GA 13

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VORBEMERKUNGEN ZUR ERSTEN AUFLAGE

#G013-1962-SE007 Die Ge­heim­wis­sen­schaft im Um­riss

#TI

VOR­BE­MER­KUN­GEN ZUR ERS­TEN AUFLA­GE

#TX

Wer ein Buch wie das vor­lie­gen­de der Öf­f­ent­lich­keit über­gibt, der soll mit Ge­las­sen­heit je­de Art von Be­ur­tei­lung sei­ner Aus­füh­run­gen sich vor­s­tel­len kön­nen, wel­che in der Ge­gen­wart mög­lich ist. Da könn­te zum Bei­spiel je­mand die hier ge­ge­be­ne Dar­stel­lung die­ses oder je­nes Din­ges zu le­sen be­gin­nen, wel­cher sich Ge­dan­ken über die­se Din­ge ge­mäß den For­schung­s­er­geb­nis­sen der Wis­sen­schaft ge­macht hat. Und er könn­te zu dem fol­gen­den Ur­teil kom­men: «Man ist er­sta­unt, wie der­g­lei­chen Be­haup­tun­gen in un­se­rer Zeit nur über­haupt mög­lich sind. Mit den ein­fachs­ten na­tur­wis­sen­schaft­li­chen Be­grif­fen wird in ei­ner Wei­se um­ge­sprun­­gen, die auf ei­ne ge­ra­de­zu un­be­g­reif­li­che Un­be­kannt­schaft mit selbst ele­men­ta­ren Er­kennt­nis­sen sch­lie­ßen läßt. Der Ver­fas­ser ge­braucht Be­grif­fe, wie zum Bei­spiel Wär­me, in ei­ner Art, wie es nur je­mand ver­mag, an dem die gan­ze mo­der­ne Denk­wei­se der Phy­sik spur­los vor­über­ge­gan­gen ist. Je­der, der auch nur die An­fangs­grün­de die­ser Wis­sen­­schaft kennt, könn­te ihm zei­gen, daß, was er da re­det, nicht ein­mal die Be­zeich­nung Di­let­tan­tis­mus ver­di­ent, son­dern nur mit dem Aus­druck: ab­so­lu­te Igno­ranz be­legt wer­den kann...» Es könn­ten nun noch vie­le sol­che Sät­ze ei­ner der­ar­ti­gen, durch­aus mög­li­chen Be­ur­tei­lung hin­ge­schrie­ben wer­­den. Man könn­te sich aber nach den obi­gen Aus­sprüchen auch et­wa fol­gen­den Schluß den­ken: «Wer ein paar Sei­ten die­ses Bu­ches ge­le­sen hat, wird es, je nach sei­nem Tem­pe­r­a­­ment, lächelnd oder en­trüs­tet we­g­le­gen und sich sa­gen: Es ist doch son­der­bar, was für Aus­wüch­se ei­ne ver­kehr­te Ge­­dan­ken­rich­tung in ge­gen­wär­ti­ger Zeit trei­ben kann. Man legt die­se Aus­füh­run­gen am bes­ten zu man­cher­lei an­de­rem

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Ku­rio­sen, was ei­nem jetzt be­geg­net.» Was sagt aber nun der Ver­fas­ser die­ses Bu­ches, wenn er et­wa wir­k­lich ei­ne sol­che Be­ur­tei­lung er­fah­ren wür­de? Muß er nicht ein­fach, von sei­nem Stand­punk­te aus, den Be­ur­tei­ler für ei­nen ur­teils­un­fähi­gen Le­ser hal­ten oder für ei­nen sol­chen, der nicht den gu­ten Wil­len hat, um zu ei­nem ver­ständ­nis­vol­len Ur­tei­le zu kom­men? Dar­auf soll ge­ant­wor­tet wer­den: Nein, die­ser Ver­fas­ser tut das durch­aus nicht im­mer. Er ver­mag sich vor­­zu­s­tel­len, daß sein Be­ur­tei­ler ei­ne sehr klu­ge Per­sön­lich­keit, auch ein tüch­ti­ger Wis­sen­schaf­ter und je­mand sein kann, der sich ein Ur­teil auf ganz ge­wis­sen­haf­te Art bil­det. Denn die­­ser Ver­fas­ser ist in der La­ge, sich hin­ein­zu­den­ken in die See­le ei­ner sol­chen Per­sön­lich­keit und in die Grün­de, wel­che die­se zu ei­nem sol­chen Ur­teil füh­ren kön­nen. Um nun kenn­t­­lich zu ma­chen, was der Ver­fas­ser wir­k­lich sagt, ist et­was not­wen­dig, was ihm selbst im all­ge­mei­nen oft un­pas­send scheint, wo­zu aber ge­ra­de bei die­sem Bu­che ei­ne drin­gen­de Ver­an­las­sung ist: näm­lich über ei­ni­ges Per­sön­li­che zu re­den. Al­ler­dings soll in die­ser Rich­tung nichts vor­ge­bracht wer­­den, was nicht mit dem Ent­schlus­se zu­sam­men­hängt, die­ses Buch zu sch­rei­ben. Was in ei­nem sol­chen Bu­che ge­sagt wird, hät­te ge­wiß kein Da­s­eins­recht, wenn es nur ei­nen per­sön­­li­chen Cha­rak­ter trü­ge. Es muß Dar­stel­lun­gen ent­hal­ten, zu de­nen je­der Mensch kom­men kann, und es muß so ge­­sagt wer­den, daß kei­ner­lei per­sön­li­che Fär­bung zu be­mer­ken ist, so­weit dies über­haupt mög­lich ist. In die­ser Be­zie­hung soll al­so das Per­sön­li­che nicht ge­meint sein. Es soll sich nur dar­auf be­zie­hen, ver­ständ­lich zu ma­chen, wie der Ver­fas­ser die oben ge­kenn­zeich­ne­te Be­ur­tei­lung sei­ner Aus­­­füh­run­gen be­g­reif­lich fin­den kann und den­noch die­ses Buch sch­rei­ben konn­te. Es gä­be ja al­ler­dings et­was, was die Vor­brin­gung

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ei­nes sol­chen Per­sön­li­chen über­flüs­sig ma­chen könn­te: wenn man, in aus­führ­li­cher Art, al­le Ein­zel­hei­ten gel­tend mach­te, wel­che zei­gen, wie die Dar­stel­lung die­ses Bu­ches in Wir­k­lich­keit doch mit al­len Fort­schrit­ten ge­gen­wär­ti­ger Wis­sen­schaft übe­r­ein­stimmt. Da­zu wä­ren nun aber al­ler­dings vie­le Bän­de als Ein­lei­tung zu dem Bu­che no­t­wen­dig. Da die­se au­gen­blick­lich nicht ge­lie­fert wer­den kön­­nen, so scheint es dem Ver­fas­ser not­wen­dig, zu sa­gen, durch wel­che per­sön­li­chen Ver­hält­nis­se er sich be­rech­tigt glaubt, ei­ne sol­che Übe­r­ein­stim­mung in be­frie­di­gen­der Art für mög­lich zu hal­ten. Er hät­te ganz ge­wiß al­les das­je­ni­ge nie­­mals zu ver­öf­f­ent­li­chen un­ter­nom­men, was in die­sem Bu­che zum Bei­spiel mit Be­zug auf Wär­me­vor­gän­ge ge­sagt wird, wenn er sich nicht das Fol­gen­de ge­ste­hen dürf­te: Er war vor nun­mehr drei­ßig Jah­ren in der La­ge, ein Stu­di­um der Phy­sik durch­zu­ma­chen, wel­ches sich in die ver­schie­de­nen Ge­bie­te die­ser Wis­sen­schaft ver­zweig­te. Auf dem Fel­de der Wär­meer­schei­nun­gen stan­den da­mals die Er­klär­un­gen im Mit­tel­punk­te des Stu­di­ums, wel­che der so­ge­nann­ten «me­cha­ni­schen Wär­me­the­o­rie» an­ge­hö­ren. Und die­se «me­cha­­ni­sche Wär­me­the­o­rie» in­ter­es­sier­te ihn so gar ganz be­son­­ders. Die ge­schicht­li­che Ent­wi­cke­lung der ent­sp­re­chen­den Er­klär­un­gen, die sich an Na­men wie Jul. Robert May­er, Helm­holtz, Jou­le, Clau­si­us und so wei­ter da­mals knüpf­te, ge­hör­te zu sei­nen fort­wäh­ren­den Stu­di­en. Da­durch hat er sich in der Zeit sein er Stu­di­en die hin­rei­chen­de Grund­la­ge und Mög­lich­keit ge­schaf­fen, bis heu­te al­le die tat­säch­li­chen Fort­schrit­te auf dem Ge­bie­te der phy­si­ka­li­schen Wär­m­e­leh­re ver­fol­gen zu kön­nen und kei­ne Hin­der­nis­se zu fin­den, wenn er ver­sucht, ein­zu­drin­gen in al­les das, was die Wis­sen­schaft auf die­sem Fel­de leis­tet. Müß­te sich der Ver­fas­ser sa­gen: er

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kann das nicht, so wä­re dies für ihn ein Grund, die in dem Bu­che vor­ge­brach­ten Din­ge un­ge­sagt und un­ge­schrie­ben zu las­sen. Er hat es sich wir­k­lich zum Grund­satz ge­macht, nur über sol­ches auf dem Ge­bie­te der Geis­tes­wis­sen­schaft zu re­den oder zu sch­rei­ben, bei dem er in ei­ner ihm ge­nü­gend er­schei­nen­den Art auch zu sa­gen wüß­te, was die ge­gen­wär­­ti­ge Wis­sen­schaft dar­über weiß. Da­mit will er durch­aus nicht et­was aus­sp­re­chen, was ei­ne all­ge­mei­ne An­for­de­rung an al­le Men­schen sein soll. Es kann je­der­mann sich mit Recht ge­drängt füh­len, das­je­ni­ge mit­zu­tei­len und zu ver­öf­f­ent­li­chen, wo­zu ihn sei­ne Ur­teils­kraft, sein ge­sun­der Wahr­heits­sinn und sein Ge­fühl trei­ben, auch wenn er nicht weiß, was über die be­tref­fen­den Din­ge vom Ge­sichts­punkt zeit­ge­nös­si­scher Wis­sen­schaft aus zu sa­gen ist. Nur der Ver­fas­ser die­ses Bu­ches möch­te sich für sich an das oben Aus­ge­spro­che­ne hal­ten. Er möch­te zum Bei­spiel nicht die paar Sät­ze über das men­sch­­li­che Drü­sen­sys­tem oder das men­sch­li­che Ner­ven­sys­tem ma­chen, wel­che in die­sem Bu­che sich fin­den, wenn er nicht in der La­ge wä­re, über die­se Din­ge auch den Ver­such zu ma­chen, in den For­men zu sp­re­chen, in de­nen ein ge­gen­wär­­ti­ger Na­tur­ge­lehr­ter vom Stand­punk­te der Wis­sen­schaft aus über das Drü­sen- oder Ner­ven­sys­tem spricht. Trotz­dem al­so das Ur­teil mög­lich ist, der­je­ni­ge, wel­cher so, wie es hier ge­schieht, über «Wär­me» spricht, wis­se nichts von den An­­fangs­grün­den der ge­gen­wär­ti­gen Phy­sik, ist doch rich­tig, daß sich der Ver­fas­ser die­ses Bu­ches voll­be­rech­tigt glaubt zu dem, was er ge­tan hat, weil er die ge­gen­wär­ti­ge For­­schung wir­k­lich zu ken­nen be­st­rebt ist, und daß er es un­ter­las­sen wür­de, so zu sp­re­chen, wenn sie ihm fremd wä­re. Er weiß, wie das Mo­tiv, aus dem her­aus ein sol­cher Grund­satz aus­ge­spro­chen wird, recht leicht mit Un­be­schei­den­heit ver­wech­selt

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wer­den kann. Es ist aber doch nö­t­ig, ge­gen­über die­­sem Bu­che sol­ches aus­zu­sp­re­chen, da­mit des Ver­fas­sers wah­re Mo­ti­ve nicht mit noch ganz an­de­ren ver­wech­selt wer­den. Und die­se Ver­wechs­lung könn­te eben noch weit sch­lim­mer sein als die­je­ni­ge mit der Un­be­schei­den­heit.

Nun wä­re aber auch ei­ne Be­ur­tei­lung von ei­nem phi­lo­so­­phi­schen Stand­punk­te aus mög­lich. Sie könn­te sich fol­gen­­der­ma­ßen ge­stal­ten. Wer als Phi­lo­soph die­ses Buch liest, der frägt sich: «Hat der Ver­fas­ser die gan­ze er­kennt­nis­theo­re­­ti­sche Ar­beit der Ge­gen­wart ver­schla­fen? Hat er nie et­was da­von er­fah­ren, daß ein Kant ge­lebt hat und daß, nach die­­sem, es ein­fach phi­lo­so­phisch un­statt­haft ist, der­lei Din­ge vor­zu­brin­gen?» Wie­der könn­te in die­ser Rich­tung for­t­­ge­schrit­ten wer­den. Aber auch so könn­te die Be­ur­tei­lung sch­lie­ßen: «Für den Phi­lo­so­phen ist der­lei un­kri­ti­sches, nai­ves, lai­en­haf­tes Zeug un­er­träg­lich, und ein wei­te­res Ein­­ge­hen dar­auf wä­re Zeit­ver­lust.» Aus dem­sel­ben Mo­tiv, das oben ge­kenn­zeich­net wor­den ist, möch­te trotz al­ler Mißv­er­ständ­nis­se, die sich da­ran sch­lie­ßen kön­nen, der Ver­­­fas­ser auch hier wie­der Per­sön­li­ches vor­brin­gen. Sein Kant­stu­di­um be­gann in sei­nem sech­zehn­ten Le­bens­jah­re; und heu­te glaubt er wahr­haf­tig, ganz ob­jek­tiv al­les das, was in dem vor­lie­gen­den Buch vor­ge­bracht wird, vom Kant­schen Stand­punk­te aus be­ur­tei­len zu dür­fen. Er wür­de auch von die­ser Sei­te her ei­nen Grund ge­habt ha­ben, das Buch un­ge­­schrie­ben zu las­sen, wüß­te er nicht, was ei­nen Phi­lo­so­phen da­zu be­we­gen kann, es naiv zu fin­den, wenn der kri­ti­sche Maß­stab der Ge­gen­wart an­ge­legt wird. Man kann aber wir­k­lich wis­sen, wie im Sin­ne Kants hier die Gren­zen ei­ner mög­li­chen Er­kennt­nis über­schrit­ten wer­den; man kann wis­­sen, wie Her­b­art «nai­ven Rea­lis­mus» fin­den wür­de, der es

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nicht zur «Be­ar­bei­tung der Be­grif­fe» ge­bracht hat usw. usw.; man kann so­gar wis­sen, wie der mo­der­ne Prag­ma­tis­mus Ja­mes, Schil­lers und so wei­ter das Maß des­sen über­schrit­ten fin­den wür­de, was «wah­re Vor­stel­lun­gen» sind, wel­che «wir uns an­eig­nen, die wir gel­tend ma­chen, in Kraft set­zen und ve­ri­fi­zie­ren kön­nen01». Man kann dies al­les wis­sen und trotz­dem, ja eben des­halb sich be­rech­tigt fin­den, die­se hier vor­lie­gen­den Aus­füh­run­gen zu sch­rei­ben. Der Ver­fas­ser die­ses Bu­ches hat sich mit phi­lo­so­phi­schen Ge­dan­ken­rich­­tun­gen au­s­ein­an­der­ge­setzt in sei­nen Schrif­ten «Er­kennt­nis­­the­o­rie der Goe­the­schen Wel­t­an­schau­ung», «Wahr­heit und Wis­sen­schaft», «Phi­lo­so­phie der Frei­heit», «Goe­thes Wel­t­­­an­schau­ung», «Welt- und Le­bens­an­schau­un­gen im neun­zehn­ten Jahr­hun­dert», «Die Rät­sel der Phi­lo­so­phie02»

Vie­le Ar­ten von mög­li­chen Be­ur­tei­lun­gen könn­ten noch an­ge­führt wer­den. Es könn­te auch je­man­den ge­ben, wel­cher ei­ne der frühe­ren Schrif­ten des Ver­fas­sers ge­le­sen hat, zum Bei­spiel «Welt- und Le­bens­an­schau­un­gen im neun­zehn­ten Jahr­hun­dert» oder et­wa des­sen klei­nes Schrift­chen: «Haec­kel und sei­ne Geg­ner». Ein sol­cher konn­te sa­gen: «Es ist ge­ra­de­zu un­er­find­lich, wie ein und der­sel­be Mensch die­se Schrif­ten und auch, ne­ben der be­reits von ihm er­schie­ne­nen Theo­so­phie, die­ses hier vor­lie­gen­de Buch sch­rei­ben kann. Wie kann man ein­mal so für Hae­ckel ein­t­re­ten und dann wie­der al­lem ins Ge­sicht schla­gen, was als ge­sun­der Mo­nis­­mus aus Hae­ckels For­schun­gen folgt? Man könn­te be­g­rei­­fen, daß der Ver­fas­ser die­ser Ge­heim­wis­sen­schaft mit

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#F­N013-012-01 Man kann so­gar die Phi­lo­so­phie des «Als ob», den Berg­so­nis­mus und die «Kri­tik der Spra­che» in erns­te Er­wä­gung ge­zo­gen und stu­diert ha­ben. (An­mer­kung bei der vier­ten Aufla­ge, 1913 hin­zu­ge­fügt.)

#F­N013-012-02 Die­ses Werk wird von der sie­ben­ten Aufla­ge, 1920, an er­wähnt.

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Feu­er und Schwert ge­gen Hae­ckel zu Fel­de zie­he; daß er ihn ver­tei­digt hat, ja daß er ihm so­gar Welt- und Le­bens­an­schau­un­gen im neun­zehn­ten Jahr­hun­dert ge­wid­met hat, das ist wohl das Un­ge­heu­er­lichs­te, was sich den­ken läßt. Hae­ckel hät­te sich für die­se Wid­mung wohl mit nicht mi­ß­zu­ver­ste­hen­der Ab­leh­nung be­dankt, wenn er ge­wußt hät­te, daß der Wid­mer ein­mal sol­ches Zeug sch­rei­ben wer­de, wie es die­se Ge­heim­wis­sen­schaft mit ih­rem mehr als plum­pen Dua­lis­mus ent­hält.» Der Ver­fas­ser die­ses Bu­ches ist nun der An­sicht, daß man ganz gut Hae­ckel ver­ste­hen kann, und doch nicht zu glau­ben braucht, man ver­stün­de ihn nur dann, wenn man al­les für Un­sinn hält, was nicht aus Hae­ckel ei­ge­nen Vor­stel­lun­gen und Vor­aus­set­zun­gen fließt. Er ist aber fer­ner der An­sicht, daß man zum Ver­ständ­nis Hae­ckel nicht kommt, wenn man ihn mit «Feu­er und Schwert» be­kämpft, son­dern wenn man auf das­je­ni­ge ein­geht, was er der Wis­sen­schaft ge­leis­tet hat. Und am al­ler­we­nigs­ten glaubt der Ver­fas­ser, daß die Geg­ner Hae­ckels im Rech­te sind, ge­­gen wel­che er zum Bei­spiel in sei­ner Schrift «Hae­ckel und sei­ne Geg­ner» den gro­ßen Na­tur­den­ker ver­tei­digt hat. Wahr­haf­tig, wenn der Ver­fas­ser die­ser Schrift weit über Hae­ckels Vor­aus­set­zun­gen hin­aus­geht und die geis­ti­ge An­­sicht über die Welt ne­ben die bloß na­tür­li­che Hae­ckels setzt, so braucht er des­halb mit des letz­te­ren Geg­nern nicht ei­ner Mei­nung zu sein. Wer sich be­müht, die Sa­che rich­tig an­zu­­­se­hen, wird den Ein­klang von des Ver­fas­sers ge­gen­wär­ti­gen Schrif­ten mit sei­nen frühe­ren schon be­mer­ken kön­nen.

Auch ein sol­cher Be­ur­tei­ler ist dem Ver­fas­ser völ­lig ver­­­ständ­lich, der ganz im all­ge­mei­nen oh­ne wei­te­res die Aus­­­füh­run­gen die­ses Bu­ches als Er­güs­se ei­ner wild ge­wor­de­nen Phan­tas­tik oder ei­nes träu­me­ri­schen Ge­dan­ken­spiels an­sieht.

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Doch ist al­les, was in die­ser Be­zie­hung zu sa­gen ist, in dem Bu­che selbst ent­hal­ten. Es ist da ge­zeigt, wie in vol­lem Ma­ße das ver­nunft­ge­mä­ße Den­ken zum Pro­bier­stein des Dar­ge­­s­tell­ten wer­den kann und soll. Wer auf die­ses Dar­ge­s­tell­te die ver­nunft­ge­mä­ße Prü­fung eben­so an­wen­det, wie sie sach­­ge­mäß zum Bei­spiel auf die Tat­sa­chen der Na­tur­wis­sen­­schaft an­ge­wen­det wird, der erst wird ent­schei­den kön­nen, was die Ver­nunft bei sol­cher Prü­fung sagt.

Nach­dem so viel über sol­che Per­sön­lich­kei­ten ge­sagt ist, wel­che die­ses Buch zu­nächst ab­leh­nen kön­nen, darf auch ein Wort an die­je­ni­gen fal­len, wel­che sich zu dem­sel­ben zu­stim­mend zu ver­hal­ten An­laß ha­ben. Für sie ist je­doch das We­sent­lichs­te in dem ers­ten Ka­pi­tel «Cha­rak­ter der Ge­heim­wis­sen­schaft» ent­hal­ten. Ein we­ni­ges aber soll noch hier ge­sagt wer­den. Ob­wohl das Buch sich mit For­schun­gen be­faßt, wel­che dem an die Sin­nen­welt ge­bun­de­nen Ver­stand nicht er­forsch­bar sind, so ist doch nichts vor­ge­bracht, was nicht ver­ständ­lich sein kann un­be­fan­ge­ner Ver­nunft und ge­sun­dem Wahr­heits­sinn ei­ner je­den Per­sön­lich­keit, wel­che die­se Ga­ben des Men­schen an­wen­den will. Der Ver­fas­ser sagt es un­um­wun­den: er möch­te vor al­lem Le­ser, wel­che nicht ge­willt sind, auf blin­den Glau­ben hin die vor­ge­brach­­ten Din­ge an­zu­neh­men, son­dern wel­che sich be­mühen, das Mit­ge­teil­te an den Er­kennt­nis­sen der ei­ge­nen See­le und an den Er­fah­run­gen des ei­ge­nen Le­bens zu prü­fen01. Er möch­te vor al­lem vor­sich­ti­ge Le­ser, wel­che nur das lo­gisch zu Rech­t­­fer­ti­gen­de

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#F­N013-014-01 Ge­meint ist hier nicht et­wa nur die geis­tes­wis­sen­schaft­li­che Prü­­fung durch die über­sinn­li­chen For­schungs­me­tho­den, son­dern vor al­lem die durch­aus mög­li­che vom ge­sun­den, vor­ur­teils­lo­sen Den­ken und Men­schen­ver­stand aus. (An­mer­kung bei der vier­ten Aufla­ge, 1913, hin­zu­­­ge­fügt.)

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gel­ten las­sen. Der Ver­fas­ser weiß, sein Buch wä­re nichts wert, wenn es nur auf blin­den Glau­ben an­ge­wie­sen wä­re; es ist nur in dem Ma­ße taug­lich, als es sich vor der un­be­fan­ge­nen Ver­nunft recht­fer­ti­gen kann. Der blin­de Glau­be kann so leicht das Törich­te und Aber­gläu­bi­sche mit dem Wah­ren ver­wech­seln. Man­cher, der sich mit dem blo­­ßen Glau­ben an «Über­sinn­li­ches» ger­ne begnügt, wird fin­­den, daß in die­sem Bu­che dem Den­ken zu viel zu­ge­mu­tet wird. Doch es han­delt sich wahr­lich bei den hier ge­ge­be­nen Mit­tei­lun­gen nicht bloß dar­um, daß et­was mit­ge­teilt wer­de, son­dern dar­um, daß die Dar­stel­lung so ist, wie es ei­ner ge­­wis­sen­haf­ten An­schau­ung auf dem ent­sp­re­chen­den Ge­bie­te des Le­bens an­ge­mes­sen ist. Es ist ja das Ge­biet, wo sich die höchs­ten Din­ge mit ge­wis­sen­lo­ser Char­la­ta­ne­rie, wo sich auch Er­kennt­nis und Aber­glau­be im wir­k­li­chen Le­ben so leicht be­rüh­ren und wo sie, vor al­lem, auch so leicht ver­­wech­selt wer­den kön­nen.

Wer mit über­sinn­li­cher For­schung be­kannt ist, wird beim Le­sen des Bu­ches wohl mer­ken, daß ver­sucht wor­den ist, die Gren­zen scharf ein­zu­hal­ten zwi­schen dem, was aus dem Ge­bie­te der über­sinn­li­chen Er­kennt­nis­se ge­gen­wär­tig mit­­­ge­teilt wer­den kann und soll, und dem, was zu ei­ner spä­­te­ren Zeit oder we­nigs­tens in an­de­rer Form dar­ge­s­tellt wer­den soll.

Ge­schrie­ben im De­zem­ber 1909 Ru­dolf Stei­ner

VORBEMERKUNGEN ZUR VIERTEN AUFLAGE

#G013-1962-SE016 Die Ge­heim­wis­sen­schaft im Um­riss

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VOR­BE­MER­KUN­GEN ZUR VIER­TEN AUFLA­GE

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Wer es un­ter­nimmt, geis­tes­wis­sen­schaft­li­che Er­geb­nis­se sol­cher Art dar­zu­s­tel­len, wie sie in die­sem Bu­che auf­ge­zeich­net sind, der muß vor al­len Din­gen da­mit rech­nen, daß die­se Art ge­gen­wär­tig in wei­tes­ten Krei­sen als ei­ne un­mög­li­che an­ge­se­hen wird. Wer­den doch in den fol­gen­den Aus­füh­run­gen Din­ge ge­sagt, von wel­chen ein in un­se­rer Zeit als st­reng gel­ten­des Den­ken be­haup­tet, daß sie «für men­sch­li­che In­tel­li­genz ver­mut­lich über­haupt un­ent­scheid­bar blei­ben». Wer die Grün­de kennt und zu wür­di­gen weiß, wel­che man­che erns­te Per­sön­lich­keit da­zu füh­ren, sol­che Un­mög­lich­keit zu be­haup­ten, der möch­te im­mer wie­der von neu­em den Ver­such ma­chen, zu zei­gen, auf wel­chen Mißv­er­ständ­nis­sen der Glau­be be­ruht, daß dem men­sch­li­chen Er­ken­nen ein Ein­drin­gen in die über­sinn­li­chen Wel­ten ver­sagt sei.

Denn zwei­er­lei liegt vor. Ers­tens wird sich auf die Dau­er kei­ne men­sch­li­che See­le bei tie­fe­rem Nach­den­ken vor der Tat­sa­che ver­sch­lie­ßen kön­nen, daß ih­re wich­tigs­ten Fra­gen nach Sinn und Be­deu­tung des Le­bens un­be­ant­wor­tet blei­ben müß­ten, wenn es ei­nen Zu­gang zu über­sinn­li­chen Wel­ten nicht gä­be. Man kann sich theo­re­tisch über die­se Tat­sa­che hin­weg­täu­schen; die Tie­fen des See­len­le­bens ge­hen aber mit die­ser Selbst­täu­schung nicht mit. Wer auf die­se See­l­en­tie­fen nicht hin­hö­ren will, der wird Aus­füh­run­gen über die über­sinn­li­chen Wel­ten na­tur­ge­mäß ab­leh­nen. Doch gibt es eben Men­schen, de­ren Zahl wahr­haft nicht ge­ring ist, wel­che un­mög­lich sich taub ge­gen die For­de­run­gen die­ser Tie­fen ver­hal­ten kön­nen. Sie müs­sen stets an die Pfor­ten klop­fen, wel­che nach der Mei­nung der an­de­ren das «Un­faß­ba­re» ver­sch­lie­ßen.

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Zwei­tens, es sind die Dar­le­gun­gen des «st­ren­gen Den­kens» kei­nes­wegs ge­ring zu ach­ten. Wer sich mit ih­nen be­schäf­tigt, der wird da, wo sie ernst zu neh­men sind, die­sen Ernst durch­aus mit­füh­len. Der Sch­rei­ber die­ses Bu­ches möch­te nicht als ein sol­cher an­ge­se­hen wer­den, der leich­ten Her­zens sich hin­weg­setzt über die ge­wal­ti­ge Ge­dan­ken­ar­beit, die auf­ge­wen­det wor­den ist, um die Gren­zen des men­sch­li­chen In­tel­lek­tes zu be­stim­men. Die­se Ge­dan­ken­ar­beit läßt sich nicht ab­tun mit ei­ni­gen Re­dens­ar­ten über «Schul­weis­heit» und der­g­lei­chen. So wie sie in vie­len Fäl­len auf­tritt, hat sie ih­ren Qu­ell in wah­rem Rin­gen der Er­kennt­nis und in ech­tem Scharf­sinn. Ja, es soll noch viel­mehr zu­ge­ge­ben wer­den: es sind Grün­de da­für vor­ge­bracht wor­den, daß die­je­ni­ge Er­kennt­nis, wel­che ge­gen­wär­tig als wis­sen­schaft­lich gilt, nicht in die über­sinn­li­chen Wel­ten vor­drin­gen kann, und die­se Grün­de sind in ge­wis­sem Sin­ne un­wi­der­le­g­lich.

Weil dies von dem Sch­rei­ber die­ses Bu­ches oh­ne wei­te­res selbst zu­ge­ge­ben wird, des­halb kann es man­chem ganz son­der­bar er­schei­nen, daß er es nun doch un­ter­nimmt, Aus­füh­run­gen zu ma­chen, die sich auf über­sinn­li­che Wel­ten be­zie­hen. Es scheint ja fast aus­ge­sch­los­sen zu sein, daß je­mand die Grün­de für die Un­er­kenn­bar­keit der über­sinn­li­chen Wel­ten in ge­wis­sem Sin­ne gel­ten läßt und den­noch von die­sen über­sinn­li­chen Wel­ten spricht.

Und doch kann man sich so ver­hal­ten. Und man kann zu­g­leich be­g­rei­fen, daß die­ses Ver­hal­ten als wi­der­spruchs­voll emp­fun­den wird. Es läßt sich eben nicht je­der­mann auf die Er­fah­run­gen ein, wel­che man macht, wenn man mit dem men­sch­li­chen Ver­stan­de an das über­sinn­li­che Ge­biet her­an­rückt. Da stellt sich her­aus, daß die Be­wei­se die­ses Ver­stan­des wohl un­wi­der­le­g­lich sein kön­nen; und daß sie trotz ih­rer

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Un­wi­der­le­g­lich­keit für die Wir­k­lich­keit nicht ent­schei­dend zu sein brau­chen. Statt al­ler theo­re­ti­schen Au­s­ein­an­der­set­zun­gen sei hier ver­sucht, durch ei­nen Ver­g­leich ei­ne Ver­stän­di­gung her­bei­zu­füh­ren. Daß Ver­g­lei­che selbst nicht be­wei­send sind, wird da­bei oh­ne wei­te­res zu­ge­ge­ben; doch hin­dert dies nicht, daß sie oft ver­ständ­lich ma­chen, was aus­ge­drückt wer­den soll.

Das men­sch­li­che Er­ken­nen, so wie es im all­täg­li­chen Le­ben und in der ge­wöhn­li­chen Wis­sen­schaft ar­bei­tet, ist wir­k­lich so be­schaf­fen, daß es in die über­sinn­li­chen Wel­ten nicht ein­drin­gen kann. Dies ist un­wi­der­le­g­lich zu be­wei­sen; al­lein die­ser Be­weis kann für ei­ne ge­wis­se Art des See­len­le­bens kei­nen an­de­ren Wert ha­ben als der­je­ni­ge, wel­chen je­mand un­ter­neh­men woll­te, um zu zei­gen, daß das na­tür­li­che Au­ge des Men­schen mit sei­nem Seh­ver­mö­gen nicht bis zu den klei­nen Zel­len ei­nes Le­be­we­sens oder bis zur Be­schaf­fen­heit fer­ner Him­mels­kör­per vor­drin­gen kann. So rich­tig und be­weis­bar die Be­haup­tung ist: das ge­wöhn­li­che Seh­ver­mö­gen dringt nicht bis zu den Zel­len, so rich­tig und be­weis­bar ist die an­de­re, daß das ge­wöhn­li­che Er­ken­nen nicht in die über­sinn­li­chen Wel­ten ein­drin­gen kön­ne. Und doch ent­schei­det der Be­weis, daß das ge­wöhn­li­che Seh­ver­mö­gen vor den Zel­len halt­ma­chen muß, nichts ge­gen die Er­for­schung der Zel­len. Warum soll­te der Be­weis, daß das ge­wöhn­li­che Er­kennt­nis­ver­mö­gen vor den über­sinn­li­chen Wel­ten halt­ma­chen muß, et­was ge­gen die Er­for­schung die­ser Wel­ten ent­schei­den?

Man kann die Emp­fin­dung füh­len, wel­che man­cher bei die­sem Ver­g­lei­che ha­ben muß. Man kann selbst mit­emp­fin­den, wenn ge­zwei­felt wird, daß je­mand den gan­zen Ernst der er­wähn­ten Ge­dan­ken­ar­beit auch nur ahnt, der die­ser

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Ar­beit mit ei­nem sol­chen Ver­g­leich ent­ge­gen­tritt. Und doch ist der­je­ni­ge, wel­cher die­ses sch­reibt, von die­sem Erns­te nicht nur durch­drun­gen, son­dern er ist der An­sicht, daß die­se Ge­dan­ken­ar­beit zu den edels­ten Leis­tun­gen der Mensch­heit zählt. Zu be­wei­sen, daß das men­sch­li­che Seh­ver­mö­gen nicht oh­ne Be­waff­nung zu den Zel­len ge­lan­gen kön­ne, wä­re al­ler­dings ein un­nö­t­i­ges Be­gin­nen; in st­ren­gem Den­ken sich der Na­tur die­ses Den­kens be­wußt wer­den, ist not­wen­di­ge Geis­tes­ar­beit. Daß der­je­ni­ge, wel­cher sich sol­cher Ar­beit hin­gibt, nicht be­merkt, daß die Wir­k­lich­keit ihn wi­der­le­gen kann, ist nur all­zu ver­ständ­lich. So we­nig in den Vor­be­mer­kun­gen zu die­sem Bu­che der Platz sein kann, auf man­che «Wi­der­le­gun­gen» der ers­ten Aufla­gen von sei­ten sol­cher Per­sön­lich­kei­ten ein­zu­ge­hen, de­nen al­les Ver­ständ­nis für das Er­st­reb­te ab­geht oder wel­che ih­re un­wah­ren An­grif­fe auf die Per­son des Ver­fas­sers rich­ten, so sehr muß be­tont wer­den, daß in dem Bu­che ei­ne Un­ter­schät­zung erns­ter wis­sen­schaft­li­cher Den­ker­ar­beit nur der ver­mu­ten kann, der sich vor der Ge­sin­nung der Aus­füh­run­gen ver­sch­lie­ßen will.

Das Er­ken­nen des Men­schen kann ver­stärkt, er­kraf­tet wer­den, wie das Seh­ver­mö­gen des Au­ges ver­stärkt wer­den kann. Nur sind die Mit­tel zur Er­kraf­tung des Er­ken­nens durch­aus von geis­ti­ger Art; sie sind in­ne­re, rein see­li­sche Ver­rich­tun­gen. Sie be­ste­hen in dem, was in die­sem Bu­che als Me­di­ta­ti­on, Kon­zen­t­ra­ti­on (Kon­tem­pla­ti­on) be­schrie­ben wird. Das ge­wöhn­li­che See­len­le­ben ist an die Werk­zeu­ge des Lei­bes ge­bun­den; das er­kraf­te­te See­len­le­ben macht sich da­von frei. Es gibt Ge­dan­ken­rich­tun­gen der Ge­gen­wart, für wel­che ei­ne sol­che Be­haup­tung ganz un­sin­nig er­schei­nen muß, für wel­che sie nur auf Selbst­täu­schung be­ru­hen muß. Sol­che Ge­dan­ken­rich­tun­gen wer­den es von ih­rem Ge­sichts­punk­te

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aus leicht fin­den, nach­zu­wei­sen, wie «al­les See­len­le­ben» an das Ner­ven­sys­tem ge­bun­den sei. Wer auf dem Stand­punk­te steht, von dem aus die­ses Buch ge­schrie­ben ist, der ver­steht durch­aus sol­che Be­wei­se. Er ver­steht die Men­schen, wel­che sa­gen, es kön­ne nur Ober­fläch­lich­keit be­haup­ten, daß man ir­gend­ein vom Lei­be un­ab­hän­gi­ges See­len­le­ben ha­ben kön­ne. Wel­che ganz da­von über­zeugt sind, daß für sol­che See­le­n­er­leb­nis­se ein Zu­sam­men­hang mit dem Ner­ven­le­ben vor­liegt, den «geis­tes­wis­sen­schaft­li­cher Di­let­tan­tis­mus» nur nicht durch­schaut.

Hier ste­hen dem­je­ni­gen, was in die­sem Bu­che ge­schil­dert wird, ge­wis­se durch­aus be­g­reif­li­che Denk­ge­wohn­hei­ten so schroff ge­gen­über, daß mit vie­len ei­ne Ver­stän­di­gung ge­gen­wär­tig noch ganz aus­sichts­los ist. Man steht hier eben vor dem Punk­te, an wel­chem sich der Wunsch gel­tend ma­chen muß, daß es in der Ge­gen­wart dem Geis­tes­le­ben nicht mehr ent­sp­re­chen soll­te, ei­ne For­schungs­rich­tung so­g­leich als Phan­tas­te­rei, Träu­me­rei usw. zu ver­ket­zern, die schroff von der ei­ge­nen ab­weicht. Auf der an­dern Sei­te steht aber doch schon ge­gen­wär­tig die Tat­sa­che, daß für die über­sinn­li­che For­schungs­art, wie sie auch in die­sem Bu­che dar­ge­s­tellt wird, ei­ne An­zahl von Men­schen Ver­ständ­nis ha­ben. Men­schen, wel­che ein­se­hen, daß der Sinn des Le­bens sich nicht in all­ge­mei­nen Re­dens­ar­ten über See­le, Selbst usw. ent­hüllt, son­dern nur durch das wir­k­li­che Ein­ge­hen auf die Er­geb­nis­se der über­sinn­li­chen For­schung sich er­ge­ben kann. Nicht aus Un­be­schei­den­heit, son­dern in freu­di­ger Be­frie­di­gung wird von dem Ver­fas­ser die­ses Bu­ches tief emp­fun­den die Not­wen­dig­keit die­ser vier­ten Aufla­ge nach ver­hält­nis­mä­ß­ig kur­zer Zeit.

Um in Un­be­schei­den­heit dies zu be­to­nen, da­zu fühlt der

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Ver­fas­ser nur all­zu­deut­lich, wie we­nig auch die neue Aufla­ge dem ent­spricht, was sie als «Um­riß ei­ner über­sinn­li­chen Wel­t­an­schau­ung» ei­gent­lich sein soll­te. Noch ein­mal wur­de zur Neu­aufla­ge das Gan­ze durch­ge­ar­bei­tet, vie­le Er­gän­zun­gen wur­den an wich­ti­gen Stel­len ein­ge­fügt, Ver­deut­li­chun­gen wur­den an­ge­st­rebt. Doch fühl­bar wur­de dem Ver­fas­ser an zahl­rei­chen Stel­len, wie sprö­de sich die Mit­tel der ihm zu­gäng­li­chen Dar­stel­lung er­wei­sen ge­gen­über dein, was die über­sinn­li­che For­schung zeigt. So konn­te kaum mehr als ein Weg ge­zeigt wer­den, um zu Vor­stel­lun­gen zu ge­lan­gen, wel­che in dem Bu­che für Sa­turn-, Son­nen-, Mon­den­ent­wi­cke­lung ge­ge­ben wer­den. Ein wich­ti­ger Ge­sichts­punkt ist in die­ser Aufla­ge auch auf die­sem Ge­bie­te in Kür­ze neu be­han­delt wor­den. Doch wei­chen die Er­leb­nis­se in be­zug auf sol­che Din­ge so sehr von al­len Er­leb­nis­sen auf dem Sin­nes­ge­bie­te ab, daß die Dar­stel­lung ein fort­wäh­ren­des Rin­gen nach ei­nem nur ei­ni­ger­ma­ßen ge­nü­gend schei­nen­den Aus­druck not­wen­dig macht. Wer auf den hier ge­mach­ten Ver­such der Dar­stel­lung ein­zu­ge­hen wil­lens ist, wird vi­el­leicht be­mer­ken, daß man­ches, was dem tro­cke­nen Wor­te zu sa­gen un­mög­lich ist, durch die Art der Schil­de­rung er­st­rebt wird. Die­se ist an­ders zum Bei­spiel bei der Sa­turn-, an­ders bei der Son­nen- usw. Ent­wi­cke­lung.

Vie­le dem Ver­fas­ser des Bu­ches wich­tig er­schei­nen­de Er­gän­zun­gen und Er­wei­te­run­gen er­fuhr in der neu­en Aufla­ge der zwei­te Teil des Bu­ches, wel­cher von der «Er­kennt­nis der höhe­ren Wel­ten» han­delt. Es lag das Be­st­re­ben vor, die Art der in­ne­ren See­len­vor­gän­ge an­schau­lich dar­zu­s­tel­len, durch wel­che die Er­kennt­nis von ih­ren in der Sin­nen­welt vor­han­de­nen Gren­zen sich be­f­reit und sich für das Er­le­ben der über­sinn­li­chen Welt ge­eig­net macht. Ver­sucht wur­de zu zei­gen

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daß die­ses Er­le­ben, ob­wohl es durch ganz in­ner­li­che Mit­tel und We­ge er­wor­ben wird, doch nicht ei­ne bloß sub­jek­ti­ve Be­deu­tung für den ein­zel­nen Men­schen hat, der es er­wirbt. Es soll­te aus der Dar­stel­lung her­vor­ge­hen, daß inn­er­halb der See­le de­ren Ein­zel­heit und per­sön­li­che Be­son­der­heit ab­ge­st­reift und ein Er­le­ben er­reicht wird, das je­der Mensch in der glei­chen Art hat, der eben in rech­ter Art die Ent­wi­cke­lung aus sei­nen sub­jek­ti­ven Er­leb­nis­sen her­aus be­wirkt. Erst wenn die «Er­kennt­nis der über­sinn­li­chen Wel­ten» mit die­sem Cha­rak­ter ge­dacht wird, ver­mag man sie zu un­ter­schei­den von al­len Er­leb­nis­sen bloß sub­jek­ti­ver Mys­tik usw. Von sol­cher Mys­tik kann man wohl sa­gen, daß sie mehr oder we­ni­ger doch ei­ne sub­jek­ti­ve An­ge­le­gen­heit des Mys­ti­kers ist. Die geis­tes­wis­sen­schaft­li­che See­len­schu­lung, wie sie hier ge­meint ist, st­rebt aber nach sol­chen ob­jek­ti­ven Er­leb­nis­sen, de­ren Wahr­heit zwar ganz in­ner­lich er­kannt wird, die aber doch ge­ra­de des­halb in ih­rer All­ge­mein­gül­tig­keit durch­schaut wer­den. Auch hier ist ja wie­der ein Punkt, an dem ei­ne Ver­stän­di­gung mit man­chen Denk­ge­wohn­hei­ten un­se­rer Zeit recht schwie­rig ist.

Zum Schlus­se möch­te der Ver­fas­ser des Bu­ches die Be­mer­kung ma­chen, daß auch von Wohl­mei­nen­den die­se Aus­füh­run­gen als das hin­ge­nom­men wer­den mö­gen, als was sie sich durch ih­ren ei­ge­nen In­halt ge­ben. Es herrscht heu­te viel­fach das Be­st­re­ben, die­ser oder je­ner Geis­tes­rich­tung die­sen oder je­nen al­ten Na­men zu ge­ben. Da­durch scheint sie man­chem erst wert­voll. Es darf aber ge­fragt wer­den: was sol­len die Aus­füh­run­gen die­ses Bu­ches da­durch ge­win­nen, daß man sie als «ro­sen­k­reu­ze­risch» oder der­g­lei­chen be­zeich­net? Wor­auf es an­kommt, ist, daß hier mit den Mit­teln, wel­che in der ge­gen­wär­ti­gen Ent­wi­cke­lungs­pe­rio­de der See­le mög­lich

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und die­ser an­ge­mes­sen sind, ein Ein­blick in die über­sinn­li­chen Wel­ten ver­sucht wird, und daß von die­sem Ge­sichts­punk­te aus die Rät­sel des men­sch­li­chen Schick­sals und des men­sch­li­chen Da­seins über die Gren­zen von Ge­burt und Tod hin­aus be­trach­tet wer­den. Es soll sich nicht han­deln um ein St­re­ben, wel­ches die­sen oder je­nen al­ten Na­men trägt, son­dern um ein St­re­ben nach Wahr­heit.

Auf der an­dern Sei­te sind auch in geg­ne­ri­scher Ab­sicht Be­zeich­nun­gen für die in dem Bu­che dar­ge­s­tell­te Wel­t­an­schau­ung ge­braucht wor­den. Ab­ge­se­hen da­von, daß die­je­ni­gen, mit wel­chen man den Ver­fas­ser hat am schwers­ten tref­fen und dis­k­re­di­tie­ren wol­len, ab­surd und ob­jek­tiv un­wahr sind, cha­rak­te­ri­sie­ren sich sol­che Be­zeich­nun­gen in ih­rer Un­wür­dig­keit da­durch, daß sie ein völ­lig un­ab­hän­gi­ges Wahr­heits­st­re­ben her­ab­set­zen, in­dem sie es nicht aus sich selbst be­ur­tei­len, son­dern die von ih­nen er­fun­de­ne oder grund­los über­nom­me­ne und wei­ter ge­tra­ge­ne Ab­hän­gig­keit von die­ser oder je­ner Rich­tung an­dern als Ur­teil bei­brin­gen wol­len. So not­wen­dig die­se Wor­te an­ge­sichts man­cher An­grif­fe ge­gen den Ver­fas­ser sind, so wi­der­st­rebt es die­sem doch, an die­sem Or­te auf die Sa­che wei­ter ein­zu­ge­hen.

Ge­schrie­ben im Ju­ni 1913 Ru­dolf Stei­ner

VORREDE ZUR SIEBENTEN BIS FÜNFZEHNTEN AUFLAGE

#G013-1962-SE024 Die Ge­heim­wis­sen­schaft im Um­riss

Für die­se Neu­aufla­ge mei­ner «Ge­heim­wis­sen­schaft im Um­riß» ha­be ich den ers­ten Ab­schnitt «Cha­rak­ter der Ge­heim­wis­sen­schaft» fast ganz neu ge­stal­tet. Ich glau­be, daß da­durch nun we­ni­ger zu den Mißv­er­ständ­nis­sen An­laß sein wird, die ich aus der frühe­ren Fas­sung die­ses Ab­schnit­tes her­aus ha­be ent­ste­hen se­hen. Von vie­len Sei­ten konn­te ich hö­ren: An­de­re Wis­sen­schaf­ten be­wei­sen; was hier als Wis­sen­schaft sich gibt, sagt ein­fach: die Ge­heim­wis­sen­schaft stellt dies oder je­nes fest. Ein sol­ches Vor­ur­teil stellt sich na­tur­ge­mäß ein, da ja das Be­wei­sen­de der über­sinn­li­chen Er­kennt­nis sich durch die Dar­stel­lung nicht so auf­drän­gen kann wie bei der Dar­le­gung von Zu­sam­men­hän­gen der sin­nen­fäl­li­gen Wir­k­lich­keit. Daß man es aber nur mit ei­nem Vor­ur­teil zu tun hat, woll­te ich durch die Um­ar­bei­tung des ers­ten Ab­schnit­tes die­ses Bu­ches deut­li­cher ma­chen, als es mir in frühe­ren Aufla­gen ge­lun­gen zu sein scheint. In den an­dern Tei­len des Bu­ches ha­be ich durch Er­gän­zun­gen des In­hal­tes man­ches Dar­ge­s­tell­te schär­fer her­aus­zu­ar­bei­ten ge­sucht. Durch das Gan­ze hin­durch ha­be ich mich be­müht, an zahl­rei­chen Stel­len Än­de­run­gen in der Ein­k­lei­dung des In­halts vor­zu­neh­men, die mir das wie­der­hol­te Durch­le­ben des Dar­ge­s­tell­ten not­wen­dig er­schei­nen ließ.

Ber­lin, Mai 1920

Ru­dolf Stei­ner

VORREDE ZUR SECHZEHNTEN BIS ZWANZIGSTEN AUFLAGE

#G013-1962-SE025 Die Ge­heim­wis­sen­schaft im Um­riss

Jetzt, nach­dem fünf­zehn Jah­re seit dem ers­ten Er­schei­nen die­ses Bu­ches ver­f­los­sen sind, darf ich wohl vor der Öf­f­ent­lich­keit ei­ni­ges sa­gen über die See­len­ver­fas­sung, aus der her­aus es ent­stan­den ist.

Ur­sprüng­lich war mein Plan, sei­nen we­sent­li­chen In­halt als letz­te Ka­pi­tel mei­nem lan­ge vor­her er­schie­ne­nen Bu­che «Theo­so­phie» an­zu­fü­gen. Das ging nicht. Die­ser In­halt run­de­te sich da­mals, als die «Theo­so­phie» aus­ge­führt wur­de, nicht in der Art in mir ab wie der­je­ni­ge der «Theo­so­phie». Ich hat­te in mei­nen Ima­gi­na­tio­nen das geis­ti­ge We­sen des Ein­zel­men­schen vor mei­ner See­le ste­hen und konn­te es dar­s­tel­len, nicht aber stan­den da­mals schon die kos­mi­schen Zu­sam­men­hän­ge, die in der «Ge­heim­wis­sen­schaft» dar­zu­le­gen wa­ren, eben­so vor mir. Sie wa­ren im ein­zel­nen da; nicht aber im Ge­samt­bild.

Des­halb ent­sch­loß ich mich, die «Theo­so­phie» mit dem In­hal­te er­schei­nen zu las­sen, den ich als das We­sen des Le­bens ei­nes ein­zel­nen Men­schen er­schaut hat­te, und die «Ge­heim­wis­sen­schaft» in der nächs­ten Zeit in al­ler Ru­he durch­zu­füh­ren.

Der In­halt die­ses Bu­ches muß­te nach mei­ner da­ma­li­gen See­len­stim­mung in Ge­dan­ken ge­ge­ben wer­den, die für die Dar­stel­lung des Geis­ti­gen ge­eig­ne­te wei­te­re Fort­bil­dun­gen der in der Na­tur­wis­sen­schaft an­ge­wen­de­ten Ge­dan­ken sind. Man wird es den hier wie­der ab­ge­druck­ten «Vor­be­mer­kun­gen zur ers­ten Aufla­ge» an­mer­ken, wie stark ich mich mit al­lem, was ich da­mals über Geis­te­ser­kennt­nis schrieb, vor der Na­tur­wis­sen­schaft ver­ant­wort­lich fühl­te.

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Aber man kann nicht in sol­chen Ge­dan­ken al­lein das zur Dar­stel­lung brin­gen, was sich dem geis­ti­gen Schau­en als Geist-Welt of­fen­bart. Denn die­se Of­fen­ba­rung geht in ei­nen blo­ßen Ge­dan­ken­in­halt nicht ein. Wer das We­sen sol­cher Of­fen­ba­rung er­le­bend ken­nen­ge­lernt hat, der weiß, daß die Ge­dan­ken des ge­wöhn­li­chen Be­wußt­seins nur ge­eig­net sind, das sinn­lich Wahr­ge­nom­me­ne, nicht aber das geis­tig Ge­schau­te, aus­zu­drü­cken.

Der In­halt des geis­tig Ge­schau­ten läßt sich nur in Bil­dern (Ima­gi­na­tio­nen) wie­der­ge­ben, durch die In­spi­ra­tio­nen sp­re­chen, die von in­tui­tiv er­leb­ter geis­ti­ger We­sen­heit her­rüh­ren. (Über das We­sen von Ima­gi­na­ti­on, In­spi­ra­ti­on und In­tui­ti­on fin­det man das Not­wen­di­ge in die­ser «Ge­heim­wis­sen­schaft» selbst und in mei­nem Bu­che «Wie er­langt man Er­kennt­nis­se der höhe­ren Wel­ten?».)

Aber der Dar­s­tel­ler der Ima­gi­na­tio­nen aus der Geist-Welt kann ge­gen­wär­tig nicht bloß die­se Ima­gi­na­tio­nen hin­s­tel­len. Er stell­te da­mit et­was dar, das als ein ganz an­de­rer Be­wußt­s­eins­in­halt ne­ben dem Er­kennt­nis­in­halt un­se­res Zei­tal­ters, oh­ne al­len Zu­sam­men­hang mit die­sem, stün­de. Er muß das ge­gen­wär­ti­ge Be­wußt­sein mit dem er­fül­len, was ein an­de­res Be­wußt­sein, das in die Geist-Welt schaut, er­ken­nen kann. Dann wird sei­ne Dar­stel­lung die­se Geist-Welt zum In­hal­te ha­ben; aber die­ser In­halt tritt in der Form von Ge­dan­ken auf, in die er hin­ein­f­ließt. Da­durch wird er dem ge­wöhn­li­chen Be­wußt­sein, das im Sin­ne der Ge­gen­wart denkt, aber noch nicht in die Geist-Welt hin­ein­schaut, voll ver­ständ­lich.

Die­se Ver­ständ­lich­keit bleibt nur dann aus, wenn man sich selbst Hin­der­nis­se vor sie legt. Wenn man die Vor­ur­tei­le, die die Zeit aus ei­ner falsch auf­ge­faß­ten Na­tur-

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An­schau­ung von «Gren­zen des Er­ken­nens» sich ge­bil­det hat, zu den ei­ge­nen macht.

Im Geist-Er­ken­nen ist al­les in inti­mes See­len-Er­le­ben ge­taucht. Nicht nur das geis­ti­ge An­schau­en selbst, son­dern auch das Ver­ste­hen, das das nicht schau­en­de ge­wöhn­li­che Be­wußt­sein den Er­geb­nis­sen des Schau­en­den ent­ge­gen­bringt.

Von die­ser Inti­mi­tät hat kei­ne Ah­nung, wer in di­let­tan­ti­scher Art da­von spricht, daß der, der zu ver­ste­hen glaubt, sich das Ver­ständ­nis selbst sug­ge­riert.

Aber es ist so, daß, was inn­er­halb des Be­g­rei­fens der phy­si­schen Welt bloß in Be­grif­fen als Wahr­heit oder Irr­tum sich aus­lebt, der geis­ti­gen Welt ge­gen­über Er­leb­nis wird.

Wer in sein Ur­teil nur lei­se emp­fin­dend die Be­haup­tung ein­f­lie­ßen läßt, das geis­tig Ge­schau­te ist von dem ge­wöhn­li­chen, noch nicht schau­en­den Be­wußt­sein we­gen des­sen Gren­zen nicht er­faß­bar, dem legt sich die­ses emp­fin­den­de Ur­teil wie ei­ne ver­fins­tern­de Wol­ke vor das Er­fas­sen; und er kann wir­k­lich nicht ver­ste­hen.

Aber dem un­be­fan­ge­nen nicht schau­en­den Be­wußt­sein ist das Ge­schau­te voll ver­ständ­lich, wenn es der Schau­en­de bis in die Ge­dan­ken­form hin­ein­bringt. Es ist ver­ständ­lich, wie dem Nicht-Ma­ler das fer­ti­ge Bild des Ma­lers ver­ständ­lich ist. Und zwar ist das Ver­ständ­nis der Geist-Welt nicht das künst­le­risch-ge­fühls­mä­ß­i­ge wie bei ei­nem Kunst­werk, son­dern ein durch­aus ge­dan­ken­mä­ß­i­ges wie der Na­tur­er­kennt­nis ge­gen­über.

Um aber ein sol­ches Ver­ständ­nis wir­k­lich mög­lich zu ma­chen, muß der Dar­s­tel­ler des geis­tig Ge­schau­ten sei­ne Schau­un­gen bis zu ei­nem rich­ti­gen Hin­ein­gie­ßen in Ge­dan­ken­form brin­gen, oh­ne daß sie inn­er­halb die­ser Form ih­ren ima­gi­na­ti­ven Cha­rak­ter ver­lie­ren.

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Das stand al­les vor mei­ner See­le, als ich mei­ne «Ge­heim­wis­sen­schaft» aus­ar­bei­te­te.

1909 fühl­te ich dann, daß ich mit die­sen Vor­aus­set­zun­gen ein Buch zu­stan­de­brin­gen kön­ne, das: ers­tens den In­halt mei­ner Geis­tes­schau bis zu ei­nem ge­wis­sen, aber zu­nächst ge­nü­gen­den Gra­de, in die Ge­dan­ken­form ge­gos­sen, brach­te; und das zwei­tens von je­dem den­ken­den Men­schen, der sich kei­ne Hin­der­nis­se vor das Ver­ständ­nis legt, ver­stan­den wer­den kann.

Ich sa­ge das heu­te, in­dem ich zu­g­leich aus­sp­re­che, daß da­mals 1909 mir die Ver­öf­f­ent­li­chung des Bu­ches als ein Wag­nis er­schi­en. Denn ich wuß­te ja, daß die ge­for­der­te Un­be­fan­gen­heit ge­ra­de die­je­ni­gen nicht auf­brin­gen kön­nen, die Na­tur­wis­sen­schaft be­ruf­lich trei­ben, und eben­so­we­nig al­le die zahl­rei­chen Per­sön­lich­kei­ten, die in ih­rem Ur­tei­le von die­sen ab­hän­gig sind.

Aber es stand ge­ra­de die Tat­sa­che vor mei­ner See­le, daß in der Zeit, in der sich das Be­wußt­sein der Mensch­heit von der Geist-Welt am wei­tes­ten ent­fernt hat­te, die Mit­tei­lun­gen aus die­ser Geist-Welt ei­ner al­ler­drin­gends­ten Not­wen­dig­keit ent­sp­re­chen.

Ich zähl­te dar­auf, daß es auch Men­schen gibt, die mehr oder we­ni­ger die Ent­fer­nung von al­ler Geis­tig­keit so schwer als Le­bens­hin­der­nis emp­fin­den, daß sie zu Mit­tei­lun­gen aus der Geist-Welt mit in­ne­rer Sehn­sucht grei­fen.

Und die fol­gen­den Jah­re ha­ben das ja voll be­stä­tigt. Die «Theo­so­phie» und «Ge­heim­wis­sen­schaft» ha­ben als Bücher, die im Le­ser gu­ten Wil­len vor­aus­set­zen, auf ei­ne schwie­ri­ge Sti­li­sie­rung ein­zu­ge­hen, wei­te Ver­b­rei­tung ge­fun­den.

Ich ha­be ganz be­wußt an­ge­st­rebt, nicht ei­ne «po­pu­lä­re» Dar­stel­lung zu ge­ben, son­dern ei­ne sol­che, die not­wen­dig

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macht, mit rech­ter Ge­dan­ken­an­st­ren­gung in den In­halt hin­ein­zu­kom­men. Ich ha­be da­mit mei­nen Büchern ei­nen sol­chen Cha­rak­ter auf­ge­prägt, daß de­ren Le­sen selbst schon der An­fang der Geis­tes­schu­lung ist. Denn die ru­hi­ge, be­son­ne­ne Ge­dan­ken­an­st­ren­gung, die die­ses Le­sen not­wen­dig macht, ver­stärkt die See­len­kräf­te und macht sie da­durch fähig, der geis­ti­gen Welt na­he zu kom­men.

Daß ich dem Bu­che den Ti­tel «Ge­heim­wis­sen­schaft» ge­ge­ben ha­be, hat so­g­leich Mißv­er­ständ­nis­se her­vor­ge­ru­fen. Von man­cher Sei­te wur­de ge­sagt, was «Wis­sen­schaft» sein will, darf nicht «ge­heim» sein. Wie we­nig be­dacht war ein sol­cher Ein­wand. Als ob je­mand, der ei­nen In­halt ver­öf­f­ent­licht, mit die­sem «ge­heim» tun wol­le. Das gan­ze Buch zeigt, daß nichts als «ge­heim» be­zeich­net, son­dern eben in ei­ne sol­che Form ge­bracht wer­den soll­te, daß es ver­ständ­lich sei wie nur ir­gend­ei­ne «Wis­sen­schaft». Oder will man, wenn man das Wort «Na­tur­wis­sen­schaft» ge­braucht, nicht an­deu­ten, daß es sich um Wis­sen von der «Na­tur» han­delt? Ge­heim­wis­sen­schaft ist Wis­sen­schaft von dem, was sich in­so­fer­ne im «Ge­hei­men» ab­spielt, als es nicht drau­ßen in der Na­tur wahr­ge­nom­men wird, son­dern da, wo­hin die See­le sich ori­en­tiert, wenn sie ihr In­ne­res nach dem Geis­te rich­tet.

«Ge­heim­wis­sen­schaft» ist Ge­gen­satz von «Na­tur­wis­sen­schaft».

Mei­nen Schau­un­gen in der geis­ti­gen Welt hat man im­mer wie­der ent­ge­gen­ge­hal­ten, sie sei­en ve­r­än­der­te Wie­der­ga­ben des­sen, was im Lau­fe äl­te­rer Zeit an Vor­stel­lun­gen der Men­schen über die Geist-Welt her­vor­ge­t­re­ten ist. Man sag­te, ich hät­te man­cher­lei ge­le­sen, es ins Un­ter­be­wuß­te auf­ge­nom­men und dann in dem Glau­ben, es ent­sprin­ge aus dem ei­ge­nen Schau­en, zur Dar­stel­lung ge­bracht. Aus gnos­ti­schen

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Leh­ren, aus ori­en­ta­li­schen Weis­heits­dich­tun­gen und so wei­ter soll ich mei­ne Dar­stel­lun­gen ge­won­nen ha­ben.

Man ist, in­dem man die­ses be­haup­tet hat, mit den Ge­dan­ken ganz an der Ober­fläche ge­b­lie­ben.

Mei­ne Er­kennt­nis­se des Geis­ti­gen, des­sen bin ich mir voll be­wußt, sind Er­geb­nis­se ei­ge­nen Schau­ens. Ich hat­te je­der­zeit bei al­len Ein­zel­hei­ten und bei den gro­ßen Über­sich­ten mich st­reng ge­prüft, ob ich je­den Schritt im schau­en­den Wei­ter­sch­rei­ten so ma­che, daß voll be­son­ne­nes Be­wußt­sein die­se Schrit­te be­g­lei­te. Wie der Ma­the­ma­ti­ker von Ge­dan­ke zu Ge­dan­ke sch­rei­tet, oh­ne daß Un­be­wuß­tes, Au­to­sug­ges­ti­on und so wei­ter ei­ne Rol­le spie­len, so sag­te ich mir muß geis­ti­ges Schau­en von ob­jek­ti­ver Ima­gi­na­ti­on zu ob­jek­ti­ver Ima­gi­na­ti­on sch­rei­ten, oh­ne daß et­was an­de­res in der See­le lebt als der geis­ti­ge In­halt klar be­son­ne­nen Be­wußt­seins.

Daß man von ei­ner Ima­gi­na­ti­on weiß, sie ist nicht bloß sub­jek­ti­ves Bild, son­dern Bild-Wie­der­ga­be ob­jek­ti­ven Geist-In­hal­tes, da­zu bringt man es durch ge­sun­des in­ne­res Er­le­ben. Man ge­langt da­zu auf geis­tig-see­li­sche Art, wie man im Be­reich der Sin­nes­an­schau­ung bei ge­sun­der Or­ga­ni­sa­ti­on Ein­bil­dun­gen von ob­jek­ti­ven Wahr­neh­mun­gen rich­tig un­ter­schei­det.

So hat­te ich die Er­geb­nis­se mei­nes Schau­ens vor mir. Sie wa­ren zu­nächst «An­schau­un­gen», die oh­ne Na­men leb­ten.

Soll­te ich sie mit­tei­len, so be­durf­te es der Wort­be­zeich­nun­gen. Ich such­te dann spä­ter nach sol­chen in äl­te­ren Dar­stel­lun­gen des Geis­ti­gen, um das noch Wort­lo­se in Wor­ten aus­dru­cken zu kön­nen. Ich ge­brauch­te die­se Wort­be­zeich­nun­gen frei, so daß wohl kaum ei­ne der­sel­ben in mei­nem Ge­brau­che zu­sam­men­fällt mit dem, was sie dort war, wo ich sie fand.

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Ich such­te aber nach sol­cher Mög­lich­keit, mich aus­zu­drü­cken, stets erst, nach­dem mir der In­halt im ei­ge­nen Schau­en auf­ge­gan­gen war.

Vor­her Ge­le­se­nes wuß­te ich beim ei­ge­nen for­schen­den Schau­en durch die Be­wußt­s­eins­ver­fas­sung, die ich eben ge­schil­dert ha­be, aus­zu­schal­ten.

Nun fand man in mei­nen Aus­drü­cken An­klän­ge an äl­te­re Vor­stel­lun­gen. Oh­ne auf den In­halt ein­zu­ge­hen, hielt man sich an sol­che Aus­drü­cke. Sprach ich von «Lo­tos­blu­men» in dem As­tral­leib des Men­schen, so war das ein Be­weis, daß ich in­di­sche Leh­ren, in de­nen man den Aus­druck fin­det, wie­der­gä­be. ja, sprach ich von «As­tral­leib» selbst, so war dies das Er­geb­nis des Le­sens mit­telal­ter­li­cher Schrif­ten. Ge­brauch­te ich die Aus­drü­cke: An­ge­loi, Ar­chan­ge­loi und so wei­ter, so er­neu­er­te ich ein­fach die Vor­stel­lun­gen christ­li­cher Gno­sis.

Sol­ches ganz an der Ober­fläche sich be­we­gen­de Den­ken fand ich im­mer wie­der mir ent­ge­gen­ge­hal­ten.

Auch auf die­se Tat­sa­che woll­te ich ge­gen­wär­tig beim Wie­de­r­er­schei­nen der «Ge­heim­wis­sen­schaft» in neu­er Aufla­ge hin­wei­sen. Das Buch ent­hält ja die Um­ris­se der An­thro­po­so­phie als ei­nes Gan­zen. Es wird da­her vor­züg­lich be­trof­fen von den Mißv­er­ständ­nis­sen, de­nen die­se aus­ge­setzt ist.

Ich ha­be seit der Zeit, in der in mei­ner See­le die Ima­gi­na­tio­nen, die das Buch wie­der­gibt, in ein Ge­samt­bild zu­sam­men­ge­f­los­sen sind, un­aus­ge­setzt das for­schen­de Schau­en in den Men­schen, in das ge­schicht­li­che Wer­den der Mensch­heit, in den Kos­mos und so wei­ter fort­ge­bil­det; ich bin im ein­zel­nen zu im­mer neu­en Er­geb­nis­sen ge­kom­men. Aber, was ich in der «Ge­heim­wis­sen­schaft» vor fünf­zehn Jah­ren als Um­riß ge­ge­ben ha­be, ist für mich in nichts er­schüt­tert

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wor­den. Al­les, was ich seit­her sa­gen konn­te, er­scheint, wenn es an der rech­ten Stel­le die­sem Bu­che ein­ge­fügt wird, als ei­ne wei­te­re Aus­füh­rung der da­ma­li­gen Skiz­ze.

Goe­thea­num, 10. Ja­nuar 1925

Ru­dolf Stei­ner

Literatur

Originalausgaben

  • Die Geheimwissenschaft im Umriss, 3. Auflage, Verlag von Max Altmann, Leipzig 1910 pdf (1910)
  • Die Geheimwissenschaft im Umriss, Sechte, vielfach ergänzte und erweiterte Auflage, Verlag von Max Altmann, Leipzig 1913 pdf (1913)
  • Die Geheimwissenschaft im Umriss, Siebente bis fünfzehnte, vielfach umgearbeitete, ergänzte und erweiterte Auflage, Verlag von Max Altmann, Leipzig 1920 pdf (1920)
  • Die Geheimwissenschaft im Umriss, Philosophisch-Anthroposophischer Verlag am Goetheanum, Dornach 1925 pdf (1925)
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