die Anpassung an den gesamten Kosmos und an unser früheres Karma. Daß wir auch an unser früheres Karma angepaßt sind - was aber in Harmonie treten muß mit dem Kos­mos -, das trat mir bei den Untersuchungen der letzten Monate in außerordentlich merkwürdiger Weise entgegen in einzelnen Fällen

- das sage ich ausdrücklich -, in einzelnen Fällen; ich will nicht ein allgemeines Gesetz damit aussprechen. Wenn ein Mensch stirbt, also durch die Pforte des Todes geht, dann stirbt er unter einer gewissen Sternenkonstellation. Und diese Sternenkonstellation ist in der Tat wesentlich für sein weiteres Seelenleben insofern, als sie sich in einer gewissen Weise abdrückt in sein Seelenwesen und als Abdruck wirk­lich bleibt. Und es bleibt das Bestreben in dieser Seele, mit dieser Sternenkonstellation wiederum hereinzukommen bei der neuen Ge­burt, wiederum gerecht zu werden den Kräften, die man aufgenom­men hat im Todesmoment, wiederum hereinzukommen in dieser Sternenkonstellation. Und da ist es interessant: Wenn man so ver­sucht die Sternenkonstellation herauszubekommen für einen mensch­lichen Tod, so stimmt die Sternenkonstellation der späteren Geburt in hohem Maße überein mit der Sternenkonstellation des früheren Todes. Nur muß man berücksichtigen, daß ein anderer Fleck der Erde es ist, auf dem der Mensch geboren wird, der dieser Sternen-konstellation entspricht. So wird der Mensch in der Tat dem Kosmos angepaßt, fügt sich hinein in ihn, und es gibt so in der Seele eine Art von Ausgleich zwischen dem individuellen und dem kosmischen Leben.

Kant hat einmal den schönen Ausspruch getan: Zwei Dinge seien es, die ihn ganz besonders erhöben, der bestirnte Himmel über ihm und das moralische Gesetz in ihm. Es ist dieses ein schöner Ausspruch

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aus dem Grund, den der Okkultismus uns anzeigt. Beide sind ja dasselbe: der bestirnte Himmel über uns und das, was wir als moralisches Gesetz in uns tragen. Denn im Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt wachsen wir hinaus in den Weltenraum, nehmen den gestirnten Himmel in uns auf und tragen dann in der Seele als unsere moralische Verfassung ein Abbild mit des gestirnten Himmels. Hier ist einer der Punkte, wo es in der Tat kaum mehr möglich ist, daß in der Seele die Geisteswissenschaft zu etwas anderem werde als zu einer moralischen universellen Empfindung. Hier ist einer der Punkte, wo sich das, was Theorie scheint, umwandelt in unmittelbares moralisches Leben der Seele, in moralische Impulse der Seele; denn hier fühlt der Mensch alle Verantwortlichkeit gegen-über seinem eigenen Wesen. Hier fühlt der Mensch: Du warst zwi­schen dem Tod und einer neuen Geburt in so einer Lage, daß der ganze Kosmos in dein Wesen hereinwirken mußte, und du zogst zu­sammen das, was du herausgezogen hast in den kleinen physischen Menschenkeim. Du bist verantwortlich dem ganzen Kosmos, du trägst wirklich den ganzen Kosmos in dir. - Hier ist es, wo man etwas fühlt von dem, was anzudeuten versucht worden ist in der «Prüfung der Seele» in dem Monolog des Capesius, wo darauf auf­merksam gemacht wird in der Stelle: «In deinem Denken leben Weltgedanken... », was für ein bedeutungsvoller Augenblick es ist, wenn die Seele fühlt: Man hat die heilige Verpflichtung, die Kräfte hervorzuholen, die man aus dem Kosmos herausgezogen hat, weil man das den Göttern wieder zurückbringen muss, und wo die Seele erkennt, daß es größte Sünde wäre, diese Kräfte brach liegenzulassen. Bei diesen konkreten Untersuchungen stellte sich heraus, wie wir in der Tat den ganzen Kosmos in uns aufnehmen und ins Dasein wie­derum hereinbringen. Ja, von denjenigen Kräften, die der Mensch in der Tat mit sich herumträgt, sind nur die wenigsten eigentlich solche Kräfte, für die es irgendwelchen Ursprung auf der Erde gibt. Wir betrachten ja den Menschen in bezug auf die Kräfte, die in sei­nem physischen Leibe wirken, in seinem Ätherleibe walten, in seinem astralischen Leibe und Ich walten. Die Kräfte, die in unseren phy­sischen Leib hereinspielen, kommen uns allerdings unmittelbar von

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der Erde zu; aber was wir für den Atherleib brauchen, können wir nicht unmittelbar aus der Erde herausziehen, sondern nur aus den Kräften, die an uns herantraten zwischen dem Tod und der neuen Geburt, wenn wir uns hinausdehnen ins Planetensystem. Und ein Mensch, welcher eine unmoralische Seelenverfassung da hinein-bringt, wird nicht die richtigen Kräfte heranziehen können, während er in der Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt durch die Merkursphäre geht. Ein Mensch, der nicht die religiösen Impulse ausgebildet hat, kann nicht die rechten Kräfte in der Venus heran­ziehen, und so kommt es, daß wir die Kräfte, die wir im Ätherleib brauchen, verkümmert haben können. Hier sehen wir den karmischen Zusammenhang zwischen folgenden und früheren Leben sich aus­bilden. Das alles sind Dinge, welche uns zugleich darauf hinweisen, wie die Erkenntnisse, die wir uns verschaffen durch den Okkultis­mus, zu Impulsen in unserem Seelenleben werden können, und wie wir eigentlich nur zu wissen brauchen, was wir sind, um zu einem immer geistigeren und geistigeren Leben aufzusteigen.

Das, was das Mysterium von Golgatha vorbereitet hat, ist in un­serem Menschheitszyklus notwendig, damit der Mensch in der rich­tigen Weise in die Sonnensphäre sich hineinleben kann zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Das, was die Geistesforschung in Wirklichkeit zu leisten hat, ist das, daß der Mensch nun auch noch weiter über die Sonnensphäre hinauszuwachsen in der Lage ist mit jenem allgemein menschlichen, geistig geselligen Bewußtsein, das da notwendig ist. Für die Sonnensphäre genügt der empfindungs­gemäße Zusammenhang mit dem Mysterium von Golgatha. Damit aber das, was allgemein menschliches Verständnis und allgemein menschliches Fühlen gibt, auch über die Sonnensphäre hinaus bleibt für die Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, ist eben notwendig, daß wir in geisteswissenschaftlicher Weise die Be­ziehungen der einzelnen Religionen zueinander verstehen, die Ent­wickelung der einzelnen religiösen Impulse; daß wir nicht auf­wachsen in einem eng umgrenzten religiösen Bekenntnis mit den Empfindungsnuancen desselben, sondern daß wir die Möglichkeit gewinnen, für jede Seele, gleichgültig, was sie glaubt, Verständnis

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zu haben, wie auch sonst die Seelen sind. Eines erfüllt sich als das, was, wie man sagen kann, mit dem Christus-Impuls zusammenhängt für alle Seelen der Erdenentwickelung, eines erfüllt sich insbeson­dere zwischen dem Tode und einer neuen Geburt - das, was in den Worten liegt: «Wo zwei in meinem Namen vereinigt sind, bin ich mitten unter ihnen. » Und in diesem Ausspruch knüpft der Christus das Vereinigtsein von Zweien nicht an diesen oder jenen Glauben, sondern bloß an die Möglichkeit, daß er unter ihnen ist, indem sie in seinem Namen vereinigt sind.

Dasjenige, was jetzt seit Jahren gepflogen worden ist auch durch unsere Mysterienaufführungen, insbesondere durch die letzte, «Der Hüter der Schwelle», das sollte ein geisteswissenschaftliches Ver­ständnis geben für das, was im heutigen Zeitenzyklus notwendig ist. Da ist es notwendig, in einer gewissen Weise ein Verhältnis zu ge­winnen auf der einen Seite zum Christus-Impuls, dann aber auch zu den Mächten, die im Gegensatz zu ihm stehen: zu dem Luzifer- und Ahriman-Impuls. Daß wir es da zu tun haben mit Mächten, die im Weltenall, sobald wir über die Maja hinauskommen, Kräfte entwik­keIn, das ist das, was wir verstehen lernen müssen. Denn die Zeit kommt immer mehr und mehr heran in der Menschheitsentwicke­lung, wo man wird lernen müssen, daß es auf das Wesenhafte an­kommt und nicht auf die Lehre. Und an nichts so sehr wie an dem Mysterium von Golgatha stellt es sich uns dar, wie es auf das Wesen-hafte ankommt und nicht auf den Inhalt des Wortes. Ich möchte -denn mit den Menschen, die wirklich genau prüfen das, was hier gesagt sein soll aus okkulten Quellen heraus, ist am leichtesten aus­zukommen -, ich möchte, daß man ganz genau prüfe, was ich jetzt zu sagen haben werde. In allen Rel igionsbekenntnissen gibt es nichts Ähnliches wie dieses. In all dieser Tiefe, wie es sich durch das Myste­rium von Golgatha darstellt, ist es nicht in den anderen Religions­bekenntnissen.

Die Welt hat heute noch ein ganz besonderes Vorurteil. Man redet davon, wie wenn es in der Welt durchaus so zugehen müßte wie in einer Schule: dass es bloß auf die Weltenlehrer ankäme. Beim Chri­stus handelt es sich nicht um einen Weltenlehrer, sondern um einen

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Weltentäter, der das Mysterium von Golgatha vollbracht hat und dessen Wesenheit man zu erkennen hat. Darauf kommt es an. Wie wenig es auf das bloße Wort ankommt, auf den bloßen Lehrgehalt, das kann uns gerade dieses lehren, das ein schönes Wort aus dem Mund des Christus ist: «Ihr seid Götter! » (Johannes-Ev. 10, 34>, und daß er immer und immer hingewiesen hat darauf, daß der Mensch sein Höchstes erreicht, wenn er zum Bewußtsein des Gotteswesens in seiner Natur kommt. Und man könnte sagen, es tönt in die Welt das Christus-Wort hinaus: Ihr sollt euch bewußt sein, daß ihr götter­gleich seid! - Man könnte sagen: Eine große Lehre!

Von änderswo her tönt dieselbe Lehre. Da wo die Bibel erzählt von dem Ausgang der Erdenentwickelung, da ist es Luzifer, der her­antritt und sagt: Ihr sollt werden wie die Götter! Derselbe Lehr­gehalt, von Luzifer hertönend, derselbe Lehrgehalt, von Christus herrührend: Ihr sollt sein wie die Götter! Und beides bedeutet für die Menschen das Entgegengesetzte. Es sind wahrhaft erschütternde Posaunenklänge, die in diesen Worten klingen: das eine Mal her-tönend von dem Versucher, das andre Mal von dem Erlöser und Be­freier und dem Wiederhersteller der menschlichen Natur.

Auf die Erkenntnis des Wesens kommt es an, kommt es gar sehr an zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Die größte Gefahr ist vorhanden, den Luzifer mit dem Christus zu verwechseln in der Sonnensphäre, weil beide dieselbe Sprache sprechen, dieselbe Lehre auf der Sonne lehren und wir dieselben Worte von ihnen verneh­men, wenn wir von Worten da sprechen dürfen. Auf das Wesen kommt es an. Daß dieses oder jenes Wesen dieses oder jenes Wort spricht, darauf kommt es an, nicht auf den Lehrgehalt; denn das, was als reale Kräfte durch die Welt pulsiert, das ist das Wesentliche. Und in den höheren Welten und vor allem in dem, was in die irdi­schen Sphären hineinspielt, verstehen wir die Worte erst richtig, wenn wir wissen, von welchem Wesen die betreffenden Worte kom­men. Niemals erkennen wir an dem Inhalt der Worte die Höhe eines Wesens, sondern dadurch, daß wir den ganzen Welten-Zusammen­hang kennenlernen, in den ein Wesen hineingestellt ist. Das können wir ganz genau bestätigt sehen an dem Wort von der Göttergleichheit

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der Menschen, an dem Hereintönen des Luzifer und Christus in das Dasein.

Mit solchen Dingen sind wichtige Tatsachen der Evolution aus-gesprochen. Und sie werden ausgesprochen, nicht - auch in diesem Falle gar nicht so sehr - wegen ihres Inhaltes, sondern wegen ihres Wesenhaften; werden ausgesprochen, damit in den Seelen die Emp­findungen entstehen, die notwendig als Konsequenz solcher Worte entstehen sollten. Und wenn diejenigen, die solche Wahrheiten in sich aufgenommen haben, die Empfindungen aufnehmen und die Worte vergessen, so ist eigentlich gar nicht einmal so sehr viel ver­loren. Selbst wenn ich mir den radikalsten Fall denke, daß unter uns jemand wäre, der alles vergessen hätte, was jetzt gesprochen worden ist, und sich gar nicht an ein Wort erinnert, aber in der Empfindung das in sich trüge, was herausfließen kann aus solchen Worten, so würde er genügend in geisteswissenschaftlichem Sinne von dem ha­ben, was eigentlich mit diesen Worten gemeint ist.

Wir müssen ja in Worten sprechen, und Worte nehmen sich zu­weilen theoretisch aus. Aber das, worauf es ankommt, das ist, daß wir durch die Worte hindurch auf das Wesenhafte im Geiste zu blik­ken verstehen und dieses Wesenhafte in unsere Seele aufnehmen. Die Welt wird gar mancherlei gerade in bezug auf den Fortgang der Menschheitsentwickelung verstehen lernen, wenn sie die Geistes­wissenschaft wesenhaft erfaßt. Und da möchte ich heute nur zwei Beispiele anführen, die nicht gerade innerlich, sondern mehr äußer­lich mit meinen okkulten Forschungen der letzten Monate zusam­menhängen, aber die mir zum Beispiel recht frappierend waren, weil sie mir gezeigt haben, wie eigentlich erst dadurch, daß man etwas erkannt hat in der okkulten Lehre, was dem entspricht, das in der Welt schon da ist, was hereingeleitet worden ist durch inspirierte Menschen, diese Wahrheit dort wieder aufgefunden werden kann.

Sehen Sie, ich habe mich viel mit Homer beschäftigt, habe sie oft gelesen, die homerischen Werke. Nun trat mir im Verlauf der letz­ten Monate immer wieder das gerade lebendig vor die Seele: wie man nach dem Tode nichts ändern kann, wie die Verhältnisse die­selben bleiben; wie man zum Beispiel von einem Menschen, zu dem

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man irgendwie gestanden hat im Leben, weiß: du hast ihn zu wenig geliebt, aber wie man das nicht ändern kann. Wenn man diese Tat­sache ins Auge faßt und dann bei Homer liest, daß er das Jenseits schildert als den Ort, wo das Leben unveränderlich wird, dann fängt man erst an, die ganze Tiefe dieser Worte zu verstehen von dem Orte, wo die Dinge keiner Wandlung mehr unterliegen: Und das ist ein wunderbarer Eindruck, die eigene okkulte Erkenntnis mit dem zu vergleichen, was der « blinde Homer » wie ein Seelenseher herein­brachte als wichtige okkulte Wahrheit und sie in seinem Dichter-werk zum Ausdruck brachte!

Und noch etwas anderes war mir frappierend, wogegen ich mich wahrhaft gesträubt habe, weil es mir unglaublich erschien, dem aber nicht zu entkommen ist, wenn man mit allen Mitteln der okkulten Forschung daran herantritt.

Einige - oder die meisten von Ihnen - werden vielleicht von den sogenannten Mediceergräbern wissen in Florenz, von Michelangelo. Es sind Giuliano und Lorenzo de Medici und vier allegorische Figu­ren. Dabei denkt man sich gewöhnlich nichts Künstlerisches. Stroherne Allegorien, sagt man gewöhnlich. Nun sind ja eigentlich diese sogenannten allegorischen Figuren mit Ausnahme einer nicht recht fertig geworden; aber sie machen trotzdem nicht den Eindruck von Allegorien. In den Reisehandbüchern ist es sehr eigentümlich, daß man hingewiesen wird bei diesen Mediceergräbern auf die eine Seite: da stünde der eine der Mediceer, Lorenzo, auf der anderen der andere, Giuliano. Und die sind genau verwechselt. Der als der Lorenzo angesprochen wird, ist der Giuliano, und der als Giuliano angespro­chen wird, ist der Lorenzo. So ist es einmal. Und da steht es fast in allen Kunstgeschichten so - wie es nicht ist. Jedenfalls ist es nicht so, wie es in den Kunstgeschichten und im Baedecker steht. Ich habe mich nicht weiter darum bekümmert, warum es so ist, aber wahr ist es, daß die beiden Figuren immer verwechselt werden. Die Beschrei­bungen würden gar nicht stimmen, und wahrscheinlich hat man sie einmal umgestellt. Sie stehen jetzt anders als Michelangelo sie ge­stellt hat. Aber davon will ich nicht sprechen, sondern nur davon, daß da vier allegorische Figuren sind: am Fuße des einen Mediceers

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die Und dann sehe man sich den «Tag» an! Das ist keine stroherne Allegorie. Wenn man sich vorstellen würde, die niederen Glieder der menschlichen Wesenheit seien weniger tätig und am meisten tätig sei das Ich, dann ergäbe das, bis auf die eigentümliche Umdre­hung der ganzen Figur, die Figur des «Tages». Und wenn man aus­drücken wollte, wie am freiesten bei Ausschluß der anderen mensch­lichen Glieder der astralische Leib wirkt, wie er sich in der Geste ausdrückt, so hätte man das bei der sogenannten Allegorie der Mor­gendämmerung. Und wenn man ausdrücken wollte, wie wenn der physische Leib nicht sogleich zusammenfallen würde, sondern wie er schlaff wird, wenn sich Ich und astralischer Leib herausziehen, so ist das in der Geste der «Abenddämmerung» wunderbar aus­gedrückt. Man hat da vor sich die lebendigen Ausgestaltungen der vier menschlichen Wesensglieder. Man kann sich da ganz gut den­ken, wie eine solche Legende hat entstehen können, die sich verbrei­tet hat in bezug auf die «Nacht», von der gesagt worden ist, wenn Michelangelo allein war mit ihr, dann konnte sie lebendig werden

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und aufstehen und herumgehen, wenn man weiß, daß sie die ent­sprechende Geste des Äther- oder Lebensleibes hat, und der Ather­oder Lebensleib voll tätig sein kann bei dieser Geste. Und wenn man dies empfindet, dann sieht man diese Figur aufstehen, dann weiß man: sie kann herumgehen. Wenn sie nicht aus Marmor wäre, wenn wirklich der Äther- oder Lebensleib allein tätig wäre, der das Be­lebende ist, dann wäre kein Hindernis, daß sie herumginge.

Vieles ist hineingeheimnißt in das, was die Menschheitsevolution hervorgebracht hat, und vieles wird erst verständlich werden, wenn die Menschen durch das, was den okkulten Blick schärfen kann, die Dinge betrachten werden. Aber auf alle diese Dinge kommt es letzten Endes nicht an! Ob wir ein Kunstwerk besser verstehen oder nicht, das ist nichts allgemein Menschliches. Aber auf etwas anderes kommt es an: Wenn wir den Blick so geschärft haben, so geht uns ein Ver­ständnis auf für die Seele des anderen Menschen; nicht durch den okkulten Blick, der etwa schon hineinschauen muss in die geistige Welt, sondern durch den Blick der durch die Geisteswissenschaft geschärft ist. Durch das durch den gesunden Menschenverstand be­wirkte Verständnis der Geisteswissenschaft wächst in uns die Er­kenntnis dessen, was uns im Leben entgegentritt, vor allem dessen, was die Seele unserer Mitmenschen ist. Und wir werden versuchen Verständnis für jede menschliche Seele zu gewinnen.

Allerdings ist dieses Verständnis für jede menschliche Seele etwas anderes, als was man oftmals im Leben Verständnis nennt. Im Leben ist die Liebe leider nur zu häufig recht egoistisch. Man liebt den -nun, zu dem man eben durch dieses oder jenes Verhältnis ganz ¼-sonders hingezogen ist, und im übrigen begnügt man sich meist mit dem, was man allgemeine Menschenliebe nennt: man liebt die allge­meine Menschheit. Was ist denn das? Man muß jede Seele verstehen können.

Vielleicht wird man nicht jede vortreiflich finden, aber das ist ja nicht schlimm, denn mancher Seele schadet man durch nichts mehr, als wenn man sie in blinder Liebe anhimmelt.

Von diesem Faktor werden wir dann übermorgen noch etwas näher sprechen.

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DAS LEBEN ZWISCHEN DEM TODE UND EINER NEUEN GEBURT München, 28. November 1912 Zweiter Vortrag

Die Betrachtung, die wir vorgestern haben anstellen können über das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, zeigt uns ja, wie eng die ganze menschliche Wesenheit zusammenhängt mit dem, was man das universelle Leben im Weltenall nennen kann. Denn wenn Sie sich mancherlei von dem überlegen, was da gesagt wor­den ist, so werden Sie daraus entnehmen können, daß der Mensch eigentlich nur während seiner Erdenzeit gewissermaßen an einen Ort gebannt ist, daß er nur während seiner Erdenzeit einen gerin­gen Raum einnimmt, während er in der ganzen Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt dem Planetensystem und sogar der Welt außerhalb desselben in späterer Zeit nach dem Tode ein­verleibt ist. Wenn wir für die Entwickelung zwischen der Geburt und dem Tode oftmals sagen, um einen okkulten Tatbestand aus­zudrücken, der Mensch zeige sich als eine Art mikrokosmischen Abbildes des Makrokosmos, so müssen wir jetzt sagen: Zwischen dem Tod und einer neuen Geburt ist eigentlich der Mensch selber makrokosmisch; er ist ergossen in den Makrokosmos; er erweist sich da so recht als ein makrokosmisches Wesen, denn er muß in dieser Zwischenzeit die Kräfte, die er für seine nächste Inkarnation braucht, aus dem Makrokosmos ziehen. Und zwar können wir die­ses makrokosmische Leben zwischen dem Tod und einer neuen Ge­burt so auffassen, daß der Mensch in der ersten Zeit nach dem Tode gewissermaßen noch, wenn man sich so ausdrücken darf, die Eierschalen des irdischen Lebens an sich trägt, zusammenhängt mit dem, was das irdische Leben ihm geben konnte, was das irdische Leben aus ihm machen konnte. Dies ist ja die Zeit, welche zunächst besonders nahe geht den Bedürfnissen und Interessen des mensch­lichen Herzens. Wenn der okkulte Blick hingewendet wird auf irgend jemand, der vor verhältnismäßig kurzer Zeit den irdischen

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Plan verlassen hat, so ist er ja, wie wir wissen, in der Kamaloka­sphäre. Das ist die Sphäre, die, makrokosmisch gesprochen, bis zum Umkreis des Mondes geht. Der Mensch lebt sich also hinein, aus­dehnend seine seelisch-geistige Wesenheit so, daß er die ganze Mon­densphäre bewohnt. In dieser Zeit - das wissen wir ja schon - ist der Mensch ganz und gar noch verbunden mit der irdischen Welt. Die Wünsche, die Begierden, die Interessen, die Sympathien, die Antipathien, die er ausgebildet hat, die bilden Kräfte - das haben wir ja öfters schon beschrieben -, die ihn gleichsam zurückneigen zur irdischen Welt. Der Mensch ist da während der Kamalokazeit in einem gewissen Sinne eingeschlossen wie in eine Atmosphäre seiner eigenen astralischen Natur, wie er sie sich auf der Erde an­geeignet hat. Er wünscht sich noch immer das, was er sich auf der Erde gewünscht hat; er hat Interesse an dem, woran er auf der Erde Interesse gehabt hat. Und diese Zeit des Kamaloka ist ja gerade dazu da, daß der Mensch diese Wünsche abwickeln kann, aber daß diese Wünsche und Begierden - insofern sie abhängig sind von den phy­sischen Organen, und alle sinnlichen Genüsse zum Beispiel sind davon abhängig - ihm nicht befriedigt werden können und er sie also durch die Unmöglichkeit der Befriedigung sich abgewöhnt. Dies alles, was wir ja öfter geschildert haben in bezug auf den Menschen unmittelbar nach dem Tode, bezieht sich aber, wie wir leicht ein­sehen können, auf die Individualität des Menschen, im engsten Sinn des Wortes auf das, was der Mensch gleichsam aus seiner Astralität herauszureißen hat, was er sich abgewöhnen muß, was er von sich entfernen muß.

In einer andern Beziehung noch trägt der Mensch mit sich hin­aus zunächst in die Kamalokazeit die irdischen Zusammenhänge, und zwar in folgender Weise: Das, womit der Mensch zusammen­hängt, sei es an Tatsachen, sei es an Wesenheiten der Kamalokazeit, das hängt von seinem inneren Leben ab, hängt davon ab, wie das Betreffende vorgebildet, veranlagt ist in seiner Seele. Zum Beispiel:

ein Mensch geht durch die Pforte des Todes. Etwas früher ist irgend jemand, dem er nahegestanden hat, schon durch die Pforte des Todes gegangen, so daß wir sagen können: Beide Gestorbenen befinden

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sich in der Kamalokasphäre; sie können sich dort finden. Die okkulte Untersuchung zeigt durchaus, daß der Mensch nicht nur etwa be­schäftigt ist mit seiner eigenen Entwickelung, mit der Abgewöhnung seiner Wünsche, Begierden, Interessen und so weiter, sondern daß er bald nach dem Tode, nach einer kurzen, man möchte sagen, embryonalen Schlafenszeit die Menschen findet, denen er auf der Erde nahegestanden. Dagegen ist für diese erste Zeit im allgemeinen nicht gerade eine Aussicht vorhanden, daß der Mensch etwa jedes Wesen, das da mit ihm zugleich in der Kamalokasphäre ist, wirklich finden kann. Raum- und Zeitverhältnisse sind ja da ganz andere, namentlich Raumverhältnisse. Nicht darum handelt es sich, daß man nicht in die Nähe kommt von Wesen, denen man nicht nahegestanden hat, man mag ihnen so nahe als möglich kommen, man nimmt sie nicht wahr. Zum Wahrnehmen gehört, daß man dem be­treffenden Wesen im Leben nahegestanden hat Also diejenigen, denen man im Leben nahegestanden hat - es kommen da zunächst kaum andere Wesen als Menschen in Betracht-, die finden sich auch in der Umgebung eines Verstorbenen bald in der Kamalokazeit. Die Verhältnisse, in denen wir uns da nach dem Tode zu solchen Wesen­heiten befinden, die richten sich auch noch ganz nach den irdischen Verhältnissen, die wir zu ihnen ausgebildet haben. Und zwar in einer Weise, die ich auch schon vorgestern charakterisiert habe: in einer solchen Weise, daß wir genauso und der vollen Wahrheit entspre­chend zu einem mit im Kamaloka sich befindenden Menschen ste­hen, wie wir im Erdenleben gestanden haben, aber das nicht kön­nen, was wir während der Erdenzeit noch können, das heißt etwa das Verhältnis ändern. Es bleibt so bestehen, wie es auf der Erde war. Auf der Erde können wir zu einem Menschen, den wir geliebt haben, nachher Haß entwickeln und zu einem Menschen, den wir gehaßt haben, Liebe entwickeln; wir können uns bemühen, unsere Be­ziehung zu ihm zu ändern. So ist es nicht in der Kamalokazeit. Wir treffen einen Menschen, der vor uns hingestorben ist, und wir füh­len uns zunächst zu ihm in ein solches Verhältnis gebracht, wie es entsprochen hat dem letzten Verhältnis, das wir zu ihm auf der Erde gehabt haben. So stehen wir zu ihm. Dann leben wir ja, wie Sie

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wissen, rückwärts in der Zeit. Haben wir vorher ein anderes Ver­hältnis zu ihm gehabt, so können wir das nicht künstlich herbeiführen, sondern wir müssen ruhig zurückleben und durchleben dann nach dem entsprechenden Zeitpunkte ein Verhältnis, das wir zu ihm früher gehabt haben, das wir wieder nicht ändern kön­nen, das sich genau so ausdrückt, wie es sich auf der Erde ausge­drückt hat.

Man könnte leicht glauben, daß dieses ein außerordentlich schmerzvoller Zustand ist. Das ist er auch in einer gewissen Be­ziehung; man fühlt ihn sogar durchaus so, wie man etwa fühlt, wenn man gern ginge und angefesselt ist am Erdboden. Man fühlt sich geistig an ein Verhältnis, das auf der Erde gegeben worden ist, gebunden; man fühlt sich in einer Zwangslage. Das ist durchaus richtig. Und wenn diese Zwangslage eine starke ist, so ist das Ver­hältnis natürlich peinigend. Nun muß man, um einen solchen Zu­stand richtig zu verstehen und gemütsmäßig zu würdigen, nicht etwa nur den Gedanken haben, das sei ein schmerzlicher Zustand -schmerzlich ist er schon in vieler Beziehung; aber der Tote, der hat nicht nur das Bewußtsein, ein schmerzlicher Zustand sei vorhanden, sondern er hat das ganz entschiedene Bewußtsein, daß dieser Zu­stand notwendig ist, daß er sein muß, daß man sich geradezu Steine in den Weg wälzen würde, die die Entwickelung aufhalten, wenn man solchen Schmerz nicht durchmachen würde.

Was geschieht denn dadurch, daß man das alles durchmacht? Nehmen wir an, wir erleben so das Verhältnis zu einem andern Men­schen nach dem Tode, schauen also ein gewisses Verhältnis, das wir zu ihm gefunden haben im Leben, das wir gebildet haben, an, erleben es. Durch das Anschauen, durch das Erleben, durch das Hinstarren gleichsam, bilden sich in unserer Seele die Kräfte aus, zunächst in ihren geistigen Vorbildern, die wir brauchen, damit uns unser Karma in weiterer Zukunft richtig leitet, damit wir uns einfinden bei der Wiederverkörperung mit dem andern Menschen zusammen so, daß der karmische Ausgleich kommen kann. So werden gleichsam tech­nisch gezimmert die Kräfte, die zum karmischen Ausgleich notwen­dig sind.

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Ändern kann der Tote an dem, was ihm zunächst in der Um­gebung entgegentritt, kaum etwas; aber es tritt zuweilen doch für den Toten das intensive Bedürfnis auf, dieses oder jenes zu ändern. Man möchte sagen: Eine große Bedeutung gewinnen für den Toten unerfüllte Wünsche, aber solche unerfüllte Wünsche, die während des Lebens nicht immer ganz in das Bewußtsein heraufspielen. Und da kommt etwas in Betracht, was außerordentlich wichtig ist zu beachten. Im gewöhnlichen Leben hier auf dem physischen Plan, da fühlen wir ja gewiß diese oder jene Neigung, diese oder jene Sympathie in unserem Bewußtsein, machen uns diese oder jene Vor­stellung; aber unter diesem Bewußtsein ist ja das astrale, das Unter­bewußtsein. Das taucht nicht mit sehr starker Kraft in das Oberbewußtsein, in das eigentliche Ich-Bewußtsein herauf. Dadurch kommt etwas Unvollständiges, möchte man sagen, in das Bewußt­seinsleben des Menschen. Der Mensch lebt sich eigentlich als be­wußtes Wesen kaum jemals im Leben ganz aus. Wie der Mensch sich darlebt, das ist, könnte man sagen, keineswegs immer ganz wahr; das menschliche Seelenleben ist ja etwas außerordentlich Kompli­ziertes. Es kann vorkommen, daß jemand in seinem gewöhnlichen Bewußtsein, in seinem Ich-Bewußtsein, aus Vorurteilen heraus, aus Bequemlichkeit heraus, aus diesem oder jenem Grund heraus etwas gar nicht mag, vielleicht sogar haßt, während in seinem Unter­bewußtsein ein intensiver Wunsch nach dem ist, was er in seinem Oberbewußtsein sogar haßt. Und es kommt vor, daß die menschliche Seele oftmals intensiv arbeitet daran, gerade über solche Dinge sich zu täuschen.

Es kann zum Beispiel vorkommen, daß zwei Menschen mit­einander leben. Der eine von diesen zweien, die in irgendeinem Ver­hältnis stehen, kommt an die Geisteswissenschaft oder Anthropo­sophie heran, fühlt sich von ihr begeistert; der andere, der mit ihm lebt, fühlt sich nicht begeistert, sondern wird immer schrecklicher und schrecklicher in seinem Verhältnis, je mehr der andere sich in die Geisteswissenschaft einlebt, schimpft immer mehr und mehr über diese Geisteswissenschaft, verlästert sie. Nun ist folgendes möglich

- denn das menschliche Seelenleben ist kompliziert -, daß dieser

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andere, der die Geisteswissenschaft verlästert, wenn just nicht sein Freund oder ein anderswie mit ihm Zusammenlebender Anthropo­soph geworden wäre, vielleicht selbst bei irgendeiner geeigneten Gelegenheit es geworden wäre. Es hindert ihn gerade der, der mit ihm lebt, daß er selbst es auch wird. Das kann durchaus vorkommen; und es kann vorkommen, daß ein solcher, der diese Geisteswissen­schaft verlästert, der alles mögliche gegen die Geisteswissenschaft vorbringt in seinem Ich-Bewußtsein, in seinem Unterbewußtsein oder astralen Bewußtsein den intensivsten Wunsch danach hat - ja, daß, je mehr er die Geisteswissenschaft verlästert, desto stärker und stärker der Wunsch in ihm wird nach ihr. Im Leben hier auf der Erde läßt sich nämlich solches durchaus durchführen, daß man im Oberbewußtsein Dinge verlästert, die im Unterbewußtsein stärker und stärker zutage treten; aber der Tod macht Wahrheiten aus Un­wahrheiten. Und so kann man bemerken, daß Menschen durch die Pforte des Todes gehen, die, sei es aus Bequemlichkeit oder aus sol­chen Dingen heraus, wie wir sie geschildert haben, die Geisteswissen­schaft verlästert haben; es kann also vorkommen, und das kann für alles mögliche anwendbar sein, daß sie nach dem Tode, weil da die Wahrheit sich in der Menschenseele geltend macht, den Wunsch, den sie nicht bemerkt haben, in intensivster Weise fühlen. Und man kann nachweisen, daß Menschen durch die Pforte des Todes gehen, die scheinbar nach einer Sache gar keinen Wunsch gehabt haben, und daß doch nach dem Tode ein Wunsch mit aller Intensität her­vortritt. Also darauf kommt es nicht an bei der Prüfung unserer Kamalokazeit, ob unsere Wünsche, Begierden, Leidenschaften und so weiter im Oberbewußtsein, im Ich-Bewußtsein sind, sondern ob sie auch im astralischen, im Unterbewußtsein sind. Beide wirken in glei­cher Weise brennend nach dem Tode, und die Wünsche und Begier­den, die wir verhüllt haben hier im Leben, die wirken eigentlich noch intensiver nach dem Tode.

Nun muß bei einer solchen Sache berücksichtigt werden, daß irgend etwas, was an sich mit der Menschenseele verwandt ist, unter allen Umständen einen Eindruck auf diese Menschenseele macht. Was ich Ihnen jetzt sage, das ist gut untersucht; es kann wirklich

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als eine wichtige menschlich-seelische Tatsache erscheinen, und es ist gut, daß wir gerade an dem Beispiel der Geisteswissenschaft die Sache ins Auge fassen. Nehmen wir an, zwei Menschen lebten hier miteinander; der eine sei eifriger Anthroposoph und der andere wolle nichts davon wissen. Nun bleibt aber dieser andere, weil Gei­steswissenschaftliches in seiner Umgebung getrieben wird, in seinem astralischen Leibe nicht unbeeinflußt davon. Es geschehen wahrhaf­tig mit unseren Seelen ungeheuer bedeutungsvolle Dinge, von denen wir nichts wissen, die eben auf spirituelle Weise auf uns wirken, und es gibt Dinge, die einfach durch ihre Natur die menschliche Seele formen, verändern. Und so kann man sagen: Man findet kaum irgend jemand, der in eines Anthroposophen Umgebung war, wenn er noch so obstinat dagegen war, der nicht in seinem Unterbewußtsein einen Hang zur Geisteswissenschaft bekommen hätte. Man findet gerade bei den mit Geisteswissenschaft zusammenhängenden Gegnern, daß sie nach dem Tode eine Wunschessphäre haben, von der man mit aller Entschiedenheit sagen kann: sie bringt sich dadurch zum Aus­druck, zur Geltung, daß sie leidenschaftlich dann nach spiritueller Wissenschaft verlangt. Deshalb hat es sich so wohltuend für solche Tote erwiesen, was ja vielfach in unseren Kreisen gemacht wird, daß den Toten, die während des Lebens wenig von Geisteswissenschaft haben aufnehmen wollen, nach dem Tode - wie man das nennen kann - vorgelesen wird. Das erweist sich als außerordentlich wohl­tuend für die Betreffenden. Das wird in der Weise gemacht, daß man versucht, sich, um eine Imagination zu haben, ein lebendiges Bild von dem Gesichte des betreffenden Toten vorzustellen, wie er in der letzten Zeit auf der Erde war, daß man sich ein Buch nimmt und ganz in der Stille mit dem Gedanken an den Toten, wie wenn er einem gegenübersitzen würde, ihm vorliest, die Dinge Satz für Satz durchgeht. Das saugt der Tote mit aller Begierde auf und hat unend­lich viel davon. Ja, sehen Sie, hier stehen wir an einem Punkt, wo spirituelle Weisheit wahrhaftig recht praktisch wird im Leben, an einem der Punkte, wo Materialismus und Spiritualität nicht nur wie Theorien einander gegenüberstehen, sondern wie Lebensmächte, so daß man sagen kann: Durch das Herankommen an die Spiritualität

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wird die Kommunikation, die Verbindung geschaffen zwischen menschlichen Individualitäten, gleichgültig ob sie im Leben oder im Tode sind. Wir können den Toten nützen, wenn wir im spirituellen Leben darinnen stehen, auf die geschilderte und auf noch manch an­dere Weise, von der bei Gelegenheit noch gesprochen werden soll. Stehen wir aber nicht im spirituellen Leben darinnen, so bedeutet das nicht nur einen Mangel an Wissen, an Erkenntnis, sondern bedeutet, daß es uns wahrhaftig in eine ganz begrenzte Sphäre des Daseins hereinstellt: nämlich nur in die Sphäre des Physischen; so daß wir, wenn wir materialistisch gesinnt sind und nur in der Materie leben, den Zusammenhang sofort verlieren mit irgendeiner Individualität, wenn sie durch die Pforte des Todes gegangen ist. Da haben wir an dem, was gesagt worden ist, ein Beispiel, wie ungeheuer bedeutungsvoll das Hineinwirken der einen Welt in die andere ist. Der Tote selbst muß - wenn er zum Beispiel den intensiven Wunsch hat, nach dem Tode dies oder jenes kennenzulernen von spiritueller Weisheit - das entbehren, er muß mit dem Wunsche beladen bleiben. Es könnte höchstens die Möglichkeit geben, daß er, was aber in der Kamalokazeit für ihn kaum möglich ist, irgend jemanden, der auch gestorben ist, dort findet, der in einem solchen Verhältnis zu ihm gestanden hatte auf der Erde, daß er durch das bloße Dasein, durch das Verhält­nis, in dem er zu ihm steht, eine Art von Befriedigung - aber das wäre auch gar keine große - gewähren könnte. Aber das kommt nicht in Betracht gegenüber dem, was an ungeheuren Wohltaten, an Guttaten der noch Lebende, der auf dem physischen Plan noch Stehende, dem Toten gewähren kann.

Bedenken Sie die Lage des Toten! Er hat den intensivsten Wunsch nach dem oder jenem. Das kann ihm in der Zeit nach dem Tode nicht befriedigt werden, weil die Dinge unwandelbar starr bleiben, die wir in der Seele tragen; aber von der Erde herauf kann kommen ein Strom, der da eindringt in diesen sonst starr bleibenden Wunsch. Und das ist eigentlich der einzige Weg, wie die Dinge, die in unserer Seele spielen, geändert werden können. Und man darf sagen: In der nächsten Zeit nach dem Tode hängt vieles, ungeheuer vieles von dem, wie der Tote leben und sich fühlen kann, davon ab,

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welches spirituelle Verständnis diejenigen für ihn entwickeln, die ihm nahegestanden hatten und zurückgeblieben sind auf dem phy­sischen Plan.

Wir machen uns, wenn wir uns im Sinne dessen verhalten, was wir durch die spirituelle Wissenschaft erfahren können, zu Gestal­tern von ganz anderen Lebensverhältnissen, von Lebensverhältnissen, welche von der einen Welt in die andere hineinwirken. In die­ser Beziehung muß man ja sagen, daß heute noch nicht gerade sehr weit fortgeschritten ist die Ausbildung der Geisteswissenschaft zu Lebensmächten. Man härte so ungeheuer viel zu tun, dasjenige, was die Geisteswissenschaft begründen kann an realen Mächten, wirk­lich auszubilden, und es könnte gut sein so, daß man sich bekannt machte mit den geisteswissenschaftlichen Wahrheiten und dann das gesamte Leben danach einrichtete. Würde man in diesem tiefen Sinne Geisteswissenschaft verstehen, würde man sie so zu einem Lebensnerv machen, dann würde über spirituelle Theorien wenig diskutiert und gestritten werden auf der Erde. Das ist das, was wir bedenken sollen. Durch spirituelle Wissenschaft wird nicht nur das irdische Leben verändert, sondern das gesamte Leben der Menschheit. Und wird einmal Geisteswissenschaft viel, viel mehr auf dem Umwege durch das Begreifen der Ideen Herzenssache werden, werden sich die Menschen - wenn man das triviale Wort gebrauchen darf - im Sinne der Geisteswissenschaft verhalten und benehmen, dann wird auch immer mehr und mehr das Wechselverhältnis der einzelnen Welten zueinander hervortreten.

Da muß man allerdings etwas berühren, was einem nicht so leicht, möchte ich sagen, geglaubt wird, obwohl es eingesehen werden kann, wenn man sich die Sache überlegt. Das Wissen des Menschen nämlich ist, insofern es Wissen auf dem physischen Plane ist, etwas außerordentlich Trügerisches, wirklich etwas außer­ordentlich Trügerisches; denn der Mensch weiß ja auf dem physi­schen Plane wirklich gar nichts anderes als die Tatsachen und die Zusammenhänge, die er beobachtet. Das ist, während es für den gewöhnlichen Wissenschafter oder für den materialistisch gesinnten Menschen das ganze Um und Auf ist dessen, was er Realität nennt,

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das wenigste, wenn man das Seelenleben in seiner Ganzheit ins Auge faßt.

Ich will Ihnen ein scheinbar paradoxes Beispiel sagen; aber wir können uns ja an das Wort Schopenhauers erinnern, daß die Wahr­heit erröten muß, weil sie paradox ist. Der Mensch weiß Tatsachen und kombiniert die Tatsachen. Er weiß, nun ja: Es ist halb acht Uhr. Da ist er weggegangen von seinem Hause, hat diese oder jene Straße überschritten. Um acht Uhr ist er da oder dort angekommen. So etwas weiß er durch die Sinneswahrnehmung, so etwas weiß er durch, sagen wir, Verstandeskombination; aber nicht weiß er in den meisten Fällen, warum er nicht um zwei oder drei Minuten früher oder später weggegangen ist. Die wenigsten Menschen werden sich Gedanken darüber machen, wenn sie da oder dort um drei oder vier Minuten früher oder später weggehen; aber das kann etwas ausmachen. Ich will ein groteskes Beispiel wählen - aber Beispiele im Kleinen von solcher Art kommen immer im Leben vor -, das Beispiel, daß der Mensch drei Minuten sich verspätet habe. Wäre er um acht Uhr pünktlich weggegangen, so wäre er, sagen wir, wirklich an etwas gekommen, was ihn überfahren, getötet hätte. Er ist nicht getötet worden, weil er sich um drei Minuten verspätet hat. In dieser gro­tesken Weise wird es seltener vorkommen, aber solches in mehr oder weniger wirklich realer Art kommt immer und immer wieder im Leben vor, nur wissen es die Menschen nicht. Sein Karma hat ihn beschützt vor dem Tode, indem er drei Minuten später weggegangen ist. Nun könnte das unbedeutend, gleichgültig erscheinen, aber es ist nicht gleichgültig; denn denken Sie sich einmal, daß der Mensch nur dadurch gleichgültig ist für eine solche Sache, daß er sie nicht weiß: in dem Augenblick, wo er sie wüßte, wäre er gar nicht gleich­gültig. Wenn Sie wußten: ich bin drei Minuten später weggegangen, als ich wollte; wäre ich zur rechten Zeit weggegangen, dann wäre ich tot - dann wäre es nicht gleichgültig für Sie, dann würde es einen mächtigen Eindruck auf Ihre Seele machen, dann würde eine tiefe Wirkung ausgehen von diesem Wissen auf Ihre Seele. Erinnern Sie sich nur, wenn wirklich so etwas vorkommt, welche Bedeutung das für das Seelenleben hat. Heißt denn das aber etwas anderes als: der

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Mensch geht eigentlich fortwährend mit fest verbundenen Augen durchs Leben? Das tut er nämlich. Er weiß das, was äußerlich vor­geht, er weiß aber nicht, wenn die Dinge ein wenig anders wären, was mit ihm alles geschehen wäre. Das heißt, dieses Wissen von den Möglichkeiten entzieht sich den Seelenkräften. Die Seele lebt gleich­gültig dahin, während sie durch Wissen erschüttert, gehoben wer­den könnte, durch Wissen von den Möglichkeiten. Also dadurch, daß der Mensch das wenigste weiß von den Zusammenhängen, die da sind, nur das weiß, was eben durch die Umstände herauskommt, dadurch ist das Seelenleben des Menschen arm, dadurch drückt sich in diesem Seelenleben nicht das aus, was sich sonst ausdrücken würde. Vielleicht würde man überhaupt nicht leicht auf einen scheinbar so paradoxen Satz kommen, wie er jetzt ausgeführt wor­den ist, wenn nicht die Untersuchungen des Lebens nach dem Tode einen sozusagen mit der intellektuellen Nase darauf stoßen würden; denn unter dem Mancherlei, was auftritt in der Seele, ist das, was eben jetzt charakterisiert worden ist als nicht zum Bewußtsein kom­mend. Stark tritt vor die Seele des Menschen nach dem Tode vieles, wovon er während des Lebens keine Ahnung gehabt hat; stark tritt vor die Seele: Da warst du in Lebensgefahr, da hast du dir ein Glück verscherzt, da warst du bequem, und wenn du nicht bequem gewesen wärest, so hättest du dies oder jenes erreicht, dies oder jenes Gute bewirken können. Eine ganze Welt von Nichterlebtem tritt nach dem Tode einem entgegen. Was dem Materialisten lächerlich er­scheint im physischen Leben, das wird nach dem Tode Realität, das wird Wirklichkeit, wahre Wirklichkeit. So daß man sagen muß: man lernt allerdings von dem, was um einen herum ist und im Leben nicht zum Ausdruck kommt, nach dem Tode eine ganze Welt kennen.

Sind denn nun diese Dinge gar nicht da, von denen hier die Rede ist? Nehmen wir einmal den Fall an: Nun gut, wir sind drei Minuten später von unserem Hause weggegangen, als wir wollten, sind da­durch dem Tod entgangen. Wir wissen das gar nicht. Daß wir es nicht wissen als Menschen, das macht eben nur für den Materialisten etwas aus. Der gescheite Mensch weiß, daß es darauf nicht ankommt,

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ob er etwas davon weiß oder nicht. Der gewöhnlich gescheite Mensch weiß, daß sich die Dinge nicht kümmern um sein Wissen, sondern daß sie da sind auch ohne sein Wissen. Der Kräftezusammenhang, das Gegeneinanderwirken der Kräfte war da. Es war vielleicht die Eisenbahn da, die uns hätte überfahren können; wir waren auch da, alle Vorbereitungen waren da zu unserem Tode. Die Kräfte haben zueinander gewirkt, sie haben nur aneinander vorbei gewirkt; aber sie haben sich zusammengedrängt. Solches ist viel in unserer Um­gebung um uns herum im Leben. Da ist es. Wir nehmen es nicht wahr, aber es ist um uns herum. Wenn nun die Menschen nach der Bestimmung unseres Zeitenzyklus, nach der in die Zukunft hinein­gehenden Menschheitsevolution, nach und nach Verständnis gewin­nen werden für die spirituelle Welt, dann wird das, was ja allerdings für die sinnliche Auffassung und den Verstand nicht da sein kann, aber doch in unserer Umgebung ist, es wird in einer gewissen Weise auf uns wirken. Und hier kommen wir auf eine außerordentlich interessante Tatsache. Nehmen wir an, die Sache lag wirklich so wie geschildert, daß wir dem Tode entgangen wären dadurch, daß wir uns drei Minuten verspätet haben: der Materialist, der spürt gat nichts davon; derjenige Mensch, der sich nach und nach - heute ist die spirituelle Wissenschaft noch im Anfang ihrer Entwickelung -Verständnis verschafft in seinem Herzen für solche Zusammenhänge, bei dem verändert sich wahrhaftig die Seele. Er geht dann, wenn er sich Verständnis verschafft hat für diese spirituelle Wissenschaft, wenn er eine Weile in ihr gelebt und nicht bloss ein äußeres Ver­ständnis gewonnen hat, sondern wenn sie Inhalt seiner Seele gewor­den ist, wenn er mit ihren Begriffen und Gefühlen und so weiter lebt, vielleicht auch drei Minuten später weg, entgeht dem Tode - aber in dem Momente, wo der Tod hätte kommen können, wenn die Umstände anders gewesen wären, da spürt er etwas, da fühlt er etwas in sich. Fühlen lernen nach Möglichkeiten, das wird sich ergeben. wenn die Anthroposophie Lebenssaft der Seele werden wird.

Und was werden wir zum Beispiel durch so etwas nach und nach fühlen können, wenn die menschliche Natur sich zu geisteswissen­schaftlichem Verständnis wird durchgerungen haben? Nun, wir werden

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durch solch einen Moment, wo etwas hätte geschehen können, was mit uns im Zusammenhang steht, zu einer Art von zeitweiligem Medium werden - nach den Definitionen, die ich in meinen öffent­lichen Vorträgen gegeben habe -, in einen kurz dauernden medialen Zustand kommen, indem wir in die Lage kommen, hereinscheinen zu lassen die geistige Welt in unser Bewußtsein. Solche Momente kön­nen die fruchtbarsten sein für den Menschen, wenn nun die Toten auf ihn hereinwirken, wenn er etwas bewußt wissen soll über die Toten. Momente von ungeschehenen Tatsachen, die mit uns zusam­menhängen in solcher Weise, wie es geschildert worden ist, solche Momente, die mit uns zusammenhängen, die werden in gewisser Weise Erwecker für Eindrücke aus der geistigen Welt heraus. Die ganz eigentümliche Art eines ahnungsvollen Lebens wird sich gerade dadurch in den Seelen derer entwickeln, welchen Geisteswissenschaft nahetritt im Leben; dies aus dem Grunde, weil ja die Menschheit wirklich in Evolution ist und nur ein ganz kurzverständiger Mensch glauben kann, das Menschengeschlecht sei über alle Zeiten hin mit denselben Seelenkräften behaftet. Die seelischen Kräfte ändern sich, und so wahr der Mensch heute vorzugsweise veranlagt ist, äußerlich wahrzunehmen und das Wahrgenommene denkend zu verarbeiten, so wahr wird er durch solche Verhältnisse, wie sie nun geschildert worden sind, sich hinein entwickeln in ein Zeitalter, in dem psy­chisch-spirituelle Kräfte ausgebildet werden. Also ist auch in dieser Weise Aussicht vorhanden, daß die Geisteswissenschaft eine Lebensmacht werden wird, die stark gestaltend eingreifen wird in das Leben. Vorhin haben wir gesehen, wie eine Wirkung ausgeübt werden kann von dem physischen Plan aus hinauf in das Leben nach dem Tode; jetzt sehen wir, wo Tore oder Fenster gvschaffen werden kön­nen, damit das, was die Toten erleben, geschaut werden kann hier im physischen Leben. - Ich wollte Ihnen damit auch einen Begriff geben davon, wie sozusagen die Gelegenheiten sich bilden der Kom­munikation der beiden Welten.

In dieser Beziehung wird ja ungeheuer viel gesündigt in der Ver­breitung von allerlei kuriosen Lehren und namentlich manchmal kuriosen Praktiken. Während der, welcher mit solchen Dingen bekannt

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ist, weiß, daß, wenn er mit irgendeinem Toten zusammenkommen will, erst eine Gelegenheit geschaffen werden muß - ich sehe jetzt ab von solchen Gelegenheiten, die auf medialem Wege zu­standekommen -, eine Gelegenheit, daß sich gleichsam das Fenster zu dem Toten öffnet, gibt es ja viele leichtsinnige Menschen, denen mitgeteilt wird, daß der oder jener etwas wissen will von einem Ge­storbenen, sehr bald, nach wenigen Stunden, einem sagen: Ich habe mit ihm gesprochen, es geht ihm gut. - Ich habe das nicht wenige Male erlebt, daß das vorgekommen ist. Das ist auch so etwas, was das Kapitel vom Autoritätswahn berührt und all dem Unfug, der damit getrieben wird.

Aber ein anderes können Sie daraus noch sehen: Sie können dar­aus ersehen - weil ja die Kamalokasphäre im wesentlichen im Astral­raum ist -, wie mit der astralischen Welt zusammenhängt die Welt der Möglichkeiten; die Welt nicht dessen, was hier in der physischen Welt geschieht, sondern was geschehen könnte. Und das bitte ich Sie, machen Sie gerad G g St a nd einer Art Meditation daß das, was möglich ist in der physischen Wek, aber nicht wirklich wird, daß das eine Art Atmosphäre, eine Art Kommunikationsatmosphäre für den astralen Raum abgibt.

Von all den vielen Dingen, die zu sagen wären über das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt und von denen wir ja manches im Laufe der nachsten Zeit kennenlernen werden, sei heute nur noch das eine erwahnt Im Laufe des Lebens zwischen Geburt und Tod finden wir ja vorzugsweise, daß in der Seele dreier lei, sagen wir Kräfte zum Ausdruck kommen die Denkkrafte, die Gefühl skräfte und die Willens und Wunschkrafte Die Denkkrafte, die intellektuellen Krafte so daß wir ein wenig heller oder weniger hell sind, die Gemüts oder Gefuhlskrafte so, daß wir mehr oder weniger mitleidsvoll oder hartherzig sind, mehr oder weniger reli giös oder irreligiös veranlagt sind die Wunsch und Willenskrafte so, daß unsere Taten mehr oder weniger egoistisch oder unegoistisch sind. So kommen diese dreierlei Arten von Seelenkräften zwischen Geburt und Tod zur Geltung. Für das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt haben diese verschiedenen Seelenkräfte eine

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ganz verschiedene Bedeutung. Nehmen wir zuerst die intellektuellen Kräfte. Wozu, so können wir uns fragen, verhelfen sie uns nach dem Tode? Die intellektuellen Kräfte verhelfen uns nach dem Tode dazu, unsere Bewußtheit, das bewußte Durchleben der Zeit zwischen dem tod und einer neuen Geburt besonders hell zu machen, so daß, je mehr wir uns Mühe geben in dem physischen Leben, erstens klar und zweitens richtig und wahrhaftig zu denken, je mehr wir uns Mühe geben, uns mit spirituellen Tatsachen in rechtmäßiger Weise bekanntzumachen, unser Bewußtsein desto mehr sich aufhellt zwi­schen dem Tode und einer neuen Geburt, so daß - und ich will da gleich das Konkrete schildern - ein Mensch, der unwahrhaftig ist in bezug auf seine intellektuellen Eigenschaften, der kein besonderes Interesse hat, aus der Wahrhaftigkeit heraus mit den geistigen Ver­hältnissen bekanntzuwerden, die man nur durch Erkenntnis er­reichen kann, zwar nach dem Tode ein Bewußtsein entwickeln wird, aber ein Bewußtsein, das sich langsam herabdämpfen wird. Und nun ist das Eigentümliche dies, daß das Herabdämpfen des Bewußtseins nach dem Tode verursacht, daß wir eine gewisse Zeit schneller durch­laufen, das heißt, wir laufen schneller in der geistigen Welt, wenn wir mehr schlafend sind, als ordentlich wachend. Wenn also einer stumpf ist gegen alles, was intellektuelle Kräfte sind, so bleibt er eine Zeit nach dem Tode bewußt, aber dann kann er das Bewußtsein nicht mehr aufrechterhalten; seine Dumpfheit bewirkt einen Däm­merzustand, und dann verläuft das übrige Leben rasch, und er kommt verhältnismäßig bald ins irdische Leben zurück.

Anders verhält es sich für die Kräfte, die den Willen und Wunsch betreffen. Diese Kräfte verhelfen uns dazu, starke oder schwache Kräfte herauszuziehen aus den makrokosmischen Verhältnissen in der Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, wie wir sie brauchen zum Aufbau unseres nächsten Lebens. Kommt man durch unmoralische Seelenstimmung in solche Verhältnisse, wie wir sie geschildert haben, so kann man die nötigen Kräfte nicht herausziehen, die den astralischen- oder Ätherleib ordentlich aufbauen sollen; die werden dann verkümmert sein. Man wird schwächlich sein und dergleichen. Moralität ist also das, was uns dazu befähigt,

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die Kräfte, die wir brauchen für die folgende Inkarnation, aus der höheren Welt herauszuziehen. So hängen Intellektualität und Mora­lität eng mit dem zusammen, was aus dem Menschen sozusagen durch seinen Aufenthalt zwischen dem Tode und einer neuen Geburt in der übersinnlichen Sphäre wird. Die Gemüts- oder Gefühl skräfte, ge­wissermaßen die innersten Kräfte der menschlichen Seele, die treten uns in der entsprechenden Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt objektiv entgegen; die sind außer uns. Das ist sehr bedeu­tungsvoll. Ein Mensch, der liebe- und mitleidsfähig ist, der durchlebt das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt so, daß ihm die lebensfördernden, seligmachenden, starkmachenden Bilder, die dem Mitleid entsprechen, als seine Umwelt, als das, in dem er sich befindet, vor die Seele tritt. Dem Hasser treten die Bilder des Hasses vor die Seele. Wie wir sind in unserem Innersten, wir schauen es in gewisser Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt als Weltengemälde außer uns. Es gibt keinen so guten Maler, als es die Kräfte sind zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Für die innersten Seelenkräfte unseres Gemütes ist unser Firmament das­jenige, was wir zwischen dem Tod und einer neuen Geburt schauen, so wie wir das Himmelsfirmament sehen hier auf Erden. Es ist unser Firmament zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Es ist immer bei uns. Es hängt damit zusammen, daß wir, wenn wir in das Innerste unserer Seele so, wie es vorgestern erwähnt worden ist, das Myste­rium von Golgatha aufgenommen haben, wenn wir uns ein Verständ­nis für das Paulinische Wort erworben haben: «Nicht ich, sondern der Christus in mir», wenn wir den Christus in uns erleben, dann haben wir während des Sonnenseins die Möglichkeit, das, was da erwähnt worden ist als AkashaBilderwelt um uns herum, den Chri­stus in seiner schönsten, großartigsten Gestalt, wie man sagt, in seiner Offenbarungsglorie zu schauen wie das Element, in dem wir leben und weben. Dieser Gedanke braucht nicht bloß eine egoistische Bedeutung zu haben, sondern er kann eine ganz sachliche Bedeutung haben. Denn das, was wir da als Gemälde ausgebreitet finden, das nehmen wir beim Weitergang wiederum in unsere Seele auf und bringen es in die nächste Inkarnation und machen uns dadurch nicht

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nur zu einem besseren Menschen, sondern zu einer besseren Kraft in der Erdenentwickelung.

So hängt das, was wir an unserem Gemüt arbeiten, geradezu mit unseren Fähigkeiten in dem nächsten Leben innig zusammen, und wir haben wiederum gleichsam die Technik kennengelernt, wie sich unsere Gemütskräfte als großer Weltenteppich, als Weltenfirmament um uns herum bilden zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, um dann wiederum in uns zu sein in entsprechender Weise mit stärkerer Kraft als im vorhergehenden Leben: denn alles verstärkt sich dadurch, daß man, was man in einem Leben innerlich durchlebt hat, in der Zwischenzeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt um sich schaut und dadurch sich mit dem Erlebten stärker macht, all die Kräfte noch entwickelt, die aus dem lebendigen Schauen hervorgehen.

So haben wir wiederum einiges besprochen von den Dingen, die so unendlich wichtig sind, über die Verhältnisse zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, die wichtig sind aus dem Grunde, weil wir ja im Leben auf der Erde doch nichts anderes sind als das, was das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt aus uns gemacht hat, und weil wir zu einer wirklichen Erkenntnis unseres eigenen Wesens und deshalb auch zu einem wirklichen Tun und Handeln und Denken in der Menschenzukunft immer weniger werden kom­men können, wenn wir unberücksichtigt lassen das, was in einer spirituellen Welt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt vorgeht. Diese Betrachtungen sind ein Teil ausgebreiteter Dinge, die da ge­sagt werden können über das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Ich wollte zunächst einmal einen Anfang machen mit dem, was ja auf die eine oder andere Weise in der nächsten Zeit immer mehr und mehr zum Inhalt der Geisteswissenschaft werden soll.

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EINIGES ÜBER DIE TECHNIK DES KARMA IM LEBEN NACH DEM TODE Bern, 15. Dezember 1912

Die Feier des ersten Jahrfünftes begeht der Berner Zweig mit dem heutigen Tage, und zugleich sind wir in der Lage, uns heute zum erstenmal innerhalb dieses Raumes zusammenzufinden, der durch seine ganze Art in würdiger Weise eine Umrahmung sein soll für unsere spirituellen Bestrebungen und unsere spirituellen Arbeiten hier an diesem Orte. Wenn gesucht werden solche Umrahmungen und wenn wir in der Lage sind, immer und immer mehr unsere engeren Versammlungen in solchen Umrahmungen abzuhalten, so bedeutet dies immerhin etwas in unseren spirituellen Bestrebungen. Wir wissen ja, daß nun schon an mehreren Orten unseres Arbeits­gebietes solche Räume angestrebt worden sind und auch vorhanden sind. Und wir dürfen wohl an diesem Tage, der für uns, wie es eben charakterisiert worden ist, in zweifacher Weise feierlich ist, mit ein paar Worten einleitend auch der Bedeutung einer solchen Umrahmung gedenken.

Wir kommen ja immer wieder und wiederum bei unseren Be­strebungen auf die Dreizahl nach der einen oder der andern Rich­tung zurück, auf die heilige Dreizahl, wie man auch sagt. Und innerhalb des menschlichen Seelenlebens findet man diese heilige Dreizahl ausgedrückt in dem Denken, Fühlen und Wollen.

Wenn wir uns besinnen auf das Denken, dann werden wir uns sagen: In unserem Denken müssen wir uns richten nach den objek­tiven Notwendigkeiten. Denn wenn wir uns in unserem Denken -sei es dem Denken über Dinge des physischen Planes oder über Dinge der höheren Welten - nicht nach den Notwendigkeiten rich­ten, so werden wir allein den Irrtum begehen können, wir werden nicht zur Wahrheit kommen. In unserem Wollen müssen wir uns ebenfalls zunächst nach dem richten, was uns gewisse äußere mora­lische Grundsätze sagen. Wiederum müssen wir uns richten nach Notwendigkeiten und dürfen wohl sagen, in bezug auf unser Denken

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und unser Wollen ragen die Notwendigkeiten von den höheren Welten in die physische Welt herunter.

Wirklich im richtigen Sinne des Wortes frei fühlt sich der Mensch in seinem Fühlen. Das ist doch ganz anders als das Denken und das Wollen. Im Fühlen und Empfinden, da fühlen wir uns so­zusagen am richtigsten, wenn wir weder den Zwang des Denkens noch den Zwang des Wollens verspüren, sondern wenn wir hin­gegeben sind an das, was eben gefühlt werden kann. Warum ist dies so?

Ja, beim Denken fühlen wir, daß das mit etwas zusammenhängt, von etwas abhängt; beim Wollen fühlen wir ebenfalls, daß wir abhängen; beim Fühlen aber sind wir ganz in uns selber. Da leben wir sozusagen ganz in unserer Seele drinnen. Warum ist das so? Weil unser Gefühl letzten Endes gerade ein Spiegelbild einer sehr, sehr jenseits unseres Bewußtseins liegenden Kraft ist. Die Gedanken müssen wir so ansehen, daß sie Abbilder sind dessen, was sie darstellen. Das Wollen müssen wir so entfalten, daß es zum Ausdruck bringt, was unsere Verpflichtung ist. In dem Fühlen dürfen wir das frei leben, was uns zur Seele spricht, weil das Fühlen eine Spiege­lung ist, okkult gesehen, desjenigen, was allerdings nicht in unser Bewußtsein hereintritt, was aber jenseits unseres gewöhnlichen Be­wußtseins liegt und unmittelbar Göttlich-Geistiges ist. Man kann sagen: Durch das Denken und das Wollen suchen Götter den Men­schen zu erziehen; im Fühlen lassen uns Götter, wenn auch auf geheimnisvolle Weise, an ihrem eigenen Wirken, an ihrem eigenen Schaffen teilnehmen. Im Fühlen ist es auch so, daß wir in unserer eigenen Seele etwas gegenwärtig haben, woran die Götter selber ihren Gefallen haben.

Nun, durch eine solche Umrahmung, wie sie hier geschaffen ist, können wir alles dasjenige, was wir hier betrachten, fortdauernd mit einem Gefühl begleiten, das uns sozusagen intimer macht mit den geistigen Welten, recht intim macht mit den geistigen Welten. Und diese Intimität mit den geistigen Welten muß uns zukommen von all dem, was wir sonst betrachten. Daher dürfen wir einen ge­wissen Wert auf eine solche Umrahmung legen, dürfen immermehr

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uns hineinleben in das, was uns eine solche Umrahmung sein kann. Da blicken wir nach allen Seiten in solcher Umrahmung und fühlen da, sagen wir, die Gewalt von Licht und Farben, die für uns zu Offenbarungen werden desjenigen, was in der geistigen Welt ist. Gewiß kann das, was wir zu sagen haben, auch aufgefaßt werden in den trivialen, schrecklichen Räumen, die schon einmal in der Gegenwart überall sind; aber warm, so recht warm kann unsere Seele bei den spirituellen Betrachtungen nur werden, wenn wir solche Umrahmungen haben. Daß wir sie auch hier in Bern nach Ablauf des ersten Jahrfünfts unseres Arbeitens in dieser Weise haben können, das dürfen wir bezeichnen als ein gutes Karma, wel­ches unsere Arbeit begleitet und segnet. Und so wollen wir denn bei jeder solchen Gelegenheit, wie dieses zweifache Fest heute eine ist, eingedenk sein der Bedeutung dessen, was Geisteswissenschaft, was geistige Erkenntnis dem Menschen der neueren Zeit sein kann und sein soll.

Nun, dasjenige, was wir heute eigentlich betrachten wollen, das wird sich beziehen auf mancherlei, was schon öfters besprochen worden ist; aber von einem neuen Gesichtspunkte aus wollen wir Bekanntes besprechen, weil die geistigen Welten uns nur völlig ver­ständlich werden können, wenn wir sie wirklich von den verschie­densten Standpunkten aus betrachten. Das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt ist in der mannigfaltigsten Weise be­schrieben worden. Wir wollen es heute so betrachten, daß wir be­rücksichtigen können mancherlei von dem, womit ich mich gerade in den letzten Monaten neuerdings auf dem Gebiet der Geistesforschung zu beschäftigen hatte.

Wir wissen ja, daß wir unmittelbar, nachdem wir durchschritten haben die Pforte des Todes, das sogenannte Kamaloka durch­machen, das heißt jene Zeit, in der wir noch enger zusammenhän­gen mit unserm Fühlen, unseren Affekten, mit all unserm Seelenleben unserer letzten Erdenverkörperung. Allmählich befreien wir uns von diesem Zusammenhang. Wir haben ja nicht mehr den phy­sischen Leib, nachdem wir durch die Pforte des Todes geschritten

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sind. Aber wenn wir auch den physischen und den Ätherleib ab­gelegt haben, unser Astralleib hat alle Eigentümlichkeiten, die er hier auf Erden hatte; und diese Eigentümlichkeiten, die dieser Astralleib hat, weil er in einem physischen Leibe gewirkt hat, die muß er ablegen. Dazu braucht er eine gewisse Zeit, und das ist die Kamalokazeit Nach dieser Kamalokazeit durchlebt er dasjenige, was wir die geistige Welt oder das Devachan genannt haben. Wir haben es in unseren Schriften mehr, man möchte sagen, nach dem charakterisiert, was der Mensch erlebt durch die verschiedenen Ele­mente, die sich um ihn herum ausbreiten. Wir wollen jetzt von einer andern Seite die Zeit zwischen Tod und neuer Geburt betrach­ten. Und zwar wollen wir dies zunächst einmal im allgemeinen charakterisieren.

Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes durchgegangen ist, so erlebt er das Folgende: Während wir hier auf der Erde sind, können wir sagen, wir sind an einem bestimmten Orte eingeschlos­sen, nämlich in unsere Haut, und außerhalb ist der Raum mit den andern Dingen und Wesenheiten. So ist es aber nicht nach dem Tode; sondern nach dem Tode ist es so, daß wir uns zunächst mit unserer ganzen Wesenheit ausdehnen, daß wir in unserem Erfühlen immer größer und größer werden. Dieses Gefühl: Ich bin in meiner Haut, und da draußen ist der Raum mit den Dingen - das ist eine Erfahrung, die wir nach dem Tode nicht haben. Nach dem Tode sind wir in den Dingen und Wesenheiten drinnen, wir dehnen uns aus über den Raum, der für uns in Betracht kommt. Während der Kamalokazeit dehnen wir uns fortwährend aus, und wenn die Kamalokazeit zu Ende ist, sind wir so groß, wie der Raum inner­halb des Mond-Umkreises ist. Also tatsächlich wir wachsen, wir dehnen uns aus über den Raum. Das Im-Raume-Sein, das Dasein im Raume hat nach dem Tode eine ganz andere Bedeutung als hier im physischen Leben. Tatsächlich ist es in gewisser Weise so, daß wir in der Kamalokazeit in dem Raume sind, den der Mond umläuft. Jede einzelne Seele ist da, so daß alle Seelen, die gleich­zeitig im Kamaloka sind, den Raum ausfüllen, den die Mondbahn umgrenzt. Sie stecken alle ineinander. Und doch ist dieses Ineinanderstecken

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keineswegs ein Beisammensein, sondern das Sich-beisammen-Fühlen, das Miteinandersein hängt von ganz anderem ab als von dem Ausfüllen eines gemeinschaftlichen Raumes. Da können zwei Seelen nach dem Tode in demselben Raume sein und können tatsächlich unendlich ferne voneinander sein, das heißt ihr Erleben ist so, daß sie gar nichts voneinander zu wissen brauchen, während andere Seelen ebenfalls in demselben Raume sind, aber sich familiär fühlen, sich beisammen fühlen, miteinander sich er­leben. Da hängt alles von innerlichen Verhältnissen ab, nicht von äußerlich räumlichen Zusammenhängen.

Und in den nächsten Zeiten, wenn Kamaloka zu Ende ist, lebt sich der Mensch noch in größere Räume ein. Immer weiter dehnt er sich aus. Wenn der Mensch so weit sich ausgedehnt hat, daß Kamaloka zu Ende geht und er sozusagen ausgedehnt ist über einen Himmelsraum, der so groß ist, daß die Mondbahn ihn begrenzen würde, dann ist innerhalb dieses ausgedehnten Raumes, den der Mensch zu durchmessen hat nach dem Tode innerhalb der Kama­lokazeit, da ist zurückgeblieben - wie vom Menschen abgestreift -alles dasjenige, was der Mensch jemals während seines Erdenlebens so begangen hat, daß es ausdrückt seinen rechten Hang zum Erdenleben, seine Sehnsucht, seine Leidenschaft zum Erdenleben. Alles das muß der Mensch durchmachen, aber alles das muß er auch zurücklassen in der Mondsphäre oder im Kamaloka. Wenn der Mensch also weiterlebt nach dem Tode und sich später zurückerinnert an diese Mondensphäre, so wird er da eingeschrieben finden alles, was er hier hatte an sinnlichen Affekten und Leiden­schaften, an all das, was im Seelenleben sich entfaltet, wegen dessen er sich sympathisch zur Körperlichkeit hingezogen fühlt. Das alles läßt er zurück in der Mondensphäre. Da bleibt es; der Mensch kann es nicht so schnell wieder ausstreichen. Der Mensch nimmt es auch mit als Kraft, aber es bleibt in der Mondensphäre eingeschrieben. So daß sozusagen unser Schuldkonto, eines jeden Menschen Schuldkonto in der Mondensphäre eingeschrieben bleibt.

Dann dehnen wir uns weiter aus. Wenn wir uns weiter aus­dehnen, kommen wir in ei'ne zweite Region, die der Okkultismus

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die Merkursphäre nennt. Es ist hier nicht möglich, genauer ein­zugehen auf eine Zeichnung der Sache, aber wir wollen einmal zunächst diese Dinge so betrachten ohne Zeichnung. Die Merkursphäre ist eine Sphäre, die größer ist als die Mondsphäre. Wenn wir uns in diese Sphäre hineinleben wollen nach dem Tode, so tun wir das als Menschen in der verschiedensten Weise. Der eine Mensch

- das kann man genau untersuchen mit den entsprechenden Mitteln der Geisteswissenschaft -, der eine Mensch, der unmoralisch oder moralisch niedrig gestimmt war, lebt sich in diese Merkursphäre in ganz anderer ,Weise ein als der Mensch, der moralisch gestimmt ist. Der erstere kann in dieser Merkursphäre, das heißt in der Zeit, die nach der Kamalokazeit kommt in der Art, wie wir es früher gesagt haben, nicht diejenigen Menschen finden, welche mit ihm oder vor ihm oder bald nach ihm ebenfalls den physischen Plan verlassen haben und auch in der geistigen Welt sind. Also er lebt sich so in die geistige Welt hinein, daß er diejenigen, die ihm lieb waren, mit denen er zusammen sein möchte, doch nicht finden kann. Er wird ein Einsiedler der geistigen ,Welt, der Merkursphäre, der hier auf Erden unmoralisch gestimmte Mensch. Der moralisch ge­stimmte Mensch wird aber das, was man nennen kann ein geselliges Wesen. Er findet dort vor allen Dingen diejenigen Menschen, die ihm auf Erden nahegestanden haben als Seelenwesen.

Davon hängt es ab, ob wir mit jemand zusammen sind; nicht vom Räumlichen, denn wir füllen alle denselben Raum aus, son­dern von dem, wie wir gestimmt sind. Einsiedler werden wir, trotz­dem wir denselben Raum ausfüllen wie die andern, und Einsiedler bleiben wir, denn wir finden nicht den ,Weg zu den andern, trotz­dem wir in demselben Raum sind. Einsiedler werden wir, wenn wir unmoralische Gesinnung hineinbringen; gesellige Wesen werden wir, wenn wir moralische Stimmung hineinbringen. Im Kamaloka, in der Mondensphäre finden wir andere Schwierigkeiten in bezug auf das Gesellige; aber im allgemeinen darf man sich vorstellen, daß auch da der Mensch, je nach Beschaffenheit seiner Seele, ein Einsiedler oder ein geselliges Wesen werden kann. Derjenige, der ein ausgesprochener Egoist war auf der Erde, der eigentlich nur die

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Befriedigung seiner Begierden und Leidenschaften kennt, wird in der Mondsphäre nicht leicht die Wesen finden können, die ihm auf der Erde nahegestanden haben. Der Mensch aber, der leiden­schaftlich, wenn auch nur sinnlich leidenschaftlich noch etwas ge­liebt hat, was außer ihm steht, der wird immerhin in der Kamaloka­zeit kein ganz einsames Wesen sein, sondern er wird andere Wesen finden, die ihm nahegestanden haben. Aber im allgemeinen ist es in diesen zwei Sphären nicht möglich, andere Menschenwesen zu finden als solche, die uns schon auf der Erde nahegestanden haben. Die andern bleiben uns unbekannt Also die Bedingung sozusagen, daß wir mit anderen Menschen zusammenkommen, ist die, daß wir auf Erden mit ihnen zusammen waren. Ob wir zusammenkommen, das hängt vom Moralischen ab. Aber auch moralische Bestrebungen können uns nicht viel über jenes Gebiet hinaus fördern, das zu jenen Menschen führt, denen wir schon auf Erden nahegestanden haben. Die Beziehungen zu diesen Menschen, die wir da nach dem Tode treffen, haben das Eigentümliche, daß sie nach dem Tode nicht geändert werden können.

Das müssen wir uns so vorstellen: Hier im Leben haben wir jederzeit die Möglichkeit, die Lebensverhältnisse, die Lebensbezie­hungen zu ändern. Nehmen wir einmal an: einen Menschen haben wir durch eine gewisse Zeit nicht so geliebt, wie er es verdient hätte. In dem Augenblick, wo wir dieses einsehen, wo wir zur Besinnung kommen, können wir die richtige Liebe eintreten lassen, wenn wir stark genug sind. Diese Möglichkeit fehlt uns nach dem Tode. Wenn wir nach dem Tode einen Menschen antreffen, dem wir auf der Erde zu wenig Liebe oder ungerechtfertigte Liebe entgegen­gebracht haben, so sehen wir das zwar, wir nehmen die Sache viel genauer wahr als hier auf der Erde; aber wir können nichts daran ändern. Es muß so bleiben. Das eben ist das Eigentümliche, daß die Lebensbeziehungen eine gewisse Konstanz haben. Dadurch, daß sie etwas Bleibendes werden, bildet sich in unserer Seele die Kraft aus, durch welche sich das Karma ordnet. Wenn wir also einen Men­schen fünfzehn Jahre lang zu wenig geliebt haben, so sehen wir dies ein; und während wir es durchleben, bilden wir die Kraft aus,

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wenn wir wieder inkarniert werden auf der Erde, dieses anders zu machen; dadurch bilden wir die Kraft und den Willen zum karmi­schen Ausgleich aus. Das ist die Technik des Karma. Vor allen Dingen müssen wir uns über eines klar sein. In den ersten Zeiten nach dem Tode, also während der Mond- und der Merkurzeit, und auch noch während der nächsten Zeit, die gleich charakterisiert werden soll, da leben wir in der geistigen Welt so, daß unser Leben abhängt von der Art, wie wir hier auf Erden, in der physischen Welt gelebt haben; aber so, daß nicht nur in Betracht kommt unser Bewußtsein, wie wir es auf Erden haben, sondern daß auch in Be­tracht kommt unser Unterbewußtsein. So wie wir hier auf der Erde leben normal, im Wachzustande, so leben wir in unserem Ich. Unter unserem Ich-Bewußtsein ist das astrale Bewußtsein, das Unterbewußt­sein. Und das wirkt zuweilen auf Erden ganz anders, ohne daß der Mensch es weiß, als das Oberbewußtsein, das Ich-Bewußtsein.

Nehmen wir das nächstliegende Beispiel. Zwei Menschen leben hier in den besten Freundschaftsverhältnissen. Da kommt es häufig vor, der eine bekommt eine gewisse Estimation für die Geistes­wissenschaft, der andere, der mit ihm lebt, während ihm vorher die Geisteswissenschaft gleichgültig war, bekommt jetzt einen beson­deren Haß darauf. Dieser Haß braucht nicht in der ganzen Seele zu sein, es kann durchaus so sein, daß er nur im Ich-Bewußtsein ist, nicht im astralen Bewußtsein. Im Astralbewußtsein kann der Mensch, der sich immer mehr in den wütenden Haß hineinredet, sie eigentlich lieben und nach ihr verlangen, ohne daß er es weiß. Das ist durchaus möglich. Solche Widersprüche gibt es in der menschlichen Natur. Untersucht man sein Astralbewußtsein, sein Unterbewußtsein, so lebt vielleicht gerade da eine ihm selbst ver­borgene Sympathie mit der Sache, die er in seinem Oberbewufit­sein haßt. Nach dem Tode zeigt sich das besonders bedeutsam; denn nach dem Tode wird der Mensch in dieser Beziehung wahr. Einer, der hier auf Erden sich eingeredet hat, noch so sehr Geisteswissen­schaft zu hassen, aber im Unterbewußtsein sie liebt, und der wäh­rend seines ganzen Lebens abgewiesen hat, was damit zusammenhing, der hat oft die brennendste Liebe nach dieser Geisteswissenschaft.

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Das kann einen tiefen Schmerz in seinem Kamaloka-Leben bedeuten, daß er nichts weiß und also keine Gedanken der Er­innerung hat. Denn in der ersten Zeit nach dem Tode lebt man vor­zugsweise von Erinnerungen. So daß der Mensch nach dem Tode nicht bloß von dem abhängt, was ihn quält oder auch, was ihm Freude macht, von dem, was in seinem Ich-Bewußtsein lebt, son­dern daß er auch abhängt von dem, was in seinem Unterbewußt. sein sich entwickelt hat. Da wird der Mensch durchaus wahr in dieser Beziehung.

Und hier haben wir einen der Punkte, wo wir sehen können, wie Geisteswissenschaft wirklich berufen ist, wenn sie richtig verstanden wird, in das ganze menschliche Leben fruchtbringend einzugreifen. Sehen Sie, der Mensch, der durch die Pforte des Todes geschritten ist, kann nichts ändern in den Beziehungen zu den Wesen, die um ihn sind, und die andern auch nicht, die um ihn sind. Da ist Un­veränderlichkeit der Verhältnisse eingetreten. Aber wo noch Ver­änderlichkeit eintreten kann, das ist auf dem Gebiet der Beziehun­gen zwischen den Gestorbenen und den noch Lebenden. Die Lebenden, die noch hier sind auf dem physischen Plan, sind sozu­sagen, wenn sie in irgendeiner Weise zusammengehangen haben, also beide, sie und der jetzt Verstorbene, hier gewesen sind, die Leben den sind die einzigen, die etwas lindern können den Schmerz, die etwas stillen können die Qual derjenigen, die durch die Pforte des Todes gegangen sind. Und fruchtbar hat sich in einer großen Anzahl von Fällen erwiesen, was man nennen kann gerade für diesen Fall:

das Vorlesen den Toten. Es hat sich wirklich das bewährt: da ist jemand gestorben; hier im Leben hat er sich aus irgendeinem Grunde, aus dem, der genannt worden ist, oder aus anderen Grün­den, nicht mit Geisteswissenschaft befaßt. Derjenige, der zurück­geblieben ist, kann aus der Geisteswissenschaft heraus wissen, daß der Verstorbene ein brennendes Interesse für Geisteswissenschaft haben kann. Wenn der Zurückgebliebene nun Gedanken innerlich durchnimmt mit ihm, als wenn der Tote ihm gegenüberstehen würde, mit dem Gedanken, als ob der Tote vor ihm stehen würde, so ist das für den Toten eine große Wohltat. Wir können tatsächlich

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dem Toten vorlesen. Das überbrückt sozusagen die Kluft, die besteht zwischen den Lebenden und den Toten. Bedenken Sie, wenn die zwei Welten, die durch die materialistische Gesinnung der Menschen so geschieden sind - die Welt des physischen Planes und die spirituelle Welt, die der Mensch durchläuft zwischen Tod und neuer Geburt -, bedenken Sie, wie dies unmittelbar ins Leben ein­greift, wenn diese zwei Welten zusammengeführt werden! Wenn Geisteswissenschaft nicht Theorie bleibt, sondern unmittelbarer Le­bensimpuls wird, also das, was Geisteswissenschaft eben sein soll, dann gibt es keine Trennung, sondern unmittelbare Kommunika­tion. Das Vorlesen den Toten ist einer von den Fällen, in denen wir in unmittelbare Beziehung zu den Toten treten können, in denen wir ihnen helfen können. Derjenige, der Geisteswissenschaft ge­mieden hat, bleibt immer in der Qual, nach ihr zu verlangen, wenn wir ihm hier nicht helfen. Aber wir können ihm auch von hier hel­fen, wenn er überhaupt ein solches ,Verlangen hat. So kann der Lebendige dem Toten helfen.

In gewisser ,Weise ist es wiederum auch möglich, daß der Tote für den Lebenden vernehmlich wird, obwohl die Lebenden heute wenig tun, um mit den Toten in Verbindung zu kommen. Aber da wird Geisteswissenschaft unmittelbar eingreifen in das menschliche Leben, wird ein wirkliches Lebenselixir werden. Wenn man be­greifen will, wie die Toten auf die Lebenden wirken können, müs­sen wir vielleicht von folgender Betrachtung ausgehen

Was weiß der Mensch überhaupt von der Welt? Außerordentlich wenig wissen wir, wenn wir hier auf dem physischen Plane in blo­ßem Wachzustande die Dinge betrachten. Der Mensch weiß das­jenige, was sich vor seinen Sinnen abspielt und was er aus dem, was sich da abspielt, mit seinem Verstande machen kann. Alles übrige weiß er nicht. Meistens glaubt er, daß sich sonst nichts ergeben könnte, als was er durch die physischen Sinne beobachten kann. Aber es gibt sehr vieles, was nicht geschieht und doch außerordent­lich bedeutsam ist. Was heißt das?

Wir wollen einmal annehmen, wir seien gewöhnt, jeden Tag um acht Uhr morgens in unser Geschäft zu gehen. Einmal aber verspäten

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wir uns gerade um fünf Minuten. Es geschieht weiter nichts, als daß wir um fünf Minuten zu spät kommen. Aber wir könn­ten vielleicht bei genauer Erwägung, wenn wir alle Verhältnisse ins Auge fassen, dazu kommen, zu erfahren, daß just an dem Tage, wenn wir zur rechten Zeit gegangen wären, wir hätten über­fahren werden müssen; das heißt, wenn wir zur rechten Zeit aus­gegangen wären, würden wir nicht mehr leben. Oder, was auch möglich ist, was vorgekommen ist, daß jemand durch einen Freund abgehalten worden ist, eine Reise auf der Titanic zu machen. Er kann sagen: Wäre er damals gefahren, so wäre er zugrunde ge­gangen! Daß das karmisch so bedingt war, ist eine andere Sache. Aber denken Sie einmal, wenn Sie das Leben so betrachten, wieviel Sie vom Leben wissen. Wenn nichts von dem geschehen ist, was hätte geschehen können, so wissen Sie es nur nicht. Die unendlichen Möglichkeiten, die da bestehen in der Welt der Wirklichkeiten, die beachtet der Mensch nicht. Sie können sagen: Das ist gewiß nicht bedeutsam! Für die äußeren Verhältnisse ist es nicht bedeutsam; bedeutsamer ist es, daß wir nicht zugrunde gegangen sind. Aber ich möchte darauf aufmerksam machen, daß wir hätten wissen können:

die Wahrscheinlichkeit war groß, daß wir hätten zugrunde gehen können, wenn wir zum Beispiel einen von einer Katastrophe be­troffenen Zug nicht versäumt hätten. Man könnte sich alle mög­lichen Fälle aufzählen, die aber im kleinen immer wieder vor­kommen. Gewiß, für den äußeren Lauf der Dinge brauchen wir nur zu wissen, was wir beobachten können. Aber nehmen wir an, wir wissen genau, daß etwas hätte geschehen können, wenn wir den Zug nicht versäumt hätten. Dann macht ein solches Erlebnis einen Eindruck auf unser Gemüt, und wir sagen: Wie bin ich da bewahrt worden durch ein gütiges Geschick auf sonderbare Weise! Denken Sie sich alle diese Dinge, die der Möglichkeit nach an den Men schen herantreten. Unendlich viel reicher wäre das Seelenleben -und wie reich wäre es, wenn der Mensch das alles wissen könnte, während er jetzt nur das armselige Leben des Geschehenen ins Auge faßt -, wenn er alles das wissen könnte, was so hereinspielt in das Leben, ohne daß es wirklich geschieht.

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Es ist, wie wenn Sie den Blick hinwenden auf das Getreidefeld und da die Ähren betrachten, die vielen Weizenkörner, von denen diejenigen, die wieder ausgesät werden, eine verhältnismäßig geringe Anzahl ausmachen, unzählige aber werden keine neuen Halme mit Ähren, sondern gehen einen anderen Weg. Das, was möglich ist mit uns, verhält sich zu dem, was wirklich wird, so wie die vielen Weizenkörner, die nicht wieder zu Ähren werden, zu denen, die Ähren werden. Es ist so in Wirklichkeit; denn das, was im Leben möglich ist, ist ungeheuer reich. Und diejenigen Momente, wo besonders wichtige Dinge in der Welt des Möglichen mit uns vor­gehen, das sind die günstigen Momente, wo die Toten uns nahe­treten können. Nehmen wir an, daß jemand fünf Minuten zu früh weggeht und dadurch vor dem Zutodefallen bewahrt geblieben ist in dem Moment, wo er von einem Unglück erreicht worden wäre oder auch von etwas Freudigem erreicht wird, das uns auf diese Weise entgangen ist. In diesem Moment ist es, wo hereinwehen kann in das Leben wie in einem Traumbilde dasjenige, was die Toten uns selber mitteilen. Aber der Mensch lebt grob. Er küm­mert sich nur um das Grobe, nicht um die Feinheiten des Lebens, die in dieses Leben hereinspielen und vorgehen. In dieser Beziehung wird durch die Geisteswissenschaft das Gefühl und die Empfindung verfeinert. Dann wird der Mensch diejenigen in das Leben hereinragen fühlen, die da tot sind, und er wird Zusammenhang haben mit ihnen. Die Kluft zwischen Lebendigen und Toten wird über­brückt werden durch die Geisteswissenschaft, die wirklich ein Lebens­elixir wird.

Die nächste Sphäre, also die nächste Zeit nach dem Tode ist die sogenannte Venus-Sphäre. In dieser Venus-Sphäre werden wir Ein­siedler, wenn wir hier unreligiös gestimmt waren. Gesellige Wesen werden wir durch religiöse Stimmung, die wir mitbringen. Je nach­dem wir in der Lage waren zu fühlen hier in der physischen Welt unsere Hingabe an den heiligen Geist, finden wir alle diejenigen, die die gleiche Stimmung dem Geist-Göttlichen gegenüber haben. In dieser Venus-Sphäre sind die Menschen gruppiert nach Religions­und Weltanschauungs-Verhältnissen. Hier auf Erden ist es noch so,

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daß sowohl religiöses Streben als auch religiöses Erleben den Aus­schlag geben. In der Venus-Sphäre ist die Gruppierung lediglich nach Religions- und Weltanschauungs-Bekenntnissen. Diejenigen, welche die gleiche Weltanschauung haben, sind in großen, mäch­tigen Gemeinden in der Venus-Sphäre; sie sind nicht Einsiedler. Einsiedler sind diejenigen, die gar keine religiösen Empfindungen und Impulse entwickeln können. Also diejenigen, die wir in unserer Zeit Monisten, Materialisten nennen, werden nicht zu geselligen, sondern zu einsamen Wesen werden; jeder wird wie in einem eige­nen Käfige die Venus-Sphäre zubringen, und ein Monistenbund ist in dieser Sphäre ganz unmöglich, weil durch das, was das moni­stische Glaubensbekenntnis ist, der Mensch zur Einsamkeit ver­urteilt wird. Das ist eine Tatsache, nicht etwa nur Ausgedachtes, daß jeder in einen eigenen Käfig gesperrt ist. Das ist dazu da, um die Seele zu erziehen für die Wirklichkeit gegenüber der Phan­tasterei des Monismus, die sie sich hier angeeignet hat. Im ganzen kann man sagen: Zusammenkommen kann man mit denjenigen, die mit uns gleicher Weltanschauung, gleichen Glaubens sind. Schwer verständlich sind uns andere Bekenntnisse in der Venus-Sphäre.

Dann kommt die Sonnensphäre. Das ist die nächstfolgende Zeit. In der Sonnensphäre kann uns nur noch dasjenige helfen, was die verschiedenen Bekenntnisse ausgleicht, was die Brücke bilden kann von einem Religionsbekenntnis zum andern. Nun ja, in bezug auf dieses Brückebilden von einem Bekenntnis zum andern haben die Menschen so ihre eigenen Anschauungen und können nicht leicht begreifen, wie man finden kann ein wirkliches Verständnis auch des anders Denkenden und anders Fühlenden. Theoretisch ist ja dieses Verständnis vielfach gefordert worden; wenn die Forderung aber praktisch werden soll, da wird die Sache gleich anders.

Dann kann man die Erfahrung machen, daß mancher, der der Hindu-Religion angehört, zwar von dem gemeinsamen Wesenskern aller Religionen redet, aber er meint mit gemeinsamem Wesenskern nur das, was in der Hindu- oder Buddha-Religion enthalten ist. Die Bekenner reden von der Hindu- und der Buddha-Religion in besonderen

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Egoismen, und wenn sie davon reden, sind sie im Gruppen­egoismus befangen. - Man könnte da eine schöne Legende vom Gruppenegoismus einfügen, die sich bei den Esten findet.

Die Esten haben eine sehr schöne Legende über die Entstehung der Sprachen: Gott wollte den Menschen die Sprache gewähren durch das Feuer. Da soll ein großes Feuer angemacht worden sein, und durch das eigentümliche Tönen des Feuers, dem die Menschen zuhören sollten, und durch das, was sie da als Laute hören würden, sollte die Sprache werden. So rief die Gottheit die Völker der Erde zusammen, auf daß die Völker ihre Sprachen lernen könnten. Aber bevor die andern hergerufen wurden, nahm Gott die Esten vor, und ihnen lehrte er die göttlich-geistige Sprache, also eine höhere Sprache. Dann kamen erst die andern heran, und die durften dem Feuer zuhören, und da sie hörten, wie das Feuer brannte, da lern­ten sie die Töne verstehen. Die einzelnen Völker, die die Esten besonders gern hatten, die kamen zuerst, als das Feuer noch ziem­lich stark brannte. Als das Feuer schon ziemlich gegen das Ende ging, kamen die Deutschen, denn die Esten lieben die Deutschen nicht besonders. Und da konnte man hören aus dem schon zerpras­sel nden Feuer: « Deitsch, peitsch, deitsch, peitsch. » Dann kamen die Lappen, die die Esten gar nicht lieben, und da hörte man nur noch: «Lappen latschen.» Und da hier das Feuer nur bloß noch Asche war, brachten die Lappen die allerschlechteste Sprache her­aus, weil die Esten mit den Lappen in Todfeindschaft lebten. -So sieht man, wie die Esten alles, was sie an Gruppenegoismus haben, da zum Ausdruck bringen.

So ähnlich sind die meisten Völker, wenn sie davon sprechen, daß sie zu dem Wesenskern in den verschiedenen Religionsgemein­schaften vordringen wollen. Und da muß tatsächlich gesagt werden, daß in dieser Beziehung das Christentum unbedingt anders ist als die andern Bekenntnisse. Wenn es zum Beispiel im Abendlande geradeso wäre wie in der Hindu-Religion, so würde der alte Wotan als Nationalgott immer noch herrschend sein. Aber das Abendland hat nicht einen herrschenden Gott genommen, der innerhalb des Abendlandes zu finden war, sondern einen, der außerhalb zu finden

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ist. Das ist ein wesentlicher Unterschied gegenüber dem Hinduis­mus und dem Buddhismus. So ist in vieler Beziehung das abendlän­dische Christentum nicht durchsetzt von religiösem Egoismus, es ist religiös viel selbstloser als die morgenländischen Religionen. Deshalb ist die richtige Erkenntnis und Empfindung des Christus-Impulses auch dasjenige, was den Menschen in ein richtiges Ver­hältnis bringt zu den Mitmenschen, gleichgültig welches innere Bekenntnisleben sie haben.

In der Sonnensphäre zwischen Tod und neuer Geburt heißt es wirklich, das Verständnis dessen zu haben, was uns ermöglicht, nicht nur mit Menschen des gleichen Bekenntnisses, sondern mit allen Menschen sozusagen in ein Verhältnis zu kommen, weil dieses Christentum niemals, wenn wir es so weit fassen, daß wir es mit der alttestamentlichen Religion zusammenhängend betrachten, Ein­seitigkeit lehrt. Auf eines ist aufmerksam gemacht worden, was im höchsten Grade bedeutsam und notwendig ist zu erkennen: Es wird Ihnen erinnerlich sein, daß eines der schönsten Worte des Neuen Testamentes, das der Christus sagt, an das Alte Testament erinnert, das Wort: « Ihr seid Götter. » Christus weist die Menschen darauf hin, daß in jedem Menscheninnern ein göttlicher Kern lebt, ein Gott: Ihr seid alle Götter. Ihr kommt Göttern gleich. - Eine hohe Lehre des Christus ist es, den Menschen hinzuweisen auf seine gött­liche Natur, darauf, daß er sein kann wie Gott. Du kannst sein wie Gott, eine wunderbare, groß und tief zum Herzen gehende Lehre des Christus! Ein anderes ,Wesen hat dieselben Worte vorgetragen, und es gehört zum Christus-Bekenntnis, daß ein anderes Wesen das­selbe vorgebracht hat. Luzifer, im Beginn des Alten Testamentes, trat an den Menschen heran, und die Versuchung besteht darin, daß er den Ausgangspunkt nimmt von den Worten: #SE140-140

es darauf ankommt, welches Wesen im Weltenzusammenhang irgendein Wort ausspricht. Deshalb mußte auch im letzten Mysterien­spiel gezeigt werden: Es kann dieselben Sätze Luzifer sagen, und sie sind etwas ganz anderes, als wenn Ahriman sie sagt, und etwas anderes, wenn Christus sie sagt. Da berühren wir ein tiefes Geheim­nis des Weltendaseins, und es ist wichtig, daß wir uns ein Verständ­nis aneignen für dasjenige, was gerade durch dieses «Ihr seid Göt­ter», «Ihr werdet sein wie Gott» das eine Mal aus dem Munde des Christus, das andere Mal aus dem Munde des Luzifer ausgespro­chen ist.

Das muß durchaus in Betracht gezogen werden, daß wir zwi­schen Tod und neuer Geburt auch eben einmal in der Sonnensphäre leben werden und in dieser Sonnensphäre ein ganz gründ­liches Verständnis des Christus-Impulses nötig haben. Dieses müs­sen wir von der Erde mitbringen; denn der Christus ist einmal auf der Sonne gewesen, aber er ist, wie wir gehört haben, von der Sonne heruntergekommen und hat sich jetzt mit der Erde vereinigt. Mit­hin müssen wir ihn hinauftragen bis in die Sonnenzeit und dann können wir mit dem Christus-Impuls ein geselliges Wesen sein, können ihn in der Sonnensphäre verstehen.

Aber wir müssen unterscheiden lernen, und das lernen wir jetzt nur durch die Anthroposophie, zwischen Christus und Luzifer. Denn dasjenige, was wir von der Erde mitbringen in unserm Chri­stus-Verständnis, das führt uns allerdings bis zur Sonne hinauf und ist innerhalb der Sonnensphäre sozusagen ein Führer von Menschenseele zu Menschenseele ohne Unterschied von Glaube und Bekennt­nis; aber ein anderes Wesen begegnet uns in der Sonnensphäre, das dieselben Worte spricht, die im Grunde genommen denselben In­halt haben: Luzifer ist dieses Wesen. Und dieses Verständnis müssen wir erworben haben für den Unterschied zwischen Christus und Luzifer, denn Luzifer muß uns nun begleiten durch die weiteren Sphären zwischen Tod und neuer Geburt.

Sehen Sie, so durchleben wir eine Mond-, Merkur-, Venus- und Sonnensphäre. In jeder dieser Sphären erreichen wir zunächst das­jenige, was wir in bezug auf die innere Kraft mit uns gebracht

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haben. In der Mondsphäre die Affekte: Triebe, Leidenschaften, sinnliche Liebe verbinden uns mit dieser Sphäre. In der Merkur­sphäre erreicht uns alles, was wir an moralischen Unvollkommen­heiten haben, in der Venus-Sphäre, was wir an religiösen Unvoll­kommenheiten haben, in der Sonnensphäre, was uns trennt von all dem, was «menschlich» heißt.

Jetzt also gehen wir in die andern Sphären, die der Okkultist als die Mars-, die Jupiter-, die Saturnsphäre kennt. Da ist Luzifer unser Führer, da treten wir ein in eine Welt, die uns mit neuen Kräften befruchtet. So wie wir hier die Erde unter uns haben, so haben wir da den Kosmos innerhalb der Sonne unter uns. Wir wachsen hinein in die göttlich-geistigen Welten, und während wir hineinwachsen in diese' göttlich-geistigen Welten, müssen wir dasjenige im Ge­dächtnis behalten, was wir mitgebracht haben von dem Christus­Impuls. Den können wir nur auf der Erde erwerben, und je stärker wir ihn erworben haben, desto weiter können wir ihn hinaustragen in den Kosmos. Da tritt dann Luzifer an uns heran. Der führt uns in die Welt, in die wir hinaus müssen, damit wir für eine neue In­karnation vorbereitet werden. Und dasjenige, was wir nicht ent­behren können, damit Luzifer uns nicht gefährlich werde, das ist das Verständnis des Christus-Impulses, dasjenige, was wir gehört haben von Christus während der Erdenzeit. Der Luzifer kommt schon an uns heran in der Zeit zwischen Tod und Geburt, aber den Christus müssen wir aufgenommen haben während der Erdenzeit. Dann wachsen wir hinein in die andern Sphären, die außer­halb der Sonne sind. Wir werden immer größer und größer sozu­sagen, wir haben unter uns die Sonne und über uns den ganzen großen, mächtigen Sternenhimmel. In den großen Weltenraum hinein wachsen wir, in den Kosmos hinaus bis zu gewissen Gren­zen. Und während wir hinauswachsen, wirken die kosmischen Kräfte aus allen Sternen auf uns. Wir nehmen aus der ganzen mächtigen Sternenwelt die Kräfte auf in unser mächtig ausgedehn­tes Wesen.

Bis zu einer Grenze kommen wir. Dann ziehen wir uns wiederum zusammen und treten wieder in dasjenige ein, was wir durchgemacht

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haben. Wir kommen durch die Sonnen-, Venus-, Merkur-, Monden­sphäre, bis wir wiederum der Erde nahe kommen, und bis dasjenige, was in den Weltenraum hinausgetragen war, sich wiederum zusam­menzieht zu einem Keim, der in einer Menschenmutter zu einem neuen Menschen sich bildet. Das geschieht dann wiederum, wenn der Mensch sich hinausgedehnt hat in die fernen Weltenräume und da aufgenommen hat die kosmischen Kräfte.

Das ist das Geheimnis vom Menschensein nach dem Tode, zwi­schen Tod und neuer Geburt. Nachdem der Mensch durch die Pforte des Todes gegangen war, ist er von dem kleinen Raum der Erde ausgehend immer größer und größer geworden, ist bis zur Mond-, Merkur-, Venus-, Sonnen-, Mars-, Jupiter-, Saturnsphäre hinausgewachsen. Da sind wir in den ,Weltenraum hinausgewach­sen; gleichsam eine Riesenkugel werden wir als Geisteswesen. Dann, nachdem wir als Seele aufgenommen haben die Kräfte des Uni­versums, der Sterne, ziehen wir uns wieder zusammen, und dann haben wir die Kräfte der Sternenwelt in uns. Da haben wir eine Erklärung der Geistesforschung dafür, daß in dieser unserer zu­sammengepreßten Gehirnmasse ein Abdruck des ganzen Sternenhimmels zu finden ist. Tatsächlich birgt unser Gehirn ein bedeu­tungsvolles Geheimnis.

Und noch ein Geheimnis liegt hierin: der Mensch hat sich also zusammengezogen, hat sich inkarniert in einem physischen Leibe, in den er durch ein Elternpaar gekommen ist. So weit ist der Mensch gelangt, denn da hat er eingeschrieben, während er sich ausgedehnt hat im Weltenraum, alles dasjenige, was seine Eigenschaften waren. Wenn wir auf der Erde stehen und in den Sternenhimmel hinausblicken, so sind da nicht bloß Sterne, sondern da sind unsere Eigen­schaften aus den früheren Inkarnationen. Wenn wir zum Beispiel in früheren Inkarnationen ehrgeizig waren, so steht dieser Ehrgeiz in der Sternenwelt geschrieben. Er ist eingeschrieben in der Akasha­Chronik, und wenn Sie hier auf Erden an einem bestimmten Punkte stehen, kommt der Ehrgeiz mit dem betreffenden Planeten in dieser oder jener Lage zu Ihnen; er macht seinen Einfluß geltend. Und das ist deren Moral, daß die Astrologen nicht bloß Sterne und Sternwirkungen

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sehen, sondern daß sie sagen: Da steht Ihre Eitelkeit, Ihr Ehrgeiz, Ihr Unmoralisches, Ihre Trägheit; und da wirkt jetzt etwas, was Sie in die Sterne eingeschrieben haben, in gewisser Weise aus der Sternenwelt wieder herunter und bedingt Ihr Schicksal. Darum schreiben wir dasjenige, was in unserer Seele ist, ein in den großen Raum, und da wirkt es von dem Raume auf uns zurück, während wir hier auf Erden sind, während wir hier auf Erden wandeln zwi­schen Geburt und Tod. Diese Dinge gehen uns ungeheuer nahe, wenn wir sie wirklich verstehen, und sie erklären uns so manches.

Sehen Sie, ich habe mich im Leben viel mit Homer beschäftigt, aber als ich gerade im letzten Spätsommer die Aufgabe hatte, diese Verhältnisse zwischen Tod und Neugeburt zu untersuchen und auf den Standpunkt kam, daß unveränderlich bleiben die Verhältnisse von einem Tod zur nächsten Geburt, da mußte ich mir bei einer Stelle sagen: die Griechen nennen ihn den Blinden, weil er ein großer Seher war. Er sagt: das Leben nach dem Tode geschehe an dem Orte, wo es keine Veränderung gibt. Ein wunderbar treffendes Wort. Man lernt dieses Wort erst verstehen, wenn man es aus den okkulten Geheimnissen heraus tut. Und je weiter man in diesem innern Ringen vorwärtskommt, desto mehr wird es klar, daß die antiken Dichter die allergrößten Seher waren und in ihre Werke manches hineingeheimnißt haben, zu dessen Verständnis vieles not­wendig ist.

Da will ich einer Sache Erwähnung tun, die mir im Frühherbst passiert ist und die recht bezeichnend ist. Ich wehrte mich anfangs dagegen, weil sie ganz überraschend ist. Aber es ist einer jener Fälle, wo die Objektivität siegt.

In Florenz gibt es ein Grabmal von Michelangelo für Lorenzo und Giuliano Medici. Da sind diese beiden Brüder abgebildet und dabei sind vier allegorische Figuren. Diese Figuren sind sehr be­kannt. Aber daß da etwas nicht ganz stimmte mit dieser Gruppe, das hat sich mir gleich ergeben, als ich sie das erste Mal sah. Es war mir gleich klar, daß der, der als Giuliano beschrieben ist, der Lorenzo ist und umgekehrt. Es ist offenbar: man hat sie, da die Figuren abgenommen werden können, bei irgendeiner Gelegenheit

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verwechselt und das nicht beachtet. Daher beschreibt man als Giuliano den Lorenzo und umgekehrt. Aber worauf es jetzt hier an­kommt, das sind die vier allegorischen Figuren.

Wenn man ausgeht von der Betrachtung der Figur der «Nacht», dieser wunderbaren «Nacht», ja, solange man bei der Meinung bleibt, man habe es mit einer Allegorie zu tun, kommt man nicht zurecht. ,Wenn man aber das, was man über den menschlichen Ätherleib weiß, in seiner vollen Tätigkeit sich so vorstellt, daß man fragt: Wenn der Astralleib und das Ich frei sind und der Ätherleib die ihm am allermeisten entsprechende Geste suchen würde, was würde für eine Geste herauskommen?, so erhält man die Antwort:

Eine solche Geste würde da herauskommen, wie Michelangelo sie der «Nacht» gegeben hat. Wirklich, diese Nacht ist so gebildet, daß sie den wunderbarsten Ausdruck gibt für den freien, unabhängi­gen Ätherleib, der sich in der Physiognomie des physischen Leibes ausdrückt, wenn Astralleib und Jch außerhalb sind. Diese Figur ist nicht eine Allegorie, sondern tatsächlich der Mensch, geschildert im Zusammenhang mit physischem und Ätherleib, wenn Astralleib und Ich heraus sind. Da versteht man die Figur in dieser Haltung, die der historisch treueste Ausdruck des Ätherleibes in seiner Leben­digkeit ist.

Und wenn man davon ausgeht, dann bekommt man in der «Tag»-Figur das groteske Urteil: Wenn das Ich am stärksten tätig ist, wenn es am wenigsten vom Astral-, Äther- und physischen Leibe beeinflußt ist, kommt diese eigentümliche ,Wendung, diese Geste heraus, die Michelangelo der «Tag»-Figur gegeben hat. Wenn der Astralleib für sich tätig ist, ohne von physischem, Ätherleib und Ich abhängig zu sein, dann kommt die Geste der «Morgen»-Figur heraus, und für den physischen Leib, der unabhängig von den andern drei Gliedern sich betätigt, kommt die Geste der «Abenddämmerung» heraus.

Ich sträubte mich lange gegen diese Erkenntnis, ich hielt sie im Anfang für toll; aber je mehr man darauf eingeht, desto mehr zwingt einen das, was man sieht in dieser in die Steine hineingegos­senen Schrift, zur Erkenntnis dieser Wahrheit. Nicht als ob Michel­angelo dies gewußt hätte; aber in sein intuitives Schaffen drang es

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herein. Da versteht man auch, was die Legende bedeutet, die er­zählt, daß, wenn Michelangelo allein in seiner Werkstatt war, die Figur der «Nacht» Leben bekam, so daß sie herumging. Es ist eben eine besondere Illustration zu der Tatsache, daß man es mit dem Ätherleib zu tun hat. Überall herein wirkt däs Spirituelle, sowohl in der Menschheitsentwickelung als auch in der Kunst und so fort. Man lernt das Sinnliche wirklich erst verstehen, wenn man die Art versteht, wie das Spirituelle in die sinnliche Wirklichkeit hereinwirkt.

Es gibt einen Ausspruch von Kant, der sehr schön ist. Kant sagt:

Zwei Dinge sind es, die ganz besonderen Eindruck auf mich ge­macht haben: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. - Es macht ganz besonderen Eindruck, wenn man nun darauf kommt, daß beides dasselbe ist. Denn zwischen Tod und Geburt sind wir ausgegossen über den Sternenraum und nehmen seine Kräfte in uns herein, und wenn wir im physischen Leibe sind, dann sind diese Kräfte, die wir aufgenommen haben, in uns als unsere moralischen Impulse wirksam. Wenn wir da stehen und den Sternenhimmel betrachten, können wir sagen: Was da draußen an Kräften lebt und webt im Weltenraum, darin leben und weben wir in der Zeit zwischen Tod und neuer Geburt. Und das ist jetzt das richtunggebende Gesetz unseres moralischen Lebens. So sind der Sternenhimmel draußen und das moralische Gesetz in uns ein und dieselbe Wirklichkeit, nur zwei Seiten dieser Wirklichkeit. Den gestirnten Himmel durchleben wir zwischen Tod und neuer Geburt, das moralische Gesetz zwischen Geburt und Tod.

Wenn wir dies erfassen, dann wird Geisteswissenschaft unmittel­bar zur Andacht, wie zu einem gewaltigen Gebet; denn was ist ein Gebet anderes als dasjenige, was unsere Seele mit dem Göttlich-Geistigen, das die Welt durchwebt, verbindet.

Dieses Gebet ist das, was ein Gebet heute sein kann. Wir müssen es uns erobern, indem wir die Sinnenwelt durchleben. Indem wir dieses bewußt anstreben, wird ganz selbständig das, was wir wissen können, zu einem Gebet. Da wird spirituelle Erkenntnis unmittel­bar Gefühl und Erlebnis und Empfindung. Und das soll sie werden.

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Dann mag sie noch so sehr mit Begriffen und Ideen arbeiten: Ideen und Begriffe werden zuletzt gebetsartige reine Empfindungen, reines Fühlen. Das aber ist es, was unsere Zeit braucht. Unsere Zeit braucht das unmittelbare Herausleben aus der Betrachtung zum Er­leben des Kosmos, da wo die Betrachtung selber wie ein Gebet wird. Während die Betrachtung der äußeren physischen Welt immer trockener, immer gelehrtenhafter wird, immer abstrakter wird, wird die Betrachtung des geistigen Lebens immer herzlicher gestimmt, immer tiefer, wird geradezu immer gebetartiger, und das nicht durch eine einseitige Sentimentalität, sondern durch ihre eigene Natur. Dann wird der Mensch nicht bloß aus abstrakten Ideen heraus wissen, er habe das Göttliche, was den Weltenraum durchwebt und durchlebt, in sich; sondern er wird wissen, indem er weiterschreitet in der Erkenntnis, daß er es wirklich erlebt hat in dem Leben zwischen dem letzten Tod und der neuen Geburt Er wird wissen: was er da durchlebt hat, das hat er jetzt in sich als die Reichtümer seines Lebens.

Das sind solche Betrachtungen, die gerade zusammenhängen mit erst neuerdings gemachten Forschungen, die uns aber unsere eigene Entwickelung verständlich machen können. Dann wird sich Geistes­wissenschaft einmal zu einem wirklich geistig-spirituellen Lebenssaft umwandeln können. Von diesen Dingen soll in Zukunft noch öfter gesprochen werden.

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ZWISCHEN TOD UND NEUER GEBURT Wien, 21. Januar 1913

Als ich das letzte Mal hier vor Ihnen sprechen durfte, berührte ich in einer kurzen Weise jenen bedeutungsvollen Abschnitt im menschlichen Leben, der verfiießt zwischen Tod und neuer Geburt. Es geht nicht an, diesen Abschnitt im menschlichen Leben so zu behandeln, als ob er für das physische Leben gleichgültig sei. Wir müssen uns klar sein darüber, daß die Kräfte unseres Lebens nicht allein aus der Welt kommen, in welcher wir uns mit unserer physi­schen Leiblichkeit befinden, sondern daß die Kräfte unseres Lebens ganz wesentlich aus den überphysischen Welten kommen, denen wir allein angehören zwischen Tod und Geburt. Und wir können im Grunde genommen nur wissen, wie es sich hier verhält, wenn wir uns Vorstellungen bilden können von dem Leben zwischen Tod und Geburt.

Eigentlich ist der Mensch im allgemeinen in einem gewissen Traum- oder Schlafleben befangen. Jene Menschen, die durch das physische Dasein, wo sie ihr alltägliches Leben führen und über nichts nachdenken, hindurchgehen, gleichen in der Tat Schläfern des Lebens; und die, welche sich bekümmern um das, was über das physische Leben hinausliegt, was hereinwirkt in das physische Le­ben, das sind Menschen, die auch für das physische Dasein auf­wachen. Wir können anknüpfen an die Betrachtungen von dazu­mal, die uns zeigen können, wie Geisteswissenschaft, wenn sie im richtigen Sinne verstanden wird, geeignet ist, in das gesamte mensch­liche Dasein einzugreifen. Wir werden sehen, daß die ganze Mensch­heit, wenn Geisteswissenschaft allmählich immer mehr eindringen kann, auch so etwas erleben wird wie ein Aufwachen aus einer Art von Lebensschlaf. Viele Dinge dringen an den Menschen heran, die zunächst unbekannt und rätselhaft erscheinen, rätselhaft viel mehr für das Gefühl als für den trockenen Verstand. Rätselhaft in gewis­sem Sinne ist der Augenblick, da eine Mutter an dem Sarge ihres

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Kindes steht oder umgekehrt. Wenn man sich ein wenig gründ­licher zu beschäftigen hat mit dem menschlichen Leben, wird man schon gewahr, wie Rätselvolles im Leben dem Menschen aufgeht. Es kommen oft Menschen zu mir, deren Schwester, deren Mann oder Frau gestorben ist. Sie sagen: Ich habe früher nicht nach­gedacht über den Tod, mich nicht bekümmert um das, was danach folgen wird, aber seit mir dieser nahestehende Verwandte weg­genommen ist, ist es mir, als ob er noch da ist, und da bin ich getrieben worden zur Betrachtung der Geisteswissenschaft. - Durch das Leben werden die Menschen zur Geisteswissenschaft gebracht, und sie vergilt reichlich, was da durch sie geschieht, denn Geistes-wissenschaft kann das Leben durchdringen mit Kräften, die nur von ihr kommen.

Wenn der Mensch nicht mehr für physische Sinne da ist, ent­steht zunächst die Rätselfrage: Wie ist es dann mit dem Menschen nach dem Tode? Äußere Wissenschaft kann keine Antwort geben, weil sie nur konstatiert, was Augen sehen, die ja zerfallen. Auch das physische Gehirn zerfällt; und es ist klar, daß es nichts nützen kann für das, was der Mensch erlebt ohne physische Hülle. Und dennoch liegen die Fragen gewaltig da, welche sich auf das Jenseits beziehen. Im Grunde genommen nützen zur Klärung dieser Fragen allgemeine Betrachtungen gar nicht so viel wie einzelne konkrete Fälle, welche schildern, wie dies oder jenes sich ausnehmen mag. Das kann unmittelbar eingreifen in das Leben.

Ausgehen können wir vom Leben hier. Sie werden vielleicht da oder dort den Fall erfahren haben, daß jemand durch seine innere Sehnsucht, durch seine Seelenverfassung zur Geisteswissenschaft getrieben wird, aber ein anderer, der wird ihr immer feindlicher. Der eine wird immer tiefer da hineingehen, sein Freund immer feind­licher der Geisteswissenschaft werden. Das Leben bietet aber nicht nur in der Natur eine Maja, sondern auch da, wo es unmittelbar unsere Seele berührt im Verhältnis zu den Menschen. Gerade was jetzt erwähnt worden ist, kann eine völlige Täuschung sein: Der Mensch, der sich eingeredet hat, alles das sei Unsinn - in jenen Seelentiefen, bis zu denen er mit dem Bewußtsein nicht hinunterdringt,

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entwickelt er eine geheime Liebe dazu. In den Untergrün­den kann Liebe dasjenige sein, was auflebt als Haß. Solche Dinge kann man im physischen Menschenleben finden. Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes getreten ist, wirken auch alle geheimen Seelenkräfte und Sehnsuchten nach, das, was er im physischen Le­ben unterdrückt hat, tritt auf als der Inhalt der Läuterungszeit. Wir sehen Menschen durch die Pforte des Todes gehen, die hier Feinde der Geisteswissenschaft waren; nach dem Tode entwickeln sie die intensivste Sehnsucht darnach. Solche Hasser streben dann nach der Geisteswissenschaft. Dann stellt sich folgendes ein: Wären wir ihnen im Leben mit einem geisteswissenschaftlichen Buch gekom­men, da hätten sie uns angefahren; nach dem Tode können wir ihnen keinen besseren Dienst tun, als wenn wir ihnen vorlesen. Man liest in Gedanken den Toten vor; das kann die förderndste Wirkung für den Toten haben. Wir haben viele Beispiele inner­halb unserer spirituellen Bewegung, wo die Angehörigen hingestor­ben sind und die Zurückbleibenden ihnen vorgelesen und sie geför­dert haben. Und die Toten nehmen das, was ihnen geboten wird, mit der innigsten Dankbarkeit an, und es kann sich ein wunder­schönes Zusammenleben entwickeln. Da merkt man, was Geistes-wissenschaft in der Praxis bedeuten kann. Geisteswissenschaft ist nicht bloße Theorie; sie soll eingreifen in das Leben, sie soll hin-wegnehmen, was sich wie eine Wand auftürmt zwischen Lebenden und Toten; überbrückt wird die Kluft. Wenn man mit der rechten Gesinnung Geisteswissenschaft ins Leben bringt, kann man viel nützen. Keinen besseren Rat gibt es, als den Toten vorzulesen. Denn es ist eine Eigentümlichkeit, daß wir unmittelbar nach dem Tode nicht neue Beziehungen anknüpfen können, wir müssen die alten fortsetzen.

Die Frage drängt sich auf: Könnte der sogenannte Tote nicht drüben geistige Wesenheiten finden, die ihn belehren könnten? Das geht nicht! Zunächst kann man nur Beziehungen haben zu Wesen, mit denen man verbunden war, bevor man durch die Pforte des Todes schritt. Begegnet man einem Geist, den man auf der Erde nicht kannte, so geht man an ihm vorbei. Wenn man hier einem

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großen Genie begegnet, das die Kleidung trägt eines Fuhrmanns, so erkennt man es auch nicht. Zu den Wesen, die man hier als Men­schen kannte, hat man Beziehungen. Wenn man noch so vielen Wesenheiten begegnete, die einem helfen könnten, aber zu denen man keine Beziehung hat, sie nützten einem nichts.

Da Geisteswissenschaft am Ausgangspunkte ihrer Entwickelung steht, die Menschen erst damit beginnen, sie auf sich wirken zu las­sen, können die Lebenden den Toten einen großen Dienst erweisen, indem sie diese Hilfe ihnen angedeihen lassen. Da haben wir ein Beispiel, wie von unserer Welt eingewirkt werden kann in die andere Welt. Aber auch das Umgekehrte ist möglich: Die Toten können auch hereinwirken in die physische Welt. ,Wenn Geisteswissenschaft immer mehr die Welt ergreift, wird von beiden Welten aus in Gegenseitigkeit gewirkt werden. Die Toten können auch auf die Lebendigen wirken. Der Mensch weiß ja ungemein wenig von der Welt, er weiß nur, was im Verlauf der Zeit hier geschieht. Viele meinen, daß das andere keine Bedeutung habe. Dasjenige, was geschieht, ist eigentlich nur der allergeringste Teil desjenigen, was wissenswert ist, und man bleibt eigentlich ein Nichtswisser im Leben, wenn man nur das kennt, was geschieht. Wir gehen mor­gens an unser Geschäft; wir werden vielleicht das alles für das Wis­senswerteste halten, was uns da aufstößt. Einmal gehen wir drei Minuten später weg als gewöhnlich; da tragen sich vielleicht un­erwartete Ereignisse zu: es könnte sein, daß, wenn wir zur rechten Zeit fortgegangen wären, wir überfahren worden wären; nun sind wir davor geschützt worden. Wir mußten vielleicht eine Reise machen und verpaßten den Zug: gerade diesen Zug traf ein großes Unglück. Was entnehmen wir einer solchen Betrachtung?

Es gibt viel im Leben, was nicht geschieht, was wir aber zählen müssen zu den Möglichkeiten des Lebens. Weiß denn der Mensch, wie vielen solchen Möglichkeiten er den Tag über entgeht? Was könnte alles geschehen, wenn wir dem nicht entgingen! Wir über­sehen es, weil es für die trockene Lebensbetrachtung keine Bedeu­tung hat. Versuchen wir auf die Seele hinzuschauen, die durch scheinbaren Zufall solchen Gefahren entronnen ist, wie sie empfindet!

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- Ein Berliner zum Beispiel wollte nach Amerika fahren; er hatte schon das Billett. Ein Freund sagte ihm: Fahre nicht mit der Titanic! - Malen Sie sich die Gefühle desjenigen aus, der zu­rückgeblieben ist, als er vom Untergang der Titanic erfuhr! Das hat erschütternd auf sein Gefühl gewirkt. Welche Gemütsimpres­sionen könnten wir haben, wenn wir in der Lage wären, den gan­zen Tag zu beobachten, wovor wir bewahrt werden, was alles hätte geschehen können! Wenn die Menschen einmal beginnen, sich mit geistigen Angelegenheiten zu befassen, bekommen sie viel mehr Empfänglichkeit für die Kompliziertheit des Lebens, für das, was sich zwischen den Tageszeiten abspielt. Der Fall kann eintreten, daß, wenn wir drei Minuten früher fortgegangen wären, wir über­fahren worden wären: haben wir seelische Empfänglichkeit, sind wir geistig vorbereitet, so können wir in einem solchen Augenblick eine Impression aus der geistigen Welt aus Gnade erhalten, eine Mitteilung von einem Toten. Da werden die Tore dann von den Toten durchbrochen; da läßt sich erkennen, daß zu Menschen, welche sich Empfänglichkeit anerzogen haben, die Toten herein-sprechen können. Es können wichtige Dinge zu uns dringen: zum Beispiel, daß der Tote einen Befehl gibt, etwas auszuführen, was er nicht getan hat. So wird die Kluft überbrückt. So werden wir, wenn Geisteswissenschaft praktisch wird, mit den Toten hinüber und her­über verkehren. So kann Geisteswissenschaft lebenspraktisch wer­den; sie wird hereinholen die übersinnliche Welt in die unmittelbare Gegenwart.

Folgende Frage kann sich nun ergeben: ,Wenn wir ein geistes-wissenschaftliches Buch in die Hand nehmen, so lesen wir in einer bestimmten Sprache. Verstehen die Toten diese Sprache? - In der Läuterungszeit verstehen die Toten die Sprache, die sie hier gespro­chen haben; erst beim Übergang ins Devachan hört die Sprache auf, dann geschieht es in Gedanken. Nach einem bestimmten Ab­lauf von Jahren tritt eine Veränderung ein in dem Verkehr mit den Toten. Wenn Empfänglichkeit vorhanden ist beim Zurückgeblie­benen, empfindet er: Der Tote ist bei dir, du denkst, wie er dich denkt. Das kann Jahre um Jahre dauern, dann tritt der Moment

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ein, wo man den Zusammenhang verliert; das ist der Augenblick, wo der Tote ins Devachan übergeht. In der Läuterungszeit hat man noch die Erinnerung an das Erdenleben, der Mensch hängt noch an diesen Erinnerungen.

Was ist eine Erdensprache? Jede Erdensprache hat nur Bedeu­tung für das Erdenleben; und sie hängt innig zusammen mit der Organisation des Menschen, mit dem Klima, damit auch, daß der Kehlkopf anders ausgebildet ist Was in Europa gesprochen wird, wird nicht in Indien gesprochen. Gedanken aber sind nicht an die physische Organisation gebunden; Gedanken sind nicht nach irdi­schen Verhältnissen gebildet. Die Toten haben nur so lange Ver­ständnis für die Sprache, als sie im Kamaloka sind. ,Wenn durch ein Medium Kundgebungen kommen und in eine bestimmte Sprache gegossen sind, können diese Mitteilungen unmittelbar gegeben wer­den nur von Menschen, die vor kurzer Zeit gestorben sind.

Wir sind im Grunde genommen immer schon in der höheren Welt drinnen, wir gehen im Schlaf unbewußt hinein, wir leben, während wir schlafen, in derselben Welt wie nach dem Tode. Die Frage möchte ich jetzt stellen: Kann derjenige, der noch nicht mit hellseherischem Blick sehen kann, derjenige, der als Seher noch nicht beobachten kann, kann der dennoch wissen, wie sich die Dinge verhalten?

Ein schlafender Mensch lebt ja noch, er ist so etwas wie eine Pflanze. Sie erinnern sich wohl daran, daß ein Repräsentant der Wissenschaft, Raoul Francé, schreibt, die Pflanze habe Gefühl, könne verehren; ein Seelisches ist aber in der Pflanze nicht vor­handen. Von demselben ,Wert wie die Pflanze ist der schlafende menschliche Organismus. Dringend nötig ist, damit sie lebt, daß Sonnenstrahlen auf die Pflanze fallen. Wir sehen die Erde mit Pflanzen bedeckt, weil die Sonne sie hervorruft; die Erde wäre nicht bewachsen ohne Sonne: während der Winterszeit können die Pflan­zen nichts hervorsprossen lassen. Wenn der Mensch schläft, wo ist da seine Sonne? Was im Bett liegt, können wir uns auch nicht den­ken ohne Sonne: diese Sonne ist in dem, was als das Ich des Men­schen heraußen ist; das Ich hat da zu arbeiten am schlafenden Orga­nismus wie die Sonne an der Pflanze.

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Nicht nur die Sonne hat eine Beteiligung an der Hervorbringung und dem Dasein der Pflanze, auch der Mond; ohne Einwirkung des Mondes wäre das Pflanzenwachstum auch nicht vorhanden. Doch die Einwirkung des Mondes gehört überhaupt nicht zu dem, was Gelehrte beachten.

Das Mondenlicht wirkt auf die Pflanze. Mondeneinfluß hat Be­zug auf die Breite der Pflanze; eine Pflanze, die schlank in die Höhe wächst, hat wenig Mondeneinfluß. Der ganze Kosmos ist beteiligt am Pflanzenwachstum. Und das Ich ist beteiligt am physischen und Ätherleib wie die Sonne am Pflanzenwachstum - der astralische Leib wie der Mond: es ist dieselbe Beziehung. Das Ich ist die Sonne für den physischen Leib, der astralische Leib ist sein Mond, aber ein geistiger. Wir sehen unser Ich den Ersatz bilden für die Son­neneinwirkung, unsern astralischen Leib für die des Mondes. Darin liegt die Rechtfertigung für das, was der Seher meint, wenn er sagt:

Der Mensch hat sich als ein Extrakt aus den Kräften des Kosmos herausgebildet. Wie die Sonne im Mittelpunkt des Pflanzensystems ist und ihr Licht so hinbreitet, daß überall Licht ist, so soll das Licht den physischen und Ätherleib durchleuchten. Das Sonnenlicht ist nicht nur physisch, es ist auch seelisch-geistig; als letzteres löste es sich los vom Kosmischen und wurde Ich. Ein Extrakt des Monden­lichtes ist der menschliche astralische Leib. Es ist alles sehr weise eingerichtet. Wenn das Menschen-Ich noch immer an die Sonne gebunden wäre, könnten die Menschen auch nur so wie die Pflan­zen zwischen Schlafen und Wachen wechseln. Dem Einfluß der Sonne nach würden wir niemals schlafen können bei Tag, würden immer schlafen müssen bei Nacht; aber das ganze Kulturleben beruht auf dieser Emanzipation. Wir tragen unsere eigene Sonne in uns: das Ich ist ein Extrakt der Sonnenwirkung; das, was im Menschen als astralischer Leib lebt, ist ein Extrakt der Monden­wirkung. So sind wir im Schlaf in der geistigen Welt nicht angewie­sen auf die kosmische Sonnenwirkung; unser Ich verrichtet, was sonst die Sonne tut; wir werden beschienen von unserem eigenen Ich und Astralleib. Nur alte okkulte Anschauungen dringen bis­weilen hier durch. Geisteswissenschaft gibt uns dieses Bild von dem

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schlafenden Menschen: Über ihm leuchtet die Sonne, sein Ich - und ohne das könnte er schlafend nicht wie eine Pflanze sein. Über ihm leuchtet der Mond: sein eigener astralischer Leib.

Nun stellen wir uns vor, daß mit dem Herbste die Sonne ihre Wirksamkeit verliert, das Pflanzenwachstum dahinstirbt. Beim wachen Menschen sind Astralleib und Ich im physischen und Äther-leib drinnen; gewissermaßen ist beim Hineingehen in den Leib Sonnen- und Mondenuntergang: da hört auch das rechte pflanzliche Leben wieder auf. So tätig wie im Schlafe das pflanzliche Leben zur Wiederherstellung der Kräfte ist, so rege ist es nicht beim Er­wachen. Es welkt das Pflanzenwachstumsmäßige, wenn der Mensch aufwacht; als Pflanze sterben wir ab am Morgen. Dadurch erklärt sich sehr vieles, was zwischen Seele und Leib des Menschen sich abspielt. Manche Menschen fühlen sich bald nach dem Erwachen sehr angeregt; das sind solche, die mehr im Seelischen leben kön­nen. Die mehr im Leiblichen leben, spüren leicht am Morgen eine gewisse Müdigkeit. Je weniger man sich am Morgen ermattet fühlt, desto leistungsfähiger ist man. Doch unser waches Leben ist wie das Hinsterben der Pflanze zur Winterszeit. Jeden Tag bringen wir Absterbekräfte in unseren Organismus hinein; die summieren sich, und weil das so ist, sterben wir. Der Grund des Todes liegt im Be­wußtsein. Wir können daraus entnehmen, wie das bewußte, vom Ich durchzogene Tagesleben der Aufzehrer ist vom physischen und Ätherleib. Wir sterben, weil wir bewußt leben.

Den Schlaf zu erklären, bemühen sich die Leute viel. Schlaf wäre ein Ermüdungszustand, Schlaf sei da, um Ermüdung fortzuschaffen. Schlaf ist aber kein Ermüdungszustand, denn ein kleines Kind schläft am meisten. Schlaf ist etwas, was sich eingliedert in das Gesamtleben, in den Rhythmus von Einschlafen und Aufwachen. Wie wir zur Winterzeit die Natur hinsterben sehen, so stirbt etwas ab in uns, während wir leben und wachen. - Wenn wir durch die Pforte des Todes gegangen sind, lassen wir unseren physischen und Ätherleib zurück: da könnte uns Ich und astralischer Leib erschei­nen wie Sonne und Mond, die nichts zu bescheinen haben. In der Tat ist jedoch der Zustand möglich, daß Ich und astralischer Leib

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fortleben, auch wenn sie nichts bescheinen können. Wenn sie in den Leib untertauchen, wird Bewußtsein hervorgebracht; in der gei­stigen Welt muß der Mensch auch in etwas untertauchen, daß er bewußt werde, sonst wäre er ohne bewußtes Leben.

In was taucht der Mensch unter nach dem Tode? Er taucht unter in geistige Substanz, die da war ohne irdisches Zutun. Nach dem Mysterium von Golgatha muß der Mensch immer untertauchen in das, was durch das Mysterium von Golgatha gekommen ist als die Christus-Substanz der Erde. Wir haben den Christus kennengelernt als Sonnengeist. Vom Sonnenlicht hat sich das Ich einmal emanzi­piert. Dann ist der große Sonnengeist auf die Erde heruntergekom­men: dadurch taucht das Ich des Menschen unter in die Substanz des Sonnengeistes. Der Mensch erlebt dieses Untertauchen in die Christus-Substanz, wenn er durch die Pforte des Todes gegangen ist, und dadurch ist der Mensch nach dem Tode in der Lage, Be­wußtsein zu entwickeln. In der physischen Natur wird diese Stufe erreicht, wenn die Erde beim Vulkanzustand angekommen ist. Scheint die Sonne von oben auf die Erde herunter, so können wir sagen: die Sonne zaubert das Pflanzenwachstum hervor. Wenn aber die Sonne scheinen würde auf den Erdenplaneten mit ihrer Kraft, das Pflanzenwachstum zu erzeugen, und die Erde wäre unfähig, Pflanzen hervorzubringen, könnte aber das Sonnenlicht zurück-strahlen, dann würde das Sonnenlicht sich nicht verlieren, sondern in den Himmeisraum hinausgehen und übersinnliches Pflanzen-wachstum erregen. Das findet nun statt, nicht physisch, aber geistig. Dadurch, daß der Christus sich mit der Erde vereinigt hat, wirkt er so, daß der Mensch, der sich mit ihm verbindet, nach dem Tode die Rückwirkung erlebt von dem, was er hier bewußtseinsmäßig erfaßt hat. So begreifen wir, wie der Mensch gerade auf der Erde sich erwerben muß die Möglichkeit, auch nach dem Tode Bewußt­sein entwickeln zu können, und wie er mitbringen muß vom physi­schen Leibe her die Kräfte, die das Bewußtsein entwickeln. In der griechisch-lateinischen Zeit ist die physische Leiblichkeit am meisten bestrahlt worden. Da hat das Wort Realität gehabt: Lieber hier ein Bettler sein als ein König im Reiche der Schatten. - Damals war

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das Leben in der Unterwelt ein elendes Dasein. Es war das Leben nach dem Tode vor der Geburt Christi wenig entwickelt. Wir da-gegen gehören einer Zeit an, die dadurch merkwürdig ist, daß solche Kraft auf die Leiblichkeit nicht mehr ausgeübt wird. Was der schla­fende Mensch ist, geht in der Tat allmählich einem Niedergang ent­gegen. Seit Christus geht die Leiblichkeit des Menschen dem Unter­gang zu. Am stärksten war das Vegetabilische entwickelt in der griechischen Zeit; am dürrsten wird die Leiblichkeit am Ziele der Menschheitsentwickelung sein. Anfangs waren die Menschen hell­sichtig, die Seele war sehr entwickelt; durch den geistig-seelischen Untergang stieg die Leiblichkeit bis zur Höhe der griechischen Schönheit empor. Aber alles Schönheitsstreben hat gegen die Zu­kunft hin einen Haken: äußere Schönheit hat keine Zukunft; die Schönheit muß eine innere sein, in ihr muß das Charakteristische sichtbar werden. In demselben Sinn, in welchem sie dem Abdorren entgegengeht, wird die Sonnen- und Monden-Innenheit immer glor­reicher werden. Mehr von der Zukunft verstehen jene, die Geist und Seele pflegen durch Geisteswissenschaft, als diejenigen, welche die griechischen Kampfspiele wieder heraufführen wollen. Je mehr der Mensch sein Geistig-Seelisches in Unbewußtheit läßt, einem desto elenderen Schicksal geht er entgegen zwischen Tod und neuer Geburt. Daß der Körper verdorrt, hat mit dem Leben nach dem Tode nichts zu tun; aber wenn der Mensch nichts Geistig-Seelisches ent­wickelt hat, dann hat er nichts hineinzutragen in die geistige Welt. Je mehr er sich darauf eingelassen hat, sich zu durchdringen mit spirituellem Inhalt, desto besser geht es ihm nach dem Tode. Die Menschen werden immer mehr und mehr lernen, unabhängig zu werden von dem, was an den Leib gebunden ist.

Geisteswissenschaft wird nicht immer die Form behalten, die sie heute hat. Die Sprache kann ja nur in äußerst dürftiger Weise aus­drücken, was sie möchte. In der Geisteswissenschaft wird es mehr darauf ankommen, wie man etwas sagt, als was man sagt. Das wird international sein, das kann in jeder Sprache leben. Man wird sich gewöhnen, auf das, wie man etwas sagt, hinzuhören; dadurch tritt man mit den Bewohnern des Devachan in Beziehung.

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Heute sitzen wir zusammen und reden über Geisteswissenschaft. Wir werden durch die Pforte des Todes gehen, uns weiter ent­wickeln durch mehrere Inkarnationen: dann werden wir Gedanken haben unabhängig von der heutigen Erdensprache; das geistige Leben wird hereinragen in unser Leben, wir werden uns mit den Toten unterhalten können. - Das irdische Kulturleben geht seinem Niedergang entgegen. Einst wird die ganze Luft durchsetzt sein von Luftfahrzeugen, das Erdenleben wird veröden. Des Menschen Seele aber wächst hinein in die geistige Welt. Am Ende der Erdentwicke­lung ist der Mensch so weit, daß ein vollkommener Unterschied nicht mehr sein wird zwischen Lebenden und Toten: ganz ähnlich werden leben die Lebenden und die Toten. Die Erde wird wieder übergehen in ein Geistiges, weil die Menschheit sich vergeistigt haben wird. Eine solche Betrachtung kann Ihnen eine Anleitung zur richtigen Antwort geben, wenn die Leute fragen: Es gibt Tod und Geburt und so weiter, soll das immer dauern? - Es ist dann gar kein so großer Unterschied zwischen Leben und Sterben; alles ver­geistigt sich für das menschliche Bewußtsein; dieses Hinaufleben der ganzen Menschheit führt jenen Zustand herbei, der auf dem Jupiter durchlebt wird.

Es ist ein weitgreifendes Gebiet, das wir betreten, indem wir über das Leben sprechen zwischen Tod und einer neuen Geburt. Alles unterliegt auch dort einem Wechsel, einem Wandel - auch der Verkehr der Toten mit den Lebenden. Wir werden allmählich noch weiter eindringen in die Art und Weise, wie der Mensch dieses sein Wechselleben führt innerhalb der Leiblichkeit und Geistigkeit.

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VOM LEBEN NACH DEM TODE Linz, 26. Januar 1913

Wenn wir uns zu geisteswissenschaftlichen Betrachtungen zusam­menfinden, uns überhaupt zusammenschließen zu geisteswissen­schaftlicher Arbeit: was haben wir dann eigentlich für Ziele?

Dies mag sich wohl manche Seele fragen, weil derjenige, der innerhalb der geisteswissenschaftlichen Arbeit steht, gewissermaßen einen Teil seines Seelenlebens auf Betrachtungen von Dingen ver­wendet, die es eigentlich für andere Menschen heute gar nicht gibt. Betrachten wir doch wahrhaftig Welten, die für eine überwiegend große Anzahl von Menschen gar nicht vorhanden sind. Nun ist das Zusammenschließen zu solcher Arbeit, zu solchen Betrachtungen wahrhaftig nicht bloß das Nachfolgen eines Ideals, wie es andere Ideale in der Gegenwart gibt. Gewiß ist es eine schöne, eine außer­ordentlich schöne Sache, wenn eine Anzahl von Menschen diesem oder jenem hohen Ideale folgt. Aber noch etwas ganz anderes ist es, dem geisteswissenschaftlichen Ideale, jenem geistigen Rufe zu fol­gen, der heute vielleicht noch recht schwach und für wenige Men­schen in der Seele hörbar durch die Welt geht, der aber immer mehr und mehr sich vernehmbar machen wird in der Welt. Die­jenigen, die heute entweder schon ganz deutlich oder auch nur aus unbestimmten Jnstinkten heraus sich sagen, daß Geisteswissenschaft eine Notwendigkeit ist - aus welchen Gründen ihrer Seele heraus tun sie das? Gewiß, der eine folgt mehr oder weniger einem geistig zu nennenden Jnstinkte, vielleicht einem gewissen Triebe, den er sich nicht vollständig zum Bewußtsein bringen kann. Aber auch solche Triebe entsprechen einem ganz richtigen Wollen. Wenn wir das Seelenleben untersuchen, können wir das bemerken.

Bei diesem Zusammensein möchte ich Ihnen nicht allgemeine Theorien entwickeln, sondern mehr auf das Konkrete eingehen, wenn wir solche Fragen beantworten wollen wie die eben auf­geworfene. Der Seher, der hineinschauen kann in die geistigen

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Welten, gelangt auch allmählich dazu, jenes Leben zu durchschauen, das der Mensch zwischen dem Tode und einer neuen Geburt durch­lebt. Dieses Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt ver­läuft ja in geistigen Reichen, die fortwährend um uns herum sind, denen wir fortwährend mit dem besten Teile unseres Seelenlebens angehören. Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes geschrit­ten ist und seine physische Leiblichkeit abgestreift hat, dann lebt er einzig und allein in der geistigen Welt, lebt in einer Welt, die ihm sonst, solange er sich der physischen Sinne und des Verstandes be­dient, verschlossen ist Der Seher kann das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt verfolgen.

Die Grundfragen, die zunächst für unsere Ideale maßgebend sind, entspringen eigentlich aus der Betrachtung dieses Lebens zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Man kann nämlich leicht glau­ben, daß dieses Leben nichts zu tun hat mit dem Leben hier im physischen Leibe; aber es hat im tieferen Sinne sehr viel damit zu tun. Das werden wir insbesondere gewahr, wenn wir die Seelen ins Auge fassen, die schon durch die Pforte des Todes gegangen sind, und ihr Verhältnis betrachten zu solchen Seelen, die noch hier sind im physischen Leibe. Betrachten wir gleich einen besonderen Fall.

Ein Mann war gestorben, war durchgegangen durch die Pforte des Todes und hatte zurückgelassen seine Frau und Kinder. Einige Zeit war vergangen, seitdem der betreffende Mensch durch die Pforte des Todes gegangen war, da war es einem Menschen mög­lich, der in die geistigen Welten hineinschauen kann, diese betref­fende Seele zu finden. Es war sozusagen ein recht qualvolles Dasein, das diese Seele darbot. Es bejammerte diese Seele die Zurückgelas­senen, Gattin und Kinder. Dies drückte sich etwa in folgenden Worten aus - dabei muß ich allerdings bemerken, daß man in irdische Worte kleiden muß dasjenige, was die Seelen sagen; das ist aber nur eine Einkleidung, die Sprache ist eine etwas andere, man kann natürlich nicht mit physischen Worten die Sprache der Toten wiedergeben, man muß sie übersetzen -: Da habe ich gelebt mit den Zurückgelassenen, und wenn ich früher des Abends, während ich im Leibe lebte, ihnen gegenübertrat, nachdem ich tagsüber

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meine Geschäfte besorgt hatte, dann war das, was von ihren Seelen an mich herankam, mir eine Art von Sonnenschein. Alles, was ich an ihrer Seite erlebt hatte, verschönte mir damals das mühevolle physische Leben. Ich hätte mir damals nicht vorstellen können, daß ich dieses physische Leben leben könnte ohne Gattin und Kinder. An alles dasjenige, was ich erlebte während des Daseins mit ihnen, kann ich mich erinnern, das weiß ich auch heute noch. Aber als ich wiederum nach dem Tode aufwachte in der geistigen Welt, da konnte ich meine Gattin und die Kinder nicht wiederfinden. Sie sind nicht da für mich, nur die Erinnerung an damals ist da, jetzt sind sie für mich nicht mehr da. Ich weiß, daß sie auf der Erde unten sind, aber ihr wirkliches Seelenleben, das, was sie vom Morgen bis zum Abend denken, fühlen und wollen, ist wie ausgelöscht. Ich finde die nicht mehr, die mir teuer sind, wenn ich auch noch so sehr suche!

Das ist in der Tat ein reales Erlebnis; das ist aber auch ein Er­lebnis von nicht wenigen, sondern von sehr zahlreichen Seelen, die gegenwärtig durch die Pforte des Todes gehen. Das war nicht immer so in der Menschheitsentwickelung. In alten Zeiten der Mensch­heitsentwickelung war das anders, da schritten die Menschen nicht so durch den Tod und waren aber auch nicht so auf der Erde im physischen Leibe, wie sie jetzt sind.

Der Unterschied zwischen der gegenwärtigen Zeit und der frü­heren Zeit ist der, daß die Seelen in früheren Zeiten ein altes spiri­tuelles Erbstück hatten, wodurch sie mit der geistigen Welt zusam­menhingen. Je weiter wir zurückgehen in die Zeiten, in denen auch die Seelen, die heute verkörpert sind, schon verkörpert waren, finden wir immer mehr und mehr, daß die Seelen im richtigen Zusammen­hang mit den geistigen Welten sind. Dieses alte spirituelle Erbgut ging den Menschen immer mehr und mehr verloren. Und heute leben wir in dieser Beziehung tatsächlich in einer Zeit, in der vieles anders wird in der Menschheitsentwickelung. Vieles vieles wird anders gegenwärtig.

Wollen wir uns zunächst klarmachen, bevor wir die schwerwie­genden Tatsachen, von denen eben gesprochen worden ist, ins Auge

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fassen, wie die Dinge anders geworden sind in der Menschheits­entwickelung. Heute gibt es Menschen, die wenig mehr wissen, sagen wir auch nur von dem, was man heute wissen kann vom gestirnten Himmel. Ganz gewiß, es gibt noch Menschen, welche zuweilen hinausgehen in sternenhellen Nächten und die ganze Pracht und Herrlichkeit des gestirnten Himmels genießen, aber diese Menschen werden immer seltener, und immer zahlreicher wer­den die Menschen, die nicht mehr unterscheiden können einen Planeten von einem Fixstern. Das ist aber nicht das Wichtigste; auch wenn der Mensch heute hinausgeht in die sternenhelle Nacht und den Blick hinaufrichtet nach dem Himmel, sieht er nichts anderes als äußere, physisch ihm erscheinende Sterne. So war es nicht in älteren Zeiten, so war es nicht für die Seelen, die jetzt hier sind und in alten Zeiten in anderen Leibern verkörpert waren. Die­selben Seelen, die heute nurmehr die physischen Sterne sehen, die schauten früher, wenn sie hinaufsahen zum Sternenhimmel, weniger das physische Licht der Sterne, sondern was mit den Sternen geistig verbunden ist. Und geistige Wesenheiten sind mit allen Sternen verbunden. Dasjenige, wovon wir heute in der Geisteswissenschaft sprechen können als von den höheren Hierarchien, das erblickten hellseherisch die Seelen in uralten Zeiten der Menschheitsentwicke­lung, alle, die hier sitzen, und alle, die außen verkörpert sind. Der Mensch lebte nicht nur im Anschauen der physischen Welt, er lebte im Anschauen der geistigen Welt. Und die geistige Welt zu leugnen wäre damals in der alten Zeit eine Torheit gewesen, wie wenn heute die Menschen leugnen würden, daß es Rosen und Lilien gibt. Sie sahen dazumal die geistigen Welten, konnten sie also nicht leugnen. Darin besteht nun in einer gewissen Beziehung der Fortschritt, daß die Menschen verloren haben den unmittelbaren Zusammenhang mit der geistigen Welt, dafür aber einen höheren Grad der Selb­ständigkeit und Freiheit erlangt haben.

In einer geistigen Außenwelt lebte damals die Menschenseele:

die geistige Außenwelt ist allmählich verlorengegangen. Das aber muß allmählich von innen heraus ersetzt werden, was von der gei­stigen Außenwelt verlorengegangen ist. Sonst bleibt die Seele, die

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heute bloß angewiesen ist auf den Anblick der Außenwelt, öde und leer; und wie viele Seelen gehen heute herum in der Welt, die nichts mehr wissen davon, daß alle Räume erfüllt sind von geistigen Wesen, geistigem Weben und geistigem Sein! Und man kann auch nicht durch den bloßen Anblick der Außenwelt eine Erkenntnis vom Inhalt der geistigen Welt erlangen. Man kann es dadurch, daß man Einkehr hält in das Innere der Seele. Viele mögen das aber nicht; solche Seelen sind eben jene wie in der Familie, von der ich eine Andeutung gemacht habe. Der Familienvater lebte in der geistigen Welt, im Lande, wo wir leben zwischen Tod und neuer Geburt. Er lechzte nach einem Zusammenhang mit den Seelen, mit denen er so lange einen Zusammenhang gehabt hatte; aber wie ausgelöscht waren ihm diese Seelen. Warum? Weil diese Seelen keinen geistigen Inhalt sich suchten, weil sie nur da waren, solange sie sich kund-geben konnten durch die physische Leiblichkeit. Er sehnte sich also danach, etwas zu wissen von diesen Seelen, die ihm früher Sonnen­schein waren. Und der Seher, der mit ihm bekannt war, bevor er durch die Pforte des Todes geschritten war, konnte ihm nicht ein­mal einen besonderen Trost geben. Dieser Trost wäre im Grunde genommen eine Unwahrheit gewesen; denn der Trost hätte lauten müssen: Jene Seelen, die für dich ausgelöscht sind, werden dir nach­kommen, wenn du geduldig abwartest. Dann wirst du sie wieder haben, wie du sie einst auf Erden gehabt hast. - Das aber wäre nicht ganz wahr gewesen, denn diese Seelen waren durchaus fern-stehend jeglicher Vertiefung in geistiges Leben. Lechzen werden auch sie, wenn sie durch die Pforte des Todes schreiten, nach dem Zusammenhang mit jenen Seelen, mit denen sie zusammen waren im physischen Leben; denn mannigfache Hindernisse sind da, wenn nicht geistiges Leben in solchen Seelen drinnen ist.

Wir stehen jetzt in einem solchen Entwickelungszyklus der Menschheit, daß die Seelen hier im physischen Leibe die Sprache des geistigen Lebens lernen müssen. Hier erringen wir uns die Er­kenntnis der höheren Welten, dasjenige, was viele Seelen der Ge­genwart verachten, was wir im wahren Sinne des Wortes Theo-sophie nennen. In Wahrheit ist dies die Sprache, die wir nach dem

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Tode sprechen müssen, wenn wir da sein wollen für die geistige Welt im wahren Sinne des Wortes; wie stumm treten wir ein in die geistige Welt, wenn wir diese Sprache nicht hier sprechen lernen. Nach dem Tode können wir nicht mehr nachholen, was wir hier hätten als Sprache der Theosophie oder Geisteswissenschaft lernen sollen.

Hätte der betreffende Familienvater, so lange er auf Erden war, sich mit seiner Familie zusammen mit Geisteswissenschaft befaßt, so würde er nach dem Tode ganz andere Empfindungen, ein ganz anderes Bewußtsein gehabt haben; er würde nämlich gewußt haben:

Die Seelen sind erlebbar da; wenn ich auch durch eine Kluft von ihnen getrennt bin, so werden sie doch einmal herüberkommen und wir werden uns finden, weil wir eine gemeinsame geistige Sprache sprechen. - Sonst aber wird er mit ihnen nicht so zusammenkom­men, wie man im richtigen Sinne zusammenkommen muß nach dem Tode; er wird nur mit ihnen zusammensein können, wie man etwa mit Menschen auf der Erde zusammenkommt, die stumm sind, die etwas mitteilen wollen und nicht können, die gar keine Mög­lichkeit haben, sich zu verständigen.

Gewiß, man kann ja zugeben, daß solche Wahrheiten unange­nehm sind zu hören, unsympathisch für manchen Menschen der Gegenwart. Aber bei der Wahrheit handelt es sich darum, daß sie wahr ist, nicht daß sie angenehm klingt.

In den alten Zeiten der Menschheitsentwickelung bekamen die Menschenseelen so viel mit, weil sie noch in ihrer Kindheit waren und in einer kindlichen Art die religiösen Traditionen und Vorstel­lungen von den geistigen Welten übernahmen. Dadurch hatten sie eine Sprache für das geistige Leben und konnten in einer Gemein­schaft mit den geistigen Wesen sein. Jetzt soll der Mensch, gerade von unserem Zeitalter an, immer freier sein in bezug auf das gei­stige Leben. Daher kommt Geisteswissenschaft nicht willkürlich in die physische Welt, nicht wie etwas, das man willkürlich verbreiten kann, so wie etwa Vereine dies oder jenes verbreiten wollen. Die­jenigen, die sich heute berufen fühlen, spirituelle Gedanken herein-zutragen in unser Geistesleben, die haben solche Erfahrungen ge­habt wie die eben charakterisierten, die kennen solche Seelen, die

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heute schon leben in jenem Lande jenseits des Todes mit ihrem qualvollen Schrei nach den Seelen, die sie hier verlassen haben und die sie nicht finden können, weil jene Seelen geistig in sich leer sind. Die Schreie der Toten sind die Rufe, aus denen das geisteswissen­schaftliche Ideal quillt.

Wer heute eintritt in diese geistige Welt und die Qualen, die Sehnsucht, die Entbehrung, aber auch die Hoffnungslosigkeit der durch die Pforte des Todes gegangenen Seelen zu prüfen vermag, der weiß, warum wir uns hier zusammenschließen; der weiß auch, daß er nicht anders kann, als dieses spirituelle Leben zu vertreten. Das ist eine ernste, tiefe Sache, die aus den tiefsten Sehnsuchten der Menschheit hervorgehen wird. Heute gibt es Seelen, welche emp­finden - wenn auch nur aus dem Dunkel des Instinktes: Ich will etwas erfahren von den geistigen Welten! Das sind die Pioniere jener Menschenzukunft, die da kommen muß, jene Seelen, welche eine wichtige Angelegenheit sehen werden in der Pflege des spiri­tuellen Lebens, das aus der Erkenntnis der Grundbedingungen des geistigen Lebens selber geholt ist. Weil die Erdenmenschheit sonst immer mehr und mehr die Möglichkeit verlieren würde, anders als geistig stumm, ohne die Fähigkeit, sich geistig zu offenbaren, in die andere Welt hinüberzutreten: deshalb muß hier auf Erden geistiges Leben im Sinne der neueren Geisteswissenschaft gepflogen werden.

Ganz unrecht haben auch diejenigen, welche etwa glauben, Zeit zu haben, bis sie durch die Pforte des Todes gegangen sind, bis sie drüben sind in der anderen Welt, um über die geistigen Angelegen­heiten dies oder jenes zu erfahren. Um überhaupt etwas zu erfahren von diesen Dingen, muß man die Organe haben, sie wahrzuneh­men; man muß die Fähigkeit haben, diese Dinge wahrzunehmen, und man kann diese Fähigkeit nicht haben nach dem Durchgang durch die Pforte des Todes, wenn man sie nicht hier erworben hat. Denn wir leben nicht umsonst in der physischen Welt! Unsere Seelen kommen nicht umsonst in die physische Welt herunter; sie kom­men herunter, weil tatsächlich in dieser Welt erworben werden muß, was nur in ihr erworben werden kann: spirituelle Erkenntnis. Wir können nicht die Erde einfach als ein Jammertal ansehen, in

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das sozusagen unsere Seele hineinversetzt wird, sondern wir haben die Erde anzusehen als etwas, durch das wir uns eine Möglichkeit erwerben können, Spiritualität zu erringen, und dies ergibt sich uns als eine Wahrheit.

Wenn wir den Seher weiter fragen, wie sich das Leben aus­nimmt, wenn wir durch die Pforte des Todes gegangen sind, sagt er:

Ganz anders, als es sich hier ausnimmt auf der Erde. Hier gehen wir durch die Welt, da sehen wir, es breitet sich aus das Himmelsgewölbe, die Sonne scheint. Wir blicken hinaus zu den Bergen, den Meeren, zu den Wesen der anderen Naturreiche. Wir selbst gehen durch diese Welt, haben unsere Gedanken, Empfindungen, Leiden­schaften, Begierden in unserem Innern. Wir schreiten dann durch die Pforte des Todes, da ist die Sache anders: Für denjenigen, der nicht gewohnt ist, geisteswissenschaftliche Betrachtungen anzustel­len, erscheint die Sache ganz paradox, und es ist wahr, was Schopenhauer einst gesagt hat, daß die arme Wahrheit dulden müsse, daß sie paradox ist. Dasjenige, was wir hier als Gedanken, als Vorstel­lungen ansehen, wovon wir glauben, daß wir es in uns tragen, das erscheint nach dem Tode als Außenwelt. Wie ein großes mächtiges Weltentableau erscheint dasjenige, was Gedanken, Vorstellungen, was Innenleben hier ist, nach dem Tode. Diejenigen Menschen, die hier gedankenlos durch die Welt schreiten, die schreiten durch die Welt zwischen dem Tode und einer neuen Geburt so hindurch, daß sie das, was erlebt werden sollte mit Gedanken-, mit Weisheitsinhalt, leer und öde finden. Diejenigen allein finden zwischen Tod und einer neuen Geburt die Welt erfüllt mit einem Inhalte, die sich die Möglichkeit erworben haben, die ausgebreiteten Gedanken in den Gestirnen zu sehen. Diese Fähigkeit erwirbt man sich dadurch, daß man zwischen Geburt und Tod einen Gedankeninhalt von der Seele aus erarbeitet. Wie wenn wir keine Ohren hätten und deshalb nie­mals einen Ton hören könnten, wie wenn wir keine Augen hätten und deshalb niemals eine Farbe wahrnehmen könnten, so schreiten wir den Weg vom Tode zur neuen Geburt, wenn wir unsere Seele nicht hier erfüllt haben mit dem, was ihr die physischen Organe geben können. Und wie die Sonne jetzt am Himmelsgewölbe steht

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und alles beleuchtet, und dies alles unserem Auge verschwindet, wenn sie untergeht, so erscheint das Leben, das hier in vieler Be­ziehung äußerlich ist, nach dem Tode als Innenleben.

Sehen wir wieder auf ein anderes konkretes Erlebnis des Sehers hin. Wenn wir Menschen betrachten, die da leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, und uns das, was sie quält, in die gewöhnliche Sprache übersetzen, so sagen sie etwa: In mir lebt etwas, was mir Schmerzen macht, die aus mir selber aufsteigen. -Es ist wie beim physischen Menschen der Kopfschmerz, nur ist es innerer Schmerz, was so gefühlt wird. - Ich bin selber der Ver­anlassende, ich mache mir den Schmerz selber. - Und es kann der Mensch nach dem Tode viel zu klagen haben von inneren Schmer­zen und inneren Leiden. Geht man nun dem als Seher nach, woher diese inneren Schmerzen kommen, so sind diese Schmerzen, die nach dem Tode den Menschen treffen, zurückzuführen auf die Art, wie er hier sein Leben zugebracht hat: Er hat einen Menschen besonders gehaßt, den er nicht hätte hassen sollen; das wird ihm innerer Schmerz nach dem Tode, und was er dem Menschen an­getan hat mit dem Haß, das tut ihm jetzt weh als sein Inneres.

Während unsere Gedanken uns befähigen, eine Außenwelt zu sehen, wird dasjenige, was wir hier als unsere moralische Außen­welt erleben, was wir als unsere Gefühls- und Gemütsbeziehungen zu anderen Menschen erleben, nachher inneres Leben. Wahrhaftig, es ist grotesk genug, wenn wir sagen: Wie einem hier weh tun kann die Lunge, der Magen, wie einem hier der Kopf weh tun kann, so kann einem drüben moralisches Unrecht weh tun. Was hier inner­lich ist, ist dort äußerlich, und was hier äußerlich ist, ist dort inner­lich. Und in unserer Zeit ist eben der Menschheitszyklus gekom­men, der vieles erst nach dem Tode in einer möglichen Weise erleb­bar macht. Derjenige Mensch, der hier gar nichts wissen will davon, daß es ein Karma gibt, wiederholte Erdenleben gibt, der kann im Grunde genommen niemals darauf kommen, daß er zu dem, was er sein Schicksal nennt, dazugehört. Wie geht der Mensch durch die Welt? Der eine tut ihm das an, der andere jenes; es gefällt ihm das eine, das andere mißfällt ihm: daß er selber die Ursache davon ist,

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daß ihm etwas zustößt, wenn ihm jemand etwas Schmerzliches zu­fügt, das weiß er nicht, darüber denkt er nicht nach; sonst würde er fühlen: Du bist es selber, der es dir zufügt! Wenn man diese Gedan­ken im Leben verfolgen kann, hat man nach dem Tode wenigstens das Gefühl, woher es kommt, daß man diese oder jene Schmer­zen hat.

Dies ist schon eine Linderung: Wissen vom Karma hier im Leben zwischen Tod und neuer Geburt; sonst aber bleibt die qualvolle Frage, warum man dieses oder jenes zu leiden habe, für das Leben nach dem Tode. Das sind Dinge, die man heute anfangen muß zu wissen, ohne die sozusagen die Entwickelung der Menschheit nicht weiter fortgehen kann.

Und ein anderer Fall, der sich dem Seher darbietet, ist der, daß es Menschen gibt zwischen Tod und neuer Geburt, die recht wenig sie erfreuende, wenig sympathische Verrichtungen zu tun haben. Wir dürfen uns nicht vorstellen, daß wir zwischen dem Tode und einer neuen Geburt nichts zu tun haben. Die mannigfaltigsten Tätigkei­ten, je nach unseren Fähigkeiten, haben wir zu verrichten. Da kann der Seher finden, daß es Seelen gibt zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, welche dienen müssen zum Beispiel jenem Geiste, den wir den Ahriman nennen. Ahriman wird uns ja sogleich klar als eine besondere Wesenheit, wenn wir das Land jenseits der phy­sischen Welt betreten. Alles, was im Drama #SE140-168

Menschen dies oder jenes unterlassen? Bequemlichkeit ist es! Wir mögen zu den wichtigsten Dingen des menschlichen Lebens oder zu den unwichtigsten gehen: Bequemlichkeit ist dasjenige, was das ganze Menschenleben durchdringt. Hang am alten und Nicht-Herauskommen aus dem alten ist Hängen an der Bequemlichkeit. Die Menschen sind nicht so schlecht, wie man annimmt; nicht aus Schlechtigkeit haben sie Giordano Bruno, Savonarola verbrannt, Galilei so behandelt, wie es geschehen ist. Auch lassen sie sich nicht aus Schlechtigkeit darauf ein, große Geister während ihres Lebens nicht zu würdigen, aber aus Bequemlichkeit! Bis solche Menschen über etwas umdenken, umempfinden lernen, dauert es lange, und zwar nur wegen der Bequemlichkeit. Bequemlichkeit ist eine all­gemeine, recht verbreitete Eigenschaft. Diese Bequemlichkeit macht i'ns tauglich, nach dem Tode in das Heer des Ahriman eingereiht zu werden; denn Ahriman ist neben seinen anderen Ämtern der Geist der Hindernisse. Überall, wo Hindernisse auftreten, ist Ahri­man der Herr; er bremst das Leben und die Menschen. Die hier der Bequemlichkeit unterworfen sind, die werden zu Bremsern in der Welt in bezug auf alles, was aus den übersinnlichen Welten hierher geleitet wird. Bequemlichkeit kettet also den Menschen im Leben zwischen Tod und neuer Geburt an die Geister, die unter Ahriman den Widerständen, den Hindernissen dienen müssen.

Bei vielen Menschen finden wir hier im Leben eine Eigenschaft ausgebildet, die wir hier schon zu den unmoralischen Eigenschaften zählen: die Gewissenlosigkeit. In der Stimme des Gewissens haben wir ja etwas unser Seelenleben wunderbar Regelndes. Gewissen­losigkeit, geringe Fähigkeit, hinhorchen zu können auf die war­nende Stimme des Gewissens, liefert uns wieder andern Mächten aus für die Zeit zwischen dem Tode und der neuen Geburt. Da findet der Seher gewisse Seelen, die, nachdem sie durch die Pforte des Todes gegangen sind, Diener geworden sind sehr böser Geister. Hier im Leben treten Krankheiten auf, sie treten in der einen oder anderen Weise auf. Wir wissen, daß zum Beispiel in früheren Zeiten epi­demische Pestkrankheiten, Cholerakrankheiten auch durch Europa gegangen sind. Die äußeren Ursachen wird die materialistische Wissenschaft

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aufweisen können, nicht aber die inneren geistigen Ur­sachen. Und alles, was geschieht, hat seine geistigen Gründe. Wenn jemand kommt und Euch sagt, die Wissenschaft habe eben die Auf­gabe, die physischen Ursachen zu suchen für das, was geschieht, so kann man immer wieder sagen: Geisteswissenschaft schließt die Wahrheit der äußeren Ursachen nicht aus, wenn sie berechtigt sind; aber sie fügt hinzu die geistigen Ursachen.

Ein Mensch fragte einmal, als von diesen geistigen Ursachen die Rede war: Wenn Napoleon auftritt mit der Leidenschaft, Schlach­ten zu lenken, können wir das nicht daraus erklären, daß seine Mut­ter, als sie ihn trug, gerne auf Schlachtfelder gegangen ist und dies durch physische Vererbung auf ihn übertragen hat? Das hat schon seine Richtigkeit, aber Napoleon drängte eben zu ihr hin: er hat ihr diese Eigenschaft, diese Neigung eingepflanzt. Geisteswissenschaft schließt nie aus, daß das Äußere auch tatsächlich wahr ist.

Wenn jemand sagt: Hier steht ein Mensch, warum lebt er?, so kann der materialistische Mensch erwidern: Weil er atmet. Ein anderer kann sagen: Das weiß ich besser, er könnte dennoch nicht leben, wenn ich vor drei Monaten ihn nicht aus dem Wasser gezogen hätte! Ja, ist dieser letztere Zusammenhang nicht wahr trotz des ersteren? Man glaubt nämlich immer, die naturwissen­schaftlichen Zusammenhänge würden durch den geisteswissen­schaftlichen Zusammenhang ausgelöscht. Wenn auch jemand nach­weisen kann, er habe diese oder jene Eigenschaft von seinem Vater, Großvater und so weiter geerbt, bleibt es doch wahr, daß auch er die Bedingungen geschaffen hat.

So kann man auch rein naturwissenschaftlich die Ursachen der Krankheiten studieren, die sich verbreitet haben. Man kann auch rein äußerlich fragen: Warum ist dieser oder jener eines frühen Todes gestorben? Aber das alles hat auch seine Gründe in der gei­stigen Welt. Während hier auf Erden Krankheiten sich abspielen, müssen gewisse geistige Wesenheiten arbeiten, um die Krankheiten hereinzubringen aus der geistigen Welt in die physische Welt.

Wenn wir auf die Toten hinsehen, die eintreten in dieses Land, während das Leben im natürlichen Verlaufe noch nicht ganz abgelaufen

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ist, die vielleicht nicht nur im besten Alter, in der Jugend­zeit, durch Krankheit dahinstarben, sondern auch noch durch Un­glück und Ungemach verfolgt wurden in ihrem Leben, so steht der Seher, wenn er diese Schicksale, die ja wahrhaft zahlreich sind, hell­seherisch beobachtet, vor einer erschütternden Tatsache: Er hat ein Feld von Krankheit und Tod vor sich, das ganz beherrscht ist von gewissen bösen Geistern, die Krankheit und Tod auf die Erde hereintragen. Und wenn man versucht, den Lebenslauf dieser Seelen, die gewissenlose Menschen auf Erden waren, zu verfolgen, so findet man, daß sie nun die Diener dieser bösen Geister von Krankheit, Tod und Ungemach werden mußten, um solche frühzeitigen Tode und schweren Schicksale herbeizuführen. Das ist der Zusammen­hang! Das Leben wird erst verständlich, wenn man es in seiner Ge­samtheit betrachtet, nicht nur einen kurzen Zeitabschnitt herausschneidet, der zwischen Geburt und Tod verläuft. Denn dieser Zeit­raum ist wieder innig abhängig von dem, was vorangegangen ist in der Ungeborenheit, in der vorgeburtlichen, der rein geistigen Welt. Mit unserem ganzen Wesen sind wir abhängig von dem, was in der geistigen Welt vorangegangen ist. So etwas versteht man am besten, wenn man mit dem Blicke des Sehers eine solche Erscheinung zu studieren vermag, von der viele glauben möchten, daß sie ein Ein­wand sei gegen die Tatsachen der geistigen Forschung. Manche Menschen sagen zum Beispiel: Ja, ihr wollt zurückführen Befähi­gungen und Schicksale der Menschen auf frühere Erdenleben, seht euch aber einmal eine Familie Bernoulli an, die durch acht Mathe­matiker vertreten ist! Da kann man doch ganz klar sehen, daß bestimmte Eigenschaften von Generation zu Generation vererbt sind! - Wenn man aber eine solche Erscheinung wirklich studiert mit dem Blick des Sehers, da stellt sich heraus: Alles dasjenige, was in der einen oder anderen Kunstform in der Welt auftritt und was schon die Menschen mit einer Ahnung der übersinnlichen Welt erfüllen kann - und das tut die Kunst schon immer -, ist das Er­gebnis des Daseins in der übersinnlichen Welt. Und wer hereintritt in diese Welt mit künstlerischen Fähigkeiten, der bringt diese künst­lerischen Fähigkeiten deshalb mit, weil er durch frühere Erdenleben

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oder durch eine besondere Gnade in der Zeit vor der Geburt, vor der Empfängnis, schon in ganz besonderer Weise lebte in der Welt der Sphärenharmonie; und weil er nun zeigt, wie er eine gewisse Ilinneigung hat gerade zu einem solchen physischen Menschen-leibe, der ihm die Fähigkeit geben kann, das, was er wahrgenom­men hat, auch in der physischen Welt zum Ausdruck zu bringen.

Keine menschliche Seele sucht sich zu verkörpern in einem sol­chen Leibe, in einer solchen Generationenfolge, wo musikalische Eigenschaften sich vererben, die nicht in einem früheren Leben sich die Fähigkeit erworben hat, gerade das, was zu dieser Kunst befähigt, durchzumachen zwischen dem Tode und einer neuen Ge­burt, um dann hineingeboren zu werden in einen besonderen musi­kalischen Leib. Denn nur die allerersten Anlagen sind vorhanden in der Vererbungslinie. Ein gutes musikalisches Gehör wird vererbt; diese Organe werden noch im vorgeburtlichen Keimesleben oder nach der Geburt nach den besonderen Fähigkeiten der Seele um-gewandelt. Das erste Instrument, worauf der Mensch spielt, ist sein eigener Organismus, und dieser ist wahrhaftig ein sehr, sehr kompli­ziertes Instrument; denn göttlich-geistige Wesenheiten haben die ganzen Zeiten der Saturn-, Sonnen- und Mondenentwickelung gebraucht, um dieses Instrument vorzubereiten; Und wir kommen mit einer Weisheit auf die Welt, die wahrhaftig größer ist als die, die wir später erwerben können.

Der Mensch glaubt, er sei sehr weise, wenn er anfängt denken zu können; aber die Weisheit, die wir zustande bringen, wenn wir anfangen denken zu können, ist eigentlich gering gegenüber einer viel größeren Weisheit, die wir uns angewöhnt haben, die wir aber in einem bestimmten Zeitpunkte verlieren. Wenn wir geboren wer­den, ist unser Gehirn noch weich; dann sind die Verbindungen, die vom Gehirn zu den einzelnen Organen gehen, noch unausgebildet, und diese Weisheit haben wir in den Zeiten unserer Kindheit, um die Organe, um das Instrument einzuspielen. Später, in dem Mo­mente, an den wir uns zurückerinnern als an jenen, wo wir bewußt werden unser selbst, haben wir die Fähigkeit schon verloren, auf unserem Instrument zu spielen; viel besser ist sie in der ersten Kindheit

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als später. Das ist eine große Weisheit, die angewendet wird, um uns selber dahin zu bringen, daß wir dieses komplizierte Instru­ment werden. Das ist etwas, das uns mit großem Respekt vör dem erfüllen kann, was wir sind, so lange wir noch im Schoße der gött­lich-geistigen Weisheit sind. Und dann werden wir gewahr, wie wir eigentlich mit einer viel größeren Weisheit hereinkommen ins Le­ben, als wir bisher wissen konnten; dann können wir uns auch eine Vorstellung machen, wie groß diese Weisheit vorher ist in dem Leben, das vor dem Keimesleben liegt. Das ist nun außerordentlich bedeutsam, denn der Seherblick erkennt: Je weiter wir zurückgehen, um so größer ist die Weisheit und Fähigkeit des Menschen.

Und nun betrachten wir mit dem Blicke des Sehers die Seele eines Menschen, der ein Diener der bösen Geister von Krankheit und Tod geworden ist. An einer solchen Seele können wir sehen, wie die Weisheit, deren der Mensch fähig ist, wie ausgelöscht ist dadurch, daß er sich erniedrigt hat. Einen furchtbaren Anblick bie­tet eine solche Seele dar: einst bestimmt, die höchste Weisheit ent­faltet zu haben, und jetzt so tief erniedrigt zu sein, daß sie ein Die­ner wird der ahrimanischen Mächte! Wenn dann der Mensch in die physische Verkörperung hineingetreten ist, wenn er den physischen Leib um sich geschlossen hat, dann kann er dadurch, daß er am spirituellen Leben teilnimmt, daß er die spirituelle Welt in sich hereinnimmt, seine Seele beleben und fähig machen, beim Durch­gehen durch das Leben zwischen Tod und neuer Geburt um sich zu haben eine geistige Welt - oder er kann sich stumpf machen. Stumpf hat sich eine solche Seele gemacht, wenn sie nichts hat auf­nehmen wollen hier zwischen Geburt und Tod, was sie befähigt, eine geistige Welt um sich zu sehen.

Da sehen wir uns als einzelne Seele in Zusammenhang mit dem gesamten spirituellen Leben der Welt; da sehen wir uns heraus- gegliedert aus dem gesamten Leben der Welt; da fühlen wir die Notwendigkeit, unsere angestammten Geisteskräfte nicht verküm­mern zu lassen, sondern zu pflegen, damit wir uns nicht allmählich auslöschen aus der Welt. Nun könnte ja jemand sagen: Ja, ich will mich auslöschen aus der umgebenden Welt, denn mir liegt nichts

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am Leben. - Aber dieses Auslöschen ist nicht gleich der Vernich­tung; dieses Auslöschen ist nur ein Auslöschen für die Umwelt. Man ist dann nicht für die Umwelt da, aber man ist für sich selber noch da. Auslöschen ist Vereinsamung in der geistigen Welt, heißt, nur wie auf einer Insel leben, einsam, abgeschlossen, ohne Möglich­keit einer Verständigung. - Das erreicht man, wenn man sich aus­schließt aus der geistigen Welt.

Man kann da folgendes Bild gebrauchen. Prägen Sie sich dieses Bild gut ein, betrachten Sie es als gute Grundlage der Meditation:

Indem der Mensch weiter und weiter schreitet in der Welten-entwickelung, wird er freier und freier. Immer lebt er sich so aus, daß er wie auf einer Insel lebt; von einer Insel zur anderen müssen unsere Rufe, muß unser Verständnis gehen. Derjenige Mensch, der in der Zukunft teilnehmen wird an dem spirituellen Leben der Menschheit, wird sich verständigen können von einer Insel zut anderen mit allen, die frei leben auf den Inseln. Derjenige hin­gegen, der flieht das spirituelle Leben, der wird auf seiner Insel sein, und wenn er sich wird verständigen wollen mit denen, die er schon früher kennengelernt hat, wird er sich nicht verständigen können. Es wird ersterben der Ton in ihm, er wird ahnen: Dort, dort drüben auf jenen Inseln sind die, die ich kenne, die zu mir gehören. - Aber nichts dringt zu ihm, er wird lauschen und nichts vernehmen. Die spirituelle Wissenschaft gibt uns die Sprache, durch die wir in der Zukunft die Möglichkeit gewinnen, über die Einsamkeit hinüber zur Verständigung zu kommen. Diejenigen Aussprüche, die aus okkulten Schriften uns herübertönen, sind manchmal viel tiefer als man denkt. Als das Mysterium von Golgatha geschah, war die erste Verkündigung desjenigen, was der Mensch braucht, damit er die Verständigung findet von einer der bezeichneten Inseln zur anderen.

Jetzt ist die zweite Verkündigung die anthroposophische Geistes­wissenschaft, die das Christus-Geheimnis für die Menschenseele kla­rer und klarer machen soll. Was Christus gesprochen hat, ist in manchen Worten angedeutet. Zu den tiefsten gehört auch dieses:

«Wenn zwei in meinem Namen vereinigt sind, so bin ich mitten unter ihnen.» Aber diesen Namen wird man erst verstehen lernen,

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wenn man die spirituelle Sprache lernt. Im Anfange der christ­lichen Verkündigung konnte man das noch auf naive Weise finden; in der Zukunft werden nur jene Menschen den Christus erkennen, die ihn geisteswissenschaftlich erkennen. Es mag heute für viele Menschen töricht erscheinen, daß Geisteswissenschaft genannt wird die spirituelle Sprache, welche die Menschen brauchen, damit sie sich nicht isolieren, sich nicht trennen im Tode, im Sterben, damit sie die Möglichkeit finden, von einer Insel zur anderen zu kommen.

Das, was ich heute zu Ihnen zu sprechen versuchte, wird Ihnen die volle Idee davon geben, warum wir uns zur Pflege der Geistes­wissenschaft zusammenschließen. Jenen Rufen, jenen Stimmen folgt derjenige, der bewußt heute für die Geisteswissenschaft arbeitet, denen auch mehr oder weniger derjenige folgt, der die Sehnsucht empfindet, etwas zu hören über die geistige Welt. Diese Stimmen, diese Rufe rühren von der geistigen Welt selber her und auch die Notwendigkeit, die man fühlt aus der geistigen Welt heraus, wenn sprechen die Menschenseelen, die zwischen Tod und neuer Geburt leben; wenn sprechen auch die anderen geistigen Wesenheiten der verschiedenen Hierarchien. Wenn alle diese Stimmen zu uns tönen, werden sie in unseren Seelen dasjenige wachrufen können, was die Menschheit immer mehr und mehr zur Pflege jenes spirituellen Lebens führen wird, das wir in unseren Zweigen hegen und das auch hier in diesem Zweige in Zukunft getreulich gepflegt werden möge. Das sei der Wunsch, den ich heute am Ende dieser Betrach­tungen in Ihre Seelen legen möchte und von dem ich sehnlich hoffe, daß er in Ihren eigenen Seelen immer stärker und stärker erglühen möge zum Gedeihen der geisteswissenschaftlichen Arbeit, getragen von wahrer geisteswissenschaftlicher Wärme.

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ANTHROPOSOPHIE ALS EMPFINDUNGS- UND LEBENSGEHALT. ANDACHT UND EHRFURCHT VOR DEM VERBORGENEN Tübingen, 16. Februar 1913

Wenn wir in unseren anthroposophischen Betrachtungen zuweilen innehalten und uns dann fragen: Was treibt uns in eine solche spiri­tuelle Bewegung, wie es die unsrige ist, hinein?, dann können wir uns natürlich von den verschiedensten Gesichtspunkten aus eine Antwort auf diese Fragen geben. Einer derjenigen Gesichtspunkte, welcher am meisten unserem Gefühl, unserer Empfindung entspre­chende Antwort geben kann, das ist - obwohl nicht der einzige, so doch der wichtigste Gesichtspunkt: die Betrachtung des Lebens, welches die Menschenseele verlaufen fühlt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Die Ereignisse, die sich abspielen in der langen Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, sind wahrhaftig nicht geringer als die Ereignisse zwischen der Geburt und dem Tode; und wir können immer nur einzelne dieser wichtigen Er­eignisse, die wir durchzumachen haben, herausheben. Aber man möchte sagen, wo man auch dieses Leben zwischen Tod und einer neuen Geburt betrachtet, überall überzeugt es uns davon, wie die Menschheit einer Zeit entgegenleben muß, in der sie etwas weiß und fühlt von den übersinnlichen Welten.

Nun wollen wir gleich sozusagen in das Bestimmte, das Konkrete hineingehen. Wenn sich dem Seher, der die Möglichkeit hat, das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt zu betrachten, folgender Anblick bietet, so kann schon dieser Anblick ihm die dringende Pflicht auferlegen, für die Erkenntnis der spirituellen Welt zu wirken. Ein Mensch ist hingestorben. Der Seher sucht ihn auf, sucht ihn zu schauen einige Zeit, nachdem der betreffende Mensch durch die Pforte des Todes gegangen ist. Auf diejenige Art, durch die man sich mit den Toten verständigt, kann man fol­gendes von dem Toten vernehmen - es ist nun ein ganz bestimm­ter Fall. Er sagt: Da habe ich zurückgelassen meine Frau, ich weiß, sie ist noch unten in der physischen Welt. - Selbstverständlich wird

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das nicht mit physischen Worten gesagt. - Als ich mit ihr zusam­menlebte in der physischen Welt, da war sie, nachdem ich von mor­gens bis abends meinem Geschäfte obgelegen hatte, jederzeit mein Sonnenschein, da war jedes Wort, das sie aussprach, mir beseligend; und es war so, daß ich mir nicht denken konnte, daß ich dieses Leben überhaupt hätte leben mögen, wenn es nicht immerfort durchsonnt worden wäre von dieser meiner Lebensgefährtin Dann ging ich durch die Pforte des Todes und ließ sie zurück; und jetzt sehne ich mich zurück, jetzt fühle ich, daß dies mir alles fehlt, ich suche mit der sehnenden Seele einen Weg zu finden zu dieser meiner Lebensgefährtin. Aber ich finde diese Seele nicht, ich kann nicht durchdringen zu ihr, es ist, wie wenn sie nicht da wäre. Und wenn ich zuweilen eine Ahnung bekomme, fühle, als ob sie da wäre, als ob ich in ihrer Nähe wäre, dann ist sie wie stumm, so daß ich es nur vergleichen kann mit dem Gegenüberstehen zweier Menschen, von denen der eine haben möchte, daß der andere zu ihm einige Worte spreche, der andere aber ist stumm und kann nichts sagen. So ist mir die Seele stumm geworden, die für mich so beseligend war lange Zeit des physischen Lebens. - Nun, sehen Sie, wenn man nachforscht, was einer solchen Tatsache zugrunde liegt, da bekommt man zur Antwort: Es gibt da eben keine gemeinsame Sprache zwi­schen dem Hingestorbenen und dem zurückgebliebenen Lebenden. Es gibt nichts, was die Seele mit jener Substanz durchdringen könnte, durch die sie wahrnehmbar bleibt. Weil keine gemeinsame Sprache da ist, fühlen sich diese zwei Seelen getrennt.

Es war nicht immer so. Wenn wir weiter zurückgehen in der Menschheitsentwickelung, finden wir, daß die Seelen ein gewisses geistiges Erbgut jener Spiritualität hatten, durch die sie füreinander wahrnehmbar waren, gleichgültig, ob sie hier auf dem physischen Plan sind oder ob die eine hier in der physischen, die andere in der spirituellen Welt ist. Aber jenes alte Erbstück spiritueller Innerlich­keit ist heute aufgezehrt, es ist heute nicht mehr da, und es kann wirklich der schmerzliche Fall eintreten, daß eine Seele, die von der andern so geliebt worden ist, wie eben angedeutet wurde, von der andern Seele nicht mehr gefunden wird jenseits des Todes, weil in

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der zurückgebliebenen Seele nichts lebt, was wahrgenommen werden kann von der hingestorbenen. Dasjenige nämlich, was wahrgenom­men werden kann von der gestorbenen Seele, ist das spirituelle Wis­sen, Fühlen und Empfinden; das ist der Zusammenhang der Seele hier auf Erden mit der geistigen Welt. Wenn eine solche Seele zu­rückgelassen wird, die sich hier mit Wissen, mit Erkenntnis der spiri­tuellen Welten befaßt hat, Gedanken davon durch sich ziehen läßt, dann können diese Gedanken wahrgenommen werden von der hin­geschiedenen Seele. Nicht einmal die alten religiösen Empfindungen reichen aus, um der Seele etwas zu geben, was von der andern Seele wahrgenommen werden kann. - Wenn dieser Fall weiter verfolgt werden würde, würde sich für den Seher zeigen, daß auch, wenn beide Seelen dann durch den Tod gegangen sind, sich die hingestor­benen Seelen nur dunkel wahrnehmen können - aber gar nicht oder nur sehr schwierig eine gegenseitige Verständigung herbei­führen können, weil sie keine gemeinschaftliche Sprache führen können.

Als Seher kommt man darauf, was im tiefern Sinn Anthroposo­phie ist: sie ist die Sprache, welche allmählich sprechen werden die Lebenden und die Toten, solche, die leben in der physischen Welt, und solche, die leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Die Seelen, die zurückgeblieben sind und die in sich auf­genommen haben Vorstellungen von den übersinnlichen Welten, die können auch von solchen wahrgenommen und geschaut wer­den, welche hingeschieden sind. Wenn sie Liebe ausgestreut haben vor dem Tode, können sie es auch nach dem Tode tun. Das bringt uns die Überzeugung, daß Anthroposophie eine Sprache ist, welche wahrnehmbar macht, was vorgeht in der Welt des Physischen für die Welt des Übersinnlichen. Ja, das steht der Erdenmenschheit in Aussicht, daß die Seelen immer einsamer werden müssen, keine Brücke mehr zu einander schlagen können, wenn die Seelen nicht das Band werden finden können, das von Seele zu Seele gezogen werden muß durch die Aufnahme spiritueller Begriffe. Das ist die Realität der Anthroposophie, denn sie ist keine bloße Theorie. Das theoretische Wissen ist das Allerwenigste; was wir in uns aufnehmen,

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ist ein wirkliches Seelenelixier, eine wirkliche Substanz. Durch diese Substanz sieht die Seele, die durch den Tod gegangen ist, jene Seele, die zurückgeblieben ist. Man darf sagen: Der Seher, der dies durchschaut, der einmal eine solche Seele erkennt, die sich sehnt, wahrzunehmen das, was sie zurückgelassen hat auf der Erde, es aber nicht wahrnehmen kann, weil die betreffende Familie noch nicht in die Geisteswissenschaft hineingekommen ist, der Seher, der das geschaut hat, was die Seelen unter solchen Entbehrungen leiden können, der weiß, daß er gar nicht anders kann, als seinen Mit­menschen von der spirituellen Weisheit zu sprechen und die Zeit für gekommen zu erachten, in welcher die spirituelle Weisheit ein-treten muß in die Menschenherzen. Das dürfen wir sagen, daß die­jenigen, welche aus der Erkenntnis der übersinnlichen ,Welten selbst die Mission herleiten, zu sprechen über diese übersinnlichen Welten, dies als eine dringende Notwendigkeit fühlen, gegen die sie nie handeln können; das wäre die schwerste Sünde. So fühlen sie die Notwendigkeit spiritueller Verkündigungen, Offenbarungen über die übersinnlichen Welten zu geben.

Aus dem, was eben gesagt worden ist, können Sie entnehmen, welch ungeheurer Ernst verknüpft ist mit der Notwendigkeit geisti­ger Verkündigungen. Es gibt aber auch eine andere Seite der Ver­ständigung der Lebenden mit den Toten. In dieser Beziehung sind wir jedoch noch nicht weit, aber es wird kommen. Um verstehen zu können, wie nach und nach die Lebenden eine Art Verständigung werden erzielen können mit denen, die hingestorben sind, müssen wir folgende Betrachtung anstellen. Der Mensch weiß das Aller­wenigste von der physischen Welt. Denn wodurch verschafft er sich sein Wissen von der physischen Welt? Dadurch, daß er seine Sinne gebraucht, seine Phantasie anwendet, daß er empfindet, was ihm in der äußeren Welt entgegentritt. Das ist aber nur der gering­ste Teil von dem, was die Welt enthält. Sie enthält noch etwas ganz anderes. Ich möchte, daß Sie eine Vorstellung bekommen davon, daß es etwas gibt in der Welt, was viel wichtiger ist als das sinnlich Wirkliche. Ich meine auch nicht die übersinnliche Welt, sondern etwas anderes. Denken Sie sich einmal, Sie seien gewöhnt,

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jeden Tag acht Uhr morgens in Ihr Geschäft zu gehen; auf einmal bemerken Sie, daß Sie heute drei Minuten später gehen, und siehe da, Sie gehen über einen bestimmten Platz, wo Sie hätten durch­gehen müssen durch eine Art von Remise, auf der ein Dach ist, das auf Säulen gestützt ist, und als Sie heute diese drei Minuten später ankommen, wird es Ihnen klar, daß - wären Sie heute rechtzeitig angekommen, also nicht drei Minuten später als gewöhnlich - Sie erschlagen worden wären von dem heruntergestürzten Dach. Malen Sie sich das aus! Es kommt vor, daß ein Mensch einen Eisenbahnzug versäumt, welcher unterwegs einen Zusammenstoß erleidet. Wäre er mit diesem Zuge noch mitgekommen, so wäre er umgekommen. Das sind lauter Dinge, die nicht geschahen, deshalb beachtet sie der Mensch nicht. Wenn Sie ein solches Ereignis vor sich haben, durch das Sie gerade wie mit der Nase darauf gestoßen werden, dann macht es einen bestimmten Eindruck auf Sie. Aber von morgens bis abends können ja immer solche Dinge vorgehen, die Sie alle nicht betroffen haben im Laufe des Tages. Das ist unübersehbar. Das alles sind Dinge, die vielleicht «erspintisiert» aussehen können, sie gehören aber zu den allerwichtigsten Teilen des Lebens. Sie werden eine gewisse Empfindung haben, wenn Sie sehen, sagen wir zum Beispiel einen Menschen in Berlin, der ein Billett hatte für die Titanic; ihn trifft ein Bekannter, der sagt: Ich möchte haben, daß du nicht mit der Titanic fährst! - und er bringt ihn davon ab, mit diesem Schiff zu fahren. Die Titanic geht unter - er ist dem Tode entgangen. Dies macht einen bleibenden Eindruck auf den betreffenden Menschen! - Das ist ein besonderer Fall. Aber solche Dinge können immer wieder passieren, ohne bemerkt zu werden; wenn sie aber bemerkt werden, machen sie einen Empfindungs-, einen Gemütseindruck auf den Menschen.

Betrachten wir aber die Sache von einer andern Seite: Wieviel Gemüts-, Empfindungseindrücke entgehen uns dadurch, daß wir nicht beachten, wovor wir bewahrt werden! Wenn wir das alles beachten könnten, was nahe daran ist zu geschehen, und woran wir vorbeigehen, würden wir mit ganz anderem Gemüt durch die Welt ziehen. Nun entdeckt der Seher folgende Möglichkeit: Nehmen Sie

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an, die Sache ist Wirklichkeit. Sie kämen drei Minuten später als gewöhnlich über den Platz. In diesem Augenblick ist der günstigste Moment, wo ein sich vernehmbar machen wollender Toter in Ihre Seele hereinspricht. Sie können den Gedanken, die Empfindung haben: Woher kommt das, was auftaucht in meiner Seele? Das braucht nicht bloß bei einem solchen besonderen Vorgang der Fall zu sein, es kann in mannigfacher ,Weise geschehen. Es wird begin­nen, wenn die Menschen anfangen werden, auch die Welt des Mög­lichen zu beachten und nicht nur die Welt des Wirklichen. Heute wird nur die Welt des Wirklichen betrachtet. Wirklich sind zum Beispiel eine große Anzahl Heringe im Meere; möglich aber sind sie nur da­durch, daß unendlich viel Keime abgelegt worden sind. So liegt auf dem Grunde des Lebens eine unendliche Fülle von Möglichkeiten.

Das ist es, was auch einen unendlich bedeutungsvollen Eindruck macht auf den Seher, wenn er an die Grenze von zwei Welten kommt. Da hat der Seher den Eindruck: Wie unendlich reich ist das, was in dieser übersinnlichen Welt geschieht, und nur ein klei­ner Teil verwirklicht sich in dieser unserer Sinnenwelt! - Wenn man das fühlt, fühlt man auch: Unendliches liegt verborgen auf dem Grunde des Daseins. - Dieses Gefühl wird sich entwickeln durch anthroposophische Betrachtungen. Man wird ein Gefühl dafür erhalten, daß in jedem Punkte, wo etwas äußerlich Wirkliches ist, etwas anderes dahinter ist. Hinter jeder Blume, hinter jedem Luftzuge, hinter jedem Steinchen und Kristall liegen unendlich viele Möglichkeiten. Dieses Gefühl wird der Mensch allmählich so aus­bilden, daß er die Andacht, die Ehrfurcht gegenüber dem Verborge­nen immer mehr entwickeln wird. Wenn er dieses Gefühl immer mehr ausbildet, dann wird er von selber darauf kommen, daß in sol­chen Augenblicken, wie sie eben geschildert worden sind, diejenigen zu ihm sprechen, die für das Erdenleben tot sind. Das wird ein­treten in der Zukunft, daß der Mensch ganz wie etwas Normales empfinden wird: Jetzt hat in deine Seele hereingesprochen ein Toter. - Nach und nach wird er wissen, woher diese Mitteilung kommt, das heißt, wer da hereinspricht. Nur weil die Menschen heute so achtlos vorübergehen vor der unendlichen Welt der Möglichkeiten,

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der unendlichen Tiefe des Möglichen, hören sie nicht, was die Toten so hereinsprechen möchten in die Herzen der Lebenden.

Aus dem Zweifachen, was ich Ihnen gesagt habe: daß durch Lebende, durch die Gedanken der Anthroposophen hier etwas er­zeugt wird, was für die Toten wahrnehmbar wird - und daß die Toten werden sprechen können zu den Herzen, die sich hinein­gefunden haben in das spirituelle Fühlen -, aus dieser Tatsache können Sie entnehmen, welchen Umschwung die Verbreitung der Anthroposophie für die ganze Menschheit bewirken wird. Eine Brücke wird geschlagen werden zu den Welten hier und zu den Welten drüben. Und wahr ist es, daß das Leben ein anderes sein wird zwischen Tod und einer neuen Geburt. Es wird dies nicht nur eine Theorie sein, sondern ein Übergehen in Realität, so daß Ver­ständnis sein wird zwischen den sogenannten Lebenden und den Toten, die aber viel lebendiger sind. Und dann werden auch die Seelen hier fühlen, was so fruchtbar werden kann für die Toten. Denn man kann es doch nicht im richtigen Sinne fruchtbar machen, wenn man nicht fühlt, welche Wohltat es für die Toten sein kann, wenn man ihnen vorliest. Nehmen wir einmal einen extremen Fall. Sie können es erfahren, wenn Sie mit anderen Menschen zusammen­leben als Geschwister, Eltern oder Gatten, daß während der eine den Drang empfindet, zur Geisteswissenschaft zu kommen, der andere geradezu einen Haß bekommt, wenn der erstere sich ihr nähert. Wie oft kann man das erleben! So kann sich das abspielen im Bewußtsein, aber es braucht nicht in der Seele selbst so zu sein. Da kann etwas anderes stattfinden. Es gibt das Unterbewußtsein im astralischen Leib. Während jemand leidenschaftlich wütet und schimpft gegen die Geisteswissenschaft, kann es sein, daß er im Unterbewußtsein um so mehr den Drang, die Sehnsucht hat, selber etwas von der Geisteswissenschaft zu erfahren. Wenn man durch die Pforte des Todes geschritten ist, so werden die Dinge wahr; da läßt sich nichts maskieren. Hier auf der Erde kann man lügen, sich verstellen, nach dem Tode aber werden alle Dinge wahr; sie zeigen da ihr wahres Antlitz. Wenn man sich während des Lebens noch

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so sehr betäubt hat, indem man gegen die Geisteswissenschaft schimpft, nach dem Tode macht sich dann ein Drang darnach bemerkbar, und man leidet Schmerzen, weil der Drang nicht befrie­digt werden kann. Da kann dann der Lebende sich in Gedanken den Verstorbenen gegenübersitzend vorstellen, und er kann in Ge­danken spirituelle Dinge durchgehen, und der Tote versteht das; und wenn der Tote auch kein Anthroposoph gewesen ist, wenn es auch nur der Lebende ist, dann nimmt der Tote doch den Leben-den wahr.

Das, was man nennen könnte: einen gewissen Hang zur Sprache, die man im Leben gesprochen hat, das muß da berücksichtigt wer­den, weil in den ersten Zeiten nach dem Tode der Tote noch einen gewissen Zusammenhang mit derselben Sprache hat, wie er sie hier im Leben gehabt hat. Man tut deshalb gut, in Gedanken die Sprache anzunehmen, die der Tote gesprochen hat; aber nach fünf, sechs, acht Jahren, manchmal auch früher, stellt sich heraus, daß die Sprache des Geistes eine solche ist, daß für sie die äußere Sprache kein Hindernis ist und daß der Tote spirituelle Gedanken auch dann verstehen kann, wenn er die Sprache im Leben nicht gekannt hat. Jedenfalls hat sich das als etwas ungeheuer Schönes ergeben, wenn unsere Freunde Verstorbenen vorgelesen haben, namentlich auch solchen gegenüber, die im Leben keine Anthroposophen waren. Es hat sich dies als eine ungeheure Wohltat, als einer der größten Liebesdienste herausgestellt. Und zu dem, was wir erreichen wollen, gehört nicht allein, daß wir die Anthroposophie äußerlich ausbreiten wollen als eine Lehre - das müssen wir tun und es ist notwendig -, aber Anthroposophie wird auch in viel stillerer Art in der Seele wirken müssen. Spirituelle Ämter sozusagen können sich da ausbilden, durch die vieles geleistet werden kann zur Fort-entwickelung der Seele nach dem Tode. Und das ist es, was wir immer mehr erreichen müssen: daß wir eine große Schwierigkeit überwinden helfen für die Seelen, die zwischen Tod und einer neuen Geburt stehen, und die darin liegt, daß das alte spirituelle Erbgut erschöpft ist und eine Zeit herangerückt ist, in der das Sichorientieren den Seelen nach dem Tode ungeheuer schwer fällt und

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in der sich auszukennen zwischen Tod und einer neuen Geburt den Seelen fast unmöglich ist.

Da sieht der Seher, wie die Seelen zwischen Tod und neuer Ge­burt zu Aufgaben gezwungen werden, die sie lösen müssen, die sie aber nicht begreifen. So ist es zum Beispiel eine Tatsache: Der Seher, der seinen Blick hinwendet auf das Leben zwischen Tod und einer neuen Geburt, kann Seelen entdecken, die eine bestimmte Verrichtung machen müssen: sie müssen in gewissen Zeiträumen Diener sein jener Mächte, die wir kennen als die Geister des Todes und der Krankheit. Wir sprechen da von jenem Tode, der nicht regelmäßig als eine Erscheinung des Lebens eintritt, sondern von dem Tode, der an die Menschen außer der Zeit herantritt, wenn Menschen hinsterben in der Blüte ihres Lebens. Wenn Krankheiten eintreten, sind es physische Ereignisse; sie werden aber bewirkt von Kräften, die von der übersinnlichen Welt hereinspielen. Den sich verbreitenden Krankheiten liegen zugrunde die Taten übersinn­licher Wesenheiten. Gewisse Geister haben die Aufgabe, unzeitigen Tod zu bringen. Daß das doch auch in der Weisheit begründet ist, können wir jetzt nicht berühren; aber das ist wichtig zu beachten, daß wir nun Seelen finden, die unter das Joch von solchen Wesen­heiten gespannt sind. Und es ist für den Seher, trotzdem er sich gewöhnt haben muß an eine gewisse Gelassenheit, doch schmerz­lich und erschütternd, zuzusehen, wie solche, die in das Joch gespannt sind, dienen müssen, um an die Menschen Krankheit und Tod heranzutragen. Und wenn der Seher versucht zu verfolgen solche Seelen bis zu der Zeit ihres vorhergehenden Lebens, dann findet er die Ursache, warum diese Seelen verurteilt sind, Diener zu sein der Geister der Krankheiten und des Todes: diese Ursachen liegen in der Gewissenlosigkeit, welche diese Seelen im physischen Leben entwickelt haben. In dem Maße, wie sie gewissenlos waren, in dem Maße verurteilen sie sich dazu, Diener zu sein dieser bösen Wesenheiten. So wahr, wie Ursache und Wirkung zusammenhängen bei aufeinanderstoßenden Kugeln, so wahr müssen gewissenlose Menschen Diener sein dieser bösen Wesenheiten. Das ist erschüt­ternd! Eine andere Tatsache, die der Seher sieht: Solche Seelen sind

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unter das Joch ahrimanischer Geister gespannt, sie müssen bereiten die spirituellen Ursachen von all dem, was hier geschieht als Wider stand, als Hindernis unseres Tuns. Ahriman hat ja auch diese Auf­gabe. All die Widerstände, die sich hier ergeben, werden aus der geistigen Welt herein dirigiert. Es sind Diener des Ahriman. Wo­durch verurteilten sich solche Seelen zu diesem Dienste? Dadurch, daß sie in ihrem Leben zwischen Geburt und Tod der Bequemlich­keit gehuldigt haben. Und wenn Sie betrachten, wie die Bequem­lichkeit weit verbreitet ist, so werden Sie finden, daß es unendlich viele Rekruten gibt für Ahriman. Die Bequemlichkeit ist es, die das Leben in reichstem Maße regiert. - Dazu sind auch die neueren Nationalökonomen gekommen, mit der Bequemlichkeit der Men­schen zu rechnen, nicht nur mit dem Egoismus und der Konkur­renz. Die Bequemlichkeit ist ein Faktor.

Nun nimmt es sich anders aus, ob man solche Erlebnisse hat so, daß man sich in ihnen orientieren kann, daß man weiß, warum man sie erlebt, oder ob man sie ganz bewußtlos erlebt, ohne zu wissen, warum man dienen muß solchen Geistern. Wenn man weiß, warum man in das Joch der Geister gespannt ist, welche die Seu­chen bringen, so weiß man auch, was man im nächsten Leben für Tugenden sich aneignen muß, damit man einen kosmischen Aus­gleich schaffen kann, um aus der Welt zu schaffen, was nach dieser Richtung wirkt. Wenn man unorientiert in diesen Erlebnissen ist, schafft man zwar dasselbe Karma, aber man schafft erst wieder das, was sich zu der zweiten Inkarnation hin als Ausgleich gestalten muß, und so verzögert man den wirklichen Fortgang. Deshalb ist es wichtig, daß der Mensch hier diese Dinge lernt. Erleben wird man sie nach dem Tode; sich orientieren lernen muß man hier. Da haben wir wieder einmal eine Tatsache, die es zu einer zwingenden Notwendigkeit macht, neue Orientierung zu schaffen durch Ver­breitung der spirituellen Wahrheiten, weil die alte Orientierung nicht mehr da sein kann. Wir können uns auf die Frage: Warum sind wir Anthroposophen? aus den geistigen Tatsachen heraus eine Antwort geben, die gar sehr zu unserer Empfindung, unserem Ge­fühle spricht, nicht nur zu unserem Verstande. Und so sehen wir

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Anthroposophie immer mehr und mehr an als eine universelle Sprache, als eine Sprache, die es uns möglich machen wird, die Scheidewand hinwegzutun zwischen den verschiedenen Welten, in denen unsere Seelen leben, das eine Mal im physischen Leibe, das andere Mal außerhalb des physischen Leibes; und so wird fallen die Scheidewand gegenüber der übersinnlichen Welt, wenn die Geisteswissenschaft sich wirklich in die Seelen der Menschen einlebt. Das müssen wir fühlen, empfinden; dann haben wir den richtigen, den inneren Enthusiasmus für die Geisteswissen­schaft.

Lassen Sie mich von einer weiteren Erscheinung sprechen. Für den Seher tritt ein Zeitpunkt ein, der im Leben der Seelen zwischen Tod und einer neuen Geburt sich offenbart und der ungeheuer bedeutsam wird für den Seher, aber auch für solche, die dieses Leben durchmachen. Der Zeitpunkt liegt bei manchen mehr zu­rück, bei manchen mehr vorwärts. Wenn man mit dem seherischen Blick den Schlaf verfolgt, dann, wenn der Mensch mit seinem Astralleib und Ich außerhalb des physischen Leibes ist und zurück-blickt auf physischen Leib und Ätherleib, dann ist der Eindruck der, daß zumeist der physische Leib sich als langsam sterbend dar-stellt. Nur in den allerersten Kindheitsjahren, bis das Kind ein Verständnis bekommt, bis zu der Zeit, zu der unser Gedächtnis zurückreicht, da erscheint der Schlaf im Kindesleib als etwas, was sproßt und gedeiht; aber es fängt sehr früh an, so daß dem Seher es vor Augen tritt, daß der physische Leib nach dem Eintritt in das Leben langsam wieder abstirbt; der Tod ist nur der letzte Akt dieses Absterbens. Die Sache ist so, daß der Schlaf dazu da ist, die ver­brauchten Kräfte auszugleichen. Aber dieser Ausgleich ist nur un­vollständig; dieser Rest ist immer ein kleines Stück Todesursache. Wenn so viele Reste zurückgeblieben sind, daß die Wiederherstel­lungskräfte nicht mehr dagegen aufkommen, dann stirbt der Mensch den physischen Tod. Man sieht also eigentlich, wenn man den Menschenleib ansieht, den Tod sich langsam vollziehen. Man stirbt wirklich von Geburt an ganz langsam. Der Eindruck ist ein recht ernster, wenn man die Sache zuerst gewahr wird.

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Zwischen Tod und einer neuen Geburt kommt nun der Augen blick an die Seele heran, wo sie die Kräfte zu entwickeln beginnt, durch die sie in das nächste Dasein eintritt. Lassen Sie mich an einem Beispiel zeigen, was gemeint ist. Heute gibt es schon viele Bücher über Goethes Veranlagung. Es wird nachgeforscht bei den Vorfahren Goethes, woher er diese oder jene Eigenschaft geerbt habe. In der physischen Vererbungslinie werden diese Ursachen gesucht. Das soll nicht bestritten werden, daß sie da gesucht werden können; aber wer die Seele zwischen Tod und einer neuen Geburt verfolgen kann, findet das Folgende. Nehmen Sie die Seele Goethes. Lange, lange, ehe sie geboren wird, wirkt sie schon aus den über­sinnlichen Welten heraus auf ihre Ahnen, steht schon durch ihre Kräfte mit den Ahnen in Beziehung. Sie wirkt sogar so, daß in ent­sprechender Weise zusammenkommen diejenigen Männer und Frauen, die nach langer Zeit die richtigen Eigenschaften geben können, die die Seele braucht. Es ist dies keine leichte Arbeit, denn es sind viele Seelen daran beteiligt. Wenn Sie sich vorstellen, daß von den Seelen des sechzehnten Jahrhunderts im achtzehnten Jahrhun­dert Menschen abstammen und daß alle diese schon vorher zusam­menarbeiten, so müssen Sie begreifen, daß eine solche Verständi­gung eine wichtige Sache ist. Seelen, die im achtzehnten, neunzehn­ten Jahrhundert geboren werden, müssen sich schon im sechzehnten Jahrhundert verständigen, damit die ganzen Netze von Verwandt­schaften hergestellt werden können. Es ist viel zu tun zwischen Tod und einer neuen Geburt. Nicht nur, daß wir zu tun haben in objekti­ver Beziehung, daß wir einen Teil unserer Zeit mit Dienstleistungen gegenüber den Geistern des Widerstandes zubringen, wir müssen auch arbeiten an den Kräften, die überhaupt unsere Wiederverkörpe­rung ermöglichen. Da stellt sich die Sache so dar, daß wir uns die Form schon im Urbild herausarbeiten müssen. Dies macht einen ent­gegengesetzten Eindruck von dem, was der Seher schaut, wenn er auf den schlafenden physischen und Ätherleib sieht. Der physische und Ätherleib stellt sich im Schlafe als etwas Absterbendes dar; was sich aber da wie ein Urbild aufbaut und in die physische Natur herein-zieht, das bietet den Eindruck des Sprossenden, Werdenden.

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So daß ein wichtiger Augenblick da ist zwischen Tod und einer neuen Geburt: er liegt zwischen der Erinnerung an das frühere Dasein und dem Übergang zu dem nächsten Dasein, da wo der Mensch anfängt zu arbeiten an dem Werden seiner physischen Organisation. Wenn Sie sich den physischen Tod vorstellen und im Vergleich dazu diesen Augenblick, so haben Sie in ihm das Gegen­teil von dem physischen Tode. Der physische Tod ist ein Übergang von dem physischen Sein zum Nichtsein; der geschilderte Augen­blick ist ein Übergang von dem Nichtsein zum Werden. Ganz anders erlebt man diesen Augenblick, wenn man ihn versteht, als wenn man ihn nicht versteht.

Solch ein Begriff wie der des Gegenteils des Todes, dessen, was eintritt zwischen Tod und neuer Geburt, das sollte eigentlich in der Seele eines Anthroposophen zur Empfindung kommen. Er sollte nicht bloß verstandesgemäß begriffen, sondern durchempfunden werden; dann kann man fühlen die Bereicherung, welche unser Leben erfährt, wenn solche Begriffe von der Seele aufgenommen werden. Dann stellt sich noch etwas anderes ein: daß nämlich die Seele all­mählich überhaupt ein Gefühl dafür bekommt, was es alles in der Welt gibt. Wenn man durch einen Wald geht im Frühling und man vorher meditiert hat über den Begriff, den ich eben erwähnt habe, so ist man nicht weit davon entfernt, wenn man achtgibt, zu vernehmen die Geister, die zwischen den physischen Dingen wirken und walten. Das Wahrnehmen der geistigen Welt wäre eigentlich gar nicht schwierig, wenn die Menschen sich das nicht selber schwie­rig machen würden. Indem sie darnach trachten, dasjenige, was in Begriffen aufgenommen wird, sich zur Empfindung zu bringen, innerlich zum Leben zu erwecken, kann dieses Streben sie zum Schauen führen. Durch solche Dinge, wie sie heute gesagt worden sind, möchte ich dazu beitragen, daß dieser Drang nach Geistes­wissenschaft lebendig werde. Die Darstellung von solchen Dingen ist immer so, daß man fühlt: es ist die Schilderung wie ein Stam­meln, weil unsere Sprache ja nur für die physische Welt ist - und man muß sich anstrengen, durch ganz besondere Darstellungsmittel wenigstens einen geringen Begriff von diesen Dingen hervorzubringen.

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Aber gerade solche Art, zu sprechen über diese Dinge, kann in unsern Herzen auslösen, was man anthroposophisch als Empfindungsgehalt bezeichnen kann.

Das sollte Geisteswissenschaft für uns werden: ein Empfindungs-, ein Lebensgehalt, so daß wir in der Aufnahme von spirituellen Begriffen nicht etwas Geringes sehen, sondern ihnen gern nach­gehen, dann aber auch nicht in diesen Begriffen die Hauptsache sehen, sondern in dem, was die Anthroposophie aus uns macht.

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DIE KOSMISCHE SEITE DES LEBENS ZWISCHEN TOD UND NEUER GEBURT DER WEG DURCH DIE STERNENSPHÄREN Stuttgart, 17. Februar 1913 Erster Vortrag

Es war mit in der zweiten Hälfte des vorigen Jahres auferlegt, einige okkulte Untersuchungen zu machen über das Leben zwischen Tod und neuer Geburt. Wir haben ja schon von verschiedenen Seiten her dasjenige, was da in Betracht kommt, geschildert, aber eine voll­ständige Kenntnis, ein wirkliches Eindringen in diesen Teil des menschlichen Lebens ist eigentlich nur möglich, wenn man die Betrachtung von den verschiedensten Gesichtspunkten aus anstellt. Obgleich das alles richtig ist, was in den Schriften und Zyklen über dieses Thema zu finden ist, so kann doch zu alldem noch hinzu­gefügt werden dasjenige, was wir am heutigen Abend und vielleicht auch übermorgen über die Sache vorzubringen haben.

Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes getreten ist, wenn er also abgelegt hat seinen physischen und seinen Ätherleib, dann ist in der ersten Zeit die Seele namentlich hingegeben den Erin­nerungen an das verflossene Erdenleben. Wir wissen ja schon, die Seele braucht eine gewisse Zeit, um sich, wenn man den Ausdruck gebrauchen darf, alles dasjenige abzugewöhnen, was sie zusammen­hält mit dem letzten Erdenleben. Nun wollen wir uns dieses Herauswachsen aus dem letzten Erdenleben einmal im Zusammenhang mit dem ganzen Universum, mit der Welt, vorstellen.

Wenn der Mensch - und das ist ja nicht nur nach dem Tode, sondern das ist auch schon im Schlaf der Fall - seinen physischen und Atherleib verläßt und also nur im astralischen Leibe lebt, was wir ja auch als das Seelische bezeichnen können, dann tritt mit dem Menschen, räumlich könnte man sagen, eine völlige Erwei­terung ein: eine Ausdehnung seines Wesens in die Weiten. Jede Nacht dehnen wir uns eigentlich aus über die Sternenweiten hin.

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Nach dem Tode breitet sich der Mensch so aus, langsam und all­mählich, daß wir zu suchen haben seine - wir können jetzt viel­leicht nicht sagen: Leiblichkeit -, sondern seine Seelenhaftigkeit im Umkreise der Erde, weit zunächst über den Luftkreis hinaus. Immer weiter und weiter dehnt er sich aus, bis der Mensch - so paradox es klingt, stellt es sich doch so heraus - sein Seelensein über den ganzen Umkreis der Kugelfläche ausgedehnt hat, die zusammen­fällt am Ende mit dem Umkreis des Mondes um die Erde. Wir wachsen so in die Größe, daß die Grenze unseres Wesens der Um­kreis des Mondes um die Erde ist. Solange wir also in die Größe wachsen, dauert das, was wir als die Kamalokazeit bezeichnen können. Das ist die Zeit des innerlichen Zusammenhanges mit dem letzten Erdenleben.

Dann aber geht die Ausdehnung weiter. Wir erweitern uns tat­sächlich zum Sternenzelt hinaus, und es beginnt dann die Zeit, wo der Mensch so hinauswächst, daß die äußerste Grenze seines Seins als der Umkreis bezeichnet werden kann, den heute astronomisch gesprochen die Venus, okkult gesprochen der Merkur beschreibt. Nun hängt die Art des Seins des Menschen, nachdem er die Monden­sphäre verlassen hat, davon ab, wie das Leben hier zwischen Geburt und Tod war. Wenn wir uns hinausleben in den Weltenraum bis zur Merkursphäre, so befinden wir uns in ihr entweder so, daß wir leicht Zusammenschluß finden können mit den Menschen, mit denen wir auf Erden zusammen waren, mit denen sich unsere Seelen auf Erden zusammengefunden haben, oder aber es kann auch das uns treffen, daß wir schwierig solchen Zusammenschluß finden kön­nen, daß wir gewissermaßen bei diesem Hinausleben in die Merkur-sphäre zur Einsamkeit verdammt sind. Und ob wir mehr oder weni­ger zur Einsamkeit oder, wenn der Ausdruck erlaubt ist, zur Gesel­ligkeit uns bestimmt fühlen, das hängt davon ab, wie der Mensch das Erdenleben zugebracht hat. Derjenige Mensch, der im Leben sich wenig darum gekümmert hat, in seiner Seele rege zu machen moralische Empfindungen, moralische Gesinnung, moralische Stim­mung, Wohlwollen, Mitgefühl, der Mensch, der das wenig ent­wickelt hat während des Erdenlebens, der fühlt sich, indem er sich

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zur Merkursphäre erweitert, nach dem Tode zur Einsamkeit gezwun­gen. Und schwierig ist es ihm, andere Seelen, mit denen er verbun­den ist, zu finden. Der Mensch, der viel Mitleid, moralische Gesin­nung entwickelt hat, der lebt, sich erweiternd zur Merkursphäre, mit anderen Seelen gesellig zusammen. So haben wir es in der Hand, uns unser Leben beliebig einzurichten zwischen Tod und neuer Geburt. Die Merkursphäre, okkult gesprochen, ist also diejenige Sphäre, in der unsere moralischen Eigenschaften zum Ausdruck kommen. Sie ist auch diejenige, in welcher sich wirksam erweist noch in anderer Weise, was wir an moralischen Eigenschaften ent­wickelt haben.

Da kommt zunächst noch in Betracht - gerade während dieses Durchganges durch die Venus- oder Merkursphäre nach dem Tode -, daß nachwirkt, ob man im Leben zwischen Geburt und Tod ein Mensch mit Gewissenhaftigkeit oder mit Gewissenlosigkeit war. Sehen Sie, alles, was in der Welt hier im physischen Leben geschieht, wird dirigiert, wird verursacht zuletzt von der geistigen Welt aus. Wir haben öfters betrachtet den naturgemäßen Alterstod, der für den Menschen eintreten muß, weil er dasjenige ist, was uns eigent­lich treffen muß aus dem Grunde, damit das Leben von Inkarnation zu Inkarnation in richtiger Weise vor sich gehen kann. Aber es gibt, wie wir wissen, nicht nur diesen in der Evolution gut begründeten Alterstod; es gibt auch einen Tod, der den Menschen befällt in der Blüte der Jugend, in der Kindheit schon. Es gibt in der Welt die mannigfaltigsten Krankheiten, Seuchen und so weiter, die in das menschliche Leben hineintreten. Und sie werden zuletzt nicht bloß bewirkt durch physische Ursachen, sondern sie werden bestimmt, dirigiert von der geistigen Welt herein. Und eigentlich ist es aus dem Gebiet der Venus, jenes Gürtels um die Erde herum, den wir aber, okkult gesprochen, die Merkursphäre nennen können. Das heißt, wenn wir einen Halbmesser ziehen von der Erde bis zur Venus hin und damit einen Kreis beschreiben - ganz abgesehen von den astronomischen Verhältnissen -, so ist das okkult die Mer­kursphäre; also einen Kreis nicht um die Sonne, sondern um die Erde herum. Und in diesem Gürtel, in dem Raum, der von diesem

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Kreis eingenommen wird, da liegen die Kräfte, von denen dirigiert werden auf Erden Krankheiten und Tod; der Tod, nicht soweit er eintritt als naturgemäßer Alterstod, sondern unregelmäßig. Da sind gewisse geistige Wesenheiten wirksam, jene Wesenheiten, die der Okkultismus bezeichnet als die Geister von Krankheit und Tod. Derjenige Mensch, der, okkult gesprochen, in diese Merkursphäre eintritt so, daß er auf Erden sein Dasein als gewissenloser Mensch zugebracht hat, der verurteilt sich nun dazu, während er durch diese Sphäre durchgeht, Diener zu werden dieser - wir können sie schon so nennen - bösen Geister von Krankheit und Tod. Ja, man bekommt erst einen Begriff, einen Eindruck von dem, was eigent­lich Gewissenlosigkeit bedeutet, wenn man diese Tatsache weiß. Gewissenlosigkeit verurteilt die Menschen dazu, eine Zeitlang zwi­schen Tod und Neugeburt in der Merkursphäre in das Joch dieser bösen Geister gebeugt zu sein. Und wenn die Kräfte entwickelt wer­den, die aus dem Umkreis hereingeschickt werden auf die Erde, damit Seuchen, Krankheiten eintreten, damit der Tod zur Unzeit eintritt, dann müssen diese gewissenlosen Seelen mitarbeiten als Diener dieser Geister von Krankheit und Tod, welche diese Kräfte in unsere physische Welt hereinschicken.

Etwas anderes ist es, wenn da nachwirkt bis in diese Sphäre hin­auf das, was sehr verbreitet ist auf Erden: Bequemlichkeit. Unser Leben steht eigentlich ganz im Zeichen der Bequemlichkeit. Unzäh­liges würden die Menschen anders machen, wenn sie nicht bequem wären. Auch durch die Bequemlichkeit verurteilt sich der Mensch dazu, in der Sphäre, die eben besprochen worden ist, Diener zu wer­den eine Zeitlang jener Mächte, welche dem Ahriman unterstehen, welche man bezeichnen kann als die Mächte der Hindernisse, also jener Geister, die das Arbeiten auf Erden behindern. Diener der Geister der Hindernisse werden wir für eine bestimmte, mehr oder weniger lange Zeit durch alles, was wir in unsere Seele eingegos­sen haben durch Bequemlichkeit. So bekommen wir einen Begriff, wie hineinwirken in das Leben zwischen Tod und Neugeburt die Kräfte, die wir hier im phy&ischen Leben in der Seele ausgebildet haben.

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Die nächste Sphäre, zu der sich die Seele erweitert, bezeichnet man okkult als Venus-Sphäre, astronomisch als Merkursphäre. Zu ihr bereiten wir uns vor durch religiöse Eigenschaften, religiöse Ge­sinnung. Ein Mensch, der in sich entwickelt hat in der Zeit zwi­schen Geburt und Tod eine solche Gesinnung, durch die seine Seele hinblickt nach den geistigen Urmächten und Urkräften der Welt, der kann ein geselliges Wesen sein in der Venus-Sphäre, so daß er zusammenlebt mit anderen Menschen, mit denen seine Seele sich verwandt gemacht hat auf Erden. Aber auch andere Geister der höheren Hierarchien treten von da ab in die menschliche Sphäre ein, und der Mensch lebt da mit Geistern der höheren Hierarchien zusammen, wenn er religiöse Gesinnung, religiöse Empfindung, religiöses Gefühl entwickelt hat. Dagegen verurteilt er sich zur Ein­samkeit, zur Abgeschlossenheit, zu quälender Einsamkeit, wenn er seine Seele nicht in Verbindung gebracht hat hier auf Erden mit Impulsen des religiösen Lebens. Wenn er Atheist gewesen ist hier auf Erden, dann wird er ein völlig Einsamer von der Sphäre ab, von der gesprochen worden ist. Und sagen muß man schon, daß zu völliger Einsamkeit sich verdammen die Menschen, die heute geradezu großziehen die Religionslosigkeit. Die Leute, die sich im Monistenbund zum Beispiel zusammenziehen, versperren sich die innere Bewegungsfreiheit, und weil sie sich hier unter dieser Fahne zusammengefunden haben, verurteilen sie sich in jener Sphäre dazu, jeder in seinem eigenen Käfig zu sitzen; jeder wird getrennt sein von dem andern.

Die nächste Sphäre, in die wir eintreten, ist die Sonnensphäre. Wiederum sind die Verhältnisse anders, als sie für die physische Astronomie sind. Wir bekommen diese Sphäre, wenn wir die Erde mit der Sonne verbinden und einen Kreis beschreiben mit dieser Verbindungslinie um die Erde herum. (Es wird gezeichnet.) Geistig sind die Verhältnisse eben anders als im Physischen. Wir verbrei­tern uns bis zu dieser Sphäre hinaus, nachdem wir die Venus-Sphäre durchlaufen haben. Für diese Sphäre bereitet uns vor nicht mehr dasjenige, was uns für die Venus-Sphäre vorbereitet hat. Für die Venus-Sphäre können wir so vorbereitet sein, daß wir den Zusammenschluß

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finden mit all denjenigen menschlichen Seelen, welchen wir religiös nahegestanden haben im Leben zwischen Geburt und Tod. In der Venus-Sphäre sind die Menschen gleichsam abgeschlos-sen in Bezirke, wie diejenigen Bezirke sind, in welchen auf Erden die Völker, die Rassen verbunden sind. So sind in der Venus-Sphäre Bezirke, in denen diejenigen sich zusammenfinden, welche ver­wandt sind in ihrem religiösen Empfinden. Das genügt aber nicht mehr für die Sonnensphäre. In der Sonnensphäre fühlt man sich einsam, wenn man auf Erden nur vorbereitet war für eine gewisse Art von religiösem Empfinden in der Seele. In der Sonnensphäre ist man ein geselliges Wesen nur, wenn man im besten Sinne des Wortes Verständnis herausgebildet hat für jedes religiöse Empfin­den, wenn man gewissermaßen die tiefere Toleranz entwickelt hat für alle Religionssysteme der Erde. Bis in unsere Zeit war seit dem Mysterium von Golgatha das äußere christliche Religionsbekennt­nis gewissermaßen ausreichend; denn dieses christliche Religions­bekenntnis enthält in gewisser Weise doch ein über ein beschränk­tes Religionssystem weiter hinausgehendes Verständnis in ganz anderer Art als andere Religionssysteme. Man kann sich wirklich davon leicht überzeugen. Viele andere Religionssysteme sind noch auf gewisse Bezirke der Erde beschränkt, und man kann, wenn man nur sehen will, sehr leicht sehen, wie der Bekenner der Hindu­Religion, des Buddhismus und so weiter schon sprechen wird von einer Gleichberechtigung aller Religionen und Religionsweisheit im allgemeinen, aber wenn man tiefer eingeht auf das, was er meint, so findet man, daß er nur seine eigene Religion meint. Er verlangt im Grunde genommen von den anderen Menschen, daß sie seine eigene Religion anerkennen. Das nennt er dann Gleich­berechtigung der Religionen. Versuchen Sie, theosophische Zeit­schriften zu lesen, welche dem Gebiete Indiens entstammen. Da wird das, was die Inder sagen, als die allgemeine Weltreligion aus­gegeben und von denjenigen, die das nicht anerkennen, wird gesagt, daß sie keine redlichen Theosophen seien. Das Urchristentum ist von Anfang an nicht auf diesen Ton gestimmt, besonders da, wo es abendländische Religion geworden ist. Würde es im Abendland

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so sein, wie es in Indien ist, so hätten wir heute eine Wotan-Religion; das würde dann sein, was zum Beispiel für den Orient die Hindu­Religion ist. Das Abendland hat aber nicht die aus ihm herausgewach­sene Religion genommen, sondern von vornherein die Religion eines Stifters, der außerhalb des Abendlandes gelebt hat, des Christus Jesus. Unegoistisch hat das Abendland eine Religion in sein Wesen auf­genommen. Das ist ein prinzipieller Unterschied. Und es liegt im Grunde genommen die wahre Toleranz gegenüber jedem Religions-system im Wesen des Christentums, wenn auch dieses Wesen viel­leicht von abendländischen Christen schlecht verstanden worden ist.

Eigentlich ist für den Christen jeder ein Christ, wie er sich auch sonst benennen mag. Und es ist nur eine Engherzigkeit, wenn man christliche Dogmen überall verbreiten will. Weitherzigkeit ist etwas ganz anderes. Wenn man den Hindu, den Chinesen, den Buddhisten betrachtet, wenn man auf die tieferen Elemente seines Wesens eingeht, so wird man überall die Anfänge des Christentums finden, wird herausheben aus dem, was er selbst denkt, dasjenige, was die Ansätze des Christentums sind, ohne daß man den Namen des Christus zu nennen braucht. Aber dieses engere Christentum ist doch eigentlich, wie es heute den Menschen zwischen Geburt und Tod gegeben wird, nur eine Vorbereitung für die Sonnensphäre nach dem Tode. Da ist noch etwas anderes notwendig für diese Sonnensphäre: dasjenige ist notwendig, was wir im richtigen, wah­ren Sinne als Theosophie bezeichnen. Sie gibt uns jenes innere Ver­ständnis für alle Religionssysteme der Erde, für das Wesen aller Religionssysteme der Erde. Wenn wir uns dieses Verständnis an­eignen hier auf Erden, dann bereiten wir uns in rechter Weise für die Sonnensphäre vor. Dieses Verständnis für die verschiedenen Religionen und für das Mysterium von Golgatha, für den Christus­Impuls, müssen wir haben, wenn wir nicht Einsiedler werden sol­len gegenüber andern Menschenseelen und gegenüber den Geistern der höheren Hierarchien in der Sonnensphäre zwischen Tod und neuer Geburt.

Wenn wir zwischen Tod und neuer Geburt in die Sonnensphäre hineinkommen, dann finden wir da zweierlei. Das erste, was wir

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finden, ist etwas, was wir nur bildlich ausdrücken können: wir finden einen leeren Thron, einen leeren Weltenthron. Und das­jenige, was wir suchen können auf diesem leeren Weltenthron, das können wir nur finden in den Bildern der Akasha-Chronik. Auf diesem Thron, den wir da leer finden, wenn wir die Zeit zwischen Tod und neuer Geburt durchleben, hat einstmals innerhalb der Sonnensphäre der Christus gesessen. Er hat sich verbreitet bis in die Erdensphäre hinein durch das Mysterium von Golgatha, und seit jener Zeit müssen die Erdenbewohner hier auf Erden sich ein Ver­ständnis für den Christus-Impuls aneignen können und diesen Im­puls gedächtnismäßig behalten: dann können sie erkennen das Bild, das in der Akasha-Chronik erscheint, wenn sie sich hineinleben in diese Sonnensphäre. Wer hier auf Erden sich nicht dieses Verständ­nis errungen hat, der erkennt nicht, wer da einstmals auf diesem Thron gesessen hat und was jetzt nur noch im Bild vorhanden ist, und er kann sich nicht zurechtfinden im Leben innerhalb der Son­nensphäre zwischen Tod und neuer Geburt. Da sehen wir, wie es Erdenmission der Menschenseelen ist, hier sich den Zusammenhang mit dem Mysterium von Golgatha zu suchen, wie wir ihn suchen innerhalb unserer spirituellen Bewegung. Dadurch behalten wir die Erinnerung zwischen Tod und neuer Geburt von dem Christus-Impuls und werden innerhalb der Sonnensphäre kein Einsiedler-wesen, sondern ein geselliges Wesen durch die Kräfte, die wir mit­genommen haben; so daß wir dann gleichsam durch unsere eigene, mitgebrachte Kraft das Bild beleben - das nur noch als Bild in der Sonnensphäre ist - von dem Christus. Und wir müssen uns so viel Kraft von der Erdenzeit mitnehmen, daß diese Kraft uns auch für die folgende Zeit bleibt und nicht verlorengehen kann.

Aber ein Zweites finden wir noch in dieser Sonnensphäre, einen zweiten Thron, und der ist jetzt eingenommen von einer realen Wesenheit, von Luzifer. Und so fühlen wir uns zwischen Tod und neuer Geburt, wenn wir die Sonnensphäre erreicht haben, wie es eben beschrieben worden ist, auf der einen Seite dem Christus, auf der andern Seite dem Luzifer gegenüber. Würden wir den Christus-Impuls nicht in uns aufgenommen haben, so müßte Luzifer allein

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unser Führer werden. Haben wir aber aufgenommen den Christus-Impuls, so stehen wir auf der weiten Reise durch das Weltall unter der Führung auf der einen Seite des Christus-Impulses, auf der andern Seite des Luzifer; denn diesen brauchen wir auch für die folgenden Zeiten. Wir brauchen auch Luzifer, denn er führt uns jetzt in der richtigen Weise durch die anderen Weltensphären hin­durch, zunächst bis zur Mars-Sphäre hin.

Das ist die nächste Sphäre, Zu der wir uns erweitern zwischen Tod und neuer Geburt. Damit uns Luzifer in solcher Weise führen kann, wie es für uns Menschen angemessen ist, müssen wir den Christus-Impuls als Gegengewicht haben; dann ist der Luzifer-Impuls für uns heilsam; sonst ist er ein Schlechtes für uns. Noch etwas anderes ist notwendig geworden: In der Mars-Sphäre müssen wir die Möglichkeit haben, mit unserm ganzen Wesen Rechnung zu tragen gewissen Veränderungen; die auf dem Mars im Laufe der letzten Jahrhunderte sich zugetragen haben. Diese Veränderungen sind etwa in folgender Weise zu schildern. Durch gewisse Kräfte stehen alle einzelnen Weltenkörper in Verbindung miteinander; mit der Erde stehen in Verbindung die anderen Weltenkörper. Von ihnen strahlen die Kräfte aus. Von dem Mars und seiner Sphäre strahlt in der Tat nicht nur die Lichtwirkung aus, die auf die Erde kommt, sondern es strahlen auch geistige Kräfte aus. Wenn wir in ältere Jahrhunderte zurückgehen, finden wir, daß vom Mars aus­gestrahlt sind diejenigen Kräfte, welche die Menschen enthusias­miert haben zu dem, was die Menschen in älteren Zeiten brauch­ten: physische Kräfte, um die Menschheitsevolution zu fördern. Es ist nicht bloß ein Mythus, sondern eine okkulte Wahrheit, daß das­jenige, was als kriegerische Kraft und kriegerische Verwicklung sich in der Welt entwickelt hat, was die Menschen tatkräftig, mutig gemacht hat durch Jahrhunderte und Jahrtausende, von der Ein-strömung der Marskräfte herrührt. Aber es ist im Leben eines Pla­neten so, daß seine Kräfte eine aufsteigende und eine absteigende Entwickelung durchmachen. Und der Mars hat in den letzten Jahr­hunderten seine Aufgabe in gewisser Weise geändert. Was jetzt noch an kriegerischen Kräften entwickelt wird, das ist abflutendes

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kriegerisches Leben der früheren Jahrhunderte; neues strömt nicht mehr an befeuernden Kräften des Mars ein. Denn an der Wende des sechzehnten zum siebzehnten Jahrhundert, da war der Mars an einem entscheidenden Punkt angelangt, an einem Punkte, der sich im Mars-Sein nur vergleichen läßt mit der Zeit, da die Erde an einem entscheidenden Punkte angekommen ist zur Zeit des Myste­riums von Golgatha. Es ist etwas ungeheuer Bedeutsames, was wir hier berühren. Mars ging durch einen entscheidenden Punkt. Das wußte man innerhalb der Erdenmysterien, da wo für die großen geistigen Angelegenheiten des Erdenseins die Entscheidung getrof­fen wird. Nämlich seit dem zwölften Jahrhundert sind die entschei­denden Vorbereitungen getroffen worden innerhalb der Mysterien-entwickelung der Erde, um der Veränderung der Mars-Sphäre Rech­nung zu tragen. Die Kräfte, die der Mars aussenden sollte, um Mut und Tatkraft auf die Erde zu bringen, waren vorbei für den Mars:

sie sollten nicht mehr auf die Erde hereindringen. Damit aber, daß der Mars eine solche Krisis durchgemacht hat, verändert sich auch für die Seelen, die da leben zwischen Tod und neuer Geburt, das­jenige, was sie durchzumachen hätten in der Mars-Sphäre nach dem Tode. Wenn der Mensch nämlich über die Sonnensphäre hin-auskommt, strahlen in sein Seelensein Kräfte ein, die schon für die nächste Inkarnation Bedeutung haben. Die Seele, die in den alten Zeiten, vor dem siebzehnten Jahrhundert durch die Mars-Sphäre durchgegangen war, die kam mit jenen Kräften in Berührung, die sie mit Mut und Tarkraft durchdrangen. Luzifer war der Führer zu den Quellen für Mut und Tatkraft. Aber die Seelen, die in späterer Zeit ankamen, konnten das Charakteristische nicht mehr finden:

Mars ging da durch seine Krisis. Da wo innerhalb der Mysterien die großen spirituellen Entscheidungen getroffen werden, da rech­net man nicht bloß mit dem Menschenleben zwischen Geburt und Tod, sondern auch mit seinem Heil und Unheil zwischen Tod und neuer Geburt; das heißt, man sieht in den Mysterien darauf, daß der geistigen Kultur der Menschheit diejenigen Dinge eingefügt werden, die bewirken, daß die Seelen nach dem Tode die verschie­denen Sphären richtig durchmachen können.

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Wenn wir begreifen wollen, urn was es sich hier in der Mars­Sphäre handelt, müssen wir folgendes betrachten. Es tritt eine große, entscheidende Sache vom zwölften Jahrhundert ab an die rosenkreuzerischen Mysterien heran dadurch, daß man sich fol­gendes sagen mußte. Es kommen für die Erdentwickelung ganz besondere Zeiten, die Zeiten der äußeren materiellen Kultur, der äußeren materiellen Triumphe. Gegen diese kann man sich zwar nicht wenden; obwohl sie nichts Geistiges bringen, muß man sie notwendig haben, diese Zeit der Maschinen, Luftschiffe und so wei­ter, aber sie bringen eine Art von Seelentod. Man kann sich nicht dagegen wenden, der Mensch muß sich da hineinleben. - Das mate­rialistische Zeitalter mußte kommen; nur war es immer die An­strengung höherer geistiger Wesenheiten, ein Gegengewicht zu schaffen gegen dieses materialistische Zeitalter. Wenn wir alles das betrachten, was in der Erdentwickelung als ein Gegengewicht zu­tage getreten ist gegen den Materialismus, haben wir die letzte, bedeutsamste Erscheinung in Franz von Assisi; jenem Franz von Assisi, der sich in seinem Franz-von-Assisi-Sein abwandte von allem äußeren Leben, der jenes Ihnen ja bekannte Dasein führte in Assisi, das so wunderbar von Giotto an die Wände der Kirche von Assisi gemalt ist, so daß heute, wo diese Gemälde schon so vielfach über­malt sind, uns das Leben doch noch so ergreifend von den Wänden herunterstrahlt. Und obzwar auch er eine Entwickelung nach dem Materialismus hin durchgemacht hat, so muß man doch sagen: es ist noch verbreitet in der Gegend um den Ort von Assisi herum die spirituelle Atmosphäre des Franziskus, jene Atmosphäre, die in sich aufgenommen hat die Elemente eines zwar weltfremden, aber seelenvertrauten Lebens nicht nur der Menschenseele, sondern ver­traut der Seele der Natur. Sie können in dem Zyklus über «Der Mensch im Lichte von Okkultismus, Theosophie und Philosophie» jene wunderbare Dichtung nachlesen, in der Franz von Assisi das ausströmte, was er empfand gegenüber der Seele der Natur und der Naturwesen. Man kann sagen, schönere Töne hat kein Dichter, so schöne Töne über das Naturdasein vielleicht nur Goethe wieder­gefunden. Woher kam das alles? Das kam alles davon, daß Franz

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von Assisi in seiner vorhergehenden Inkarnation, im siebenten, achten Jahrhundert in einer Mysterienschule, die in der Nähe des Schwarzen Meeres war, ein Schüler war einer Individualität, die nicht mehr in einer Inkarnation irn physischen Leibe verkör­pert war.

Es ist das eine merkwürdige Sache. Franz von Assisi hatte in seiner unmittelbar vorhergehenden Inkarnation in einer Mysterien-stätte gelebt, war mit anderen Schülern zusammen Schüler einer Wesenheit, die nur noch im Geistesleib unter den Schülern, zu denen auch Franz von Assisi gehörte, dazumal wirkte. Und dies war kein anderer als der Buddha, von dem wir wissen, daß er als Gautama Buddha zum letzten Mal verkörpert war. Er wirkte dennoch weiter im geistigen Leibe. Wir wissen, daß er noch als geistige Wesenheit der Geburt des Jesusknaben des Lukas-Evangeliums beigewohnt hat. Er hat weiter gewirkt in der Schule, in der Franz von Assisi in sei­ner vorhergehenden Inkarnation gelebt hat. Da hat dieser die Im­pulse seines seelenvertrauten Lebens aufgenommen, jenes Lebens, das die Menschen wegführen sollte von all dem, was gerade auf der Erde sich weiter verbreiten sollte, hinwegführen sollte von dem rein materiellen Leben. Und das ist in Franz von Assisi geblieben, das sehen wir nachwirken in der Franz-von-Assisi-Inkarnation. Aber es konnte nicht so kommen, daß auf der Erde in dem Zeitalter, das schon einmal die materialistische Mission hatte, viele Seelen sich etwa einer Franz-von-Assisi-Gemeinschaft anschlossen. Diejenigen konnten es nicht tun, die mit der Zeit fortzuschreiten hatten. So war gewissermaßen ein Zwiespalt geschaffen. Es konnte nicht kom­men, daß auf der einen Seite nur äußere, materielle Kultur war, auf der anderen Seite Bekenner des Franz von Assisi. So groß und gewaltig Franz von Assisi ist, so wenig konnte das für die späteren Zeiten taugen, was er als Regeln gegeben hatte. Wie konnte es nur kommen? Was mußte über die Erde kommen?

Das setzte man in bedeutsamen Perspektiven fest in den Rosen­kreuzermysterien seit dem zwölften Jahrhundert. Man sagte sich:

Der Mensch wird mit dem Erdenleib arbeiten müssen, wird sich hineinleben müssen äußerlich zwischen Geburt und Tod in das

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materielle Dasein, und er wird mitgehen müssen mit den Triumphen dieses materiellen Daseins. Aber die Möglichkeit muß geschaffen werden für jede Seele, die sich hineinlebt, sich befreundet mit dem materiellen Dasein, mit einem Teil ihres Wesens gleichsam Verständ­nis für das innerliche Erlebnis zu haben dessen, was im Franz-von­Assisitum liegt. - Darin besteht ja das Wesen des Fortschrittes der Seelen auf Erden, daß diese Seelen gleichsam zwei Naturen erhalten müssen, immer mehr, je weiter sie der Zukunft entgegengehen; daß wir mit unseren Seelengliedern die Impulse des Erdendaseins ergrei­fen und uns damit befreunden können; daß wir aber in uns auch Augenblicke und Stunden entwickeln müssen, in denen wir einsam hingegeben sein können dem Leben der Seele selber. Während wir weltfreundlicher und welrvertrauter werden, müssen wir zugleich Stunden haben, in denen wir seelenvertraut werden können. Wäh­rend wir auf der einen Seite dem Edison nachfolgen, müssen wir auf der andern Seite ganz still im Innern Schüler des Franz von Assisi oder seines großen Lehrers, des Buddha, werden können. Das muß jede Seele, wenn sie auch hineingestoßen ist ins materielle Leben, so fühlen können. Und darauf mußte vorbereitet werden in den Rosenkreuzermysterien. Christian Rosenkreutz hatte die Auf­gabe, dafür vorzusorgen.

Wie kann das geschehen? Dadurch nur, daß eine gewisse Zeit des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt für die Seele in einer ganz bestimmten Weise angewendet werden kann. Da sagte man sich in den Rosenkreuzermysrerien: Der Mars verliert sozusagen seine alte Aufgabe; geben wir ihm eine neue. - Mit dem Beginn des siebzehnten Jahrhunderts, um die Wende des sechzehnten zum siebzehnten Jahrhundert, wurde abgesandt der Buddha, der ohne­dies seine letzte Erdeninkarnation durchgemacht hatte, nach dem Mars, nach der Mars-Sphäre, und man kann sagen, indem man ganz richtig spricht: In jenem Zeitpunkt hat für den Mars der Buddha etwas Ähnliches vollbracht, wie - nur in einem größeren Maßstab - der Christus auf Erden im Mysterium von Golgatha vollbracht hat. Dasjenige, was vom Mars immer ausgegangen ist und was in seiner Wesenheit lag, hat dazumal der Buddha durch

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sein Opfer umgewandelt. Er hat die ganze Natur und Wesenheit des Mars umgewandelt. Für den Mars ist der Buddha der große Erlöser geworden. Es war ein Opfer für ihn. Sie brauchen sich nur zu erinnern, wie der Buddha aufgestiegen ist zu der Lehre, der Bot­schaft vom großen Frieden, vom harmonischen Dasein. Er wurde jetzt hinausversetzt in die planetarische Sphäre, aus der die Kraft des Aggressiven hervorgegangen ist. Er, der Friedensfürst, kreu­zigte sich gleichsam, wenn auch nicht durch das Mysterium von Golgatha. So wird etwas anderes in die Mars-Sphäre gebracht: der Mars wird von der Wesenheit des Buddha durchdrungen. Wie auf Erden die Substanz des Christus ausgeflossen ist von dem Myste­rium von Golgatha, so strömt aus auf die Mars-Sphäre die Friedens-substanz des Buddha und ist seitdem in der Mars-Sphäre.

So wurde innerhalb des Rosenkreuzermysteriums gesprochen. Durch die Aussendung des Buddha konnten die Menschenseelen zwischen Tod und neuer Geburt eine Zeitlang in der Sphäre des Mars leben, nachdem sie in der Sonnensphäre sich eingefunden hatten und bis dahin den Christus-Impuls getragen haben. Nach­dem die Seele dorthin eingetreten ist durch das richtige Durch­drungensein von dem Christus-Impuls und durch die Führung des Luzifer, kommt die Seele weiter hinaus in die Mars-Sphäre, und gerade in unserer Zeit tritt in der Mars-Sphäre dasjenige ein, was früher nicht hat eintreten können: es werden die Seelen durchdrun­gen von dem, was auf Erden nicht mehr erfolgen kann, durch­drungen von dem Buddha-Franz-von-Assisi-Element. Zwischen Tod und neuer Geburt kann jede Seele das durchmachen, wenn sie in entsprechender Weise vorbereitet ist, was wie in einem letzten Aufschwung im Seelenleben des Franz von Assisi sich ausgelebt hat auf Erden, was aber seither auf Erden nicht mehr eine rechte Heimat haben kann. Indem die Menschenseele die Sphäre des Buddha in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt auf dem Mars durchmacht, kann sie daselbst die Kraft aufnehmen, die sie zu dem befähigen wird, was eben gesagt worden ist: daß sie später durch eine neue Geburt in ein rein materielles Dasein treten kann, hineingeworfen sein kann in ein Erdendasein, welches immer materialistischer

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sein wird, aber dennoch Kräfte entwickeln kann mit einem andern Teil des Seelenwesens, um hingegeben zu sein der geistig-seelischen Welt. So liegt es mit den Geheimnissen, die sich verbergen zwischen Tod und neuer Geburt.

Dann verbreiten wir uns immer mehr und mehr in die Sternen-weiten hinaus zu Jupiter, Saturn und noch weiter hinaus. Was jetzt geschildert worden ist, das geht eigentlich nur mit den fortgeschrit­tensten Seelen vor sich. Seelen, welche sich nicht die Bedingungen jetzt erworben haben, sondern sie erst später erwerben werden, solche Seelen verbinden sich in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt nur mit den der Erde zu allernächst gelegenen Sphären. Die anderen Sphären machen sie auch durch, aber in einem gewissen schlafähnlichen, unbewußten Zustand. In den äußeren Sphären, in den Sphären außerhalb der Sonne, werden die Kräfte gesammelt, die der Mensch aufnehmen muß, damit er wieder arbeiten kann, indem er einer neuen Geburt zuschreitet, mitarbeiten kann am Aufbau eines neuen Leibes. Das was im Menschen ist, ist nicht bloß auf der Erde in ihn hereingekommen. Es ist die größte Kurz­sichtigkeit, wenn die Materialisten glauben, daß der Mensch ein Geschöpf der Erde sei. Wenn der Mensch sich so aufbaut mit den Kräften, die er mitbekommt, auferbaut im umfänglichsten Sinne, so sind in diesen Kräften des Aufbaues kosmische Kräfte, die der Mensch sich erst holen mußte. Indem er zwischen Tod und neuer Geburt sich erweitert bis zur Sonnensphäre, hat er immer noch zu tun mit den Kräften, die aus dem vorherigen Leben nachwirken. Die Kräfte, die er braucht, um das in die Erdensphäre hineinzu­arbeiten, was seinen physischen Leib vom Umkreis her konstruie­ren kann, das muß er aus den Kräften holen, die außerhalb der Sonnensphäre an ihn herantreten. Der Mensch muß sich wirklich zum Kosmos erweitern zwischen Tod und neuer Geburt, er muß mit dem Kosmos leben; denn auf Erden allein sind nicht die Kräfte da, welche den Menschen wirklich zustande bringen können. Aus dem Menschenkeim, der da entsteht durch das Zusammenwirken der beiden Geschlechter, würde niemals ein neuer Mensch ent­stehen können, wenn nicht folgendes geschehen würde.

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Da ist dieser kleine Menschenkeim. Mit diesem Menschenkeim verbindet sich etwas ungeheuer Großes und Bedeutsames, etwas, was sich zuerst verbreitet hat in geheimnisvoller Weise in unend­lichen Weltenweiten und was sich dann wieder zusammenzog. Nachdem der Mensch sich verbreitet hat bis zur Sternensphäre hin, beginnt er sich wieder zusammenzuziehen. Er geht durch die Saturn-, Jupiter-, Mars-, Sonnen-, Venus-, Merkur-, Mondsphäre durch, wird immer kleiner und kleiner. Und indem er kleiner wird, hat er in sich hereingenommen die geistigen Kräfte des Kosmos. Und immer kleiner und kleiner wird er. Und das, was da zuletzt komprimiert wird, zusammengedrückt wird als kleine geistige Kugel, das ist eben aus einer ungeheuren Verdünnung zusammengedrückt. Und dieses verbindet sich jetzt mit der physischen Kugel, die die Keimzelle ist, und befruchtet sie von den geistigen Reichen herein. So sehen wir, wie der Mensch durch die Geburt ins Dasein tritt.

Nachdem er durch den letzten Tod ging, verbreitete er sich in Weltenfernen hinaus, wurde gleichsam eine Riesenkugel. Geistig war er mit den geistigen Wesenheiten und Tatsachen zusammen; dann komprimiert er sich wiederum, wird immer kleiner und klei­ner, bis der Zeitpunkt gekommen ist, wo er sich durch die ihm innewohnenden Kräfte mit der physischen Materie verbindet. Was mit der menschlichen Keimzelle zusammen einen menschlichen Leib gestaltet, das ist aus dem Kosmos hereingeholt. Aus dieser menschlichen Keimzelle, auch wenn sie befruchtet ist, könnte, was okkult untersucht werden kann, nichts entstehen, das lebensfähig ist auf Erden, wenn sich nicht mit ihr diese zusammengepreßte Geist-Kugel verbinden könnte. Und was würde nur aus der Menschen-keimzelle entstehen? Aus dieser könnte nur die Anlage für die Sinne und das Nervensystem entstehen, aber nichts, was lebens­fähig ist. Die Sinne, das Nervensystem, zu ihnen kann die Erde die Kräfte hergeben. Dasjenige, was um sie herum gegliedert wird, das muß hereingeholt werden aus dem Kosmos. Und erst wenn einmal eine neue Wissenschaft begreifen wird die Vorgänge in der menschlichen Keimzelle nach Anleitung dieser okkulten Erkenntnis, wird dasjenige begreiflich sein, was jetzt einem klar

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denkenden Menschen in keiner naturwissenschaftlichen Darstel­lung verständlich sein kann. Ob Sie die geistvollen Auseinander­setzungen darüber bei Haecke/ lesen oder andere, Sie werden über-all finden, daß die Dinge nicht aus sich selbst heraus verständlich sind. Was man eben nicht weiß, das ist, daß sich ein Drittes mit dem verbindet, was von Vater und Mutter kommt. Das dritte kommt herein aus dem Kosmos.

Eigentlich weiß nur, oder heute kann man sagen, wußte nur eine gewisse Menschenklasse von diesem Geheimnis, aber das hört jetzt immer mehr und mehr auf. Die Kinder und ihre Ammen und Er­zieher, bei ihnen kommt oder kam es wenigstens zur Sprache, wenn sie davon erzählten, daß der Storch oder andere Wesenheiten etwas hereinbringen, wodurch die Menschen zur Welt kommen können. Das ist zwar nur ein bildlicher Ausdruck für einen geistigen Vor-gang, doch ist es gescheiter, als was heute die gescheiten Leute ver­treten. Aber es gilt für die heutige Zeit als aufgeklärt, die mensch­lichen Verhältnisse materialistisch zu erklären. Diese bildliche Dar­stellung sollte schon noch auf die kindlichen Seelen, auf ihre Imagination wirken! Freilich, die Menschen sagen: Die Kinder glauben jetzt nicht mehr an den Storch, weil diejenigen, die das Märchen erzählen, das selbst nicht mehr glauben. Aber diejenigen, die heute Anthroposophen werden, die glauben an das Bild des Storches, und sie werden bald finden, daß in diesen bildlichen Dar­stellungen etwas Gutes gegeben worden ist für die geistigen Vorgänge.

Damit haben wir die kosmische Seite des Lebens zwischen Tod und neuer Geburt betrachtet, übermorgen wollen wir mehr die menschliche Seite des praktischen Lebens berühren.

Jetzt aber wollen wir noch einer Sache gedenken. Kant hat ein­mal, man möchte sagen, so recht aus einer Ahnung heraus den bedeutsamen Ausspruch getan: « Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer Bewunderung und Ehrfurcht: der bestirnte Him­mel über mir und das moralische Gesetz in mir.» Der Ausspruch kann dem Okkultisten bedeutsam erscheinen. Denn was besteht für ein merkwürdiges Verhältnis zwischen dem gestirnten Himmel und dem, was in unserem Seelenleben als unser Bestes ist? Es ist beides

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ein und dasselbe. Wir erweitern uns zwischen Tod und Neugeburt bis über den gestirnten Himmel hinaus, und seine Kräfte bringen wir in das Leben herein und fühlen sie als die bedeutsamsten Kräfte unserer Seele. Kein Wunder, sind wir doch das äußere Abbild des­selben! Wir sehen hinauf zum gestirnten Himmel, wo wir waren zwischen Tod und neuer Geburt, und sehen das, was wir herein­genommen haben, in uns. Kein Wunder, daß wir uns verwandt fühlen mit dem, was da in uns lebt als Richtungslinien unseres Seelenlebens, und dem, was da aus dem gestirnten Himmel in uns hereinscheint und was wir kraften fühlen in uns, wenn wir an unser tiefstes Seelenleben appellieren. Eins ist der gestirnte Himmel mit uns und wir mit ihm, wenn wir unser gesamtes Dasein betrachten. -So müssen wir uns sagen, daß uns eine solche geisteswissenschaft­liche Betrachtung nicht nur dasjenige gibt, was wir Wissen, was wir Erkenntnis nennen können im gewöhnlichen Sinn des Lebens; sie gibt uns wirklich moralische Kraft und Rückhalt in dem Füh­len, daß das ganze Universum in uns lebt. Und stückweise sehen wir uns von diesem Universum durchdrungen werden, wenn wir das Leben zwischen Tod und Neugeburt durchgehen. Ja, es ist ver-bergen für den äußeren Blick, dieses Leben zwischen Tod und Neu-geburt; aber auch das ist verborgen, was in den Tiefen unseres Seelenseins uns antreibt, uns anstiftet. Und dennoch, es ist in uns, wirkt in uns und gibt uns unsere Kraft, dieses unser bestes Sein. Den Himmel tragen wir in uns, weil wir den Himmel durchleben, bevor wir in dieses physische Dasein eintreten. Die Verpflichtung fühlen wir dann, uns dieses Himmels würdig zu machen, der so viel für uns getan hat, daß wir ihm unser ganzes inneres Sein verdanken.

Davon dann übermorgen, wo wir das Leben mehr mensch­lich von einer solchen Seite betrachten werden, die mehr in die praktische Lebensbetätigung eingreift.

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DAS GEGENSEITIGE IN-BEZIEHUNG-TRETEN ZWISCHEN DEN LEBENDEN UND DEN SOGENANNTEN TOTEN Stuttgart, 20. Februar 1913 Zweiter Vortrag

Es wurde oft gesagt, daß Geisteswissenschaft, wenn sie sich ausbrei­ten wird, eingreifen soll in das Leben als eine wirkliche Lebens-macht. Und die verschiedensten einzelnen Betrachtungen über Lebenszusammenhänge können diese Behauptung erhärten. Da­durch schon, daß wir immer mehr und mehr die Eigentümlich­keiten jener unsichtbaren Welt kennenlernen, die der sichtbaren zu­grunde liegt, dadurch setzen sich in unseren Seelen Vorstellungen, Begriffe fest, welche wiederum der Antrieb sein werden zu einem ganz bestimmten Handeln, einem ganz bestimmten Verhalten im Leben. Von ganz besonderer Wichtigkeit wird das Verhalten sein, welches angebahnt werden kann gegenüber den sogenannten Toten, gegenüber denen, die also während unseres Lebens die Zeit zwi­schen Tod und neuer Geburt durchmachen.

Wie der Mensch hier im physischen Leibe in den mannigfaltig­sten Verhältnissen steht durch seine Seele und seinen Leib mit der physischen und der ihr zugrunde liegenden geistigen Umwelt, so steht der Mensch auch zwischen Tod und neuer Geburt mit den Tatsachen, Vorgängen und Wesenheiten der übersinnlichen Welt in den mannigfaltigsten Beziehungen. Und wie die Menschen eine Beschäftigung, eine Betätigung haben können in der physischen Welt zwischen Geburt und Tod, so haben sie auch Betätigungen, gewissermaßen Geschäfte zwischen Tod und neuer Geburt. Das­jenige, was wir da kennenlernen können über das menschliche Leben und über die menschliche Betätigung zwischen Tod und neuer Geburt, das wird immer mehr und mehr das herbeiführen, was man nennen kann Hinwegschaffen des Abgrundes, der sich insbesondere in unserer materialistischen Zeit auftut zwischen den hier auf Erden Lebenden und den Toten. Immer mehr und mehr wird das eintreten, was man nennen kann einen Verkehr, ein gegenseitiges

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In-Beziehung-Treten zwischen Lebendigen und sogenann­ten Toten.

Auf Einzelheiten sowohl in bezug auf diesen Verkehr zwischen Lebenden und Toten sei heute aufmerksam gemacht wie auch auf die Beschäftigungen und Lebensarten der Seelen, die zwischen Tod und neuer Geburt leben. Diejenigen, welche vor den Menschen hin­wegsterben, mit denen sie hier auf Erden in Beziehung gestanden haben, müssen ja in begreiflicher Weise oftmals zurückschauen von der geistigen Welt auf die Wesen, die hier als geliebte Wesen oder sonstwie zurückgeblieben sind im Erdenleben. Nun handelt es sich dann darum, ob solche zwischen Tod und neuer Geburt befindliche Seelen wahrnehmen können die Menschen, die hier zwischen Ge­burt und Tod leben. Wenn man die Fähigkeiten entwickelt hat, ein­zudringen in das Leben zwischen Tod und neuer Geburt, da macht man ganz besondere, man möchte sagen, erschütternde Erfahrun­gen. Da kann man zum Beispiel Seelen finden von Verstorbenen, welche zuweilen das Folgende sagen in der Sprache, die möglich ist zwischen den verstorbenen Seelen und dem Seher, und diesem, der von diesseits hineinschauen kann in die Welt der Verstorbenen, allein verständlich ist. In der folgenden Art machte sich zum Bei-spiel eine Seele nach dem Tode vernehmlich - es war eine Seele, die in ihrer letzten Inkarnation in einem männlichen Leibe verkör­pert war: Da gehen alle meine Gedanken und Erinnerungen zurück nach derjenigen Persönlichkeit, die meine traute Gattin ge­wesen war. Als ich drunten im Erdenleben war, war sie mir sozu­sagen der Sonnenschein des Lebens. Wenn ich nach beendeten Geschäften abends nach Hause kam, erlabte sich meine Seele an demjenigen, was sie mir sein konnte, was aus ihrer Seele damals in die meine kam. Eine rechte geistige Lebensnahrung war sie mir. Und die Sehnsucht nach ihr ist mir geblieben. Mein geistiges Auge richtet sich hinunter auf die Erde, und nicht kann ich sie finden, sie ist nicht da. Ich weiß ja nach all dem, was ich gelernt habe, daß diese Seele auf Erden wie früher in einem physischen Leibe sein muß, aber für mich ist sie wie ausgelöscht, wie nicht da.

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Diese erschütternde Erfahrung, man kann sie oftmals machen gegenüber Seelen, die zurückdenken an die Zurückgelassenen und die sich wie gefesselt fühlen, so daß sie nicht durchdringen können, nicht herunterschauen können zu diesen Seelen. Gefesselt sind sie nicht durch ihre eigene Wesenheit, vielmehr durch die andere Seele, die zurückgeblieben ist. Und wenn man das untersucht, woher es kommt, daß eine solche Seele des Jenseits nicht wahrnehmen kann die Seele, die noch auf Erden geblieben ist, dann erfährt man, daß diese zurückgebliebene Seele in sich durch die gegenwärtigen Zeit-verhältnisse nicht in die Lage gekommen ist, irgendwelche Gedan­ken aufzunehmen, in sich leben zu lassen, welche sichtbar, wahr­nehmbar werden können einer solchen Seele, welche durch die Pforte des Todes gegangen ist. Man könnte noch einen anderen Vergleich gebrauchen. Solche Seelen, die durch die Pforte des Todes gegangen sind und sich sehnen nach dem Anblicke derjenigen, die da zurückgeblieben sind in physischen Leibern, sie ahnen zwar, daß diese Seelen auf dem physischen Plane sind, aber sie können sich ihnen nicht kundgeben. Wie ein stummer Mensch sich nicht durch die Sprache kundgeben kann, so daß der andere nichts von ihm ver­nehmen kann, so bleibt die ganze Seele selber stumm dem, der sich nach ihr sehnt, in ihrer geistigen Wesenheit nicht vernehmbar dem, der schon durch die Pforte des Todes gegangen ist.

Es gibt einen großen Unterschied zwischen Seelen und Seelen hier auf Erden, je nachdem diese Seelen den einen oder anderen Inhalt haben. Nehmen wir eine Seele, die hier im physischen Leibe lebt und sich vom Aufwachen bis zum Einschlafen nur beschäftigt mit Vorstellungen, die der materiellen Welt entlehnt worden sind; eine solche Seele, die ganz ausgefüllt ist mit bloß der materiellen Welt entlehnten Vorstellungen, Begriffen, Ideen und Empfindun­gen, sie kann man von der anderen Welt her gar nicht wahrneh­men. Man merkt nichts von ihr. Eine Seele, die angefüllt ist mit spirituellen Vorstellungen, wie sie zum Beispiel die spirituelle Wis­senschaft gibt, die durchglüht und durchleuchtet ist von spirituellen Vorstellungen, sie ist wahrnehmbar vom Jenseits aus. Deshalb kön­nen solche Seelen, die zurückgeblieben sind, wenn sie auch noch so

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gute Menschen waren, wenn sie im Materialismus aufgehen, wesen­los und unwahrnehmbar bleiben für die jenseitige, für die andere Welt. Das gibt für den Seher, der gewiß Gelassenheit sich errungen hat, trotzdem erschütternde, furchtbare Eindrücke. Zahlreich aber sind diese Wahrnehmungen, die man der jenseitigen Welt gegen­über gerade in unserem Zeitalter machen kann. In unserem Zeit­alter ist es gerade, wie wenn jedes Verhältnis abgeschnitten würde zwischen den Seelen, die sich hier oftmals so nahe stehen. Wenn die eine Seele durch die Pforte des Todes gegangen ist, so nimmt sich die Sache oft so aus, während man immer finden kann, daß die Seelen, die jenseits leben, also durch die Pforte des Todes gegan­gen sind und herunterschauen auf solche, welche in sich, wenn auch nur ab und zu, spirituelle Gedanken hegen und durch die Seele ziehen lassen, diese nun wahrnehmen können, so daß diese Seelen für sie dableiben als reale Seelen. Noch bedeutsamer ist, daß das­jenige praktisch werden kann, um was es sich da handelt. Nicht wahrnehmen nur, sondern verstehen können die Seelen im Jenseits die spirituellen Gedanken, welche die Seelen hier hegen. Und da­durch kann das zustande kommen, was so wichtig werden kann für den Verkehr der diesseitigen mit den jenseitigen Seelen: nämlich das, was man nennen kann Vorlesen den Toten. Und solches Vor­[esen den Toten ist oftmals außerordentlich wichtig.

Auch da kann der Seher die Erfahrung machen, daß Menschen, die sich hier gar nicht bekümmert haben um irgendwelche spiri­tuellen Weistümer, dann, nachdem sie durch die Pforte des Todes geschritten sind, eine starke Sehnsucht haben nach solchen spiri­tuellen Weistümern, sie hören wollen. Wenn dann die Seelen, die hier zurückgeblieben sind, den Toten sich vorstellen und in Gedan­ken, durchaus nicht laut, irgendwelche spirituelle Gedankengänge durchgehen oder geisteswissenschaftliche Bücher aufschlagen und in Gedanken lesen, vorlesen dem Toten, den sie sich geistig vor Augen hinstellen, dann vernimmt das der Tote. Wir haben gerade in unserer Bewegung auf diesem Gebiet die allerschönsten Erfolge aufzuweisen dadurch, daß lebendgebliebene Freunde ihren hin-gestorbenen Angehörigen vorlesen. Man kann oftmals sehen, wie

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diese Toten lechzen nach dem Vernehmen dessen, was von hier aus zu ihnen hinaufdringt. Namentlich in den ersten Zeiten nach dem Tode ist eines notwendig, damit man in ein Verhältnis kommen kann mit einer Seele.

Man kann nicht so ohne weiteres mit jedem beliebigen Wesen in ein Verhältnis kommen. Da gibt es viel Täuschung, viel Blend­werk; es ist nicht so leicht. Wenn man glaubt, daß ein Mensch nur zu sterben braucht, um sozusagen mit der ganzen geistigen Welt in Berührung zu kommen, so ist das ein großer Irrtum, ein ganz großer Irrtum. - Es war mir einmal ganz besonders aufgefallen, wie ein Mensch, der eigentlich sonst nicht gerade das Pulver erfun­den hatte, aber immerfort von Kant, Schopenhauer und so weiter sprach, auch Vorträge hielt über Kant und Schopenhauer, mir, als ich Vorträge hielt über das Wesen der Unsterblichkeit, in einer etwas selbstgefälligen Weise erwiderte: Über die Unsterblichkeit können die Menschen doch hier auf Erden nichts wissen, da wir das erst erfahren, wenn wir gestorben sind. - Man könnte ihm sagen:

so wie er veranlagt ist, wird er sich nicht besonders unterscheiden in bezug auf seine Seele nach dem Tode und jetzt. Das ist ein voll­ständiges Vorurteil, daß man glaubt, daß die Seelen gleich ganz weise sind, wenn sie durch die Pforte des Todes durchgegangen sind. Im Gegenteil, wir können nach dem Tod nicht ohne weiteres Verhältnisse anknüpfen zu Wesenheiten, wenn wir sie nicht hier vor dem Tode angeknüpft haben. Diese Verhältnisse, die hier an-geknüpft werden, wirken lange fort. Das gibt es nicht ohne wei­teres, daß eine Seele sich von jenseitigen Seelen sofort unterrichten lassen kann: weil sie keine Beziehungen zu ihnen haben kann. Be­ziehungen aber hat der Mensch zu Wesen diesseits, und die kön­nen ihm die Labe bringen, wonach er lechzt, die können ihm die spirituelle Weisheit bringen, indem sie den Toten vorlesen, und können ungeheuer verdienstvoll wirken dadurch. Ihnen äußere, materialistische Wissenschaft vorlesen, etwa Chemie oder Physik, das hilft nichts, das ist eine Sprache, die sie nicht verstehen, weil diese Wissenschaften nur für das Erdenleben Wert haben. Aber dasjenige, was über die spirituellen Welten als eine Sprache gesprochen

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wird in der Geisteswissenschaft, das bleibt den Toten verständlich.

In den ersten Zeiten nach dem Tode ist allerdings eines zu be­rücksichtigen: da bleibt den Seelen dasjenige verständlich, was in den Sprachen, die sie gewöhnlich gesprochen haben hier auf Erden, erklingt. Und erst nach einiger Zeit werden die Toten von der Sprache unabhängig; dann kann man ihnen in jeder beliebigen Sprache vorlesen; sie vernehmen den Gedankeninhalt. In der ersten Zeit nach dem Tode ist der Mensch auch mit der Sprache verbun­den, die er zuletzt gesprochen hat, wenn er ausgesprochenermaßen eine Sprache gesprochen hat. Das sollte man schon berücksichtigen, daß man den Toten in der ersten Zeit wirklich vordenkt - denn man denkt ihnen vor, ein Vordenken ist gemeint - in der Sprache, die ihre gewohnte Sprache ist.

Da sind wir gleich bei einem Kapitel, meine lieben Freunde, das uns lehren kann, wie der Abgrund überbrückt wird dadurch, daß Anthroposophie in unser geistiges Leben einfließt hier in dieser Welt und in der anderen Welt, in der Welt, in der wir leben zwi­scheu Tod und neuer Geburt. Während der Materialismus nur gestattet einen Verkehr ins Leben zu führen zwischen Seelen, die in ihrem Erdenleben eingeschlossen sind, wird die Anthroposophie die Bahn frei machen für ein freies Kommunizieren, einen Verkehr zwischen den Seelen, die hier sind, und den Seelen, die in der anderen Welt drüben sind. Die Toten werden mit uns leben. Und es wird wirklich nur wie eine Art Änderung der Lebensform nach und nach empfunden werden, was man da nennen kann das Durch-gehen durch die Pforte des Todes. Und von großer Bedeutung wird die ganze Veränderung des Seelen- und des geistigen Lebens sein, die dann eintritt, wenn solche Dinge allgemein werden.

Das war ehen ein Beispiel, wie die Lebenden auf die Toten wir­ken. Wir können uns auch Vorstellungen davon bilden, wie wieder­um die Toten auf die Lebenden zurückwirken. Ich durfte schon öfters davon sprechen - verzeihen Sie, wenn die Rede auf das Per­sönliche kommt -, daß ich in verflossenen Zeiten viele Kinder zu unterrichten hatte. Ich hatte eine Reihe von Kindern zu unterrichten

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in einer Familie, bei denen nur die Mutter vorhanden war; der Vater war gestorben, und es war mir immer darum zu tun - das ist es eigentlich, worum es sich bei dem Erzieher handeln muß -, die Anlagen und Fähigkeiten der Kinder herauszubekommen, um sie in richtiger Weise erziehend und unterrichtend zu führen. Bei den Kindern, von denen ich jetzt sprechen will, blieb immer etwas un­verständlich, was man auch versuchte: es zeigte sich ein gewisses Verhalten der Kinder, das nicht aus den Anlagen und nicht aus der Umgehung folgte; man konnte damit nicht recht fertig werden. Man muß ja in einem solchen Falle alles zu Hilfe rufen; und da ergab ein spirituelles Nachforschen das Folgende: Der Vater war gestorben und durch die besonderen Verhältnisse, die siCh hier in der Verwandtschaft zugetragen hatten, war er nicht einverstanden mit dem, was die Verwandten mit den Kindern machten, auch nicht mit dem, was in der engsten Familie geschah, und durch besondere Verhältnisse wirkte er herein auf die Kinder. Und erst von dem Augenblicke an, als ich damit rechnen konnte, daß es etwas Beson­deres gibt, was weder aus den Anlagen folgte noch aus der Um­gebung, sondern was aus der übersinnlichen Welt kam von dem verstorbenen Vater, der in die Seelen der Kinder hinein seine Kräfte richtete, erst von da an konnte man sich danach richten. Jetzt mußte man damit rechnen, was der Vater eigentlich wollte. Und in dem Augenblicke, als man erforschen konnte, was der Vater, der durch die Pforte des Todes gegangen war, wollte, und als man ihn als eine reale Persönlichkeit betrachtete wie die anderen physischen Persönlichkeiten, die da mitwirkten für die Kinder, da kam man zurecht.

Das ist ein solcher Fall, wo sich klar und deutlich zeigte, daß spirituelles Wissen einem zeigen kann, einem weisen kann das Hereinwirken der Kräfte aus der übersinnlichen, geistigen Welt in diese physische Welt. Aber um so etwas wahrzunehmen, braucht man den richtigen Zeitpunkt. Man muß zum Beispiel versuchen, eine Art Kraft zu entwickeln, welche es einem möglich macht, das Hereinleuchten der übersinnlichen Kraft gleichsam wahrzunehmen, also in diesem Falle des Vaters in die kindliche Seele herein. Das ist

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oftmals schwierig. Ein leichtes Mittel wäre ja zum Beispiel, wenn man versuchen wollte zu erkennen, wie der tote Vater gerade dieses oder jenes in die Seele des Kindes hineinsenken will, nach den Ge­danken des Vaters. Das stellt sich aber nicht immer als richtig her­aus, kann vor allem auch nicht immer von neuem geschehen. Da erweist sich als ein gutes Mittel, wenn man sich ein Bild verschafft von dem Aussehen, der Art, wie der Vater in der letzten Zeit aus­gesehen hat; wenn man sich ein deutliches Bild von seinen Schrift­zügen einprägt und dieses ins Auge faßt und sich so präpariert für einen Unterricht, wie er hier gemeint ist, indem man sich konzen­triert auf Schrift oder Bild: dann nimmt man in das, was man selber zu arbeiten hat, die Ansichten, die Intentionen, die Ziele des Toren auf. Man wird einmal rechnen mit dem, was die Toten wollen für die Zurückgebliebenen. Wir können heute nur mit dem Willen derjenigen rechnen, die auf dem physischen Plan sind. Ein gegen­seitiger, man möchte sagen freier Verkehr wird stattfinden zwischen Lebenden und Toten. Man wird lernen das zu erforschen, was die Toten wollen für den physischen Plan. Malen Sie sich einmal die große Umwälzung aus, man möchte sagen, auch der Äußerlich­keiten des irdischen Lebens, wenn also die Toten ihren Anteil haben werden und durch die Lebenden hereinwirken werden auf den physischen Plan. Geisteswissenschaft wird eben, wenn sie rich­tig verstanden wird, und sie muß immer richtig verstanden werden, nicht eine bloße Theorie sein, Geisteswissenschaft wird immer mehr ein Lebenselixier werden, das eingreift in das ganze Dasein, um­gestalten wird das ganze Dasein, je mehr sie sich ausbreiten wird. Und sie wird das sicher tun, denn sie wird nicht wirken wie ein abstraktes Ideal, das gepredigt wird, das durch Vereine vertrieben wird. Sie wird, langsam zwar, aber sicher, die Seelen ergreifen und die Erdenseelen umgestalten.

Aber auch manches andere wird sich in unseren Vorstellungen bereichern. Wir werden in ganz anderer Weise in unserem Dasein zusammenleben mit den Toten, weil wir verstehen werden, was die Toten tun. Vieles bleibt eben zunächst recht unverständlich in dem Zusammenhang zwischen der Welt hier auf Erden, dem physischen

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Plan, und der Welt, die wir durchleben zwischen Tod und neuer Geburt; denn unverständlich bleibt vieles, was hier in der phy­sischen Welt geschieht. Und da alles dasjenige, was hier geschieht, in Korrespondenz steht mit dem, was drüben geschieht, so bleibt auch unverständlich das Verhältnis der Welt und der Menschheit zu den übersinnlichen Welten. Aber indem Geisteswissenschaft richtig aufgefaßt wird, wird an die Stelle des Nichtverstehens auf diesem Gebiete immer mehr das Verstehen treten.

Nun soll ein Zusammenhang erörtert werden, der zeigen kann, wie merkwürdig verschlungene Wege die Wesen gehen, die sozu­sagen die Weiterentwickelung der Weltenweisheit vollführen. Merkwürdig verschlungene Wege haben diese Wesen, aber den­noch, wenn wir sie verfolgen, so erweisen sie sich in allen Punk­ten weisheitsvoll. Wir werden verschiedene Verhältnisse ins Auge fassen. Fassen wir zunächst einmal ins Auge Seelen, die wir zwi­schen Tod und neuer Geburt mit dem Seherauge schauen können in ihrer Beschäftigung. Da sehen wir - das ist wiederum für den Seher etwas Erschütterndes - viele Seelen, die eine gewisse Zeit zwischen Tod und neuer Geburt verurteilt sind, Sklaven zu werden der Geister, die da hereinsenden in das physische Leben Krankheit und Tod. Da sehen wir also Seelen zwischen Tod und Neugeburt, welche in das Sklavenjoch gespannt sind derer, die wir die ahri­manischen Geister oder die Geister der Hindernisse nennen, also derjenigen, die auf Erden am Tode schaffen, und derjenigen, die Hindernisse ins Leben bringen. Das ist ein hartes Los, das der Seher beobachtet bei manchen Seelen, wenn sie sich so in das Sklavenjoch beugen müssen. Wenn man solche Seelen dann zurückverfolgt bis ins Leben, das sie geführt haben, bevor sie durch die Pforte des Todes gegangen sind, so findet man, daß die Seelen, welche dienen müssen eine gewisse Zeit nach dem Tode den Geistern des Wider­standes, sich das durch die im Leben entwickelte Bequemlichkeit bereitet haben. Und die Sklaven der Geister von Krankheit und Tod haben sich das dadurch zubereitet, daß sie Gewissenlosigkeit vor dem Tode entwickelt haben. Da sehen wir also ein gewisses Verhältnis von Menschenseelen zu den bösen Geistern von Krankheit

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und Tod, den bösen Geistern der Widerstände. Aber jetzt schauen wir weiter auf folgende Sache: jetzt schauen wir auf die Seelen, die hier auf Erden befallen werden von dem, was solche Seelen tun müssen. Sehen wir uns die Seelen an, die hier auf Erden in der Blüte des Lebens hinsterben, ohne daß sie den Alterstod ster­ben können. Sehen wir die Seelen, die hier auf Erden von Krank­heit befallen werden, die vom Unglück verfolgt werden, wie sich ihnen Hindernisse über Hindernisse auftürmen. Was bemerkt der Seher, wenn er solche Seelen verfolgt, die frühzeitig sterben oder von Unglück verfolgt werden und eingehen in die geistige Welt? Was merkt der Seher bei solchen Seelen? Man kann merkwürdige Erfahrungen machen in menschlichen Erdenschicksalen. Immerhin wollen wir auf ein Biespiel hinweisen, das zu den ergreifenden Erdenschicksalen gehört, und was sich immerhin zutragen kann.

Ein Kind wird geboren; die Mutter stirbt während der Geburt des Kindes; das Kind wird schon bei der Geburt Waise gegenüber der Mutter. Der Vater hört am Tage der Geburt des Kindes, daß sein ganzes Vermögen, das auf ein Schiff gesetzt war, welches über das Meer fuhr, verlorengegangen ist; er hört, daß das Schiff Schiff­bruch gelitten hat, er wird darüber melancholisch, stirbt auch, das Kind ist ganz verwaist. Das kleine Mädchen wird angenommen von einer wohlhabenden Dame. Sie hat das Kind sehr gern, ver­macht ihm ihr großes Vermögen. Die Dame stirbt, als das Kind noch verhältnismäßig jung ist. Man prüft das Testament, es findet sich ein Formfehler: keinen Pfennig bekommt das Kind von dem, was ihm vermacht worden ist. Es ist zum zweiten Mal völlig mittel­los in die Welt hinausgestoßen und muß sich als Magd verdingen, muß niedrige Dienste tun. Es verliebt sich in sie ein Mann, aber es ist den beiden unmöglich, zusammenzukommen wegen der Vor­Lirteile, die in der Gemeinschaft herrschen: sie sind verschiedenen Glaubens. Aber der Mann hat das Mädchen sehr gern, so daß er verspricht, sobald sein Vater stirbt, der schon sehr alt ist, werde er zu ihrem Glauben übertreten. Er geht in die Fremde; da hört er, daß sein Vater krank geworden ist. Sein Vater stirbt; er tritt zum Glauben des Mädchens über, und während er hineilt zu dem Mädchen,

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ist das Mädchen krank geworden und gestorben. Wie er zurückkommt, ist sie tot. Er empfindet tiefsten Schmerz und kann nicht anders, als das Grab öffnen zu lassen, um sie noch einmal zu sehen. Und aus der Lage des Leichnams findet man, daß das Mäd­chen scheintot begraben worden ist. - Es ist das eine Sage - Hamer­ling hat sie wiedererzählt in seinen Werken -, es ist eine Sage, die nicht wahr ist, aber es kann hundertfältig so sein. Wir sehen, daß eine Menschenseele nicht nur hinstirbt in der Blüte der Jahre, sondern wir sehen sie von Unglück verfolgt von Anfang an, in gewisser Weise. Bei der Herausarbeitung solcher Verhältnisse arbeiten die­jenigen Seelen mit, die durch Gewissenlosigkeit die Diener werden der bösen Geister von Krankheit, Tod und Ungemach. So müssen solche gewissenlose Seelen an der Herbeiführung solcher schwerer Schicksale arbeiten: das ist ein Zusammenhang! Dem Seher zeigt sich das ganz besonders bei einer solchen Sache wie zum Beispiel der Titanic-Katastrophe. Untersuchen wir da, wie da gewirkt haben die Seelen, die durch Gewissenlosigkeit die Diener geworden sind dieser Geister von Krankheit und Ungemach. Karma muß sich ja vollziehen, die Dinge sind notwendig, aber es ist doch ein schlim­mes Schicksal, in das diese Seelen verstrickt sind, die nach dem Tode gebannt sind in solches Sklavenjoch. - Aber fragen wir uns weiter: Was ist es mit den Seelen, die hier auf Erden ein solches Schicksal erfahren, die hier auf Erden in der Blüte ihrer Jahre hin-sterben, die frühzeitig von Seuchen hinweggerafft werden? Wenn diese durch die Pforte des Todes in die geistige Welt zur Unzeit gehen, was ist es mit diesen Seelen?

Das Schicksal dieser Seelen erfahren wir, wenn wir mit dein Seherauge eindringen sozusagen in die Beschäftigung der Geister, welche die Erdentwickelung oder überhaupt die Entwickelung vor­wärts geleiten. Diese Wesenheiten der höheren Hierarchien haben gewisse Kräfte, gewisse Mächte, um die Entwickelung vorwärtszu-rücken; aber sie sind in diesen Kräften und Mächten in einer gewis­sen Weise beschränkt. So ergibt sich zum Beispiel das Folgende. Den ganz materialistischen Seelen, die alle Gesinnung für die über-sinnliche Welt verlieren, denen droht eigentlich schon in diesem

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unserem Zeitalter eine Art von Untergang, eine Art von Abschnü­rung aus der fortgehenden Entwickelung. Und es ist in gewisser Weise schon in unserem Zeitalter für einen großen Teil der Men­schen die Gefahr vorhanden, daß sie nicht mitkommen können, weil sie sozusagen durch ihre eigene Seelenschwere, indem sie ganz materialistische Seelen sind, festgehalten werden auf Erden und nicht mitgenommen werden zur nächsten Verkörperung. Aber diese Gefahr soll nach dem Ratschluß von höheren Hierarchien ab­gelenkt werden. In Wahrheit verhält es sich so, daß eigentlich erst im sechsten Zeitraum und zuletzt eigentlich gar erst während der Venus-Entwickelung die Entscheidungsstunde schlägt für die Seelen, die, sich ganz abschnürend, von der Entwickelung nicht mitgenom­men werden. Es sollen im Grunde genommen die Seelen jetzt noch nicht soweit in die Schwere verfallen, daß sie zurückbleiben müs­sen. Das ist ja wohl so nach dem Ratschluß der höheren Hier­archien, daß dies nicht geschehen soll. Aber diese Wesenheiten der höheren Hierarchien sind in gewisser Weise beschränkt in ihren Kräften und Fähigkeiten. Unbeschränkt ist nichts, auch nicht unter den Wesenheiten der höheren Hierarchien. Und wenn es nur an­käme auf die Kräfte dieser höheren Hierarchien, so müßten ganz materialistische Seelen jetzt schon durch sich selbst in gewisser Weise von der fortlaufenden Entwickelung abgeschnürt werden. Durch sich selber können diese Wesenheiten der höheren Hier­archien eigentlich diese Seelen nicht retten; da wird ein Auskunfts­mittel genommen. Die Seelen nämlich, die hier eines frühzeitigen Todes sterben, haben ja als Seelen eine Möglichkeit vor sich. Sagen wir, sie sterben durch irgendeine Katastrophe, zum Beispiel ein Schnellzug überfährt sie: dann wird ja einer solchen Seele die Hülle genommen; sie ist jetzt leibfrei, leib-entblößt, aber sie hat durchaus noch all die Kräfte in sich, die hier auf Erden im Leibe wirken könnten. Indem solche Seelen in die geistige Welt hinauf gehen, bringen sie noch ganz besondere Kräfte mit hinauf, die eigentlich noch hier auf Erden wirksam sein könnten, die hier aber vorzeitig abgelenkt worden sind. Das sind besonders verwendbare Kräfte, welche diese Frühverstorbenen hinaufbringen. Und diese Kräfte

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benutzen nun die Wesenheiten der höheren Hierarchien, um die­jenigen Seelen zu retten, die sie durch eigene Kraft nicht retten könnten.

Materialistisch gestimmte Seelen werden dadurch in bessere Zei­ren hinweggeführt und gerettet, da ihre Kräfte nur für den regel­mäßigen Gang der Menschheitsentwickelung ausgerüstet sind. Ret­tung geschieht dadurch, daß diesen Wesenheiten der höheren Hier­archien Zuwachs geschieht an Kraft von solchen unverwendeten Kräften, die von der Erde herkommen, die noch in sich Energie-spannungen haben, welche unverwendet blieben. Diese Kräfte wachsen den Wesenheiten der höheren Hierarchien zu. So helfen die Seelen, die frühzeitig zugrunde gehen, ihren Mitmenschen, die sonst im Morast des Materialismus versinken würden. Da haben wir dasjenige, was Seelen zu tun haben, die in frühzeitiger Weise dahinsinken. Merkwürdige Zusammenhänge, nicht wahr, in den komplizierten Wegen der Weltenweisheit! Da wird von der Welten­weisheit zugelassen auf einer Seite, daß Menschenseelen durch Ge­wissenlosigkeit verurteilt werden, mitzuarbeiten, daß Krankheit, frühzeitiger Tod in die Welt hereinkomme - die Seelen, die davon betroffen werden, werden von guten Wesenheiten der höheren Hier­archien verwendet, um anderen Menschen zu helfen. So wird also, was äußerlich in der Maj a als Böses erscheint, oftmals ins Gute geleitet, aber auf komplizierten Wegen. Die Weisheitswege sind sehr kompliziert, die da eingeschlagen werden in der Welt. Man lernt nur allmählich sich hindurchzufinden durch diese Weisheits­wege. Man möchte sagen: Da halten Rat oben die Geister der höhe­ren Hierarchien. Weil die Menschen frei sein müssen, lassen sie ihnen die Möglichkeit, in den Materialismus, in das Böse zu ver-sinken. Sie geben ihnen so viel Freiheit, daß sie ihnen gleichsam entschlüpfen, diese Menschenseelen, die sich so durch ihre eigene Kraft nicht bis zu einem gewissen Zeitpunkt hinbringen könnten. Sie brauchen Seelen, die auf Erden Kräfte entwickeln, die dann durch den frühzeitigen Abfall vom Leib in Spannung bleiben, wenn sie in die geistige Welt zurückgehen müssen durch frühzeiti­gen Tod und Unglück. Daß diese eintreten können, dazu müssen

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wiederum die Dienste geleistet werden von den Menschenseelen, die infolge ihrer Freiheit in Gewissenlosigkeit versunken sind. Ein wunderbarer zyklischer Weg eröffnet sich da; man darf sagen, auch ein zyklischer Weg der Weltenweisheit Man darf durchaus nicht glauben, daß das sogenannte Einfache das Universelle ist. Die Welt ist kompliziert geworden. Es war immerhin ein bedeutsames Wort Nietzsches, das sich ihm ergeben hat wie durch Inspiration, als er sagte: « Die Welt ist tief, und tiefer als der Tag gedacht. » - Die­jenigen Menschen, die da glauben, daß alles durch die Tagesweis­heit des Verstandes begriffen werden könne, die irren sich ganz gewaltig. Denn das höhere geistige Licht ist nicht dasjenige, das in die Tagesweisheit hineinscheint, sondern dasjenige, das in die Fin­sternis hineinscheint. Wir müssen dieses Licht suchen, damit wir in den Finsternissen, in denen doch die Weltenweisheit waltet, uns zurechtfinden können.

Wenn wir solche Begriffe, Ideen und Gedanken aufnehmen, meine lieben Freunde, dann ist es so, daß wir eben mit anderen Augen die Welt anschauen als vorher. Und das wird immer mehr nötig werden, daß man mit anderen Augen die Welt anschauen lernt; denn die Menschheit hat ja manches verloren seit alten Zei­ten. Was sie verloren hat, davon kann man sich einen Begriff machen, wenn man das Folgende bedenkt. Noch in der dritten nachatlantischen Kulturperiode gab es oft solche Zwischenzustände zwischen Schlafen und Wachen, wo diese Seelen hineinschauten in die Sternenwelt und nicht bloß physische Sterne sahen wie jetzt, sondern wo die geistigen Wesenheiten der höheren Hierarchien, die Lenker und Leiter des Sterngeschickes und der Sternbewegung von ihnen wahrgenommen wurden. Und was da als alte Stern-karten vorhanden war aus uralten Zeiten, wo noch allerlei Grup­penseelenhaftigkeit gezeichnet wird, was tierähnlich aussah und doch nicht Tier ist, das ist nicht der Phantasie entsprungen, sondern das ist geistig geschaut. Die Seelen nahmen das wahr in dem Gei­stigen. Dieses Geistige konnten sie durch die Pforte des Todes tra­gen. Dieses Schauen des Geistes in die Welt des Übersinnlichen ist den Seelen verlorengegangen. Heute, wenn die Seelen geboren

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werden, treten sie der physischen Welt gegenüber durch ihre leib­lichen Sinnesorgane und sehen nur mehr das äußere Physische. Das­jenige, was das äußere Physische umspielt als das Geistig-Seelische in den Wesenheiten der höheren Hierarchien, das können sie nicht mehr schauen. Aber was sind denn das für Seelen, die da in den heutigen Leibern auftreten? Alle die Seelen, die hier sitzen, waren in früheren Zeiten verkörpert, und die weitaus meisten Seelen waren in ägyptisch-chaldäischen Leibern inkarniert und haben da durch diese Leiber hinausgeschaut in die Welt, in der sie auch geistig wahr­genommen haben. Dieses Geistige haben sie hereingenommen, es ist in den Seelen drinnen. Nicht in allen den Seelen; aber selbst die Seelen, die heute gar nichts mehr sehen als physische Tatsachen, sie lebten einstmals im Anschauen des Geistigen, sie lebten ein gan­zes Vorstellungsleben des Geistigen. Wie leben diese Seelen jetzt? Sie leben ganz genau so, wie wenn sie dieses Geistige total verges­sen hätten. So leben diese Menschen, daß sie die Vorstellungen ver­gessen haben, die sie damals aufgenommen haben. Was man ver­gessen hat, das ist nur für das Bewußtsein vergessen; es lebt in den tiefsten Untergründen der Seele. Da stellt sich das Eigentümliche heraus, daß die heute lebenden Seelen zwar bewußterweise nur ein physisch-sinnliches Weltenbild um sich herum haben; aber im Innern leben unbewußt in den Tiefen der Seele die Vorstellungen, die einstmals als wahres spirituelles Sehen aufgenommen worden sind. Von denen wissen die Seelen nichts, nur zeigen sie solche eigentümlichen Vorstellungen, die in den Seelentiefen wühlen, die nicht heraufkommen ins Bewußtsein; die wirken lähmend, tötend. Und so entsteht tatsächlich in den jetzigen Menschen etwas, was in ihnen ein tötendes Element ist.

Wenn man als Seher den heutigen Menschen betrachtet, wie er anatomisch aufgebaut ist, da findet man im jetzigen Menschen, namentlich im Nervensystem, gewisse Strömungen, gewisse Kräfte, die Todeskräfte sind und die herrühren von Vorstellungen, die in früheren Inkarnationen gelebt haben. Diese spirituellen Vorstel­lungen, die Menschen jetzt vergessen haben, haben etwas Auf­zehrendes. Das würde sich immer mehr zeigen, je mehr die Menschheit

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der Zukunft entgegengeht, wenn es nicht etwas geben würde, was dem entgegenwirkt. Was kann das nur sein? Nichts anderes, als daß man das, was vergessen worden ist, zur Erinnerung bringt. Man muß die Seelen erinnern an dasjenige, was sie vergessen haben. Das tut die Geisteswissenschaft. Sie tut im Grunde genommen nichts anderes, als daß sie an die Vorstellungen erinnert, welche die Seelen in früheren Erdenleben aufgenommen haben. Die Geistes­wissenschaft hebt diese Vorstellungen in das Bewußtsein herauf. Damit gibt sie den Menschen wieder die Möglichkeit, das zu beleben, was wie ein toter Einschlag im Leben wäre.

Nun beachten Sie diese zwei Dinge, die Sie im Laufe der heuti­gen Betrachtung erhalten haben. Der Seher nimmt auf der einen Seite Menschenseelen wahr, die durch die Pforte des Todes gegan­gen sind, die sich zurücksehnen nach den Seelen, welche zurück­geblieben sind, die sie nicht wahrnehmen können, weil in diesen Seelen, trotzdem sie vielleicht ganz guten Menschen angehören, nur materialistische Weltbilder existieren. Für den Seher ist es erschüt­ternd, auch wenn er Gelassenheit erworben hat, wenn er diese lechzenden Seelen wahrnimmt. Auf der andern Seite sieht der Seher hin auf eine Menschenzukunft, die immer mehr tote Einschlüsse in sich enthält, wenn sie nicht wieder belebt die Vorstellungen, die sie einstens aufgenommen hat und die sie töten, wenn sie nicht zum Bewußtsein kommen. Hinschauen müßte der Seher auf eine Zukunft, wo die Menschen - noch viel früher, als es heute der Fall ist, durch alles mögliche Vererbliche - Alterserscheinungen zeigen. Wie man schon jetzt kindliche Alters-, ja Greisenerscheinungen sehen kann, so würden die Menschen dann bald nach dem Geboren­werden Runzeln und sonstige Alterserscheinungen bekommen, wenn nicht belebende Kräfte durch die Geisterkenntnis auftreten würden, welche Erinnerungen sind an die einstens auf naturgemäße Weise aufgenommenen Vorstellungen. Um das ersterbende Men­schengeschlecht mit einem es belebenden Elixier zu versehen, um den Toten die Möglichkeit zu geben, mit ihren zurückgebliebenen Angehörigen in Verbindung kommen zu können, deshalb sucht der Seher, der sich dieser Tatsache bewußt wird, nach einer Sprache,

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die nicht nur verstanden wird hier auf Erden von den im physischen Leibe verkörperten Seelen, sondern die gemeinsam gesprochen wird von den Seelen, die hier leben zwischen Geburt und Tod, und denen, die drüben leben zwischen Tod und neuer Geburt: nach einer Sprache für Lebende und Tote.

Und wahrhaftig, es ist nicht, weil man bloße Sympathie emp­findet mit dem, was eine spirituelle Wissenschaft ist, solch theore­tische Sympathie wie mit anderen Dingen, das ist nicht maßgebend, sondern der wirklich Verstehende, der in die Welt hineinschaut, empfindet es als Weltenmission. Er sagt sich: Die Notwendigkeit liegt vor; daß die gemeinsame Sprache gefunden wird, daß das Lebenselixier gefunden wird, das die Menschen behütet vor dem Verdorren ihrer Vorstellungen. Dies ist die Mission der Geisteswis­senschaft für die spirituellen Welten selber. Man empfindet diese Mission als eine hohe, heilige Pflicht, als etwas sehr Ernstes und Bedeutsames. Und nicht nur Gefallen sollen wir finden an den Vor­stellungen, die uns diese Geisteswissenschaft zu unserer theoreti­schen Befriedigung geben kann, sondern empfinden sollen wir aus den Notwendigkeiten der Menschheits- und Weltentwickelung her­aus die geistige Macht, welche sie haben muß. Dann werden wir im rechten Sinne des Wortes empfinden, warum Geisteswissenschaft sein muß, warum sie dem Geistesleben der Menschheit eingepflanzt werden muß. Diese Empfindung müssen wir uns im Grunde ge­nommen aneignen, von ihr müssen wir uns durchdringen. Diese Empfindung hat eine sehr heilsame Kraft; sie gehört zu denen, welche die Menschenseele in eine wirkliche Harmonie ihrer Kräfte bringt. Das ist so. Je mehr dasjenige, wovon wir in unserem Ge­müte uns durchdringen lassen, angehört der Welt der übersinn­lichen Wahrheiten, desto innerlich geschickter werden die Empfin­dungen, um uns zu dirigieren im Leben, desto wesensvoller werden diese Empfindungen. Derjenige Mensch, dem die Geisteswissen­schaft bloß gefällt, der sie aus Neugierde oder irgendeinem ähn­lichen Grunde aufnimmt, der wird vielleicht von ihr einen recht schlechten Gebrauch machen im Leben. Derjenige aber, der durch­drungen ist von der oben charakterisierten Empfindung, jener heiligen

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Empfindung, die uns wird, weil wir wissen, daß Geisteswissen schaft sein muß aus inneren Notwendigkeiten heraus, der wird sich mit rechten Empfindungen ihr gegenüber auch ins Leben hinein­stellen. Er wird sich in den ernstesten und schwierigsten Lebens­lagen mit der Geisteswissenschaft wenigstens innerlich zurecht-finden können; vielleicht gerade dann zurechtfinden, wenn äußer­lich die größten Schwierigkeiten eintreten. Denn Geisteswissen­schaft ist eine Zukunftssache, sie ist heute in die Welt eingetreten, weil sie im umfassendsten Sinne, in umfassendster Weise der Menschheit dienen soll. Das bewirkt aber, daß die Menschen, welche gewissermaßen in den Tiefen ihrer Seelen Furcht haben vor den geistigen Welten, in ihrem Bewußtsein diese Furcht als Haß ausleben.

Verwandt sind mancherlei menschliche Gefühle miteinander, Ehrgeiz und Eitelkeit sind zum Beispiel verwandt mit der Furcht. Und auf komplizierte Art sind mancherlei Gefühle miteinander ver­wandt. Warum ist der Mensch ehrgeizig, eitel? Was heißt ehrgeizig, eitel sein? Ehrgeizig, eitel sein heißt: durch das Urteil seiner Um­gebung etwas gelten wollen und sich gefallen darin, durch dieses Urteil etwas zu gelten, Wollust zu haben durch dieses Urteil. Warum will man denn das? Man kann es aus verschiedenen Grün­den wollen. Heute aber ist die Zeit, wo sich die Menschen, wenn man in die tieferen Seelentiefen hinunterschaut bei ihnen, als ganz besondere Hasenfüße entpuppen. Menschen, die in ihrem äußern Bewußtsein sich manchmal ganz robust ausnehmen - in den Tiefen ihrer Seele sind sie Hasenfüße. Und sie suchen mancherlei Betäu­bungsmittel, wenn sie so rechte Furcht haben gegenüber den über­sinnlichen Welten. Das heißt, weil mancher den Boden unter den Füßen zu verlieren glaubt, wenn er in die geistigen Welten ein­dringt, deshalb überkommt ihn Furcht. Aber diese Furcht will er übertäuben - manchmal aus Angst vor der ernsten und würdigen Kraft, die er anwenden muß, um hineinzukommen in die geistigen Welten. Man hat schon manchen gesehen, der geglaubt hat, in vier Wochen in der geistigen Welt zu sein, aber da ergibt es sich, 0 schrecklichster der Schrecken, daß man in dieser Inkarnation auf Grundlage der Geisterkenntnis nicht mehr das werden kann, was

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man so gern möchte, nämlich ein berühmter Mann! Da verliert mancher die Freude, davor hat mancher Furcht, und über diese Furcht will er sich hinwegbetäuben, und da ersinnt er die von Haß und Eitelkeit durchdrungene Antipathie gegen diese Geisteswissen­schaft.

Diese Stimmung wird sich immer weiter verbreiten in der Gegen­wart, denn die innerlich feigen, äußerlich eitlen Seelen werden heute immer verbreiteter in der Welt. Und da kann es sich in der nächsten Zeit sehr wohl ergeben, daß noch viel mehr Haß, noch viel mehr Angriffe gegen die Geisteswissenschaft geschleudert wer­den, als dies schon geschehen ist. Da ist denn genügend Grund vor­handen, daß man in all diesen Dingen absolut klar sehe und klar empfinde, daß man trotz der charakterisierten Empfindungen Har­monie habe, gerade wenn es äußerlich oftmals scheinen will, daß alles schiefgehen kann. Klar und deutlich zu sehen, das wird not­wendig sein, wenn man auf dem Boden des Geisterkennens wird feststehen wollen. Denn in unserer heutigen Zeit wissen oftmals diejenigen, die am allerärgsten glauben, kritisch auftreten zu kön­nen, gar nicht, wovon sie reden. Es gibt Leute, die, sagen wir, Ar­tikel zu schreiben anfangen über die Geisteswissenschaft, fürchter­lich schimpfen über die Phantastik des Geistesforschers: was der alles ersinnen kann! In der zweiten Hälfte des Artikels kommen dann allerhand Angaben über den Autor, die alle erlogen sind, die nicht wahr sind. Eine wüste Phantasie herrscht in diesen Beschrei­bungen. Keiner, der in die übersinnlichen Welten hinaufsteigt, könnte eine solche Phantastik ersinnen wie derjenige, der im ersten Teile seines Artikels über die phantastische Geisteswissenschaft her­gezogen ist. So legen sich die Dinge um in der menschlichen Seele. Diejenigen, die da glauben, recht klar die Wahrheit sagen zu dür­fen, und die begabt sind mit einer gewissen unlauteren Phantasie über die Tatsachen des physischen Planes, betäuben sich, indem sie schimpfen über das, was übersinnlich erfaßt werden muß. So sucht die Menschheit nicht nur im Alkohol, sondern auch in allerlei an­deren Mitteln Betäubung. In mancherlei muß man klar sehen, und zum Klarsehen wird uns die spirituelle Weltanschauung Anleitung

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geben. Die allermannigfaltigsten Betäubungsmittel werden gesucht und auch gefunden, und sie werden gefunden aus dem Grunde, weil immer mehr und mehr recht dämonische Naturen in den verborge nen Tiefen der Menschenseelen wirken. Diese dämonischen Wesen werden schon nach und nach losgelassen werden gerade gegen das­jenige, was die Menschheit von der spirituellen Seite her befruchten soll.

Das ist etwas, was ich gerade in dieser Zeit, meine lieben Freunde, vor Ihre Seele als eine Art Zukunftsbild hinmalen möchte aus dem Grunde, weil es gut ist, daß wir uns in unserer Zeit erinnern, wie wir, wenn wir die Geisteswissenschaft und ihre Mission wirklich erkennen, durch diese Erregung der richtigen Empfindungen gegen­über dieser Geisteswissenschaft und ihrer Mission, uns fest und sicher auf den Boden stellen wollen, von dem aus wir in unserem Innern ruhig der Entwickelung in die Zukunft hinein zuschauen können, wenn wir auch vielleicht äußerlich immer mehr und mehr in Disharmonie hereingebracht werden können, immer mehr be­unrechtet werden können.

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DIE MISSION DES ERDENLEBENS ALS DURCHGANGSPUNKT FÜR DAS JENSEITS Frankfurt, 2. März 1913

Manche Menschen, ja viele Menschen gibt es heute noch, die sagen: Nun ja, es mag ein geistig-seelisches Leben nach dem Tode geben, aber wozu brauchen wir uns jetzt darum zu kümmern? Wir können ja einfach dieses irdische Leben führen mit alledem, was es gibt, mit allem, was es darbietet, und wir können warten, ob sich dann das andere Leben zeigen wird, wenn der Tod kommt!

Die Geisteswissenschaft zeigt uns aber, daß der Mensch in dem Leben zwischen Tod und Geburt gewissen Wesenheiten begegnet. Geradeso, wie er hier vielen Wesen der Naturreiche begegnet, so begegnet er dort den Wesenheiten der höheren Hierarchien und den mehr oder weniger elementaren Wesenheiten. Wenn ein Mensch ohne Urteilsfähigkeit durchs Leben geht, so kommt das daher, daß er zwischen Tod und Geburt den Wesenheiten nicht begegnen konnte, welche ihm die Kräfte hätten geben können, seine Kräfte so zu beleben, daß er moralisch und intellektuell tüchtig sein kann in diesem Leben. Nun aber hängt wieder die Möglichkeit und die Fähigkeit, gewisse Wesenheiten zu treffen zwischen Tod und Geburt, von dem letzten Leben ab. Wenn wir uns im Erdenleben nie beschäf­tigt haben mit Gedanken, die nach der geistigen WeIt hinaufgehen, mit Gedanken, die sich befassen mit dem Übersinnlichen; wenn wir ganz aufgegangen sind im letzten Erdenleben in der äußeren Welt, in der Welt der Sinne, wenn wir nur lebten in dem Verstande, so­weit er auf die äußere physische Welt gerichtet ist, dann machen wir es uns unmöglich, zwischen Tod und neuer Geburt an gewisse Wesenheiten heranzukommen und von ihnen Fähigkeiten für das nächste Leben zu bekommen. Es ist gewissermaßen das Gebiet drü­ben finster und dunkel für uns, und wir können die Kräfte der höheren Hierarchien in der Finsternis nicht finden. Der Mensch schreitet dann einher in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt,

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ohne die Wesenheiten zu beachten, von denen er Kräfte emp­fangen müßte für das folgende Erdenleben.

Und woher kommt das Licht, wodurch wir uns die Finsternis zwischen Tod und Geburt erleachten können? Woher nehmen wir dieses Licht? Zwischen Tod und neuer Geburt gibt uns niemand Licht. Die Wesenheiten sind da, und es handelt sich darum, daß wir mit ihnen zusammenkommen, dadurch daß wir uns im letzten Erdenleben das Licht selbst angezündet haben durch unsere Be­schäftigung mit der spirituellen Welt. Wir können nach dem Tode nicht mehr die Finsternis durchleuchten, wenn wir uns das Licht nicht mitgenommen haben, da wir durch die Pforte des Todes geschritten sind.

Wir sehen also daraus, wie unrichtig der Ausspruch ist, daß man sich hier nicht zu kümmern brauche um das spirituelle Leben, son­dern abwarten könne, was da kommt. Ja, wenn man abwartet, was da kommt, dann kommt eben die Finsternis.

Das Erdenleben ist also nicht etwa bloß ein Durchgangspunkt, sondern es hat eine Mission, es ist eine Notwendigkeit für das Jen seits wie das Jenseits für das Erdenleben. Die Leuchten für das jen­seitige Leben müssen von der Erde aus hineingetragen werden. So also kann es vorkommen, daß der Mensch hier stumpf bleibt gegen-über der übersinnlichen Welt, daß er vorbeitappt an der Möglich­keit, an den Fähigkeiten, sich Instrumente zu schaffen für sein näch­stes Leben.

Nun schreitet aber dann der Mensch neuerdings durch die Pforte des Todes nach einem Leben, innerhalb dessen er unzulänglich war in dieser oder jener Beziehung. Sie sehen, es bietet sich fast ein trost­loser Überblick. Würde gar nichts anderes eintreten, so müßte ja der Mensch immer unzulänglicher und unzulänglicher werden. Denn wenn der Mensch zuerst in einem Erdenleben durch ein will­kürliches Stumpfsein sich gegen die übersinnliche Welt verschlos­sen hat, so ist er im nächsten Leben noch weniger fähig, sich Organe zu bereiten. Und wenn nichts anderes käme, so müßte er sich so fortentwickeln. Also seine Entwickelung würde immer weiter ab­wärts gehen.

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Nun tritt aber dann etwas anderes ein. Wenn der Mensch durch ein willkürliches Stumpfsein über die Erde geht, dann tritt in dem Leben nach dem zweiten Erdenleben an ihn heran Luzifer mit sei­ner Macht. Der Mensch würde dann in einem nächsten Leben zwi­schen Tod und neuer Geburt, wenn Luzifer nicht an ihn heran­treten würde, erst recht in Finsternis tappen. Aber weil er durch­gegangen ist durch ein Leben wie das eben geschilderte, so kann Luzifer an ihn herantreten, und er beleuchtet ihm jetzt diejenigen Kräfte und Wesenheiten, welche er für das nächste Leben braucht. Die Folge davon ist, daß sie alle von dem Lichte des Luzifer gefärbt sind. Er tritt dann nach dem stumpfsinnigen Dasein und nachdem er von Luzifer geführt wurde durch das Leben zwischen Tod und neuer Geburt in ein neues Erdenleben ein: dann ist er ganz und gar mit Fähigkeiten begabt, die seine Organe so zubereiten, welche ihn überall den Versuchungen des Luzifer auf der Erde aussetzen.

Solch ein Mensch kann dann klug und verständig sein, aber sein Verstand wird kalt sein und berechnend, vor allen Dingen durch­drungen sein von Selbstsucht, von Egoismus. Dem Seher zeigt sich bei so vielen Menschen in der Welt, die eigentlich klug und ver­ständig sind, aber kalt und selbstsüchtig in ihrer Betätigung, so daß sie, wenn man mit ihnen zusammenkommt, einen übervor­teilen, damit sie selbst möglichst vorwärtskommen und sich in Szene setzen können, - es zeigt sich ihm bei der Betrachtung solcher Menschen, daß sie in ihrem früheren Leben in der geistigen Welt von Luzifer geführt waren und daß sie ein stumpfsinniges Leben in der vorhergehenden Erdeninkarnation geführt haben: ein Tappen in Finsternis in dem weiteren Leben, vorher ein willkür­liches Sichverschließen gegen die spirituelle Welt.

Und man muß sagen: Bei einer solchen Erkenntnis eröffnet sich einem eine traurige Perspektive für die materialistische Menschheit. Die Menschen, die in der Gegenwart materialistisch gesinnt sind und ablehnen die Beschäftigung mit der spirituellen Welt, die das Seelenleben als abgeschlossen betrachten durch den Moment des Todes, ihnen steht ein solches Leben bevor, wie ich es jetzt geschil­dert habe. Wir kommen aber nicht damit aus, daß wir nur in abstrakter

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Form dieses oder jenes zusammenspintisieren über den Zu­sammenhang der verschiedenen Leben, sondern der konkrete Über-blick zeigt uns die mannigfaltigsten Zusammenhänge zwischen vor­hergehenden und kommenden Erdenleben und den aufeinander-folgenden Leben im Geistigen. Daran müssen wir festhalten, daß das Erdenleben eine große Bedeutung hat für das Leben nach dem Tode.

Und so hat es dann auch noch eine andere Bedeutung. Es hat die Bedeutung, daß wir gewissen Wesenheiten nur eigentlich auf der Erde im vollen Sinne des Wortes so begegnen können, daß wir mit ihnen recht bekannt werden. Und zu diesen Wesenheiten gehört vor allen Dingen der Mensch selbst. Würde das Band von Mensch zu Mensch nicht geknüpft werden können auf der Erde, so würde es auch nicht im Geistgebiet geknüpft werden können. Die Vereini­gungen, die zwischen Mensch und Mensch bestehen, sind solche, daß sie sich hier bilden und sich dann in der geistigen Welt fort­setzen. Wir können sie aber nie bilden mit Menschenwesen, die irgendwie prädestiniert sind dazu, auf der Erde verkörpert zu sein, wenn wir auf der Erde die Gelegenheit haben sie kennenzulernen, sie aber nicht benützen; wir können nicht das hier Versäumte in der geistigen Welt ersetzen in der Zeit, die wir durchleben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt.

Nehmen wir einmal ein Beispiel: Gautama Buddha. Er war eine solche Menschenwesenheit, die in jenem Leben im sechsten Jahr­hundert vor unserer Zeitrechnung als Königssohn lebte und die im 29. Jahre aufgestiegen ist von der Bodhisattva-Würde zur Buddha­Würde. Das heißt: er ist ein Buddha geworden, und ein Buddha braucht sich nicht mehr in einem physischen Menschenleibe zu ver­körpern. Der Gautama-Buddha hat also dazumal sein letztes Erden-leben durchgemacht. Eine große Anzahl von Menschen trat damals auf der Erde mit dieser Wesenheit in Berührung. Auch in noch früheren Verkörperungen auf der Erde traten Menschen mit dem Bodhisattva in Berührung. Alle diese Verhältnisse können sich wie­derum fortsetzen in die geistige Welt hinein. Diejenigen, die hier auf der Erde mit dem Gautama Buddha in Berührung gekommen sind, können dieses Verhältnis, das sich zwischen ihnen und dem

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Gautama Buddha, etwa wie das eines Schülers zum Lehrer, an­gesponnen hat, in die geistige Welt hinein fortsetzen. Aber es gab Seelen im Verlauf der Erdenentwickelung, die nie zu dem Gautama Buddha auf Erden ein Verhältnis gewonnen haben. Diese Seelen können, auch wenn sie eine noch so besondere Reife erlangt haben würden, nun nicht mehr in der geistigen Welt so ohne weiteres mit dem Gautama-Buddha, mit der Seele, die damals im Gautama Buddha verkörpert war, in Berührung kommen. Nur, in bezug auf den Gautama-Buddha tritt eine Art Ersatz ein; es tritt etwas für ihn ein, was wie ein Ersatz wirkt, wenn man zu ihm nicht auf der Erde in eine gewisse Berührung gekommen ist. Denn der Buddha hat ein ganz besonderes Schicksal durchgemacht, nachdem er Gautama Buddha war und nicht mehr zurückzukehren brauchte zur Erde, son­dern fortlebt in einer rein geistigen Region. Zunächst ist er ja mit den Erdenverhältnissen in Beziehung geblieben; nur nicht von der Erde aus, auf welche er ja nicht mehr zurückkehrte, sondern von den geistigen Regionen aus wirkte die Wesenheit des Gautama-Buddha herein in das Erdendasein. Wir wissen, daß der Gautama-Buddha seine Wesenheit hineinstrahlen ließ in jenen Jesusknaben, von dem uns das Lukas-Evangelium erzählt. Da strahlte die übersinnliche Wesenheit des Buddha in den Astralleib des Luka-Jesusknaben hinein, wirkte also von der übersinnlichen Welt in das Erdendasein herein. Aber mit den gewöhnlichen Vorstellungsweisen konnten die Erdenmenschen nicht mehr in Verbindung mit ihm kommen, son­dern in Verbindung mit der Seele des Gautama-Buddha konnten nur diejenigen kommen, die von der Erde aus durch eine höhere Entwickelung den Zugang zu ihm fanden, zum Beispiel Franz von Assisi. Bevor dieser eingetreten ist in das Erdenleben, und vor dem Ablauf des letzten Lebens zwischen Geburt und Tod, lebte die Wesenheit des Franz von Assisi in einer im südöstlichen Europa befindlichen Mysterien-Kolonie, in welcher nicht physische Lehrer waren, sondern Lehrer aus der übersinnlichen Hierarchie, welcher der Buddha zugehörte oder besser gesagt die Seele, die einstmals in dem Buddha verkörpert war. Es ist in einer solchen Mysterienstätte so, daß Schüler da sind, die schon die hohen Fähigkeiten für das

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Schauen der übersinnlichen Welt entwickelt haben. Solche Schüler sind imstande, Lehrer zu haben, die nur aus der geistigen Welt hereinwirken. Und so lehrte denn in jener Mysterienstätte der Buddha; und ein treuergebener Schüler des Buddha war Franz von Assisi in seiner früheren Inkarnation. Und auf nahm dazumal Franz von Assisi alles dasjenige, was ihn befähigte, in dem Leben, in das er dann eintrat, sich selbst zu beleuchten die höheren Hier­archien, die ihn dann in das Dasein treten ließen als den großen Mystiker, der eine so starke Wirkung in seiner Zeit haben konnte. Das alles ist möglich, da ja allerdings diese Seele des Franz von Assisi in eine Beziehung getreten ist durch ihre damaligen höheren Fähigkeiten mit dem Gautama Buddha, auch noch nachdem er von der übersinnlichen Welt aus auf ihn wirken konnte.

Aber für das gewöhnliche Menschenleben, das angewiesen ist auf das Leben, das durch die Sinne und den Verstand entfaltet wird, ist ja eine solche Begegnung nicht möglich. Und dann gilt das, was eben gesagt worden ist: daß wir einem Menschenwesen nicht mehr begegnen können, wenn wir ihm nicht begegnet sind in der phy­sischen Welt.

Die Ausnahme, die wir eben bei Buddha kennengelernt haben, bedingt nun eben weitere Ausnahmen. Und wenn es unmöglich ist, daß der gewöhnliche Mensch in den geistigen Regionen Menschen begegnet, mit denen er hier kein Verhältnis angeknüpft hat, so ist es doch möglich, daß der Erdenmensch, der hier den Christus-Impuls empfangen hat, sich damit durchdrungen hat, zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, wenn auch nicht anderen Menschen, mit denen er hier keine Verbindung angeknüpft hat, so doch dem Buddha drüben begegnet. Denn für ihn ist ja wieder etwas ganz Besonderes vorgesehen.

Beim Beginn des siebzehnten Jahrhunderts, da stand ein anderer Planet als die Erde an dem Punkte einer ähnlichen Entwickelungs­krisis, wie die Erde in einer solchen stand, als das Mysterium von Golgatha hereinbrach. Und wie dazumal in diesem Erdendasein aus höheren Regionen der Christus erschienen ist, so erschien in jener Mars-Krisis gegen das siebzehnte Jahrhundert auf diesem Mars

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der Buddha. Das heißt, nachdem der Buddha durch seine Erden-inkarnationen gegangen war bis zu seiner letzten, war es für ihn nicht mehr notwendig, in ein Erdenleben zurückzukehren; aber er setzte seine Tätigkeit fort in anderen Regionen. Der Buddha wan­derte sozusagen von den Erdenverhältnissen hinaus nach dem Mars. Und während der Mars bis dahin der Ursprungsort vorzugsweise war der Kräfte, die der Grieche als den für die Welt fruchtbaren Streit bezeichnet, so war diese Mission des Mars gegen das sieb­zehnte Jahrhundert abgelaufen, und ein neuer Einschlag war dort notwendig: der Buddha vollbrachte dort die Buddha-Kreuzigung. Nicht verlief für den Mars das Buddha-Mysterium, wie das Christus-Mysterium auf Erden verlief, aber der Friedensfürst Buddha, der in seinem letzten Erdenleben überall Frieden und Liebe ausstrahlte, der wurde hineinversetzt in den von Streit erfüllten Mars. Und das Hineinversetztwerden der Wesenheit, die ganz erfüllt ist von Friedenskräften, von Liebekräften, in den Plan des Streites und der Disharmonie, das ist in gewissem Sinne auch eine Kreuzigung gewesen.

Für den Seherblick fügen sich zwei Momente wunderbar zusam­men. Wenn man den Blick hinrichtet auf den achtzigjährigen ster­benden Buddha hier auf der Erde, dann ist gerade dieser Buddha­Tod etwas seltsam Ergreifendes und Erschütterndes. 483, in einer herrlichen Vollmondnacht, umfiossen von dem silbernen Monden­licht, da starb der Buddha, ausstrahlend Frieden und Milde. Das war der letzte Erdenmoment. Dann wirkte er noch in der Ihnen eben geschilderten Weise auf die Erde hin. Im Beginn des siebzehn­ten Jahrhunderts sieht der Seher wieder aufleuchten das milde, sil­berne moralische Licht des Buddha auf dem Mars. Es sind zwei wunderbare Momente, die sich im Weltgeschehen zusammen­schließen.

Und die Menschen, die hier auf der Erde den Christus-Impuls in der entsprechenden Weise aufnehmen, die gehen ja dann, wenn sie drüben leben, durch die kosmische Welt durch. Wir gehen alle durch diese Welten des Kosmos hindurch. Wir gehen zunächst durch die Planeten unseres Planetensystems. Wir durchleben eine

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Mondenzeit, eine Merkurzeit, eine Venuszeit, eine Sonnenzeit, eine Marszeit, eine Jupiterzeit, eine Saturnzeit. Hernach gehen wir hinaus in die Umgebung unseres Planetensystems, um dann wieder zurückzukehren. Und eben dann begegnen wir diesen Kräften und Wesenheiten, von denen wir empfangen müssen dasjenige, was wir zum Aufbau des nächsten Erdenlebens brauchen. Und derjenige, der hier auf Erden den Christus- Impuls aufgenommen hat, kann dann bei seinem Durchgehen durch die Mars-Sphäre das aufnehmen, was ausfließt von dem Buddha. Das ist solch ein Fall, ein Ausnahmefall, wo auch die Seelen, die nicht in ihren früheren Erdeninkarnationen mit dem Buddha zusammengekommen sind, noch jetzt, zwischen Tod und neuer Geburt, diesen Buddha treffen können.

Für den seherischen Blick hat sich ergeben, daß manche Men­schen, die im siebzehnten Jahrhundert lebten, ihre merkwürdige Begabung dadurch zeigen, daß sie in der Zeit, die ihrer Geburt voranging, in den geistigen Welten ihre Kraft bekamen von dem Buddha. Gering sind im Grunde genommen noch die Fähigkeiten, diese Kräfte aufzunehmen für die Menschen, weil der Buddha eben noch nicht lange auf dem Mars dieses Mysterium vollbracht hat. In der Zukunft werden die Menschenseelen immer mehr und mehr in der Mars-Sphäre Kräfte aufnehmen von dem Buddha. Aber schon im neunzehnten Jahrhundert haben sich für denjenigen, der so etwas sehen kann, Menschen gezeigt, die ihre Fähigkeiten dadurch hier im Erdenleben entwickeln können, daß sie bei ihrem Durch­gang durch die Mars-Sphäre vom Buddha Einflüsse erhalten haben. So kompliziert und so wunderbar verlaufen diese Leben zwischen dem Tod und der neuen Geburt.

Der Mensch muß das Licht, das ihm die Erlebnisse zwischen dem Tod und einer neuen Geburt beleuchten kann, von hier mitnehmen, sonst tappt er im Finstern. Und so ist es auch in diesem besonderen Falle. Der Mensch, der hier von der Erde weggeht durch die Pforte des Todes und hier keinen Christus-Impuls aufgenommen hat, der davon nichts wissen wollte, der kann dann in dem darauffolgenden Leben in der geistigen Welt durch die Mars-Sphäre durchgehen, ohne etwas zu ahnen von den Einflüssen des Buddha. Der Buddha

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ist für ihn wie nicht da. Denn das müssen wir festhalten: Wir gehen zwar an den Wesenheiten der höheren Hierarchien vorbei; daß wir sie aber bemerken und daß wir das Notwendige mit ihnen zu tun bekommen können, das hängt davon ab, wie wir uns im letzten Erdenleben selbst das Licht angezündet haben, damit wir nicht an ihnen vorbeigehen, sondern von ihnen etwas empfangen können. - So hat der ganz unrecht, der da sagt: Es ist unnötig, sich im Erdenleben mit dem Jenseits zu befassen.

Sie haben nun schon gesehen, daß eigentlich das Erdenleben für eine höhere Betrachtung eine Art spezieller Fall ist. Wir leben hier in der Erdensphäre zwischen Geburt und Tod im physischen Leibe verkörpert. Wir gehen zwischen den Erdenleben durch die geistige Welt. Man kann außer der Erdenverkörperung sprechen von einer «Verkörperung> zwischen Tod und neuer Geburt, oder vielmehr von einer Verseelung. Das, was ich ausgeführt habe für die andere Welt, gilt auch für die Erde. Denken Sie einmal, daß also für die Bewohner des Mars, die besonders zum Mars gehören, ein Mensch, der da lebt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, durch das Marsdasein gehen kann, ohne in Berührung zu kommen mit den Marswesenheiten. Er sieht sie nicht, sie sehen ihn nicht. So ist es auch für die Erde. Durch die Erdensphäre gehen fortwäh­rend Wesen, die eigentlich zu anderen Planeten gehören, so wie der Mensch zur Erde gehört. Marsbewohner verleben ihr reguläres Leben auf dem Mars, und zwischen ihrem Erlebnis, das dem Tode entspricht - es ist zwar etwas anders - und ihrem neuen Leben auf dem Mars, vollziehen sie den Durchzug durch die anderen Plane-ten. So daß tatsächlich Bewohner der anderen Planeten fortwäh­rend durch unsere Erdensphäre durchgehen. Die Erdenmenschen können mit ihnen in kein Verhältnis treten, weil sie eben unter ganz anderen Daseinsbedingungen leben und weil sie unter Um­ständen eben gar keine Beziehungen angeknüpft haben auf dem Mars mit diesen Wesen.

Was wäre denn notwendig, um diesen Durchzüglern durch die Erdensphäre, die eigentlich anderen Planeten zugehören, zu be­gegnen? Es wäre nötig, daß man Berührungspunkte mit ihnen ent­wickelt

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hätte auf ihren eigenen Planeten. Das kann man nur, wenn man hier auf der Erde schon bewußt durch die Entwickelung über­sinnlicher Kräfte mit anderen als Erdenwesen in Beziehung kom­men kann.

So stellt sich in der Tat die Möglichkeit ein, daß bei denen, die eine höhere Geistesschulung durchgemacht haben, auch eine Be­gegnung stattfinden kann mit den Durchzüglern von anderen Pla­neten. Und so sonderbar es ist, es ist wirklich wahr, was ich Ihnen sage: Für denjenigen, der heute die merkwürdigen Theorien ver­nimmt, die die Physik und die Astronomie für die Marsbewohner aufstellt - für den, der sie kennenlernt als Durchzügler durch unsere Erde und von ihnen erfährt, wie das Marsdasein ist, denn so erfährt man es -, für den sind diese Hypothesen sehr komisch; denn es ist ganz anders. Alle diese Dinge führe ich aus, weil ich möchte, daß Sie Ihren Blick erweitern von dem Erdenleben aus in die anderen Welten, über die sichtbaren Wesenheiten hinaus, von denen wir umgeben sind, zu den Wesenheiten, die nicht wahr­genommen werden, solange der Blick für sie nicht geöffnet ist.

Aber nicht nur, daß wir mit Menschen nicht zusammenkommen können auf den anderen Planeten zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, mit denen wir hier auf der Erde nicht Beziehungen angeknüpft haben, wir können auch nicht mit solchen Verhältnis­sen in Berührung kommen zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, die zu der Erdenmission gehören, die sich hier entwickeln müssen und zu denen wir auf der Erde in keine Beziehungen getre­ten sind oder mit denen wir nicht auf dem Umweg durch die Erdenverhältnisse in Beziehung treten.

Geisteswissenschaft oder Anthroposophie zum Beispiel, was ist sie in kosmischer Beziehung? Nun, derjenige, der sich allerlei Theo­rien macht, könnte leicht glauben: Geisteswissenschaft ist etwas, was durch alle Welten hindurch gelehrt und gelernt werden kann. So ist es aber nicht eingerichtet im Weltenall. Ein jedes Gebiet der Welt hat seine besondere Aufgabe - und nicht wiederholt sich dies in der gleichen Weise im Weltenall. Geisteswissenschaft ist nur auf der Erde möglich, nicht auf einem anderen Planeten oder einem

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anderen Gebiet. Deshalb ist ja von den schöpferischen Mächten die Erde gemacht worden, damit hier entstehe, was nur auf der Erde entstehen kann. Geisteswissenschaft kann nur auf der Erde ent­stehen, man kann sie nirgends anders lernen; sie ist eine Offen­barung über die übersinnliche Welt, aber so, wie sie auftritt, kann sie nur hier auftreten.

Nun kann man sagen: Ja, das mag ja alles so sein, aber der Mensch könnte ja über die übersinnliche Welt sich in einer anderen Form unterrichten in der übersinnlichen Welt als in der Form der Geisteswissenschaft! - Ja, denken kann man es, aber wahr ist es nicht. Denn der Mensch ist so veranlagt, daß er einmal, wenn er überhaupt in der für ihn richtigen Weise ein Verhältnis zur höheren Welt gewinnen will, er dies nur durch Geisteswissenschaft gewin­nen kann. Wenn der Mensch es versäumt auf der Erde, sich der Gei­steswissenschaft oder Anthroposophie zu nähern, dann hilft ihm kein anderes Leben, um sie kennenzulernen. Aber auch hilft ihm kein anderes Leben, um die übersinnliche Welt in richtiger mensch­licher Weise kennenzulernen. - Das braucht uns nicht in Verzweif­lung zu bringen mit Bezug auf die vielen Menschen, die noch nichts wissen wollen von Geisteswissenschaft: sie werden ja wiederkehren und dann später damit in Berührung kommen. Anthroposophie ist auf der Erde eingerichtet, damit sie den Menschen dasjenige, was nach Menschenart über die übersinnliche Welt gewußt werden muß, ver­mitteln kann. Nur eine Art von Vermittlung ist möglich, und die ist nur möglich durch Vermittlung der Menschen. Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes eingetreten ist in die geistige Welt, ohne daß er hier etwas erfahren hat von Geisteswissenschaft, so kann er davon erfahren dadurch, daß er in Beziehung gestanden hat zu Erdenmenschen, die mit ihr in Berührung sind. Es ist das ein Um­weg, aber ein möglicher Weg ist es. Nehmen wir das Beispiel von zwei Menschen, die hier auf Erden tief befreundet waren: der eine steht in Beziehung zur Anthroposophie, der andere nicht; der letztere stirbt, es kann der erstere ihm viel helfen dadurch, daß er ihm vorliest, ihn bekannt macht mit dem, was ihn nach dem Tode umgibt. Der Mensch kann also ein wichtiges Werk der Geisteswissenschaft

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sozusagen lesen mit einem Toten: der Tote hört ihm zu, wie es der Seher konstatieren kann.

Manchmal ist es so, die Tatsachen sprechen so, und wenn auch manches «Warum? » aufgeworfen werden kann, diese «Warum» haben keine Bedeutung gegenüber der Tatsache, die ich Ihnen an­führen kann als eine vollbeobachtete Tatsache: Es kann sein, daß ein einfacher Mensch, der nur in Berührung mit der Geisteswissen­schaft kam und der den Toten recht geliebt hat, einem Toten besser vorlesen kann als ein Seher, der zwar den Toten aufsuchen kann, der aber in diesem Leben keine Gemütsbeziehungen hatte zu dem Toten. Zuweilen kann es aber auch sein, daß Seher sich zur Auf­gabe machen, Toten vorzulesen, die sie nicht gekannt haben; es zeigt sich jedoch viel häufiger, daß man die Möglichkeit nicht findet, einem Toten, mit dem man früher nicht in Berührung ge­kommen ist, vorzulesen. Aus dieser Tatsache können Sie die große Bedeutung empfinden, welche geistige Gemeinschaften wie die anthroposophische haben: da wird in einer gewissen Weise das ersetzt, was wir jetzt charakterisieren konnten wie eine Art von Mit-leben, In-Berührung-Kommen. Wenn es solche Gemeinschaften nicht gäbe, so würde in der Tat ein jeder Tote darauf angewiesen sein, nur vorgelesen zu bekommen durch ganz nahestehende Leute. Nur solche geistigen Gemeinschaften, wo gemeinsam spirituelle Ideale gepflegt werden, erweitern diese Sache. Und so kann es vorkom­men, und es kommt vor, daß das eintritt, daß man da einen Anthro­posophen trifft, der in einer gewissen Weise imstande ist, durch das, was er schon gelernt hat, stark konzentriert spirituelle Gedanken vorzulesen oder sie ablaufen zu lassen in seiner eigenen Seele. Dann kann man ihm sagen: Sieh einmal, da ist ein Mensch gestor­ben, ich zeige dir seine Schriftzüge, er war auch Anthroposoph, er gehört derselben Gemeinschaft an. Dann genügt vielleicht, daß der Betreffende nur Schriftzüge zu sehen bekommt - nicht Photo­graphien -, einen Lieblingsspruch des Toten erfährt, und es kann sein, daß der betreffende schon etwas entwickeltere Anthroposoph auch einem solchen in fruchtbarster Weise vorlesen kann, mit dem er im Leben in keine Berührung gekommen ist. Das wird auch eine

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schöne Aufgabe einer geistigen Gemeinschaft sein, daß in einer so starken Weise der Abgrund überbrückt werden kann zwischen Le­benden und Toten.

Heute drängen sich die Anthroposophen noch zu mancherlei Aufgaben, die nur auf dem physischen Plane liegen, weil doch noch viel materialistische Denkungsweise in ihnen ist, wenn sie auch theoretisch aufgenommen haben die Wissenschaft der Anthropo­sophie. Die eigentlichen geistigen Aufgaben werden erst kommen, wenn Geisteswissenschaft noch tiefer in die Seelen eingezogen sein wird: dann werden sich Seelen finden, die das Amt übernehmen, den Toten zu helfen und sie vorwärtszubringen. Innerhalb unserer Gemeinschaft ist in gewisser Weise der Anfang schon seit langer Zeit gemacht worden, so daß dasjenige, was auf diesem Gebiet hat geschehen können, nun zu einer hohen Befriedigung gereichen muß.

Allerdings, wenn ein Anthroposoph durch die Pforte des Todes gegangen ist, also selbst mitgenommen hat spirituelle Gedanken, so kann er, wenn er in der geistigen Welt lebt, unter Umständen dann auch selbst den Toten Dienste leisten, kann ihr Lehrer sein. Aber diese Dinge sind im allgemeinen schwerer als man denkt. Leichter als drüben kann man dieses alles auf Erden tun, weil die Gemein­schaften, die nach dem Tode da sein können, durchaus abhängig sind von den Gemeinschaften, die vor dem Tode da waren.

Wenn zum Beispiel zwei Menschen auf der Erde miteinander gelebt haben, wovon der eine Anthroposoph war, der andere Geistes­wissenschaft nicht mochte, nun nach dem Tode aber Sehnsucht hat nach ihr, so kann es vorkommen, daß sich der hier lebende An­throposoph bis zu seinem eigenen Tode bemüht, dem Weggegange­nen vorzulesen. Nach einer gewissen Zeit tritt der Zurückgeblie­bene, der dem anderen vorgelesen hat, selbst durch die Pforte des Todes; er ist dann mit ihm in der geistigen Welt. Ja, dann tritt ein Nachklang desjenigen Verhältnisses wieder ein, das hier auf der Erde bestand, und das bietet eine Schwierigkeit - während keine Schwierigkeit vorhanden war, als der eine noch auf Erden war und der andere gestorben war. Es treten Dissonanzen hervor, wenn sie unter den gleichen Daseinsbedingungen, die in ihren irdischen Beziehungen

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bestanden hatten, wieder zusammen sind. Und wie hier die eine Seele nichts wissen wollte von der anderen über Geistes­wissenschaft, so ist es auch drüben. Das zeigt uns aber wieder, wie die Verhältnisse drüben abhängig sind von den Verhältnissen hier auf Erden. Die Dinge sind eben sehr kompliziert und können nicht bloß gedanklich konstruiert werden.

Aber das, was in der Mission der Geisteswissenschaft liegt, das tritt durch solche Tatsachen lebendig vor unsere Seelen. Das zeigt uns, wie der Abgrund überbrückt wird zwischen den Lebenden und den Toten. Wir sehen, es können ebenso die Toten unter Umstän­den in die Erde hereinwirken, wie die Lebenden wirken können in die geistige Welt hinein. Wir können untersuchen, wie die Toten hereinwirken in die physische Welt.

Im Giunde wissen die Menschen hier auf der Erde sehr wenig von dem, was sie umgibt. Wie betrachten die Menschen das Leben eigentlich? Sie betrachten es so, daß sie die Ereignisse, die sich ab­spielen, wie an einen Faden anknüpfen, daß sie das eine als Ursachen, das andere als Wirkung betrachten, aber weiter nicht viel dabei denken. So sonderbar es klingen mag, aber es ist so. Das was ge­schieht, das ist der allergeringste Inhalt des wirklichen Lebens, nur der äußerliche Inhalt des wirklichen Lebens. Es gibt noch etwas anderes im Leben als das, was so geschieht: etwas was nicht minder eine Bedeutung hat für das Leben.

Nehmen wir ein Beispiel. Ein Mensch ist gewohnt, jeden Tag pünktlich um acht Uhr aus seinem Hause zu gehen. Er hat täglich einen bestimmten Weg zu gehen über einen Platz. Eines Tages bringen es die Verhältnisse mit sich, daß er drei Minuten später weggeht als sonst; aber er geht denselben Weg. Da nimmt er etwas Sonderbares wahr an dem Platz, über den er täglich gehen muß unter Kolonnaden her: die Decke der Kolonnaden ist hecabgestürzt! Wäre er zu der gewohnten Zeit gegangen, so hätte ihn die Decke bestimmt erschlagen.

Solche Dinge gibt es viele im Leben. Wie oft können wir uns sagen, daß etwas ganz anderes möglich gewesen wäre, wenn diese und jene Bedingungen vorhanden gewesen wären, als das, was eingetreten

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ist. Wir werden eben im Leben vor vielem behütet; vieles geschieht nicht, was geschehen könnte. Wir betrachten nämlich im Leben nur die äußeren Wirklichkeiten, nicht aber die inneren Mög­lichkeiten; aber diese Möglichkeiten liegen fortwährend hinter dem Leben. Wenn ein gewesener Tag für uns diese oder jene Ereignisse gebracht hat, so ist das eben im Grunde genommen nur das Außer­lich-Wirkliche, und dahinter liegt eine ganze Welt des Möglichen. Denken Sie sich zum Beispiel das Meer, meine lieben Freunde. In dem Meer leben viele, viele Heringe; damit sie haben entstehen können, sind aber nicht nur so viel Keime dagewesen, als dann Heringe entstanden sind. Viele, unendlich viele Keime gehen zu­grunde; sie erreichen nicht ihr Ziel; es lebt nur die mögliche An­zahl von Heringen. So ist es aber mit dem ganzen Leben. Das, was wir vom Morgen bis zum Abend erleben, ist nur ein Ausschnitt aus einer großen Zahl von Möglichkeiten. Wir gehen in jedem Augenblick an möglichen, aber nicht geschehenden Dingen vorbei. Wenn etwas Mögliches an uns vorübergegangen ist, dann ist das für uns ein besonderer Augenblick. Denken Sie an das Beispiel des Mannes, der nur wie gewöhnlich hätte aus dem Hause zu gehen brauchen: er wäre von der Decke der Kolonnaden erschlagen wor­den. So sind aber fortwährend solche Möglichkeiten für uns vor­handen. In einem solchen Moment, wo ein Mensch drei Minuten später vor dem Gebäude ist, das ihn sonst erschlagen hätte, wenn er früher gekommen wäre, da ist der günstige Moment, daß die geistige Welt in ihm aufblitzen kann. Da kann ihm eines dieser Erlebnisse aufgehen, das ihn mit Toten zusammenbringen kann. Heute achtet der Mensch noch nicht auf diese Dinge, weil er eigent­lich nur an der Oberfläche der Dinge lebt.

Geisteswissenschaft wird nach und nach Lebenselixier werden, und der Mensch wird nicht nur sehen, was äußere Wirklichkeit ist, sondern er wird achten auf dasjenige, was sich ankündigt in seinem Seelenleben. Und darunter wird oftmals die Stimme der Toten sein, die noch etwas wollen von den Lebenden.

Wie wir am Vorlesen ein Beispiel dafür haben, daß die Lebenden auf die Toten wirken können, so können auch die Toten wiederum

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auf die Lebenden einwirken. Es wird die Zeit kommen, da werden die Menschen im Geiste mit den Toten reden. Da werden sie zu den Toten reden und werden den Toten gewissermaßen zuhören. Da es so ist, daß der Tod nur die äußere Form des Menschen ändett, seine Seele aber weiter sich entwickelt, so ist es noch ein recht unvollkommener Zustand der Menschheit, den die Menschen jetzt darleben, indem sie keine Gemeinschaft haben mit den Menschen, die nur in anderer Form leben, nur ein andersartiges Leben haben. Wenn Geisteswissenschaft nicht mehr eine Theorie sein wird, son­dern die Seelen durchziehen wird, so wird auch eine lebendige Ge­meinschaft mit den Toten immer da sein können. Dieses, was jetzt nur in einer gewissen Weise für den Seher da sein kann, das wird nach und nach gemeinsames Menschengut werden.

Sie können sagen: Für den Seher mag das so sein, er kann die Menschen aufsuchen zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Aber es ist dies heute sehr schwierig, weil der Unglaube an die geistige Welt, das Nicht-in-Beziehung-Stehen zur geistigen Welt, Hinder­nisse schafft auch für diejenigen, die sich verbinden können mit der geistigen Welt. - Es gibt eben gewisse Dinge, die nur dann un­gehindert sich abspielen können, wenn sie Gemeingut der Men­schen sein können. Es kann ein Mensch ein noch so bedeutender Baumeister sein, wenn niemand etwas von ihm bauen läßt, kann er eben nicht bauen. So kann es auch für den Seher sein. Er kann die Fähigkeiten haben, in eine geistige Welt hinaufzusteigen zu den

Toten: aber wenn das erschwert wird dadurch, daß die Gemein­schaft mit den Toten für die meisten Menschen unmöglich ist, kann es auch für den Seher nur in Ausnahmefällen gelingen.

Meine lieben Freunde, ich wollte Ihnen zeigen, wie Geisteswis­senschaft Leben wirken kann. Und vielleicht besser noch als das­jenige, was wir theoretisch lernen, ist dieses Gefühl, diese Empfin­dung zu pflegen von der Aufgabe der Geisteswissenschaft in der Menschenzukunft. Dadurch bekommt ein jeder, der zu dieser anthro­posophischen Bewegung gehört, einen Eindruck von dem, was er eigentlich tut. Er bekommt einen Eindruck davon, was für ein Unermeßliches geleistet werden soll gerade durch die Geisteswissenschaft

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oder Anthroposophie. Und man lernt dadurch mit vollem Ernst und in voller Würde an ihr hängen, man lernt, sie nicht als etwas Leichtes, was uns nur erbauen soll, zu nehmen, sondern sie zu nehmen als etwas, was der Menschheit gegen die Zukunft hin notwendiger und notwendiger wird. Davon wollte ich durch die heutigen Betrachtungen eine Empfindung in Ihnen hervorrufen.

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ÜBER DAS LEBEN ZWISCHEN TOD UND NEUER GEBURT DIE ZUSAMMENHÄNGE ZWISCHEN DER SINNLICHEN UND DER ÜBERSINNLICHEN WELT München, 10. März 1913 Erster Vortrag

Es wird sehr häufig in Kreisen, in denen materialistische Gesin­nung herrscht, eine Redewendung gebraucht, welche zunächst, wenigstens äußerlich betrachtet, so scheint, als ob sie im Grunde genommen ganz vernünftig wäre, die aber doch ganz anders er­scheint, wenn man sie mit den Erkenntnissen der Geisteswissen­schaft beleuchtet. Insbesondere konnte man diese Redensart sehr häufig hören in der Zeit, in welcher der theoretische Materialismus geblüht und große populäre Kreise beherrscht hat; aber auch heute hört man diese Redensart zuweilen noch. Sie besagt: Wenn man auch annehmen wolle, daß es ein Leben gäbe jenseits der Pforte des Todes, so brauche sich der Mensch ja nicht, bevor er an diese Pforte des Todes herantrete, mit diesem Leben zu befassen; denn wenn er einmal hindurchgegangen sein werde durch diese Pforte des Todes, werde er ja sehen, was da kommt; und für hier, für die physische Welt, genüge es vollkommen, sich hineinzuleben in dieses physische Dasein, und man dürfe hoffen, daß, wenn man sich nur voll hineingelebt habe in dieses physische Dasein, man dann auch schon geeignet sein werde, falls es ein solches Leben jenseits der Pforte des Todes gäbe, es in entsprechender Weise an sich herantreten zu lassen.

Gegenüber dem hellseherischen Blicke, der hinzuschauen hat auf das Gebiet, das der Mensch durchlebt zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, erweist sich aber diese Redensart als eine völlig un­mögliche. Wenn nämlich der Mensch durch die Pforte des Todes getreten ist - wir haben ja schon darauf hingewiesen in den Betrach­tungen, die wir bei meiner letzten hiesigen Anwesenheit angestellt haben -, dann ist er zunächst damit beschäftigt, das zu verarbeiten,

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was ihm noch geblieben ist an Resten, an Erinnerungen und Zu­sammenhängen mit dem letzten Erdenleben. Man möchte sagen:

In den ersten Zeiten nach dem Tode, durch Jahre, ja durch Jahr­zehnte hindurch, schaut der Mensch in einer gewissen Weise zurück auf sein letztes Erdenleben; er ist noch mit den Dingen beschäftigt, die im astralischen Leibe als Kräfte zurückgeblieben sind vom letz­ten Erdenleben. Aber immer mehr und mehr tritt er ein in die­jenige Region, die wir gleichsam vom kosmischen Gesichtspunkte aus das letzte Mal beschrieben haben; immer mehr und mehr tritt er ein in die Region, wo er in Zusammenhang kommt mit den Wesenheiten der höheren Hierarchien. Und der Mensch muß zwi­schen dem Tod und einer neuen Geburt mit diesen Wesenheiten der höheren Hierarchien in Zusammenhang kommen; denn er muß diejenigen Kräfte sammeln, welche er dann wiederum braucht, wenn er neuerdings durch die Geburt in ein physisches Dasein tritt. Der Mensch muß ja zweierlei mitbringen in dieses physische Dasein, was ihm sozusagen herangebildet und erkraftet ist zwischen dem Tode und der Geburt. Er muß diejenigen Kräfte hereinbringen, die ihn befähigen, wenn er sich verbunden hat mit dem, was in der Vererbungsströmung liegt und ihm sozusagen als von der Ver­erbungsströmung kommende Substantialität übergeben wird, er muß in dem, was sich da verbindet mit dieser Vererbungsströmung, die Kräfte haben, welche von den ersten Jahren an und dann lange noch durch das Leben hindurch von innen heraus die Leiblichkeit plastisch ausgestalten; so daß die Leiblichkeit durchaus angepaßt ist der Individualität, die sich der Mensch aus dem vorhergegange­nen Erdenleben herüberbringt. Was dem Menschen gegeben wird von seinen Voreltern in der physischen Vererbungslinie, das ent­spricht ja sozusagen der menschlichen Individualität nur dadurch, daß der Mensch angezogen wird von gewissen, man möchte sagen, Mischungsverhältnissen in der physischen Vererbungslinie, die er­zeugt wird von der Art, wie Vater, Mutter, Großvater, Großmutter und so weiter hinauf, waren. Von dem, was da entstehen kann in der physischen Vererbungslinie, wird der Mensch angezogen. Aber das, was da der Mensch als seine äußere Hülle empfängt, indem er

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durch die Geburt geht, das muß erst im Feineren plastisch aus­gestaltet werden. Und das wird ausgestaltet mit Hilfe einer un­geheuer komplizierten Anordnung von Kräften, die sich der Mensch aus der geistigen Welt mitbringt und die er so erhält, daß er von der einen Ordnung der Hierarchien aus diese Kräfte, von einer anderen Hierarchienordnung jene Kräfte erhält. Wenn wir einen bildlichen Ausdruck gebrauchen wollen, so können wir sagen: Zwischen dem Tode und einer neuen Geburt werden dem Menschen übergeben die Gaben der Wesenheiten höherer Hierarchien, und diese Gaben sind die Kräfte, die der Mensch braucht, um das, was ihm durch die Vererbung übergeben wird, seiner eigenen Individualität anzupassen.

Wenn dieses das eine ist, was wir berücksichtigen müssen bei dem sich verkörpernden Menschen, dann ist das andere das, daß der Mensch wiederum arbeitet, wenn er sich dessen auch nicht bewußt ist, an der Zusammenfügung und Ausgestaltung seines Schicksals. Mancherlei, was wie durch einen Zufall geschieht im Menschen­leben, führt der Mensch dadurch herbei, daß er sich die Kräfte zwi­schen dem Tode und der Geburt angeeignet hat, die ihn befähigen, dann im Erdenleben gerade an das heranzukommen, was in seinem Karma gelegen sein kann. Das alles weist uns darauf hin, wie der Mensch zwischen dem Tod und einer neuen Geburt die Gaben empfangen muß von den Wesenheiten der höheren Hierarchien, mit denen er da in Zusammenhang kommt.

Nun ist ein Zweifaches möglich, wie sich dem seherischen Blick bezeugt, wenn die menschliche Seele durch dieses Gebiet zwischen dem Tod und einer neuen Geburt hindurchgeht. Es ist möglich, daß diese menschliche Seele ohne geistiges Licht, gleichsam im Fin­steren tappend, sich hindurchwinden muß durch die Wesenheiten der höheren Hierarchien so, daß sie nirgends eigentlich die Mög­lichkeit findet, aus den inneren Tendenzen heraus die entsprechen­den Gaben der höheren Hierarchien entgegenzunehmen. Man muß auf dem Wege zwischen dem Tode und einer neuen Geburt die Möglichkeit haben, wenn man die Gaben der Wesen höherer Hier­archien entgegennehmen will, diese Wesenheiten zu schauen, diesen Wesenheiten wirklich bewußt entgegenzutreten. Bildlich gesprochen:

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Man kann ohne Licht im Finsteren - natürlich ist geistiges Licht gemeint - sich hindurchwinden müssen durch das, was man erleben sollte, durch die Gemeinschaft mit den Wesenheiten der höheren Hierarchien. Man kann aber auch so hindurchgehen, daß man, je nachdem man nach dem Karma die Notwendigkeit hat, diese Gaben beleuchtet bekommt und sie in der richtigen Weise entgegennimmt. Das Licht nun, das uns zu leuchten hat, damit wir nicht im Finsteren durchgehen durch die Wesenheiten der höheren Hierarchien, das kann uns nimmermehr gegeben werden, wenn wir durch die Pforte des Todes hindurchgeschritten sind, falls wir es uns nicht schon mitbringen durch das, was wir an Gefühlen, an Empfindungen, an Gedanken entwickeln, die in dem Leben zwi­schen der Geburt und dem Tode nach den höheren Welten hin-gelenkt sind. Es ist also etwas, was wir uns selber zubereiten müssen in diesem Leben vor dem physischen Tode. Dadurch, daß wir die Gedanken, Empfindungen, Gefühle hinlenken - vielleicht auch nur ahnend hinlenken, aber doch hinlenken - nach den übersinnlichen Welten, dadurch bereiten wir uns das Licht; denn dieses Licht kann nur von uns selber herausscheinen: das Licht, wodurch wir so hin-durchgehen durch die Wesenheiten der höheren Hierarchien, daß diese uns ihre Gaben wirklich verabreichen können, daß wir sozu­sagen nicht danebengreifen, wenn wir sie empfangen sollen. So sehen wir, daß die Redensart ganz falsch ist, die da besagt, wir können warten und brauchen uns nicht zu kümmern um die über­sinnlichen Welten, bis der Tod eintritt. Das ist durchaus unrichtig; denn wie sie an uns herantreten, ob sie so herantreten, daß wir aus ihnen die Kräfte empfangen können, die wir brauchen für das nächste Leben, das hängt davon ab, wie wir uns selber das Feld zwischen dem Tode und einer neuen Geburt namentlich auf einer gewissen Strecke beleuchten können. Und wir bleiben im Finstern, wenn wir unter vollständiger Leugnung oder Abweisung des Ge­dankens an die übersinnlichen Welten das Leben bis zum physi­schen Tode zugebracht haben. Es kann eben etwas zwar durchaus plausibel, annehmbar erscheinen für die gewöhnliche Verständig­keit des Menschen: gemessen mit den Tatsachen der höheren Welten

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hört es auf, wahr zu sein. So zeigt sich dem seherischen Blick gar oft, daß an einem Menschen, der sich nicht gekümmert hat um die übersinnlichen Welten, der nichts hat von ihnen wissen wollen, der nach dem Grundsatz gelebt hat, hier in der physischen Welt sei alles Meinen, Denken, Fühlen, Empfinden dieser Welt nur zu­gewendet, der sich sagte, das andere wird dann schon an mich herantreten, wenn es Zeit ist - es kann der seherische Blicke ent­decken, daß eine solche Seele, die also durch die Pforte des Todes hindurchgeht, eben im Finstern hindurchgeht, daß sie versäumen muß, weil sie so im Finstern durchgeht, entgegenzunehmen die Gaben, welche ihr verabreicht werden sollen von den Wesenheiten der höheren Hierarchien. Und tritt dann eine solche Seele durch die Geburt in ein neues Erdendasein, so fehlen ihr die Kräfte, welche ausgestalten können die Leiblichkeit, welche diese innere Formation so plastisch gestalten könnten, daß der Mensch gemäß seinem Karma wirklich zulänglich ist im Leben. Hat sich der Mensch in der Weise, wie es eben angedeutet worden ist, in einem früheren Leben stumpf erwiesen gegenüber den übersinnlichen Welten, so muß er, wenn diese Stumpfheit durch die Finsternis gegangen ist, unausgerüstet und unzulänglich in ein neues Leben treten.

Er hat Kräfte in seiner Leiblichkeit nicht ausgestaltet, die er aus­gestaltet haben sollte im nächsten Erdenleben, gewisse innere For­mationen bilden sich nicht; der Mensch bleibt in gewisser Weise hinter dem zurück, was er hätte werden können, was er auch hätte werden sollen. Es war willkürlich stumpf in dem vorhergehenden Leben und wird notwendig stumpfer, als er hätte werden können und sollen in dem nächsten Erdenleben. Er kann nicht so viel begreifen, als er sonst hätte begreifen können; er kann nicht so An­teil nehmen an der Welt, als er sonst hätte Anteil nehmen können; er bleibt ohne Interesse für das, wofür er sonst Interesse gehabt hätte.

Das alles kann sich einstellen als karmische Folge des willkür­lichen Stumpfbleibens in einem vorhergehenden Leben. Und so kann der Mensch, wenn er dann neuerdings durch die Pforte des Todes tritt, mit einem erarbeiteten Seelengut durch diese Pforte des

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Todes treten, das weit zurückgeblieben ist hinter dem, was es hätte werden sollen. Wenn dann der Mensch wieder eintritt in die gei­stige Welt und wiederum durchmacht das Gebiet zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, so könnte man zunächst jetzt glau­ben, da er ja wesentlich in seinen inneren Kräften herabgestimmt worden ist und unzulänglich geworden ist, daß er jetzt noch mehr in der Finsternis tappen müsse, und man könnte gewissermaßen verzweifeln daran, daß ein solcher Mensch sich jemals wieder erheben könne. So ist es nun nicht; aber etwas anderes tritt heran in diesem Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, das als ein zweites zu Betrachtendes sich vor die Seele stellen soll. In diesem Leben, das dann auf das unwillkürlich stumpfe Leben folgt, hat, weil es so war, wie es eben verlief, Luzifer mit seinen Kräften eine besondere Gewalt über den Menschen, und der beleuchtet ihm jetzt das Feld zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Er muß nun die Gaben, durch die luziferischen Kräfte beleuchtet, von den höheren Wesen entgegennehmen. Dadurch bekommen alle diese Gaben eine ganz besondere Färbung. Allerdings tritt der Mensch dadurch, daß er jetzt nicht durch die Finsternis geschritten ist, aber auch nicht selbständig sich aus sich selbst heraus das entsprechende Feld beleuchtet hat, so in das nächste Dasein, daß er das, was ihm gegeben wird in der Vererbung, zwar plastisch ausgestalten kann; aber es ist das alles, was er ausgestaltet, von luziferischer Fär­bung. Und wenn man dann einen solchen Menschen im nächsten Leben betrachtet, so ist er oftmals von der Art wie zahlreiche Menschen, die uns insbesondere in unserer gegenwärtigen Zeit begegnen: Menschen mit einer nüchternen, trockenen nicht nur, sondern egoistischen Urteilsfähigkeit, mit einer egoistischen Ver­ständigkeit, die überall, wo sie im Leben auftritt, nur den eigenen Vorteil im Auge hat. Das ist das, was an Eigenschaften der Seele aus allem vorhergehend Geschilderten hervorgeht. Die Selbstlinge, die klug sind, aber ihre Klugheit nur im Dienste ihrer Selbstsucht anzuwenden geeignet sind, die alle Anordnungen so treffen, daß ihrer Selbstsucht gedient ist, die gescheit sind, aber nur gescheit zu ihrem eigenen Vorteil, das sind zumeist solche Seelen, die vorher

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den Weg durchgemacht haben, der eben geschildert worden ist. Und es hängt dann davon ab, weil jetzt diese Seelen allerdings nicht stumpf bleiben, sondern wegen vielerlei Kräften, die in ihnen sind aus noch früheren Erdeninkarnationen, daß sie doch herantreten können an das, was ihnen wiederum auf der Erde im physischen Leben einen Strahl hereinbringen kann von wirklich übersinn­lichem Dasein.

Dadurch liegt die Möglichkeit vor, in einem neuen Erdendasein sozusagen entzündet zu werden von Erkenntnissen der höheren Welten. Eine solche Seele braucht also nicht abgeschlossen zu wer­den von allem weiteren Eindringen in die geistigen Welten, sie wird wiederum sich erheben; aber das wird eintreten, was geschil­dert worden ist. Und wir haben da einen sehr merkwürdigen, bedeu­tungsvollen Zusammenhang zwischen drei Erdenleben und den da­zwischenliegenden beiden Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Der seherische Blick entdeckt tatsächlich recht oft - gerade dann, wenn er nach jenen Menschen sich hinwendet, die in der Gegenwart als klug, gescheit gelten, aber in allen ihren Maßnahmen nur auf ihren Vorteil bedachte Seelen sind - als vor­hergehende Ereignisse für diese Seelen das, was geschildert worden ist: zuerst ein Leben, das sich willkürlich abgewendet hat von allem Interesse an den übersinnlichen Welten; dann ein Leben, das gar nicht fähig war, weil es die inneren leiblichen Organe nicht hatte, sich auch nur für etwas zu interessieren in der physischen Welt, was ihm naheliegen könnte, wenn es eben nicht solche Vorbedin­gungen hätte; dann ein nächstes Leben, das nur dient dem selbst­süchtigen Verstande, der selbstsüchtigen Klugheit. Bei der weiten Verbreitung der selbstsüchtigen Klugheit in unserer gegenwärtigen Zeit ist es möglich, sozusagen gerade diesen Weg der Menschen­seelen zu verfolgen; denn wir kommen da zurück in Zeiten, in denen wir viele, viele Menschen finden in vorhergehender Inkar­nation, die wegen ihrer unausgebildeten Organe nur ein sehr stump­fes Interesse hatten, sogar für die gewöhnliche Sinneswelt, nicht nur für die übersinnliche Welt. Und dann kommen wir auf eine dritte Inkarnation zurück, die oftmals für diese Seelen liegt in demjenigen,

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was wir die vierte nachatlantische Kulturperiode nennen, wo mehr, als man heute glaubt, willkürlicher Atheismus, willkür­liche Interesselosigkeit für die übersinnlichen Welten in den man­nigfaltigsten Gegenden der Erde gewaltet haben. Weil die Um­stände so liegen, ist es gerade möglich, den geschilderten Entwicke­lungsweg der Seele in bezug auf die angedeuteten Ereignisse heute zu studieren. Aber das Studium dieses Entwickelungsweges der Seele zeigt uns ganz klar, was da kommen muß für eine Seele, die in unserer Zeit wiederum willkürlich sich verschließt vor den über­sinnlichen Welten.

Noch in einer anderen Weise kann das Leben in drei auf­einanderfolgenden Inkarnationen verlaufen. Da kann sich zum Bei­spiel das Folgende zeigen: Wir beobachten eine Seele, welche im wesentlichen, sagen wir, so ist, daß sie mit einem gewissen Fanatis­mus, mit einer gewissen Engherzigkeit ihre seelischen Bedürfnisse befriedigt an dem, was sich zunächst ergibt. Eine, man möchte sagen, religiös-egoistische Seele beobachtet man. Wir finden heute solche Seelen. Es hat sie immer gegeben im Entwickelungslauf der Menschheit auf der Erde, Seelen, die sozusagen gläubig sind, instink­tiv gläubig aus dem Grunde, weil sie aus einem gewissen seelischen Egoismus heraus eine Art Belohnung oder Ausgleich für das phy­sische Erdenleben erwarten wollen in einem Jenseits. Diese Erwar­tung kann ja durchaus egoistisch sein und kann verknüpft sein mit einer fanatischen Engherzigkeit gegenüber dem, was, sagen wir als Geisteswissenschaft oder aus den Mysterien heraus, über die höhe­ren Welten an die Menschen herantritt. Wie viele Menschen sehen wir heute, welche zwar durchaus an dem Ausblick in eine geistige Welt festhalten, aber fanatisch engherzig alles ablehnen, was ihnen nicht die Richtung des Bekenntnisses gerade gibt, in das sie hinein-geboren sind, in dem sie heranerzogen sind. Solche Seelen sind oft­mals nur zu bequem, überhaupt irgend etwas kennenzulernen über die geistigen Welten. Ein tieferer Egoismus kann in diesen Seelen wurzeln, trotzdem sie jenseitsgläubige Seelen sind. Alles, was mit dem Jenseitsglauben in solcher Art zusammenhängt, weist wiederum in einer gewissen Weise darauf hin, daß der Mensch nicht in der

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richtigen Art den Weg findet zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, daß er die Gaben der Wesenheiten höherer Hierarchien nicht in der richtigen Weise entgegennehmen kann, daß diese Gaben so an ihn herantreten, daß, wenn er durch eine nächste Ge­burt wieder ins Erdenleben tritt, er zwar an seiner Leiblichkeit arbeiten kann, er in gewisser Weise auch arbeitet an dem Zusam­menzimmern seines Karma, aber alles in einer unrichtigen Weise ausgestaltet und zusammenzimmert, seine Leiblichkeit so bearbeitet, daß aus ihm zum Beispiel ein Hypochonder, ein überempfindlicher Mensch wird, der schon durch seine leiblichen Anlagen dazu bestimmt ist, von der Außenwelt so berührt zu werden, daß er mür­risch, unzufrieden und unbefriedigt durch das Dasein schreitet, und von diesem Dasein immer so angefaßt wird, daß er sich immer ver­letzt glaubt durch dieses Dasein. Ein gewisses hypochondrisches, krankhaft melancholisches Wesen, das kann vorbereitet, vorbedingt durch die Leiblichkeit, aus den Ursachen hervorgehen, die eben geschildert worden sind. Also ein in egoistischem Sinne fanatisches Festhalten an gewissen Formen eines Jenseitsbekenntnisses kann ebenso den Menschen dazu führen, in unrichtiger Weise durchzu­gehen durch das Feld zwischen dem Tode und einer neuen Geburt und seine Leiblichkeit dann in falscher Weise empfindlich zu ma­chen in einem nächsten Erdenleben. Tritt er dann wiederum durch die Pforte des Todes ein in das geistige Leben, dann hat, wie sich dem hellseherischen Blick zeigt, auf eine solche Seele besonders alles Ahrimanische einen tiefen Einfluß. Und dieses Ahrimanische gibt all den Kräften, die der Mensch dann sammelt zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, eine solche Färbung, eine solche Ausgestaltung, daß der Mensch sich diese Kräfte durch die nächste Geburt so ins Dasein bringt, daß er dann, ohne daß er etwas dazu vermag, durch seine bloße Veranlagung in einer gewissen Weise in seinem Vorstellen und Empfinden engherzig wird, daß er unfähig wird, die Welt unbefangen zu überschauen. Zahlreiche Geister, die wir unter uns finden, die eine gewisse Engherzigkeit haben, die nicht imstande sind mit ihren Gedanken aus gewissen Schranken herauszugehen, die mit Scheuledern in gewisser Weise behaftet sind,

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die, selbst wenn sie sich anstrengen, doch in einer gewissen Weise borniert bleiben, verdanken dieses Karma den geschilderten Ver­hältnissen.

Um noch deutlicher zu machen das, was gemeint ist, sehen wir einmal auf folgendes Beispiel hin: Da ist ein sehr, sehr gutgläu­biger, wahrscheinlich auch durchaus von der Wahrheit dessen, was er behauptet, absolut durchdrungener Mensch, der über die reli­giöse Erziehung der Kinder geschrieben hat in dem ersten, im Vor­jahre erschienenen Freidenkerkalender. Er hat da folgende Logik entwickelt. Er sagt: Man solle die Kinder nicht religiös erziehen, denn es sei unnatürlich. Wenn man nämlich die Kinder aufwachsen läßt, ohne daß man an sie religiöse Begriffe und Ideen heranbringt, ohne daß man ihnen religiöse Empfindungen einimpft, dann sieht man, daß sie von selber nicht dazu kommen; daraus würde sich ergeben, daß es unnatürlich sei, der Menschenseele solche Begriffe und Ideen aufzunötigen, da sie nur von außen eingeprägt sind. -Es ist ganz gewiß, daß diejenigen, die sich heute Freidenker nen­nen, mit Enthusiasmus solch einen Gedanken aufnehmen und ihn sogar tiefsinnig finden; aber man braucht ja nur folgendes zu beden­ken: Es ist ganz allbekannt, daß ein Menschenkind, das, bevor es sprechen gelernt hat, versetzt werden würde auf eine einsame Insel, wenn es dort aufwachsen muß, ohne daß ein menschlicher Laut an es herandringt, niemals sprechen lernen würde! Daraus geht her­vor, daß der Mensch von selber sich das Sprechen nicht heranbildet, wenn es nicht von außen an ihn herankommt. Der gute, freireligiöse Prediger müßte auch seinen Bekennern verbieten, die Menschen­kinder das Sprechen zu lehren, da sie ihre Sprache nicht von selbst entwickeln. Wir sehen also, daß etwas, was sehr logisch ausschaut und was unter Umständen eine ganz weite Gemeinde als tiefsinnig auffaßt, nichts anderes ist als ein logischer Unsinn; denn in dem Augenblick, wo man darüber hinausdenkt, erweist es sich gleich als logisch ganz brüchig. Da haben wir einen Menschen, der mit Scheu­ledern behaftet ist. Solche Beispiele finden wir auf Schritt und Tritt im heutigen Leben. Gerade heute finden sich die Menschen un­geheuer häufig, die mit solchen Scheuledern behaftet sind, die

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scheinbar alle ihre seelischen Tätigkeiten außerordentlich ent­wickeln, aber in dem Augenblick, wo sie heraustreten sollen aus einem gewissen Kreis, den sie sich gezogen haben, versagt alles; sie sehen einfach nicht, was außerhalb dieses Kreises liegt. Wenn wir solche Menschen zurückverfolgen, finden wir bei ihnen die zwei vorhergehenden Inkarnationen so gestaltet, wie es erwähnt worden ist. Daraus wiederum kann sich uns ergeben, was einer Menschenseele in der Zukunft bevorsteht, welche heute, wie es bei so zahlreichen Seelen der Fall ist, aus Bequemlichkeit, aus Egoismus sich einschließt in ein positives Bekenntnis, um dessen Grund sie nicht weiter fragt. Ist es denn nicht so, daß viele Menschen heute unter uns leben, welche einfach zu dem Bekenntnis sich zählen, weil sie hineingeboren sind und weil sie später zu bequem sind, aus ihm herauszugehen, aber mit egoistischem Fanatismus an diesem Bekenntnis festhalten? Sie sind - wenn es vielleicht auch ein un­möglicher Gedanke ist - ebenso gute Evangelische oder gute Katho­liken aus dem Grunde, aus dem sie gute Durchschnittstürken wären, wenn sie durch Verordnung ihres Karma just mitten in den Islam hineingeboren wären. Aber es ist einmal heute die Zeit der Mensch­heitsentwickelung gekommen, in der die Seelen in einer gewissen Weise zurückbleiben und unzulänglich werden in folgenden Inkar­nationen, wenn sie die Augen nicht aufmachen wollen gegenüber dem, was aus den geistigen Welten in vielfältiger Art heute an die Menschenseelen herantreten kann.

Ja, die karmischen Zusammenhänge sind kompliziert; aber sie hellen sich uns auf, wenn wir einige von solchen Beispielen betrach­ten, wie sie jetzt eben in verschiedenartiger Weise vor unsere Seele getreten sind. In mannigfaltig anderer Weise ist das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, und dadurch wiederum das nächste Erdenleben, abhängig von dem vorhergehenden. Wir kön­nen mit dem seherischen Blicke in der geistigen Welt Seelen ver­folgen, welche sozusagen eine eigenartige Aufgabe erlangt haben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Es ist ja alles, was uns in der physischen Welt entgegentritt, aus den geistigen Welten her­ein eigentlich bewirkt. Der Mensch sieht in der physischen Welt

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nur nicht, wie überall in die Vorgänge des physischen Planes die übersinnlichen Kräfte hereinspielen. Am kurzsichtigsten ist in die­ser Beziehung eben der materialistische Sinn. So zum Beispiel ist alles das, was an den Menschen herantritt, sei es an Heilfaktoren der Luft oder an Heilfaktoren des Wassers oder an anderen Heilfaktoren unserer Umgebung, nur einseitig erklärt, nur zum Teil erklärt, wenn wir es im Sinne der jetzigen hygienischen Theorien erklären wollen, eben rein materialistisch. Die ganze Art und Weise, wie Heilfaktoren, Gesundheitsfaktoren, wie sprießendes, wachsen­des, die Menschenwelt gedeihen machendes Leben hereinspielt in das physische Dasein, hängt davon ab, wie die Wesenheiten der höheren Hierarchien ihre Heilfaktoren, ihre Gesundheitsfaktoren, ihre Kräfte, die das Menschenleben groß und schön und wachsend werden lassen, hereinschicken aus der übersinnlichen Welt in die sinnliche. Alles Wachsen und Gedeihen - man kann es mit dem übersinnlichen Blick so verfolgen -, jedes gesundende Lüftchen wird geordnet von übersinnlichen Kräften aus, die gelenkt und gerichtet werden von den Wesenheiten der höheren Hierarchien. Dann kann der Seher sehen, wie in einer gewissen Zeit die Men­schenseele zwischen dem Tode und einer neuen Geburt Diener wird derjenigen geistigen Wesenheiten der höheren Hierarchien, welche die Heilfaktoren, die Gesundheitsfaktoren, die Wachstumsfaktoren aus den übersinnlichen Welten in diese sinnliche Welt hereinsenden. Da sehen wir manche Seele eine gewisse Zeit ihres Lebens zwischen dem Tode und einer neuen Geburt hindurch der Arbeit gewidmet, die dem Dienste gilt der eben charakterisierten geistigen Wesen­heiten der höheren Hierarchien. Seligkeit empfinden dann solche Menschenseelen, welche Diener sein dürfen der eben geschilderten Wesenheiten der höheren Hierarchien.

Daß die Menschenseele eine gewisse Zeit hindurch nach ihrem Tode so Diener sein darf von Wesenheiten der höheren Hierarchien, die im guten, im besten Sinne das Menschenleben zur Gedeihung und Förderung bringen, hängt davon ab, ob diese selbe Menschen-seele - man kann das verfolgen, wenn man solche Dienst leistenden Menschenseelen zurückverfolgt bis ins letzte Erdenleben -, ob eine

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solche Menschenseele in einer ganz bestimmten Art gewisse Ver­richtungen während ihrer physischen Inkarnation vollzogen hat. Es kann ja der Mensch hier in der physischen Welt das, was er zu voll­ziehen hat, so vollziehen, daß er bei einer jeden Gelegenheit knurrt, daß ihm zuwider ist, was er tut, daß er aber dennoch wie unter einem Joche handelnd seine Pflicht tut. Wir sehen oft ganz gewissen-hafte Menschen, aber wir sehen solche oftmals ohne Hingabe, ohne Enthusiasmus, ohne Liebe zur Sache ihre Arbeit vollziehen; andere sehen wir, die ihre Arbeit mit Liebe zur Sache vollziehen, mit Hin­gabe, mit Enthusiasmus, mit dem Gedanken, daß sie dadurch, sei es in sozialer oder anderer Beziehung, der Menschheit einen Dienst leisten.

Es hängt mit diesem eben Auseinandergesetzten noch etwas an­deres zusammen, und es ist wichtig, gerade in unserer Zeit eine solche Betrachtung anzustellen. Gegenüber dem, was das Menschen­leben vielfach in alten Zeiten war, hat es sich heute recht sehr verändert. Die Beschäftigungsarten der Menschen, die sozusagen gar nicht mehr den Enthusiasmus aufkommen lassen, nehmen immer mehr und mehr zu und müssen gerade aus dem Fortschritt der Menschheit heraus zunehmen. Wer wollte es leugnen, daß es heute schon zahlreiche Beschäftigungsarten auf dem physischen Plane gibt, denen gegenüber der Mensch einfach unwahr werden müßte, wenn er in ihrem Vollzug Enthusiasmus heuchelte, die er eben aus bloßem Pflichtgefühl verrichten muß. Gewiß darf sich der Mensch durch nichts abhalten lassen, wenn ihn sein Karma an einen gewissen Platz gestellt hat, seine Pflicht zu tun, auch wenn er sie mit Widerwillen tut; aber jeder Mensch ist in der Lage, wenn er nur wirklich will, oder wenigstens, wenn ihm Gelegenheit gegeben wird zu wollen, irgend etwas im Laufe seines Lebens zu tun, falls sein Karma nicht gar zu sehr dagegen spricht, was auch mit Hingabe verrichtet werden kann. Man sollte dieses bedenken und sollte bedenken, wie wichtig es ist für den gesamten Zusam­menhang unseres Menschheitslebens, daß diejenigen, die solches überschauen, alles was in ihrer Macht steht, tun, gerade in unserer jetzigen sozial so schwierigen Zeit, um die Menschen, die oftmals

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keuchen unter der Last und dem Joche eines wahrhaftig nicht zum Enthusiasmus, zur Opferwilligkeit führenden Lebens, sondern nur eines Lebens, das in Mühsal und unter Widerwillen vollendet wird

- es sollten die Menschen, die so etwas überschauen können, sich tief verpflichtet fühlen, sich an eine soziale Arbeit hinzugeben, die gerade denjenigen Seelen, die, wie verstoßen in eine gewisse soziale Finsternis, heute stumpf bleiben - es sollten diese Menschen solchen Seelen, die stumpf bleiben, auch wenigstens für kurze Augenblicke die Möglichkeit geben, etwas fühlen und denken zu dürfen, was mit Enthusiasmus erfüllen kann, seien es auch nur Gedankenbetätigun­gen, die mit Enthusiasmus getan werden. Schon aus diesem Grunde sollte uns der Gedanke immer lieber und lieber werden, auch unse­ren Freunden, daß diese anthroposophische Bewegung sich immer mehr und mehr erweitere, daß sie da und dort soziale Tätigkeit entwickele, da und dort sozusagen die Leute von der Straße aufruft, die wirklich sonst stumpf dahinleben, nichts wissen davon, daß man so denken und empfinden kann, daß es einem das Herz hebt, die Gefühle mit einem gewissen Enthusiasmus erfüllt Diese Menschen sollten zu einem solchen Enthusiasmus herangezogen werden.

In dieser Linie wird allmählich ganz gewiß immer mehr und mehr unsere Arbeit wirksam sein; denn gerade der Zusammenhang dieses Erdenlebens mit dem Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt zeigt uns für diesen Gedanken etwas höchst Bedeu­tungsvolles. Alles, was wir tun dürfen hier auf der Erde in Hingabe, in Liebe zu unserer Arbeit, so daß wir dabei sind bei unserer Arbeit, so daß wir uns bewußt sind: es ist menschenwürdig, es ist das, was wir tun, eine Menschenaufgabe, alles das macht uns nach dem Tode zu dienenden Geistern der Wesenheiten der höheren Hier­archien, die die gesundenden, wachstumfördernden Kräfte herein-schicken aus den übersinnlichen Welten in diese sinnliche Welt. Wir sehen, wie bedeutungsvoll es ist, daß Enthusiasmus ist im Handeln der Menschen hier in der physischen Welt; denn erstürbe der Enthusiasmus in der physischen Welt, erstürbe die Liebe in der physischen Welt, dann würden in der Zukunft die Menschen ein Erdendasein betreten, das in physischer Beziehung wenig gesundende,

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Wachstum und Gedeihen fördernde Kräfte aus den über­sinnlichen Welten hereinbekommen könnte. Über solche Zusam­menhänge zwischen der sinnlichen und übersinnlichen Welt sehen allerdings die heute in Furcht, in ihnen unbewußter Furcht von den übersinnlichen Welten sich abkehrenden Seelen hinweg; aber dieser Zusammenhang zwischen moralischer und physischer Weltenord­nung ist vorhanden.

Auch sein Gegenbild können wir ins Auge fassen. Wir finden Seelen, die eine gewisse Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt Diener werden derjenigen geistigen Wesenheiten, weiche umgekehrt die Krankheit befördernden, die Unglück befördernden Elemente hereinsenden müssen aus den übersinnlichen in die sinn­lichen Welten. Und es ist ein erschütternder, ein furchtbarer An­blick, jene Menschenseelen zu verfolgen zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, die da Diener sein müssen der bösen Geister von Krankheit und frühzeitigem Tod, der bösen Geister oftmals eines grausamen menschlichen Schicksals, das ja aus dem Karma bedingt ist, das aber zusammengestellt werden muß aus den äuße­ren Ereignissen. Daß wir das Schicksal erleiden, liegt im Karma; daß die äußeren Umstände herbeigeführt werden in der sinnlichen Welt, damit wir das Schicksal erleiden können, das wird bewirkt von den Kräften, die aus den übersinnlichen Welten hereingelenkt werden. Gemeint sind, wenn von diesem gesprochen wird, Krank­heiten, Seuchen, die die Welt durchziehen und die schon auch von übersinnlichen Kräften gelenkt werden in bezug auf äußere Bedin­gungen; gemeint sind die frühzeitigen Tode, die auftreten im Men­schenleben. Wir haben ja öfter betrachtet den Alterstod, der im normalen Leben eintreten muß mit derselben Notwendigkeit, mit der die Pflanzenblätter verwelken müssen, wenn der Keim zur fol­genden Pflanze gereift ist. Dieser Tod trifft ein vollendetes Leben; aber es tritt ja auch der Tod in der Blüte der Jahre an den Men­schen heran. Und wenn so in der Blüte der Jahre an den Menschen der Tod herantritt, dann werden die Bedingungen zu diesem Tode herbeigeschafft von gewissen Geistern der höheren Hierarchien, welche der rückläufigen Bewegung zunächst dienen, aber die hereinsenden

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müssen in diese Welt die Kräfte, welche eben diesen früh­zeitigen Tod ebenso wie Krankheit, karmisches Unglück herbei-führen. Und es ist, wie gesagt, erschütternd, die Seelen zu sehen, die durch den Tod hindurchgegangen sind und eine gewisse Zeit dienende Wesen sind für Krankheit und Tod, für böses Karma im Menschenleben. Doch gerade dann wiederum, wenn man eine solche Betrachtung anstellt und uns auf der einen Seite ein düsteres Ge­fühl überkommt, indem wir also Seelen hindurchgehen sehen durch den Tod, um zu Dienern zu werden der bösen Geister von Krank­heit und Tod, wenn es uns auf der einen Seite schmerzlich ist, wir fühlen doch einen Ausgleich, wenn wir dann diese Seelen zurück­verfolgen und die Ursachen, daß sie so geworden sind, im physi­schen Leben dafür suchen. Da finden wir, daß solche Seelen in dem vorhergehenden Leben in einer gewissen Art gewissenlos waren. Gewissenlose Seelen, Seelen, die es nicht genau genommen haben auch mit der Wahrheit, das sind die Seelen, die also Diener werden von Krankheit und frühzeitigem Tod und so weiter. Das ist auf der einen Seite der Ausgleich; aber es ist ein düsterer, ein finsterer Aus­gleich.

Es gibt aber noch einen Ausgleich, der in anderer Weise da ist und der uns zeigt, wie auch das Düstere, das Finstere, das wir ein-verwoben sehen in das menschliche Dasein, doch auch begründet ist in der allgemeinen Weisheit der Welt. Und selbst dann, wenn wir einer Erscheinung gegenüberstehen, der gegenüber wir zunächst bedrückt uns fühlen müssen, so können wir uns ihr gegenüber doch auch wieder erheben, wenn wir sozusagen ihr Äquivalent im Gesamtzusammenhange des Daseins betrachten. Wenn wir den Blick hinlenken zum Beispiel auf Menschen, welche in der Blüte ihrer Jahre den physischen Plan durch Unglück oder Krankheit verlassen haben, dann sehen wir, wie solche Seelen, die also ihren physischen Leib, bevor er eigentlich erschöpft war, als Hülle ab- gelegt haben, ja noch die Kräfte in sich haben, die sonst gedient hätten, wenn sie weiter hätten leben können, der Ausgestaltung der Durchlebung des physischen Leibes und des physischen Daseins. Diese Kräfte tragen sie durch die Todespforte in eine höhere geistige

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Welt hinauf. Solche Seelen kommen in anderer Weise an in den übersinnlichen Welten als die Seelen, die sozusagen ausgelebt haben ihr Leben im Erdendasein.

Es ist besonders bedeutungsvoll, solche Seelen nach ihrem Durch­gang durch die Pforte des Todes zu betrachten, die in der Blüte der Jahre dahingestorben sind, die durch ein Unglück ihre leibliche Hülle verloren haben, und sie dann weiterlebend zu finden. Sie tragen in die höheren Welten Kräfte hinauf, die eigentlich in nor­maler Weise dem physischen Erdenleben hätten dienen sollen. Was geschieht mit diesen Kräften?

Diese Kräfte haben eine der schönsten Verwendungen in der übersinnlichen Welt. Wenn wir nämlich verfolgen die Wesenheiten der höheren Hierarchien, welche den fortlaufenden Gang der Ent­wickelung lenken und leiten, dann finden wir diese Wesenheiten der höheren Hierarchien begabt mit den Kräften, die eben da sein müssen zu einer fortschreitenden Evolution. Aber - das ist keine Unvollkommenheit der Welt, sondern hängt mit anderen Vollkom­menheiten zusammen; denn alle Kräfte, auch die der höheren Hier­archien, sind in einer gewissen Weise begrenzt, gehen nicht ins Un­ermeßliche, und wir finden, daß es heute schon durchaus viele Erdenmenschen gibt, die als Seelen in der geistigen Welt ankom­men, wenn sie durch die Pforte des Todes gegangen sind, so daß die Geister der höheren Hierarchien, welche den gesamten Fortschritt, also auch den zwischen dem Tode und einer neuen Geburt fördern, nichts mit ihnen anzufangen wissen. Es ist durchaus richtig, was oftmals von mir betont worden ist, daß wir heute noch nicht zu verzweifeln brauchen, wenn wir gewisse Seelen finden, die durch­aus nicht Verständnis finden wollen für die heutigen Vorstellungen, die der Mensch haben soll von der übersinnlichen Welt, Seelen, die durch und durch materialistisch sind, die sich ganz verschließen gegenüber der geistigen Welt. Es ist aber, wenn dann diese Seelen ankommen, nachdem sie durch die Pforte des Todes geschritten sind, in gewisser Weise schwierig für die geistigen Wesenheiten der höheren Hierarchien, mit ihnen etwas anzufangen; denn diese gei­stigen Wesenheiten der höheren Hierarchien haben die Kräfte für

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den fortschreitenden Gang der Menschheitsentwickelung - aber diese Kräfte sind eben für den fortschreitenden Gang. Wenn sich nun Seelen ganz und gar verschließen gegenüber diesem fortschrei­tenden Gang, dann haben sie gleichsam eine zu große Schwere, als daß die Geister der höheren Hierarchien diese Schwere überwinden könnten. Wie gesagt, es ist richtig, daß wir gegenüber solchen Seelen noch nicht zu verzweifeln brauchen; denn erst in der sechsten nach­atlantischen Periode wird es gefährlich für solche Seelen, und erst in der Venuszeit können sie sozusagen vollständig herausgeworfen werden aus der fortschreitenden Entwickelung. Aber wenn nichts anderes eintreten würde in der Evolution, als daß die Wesenheiten der höheren Hierarchien, die den Fortschritt fördern, eben mit ihren Kräften ausgestattet sind, dann müßten solche Seelen viel früher aus der fortschreitenden Evolution herausfallen, dann könnten die Wesenheiten der höheren Hierarchien nichts mit ihnen machen.

Und so ist es auch, daß Schwierigkeiten eintreten gegenüber dem, was heute nun schon einmal an die fortschreitende Evolution der Menschheit als Anforderung herantritt. Es ist schon einmal so, daß für eine große Anzahl von Erdenmenschen heute noch der Christus-Impuls nichts ist, wofür sie so recht tief eine Empfindung haben können. Nun ist aber die Erde in einem Entwickelungs-stadium, wo die Menschenseele den Christus-Impuls braucht, wenn sie in der richtigen Weise durch das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt gehen soll, und es ist gewissermaßen doch gefährlich für Seelen, die ohne irgendeine Verbindung mit dem Christus-Impuls durch die Pforte des Todes hindurchgehen; denn den Wesenheiten der höheren Hierarchien, die den Fortschritt lei­ten, versagen die Kräfte gegenüber solchen Menschenseelen, die gleichsam selber sich aus der Evolution herausgerissen und durch ihr eigentümliches Leben zum Verderben sich bestimmt haben. Nur dadurch können die Wesenheiten der höheren Hierarchien diesen Seelen gegenüber etwas anfangen, daß ihnen zuwachsen die Kräfte derjenigen Seelen, die auf die eben geschilderte Weise frühzeitig ihren Erdenleib abgelegt haben. Dadurch kommen unverbrauchte Kräfte hinauf in die übersinnlichen Welten, welche hier auf der

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Erde hätten noch verwendet werden können; aber dadurch, daß der Leib frühzeitig abgelegt worden ist, sind sie nicht verwendet worden für diesen Erdenleib. Bedenken wir einmal, wie viele Seelen in die übersinnliche Welt hinaufgekommen sind dadurch, daß sie zum Beispiel bei der Titanic-Katastrophe, bei dem Erdbeben von Messina oder den zahlreichen Toden, die auf der ganzen Erde ein-getreten sind in den letzten Zeiten, das Leben verloren, ehe es voll­endet war. Denken wir, wieviel Kräfte, die auf der Erde hätten ver­wendet werden können für das Fortleben, da hinaufgedrungen sind in die höheren Welten! Diese Kräfte wachsen den Kräften der Wesenheiten der höheren Hierarchien zu, und mit diesen Kräften verstärken die Wesenheiten der höheren Hierarchien das, was ihnen sonst eigen ist, was aber nicht ausreichen würde, um die Seelen, die sich selber herauswerfen aus der fortlaufenden Menschheitsevolu­tion, wiederum hineinzuführen in die fortschreitende Menschheits­evolution. Wir müssen natürlich unser Karma ausleben; und wenn eine solche Sache wie die charakterisierte besprochen wird, so darf nicht außer acht gelassen werden, darauf aufmerksam zu machen, daß wir unser Karma ausleben müssen. Es wäre eine furchtbare Ver­sündigung gegen die weisheitsvollen Gesetze der Welt, wenn der Mensch selber etwas dazu täte, um also Diener zu werden durch unverwendete Kräfte an dem charakterisierten Menschheitsfort­schritt gegenüber den Seelen, die sozusagen in der Gefahr sind, aus­gestoßen zu werden - der Mensch darf nichts dazu tun; wenn aber sein Karma sich erfüllt, wenn er in der Blüte der Jahre stirbt, so wird er ein Helfer in der schönsten, in der beseligendsten Art, in­dem die Kräfte, die er hier nicht mehr hat verwenden können, hin­aufsteigen in die höheren Welten und zuwachsen den höheren Hier­archien, die dadurch nicht verlorengehen lassen Seelen, die sonst verlorengehen würden. Das ist die schöne Bestimmung derjenigen Seelen, die in der Blüte der Jahre dahinsterben; das ist das, was uns in den Stunden, in denen wir trotz vielleicht manchen Schmerzes, der uns überkommt über in der Blüte der Jahre hinsterbende Menschen, trösten kann; das sind die Stunden, wo wir uns Überblick verschaf­fen über die weisheitsvolle Weltenlenkung.

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Wie merkwürdig stellt sich doch der Kreislauf des Daseins vor unser geistiges Auge hin! Da blicken wir auf der einen Seite auf gewissenlose Seelen, die durch ihre Gewissenlosigkeit sich vorberei­ten, hereinzusenden in unsere Welt durch ihre Arbeit Krankheit, frühzeitigen Tod, Unglücksfälle, und wir sehen den Menschen be­troffen von Krankheit, frühzeitigem Tod und Unglücksfällen; wir sehen also dadurch die Möglichkeit geboten, daß das Karma der Gewissenlosigkeit sich auslebt. Schon will unsere Seele bedrückt, beschwert sein; denn solch eine Beobachtung gehört in der Tat zu jenen oftmals recht grausigen Beobachtungen, die der Seher machen kann, Wenn er die tieferen Zusammenhänge und Geheimnisse des Daseins durchschaut. - Man stellt sich oftmals das Hineinschauen in die geistigen Welten als etwas Beseligendes vor. Gewisse Gebiete des höheren Daseins haben etwas Beseligendes, aber namentlich, wenn man in höhere Gebiete der Geheimnisse dringt, dann ist vieles, vieles an der Beobachtung hängend, das mit einem gewissen Grauen auch erfüllen kann. Insbesondere an den karmischen Zusammen­hängen der Menschen ist für die seherische Beobachtung - wenn diese gewissenhaft vorgenommen wird, wenn alles, was zu sagen ist, wirklich herausgesucht wird aus den höheren Welten, wenn nicht Spintisiererei und andere Dinge hineinspielen -, es ist etwas daran, was den Seher in der allerintensivsten Weise hinnimmt, was in einer gewissen Weise starke Anforderungen an seine Kräfte stellt. - Dann aber kommen auch diejenigen Dinge, die uns wiederum erkennen lassen - selbst wenn die grauenerregendsten, die furchtbarsten Dinge in Betracht kämen -, wie weisheitsvoll die ganze Führung ist. Sehen wir auch das Schicksal gewissenloser Seelen sich erfüllen und sehen gerade diese Erfüllung in dem, was Krankheitsfälle und früher Tod sind, die herbeigeführt werden vom Jenseits aus in der physischen Welt, so sehen wir doch auf der anderen Seite, wie das, was solche Menschen erleiden, die durch einen frühzeitigen Tod gehen, Zuwachs ist an Kräften, zum Menschenheil und zur Men­schenerlösung, die durch andere Kräfte gar nicht herbeigeführt werden könnten. Das macht das Wunderbare aus, das Versöhnende:

Auf der einen Seite muß die Möglichkeit geboten sein, daß die

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Menschen irren können und im Irrtum auch sich sozusagen der Gefahr nähern können, losgelöst zu werden von der Entwickelung

- könnte das nicht sein, könnten Menschen nicht irren, nicht dem Bösen verfallen, so könnte der Mensch seine Erdenmission nicht er-füllen; ist das aber möglich, so muß alles andere möglich sein, wovon heute gesprochen worden ist, dann aber muß es auch mit der Erdenentwickelung verbunden sein, daß gewisse Menschen in der Blüte der Jahre dahinsterben. Der seherische Blick, auf sie gerichtet, sieht, wie sie es sind, auf die die Wesenheiten der höheren Hierarchien angewiesen sind, um Kräfte zu bekommen zum Men­schenheil und zur Menschenerlösung, die sonst überhaupt nicht da wären. Das ist das große Versöhnende, das ist das Wunderbare, das uns überkommt, wenn wir unseren Blick auf der einen Seite schär­fen durch das Grauenvolle, dann wiederum hinwenden müssen zu einer weisheitsvollen Weltenlenkung, die das Grauenvolle braucht, gerade um die höhere Weisheit verwirklichen zu können. Diesen Dingen gegenüber wird es zum Unsinn, wenn bloß in abstrakter Weise die Frage aufgeworfen wird, ob es nicht sein könnte, daß die geistigen Mächte, ohne solchen Umweg zu machen, ein sympathi­sches Dasein für alle Menschen und Wesen hätten gewähren kön­nen. Wer das verlangt, der verlangt ungefähr dasselbe wie derjenige, der sagt, es sei doch recht unvollkommen, daß die Götter es zur Notwendigkeit gemacht haben, daß gar kein Kreis viereckig sein kann. Gewiß erkennt man nicht gleich, daß die andere Frage von demselben Wert ist, aber sie ist von demselben Wert. So wie es kein Licht ohne Dunkelheit geben kann, so könnte eben das, was ohne weiteres einleuchtet als etwas Großes, Gewaltiges im Weltendasein, die Hinauflenkung unverwendet gebliebener Kräfte der Erdenmis­sion in die übersinnlichen Welten, das könnte nicht da sein, wenn nicht auf der anderen Seite das Karma der in gewissen Inkarnatio­nen gewissenlos gewordenen Seelen sich erfüllen würde. Diese Dinge alle sind doch geeignet, uns nahezulegen, wenn wir irgend­wie versucht sind, das oder jenes unvollkommen zu finden im Wel­tendasein, in unserer Menschheitsumgebung, uns doch von der Empfindung zu durchdringen, daß das Unvollkommenfinden doch

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wohl davon herrühren werde, daß wir mit unserer Einsicht noch nicht so weit gediehen sind, um alle Zusammenhänge zu erkennen. Und immer kommt man weiter, wenn man sich für unzulänglich hält da, wo man versucht ist, die Unvollkommenheit des Daseins zu kritisieren; wenn man vielleicht Schmerz empfindet, aber den­noch versucht auch im Schmerz niemals Kritik anzulegen an die Weltenweisheit, sondern da, wo einem diese Weltenweisheit Män­gel einzuschließen scheint, lieber zu sagen, daß solche Mängel uns erscheinen in der Maja, in der großen Täuschung, weil wir nicht fähig sind, die Dinge voll zu durchschauen. Wir sehen, wie es uns über das physische Erdendasein aufklären kann, den Blick hinzu-wenden auf das Feld, das der Mensch zu durchlaufen hat zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Das, was physisches Dasein ist, ist ja im allgemeinen nicht allein durchströmt von den übersinn­lichen Welten, sondern es fließen herein auch die Taten, die der Mensch selber vollbringt zwischen dem Tode und einer neuen Ge­burt. Alle diese Taten fließen herein in die physische Welt, und was in der physischen Welt geschieht, was an den Menschen herantritt, es ist vielfach bewirkt von den Kräften der Menschen selber, die entfaltet werden zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Aller­dings gehört das zu den schönsten Betätigungen dieser Menschen­seelen, was wir eben jetzt als Betätigung, als Arbeit der Seelen ken­nengelernt haben, die mit gewissen unverbrauchten Kräften durch die Pforte des Todes schreiten.

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VOM DURCHGANG DES MENSCHEN NACH DEM TODE DURCH DIE SPHÄREN DES KOSMOS München, 12. März 1913 Zweiter Vortrag

Als ich bei meiner letzten Anwesenheit hier über das Leben zwi­schen dem Tod und einer neuen Geburt sprach, da versuchten wir zu betrachten den Zusammenhang dieses Lebens zwischen dem Tod und einer neuen Geburt mit den großen Verhältnissen des Kosmos. Ich versuchte zu zeigen, wie tatsächlich der Weg, der zwischen dem Tod und einer neuen Geburt zurückgelegt wird, durch den Kosmos, durch die Sphären des Kosmos führt. Wollen wir nur mit ein paar Worten auf das zurückblicken, was wir dazumal hervorzuheben versuchten.

Die erste Zeit nach dem Tode - das wurde ja schon gesagt - ist eigentlich für den Menschen ausgefüllt mit einer Art von Zusam­menhang mit dem letzten Erdenleben. Es ist eine Art von Herauswachsen aus dem letzten Erdenleben, so daß in der Tat in diesen ersten Zeiten nach dem Tode alles das fortdauert, was im Erdenleben den menschlichen Astralleib ergriffen hat. Was diesen menschlichen Astralleib beschäftigt hat, die Art der Affekte, die Art der Leidenschaften, die Art der Gefühle, das dauert fort. Und weil der Mensch hier in der physischen Verkörperung alle diese Dinge bewußt nur erlebt, wenn er innerhalb seines physischen Leibes ist, so ist natürlich das Erlebnis all dieser im Astralleib befindlichen Kräfte wesentlich anders, wenn der Mensch durch das Gebiet durchgeht, das da liegt zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Es ist dieses Erleben im wesentlichen durchzogen in normalen Fällen - es gibt davon viele Ausnahmen - in den ersten Zeiten nach dem Tode von einer gewissen Entbehrung, hervorgerufen da­durch, daß der Mensch in seinem Astralleibe leben muß, ohne daß ihm der physische Leib zur Verfügung steht. Der Mensch drängt darnach, noch seinen physischen Leib zu haben; das hält den Menschen eine kürzere oder längere Zeit - man darf es schon so

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nennen - im normalen Falle in der Sphäre der Erde zurück. Alles Kamaloka verläuft ja eigentlich in der Sphäre zwischen der Erde und der Mondenbahn; aber das eigentliche für den Menschen be­deutungsvolle Kamaloka verläuft viel näher der Erde als, sagen wir, der Mondenbahn.

Seelen, welche überhaupt nicht viel von dem entwickelt haben, was Empfindungen und Gefühle sind, die sozusagen über das Erden-leben hinausgehen, bleiben auch recht lange mit der Sphäre des Erdenlebens verbunden, verbunden durch ihr eigenes Begehren. Wenn ein Mensch - das ist ja sogar, man möchte sagen, äußerlich leicht einzusehen - ein ganzes Leben nur solche Gefühle und Emp­findungen in sich ausgebildet hat, die sich durch Leibesorgane, durch Verhältnisse der Erde befriedigen lassen, dann kann er auch nicht anders, als eine gewisse längere Zeit mit der Sphäre der Erde verbunden bleiben. Man kann durch ganz andere Triebe und Be­gierden noch, als man gewöhnlich wähnt, mit der Erdensphäre ver­bunden bleiben. Zum Beispiel recht ehrgeizige Menschen, denen es besonders darum zu tun ist, innerhalb der Erdenverhältnisse dieses oder jenes zu gelten, die den allergrößten Wert darauf legen, solche Geltung zu haben, die von Urteilen innerhalb der Erden-menschheit abhängig ist, die entwickeln damit auch in ihrem Astral-leibe einen Affekt, der sie längere Zeit sozusagen zu erdgebundenen Seelen macht. Es gibt mannigfaltige Gründe, welche den Menschen so in der Erdensphäre zurückhalten. Und das weitaus meiste, was auf medialem Wege aus den geistigen Welten für die Menschen vermittelt wird, das stammt eigentlich aus solchen Seelen und ist im wesentlichen das, was diese Seelen abzustreifen streben.

Es braucht nicht einmal immer daran gedacht zu werden, daß solche Seelen durch ganz unedle Motive, obwohl das meist der Fall ist, an die Erde gebunden bleiben; es können auch Sorgen sein, welche für das empfunden werden, was man auf der Erde zurück­gelassen hat. Solche Sorgen für zurückgelassene Freunde, Ver­wandte, Kinder, können auch in gewisser Weise wie eine Art Schwere wirken und die Seele in der Erdensphäre zurückhalten. Und es ist gut, gerade auch auf diesen Punkt das Augenmerk zu

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lenken, aus dem Grunde nämlich, weil wir, wenn wir diesen Punkt berücksichtigen, auch dadurch den Toten in einer gewissen Weise helfen können. Wenn wir wissen, daß zum Beispiel ein Hingestor­bener diese oder jene Sorge für Lebende empfinden kann - und man kann ja in dieser Beziehung gar manches wissen -, so ist es gut für die weitere Entwickelung des Toten, diese Sorge ihm abzuneh­men. Man erleichtert das Leben eines Toten in der Tat dadurch, daß man ihm zum Beispiel abnimmt die Sorge um ein Kind, das er unversorgt zurückgelassen hat. Wenn man also etwas tut für das Kind, so nimmt man in der Tat dem Toten eine Sorge ab, und es ist dies gerade ein rechter Liebesdienst. Denn stellen wir uns nur einmal die Situation vor. Solch ein Toter hat ja nicht die Mittel an der Hand, seinen Sorgen auch tatsächlich abzuhelfen; er kann oft­mals nicht das tun, was die Lage irgendeines zurückgelassenen Kindes, Verwandten, Freundes, erleichtern könnte von seiner Welt aus, und er ist oftmals - das ist ein in vielen Fällen außerordent­lich bedrückendes Gefühl für den seherischen Beobachter - ver­urteilt, diese Sorge so lange zu tragen, bis sich von selbst oder durch Umstände die Lage des Zurückgelassenen bessert. Wenn wir also etwas dazu tun, sie zu bessern, so ist die Folge diese, daß wir dem Toten einen rechten Liebesdienst erwiesen haben.

Es ist oftmals sogar beobachtet worden, daß irgendeine Persön­lichkeit hingestorben ist, die sich das oder jenes für das Leben noch vorgenommen hatte. Sie hing an einem solchen Vorsatz. Wir helfen ihr, wenn wir versuchen, unsererseits das zu tun, was sie gerne getan hätte. Das alles sind Dinge, die eigentlich gar nicht schwierig zu begreifen sind, die aber wirklich einmal ins Auge gefaßt werden sollen, weil sie mit der seherischen Beobachtung durchaus überein­stimmen.

Nun gibt es ja noch sehr viele Dinge, welche den Menschen lange festhalten können sozusagen in der Äthersphäre der Erde. Dann aber wächst er über diese Äthersphäre hinaus, und zum Teil habe ich ja schon geschildert, wie dieses Hinauswachsen geschieht. Wir müssen ja doch unsere Begriffe umformen, wenn wir das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt verstehen wollen.

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Es ist nicht gerade allzustörend, wenn wir über die Toten in Worten reden, welche angepaßt sind den Erdenverhältnissen, die sozusagen von diesen hergenommen sind, da wir ja eine eigentliche Sprache für die Erdenverhältnisse haben. Und wenn auch das nur bildmäßig stimmt, was wir in Worten ausdrücken können für das Leben nach dem Tode, so braucht das, was so in Worte gefaßt wird, nicht gerade unrichtig zu sein.

Man muß zum Beispiel berücksichtigen, daß ein jedes Charak­terisieren so, als ob der Tote sich abgeschlossen an einem Ort be­fände, als ob der Tote so abgeschlossen wäre wie ein im physischen Leibe Lebender, nie ganz richtig ist, weil in der Tat das Erleben nach dem Tode geradeso wie das Erleben innerhalb der Initiation ein Heraustreten aus dem Leibe ist, verbunden mit einer Verbrei­terung des ganzen Seelenwesens. Und wenn wir eben eine Seele verfolgen, die angekommen ist bei der Mondensphäre, wie wir sagen, so ist in der Tat, wenn wir leiblich begrenzen wollten, der Leib dann im Grunde genommen die Ausbreitung der Erlebnis-möglichkeit. Es dehnt sich dieser Leib aus über eine ganze Sphäre, die dann äußerlich begrenzt wird von dem Kreis der Mondenbahn. Der Mensch wächst in der Tat geistig zur Riesengröße; er wächst in die Sphären hinein, und die Sphären der Abgeschiedenen sind nicht in dem Sinne auseinander wie irdische Menschen, sondern sie stecken räumlich ineinander. Das Getrenntsein voneinander be­ruht darauf, daß die Bewußtseine voneinander getrennt sind; so daß man ganz ineinanderstecken kann, ohne voneinander zu wissen.

Was also gesagt worden ist bei meiner letzten Anwesenheit von dem Sich-einsam- oder -gesellig-Fühlen nach dem Tode, das bezieht sich auf die Verhältnisse der Bewußtseine untereinander. Nicht daß etwa auf einer isolierten Insel, räumlich vorgestellt, der Tote wäre; er durchdringt den andern, von dem er gar nichts weiß, trotzdem er mit ihm im selben Raume ist.

Nun müssen wir das einmal ins Auge fassen, was hauptsächlich in Betracht kommt, wenn das Kamaloka abgeschlossen ist. Wenn der Mensch sein devachanisches Dasein antritt nach der eigent­lichen Mondensphäre, ist das Kamaloka im Grunde genommen

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noch nicht ganz abgeschlossen. Das aber schließt nicht aus, daß innerhalb dieser Mondensphäre auch gewissermaßen Dinge abge­macht werden, welche nicht nur als Kamaloka-Erlebnisse bedeut­sam sind, sondern auch für das ganze spätere Erleben des Men­schen, wenn er wiederum durch die Geburt ins Dasein tritt. Wenn wir das, was in den Kamaloka-Erlebnissen dazukommt, ins Auge fassen wollen, so ist es in der folgenden Weise zu charakterisieren:

Der Mensch kann, wenn er hier das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt durchmacht, gewissermaßen so regsam sein innerhalb dieses Lebens, daß er alles das, was in ihm veranlagt ist, gewissermaßen in der Hauptsache auch wirklich aus seiner Seele herausbringt; daß er sozusagen hinter seiner Veranlagung nicht zurückbleibt. In der mannigfaltigsten ,Weise kann ja der Mensch hinter seiner Veranlagung zurückbleiben. Oh, es gibt viele Menschen im Leben, die sich uns so zeigen, wenn wir sie mit dem seelischen Blicke beobachten, daß wir mit Recht sagen können: Dieser Mensch hätte eigentlich nach seinen Fähigkeiten, nach seinen Veranlagun­gen etwas ganz anderes erreichen können im Leben, als er erreicht hat; er ist zurückgeblieben hinter seiner Veranlagung.

Noch etwas anderes kommt in Betracht. Es gibt Menschen, welche sich im Verlaufe ihres Lebens das Mannigfaltigste vorneh­men. Da braucht es sich also nicht bloß um Veranlagung zu han­deln, sondern um Vorsätze, die auf Kleines gehen können, die auf Großes gehen können. Wieviel wird von Menschen im Leben vor­genommen, das nicht eigentlich zur wirklichen Ausgestaltung kommt! Ja, es gibt da Dinge, die durchaus so sind, daß sie für das menschliche Leben nicht etwa einen Tadel einzuschließen brauchen. Jch will gleich, um zu zeigen, um was für bedeutsame Dinge es sich da handeln kann, auf eines aufmerksam machen, das einige unserer Freunde schon kennen, darauf, daß Goethe in seiner «Pandora» ein dichterisches Werk unternommen hat, mit dem er steckengeblieben ist. Ich habe das, was Goethe mit der «Pandora» passiert ist, schon einmal zu charakterisieren versucht dadurch, daß ich anführte:

Goethe ist gerade wegen des Großen, das in ihm lebte und das die Absicht zu dieser « Pandora » fassen, aber nicht das aus sich heraus

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entwickeln konnte, was diese Absicht auch in Wirklichkeit um­gesetzt hätte, Goethe ist gerade dadurch verhindert worden, diese So können wir sagen: Auf der einen Seite haben wir die Mög­lichkeit, daß der Mensch hinter seinen Anlagen zurückbleibt durch seine Bequemlichkeit, durch andere Charakter- oder intellektuelle Vernachlässigungen - aber wir haben auch die Möglichkeit, daß der Mensch hinter seinen Vorsätzen zurückbleibt bei größeren oder kleineren Sachen. Alles das, was der Mensch also sozusagen als eine Unvollkommenheit an sich trägt - es ist eine edle, große Unvoll­kommenheit, wenn ein Dichter eine «Pandora» nicht fertigmacht, es ist aber eine Unvollkommenheit für seine Person -, alles das, was der Mensch also an Unvollkommenheiten an sich trägt, das gräbt er ein in die Akasha-Chronik bis zur Mondensphäre hin; und für den seherischen Blick ist es tatsächlich eine reiche Auslese, alles auf sich wirken zu lassen, was zwischen Erde und Mond an mensch­lichen Unvollkommenheiten eingegraben ist. Da ist treulich alles verzeichnet, was an menschlichen edlen und unedlen Unvollkom­menheiten eingegraben werden kann. Da finden wir eingegrabene Fälle, die uns darauf hinweisen, wie ein Mensch durch seine phy­sische Gesundheit, durch seine für eine intellektuelle Begabung gut prädestinierte Leiblichkeit, irgend etwas hätte erreichen können, das er nicht erreicht hat. Das, was er hätte werden können und nicht war, als er durch die Pforte des Todes gegangen ist, das ist da ein-gegraben in die Akasha-Chronik.

Nun bitte ich Sie, sich nicht etwa vorzustellen, daß da in der Mondensphäre das Ende der #SE140-272

es ist die Tatsache eingegraben, die dem Goetheschen astra­lischen Leibe entspricht, wenn wir das in diesem astralischen Leibe ins Auge fassen, daß er eine umfassende Absicht hatte und nur ein Stück davon ausführte. Solche Dinge sind alle zwischen der Erde und dem Monde eingegraben. Aber auch alles das an kleinen Din­gen, was in diese Region gehört. Wer, sagen wir, einen Vorsatz gefaßt, diesen Vorsatz aber nicht ausgeführt hat, ehe er durch die Pforte des Todes gegangen ist, der gräbt die Nichterfüllung dieses Vorsatzes in das Gebiet zwischen Erde und Mond ein. Wir können ziemlich genau charakterisieren, was sich da alles dem seherischen Blicke zeigt. Ein Versprechen zum Beispiel, das man nicht gehalten hat, das gräbt sich erst später ein, eigentlich erst in der Merkur-sphäre. Das aber, was Vorsatz ist, gräbt sich in der Mondensphäre ein. Das nämlich, was nicht nur uns allein, sondern direkt andere Menschen berührt, das gräbt sich nicht gleich in der Mondensphäre ein, sondern erst später. Das aber, was uns berührt, uns hinter unserer Entwickelung zurückläßt, was uns in unserer persönlichen Fortentwickelung mit einer Unvollkommenheit ausstattet, das gräbt sich innerhalb der Mondensphäre ein.

Das ist besonders wichtig, daß wir neben allem anderen, was ich im vorigen Jahre hier sagte, auch das ins Auge fassen, daß nament­lich unsere Unvollkommenheiten, und zwar solche Unvollkom­menheiten, die eigentlich nach den Vorbedingungen nicht hätten zu sein brauchen, in der entsprechenden Mondensphäre eingegra­ben sind.

Man darf sich durchaus nicht vorstellen, daß das unter allen Umständen etwas Schreckliches sei, so etwas in der Mondensphäre eingegraben zu haben. Denn in einer gewissen Weise kann das so Eingegrabene gerade zu dem Wertvollsten, zu dem Bedeutungsvoll­sten gehören. Was der Sinn dieser Eingrabung in die Akasha­Chronik ist, wollen wir gleich besprechen. Ich will nur darauf auf­merksam machen, daß nun der Mensch, indem er sich weiter ver­größert in die anderen Sphären, anderes, das an ihm ist, was er sich entweder erworben hat an Unvollkommenheiten oder was er an Unvollkommenheiten gehabt hat, das alles eingräbt in die entsprechenden

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Sphären. Der Mensch wächst ja hinaus von der Monden­sphäre in die Merkursphäre. Ich spreche dabei immer im Sinne des Okkultismus, nicht im Sinne der Astronomie. Der Mensch gräbt also überall in der Merkursphäre, der Venus-, Sonnen-, Mars, J upiter-, Saturnsphäre und weiter hinaus etwas ein. Die meisten Ein-zeichnungen sind aber sozusagen innerhalb der Sonnensphäre; denn wir haben ja schon das letztemal gesehen, daß außerhalb der Son­nensphäre der Mensch im wesentlichen das auszumachen hat, was eigentlich gar nicht in seinem individuellen Belieben steht.

So geht der Mensch also zwischen dem Tod und einer neuen Geburt,' nachdem er mehr oder weniger abgemacht hat das, was ihn noch zur Erde zieht, durch die Sphären unseres Planetensystems und dann auch darüber hinaus. Und in dem Zusammenkommen mit den Kräften liegt eben das, was ihm notwendig ist in seiner Entwickelung zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Und wenn ich das vorige Mal davon gesprochen habe, daß der Mensch da zusammenkommt mit den höheren Hierarchien und ihre Gaben in Empfang nehmen muß, so ist äußerlich, also geistig äußerlich gefaßt, dieses gleichsam Vorübergehen vor den Wesenheiten der höheren Hierarchien und Entgegennehmen ihrer Gaben ein Ver­breitern in den Weltenraum hinaus. Und wenn der Mensch sich in einer entsprechenden Weise verbreitert hat, dann zieht er sich wie­derum zusammen, wird immer kleiner, bis er wirklich so klein geworden ist, daß er sich als geistiger Keim mit dem, was von Vater und Mutter kommt, vereinigen kann. Des ist ja das wunder­bare Geheimnis, daß der Mensch, wenn er durch die Pforte des Todes schreitet, in der Tat selber sozusagen eine immer größere und größere Sphäre wird, daß er seine Geistigkeit, das heißt die Lebensmöglichkeiten in seinem Seelischen verbreitert, daß er riesen­haft wird und dann sich wiederum zusammenzieht. Das, was in uns lebt, ist in der Tat aus einem Weltenall, möchte man sagen, aus einem Planetenall zusammengezogen, und wir tragen in uns ganz buchstäblich das, was wir durchlebt haben in einem Planetenall.

Ich möchte, nachdem ich ja bei meinem letzten Hiersein einiges von dem Durchgang durch die Merkur-, Venus-, Sonnensphäre

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besprochen habe, heute, weil das hier noch weniger berücksichtigt worden ist, etwas sprechen über den Durchgang durch die Mars Sphäre. Wenn der Mensch die Sonnensphäre passiert hat und dann in die Mars-Sphäre eintritt, dann tritt er eigentlich in unserem heu­tigen Zeitalter in ganz andere Verhältnisse ein als vor verhältnis mäßig noch kurzer Zeit. Gerade wenn man solche Dinge mit dem seherischen Blick verfolgt, dann sieht man, wie die Dinge, welche in alten Zeiten aus dem ursprünglich in der Menschheit vorhan­denen Hellsehen gesagt worden sind über die Glieder des Planeten­systems, durchaus nicht ohne einen realen Grund sind. Wenn man in dem Mars in alten Zeiten ein Glied unseres Planetenalls gesehen hat, das zusammenhängt mit allem Kriegerischen, Aggressiven in der Menschheitsentwickelung, so entspricht das im Grunde genom­men durchaus einer Realität. All die Phantastereien, die heute von der physischen Astronomie aufgestellt werden über ein etwaiges Leben auf dem Mars, sie entbehren ja im Grunde jeder wirklichen Unterlage. Die Wesenheiten, die wir eben, wenn wir den Ausdruck gebrauchen wollen, als die Marsmenschen bezeichnen können, die sind von ganz anderer Natur als die Erdenmenschen, lassen sich gar nicht damit vergleichen. Und das wesentlichste Charakteristi­kon für diese Wesenheiten war eigentlich immer bis ins siebzehnte Jahrhundert das Aggressive, das Kriegerische, das Angreifende, so daß, wenn wir das Wort sagen dürfen, die Marskultur im wesent­lichen wirklich eine kriegerische Kultur war. Alles beruhte auf dem Wetteifer und Wettkampf der sich aufeinander stürzenden Seelen. Und das, was der Mensch in der Zwischenzeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt beim Durchgange durch den Mars durch-machte, war durchaus ein Zusammenkommen mit den aggressiven Kräften; es gingen sozusagen über in seine Seele diese aggressiven Kräfte. Und wenn er dann wiederum geboren wurde und besonders veranlagt war, auf der Erde diese aggressiven Kräfte zu entwickeln, dann muß das zugeschrieben werden seinem Durchgang durch die Mars-Sphäre.

In dieser Beziehung ist ja das Leben wirklich eigentlich recht kompliziert. ,Wenn wir das Erdenleben beobachten, nicht wahr,

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dann leben wir unter den Wesenheiten der drei Naturreiche und unter den Menschen. Wir kommen zusammen durch die verschie­denen Mittel, die es geben kann, mit den Seelen, die durch ihr eigentliches Leben nach dem Tode noch in gewissem Zusammen-hange mit der Erde stehen; aber dazwischen kommen einem immer auch geistige Wesenheiten vor, die eigentlich auf der Erde ganz fremd sind. Und je besser sich ein seherischer Blick ausbildet, je weiter der Initiierte sieht, desto mehr erdenfremden Seelen begeg­net man, desto mehr erfährt man, daß da durch die Erdensphäre Durchzügler durchgehen, die eigentlich, man möchte sagen, nor­malerweise nicht mit dem Erdenleben zusammenhängen. Das ist aber nicht anders für uns Erdenmenschen, als es für die Monden­bewohner ist, durch deren Leben wir ja auch zwischen dem Tod und einer neuen Geburt durchgehen. Wir sind in einer gewissen Weise, wenn wir die Sphäre des Mars zum Beispiel durchgehen, für die Marsbewohner Gespenster; wir gehen da durch als ihrer Sphäre fremde Wesenheiten. So sind aber auch die Wesen des Mars in einem gewissen Stadium ihres Daseins durchaus verurteilt, durch unsere Erdensphäre durchzugehen; sie kommen da durch, und der mit einer gewissen Initiation Ausgestattete trifft sie sozusagen durch die geeigneten Zustände bei ihrem Durchzug durch die Erdensphäre. Es ist ein fortwährendes Aneinandervorbeigehen der Wesenheiten unseres Planetensystems. Während wir auf der Erde leben zwischen der Geburt und dem Tode und oftmals meinen, daß wir von nichts umgeben sind als nur von den Wesenheiten der verschiedenen Naturreiche, sind in unserer Umgebung die Durchzügler da von allen anderen Planeten unseres Planetensystems. Ebenso sind wir Durchzügler zu einer gewissen Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt bei den anderen planetarischen Menschen, wenn wir so sagen dürfen. - Es ist nur so, daß wir Menschen auf der Erde gerade das Wesentlichste von dem zu entwickeln haben, was inner­halb des gegenwärtigen Weltenzyklus unsere Mission ist. So sind den anderen planetarischen Welten andere Wesenheiten zugeteilt. Aber berühren müssen wir auch die anderen planetarischen ,Welten zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Spricht man also im

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allgemeinen von dem devachanischen Leben, so muß durchaus gesagt werden, daß, wenn wir so allgemein das oder jenes Gebiet im devachanischen Leben schildern, damit immer eigentlich unaus gesprochen bleibt, aber wahr ist, daß das in irgendeiner Sphäre unseres Planetensystems geschieht. Das gehört wesentlich noch dazu. So also gehen wir durch die MarsSphäre durch in einer gewis­sen Zeit unseres Lebens zwischen dem Tod und einer neuen Geburt.

Nun, wie die Erde eine Entwickelung durchmacht, eine abstei­gende Entwickelung bis zum Christus-Mysterium hin und eine auf­steigende Entwickelung vom Mysterium von Golgatha ab, so machen auch die anderen Planeten in ihrer Art eine Entwickelung durch. Und wie sozusagen vom Jahre 33 ab - es ist nicht ganz genau, aber doch annähernd so - eine aufsteigende Entwickelung auf der Erde beginnt, also da der eigentliche Schwerpunkt der Erden-entwickelung ist, so war auf dem Mars der Beginn des siebzehnten Jahrhunderts dieser Schwerpunkt, und alle Verhältnisse entwickeln sich sozusagen bis zu diesem Punkt hin auf dem Mars in einer Art absteigender Linie, von da ab in einer ganz anderen, aufsteigenden Linie. Denn damals ist gerade für den Mars etwas außerordentlich Bedeutsames geschehen. Wir haben kennengelernt mit Bezug auf unsere Erdenentwickelung die außerordentliche Gestalt des Gautama Buddha. Wir haben hervorgehoben, daß die Entwickelung dieses Buddha sich so vollzogen hat, daß er ein Bodhisattva war, bis er im 29. Jahre seines Lebens zur Buddhawürde erhoben worden ist, die ihn dazu bestimmte, nicht wiederum in einem physischen Erden­leibe verkörpert zu werden. Aus anderen Vorträgen werden Sie gesehen haben, daß der Buddha dann in der späteren Zeit aus der geistigen Welt noch in die Erdensphäre hinein heruntergewirkt hat. Wir wissen, daß er in den Astralleib des Lukas-Jesusknaben hineingewirkt hat. Aber auch in anderer Weise hat dieser Buddha noch, ohne daß er sich im physischen Leibe verkörpert hat, in das Erdenleben hineingewirkt. So im siebenten und achten Jahrhundert in einer Mysterienschule im südöstlichen Europa, in der - für die damals mehr oder weniger seherisch begabten Leute - Lehrer sein konnten nicht nur solche Individualitäten, die im Physischen verkörpert

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sind, sondern auch solche, die von geistigen Höhen nur in ihren Ätherleib herunterwirken. Das kommt ja durchaus vor, daß vorgerücktere Menschen von solchen Individualitäten unterrichtet werden können, die nicht mehr oder überhaupt nicht einen phy­sischen Leib annehmen. So war der Buddha Lehrer in einer solchen Mysterienschule, und zu seinen Schülern gehörte dazumal derjenige, der später, das heißt in seiner nächsten Inkarnation, als Franz von Assisi geboren worden ist. Und viele von den Eigenschaften, die wir da so gewaltig hervortreten sehen in dem Franz-von-Assisi-Leben, die sind darauf zurückzuführen, daß Franz von Assisi ein Buddha­Schüler' war. Da sehen wir also, wie der Buddha auch später noch nach dem Mysterium von Golgatha hereingewirkt hat aus geistiger Höhe in die irdische Sphäre, wie er verbunden war mit dem Leben, das eine Geltung hat für die Menschen zwischen Geburt und Tod. Dann aber, als das siebzehnte Jahrhundert heranrückte, zog sich der Buddha zurück von dem Erdenleben, und da vollbrachte dann der Buddha für den Mars ein ähnliches Ereignis, wenn auch nicht von solcher Größe wie das Mysterium von Golgatha, so doch das, was auf dem Mars dem Mysterium von Golgatha entspricht. Also im Beginne des siebzehnten Jahrhunderts wurde der Buddha der Mars-Erlöser, das heißt er wurde die Individualität, welche eine Sphäre von Frieden in dieses aggressive Element des Mars hinein­zumischen hatte. Und seit jener Zeit ist der Buddha-Impuls auf dem Mars ebenso zu finden, wie seit dem Mysterium von Golgatha auf der Erde der Christus-Impuls.

Nicht der Durchgang durch den Tod, wie es beim Mysterium von Golgatha der Fall ist, war das Buddha-Schicksal auf dem Mars, aber in gewisser Beziehung war es auch eine Art Kreuzigung, die darin bestand, daß diese wunderbare Individualität, die aus strahlte nach den Vorbedingungen ihres irdischen Lebens überall-hin Friede und Liebe, mitten hinein versetzt wurde unter das, was ihr völlig fremd war: unter das aggressive, unter das kriegerische Element des Mars. Besänftigend zu wirken hatte der Buddha auf dem Mars. Und für den seherischen Blick hat es etwas ungeheuer Eindrucksvolles, wenn zwei Momente miteinander verglichen werden:

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jener Moment, wo sozusagen innerhalb des Erdendaseins der Buddha aufgestiegen ist zu seiner höchsten Höhe, die er innerhalb des Erdendaseins erreichen konnte, wo er im achtzigsten Lebens jahr, nachdem er fünfzig Jahre als der Buddha auf der Erde gelebt hat - eben zur Buddhawürde erhoben , in einer wunderbaren Mondnacht, am 13. Oktober 483 vor unserer Zeitrechnung, wie aus hauchte sein Wesen in den silbernen Mondenglanz, der die Erde überglimmte. Dieses, das auch im Äußeren ist wie eine Manifesta­tion des von dem Buddha ausgummenden Friedenshauches, bezeugt uns den Höhepunkt der Buddha-Entwickelung innerhalb seines Erdendaseins. Es ist ein wunderbarer Moment und es hat etwas Ein­drucksvolles, wenn man danebenstellt den Moment, wie im Beginn des siebzehnten Jahrhunderts der Buddha auf dem Mars ankommt mit all der Summe von Friedens- und Liebeskräften, um in jenem aggressiven Elemente drinnen seinen Frieden, seine Liebe auszuströ­men und dadurch allmählich die aufsteigende Entwickelung des Mars zu inaugurieren. So daß also, wenn eine Seele vor dem Zeit-punkt des Buddha-Mysteriums durch den Mars durchgegangen ist, sie vorzugsweise ausgestattet worden ist mit den aggressiven Eigen­schaften, jetzt aber etvvas eigentlich wesentlich anderes durchmacht, wenn sie wirklich Anlage hat, von den Kräften des Mars etwas zu empfangen. Es muß, damit kein Mißverständnis entsteht auf diesem Gebiet, aufmerksam gemacht werden, daß ebenso wenig, wie die ganze Erde heute etwa schon verchristet ist, der ganze Mars zu einem Friedenspuaneten geworden wäre. Das wird noch lange dauern, so daß also, wenn die Seele ,Veranlassung hat, aggressive Elemente aufzunehmen, noch genügend Gelegenheit ist, auch solche Elemente in sich aufzunehmen; aber das Ereignis, von dem gespro­chen worden ist, muß eben ins geistige Auge gefaßt werden. Je mehr die Erde einer Art materiellen Entwickelung entgegengeht, desto weniger würde man, wenn man wirklich die Erdenentwicke­lung versteht, zugeben können, daß es naturgemäß wäre, im mensch­lichen Erdenleben zwischen der Geburt und dem Tode ein Buddha­Bekenner zu sein in dem Sinne, wie der Buddha seine Bekenner gehabt hat in der vorchristlichen Zeit.

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Es verliert sich allmählich alle Möglichkeit innerhalb der mensch­lichen Erdenentwickelung, eine solche Entwickelung durchzu­machen, wie die des Franz von Assisi; das wird immer weniger und weniger möguich sein, wird immer weniger zur äußeren Kultur hinzupassen; aber zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, da hat die menschuiche Seele Gelegenheit, das durchzumachen. Und wenn es nicht so grotesk klingen würde, so könnte es durchaus gesagt werden, weil es einem Tatbestand entspricht: Zwischen dem Tode und einer neuen Geburt hat eine gewisse Zeit hindurch wäh­rend des Durchgehens durch die Mars-Sphäre eine jede menschuiche Seele Gelegenheit, ein Franziskaner oder ein Buddhist zu sein und auue jene Kräfte aufzunehmen, welche aus einem solchen Fühlen und Erleben in die Menschenseele einfließen können. So also kann der Marsdurchgang für die menschliche Seele von ganz besonderer Wichtigkeit sein. Überall aber, wo der Mensch also hinkommt, schreibt er ein seine Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten, je nachdem sie den Eigenheiten dieser Sphäre entsprechen.

Und wahr ist es: Was wir an Vollkommenheiten und Unvoll­kommenheiten haben, das wird getreulich in die Akashatafel ein­geschrieben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Das ist da überall verzeichnet. Die eine von unseren Eigentümlichkeiten ist in der Mondensphäre verzeichnet, andere Eigentümlichkeiten sind ein­geschrieben in der Venus-, andere in der Mars-, andere in der Mer­kur-, andere in der Jupitersphäre und so weiter. Und wenn wir dann wiederum zurückkehren, langsam uns zusammenziehen, dann begeg­nen wir alledem, was wir beim Hinausgehen eingeschrieben haben, und so wird unser Karma technisch vorbereitet. Wenn wir beim Rückweg finden: Diese oder jene Unvollkommenheit haben wir ge­habt -,dann können wir eingraben in unser eigenes Wesen - nicht auslöschen, aber eingraben zunächst in unser eigenes Wesen - eine Abschrift von dem, was wir erst in die Akasha-Chronik eingegraben haben. Ausgelöscht wird es da noch nicht. Nun kommen wir unten auf der Erde an. Dadurch, daß wir das alles in uns haben, was wir beim Rückweg in uns einschreiben - und wir sind in gewisser Weise gezwungen, wenn auch nicht alles, so doch sehr vieles einzuschreiben -,

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dadurch entwickelt sich unser Karma; aber oben ist noch alles eingeschrieben. Und nun wirken merkwürdigerweise diese Schriften zusammen. Diese Schriften sind in Sphären eingegraben, in die Monden-, Venus-, Merkursphäre und so weiter. Diese Sphä­ren machen gewisse Bewegungen, so daß Folgendes vorkommen kann: Der Mensch hat eingegraben in die Mondensphäre eine gewisse Unvollkommenheit. Während er durch die Mars-Sphäre durchgegangen ist, hat er eine Charaktereigentümlichkeit von sich eingegraben dadurch, daß er ein gewisses aggressives Element, das er nicht gehabt hat, sich dort angeeignet hat; das hat er dort ein­gegraben. Jetzt geht er weiter durch, kommt wiederum auf die Erde zurück. Indem er hier auf der Erde lebt, hat er ja in sein Karma aufgenommen das, was er eingegraben hat; aber es steht zugleich über ihm geschrieben. Da oben ist der Mars, der in gewisser Kon­stellation zum Monde steht; die äußeren Planeten geben die gegen­seitige Stellung der Sphären an. Indem der Mars in gewisser Kon­stellation zum Monde steht, steht sozusagen in derselben Konstel­lation seine aggressive Eingrabung und seine Unvollkommenheit. Die Folge davon ist, daß die zusammenwirken, wenn sie hinter­einanderstehen, und daß das der Moment ist, der angeben kann, wo er im nächsten Leben durch die aggressive Kraft des Mars das unternimmt, was unvollkommen geblieben ist. So zeigt die Stellung der Planeten eigentlich das an, was der Mensch erst selber in diese Sphären eingeschrieben hat. Und wenn wir astrologisch ablesen die Stellungen der Planeten und auch die Stellung der Planeten zur Stellung der Fixsterne, so ist dieses wie eine Art Anzeige dessen , was wir selber eingeschrieben haben. Es kommt nicht so sehr auf die äußeren Planeten an -, was auf uns wirkt, ist das, was wir in die einzelnen Sphären eingegraben haben. Hier haben Sie den eigentlichen Grund, warum die Konstellationen der Planeten doch wirken, warum sie anzeigen Wirkungen für die Menschennatur:

weil der Mensch durch sie hindurchgeht. Und wenn der Mond in einer gewissen Stellung zum Mars steht und zu einem Fixstern , so wirkt diese Konstellation zusammen; das heißt Marstugend wirkt zusammen mit Mond und Fixstern auf den Menschen, und

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dadurch geschieht das, was durch das Zusammenwirken geschehen kann.

So also ist es eigentlich unsere zwischen dem Tod und einer neuen Geburt abgelagerte moralische Verlassenschaft sozusagen, die in einem neuen Leben als Sternenkonstellation in unserem Schicksal karmisch wiederum auftritt. Das ist der tiefere Grund der Sternenkonstellation und ihres Zusammenhanges mit dem mensch­lichen Karma. So merkt man, wenn man also eingeht auf das Leben des Menschen zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, wie dieser Mensch eigentlich mit dem ganzen Weltenall zusammen­hängt, wie bedeutsam er zusammenhängt.

Und namentlich mit dem, was außerhalb der Sonnensphäre liegt, hängt der Mensch, ich möchte sagen, mit einem gewissen Charakter von Notwendigkeit zusammen. Betrachten wir ganz besonders die Saturnsphäre. Wenn der Mensch, sagen wir, sich bemüht hat, in dem gegenwärtigen Erdenleben sich mit geisteswissenschaftlichen Be­griffen zu befassen, dann ist eigentlich besonders bedeutungsvoll für sein nächstes Leben der Durchgang durch die Saturnsphäre; denn in dieser werden die Bedingungen geschaffen, daß der Mensch die Kräfte, die er sich hier durch die Kenntnis der Geisteswissen­schaft oder Anthroposophie aneignet, umsetzen kann in solche Kräfte, die ihm dann seine Leiblichkeit plastisch ausgestalten, so daß er es dann im nächsten Leben wie eine selbstverständliche An­lage in sich trägt, zum Spirituellen hinzuneigen schon durch seine Anlage. Also jetzt kann es so sein, daß der Mensch heranwächst; er ist als Materialist oder als Evangelischer oder als Katholik erzogen worden. Die Geisteswissenschaft tritt an ihn heran; er ist empfäng­lich dafür, lehnt sie nicht ab aus diesem oder jenem Grunde: dann hat er sie innerlich seelisch aufgenommen. Jetzt geht er durch die Pforte des Todes; er kommt durch die Saturnsphäre. Indem er durch sie hindurch geht, nimmt er solche Kräfte auf, daß er sozu­sagen in seinem nächsten Leben der geborene spirituelle Mensch ist, daß er schon als Kind überall Hinneigung zum Spirituellen zeigt.

So hat jedes Gebiet, das wir durchwandern zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, etwas von der Aufgabe, umzuwandeln,

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was wir seelisch aufnehmen in einem Leben, in solche Kräfte, die dann Leibeskräfte werden können und uns zwischen einer neuen Geburt und dem Tod mit gewissen Fähigkeiten begaben. Gestern konnte ich natürlich nur so weit gehen, wie in einem öffentlichen Vortrag gegangen werden kann, als ich bemerkte, daß Raflae/ bei seiner Geburt die christlichen Impulse wie selbstverständlich schon in sich hatte. So darf man sich nicht etwa darunter vor­stellen, daß Raffael irgendwelche christlichen Begriffe - ich habe nie gesagt: Begriffe, sondern Impulse -, daß Raffael christ­liche Begriffe oder Vorstellungen sich mitgebracht hat. Impulse bringt man sich von einem Leben ins andere, so daß das, was in einem Leben begrifflich aufgenommen wird, in ganz anderer Weise mit dem Menschen vereinigt wird und dann als Kräfte auftritt; so daß die Fähigkeit, gerade seine zarten, bedeutungs­vollen christlichen Gestalten zu schaffen, von Raffaels früheren Inkarnationen gekommen war; das war das, was ihn bezeichnen läßt als eine Art geborenen Christen. Die meisten unserer Freunde wissen ja, daß Raffael, bevor er diese Inkarnation durchgemacht hat, diejenige des Johannes des Täufers durchgemacht hat, und da sind eben die Impulse in seine Seele gegangen, die dann heraus­kamen im Raffaeldasein sozusagen als ihm eingeborene, als schon von der Geburt an vorhandene christliche Impulse. Es muß immer gesagt werden, daß man durch äußerliches Spintisieren, durch allerlei äußere Vergleiche wirklich recht sehr daneben hauen kann, wenn man über aufeinanderfolgende Inkarnationen etwas sagt. Vor dem seherischen Blick nehmen sie sich so aus, daß man meist nicht vermuten würde, daß das eine Leben die Ursache des folgenden ist. Also, damit irgend etwas, das wir seelisch aufnehmen in einer Inkarnation, in der nächsten Inkarnation auch solche Kräfte entfalten kann, daß wir in die leibliche Seite der Anlagen hinein-wirken können, dazu ist der Durchgang notwendig zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, weil wir auf der Erde nicht um­wandeln können - nicht durch alle Erdenkräfte können wir das umwandeln, was wir nur seelisch auf der Erde erleben - in solche Kräfte, die am Menschen arbeiten können, die am Menschen selber

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plastisch ausgestalten können. Der Mensch ist eben in seiner Totali-rät durchaus kein Erdenwesen, sondern der Mensch würde in seiner Leiblichkeit schauderhaft für die gegenwärtigen menschlichen Ideen ausschauen, wenn all die Kräfte nur verwendet werden könnten für seine plastische Ausgestaltung, die in der Erdensphäre selber vorhanden sind. Der Mensch muß in sich tragen, wenn er durch die Geburt ins Dasein tritt, die Kräfte des Kosmos; die müssen weiter-wirken, damit er überhaupt die menschliche Gestalt annehmen kann. Innerhalb der Erdensphäre gibt es keine Möglichkeit, solche Kräfte heranzutragen, die Menschengestalten plastisch bilden kön­nen. Das ist das, was ins Auge gefaßt werden muß. So trägt der Mensch in dem, was er ist, durchaus das Bild des Kosmos, nicht bloß das Bild der Erde in sich, und es ist eine völlige Versündigung gegen das Wesen des Menschen, wenn man dieses nur ableitet von dem, was Kräfte der Erde sind, wenn man also nur das studiert, was in den Reichen der Erde äußerlich durch die Naturwissenschaft beobachtet werden kann, und keine Rücksicht darauf nimmt, daß in dem, was der Mensch auf der Erde bekommt, waltend ist zu­gleich das, was er sich, indem er durch die Geburt schreitet, aus den überirdischen Sphären mitbringt, die er durchwandert zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Und innerhalb dieser Sphärenfolge geschieht auch alles das, was von der Art ist, wie es vorgestern geschildert worden ist. Da wird der Mensch ein Diener der einen oder anderen Mächte der höheren Hierarchien.

Nun ist von ganz besonderer Wichtigkeit alles das, was sozu­sagen eingeschrieben wird in die Akasha-Chroniktafel zwischen der Erde und dem Mond. Denn da werden unter anderem eingeschrie­ben alle Unvollkommenheiten - und ich bitte zu berücksichtigen, daß bei dem Einschreiben dieser Unvollkommenheiten zunächst der Gesichtspunkt obwaltet, daß da alles eingeschrieben wird, was sozu­sagen für die eigene menschliche Entwickelung eine Bedeutung hat, was sozusagen den Menschen vorwärtsbringt oder zurückhält. Aber dadurch, daß es in die Mondensphäre eingeschrieben wird, also in der Akasha-Chroniktafel zwischen Erde und Mond steht, gewinnt es weiter eine Bedeutung für die ganze Erdenentwickelung. Wir haben

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also unser Leben auf der Erde: wir haben dieses Leben auf der Erde umgeben von der Mondensphäre; in der Akasha-Chroniktafel der Mondensphäre haben wir eingeschrieben Unvollkommenheiten über Unvollkommenheiten, unter anderem auch die Unvollkom­menheiten zum Beispiel großer Geister. Ein ungeheuer interessantes Beispiel ist für die seherische Beobachtung zum Beispiel Lionardo da Vinci. Dieser ist ein Geist von so großer, umfassender Gewalt, wie wirklich wenige Geister dieses Ranges auf der Erde; aber was er im Grunde genommen wirklich äußerlich geleistet hat, ist im Verhältnis zu dem, was er gewollt hat, vielfach unvollendet geblie­ben. Es hat eigentlich keiner der ähnlichen Geister so viel un­vollendet gelassen wie gerade Lionardo da Vinci. Und die Folge war, daß ungeheuer vieles eingegraben war durch Lionardo da Vinci in die Mondensphäre. Es ist da so vieles eingegraben, daß man bei manchem sagen muß: Was da eingegraben ist, weiß man gar nicht einmal, wie es hätte überhaupt auf der Erde zur Vollkommenheit gedeihen können!

Ich möchte Sie da auf etwas aufmerksam machen, was mir wirk­lich außerordentlich bedeutungsvoll erschienen ist, als ich mich befaßte mit Lionardo da Vinci. Ich hatte ja in Berlin einen Vortrag zu halten gerade über Lionardo da Vinci. Da war es mir sehr, sehr bedeutungsvoll, gerade eines bei ihm zu beobachten. Es erfüllt ja mit einem gewissen Schmerz, wenn man heute die immer mehr und mehr verschwindenden Farbenfiecke im Refektorium von Santa Maria delle Grazie in Mailand sieht, die wahrhaftig nur noch einen Schatten geben von dem, was diese Bilder gewesen waren. Wenn man nun in Betracht zieht, daß Lionardo da Vinci sechzehn Jahre lang an diesem Bilde gemalt hat und wie er gemalt hat, dann be­kommt man eben einen Eindruck. Es ist bekannt, daß er manchmal lange aussetzte, daß er dann hinging, lange vor dem Bilde saß, ein paar Pinselstriche machte und wieder fortging. Es ist auch bekannt, daß er keine Möglichkeit sah manchmal, das auszudrücken, was er ausdrücken wollte, daß er unter furchtbaren Depressionen litt, weil er nicht ausdrücken konnte, was er in dem Bilde ausdrücken wollte. Als ein neuer Prior in das Kloster gekommen war, ein pedantischstrenger

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Prior, der für die Kunst wenig Verständnis hatte, da war das in einer Zeit, in der Lionardo da Vinci schon lange, lange gearbeitet hatte an dem Bilde. Der Prior war ungeduldig und sagte:

Warum kann denn der Maler nicht fertig werden? und machte ihm Vorwürfe, beklagte sich auch beim Herzog Ludovico. Der Her­zog sagte das dem Lionardo da Vinci und Lionardo antwortete:

Ich weiß überhaupt nicht, ob ich das Bild fertigbringen werde; denn zu allen anderen Gestalten habe ich Vorbilder in der Natur, aber zu Judas und zu dem Christus habe ich keine Modelle, höch­stens zum Judas: da kann ich ja, wenn sich kein anderes ergibt, den Prior nehmen. Aber zu dem Christus habe ich kein Vorbild.

Das ist aber nicht das, was ich jetzt meine, sondern das Fol­gende: Wenn man auch äußerlich heute in dem ganz zu einem Schatten herabgekommenen Bilde die Gestalt des Judas ansieht, so sieht man auf der Gestalt einen Schatten, der sich durch nichts erklärt, nicht durch Licht, das einfällt und so weiter. Nun zeigt sich das Folgende durch okltulte Untersuchung: Es zeigt sich, daß so, wie es Lionardo da Vinci hat haben wollen, das Bild niemals an der Wand war. Er wollte das übrige alles nach Licht- und Schatten-verhältnissen machen, aber der Judas sollte so charakterisiert wer­den, daß man glaubte, daß Finsternis über seinem Gesichte waltet von innen heraus, nicht durch äußere Verteilung von Licht und Schatten. Und beim Christus sollte es so sein, daß das Licht auf seinem Antlitz lebte, das von innen heraus kam. Man sollte dem Gesicht glauben, daß es von innen heraus leuchtet. Da kam Lionardo da Vinci in Disharmonie hinein, und es ist das niemals so herausgekommen, wie er gewollt hat. Da hat man tatsächlich etwas, was sich ergibt, wenn man das viele, heute noch von Lionardo Herrührende, in die Mondensphäre Eingegrabene betrachtet, da hat man etwas, wie es in der Erdensphäre überhaupt nicht vollzogen werden konnte. Wenn man nun die ganze Zeit verfolgt, die auf Lionardo da Vinci folgt, dann zeigt sich, daß Lionardo da Vinci in einer ganzen Reihe ihm folgender Geister weiterwirkte. Schon äußerlich in Lionardos Schriften kann man Dinge finden, die unter Naturwissenschaftern, auch unter Künstlern in der späteren Zeit

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hervorgetreten sind; das ganze folgende Zeitalter steht unter dem Einfluß Lionardo da Vincis. Und da zeigt sich nun, daß es die ein-gegrabenen Unvollkommenheiten sind, die nun inspirierend gewirkt haben in die Seelen der Nachfolger, der später, nach Lionardo da Vinci lebenden Menschen.

Nämlich für ein folgendes Zeitalter sind die Unvollkommen­heiten des vorhergehenden noch wichtiger als die Vollkommen-heiten. Die Vollkommenheiten sind da zur Betrachtung; aber was auf der Erde vollkommen ausgestaltet ist bis zu einem gewissen Grade, das ist sozusagen an einem Ende angekommen, das hat in der Entwickelung einen Abschluß erhalten; das aber, was unvoll­kommen war, ist der Keim der folgenden göttlichen Entwickelung. Und hier kommen wir an einen der merkwürdigen grandiosen

Widersprüche: Das Beste für die Folgezeit ist das fruchtbare Un­vollkommene - aber eben das fruchtbare, das berechtigte Unvoll­kommene der früheren Zeit. Das Vollkommene einer früheren Zeit ist sozusagen für den Genuß; das Unvollkommene aber - jenes Unvollkommene, das von den Großen herrührt, die hinter sich zurückgeblieben sind -, das ist für das Schaffen der folgenden Zeit. Und deshalb erscheint es einem ungeheuer weisheitsvoll eingegra­ben, daß das in der Nähe der Erde verbleibt, tatsächlich zwischen der Erde und dem Monde in der Akasha-Chroniktafel eingegraben ist. Und hier kommen wir dann zu dem Punkt, wo in einer gewis sen Weise der Satz verstanden werden kann: daß Vollkommenheit für die verschiedensten Epochen das Ende der Evolution, einer Evolutionsströmung bedeutet; Unvollkommenheit aber unter Um­ständen den Anfang einer Evolutionsströmung. Und für das, was in dem Sinne das Unvollkommene ist, müssen die Menschen eigent­lich den Göttern besonders dankbar sein.

Was will man durch solche Betrachtungen, wie sie heute an­gestellt worden sind? Man will dadurch eben begreiflich machen immer mehr und mehr den Zusammenhang des Menschen mit dem gesamten Makrokosmos, will zeigen, wie die Menschen wirklich den Makrokosmos wie zusammengerollt in sich tragen und auch Beziehungen haben können zu dem, was sie geistig umgibt. Und

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dann, wenn wir so etwas durchschauen, dann kann sich so etwas in ein Gefühl verwandeln, das den Menschen durchdringt, so daß er mit diesem Wissen einen Begriff von seiner Würde verbindet, der ihn aber nicht eingebildet macht, sondern der ihn verantwortungs­voll macht, der ihn anregt, nicht glauben zu dürfen, daß er seine Kräfte im Weltall vergeuden darf, sondern daß er sie verwenden muß. Es muß natürlich darauf aufmerksam gemacht werden, daß niemand dadurch etwas gewinnt, wenn er sagen würde: Wenn ich Fähigkeiten habe, so lasse ich sie lieber unvollkommen. - Dadurch würde nichts gewonnen werden; denn da würde in der Tat das ein­treten, daß der Mensch in Lagen käme, die dem gleichen, was ich vorgestern ausführte. Wenn absichtlich der Mensch Unvollkommen­heiten in sich ließe, so würde er zwar auch diese einschreiben, aber er würde sie in solcher Weise einschreiben, daß sie nicht beleuchtet sind, daß sie also auch nicht wirken können. Nur die Unvollkom­menheiten, die so eingeschrieben sind, daß ihre Unvollkommen­heit Notwendigkeit gewesen ist, nicht eine durch Bequemlichkeit gegebene Absicht, nur solche können in solcher Art wirken, wie das beschrieben worden ist.

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ERGÄNZENDE TATSACHEN ÜBER DAS LEBEN ZWISCHEN TOD UND NEUER GEBURT Breslau, 5. April 1913

Wenn wir hier in unserem Zweige beisammen sind, dann ist es wohl möglich, über manche Dinge genauer zu sprechen, als das in öffentlichen Vorträgen oder Schriften geschehen kann. Und so möchte ich heute einiges auseinandersetzen, das als Ergänzung die­nen kann zu Erkenntnissen, die uns bekannt sind aus unsern Schrif­ten und Zyklen.

Sie können sich denken, meine lieben Freunde, daß das Leben zwischen Tod und neuer Geburt ebenso reich und ebenso mannig­faltig ist wie das Leben hier zwischen Geburt und Tod, so daß man immer, wenn man schildert, was da vorgeht zwischen Tod und neuer Geburt, selbstverständlich nur Teile, nur Einzelheiten herausgreifen kann. Ich will heute weniger berühren, was schon bekannt ist, sondern auf einiges hinweisen, was das Bekannte genauer beleuchten soll.

Wenn derjenige, der in die geistigen Welten hineinzuschauen vermag, wirklich den Blick richtet in jene Welt, in welcher der Mensch verweilt zwischen Tod und neuer Geburt, dann ergibt sich gerade für unsre Zeit so recht die Notwendigkeit desjenigen, was wir hier wollen durch unsere geisteswissenschaftliche Arbeit; durch das, was gegeben werden kann dem Herzen und der Seele des Men­schen durch die geisteswissenschaftliche Arbeit.

Es sei von einem besonderen Falle ausgegangen. Da ereignete es sich zum Beispiel, daß ein Mann hinweggestorben ist von seiner Familie, der seine Gattin hier im Leben außerordentlich lieb hatte, der seiner Familie immer zugetan war. Und als er vom Seherauge aufgesucht wurde, litt er ganz besonders daran, daß er nicht finden konnte, wenn er seinerseits auf die Erde hinunterschaute, die Seelen seiner Kinder, die Seele seiner Frau. Und auf die Art, wie sich der Seher in Verbindung setzen kann mit Menschenseelen, sozusagen sich besprechen kann mit Menschenseelen zwischen Tod und neuer

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Geburt, tat er dann kund, wie er zwar mit seinen Gedanken, mit all seinen Empfindungen zurückdenken kann an die Zeit, wo er mit den Seinigen auf der Erde verweilte; aber er sagte dann etwa so:

Ja, als ich auf der Erde war, da war mir meine Gattin wie eine Art Sonnenschein, jetzt muß ich das entbehren. Ich kann nur den Ge­danken zurücktichten an das, was ich auf der Erde gehabt habe, aber ich kann die Gattin nicht finden. - Woher kommt das? Denn es ist nicht bei allen so, die durch die Pforte des Todes gegangen sind. Wenn wir viele Jahrtausende zurückgingen, würden wir finden, daß die Seelen der Menschen auch von diesem geistigen Gebiet hin­unterschauen konnten, teilhaben konnten an dem, was die Hinter­bliebenen auf der Erde trieben. Warum war das so für alle Seelen in alten Zeiten, in den Zeiten vor dem Mysterium von Golgatha? Warum ist es heute für viele nicht so? Ja, in alten Zeiten, da leb­ten, wie wir wissen, die Menschen auf der Erde so, daß sie noch ein gewisses ursprüngliches Hellsehen hatten. Es sahen die Men­schen nicht nur durch die Augen in die sinnliche Welt, sondern sie sahen hinter den sinnlichen Dingen die geistigen Urgründe, die Urwesenheiten. Und diese Fähigkeit, mit der geistigen Welt im phy­sischen Dasein zusammenzuleben, brachte es mit sich, daß die Seele, wenn sie durch die Pforte des Todes gegangen war, alles das Seelische wieder wahrnehmen konnte, was sie hier zurückgelas­sen hatte. Jetzt haben die Menschenseelen hier nicht mehr die Fähigkeit, mit der geistigen Welt unmittelbar zu leben, denn darin besteht ja die Entwickelung der Menschheit, daß der Mensch her­untergestiegen ist vom geistigen Leben zum physischen Leben. Das hat gebracht die Fähigkeit zu urteilen und so weiter, aber es hat genommen die Fähigkeit, mit den geistigen Welten zu leben. Eine Zeitlang, in den Zeiten unmittelbar nach dem Mysterium von Gol­gatha, als die Menschenseelen ergriffen waren von dem Christus­Impuls, konnte wenigstens ein Teil der Menschheit in einer gewis sen Weise die Fähigkeit wieder erlangen. Aber jetzt leben wir wiederum in einer Zeit, wo die Seelen, die durch die Pforte des Todes gehen und die sich nicht gekümmert haben um die geistigen Welten, von der geistigen Welt aus den Zusammenhang verlieren.

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Wir brauchen die Offenbarung, die wir die spirituelle Offen-barung nennen und von der wir die berechtigte Anschauung haben, daß sie sich einprägen soll in die Menschenseelen. Heute genügt nicht mehr das alte bloß religiöse Bekenntnis; heute brauchen die Seelen, wenn sie geistig schauen wollen von der jenseitigen Welt hierher, was ihnen gegeben werden kann durch das geisteswissen­schaftliche Verständnis des Mysteriums von Golgatha. So bemühen wir uns, Geisteslicht in die Seelen zu bekommen.

Der Mann, der in der geschilderten Weise gefunden worden war , hatte sich nicht gekümmert um irgendwelche Gedanken und Emp­findungen der geistigen Welt. Er ging durch die Pforte des Todes, ohne daß er hier durch seine Seele hatte ziehen lassen Gedanken der geistigen Welt. So kam es, daß der Mann sagen konnte: Ich weiß aus meinem Gedächtnis, daß da unten meine Gattin ist; ich weiß, sie ist da, aber ich kann sie nicht sehen, nicht finden.

Wann hätte er sie finden können? Von jener Welt herunter kann man heute nur solche Seelen sehen, in denen spirituelle Fähigkeiten leben. Solche Seelen kann man schauen von der andern Welt her, in denen die Gedanken eines spirituellen Verständnisses leben. Wenn man hinunterblickt, so wird eine Seele, die hier geblieben ist, erst sichtbar für den Toten, wenn in dieser Seele spirituelle Gedan­ken leben. Diese Gedanken sieht man. Sonst bleibt die Seele un­sichtbar. Sonst leidet man unter den Qualen, zu wissen, sie ist da, aber man kann sie nicht finden. In dem Augenblicke, wo es gelingt, einer solchen Seele irgendwelche Gedanken zu übermitteln über die spirituelle Welt, da beginnt die Erdenseele für den in der andern Welt Lebenden aufzuleuchten, dann beginnt sie dazusein für ihn.

Sagen Sie nicht, daß es eine Ungerechtigkeit wäre, wenn solche Seelen, die hier auf Erden vielleicht ohne ihre Schuld keine spiri­tuellen Gedanken haben, unsichtbar bleiben für die Toten. Wenn die Welt nicht so eingerichtet wäre, daß dies so ist, dann würden die Menschen niemals dazu kommen , nach Vervollkommnung zu streben. Die Menschen müssen durch das, was sie entbehren, ler­nen. Eine solche Seele, die dann in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt leidet an dem Schmerz und an der Einsamkeit, eine

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solche Seele bekommt dadurch den Impuls, spirituelle Gedanken aufzunehmen.

So sehen wir, daß Geisteswissenschaft unter diesem Gesichts­punkte ist wie eine Sprache, durch die Lebende und Tote sich ver­stehen, durch die sie füreinander da sind und wahrnehmbar sind.

Und noch in anderer Beziehung zeigt sich, welche Mission Gei­steswissenschaft hat in bezug auf die Überbrückung des Abgrundes zwischen Leben und Tod. Wenn Menschenseelen durch die Pforte des Todes schreiten, dann treten sie ja in ein Leben ein, welches den Zusammenhang mit dem Erdenleben erhält durch die Erinne­rung an das, was vergangen ist. - Ich schildere nicht das, was in unseren Büchern zu finden ist, sondern zur Ergänzung dessen. -Längere Zeit nach dem Tode hat der Mensch damit zu tun, daß er noch zurückempfinden muß die Erde, daß er sich abgewöhnen muß die Sehnsucht, einen physischen Leib zu haben. In der Zeit des Sich­abgewöhnens lernt der Mensch als ein seelisch-geistiges ,Wesen leben. Stellen wir uns recht lebendig vor, wie es sich der sehe­rischen Forschung darbietet. Zunächst hat die Seele einen Zusam­menhang nur mit dem, was sie selber war; man schaut hin auf das eigene innere Leben, das in Gedanken, Vorstellungen und so weiter abgelaufen ist; man erinnert sich an Beziehungen, die man zu andern Menschen gehabt hat. Aber wenn man auf die Erde hin­unterschauen will, dann bietet sich ein besonderer Anblick. Man hat den Trieb, hinunterzuschauen. Dieser Trieb, der Erde zu geden­ken, bleibt im ganzen Leben zwischen Tod und neuer Geburt. So lange der Mensch berufen ist, von Leben zu Leben zu gehen, so lange bleibt das Bewußtsein: Du bist für die Erde bestimmt, du mußt immer wieder auf die Erde zurückkehren, wenn du dich in der rechten Weise entwickeln willst. - Da zeigt sich bei dem Toten, daß, wenn er den Gedanken an die Erde verlieren würde, er dann als Toter ganz verlieren würde den Gedanken an sein Ich. Dann würde er nicht mehr wissen, daß er selber ist, und das würde ein ungeheures Leidesgefühl bedeuten. Der Mensch darf eben den Zu­sammenhang mit der Erde nicht verlieren, es darf die Erde nicht sozusagen entrinnen für sein Vorstellen. Im allgemeinen kann sie

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ihm auch nicht ganz verschwinden. Nur in unserer Zeit der mate­rialistischen Hochflut, wo diese spirituelle Offenbarung kommen muß, damit der Zusammenhang zwischen Lebenden und Toten erhalten bleibe, da ist das Zurückblicken schwierig für die Seelen, die mit keinen andern Seelen auf der Erde zusammenkamen, in denen spirituelle Gedanken und Empfindungen vorhanden sind.

Für die Toten ist es wichtig, daß diejenigen, mit denen sie auf Erden in Verbindung gestanden haben, allabendlich in die Welt des Schlafes hinein mitnehmen Gedanken an die spirituelle Welt. Je mehr wir Gedanken an die spirituelle Welt hineinnehmen in den Schlaf, desto Besseres leisten wir für diejenigen, die uns hier im Leben persönlich bekannt waren oder mit uns in irgendwelchen Beziehungen gestanden haben und vor uns hinweggestorben sind. Es ist ja schwierig, über diese Verhältnisse zu sprechen, denn unsere Worte sind genommen von dem physischen Plan. Dasjenige, was wir in den Schlaf hinein mitbringen an spirituellen Gedanken, das ist die Welt, von der in einer gewissen Weise die Toten leben müs­sen, und ein Toter, welcher niemand hier auf Erden hat, der in den Schlaf hinein spirituelle Gedanken hinüberträgt, der hungert gewissermaßen, der ist wie einer, der auf Erden auf eine Felseninsel ver­setzt ist. So fühlt der Tote, wenn er keine Seelen findet, in denen spirituelle Empfindungen leben, wie wenn er in einer Öde wäre , wie wenn nichts da wäre , was er zum Leben braucht. Daher kann man gar nicht sagen, wie ernst wiederum die Gedanken geistes­wissenschaftlicher Weltanschauung zu nehmen sind, wenn man in unserer Zeit immer mehr die Weltanschauung überhandnehmen sieht, die nichts wissen will von geistigen Welten. Früher, wo man mit einem andächtigen Abendgebet zur Ruhe ging und mirnahm die Nachwirkungen dieses Abendgebetes, war das anders als heute, wo die Menschen vielleicht nach einem Mahle oder andern Genüs­sen, ohne an etwas Übersinnliches zu denken, gedankenlos in den Schlaf sinken. So entzieht man den Toten ihre geistige Nahrung. Diese Erkenntnisse müssen immer mehr und mehr zu dem führen, was da, wo es von unsern Freunden geleistet wird, schon recht gute Früchte getragen hat: das ist dasjenige, was ich nennen möchte das

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Vorlesen den Toten. Dieses Vorlesen den Toten hat eine ungeheure Bedeutung.

Nehmen wir an, hier auf Erden hätten zwei Menschen neben­einander gelebt; der eine hätte durch innere Impulse des Herzens den Drang empfunden zur Geisteswissenschaft, der andere wird ihr aber gerade dadurch immer mehr abgeneigt. In einem solchen Falle vermag man oftmals über den Lebenden nichts, um ihm zu einer spirituellen Weltanschauung zu verhelfen; ja vielleicht gerade da­durch, daß man sich darum bemüht, macht man ihn erst recht zu einem Hasser derselben. Nehmen wir an, ein solcher Mensch stirbt vor uns; dann haben wir die Möglichkeit, ihm nach seinem Tode um so besser zu helfen.

Dasjenige, was in unsern Seelen lebt, ist etwas recht Komplizier­tes, und dasjenige, worüber sich unser Bewußtsein ausbreitet, ist nur ein Teil des Seeleninhalts. Der Mensch weiß gar vieles nicht, was in seiner Seele ist; und es ist manchmal etwas vorhanden, wo­von er glaubt, es sei das Gegenteil da. So kann es sein und sich wirklich zutragen, daß jemand ein Hasser der Geisteswissenschaft wird. Das nimmt er wahr mit seinem Bewußtsein. In der Tiefe sei­ner Seele kann er aber eine um so tiefere Sehnsucht nach Geistes­wissenschaft haben. Wenn wir durch die Pforte des Todes geschrit­ten sind, da leben wir das Leben, das wir in der Tiefe unserer Seele gelebt haben. Wenn man an die Toten herantritt, die man hier im Leben gekannt hat, zeigen sie sich oft als ganz anders geartet als hier. Ein Mensch, der mit Bewußtsein die Geisteswissenschaft gehaßt hat, aber in tiefster Seele danach Sehnsucht hat, ohne daß er es weiß, in dem tritt oftmals nach dem Tode diese Sehnsucht ganz besonders hervor. Wir helfen ihm, wenn wir ein Buch geistes-wissenschaftlichen Inhalts nehmen, uns das Bild des Toten inner­lich vorstellen und wie einem Lebenden, nicht laut, sondern leise, dem Toten vorlesen. Das verstehen die Toten. Natürlich um so ein­dringlicher verstehen es diejenigen, die schon im Leben dem Spiri­tuellen nahegestanden haben. Wir sollten nicht versäumen, den Verstorbenen vorzulesen oder uns mit ihnen in Gedanken zu unter­halten. Dabei möchte ich auf das eine Praktische hinweisen, daß

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der Mensch viele Jahre nach dem Tode, etwa drei bis fünf Jahre, ein Verständnis hat für die Sprache, die er gesprochen hat. Das hört allmählich auf, aber er hat dann noch Verständnis für die spirituel­len Gedanken. Es kann dann auch vorgelesen werden in einer Sprache, die der Tote nicht verstanden hat, wenn man sie nur selber versteht. Auf diese Weise werden den Toten große Dienste gelei­stet. - Und gerade auf solchem Gebiete merkt man besonders die ganze Bedeutung der geisteswissenschaftlichen Weltanschauung, da sie die Kluft hinwegschafft zwischen Lebenden und Toten. Und wir können uns denken, daß, wenn es uns gelingt, auf Erden für die Geisteswissenschaft immer weitere und weitere Verbreitung zu gewinnen, daß dann in den Seelen immer mehr das Bewußtsein hervorkommen wird davon, daß man mit den Toten zusammen ist.

Eine Zeitlang also nach dem Tode hängt der Mensch unmittel­bar noch mit der Erde zusammen. Dann aber muß er in die geistige Welt hineinwachsen, er muß ein Bürger der geistigen Welt werden. Dazu muß er vorbereitet sein, muß Empfänglichkeit und Verständ­nis für die geistige Welt haben. Da kommt zum Beispiel eine Zeit heran, wo für die seelische Forschung, wenn die Toten beobachtet werden, ein großer Unterschied auftritt zwischen solchen Seelen, welche hier auf Erden moralische Stimmungen und Empfindungen gepflegt haben, und solchen, die ohne moralische Empfindungen hier gelebt haben. Wenn der Mensch hier keine moralischen Emp­findungen gepflegt hat, so wird er dann sein wie ein Einsiedler. Er wird den Weg nicht finden zu andern Menschen im Jenseits und auch nicht den Weg zu höheren Hierarchien. Niemals erlischt das Bewußtsein des Menschen; aber was dann des Menschen harrt, ist Einsamkeitsgefühl. Die Möglichkeit, von einer gewissen Zeit an nach dem Tode mit andern Wesenheiten zu leben - eine Zeit, die man die Merkurzeit nennt -, erwirbt sich der Mensch durch mora­lisches Leben. So daß man sagen kann: Wie der Mensch hier auf Erden gelebt hat, das bildet die Ursache, ob er in der Merkurzeit in einsiedlerischem, grauenvollem Elend lebt oder ob er den An­schluß findet, den Zusammenhang mit Menschenseelen oder Wesen­heiten der höheren Welt.

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Dann kommt später eine Zeit, für die der Mensch in anderer Weise vorbereitet sein muß und in welcher er sich wieder zur Ein­samkeit verdammen würde, wenn er nicht hier auf Erden religiöse Empfindungen entwickelt hätte. Diese Zeit nennt man die Venus-zeit. Derjenige, der nicht religiöse Empfindungen in sich entwickelt hat, fühlt sich blind und taub gegenüber dem, was um ihn herum ist.

Dann kommt eine Zeit, für welche der Mensch, um nicht gewis­sen Wesenheiten der höheren Welt gegenüber unempfänglich zu werden, als Vorbereitung ein völliges Verständnis für alle Religionen haben muß. Das ist die Sonnenzeit. Sie wird vorbereitet hier auf Erden durch ein Verständnis für alles Menschliche, für die verschiedenen religiösen Bekenntnisse. In alten Zeiten genügte es für die Sonnen-zeit, wenn ein Mensch die Religion des Brahma hatte, ein anderer die Religion des Laotse und so weiter. Jetzt aber, wie die Zeiten sich entwickelt haben, stehen die Menschen durch die religiösen Bekenntnisse gegeneinander, und so kann die Sonnenzeit nicht in der richtigen Weise durchgemacht werden. Es gehört spirituelles Empfinden hierzu. Diese Sonnenzeit, die der Mensch durchzu­machen hat zwischen Tod und neuer Geburt, sie ist so, daß man fühlt, man sei eingetreten in eine Welt, in welcher entweder, je nachdem man vorbereitet ist, ein gewisser Platz leer erscheint oder nicht. Wollen wir verstehen, wodurch wir ihn nicht leer erblicken, so müssen wir das Mysterium von Golgatha verstehen. In dem Christus-Impuls liegt die Möglichkeit, jegliches menschliche Emp-finden zu verstehen. Das Christentum ist schon eine allgemeine Religion; das Christentum ist nicht eine Stammes, Rassen- oder Nationalreligion, wie der Hinduismus oder andere Nationalreligio­nen es sind. Wenn die mitteleuropäischen Völker ihre alten Stam­mesreligionen behalten hätten, so hätten wir heute noch den Wotan-dienst, den Thordienst und so weiter. Doch die europäischen Völker haben das Bekenntnis des Christentums angenommen. Man ist aber im richtigen Sinne Christ nicht dadurch, daß man dieses oder jenes christliche Dogma vertritt, sondern daß man weiß, daß Christus für alle Menschen gestorben ist. Die Menschen werden erst nach und nach lernen, sich als Christen zu verhalten. Wenn heute ein Europäer

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nach Indien kommt, dann ist in der Regel das, was er vertritt, ein Wortbekenntnis. Die richtige Empfindung aber, die man haben muß, ist diese: Wo man auch auf der Erde eine Menschenseele trifft, kann man finden den Christus-Impuls. Der Hindu wird nicht glauben, daß sein Gott in allen Menschen lebt. Der Christ weiß, daß Christus in allen Menschen lebt. Geisteswissenschaft wird zei­gen, daß das richtig verstandene Christentum den Wahrheitskern aller Religionen enthält und daß jede Religion, wenn sie sich ihres Wahrheitskernes bewußt wird, zum Mysterium von Golgatha hinführt.

Wenn man einen andern Eingeweihten oder irgendeinen andern Religionsstifter betrachtet, dann ist es klar, daß er etwas aus den höheren ,Welten verkünden will, weil er durch die Einweihung gegangen ist. Derjenige versteht den Christus nicht wirklich, der nicht klar sieht, daß der Christus auf Erden nicht durch irgend­welche Einweihung gegangen ist; sondern dadurch, daß er da war , war er eingeweiht und vereinigte alles in sich.

Wenn man als Seher auf das Buddha-Leben hinblickt und es ver­folgt, dann wird einem gerade in der geistigen Welt viel klarer, was der Buddha war. Mit dem Christusleben ist es nicht so. Das Christus-leben ist so, daß man schon hier auf der Erde eine Beziehung zu ihm gewinnen muß, um es in der geistigen Welt zu verstehen. Wenn man hier eine solche Beziehung nicht gewinnt, dann kann man , wenn man initiiert wird, wohl alles mögliche sehen, aber den Christus kann man nicht sehen, wenn man nicht von der Erde aus eine Beziehung zu ihm gewonnen hat.

Daher verstehen so wenige, was das Mysterium von Golgatha ist. Es macht den Christus zu einer Wesenheit, welche gleichbedeutend ist für den primitiven Menschen und den höchsten Eingeweihten. Die primitivste Menschenseele kann eine Beziehung zu Christus haben, und der Eingeweihte muß sie auch finden. Wenn man hinein-kommt in höhere Welten, da lernt man vieles kennen; nur eines gibt es nicht, eines lernt man nicht: das ist der Tod. Der Tod ist nur in der physischen Welt. In der geistigen Welt ist wohl Ver­wandlung, aber nicht der Tod. So daß wir sagen können: Alle geistigen

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Wesen, die niemals auf unsere Erde kommen, die nur in den spirituellen Welten bleiben, die gehen nicht durch den Tod. Christus ist ein Mitbürger der Menschen auf der physischen Welt geworden, und dasjenige, was sich auf Golgatha abgespielt hat, das macht, daß, wenn man den einzigen Göttertod versteht, man in der Son­nenzeit nicht leer ausgeht. Die andern Eingeweihten sind Menschen, die sich durch verschiedene Erdenleben besonders entwickelt haben. Christus war nicht vorher als Christus auf der Erde, sondern er war in Welten, wo es keinen Tod gibt. Er ist der einzige unter seines­gleichen, der den Tod kennenlernte. Daher muß man, um den Christus' kennenzulernen, seinen Tod verstehen, und weil der Tod das Wesentliche ist, deshalb kann nur hier auf der Erde, wo der Tod vorhanden ist, das Mysterium von Golgatha verstanden wer­den. Gelangt man hier auf der Erde nicht zu einer Beziehung zum Christus, dann erlebt man ihn in der höheren Welt nicht; dann finden wir in der Sonnenzeit seinen Platz leer. Nehmen wir aber den Christus-Impuls mit, dann erscheint der Sonnenthron nicht leer; dann finden wir bewußt den Christus.

Es ist wichtig für unsere heutige Menschheitsentwickelung, daß wir in diesem Punkte den Christus in der geistigen Welt finden, indem wir ihn wiedererkennen. Warum? Ja, wenn wir durch diese Sonnenzeit gehen, dann sind wir allmählich eingetreten in eine Welt, wo wir angewiesen sind auf geistiges Licht. Vorher, vor der Sonnenzeit, da haben wir noch die Nachwirkungen der Erde, die Nachwirkungen dessen, was wir persönlich gewesen sind: mora­lische und religiöse Empfindungen. Jetzt brauchen wir mehr. Jetzt brauchen wir die Fähigkeit, dasjenige zu schauen, was in der gei­stigen Welt ist und was hier noch nicht in uns vorbereitet werden kann; denn wir müssen nun durch Welten von Kräften hindurch­gehen, von denen man hier nichts wissen kann.

Wenn der Mensch durch die Geburt in das Leben hereinkommt, ist sein Gehirn unentwickelt. Der Mensch muß es sich erst erarbei­ten nach dem, was er sich in früheren Leben erworben hat. Denn wenn man eine bestimmte Art von Fähigkeiten notwendig hat, dann genügt es nicht, daß man sie sich erworben hat, sondern man

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muß auch wissen, wie das erforderliche physische Organ gebaut sein muß.

Es gibt einen wichtigen, aber sehr gefährlichen Führer. Hier auf Erden bleibt er unbewußt. Aber von der Sonnenzeit an wird er notwendig: Luzifer. Wir würden in Finsternis wandeln, wenn nicht Luzifer an uns herantreten würde. Wir können aber nur an der Seite Luzifers wandeln, wenn wir die Führung des Christus haben. Die beiden führen den Menschen nach der Sonnenzeit dann weiter durch das folgende Leben: die Marszeit, die Jupiterzeit, die Saturn­zeit. In diesen Zeiten nach der Sonnenzeit kommt der Mensch zusam­men mit Kräften, die er zur neuen Verkörperung braucht. Es ist nämlich Unsinn, wenn die materialistische Wissenschaft glaubt, daß der materielle Körper vererbt werde. Sie hat heute keine Möglich­keit, ihren Irrtum einzusehen; aber man wird die spirituellen Wahr­heiten erkennen, und dann wird man den Irrtum einsehen. Den Menschen kann nichts vererbt werden als nur die Anlagen für Gehirn und Rückenmark, für alles das, was eingeschlossen ist in die nach außen fest abgeschlossene Knochenkapsel des Gehirns und die Ringe des Rückgrates. Alles andere wird durch Kräfte aus dem Makrokosmos bestimmt. Der Mensch würde eine sozusagen voll­ständig unmenschliche Masse sein, wenn ihm nur das gegeben würde, was ihm vererbt wird. Dieses, was ihm vererbt wird, muß durchgearbeitet werden von dem, was der Mensch sich aus den gei­stigen Welten mitbringt.

Warum nenne ich die Zeiten nach dem Tode Merkurzeit, Venus zeit, Sonnenzeit, Mars-, Jupiter- und Satumzeit?

Wenn der Mensch hindurchgegangen ist durch die Pforte des Todes, wird er immer größer und größer. In der Tat ist das Leben nach dem Tode so, daß man sich über einen großen Raum aus­gebreitet weiß. Da wächst man zunächst so weit, daß man sozu­sagen den Raum ausfüllt, der durch den Umlauf des Mondes um­grenzt wird. Dann wächst man weiter bis zum Kreis des Merkur, okkult gesprochen, dann bis zum Kreis der Venus, der Sonne, des Mars. Man wächst in den großen Himmelsraum hinaus. Jeder Mensch wächst nach dem Tode in den Himmelsraum hinaus. Aber

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dieses räumliche Zusammensein aller dieser Menschenseelen hat keine Bedeutung. Wenn Sie die ganze Venus-Sphäre durchdringen, so tun das die andern auch, aber sie brauchen deswegen vonein­ander nichts zu wissen. Wenn man auch weiß, daß man nicht ein einsames Wesen ist, man kann sich dennoch einsam fühlen. Man wächst schließlich in das Weltenall hinaus bis zu einer Sphäre, die beschrieben wird durch den Saturn, und noch weiter. Und indem man so hinauswächst, eignet man sich die Kräfte an, die man braucht, um das nächste Leben aufzubauen. Und dann geht man wieder zurück, wird immer kleiner und kleiner, bis man sich wieder mit der Erde verbindet. So dehnt sich der Mensch zwischen Tod und neuer Geburt über den ganzen Makrokosmos aus, und so son­derbar es aussieht, es ist so: Wenn wir in ein Erdenleben wieder eintreten, dann bringen wir die Kräfte des ganzen Sonnensystems mit ins Dasein und vereinigen sie mit dem, was uns vererbt wird aus den physischen Substanzen. Mit den Kräften aus dem Kosmos bauen wir den physischen Leib und unser Gehirn auf. Wir leben also hier zwischen Geburt und Tod in den engen Grenzen unseres physischen Leibes; wir leben nach dem Tode im ganzen Sonnen­Makrokosmos ausgebreitet.

Der eine Mensch empfindet tief moralisch, der andere weniger. Der eine Mensch, der jetzt tief moralisch empfindet, er geht durch die geistige Welt und kann alles erleben als ein geselliges Wesen. Aus dem Sternenleben herein kommt die Kraft dazu. Ein anderer bereitete sich nicht so vor, er konnte keine Beziehungen gewinnen, er brachte keine vergeistigenden Kräfte herein, er kann zunächst auch keine moralischen Anlagen haben. Er geht daher einsam durch die Sphären. Alles, was im Menschen ist, seine Beziehungen zur Welt, alles tritt uns in bedeutungsvollem Weise entgegen durch eine solche spirituelle Erkenntnis.

Kant hat den Ausspruch getan: «Zwei Dinge erfüllen das Ge­müt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehr­furcht: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. » Er hat damit etwas sehr Bedeutungsvolles gesagt. Geistes­wissenschaft zeigt, daß beides dasselbe ist. Was wir erleben zwischen

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Tod und neuer Geburt, bringen wir als moralisches Gesetz mit; was wir durchleben zwischen Tod und neuer Geburt, den bestirnten Himmel, wir tragen ihn herein in unser Erdenleben, wo er zu unse­rem moralischen Gesetz werden muß.

So bringt uns Geisteswissenschaft die Anschauung von der Größe der menschlichen Seele und die Anschauung von der menschlichen Verantwortlichkeit.

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ÜBER DEN VERKEHR MIT DEN TOTEN Düsseldorf, 27. April 1913

Das Verhältnis des Lebens zum Tode wird häufig mißverstanden. Man findet oft in theosophischen Schriften die Bemerkung, daß das menschliche Seelen- und Geisteswesen vollständig verschwinden könne. Es wird zum Beispiel gesagt, daß durch ein gewisses Quan­tum von Bösem, das die Menschenseele auf sich lädt, diese Men­schenseele im Laufe der Evolution verschwinden könne. Insbeson­dere wird oft betont, als ob Schwarzmagier, die viel Böses getrieben haben, geradezu einmal in ihrem Dasein ausgelöscht würden.

Diejenigen, die länger schon teilnehmen an unseren Bestrebun­gen, die wissen, daß ich mich immer gewandt habe gegen solche Behauptungen. Denn das müssen wir vor allen Dingen voll fest­halten, daß alles, was wir als Tod bezeichnen hier in der physischen Welt, gar keine Bedeutung hat für die übersinnliche Welt; schon nicht für die Welt, die als die nächste übersinnliche Welt an die unsere angrenzt. Ich möchte auch hier von einem gewissen Ge­sichtspunkte her auf diese Tatsache aufmerksam machen.

Die Wissenschaft, die sich hier in der physischen Welt mit den physischen Dingen befaßt, kommt zu allerlei Gesetzen, zu allerlei Daseinszusammenhängen innerhalb dieser physischen Welt. Das­jenige, was man mit diesen Gesetzen an den Wesenheiten und an den Erscheinungen, die uns umgeben, finden kann, ist doch nichts anderes als die Gesetzmäßigkeit der äußeren Sinneswirklichkeit. Wenn wir zum Beispiel eine Blume mit den gewöhnlichen wissen­schaftlichen Hilfsmitteln untersuchen, so lernen wir die physisch-chemischen Gesetze erkennen, die in der Pflanze tätig sind. Es bleibt aber immer etwas übrig, was sich der Wissenschaft entzieht, das ist das Leben selbst. Gewiß, in der letzten Zeit haben sich auch einzelne besonders phantasievolle Wissenschafter darauf verlegt, allerlei Hypothesen aufzustellen, wie etwa das pflanzliche Leben begriffen werden könnte aus den bloß leblosen Substanzen. Das

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alles wird aber sehr bald wieder als ein Irrtum erkannt werden, denn in der physischen Wissenschaft bleibt es nur ein Ideal, das Leben zu erfassen. Man lernt immer mehr und mehr die chemi­schen Gesetze und so weiter kennen, nicht aber das Leben selbst. So ist für die physischen Erkenntniskräfte das Leben zu erforschen zwar ein Ideal, aber mit diesen Erkenntniskräften wird man das Leben nicht erforschen, weil es etwas ist, was aus der überphysi­schen Welt hereinströmt in die physische Welt und innerhalb dieser Welt seine eigene Gesetzmäßigkeit nicht enthüllen kann.

Geradeso nun, wie es sich mit dem Leben verhält für die phy­sische Welt, so verhält es sich mit dem Tode für die übersinnliche Welt, nur dort mit Bezug auf den Willen. Kein Willensakt, kein Willensimpuls kann in den übersinnlichen Welten jemals zu dem­jenigen führen, was wir hier in der physischen Welt als den Tod kennen. In allen übersinnlichen Welten kann höchstens entstehen die Sehnsucht nach dem Tode, nie aber kann der Tod in den über­sinnlichen Welten eintreten. Es gibt keinen Tod in der überphysi­schen Welt. Besonders ergreifend ist das für die Menschenseele, wenn man unmittelbar erfaßt: Ja, dann können ja im Grunde genommen alle Wesenheiten der höheren Hierarchien niemals den Tod kennen, wenn der Tod etwas ist, was nur auf der Erde erfah­ren werden kann. Und so, wie es mit Recht in der biblischen Ur­kunde heißt, daß die Engel ihr Antlitz verhüllen vor den Geheim­nissen der physischen Geburt, so ist es auch richtig, zu sagen, daß die Engel ihr Antlitz verhüllen vor den Geheimnissen des Todes. Und die Wesenheit, die wir als den bedeutsamsten Impulsator der Erden-entwickelung kennen, die Christus-Wesenheit, die sollte als einzige Wesenheit in den göttlichen Welten diejenige sein, die den Tod kennenlernt. Alle anderen göttlich-geistigen Wesenheiten kennen den Tod nicht, sie kennen ihn nur als eine Veränderung aus einer Form in die andere. Dazu mußte der Christus auf die Erde herab­steigen, um den Tod durchzumachen. So daß von allen überphysi­schen Wesenheiten über den Menschen hinauf der Christus das einzige Wesen ist, das mit dem Tode Bekanntschaft gemacht hat in eigenem Erlebnis. Wie gesagt, wenn man dieses Todeserlebnisproblem

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im Zusammenhang mit dem Christus betrachtet, da wirkt es besonders erschütternd.

Nun ist es tatsächlich so, daß der Mensch selbst ja in dieser über­sinnlichen Welt, wo es keinen Tod gibt, lebt, wenn er durch die Pforte des Todes durchgegangen ist. Er kann hier durchgehen, aber er kann sich nicht auslöschen, denn er wird dann aufgenommen in Welten, in denen es eine Vernichtung nicht geben kann.

Das, was man als ähnlich mit dem Tode in der überphysischen Welt betrachten kann, ist etwas ganz anderes als der Tod. Es ist das, was man, wenn man menschliche Worte anwenden will, bezeich­nen muß mit dem Worte Einsamkeit. Und nie kann der Tod die Austilgung von irgend etwas sein, was in der überphysischen Welt eintritt, wohl aber tritt Einsamkeit auf. - Die Einsamkeit in der übersinnlichen Welt ist wie der Tod hier; sie ist keine Vernichtung, aber sie ist schlimmer als die Einsamkeit hier. Es ist ein Zurück-blicken auf die eigene Wesenheit. Und was das heißt, das merkt man erst, wenn es eintritt, dieses Nichtswissen als nur von sich selbst.

Nehmen wir zum Beispiel ein Menschenwesen, welches hier auf der Erde wenig entwickelt hat von dem, was man Sympathie für andere Menschen nennen kann, welches im wesentlichen nur sich selbst gelebt hat. Ein solches Wesen findet Schwierigkeiten, wenn es durch die Pforte des Todes gegangen ist, vor allen Dingen andere Menschenwesen kennenzulernen. Ein solches Wesen kann in der überphysischen Welt mit anderen Wesen zusammenleben, aber nichts von diesen anderen Wesen bemerken. Es ist nur aus­gefüllt von seinem eigenen Seeleninhalt; es sieht nur, was es in sich selbst erlebt. Der Fall kann eintreten, daß ein Mensch, der sich ferne gehalten hat aus übertriebenem Egoismus von jeglicher Menschenliebe hier auf Erden, daß der durch die Pforte des Todes geht und dann nur zu leben hat nach dem Tode in der Erinnerung an sein letztes Erdenleben; daß er keine neuen Erlebnisse haben kann, weil er kein Wesen kennt, mit keinem Wesen zusammen-kommt und ganz auf sich angewiesen ist. Denn durch unsere Wesenheit als Mensch bereiten wir uns in der Tat dazu vor, nach dem Tode eine ganz besondere Welt für uns zu haben.

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Hier auf der Erde kennen wir, da wir nicht von der Wissenschaft belehrt werden - denn die kann uns ja nur belehren über das, was der Mensch nicht mehr ist, da sie ja nur den Leichnam kennt -, hier kennt sozusagen der Mensch sich selbst eigentlich nicht. Das Gehirn denkt, aber es kann sich nicht selbst denken. Einen Teil von uns sehen wir; etwas mehr davon noch, wenn wir in den Spie­gel schauen; aber das ist ja nur die Außenseite. Der Mensch lebt hier nicht in sich, er lebt mit der äußeren Welt, die auf seine Sinne wirkt. Durch uns selbst, durch das, was wir hier erleben können, bereiten wir uns vor, daß wir selbst in den Makrokosmos uns aus­breiten, selbst zum Makrokosmos werden, zu dem werden, was wir hier sehen. Hier sehen wir den Mond. Dann, im nachtodlichen Leben breiten wir uns so aus, daß wir der Mond sind, wie wir jetzt unser Hirn sind. Wir breiten uns aus zum Saturn so, daß wir Sa­turn sind, wie wir jetzt unsere Milz sind. Der Mensch wird Makro-kosmos. Wenn die Seele den Leib verlassen hat, breitet sie sich aus über das ganze Planetensystem, so daß alle Menschen zugleich denselben Raum erfüllen; sie stecken ineinander, aber sie wissen nichts voneinander. Die geistigen Beziehungen erst machen es aus, daß man voneinander weiß. Dazu bereiten wir uns schon vor durch unser Leben hier auf Erden, daß wir uns ausbreiten über die ganze Welt, die wir hier in ihrem sinnlichen Abglanz sehen. Aber was ist dann unsere Welt ?

Wie jetzt unsere Welt bei Tage ist: Berge und Flüsse, Bäume, Tiere, Mineralien, wie jetzt also diese Welt um uns ist und wir in dieser Welt leben, so stecken wir dann in unserer Welt drinnen, und diese Welt ist unser Organismus. Das sind unsere einzelnen Organe. Und unsere Welt sind wir selbst. Wir schauen uns von der Umwelt an. Das beginnt ja schon unmittelbar nach dem Tode im Ätherleibe. Da haben wir das Tableau unseres eigenen Lebens vor uns. Würde der Mensch hier nicht Verhältnisse anknüpfen zu anderen Wesenheiten, vor allen Dingen zu anderen Menschen, und, wie es jetzt immer mehr und mehr durch die Geisteswissenschaft geschehen soll, zu den Wesenheiten der höheren Hierarchien, so würde das eintreten, daß er zwischen Tod und neuer Geburt nichts

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zu tun härte, als nur fortwährend sich selbst anzuschauen. Und, ich sage es nicht, um eine Trivialität zu sagen, sondern ich sage es, weil die scheinbare Trivialität hier ein Erschütterndes ist: das ist nicht gerade ein begehrenswerter Anblick, durch viele Jahrhunderte nur sich selbst zu betrachten. Denn eine Welt für uns sind wir dann selbst. Das aber, was uns dieses unser Selbst zu einer weiteren Welt erweitert, das sind die Verhältnisse, die wir hier auf Erden ange­knüpft haben. Dazu ist das Erdenleben da, daß wir Beziehungen und Verhältnisse entwickeln, die sich dann fortsetzen über den Tod hinaus. Denn alles das, was uns in der geistigen Welt zu einem geselligen Wesen macht, müssen wir hier anknüpfen. Als Qual erlebt der Mensch in der geistigen Welt die Furcht vor der Ein­samkeit. Und diese Furcht kann uns in einem gewissen Sinne immer wiederum befallen, denn wir machen zwischen dem Tod und einer neuen Geburt gleichsam verschiedene Stadien durch, innerhalb wel­cher wir, wenn wir auch für den vorhergehenden Zustand uns eine gewisse Geselligkeit angeeignet haben, im nächsten Zustand wieder in Einsamkeit verfallen können. Die nächste Zeit nach dem Tode ist ja in der Tat so, daß wir eigentlich nur mit denjenigen gute Be­ziehungen haben können, die auf der Erde hier zurückgeblieben sind oder die etwa in einer Zeit, die nicht ferne von unserer Sterbe-zeit liegt, gestorben sind. Die allernächsten Beziehungen wirken da über den Tod hinüber. Und in bezug darauf kann ja gerade von denjenigen, die hier zurückgeblieben sind, von den sogenannten Lebenden, vieles gewirkt werden; denn der Zurückbleibende kann, weil Beziehungen zwischen ihm und dem Toten bestehen, diesem Toten Kunde geben von der physischen Welt aus, Kunde geben von seinen eigenen Erkenntnissen über die geistige Welt. Das ist vor allem möglich durch das Vorlesen für die Toten. Wir können einem Toten den größten Dienst erweisen, wenn wir uns hin­setzen, das Bild des Toten vor unserer Seele, und ihm leise ein geisteswissenschaftliches Buch vorlesen, ihn unterrichten. Man kann ihm auch seine eigenen Gedanken, die man in sich aufgenommen hat, zutragen; immer sich das Bild des Toten recht lebhaft vorstel­lend. Wir dürfen nicht geizen mit dieser Sache; dadurch überbrücken

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wir den Abgrund, der uns von unseren Toten trennt. Nicht nur in den extremsten Fällen, sondern in jedem Fall können wir den Toten Gutes tun. Das ist ein tröstliches Gefühl, das den Schmerz lindern kann über das Ableben eines Menschen, den man liebt.

Nun, meine lieben Freunde, je mehr wir in die übersinnliche Welt kommen, desto mehr hören die Einzelheiten auf. In der astra­lischen Welt finden wir noch einzelne Beziehungen; aber je höher wir kommen, finden wir, daß dasjenige, was zwischen den einzel­nen Wesenheiten ist, aufhört. Da sind alles Wesenheiten; die Be­ziehungen dazwischen sind die seelischen Beziehungen, und wir müssen auch diese Beziehungen haben, wenn wir nicht einsam sein sollen. Das aber ist die Mission der Erde, daß der Mensch hier die Beziehungen knüpfen kann, sonst bleibt er einsam in der geistigen Welt. Für die nächste Zeit nach dem Tode sind es verwandtschaft­liche, freundschaftliche Beziehungen, die wir hier angeknüpft haben im Zusammenleben mit anderen Menschen, die sich fortsetzen über den Tod hinaus und die unsere Welt ausmachen. Man kann zum Beispiel, wenn man mit Seherblicken erforscht die Welt, in der die Toten weilen, einen solchen Toten zusammen finden mit denen, die er hier auf Erden verfolgen kann. Bei vielen Menschen der Gegenwart sieht man dann, wie sie mit den unmittelbar Gestorbe­nen, den zehn Jahre vorher oder nachher Gestorbenen leben. Man sieht dann, wie viele zusammenleben mit einer Anzahl von Ahnen, mit denen sie blutsverwandt waren. Das ist ein Anblick, der sich dem Seher oft darbietet. Seit Jahrhunderten verstorbene Ahnen, an die schließt der Verstorbene sich an. Das ist aber nur eine gewisse Zeit hindurch. Nachher würde sich der Mensch aber wieder un­geheuer einsam fühlen, wenn nicht andere Beziehungen walteten, die zwar ferner sind, die aber trotzdem den Menschen vorbereiten, in der geistigen Welt ein geselliges Wesen zu sein. Innerhalb unse­rer Bewegung haben wir ja in dieser Beziehung einen Grundsatz, der aus einer kosmischen Aufgabe entspringt: die Beziehungen der Menschen untereinander möglichst mannigfaltig zu gestalten. Da­her treiben wir Anthroposophie nicht nur so, daß der einzelne Vor­träge hält. Wir versuchen in der Gesellschaft die Menschen so zusammenzufassen,

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daß sich auch persönliche Beziehungen bilden, und diese Beziehungen sind auch gültig für die übersinnliche Welt. So daß der Mensch dadurch, daß er hier gesellschaftsmäßig einer gewissen Strömung angehört, Zusammenhänge für drüben schafft. Aber es kommt eine Zeit, wo viel allgemeinere Beziehungen not­wendig sind. Es kommt eine Zeit, wo sich die Seelen einsam fühlen, welche ohne moralische Seelenverfassung, ohne moralische Begriffe durch die Pforte des Todes gegangen sind, welche hier im physi­schen Dasein die moralische Seelenverfassung verleugnet haben. Menschen mit moralischer Seelenverfassung sind ja tatsächlich hier auf unserer Erde einfach dadurch, daß sie moralische Menschen sind, mehr wert als unmoralische Menschen. Für die ganze Erden-menschheit ist ein moralischer Mensch mehr wert als ein unmora­lischer Mensch, wie eine gesunde Magenzelle zum Beispiel mehr wert ist für den ganzen Menschen als eine kranke. Man kann nicht im einzelnen genau ausführen, worin der Wert eines moralischen Menschen besteht für die ganze Menschheit, worin der Schaden besteht eines unmoralischen Menschen, aber Sie werden mich ver­stehen. Der Mensch ohne moralische Seelenverfassung ist ein kran­kes Glied der Menschheit. Das bedeutet aber, daß er durch diese unmoralische Seelenverfassung sich für die anderen Menschen immer fremder macht. Moralisch sein heißt zugleich anerkennen, daß man zu allen Menschen Beziehungen hat. Daher ist für alle moralischen Menschen die allgemeine Menschenliebe etwas Selbst­verständliches. Unmoralische Menschen kommen in einer gewissen Zeit nach dem Tode dahin, daß sie sich einsam fühlen infolge ihres Unmoralischseins. So daß es eine Phase gibt, wo uns von den Qualen der Einsamkeit nur enthebt unsere moralische Seelenver­fassung.

Und so finden wir, wenn wir die Menschen nach dem Tode im Makrokosmos ausgebreitet verfolgen, daß es in der Tat die unmora­lischen Menschen trifft, die sich einsam fühlen, daß die moralischen Menschen aber Anschluß finden an andere Menschen, die mit ihnen in einer gewissen Weise moralische Vorstellungen haben. Wie hier auf Erden die Menschen sich nach Nationen oder nach anderen

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Gruppen zusammenfinden, so finden wir unter den Menschen, die zwischen dem Tod und einer neuen Geburt leben, wenn wir sie mit Seherblick verfolgen, daß sie sich dort auch gliedern, aber daß sie geteilt sind nach gemeinsamen moralischen Begriffen und Emp­findungen. Menschen mit den gleichen moralischen Empfindungen finden sich zu Gruppen zusammen und leben dann gesellig zwi­schen dem Tod und einer neuen Geburt.

Dann kommt eine Phase der Entwickelung, in der sich ein jeder einsam fühlt, selbst wenn er moralische Begriffe und Empfindungen hat, wenn ihm religiöse Vorstellungen fehlen. Religiöse Vorstellun­gen sind die Vorbereitung für die Geselligkeit in der übersinnlichen Welt in einer bestimmten Phase des Lebens zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Und da finden wir wiederum, daß die Men­schen, die sich herausgliedern aus den religiösen Zusammenhängen und Empfindungen, zur Einsamkeit sich verdammt finden. Wir finden die Menschen mit gleichen religiösen Bekenntnissen in Gruppen zusammen. Dann aber kommt eine Zeit, in welcher das wiederum nicht genügt, in einer Religionsgemeinschaft gelebt zu haben, es kommt eine Zeit, in der man sich doch wieder einsam fühlen kann. Das ist eine Zeit, in der überhaupt zwischen Tod und neuer Geburt Wichtiges vorgeht. Es ist die Zeit, wo wir entweder uns einsam fühlen, trotz Gemeinschaft im Religiösen mit religiö3 Gleichgesinnten, oder wo wir Verständnis gewinnen für jede Men­schenseele in ihrer Äußerung. Zu dieser Gemeinschaft können wir uns nur vorbereiten, indem wir uns Verständnis aneignen für alle religösen Bekenntnisse. Früher, vor dem Mysterium von Golgatha, war das nicht nötig, weil da die Erlebnisse der geistigen Welt andere waren. Es ist aber jetzt nötig geworden. Vorbereitend dafür ist das richtige Verstehen des Christentums. Denn das, was das Wesen des Christentums ausmacht, das ist ja nicht anzutreffen in anderen reli­giösen Bekenntnissen. Es ist nicht richtig, das Christentum hin­zustellen neben andere religiöse Bekenntnisse. Gewiß, einzelne christliche Bekenntnisse stehen vielleicht engherziger da. Aber das richtig verstandene Christentum hat schon den Impuls in sich zum Verständnis einer jeden religiösen Richtung. Denn wie hat der

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Abendländer das Christentum aufgenommen? Nehmen Sie den Hinduismus. Dazu kann sich nur die Hindu-Rasse bekennen. Wür­den wir hier in Europa eine Rassenreligion entwickelt haben, so hätten wir heute noch den Wotandienst; das wäre die abendländi­sche Rassenreligion. Das Abendland hat ein Bekenntnis angenom­men, das nicht aus seiner eigenen Volkssubstanz hervorgeht, son­dern das gekommen ist aus dem Orient. Etwas wurde angenommen, was nur durch seinen geistigen Inhalt wirken konnte. Denn keine Rassen- oder Volksreligion konnte den Christus-Impuls aufsaugen. Das Volk, das den Christus zwischen sich sah, hat sich nicht dazu bekannt; Das ist das Eigentümliche im Christentum: Der Keim liegt in ihm, Universalreligion zu sein. Man braucht nicht intolerant zu sein gegen andere Religionen, und man kann doch sagen: Die christliche Mission besteht nicht darin, Dogmen beizubringen den Leuten. Natürlich lacht der Buddhist über ein Bekenntnis, das nicht einmal die Reinkarnationslehre hat. Er sieht ein solches Bekenntnis als nichts Rechtes an. Aber das recht verstandene Christentum setzt voraus, daß jeder Mensch ein Christ ist in seinem inneren Wesen. Wenn Sie zu einem Hindu gehen und sagen: Du bist ein Hindu und ich bin ein Christ - so hat man das Christentum nicht verstanden. Erst wenn man von dem Hindu sagen kann: In seinem innersten Wesen ist dieser Hindu ein so guter Christ wie ich selbst; er hat nur keine andere Gelegenheit gehabt zunächst, als sich mit einem vorbereiten­den Bekenntnis bekanntzumachen, daraus ist er noch nicht heraus­gekommen; ich muß ihm klarmachen, wo seine Religion mit der meinigen zusammenstimmt -, dann hat man das Christentum ver­standen. Das beste wäre, die Christen lehrten den Hindu Hinduis­mus und versuchten dann, den Hinduismus weiterzubringen, damit der Hindu den Anschluß fände an die allgemeine Evolution. Dann erst verstehen wir das Christentum, wenn wir jeden Menschen für einen Christen halten im innersten Herzen; dann ist das Christen­tum erst die Religion, die hinübergeht über alle Rassen, alle Farben, alle Stände. Das ist das Christentum.

Heute treten wir in ein neues Zeitalter ein. Die Art, wie das Christentum durch die verflossenen Jahrhunderte gewirkt hat,

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wirkt nicht mehr. Und das neue Verständnis des Christentums, das wir brauchen, das ist erst noch zu leisten durch die anthroposophi­sche Weltanschauung. Die anthroposophische Weltanschauung ist in dieser Beziehung ein Instrument für das Christentum. Unter den Religionen, die auf Erden erschienen sind, ist das Christentum die letzte Erscheinung. Keine neuen Religionen kann man mehr be­gründen. Auch diese Begründungen haben ihre Zeit gehabt. Sie folgten aufeinander und trieben als letzte Blüte das Christentum hervor. Heute aber ist die Mission die, das Christentum in seinen Impulsen immer mehr auszugestalten. Deshalb versuchen wir, be­wußter, als es bisher geschehen ist, durch unsere geisteswissenschaft­liche Bewegung auf alle Religionen der Erde liebevoll einzugehen. Denn so bereiten wir uns auch vor für den Zeitabschnitt zwischen Tod und neuer Geburt, wo wir uns einsam fühlen, weil wir nicht wahrnehmen können Seelen, die da sind, zu denen wir aber keinen Zugang haben. Wenn wir hier den Hinduismus verkennen, spüren wir drüben den Hindu nur, wir spüren sein Dasein, aber wir finden keinen Zugang zu ihm.

Sehen Sie, dieser Zeitpunkt ist zugleich der, in dem wir unseren astralischen Leib so weit ausgedehnt haben, daß wir zwischen Tod und neuer Geburt Sonnenbewohner geworden sind. Wir betreten da die Sonne. Denn in der Tat, wir erweitern uns in den ganzen Makrokosmos hinaus, und wir sind dann so weit, daß wir das Sonnenwesen berühren in der Zeit, wo wir allgemeine Menschen­liebe brauchen. Und dieses Begegnen mit der Sonne zeigt sich in folgendem: Erstens zeigt es sich darin, daß wir die Möglichkeit ver­lieren, allen Menschen Verständnis entgegenzubringen, wenn wir nicht Zusammenhänge gewonnen haben mit dem Impuls: «Wo immer zwei in meinem Namen vereinigt sind, da bin ich mitten unter ihnen. » Christus hat nicht gemeint: Wo immer zwei Hindus oder ein Hindu und ein Christ zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen, sondern: Wo immer zwei zusammen sind, die ein wahres Verständnis haben für meine Impulse, da bin ich mitten unter ihnen. - Dieses Wesen war bis zu einem gewissen Zeitpunkt auf der Sonne. Da war gleichsam sein Thron. Dann hat es sich vereinigt

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mit der Erde. Darum müssen wir den Christus-Impuls hier auf der Erde erleben, dann bringen wir ihn auch mit hinauf in die geistige Welt. Denn wenn wir auf der Sonne ankommen ohne den Christus-Impuls, so ist für uns nichts da als eine unverständliche Eintragung in die Akasha-Chronik. Seitdem der Christus sich ver­einigt hat mit der Erde, muß man auf Erden Verständnis gewinnen für den Christus. Man muß das Christus-Verständnis mitbringen, sonst kann man drüben den Christus nicht finden. Wenn wir uns gegen die Sonne zu entwickeln, dann verstehen wir, wenn wir hier ein Verständnis für den Christus gewonnen haben, dasjenige, was in die Akasha-Chronik eingetragen ist. Denn das hat er auf der Sonne zurückgelassen. Das ist das Bedeutsame, daß das Verständnis für den Christus hier auf der Erde angeregt werden muß, dann kann man es auch in den höheren Welten behalten. Manche Dinge wer­den einem erst klar, wenn man gewisse Zusammenhänge ins Auge fassen kann.

Es gibt theosophische Strömungen, die nicht einsehen können, daß der Christus-Impuls wie ein Schwerpunkt in der Mitte der Erdenentwickelung liegt, von dem ab es immer höher geht. Wenn daher Menschen kommen, die sagen, der Christus könne mehrmals auf Erden erscheinen, so ist es, als wenn man sagte: Ein Waage-balken muß an zwei Punkten aufgehängt werden. - Mit einer sol­chen Waage kann man doch nicht wägen. So unsinnig, wie das in der physischen Welt wäre, so unsinnig ist die Behauptung gewisser Okkultisten von den wiederholten Erdenleben des Christus. Nur dadurch zeigt man, daß man ein Verständnis für den Christus-Impuls gewonnen hat, wenn man in der Lage ist zu verstehen, daß der Christus der einzige Gott ist, der durch den Tod gegangen ist und der deshalb auf die Erde herunterkommen mußte.

Derjenige, der sich hier ein Christus-Verständnis angeeignet hat, dem steht drüben ein Thron nicht leer auf der Sonne. Dann kann er auch eine andere Begegnung, die jetzt eintritt in dieser Zeit, er­kennen: dann tritt an den Menschen auch Luzifer heran, und zwar jetzt nicht als Versucher, sondern als eine berechtigte Macht, die an seiner Seite sein muß, wenn er sein weiteres Fortkommen finden soll

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in der geistigen Welt. Die gleichen Eigenschaften sind nur an einem unrechten Ort verderblich. Luzifer spinnt hier in der physischen Welt ein Verhältnis an, das verderblich ist. Aber nach dem Tode, von der Sonne an, muß Luzifer dem Menschen beistehen. Der Mensch muß dem Luzifer begegnen. Zwischen Luzifer und Christus muß er den weiteren Weg machen. Christus bewahrt sein Seelisches, erhält sein Seelisches mit alledem, was das Seelische schon erworben hat in den vorhergehenden Inkarnationen. Die Aufgabe der luziferischen Kraft ist, den Menschen zu unterstützen, daß er in der berechtigten Weise auch die Kräfte der anderen Wesenheiten der Hierarchien für seine neue Inkarnation verwerten lernt. Ganz gleich, wann dieser Zeit­punkt erreicht worden ist, von dem gesprochen worden ist: es tritt einmal die Notwendigkeit an den Menschen heran, zuerst zu fixie­ren, an welchem Punkt der Erde seine nächste Inkarnation zu er­folgen hat und in welchem Lande. Das muß schon geschehen in der Mitte der Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Das ist sogar das erste, was zu geschehen hat, daß weit voraus bestimmt wird Ort und Land, in welchem die Menschenseele wiederverkörpert wird.

Dazu bereitet sich der Mensch vor dadurch, daß er schon hier Beziehungen zu höheren Welten anknüpft. Aber er muß von Luzi­fer unterstützt werden. Nun nimmt er von einer gewissen Art von Wesenheiten der höheren Hierarchien die Kräfte, die ihn hin-dirigieren an den bestimmten Ort und zu dem bestimmten Zeit­punkte.

Sehen Sie, wenn wir ein hervorragendes Beispiel wählen wollen:

Als Luther erscheinen mußte, mußte sein Erscheinen im achten, neunten Jahrhundert vorbereitet werden. Da mußten schon die Kräfte hindirigiert werden in das Volk hinein, wo er wirken mußte. Dazu muß Luzifer mitwirken, daß Zeit und Ort unserer Wieder­geburt bestimmt werden können. Dadurch, daß der Mensch den Christus in seiner Seele trägt, bewahrt er dasjenige, was er sich er­arbeitet hat. Dazu aber ist der Mensch noch nicht reif, zu wissen, wo sein Karma am besten ausgewirkt werden kann: dazu muß ihm Luzifer helfen.

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Dann vergeht wiederum einige Zeit. Und das nächste ist, daß jiber die Frage zu entscheiden ist - und das ist eine erschütternde Tätigkeit, man kann ja nicht anders, als diese Dinge mit gewöhn­lichen Worten zu charakterisieren -, es muß die Frage entschieden werden: Wie muß denn eigentlich das Elternpaar beschaffen sein in seinen eigenen Charaktereigenschaften, welches tatsächlich den Menschen, der nun an einen bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit zur Erde gebracht werden soll, hervorbringen muß? Das muß alles schon lange vorher bestimmt werden. Daraus aber folgt ein anderes: daß jetzt von höheren Hierarchien, und nun wiederum mit Unterstützung von Luzifer, lange, lange bevor der betreffende Mensch geboren ist, schon die Vorbereitungen gemacht werden durch die ganzen Generationen herunter. Es mußte für Luther schon im zehnten, elften Jahrhundert bestimmt werden, welche Ahnen es sein mußten, in deren Nachkommenschaft er geboren werde, damit das rechte Elternpaar Luthers da sein könne. Die physische Wissen-schaft glaubt, daß der Mensch die Eigenschaften seiner Ahnen an­nimmt. In Wirklichkeit wirkt der Mensch aus der übersinnlichen Welt auf die Eigenschaften seiner Ahnen. Wir sind in gewisser Weise schuld daran, wie unser Urururgroßvater war. Natürlich nicht alle Eigenschaften kann der Mensch bewirken; aber es müssen doch unter anderen auch die Eigenschaften da sein, die wir dann brau­chen. Was man ererbt von seinen Vätern hat, das hat man zuerst in seine Väter hineinströmen lassen.

Zuerst wird also festgelegt Ort und Zeit der Geburt. Dann wird die Ahnenschaft ausgewählt. Im Grunde ist das, was man Kindes-liebe nennt, nichts anderes als das Hervortreten dessen, daß man sich verbindet mit dem, was man seit Jahrhunderten herangebildet hat aus der übersinnlichen Welt. Und das, was als Empfängnis auf­tritt, ist, daß der Mensch dann die Kräfte empfängt, die an seinem eigenen Leibe mitarbeiten, namentlich am Kopf und an der allge­meinen Leibesform. Daher müssen wir uns vorstellen, daß von da an am meisten an uns gearbeitet wird in der tieferen Struktur des Kopfes, weniger an Händen und Füßen, auch weniger am Rumpfe, aber am Kopfe gegen den Rumpf zu. Das ziselieren wir aus. Dann

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setzen wir die Arbeit fort nach der Geburt. Aber wir gliedern erst alles in den Astralleib ein. Wir bereiten die Kopfform astralisch vor. Das geht sogar so weit, daß wir sagen können: zuallerletzt wird in das astralische Vorbild, das sich dann verbindet mit der Leibes-form, das geformt, was dann die Schädelform gibt. Die Schädelform ist für jeden Menschen individuell. Das wird zuletzt ausziseliert, was die Gehirnform ist. Und das, was uns dann auf Erden durch die Vererbung gegeben wird, ist im Grunde genommen das, was in der Lage ist, durch seine Substanz sich zusammenzufinden mit dem, was wir aus der übersinnlichen Welt heraus mitbringen. - Denken Sie sich das, was aus der übersinnlichen Welt kommt, sei eine Schale; das Wasser, das sie ausfüllt, wird durch die Vererbungssubstanz ge­geben. Durch die reine Vererbung allein wird nur das gegeben, was sozusagen die Eigentüinlichkeit ist unseres mehr vom Nerven- und Blutsystem unabhängigen Körpersystems. Ob wir große, starke oder ob wir schwache, feine Knochen haben, das hängt weniger ab von den Kräften, die wir bekommen durch die vorbereitenden Mächte, als von der Vererbung. Die Individualität, die in dieser Zeit an diesem Ort geboren werden soll zur Auswirkung ihres Karma, sie wird geboren durch Menschen mit starken Knochen oder Menschen mit blondem Haar und so weiter; das wird durch die Vererbungs­linie ermöglicht. - Wenn die physischen Vererbungstheorien richtig wären, so würden Menschen herauskommen mit verkümmertem Nervensystem und nur den Anlagen zu den Händen und Füßen.

Der seherische Blick erst führt ja zu den Dingen, die wirklich bedeutungsvoll sind. So kann ich Ihnen den folgenden Fall erzäh­len: Es begegnete mir ein Mensch mit einem Wasserkopf. Er unter-schied sich sehr wesentlich von der ganzen übrigen Familie. Warum hatte er einen Wasserkopf? Weil das Konzil der höheren Wesen mit Luzifer etwa so lautete: Ja, der Mensch muß dort geboren wer­den; das ist das beste Elternpaar. Aber er kann nicht in der richtigen Weise auf die Ahnenschaft wirken, so, daß er herstellen kann das, was ihm die richtige Substanz geben kann, damit der Kopf richtig verhärtet wird. Er muß erst während des Lebens das Gehirn an die Struktur anpassen. - Es konnte von diesem Menschen nicht die

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Möglichkeit gefunden werden, die Ahnenschaft so vorzubereiten, daß der Kopf entsprechend verhärtet wurde.

Das alles sind sehr wichtige Sachen, und wir sehen daran gleich­sam die Technik, wie wir uns hereinarbeiten in die Welt. Wenn das einmal richtig angeschaut wird von der Wissenschaft, so wird man spüren das Hereinwirken der höheren Welt.

Wenn wir mit Luzifer und Christus weiterschreiten, so kommen wir in das richtige Verhältnis zur Fortentwickelung.

Zuerst sind also im nachtodlichen Leben zu überwinden die Ge­fahren der Vereinsamung durch die Verbindungen mit anderen Menschen, durch moralische Verbindungen, durch religiöse Verbin­dungen. Dann arbeitet man an dem neuen Menschen, der sich dann verkörpern soll. Jetzt hat man eine Aufgabe, wenn man statt der Welt um sich, sich selber vor sich hat.

Wenn so der Mensch die Stadien durchlebt, in denen er ein geselli­ger Mensch sein konnte, sich aber in Einsamkeiten hineinlebte, dann entsteht in ihm so etwas wie die Sehnsucht nach dem Tode. Diese Sehnsucht nach dem Tode, was ist sie? Sie ist die Sehnsucht nach dem Unbewußtsein. Aber man wird nicht unbewußt, man wird nur einsam. Wir haben es in den höheren Welten nicht mehr mit Substanzfragen zu tun, sondern mit Bewußtseinsfragen. Einsamkeit bedeutet daher: Sehnsucht haben nach einem vorübergehenden Auslöschen des Bewußtseins. Das gibt es für die Seelen, die keine Beziehung haben zu anderen Seelen. Aber Tod gibt es drüben nicht.

Wie der Mensch hier lebt, rhythmisch, zwischen Wachen und Schlafen, so lebt er in der anderen Welt sich in sich selbst zurück-ziehend und in Geselligkeit mit anderen Seelen; zwischen Gesellig­keit und Einsamkeit rhythmisch wechselnd, so ist das Leben in der höheren Welt. Und wie wir in der höheren Welt leben, das hängt ab davon, wie wir uns hier vorbereitet haben, so wie ich es vorhin ausgeführt habe.

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Auf die Frage, ob man auch bei der Geburt oder früh verstorbenen Kin­ern vorlesen könne, antwortete Rudolf Steiner:

Ein Kind ist man nur hier auf der Erde. Manchmal stellt sich dem seherischen Blick dar, daß ein Mensch, der als kleines Kind gestorben ist, eine Individualität ist, die weniger Kind ist in der geistigen Welt als mancher, der mit achtzig Jahren gestorben ist. Man kann daher nicht denselben Maßstab anlegen.

Ich habe schon einmal geschildert, wie das Bild okkult zu ver­stehen ist, das gewöhnlich den Namen führt «Die Schule von Athen». Ich machte in der letzten Zeit Bekanntschaft mit einem j ungverstorbenen Menschenwesen. Das konnte mich aufmerksam machen im Verkehr mit ihm gerade auf das, was in den Gedanken von Raffael erhalten geblieben ist von diesem Bilde. Und da schil­dert dieses Menschenwesen, wie in der Tat bei der Gruppe vorne links auf dem Bilde etwas übermalt ist. Was da übermalt ist, ist die Stelle, wo etwas aufgeschrieben wird. Da steht jetzt ein pythagorei­scher Satz. Ursprünglich stand da eine Evangelienstelle! - Sie sehen also, daß ein solches «Kind» ein sehr entwickeltes Menschenwesen sein kann, das einen führt auf die Dinge, die man nur sehr schwer finden kann.

So möchte ich sagen, man kann das Vorlesen auch in bezug auf jungverstorbene Kinder ausüben.

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DAS LEBEN NACH DEM TODE Straßburg, 13. Mai 1913

Die ganze Bedeutung und Aufgabe der spirituellen Weltanschau­ung tritt uns entgegen, wenn wir das Leben des Menschen in der Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt ins Auge fassen. Es gibt Menschen, besonders in unserer materialistischen Zeit gibt es viele solcher Menschen, die sagen: Warum sollte der Mensch sich eigentlich kümmern um das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt oder - wenn sie nicht von wiederholten Erdenleben sprechen wollen - um das Leben, das nach dem Tode liegt, denn wir können ja warten, bis der Tod eingetreten sein wird, und wer­den dann schon sehen, was auf den Tod folgt! Das sagen diejenigen Menschen in der Gegenwart, die noch nicht ganz die Empfindung für die geistige Welt verloren haben, aber doch nicht die nötige Seelenstärke haben, um sich Begriffe und Empfindungen von der übersinnlichen Welt verschaffen zu können. Solche Menschen sagen:

Wir tun hier auf Erden unsere Pflicht, dann werden wir schon in entsprechender Weise erleben können, was uns nach dem Tod erwartet.

Nun zeigt ein wirkliches Verhältnis zu dem Leben zwischen Tod und einer neuen Geburt uns aber so recht, wie falsch eine solche Auffassung ist und wie wichtig es für die Menschen im physisch-sinnlichen Dasein ist, in diesem Leben schon einen Zusammenhang zu haben mit den Lebensformen, die der Mensch zu durchleben hat zwischen Tod und neuer Geburt.

Es ist sehr schwierig, in Worten, die unserer gewöhnlichen Sprache entnommen sind, über dieses Leben zu sprechen, denn diese Worte sind ja für diejenige Welt gebildet, die zwischen Geburt und Tod verläuft, und beziehen sich auf die Dinge dieser Welt. Deshalb kön­nen wir in der Regel nur mehr oder weniger indirekt andeuten das jenige, was sich zwischen Tod und neuer Geburt abspielt, was ja in seinem Wesen so verschieden ist von allem, was wir hier erleben

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können zwischen der Geburt und dem Tode. Man muß sich vorstel­len, daß alles, was der Mensch hier in der sinnlichen Welt wahr­nimmt, was gewissermaßen seine Welt ist, nicht seine Welt sein kann nach dem Tode, denn es fehlen ihm dann die Organe des physisch-sinnlichen Daseins. Auch der Verstand, der an das mensch­liche Gehirn gebunden ist, hört mit dem Tode auf. Nur gewisser­maßen in scheuer Weise können wir uns heranwagen an die Schil­derung eines Lebens, das so ganz anders ist als das Leben hier auf Erden, und in gewissem Sinne sind die Worte des gewöhnlichen Lebens nur vergleichsweise zu gebrauchen. Aber die Geisteswissen­schaft lehrt uns die Worte auch auf das Spirituelle zu beziehen und nimmt mit den Worten etwas auf, was sich auch ausgießen kann über das Verständnis der übersinnlichen Welt.

Hier in der physischen Welt bezeichnen wir als den Menschen dasjenige Physische, was innerhalb der Haut eingeschlossen ist, das übrige betrachten wir als unsere Umgebung. Was der Mensch erlebt, hängt ab von den Funktionen der Sinnesorgane, auch von Herz, Lungen und so weiter. Das alles verschwindet aber auf dem Wege, den wir gehen zwischen Tod und neuer Geburt. Unser seelisch-geistiger Teil ist während des Erdenlebens gleichsam eingebettet in unseren physischen Leib, und jener lebt von den Tätigkeiten der genannten Organe. Nach dem Tode vergrößert sich dasjenige, was den physischen und den Ätherleib verläßt, immer mehr und mehr, und es kommt eine Zeit, in der das, was sonst an die Grenze unserer Haut gebunden ist, sich so weit ausbreitet, daß es den ganzen Um­kreis der Mondbahn erfüllt. Dann wächst das Geistig-Seelische all­mählich bis zur Merkur-, Venus-Sphäre, dann zur Mars-, Jupiter-, Saturnsphäre heran und sogar darüber hinaus in den Weltenraum hinein. Nachher zieht es sich wieder zusammen und verbindet sich als kleiner Geistkeim mit dem Strom der Vererbungskräfte, die ihm den physischen Leib durch Vater und Mutter zubereiten. Diese Schilderung stimmt überein mit dem, was in der «Theosophie» geschrieben ist; bei der Mars-Sphäre beginnt das Geisterland.

Aus dem Gesagten folgt schon, daß alle Menschen, die durch die Pforte des Todes gehen, in denselben kosmischen Raum hineinwachsen,

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so daß wir also nach dem Tode gewissermaßen alle ineinanderstecken. Dennoch sind die toten Menschen nicht alle zusammen, denn das Zusammensein hängt nach dem Tode von etwas ganz anderem ab als hier auf Erden. In der geistigen Welt sind wir zwar räumlich alle beisammen, können aber in Wirklich­keit nur zusammensein, wenn wir geistige Beziehungen zu anderen Menschen haben. Nehmen wir als einen extremen Fall einmal einen Menschen an, der auf Erden ganz und gar sowohl in seinen Gedanken wie auch in seinen Empfindungen die geistige Welt ver­leugnet hat. Nun gibt es zwar viele theoretische Materialisten, die die geistige Welt leugnen, die aber doch mit ihren Empfindungen irgendwie mit der geistigen Welt zusammenhängen. Solche Men­schen, die ganz und gar die geistige Welt verleugnen, gibt es also in Wirklichkeit kaum, und das Furchtbare, was jetzt beschrieben werden soll, tritt daher nie so ganz ein. Nehmen wir an, zwei solcher Menschen sterben, die sich hier auf Erden gut gekannt haben. Dann werden sie nach dem Tode in demselben Raum dar­innen sein, aber nichts voneinander wissen, denn für die Welt nach dem Tode ist die Empfindung für das Geistige entsprechend dem, was hier zum Beispiel die Augen sind. Ohne Augen kein Licht -ohne Empfindung für das Spirituelle keine Wahrnehmung der gei­stigen Welt. Sogar ein noch schrecklicheres Schicksal als das Nicht-wahrnehmen der geistigen Welt würde solchen Menschen bevor­stehen, denn da die Seelen, die durch die Pforte des Todes gehen, selber geistiger Natur sind, würde eine solche Seele überhaupt nichts von Menschenseelen wahrnehmen können; wie ein gähnen­der Abgrund würde es sich um solche Menschenseelen ausbreiten. Man könnte fragen: Was nimmt ein solcher Mensch nach dem Tode denn überhaupt wahr? Auch nicht sich selbst, so wie er nach dem Tode ist, kann er wahrnehmen, denn das klare Selbstbewußt­sein fehlt ihm. Was ihm noch bleibt, das wird sich uns aus dem Folgenden ergeben.

Hier auf Erden stehen wir sozusagen auf einem Punkt der Erd­oberfläche da und haben unsere Organe in uns, während wir die Himmelskörper außer uns haben. Nach dem Tode ist es gerade umgekehrt.

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Der Mensch wächst dann zu einer kosmischen Größe. Wenn er bis zur Mondsphäre gewachsen ist, dann wird der Mond, das Geistige, was zum Monde gehört, ein Organ in ihm und wird dasselbe für ihn nach dem Tode, was hier auf Erden das Gehirn für uns als physische Menschen ist. So wird jeder Planetenkörper ein Organ für uns nach dem Tode, je nachdem wir zu ihm hin-wachsen. Es wird die Sonne für uns zum Herzen. So wie wir hier das physische Herz in uns tragen, tragen wir dann den geistigen Teil der Sonne in uns. Der Unterschied besteht nur darin, daß wir hier als physische Menschen erst dann vollkommene Menschen sind, wenn wir nach der Embryonalentwickelung schon gleich all unsere Organe ausgebildet haben; sie sind sozusagen alle gleich­zeitig da. Nach dem Tode erhalten wir diese Organe allmählich, eins nach dem anderen. In dieser Hinsicht sind wir, äußerlich betrachtet, dann ganz ähnlich einem Pflanzenwesen, das auch seine Organe nacheinander ausbildet. Ein Organ zum Beispiel, das sich vergleichen läßt mit unseren Lungen und unserem Kehlkopf, erhal­ten wir auf dem Mars und so weiter.

Nach dem Tode wachsen wir so hinein in dasjenige, wovon wir hier den physischen Teil abgelegt haben, und der geistige Teil der kosmischen Organe ist dann in uns. Was ist dann also für uns eine Außenwelt? Dasjenige, was jetzt unsere Innenwelt ist, dasjenige, was wir mit Hilfe unserer Organe erleben, die uns zum physischen Erdenmenschen machen, und was wir mit Hilfe dieser Organe getan haben.

Nehmen wir noch einmal jenen extremen Fall von einem Men­schen, der ganz und gar keine Beziehungen mit der geistigen Welt angeknüpft hat. Für ihn ist nach dem Tode seine Außenwelt das­jenige, was er auf Erden vermöge seiner physischen Organe erlebt hat. Für solch einen radikalen Atheisten bleibt die Welt nach dem Tode ganz ohne Menschenseelen, und er muß zurückschauen auf sein Erdenleben, auf das, was seine Welt war, was er umfaßt hat mit seinen Taten und Erlebnissen. Das ist dann seine Außenwelt:

nichts anderes als das, was ihm als Erinnerung bleibt von dem Leben zwischen Geburt und Tod, und das ist keine ausreichende

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Welt für die Erlebnisse, die der Mensch braucht im Leben zwischen Tod und neuer Geburt. In dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt, wenn der Mensch außerhalb seiner Haut ist, sieht nämlich das Leben zwischen Geburt und Tod ganz anders aus. Hier auf Erden stehen wir zum Beispiel einem Menschen gegenüber, gegen den wir Antipathie haben, mit dem wir Streit gehabt haben, dem wir Beleidigungen und Schmerzen bereitet haben. Wir stecken im Affekt darinnen in bezug auf einen solchen Menschen; wir würden das nicht tun, wenn uns nicht in gewissem Sinne doch wohl wäre bei einer solchen Tat. Vielleicht hat man etwas Reue darüber, dann vergißt man es wieder. Nach dem Tode trifft man diesen Menschen wieder, aber man hat dann das Gegenteil der Befriedigung von dem Erlebnis. Man empfindet dann dieses: Hätten wir das nicht getan, so wären wir vollkommenere Menschen gewesen, also ist unsere Seele in diesem Punkte unvollkommen. - Diese Unvollkommenheit ist der Seele geblieben und muß ihr so lange bleiben, bis die Tat ausgeglichen ist. Wir schauen weniger die Tat als den Makel in unserer Seele: der muß ausgelöscht werden. Das fühlen wir als eine Kraft in uns, die uns führt, eine Gelegenheit zu suchen, um die Tat wieder auszulöschen. Bei einer antispirituellen Seele würde noch dieses dazukommen, daß sie fühlt: Von der Seele, der ich unrecht getan habe, bin ich geschieden; ich muß warten, bis ich ihr wieder einmal begegne, um den Flecken auszuwischen. - Als Empfindung des notwendigen Karma ergibt sich der Rückblick auf das vorige Leben. Mahnend steht das Akasha-Chronik-Bild der anderen Seele vor uns; in lauter solchen Akasha-Chronik-Bildern leben wir dann.

Solche extreme Fälle gibt es nun aber eigentlich nicht. Der Seher, der mit den Seelen der Gestorbenen in Verbindung tritt, kann fol­gende Erfahrung haben. Er findet eine ihm bekannte Seele, die aus einem männlichen Leibe in den Tod gegangen ist, Weib und Kind zurückgelassen hat. Die Seele sagt ihm: Ich habe Weib und Kinder zurückgelassen, mit denen ich zusammenlebte. Jetzt habe ich nur die Bilder von dem, was wir zusammen erlebt haben. Die Meinen sind auf Erden, wo ich sie aber nicht sehen kann. Ich fühle mich von ihnen getrennt - ja, vielleicht ist auch schon einer von ihnen

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gestorben, und den kann ich auch nicht finden. - Das ist der Jam­mer der Seele, die in einer Umgebung gelebt hat, die keinen Um­gang pflegte mit dem geistigen Leben. Darum bleiben diese Seelen im Dunklen mit Bezug auf die geistige Welt, und sie können von der geistigen Welt aus nicht gesehen werden.

Wenn der Seher dagegen Seelen aufsucht, die in der physischen Welt andere Seelen zurückgelassen haben, die hier auf Erden das geistige Leben pflegen, wie zum Beispiel die Geisteswissenschaft, dann findet er, daß diese Seelen nach dem Tode solche anderen Seelen wahrnehmen und mit ihnen Umgang haben können im Leben nach dem Tode. - Die sogenannten Toten brauchen die Lebenden, denn sonst würden sie nichts anderes auf Erden schauen können als sich selbst, das heißt ihr eigenes abgelaufenes Leben. Darauf beruht die Wohltat, die wir den gestorbenen Seelen erwei­sen können, wenn wir ihnen geistig vorlesen - nicht laut, sondern in Gedanken, während wir zugleich die Toten in Gedanken vor uns haben. Wir können in dieser Weise verschiedenen Toten zu gleicher Zeit vorlesen, sei es mit oder ohne Buch, und ihnen damit eine große Wohltat erweisen. Die Gedanken aber müssen auf etwas Geistiges Bezug haben; anderes hat für den Toten keine Bedeutung. Durch diese Gedanken schaffen wir dem Toten eine Außenwelt, etwas, was er wahrnimmt. Chemische Gesetze und so weiter zu denken hat gar keinen Sinn, da diese Gesetze keine Bedeutung haben für die geistige Welt.

Man kann auch nicht nach dem Tode in der geistigen Welt noch Geisteswissenschaft lernen, wie man vielleicht glauben könnte, weil Geisteswissenschaft doch geistige Gedanken enthalte. Seelen, die hier schon etwas von Geisteswissenschaft gehört haben, können wir große Dienste erweisen, indem wir ihnen Zyklen vorlesen. Solche Seelen sind zwar imstande, eine geistige Welt wahrzunehmen, aber sie können deshalb doch nicht die Begriffe und Ideen bilden, die nur hier erlangt werden können.

Nehmen wir ein Beispiel. Es gibt Wesenheiten, die man Bodhisatt­vas nennt, hohe, vorgerückte menschliche Wesenheiten, die sich immer wieder auf Erden verkörpern, bis sie zum Buddha-Dasein

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aufgestiegen sind. Solange ein Bodhisattva in seinem physischen Leibe ist, lebt er als Mensch unter Menschen, als geistiger Wohl­täter der Menschen. Aber schon hier auf Erden hat er eine beson­dere Aufgabe, nicht nur die in Leibern Lebenden zu lehren, son­dern er lehrt auch die Toten, ja auch sogar Wesenheiten der höhe­ren Hierarchien. Das rührt davon her, weil der Inhalt der irdischen Theosophie nur auf Erden erlangt werden kann, in einem phy­sischen Leibe. Dann kann sie in der geistigen Welt gebraucht wer­den, aber erworben muß sie werden in einem physischen Leibe. Nur ausnahmsweise können Bodhisattvas andere Wesen nach dem Tode weiterbringen, die schon hier den Funken des geistigen Lebens aufgenommen haben. Durch die geistige Welt selber entsteht nicht Theosophie; sie entsteht nur auf Erden und kann dann durch die Menschen in die geistige Welt hinaufgetragen werden. Das ist zu verstehen, wenn man bedenkt, daß zum Beispiel die Tiere alles auf Erden schauen so wie die Menschen, aber es nicht verstehen kön­nen. So können die übersinnlichen Wesen die übersinnliche Welt nur schauen, aber nicht verstehen. Begriffe und Ideen von der über­sinnlichen Welt können nur auf Erden entstehen und strahlen von dort wie ein Licht auf die geistige Welt aus. Daraus versteht man so recht die Bedeutung der Erde. Sie ist nicht bloß eine Durch­gangsstufe oder ein Jammertal, sondern sie ist da, damit hier ein geistiges Wissen entwickelt werden kann, das dann hinaufgetragen werden kann in die geistigen Welten.

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DIE LEBENDIGE WECHSELWIRKUNG ZWISCHEN LEBENDEN UND TOTEN Bergen, 10. Oktober 1913 Erster Vortrag

In der herzlichsten Weise erwidre ich den lieben Gruß, der soeben von Ihrem Vertreter ausgesprochen worden ist. Und überzeugt bin ich, daß diejenigen Freunde, die mit mir hier in diese Stadt herauf­gekommen sind, um mit unseren Bergener Freunden anthropo­sophisches Leben zu pflegen, herzlich einstimmen in diese Be­grüßung. Es ist ja zweifellos schön gewesen bei der Herfahrt über die uns so freundlich und so großartig anmutenden Berge, und ich glaube, daß unsere Freunde sich in der alten hanseatischen Stadt wohl fühlen werden in den Tagen, in denen sie hier sein können. Nicht nur hat uns das Menschenwunderwerk der Bahn, mit welcher wir gefahren sind, in intimer Weise gerade in dieser Gegend den Eindruck nahebringen können, den man in anderen Gegenden Europas wenig hat, daß, unmittelbar zusammengedrängt, uns ent­gegentrat menschliche energische Schaffenskraft in der ursprüng­lichen Natur: wenn man sieht, wie Steine, die notwendig gebro­chen werden mußten, um so etwas zustande zu bringen, wie es der menschliche Geist heute zustande bringt, unmittelbar neben den anderen liegen, die die Natur aufgetürmt hat, dann kommen Ein­drücke, die wahrhaftig den Besuch eines solchen Landes zu dem Herrlichsten machen können, das man heute unternehmen kann. In dieser alten Stadt werden die Freunde die Tage, an denen wir hier sein dürfen, schön durchleben und sie besonders in Erinnerung bewahren durch diesen erhabenen Hintergrund des Aufenthaltes. Es werden Tage des Andenkens sein. Insbesondere aber werden sie das sein aus dem Grunde, weil wir uns durch den äußeren, physi­schen Augenschein überzeugen durften, daß wir auch hier in dieser Gegend anthroposophische Herzen finden können, die mit uns zusammenschlagen in dem Erstreben der geistigen Schätze der Menschheit. Gewiß werden sich die Besucher dieser Stadt noch

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enger, noch lieber, noch teurer verbunden glauben mit denen, die uns hier so lieb aufgenommen haben.

Dasjenige, was ich, da wir ja gewissermaßen zum ersten Male hier zusammen sind, besprechen möchte, wird eine Art aphoristi­schen Charakter tragen. Ich möchte aus dem Gebiete der geistigen Welt einiges von dem besprechen, was leichter und besser münd­lich gesagt werden kann, als es in unserer Schrift aufgezeichnet werden kann. Leichter mündlich gesagt werden kann es nicht nur aus dem Grunde, weil es heute gegenüber den Vorurteilen der Welt nicht bloß in vieler Beziehung noch schwierig ist, alles sozusagen der Schrift anzuvertrauen, was man gerne anthroposophischen hin­gebungsvollen Herzen anvertraut, sondern auch schwierig aus dem Grunde, weil wirklich sich die geistigen Wahrheiten besser münd­lich sagen lassen, als daß sie der Schrift und dem Druck anvertraut werden. Insbesondere muß das gelten von den intimeren geistigen Wahrheiten. Man hat immer ein etwas bitteres Gefühl, trotzdem in unserer Zeit es ja sein muß, daß diese Dinge auch aufgeschrieben und gedruckt werden; es ist immer mißlich, die intimeren geistigen Wahrheiten, die sich auf die höheren geistigen Welten selber beziehen, aufzuschreiben und sie drucken zu lassen. Schon aus dem Grunde ist das mißlich, weil ja die Schrift und der Druck zu den Dingen gehören, welche die Wesen, von denen man da spricht, die geistigen Wesen, nicht lesen können. Bücher können in der geisti­gen Welt nicht gelesen werden. Bücher können zwar von uns eine kurze Zeit nach unserem Tode aus der Erinnerung heraus noch gelesen werden, aber die Wesen der höheren Hierarchien können unsere Bücher nicht lesen. Und wenn Sie fragen, ob sie sich denn diese Kunst des Lesens nicht aneignen wollen, so muß ich nach meiner Erfahrung gestehen, daß sie vorläufig keine Lust dazu zei­gen, weil sie das Lesen desjenigen, was auf der Erde hervorgebracht wird, für sich selber nicht nötig und nicht nützlich finden. Das Lesen der geistigen Wesenheiten beginnt erst dann, wenn Menschen auf der Erde in den Büchern lesen, das heißt: wenn das, was in den Büchern steht, lebendiger Gedanke der Menschen wird, dann lesen

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die Geister in den Gedanken der Menschen. Aber dasjenige, was geschrieben oder gedruckt ist, das ist wie die Finsternis für die Wesen der geistigen Welt; so daß man gegenüber diesen geistigen Wesen­heiten selber das Gefühl hat, daß wenn man der Schrift oder dem Druck etwas anvertraut, man Mitteilungen macht hinter dem Rücken der geistigen Wesenheiten. Das ist ein reales Gefühl, das ein Kultur-bürger der Gegenwart vielleicht nicht ganz teilen wird; aber jeder wahre Okkultist wird dieses Gefühl des Widerstrebens gegen Schrift und Druck haben.

Wenn wir mit dem hellsichtigen Blick in die geistigen Welten eindringen, dann erscheint es uns besonders in der Gegenwart von ganz besonderer Wichtigkeit, daß immer mehr und mehr, von der Gegenwart angefangen, in die nächste Zukunft hinein das Wissen von der geistigen Welt Verbreitung und immer mehr und mehr Verbreitung gewinnt, weil von dieser Verbreitung der Geisteswis­senschaft vieles abhängen wird in bezug auf eine immer notwen­diger und notwendiger werdende Änderung des menschlichen Seelenlebens. Sehen Sie, wenn wir in alte Zeiten zurückgehen mit unserem geistigen Blick, wenn wir nur um Jahrhunderte zurück­gehen, so finden wir mit dem geistigen Blick etwas, was für den Nichtkenner recht überraschend sein kann. Man findet nämlich, daß der Verkehr zwischen Lebenden und Toten immer schwieriger und schwieriger wird, daß noch vor einer verhältnismäßig kurzen Zeit die lebendige Wechselwirkung der Lebenden und der Toten eine viel regsamere war. Wenn der Christ des Mittelalters oder auch der Christ noch gar nicht lang verflossener Jahrhunderte mit sei­nem Gebet das Gedenken an die ihm verwandten oder bekannten Verstorbenen gerichtet hat, so waren in diesen verflossenen Jahr­hunderten die Gefühle, die Empfindungen eines solchen Betenden viel kraftvoller, als sie heute sind, um zu den verstorbenen Seelen hinaufzudringen. Viel leichter fühlte sich die verstorbene Seele in der Vergangenheit durchdrungen von dem warmen Hauch der Liebe derjenigen, die im Gebet zu ihr hinaufschauten oder hinaufdachten, als das heute der Fall sein kann, wenn wir uns nur der äußeren Zeitbildung hingeben. Und wiederum sind heute die Toten viel

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abgeschnittener von den Lebenden, als es noch vor einer verhältnis­mäßig kurzen Zeit der Fall war. Die Toten haben es heute gewis­sermaßen viel schwieriger, dasjenige zu erblicken, was in den Seelen der Zurückgebliebenen lebendig vorgeht. Dieses liegt in der Evo­lution der Menschheit. Aber in der Evolution der Menschheit muß es auch liegen, diesen Zusammenhang, diesen lebendigen Verkehr zwischen den Lebenden und den Toten wiederum zu finden. Es war in früheren Zeiten der Menschenseele ein lebendiger Zusammen­hang mit den Toten noch auf natürliche Weise eigen, wenn auch nicht mehr mit vollem Bewußtsein, weil ja schon seit einer länge­ren Vergangenheit die Menschen nicht mehr hellsichtig sind. In noch früherer Zeit konnten die Lebenden auch noch hellsichtig auf-blicken zu den Toten, das Leben der Toten verfolgen. Wie früher es der Seele natürlich war, eine lebendige Wechselwirkung zu haben mit den Toten, so kann heute die Seele dadurch, daß sie sich aneig­net Gedanken und Ideen über die höheren, geistigen Welten, wieder die Kraft finden, den Verkehr mit den Toten, die lebendige Wechsel­wirkung herzustellen. Und unter den praktischen Aufgaben des anthroposophischen Lebens wird auch diese sein, daß wiederum die Brücke immer mehr und mehr gebaut werde durch die Geisteswis senschaft zwischen den Lebenden und den Toten.

Damit wir uns recht verstehen, möchte ich zuerst auf einiges in der Wechselwirkung zwischen Lebenden und Toten aufmerksam machen. Ich möchte von einer ganz einfachen Erscheinung aus gehen und möchte geistesforscherisch an diese Erscheinung anknüp­fen. Seelen, welche manchmal ein wenig mit sich zu Rate gehen, werden folgendes bei sich beobachten können - ich glaube, daß es viele Seelen gibt, die das bei sich beobachtet haben: Nehmen wir einmal an, irgend jemand habe im Leben eine andere Person gehaßt oder vielleicht nur sich sagen müssen, daß ihr diese andere Person antipathisch war oder ist. Wenn diese Person, die gehaßt wurde oder der gegenüber jemand Antipathie empfunden hat, dann stirbt - ich glaube, daß viele Seelen das von sich aus wissen -, dann fühlt der­jenige, der gehaßt hat oder der Antipathie empfunden hat im Leben, wenn er von dem Tode erfährt, daß er nicht mehr in derselben

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Weise diese Persönlichkeit hassen kann oder nicht mehr die Anti­pathie aufrechterhalten kann. Und wenn der Haß fortdauert über das Grab hinaus, dann fühlen zartere Seelen Schamgefühl über einen solchen Haß, über eine solche Antipathie, die über das Grab hinaus dauert. Diese Empfindung, die sich bei vielen Seelen findet, kann nun hellsichtig verfolgt werden. Man kann während der For­schung sich die Frage stellen: Warum tritt denn dieses Schamgefühl der Seele ein gegenüber einem Haß oder einer Antipathie, warum tritt es ein, wenn man auch gar nicht einmal im Leben irgendeiner zweiten Person angedeutet hat, daß man diesen Haß hat?

Wenn der Hellseher den Menschen, der durch die Pforte des Todes gegangen ist, in die geistigen Welten hinauf verfolgt und da einen Blick tut auf die Seele, die hier auf Erden zurückgeblieben ist, so stellt sich heraus, daß im allgemeinen die verstorbene Seele eine sehr deutliche Wahrnehmung, eine sehr deutliche Empfindung von dem Haß in der lebenden Seele hat; gleichsam, wenn ich mich eines Bildes bedienen darf: der Tote sieht den Haß. Das kann der Hellseher ganz genau konstatieren, daß der Tote einen solchen Haß sieht. Aber wir können auch verfolgen, was ein solcher Haß für den Toten bedeutet. Ein solcher Haß bedeutet nämlich für den Toten ein Hindernis für die guten Absichten in seiner geistigen Entwickelung, ein Hindernis, das etwa verglichen werden kann mit Hindernissen, die wir für die Erreichung eines äußeren Zieles auf Erden haben finden können. Dies ist der Tatbestand in der geistigen Welt, daß der Tote den Haß als Hindernis seiner guten und besten Absichten vorfindet. Und jetzt begreifen wir, warum in der Seele, die ein wenig mit sich selbst zu Rate geht, sogar der im Leben berechtigte Haß erstirbt: weil sie Scham empfindet, wenn der gehaßte Mensch gestorben ist. Wenn der Mensch kein Hellseher ist, so weiß er zwar nicht, was da vorliegt, aber das ist wie durch ein natürliches Gefühl in die Seele gepflanzt, daß er sich beobachtet fühlt; er fühlt:

der Tote schaut meinen Haß, ja, dieser Haß ist für ihn sogar ein Hindernis in seinen guten Absichten. - Viele tiefe Gefühle sind in der Menschenseele, die sich erklären, wenn man in die Geisteswelten hinaufsteigt und die geistigen Tatsachen ins Auge faßt, welche

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diesen Gefühlen zugrunde liegen. Wie man für manche Dinge auf der Erde äußerlich physisch nicht beobachtet sein will, beziehungs weise wie man diese Dinge nicht tut, wenn man sich beobachtet weiß, so haßt man nicht über den Tod hinaus, wenn man die Emp­findung hat: man wird von dem Toten beobachtet. Die Liebe aber oder auch nur die Sympathie, die wir dem Toten entgegenbringen, die ist dem Toten tatsächlich eine Erleichterung auf seinem Wege, die schafft ihm Hindernisse hinweg. Das was ich jetzt sage, daß Haß Hindernisse schafft im Jenseits und Liebe sie beseitigt, das ist nicht eine Durchbrechung des Karma, wie ja auch hier auf der Erde viele Dinge geschehen, die wir nicht unmittelbar einzurechnen haben in das Karma. Wenn wir unseren Fuß an einen Stein stoßen, so müs­sen wir das nicht immer in das Karma einrechnen, wenigstens nicht in das moralische Karma. Ebenso widerspricht es nicht dem Karma, wenn der Tote sich erleichtert fühlt durch die Liebe, die ihm zu-strömt von der Erde, und wenn er Hindernisse findet für seine guten Absichten.

Etwas anderes, was, man möchte sagen, schon energischer zu den Seelen sprechen wird in bezug auf den Verkehr zwischen Toten und Lebenden, das ist, daß die toten Seelen auch in einer gewissen Weise Nahrung brauchen, allerdings nicht Nahrung, wie sie die Menschen brauchen auf der Erde, sondern geistig-seelische Nahrung. Wie es einer Tatsache entspricht, daß wir Menschen auf der Erde - ich darf diesen Vergleich gebrauchen - unsere Saatfelder haben müssen, auf denen die Früchte gedeihen, von denen wir auf Erden physisch leben, so müssen die Seelen der Toten Saatfelder haben, auf denen sie gewisse Früchte ernten können, die sie brauchen in der Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Wenn der hellsichtige Blick die toten Seelen verfolgt, so sieht er, wie die schlafenden Menschenseelen das Saatfeld sind für die Toten, für die Dahin-gegangenen. Es ist gewiß nicht nur überraschend, sondern für den, der das zum ersten Male sieht in der geistigen Welt, sogar im höch­sten Grade erschütternd, zu sehen, wie die Menschenseelen, die zwischen dem Tode und einer neuen Geburt leben, gleichsam hin­eilen zu den schlafenden Menschenseelen und nach den Gedanken

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und Ideen suchen, welche in den schlafenden Menschenseelen sind:

denn von diesen nähren sie sich, und sie brauchen diese Nahrung. Wenn wir nämlich des Abends einschlafen, können wir schon sagen:

da beginnen die Ideen, die Gedanken, die während unseres Wach-zustandes durch unser Bewußtsein gegangen sind, zu leben, werden gleichsam lebendige Wesen. Und die toten Seelen kommen herbei und nehmen Anteil an diesen Ideen. In dem Anblick dieser Ideen fühlen sie sich genährt. Oh, es hat etwas Erschütterndes, wenn man den hellsichtigen Blick richtet auf hingestorbene Menschen, die all-nächtlich zu den schlafenden Zurückgebliebenen kommen - wir müssen da sowohl die Freunde als auch besonders die Blutsver-wandten in Betracht ziehen - und wollen sich gleichsam laben, nähren an den Gedanken und Ideen, die diese mit in den Schlaf genommen haben - und finden nichts, was für sie nahrhaft ist. Denn es ist ein großer Unterschied zwischen Ideen und Ideen in bezug auf unsern Schlafzustand. Wenn wir den ganzen Tag über uns nur beschäftigen mit den materiellen Ideen des Lebens, wenn wir die Blicke nur richten auf dasjenige, was in der physischen Welt vor sich geht und dort verrichtet werden kann, und wenn wir nicht einmal vor dem Einschlafen einen Gedanken haben an die geistigen Welten, sondern im Gegenteil in vieler Beziehung anders als durch Gedanken uns in die geistigen Welten hinüberbringen, so bieten wir keine Nahrung für die Toten. - Ich kenne Gegenden in Europa, wo die jungen Leute an den Hochschulen so erzogen werden, daß sie sich in Schlaf bringen, indem sie sich die sogenannte Bettschwere mit dem nötigen Quantum Bier antrinken. Das ist ein Hinüber-bringen von Ideen, die nicht leben können drüben. Und wenn dann die toten Seelen herankommen, dann finden sie ein leeres Feld, dann geht es diesen toten Seelen so, wie es uns geht für unsern physi­schen Leib, wenn durch Unfruchtbarkeit auf unsern Feldern Hungersnot ausbricht. Namentlich in unserer Zeit kann viel Seelen­hungersnot beobachtet werden in den geistigen Welten, denn das materialistische Fühlen und Empfinden hat viel Verbreitung schon gefunden. Und es gibt ja heute schon zahlreiche Menschen, die es als kindisch empfinden, sich mit Gedanken an die geistige Welt zu

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befassen. Sie entziehen dadurch Menschen, die von ihnen Nahrung bekommen sollen nach dem Tode, diese Nahrung, diese Seelen­nahrung.

Damit man dieses Faktum richtig versteht, muß erwähnt werden, daß man sich nach dem Tode nähren kann von den Ideen und Gedanken nur derjenigen Seelen, mit denen man irgendwie im Leben im Zusammenhang war. Von denjenigen, mit denen man gar keinen Zusammenhang hatte, kann man sich nach dem Tode nicht nähren. Wenn wir in unserer heutigen Zeit, um wiederum spirituell Lebendiges in den Seelen zu haben, von dem sich die Toten nähren können; Geisteswissenschaft verbreiten, dann arbeiten wir wirklich nicht bloß für die Lebenden, nicht bloß darum, daß die Lebenden eine theoretische Befriedigung haben, sondern wir versuchen unsere Herzen und Seelen anzufüllen mit Gedanken der geistigen Welt, weil wir wissen, daß die Toten, die mit uns auf der Erde verbunden waren, nach dem Tode von diesen Ideen und diesen Empfindungen für das spirituelle Leben sich nähren müssen. Wir fühlen uns heute nicht nur als Arbeiter für die sogenannten lebenden Menschen, son­dern zugleich auch als Arbeiter so, daß die geisteswissenschaftliche Arbeit, die Verbreitung des anthroposophischen Lebens auch den geistigen Welten dient. Wir schaffen, indem wir zu den Lebenden sprechen für deren Tagesleben, durch die spirituelle Seelenbefrie­digung für das Nachtleben solche Ideen, die fruchtbare Nahrung für die Seelen sind, die früher hinzusterben als wir das Karma haben. Und deshalb ist der Drang vorhanden, nicht nur auf dem gewöhnlichen Wege äußerer Mitteilung die Geisteswissenschaft oder Anthroposophie zu verbreiten, sondern das liegt, man möchte sagen, insgeheim auf dem Grunde unserer Sehnsucht, diese Geisteswissen­schaft oder Anthroposophie in Gesellschaften, in Zweigen zu ver­breiten, weil es einen Wert hat, daß persönlich physisch in Gemein­samkeit, in Gesellschaft diejenigen Menschen zusammen sind, die Geisteswissenschaft treiben. Denn ich habe ja gesagt, daß man als Toter nur Nahrung schöpfen kann von den Seelen, mit denen man zusammen war im Leben. Wir suchen die Seelen zusammenzubrin­gen, um das Saatfeld für die Toten immer größer und größer zu

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machen. Gar mancher Mensch, der heute, wenn er dahingestorben ist, kein Saatfeld findet, weil seine Familie nur aus Materialisten besteht, findet es bei jenen Seelen der Anthroposophen, weil er mit Geisteswissenschaft zusammengebracht worden ist. Das ist der tie­fere Grund, warum wir gesellschaftsmäßig arbeiten, warum wir eine gewisse Sorge haben, daß derjenige, der dahinstirbt, bevor er hinstirbt, kennenlernen kann Menschen, die sich noch auf Erden mit spirituellen Dingen beschäftigen; denn daraus kann er Nahrung schöpfen, wenn diese Menschen im schlafenden Zustand sind.

In alten Zeiten der Menschheitsentwickelung, wo noch ein gewis­ses religiöses, spirituelles Leben die Seelen durchzog, waren es die religiösen Gemeinschaften und besonders die Blutsverwandten, bei denen die Zuflucht nach dem Tode gesucht worden ist. Aber die Kraft der Blutsverwandtschaft hat abgenommen, und ersetzt wer­den muß diese immer mehr und mehr durch die Pflege des spiri­tuellen Lebens, wie wir es versuchen. So sehen wir, daß uns die Anthroposophie versprechen kann, daß ein neues Band, eine neue Brücke geschaffen werde zwischen den Lebenden und den Toten, daß wir gewissermaßen für die Toten durch die Anthroposophie etwas sein können. Und wenn wir heute schon mit dem hellsichti­gen Blick zuweilen Menschen finden in dem Leben zwischen Tod und einer neuen Geburt, die das Unglück erleben, daß diejenigen, die sie gekannt haben, auch die Nächststehenden, nur materiali­stische Gedanken haben, dann erkennen wir die Notwendigkeit des Durchsetzens der Erdenkultur mit geistigen, spirituellen Gedanken. Wenn man so kennenlernt zum Beispiel einen Menschen, der vor einiger Zeit gestorben ist, wenn man ihn findet in der geistigen Welt, und man hat ihn gekannt, als er hier auf Erden lebte, und er hat gewisse Glieder seiner Familie zurückgelassen, die man auch kannte, seine Frau, Kinder - im äußern Sinne gute Menschen, die einander wirklich liebten -, und dann findet man jetzt mit dem hellsichtigen Blick den Vater, der dahingestorben ist, dem die Gat­tin vielleicht wie eine Art Lebenssonne war, wenn er im Leben nach Hause kam von der schweren Arbeit, dann findet man, daß er

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weil diese Gattin keine spirituellen Gedanken im Kopf und im Herzen haben kann, nicht in die Seele dieser Gattin hineinschauen kann, und daß er frägt, wenn er dazu in der Lage ist: Ja, wo ist denn meine Gattin? - Er sieht nur zurück in die Zeit, in der er auf Erden mit ihr vereint war. Da wo er sie aber am meisten sucht, weiß er sie nicht zu finden. Das kann auch passieren. Es gibt ja heute schon viele Menschen, welche gewissermaßen glauben, daß der Tote eben in eine Art von Nichts eingegangen sei, die nur mit ganz materialistischem Denken, nicht mit einem fruchtbaren Ge­danken an den Toten denken können. Bei diesem Hinschauen auf die Gebiete des Lebens zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, auf jemanden, von dem man weiß: er ist noch unten auf der Erde, er hat einen lieb gehabt, aber er verbindet damit nicht den Glauben an die Fortdauer der Seele nach dem Tode, da kann allerdings, gerade in dem Augenblicke nach dem Tode, wo man die meiste Aufmerksamkeit darauf richtet - durch dieses Hinschauen-Wollen auf den Lebenden, den man geliebt hat -, aller Blick ersterben. Und man kann nicht finden den noch Lebenden, kann mit ihm in keinen Zusammenhang kommen, von dem man aber weiß, daß er dasein könnte, wenn in der Seele des Lebenden da unten spirituelle Gedan­ken wären. Das ist ein häufiges, schmerzliches Erlebnis für die Toten. Und so kann es vorkommen - von dem hellsichtigen Blick kann das beobachtet werden, wie mancher dahinstirbt und Hindernisse findet in den besten Absichten durch die Haßgedanken, die ihn verfolgen, und keinen Trost findet in den Liebegedanken derjenigen, die ihn auf Erden geliebt haben, da er sie nicht wahrnehmen kann wegen ihres Materialismus.

Diese Gesetze der geistigen Welt, die man auf diese Weise mit dem hellsichtigen Blick beobachtet, sind tatsächlich unbedingt gül­tig. Sie sind so unbedingt gültig, wie ein Fall lehrt, der öfters zu beobachten gelungen ist. Es war lehrreich, zu beobachten, wie Haß-gedanken oder wenigstens Antipathiegedanken wirken, selbst da, wo sie nicht mit vollem Bewußtsein gehegt werden! Schullehrer kann man beobachten, die gewöhnlich streng genannt werden, die sich nicht die Liebe ihrer noch jungen Schüler zuziehen konnten - da

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sind es gleichsam unschuldige Antipathie- und Haßgedanken. Wenn ein solcher Lehrer stirbt, so sieht man, wie er auch in diesen Gedan­ken, die ja bleiben, Hindernisse hat für seine guten Absichten in der geistigen Welt. Das Kind, der junge Mensch, gibt sich oftmals nicht die Rechenschaft, wenn der Lehrer gestorben ist, daß er nicht mehr hassen soll, sondern er behält das auf naturgemäße Weise bei in dem bleibenden Gefühl, wie der Lehrer ihn gequält hat. Durch solche Einblicke erfährt man viel über die Wechselbeziehung zwi­schen Lebenden und Toten.

Und nichts anderes versuchte ich eigentlich auseinanderzusetzen, um etwas erwähnen zu dürfen vor Ihnen, was wirklich wie ein gutes Ergebnis geisteswissenschaftlichen Strebens sich entwickeln kann. Ich meine das sogenannte Vorlesen den Toten. Man kann nämlich in der Tat, wie es sich gezeigt hat gerade innerhalb unserer anthropo­sophischen Bewegung, außerordentliche Dienste leisten den vor uns hingestorbenen Menschenseelen, wenn wir ihnen von spirituellen Dingen vorlesen. Das kann so gemacht werden, daß man die Ge­danken an den Verstorbenen richtet und, um eine Erleichterung zu haben, versucht, ihn zu denken, wie man sich seiner erinnert: vor einem stehend oder sitzend. Man kann das mit mehreren zugleich machen. Man liest dann nicht laut vor, sondern verfolgt mit Auf­merksamkeit die Gedanken, immer mit dem Gedanken an den

Toten: der Tote steht vor mir. Das ist Vorlesen den Toten. Man braucht kein Buch zu haben, aber man darf nicht in abstrakter Weise denken, sondern muß tatsächlich jeden Gedanken durch­denken: so liest man vor den Toten. Man kann es sogar so weit bringen, obzwar das schwieriger ist, daß, wenn man innerhalb einer gemeinsamen Weltanschauung, oder über irgendein Gebiet des Le­bens überhaupt, einen gemeinsamen Gedanken mit dem Toten gehabt hat und eine persönliche Beziehung zu ihm hatte, man auch einem Fernerstehenden vorlesen kann. Das geschieht so, daß er durch den warmen Gedanken, den man an ihn richtet, nach und nach auf einen aufmerksam wird. So kann es sogar nützlich werden, wenn man Fernerstehenden nach ihrem Tode vorliest. Dieses Vorlesen kann zu jeder Zeit geschehen. Ich bin schon gefragt worden, zu

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welcher Stunde man das am besten tut. Das ist ganz unabhängig von der Stunde. Man muß nur die Gedanken wirklich durchdenken. Oberfläche genügt nicht. Wort für Wort muß man die Sachen durch­gehen, wie wenn man es innerlich aufsagen würde. Dann lesen die Toten mit. Und es ist auch nicht richtig, wenn man glaubt, daß solches Vorlesen nur denjenigen nützlich sein kann, welche der Geisteswissenschaft im Leben nahegetreten sind. Das braucht durch­aus nicht der Fall zu sein.

Einer unserer Freunde wurde vor einiger Zeit, vielleicht nicht einmal vor einem Jahre, zugleich mit seiner Frau, jede Nacht beunruhigt. Sie fühlten eine Beunruhigung. Und da vor kurzer Zeit der Vater des Betreffenden gestorben war, so hatte unser Freund sogleich die Meinung, daß der Vater etwas wolle, sich als Seele bei ihm melde. Und als unser Freund mit mir zu Rate gegangen war, da stellte es sich heraus, daß der Vater, der im Leben von Geistes­wissenschaft nichts wissen wollte, nach dem Tode das lebendigste Bedürfnis hatte, von Geisteswissenschaft etwas zu erfahren. Und als dann der Sohn mit seiner Frau zusammen den Zyklus über das JohannesEvangelium, den ich einmal in Kassel gehalten habe, dem Vater vorlas, war diese Seele in hohem Grade befriedigt, fühlte sich über manche Disharmonien, die sie vorher kurz nach dem Tode empfunden hatte, herausgehoben. Das ist in diesem Falle deshalb bemerkenswert, weil die betreffende Seele diejenige eines Predigers war, der seinen religiösen Standpunkt immer und immer vor den Menschen vertreten hat, nach dem Tode aber nur befriedigt sein konnte durch das Mitlesenkönnen einer geisteswissenschaftlichen Auseinandersetzung über das Johannes-Evangelium. So sehen wir, daß durchaus nicht notwendigerweise derjenige, dem wir helfen wollen, dem wir dienen wollen nach dem Tode, im Leben An­throposoph gewesen zu sein braucht, obwohl wir natürlich diesem ganz besonders dienen werden, wenn wir ihm vorlesen.

Aber wir lernen auch, wenn wir eine solche Tatsache betrachten, über die Seele des Menschen überhaupt etwas anders denken, als man das gewöhnlich tut. Die Menschenseelen sind nämlich viel komplizierter, als man gewöhnlich denkt. Was sich bewußt abspielt,

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das ist wirklich eigentlich nur ein kleiner Teil des menschlichen Seelenlebens. Vieles spielt sich ab in den unterbewußten Tiefen der Seele, von dem der Mensch höchstens etwas ahnt, aber in dem hel­len Tagesbewußtsein kaum etwas weiß. Und das Entgegengesetzte kann sich oftmals abspielen im unterbewußten Leben, das Entgegen­gesetzte von dem, was der Mensch glaubt oder denkt im Ober-bewußtsein. Ein sehr häufiger Fall ist der, daß ein Mitglied einer Familie zur Geisteswissenschaft herankommt. Ein Bruder oder ein Mann oder eine Frau, mit dem die Betreffenden verbunden sind, die werden immer antipathischer und antipathischer gesinnt gegen die Geisteswissenschaft, oftmals zornig und immer zorniger, wütig und immer wütiger, weil der Gatte oder der Bruder oder die Gattin zur Geisteswissenschaft gekommen sind. Es entwickelt sich dann oft viel Antipathie gegen die Geisteswissenschaft in einer solchen Fa­milie, so daß es manche Menschen aus diesem Grunde schwierig haben, weil gute Freunde oder Verwandte oftmals sehr zornig und wütig werden. Wenn man solche Seelen untersucht, so hat man oft­mals die Erkenntnis, daß in den unterbewußten Tiefen einer sol­chen Seele die tiefste Sehnsucht nach der Geisteswissenschaft sich entwickelt. Manchmal ist solch eine Seele sehnsüchtiger nach der Geisteswissenschaft als derjenige, der mit seinem Oberbewußtsein ein eifriger Besucher der geisteswissenschaftlichen Versammlungen ist. Aber der Tod hebt ja die Decke von dem Unterbewußtsein weg, der Tod gleicht solche Dinge in merkwürdiger Weise aus. Im Le­ben kommt es häufig vor, daß sich jemand betäubt gegen dasjenige, was im Unterbewußtsein ist, und die Menschen sind wirklich da, die eigentlich Sehnsucht, tiefste Sehnsucht hätten nach der Geistes­wissenschaft, aber sie betäuben sich. Indem sie gegen die Geistes­wissenschaft toben, betäuben sie ihre Sehnsucht und täuschen sich über sie hinweg. Da tritt aber nach dem Tode die Sehnsucht um so gewaltiger hervor. Und gerade oftmals bei solchen, die im Leben gegen die Geisteswissenschaft gewütet haben, stellt sich nach dem Tode die heftigste Sehnsucht nach ihr ein. Daher versäumen Sie es nicht, gerade gegenüber solchen Toten, die im Leben die Geistes­wissenschaft bekämpft haben, das Vorlesen vorzunehmen! Sie werden

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ihnen damit vielleicht dann oftmals gerade den allergrößten Dienst tun.

Eine Frage, die im Zusammenhang mit alledem sehr häufig sich ergibt, ist diese: Ja, wie kann man wissen, ob der Tote wirklich zuhören kann? Nun, ohne den hellsichtigen Blick ist es schwierig, das zu wissen, obwohl man sich allmählich, wenn man sich mit dem Andenken an die Toten beschäftigt, von einem Gefühl wird überrascht finden: der Tote hört zu. Man wird dieses Gefühl nur dann nicht haben, wenn man unaufmerksam ist und auf jene eigen­tümliche Wärme nicht achtet, die sich oft beim Vorlesen verbreitet. Man kann sich wirklich ein solches Gefühl aneignen. Kann man das aber nicht tun, meine lieben Freunde, so muß gesagt werden, daß in dem Verhalten zur geistigen Welt ja auch in diesem Falle eine Regel zur Anwendung kommen muß, die oftmals berücksich­tigt werden muß. Das ist die Regel: Ja, wenn wir vorlesen dem Toten, so nützen wir ihm unter allen Umständen, wenn er uns hört! Hört er uns nicht, so erfüllen wir erstens unsere Pflicht, bringen es vielleicht dazu, daß er uns doch hört, sonst aber gewinnen wir wenigstens etwas, erfüllen uns mit Gedanken und Ideen, die ja ganz gewiß Nahrung sein werden für die Toten in der zuerst an­gedeuteten Weise. Also verloren ist unter allen Umständen nichts. Aber die Praxis hat gezeigt, daß tatsächlich dieses Vernehmen des­sen, was vorgelesen wird, von seiten der Toten etwas außerordent­lich Verbreitetes ist, daß ein ungeheurer Dienst geleistet werden kann denjenigen, denen wir in dieser Weise das, was heute an gei­stiger Weisheit herangezogen werden kann, vorlesen.

So dürfen wir hoffen, daß die Scheidewand zwischen Lebenden und Toten immer geringer und geringer wird, indem sich die Geistes­wissenschaft über die Welt hin verbreitet. Und wahrhaftig, es wird ein schöner, ein herrlicher Erfolg der Geisteswissenschaft sein, so paradox das klingen mag, wenn in der Zukunft die Menschen wis­sen werden - aber praktisch wissen werden, nicht nur theoretisch:

es ist eigentlich nur eine Verwandlung des Erlebens, wenn man durch den sogenannten Tod gegangen ist, und man ist beisammen auch mit den Toten; man kann sie sogar teilnehmen lassen an demjenigen,

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woran man selber teilnimmt im physischen Leben. Man macht sich eine falsche Vorstellung von dem Leben zwischen Tod und einer neuen Geburt, wenn man etwa die Frage stellen würde:

Ja, wozu braucht man den Toten vorzulesen? Wissen sie das denn nicht aus eigener Anschauung, was der Mensch hier auf der Erde vorlesen kann, wissen sie das nicht viel besser? Dieses frägt aller­dings nur derjenige, der da nicht in der Lage ist zu beurteilen, was man eben in der geistigen Welt erfahren kann. Sehen Sie, man kann ja auch in der physischen Welt sein, ohne das Wissen der physi­schen Welt zu erfahren. Wenn man nicht in der Lage ist, dies oder jenes zu beurteilen, so erfährt man eben das Wissen von der phy­sischen Welt nicht. Die Tiere leben ja mit uns auch zusammen in der physischen Welt und wissen doch nicht das von ihr, was wir Menschen wissen. Daß ein Toter in der geistigen Welt lebt, das macht noch nicht, daß er auch von dieser geistigen Welt etwas weiß, obzwar er sie anschauen kann. Dasjenige, was in der Geisteswissen­schaft erworben wird, das wird nur auf der Erde als Wissen erworben, es kann nur auf der Erde erworben werden, es kann nicht in der geistigen Welt erworben werden. Es muß daher, wenn es eben von Wesen in der geistigen Welt gewußt werden soll, durch diejenigen Wesen erfahren werden, die es selbst auf der Erde erfah­ren. Das ist ein bedeutsames Geheimnis der geistigen Welten, daß man in diesen sein kann, sie anschauen kann, daß aber dasjenige, was als Wissen über die geistigen Welten notwendig ist, auf der Erde erworben werden muß.

Ja, meine lieben Freunde, etwas muß ich Ihnen da sagen in bezug auf die geistigen Welten, was in mancher Beziehung weiter-klingen wird und ausgeführt werden wird in unserer morgigen Betrachtung, von dem man sich gewöhnlich nicht eine rechte Vor­stellung macht. Wenn der Mensch in der Zeit zwischen Tod und einer neuen Geburt in der geistigen Welt lebt, so richtet er auf unsere physische Welt sein Sehnen ungefähr so hin, wie hier in einer gewissen Weise der physische Mensch sein Sehnen richtet nach der geistigen Welt. Und was der Mensch zwischen Tod und einer neuen Geburt von den Menschen auf der Erde erwarten muß, das

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ist, daß diese Menschen ihm von der Erde aus zeigen und auf­erglänzen lassen dasjenige, was nur auf der Erde erworben werden kann. Die Erde ist wahrhaftig im spirituellen Weltendasein nicht umsonst gegründet worden. Sie ist in das Leben gerufen worden, damit dasjenige entstehen kann, was nur auf der Erde möglich ist. Wissen von der geistigen Welt, das über das Anschauen, das An-starren der geistigen Welten hinausgeht, ist nur auf der Erde mög­lich. Und wenn ich früher gesagt habe, daß die geistigen Wesen­heiten der geistigen Welten unsere Bücher nicht lesen können, so muß ich jetzt sagen: Dasjenige, was in uns als Geisterkenntnis lebt, das ist für die geistigen Wesenheiten und auch für unsere eigenen Seelen nach dem Tode, was für den physischen Menschen die Bücher hier auf unserer Erde sind, was für den physischen Menschen das­jenige ist, wodurch er etwas über die Welt erfährt. Nur sind diese Bücher, die wir selber sind für die Toten, eben lebendig. Fühlen Sie dieses gewichtige Wort, daß wir den Toten gewissermaßen die Lek­türe geben müssen! Unsere Bücher sind ja in einer Beziehung gedul­diger, unsere Bücher bringen es nicht zustande, daß sie zum Beispiel ihre Buchstaben verschlucken in das Papier hinein, während wir sie lesen. Wir Menschen entziehen den Toten dadurch oftmals die Lek­türe, daß wir uns nur mit dem, was wirklich unsichtbar ist in den geistigen Welten, daß wir uns nur mit materiellen Gedanken anfül­len. Das muß ich sagen, weil die Frage oftmals auftaucht, ob denn die Toten nicht selber wissen könnten, was wir ihnen geben kön­nen. Das können sie nicht, weil Geisteswissenschaft nur auf der Erde gegründet werden kann und von dort aus hinaufgetragen wer­den muß in die geistigen Welten.

Und wenn wir nun die geistigen Welten selber betreten und ein wenig dieses Leben in den geistigen Welten erfahren, dann treten uns da ganz andere Verhältnisse entgegen als hier im physischen Leben der Erde. Deshalb ist es auch so außerordentlich schwierig, in Menschenworten und Menschengedanken hereinzuholen diese Verhältnisse der geistigen Welten. Und es klingt manchmal so para­dox, wenn man versucht, sich konkret auszusprechen über die Ver­hältnisse in den geistigen Welten. Sehen Sie, da wüßte ich Ihnen

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von einem Wesen zu erzählen, um nur eines herauszugreifen, von einer gestorbenen Menschenseele, mit der zusammen es mir gelun­gen ist, einiges zu erforschen in der geistigen Welt, weil sie beson­dere Kunde von ihm hatte, über den Maler Lionardo da Vinei, namentlich über dasjenige, wie das berühmte Bild in Mailand aus­gesehen hat. Wenn man mit einer solchen Seele gemeinschaftlich eine geistige Tatsache durchsucht, da kann einen eine solche Seele auf manches hinweisen, was man sonst vielleicht durch den bloßen hellsichtigen Blick nicht finden würde in der Akasha-Chronik. Die Menschenseele aber, die in der geistigen Welt ist, kann darauf hin­weisen. Sie wird einen aber nur dann hinweisen können, wenn man Verständnis hat für dasjenige, worauf sie einen hinweisen will. Da stellt sich etwas Eigentümliches heraus. Nehmen wir an, man erforscht mit einer solchen Seele die Art, wie geschaffen hat Lionardo da Vinci an seinem berühmten Abendmahl in Mailand. Von dem, was heute dieses Bild ist, bekommt man kaum viel mehr zu sehen als einige Farbenflecken. Aber man kann den malenden Lionardo in der Akasha-Chronik beobachten, kann beobachten, wie dieses Bild war, obwohl das nicht leicht ist. Wenn man es so macht, daß man mit einer Seele, die nicht verkörpert ist, aber einen Zusammen­hang hat mit Lionardo da Vinci und seiner Malerei, forscht, so sieht man, daß diese Seele einem dies oder jenes zeigt. Sie konnte zum Beispiel verständlich machen, wie eigentlich das Christusgesicht und das Judasgesicht waren auf diesem Bilde. Aber man merkt, die Seele könnte einem das nicht zeigen, wenn nicht in dem Augen­blicke, wo sie es zeigt, Verständnis einziehen würde in die Seele des lebenden Forschers. Dieses Verständnis braucht die Seele. Und die tote Seele lernt selber erst verstehen, was sie sonst nur anschaut, in dem Augenblick, wo die lebende Menschenseele sich belehren läßt. Daher sagt einem, der Ausdruck ist ja symbolisch, eine solche Seele, nachdem man etwas mit ihr zusammen erfahren hat, was man nur so erfahren kann: Du hast mich hierher gebracht zu dem Bilde - das sagt die Seele zum Lebenden dadurch, daß der Lebende das Bedürf­nis hatte, das Bild zu erforschen - und nun fühle ich den Drang, mit dir zusammen das Bild zu erschauen. - So sagt die tote Seele,

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und dann wird mancherlei durchgemacht. Aber es kommt ein Moment, wo die tote Seele entweder plötzlich nicht mehr da ist oder sagt, jetzt müsse sie fort. In diesem Falle, den ich eben erzähle, sagte die tote Seele zum Beispiel: Während Lionardo da Vincis Seele bis jetzt wohlgefällig hierher gesehen hat, will sie jetzt nicht mehr, daß weitergeforscht werde.

Ich will damit etwas sehr Wichtiges aus dem geistigen Leben schildern. Wie man nämlich im physischen Leben immer weiß, was man ansieht, wie man immer weiß: man sieht das oder jenes, man sieht die Rose, man sieht den Tisch - so weiß man im geistigen Leben immer: dies oder jenes Wesen sieht einen an. Man geht durch die geistigen Welten und hat immer das Gefühl: jetzt schauen dich diese Wesen an. Während man in der physischen Welt das Bewußt­sein hat, man geht durch die Welt wahrnehmend, hat man in der geistigen Welt das Erlebnis: du wirst jetzt von diesem, dann von jenem gesehen. Man fühlt sich fortwährend Blicken ausgesetzt, die einen zugleich aber zum Entschluß bringen, irgend etwas zu tun. Indem man weiß: man wird jetzt wohlgefällig angesehen oder nicht, damit man etwas tun solle oder nicht, so tut man es oder tut es nicht. Wie man nach einer Blume greift, die einem gefällt, weil man sie gesehen hat, so tut man in der geistigen Welt etwas, weil es irgendein Wesen gerne sieht, wohlgefällig sieht, oder man unter­läßt es, weil man nicht aushalten kann den Blick, der hingewendet wird auf diese Tat. Das ist etwas, was man sich durchaus aneignen muß. Man hat dort das Gefühl, daß man selber gesehen wird, wie man hier das Gefühl hat, daß man sieht. Es ist in einer gewissen Weise dort passiv, was hier aktiv ist, wie dort wiederum aktiv ist, was hier passiv ist. - Daraus sehen Sie, daß man sich gewissermaßen ganz andere Begriffe aneignen muß, wenn man in der richtigen Weise Schilderungen aus der geistigen Welt auffassen will. Und Sie werden daher begreifen, wie schwierig es ist, in gewöhnliche Men­schenworte zu prägen dasjenige, was man so gerne als Schilderun­gen der geistigen Welten geben möchte. So werden Sie begreifen, wie notwendig es ist, daß für viele Dinge erst das nötige vorberei­tende Verständnis geschaffen werde.

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Ich möchte nur noch auf eines aufmerksam machen. Es könnte die Frage entstehen: Ja, warum schildert die geisteswissenschaft-liche Literatur so im allgemeinen das, was so unmittelbar nach dem Tode in der geistigen Welt geschieht, was im Kamaloka, was im Geisterlande geschieht, und warum wird so wenig von einzelnen hellsichtigen Einblicken geschildert? Denn es könnte ja jemand leicht glauben, daß man einen einzelnen, bestimmten Toten nach dem Tode leichter beobachten könnte als dasjenige, was im all­gemeinen geschildert wird. So ist es nicht. Und um anzudeuten, wie es ist, möchte ich einen Vergleich gebrauchen. Es ist dem richtig entwickelten Hellsehen leichter, die großen Verhältnisse zu über­schauen - wie den Durchgang der Menschenseele durch den Tod, wie sie durch Kamaloka in das Devachan hinaufkommt -, als irgendein einzelnes Erlebnis einer einzelnen Seele zu überschauen. Geradeso, wie es leichter ist, in der physischen Welt dasjenige zu erkennen, was etwa sozusagen unter dem Einflusse der großen Him­meisbewegungen steht, und schwieriger dasjenige, was in einer gewissen Weise unregelmäßig zu den großen Himmelsbewegungen steht. Nun wird jeder von Ihnen für den morgigen Tag leicht vor­aussagen können, daß die Sonne morgens aufgehen wird und abends wieder untergehen wird. Das wird jeder ungefähr wissen. Was mor­gen aber für Wetter sein wird, das wird schon weniger genau gewußt werden. So ist es mit dem Hellsehen auch. Die Verhältnisse, die wir gewöhnlich in den Schilderungen über die geistigen Welten geben, sind zu vergleichen mit dem Wissen über den allgemeinen Gang der Himmelskörper; die weiß man zuerst im hellseherischen Bewußtsein. Und man kann immer rechnen darauf, daß die Ereig­nisse sich im allgemeinen so vollziehen. Die einzelnen Ereignisse aber in dem Leben zwischen Tod und einer neuen Geburt sind wie die Wetterverhältnisse hier auf der Erde, die selbstverständlich auch gesetzmäßig sind, aber eben schwieriger zu erkennen auch auf der Erde selber; denn man kann ja nicht von jedem Orte wissen, was für ein Wetter an einem anderen Orte ist. So ist es eben nun ein­mal. Es ist schwierig, hier zu wissen, wie das Wetter in Berlin ist, nicht aber, wie dort die Sonne oder der Mond stehen. Es gehört eine

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besondere Ausbildung der hellsichtigen Gabe dazu, da es schwie­riger ist, das einzelne Leben nach dem Tode zu verfolgen als den allgemeinen Gang der Menschenseele. Und auf dem richtigen Wege erwirbt man sich das Wissen von den allgemeinen Verhältnissen zuerst, und zuallerletzt erwirbt man sich, wenn es durch Schulung errungen wird, dasjenige, was ja am leichtesten scheint. Man kann lange schon sehr richtig sehen in bezug auf Kamaloka und Devachan und es doch außerordentlich schwierig haben, zu sehen, wieviel es auf der eigenen Uhr ist, die man in der Tasche hat. Die Dinge in der physischen Welt sind für die hellseherische Schulung die aller-schwierigsten. Gerade das Umgekehrte ist im Erkennenlernen der höheren Welten der Fall. Irrtümern gibt man sich auf diesem Ge­biete aus dem Grunde hin, weil ja auch noch ein natürliches Hell-sehen vorhanden ist, und dieses zwar unsicher ist, mannigfachen Irrtümern unterworfen ist, aber es kann lange vorhanden sein, ohne daß man den hellsichtigen Blick für die allgemeinen Verhält­nisse hat, die in der Geisteswissenschaft geschildert werden, die dem geschulten Hellseher leichter sind.

Das sind die Dinge, die ich Ihnen heute in bezug auf die geisti­gen Welten schildern wollte. Morgen wollen wir diese Betrach­tungen fortsetzen und etwas vertiefen.

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DIE UMWANDLUNG MENSCHLICH-IRDISCHER KRÄFTE ZU KRÄFTEN HELLSEHERISCHER FORSCHUNG Bergen, 11. Oktober 1913 Zweiter Vortrag

Es kann mancherlei gefragt werden über das eine und das andere, wenn man allmählich herandringt an die geisteswissenschaftlichen Erkenntnisse; es kann in berechtigter Weise mancherlei gefragt wer­den. Wollen wir einmal heute einen Teil unserer Betrachtung da­mit ausfüllen, daß wir uns selbst solche Fragen vorlegen. Die Be­antwortung solcher Fragen ist oftmals geeignet, uns tiefer hinein-zuführen in den ganzen Zusammenhang der Welttatsachen, inso­fern die geistige Welt in diese Tatsachen hineinwirkt, und nament­lich in den Zusammenhang der Tatsachen der menschlichen Natur selber. Eine Frage kann so aufgeworfen werden: Wenn man all­mählich dazu kommt, die Wichtigkeit und die große Bedeutung der sogenannten Reinkarnation einzusehen, so kann man fragen: Ja, wie kommt es denn, daß der Mensch im gewöhnlichen Leben in unserer Gegenwart kein Bewußtsein erlangen kann von den vor­hergehenden Erdenleben? Das hellsichtige Bewußtsein kann ja in der Tat dazu dringen, gleichsam das Gedächtnis so weit auszudeh­nen, daß wirklich frühere Erdenleben wie eine Erinnerung im Ge­dächtnis auftauchen. Aber im gewöhnlichen Leben der heutigen Menschheit ist es ja so, daß ein Bewußtsein der früheren Erden-leben nicht vorhanden ist. Wenn man nun die Frage gleichsam vom Gesichtspunkt der hellsichtigen Forschung stellt, so bekommt sie die folgende Gestalt. Man ist sich ja klar, daß die Kraft, die man zur hellsichtigen Forschung braucht, eigentlich aus dem mensch­lichen Jnnern und seiner Seele selber hervorkommt. Man entwickelt sich von dem gewöhnlichen Standpunkt des Menschen zu dem hell­sichtigen Standpunkt: daher müssen ja die Kräfte, mit denen man später zurückblicken kann auf vorhergehende Erdenleben, in jedem Menschen selbstverständlich vorhanden sein. Die Frage ist nun diese: Was geschieht denn mit diesen Kräften, was macht die menschliche

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Natur mit diesen Kräften, die da sind, die mit dem Menschen geboren werden und die er doch nicht dahin bringt, daß er zu einer Rückerinnerung an frühere Erdenleben kommt?

Wenn man hellsichtig die Frage untersucht, den Blick hinwen­det auf diejenigen Kräfte, die da in Betracht kommen, so muß man die Betrachtung schon in ein sehr frähes Kindheitsalter lenken. Denn dann erst sieht man diese Kräfte, die beim Hellsehen ver­wendet werden können für den Rückblick in frühere Erdenleben, an der Arbeit. Nämlich: Diese Kräfte werden für die heutige Menschheit verwendet zum Aufbau des menschlichen Kehlkopfes und alles dessen, was damit zusammenhängt. Sie werden nament­lich verwendet zu all dem, was den menschlichen Kehlkopf später befähigt, die Sprache zu lernen. Die Kräfte sind also da in jedem Menschen, die ihn befähigen würden, zurückzublicken in frühere Erdenleben. Aber sie werden in einem solchen Maße heute dazu verwendet, die Sprachorgane beim Menschen auszubilden, daß unter normalen Verhältnissen der Mensch diese Rückerinnerung nicht haben kann. Allerdings gab es früher Erdenzeiten, in denen die Menschen diese Rückerinnerung wohl hatten. Fast über die ganze Erde hin hatten die Menschen diese Rückerinnerung in frü­here Erdenleben. Aber das beruht darauf, daß nicht alle Kräfte, die zum Aufbau der Sprachorgane verwendet werden, für den Rück­blick in frühere Erdenleben verlorengehen, weil beim Aufbau der Sprachorgane noch gewisse Kräfte zurückgehalten werden. Die Ent­wickelung der Menschheit ist ja so, daß die Sprache allmählich eine Gestaltung angenommen hat, die heute im gegenwärtigen Mensch. heitszyklus viel mehr Kräfte namentlich des Ätherleibes aufruft, als das in früheren Zeitaltern der Fall war. So kommt der Mensch der heutigen Zeit gar nicht dazu, dasjenige, was zurückbleibt als Kräfte, von denen der größte Teil zum Aufbau der Sprachorgane verwen­det wird, zu berücksichtigen. Würde er das tun, wie es der Hell­seher ja tun muß, so würde er in frühere Erdenleben zurückblicken. Daher kommt das, was ich auch im öffentlichen Vortrage über « Die Rätsel des Lebens» angedeutet habe: Wenn man es dazu bringt, die­jenige Tätigkeit des Ätherleibes zu entfalten, die sonst nur entfaltet

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wird in der Anstrengung der Sprachorgane, wenn man frei bekommt die Sprachkräfte von den Sprachorganen, wenn man dazu kommt, sich innerlich gewissermaßen zuhören zu können, ohne daß man äußerlich spricht, und dieses immer mehr und mehr fühlt, dann ist die Übung dieser Kräfte dazu geeignet, wirklich das Gedächtnis an frühere Erdenleben herzustellen. In der heutigen Menschheit ist es so, daß der Mensch gar keine Aufmerksamkeit verwendet auf die Kräfte seiner Sprachbildung, die zurückbleiben und die verwendet werden können zum Rückblick in frühere Erdenleben. Dies ist ein solcher Fall, wo man nachweisen kann durch die hellseherische Forschung, wohin die Kräfte kommen im normalen Leben, die sonst die Menschen zu Einblicken des geistigen Lebens befähigen würden.

So ist es auch mit den Kräften, die beim Menschen in unserer heutigen Zeit verwendet werden, um die sogenannte graue Gehirn-substanz zustande zu bringen, welche hauptsächlich das Organ des Denkens ist. Dieses Denken ist natürlich nicht etwas, was das Ge­hirn verrichtet, aber man braucht das Gehirn als ein Werkzeug, um zu denken. Und jene Denkkräfte, die den Menschen befähigen wür­den, wenn er sie ganz zur Verfügung hätte, um zum Beispiel mit Leichtigkeit auf dasjenige zu kommen, was in meiner «Geheimwis­senschaft» steht, diese Kräfte, die in leichter Art befähigen, zu die­ser ganzen Auseinandersetzung der «Geheimwissenschaft» zu kom­men, werden beim normalen Menschen heute verwendet, um die graue Gehirnsubstanz in entsprechender Weise zu gliedern. Diese Gliederung der grauen Gehirnsubstanz war noch gar nicht in die­sem ausgiebigen Maße, wie es heute beim Durchschnittsmenschen der Fall ist, beim Menschen des alten Griechenlandes im sechsten oder fünften Jahrhundert vorhanden. In dieser Beziehung ändert sich die Menschennatur rascher, als man denkt. Daher war für die Griechen der vorhistorischen Zeit, des zehnten, elften, zwölften Jahrhunderts, in einem bestimmten Lebensalter ganz selbstverständ­lich, daß ihnen das Hellsehen aufging, das man heute wiederum als Geheimwissenschaft darstellen kann. Und man muß die Kräfte, die einem doch noch erspart bleiben bei der Bearbeitung der grauen Gehirnsubstanz, zur Übung verwenden in der Weise, wie es geschildert

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worden ist, um in reiner, klarer Weise zu überschauen, was zum Beispiel in meiner «Geheimwissenschaft» beschrieben ist. Wor­auf beruht das, wenn man so beschreibt, wie es in diesem Buche geschehen ist? Die Bedingungen zu Schilderungen aus der geistigen Welt sind eigentlich auch von dem heutigen Menschen gar nicht so schwer zu erlangen. Man möchte fast sagen, man könne sich wun­dern, daß heute nicht viel mehr Menschen ganz von selbst zur An­schauung dieser Verhältnisse kommen - und man könnte sich wun­dern, daß diese Schilderungen eine so starke Gegnerschaft finden. Denn es ist verhältnismäßig nicht schwierig, zu jenem Grad des Hellseherischen zu kommen, der notwendig ist, um diese Dinge zu überschauen. Man braucht nur das Folgende zu machen, obwohl man diesen Dingen gegenüber das Faustwort anwenden kann:

« Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer. »

Die Entwickelung des Gehirns ist zwar am lebhaftesten in den ersten Jahren des menschlichen Lebens; da sieht man hellsichtig den Ätherleib und auch den Astralleib am meisten tätig an der Furchung, an der Gliederung des Gehirns. Aber es dauert diese Arbeit an unserem Gehirn verhältnismäßig sehr lange. Und es ist nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß der Mensch wirk­lich - wenn es auch in späteren Jahren langsamer geht - durch die Lebenserfahrung schon immer gescheiter und gescheiter wird. Immer findet eine Arbeit an der Gehirnsubstanz statt. Aber man beobachtet das Folgende nicht und kann es ja auch nicht beobach­ten: Wenn man sich in einem bestimmten Jahre vornimmt, eine geistige Lieblingsbeschäftigung, die man getrieben hat, einmal nicht zu treiben - doch müsste sich diese nur auf äußere Verhältnisse beziehen, weil durch diese die graue Substanz sich gliedert - Gei­steswissenschaft kann es natürlich nicht sein, wenn man sie nicht wie irgendeine andere Wissenschaft studiert -, doch wenn man irgend etwas sonst, was man als Lieblingsbeschäftigung betrieben hat, sieben Jahre lang nicht zu treiben sich vornimmt und wirklich das durchführt, streng durchführt, und man versucht, in stiller Me­ditation die Kräfte wachzurufen, die man auf diese Weise erspart hat, die, hätte man die Tätigkeit fortgesetzt, anders verwendet worden

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wären, nun aber erspart, herausgesondert sind: so kann man verhältnismäßig leicht, wenigstens in hohem Grade selbst zur Er­kenntnis derjenigen Dinge kommen, die in meiner «Geheimwissen­schaft» geschildert sind. Daß so wenige Menschen dazu kommen, bezeugt nur, daß so wenig nach dieser Richtung ausgeführt wird. Es wird in der Tat nicht ausgeführt, denn derjenige, der wirklich eine Lieblingsbeschäftigung hat, wird selten die Entsagung haben, sieben Jahre lang sich gar nicht mit ihr zu befassen.

So sehen Sie, daß ein Teil dessen, was heute verkündet werden kann, verhältnismäßig leicht zu erringen wäre. Wenn Sie unsere heutige Kultur betrachten mit allem, was sie an Ungeheuerem äußerlich geleistet hat, so werden Sie sich gar nicht wundern, daß viele Kräfte des Ätherleibes verwendet werden auf die Bearbeitung des Gehirns, denn diese äußere Kultur ist ja fast ganz nur ein Er­gebnis eben der Gehirnarbeit, da gehen die Kräfte ganz und gar in der Bearbeitung des Gehirnes auf. Nun könnte mancher sagen: Ja, ich habe mich aber gar nicht beteiligt an dieser Kulturarbeit, ich habe ja gar nichts dabei getan! - Das kann sich jemand in Wirk­lichkeit vortäuschen, aber es ist doch nicht der Fall. Man kann heute kaum einen noch so einsam gelegenen Ort auf der Erde fin­den, wohin nicht die äußere Kultur doch so weit dringt, daß man beteiligt ist mit seinem Denken an dieser äußeren Kultur. Und das genügt schon, um die Kräfte abzulenken von dem, was man nen­nen könnte: Erlangen des hellsichtigen Bewußtseins. Freilich könnte jemand sagen: Nun, die Wilden beschäftigen sich ja nicht mit dem, was das Gehirn so bearbeitet, aber man kann auch von den Wilden heute nicht sagen, daß sie besondere hellsichtige Kräfte nach dieser Richtung entwickeln. - Das ist der Fall, weil ein ganz bestimmtes geistiges Gesetz besteht. Dasjenige nämlich, was man auf diese Weise hellsichtig erlangen soll, das muß eine bestimmte Vorberei­tung haben. Der Wilde könnte vielleicht ganz andere hellsichtige Kräfte entwickeln. Die hellsichtigen Kräfte aber, die notwendig sind für das Sehen dessen, was in meiner «Geheimwissenschaft» beschrieben ist, könnte der Wilde nicht entwickeln, weil er dazu keine Vorbereitung hat. Denn diese Kräfte müssen wiederum die

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Umkehrung von anderen Kräften sein. Sie könnten zum Beispiel sagen: Aber viele Menschen haben sich doch das, was ich als Lieb­lingsbeschäftigung gehabt habe, überhaupt erspart! Warum sind diese nicht hellsichtig geworden? - Das beruht darauf, daß die Ent­wickelung der hellsichtigen Kräfte nicht kommt aus dem Nichts heraus, sondern kommt durch die Umkehrung dessen, was vorhan­den ist. Man muß Kräfte in einer gewissen Richtung schon ent­wickelt haben, man muß den Anlauf schon genommen haben zu derjenigen Intelligenz, die heute unsere Kulturintelligenz ist; man muß eine Zeitlang auf diese Kräfte verzichten, dann werden sie gleichsam umgekehrt. Und dadurch entsteht dasjenige, was einen befähigt, die Tatsachen in der «Geheimwissenschaft» hellseherisch zu verfolgen. Es sind namentlich diejenigen Kräfte bei solchen Schilderungen verwendet, die in der normalen menschlichen Ent­wickelung vorzugsweise das Gehirn zu den höheren, intelligenteren Kräften befähigen. Dagegen wird man dasjenige, was nicht diese allgemeinen, großen Gesichtspunkte, wie sie in der «Geheimwis­senschaft» geschildert sind, erreicht, sondern was mehr einzelne Verhältnisse erreicht, durch Umkehrung von anderen menschlichen Kräften und Fähigkeiten erlangen. Die Fähigkeit zum Beispiel, in frühere Erdenleben zurückzublicken, erreicht man dadurch, daß man gewisse Kräfte, die sonst ganz für die Sprachorganbildung ver­wendet werden, zurückbehält in der Art, wie ich es geschildert habe.

Am hinderlichsten sind den Menschen, um in die geistigen Wel­ten zu dringen, gewisse Kräfte, welche gewöhnlich überhaupt gar nicht beachtet werden. Ich habe jetzt zweierlei von den Kräften angeführt, welche den Menschen befähigen, hellsehend hineinzu­blicken in die geistigen Welten. Auf die Kräfte, die heute verwen­det werden zur Ausbildung der grauen Gehirnsubstanz, habe ich hingewiesen; jene Kräfte aber, die den Menschen befähigen, rück­zublicken auf frühere Erdenleben, sind die Kräfte, die mit der Aus­bildung der Sprache zu tun haben. Es gibt aber noch Kräfte, die den Menschen befähigen, mehr im einzelnen zu sehen, was zwi­schen Tod und neuer Geburt liegt, in Einzelheiten zu sehen, was der einzelne Mensch da tut. In der «Geheimwissenschaft» findet

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man mehr das Allgemeine. Das ist aber wieder etwas anderes: wirk­lich hineinzusehen in die geistige Welt; dazu sind wieder andere Kräfte notwendig, die man kaum beachtet im Leben. Es gibt etwas, zu dem der Mensch sehr viel Kräfte verwenden muß: das ist, daß er sein Leben lang nicht auf allen vieren kriecht, sondern im jugendlichen Lebensalter dazu kommt, sich aufzurichten. Die Kräfte, die den Menschen zum vertikalen Wesen machen, sind Kräfte, die denjenigen, der eingedrungen ist in die geistige Welt, mit ganz besonderer Ehrfurcht erfüllen. Zuzuschauen, wie ein Kind gehen lernt, das schließt für den, der hellsichtige Forschung anstellt, ein wunderbares Mysterium ein. Die Kräfte, die man verwendet, um sich aufzurichten als Kind, die lassen übrig - aber man berück­sichtigt dieses Überbleibsel zu wenig -, die lassen übrig diejenigen Kräfte, die einen befähigen, hineinzuschauen in die Welt zwischen Tod und neuer Geburt. Wenn man es nämlich dahin bringt - es gibt dazu noch andere Wege, aber dieses ist ein Weg -, sich zu erin­nern, wie man gehen gelernt hat, was man da für Anstrengungen gemacht hat: dann entdeckt man in sich die Kräfte, die man erspart hat in seinem Ätherleib. Denn dieser muß sich namentlich dabei anstrengen. Wenn man diese Kräfte in sich sucht, die man dazumal erspart hat - sie sind noch in allen Menschen vorhanden -, dann kann auf diesem Wege vieles herausgeholt werden aus dem Men­schen, was ihn befähigt, in das Leben, das verflossen ist zwischen seinem letzten Tod und seiner Geburt, zurückzusehen.

Sie können fragen: Wie macht man denn das? Wir haben, wenn uns das Glück wird, unsere anthroposophische Bewegung fortzu­setzen, schon einen Anfang damit gemacht, daß diese Kräfte her­vorgesucht werden. Und wenn es gut geht, werden diese Kräfte gewöhnlich erst nach sieben Jahren rege; aber ein Anfang ist da, und dieser Anfang wird sich fortsetzen in der Menschennatur. Gewöhnlich bleiben die Kräfte unberücksichtigt, die man da erspart hat. Nun kann der Mensch das Gewahrwerden dieser Kräfte in sich dadurch fördern, daß er eine gewisse naturgemäße Art des Tanzes übt. Es kann gewiß auch durch Meditation hervorgerufen werden, aber seit noch nicht ganz einem Jahre wird aus den Grundsätzen

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der Bewegungen des Ätherleibes in gewissen Kreisen bei uns die sogenannte Eurythmie getrieben. Das ist nicht etwas wie die gewöhn­liche Art des Turnens und Tanzens - was eigentlich zu nichts Besonderem führt -, sondern das sind Bewegungen, die ganz im Sinne der Bewegungen des Ätherleibes gegeben sind. Durch diese Bewegungen wird der Mensch allmählich die Kräfte gewahr wer­den, die noch in ihm sind, diese Kräfte werden durch diese freie Tanzbewegung entdeckt werden. Und so werden Anlagen allmäh­lich geschaffen werden, die dasjenige erwecken, was im Menschen an Kräften ist, um wirklich hineinzuschauen in jene geistigen Wel­ten, die zwischen dem letzten Tode und seiner Geburt liegen.

So kann Geisteswissenschaft ganz praktisch an der Menschen-kultur arbeiten. Und überzeugt kann man sein, daß nach und nach Geisteswissenschaft nicht bloß dabei stehenbleiben wird, einzelne Wahrheiten abstrakt zu lehren, sondern auch den ganzen Menschen so behandeln wird, daß Kräfte, die heute schlummern, geweckt wer­den, daß der Mensch sich wirklich zu einer geistigen Lebensempfin­dung aufschwingen lernt. Das sind sonderbare Sachen, die man da sagen muß, aber sie sind nun einmal so: Wenn man entdeckt die Kräfte, die einem beim Gehenlernen zurückgeblieben sind, dann wird man dadurch befähigt, hellsichtig hinzuschauen auf die Wel­ten, in denen man lebt zwischen Tod und einer neuen Geburt. Durch Meditation ist das ja auch zu erreichen, aber sie muß dann so getrieben werden, daß sie auch Gefühl werde. Gefühle sind aber durch Meditation eigentlich am schwierigsten zu bilden. Es sollen die Kräfte also gefunden werden, die den Menschen befähigen, hineinzuschauen in die Welt zwischen Tod und einer neuen Geburt. Namentlich diejenigen Kräfte werden dabei gefunden, durch die man auf das schaut, was längere Zeit der Geburt vorangegangen ist. Auf diesem Gebiete liegt vieles, was das Leben uns erst ver­ständlich macht. Irgendein Unglück trifft uns zum Beispiel. Zu­nächst haben wir nur die Empfindung: das ist ein Unglück. Wir ertragen es schwer. Wüßten wir aber, warum wir vor der Geburt jahrzehnte-, ja jahrhundertelang alles so eingerichtet haben, daß dieses Unglück uns trifft, dann würde uns vieles erträglicher sein!

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Denn wir wüßten, daß dieses Unglück eine Prüfung ist, damit wir vollkommener werden. Aber auch sonst erlebt man gar mancherlei, wenn man gerade in denjenigen Teil der geistigen Welt hineinsieht, in dem man gewissermaßen die Vorbereitung für das gegenwärtige Leben durchmacht.

Die allgemeinen Verhältnisse will ich hier nicht schildern, die finden Sie ja dargestellt in meinen Schriften. Aber ich möchte gleichsam an einigen Beispielen zeigen, wie das Leben vor der Ge­burt beeinflußt das Leben nach der Geburt. Sehen Sie, so sonderbar das klingt, wenn wir die Mitte unseres Lebens zwischen Tod und einer neuen Geburt durchschritten haben - nicht wahr, zwischen Tod und einer neuen Geburt verfließt ja gewöhnlich eine Anzahl von Jahrhunderten, da gibt es natürlich eine Mitte -, dann richtet sich das innere Erleben der Seele in der geistigen Welt vor allen Dingen hinunter auf die Erde. Und man bekommt, wenn man nach dieser Mitte lebt, von der Erde herauf immer mehr Eindrücke von dem, was da unten getrieben wird, von dem, was die Menschen da unten denken und fühlen; und es ist für jede Seele so, daß sie ganz bestimmte Eindrücke bekommt. So zum Beispiel kann eine Seele sich hereinleben in der zweiten Hälfte des geistigen Lebens ihrer neuen Geburt entgegen, und immer mehr und mehr schaut sie da unten jene Menschen, die, sagen wir, da unten das spätere Zeitalter vorbereiten: die geistig wirksamen Menschen. Einzelne von diesen geistig wirksamen Menschen werden der Seele ganz besonders wert­voll. Ja, es kommt vor, daß man von der geistigen Welt aus auf eine oder zwei Gestalten, die auf der Erde sich betätigen, ganz besonders herabsieht. Ein Mensch zum Beispiel, der in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts geboren worden ist, war, nehmen wir an, am Anfang des neunzehnten und in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts in der geistigen Welt; aber er schaute herunter auf die bedeutsamen Menschen, welche die Kultur damals beeinflußten. Einzelne daraus findet er besonders wertvoll, sie sind ihm besonders lieb. Das ist eines, was man da erlebt: daß man herunterschaut auf die Menschen, die da unten sich entwickeln. Aber indem man da herunterschaut, beeinflußt man diese Menschen

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auch, doch nicht so, daß dadurch die Freiheit beeinträchtigt würde; man beeinflußt sie so, daß gewisse Dinge, die in ihrer Seele leben, leichter in ihrer Seele auftauchen dadurch, daß von der geistigen Welt aus irgendeine Seele auf sie herunterblickt. So werden Erden-menschen zum Schaffen, zur Tätigkeit angeregt durch Seelen, welche erst später als diese Erdenmenschen geboren werden und auf sie herunterschauen. In weiteren und auch in intimeren Angelegen­heiten kann das der Fall sein.

Zum Beispiel ist der Fall vorgekommen, daß jemand als Seele im achtzehnten und in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahr­hunderts in der geistigen Welt gelebt hat und einen hervorragenden Menschen der Erdenwelt sich geradezu zu seinem Ideal genommen hat: wie er dann hat werden wollen wie dieser, ihm hat nachstreben wollen nach seiner Geburt; man sieht zum Beispiel die Bücher eines solchen Menschen, dem man nacheifern will nach der Geburt. Man sieht also mit einer gewissen inneren Sehnsucht, mit einem gewis­sen inneren Trieb so vom Himmel auf die Erde herunter, wie man - allerdings mit etwas anderem Gefühl - als ein lebender Mensch mit Sehnsucht nach dem Jenseits, nach dem Himmel auf-blickt; Nur ist dieser beträchtliche Unterschied, daß, wenn man als Erdenmensch ohne die Erkenntnis der Geisteswissenschaft zum Himmel aufblickt, das ziemlich unbestimmt bleibt. Der Mensch im Himmel aber, derjenige, der in der geistigen Welt lebt, hat die Eigentümlichkeit, daß er die Verhältnisse der Erde, die Menschen-seele, die er besonders verehrt, deren Schriften er vielleicht lesen will, auch ganz besonders genau sieht von der geistigen Welt aus. Kurz, man lernt in der zweiten Hälfte seines geistigen Daseins zwi­schen Tod und einer neuen Geburt in Einzelheiten die Menschen­seelen kennen, man lernt in Seelen hineinschauen. Und wir selber, die wir jetzt leben, wir können uns bewußt sein, daß da oben in der geistigen Welt Seelen leben, die darauf warten, in den nächsten Jahrzehnten geboren zu werden, die in unsere Seelen schauen mit einem sehnsüchtigen Blick und die in unseren Seelen dasjenige erblicken, was sie brauchen für ihre Vorbereitung zur Erdenwelt. Sie sehen unsere Seelen in dieser Zeit ihres geistigen Lebens so

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genau, wie der Erdenmensch seinen Himmel ungenau sieht. Das ist wiederum so ein Bild, das uns zeigt, wie wir, wenn wir die geistigen Welten auch nur ein wenig kennenlernen, wirklich zu der Empfin­dung kommen: Wir sind beobachtet. Denn das sind wir vielfach. Es richten sich die Blicke der geistigen Wesen und namentlich der­jenigen, die geboren werden sollen, auf unsere Seelen. Daraus ersehen wir, daß Geisteswissenschaft auch in dieser Beziehung durch­aus nicht etwas Schlechtes den Menschen gibt, denn es wird durch sie der Mensch angeleitet, würdig zu sein dessen, was in seiner Seele beobachtet wird von den noch ungeborenen Seelen.

Wenn die hellsichtige Forschung sich auf diese Dinge einläßt, dann erlebt sie allerdings bedeutsame, oft erschütternde Dinge. Und zu den wirklich in hohem Grade erschütternden Dingen gehört es, wenn man hinaufblickt in die geistigen Welten zu den Seelen, die auf dem Wege sind geboren zu werden, und sieht, wie sie her­unterschauen auf die Erde, um nach denjenigen zu blicken, die ihre Eltern werden könnten. Für ältere Zeiten war das sogar noch bedeutsamer; für unsere Zeiten ist das schon weniger bedeutsam geworden. Aber es gehört noch immer zu den erschütterndsten Er­eignissen, solche Seelen zu beobachten. Denn da kann man die allerverschiedensten Eindrücke erhalten. Hier ein Eindruck, den ich schildern möchte nach der Wirklichkeit.

Eine Seele, die sich anschickt verkörpert zu werden, weiß zum Beispiel, daß sie zu ihrem nächsten Erdenleben eine gewisse Art von Erziehung braucht, eine gewisse Art von Kenntnissen, die sie aufnehmen muß schon in früher Jugend. Aber sie sieht nun: Ja, da und dort kann ich die Möglichkeit finden, solche Erkenntnisse zu gewinnen. - Aber das ist oftmals nur möglich, wenn man in der Zeit verzichtet auf ein solches Elternpaar, das einem ein glückliches Dasein in anderer Beziehung geben könnte, und wenn man seine Zuflucht nimmt zu einem Elternpaar, das einem vielleicht kein glückliches Leben gewähren kann. Würde man ein anderes Eltern­paar vorziehen, so würde man sich sagen müssen: Gerade das Wich­tigste kannst du nicht erreichen. - Man darf nicht alle Verhältnisse des geistigen Lebens sich so verschieden vorstellen von denen auf

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der Erde. So sieht man Seelen, die vor der Geburt in furchtbarstem Kampf sind, sieht zum Beispiel eine Seele, die sich sagt: Ich werde vielleicht in meiner Jugend mißhandelt von einem rohen Eltern­paar. - Wenn eine solche Seele in diese Lage kommt, dann gibt das furchtbare innere Kämpfe für sie. Und man sieht in der geistigen Welt vielen Seelen an, die an die Vorbereitung für die Geburt schreiten, wie sie sich diese ungeheuren Kämpfe bereiten. Dazu muß man nehmen, daß man in der geistigen Welt diese Kämpfe etwa wie eine Art von Außenwelt vor sich hat. In der geistigen Welt ist das, was ich jetzt schilderte, nicht nur innerer Seelenkampf, nicht nur Kampf des Gemütes, sondern diese Kämpfe projizieren sich nach außen, und man hat sie sozusagen um sich. Man sieht in aller bildlichen Anschaulichkeit die Imaginationen, die einem dar­stellen, wie diese Seelen innerlich gespalten zu ihrer nächsten In­karnation schreiten müssen. Wenn wir diese Verhältnisse uns vor Augen führen, so können wir natürlich leicht auf den Gedanken kommen, warum so viele Menschen die Geisteswissenschaft gar nicht mögen. Denn am meisten würden es die Menschen lieben, wenn es wahr wäre, daß man nach dem Tode gleich in die ewige Seligkeit für alle Zeiten einginge. Das ist aber nicht so. Und es ist gut, daß die Dinge so sind, wie sie sind, denn unter diesen Verhält­nissen wird die Welt schon den Grad von Vollkommenheit errei­chen, den sie erreichen muß.

Hineinzublicken in das eigene oder in das fremde Leben inner­halb der geistigen Welt, dazu werden wir kurioserweise durch die Kräfte, die wir vom Ätherleibe beim Gehenlernen ersparen, befä­higt. Aber diese Kräfte, wenn sie wirklich entwickelt werden, haben einen gewissen Vorzug - das zeigt das praktische Hellsehertum -vor denjenigen Hellseherkräften, welche entwickelt werden zum Zurückschauen in die früheren Erdenleben. Ich bitte, diesen Unter­schied sehr wohl zu berücksichtigen, denn er ist in vielem Sinne aufklärend über so manches.

Durch nichts wird ein gefährliches Hellsehen leichter entwickelt als durch die Entwickelung derjenigen Kräfte, die eigentlich beim heutigen Menschen für die Sprachbildungsorgane da sind, die ihn

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befähigen, wenn er sie zurückhält, zum Zurückschauen in frühere Erdenleben. Denn diese Kräfte hängen allermeist in der mensch­lichen Natur mit den niederen Instinkten und Leidenschaften zusam­men. Und man kommt durch nichts so sehr in die Nähe von Luzifer und Ahriman, als wenn man gerade diese Kräfte entwickelt, die in einer gewissen Höhe allerdings gestatten, in frühere Erdenleben bei sich und anderen zurückzublicken. Zu Kräften der Täuschung füh­ren sie; aber namentlich führen sie dazu, wenn sie nicht richtig entwickelt werden, daß der Hellseher unter dem Einfluß dieser Kräfte moralisch eher herunterkommen kann als herauf - so daß diese Kräfte, die gerade befähigen, in frühere Erdenleben zu schauen, die gefährlichsten sind. Man darf diese Kräfte nur entwickeln, wenn man zugleich voll bedacht ist auf die Entwickelung der reinen Moralität im Menschen. Deshalb, weil man angewiesen ist, auf die reinste Moralität im Menschen zu sehen, wenn man diese Kräfte ausbilden will, werden sich kundige Lehrer nicht leicht dazu her­beilassen, systematisch die Kräfte, die in die früheren Inkarnationen schauen lassen, zu entwickeln. Und man kann sagen: So verbreitet es ist, ein gewisses niederes Hellsehen zu haben, das in die anderen Welten hineinschaut, das aus geistigen Regionen Schilderungen geben kann, so wenig ist ein wirkliches, sachgemäßes Hinein­schauen in die früheren Inkarnationen auf die Weise entwickelt, daß man nur die Sprachkräfte in Betracht zieht. Gewöhnlich wer­den daher andere Mittel noch zu Hilfe genommen, wenn man die Menschen dazu führen will, in frühere Inkarnationen zurückzu­schauen. Und da kommen wir auf einen interessanten Punkt, der uns zeigt, wie allerdings der Mensch auf Dinge achten muß, auf die man sonst wenig achtet Daß jemand bloß durch die Ent­wickelung der Sprachkräfte dazu gebracht würde in seiner geisti­gen Führung, auf frühere Erdenleben zurückzublicken, das wird sich selten ereignen. Dennoch gibt es viele Menschen, die das in der Gegenwart können; das wird durch andere Mittel gewöhn­lich erreicht. Und eines dieser Mittel ist ein solches, das einem sonderbar erscheinen wird, aber durchaus auf einer tieferen Wahr­heit beruht.

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Irgend jemand lebt sich in das innere Leben hinein. Es würde ihn zu viel Anstrengung kosten oder vielleicht zu starke Versuchun­gen herbeiführen, wenn er nur durch die Ausbildung der Sprach­kräfte dazu kommen würde, karmisch zurückzuschauen in die frü­heren Erdenleben. Daher nehmen die geistigen Mächte zu einem anderen Mittel Zuflucht. Wie ein Zufall sieht es aus: Da erlebt zum Beispiel dieser Mensch, daß ein anderer Mensch ihn antrifft, und nennt ihm einen Namen oder eine bestimmte Zeit oder ein bestimmtes Volk. Und das wirkt auf die Seele von außen so, daß sie durch diese Vorstellung die Unterstützungskräfte für das Hell­sehen entwickelt. Und er merkt dann, daß dieser Name oder Hin­weis, ohne daß es derjenige, der es gesagt hat, selber weiß, ihn zu dem führt, daß er hineinblicken kann in frühere Erdenleben. Da wird also zu einem äußeren Mittel Zuflucht genommen. Da hört der Betreffende einen Namen oder ein Zeitalter oder einen Volks-namen und wird wie von außen angeregt, in die früheren Erden-inkarnationen zurückzublicken. Solche Anregungen von außen sind zuweilen für die hellseherische Betrachtung der Welt außerordent­lich wichtig. Man erlebt etwas scheinbar ganz Zufälliges, aber es strahlt davon aus eine Anregung für hellsichtige Kräfte, die man sonst nur rudimentär entwickelt hätte.

Das sind solche aphoristische Andeutungen, die ich geben möchte über das Hereinragen der geistigen Welt in unsere Erdenwelt. Denn dieses Hereinragen ist in der Tat sehr kompliziert.

Also das Zurückblicken in frühere Erdenleben hat es mit ver­hältnismäßig gefährlichen, weil versuchenden Kräften zu tun. Da­gegen wird kaum jemand, der die hellsichtigen Kräfte ausbildet, um einen Einblick zu erhalten in das Leben, das im Geiste voran­gegangen ist der Geburt, leicht versucht werden können, gerade diese hellsichtigen Kräfte zu mißbrauchen. Und in der Regel wer­den es Seelen sein mit einer gewissen R;einheit, mit einer gewissen natürlichen Moralität, die mit einer gewissen Sicherheit zurück­blicken in das Leben im Geistigen, das vorangegangen ist dem gegenwärtigen Erdenleben. Das hängt damit zusammen, daß die Kräfte, die verwendet werden als hellsichtige Kräfte, um gerade in

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diese Zeit hineinzuschauen, die kindlichen Kräfte sind, diejenigen Kräfte, die man eben vom Gehenlernen erspart. Es sind die un­schuldigsten Kräfte, die der Mensch in seiner Natur hat. - Und ich bitte Sie, darauf zu achten, denn es ist sehr bedeutsam: die unschul­digsten Kräfte sind zugleich diejenigen, durch die man, wenn man sie ausbildet, hineinschaut in das Leben, das der Geburt vorangeht. Das ist auch dasjenige, was den Anblick des Kindes zu einem so zauberhaft befriedigenden macht, weil das Kind umspielt ist in seiner Aura von den Kräften, von denen der größte Teil benützt wird zum Gehenlernen, von jenen Kräften, die hineinleuchten noch in dasjenige, was der Geburt vorangegangen ist. Und in dieser Be­ziehung kann für die hellseherische Betrachtung in der Tat das Kind, auf dessen Antlitz sich ausdrückt Unschuld und Weltunerfah­renheit, in seiner Aura ausdrücken etwas, was wahrhaftig inter­essanter ist als dasjenige, was sich in der Aura vieler Erwachsener ausdrückt. Die im Geistesland durchgemachten Kämpfe, die vor­ausgegangen sind der Geburt und das Schicksal bestimmen, die machen dasjenige, was aurisch das Kind umspielt, zu etwas un­geheuer Großem und Weisheitsvollem. Und die Weisheit, die das Kind in seiner Aura umspielt, ist wahrhaftig oftmals eine viel größere als diejenige, die der Mensch im späteren Alter äußern kann durch seine Worte. Die Physiognomie des Kindes mag noch unbestimmt sein; derjenige aber, der als Hellseher das Kind sieht, kann ungeheuer viel von dem Kinde lernen, wenn er das, was das Kind umspielt, schauen kann mit dem hellsichtigen Blick. Und wenn dann das, was im kindlichen Alter an Kräften vorhanden ist, später hellsichtig ausgebildet wird, dann sieht man gerade in die konkreten Verhältnisse hinein, die dem Geborenwerden des Men­schen lange vorangehen. Es ist vielleicht nicht so die Selbstsucht befriedigend, in diese Welt hineinzuschauen. Für denjenigen aber, der den ganzen Zusammenhang der Welt verstehen will, ist dieses Hineinblicken auch ganz besonders interessant. Und in der Akasha­Chronik zu forschen in bezug auf gewisse Menschen der Welt­geschichte besteht nicht nur darin, daß man dasjenige erforscht, was sie ausleben auf dem physischen Plane, sondern auch dasjenige,

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wie sie ihr Leben auf dem physischen Plan als Seelen in der gei­stigen Welt vorbereiten zwischen Tod und einer neuen Geburt.

Die Kräfte aber, die, wenn man sie rein erhält, in frühere In­karnationen hineinleuchten, die werden weniger im Kindesalter erspart, sondern gerade in dem Alter des Menschen, in dem sich die Leidenschaftlichkeit und manchmal gerade die schlimmsten Leiden­schaften im Menschen entwickeln. Diese Kräfte, die ja auch andere Aufgaben noch haben in der menschlichen Natur, werden lange nach den Sprachbildungskräften entwickelt. Sie hängen zusammen mit dem, was sich im Menschen an Gefühlen sinnlicher Liebe ent­wickelt, und all dem, was damit zusammenhängt. Da besteht eine ganze Verwandtschaft zwischen dem, was zur sinnlichen Liebe führt, und dem, was zur Sprache leitet, welcher Zusammenhang sich ja auch in der Mannesnatur ausdrückt im Stimmbruch, in dem Mutie­ren der Stimme. Und in diesem Lebenszeitalter werden besonders viele von diesen Kräften erspart. Werden sie rein erhalten, so füh­ren sie zum Rückblick in frühere Erdenleben. Werden sie nicht rein erhalten, werden sie herangebracht an die sinnlichen Instinkte des Menschen, dann können sie zu den größten okkulten Lastern füh­ren. Gerade diese Sorte von hellsichtigen Kräften, die von Erspar­nissen aus diesem Lebensalter herrühren, sind auch am leichtesten der Versuchung ausgesetzt. - So werden Sie den ganzen Zusam­menhang verstehen können, meine lieben anthroposophischen Freunde! Der Hellseher, der gerne redet über die Zeit zwischen Tod und neuer Geburt - vielleicht haben einige von Ihnen schon bemerkt, daß über diese sonst wenig geredet wird -, dieser Hell­seher hat in sich namentlich ausgebildet ersparte Kräfte des frühe­sten Kindesalters. Bei Hellsehern, die - und das meistens mit Un­fug - viel reden über frühere Inkarnationen von Menschen, was sehr häufig vorkommt, denn manche Leute haben die Aussagen über frühere Inkarnationen nur so auf dem Präsentierteller, bei denen muß man aus dem Grunde mißtrauisch sein, weil allzuleicht auf diesem Gebiete die Kräfte herangezogen werden können, die am allermeisten der Versuchung unterliegen können. Denn die Kräfte, die man dafür ersparen kann, die erspart man in der Zeit,

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wo sich die sinnliche Liebe entwickelt und wo man noch nicht äußerlich im sozialen Leben steht. Diese Kräfte führen zuweilen zu vielem Unfug, insbesondere führen sie zu einem bestimmten okkul­ten Unfug, weil sie am meisten dazu beitragen, Täuschung über Täuschung hervorzurufen auf dem Gebiete der geistigen Welt.

Warum sind denn die Angaben solcher Hellseher, die Versuchun­gen ausgesetzt sind, so häufig falsch? Weil unter den auf diese Weise ersparten Kräften aus diesem Lebensalter mit der Anwendung die­ser Kräfte zugleich aus dem Menschen wie ein Nebel aufsteigen die niederen Instinkte und Triebe. Und wenn diese aufsteigen, dann kommen Ahriman und die ahrimanischen Geister und for­men aus dem, was da aufsteigt, Gespenster, so daß man diese Gespenster sehen kann und sie für frühere Inkarnationen hält. Die Art von Hellsehen, die notwendig ist, um Verhältnisse zu schildern, wie sie in der «Geheimwissenschaft» dargestellt sind, die wird besonders leicht entwickelt werden können, wenn solche Kräfte erspart werden, die erst im späteren Lebensalter zurückgehalten werden können. Und da man in diesem Lebensalter, nach dem einundzwanzigsten bis achtundzwanzigsten Jahre, in der Regel solche Kräfte entwickelt, die sich mehr auf das intellektuelle Leben beziehen, auf das Leben, das man schon mit einer gewissen Nüch­ternheit betrachtet, so werden Untersuchungen auf diesem Gebiete am allerwenigsten dem Irrtum und der Täuschung ausgesetzt sein.

So haben wir also gesehen, daß die Einsichten in die großen geistigen Weltenverhältnisse durch Ausbildung derjenigen Kräfte gewonnen werden, welche in der Menschennatur zur Bearbeitung des Gehirns wirken. Das Hineinschauen in die früheren Erdenleben wird durch Ausbildung derjenigen Kräfte erreicht, welche nament­lich erspart werden im Jugendalter, wenn die sprachbildenden Kräfte nicht mehr zur Sprachbildung verwendet werden und im Reiche der sinnlichen Triebe und ihrer Organe walten. Das eigent­liche Geistgebiet, das Gebiet, das insbesondere interessant wird da, wo sich das neue Leben vorbereitet, das kann erforscht werden durch die Kräfte, die wir namentlich ersparen im allerersten Kindes­alter, in dem Alter, wo man sozusagen das Gehen lernt.

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Dies sind allerdings merkwürdige Tatsachen, doch muß man sich schon gewöhnen, wenn man in die geistigen Welten dringen will, viele Vorstellungen aufzunehmen, die man am Anfang als paradox betrachtet. Aber die geistige Welt ist auch wirklich nicht dazu da, um eine bloße Fortsetzung der sinnlich-physischen Welt zu sein, sondern sie ist eine Welt, die in vieler Beziehung gerade entgegengesetzt der physischen Welt ist. Und der Mensch erscheint uns gerade dann als ein so bedeutungsvoll im Weltenall stehendes Wesen, wenn wir auf der einen Seite auf dasjenige blicken, was er als sein Schicksal, als seine Fähigkeiten, als seine Tüchtigkeiten in seinem Erdenleben durchmacht, und auf der anderen Seite - eben durch das Kennenlernen der Geistigkeit - darauf blicken, wie etwas von einem dem irdischen ganz verschiedenen Leben durchgemacht wird vom Menschen zwischen Tod und einer neuen Geburt. Da erst erscheint uns der Mensch in seiner wahren Bedeutung und Bestimmung, wenn wir dies ins Auge fassen!

So wollte ich Ihnen in diesen zwei Vorträgen eine Darstellung, eine Schilderung geben von verschiedenen Dingen der geistigen Welt. Ich wollte dies in mehr aphoristischer Weise tun, weil wir zum ersten Male hier in dieser Stadt beisammen waren, weil die meisten auch die systematischen Darstellungen schon kennengelernt haben aus den Büchern und Schriften und weil ich zu dem oder jenem noch eine Ergänzung liefern wollte. Das schien mir für unsere Freunde in dieser Stadt nützlicher zu sein, als wenn ich ein Kapitel der Geisteswissenschaft gewählt hätte, das zusammenhän­gender gewesen wäre. Man möchte ja - das lassen Sie mich am Schlusse unserer auch mich so sehr erfreuenden Zusammenkunft hier aussprechen -, man möchte ja in der Gegenwart von der Geisteswissenschaft, daß sie so viel als möglich in die Herzen und Seelen der Menschen einzieht! Denn zweierlei ist wichtig. Erstens, wenn wir das Leben um uns betrachten und auf die Tatsachen dieses Lebens hinblicken, sehen, wie die Menschen, selbst durch die größ­ten Errungenschaften der Kultur, immer materieller und materiel1er

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werden, dann zeigt sich uns, wie immer mehr und mehr der Menschheit diese Geisteswissenschaft notwendig ist, wie die Men­schen sie brauchen, gerade weil das äußere Leben den Menschen materialistisch macht. Weil gerade die größten Errungenschaften des äußeren Lebens den Menschen materialistisch machen müssen, bedarf er des Gegengewichtes der Geisteswissenschaft. Geisteswis­senschaft ist eine Notwendigkeit des Erdenlebens der Menschheit und wird es immer mehr und mehr werden gegen die nächste Zu­kunft hin. Und wer bedenkt, wie das äußere Leben im Materialis­mus durch die größten Errungenschaften der menschlichen Kultur veröden, nach und nach ersterben müßte, der wird am meisten die Sehnsucht in sich verspüren, daß Geisteswissenschaft einziehen möge in die Herzen und Seelen der Menschen. Unsere Kultur wird immer größere und größere Fortschritte machen; aber so wahr es ist, daß viele Singvögel, die früher die Gegenden bevölkerten, in solchen Gegenden verschwinden, wo sich die Schornsteine der Fabriken erheben, so wahr ist es, daß - trotzdem wir Eisenbahnen, Dampf-schiffe und alles das, was uns die Kultur geben kann, Telephon, Luftschiffe und so weiter brauchen, trotzdem nichts gegen die Fort­schritte der äußeren Kultur vorgebracht werden soll -, so wahr ist es doch, daß wie die Singvögel durch den Rauch der Schornsteine vertrieben werden - Seelenglück und Seelenfrische und Seelen­harmonie und Seelenleben ersterben müßten unter dem Einfluß der materiellen Kultur, wenn nicht Geisteswissenschaft den Menschen­seelen die Spiritualität zuführte. Daher muß derjenige, der die Ver­hältnisse durchschaut, tiefste Sehnsucht haben nach der Verbreitung der Geisteswissenschaft, denn das ist eine Notwendigkeit.

Auf der anderen Seite steht die andere Tatsache, daß wegen die­ser materialistischen Kultur die Menschen niemals so stark Geistes­wissenschaft zurückgewiesen, ja gehaßt haben wie heute. - Und diesen beiden Tatsachen der Notwendigkeit und auch des Mißver­stehens stehen wir heute gegenüber wie zwei Säulen, durch die wir durchzuschreiten haben, wenn wir Geisteswissenschaft in der Welt schaffen wollen. Für uns aber, die wir versuchen wollen, unsere Seelen für diese Geisteswissenschaft reif zu machen, wird auf jeder

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dieser Säulen eine Aufforderung, eine starke Aufforderung stehen:

alles zu tun, was uns selber und diejenigen Menschen, die es wol­len, zur Geisteswissenschaft heranbringt.

Von diesem Gesichtspunkte aus wollte ich zu Ihnen auch gespro­chen haben, da ich das erste Mal in dieser Stadt spreche. Und von diesem Gesichtspunkte aus möchte ich als Abschiedsgruß die Worte zu Ihnen sprechen: daß einiges von dem, was ich sagen durfte, in Ihre Herzen und Gefühle, nicht nur in Ihren Verstand, übergegan­gen sein möchte! So daß Sie sich dadurch noch tiefer und noch gründlicher mit uns und allen verbunden fühlen, die diese Bewe­gung gerne in die Welt tragen möchten, mehr in die Welt tragen möchten, als sie es bisher getan haben! Da wir noch nicht räumlich zusammensein konnten und es in diesen Tagen zum ersten Male waren, wünschen wir alle, daß dieses Dasein unsere Seelenbande inniger, fester gemacht habe.

Dies wünschend, möchte ich von Ihnen, meine lieben Freunde, und von dieser schönen Stadt Abschied nehmen in dem Bewußtsein, daß, wenn so etwas geschehen ist, dann auch dieses räumliche Zu­sammensein eine Anregung gegeben hat zu einem nicht vom Raume und von der Zeit abhängigen Zusammensein. Lassen Sie mich Ihnen als Abschiedsgruß sagen: Es möge durch unser Zusammen­sein im Raume die Anregung gegeben worden sein zu einem blei­benden, immerwährenden Zusammensein im Geiste.

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HINWEISE

Die Nachschriften und Notizen, die der Herausgabe dieser Vorträge zugrunde liegen, sind sehr unterschiedlich. Einige können als sehr gute, nahezu wörtliche Wiedergaben des gesprochenen Wortes betrachtet werden, bei manchen sind Lücken fühlbar, wieder bei anderen mußte sich der Nachschreibende darauf beschränken, den Gedankeninhalt des Vortrages in mehr oder weniger zusammenfassenden Sätzen festzuhalten. Der Straßburgcr Vortrag scheint vom Nachschreibenden zu einem Referat ausgearbeitet worden zu sein.

Von den Vorträgen in München atn 26., 28. November 1912 und 10. März 1913 standen für die zweite Auflage weitere Nachschriften zur Verfügung, die zur Verbesse­rung des Textes hinzugezogen wurden.

Rudolf Steiner hat dasselbe Thema gleichzeitig auch in Berlin zwischen dem 5. No­vember 1912 und dem 1. April 1913 in einer zusammenhängenden Vonragsteihe

zu Seite:

18 Johann Gottlieh Fichte, 1762-1814.

Henri Bergson, 1859-1941, franz. Philosoph.

19 David Friedrich Strauß, 1808-1874. Vgl. ,Das Leben Jesu», 2 Bde., Tübingen 1835/36; »Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntnis', Leipzig 1872.

20, 123 »Nicht ich, sondern der Christus in. mir»: Galater 2, 20.

27 was von mir als solche Schilderung in der Akasha-Chronik gegeben worden ist: Siehe »Aus der Akasha-Chronik», Gesamtausgabe Dornach 1964, Bibl.-Nr. 11.

30/31 »später«, »früher» im Text und im Schema sind gegenüber der Erstauf-lage auf Grund der Vortragsnachschriften geändert.

36 »im Nehellande jung geworden»: Worte des Homunculus, »Faust II»,

2. Akt: Laboratorium. Wörtlich: »Das glaub' ich. Du aus Norden, im Nebelalter jung geworden -.. »

37, 80 daß Dante diesen Ausspruch getan hat: Siehe Dante Alighieri, 1265 bis

1321, »Die göttliche Komödie». Im XXXIII. Gesang vom Paradiese heißt es:

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»Ich sah im tiefsten Schoß des Ewigklaren,

Verschiedenfarbig, doch im Umfang eins

Drei Wunderkreise sich mir offenbaren,

Von denen xwei, wie Augen gleichen Scheins,

So Spiegel - einer für den andern - waren,

Wie mir ein glühend Abbild ihres Seins

Der dritte schien. - Doch kann das Gotteszeichen,

Auch nur wie ich es sah, kein Bild erreichen. -

0 ewig Licht, das hier im eignen Scheine,

Dich selbst erkennend und von Dir erkannt,

Mit Dir Du ruhst in liebendem Vereine!

Als in Dein Spiegeln ich den Blick gespannt,

Auch dessen Leuchten fühlend als das Deine -

Schien unser Ebenbild hineingebannt:

Ich sah's in eigner Färbung sich gestalten

Und rang danach im Schau'n es festzuhalten. »

(Übersetzung von Paul Pochhammer)

zu Seite.

47,88 wie das ausgesprochen ist im Düsseldorfer Zyklus: Siehe »Geistige

Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der physischen Welt», zehn

Vorträge und zwei Fragenbeantwortungen, Düsseldorf 12.-22. April 1909

(Zyklus 7), Gesamtausgabe Dornach 1960, Bibl.-Nr. 110.

49, 90, Monistenbund: Am 11. Januar 1906 wurde in Jena ein »Deutscher

137, 193 Monistenbund» unter dem Ehrenvorsitz Ernst Haeckels gegründet.

50, 78, 99, Immanuel Kant, 1724-1804. Das Zitat ist aus »Kritik der praktischen

145,205, Vernunft», II. Teil: Beschluß - und lautet wörtlich: »Zwei Dinge erfül­

299 len das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bew'underung und

Ehrfurcht Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz

in mir.»

57 Paulus hat verkündet: Christus ist gestorben auch für die Heiden:

Römer 3,29.

57,102,173, »Wenn zwei oder drei in meinem Namen...»: Matthäus 18,20.

310

64 Norbert, der Heilige, um 1085-1134. Kaplan Kaiser Heinrichs V. Die

Rettung atis Todesgefahr 1115 beeindruckte ihn dermaßen, daß er seit

1118 als Bußprediger Frankreich und die Niederlande durchzog; 1119

gründete er den Orden der Prämonstratenser (Norbertiner), benannt

nach dem Kloster im Tal Prémontré (Praemonstratum) zwischen Reims

und Laon. 1126 wurde er Erzbischof von Magdeburg.

366

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70, 105, 143 wo Homer' das Reich nach dem Tode nennt das Land der Schatten: Vgl.

die Scl,ildening der Totenwelt im XI. Gesang der Odyssee.

75, 231, Wenn Sie meine Vorträge gut verfolgt haben: Siehe «Das Lukas-Evan-

276 gellum', zehn Vorträge, Basel 15.-24. September 1909 (Zyklus X), Gesarntausgabe Dornach 1968, Bibl.-Nr. 114.

75 Ich habe in Schweden . . . auf ein noch späteres Hereinwirken des Buddha... hin gedeutet: Siehe «Theosophische Moral», drei Vorträge Norrköping 28.-30. Mai 1912 im Band »Christus und die menschliche Seele., Gesamtausgabe Dornach 1960, Bibl.-Nr. 155.

80, 105, Michelangelo Buonarroti, 1475-1564. Die Medici-Gräber befinden sich

143 f. in der gleichnamigen Kapelle in San Lorenzo, Florenz.

82 Zu den Vorträgen vom 26. und 28. November 1912 in München: Von diesen Vorträgen sind uns seit der ersten Auflage des Buches neue Nach­schriften zugegangen. - An mehr als 40 bzw. 50 Stellen konnten daraus Verdeutlichungen und stilistische Verbesserungen aufgenommen werden.

83 gestern im öffentlichen Vortrage über » Wahrheiten der Geistesfor­schung»: Vortrag vom 25. November 1912 in München; vorgesehen in Bibl.-Nr. 69.

92 wie zum Beispiel Felix Balde: Vgl. das fünfte und sechste Bild des vier­ten Mysteriendramas «Der Seelen Erwachen . . - . Vier Mysteriendramen . von Rudolf Steiner, Gesamtausgabe Dornach 1962, Bibl.-Nr. 14.

100 Monolog des Capesius: Siehe das erste Bild des zweiten Mysteriendramas «Die Prüfung der Seele..

103 Da wo die Bibel erzählt: 1. Mose 3, 5.

117, 165 wir können uns ja an das Wort Schopenhauers erinnern: Vgl. . Die bei­den Grundprobleme der Ethik. § 22, wo es wörtlich heißt: «In allen Jahrhunderten hat die arme Wahrheit darüber erröten müssen, daß sie paradox war: und es ist doch nicht ihre Schuld.» - Schopenhauers sämt­liche Werke in zwölf Bänden mit Einleitung von Rudolf Steiner, Stutt­gart 1894; 7. Bd S.296.

120 nach den Definitionen, die ich in meinen öffentlichen Vorträgen ge­geben habe: Vorträge vom 25. und 27. November 1912 in München, «Wahrheiten der Geistesforschung» und «Irrtümer der Geistesfor-schung»; vorgesehen in Bibl.-Nr. 69.

120 f. Der Abschnitt: In dieser Beziehung . . . war in der Erstauflage beim Umbruch weggefallen.

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128 was wir die geistige Welt oder das Devachan genannt haben: Siehe Ru­dolf Steiner «Theosophie. Einfuhrung in uberssnnlsche Welterkenntnis und Menschenbestimmung., Gesamtausgabe Dornach 1961, Bibl.-Nr. 9.

135, 151 eine Reise auf der Titanc: Die «Titanic« war dazumal das größte Pas­

179, 217 sagierschiff; es stieß südlich von Neufundland auf der ersten Fahrt nach Amerika auf einen Eisberg und sank am 15. April 1912 mit 1500 Menschen.

140 Deshalb mußte auch im letzten Mysterienspiel gezeigt werden: Siehe Hinweis zu Seite 92.

147 Als ich das letztemal hier vor lhnen sprechen durfte: Siehe den Vortrag vom 3. November 1912 in diesem Band.

152 Raoul Prancé, 1874-1943. Vgl. »Das Sinnesleben der Pflanze», Stutt­gart 1905.

155 lieber hier ein Bettler sein, als ein König im Reiche der Schatten: Vgl.

Homcts «Odyssee», XI. Gesang. Die durch das Totenopfer des Odys­seus heraufbeschworene Seele des Achilles spricht folgende Worte:

«Wär' ich doch lieber ein Knecht und duldete Fron auf dem Acker, Einem erbärmlichen Mann von kärglicher Nahrung verdungen, Als hier unten der König im Reich verstorbener Toten . .

(Übersetzung von Rudolf Alexander Schröder)

167 Alles, was im Drama »Der Hüter der Schwella« dargestellt ist: Siehe

«Vier Mysteriendramen« . Gesamtausgabe Dornach 1962.

199 Franz von Assisi, 1182-1226. Giotto di Bondone, 1266-1337.

Sie können in dem Zyklus «Der Mensch im Lichte des Okkultismus... . jene wunderbare Dichtung nachlesen: Siehe «Der Mesnch im Lichte von Okkultismus, Theosophie und Philosophie», zehn Vorträge, Kri­stiania (Oslo) 2.-12. Juni 1912 (Zyklus XXII), Gesamtausgabe Dorn-ach 1956, Bibl.-Nr. 137. Die Übertragung des »Sonnengesanges. von Rudolf Steiner findet sich auf S.69, ebenso in «Wahrspruchworte -Richtspruchworte«, zweite Folge, Dornach 1953.

201 Christian Rosenkreutz, 1378-1484. Über Christian Rosenkreutz und die Rosenkreuzerbewegung siehe Rudolf Steiner »Das esoterische Christen­tum und die geistige Führung der Menschheit., dreiundzwanzig Einzel-vorträge aus den Jahren 1911/1912, Gesamtausgabe Dornach 1962. Bibl.-Nr. 130.

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205 Ernst Haeckel, 1834-1919. Vgl. »Natürliche Schöpfungsgeschichte» (1868), 12. Aufl. Berlin 1920; »Anthropogenie öder Entwicklungs­geschichte des Menschen» (1874), 5. Aufl. Leipzig 1902.

211 als ich Vorträge hielt über das Wesen der Unsterblichkeit: Vermutlich sind die öffentlichen Vorträge in Berlin gemeint «Tod und Unsterblich­keit im Lichte der Geisteswissenschaft» am 26. Oktober 1911 und »Das Wesen der Ewigkeit und die Natur der Menschenseele» am 21. März 1912; abgedruckt in «Menschengeschichte im Lichte der Geistesfor­schung», Gesamtausgabe Dornach 1968, Bibl.-Nr. 61.

212 f Ich hatte eine Reihe von Kinder«» zu unterrichten: In der Familie Eunike in Weimar; vgl. »Mein Lebensgang», Kap. XX, Gesamtausgabe Dorn­ach 1962, Bibl.-Nr. 28, S.294.

217 eine Sage - Hamerling bat sie wiedererzählt: Siehe Robert Hamerling,

1830-1889, «Über das Glück» und »Was man sich in Venedig erzählt:

IV. Ein Frauenschicksal» in Hamerlings sämtl. Werke, hg. von Michael

Maria Rabenlechner, Leipzig o. J. Band XVI, S.98 f. und 224 ff.

220 Friedrich Nietzsche, 1844-1900. Das Zitat findet sich in «Also spracn Zarathustra», 4. Teil: Das trunkene Lied, § 6.

244 wir haben ja schon darauf hingewiesen: Siehe die Vorträge vom 26. und

28. November 1912 in diesem Band.

253 in dem ersten, im Vorjahre erschienenen Preidenkerkalender: Konnte nicht aufgefunden werden.

262 bei dem Erdbeben von Messina: Am 28. Dezember 1908 verloren 83 000

Menschen, mehr als die Hälfte der Einwohner von Messina, das Leben.

266 Als ich bei meiner letzten Anwesenheit hier: Siehe Hinweis zu S.244.

270 Ich habe das, was Goethe mit der «Pandore« passiert ist, schon einmal charakterisiert: Siehe den Vortrag «Die Mission der Wahrheit«, Berlin, 22. Oktober 1909, erschienen in dem Band «Metamorphosen des Seelen­lebens«, Gesamtausgabe Dornach 1958, Bibl.-Nr. 59, S.65 ff.

282 Gestern konnte ich natürlich nur so weit gehen: Dieser Vortrag «Raffael im Lichte der Geisteswissenschaft» vom 11. März 1913 ist vorgesehen sn Bibl.-Nr. 69; dagegen ist der Parallelvortrag in Berlin am 30. Januar 1913 bereits abgedruckt in «Ergebnisse der Geistesforschung« Gesamt­ausgabe Dornach 1960, Bibl.-Nr 62.

284 Lionardo da Vinci, 1452-1519.

284, 340 Ich hatte ja in Berlin einen Vortrag zu halten gerade über Lionardo da Vinci: Siehe «Lionardos geistige Größe am Wendepunkt der neueren

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Zeit«, Berlin, 13. Februar 1913, abgedruckt in «Ergebnisse der Geistes­forschung«, Gesamtausgabe Dornach 1960, Bibl.-Nr. 62.

301ff. Dieser Düsseldorfer Vortrag wurde nicht wörtlich nachgeschrieben; es liegen nur zusammenfassende Notizen eines Zuhörers vor.

316 Ich habe schon einmal geschildert, wie das Bild («Die Schule von Athen«) zu verstehen ist: Siehe den Vortrag vom 2. Mai 1912 in Berlin, abgedruckt in «Der irdische und der kosmische Mensch«, Gesamtaus­gabe Dornach 1964, Bibl.-Nr. 133 und vom 5. Mai 1909 in Berlin, vorgesehen in Bibl.-Nr. 109.

317 Das Lehen nach dem Tode, Straßburg, 13. Mai 1913: Wir haben bei

diesem Vortrag nicht die wörtliche Nachschrift, sondern ein zusammen­

fassendes Referat des Nachichreibenden vor uns.

335 Zyklus über das Johannes-Evangelium: Siehe «Das Johannes-Evangelium im Verhältnis zu den drei anderen Evangelien, besonders zu dem Lukas­Evangelium«, Gesamtausgabe Dornach 1959, Bibl.-Nr. 112.

345 was ich im öffentlichen Vortrage über «Die Rätsel des Lebens« an­gedeutet habe: Von diesem in Bergen am 9. Oktober und in Kopenhagen am 15. Oktober 1913 gehaltenen Vortrag sind nur wenige Notizen vor­handen; sie werden nicht gedruckt.

347 »Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer«: Worte des Mephisto in «Faust II», 1. Akt: Kaiserliche Pfalz.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.