GA 297a

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE ÜBER ERZIEHUNG

Erziehung zum Leben

Selbsterziehung
und pädagogische Praxis

Fünf Vorträge, ein Autorreferat,
zwei Fragenbeantwortungen und ein Zeitungsbericht
zwischen dem 24. Februar 1921 und 4. April 1924
in verschiedenen Orten

GA 297a

1998

Inhaltsverzeichnis


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ERZIEHUNGS-, UNTERRICHTS- UND PRAKTISCHE LEBENSFRAGEN VOM GESICHTSPUNKTE ANTHROPOSOPHISCHER GEISTESWISSENSCHAFT Utrecht, 24. Februar 1921

Was ich mir am letzten Montag hier in Utrecht auseinanderzu­setzen erlaubte, bezog sich darauf, daß durch anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft eine Methode, ein wissenschaft­licher Weg gefunden werden soll, um in die geistige, in die über-sinnliche Umwelt einzudringen.

Ich habe darauf aufmerksam gemacht, wie das Eindringen in die­se Umwelt erst möglich ist, wenn der Mensch gewisse Fähigkeiten und Kräfte, die allerdings in jeder Seele schlummern, aus dieser Seele hervorholt, und wenn er dasjenige, was gewöhnliche Erkennt­nis ist, hinaufhebt zum Schauen; zum Schauen, das zum Beispiel dahin kommt, das volle Bewußtsein davon zu entwickeln, was es heißt, ein seelisch-geistiges Leben zu haben, unabhängig von aller Leiblichkeit. Wir wissen ja gerade durch die moderne Wissenschaft - und in bezug auf das alltägliche Seelenleben hat diese Wissen­schaft durchaus recht -, daß dieses gewöhnliche Seelenleben an das Instrument des Leibes gebunden ist. Und erst die geisteswissenschaftlichen Methoden können das geistig-seelische Leben losreißen vom Leibe, können dadurch vordringen zu dem Wesen-haften im Menschen, das in der geistigen Welt weilt, bevor es durch Empfängnis oder Geburt sich mit einem physischen Leibe vereinigt hat, das durch die Pforte des Todes geht, den menschlichen Leib ablegt und wiederum bewußt in eine geistige Welt eindringt.

Und ich führte weiter aus am letzten Montag, daß derjenige, der so Bekanntschaft macht mit des Menschen eigenem übersinnlichen Wesen, auch hinter dem Sinnlichen der Natur und hinter alledem, was mit dem gewöhnlichem Verstande zu erkunden ist, eine über­sinnliche Umwelt, eine Umwelt von geistigen Wesenheiten wahr­zunehmen in der Lage ist.

Das, was auf diese Weise als das Geistig-Seelische im Menschen

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erkannt wird, was erkannt wird als das Geistige der Welt, in der wir leben, das befähigt uns eigentlich erst. eine wirkliche Menschen­erkenntnis zu erhalten.

Wir haben ja im Laufe der drei bis vier letzten Jahrhunderte eine vollendete Naturwissenschaft erhalten, allein, wir haben aus dieser Naturwissenschaft keine Menschenerkenntnis schöpfen können. In der Entwicklungstheorie gehen wir von den niedersten Lebewesen aus. Wir steigen hinauf bis zum Menschen; wir betrachten diesen gewissermaßen als das Endglied der tierischen Reihe. Wir erfahren dadurch, was der Mensch gemeinsam hat mit den übrigen Organis­men, wir erfahren aber nicht, was der Mensch als Eigenwesen in der Welt eigentlich ist. Das erfahren wir erst durch anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft. Und das, was sich so in der Er­kenntnis geltend macht, es macht sich schließlich auch in den Empfindungen und Impulsen geltend, die die neuere Menschheit im sozialen Leben entwickelt hat.

Man bedenke nur, wie zahlreiche Menschen, die sich durch die moderne Technik gewissermaßen als eine neue Menschenklasse ent­wickelt haben, durch die ganze moderne Wirtschaftsform - eigent­lich unter dem Einfluß gewisser sozialistischer Theorien - glauben, dasjenige, was im Menschen lebt als Sittlichkeit, als Wissenschaft, als Religion, als Kunst, sei nicht aus einem ursprünglichen Geisti­gen herausgeschöpft, sondern das sei nur aus dem geschöpft, was wirtschaftliche, materielle Vorgänge sind. Die Theorie, zu der sich die moderne Sozialdemokratie bekennt, die Theorie, die in so zer­störender Weise im Osten von Europa hat Wirklichkeit werden wollen, diese Theorie sieht im Grunde genommen in dem Außer­menschlichen die Kräfte, welche die Geschichte beherrschen. Und das, was der Mensch hervorbringt in Kunst, Sitte, Recht, Religion, das erscheint nur wie eine Art von Rauch. Die Leute nennen das einen Überbau, der sich auf dem Unterbau aufrichtet. Es ist wie ein Rauch, der herauskommt aus dem rein Wirtschaftlich-Materiellen. Auch da, in diesem Hineinstellen des Menschen in die praktische Welt, ist der eigentliche Mensch ausgelöscht. Wenn wir cha­rakterisieren sollen, was die moderne Bildung und das moderne

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soziale Bewußtsein heraufgebracht haben, so können wir nicht an­ders sagen als: der Mensch wurde ausgelöscht.

Was Geisteswissenschaft, wie sie hier gemeint ist, der Mensch­heit wieder bringen soll, das ist Erkenntnis des Menschen, Würdi­gung des Menschen, Anknüpfung der menschlichen Wesenheit als einer übersinnlichen an die übersinnliche, universelle Wesenheit der Welt.

Und damit steht man erst in der wahren Wirklichkeit. Damit steht man erst auf einem Boden, der in ein wirklich praktisches Leben hineinführt. Das möchte ich Ihnen heute zuerst erhärten an der Erziehungs- und Unterrichtsfrage. Und da - so wie sie von der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft in Dornach ausgeht -diese anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft von Anfang an nicht weltfremd und weltenfern gedacht ist, sondern durchaus wirklichkeitsgemäß gedacht ist, durchaus praktisch, so hat sie von Anfang an versucht, als sie sich in die soziale Not und in den sozia­len Niedergang der neueren Zeit hineinstellen mußte, praktisch in das Leben einzugreifen. Und eine der ersten praktischen Gründun­gen geschah ja auf dem Gebiete des Schulwesens mit der Freien Waldorfschule, die Emil Molt in Stuttgart begründet hat und die ich selber pädagogisch-didaktisch zu leiten habe. In dieser Freien Wal­dorfschule werden diejenigen Impulse einer wirklichen Menschen-erkenntnis pädagogisch-didaktisch ausgebaut, die aus anthro­posophisch orientierter Geisteswissenschaft fließen können.

Seit langer Zeit spricht man davon, daß so erzogen und unter­richtet werden solle, daß man nicht in die Seele des Kindes dieses oder jenes hineinpfropft, sondern daß man das, was im Menschen ist, aus der menschlichen Seele heraus entwickelt. Aber wenn man dieses so ausspricht, ist es ja zunächst nur ein abstrakter Grundsatz. Nicht darum handelt es sich aber, daß man verstandesgemäß dieses Prinzip hat, aus der Menschenseele etwas herauszuholen, sondern darum handelt es sich, daß man die werdende Menschenseele im Kind wirklich beobachten kann. Und dafür muß man zunächst einen Sinn entwickeln. Diesen Sinn entwickelt nun erst derjenige, der sich bewußt ist, wie die eigentliche Individualität des Menschen,

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die eigentliche geistig-seelische Wesenheit aus einer geistigen Welt, in der sie lange gelebt hat, heruntersteigt; wie von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahr in alledem, was sich physisch, was sich seelisch ausbildet in dem Kind, ein Übersinnliches lebt; wie uns als Erziehenden, als Lehrenden aus einer übersinnlichen Welt etwas übergeben ist, was wir zu enträtseln haben. Wenn wir von Tag zu Tag sehen, wie die physiognomischen Züge des Kindes deutlicher und deutlicher werden, wenn wir entziffern können, wie sich ein Geistig-Seelisches, das uns aus der geistigen Welt herunter-geschickt ist, in diesen physiognomischen Zügen nach und nach enträtselt und enthüllt, da handelt es sich darum, daß man vor allen Dingen als die Grundlage einer pädagogisch-didaktischen Kunst ein ehrfurchtsvolles Gefühl gegenüber der aus geistigen Welten herun­tersteigenden übersinnlichen Menschenwesenheit ausbildet.

Die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft gibt die Möglichkeit, wirklich von Jahr zu Jahr das Kind in seinem Werden zu beobachten. Da möchte ich zunächst einmal die Hauptetappen der menschlichen Entwicklung aufzeigen.

Man sagt sehr häufig, die Natur oder die Welt mache keine Sprünge. Nun, solche Dinge werden fortwährend nachgesprochen, ohne daß man eigentlich hinschaut auf das, was sie bedeuten sollen. Macht denn nicht die Natur fortwährend Sprünge, wenn sie das grüne Laubblatt entwickelt und nachher wie mit einem Sprunge das Kelchblatt und das farbige Blumenblatt und nachher wieder Staub-gefäße und so weiter? - Und so ist es auch mit dem Menschenleben. Für den, der unbefangen aus all den Anregungen und Impulsen heraus, die ihm anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft geben kann, dieses werdende Menschenleben im Kind beobachtet, der findet vor allen Dingen - und zwar nicht aus mystischen Unter­gründen heraus, sondern eben aus treulicher Beobachtung - einen Sprung in der Entwicklung so um das siebente Jahr herum, wenn das Kind beginnt, die zweiten Zähne zu bekommen. Hier merkt man dann, wie unsere Seelenkunde, so wie sie in der gebräuchlichen Wissenschaft heute lebt, im Grunde genommen etwas außerordent­lich Phrasenhaftes geworden ist. Man unterscheidet ja wohl, wenn

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man nicht ganz materialistisch geworden ist, zwischen Leib und Seele. Aber man redet mit einer außerordentlichen Abstraktion von der Beziehung zwischen Leib und Seele. Man gewöhnt sich nicht an, auf diesem Gebiet in derselben Weise treu und unbefangen zu beobachten, wie man das in der Naturwissenschaft gelernt hat. In der Naturwissenschaft lernt man zum Beispiel, wenn durch irgend­einen Vorgang Wärme erscheint, die man nicht zugeführt hat, daß diese Wärme in irgendeiner anderen Form - man sagt in der Physik «latent» - in einem Körper war. Man sagt, daß die latente Wärme frei geworden ist. Von dieser Gesinnung, die die Naturwissenschaft gibt, muß man sich auch für die Menschenwissenschaft, die aller­dings dann gegenüber der Naturwissenschaft vergeistigt sein muß, durchdringen. So muß man sorgfältig beobachten: Was wird denn an dem Menschen anders, wenn er die Lebensepoche des Zahn­wechselns überschreitet?

Nun, wir können, wenn wir wirklich die nötige Unbefangenheit zur Beobachtung haben, sehen, wie das Kind, wenn es über das sie­bente Jahr hinauskommt, eigentlich erst anfängt, umrissene, kontu­rierte Vorstellungen zu bekommen, während es vorher keine sol­chen Vorstellungen hatte. Wir können sehen, wie eigentlich erst mit dieser Zeit die Möglichkeit beginnt, in eigentlichen Gedanken -wenn sie auch noch so kindlich sind - zu denken. Wir sehen, wie da aus der kindlichen Seele etwas heraustritt, was vorher in dem menschlichen Organismus verborgen war. Wer sich einen geistigen Blick für diese Sache angeeignet hat, der sieht, wie das Seelenleben des Kindes ganz anders wird, wenn der Zahnwechsel beginnt; wie da etwas aus dem tiefsten, verborgensten Innern an die Oberfläche des Seelenlebens tritt. Wo war denn das vorher, was da als das Den­ken in Konturen, als bestimmtes Vorstellungsleben auftritt? Das war als Wachstumsprinzip im Menschen; das durchdrang den Or­ganismus; das lebte als Geistig-Seelisches in dem Wachsen, das dann seinen Abschluß findet, wenn aus dem Innern die Zähne her­ausgetrieben werden, die die früheren Zähne abstoßen. Wenn ein Schlußpunkt gemacht wird mit diesem Wachstum, das in dem Zahnwechsel seinen Abschluß findet, dann bleibt gewissermaßen

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nur ein Wachstum übrig, zu dem nicht so intensive Kräfte notwen­dig sind. Wir sehen also, wie dasjenige, was später beim Kind das Denken ist, einmal innerlich organische Wachstumskraft war und wie sich diese organische Wachstumskraft metamorphisch umbildet und als Seelenkraft zutage tritt.

Durch eine solche Betrachtungsweise kommen wir zu einer Seelenkunde, die nicht phrasenhaft ist, die im Grunde genommen -nur hinauf ins Geistige umgesetzt - auf denselben Methoden be­ruht, auf denen die Naturwissenschaft auch beruht. Wie die Natur­wissenschaft eine treue Beobachtung physischer Art ist, so ist, um den Menschen zu verstehen, eine treue Beobachtung notwendig, aber jetzt des Geistig-Seelischen. Lernt man in dieser Weise den Menschen durchschauen, dann verwandelt sich allerdings dieses Anschauen des Menschen in ein künstlerisches Anschauen. Es ist tatsächlich so, daß heute die Menschen vielfach sagen, wenn man so etwas ausspricht, wie ich es eben aussprach: Ja, man müsse nur irgend etwas wissenschaftlich, erkenntnismäßig betrachten; man müsse bei der nüchternen Logik bleiben; man müsse durch den Verstand auf abstrakt formulierte Naturgesetze losarbeiten. - Das mag eine bequeme menschliche Forderung sein. Dem Menschen mag es so erscheinen, daß er alles in der weitmaschigen Begriffslo­gik erfassen möchte, um hinter die Dinge zu kommen. Wenn aber die Natur nicht so verfährt? Wenn aber die Natur künstlerisch arbeitet? Dann ist es notwendig, daß wir mit unserem Erkennt­nisvermögen ihr auf ihrem künstlerischen Wege folgen. Wer in die Natur und in die Welt überhaupt hineinschaut, der wird wahrneh­men, daß dasjenige, was wir durch nüchterne Logik in Naturgeset­zen zustande bringen, sich zu dem, was die ganze, volle, intensive Wirklichkeit ist, so verhält, wie wenn ich mit Kohlestrichen eine Zeichnung mache zu einem in allen Farben gemalten Bild.

Anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft schöpft aus der vollen physisch-geistigen Wirklichkeit. Daher gestaltet sie das bloße logische Erkennen zum künstlerischen Erfassen um. Dadurch aber ist man auch imstande, den Lehrenden, den Unterrichtenden, den Erziehenden zu einem pädagogisch-didaktischen Künstler zu

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machen, der sich für jede einzelne Lebensäußerung des Kindes eine feine Empfindung erwirbt. Und in der Tat ist es ja so, daß jedes Kind seine besonderen, individuellen Lebensäußerungen hat. Man kann diese nicht in einer abstrakt pädagogischen Wissenschaft regi­strieren, man kann sie aber erfassen, wenn man aus dem vollen Menschentum heraus anthroposophisch orientierte Impulse be­kommt und sich dadurch ein intuitives Anschauen des Geistig-See­lischen im Menschen verschafft, das dann in das Physisch-Leibliche hereinwirkt. Denn was im Groben als die Denkkraft vor dem Zahn-wechsel im Wachstum des Kindes wirkt, das sehen wir weiterhin feiner als Geistig-Seelisches im Kind tätig. Das müssen wir als Leh­render, als Erziehender von Tag zu Tag mit künstlerischem Sinn verfolgen, dann werden wir dem Kind dasjenige sein können, was ein wirklicher Erzieher, ein wirklicher Lehrer dem Kinde sein soll.

Ich möchte mit einigen Strichen charakterisieren, wie nun die erste Lebensepoche von der Geburt bis zum Zahnwechsel, wie die zweite Lebensepoche vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife sich ergibt. - In der ersten Epoche, also vom ersten bis zum sieben­ten Lebensjahr ist der Mensch vorzugsweise ein nachahmendes Wesen. Aber wir müssen das im vollsten Sinn des Wortes verstehen. Der Mensch tritt in die Welt hinein, er gibt sich ganz seiner Umge­bung hin. Namentlich dasjenige, was er zunächst als seine Willens­und Instinktimpulse zum Vorschein bringt, das bildet er so aus, daß er dasjenige nachahmt, was in seiner Umgebung ist. Auch die Spra­che wird zunächst so gelernt, daß ihr Nachahmung, Imitation zu­grunde liegt. Zwischen der Geburt und dem siebenten Jahr ist das Kind ganz und gar ein Nachahmer. Das muß berücksichtigt wer­den. Man muß in solchen Dingen tatsächlich die letzten Kon­sequenzen ziehen können. - Wenn man in diesen Dingen mit der Welt verkehrt, dann kommen manchmal die Leute und fragen um Rat in der einen oder anderen Angelegenheit. So zum Beispiel sagte mir einmal ein Vater, er hätte so zu klagen über sein fünfjähriges Kind. Was hat das fünfjährige Kind denn getan? fragte ich. Es hat gestohlen, sagte traurig der Vater. Ich sagte ihm: Dann muß man aber erst erfahren, wie sich eigentlich der Diebstahl verhält. Da erzählte

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er mir, das Kind habe allerdings nicht aus bösem Willen gestohlen. Es hätte Geld aus der Schublade seiner Mutter genom­men und Näschereien gekauft, diese Näschereien aber dann auf der Straße unter andere Kinder verteilt. Also blinder Egoismus war es nicht. Was war es denn? Nun, das Kind hat Tag für Tag gesehen, wie die Mutter aus der Schublade das Geld herausnimmt. Mit fünf Jahren ist das Kind ein Nachahmer. Es hat nicht gestohlen, es hat einfach die Dinge, die die Mutter Tag für Tag tut, auch einmal nach­geahmt, denn das betrachtet das Kind ganz instinktiv als das Rich­tige, was die Mutter immer tut. - Das ist nur solch ein Beispiel für all die feinen Dinge, die man wissen muß, wenn man in einer wirk­lich dem Menschenwesen entsprechenden Weise seine Erziehungs­kunst auffassen will.

Wir wissen aber auch, daß das Kind im Nachahmen spielt. Im Grunde genommen ist der Spieltrieb nicht etwas Uroriginelles, son­dern er ist eine Nachahmung dessen, was in der Umgebung gesehen wird. Wer unbefangen genug zu Werke geht, wird schon gewahr, wie dem Spiel durchaus auch Nachahmung zugrunde liegt. Aber jedes Kind spielt anders. Der Erzieher des kleinen Kindes vor dem siebenten Jahr muß sich ein sorgfältiges Urteil darüber erwerben -und man hat künstlerischen Sinn notwendig zu einem solchen Ur­teil, weil das bei jedem Kind anders ist -, der Erzieher muß sich einen künstlerischen Blick aneignen dafür, wie das Kind spielt. Im Grunde genommen spielt jedes Kind auf seine eigene Art. Und das, wie ein Kind spielt, namentlich wie es im vierten, fünften, sechsten Jahr spielt, das geht dann in die Tiefen der Seele als eine Kraft hin­ein. Das Kind wird älter, man merkt zunächst nichts davon, wie die eine oder andere besondere Art zu spielen in den späteren Charak­tereigenschaften des Kindes zutage tritt. Das Kind wird andere Kräfte, andere Seelenfähigkeiten entwickeln; was die besondere Wesenheit seines Spieles war, das schlüpft wie ins Verborgene der Seele hinein. Aber es tritt später wieder zutage, und zwar tritt es auf eigentümliche Weise zutage, so im fünfundzwanzigsten bis dreißig­sten Lebensjahr des Menschen, in derjenigen Zeit des Lebens, in der der Mensch sich hineinzufinden hat in die äußere Welt, in die Welt

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der äußeren Erfahrung, der äußeren Schicksale. Der eine stellt sich geschickt, der andere stellt sich ungeschickt hinein. Der eine wird fertig mit der Welt, so daß er von seinem eigenen Handeln gegen­über der Welt eine gewisse Befriedigung hat; der andere kann nicht mit seinem Handeln da oder dort eingreifen, er hat ein schweres Schicksal.

Man muß das Leben des ganzen Menschen kennen lernen, man muß sehen, wie in geheimnisvoller Weise der Spielsinn in diesem Lebenssinn in den zwanziger Jahren wiederum herauskommt. Dann wird man eine künstlerisch geartete Vorstellung darüber gewinnen, wie man den Spieltrieb zu lenken und zu leiten hat, um so für eine spätere Lebenszeit dem Menschen etwas mitgeben zu können.

Die heutige Pädagogik leidet vielfach an abstrakten Grundsät­zen. Hingegen möchte anthroposophisch orientierte Geisteswissen­schaft der Pädagogik einen künstlerisch-didaktischen Sinn geben, will im frühesten Jugendalter so wirken, daß dasjenige, was da gebildet wird, eine Mitgift ist für das ganze Leben des Menschen. Denn will jemand Menschen unterrichten und erziehen, dann muß er das ganze menschliche Leben kennen lernen. Für solche Men­schenkenntnis hat die in ihrer Art großartige naturwissenschaftliche Entwicklung der letzten Jahrhunderte eben gar nicht gesorgt. Be­denken Sie, was es für eine soziale Bedeutung hat, wenn man dem Kind wirklich solch eine Mitgift geben kann, wie ich sie charakteri­siert habe.

Wenn das Kind nun den Zahnwechsel hinter sich hat oder we­nigstens bekommen hat, dann tritt die zweite Lebensepoche des Kindes ein. Dann tritt ja das eigentliche Schulalter ein, dasjenige, was man besonders sorgfältig zu studieren hat, wenn man vom Gesichtspunkte wahrer Menschenkenntnis aus Pädagogik treiben will. - Während das Kind bis zum siebenten Jahr im wesentlichen ein Nachahmer ist, entwickelt sich vom siebenten Jahr bis zur Ge­schlechtsreife, also etwa bis zum dreizehnten bis sechzehnten Jahr -es ist ja verschieden bei den verschiedenen Individualitäten - das­jenige, was der, der unbefangen solche Dinge betrachtet, erkennt als den natürlichen Drang, sich einer Autorität, einer menschlichen

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Autorität, einer Lehrer-, einer Erzieherautorität hinzugeben. Weh ist es einem ums Herz heute, wenn man hört aus allen möglichen Parteirichtungen heraus, daß eine Art von demokratischem Sinn schon in die Schule eintreten soll; daß die Kinder gewissermaßen schon eine Art Selbstverwaltung ausüben sollen. Mit so etwas, was da aus allen möglichen Parteianschauungen herausquillt, lehnt man sich auf gegen das, was gerade die menschliche Natur will. Wer sich wahre Menschenerkenntnis erwirbt, weiß, was es heißt für das gan­ze spätere Leben, wenn man zwischen dem siebenten und dem fünfzehnten Jahr mit hingebungsvoller Verehrung zu einer oder mehreren menschlichen Autoritäten hinauf hat sehen können; wenn man dasjenige wahr genannt hat, wovon diese menschlichen Auto­ritäten gesagt haben, daß es wahr sei; wenn man das als schön emp­funden hat, was diese menschlichen Autoritäten als schön empfun­den haben; wenn man ebenso gut gefunden hat dasjenige, was solche verehrten Persönlichkeiten als das Gute vor uns hingestellt haben. - Wie man nachahmt bis zum siebenten Jahr, so will man bis zur Geschlechtsreife an dasjenige glauben, was von der Autorität kommt. Das ist die Zeit, wo man unter den imponderablen Ein­flüssen stehen muß von demjenigen, was von einer Seele, von einer Persönlichkeit ausgehen kann.

Wir haben die Freie Waldorfschule in Stuttgart gegründet. Viele Menschen sagen, sie möchten die Waldorfschule besuchen, um nun da irgend etwas kennenzulernen von dem, was Methode und so weiter dieser Waldorfschule ist. - Man denke sich einmal einen Kupferstich der Sixtinischen Madonna, und jemand schnitte ein Stück heraus, um sich dadurch eine Anschauung zu verschaffen von der Sixtinischen Madonna. Das wäre ebenso, wie wenn man viel­leicht auch durch vierzehn Tage oder drei Wochen anschauen wür­de dasjenige, was in der Waldorfschule geschieht. Man würde dann nicht einmal etwas Besonderes sehen. Denn was in der Waldorf­schule geschieht, ist ein Ergebnis anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft. Diejenigen, die dort Lehrer sind, haben sich ihre künstlerische Pädagogik und Didaktik angeeignet aus den Im­pulsen anthroposophischer Geisteswissenschaft. Wer die Waldorfschule

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kennen lernen will, der muß vor allen Dingen anthroposo­phisch orientierte Geisteswissenschaft kennen lernen. Aber nicht so, wie man sie von außen kennen lernt, wo man den Leuten vor-macht, daß es sich um irgendeine vertrackte, nebulose Mystik, um Sektiererei handelt; nein, von innen muß man diese anthroposo­phisch orientierte Geisteswissenschaft kennen lernen, wie sie aus dem vollen Menschentum dasjenige herausschöpft, was der Mensch als sinnliches und als übersinnliches Wesen innerhalb der Welt und innerhalb der Zeit in Wirklichkeit ist.

Man kommt allerdings durch diese Dinge darauf, in welcher, man kann sagen übersinnlichen Art von einer solchen autoritativen Persönlichkeit gewirkt wird. Dafür ein Beispiel. Man könnte sich ausdenken ein Bild - und in Bildern soll man vorzugsweise zu den Kindern vom siebenten bis zum vierzehnten Jahr, namentlich aber bis zum zehnten Jahr sprechen. Nehmen wir irgendein Bild, durch das wir dem Kinde eine Vorstellung, eine Empfindung beibringen wollen über die Unsterblichkeit der Seele. Man kann sich dieses Bild ausdenken. Man kann aber auch das Kind hinweisen auf die Schmetterlingspuppe, wie der Schmetterling auskriecht aus der Puppe. Und man sagt dem Kind: Wie die Puppe ist der menschliche Leib. Der Schmetterling fliegt aus der Puppe heraus. Wenn der Mensch durch den Tod geht, geht die unsterbliche Seele aus dem Leib heraus wie der Schmetterling aus der Schmetterlingspuppe. Sie geht in die geistige Welt über. - Aus einem solchen Bild ist viel zu gewinnen. Aber eine wirkliche Empfindung von der Unsterblich­keit der Seele wird man einem Kind durch ein solches Bild nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen beibringen. - Sehen Sie, wenn man sich als Lehrer etwa denkt: Ich bin gescheit, das Kind ist dumm, es muß erst gescheit werden - und man denkt so etwas aus, um dem Kind etwas begreiflich zu machen -, so wird man vielleicht einiges erreichen, aber was das Kind wirklich zur Empfindung der Unsterblichkeit bringt, das erreicht man ganz sicher nicht. Denn nur das wirkt auf das Kind, was man selber glaubt, in dem man selber ganz drinnen steht. Anthroposophisch orientierte Geistes­wissenschaft gibt einem die Möglichkeit, zu sagen: Ich glaube selbst

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an dieses Bild; für mich ist dieses Auskriechen des Schmetterlings aus der Puppe durchaus dasjenige, was nicht ich mir ausgedacht habe, sondern was die Natur selber auf einer niedrigeren Stufe hin­stellt für dieselbe Tatsache, die auf einer höheren Stufe das Hervor­gehen der unsterblichen Seele aus dem Leibe ist. Glaube ich selber an das Bild, stehe ich in dem Inhalt des Bildes drinnen, dann wirkt mein Glaube glaubens-, vorstellungs- und empfindungsweckend auf das Kind. Diese Dinge sind durchaus imponderabel.

Was äußerlich vorgeht, ist nicht einmal so wichtig wie das, was sich abspielt zwischen der Empfindung des Lehrenden und der Empfindung des Zöglings. Es ist nicht gleichgültig, ob ich mit edlen Gedanken in die Schule hineingehe oder mit unedlen und ob ich glaube, einfach das, was ich ausspreche, sei das, was wirkt. Ich wer­de dem, was ich ausspreche, eine Tonnuance geben, die nicht in die Seele hineinwirkt, wenn ich nicht mit edlen Gedanken und vor allen Dingen mit den Gedanken, die gegenüber dem, was ich ausspreche, wahrhaftig sind, das Schulzimmer betrete. - Das zunächst über das Verhältnis des Zöglings zum Lehrer in der zweiten Lebensepoche vom siebenten bis zum fünfzehnten Jahr. Es wäre noch vieles dar­über zu sagen, allein ich will nur einzelnes Konkretes herausheben, damit Sie den ganzen Geist kennen lernen, von dem die Pädagogik und Didaktik beseelt ist, die aus anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft fließt

Dann haben wir in der Waldorfschule den Anfang damit ge­macht, nun wirklich aus dem Kinde dasjenige herauszuholen, was es lernen soll. Da stehen wir, gerade wenn wir das Kind hereinneh­men in die Volksschule, vor sehr bedeutsamen Rätselfragen. Wir sollen dem Kind beibringen das Lesen, das Schreiben der Schrift; aber gegenüber dem, was im Menschen lebt, ist ja die Schrift, das Gedruckte längst innerhalb der menschlichen Zivilisation etwas ganz Abstraktes geworden, etwas, was Zeichennatur angenommen hat und nicht mehr in innigem Zusammenhang steht mit dem vol­len, ursprünglichen, elementaren Seelenleben des Menschen. Nicht voll, aber doch einigermaßen gibt die äußere Kulturge'schichte über solche Dinge einigen Aufschluß. Wenn wir zurückgehen in die verschiedenen

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Kulturen, finden wir die Bilderschrift, wo allerdings in dem, was äußerlich fixiert wurde, bildhaft festgehalten wurde, was man eigentlich meinte. Es war in der älteren Kultur die Schrift nicht bis zu einer solchen Abstraktheit des bloßen Zeichens gebracht worden, wie das heute der Fall ist. Wir bringen in der Tat, wenn wir in der gewöhnlichen Weise Lesen oder Schreiben lehren, an das Kind etwas heran, was zunächst gar nicht mit seiner Natur ver­wandt ist. Daher wird eine Pädagogik und Didaktik, die wirklich aus voller Menschenerkenntnis herausgeholt ist, nicht das Lesen und Schreiben lehren, wie man das gewöhnlich tut, sondern wir gehen bei unserer Methode von dem Kindlich-Künstlerischen aus. Wir beginnen überhaupt nicht mit dem Lesen, nicht einmal mit dem Schreiben im gewöhnlichen Sinne des Wortes, sondern mit einer Art malendem Zeichnen, zeichnendem Malen. Wir führen das Kind dazu, daß es nicht bloß aus dem Kopf heraus Buchstaben formen lernt, sondern aus dem ganzen Menschen heraus Linien und For­men, in farbiger Zeichnung sogar, auf das Papier oder sonst auf eine Fläche bringt; Linien und Formen, die durchaus naturgemäß aus dem menschlichen Organismus herausfließen. Dann führen wir all­mählich das, was aus dem Künstlerischen herausgeholt ist, über in die Buchstabenformen zuerst durch das Schreiben, und vom Schrei­ben aus gehen wir erst zum Lesen über. Das ist unser Ideal. Es ist vielleicht schwierig, es in der Anfangszeit durchzusetzen, aber es ist ein Ideal einer wirklichen Didaktik, die aus voller Menschen-erkenntnis folgt. Und so wie in diesem Fall wird dasjenige, was Menschenkenntnis ist, aller Erziehung und allem Unterricht zu­grundegelegt.

Wir gehen zum Beispiel von musikalisch-rhythmischen Fähig­keiten beim Kinde aus, weil diese aus der menschlichen Natur herausfließen und weil wir wissen, daß das Kind, das in der ent­sprechenden Weise um das siebente Jahr herum richtig musikalisch angeregt wird, in dieser musikalischen Anleitung eine besondere Stählung und Stärkung des Willens erfährt.

Nun, wir versuchen namentlich dasjenige, was dann dem Kind beizubringen ist, eben in bildlicher Form beizubringen, so daß das

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Kind nicht zu früh ins intellektualistische Leben hineingeführt wird. Wir beachten ferner, daß zwischen dem neunten und zehnten bis elften Lebensjahr des Kindes ein wichtiger Wendepunkt liegt. Wer das kindliche Leben in der richtigen Weise beobachten kann, der weiß, daß zwischen dem neunten und elften Jahr beim Kind ein Lebensentwicklungspunkt liegt, der - je nachdem, wie er von dem Erziehenden und Lehrenden erkannt wird - das Schicksal, das inne­re und oft auch das äußere Schicksal des Menschen im günstigen oder ungünstigen Sinne beeinflußt. Bis zu diesem Zeitpunkt son-dert sich das Kind wenig ab von seiner Umgebung, und man muß Rücksicht darauf nehmen, daß das Kind eine Pflanze vor dem neun­ten Jahr anders beschrieben erhalten muß als nachher. Es identifi­ziert sich das Kind vorher mit allem, was es umgibt; dann lernt es sich unterscheiden; dann tritt ihm eigentlich erst der Ich-Begriff entgegen - vorher hatte es nur eine Ich-Empfindung. Wir müssen beobachten, wie das Kind sich verhält, wie es bestimmte Fragen an­ders zu formulieren beginnt von diesem Zeitpunkte an. Wir müssen bei jeder einzelnen kindlichen Individualität auf diesen wichtigen Zeitpunkt eingehen, weil der für das ganze folgende Leben aus­schlaggebend ist.

Wir müssen uns zum Beispiel noch weiter klar sein, daß solche Gegenstände wie Physik und dergleichen, die sich ganz absondern vom Menschen, die nur dadurch eine gewisse Vollkommenheit er­langen, daß alles Subjektive aus der Formulierung ihrer Gesetze ausgeschlossen wird, erst vom elften, zwölften Jahre an das Kind herangebracht werden dürfen. Dagegen treiben wir die gebräuch­lichen fremden Sprachen mit unseren Kindern auf eine praktische Art gleich vom Beginn der Volksschulzeit an. Man sieht dann, wie tatsächlich dadurch, daß man die fremde Sprache nicht überset­zungsweise treibt, sondern das Kind sich in den Geist der anderen Sprache einleben läßt, in der Tat das ganze Seelengefüge des Kindes sich weitet. - So wird aus diesem Geiste heraus eine künstlerische Didaktik und Pädagogik gestaltet. Ich könnte hier im einzelnen noch acht Tage lang fortreden über die Gestaltung einer solchen Pädagogik und Didaktik als Kunst. Sie sehen aber, wie unmittelbar

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ins Praktische der Erziehung überfließt, was aus anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft kommt.

Und wie nimmt sich das beim einzelnen Lehrer aus? Es nimmt sich so aus, daß er tatsächlich etwas anderes durch diese anthropo­sophisch orientierte Geisteswissenschaft bekommt, als man aus der ubrigen heutigen wissenschaftlichen Bildung heraus bekommen kann. Und hier berühren wir eine der bedeutsamsten sozialen Fragen der Gegenwart.

Von der sozialen Frage sagt man, daß sie die Grundfrage unserer Zeit ist, aber man faßt sie meistens nur als äußere wirtschaftliche Frage auf, man faßt sie nicht eigentlich in ihrer Tiefe auf. Diese Tiefe tritt einem erst vor die Seele, wenn man darauf aufmerksam wird, wie in den breiten Massen des heutigen Proletariats ein Wort immer wieder und wiederum gehört werden kann. Das ist das Wort Ideologie. Was meint der heutige Proletarier aus seiner marxisti­schen Anleitung heraus, wenn er von Ideologie spricht? Er meint:

Wenn wir irgendwelche Vorstellungen über Sitte, Recht, Kunst, Religion entwickeln, so ist das nicht etwas Reales für sich, es ist nur eine Abstraktion, es ist nur eine unwirkliche Idee. Alles, was wir auf diese Art haben, ist keine Wirklichkeit, ist eine Ideologie. Wirklich­keit sind nur die äußeren, materiellen Produktionsprozesse.

Man kann an dieser Tatsache fühlen, welchen Umschwung die menschheitliche Entwicklung in bezug auf Weltanschauung und Seelenverfassung eigentlich erfahren hat. Bedenken Sie, welches die Grundauffassung uralter orientalischer Weisheit ist. Ich habe das letzte Mal, als ich hier sprach, gesagt, daß wir sie ja nicht zurückseh­nen sollen, aber wir können uns über manches an ihr orientieren. Der alte Orientale sprach von Maja. Was meinte man unter Maja im alten Orient? Man meinte darunter alles, was der Mensch in der außeren Sinneswelt erkennen kann. Denn die Wirklichkeit war ihm das, was im Inneren lebte, was im Innern aufsprießt als Sitte, Reli­gion, Kunst, Wissenschaft. Das war die Wirklichkeit. Das, was die Augen sahen, was die Ohren hörten, was man sonst wahrnahm, das war Maja. Heute ist im Orient ja nur in dekadenter Form dasjenige vorhanden, was von einem gewissen Gesichtspunkte aus so charakterisiert

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werden kann, wie ich es eben getan habe. - Unsere breiten Volksmassen sind durch die marxistische Anleitung geradezu zu dem Entgegengesetzten gekommen. Man könnte sagen, die Menschheitsentwicklung hat eine volle Wendung gemacht. Das Äußere, Sinnliche ist allein das Wirkliche, und dasjenige, was im Innern gestaltet wird, Sitte, Religion, Wissenschaft, Kunst, das ist Maja. Nur sagt man nicht Maja, sondern man sagt Ideologie. Sollte man aber Maja sinngemäß übersetzen, so müßte man es mit Ideo­logie übersetzen, und wollte man in die Sprache der alten Welt­anschauung des Orients dasjenige übersetzen, was der moderne Proletarier mit Ideologie meint, dann müßte man es mit Maja übersetzen, nur daß die Anwendung die entgegengesetzte ist.

Ich führe das aus dem Grunde an, weil ich daran zeigen möchte, welche ungeheure Wendung die menschliche Entwicklung genom­men hat, wie wir in der Tat im Okzident heute die letzten Konse­quenzen einer Weltanschauung ausgebildet haben, die schnur­stracks dem zuwiderläuft, was in dekadenter Weise im Orient noch enthalten ist. Wer die Menschheitskonflikte aus solchen Tiefen her­aus zu beobachten weiß, der weiß, welcher Konfliktstoff zwischen Orient und Okzident heute vorhanden ist. Die Dinge nehmen sich ja in den verschiedenen Geschichtsepochen verschieden aus; allein, so materialistisch das Streben des heutigen Ostens auch ist, es ist in einer gewissen Weise das Streben, das auch im alten Buddhismus und dergleichen vorhanden war, das heute dekadent geworden ist. Und unsere westliche Kultur hat in bezug darauf eine volle Wen­dung durchgemacht. Wir sind eben durchaus dabei angekommen, daß breite Menschenmassen nicht davon sprechen, daß geistige Realität in ihrem Innern sie erfüllt, sondern daß alles dasjenige, was im Innern sie erfüllt, nur Maja, Ideologie ist.

Das ist dasjenige, was anthroposophisch orientierte Geisteswis­senschaft der Menschheit wiedergibt: Nicht bloß Gedanken, die man als Ideologie ansehen kann, nicht bloß Irrealitäten; sondern der Mensch wird wiederum damit angefüllt, womit er auch damals ange­füllt war, mit dem Bewußtsein: In meinen Gedanken rebt Geist. Der Geist tritt in mich ein; nicht ein toter, ideologischer Geist, sondern

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ein lebendiger Geist lebt in mir. - Den Menschen wiederum zum unmittelbaren Erleben des lebendigen Geistes hinzuführen, das ist dasjenige, was anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft geben will. Das ist dann dasjenige, was der anthroposophischen Pädagogik und Didaktik einverleibt wird. Das ist dasjenige, was im Umgang des Lehrers mit dem Zögling leben soll.

Das ist aber auch dasjenige, was unmittelbar in der Behandlung der sozialen Frage drinnensteht. Diejenigen Menschen, die heute von Ideologie reden, sind durch unsere Schulen hindurch gegangen. Wir brauchen aber eine Menschheit, die tatsächlich aus dem tiefsten Innern heraus soziale Impulse entwickelt. Die muß aus anderen Schulen hervorgehen. Was aus den Schulen, die wir so bewundern, hervorgegangen ist: wir haben es heute im sozialen Chaos gegeben. Wir brauchen eine Menschheit, welche so erzogen ist, daß die Er­ziehung wirklicher, umfassender Menschenkenntnis entspricht. Damit ist dasjenige hingestellt, was die Erziehungsfrage auch zu einer universellen, sozialen Frage macht. Man wird sich entweder entschließen müssen, in der Erziehungsfrage in diesem Sinne eine soziale Frage zu sehen, oder man wird blind sein gegenüber den großen sozialen Forderungen der Gegenwart.

Aber man muß empfinden, was für den Lehrenden, für den Un­terrichtenden notwendig ist, um eine solche Erziehung zu üben, um so die Menschenerkenntnis in pädagogisch-didaktische Kunst über­gehen zu lassen. Man muß empfinden, daß das nur möglich ist, wenn der Lehrende, der Unterrichtende keiner anderen Norm zu folgen braucht als der Norm, die in seinem eigenen Innern ist. Ver­antwortlich dem Geiste, den er erlebt, muß der Lehrer, der Erzieher sein. Das ist nur möglich innerhalb der Dreigliederung des sozialen Organismus, in einem freien Geistesleben. Solange das Geistesleben auf der einen Seite vom Wirtschaftsleben, auf der anderen Seite vom Staatsleben abhängig ist, so lange steht der Lehrer im Banne des Staates oder des Wirtschaftslebens. Sie werden, wenn Sie die Zu­sammenhänge studieren, schon finden, wie der Bann beschaffen ist.

In Wahrheit kann man heute ja nur ein Surrogat einer freien Schule begründen. Es ist in Württemberg möglich gewesen, die

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Waldorfschule als eine freie Schule zu begründen, in der lediglich Anforderungen pädagogischer Kunst herrschen, bevor der Sozialis­mus das neue Schulgesetz geschaffen hat.

Wenn Freiheit herrschen soll, dann muß jeder Lehrer unmittel­bar in die Administration eingreifen; dann muß der wichtigste Teil des Geisteslebens - wie überhaupt dieses ganze Geistesleben - seine freie Selbstverwaltung haben. Man kann sich ein Geistesleben, in dem solche freien Schulen allgemein sind, nicht anders denken als so, daß vom Lehrer der niedersten Volksschulklasse bis hinauf zum höchsten Unterrichtenden alles in Korporationen zerfällt, die nicht irgendwelchen staatlichen oder Wirtschaftsbehörden unterstellt sind, die von keiner Seite Weisungen erhalten. Was in der Verwal­tung geschieht, muß so geschehen, daß jeder Lehrer und Unterrich­tende nur so viel Zeit zu lehren oder unterrichten braucht, daß ihm noch so viel Zeit übrig bleibt, um mit zu verwalten. Nicht etwa die­jenigen, die pensioniert sind oder die sich herausgelöst haben aus dem lebendigen Unterricht und der Erziehung, sondern diejenigen, die gegenwärtig unterrichten und erziehen, sollen auch die Admini­stratoren sein. Daher ergibt sich als selbstverständlich die Autorität der Tüchtigen. Man versuche nur einmal eine solche Selbst­verwaltung, und man wird finden: weil man denjenigen braucht, der wirklich etwas leisten kann, wird sich seine Autorität auf selbstver­ständliche Art geltend machen. Wenn das Geistesleben sich selbst verwaltet, wird es nicht notwendig sein, diese Autorität einzusetzen oder dergleichen. Man lasse dieses freie Geistesleben nur einmal entstehen, und man wird sehen: weil die Menschen den Tüchtigen brauchen, werden sie ihn auch finden.

Ich konnte nur skizzenhaft auf die Dinge hinweisen, aber Sie werden doch gesehen haben, wie zu einem wirklichen pädagogi­schen Künstlertum das freie Geistesleben vorausgesetzt werden muß. Wir können sehen, wie sich die Notwendigkeit ergibt, aus dem gesamten sozialen Organismus zunächst das freie Geistesleben herauszugliedern.

So wie etwa Karl Marx oder Proudhon oder sonstige bürgerliche Nationalökonomen dasjenige begründen, was sie begründen wollen,

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so begründet man Dinge der Lebenserfahrung, Dinge der Le­benspraxis nicht. Dasjenige, was gesagt ist in meinem Buche «Die Kernpunkte der Sozialen Frage» oder in andern Schriften über Dreigliederung des sozialen Organismus, das ist aus einer jahrzehn­telangen allseitigen Lebensbeobachtung heraus, das ist aus der Pra-xis heraus gesprochen und geschrieben. Deshalb kann man es auch nicht mit leichtgeschürzten Begriffen umfassen. Ich weiß genau, wo man leicht mit einer logischen Kritik einsetzen kann. Aber das, was eben aus der Wirklichkeit herausgeholt ist, ist vielseitig wie die Wirklichkeit selber. Und so wenig sich die Wirklichkeit in leichtge­schürzte logische Begriffe einspannen läßt, so wenig läßt sich etwas, was auf die Wirklichkeit passen soll, in solche Begriffe einfügen. Wer aber einmal innerlich durchfühlt, was es heißt, so in der Schule, im Unterricht, im Erziehen drinnenstehen zu sollen, wie das durch eine wahre Erkenntnis des werdenden Menschen, des Kindes, not­wendig ist, der hat in seinem Fühlen, in dem ganzen Erleben einen vollen Beweis dafür, daß das Geistesleben seine freie Verwaltung erhalten muß. Und alle Einwände gelten nicht so, daß man sie eben einfach aufwirft, sondern nur so, daß man sie durch die Wirklich­keit beseitigen muß.

Da kommen Leute und sagen: Wenn das Geistesleben auf freier Anerkennung beruhen soll, werden die Leute die Kinder nicht in die Schule schicken, daher könne man doch kein freies Geistesleben einrichten. - So spricht nicht derjenige, der wirklichkeitsgemäß denkt. Dieser empfindet vor allen Dingen die volle Notwendigkeit der Befreiung des Geisteslebens. Er sagt: Das Geistesleben muß frei werden; es kann vielleicht den Nachteil haben, daß manche Leute ihre Kinder nicht zur Schule schicken wollen; da muß man auf Mittel sinnen, daß das nicht stattfinden kann. Man muß das nicht als Einwand behandeln, sondern man muß so etwas aufwerfen und dann nachdenken, wie dem abgeholfen werden kann. In vielen Din­gen, die gerade die volle Lebenswirklichkeit betreffen, werden wir lernen müssen, so zu denken.

Sie ahnen, daß gerade mit Bezug auf das Geistesleben - und das offentliche Geistesleben ist ja im Grunde genommen in seinem wichtigsten

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Teile gegeben mit Unterricht, mit Erziehung - ein völliger Umschwung eintreten muß. Diejenigen, die gewohnt sind, im heuti­gen Geistesleben zu wirken, werden gerade auf diese Dinge nicht eingehen. Ich weiß es, wie gewisse Lehrer höherer Schulen, als an sie das Ansinnen herangebracht worden ist, zur Selbstverwaltung über­zugehen, gesagt haben: Da stehe ich doch lieber unter dem Minister, als daß ich mit Kollegen zusammen verwalte; das geht nicht. Mit meinen Kollegen von der Fakultät bin ich weniger gern zusammen, als mit dem Minister, der draußen ist.

Man wird vielleicht nicht gerade nach dieser Richtung hin die nötigen Impulse bekommen. Aber wie sonst mit Bezug auf die gro­ßen Fragen des Lebens heute immer mehr und mehr maßgebend wird nicht der Produzent, sondern der Konsument, so möchte man, daß auch über das, was im Unterrichts- und Erziehungswesen als dem wichtigsten öffentlichen Teil des Geisteslebens notwendig ist, die Konsumenten dieses Unterrichts- und Erziehungswesens nach-sinnen. Das sind vor allen Dingen Menschen, die Kinder haben. -Wir haben es erlebt, welchen Eindruck die Eltern bekommen haben vom Abschluß des Schuljahres, von alledem, was sonst während des Schuljahres die Kinder in der Waldorfschule erlebt haben. Wir haben es erlebt, wie die Eltern, wenn diese Kinder nach Hause kommen, sich bewußt geworden sind, daß da tatsächlich ein neuer sozialer Geist heraufzieht, der für die nächste Generation von un­geheurer Bedeutung ist - selbstverständlich nur, wenn die Wal­dorfschule nicht eine kleine Winkelschule in Stuttgart bleibt, sondern wenn dieser Geist, der dort herrscht, schon der Geist der weitesten Kreise wird.

Aber nicht allein die Eltern haben ja ein Interesse an dem, was in den Schul-, Erziehungs- und Bildungsanstalten vorgeht. Im Grunde genommen hat jeder Mensch daran ein Interesse, der es mit der Menschheitsentwicklung ehrlich meint. Jedem Menschen muß etwas daran liegen, was aus der nächsten Generation wird. Diejeni­gen, die so denken und die einen Sinn dafür haben, wie wir heute eine geistige Erneuerung in dem Sinne brauchen, wie ich das auch im letzten Vortrag hier in Utrecht ausgeführt habe, sie sollten Interessenten

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werden für dieses durch das Schulwesen von den unter­sten Stufen bis zu den höchsten Stufen hinauf zu erringende neue Bildungswesen.

In der Freien Hochschule in Dornach versuchen wir eine Bil­dungsstätte im höchsten Sinne des Wortes aus diesem Geiste heraus einzurichten. Wir haben es heute noch schwer. Wir können den Leuten die Erneuerung, die Befruchtung der einzelnen Fachwissen­schaften geben; wir können ihnen so etwas geben, wie unsere Herbstkurse waren, wie unsere Osterkurse sein werden. Wir kön­nen ihnen zeigen, wie zum Beispiel die Medizin, wie aber auch alle anderen Wissenschaften des praktischen Lebens durch anthropo­sophisch orientierte Geisteswissenschaft dasjenige bekommen, was für die Gegenwart und insbesondere für die nächste Zukunft notwendig ist.

Allein, wir können ja vorläufig nichts anderes geben als Geist, und das schätzt man heute noch nicht stark. Heute schätzt man noch die Zeugnisse, die wir noch nicht geben können. Gekämpft muß werden dafür, daß dasjenige auch offiziell werde, was als Not­wendigkeit in der Menschheitsentwicklung und für die nächste Zu­kunft erkannt wird. Das kann wohl nur dadurch geschehen, daß in den weitesten internationalen Kreisen eine Stimmung entstehe für so etwas, was ich nennen möchte eine Art Weltschulverein. Solch ein Weltschulverein braucht sich nicht zu beschränken auf das Be­gründen von niederen oder höheren Schulen, sondern er soll in sich alle Impulse zeigen, welche auf so etwas hinausgehen, wie etwa in Dornach in einer gewissen speziellen Art versucht worden ist. Solch ein Weltschulverein müßte alle diejenigen Menschen in sich fassen, die ein Interesse daran haben, daß Aufgangskräfte in die Entwick­lungskräfte der Menschheit hereinkommen gegenüber den furcht­baren Niedergangskräften, die wir heute in der Menschheit haben. Denn ein solcher Weltschulverein, er würde nicht eine Art Bund werden aus den Impulsen, die schon da sind; er würde nicht ver­suchen, die Welt zu gestalten nach den alten diplomatischen oder sonstigen Methoden. Ein solcher Bund, ein solcher Weltschulverein würde versuchen, einen Weltbund der Menschheit aus den tiefsten

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menschlichen Kräften, aus den seelischsten menschlichen Impulsen heraus zu bilden. Ein solcher Bund würde daher etwas bedeuten, was wirklich eine Erneuerung desjenigen Lebens geben könnte, das ja so sehr seine Brüchigkeit gezeigt hat in den furchtbaren Jahren im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts.

Diejenigen Menschen, die da erzogen werden, werden die sozia­len Impulse haben, und sie werden diejenigen sein, welche auch auf den anderen Gebieten des sozialen Lebens, auf dem Gebiete eines selbständigen Rechts- oder Staats- oder politischen Lebens und auf dem Gebiete eines selbständigen Wirtschaftslebens die rechte Kraft entfalten können. So wie das freie Geistesleben nur auf Sach- und Fachtüchtigkeit gebaut sein kann, nicht auf dasjenige, was durch Majorität zum Vorschein kommt, ebenso kann das Wirtschafts­leben sich nur für die Menschheit heilsam gestalten, wenn es von allem Majoritätenwesen abgegliedert wird, von alledem, wo die Menschen einfach aus ihrer Menschlichkeit heraus urteilen, nicht aus Sach- und Fachkenntnis heraus. Im Wirtschaftsleben brauchen wir Assoziationen, wo sich Menschen zusammenschließen, die der Konsumtion angehören, Menschen, die der Produktion angehören, und Menschen, die dem Handel angehören. Ich habe in meinen Schriften gezeigt, daß diese Assoziationen durch ihre eigene Natur eine bestimmte Größe haben werden. Solche Assoziationen können wirklich dasjenige im Wirtschaftsleben liefern, was ich nennen möchte ein Kollektivurteil, wie es [auf der anderen Seitej wahr ist, daß im Geistesleben alles aus der menschlichen Persönlichkeit kom­men muß. Denn durch die Geburt bringen wir aus der geistigen Welt unsere Anlagen mit. Jedesmal, wenn ein Mensch geboren wird, kommt eine Botschaft aus der geistigen Welt in die physisch-sinnliche Welt herunter. Wir haben sie aufzufassen, wir haben hin-zuschauen auf die menschliche Individualität; der Lehrer auf die menschliche Individualität im Kinde, die ganze soziale Einrichtung auf das freie Geistesleben, in dem der Lehrer so steht, daß er seine Individualität voll ausleben kann.

Was in diesem freien Geistesleben zum Segen d'er Menschheit aussehlagen kann, es würde zum Unheil ausschlagen im Wirtschaftsleben.

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Daher soll man sich keinen Illusionen hingeben. So sehr wir im Geistesleben ein umfassendes harmonisches Urteil durch unsere Individualität anstreben müssen, so wenig können wir das im Wirtschaftsleben. Da sind wir einzig und allein imstande, mit den anderen Menschen zusammen ein Urteil zu bilden, in As­soziationen drinnen ein Urteil zu bilden. Man weiß, indem man ge­arbeitet hat, auf einem gewissen Gebiet Bescheid, aber das, was man da weiß, das ist einseitig unter allen Umständen. Ein Urteil kommt erst zustande, indem man nicht bloß theoretisch sich mit den ande­ren auseinandersetzt, sondern indem man dem anderen eine gewisse Ware liefern muß, für den anderen gewisse Bedürfnisse befriedigen muß, Verträge schließen muß. Wenn sich die realen Interessen gegenüberstehen in Verträgen, dann werden sich die realen, sach­verständigen Urteile bilden.

Und auch das, was im Grtinde genommen im Wirtschaftsleben die Hauptsache ist, bildet sich aus dem, was innerhalb der Assozia­tionen wirkt, heraus: die richtige Preislage. Das alles können Sie im genaueren nachlesen in meinen Büchern «Die Kernpunkte der So­zialen Frage» und «In Ausführung der Dreigliederung» sowie auch in den Zeitschriften. Es existiert ja auch eine holländische Zeit­schrift über Dreigliederung. Da können Sie nachlesen, wie im Wirt­schaftsleben ein Kollektivurteil gesucht werden muß. Seit wir im Wirtschaftsleben die Weltwirtschaft anstelle der alten National­wirtschaften haben, seitdem ist es notwendig geworden, daß die Gliederung des Wirtschaftslebens von freien wirtschaftlichen Ge­sichtspunkten aus erfolgt, daß das Wirtschaftsleben sich in Assozia­tionen auslebt, die lediglich mit wirtschaftlichen Angelegenheiten sich befassen, aber so, daß nirgends Majoritäten, sondern überall Sach- und Fachtüchtigkeit ausschlaggebend sind. Da ergeben sich die Gliederungen. Da wird derjenige am richtigen Platze stehen, der die Erfahrung hat, oder ein anderer durch andere Gründe. Das wird sich in den Assoziationen ganz von selbst ergeben, weil man es nicht mit abstrakten Festsetzungen, sondern mit Vertragstätigkeit zu tun hat. So muß zum Beispiel gesorgt werden, wenn ein Artikel uber ein Territorium hin zu reichlich fabriziert wird, daß man die

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Menschen in anderer Weise beschäftigt; denn wo das der Fall ist, wird der Artikel zu billig, und derjenige, der zu wenig fabriziert wird, wird zu teuer. Der Preis läßt sich nur festsetzen, wenn durch Assoziationen eine richtige Anzahl von Menschen über ein Territo­rium beschäftigt ist. Da handelt es sich, wenn so etwas real werden soll, um ein intensives Interesse an dem gesamten Wirtschaftsleben der Menschheit. Da handelt es sich darum, daß nicht bloß als äußere Phrase das entwickelt werde, was man menschliche Brüderlichkeit nennt, sondern daß diese menschliche Verbrüderung in Assoziatio­nen real in den wirtschaftlichen Verhältnissen zustande komme.

Ich kann das heute nur skizzenhaft andeuten. Die Dreigliede­rungs-Literatur spricht schon über die Einzelheiten. Dasjenige aber, was ich andeuten will, ist ja nur, wie anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft das Leben auch da praktisch anfassen will.

Und so haben wir im sozialen Organismus auf der einen Seite das freie Geistesleben auf die menschliche Individualität gestellt; das Wirtschaftsleben auf Assoziationen gestellt, die sich zusammen­fügen zur gesamten Weltwirtschaft - ohne daß auf die politischen Staatsgrenzen, die ja heute den wirtschaftlichen Interessen wider­sprechen, Rücksicht genommen wird. Das mag heute Menschen noch unbequem zu denken sein, allein es ist dasjenige, was aus den chaotischen Zuständen herausbringen kann.

Zwischen den beiden, dem freien Geistesleben und dem assozia­tiven Wirtschaftsleben, steht dann das eigentliche politische, das eigentliche Staatsleben, wo die Majoritätsbeschlüsse ihre Berechti­gung haben; wo alles, auch die menschliche Arbeit, zur Verhand­lung kommt, für das jeder mündig gewordene Mensch kompetent ist. Im freien Geistesleben ist nicht jeder mündig gewordene Mensch kompetent; da könnten Majoritätsbeschlüsse nur alles ver­derben, ebenso im Wirtschaftsleben. Aber es gibt zum Beispiel Art und Maß der Arbeit, der menschlichen Arbeit; es gibt Gebiete, wo jeder Mensch, wenn er mündig geworden ist, kompetent ist, wo ein Mensch dem anderen als Gleicher gegenübersteht. Das ist das eigentliche staatlich-juristische, politische Gebiet im dreigliedrigen sozialen Organismus. Das ist dasjenige, worauf heute schon am

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deutlichsten das Geistesleben hinweist, was aber auch gemäß den Forderungen und Notwendigkeiten in den anderen Gebieten des sozialen Daseins verfolgt werden kann.

Dreigliederung des sozialen Organismus: Ein freies Geistes­leben, gegründet auf das volle, freie Ausleben der menschlichen Einzelpersönlichkeit; ein Rechts- oder Staatsleben, das wirklich demokratisch ist, wo der Mensch als gleicher dem anderen gegen­übersteht und wo Majoritäten entscheiden, weil nur in diesem Glied des sozialen Organismus zur Entscheidung kommt, worüber jeder mündig gewordene Mensch kompetent ist; ein Wirt­schaftsleben, das auf Assoziationen aufgebaut ist, das wiederum aus Sach- und Fachkenntnis heraus entscheidet, wo der Vertrag gilt, nicht das Gesetz.

Es kommen Leute, die da sagen, dadurch würde die Einheit des sozialen Organismus zerstört. Es wendete mir zum Beispiel jemand ein, daß der soziale Organismus ein Einheitliches sei und auch blei­ben müsse, es würde sonst alles auseinandergerissen. - Ich konnte dazumal auf den Einwand nur antworten: Eine ländliche Familie ist auch eine Einheit. Aber wenn man behauptet, daß der Staat auch wirtschaften muß und die Schulen verwalten muß, so könnte man auch von einem ländlichen Haushalt, der auch mit Herr und Frau und Magd und Kuh eine Einheit ist, behaupten, weil das Ganze eine Einheit ist, müßten alle Milch geben, nicht nur die Kuh. - Die Ein­heit würde ja gerade dadurch entstehen, daß jeder an seinem Platze das Richtige bewirkt. Die Einheit entsteht gerade dadurch, daß die drei Glieder entstehen. Man soll nur nicht aus einem halben oder einem viertel Verständnis heraus gleich über eine Sache herfallen, die hergeholt ist aus richtiger Beobachtung derjenigen Dinge, die im gegenwärtigen sozialen Leben nach Umgestaltung drängen.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - das sind die drei großen Ideale, die herübertönen aus dem 18. Jahrhundert. Welches mensch­liche Herz würde nicht Tiefstes empfunden haben bei den drei Idealen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Dennoch, es hat immer wieder, und zwar durchaus gescheite Leute im Laufe des 19. Jahr­hunderts gegeben, welche einen Widerspruch konstruierten zwischen

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Freiheit und Gleichheit: Wie könnte man frei sein, wenn doch wiederum alle Menschen ihre Fähigkeiten in gleichem Maße ent­wickeln müßten und wie das auch wiederum nicht stimme mit der Brüderlichkeit? - Es ist viel Gescheites, viel Bündiges gesagt wor­den für das Widersprechende dieser drei Ideale. Dennoch, wir füh­len sie und fühlen ihre Berechtigung. Was liegt da eigentlich vor?

Nun, die Menschen haben aus intensiven Untergründen der Seele heraus die drei Ideale, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit geformt, die wahrhaftig so berechtigt sind, wie nur irgend etwas Geschicht­liches und Menschliches berechtigt sein kann. Aber die Menschen blieben zunächst unter der Suggestion des Einheitsstaates. Im Ein­heitsstaat widersprechen allerdings diese drei Ideale einander, und dennoch, sie müssen verwirklicht werden. Ihre Verwirklichung wird den dreigegliederten sozialen Organismus bedeuten. Sieht man ein, daß man es da mit etwas zu tun hat, das gleich morgen begonnen werden kann, das aus der Praxis heraus gedacht und geformt ist, das nicht im entferntesten einen utopischen Charakter hat wie die mei­sten sozialen Ideen, das durchaus praktisch ist, sieht man ein, wie der Einheitsstaat heute aus sich selbst heraus die Notwendigkeit erzeugt, sich in drei Glieder zu teilen: dann wird man auch die historische und menschliche Bedeutung der drei großen Ideale, die seit dem 18. Jahrhundert herzbewegend, geisterleuchtend in die Menschheit her-übertönen, begreifen. Dann wird man sich sagen: Der dreigliedrige soziale Organismus, er festigt erst diese drei Ideale, er gibt diesen drei Idealen erst die Möglichkeit des Lebens. Nämlich - lassen Sie mich da zum Schlusse wie eine empfindungsgemäße Zusammenfas­sung desjenigen, was ich heute über die praktische Ausgestaltung anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft sagen wollte, aussprechen - es muß in die Menschheit der dreigliedrige soziale Organismus kommen: Das Geistesleben für sich verwaltet, das Wirtschaftsleben für sich verwaltet, und in der Mitte das staatlich-juristisch-politische Gebiet für sich verwaltet. Dann wird sich im echten, wahren Sinne in der Menschheit verwirklichen können: Frei­heit im Geistesleben, Gleichheit im demokratischen Staatsleben, Brüderlichkeit im assoziativ gestalteten Wirtschaftsleben.

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Fragenbeantwortung

Frage: Wie ist der Unterschied auf geisteswissenschaftlichem Gebiet zu machen zwischen dem menschlichen und dem tierischen Blut? Im mensch­lichen Blut druckt sich das Ich aus; im tierischen nicht?

Rudolf Steiner: Ja, die materialistische Denkungsweise, die sich ja seit der Mitte des 15. Jahrhunderts vorbereitet hat, die aber beson­ders groß geworden ist im 19. Jahrhundert und sich bis ins 20. her­ein entwickelt hat, sie hat allmählich den Sinn dafür ersterben las­sen, daß ja der äußere Ausdruck [einer Sache] nicht für das innere Gefüge und für den ganzen Zusammenhang [, in dem sie steht,] maßgebend ist. Ich muß da einiges heranziehen von dem, was ich heute natürlich nicht [ausführlich] erklären kann, Sie finden es in der [geisteswissenschaftlichen] Literatur, aber auf die Frage muß ich schon einiges sagen.

Wir haben ja am Menschen zu unterscheiden zunächst den äuße­ren physischen Leib, den man mit Augen sehen kann, der auch zum Beispiel in der gewöhnlichen Wissenschaft durch Anatomie und Physiologie betrachtet wird. Wir unterscheiden dann den Äther-oder Lebensleib, den wir gewahr werden, wenn wir so etwas beob­achten wie das Herauslösen des Denkens beim Zahnwechsel; da lernen wir das Leben des Ätherleibes kennen. Wir dürfen das dann nicht verwechseln mit der alten, hypothetischen Lebenskraft, damit hat er nichts zu tun. Es ist dies das Ergebnis von unmittelbarem An­schauen. Dann lernen wir erkennen, was vom Seelischen aus diesen Ätherleib beherrscht, was man den Seelenorganismus nennen kann, und das eigentliche Ich.

Diese vier Glieder drücken sich aber wiederum im Physischen aus. Zum Beispiel der ätherische Leib hat eine besondere Wirkung auf das Drüsensystem, das Ich eine besondere Wirkung im Blut-system beim Menschen. Nun kann man solch eine Frage aufwerfen wie die hier gestellte, aber man muß sich zuerst etwas aneignen, was ich durch folgenden Vergleich klarmachen möchte. Denken Sie ein­mal, jemand würde sagen: ein Messer ist eben ein Messer, man braucht es zum Schneiden von Fleisch. - So kann man nicht sagen.

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Ebensowenig kann man sagen: Der Mensch hat rotes warmes Blut, die Tiere haben rotes warmes Blut - der Ausdruck für das Ich. -Nehmen Sie an, es findet jemand ein Rasiermesser und er schneidet Fleisch damit, weil es eben ein Messer ist. Es handelt sich nicht darum, wie etwas äußerlich materiell gestaltet ist, sondern wie es sich in einen ganzen Zusammenhang hineinstellt. Bei dem Tiere ist das rote warme Blut der Ausdruck für den Seelenorganismus, beim Menschen ist dasselbe rote Blut der Ausdruck für das Ich, gerade wie das Rasiermesser ein Messer ist zum Rasieren und das Messer auf dem Tisch ein Messer ist zum Schneiden von Fleisch. Man soll nicht fragen: Was ist das Blut als Blut? - Es kann in einem Zusam­menhang der Ausdruck für dieses, in einem anderen Zusammen-hang für etwas anderes sein.

Frage: Ist es auch in anderen Ländern möglich, Schulen wie die Waldorf-schule zu errichten?

Rudolf Steiner: Ob man in anderen Ländern solche Schulen grün­den kann, hängt von den Gesetzen des betreffenden Landes ab. Ich habe mich schon sachgemäß auch bezüglich der Waldorfschule aus­gedrückt. Ich sagte: Bevor die neue demokratische, republikanische Schulverfassung gekommen ist, war es möglich, die Waldorfschule zu gründen. Die Entwicklung der letzten Zeit geht ja so vor sich, daß wir eine Freiheit nach der anderen allmählich einbüßen. Und wurden wir in Mitteleuropa beim Leninismus anlangen, dann wurden auch die Mitteleuropäer kennenlernen, was das Grab der menschlichen Freiheit bedeutet. Aber es hängt eben überall von den betreffenden Gesetzen ab, ob man solche Schulen wie die Waldorf­schule begründen kann. Es richtet sich also durchaus im konkreten Sinn nach den einzelnen Ländergesetzen. Man kann ja versuchen, soweit zu gehen als eben möglich. Ich wurde zum Beispiel jüngst aufgefordert, Lehrer zu bestellen für eine Art anfänglicher Schule an einem anderen Ort, und ich sagte, wir müssen natürlich einmal die Probe machen. Ich bestellte zwei sehr tüchtige Lehrkräfte zu­nachst für die erste Klasse, die aber kein Examen gemacht haben, damit man sehen kann, ob die Leute solche Lehrkräfte durchsetzen

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können. Es ist ja in der Waldorfschule durchaus nicht ausgeschlos­sen, daß auch Lehrer angestellt werden, die das Examen nicht gemacht haben. Als ich zum Beispiel neulich von einer Lehrkraft gefragt wurde, ob es ginge, sie anzustellen, trotzdem sie noch kein Examen gemacht habe, aber im Examen steht, sagte ich: Das macht nichts; Sie werden auch einmal das Examen haben.

Nun, nicht wahr, es handelt sich darum, daß man wirklich in großem Maßstab auf eine wirkliche Befreiung des Geistes- bezie­hungsweise des Schullebens hinarbeitet. Dazu ist so etwas notwen­dig wie eine Art Weltschulverein. Es muß möglich werden, daß gar nicht mehr die Frage aufzuweifen ist, ob denn in den verschieden­sten Ländern Schulen wie die Waldorfschule errichtet werden kön­nen, sondern es muß eben durch die Kraft der Überzeugung einer genügend großen Anzahl von Menschen diese Möglichkeit überall geschaffen werden. Es ging uns auch auf anderen Gebieten durch­aus so, wie es heute auch anfängt auf dem Gebiet des Schulwesens. Mit der Schulmedizin sind manche Menschen nicht einverstanden, daher wenden sie sich an diejenigen, die über diese Schulmedizin -jetzt nicht auf kurpfuscherische Weise, sondern durchaus sachge­mäß - hinauskommen wollen. Ich habe sogar einen Minister eines mitteleuropäischen Staates kennengelernt, der in seinem Parlament mit aller Gewalt das Monopol der Schulmedizin posaunte, der dann aber selber kam und Hilfe haben wollte auf einem anderen Wege. Das ist das Streben, auf der einen Seite dasjenige, was eigentlich die Empfindung überwinden will, doch zu belassen und das andere [aber doch] durch alle möglichen Hintertüren zu erreichen. Dar­über müssen wir hinauskommen. Wir müssen nicht Winkelschulen errichten wollen, sondern wir müssen überall die Möglichkeit schaffen, eine freie Schule in dem heute geschilderten Sinne zu errichten. Bringen wir nicht diesen Mut auf, dann werden sich die­jenigen, die diese Dinge verstehen, auch nicht dazu hergeben, Win­kelschulen errichten zu lassen oder Lehrer dafür zu bestellen. Eine große Bewegung müßte entstehen, bei der eigentlich jeder Mensch, der nachdenkt über die Aufgaben der Zeit, Mitglied werden müßte, damit durch die Macht eines solchen Weltbundes dasjenige herbeigeführt

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würde, was solche Schulen überall zur Entstehung führen könnte.

Aber da wird ja vor allen Dingen bei einem solchen Weltschul­verein - gestatten Sie schon einmal, daß ich das nur so wie am Ran­de, in Parenthese vorbringe - schon das eintreten müssen, daß ein gewisser Idealismus in der Menschheit dahinschwindet, ich meine nämlich den, der da sagt: Ach, die geistigen Sachen, die Anthropo­sophie, das ist ja so hoch, da darf das Materielle nicht heran; das würde die Anthroposophie verunreinigen, wenn das Materielle an sie herankäme. - Dieser Idealismus, der so idealistisch ist, daß er das Geistige mit allen möglichen Phrasen belegt und in den Himmel hebt, in ein Wolkenkuckucksheim und fest die Hand auf die Börse legt, geht nicht mit der Begründung von Weltschulverein oder der­gleichen zusammen. Da muß man schon einen solchen Idealismus aufbringen, dem die Börse nicht zu gut ist, um für die Ideale der Menschheit auch etwas zu tun. Anthroposophisch orientierte Gei­steswissenschaft muß durchaus bis ins praktische Leben hinein den­ken, das heißt nicht bloß in die Wolken, sondern bis in die Börse. Da gibt es ja auch Winkel und Ecken, die eben dem praktischen Leben durchaus angehören. - Das nur zur Charakteristik dessen, was eine rechte Weltanschauung ist.

Frage: Gibt es Gegensätze zwischen der anthroposophischen Geisteswissen­schaft und dem evangelischen Christentum?

Rudolf Steiner: Diese Gegensätze braucht man nicht zu konstruie­ren. Zweierlei muß man unterscheiden: Das Mysterium von Golga­tha ist eine Tatsache: daß eine geistige Wesenheit aus überirdischen Welten heruntergekommen ist zur Erde, sich mit dem Menschen Jesus von Nazareth verbunden hat. Diese geistige Tatsache, die unserer Erdenentwicklung erst ihren Sinn gibt, die wird nun von jedem Zeitalter in der verschiedensten Art begriffen werden. Unser Zeitalter braucht ein neues Begreifen dieser Tatsache. Wir können diese Tatsache am besten begreifen, wenn wir überhaupt wiederum geistige Tatsachen verstehen lernen. Derjenige denkt gering vom Christentum, der glaubt, daß durch irgendeine Entdeckung, sei es

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auf physischem oder geistigem Gebiet, das Christentum irgendwie erschüttert werden sollte. Wenn die offiziellen Vertreter des Chri­stentums oder vielmehr der traditionellen Bekenntnisse sich heute so feindlich gegen Anthroposophie wenden, so spricht das nur ge­gen diese offiziellen Vertreter, die nicht eigentlich das wahre Chri­stentum im Sinn haben, sondern die Herrschaft ihrer entsprechen­den Kirche. Wahres Christentum hat durchaus - aber übersinnlich, in übersinnlicher Erkenntnis - anthroposophische Geisteswissen­schaft schon auch erfaßt. Darüber können Sie in meinem Buch «Das Christentum als mystische Tatsache» und in anderen Schrif­ten Entsprechendes nachlesen.

Frage: Hat in der Dreigliederung des sozialen Organismus das Geistesleben eine Art Uberherrschaft gegenüber den anderen beiden Gebieten?

Rudolf Steiner: Sie können in meinem Buch über «Die Kernpunkte der Sozialen Frage» sehen, wie das Kapital verwendet wird im drei­gliedrigen sozialen Organismus. Es kommt in eine Art Zirkulation

- wie das Blut im menschlichen Organismus - und bleibt bei dem­jenigen, der am besten zur Verwaltung befähigt ist und es dadurch auch im Sinne der Allgemeinheit verwaltet. Dazu muß aber fort-während das Geistesleben zusammenwirken mit den anderen Glie­dern. Das ist das Eigentümliche bei einer solchen naturgemäßen Gliederung des sozialen Organismus wie des menschlichen Orga­nismus. Der menschliche Organismus - es ist das für mich das Re­sultat einer dreißigjährigen Forschung - ist von Natur aus drei­gliedrig. Erstens gibt es den Nerven-Sinnesorganismus, der vor­zugsweise im Kopf lokalisiert ist; zweitens das rhythmische System, das als Atmung und Blutzirkulation in der Brust lokalisiert ist; und drittens das Stoffwechselsystem, das mit den Gliedmaßen zusam­menhängt. Aber diese drei Glieder wirken so zusammen, daß ja in einem gewissen Sinn der Kopf führend ist, aber doch auch im ande­ren Sinne die beiden anderen Glieder. Man kann also nicht sagen, daß etwas die Oberherrschaft habe, sondern gerade durch die Ge­staltung der drei Glieder nach ihrer Wesenheit wird eine harmoni­sche Ganzheit im sozialen Organismus entstehen.

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Frage: Sollen die Kinder von sieben bis vierzehn Jahren an das glauben, was der Lehrer sagt, oder werden sie in Freiheit unterrichtet?

Rudolf Steiner: Die Natur des Menschen fordert das, was ich im Vortrag ausgesprochen habe: eine gewisse selbstverständliche Autorität. Diese Forderung einer selbstverständlichen Autorität beruht wiederum auf einer gewissen Entwicklung des gesamten menschlichen Lebens. Es kann gewiß niemand mehr Gefühl entwik­keln für das soziale Herrschen der menschlichen Freiheit als ich, der ich meine «Philosophie der Freiheit» 1892 geschrieben habe, die die Grundlagen eines freiheitlichen, sozialen Menschenlebens geben soll. Aber dennoch, soll sich der Mensch in richtiger Weise frei ins Leben hineinstellen, da muß er zwischen dem siebenten und fünf­zehnten Jahr Autoritätsgefühl in sich entwickeln. Lernt man nicht den anderen Menschen durch diese selbstverständliche Autorität erkennen, so ist das spätere Fordern der Freiheit etwas, was gerade ins Unmögliche des Lebens hineinführt, nicht zur wahren Freiheit. Geradeso, wie der Mensch nur zu einer richtigen Brüderlichkeit kommt, wenn er in entsprechender Weise erzogen wird, indem er in seiner Nachahmung in den Kinderjahren in der richtigen Weise geführt wird bis zum siebenten Jahr, geradeso ist das Autoritätsge­fühl notwendig, wenn der Mensch frei werden soll. Alles das, was heute gesagt wird - Schulgemeinden in republikanischer Form zu regieren -, wird nur aus Parteirücksichten geltend gemacht. Das würde die menschliche Natur zerstören. Ich sage das aus gründli­cher Erkenntnis des Menschenwesens. Solche Forderung nach einer gesunden autoritativen Art des Unterrichtens zwischen dem sieben­ten und fünfzehnten Jahr muß ausgesprochen werden. Da kommt nur Sachlichkeit in Betracht. Da sollen nicht Zeitphrasen das Entscheidende werden. Gerade derjenige, der auf dem Boden der Freiheit steht, der wird für die Erziehung in diesem Lebensalter zwischen dem siebenten und fünfzehnten Jahr die Forderung nach autoritativer Erziehung aufstellen mussen.

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ERZIEHUNGS-, UNTERRICHTS- UND PRAKTISCHE LEBENSFRAGEN VOM GESICHTSPUNKTE ANTHROPOSOPHISCHER GEISTESWISSENSCHAFT Amsterdam, 28. Februar 1921

In meinem ersten Vortrag, den ich hier in Amsterdam am 19. des Monats gehalten habe, versuchte ich auseinanderzusetzen, wie sich in die gegenwärtige Zivilisation der Menschheit anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft hineinstellen will. Diese anthropo­sophisch orientierte Geisteswissenschaft, die heute ja schon auch eine künstlerisch ausgeführte äußere Pflegestätte in der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft, dem Goetheanum in Dornach bei Basel in der Schweiz hat, will zu den gewaltigen, den großen Ergebnissen naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, die sie voll aner­kennt, ihrerseits durch exakte geisteswissenschaftliche Methoden übersinnliche Erkenntnisse hinzufügen. Und ich erlaubte mir in meinem letzten Vortrag am 19. Februar hier darauf aufmerksam zu machen, daß ja in der Gegenwart zahlreiche Seelen sich sehnen nach einer Erkenntnis, die ebenso sicher begründet ist wie es die heute als wissenschaftlich geltenden Erkenntnisse sind, aber eben einer Er­kenntnis, welche sich über Gebiete der Welt erstreckt, mit denen das Ewige in der Menschenseele zusammenhängt.

Ich machte darauf aufmerksam, daß diese übersinnlichen Er­kenntnisse nur dadurch erreicht werden können, daß der Mensch gewisse, in seiner Seele veranlagte Fähigkeiten zur Entwicklung bringt. Von diesen Fähigkeiten will man heute in weiten Kreisen unserer gebildeten Menschheit allerdings noch nichts wissen. Aber gerade darauf, daß man von diesen Fähigkeiten nichts wissen will, beruht ja das für jeden bemerkbare Katastrophale unserer Zeit.

Ausgehen muß man zunächst - will man überhaupt an das her­ankommen, was hier als Geisteswissenschaft gemeint ist - von dem, was ich in meinem Vortrag vom 19. Februar «intellektuelle Beschei­denheit» genannt habe. Diese intellektuelle Bescheidenheit wird gerade in demjenigen Zeitalter als eine Paradoxie aufgefaßt werden,

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das sich auf seine Intellektualität ganz besonders viel einbildet. Aber wer in die übersinnlichen Welten - denen doch die mensch­liche Seele mit ihrer eigentlichen Wesenheit angehört - eindringen will, der braucht diesen Ausgangspunkt der intellektuellen Beschei­denheit. Und ich möchte das Gleichnis, wodurch ich schon neulich hingewiesen habe auf diese intellektuelle Bescheidenheit, noch ein­mal wiederholen, da ich ja voraussetzen muß, daß durch den Wech­sel des Vortragssaales eine große Reihe des heute hier versammelten Publikums bei meinem ersten Vortrag nicht anwesend war.

Wenn wir ein fünfjähriges Kind vor uns haben und wir geben ihm einen Band Shakespeare in die Hand, so wird es mit diesem Band spielen, es wird ihn vielleicht zerreißen, jedenfalls aber nicht das tun, was dem Band Shakespeare angemessen ist. Wenn das Kind aber weitere zehn oder fünfzehn Jahre absolviert hat, dann werden sich diejenigen Fähigkeiten, die vorher in der Seele des Kindes ver­anlagt waren, durch die Erziehung, durch den Unterricht herausge­arbeitet haben; es wird nun den Band Shakespeare lesen. Das Kind ist zu einer höheren Stufe des Menschendaseins aufgestiegen, ist seelisch nach fünfzehn bis zwanzig Jahren ein anderes Wesen geworden.

Man muß, wenn man wirklich in die übersinnliche Welt eindrin­gen will, in der Lage sein, sich zu sagen: Vielleicht ist man als er­wachsener Mensch gegenüber der Natur mit ihren Geheimnissen, mit ihren tieferen Gesetzmäßigkeiten in derselben Lage wie das fünfjährige Kind gegenüber dem Band Shakespeare, und vielleicht ruhen im Innern der Seele Kräfte, die man erst herausholen muß. Wenn man ernsthaft mit dieser intellektuellen Bescheidenheit als erwachsener Mensch an die in der Seele schlummernden Kräfte und Fähigkeiten herangeht, dann gelangt man dazu, höhere Erkennt­nisse, als es die gewöhnlichen des Tages und der gewöhnlichen Wissenschaft sind, in sich auszubilden.

Zunächst muß das Vermögen in der Menschenseele ausgebildet werden, welches man im gewöhnlichen Leben als Erinnerungs­vermögen kennt. Durch dieses Erinnerungsvermögen bringen wir Zusammenhang in unser Leben hinein. Durch dieses Erinnerungsvermögen

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zaubert sich vor unsere Seele in Bildern herauf, was wir bis zu einem sehr frühen Jahre der Kindheit erlebt haben. Dieses Erinnerungsvermögen macht dasjenige dauernd, was sonst als Vor­stellung vorüberhuschen würde. Wenn wir uns nur der Außenwelt hingeben könnten, wenn wir uns nur Vorstellungen von den vorüberhuschenden Begebenheiten und Erlebnissen hingeben wür­den, wäre unser ganzes Seelenleben ja ein anderes. - Wenn man nun das, was in der Erinnerung allerdings als dauernde Vorstellungen vorhanden ist, weiter ausbildet, dann gelangt man zu einem ganz anderen Erkenntnisvermögen. Und man kann das durch Methoden ausbilden, die ich in meinem Buch «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», in meiner «Geheimwissenschaft» und in anderen meiner Schriften geschildert habe. Man kann das durch gewisse Vorgänge der Meditation und Konzentration ausbilden, durch ein hingebungsvolles Ruhen auf gewissen, leicht überschau­baren Vorstellungen, die nicht Reminiszenzen sein dürfen, die nicht auf irgendeiner Autosuggestion beruhen dürfen; deshalb müssen sie leicht überschaubar sein.

Auf solchen Vorstellungen muß man mit dem ganzen Gefüge seiner Seele ruhen. Und diese Studien, die der wirkliche Geistesfor­scher bezüglich der Erkenntnisse der übersinnlichen Welten zu machen hat, sind nicht leichter als die Studien, die man in der Kli­nik, im physikalischen, im chemischen Laboratorium oder auf der Sternwarte macht, und sie dauern keineswegs eine kürzere Zeit. Dieses Meditieren, dieses Konzentrieren mit der ganzen Seelenkraft auf gewisse Vorstellungen, die man dauernd macht und auf denen man ruht, das muß jahrelang fortgesetzt werden. In der Seele tief unten ruhende Erkenntniskräfte, von denen der Mensch sonst keine Ahnung hat, sie müssen heraufgeholt werden. Werden sie her-aufgeholt, dann gelangt man dazu, das, was uns ebenso umgibt, wie uns die physisch-sinnliche Welt umgibt, durch diese höheren Er­kenntniskräfte wahrzunehmen. Zuerst nimmt man sein eigenes Er-leben wahr, aber nicht so als den unbestimmten Strom, der bis nahe zu unserer Geburt hingeht, wo die Erinnerungsfragmente herauf-tauchen, sondern man nimmt zunächst wie ein einheitliches, auf

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einmal vorhandenes Lebenspanorama den ganzen Überblick dessen wahr, was man in diesem Leben seit seiner Geburt durchlebt hat. -Und lernt man dieses kennen, dann erfährt man, was es heißt, in seiner Seele außerhalb des Leibes zu leben. Gewöhnlich behauptet der Materialismus - und man findet es ja zunächst berechtigt -, daß alles gewöhnliche Vorstellen, alles gewöhnliche Erinnern, alles gewöhnliche Empfinden und Wollen an den physischen Leib ge­bunden sei. Aber im gewöhnlichen Leben wird ja dieses Empfin­den, wird dieses Wollen, wird dieses Vorstellen unterbrochen. Je­den Tag wird durch den Schlaf dasjenige unterbrochen, was das gewöhnliche, an den Leib gebundene Seelenleben ist. Man empfin­det nur nicht jene bedeutsame Rätselfrage tief genug, welche mit Einschlafen, dem Schlafen und dem Wiederaufwachen verbunden ist. Der Mensch muß ja vorhanden sein im Schlafe, sonst müßte er beim Aufwachen jedesmal wieder neu erstehen. Aber man lernt erst erkennen, in welcher Form der Mensch schlafend vorhanden ist, wenn man jene Übungen absolviert, von denen ich jetzt einige Andeutungen gemacht habe.

Wenn man tatsächlich in die Lage kommt, seelisch so vorzustel­len, daß man sich nicht der äußeren Augen bedient, nicht anderer Sinne bedient, auch nicht des gewöhnlichen, an das Gehirn gebun­denen Verstandes bedient, sondern nur des rein Geistig-Seelischen

- und dazu gelangt man, wenn man das Erinnerungsvermögen aus­bildet in der Weise, wie ich das geschildert habe -, so kommt man dazu, zu wissen, daß der Mensch vom Einschlafen bis zum Aufwa­chen allerdings als geistig-seelische Wesenheit außerhalb seines Lei­bes vorhanden ist und daß nur die Begierde, wiederum zu seinem Leibe zurückzukehren, sich dann geltend macht. Und diese Be­gierde, die verdunkelt das Bewußtsein.

Wer sein Erinnerungsvermögen so entwickelt, wie ich es geschil­dert habe, der wird imstande sein, sich ganz genau wie der Schlafen­de zu verhalten - also nicht mit den Sinnen wahrzunehmen, nicht mit dem Verstande die Sinneswahrnehmungen zu kombinieren -, nur ist er vollbewußt. Er kennt das Geistig-Seelische unabhängig vom Leibe. Dadurch gelangt er auch dazu, dieses Geistig-Seelische

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vor der Geburt oder Empfängnis und nach dem Tode in seiner wahren Wesenheit und im Zusammenhang mit der übrigen über­sinnlichen Welt zu erkennen.

Und wenn er dann dazu noch eine zweite, auch im gewöhnlichen Leben vorhandene Seelenkraft weiter ausbildet, nämlich die Kraft der Liebe, wenn er die Kraft der Liebe zu einer Erkenntniskraft macht, dann lernt der Mensch die Bilder, die er sonst wie ein über-sinnliches Panorama erlebt, auch in ihrer unmittelbaren Realität kennen. Bildet man in der Art, wie ich es auch schon geschildert habe, die Liebefähigkeit aus, dann wird die übersinnliche Er­kenntnis eine bis zu einem gewissen Grade vollkommene. Und was wir dann dadurch erlangen, das ist nicht bloß eine seelische Befrie­digung, das ist nicht bloß etwas, was unser theoretisches Bedürfnis befriedigt, sondern das ist im wesentlichen auch praktisches Le­bensresultat. Daher war es so, daß alles, was von Dornach ausging, von Anfang an ins praktische Leben eingreifen wollte. Und man­ches ist uns gerade für die Lebenspraxis bereits gelungen.

Heute möchte ich auf etwas aufmerksam machen, was im emi­nentesten Sinne ein Glied einer Lebenspraxis ist, die alle Menschen interessieren muß. Ich möchte auf die Art und Weise aufmerksam machen, wie die hier gemeinte anthroposophisch orientierte Gei­steswissenschaft die Erziehungs- und Unterrichtskunst befruchten kann.

Was erlangt man denn eigentlich durch eine solche Geistes­wissenschaft, wie ich sie nun ganz skizzenhaft in ihren Metho­den dargestellt habe? Man erlangt vor allen Dingen eine wirkli­che Menschenerkenntnis. Ohne daß man in das Übersinnliche hineinschauen kann, ist es ja unmöglich, Menschenerkenntnis zu haben. Der Mensch ist ja nicht nur die äußere physische Orga­nisation, über die uns so großartige, gewaltige, nicht genug zu würdigende Aufschlüsse die äußere naturwissenschaftliche Welt­anschauung gibt. Der Mensch ist auch Seele und Geist. Der Mensch birgt in sich den ewigen Wesenskern, der durch Gebur­ten und Tode geht, der ein Bewußtsein nach dem Tode hat, weil er dann nicht die Begierde nach dem Leibe hat, welcher beim

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Schlafe im Bette liegt und wonach er während des Schlafes Begierde hat, die ihm eben sein Bewußtsein im gewöhnlichen Schlafe auslöscht.

Wenn dieser gewöhnliche physische Leib im Tod abgelegt ist, dann erhält der Mensch ein um so helleres Bewußtsein, weil er dann nicht durch irgendeine Begierde nach einem Leib das Bewußtsein ausgelöscht hat. Durch alles das und noch durch vieles, das ich jetzt nicht schildern möchte, das Sie aber in meinen Schriften nachlesen können, erlangt der Mensch dasjenige, was wirkliche Menschen-erkenntnis ist. Und nur aus wirklicher Menschenerkenntnis heraus kann wahre Unterrichtskunst und wahre Erziehungskunst ent­stehen.

Wir haben versucht, gerade dieses Gebiet des praktischen Lebens in der von Emil Molt in Stuttgart begründeten Waldorfschule zu behandeln, die von mir geleitet wird und deren Pädagogik und Di­daktik ganz und gar aus anthroposophisch orientierter Geisteswis­senschaft heraus fließt. Erstens ist schon die Gesinnung der Lehrer-schaft eine solche, daß mit jeder Unterrichtsstunde, mit jedem neu­en Morgen in die Klasse etwas hineingetragen wird, was das Erzie­hen und Unterrichten zu einer Art geistigem Dienst macht. Heißt es denn nicht etwas Besonderes, wenn man durch anthroposophi­sche Geisteswissenschaft weiß: Dieses Menschenwesen, das sich uns so rätselhaft wunderbar offenbart in dem heranwachsenden Kinde, es ist aus geistigen Welten durch die Empfängnis oder Geburt herabgestiegen? Wenn das eine wirkliche Erkenntnis ist, wenn sie durch anthroposophische Geisteswissenschaft vermittelt wird, dann steht man dem werdenden Menschen, dem Kind so gegen­über, daß hier eine einem von den geistigen Welten anvertraute Aufgabe ist. Dann sieht man, wie das Ewige, das aus geistigen Wel­ten heruntergestiegen ist, sich von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahr aus den zuerst unbestimmten physio­gnomischen Zügen, den unbestimmten Bewegungen des Kindes herausarbeitet zu immer größerer Bestimmtheit. Das Geistig-Seelische sieht man arbeiten an der physischen Ausgestaltung des Menschen.

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Es soll hier nicht irgendwie eine leichtfertige Kritik geübt wer­den an dem, was durch pädagogische Genies im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts hervorgebracht worden ist. Gewiß, es ist da man­cher schöne Grundsatz gerade mit Bezug auf Pädagogik geäußert worden. Es wird zum Beispiel mit Recht betont: Ja, die Pädagogik hat doch solche Grundsätze wie «man solle nichts von außen in die Kinder hineinpfropfen; man solle alles das, was man an die Kinder heranbringen will, aus ihren eigenen Anlagen und Fähigkeiten herausholen». Ganz richtig, ein ausgezeichneter Grundsatz - aber abstrakt und theoretisch. Und so tritt uns gerade das weitaus meiste unserer Lebenspraxis in Abstraktionen, in theoretischen Program­men entgegen. Denn das, was man braucht, um so etwas auszufüh­ren wie aus der Individualität dasjenige herauszuholen, was das Kind in sich ausbilden soll, dazu braucht man wirkliche Menschen­erkenntnis. Menschenerkenntnis, die in alle Tiefen des Menschen hineingeht. Solche Menschenerkenntnis kann aber die Wissen­schaft, die bisher in der modernen Zivilisation vorhanden ist, trotz ihrer großen Triumphe nicht haben.

Ich möchte Ihnen nun ganz konkret gewisse Dinge vorführen, an denen Sie sehen werden, wie diese Geisteswissenschaft, wie sie hier gemeint ist, zu wirklicher Menschenerkenntnis gelangt. Man hat ei­nen billigen Ausspruch, der immer wieder gedankenlos wiederholt wird in den Worten: Die Natur macht keine Sprünge! - Die Natur macht nämlich fortwährend Sprünge, und dieser Ausdruck beruht, wie gesagt, nur auf Gedankenlosigkeit. Denken Sie an die Pflanze:

Sie entwickelt die grünen Laubblätter, dann macht sie den Sprung zum Kelch, dann den Sprung zu den farbigen Blumenblättern, den Staubgefäßen und so weiter. Und so ist es mit allem Leben. Es ist nur eine Phrase, zu sagen, die Natur mache keine Sprünge. Und so ist es namentlich im Menschenleben. Wir haben im Menschenleben, wenn wir es unbefangenerweise durch die Impulse beobachten kön­nen, die gerade anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft gibt, deutlich voneinander unterschiedene Lebensepochen. Die er­ste Lebensepoche geht von der Geburt bis zum Zahnwechsel so um das siebente Jahr herum. Sie endet also mit dem Jahr, in dem wir die

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Kinder in die Volksschule hereinbekommen. Man kann - wenn man nur die nötige Einsicht und Unbefangenheit des Beobachtens hat, wenn man sich gewöhnt, das Leben nur auf einer höheren Stufe so zu beobachten, wie man sonst gerade in der Naturwissenschaft auf der untersten Stufe beobachtet - die großen Unterschiede zwi­schen der ersten und der zweiten Lebensphase des Menschen scharf charakterisieren. Die erste Lebensphase endet mit dem Zahnwech­sei, die zweite mit der Geschlechtsreife. Beide Lebensepochen sind durchaus voneinander verschieden. Die erste Lebensepoche zeigt uns das Kind als ein nachahmendes Wesen. Bis in das Spiel hinein ist das Kind ein nachahmendes Wesen. Gewiß, mancher glaubt, im Spiel präge sich ein gewisses imaginatives Wesen aus. Das ist auch der Fall, aber wenn Sie das Spiel im tiefsten Wesen studieren, wer­den Sie überall die Nachahmungsmomente gerade im kindlichen Spiel wahrnehmen. Und in Anknüpfung an dieses Spiel möchte ich gleich bemerken, wie ungeheuer bedeutungsvoll für eine lebensvol­le, wirklich ins Dasein eingreifende Erziehung und pädagogische Kunst Menschenerkenntnis, Erkenntnis des Menschen in bezug auf seine Totalität ist.

Sehen Sie, jedes Kind spielt anders. Wer einen unbefangenen Beobachtungssinn hat, kann genau unterscheiden, wie das eine Kind, wie das andere Kind spielt. Wenn auch der Unterschied kein großer ist - man muß Psychologe sein, um so etwas beobachten zu können, wenn man überhaupt Pädagoge werden will. Kann man das aber, dann muß man die verschiedenen Arten des Spielens auf eine ganz andere Lebensepoche des Menschen beziehen. In bezug auf die Menschenbeobachtung ist ja die äußere Wissenschaft so, daß sie überhaupt nur das Nächste an das Nächste reiht. Aber damit kommt man nicht weit. Das, was man beobachten kann im kind­lichen Spiel, bleibt nicht in der nächsten Lebensepoche. Da ist das Kind anderen Dingen zugewendet, also in der Zeit vom Zahn-wechsel bis zur Geschlechtsreife. Wenn es auch fortspielt, das eigentliche Spielalter prägt sich nicht mehr so charakteristisch aus wie früher. Das, was die Spielleidenschaften sind, tritt in die Tiefe der Seele zurück und erst in einem viel späteren Lebensalter tritt es

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wieder zutage: in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre, wenn der Mensch sich in das praktische Leben hineinstellen soll. Der eine stellt sich mit großer Geschicklichkeit in die Aufgaben des Schick­sals hinein, der andere wird ein weltenferner Träumer, und zwi­schen beiden sind die mannigfaltigsten Nuancen möglich. Die Art, wie sich der Mensch in diesen Jahren in das praktische Leben hin­einstellen kann, ist durchaus zu erklären, wenn man weiß, wie der Mensch mit vier, fünf, sechs, sieben Jahren gespielt hat.

Daher ist es von einer durchgreifenden Wichtigkeit, als Pädago­ge, als Erzieher das kindliche Spiel zu leiten; zu beobachten, was aus dem Kind herauswill, zu lenken dasjenige, was nicht heraus soll, weil das Kind dadurch ungeschickt würde im späteren Leben. Denn man gibt dem Kind, wenn man das Spiel im zartesten Alter in der richtigen Weise leitet, etwas mit für die Lebenspraxis, wie sie sich erst in den zwanziger Jahren ausbildet. Das ganze Leben des Men­schen hängt zusammen, und was wir in der Jugend in die kindliche Seele einpflanzen, das kommt erst viel später im Leben in den man­nigfaltigsten Metamorphosen zutage. Nur eine totale Menschen­kenntnis, wie sie anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft gibt, kann tatsächlich Zusammenhänge, die so weit auseinan­derliegen wie die zwanziger Jahre und das kindliche Alter, wie das Hineinfinden in die Lebenspraxis und die Spieltriebe, durchschau­en; nur solche Geisteswissenschaft kann so tief hineinschauen in das Leben. Das wird Ihnen eine Vorstellung davon geben, aus welchem Umfang einer Menschenerkenntnis diese anthroposophisch orien­tierte Geisteswissenschaft arbeiten will, um eine pädagogische Kunst auszubilden.

Ein nachahmendes Wesen ist das Kind, sagte ich, bis zum sieben­ten Jahre ungefähr. Und ich sage diese Zahl Sieben wahrhaftig nicht aus irgendeiner mystischen Neigung heraus, sondern weil tatsäch­lich der Zahnwechsel ein Wichtiges in der ganzen Lebensentwick­lung des Kindes ist. - Das Kind lernt durch Nachahmung die be­sondere Artung seiner Bewegungen, auch seine Sprache; es entwik­kelt sogar auf diese Weise die Form seiner Gedanken. Weil der Zu­sammenhang zwischen der Umgebung des Kindes und dem Kind

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selbst nicht nur von dem Äußerlichen abhängig ist, sondern Impon­derabilien in sich birgt, müssen Eltern oder Erzieher, die in der Umgebung des Kindes leben, sich klar darüber sein, wie das Kind sich anpaßt an das, was die Erwachsenen in seiner Umgebung nicht nur äußerlich tun - nicht nur, was sie sprechen -, sondern was sie empfinden, was sie fühlen, was sie denken. Man glaubt das gewöhn­lich nicht in unserem materialistischen Zeitalter, daß auch ein Unterschied besteht in bezug auf die Heranbildung des Kindes, ob wir uns edlen oder unedlen Gedanken in der Nähe des Kindes hin­geben, weil man die Lebenszusammenhänge nur nach äußerlichen materiellen Entitäten sieht, und nicht, wie die Dinge innerlich durch Imponderabilien zusammenhängen. Das sieht man, wenn man das Leben wirklich seinen innerlichen Strukturen nach beob­achtet.

Ich möchte an einem Beispiel erhärten, auf was es eigentlich bei solchen Dingen ankommt: Es kam einmal ein Vater zu mir, der klagte bitterlich - und ich könnte manches ähnliche Beispiel anfüh­ren -, sein fünfjähriges Knäblein habe gestohlen. Er war darüber sehr unglücklich. Ich sagte: Wir wollen einmal nachsehen, ob der fünfjährige Knabe wirklich gestohlen hat. - Ich ließ mir den Fall beschreiben. Was war eigentlich geschehen? Der Junge hatte aus der Schublade, in der die Mutter ihre Pfennige verwahrte, die sie immer brauchte für die täglichen kleinen Bedürfnisse, etwas Geld heraus­genommen, Näschereien dafür gekauft; er hatte nicht einmal aus Egoismus das getan, sondern er hatte die Näschereien verteilt unter andere Kinder Ich sagte zu dem Vater: Das Kind hat nicht gestoh­len, sondern was die Mutter immer tut, das hält das Kind auch für richtig, daß es das tun dürfe, denn es ist ja in dem Alter von fünf Jahren noch durchaus ein nachahmendes Wesen. Dessen müssen wir uns bewußt sein: nicht durch Ermahnungen, durch Gebote wirken wir auf die Kinder. sondern lediglich durch das, was wir in ihrer Umgebung tun.

Und wir gelangen erst zu einem gesunden Urteil über die ganze Seelenkonfiguration des Kindes, wenn wir wissen: Mit dem Zahn-wechsel wird diese Seelenkonfiguration des Kindes eine wesentlich

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andere. Da tritt an die Stelle des bloßen Nachahmens das seelische Verhalten zur Umgebung als einer selbstverständlichen Autorität. Und wir haben es während der ganzen Schulzeit zu tun mit diesem Verlangen des Kindes nach der selbstverständlichen Autorität des Lehrers, des Erziehers oder dessen, der sonst das Kind umgibt. Man muß nur wissen, was es für das ganze Leben bedeutet, wenn man in diesem kindlichen Alter vom siebenten bis zum fünfzehnten Jahr mit einer wirklichen, großen inneren Scheu zu denjenigen aufgese­hen hat, die als Erwachsene mit erzieherischer Autorität in der Umgebung waren, die so zu uns standen, daß uns das, was wir für wahr und falsch hielten, hervorging aus der Art und Weise, wie die­se Erzieher wahr und falsch sahen; auf dasjenige, was für die Erzie­her der Maßstab von wahr und falsch war. Ins Menschliche, nicht in irgend etwas Abstraktes gehen wir hinein, wenn wir Wahr und Falsch, Gut und Böse in diesem kindlichen Lebensalter unterschei­den wollen.

Sie werden nicht glauben, daß ich aus irgendeiner Vorliebe für konservative oder reaktionäre Ideen diese Notwendigkeit - daß aller Unterricht, alle Erziehung zwischen dem siebenten und fünf­zehnten Jahr auch auf selbstverständliche Autorität gebaut werde -vertrete, wenn ich Ihnen sage, daß ich schon 1892 eine kleine Schrift geschrieben habe, in der ich mit aller Entschiedenheit die individu­elle Freiheit des Menschen als eine soziale Grundforderung hinge-stellt habe. Aber keiner kann ein wirklich freier Mensch werden, keiner kann in Freiheit das rechte soziale Verhältnis zu seinen Mitmenschen finden, wenn er nicht zwischen dem siebenten und fünfzehnten Jahr eine selbstverständliche Autorität neben sich an­erkannt hat, und aus dieser heraus den Maßstab für Wahr und Falsch, Gut und Böse prägen lernte, um erst hinterher zu dem selbständigen Maßstab der verstandesmäßigen oder sonstigen rein innerlichen, autonomen Beurteilung zu kommen.

Und dann ist die Seele des Kindes in diesem Lebensalter noch so beschaffen, daß sie zuerst durchaus noch mit der Umgebung ver­wachsen ist. Erst wenn wir an das Ende dieser Lebensphase kom­men, die in das zwölfte, dreizehnte Jahr fällt, da sehen wir, daß das

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Kind sich deutlich von seiner Umgebung unterscheidet, daß es weiß: das Ich ist innerlich, die Natur äußerlich. Gewiß, das Ich­Bewußtsein ist natürlich in dem allerersten Kindesalter vorhanden, aber da ist es doch mehr ein Gefühl. Man muß wissen, wenn man richtig erziehen will, daß zwischen dem neunten und dem zehnten und einem halben Jahr ungefähr ein außerordentlich wichtiger Punkt in der kindlichen Entwicklung liegt. Es ist der Punkt, wo das Kind sich innerlich so vertieft, daß es sich überall von der Natur und der sonstigen Außenwelt unterscheiden lernt. Vor diesem Zeit­punkt, der ein starker Wendepunkt im menschlichen Leben ist, sieht das Kind im Grunde seine Umgebung in Bildern, weil sie noch verwachsen ist mit dem eigenen inneren Leben, in Bildern, die oft­mals symbolisch sind. Es denkt über seine Umgebung in symbo­lischer Weise. Nachher tritt eine andere Epoche ein. Das Kind unterscheidet sich von der Natur und der äußeren Umgebung.

Von einer ungeheuren Bedeutung ist es, daß der Erzieher diesen Lebenspunkt, der für das eine Kind etwas später, für das andere etwas früher liegt, in der richtigen Weise beurteilen kann. Denn wie der Lehrer und Erzieher sich zwischen dem neunten und zehnten Jahr in der richtigen Weise verhält - väterlich, freundlich, liebevoll das Kind über diesen Rubikon führend -, das bedeutet einen Ein­schlag in das menschliche Leben, der für das ganze folgende Dasein bis zum physischen Tode hin bleibend ist. Ob ein Mensch in den entscheidenden Augenblicken Lebensfrische haben kann, ob er in­nere Seelenöde durch das Leben trägt, das hängt in vieler Beziehung

- allerdings nicht in jeder - davon ab, wie sich der Lehrer und Er­zieher zwischen dem neunten und zehnten und einem halben Jahr zu dem Kinde verhalten hat. Da handelt es sich manchmal darum, daß man im rechten Augenblick einfach das rechte Wort findet, wenn einem vielleicht ein Junge oder ein Mädchen auf dem Korri­dor begegnet und etwas fragt, daß man die rechte Miene macht, in­dem man antwortet. Erziehungskunst ist nicht etwas, was sich ab­strakt lernen oder lehren läßt - so wenig wie Malen oder Bildhauern oder irgendeine andere Kunst, sondern sie ist etwas, was auf unend­lichen Einzelheiten beruht, die aus seelischem Takt hervorgehen.

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Dieser seelische Takt wird aber gerade aus der anthroposophischen Geisteswissenschaft heraus gewonnen.

Nun ergibt sich auch, wie man unterscheiden muß zwischen dem, was man an das Kind heranzubringen hat vor diesem wichti­gen Lebenspunkte zwischen dem neunten und zehnten und einem halben Jahr und nachher. Da muß man vor allen Dingen beachten, daß wir in unserer jetzigen, vorgerückten Zivilisation etwas haben, was äußerlich, abstrakt und zeichenhaft geworden ist. Gehen Sie zurück in alte Zivilisationen, nehmen Sie irgendwelche Bilderschrif­ten, da wurde dasjenige fixiert, was der Sinn noch faßte. Das wurde zum Bilde gemacht, mit dem der Mensch zusammenhing, womit der Mensch durch Empfindung und Gefühl lebte. Heute iSt das alles zum Zeichen geworden. Wir dürfen nicht wie etwas Frem­des das Lesen und Schreiben an das Kind heranbringen, weil es mit seiner Umgebung vor dem neunten Jahr verwachsen will; wir dür­fen es nicht aus jenem Abstrakten heraus lehren, wie das heute geschieht. In der Waldorfschule beginnen wir den Unterricht durchaus künstlerisch, indem wir das Kind Formen zuerst zeich­nen, sogar farbig zeichnen, malen lassen, die sich aus dem vollen Menschentum heraus ergeben. Wir lassen das Kind zunächst dies machen, und dann, wenn wir das Kind weiterführen in dieser zeich­nerisch-malerischen Weise, entwickeln wir aus diesem Zeichnen die Buchstabenformen, das Schreiben. Aus dem Künstlerischen gehen wir vor, aus dem Künstlerischen holen wir zuerst das Schreiben, dann das Lesen heraus. Dadurch entsprechen wir wirklich dem, was im Kind liegt.

Nicht darum handelt es sich, daß man irgendwie abstrakt in der Pädagogik sagt, man solle nur dasjenige herausholen, was im Kind ist - man muß wissen, wie man das praktisch anfangen soll, daß man wirklich die Menschennatur trifft. Anthroposophische Geisteswis­senschaft ist nirgends Theorie, sondern überall wirkliche Praxis. Das ist es, was sie befähigt, eine solche Erziehungskunst aus­zubilden.

Was ich erwähnt habe über die Autorität, das kann uns noch mit etwas anderem bekanntmachen, was Ihnen vielleicht paradox

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erscheinen wird. Man gibt im heutigen materialistischen Zeitalter außerordentlich viel auf den sogenannten Anschauungsunterricht. Demjenigen, der die wahre Natur des Kindes versteht, ist es etwas Schreckliches, wenn er die abstrakten Rechenmaschinen und alles das, womit das Kind heute oftmals traktiert wird, sieht. Man ver­langt heute von dem Kinde, daß es alles gleich verstehe. Man will den Unterricht so einrichten, daß nichts über das gewöhnliche acht­oder neunjährige Verständnis hinausgeht. Es scheint außerordent­lich wissenschaftlich zu sein. - Glauben Sie nur, meine sehr verehr­ten Anwesenden, auch ein anthroposophisch durchgebildeter Mensch kann das Begreifliche eines solchen Grundsatzes einsehen, geradeso gut wie diejenigen, die solche Grundsätze heute verteidi­gen als etwas, was selbstverständlich sein soll. Dasjenige, was aber selbstverständlich ist, das ist, daß das Kind vor allen Dingen zwi­schen dem siebenten und vierzehnten Lebensjahr in gesunder Weise das Gedächtnis und das Autoritätsgefühl in der Weise ausgebildet bekommen muß, wie ich es eben geschildert habe.

Wer nur immer Anschaulichkeit und Anschaulichkeit haben will, die angepaßt ist dem Verständnis des Kindes, der weiß folgen­des nicht: Der weiß nicht, was es für das ganze Leben bedeutet, wenn man, sagen wir im achten oder neunten Jahr oder im zehnten bis fünfzehnten Jahr etwas auf die Autorität des Lehrers hin aufge­nommen hat; weil es die verehrte autoritative Persönlichkeit einem sagt, hält man es für wahr. Es liegt noch über dem Horizont, man nimmt es aber in die Seele auf. Vielleicht erst im fünfund­dreißigsten, vierzigsten Jahr holt man es wieder hervor. Was man gedächtnismäßig schon gehabt hat, durch die reifer gewordene Kraft versteht man es jetzt. Dieses Bewußtsein des Reifergeworden­seins, dieses Bewußtsein, etwas heraufholen zu können, das er­frischt und erquickt die seelische Kraft in einer Weise, wie man es im gewöhnlichen Leben nicht würdigt, während es die Seele ver­odet, wenn man alles zuschneiden will auf das Verständnis des Kin­des im achten, neunten, zwölften Jahr. - Das ist etwas, was man heute sagen muß, weil die Menschen aus ihrer materalistischen Gescheitheit heraus überhaupt gar nicht mehr in der Lage sind, das

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Naturgemäße, das Richtige, Wesentliche auf solchem Gebiete zu sehen.

Und aus den Untergründen der menschlichen Natur, aus dem, was sich bilden, was sich von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahr entwickeln will, wird der Lehrplan einer solchen Schule gewonnen, wie es die Waldorfschule ist. Dieser Lehrplan ergibt sich ganz aus der Erkenntnis der Wesenheit des Menschen. Er ist kein abstrakter Lehrplan, sondern er ist etwas, was der Pädagogik dieser Schule zugrunde liegt wie das Malenkönnen dem Maler, das Bildhauen demjenigen, der als Plastiker tätig sein will.

Sehen Sie, hier habe ich Ihnen aus dem Erziehungs- und Un­terrichtsgebiet geschildert, wie anthroposophisch orientierte Gei­steswissenschaft in die Lebenspraxis eingeht. Aber überlegen Sie sich einmal, wie das Geistesleben beschaffen sein muß, wenn solche Erziehungs- und Unterrichtspraxis wirklich Platz greifen soll! -Wir sind heute gewöhnt, dieses Geistesleben nur als einen Anhang des Staates, als einen Anhang vielleicht des Wirtschaftslebens zu sehen. Wir sind heute gewöhnt, den wichtigsten Teil des Geistesle­bens, eben gerade das Unterrichts- und Erziehungswesen, von Staats wegen uns vorschreiben zu lassen. Was anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft nun aus einer wirklich eindringen-den Erkenntnis der Unterrichts- und Erziehungsmethoden, die von wahrer Menschenerkenntnis ausgehen, für die moderne Zivilisation geltend machen muß, das ist, daß das Geistesleben, das Unterrichts-und Erziehungswesen in seine eigene freie Verwaltung gestellt wer­den muß. Ich möchte mich ganz konkret aussprechen: Nicht nur Lehren und Erziehen sollen die Lehrer und Erzieher, sondern sie sollen auch die gesamte Verwaltung des Unterrichtens und Erzie­hens frei und unabhängig von Staat und Wirtschaftsleben in der Hand haben. Von der untersten Volksschule an bis hinauf zu den höchsten Lehranstalten soll jeder Lehrer und Erzieher so viel mit Unterrichten beschäftigt sein, daß ihm noch soviel Zeit übrig bleibt, um auch Verwalter des Unterrichts- und Erziehungswesens zu sein. Und nur diejenigen, die noch lebendig im Unterricht und in der Er­ziehung drinnenstehen, die wirklichen Lehrer und Erzieher auf irgendeinem

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Gebiete, nicht die, die Staatsbeamte geworden sind und aus dem Erziehungswesen heraus sind, sollen auch die Verwalter des Erziehungswesens sein. Nichts soll hineinsprechen in das Un­terrichts- und Erziehungswesen als allein das, was auch in Erkennt­nis und Kunst und religiöse Weltauffassung hineinspricht. Die Menschen wollen nicht anerkennen, daß das, was für eine Epoche der geschichtlichen Entwicklung notwendig war, vielleicht auch außerordentlich gut war, nicht für jede Epoche der Geschichte gilt. Als die neuere Zeit heraufkam mit ihrem zentralistisch ein­gerichteten Staat, da war es eine gute, eine selbstverständliche Sache, daß den alten konfessionellen Verwaltungen die Schulen abgenom­men worden sind. Das war damals eine Wohltat für die Mensch­heitsentwicklung. Jetzt aber sind wir an einem Punkt in der Menschheitsentwicklung angekommen, wo das ferner nicht so bleiben kann; wo das, was der Staat Gutes für das Schulwesen lei­sten konnte, erschöpft ist und wo das freie Geistesleben, dasjenige Geistesleben, das aus wirklichen geistigen Quellen herausschöpft, die selbständige Verwaltung des Schulwesens will.

Hier berührt sich die Schulfrage, die Erziehungsfrage, unmittel­bar mit der großen sozialen Frage, mit alledem, was gerade das Wesentliche der sozialen Frage ist. Sehen Sie, bezüglich der sozialen Frage meinen viele, daß das Wesentliche auf äußeren Einrichtungen beruht, daß man nur diese äußeren Einrichtungen anzusehen hat, um die soziale Frage zu erkennen, daß man an diesen äußeren Ein­richtungen zu arbeiten habe, um für die soziale Frage etwas zu tun.

- Wer das Leben wirklich kennengelernt hat, kann so nicht denken. Ich habe das proletarische Denken kennengelernt. Ich hatte dazu nicht nur in meiner eigenen Jugendzeit Gelegenheit, sondern auch dadurch, daß ich durch viele Jahre hindurch an einer Ar­beiterbildungsschule als Lehrer der verschiedensten Fächer tätig war und gesehen habe, was eigentlich in den breitesten Schichten des Proletariats lebt, das sich im Grunde genommen nur durch die moderne Technik als Klasse, als Stand herausgebildet hat.

Da sind es nicht die äußeren Einrichtungen, nicht einmal die Brotfragen, aus der die eigentliche soziale Frage quillt; da ist es die

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Seelenverfassung, die damit zusammenhängt, daß jene Art des Gei­steslebens, die bei den führenden Schichten in den letzten drei bis vier Jahrhunderten sich ausgebildet hat, wie eine Art Religion auf die breiten Massen des Proletariats übergegangen ist. Ich habe diese Weltanschauung aus den materialistischen Grundlagen hervorgehen sehen bei ernst zu nehmenden Menschen, bei tief angelegten Seelen, die in der Bourgeoisie drinnen waren, die zu den führenden Klassen gehörten, und ich habe dabei folgendes erfahren: Solche tiefer angelegten Seelen, sie sagten sich: Man nehme die äußere natur­wissenschaftliche Weltanschauung ernst; man sehe hin, wie sie zeigt, wie die Erde aus irgendwelchen Nebelzuständen durch rein natürliche Notwendigkeiten bis zu ihrem jetzigen Stadium sich ent­wickelt hat und wie sich die verschiedenen Lebewesen stufenweise mitentwickelt haben bis hinauf zum Menschen. Und es wird wie­derum eine Zeit kommen, wo für die Erde entweder die Vereisung oder der Wärmetod eintritt - man mag es so oder so sich vorstellen

-, dann aber wird der große Kirchhof da sein. Was wird dann ge­worden sein aus dem, was der Mensch doch als das Edelste der Menschennatur sehen muß, was in seinem Innern aufgeht als sitt­liche Ideale, als religiöse Impulse, als Kunst, als Wissenschaft?

Menschen habe ich kennengelernt, die diese Frage sich ernsthaft vorlegten, während der größte Teil der modernen Menschen gedan­kenlos diese zwei Welten nebeneinandersetzt, die Welt der äußeren Naturnotwendigkeit und die Welt des eigentlich Menschlich-Wert­vollen, der sittlichen Ideale, der religiösen Überzeugungen, der Er­kenntnis, der künstlerischen Hervorbringung. Da sagen sich dann ernste Seelen: Ja, der Mensch wird dasjenige gewahr, was aus der Seele hervorquillt; das ist aber eine Illusion, das ist wie Rauch, der aus der materiellen Grundlage aufsteigt. Aber es wird einmal der große Kirchhof da sein, und verschwunden und verklungen wird sein, was wir die großen Ideale nennen. - Ich habe die Tragik und den Pessimismus kennengelernt, zu dem tief veranlagte Menschen gekommen sind. Aber ich habe es auch miterlebt, wie diese Weltan­schauung dann in die proletarische Seele eingedrungen ist und wie einem da mit ungeheurer Wirkungskraft ein Wort entgegentrat, das

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aber vieles bezeichnet. Versteht man es, wie es in der proletarischen Seele lebt, dann weiß man viel über die Untergründe der gegenwärtigen Zivilisation und ihre sozialen Fragen. Da lebt in den Proletarierseelen das Wort «Ideologie». Was diese Proletarierseelen als Geistesleben kennen, als Sitte, Recht, Wissenschaft, Kunst und Religion, das nennen sie einen Überbau über den Produk­tionsprozessen, die ihnen das geschichtlich allein Reale sind. Das ist die Erbschaft derjenigen Weltanschauung, die ich eben als tragische geschildert habe und die die Proletarierseelen, die Millionen von Seelen verödet.

Man mag heute als ein Idealist erscheinen, wenn man die eigent­liche proletarische Frage in dem sucht, was das furchtbare Wort Ideologie ausdrückt. Aber diese Idealisten, sie werden recht haben. Und diejenigen, welche in großen Mengen Menschenweisheit und Lebensroutine gepachtet zu haben glauben, die werden sehen, daß über sie die Geschichte hinschreiten wird. - Diese «Ideologie» bedeutet, daß die Seelen dieser Menschenmassen verödet bleiben, keinen Zusammenhang haben mit dem lebendigen Geiste - wie ja die führenden Klassen auch nicht, die an die Proletarier diese Wissenschaft herankommen lassen.

Und da darf ich etwas sagen, was Ihnen im wesentlichen die Aufgabe und die Mission von Dornach, des Goetheanum in Dorn-ach im heutigen Zivilisationszeitalter vor Augen stellen soll. Man­che sehen heute ein: In die breiten Massen muß Aufklärung, muß Wissenschaft hineingebracht werden. Man gründet Volksbibliothe­ken, Volkshochschulen und alles mögliche, um die Wissenschaft, die an unseren Hochschulen ist, an unseren Mittelschulen ist, ins Volk zu bringen. Dornach kann das nicht mitmachen. Dornach will das machen, was in der Veranstaltung jenes Herbstkurses lag, den wir im Herbste 1920 veranstaltet haben und den wir in kleinerem Maßstabe, entsprechend unseren bescheidenen Verhältnissen, zu Ostern wiederholen werden. Da handelte es sich darum, daß von Geisteswissenschaft aus die einzelnen Wissenschaften befruchtet werden sollen. Dreißig Dozenten aus allen Zweigen der Wissen­schaft, auch Industrielle, Kommerzielle und Künstler, trugen in diesem

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Herbstkurse vor, um zu zeigen, wie alle Zweige der Wissen­schaft, der Kunst und des Lebens von dieser Geisteswissenschaft befruchtet werden können. Da handelt es sich darum, daß die Wissenschaft erneuert werde. Da handelt es sich darum, daß in die Wissenschaften Geistiges hereingebracht werde, daß Geist her­eingebracht werde, der nicht einer Kopfkultur entspringt, sondern der aus dem vollen Menschentum herauskommt.

Das also bezweckt das Goetheanum in Dornach, daß in die Hochschulen ein neuer Geist hereingetragen werde, dann erst wird er volkstümlich werden können. - Man will den Geist unserer Hochschule in das Volk hineintragen - kann man nicht an der modernen Zivilisation sehen, was dieser Geist genützt hat bei den­jenigen, die ihn haben? Dieser Geist muß erneuert werden. Nicht muß von diesen Schulen herausgetragen werden die Volksbildung, sondern erst muß in die Schulen hineingetragen werden eine geist-getragene Bildung. - Das ist es, wodurch sich Dornach unterschei­det von allem anderen, was heute in dieser Richtung geschehen soll. Denn auf diesem Gebiet steht man durchaus auf dem Standpunkt, daß man sich zwar vormacht, man sei sehr frei gesinnt, daß man sich aber gerade gegenüber der landläufigen Wissenschaft einem furchtbaren Autoritätsglauben hingibt. Das sage ich wahrhaftig nicht aus Geringschätzung moderner wissenschaftlicher Denkwei­se, sondern aus einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit allen Zweigen dieses Denkens. Wir haben es nötig, auf die Befreiung des Geisteslebens und damit die Befreiung des Schul- und Erziehungs­wesens hinzuwirken, wie einstmals der Staat in die Notwendigkeit versetzt war, Unterricht und Erziehung in sich aufzunehmen und sie den alten Konfessionen zu entreißen.

Ich weiß, was sich dagegen einwenden läßt, das freie Geistes­leben als erstes Glied des dreigegliederten sozialen Organismus aus­zubilden. Aber wenn die Leute kommen und ihre Angst äußern, die Menschen würden dann wohl ihre Kinder nicht in diese freien Schulen schicken, so heißt das doch, die Sache falsch ansehen. Nicht darum handelt es sich, ob die Leute freiwillig ihre Kinder zur Schu­le schicken oder nicht, sondern darum, daß ein freies Unterrichts- und Erziehungssystem

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der Menschheit heute eine Notwendigkeit ist und daß man dann dafür zu sorgen hat, daß trotzdem die Kinder in die Schulen hineingehen. Nicht ein Einwand gegen das freie Gei­stesleben kann dies sein, sondern es muß sich lediglich ein Nach­denken darüber ergeben, wie man trotz eines freien Geisteslebens die Kinder nachlässiger Eltern, gewissenloser Eltern in die Schule hineinbringt. Das ist das erste Glied des von der anthroposo­phischen Weltanschauung auch als richtige Bewegung hin zu Lösungsmöglichkeiten der sozialen Fragen aufgestellten Impulses der Dreigliederung des sozialen Organismus: das freie Geistesleben, das von den Geistig-Wirkenden allein verwaltet wird.

Man kann logisch leichtgeschürzte Begriffe finden, die allerlei beibringen, um diese notwendige Freiheit des Geisteslebens zu ver­teidigen, wie auch um sie anzugreifen, sie abzukanzeln. Darum han­delt es sich aber nicht. Denn Anthroposophie geht überall von der Lebenspraxis und der Lebensbeobachtung aus. Derjenige, der weiß, was der Menschheit eine wirkliche Geisteswissenschaft wieder be­deuten wird, der weiß auch, wie notwendig die Befreiung des Gei­steslebens ist. Man spricht von Ideologie, weil das Geistesleben in Abstraktionen besteht, weil man keinen Begriff davon hat, daß eine Vorstellung, dasjenige, was in der Seele lebt, etwas anderes ist als das Abbild von irgend etwas, weil man nicht mehr weiß, daß die alten Religionen dem Menschen gegeben haben, daß lebendiger Geist in jedem Menschen lebt, der Mensch mit seinem Ewigen dem lebendigen Geiste angehört und nicht nur in seiner Seele wesenlose abstrakte Bilder leben. Lebendige Geisteswelt, die uns innerlich er­füllt, uns mit dem Ewigen verbindet, ist keine Ideologie. In diesem Aufkommen der Ideologie liegt dasjenige, was zu den Katastrophen unseres Zeitalters geführt hat. Aber ein Schul- und Erziehungswe­sen, welches wiederum lebendigen Geist in die Menschheit hinein­bringen will, das muß ein so freies Schulwesen sein, wie ich es ge­schildert habe. Dieses freie Schulwesen erscheint mir als etwas, was im eminentesten Sinne als eine Notwendigkeit von der modernen Menschheit - sofern es diese ehrlich meint mit Menschenheil und Menschenfortschritt - aufgefaßt werden muß.

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Daher betrachte ich es - ich sage das, ohne agitieren zu wollen -als unbedingt notwendig, um viele Niedergangskräfte, die in unse­rer modernen Zivilisation sind, durch Aufgangskräfte zu beseitigen, daß auf internationaler, breitester Grundlage etwas entstehe wie dasjenige, was ich nennen möchte einen Weltschulverein. Dieser Weltschulverein müßte alle Nationen und die weitesten Kreise von Menschen umfassen. Diese Menschen müßten sich bewußt sein, daß ein freies Geistesleben zu schaffen ist. Es nützt gar nichts, wenn die Menschen finden, daß unsere Waldorfschule in Stuttgart etwas Praktisches ist, das man für ein paar Stunden oder für ein paar Wochen ansehen muß. So etwas, was aus einem ganzen geistigen Leben hervorgeht, ansehen zu wollen, heißt so viel, wie wenn man ein Stück aus der Sixtinischen Madonna herausschneiden würde, um eine Vorstellung von dem ganzen Bilde zu bekommen. Nicht durch Hospitieren kann man von dem Geist der Waldorfschule et­was erfahren, sondern indem man die Anthroposophie kennen lernt, die anthroposophische Geisteswissenschaft, die in jedem Leh­rer lebt, in jeder Stunde lebt, in den Kindern lebt, die auch lebt in den Zeugnissen. Ich möchte nur kurz charakterisieren, wie wir in der Waldorfschule nach und nach jedes Kind, trotzdem wir auch große Klassen haben, seiner Individualität nach genau kennenler­nen. Wir geben ihm nicht Zensuren mit, Zeugnisse, in denen steht «fast befriedigend», «kaum genügend» - das ist ja alles Unsinn. Man kann nicht so zensieren. Sondern wir geben den Kindern tatsächlich eine Beschreibung ihres Wesens, die ihnen einen Spiegel das ganze nächste Jahr vorhält, und einen Spruch, der aus tiefster Seele heraus gewählt war. Wir haben es auch erlebt, welchen Wert für die Waldorfschulkinder gerade diese Zeugnisse bekommen haben. Wir haben also das erlebt, was als anthroposophischer Geist in diese Waldorfschule eingezogen ist.

Aber wir wünschen nicht, daß man möglichst viele Winkel­schulen nach dem Muster der Waldorfschule errichtet, sondern was wir wollen, ist, daß in weitesten Kreisen auf internationalem Gebie­te die Einsicht entsteht: man muß den alten Zopf bekämpfen, der nur auf staatlicher Grundlage das Schulwesen aufbauen will. Man

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muß danach streben, es zu erzwingen, daß das freie Geistesleben seine vollberechtigte freie Schule schaffen könne. Wir wollen nicht von Staates Gnaden Winkelschulen errichten, wir werden nicht unsere Hand dazu bieten, sondern was notwendig ist, das ist ein Verständnis für einen solchen Völkerbund, wie er spirituell-geistig in einem Weltschulverein liegen würde. Das würde die Menschen uber das weite Erdenrund in einer großen, einer Riesenaufgabe für ein Stück zusammenführen.

Das ist dasjenige, was ich zunächst über das erste Glied des dreigliedrigen sozialen Organismus sagen will. Die anderen Glieder kann ich, weil sie ja der Lebenspraxis auf anderen Gebieten angehö­ren, nur streifen. - Wir haben den Einheitsstaat im Laufe der letzten vier bis fünf Jahrhunderte gerade in der heutigen zivilisierten Welt herausgebildet. Er hat auf der einen Seite das Geistesleben mit dem Schul- und Erziehungswesen in sich aufgesogen; er hat auch das Wirtschaftsleben aufgesogen, wenigstens zu einem großen Teil. Und die Sozialdemokratie strebt ja danach, den ganzen Staat, den staatlichen Rahmen zu benützen, um im Grunde genommen eine Art kasernierte Wirtschaft einzurichten, wodurch jede wirtschaft­liche Freiheit und jede Individualität zerstört wird, wie wir das sehen am Trotzkismus, am Leninismus, gerade an dem, was da geworden ist, was da in so furchtbarer Weise im Osten Europas bis nach Asien hinein die Menschheit in Konvulsionen versetzt. -Es handelt sich darum, daß die Menschen lernen, wie gewisse Dinge der Menschheit heute notwendig sind.

Das Wirtschaftsleben hat geradeso seine eigenen Bedingungen wie das Geistesleben. Wer wie ich dreißig Jahre, die Hälfte seines Lebens, in Österreich zugebracht hat, das ja gerade das Experimen­tierland war für das Wirken der sozialzerstörenden Kräfte - deshalb ist dieses Österreich auch das erste Opfer dieser Weltkatastrophe geworden -, wer mit sehenden Augen in diesem Österreich gelebt hat, der konnte schon in den siebziger Jahren sehen, wie es dem Ende entgegeneilte. Da kann ich mich auf ein Beispiel beziehen, wie in diesem Österreich im Großen in den Niedergang hineingearbei­tet worden ist. Da wollte man in den siebziger Jahren auch demo­kratisch

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parlamentarisieren. Wie hat man das gemacht? Man hat vier Kurien festgesetzt, die Kurie der Großgrundbesitzer, die Kurie der Handelskammern, die Kurie der Städte, Märkte und Industria­lorte, die Kurie der Landgemeinden. Lauter Wirtschaftsinteressen wurden in das Parlament hineingezogen. Die Vertreter von bloßen Wirtschaftsinteressen in vier Kurien, die sollten für alles Staatliche die Entscheidung fällen. Sie fällten sie natürlich nach Wirtschafts-interessen. Dadurch kamen weder die berechtigten staatlichen Interessen noch die Wirtschaftsinteressen zu ihrer Geltung.

Ich könnte Ihnen Hunderte und Hunderte von Gründen aufzäh­len, welche Ihnen zeigen würden, daß ebenso wie auf der einen Seite das Geistesleben abgesondert werden muß vom eigentlichen Staatsleben, auf der anderen Seite das Wirtschaftsleben ebenfalls ab­gesondert werden muß. Wie das Geistesleben auf den vollständig freien Menschen und die Verwaltung der freien Menschen ein­gerichtet werden muß, so muß das Wirtschaftsleben eingerichtet werden auf das assoziative Prinzip.

Was heißt das, ein assoziatives Prinzip? Nun, wir haben ja heute schon ein Streben nach der Bildung von Konsumvereinen. Die kon­sumierenden Menschen schließen sich zusammen. Und wir haben eine Bewegung, wo sich die produzierenden Menschen der ver­schiedensten Kreise zusammentun. Aber letztlich haben wir eigent­lich nur ein Surrogat, zusammengesetzt aus Konsumierenden und Produzierenden. Erst wenn man nicht nach dem Barometer des Gewinns, sondern wenn man nach dem Bedarf die Produktion einrichtet, wo man die Zusammenhänge von Konsumenten und Produzenten von denjenigen Menschen leiten läßt, die in verschie­denen Wirtschaftszweigen als Sach- und Fachkundige stehen, wo man Ernst macht damit, daß wir in bezug auf das Geistesleben nach Totalität streben, aber niemals im Wirtschaftsleben, wo man in Zu­sammenhang steht mit Menschen, die in anderen Branchen stehen -sobald man damit Ernst macht, wird das assoziative Prinzip im Wirtschaftsleben einziehen. Assoziation wird nicht Organisation sein. Trotzdem ich einen Teil meines Lebens in Deutschland ver­brachte, hat für mich das Wort «Organisation» etwas Fürchterliches,

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und ich habe gerade in Deutschland kennengelernt, was es heißt, alles mögliche organisieren zu wollen. Furchtbares erreicht man, wenn man von einer zentralen Stelle aus immer organisieren will. Assoziieren ist nicht Organisieren. Da bleiben die Indivi­dualitäten in voller Wirkung, schließen sich zusammen, so daß durch den Zusammenschluß ein Kollektivurteil zustande kommt. Sie können Näheres darüber nachlesen in meinem Buch «Die Kern­punkte der Sozialen Frage» und in dem Buche «In Ausführung der Dreigliederung», das eine Anzahl von Artikeln zusammenfaßt, die von mir erschienen sind in der Stuttgarter Zeitschrift «Die Drei-gliederung», die herausgegeben wird vom Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus.

Ich habe darin gezeigt, wie aus dem wirklich praktischen Wirt­schaftsleben heraus diese Assoziationen gebildet werden können; wie diese Assoziationen zu einer gerechten Preisbildung, zu einer erträglichen Preisbildung führen werden. Während wir heute nur eine Zufalls-Preisbildung haben, wird es sich da um eine Preisbil­dung handeln, die wirklich durch das assoziative Zusammenarbei­ten zwischen Konsumenten und Produzenten entsteht. Denn im wirtschaftlichen Leben ist die Preisfrage die Mittelpunktsfrage des ganzen wirtschaftlichen Daseins. Wer nicht einsieht, daß Preise vor allen Dingen durch Assoziationen geregelt werden müssen und nicht durch Statistiken oder dergleichen, sondern durch das lebendige Zusammenwirken in Assoziationen, der weiß nicht, worauf es ankommt. Man braucht sich nicht zu fürchten vor der Bürokratie; größer als heute wird sie sicher nicht sein. Aber da­durch, daß dieselben Leute, die im geschäftlichen praktischen Leben darinnenstehen, auch die Leiter sein werden, dadurch ver­einfacht sich die ganze Arbeit. Und man wird erreichen, daß ein jeder soviel bekommen wird, wenn er irgend etwas produziert, wie er verbraucht für sich und die Seinen, für die anderen Dinge, die er zu besorgen hat, bis er wiederum ein gleiches Produkt hervorgebracht hat. Grob gesprochen: fabriziere ich ein Paar Stie­fel, so muß ich dafür soviel bekommen, wie ich brauche, um wiederum ein Paar Stiefel zu produzieren. Das soll aber nicht in

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utopischer Weise irgendwie festgesetzt werden, sondern das wird sich als das letzte Resultat ergeben, wenn die Assoziationen in der Weise da sein werden, wie ich es in dem Buche «Die Kernpunkte der Sozialen Frage» dargestellt habe. Das ist das Wesentliche bei diesem Impuls der Dreigliederung des sozialen Organismus, daß er nichts Utopisches enthält, sondern ganz und gar aus der Le­benspraxis und aus den Zeitforderungen heraus geboren ist. Sach­und Fachkenntnis müssen leiten das geistige Leben, Sach- und Fachtüchtigkeit müssen das wirtschaftliche Leben in Asso­ziationen leiten, die sich bis zu einer großen, von Landesgrenzen unabhängigen Weltwirtschaftsassoziation verbinden.

In bezug auf das geistige Leben und das wirtschaftliche Leben sind Majoritätsbeschlüsse ein Unding; da muß alles aus Sach- und Fachtüchtigkeit heraus sich entwickeln. Maj oritätsbeschlüsse, eigentliche Demokratie ist nur möglich für diejenigen Angelegen­heiten, in denen jeder Mensch kompetent ist. Es ist ein weites Feld von politisch-rechtlichen Angelegenheiten, die dann übrig bleiben zwischen einem freien Geistesleben und dem auf das Assoziations­Prinzip gestellten Wirtschaftsleben. Es sind alle diejenigen Angele­genheiten, in denen jeder mündig gewordene Mensch dem anderen als ein gleicher im parlamentarischen Leben gegenübersteht, wo alle die Fragen entschieden werden, die dann schon von selbst übrig bleiben aus dem Wirtschaftsleben, aus dem Geistesleben.

Die Fachleute haben merkwürdigerweise eingewendet, sie ver­stünden, daß im dreigliedrigen sozialen Organismus das freie Gei­stesleben und das assoziative Wirtschaftsleben sein müssen, aber für das Staatsleben bleibe ja dann nichts mehr übrig. - Das ist sehr charakteristisch. Das moderne Staatsleben hat so stark - sogar in den Ideen - Wirtschaftsleben und Geistesleben aufgesogen, daß es gerade die wichtigsten Dinge nicht entwickelt hat, so daß Fachleute gar kei­ne Ahnung haben, welche Aufgaben das Staatsleben haben kann.

Das, was ich Ihnen heute vorgetragen habe, ist nur skizzenhaft. Es wird in den genannten Büchern weiter ausgeführt. Es knüpft aber im Grunde doch an die intensivsten historischen Notwendig-keiten an.

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Wir sehen aus dem 18. Jahrhundert herüberstrahlen in unser Zeitalter die großen Menschheitsideale Freiheit, Gleichheit, Brüder­lichkeit. Wie könnten wir nicht fühlen, was in diesen drei großen Menschheitsimpulsen liegt! Und dennoch - es hat gescheite Leute gegeben im Laufe des 19. Jahrhunderts, die unwiderleglich gezeigt haben, daß im Einheitsstaat Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht nebeneinander bestehen können. So haben wir auf der einen Seite das Merkwürdige, daß unsere Herzen höher schlagen, wenn wir von diesen drei großen Menschheitsidealen hören, wenn wir sie innerlich empfinden, daß aber andererseits wiederum der gescheite Staatsmann - ich sage das ganz ohne Ironie - nachweisen kann, daß diese drei Ideale im Einheitsstaat sich nicht miteinander vertragen. Was liegt da vor? Da liegt das vor, daß die Menschen im 18. Jahr­hundert als unwiderlegliche Menschheitsideale und Menschheits­impulse Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gefühlt haben. Sie waren aber noch in der Suggestion, daß alles der Einheitsstaat ma­chen müsse. Heute müssen wir reif werden für den dreigegliederten sozialen Organismus. In ihm erst werden sich wahrhaft Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit verwirklichen können. In einem freien Geistesleben, von dem ich hoffe, daß es durch einen Weltschulver-ein wirklich an das Tageslicht gefördert werden könnte, wird wirk­liche Freiheit der Menschen herrschen. In dem Staatsleben, das zwischen dem freien Geistesleben und dem Wirtschaftsleben steht, wird alles auf Gleichheit gebaut werden können; es werden in seiner Verwaltung nur diejenigen Dinge vorkommen, in denen wirklich jeder mündig gewordene Mensch kompetent ist und als Gleicher dem anderen mündig gewordenen Menschen gegenüberstehen kann. Im Wirtschaftsleben werden sich in den Assoziationen Kon­sumenten- und Produzenten-Interessen zusammenschließen, den Ausgleich finden und zuletzt gipfeln in einer menschenwerten Preisbildung.

Wir werden eine Möglichkeit haben, die drei großen Mensch­heitsideale der Menschheitsentwicklung einzuverleiben, wenn wir uns befreien von der Suggestion des Einheitsstaates,indem wir er­streben: Im Geistesleben Freiheit, im Staatsleben oder politischen

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oder rechtlichen Leben - dem zweiten Gliede des sozialen Organis­mus - die Gleichheit; im assoziativ gestalteten Wirtschaftsleben die aus der Sachlichkeit der Produktion und Konsumtion heraus wirkende Brüderlichkeit.

Freiheit im Geistesleben, Gleichheit im Staatsleben, Brüderlich­keit im Wirtschaftsleben: das gibt erst den drei größten sozialen Idealen der Menschheit - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit -die richtige Bedeutung,

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FRAGENBEANTWORTUNG AM PÄDAGOGISCHEN ABEND Darmstadt, 28. Juli 1921

Frage: Die neuere Zeit hat den Grundsatz der Anschauung im Unterricht wieder ausgegraben. Nun zeigt sich, wenn das Kind die Schule verläßt, daß es dem Leben gegenüber hilflos ist, wenn es denken soll. Es ist vor lauter Anschauung haften geblieben am Bilde.

Rudolf Steiner: Das ist eine außerordentlich wichtige pädagogische Frage der Gegenwart, die Frage [nach] der Anschaulichkeit bezie­hungsweise der ausschließlichen Anschaulichkeit des Unterrichts. Nun ist diese Frage vielleicht nicht so spezialistisch, sondern nur im ganzen pädagogischen Denken drinnenstehend überhaupt erschöp­fend zu behandeln. Da möchte ich zunächst einmal erwähnen, daß ja der Unterricht in der Waldorfschule auf unsere Erkenntnis von der Entwicklung des Menschen gebaut ist. Nicht wahr, die Wal­dorfschule ist ganz sicher keine Weltanschauungsschule, aber was an pädagogischer Geschicklichkeit, an pädagogischer Methodik, pädagogischer Handhabung der Dinge gerade aus anthroposophi­scher Seelenverfassung heraus erreicht werden kann, das soll eben in die Praxis umgesetzt der Waldorfschule zugute kommen. In die­ser praktischen Beziehung spielt eine große Rolle die Anschauung, daß man es bei dem Kinde bis etwa zum sechsten, siebenten Jahr mit einem nachahmenden Wesen zu tun hat. Das Kind ist Nachah­mer bis in dieses Lebensalter hinein. Das geht so weit, daß in diesem Lebensalter, im Kindergartenalter also, eigentlich nicht im gewöhn­lichen Sinne gelehrt werden sollte, sondern auf die Nachahmefähig­keit des Kindes gerechnet werden sollte. Sehen Sie, wenn man sich jahrzehntelang mit solchen Dingen beschäftigt hat, wie ich es muß­te, da hat man allerlei Erfahrungen gemacht. Die Leute kommen zu einem und fragen um allerlei Dinge. So kam einmal ein Vater zu mir, ganz unglücklich, und sagte: Was sollen wir machen, unser Junge, der immer ein braver Junge war, hat gestohlen. - Ich fragte den Vater: Wie alt ist der Junge? - Vier bis fünf Jahre. - Dann, sagte

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ich, müssen wir doch erst untersuchen, ob er wirklich gestohlen hat.

- Die Untersuchung ergab, daß er gar nicht gestohlen hatte, der kleine Junge, trotzdem er Geld aus einer Schublade genommen hat­te. Er hatte nur jeden Tag gesehen, daß die Mutter den Lieferanten aus ihrer Schublade Geld gibt. Er dachte: Die Mutter hat es so ge­macht, dann ist es doch so richtig - und er hat einfach auch Geld aus der Schublade genommen. Er hat Naschereien gekauft, aber sie nicht selber verzehrt, sondern er hat sie verschenkt. Das Kind war eben seinem Alter entsprechend ein Nachahmer. Was es tat, war einfach eine Handlung der Nachahmung. Es handelt sich darum, daß man den Kindern in diesem Alter tatsächlich nichts vormacht, was sie nicht nachahmen dürfen. - Dann beginnt jenes Lebensalter, das mit dem Zahnwechsel beginnt und mit der Geschlechtsreife endigt, also das eigentliche volksschulmäßige Alter. Dieses volks­schulmäßige Alter fordert einfach - was heute aus manchen Par­teirichtungen heraus verlangt wird, das muß zurückgestellt werden, das Sachliche muß in den Vordergrund gestellt werden -, dieses Alter fordert, daß das Kind auf Autorität hin begreifen und auch handeln lernt. Es ist einmal für das ganze spätere Leben, gerade für die Heranerziehung für spätere schwere Zeiten und für alles Mög­liche im Leben, von ganz besonderer Bedeutung, daß das Kind in diesem Lebensalter, vom siebenten bis zum vierzehnten Jahr un­gefähr, auf Autorität hin etwas annimmt. Dieses Verhältnis einer selbstverständlichen Autorität des Lehrenden und Erziehenden zum Kinde, das ist etwas, was für den Menschen in seinem ganzen späteren Leben nicht durch etwas anderes ersetzt werden kann. Man könnte sehr leicht Beweise finden für das, was der Mensch später nicht haben kann, wenn er nicht das große Glück hatte, eine selbstverständliche Autorität neben sich zu haben.

Da hinein, in dieses Lebensalter, fällt nun die Frage des An­schauungsunterrichts. Dieser Anschauungsunterricht, wie er heute gefordert wird, ist in seinem Extrem aus dem Materialismus her-ausgewachsen. Man will einfach alles vor das Auge hinstellen. Man glaubt an nichts anderes, als was vor dem Auge ist; so soll auch alles vor das Kind hingestellt werden. Aber nicht nur diejenigen

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Schwierigkeiten entstehen, die Sie hervorgehoben haben, sondern auch andere, die auf der Lehrerseite entstehen. Man neh­me einmal die Hilfsbücher zur Hand, die für Lehrer geschrieben sind, in denen Anleitung gegeben wird zum Anschauungsunter­richt. Die Banalitäten und Trivialitäten, die man da aufgetischt bekommt, sind geradezu Ungeheuerlichkeiten. Da wird instinktiv immerfort angestrebt, alles auf ein möglichst niedriges Niveau zu schieben. Das ist der Anschauungsunterricht, in dem man dem Kinde nichts mehr beibringt, als was es selber schon weiß. Das ist der denkbar schlechteste Unterricht, der in dieser Weise Anschau­ung liefert. Der Unterricht ist der beste, der nicht nur für das kindliche Alter sorgt, sondern für das ganze Leben des Menschen. Wenn das Leben nicht so ist, daß man noch im vierzigsten, fünf­zigsten Jahr etwas von seinem In-der-Schule-Sitzen hat, dann wai der Unterricht schlecht. Man muß auf den Schulunterricht zu­rückblicken können in einer Weise, daß lebendige Kräfte in die­sem Rückerinnern liegen. Wir wachsen ja auch, indem unsere Gliedmaßen größer werden und sich auch sonst manches umge­staltet in uns; alles an uns wachst heran. Wenn wir dem Kinde Begriffe beibringen, Vorstellungen und Anschauungen beibringen, die nicht wachsen, die bleiben, bei denen wir den großen Wert darauf legen, daß sie so bleiben, wie sie sind, dann versündigen wir uns gegen das Prinzip des Wachstums. Wir müssen die Dinge so an das Kind heranbringen, daß sie ins lebendige Wachstum hineingestellt werden. Das können wir wiederum nicht mit dem platten, banalen Anschauungsunterricht, sondern dann, wenn wir als Erziehende dem Kinde gegenübertreten, da kommen dann Imponderabilien in Betracht.

Ich gebrauche sehr häufig ein solches Beispiel wie dieses: Neh­men wir an, wir wollen dem Kinde beibringen einen Begriff - man kann das rein aus der Erkenntnis der Psychologie des Kindes heraus in einem bestimmten Lebensalter -: den Begriff der Unsterblichkeit. Man kann das versinnlichen an Naturvorgängen, zum Beispiel an dem Schmetterling in der Puppe. Man kann sagen: So steckt die unsterbliche Seele im Menschen darinnen, wie der Schmetterling in

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der Puppe, nur daß sie sich in eine geistige Welt hinein entwickelt, wie sich der Schmetterling aus der Puppe entwickelt. - Das ist ein Bild. Man wird dieses Bild dem Kinde beibringen können auf zwei verschiedene Weisen. Die erste ist diese, daß man sich denkt: Ich bin der Lehrer, ich bin ungeheuer gescheit; das Kind ist jung und furchtbar dumm. Ich werde dem Kinde also dieses Symbolum hin­stellen für diesen Begriff. Ich bin selbstverständlich über die Sache längst hinaus, aber das Kind soll auf diese Weise die Unsterblichkeit der Seele begreifen. Nun expliziere ich das in intellektualistischer Weise. - Das ist die Weise, durch die das Kind nichts lernt; nicht weil das Vorgebrachte falsch wäre, sondern weil man nicht in der richtigen Weise eingestellt ist auf das Kind. Wenn ich mich in an­throposophische Geisteswissenschaft einlebe, so ist das nicht ein Bild, durch das ich mich gescheiter fühle als das Kind, sondern eine Wahrheit. Die Natur selber hat auf einer niedrigeren Stufe den Schmetterling, der sich aus der Puppe entwickelt, hingestellt, auf einer höheren Stufe den Durchgang durch die Pforte des Todes. Bringe ich das, was in mir so lebendig lebt, zum Kinde, dann hat das Kind etwas davon.

Man kann nicht bloß sagen, man solle das so oder so machen, sondern auf Imponderabilien kommt es an, auf eine gewisse Seelen-verfassung, die man selber hat als Lehrer - die ist das Wichtige. Da kommen die Schwierigkeiten in Betracht, wenn man bei dem platten Anschauungsunterricht, der immer unpersönlicher und unpersönlicher wird, stehenbleibt; in dem Alter, wo der Lehrer die wichtige Rolle als selbstverständliche Autorität spielen sollte, schal­tet er sich aus. Es gibt zum Beispiel gewisse Dinge, die man einfach auf Autorität hin dem Kinde überliefern soll. Man kann nicht alles auf Grund von Anschauungsunterricht dem Kinde beibringen -zum Beispiel die Moralbegriffe: da kann man nicht vom An­schauungsunterricht, auch nicht von bloßen Geboten ausgehen, die kann man nur auf dem Wege der selbstverständlichen Autorität dem Kinde übermitteln. Und es gehört zu den bedeutsamsten Er­lebnissen, die man im späteren Leben haben kann, wenn man etwas aufgenommen hat im achten, neunten, zwölften Jahr, weil es eine

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verehrte Persönlichkeit als richtig ansieht - dieses Verhältnis zur verehrten Persönlichkeit gehört zu den Imponderabilien des Unter­richtes, der Erziehung -, man wird dreißig Jahre alt, und bei einem bestimmten Erlebnis kommt das aus den Untergründen des menschlichen Bewußtseins herauf; jetzt versteht man etwas davon, was man eigentlich vor zwanzig oder dreißig Jahren aufgenommen hat, damals auf Autorität hin. Das bedeutet etwas Ungeheures im Leben. Das ist in der Tat ein lebendiges Hinüberwachsen dessen, was man in der Kindheit aufgenommen hat. Deshalb ist all dieses Diskutieren über mehr oder weniger Anschauung nicht so wichtig. Die Dinge mussen sich am Objekt selber ergeben. Auch das Disku­tieren über mehr oder weniger Denken und so weiter, das ist auch wenig wichtig. Das Wichtige ist, daß Lehrer an ihren richtigen Platz gestellt werden, daß in der richtigen Weise das Menschliche zu­sammengefügt wird in einer Schulorganisation. Das ist das, worin das Ziel hauptsächlich gesehen werden muß. Mit Lehrplänen oder mit irgendetwas, was in Paragraphen gefaßt werden kann, kann man im wirklichen Leben - und das Unterrichts- und Erziehungsleben ist ein wirkliches Leben - doch nichts anfangen. Denn wenn sich drei oder sechs oder zwölf Menschen zusammensetzen, gleichgül­tig, wie ihre Antezedenzien sind, aus welchem Kreise, aus welcher Vorbildung sie kommen, sie werden einen ideal schönen Lehrplan ausarbeiten können. Wenn man irgendwie aus dem Nachdenken heraus paragraphenmäßig so etwas zusammenstellt, so kann das ideal schön werden, es kann das Wunderbarste drinnenstehen. Ich spotte nicht, es braucht nicht schlecht zu sein, es kann außerordent­lich schön und großartig sein, darauf kommt es aber nicht an. Es kommt darauf an, daß sich in der Schule drinnen, die eine Anzahl von Lehrern hat, das lebendige Leben abspielt; jeder von diesen Lehrern hat seine besonderen Fähigkeiten, das ist das Reale, mit dem muß gearbeitet werden. Was nützt es, wenn der Lehrer darauf hinschauen kann: das und das ist das Lehrziel. - Das ist doch nur eine Abstraktion. Das, was er den Kindern als Persönlichkeit sein kann dadurch, daß er in einer gewissen Weise in der Welt drinnen-steht, darauf kommt es an.

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Die Schulfrage ist in unserer gegenwärtigen Zeit im wesentlichen eine Lehrerfrage, und von diesem Gesichtspunkte aus sollten alle mehr ins Detail gehenden Fragen, wie die Frage nach dem An­schauungsunterricht und dergleichen, behandelt werden. Kann man also zum Beispiel Kinder in ganz extremer Weise durch Anschauungsunterricht unterrichten? - Ich muß sagen, ich emp­finde schon ein leises Grauen, wenn ich diese Torturen mit den Rechenmaschinen in einer Klasse sehe, wo man sogar Dinge, die auf ganz andere Weise gepflegt werden sollen, in Anschau­ungsunterricht umwandeln will. Wenn man bloß mit dem reinen Anschauungsunterricht weitergehen will, so erzielt man - natürlich sind das Dinge, die eine vorurteilslose Beobachtung ergibt -, man erzielt ungeschickte Kinder. - Mit Phänomenologie, mit Phäno­menalismus hat das nichts zu tun: um einen ordentlichen Phä­nomenalismus auszubilden, muß man erst recht denken können. In der Schule hat man es mit pädagogischer Methodik, nicht mit wissenschaftlicher Methodik zu tun. Aber man muß wissen, wie eng ein ordentliches Denken nicht bloß mit dem Gehirn und dem Kopf des Menschen zusammenhängt, sondern mit dem ganzen Menschen. Es hängt von der Art und Weise, wie jemand denken gelernt hat, ab, welche Geschicklichkeit er in den Fingern hat. Denn der Mensch denkt ja in Wirklichkeit mit dem ganzen Leibe. Man glaubt nur heute, er denke mit dem Nervensystem, in Wahrheit denkt er mit dem ganzen Organismus. Und auch umgekehrt ist es: Wenn man in richtiger Weise dem Kinde Schlagfertigkeit im Denken, sogar bis zu einem gewissen Grade Geistesgegenwart auf natürliche Weise beibringen kann, arbeitet man für die körperliche Geschicklichkeit, und wenn man bis in die Körperlichkeit hinein diese Denkgeschicklichkeit treibt, dann kommt einem auch die Geschicklichkeit der Kinder zu Hilfe. Es ist viel wichtiger, was wir jetzt in der Waldorfschule eingerichtet haben, daß die Kinder statt des gewöhnlichen Anschauungsunterrichts im Handfertigkeitsun­terricht übergehen zum Selbstformen, wodurch sie in die Emp­findung hineinbekommen die künstlerische Gestaltung der Fläche. Das leitet dann wiederum hinüber zur mathematischen Auffassung

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der Fläche in späteren Jahrgängen. Dieses Sich-Hineinleben in die Sachen nicht durch bloßen Anschauungsunterricht für die Sinne, sondern durch einen Zusammenlebe-Unterricht mit der ganzen Umwelt, der für den ganzen Menschen erzielt wird, das ist es, worauf hingearbeitet werden muß.

Ich wollte nur darauf aufmerksam machen, daß solche Fragen in das Ganze des pädagogischen Denkens hineingestellt werden sollen und daß man heute viel zu viel im Speziellen herumdiskutiert.

Rudolf Steiner im Anschluß an andere Fragen: Was vorhin gesagt und oftmals betont worden ist, muß festgehalten werden: Die Wal­dorfschule will als solche keine Weltanschauungsschule sein. Daß ihr anthroposophische Seelenverfassung zugrunde liegt, das ist eben nur insofern [der Fall], als sie sich in die erzieherische Praxis um­setzt. So handelt es sich jetzt zunächst bei dem, was in der Waldorf­schule vorliegt, um eine Entwicklung dessen, was auf rein päd­agogischem Wege aus der anthroposophischen Bewegung heraus erreicht werden kann. Eine Weltanschauungsschule kann und will die Waldorfschule nach keiner Richtung hin sein. Daher hat die Waldorfschule auch niemals den Anspruch gemacht darauf - bis jetzt -, den religiösen Unterricht der anvertrauten Kinder selbst in die Hand zu nehmen. Was schließlich der eine oder andere An­throposoph für eine Ansicht hat in bezug auf Weltanschauungsfra­gen, das spielt dabei keine Rolle, sondern es handelt sich darum, daß Anthroposophie in der Schule und alledem, was dazu gehört, nur in pädagogischer Praxis wirken will. Aus diesem Grunde wurde, wie die Schule eingerichtet wurde, der Religionsunterricht der katho­lischen Kinder dem katholischen Pfarrer übergeben und der Reli­gionsunterricht der evangelischen Kinder dem evangelischen Pfar­rer. Nun ergab es sich - das kam einfach aus den gegenwärtigen Zeitverhältnissen heraus -, daß eine ganze Menge Dissidenten-Kin­der da waren, die eigentlich ohne Religion aufgewachsen wären. Für diese wird nun ein Religionsunterricht erteilt, der aber als solcher sich nicht zur Schule rechnet, sondern der sich neben den evangeli­schen und katholischen Religionsunterricht als freier Religionsunterricht

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hinstellt. Wir haben immerhin den Erfolg, daß Kinder, die sonst einfach bei keinem Religionsunterricht zugelassen würden, dadurch nun doch mit einem religiösen Leben aufwachsen. Das ist ein freier Religionsunterricht, der von demjenigen erteilt wird, der etwas davon versteht und der dazu berufen ist wie die anderen, die den katholischen und evangelischen Unterricht erteilen. Das muß aber streng festgehalten werden, daß die Absichten der Waldorf­schule nach keiner Richtung hin Weltanschauungsabsichten sind. Es soll nicht zu einer Anthroposophie dressiert werden, sondern Anthroposophie will nur pädagogische Praxis darin werden. Daher erledigen sich die diesbezüglichen Fragen, sie haben keine Be­deutung. Anfangs handelte es sich darum, daß man einen entspre­chenden Weg finden mußte zu dem, was aus der Praxis heraus folgt. Man hat über die Art und Weise, wie ein sieben-, acht-, neunjähri­ges Kind unterrichtet werden muß, seine Anschauungen, die sach­gemäß sind. Diese Dinge glaubten wir eben aus rein sachlichen Grundsätzen entscheiden zu müssen. Nun ist ja die Waldorfschule natürlich keine Institution für Eremiten oder Sekten, sondern sie ist eine Institution, die sich voll ins Leben hineinstellen will, die für das gegenwärtige, ganz praktische Leben aus den Kindern tüchtige Menschen machen will. Daher handelt es sich darum, den Unter­richt so einzurichten, daß man auf der einen Seite den streng päd­agogischen Anforderungen gerecht wurde, und auf der anderen Sei­te handelt es sich darum, daß die Waldorfschule eben nicht irgend­eine Institution von Sonderlingen ist. Ich habe dann die Sache so ausgearbeitet, daß man vom Schuleintritt bis zur vollendeten dritten Klasse in den einzelnen Jahrgängen absolut freie Hand hat, aber mit der vollendeten dritten Klasse sind die Kinder soweit, daß sie in jede Schule übertreten können. Vom neunten bis zum zwölften Jahr hat man wiederum freie Hand, dann muß das Kind wiederum so­weit sein, daß es in jede andere Schule übertreten kann, ebenso mit der Vollendung der Volksschule. Wir errichten bis jetzt jedes Jahr eine Klasse; was weiter wird, muß studiert werden.

Sie sehen, es handelt sich nicht darum, irgendwie aus partei­mäßigen Anschauungen, durch Weltanschauung oder so etwas, zu

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wirken, sondern lediglich darum, Anthroposophie in pädagogische Praxis umzusetzen. Das Ideal wäre, daß die Kinder zunächst - weil ja Anthroposophie nur für Erwachsene ausgebildet ist, wir haben keine Kinderlehre, sind auch noch nicht in der Lage gewesen, eine solche haben zu wollen - nicht wüßten, daß es eine Anthro­posophie gibt, sondern daß sie objektiv gehalten würden, und durchaus so also in das Leben hineingestellt würden. Diese Dinge sind nicht im Ideal zu erreichen; auch wenn sich der Lehrer noch so viel bemüht, objektiv zu bleiben, so lebt doch das eine Kind im Kreise dieser Eltern, das andere im Kreise jener Eltern; es gibt auch anthroposophische Fanatiker, da bringen die Kinder, wie sie auch sonst allerlei hereinbringen, anthroposophische Ungezogenheiten, die es auch gibt, in die Schule hinein. Das muß durchaus fest­gehalten werden, daß es sich niemals darum handeln kann, daß die Waldorfschule in irgendeiner Weise eine Weltanschauungsschule oder so etwas ist. Das ist sie in gar keiner Richtung, sondern sie will die Kinder zu dem machen, wodurch sie tüchtige Menschen in der unmittelbaren Gegenwart sind, also in dem Leben, in das wir hin­eingestellt sind innerhalb von Staat und von allem, um was es sich handelt, daß sie da tüchtig drinnenstehen. Es ist ja wohl selbstver­ständlich, daß die Waldorfschule nicht etwa Dreigliederungsideen in die Schule hineinträgt. Durch die Bestrebungen der Waldorfpäd­agogik kann das nicht geschehen. Parteimäßiges wird in die Wal­dorfschule nicht hineingetragen von anthroposophischer Seite aus.

Frage: Ist die Methodik, die der Pfarrer vornimmt, nicht etwas dem übrigen Unterricht Entgegengesetztes? Gibt es da nicht einen Zwiespalt?

Rudolf Steiner: Vollkommen kann man im Leben nichts erreichen. Es wäre sehr angenehm, wenn wir nicht nur einen evangelischen, sondern auch einen katholischen Pfarrer fänden, der nach unserer Methodik unterrichten würde. Unsere Schule will, wie gesagt, nur pädagogische Praxis ins Leben setzen, nicht Weltanschauung. Da­mit kann das andere Hand in Hand gehen. Nun ist es ja selbstver­ständlich. daß im freien Religionsunterricht - weil ja nach einem

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solchen, nur von Anthroposophen zu haltenden, gefragt worden ist -, auch nach unserer Methodik vorgegangen wird. Es wäre uns ja sehr lieb, wenn der evangelische und katholische Unterricht auch so erteilt würden, das haben wir aber noch nicht erreicht.

Frage: Wie ist da der Stoff im Unterricht für Anthroposophenkinder in­haltlich?

Rudolf Steiner: Der Stoff ist so bestimmt, daß der Versuch gemacht wird, auch da durchaus auf das kindliche Alter Rücksicht zu neh­men. Das ist das, was psychologisch immer zugrunde liegt. Darum handelt es sich ja bei allen Dingen, daß sie am wirksamsten an das Kind herangebracht werden, wenn man genau das Lebensalter trifft, in dem sie herangebracht werden sollen, in dem das Innere des Kin­des am meisten auf die Dinge resoniert. Es handelt sich darum, daß man in der Tat im siebten, achten Lebensjahr am wenigsten etwas mit objektiver Evangelien- oder Bibelkunde, mit der Katechismus-kunde aber gar nichts erreicht. Das wird vom Kinde nicht aufge­nommen. Ein anthropologisches Gesetz ist das. Dagegen wird vom Kinde in diesem Lebensalter sehr gut alles Religiöse aufgenommen, das sich unmittelbar aus einer gewissen Gestaltung der Naturvor­gänge heraus bilden läßt alle ethischen und echt religiösen Begriffe, die sich aus den Naturvorgängen gestalten lassen. Man kann das Kind vor allen Dingen auf dem Umwege über Naturbilder zum religiösen Empfinden führen.

Heraufleiten zum eigentlich christlichen Empfinden kann man das Kind dann eigentlich erst vom achten Jahr an, ja sogar erst ge­gen das neunte Jahr. Da fängt es eigentlich erst zu begreifen an, was zum Beispiel hinter der Gestalt des Christus Jesus steht. In diese Begriffe, die man da dem Kinde beibringen muß, wenn es den Inhalt der Evangelien begreifen soll, in die wächst es erst hinein. Es ist gut, wenn es einen Unterbau hat und erst gegen das neunte Jahr entspre­chend eingeführt wird in den Inhalt der Evangelien und dann all­mählich weiter hinaufgeführt wird in die tieferen Geheimnisse des Christentums. Es muß betont werden, daß ja auch dieser freie Religionsunterricht im eminentesten Sinne ein durch und durch

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christlicher ist, daß also die verschiedenen Konfessionen, die daran teilnehmen, in ein wirkliches Christentum eingeführt werden. Es ist da schon so, daß man ja selber, eben vom anthroposophischen Ge­sichtspunkt aus, zu der [christlichen] Überzeugung gekommen ist, wenn man Lehrer ist an der Waldorfschule. Man ist von dieser Seite in das Christentum hereingekommen. Man wird vielleicht die Wor­te anders stellen, aber die Kinder werden in ein wirkliches Christen­tum eingeführt. Ebenso, wie wir frei lassen den evangelischen und katholischen Religionsunterricht, so lassen wir auch vollständig frei den freien, nach anthroposophischer Seite hin gehaltenen Religions­unterricht. Es ist durchaus niemals mein Bestreben gewesen, dafür zu agieren, daß die Kinder in diesen freien Religionsunterricht hin­einkommen. Sie kamen zahlreich, aber es ist wirklich nicht das Bestreben, dem äußeren Ruf der Schule dadurch zu schaden, daß es etwa auf solchen Umwegen zustande käme, daß [man sagte, daß] diese Schule eine Weltanschauungsschule sei. Man will das zunächst nicht sein. Deshalb sind wir vorsichtig in bezug auf den freien Religionsunterricht und erteilen ihn nur, weil er eben verlangt wird.

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ANTHROPOSOPHIE UND DIE RÄTSEL DER SEELE Stuttgart, 17. Januar 1922

Den Daseinsrätseln steht der Mensch eigentlich erst dann wirklich gegenüber, wenn er einen Grad von Bewußtheit über das Leben ausgebildet hat, wenn er sich genötigt fühlt, sich Vorstellungen, Empfindungen, Gefühle über sein Verhältnis zur Welt zu machen. Dann aber, wenn er in eine solche Lage gekommen ist, dann be­deuten für ihn die Daseinsrätsel durchaus dasjenige, was man eine Lebensfrage nennen kann, denn sie hängen nicht nur zusammen mit irgendwelchen theoretischen Sehnsüchten, mit bloß äußerlichen Bildungsfragen, sondern es hängt von ihnen die ganze Stellung des Menschen zur Welt ab, die Art, wie sich der Mensch in der Welt zurechtfinden kann, der Grad an Sicherheit, den er im Leben haben kann, und der innere Halt, mit dem er sich durch dieses Leben bewegen kann.

Nun ist aber doch ein beträchtlicher Unterschied zwischen den verschiedenen Arten von Daseinsrätseln. Der Mensch steht der Natur gegenüber, muß sich Vorstellungen, Empfindungen bilden über sein Verhältnis zur Natur, und wenn ich einen Vergleich ge­brauchen darf, so möchte ich sagen: Wenn der Mensch in der Weise zum Bewußtsein gekommen ist, wie ich das charakterisiert habe, und er kann sich nicht hineinfinden in gewisse Dinge, die als Ge­heimnisse der Natur ihm entgegentreten, dann erscheint ihm das Dasein, dem er einmal angehört - wie gesagt, es ist nur als Vergleich ausgesprochen -, wie ein Geistig-Finsteres, er fühlt sich wie in eine finstere Welt hineingestellt, er fühlt, wie er sich in dieser finsteren Welt nicht orientieren kann. Aber es bleibt dieses ganze Verhältnis zu den Weltgeheimnissen des äußeren natürlichen Daseins dennoch bis zu einem gewissen Grade für den Menschen etwas Äußerliches, es betrifft sein äußeres Verhältnis zum Dasein.

Ganz anders steht der Mensch diesen Rätselfragen selber gegen­über, wenn es sich um die Rätsel seiner Seele handelt. In diesen

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Rätselfragen lebt er, diese Rätselfragen machen im Grunde dasjeni­ge aus, was zunächst seelische Gesundheit und Krankheit sein kann, was aber auch zur körperlichen Gesundheit und Krankheit werden kann. Denn das Seelenleben, es ist etwas außerordentlich Kompli­ziertes, so einfach es zunächst auch erscheinen mag. Was wir wäh­rend unseres tagwachen Zustandes vom Morgen bis zum Abend in unserem Bewußtsein tragen - es ist ja heute durchaus auch wissen­schaftlich anerkannt -, das ist ja nur ein Teil unseres Seelenlebens. Ein großer Teil unseres Seelenlebens ruht in unbewußten oder, ich könnte auch sagen unterbewußten Tiefen; es schlägt seine Wellen herauf in Form von unbestimmten Empfindungen, von unbestimm­ten Stimmungen, wohl auch von allerlei anderen Seeleninhalten, und bildet dasjenige, was eine unbestimmte Grundfassung unseres Seelenlebens ist. Das aber, was in dieser Weise mehr oder weniger unbestimmt in den Untergründen unseres Seelenlebens sich abspielt und heraufflutet, das hängt innig zusammen mit dem, was eigentlich das Glück oder Leid unseres Lebens ist. Und gerade wer auf an­throposophischem Weg versucht, in das Seelenleben des Menschen einzudringen, der merkt sehr bald, wie alles, was in einer solchen Art unbestimmt aus den Tiefen des Seelischen heraufflutet, mit dem Körperlich-Leiblichen zusammenhängt, wie zuerst leise, dann im­mer mehr und mehr unser ganzer Gesundheitszustand, der uns le­benstüchtig oder lebensunfähig macht, von diesen unterbewußten Seelenstimmungen abhängen kann.

Nun will ich heute nicht in der Art zu Ihnen sprechen, wie ge­genwärtig über dieses Unbewußte der Seele sehr häufig gesprochen wird, indem man alles dasjenige, was unklar im Bewußtsein schil­lert, eben in den großen Behälter dieses Unbewußten unterbringt und sich mehr oder weniger vage Vorstellungen darüber macht, wie dieses Unbewußte oder Unterbewußte wirkt. Ich spreche ja seit vielen Jahren hier von diesem Ort aus über Fragen der an­throposophischen Forschung und kann daher heute nicht von dem Allerelementarsten dieser Forschung ausgehen, sondern ich möchte die Fragen des Seelenlebens in ihrem ureigentlicheh Sinne so be­trachten, wie sie in einem gewissen Sinne mit Glück oder Unglück

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des Lebens zusammenhängen. Da muß man aber schon eingehen auf das, was im menschlichen Seelenleben, durchflutet von allerlei zunächst Unbekanntem, auf das wir eben gerade durch die heutigen Betrachtungen mehr oder weniger klar hinweisen wollen, beun­ruhigend oder beruhigend, beglückend oder leidvoll - und was da­zwischenliegt - wirken kann.

Nun finden wir in unserem Seelenleben, wenn wir auch nur oberflächlich über dasselbe hinblicken, zwei deutlich voneinander zu unterscheidende Pole: Auf der einen Seite das Vorstellungsleben, das alles das umfaßt, was sich klar, lichtvoll in unserem Bewußtsein abspielt, und auf der anderen Seite das Willensleben, das in einer gewissen Weise zunachst dunkel, finster aus den seelischen Unter­gründen heraufspielt.

Wir unterscheiden - ich habe ja das schon öfter hier erwähnt

- im gewöhnlichen Lebensverlauf des Menschen zwei Bewußt­seinszustände, von denen eigentlich nur der eine ein deutlicher Bewußtseinszustand ist: den Wachzustand und den Schlafzustand. Im Schlafzustand hört das bewußte Vorstellungsleben auf, das ganze Seelenleben sinkt hinunter in ein mehr oder weniger finste­res Dunkel. Aber wir können, wenn wir ganz unbefangen auf unser Seelenleben im Wachzustand hinblicken, nur davon spre­chen, daß wir in bezug auf alles dasjenige, was vorstellungsmäßig ist, wirklich wach sind. Wir haben uns gewissermaßen als wache Menschen in der Hand, insofern wir unser Bewußtsein angefüllt haben mit klaren Vorstellungen, mit lichtvollen Gedanken. Wir begleiten auch unsere Willensimpulse, wir begleiten unsere Hand­lungen mit Gedanken. Aber vollständig dunkel bleibt, selbst bei der einfachsten Bewegungshandlung des menschlichen Leibes, wie der Gedanke des Bewußtseins zusammenhängt mit demjenigen, was eigentlich bei einem Willensimpuls, bei einem Handeln vor sich geht. Wie dunkel ist es doch, was eigentlich im Innern des Armes geschieht, wenn ich nur diesen Arm hebe, wenn der Ge­danke, der das Ziel dieses Armhebens hat, sich verwirklichen will, gewissermaßen hineinschießen und willentlich den Arm in Be­wegung setzen will.

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Was da im eigenen Organismus vor sich geht, das entzieht sich dem wachen Tagesbewußtsein ganz genau so wie das, was im Men­schen seelisch vorgeht vom Einschlafen bis zum Aufwachen, so daß wir eigentlich durchaus sagen müssen: Es ist für dieses menschliche Seelenleben so, daß wir auch im Wachzustand einen Einschlag des Schlafens haben, daß uns der Schlafenszustand fortwährend durchdringt und daß wir nur im Vorstellen selber, im Erleben licht-voller, klarer Gedanken, vollständig wach sind. Zwischen diesen beiden Zuständen, zwischen dem, ich möchte sagen vollständig wachen Vorstellungszustand und dem in Dunkelheit eingetauchten Willensleben liegt, an beiden teilnehmend, das Gefühls-, das Ge­mütsleben. Unsere Gefühle durchdringen unsere Vorstellungen. Wir bringen aus unseren Gefühlen gewisse Sympathien und Anti­pathien in das Vorstellungsleben hinein, verbinden dadurch unsere Vorstellungen meist oder trennen sie. Wir begleiten das, was in unsere Willensimpulse einfließt, mit unserem Gefühlsurteil, indem wir die einen Handlungen als pflichtgemäß empfinden, die anderen als Verfehlungen gegenüber der Pflicht. Und indem wir den pflicht­gemäßen Handlungen gegenüber eine gewisse Befriedigung des Gefühls haben oder eine Unbefriedigung des Gefühls demjenigen gegenüber, was uns nicht gelingen kann oder was wir aus einem anderen Grunde verfehlen, flutet zwischen dem Vorstellungsleben und dem Willensleben das Gefühlsleben hin und her.

Aber die eigentlichen Seelenrätsel, sie treten nicht auf für den dumpfen Menschen, der sich in der eben geschilderten Weise auf der einen Seite dem Vorstellungsleben, auf der anderen Seite dem Gefühlsleben und dem Willensleben übergibt, sondern diese Seelenrätsel treten hervor, indem sich der Mensch immer bewußter und bewußter wird. Und auch dann treten die erlebten Seelenrätsel nicht vollbewußt auf, sondern sie gehören gerade zu den mehr oder weniger unterbewußten Erlebnissen des Menschen. Der Mensch wird sich nie in seinem Bewußtsein ganz klar, wovon eigentlich die Stimmung, woher die Verfassungen seines Seelenlebens, die sein tägliches Glück, sein tägliches Leid so beeinflussen, eigentlich kom­men. Man muß schon dasjenige aufsuchen und klar aussprechen,

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was unklar im Bewußtsein lebt. Und das bitte ich Sie zunächst bei den Ausführungen, die ich nun gleich machen werde, zu berück­sichtigen: daß ich genötigt sein werde, etwas in klaren Worten aus­zusprechen, was niemals in dieser Klarheit im Bewußtsein lebt, was aber im Seelenleben gesundend und krankmachend vorhanden ist, was der Mensch spürt, was der Mensch empfindet, ohne daß er es sich zum Bewußtsein bringen kann. Und weil das so ist, deshalb sind die Seelenrätsel nicht bloß theoretisch, deshalb sind die Seelen-rätsel durchaus erlebte Daseinsrätsel.

Wenn der Mensch sich dem Vorstellungsleben hingibt - wie ge­sagt, ich spreche klar aus, was nur unklar empfunden wird, was nie­mals ganz zum Bewußtsein gebracht wird -, so empfindet er etwas wie die Nichtigkeit seines eigenen Daseins. Das Vorstellungsleben ist ein Bild-Erleben. Das Vorstellungsleben ist etwas, was sich uns während unseres wachen Tageslebens anfüllt mit dem, was wir aus der äußeren Welt an Eindrücken, an Wahrnehmungen empfangen; was wir aus der Natur herein erleben, das bildet den Inhalt unserer Vorstellungen, das lebt in uns, das ist es selbst, was wir aus unseren Erinnerungen heraufholen. Aber wir sind uns bewußt: Ja, du bist tä­tig, indem du deine Vorstellungen verarbeitest in den Vorstellungen, indem du die Vorstellungen trennst und verbindest, du bist innerlich tätig, aber du hast deine Tätigkeit nicht voll in deinem Geist gegen­wärtig; was in deinem Geist gegenwärtig ist, das ist im Grunde genommen Spiegelbild der äußeren Welt. - Wir wissen, daß wir uns anlehnen müssen mit unserem Vorstellungsleben an diese äußere Welt. Das, was wir haben, ist bloß ein Bild der äußeren Welt; wir le­ben, indem wir in unseren Vorstellungen leben, in Bildern, wir emp­finden kein vollinhaltliches Dasein in unserem Vorstellungsleben.

Und diese Empfindung, sie lebt sich unterbewußt aus, so sonder­bar, so paradox das klingt. Und so wenig es im Bewußtsein vorhan­den ist - es ist im Unterbewußten lebendig, es lebt sich dieses Emp­finden gegenüber dem Vorstellungsleben in gewissen ängstlichen Gefühlen aus, in Gefühlen der Angst.

Es klingt paradox, aber es gibt diese Unterströmung des mensch­lichen Seelenlebens. Die meisten Menschen wissen nichts davon,

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aber die meisten Menschen oder eigentlich alle Menschen stehen fortwährend unter ihrem Einfluß. Und diese Unterströmung ist eine ängstliche Strömung, daß wir sozusagen uns selber in der Welt verlieren könnten, daß wir über einem Abgrund stehen deshalb, weil unsere Vorstellungswelt eine Bilderwelt ist. Und wiederum lebt die unbestimmte Sehnsucht in der menschlichen Seele: Wie fin­de ich in dieser bloßen Bilderwelt das Dasein?

Man kann durchaus diese unbewußte Empfindung in der Unter-strömung der Seele vergleichen mit der Empfindung, die der Mensch - durch Körperliches verursacht - dann hat, wenn er zu wenig Luft bekommt, wenn er an Lufthunger leidet und dadurch bewußt in ängstliche Gefühle verfällt. Was da der Mensch durch körperliche Zustände bewußt erlebt, das wird unbewußt eigentlich immer als eine Begleiterscheinung des Vorstellungslebens empfun­den. Und so kann hingewiesen werden auf der einen Seite auf ein Seelenrätsel, nicht in theoretischer Formulierung, sondern indem man etwas heraufholt aus den Tiefen der Seele, was in dieser Seele keimt oder schlummert.

Auf der anderen Seite, indem der Mensch sich hinlebt zum Wil­lenselement, empfindet er den entgegengesetzten Zustand. Da ist eine andere Unterströmung im Seelenleben vorhanden. Da empfin­det der Mensch, wie er seinen Trieben, seinen Emotionen, seinen Instinkten ausgesetzt ist, wie da ein Naturhaftes in das menschliche Seelenleben hineinspielt, das sich nicht aufschließt zur Klarheit des Denkens, das immer in einer gewissen Weise in eine Realität, in eine Wirklichkeit getaucht ist, die wir nicht lichtvoll durchdringen kön­nen, die ein Finsteres in uns selber bildet. Und man kann wiederum, wenn man mit unbefangener Beobachtung in diese Unter-strömungen der Seele eindringen kann, angeben - man muß eben immer einen Widerspruch sagen, wenn man dasjenige, was in den Tiefen der Seele existiert, charakterisieren will -, wie das, was da lebt, unbewußt empfunden wird. Man muß es dann charakterisie­ren, indem man sagt: Es wird empfunden so, wie im Bewußtsein etwa der Zorn empfunden wird oder auch wie der Mensch empfin­det, wenn er nicht ausatmen kann, wenn seine Blutzirkulation so

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gestört ist, daß die Atmungsluft nicht in der richtigen Weise in seinem Leibe umgesetzt wird, wenn eine Art Ersticken kommt. Etwas wie Zornmütigkeit ist immer durch ein solches Hinleben zum Willenselement in der menschlichen Seele.

Das sind Kräfte, die tief in dem Unbewußten der menschlichen Seele leben, die herauffluten und die das eigentlich Rätselvolle des menschlichen Seelenlebens ausmachen. Und wer bloß die Vorstel­lungen in ihrer Bildhaftigkeit, den Willen in seiner Triebhaftigkeit, wie sie sich dem Bewußtsein darbieten, nimmt, der fühlt zwar diese Seelenrätsel als etwas Unbestimmtes, als unbestimmte Empfindung der Seele, aber er macht sich diese Seelenrätsel nicht klar, er weiß im Grunde genommen nicht, was das unbestimmte Wirken in ihm ist, das aber tief sein glückliches oder unglückliches Gestimmtsein im Leben beeinflußt.

Man muß immer wieder sagen: Die Seelenrätsel sind nicht solche LRätsel], wie wir sie an der Natur empfinden, die Seelenrätsel sind solche, die innerlich erlebt werden, die herauffluten aus den tiefen Unterströmungen der Seele und die erst gedeutet werden müssen. Deshalb weiß jegliche Wissenschaft - gegen die selbstverständlich, wie das ja schon öfter hier betont worden ist von mir, nichts auf ihrem berechtigten Gebiet eingewendet werden soll - mit den eigentlichen Seelenrätseln wenig anzufangen. Wir sehen es - und ich möchte zwei Beispiele dafür anführen - an dem ganzen neuzeitlichen wissenschaftlichen Denken, wie hilflos im Grunde genommen die auf anderen Gebieten so große Triumphe feiernde Wissenschaft dem Seelenleben eigentlich gegenübersteht, trotzdem die höchsten Da­seinsrätsel an diesem Seelenleben des Menschen hängen. An zwei Beispiele möchte ich erinnern, die aber meiner Überzeugung nach tief bezeichnend sind für dasjenige, was da ist, und für das, was wissenschaftlich notwendig ist, um in das eigentliche Gebiet, das der Mensch als Seelenrätsel erlebt, einzudringen.

Es ist jetzt fast ein halbes Jahrhundert her, da hat der große Physiologe Du Bois-Reymond auf der 45. Naturforscherversamm­lung in Leipzig eine Rede gehalten, auf die immer wieder hingewie­sen werden muß, obwohl außerordentlich viel über sie gesprochen

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worden ist und sie heute fast vergessen und aus der Diskussion ver­schwunden ist. Diese Rede handelte über die «Grenzen der Naturer­kenntnis», und Du Bois-Reymond gibt mit Recht auf der einen Seite als die eine Grenze des Naturerkennens die materielle Welt in ihrem Wesen an. Er sagt: Da hinein, wo Materie kommt, kann der mensch­liche Geist nicht eindringen, er dringt in die äußere Beobachtung der außeren Sinneserscheinungen zu der Offenbarung des materiellen Daseins, aber er kann nicht angeben, was eigentlich die Materie sel­ber ist. - Das gibt Du Bois-Reymond als die eine Grenze an. Als die andere Grenze gibt er die des menschlichen Bewußtseins an; das ist heute aber nichts anderes als die des menschlichen Seelenlebens. Er sagt: Mit der vollkommensten Naturerkenntnis kann man noch nicht einmal irgendeine Vorstellung gewinnen darüber, wie die allerein­fachste Empfindung in der Menschenseele zustande kommt. Wenn man auch ganz klar wüßte, wie im Menschengehirn sich Kohlen­stoff-, Wasserstoff-, Stickstoff-, Sauerstoff-Atome bewegen, man würde niemals aus der klaren Einsicht in diese Bewegungen ergrün­den können, wie die einfachste Empfindung - «ich sehe rot», «ich rieche Rosenduft» - zustande kommt, das heißt wie die ersten Elemente des Seelenlebens zustande kommen.

Und Du Bois-Reymond hat mit diesem Ausspruch eigentlich vollständig recht. Hier liegt für die äußere Naturwissenschaft durchaus eine zweite Grenze, nur daß die Überzeugung Du Bois­Reymonds die ist, die gerade durch anthroposophische Forschung durchbrochen werden muß. Du Bois-Reymond meint, daß die Grenzen der Naturerkenntnis die Grenzen jeglicher Wissenschaft­lichkeit seien. Deshalb sagt er: Wenn man hineindringen will in die­ses Gebiet des Geistig-Seelischen, so muß man das durch andere Mittel als die wissenschaftlichen tun, denn wo der Supernatu­ralismus beginnt, wo man, mit anderen Worten, in das Gebiet des Geistig-Seelischen eindringt, da hört Wissenschaft auf. - Das will gerade anthroposophische Forschung vor der Welt verteidigen, daß Wissenschaft sich nicht erschöpfen braucht im äußerlich-natürlichen Dasein, daß Wissenschaft die Mittel entwickeln kann, um auch in das Geistig-Seelische einzudringen.

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Das andere Beispiel, das ich vorbringen will, ist das einer ausge­zeichneten Persönlichkeit, Franz Brentano, der eine Seelenkunde ganz nach der Methode der modernen Naturwissenschaftlichkeit begründen wollte. Das war sein Ideal. Ich habe den ganzen Tatbe­stand, der den Forschungen Franz Brentanos zugrunde liegt, im dritten Teil meines Buches «Von Seelenrätseln» eingehend erörtert und möchte hier nur einiges Prinzipielle anführen. Franz Brentano hat dann zu Beginn der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts versucht, eine Seelenkunde zu schreiben, eine Psychologie. Der er­ste Band ist 1874 im Frühling erschienen. Für den Herbst war der zweite Band versprochen; er ist niemals erschienen. Auf vier Bände war das ganze Werk berechnet; außer dem ersten Band ist niemals etwas erschienen als einzelne Ansätze, die aber immer nur Ansätze sind. Das ganze Werk ist ein Torso geblieben. Warum das so sein mußte, habe ich in dem genannten Werke auseinandergesetzt. Franz Brentano wollte eben ganz nach dem Muster naturwissen­schaftlicher Forschungsweise auch über das seelische Leben For­schungen anstellen, und man findet in diesem ersten Band ein merk­würdiges Bekenntnis Franz Brentanos. Er sagt da etwa: Mit dieser naturwissenschaftlichen Forschung gelingt es ja, in den Einzelhei­ten des seelischen Lebens bescheiden sich zurecht zu finden; man kann angeben, wie eine Vorstellung sich mit der anderen verbindet, wie eine Vorstellung sich von der anderen trennt, wie sich gewisse Gefühle an Vorstellungen anknüpfen, Willensimpulse an Vorstel­lungen anknüpfen, wie die Erinnerung wirkt und so weiter. Aber wenn, so sagt Franz Brentano, es dabei bleiben müßte, daß man nur diese Einzelheiten des Seelenlebens erforschen könnte, und wenn erkauft werden müßte das Wissen über die wichtigsten Fragen des menschlichen Daseins mit dieser strengen Wissenschaftlichkeit, wohin käme man? Denn berechtigt findet Franz Brentano die Sehn­sucht, die schon in Plato, in Aristoteles im alten Griechentum lebte:

dasjenige, was man im einzelnen über die Seele des Menschen erfor­schen kann, bis zu den großen Fragen von Geburt zu Unsterblich­keit zu verfolgen. Und traurig wäre es, meint Franz Brentano, wenn man, weil man wissenschaftlich sein will bei der Erkundung des

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Seelenlebens, verzichten müsse auf ein Wissen, wie es dem besseren Teil des Menschen in uns ergehe, wenn der physische Teil mit dem Tode der Erde übergeben wird.

Und man kann es dem, was Franz Brentano im ersten Band sei­ner Psychologie ausgeführt hat, ansehen, daß seine ganze wissen­schaftliche Sehnsucht dahin geht, die einzelnen Fragen, die im Grunde genommen das weitere Publikum wenig berühren können, die dieses weitere Publikum gerne dem Gelehrten überlassen will, auf einem weiten Weg hinzuführen bis zu den großen Fragen der menschlichen Unsterblichkeit und des göttlich-geistigen Inhaltes der Welt, wie er sich in der Seele spiegelt. Brentano fand aber aus seiner naturwissenschaftlichen Denkweise heraus diesen Weg nicht, und weil er eine ehrliche Forschernatur war, so ließ er eben die folgenden Bände, für die er keinen Forschungsweg fand, bis zu seinem vor einigen Jahren erfolgten Tode ungeschrieben.

Ich möchte sagen: gerade an diesem Forscherschicksal zeigt sich im echten Sinne tragisch, wie das, was oftmals heute als alleinige Wissenschaftlichkeit anerkannt wird, an den großen Rätselfragen der menschlichen Seele erlahmen muß. Das ist es - wiederum muß ich es sagen -, was Anthroposophie heute vor der Welt verteidigen muß: daß der Weg, den Brentano aus der Naturwissenschaft heraus nicht finden konnte, daß der gefunden werden kann! Und er kann gefunden werden, wenn man bei den gewöhnlichen Fähigkeiten des Seelenlebens, wie sie sich im äußeren Leben zunächst darbieten und wie sie in der gewöhnlichen Wissenschaft verwendet werden, nicht stehenbleibt.

Ich habe oftmals davon gesprochen, daß in jedes Menschen Seele schlummernde, sagen wir mit einem wissenschaftlichen Ausdruck latente Erkenntnisfähigkeiten liegen, die erst aus dieser Seele her-aufgeholt werden müssen, wie aus dem Kinde gewisse Fähigkeiten heraufgeholt werden müssen durch die Erziehung. Wer schon her­angereift ist für die gewöhnlichen Erkenntnisfähigkeiten, muß sich in hingebungsvollen inneren Seelenübungen schulen, damit er jene Seelenfähigkeiten ausbilde, durch die nun nicht dasjenige unklar bleibt, was ich nach den beiden Seiten hin als menschliches, rätselvolles

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Seelen-Erleben charakterisiert habe - das Erleben gegenüber den Vorstellungen, das Erleben gegenüber den Willensimpulsen -, sondern damit der menschliche Seelenprozeß gewissermaßen durchsichtig werde, damit man in das, was da eigentlich im mensch­lichen Vorstellungs-, im menschlichen Willensleben vorgeht, ein­dringen kann. Denn ohne daß man in diese alltäglichen Seelenrätsel eindringt, kann man auch nicht den Weg finden zu den großen Fra­gen des menschlichen unsterblichen Daseins und des göttlich-geisti­gen Inhaltes der Welt, in dem auch des Menschen Seele urständet.

Nun habe ich des öfteren in Vorträgen hier charakterisiert, wie der Mensch innerliche Übungen zu machen hat, rein seelisch-geisti­ge Übungen, durch die er die sonst schlummernden Erkenntnis-fähigkeiten zum Dasein erweckt, so daß sie ihm wirklich in der Erkenntnis weiterhelfen können. Ich habe darauf hingewiesen, wie man das Vorstellungsleben selber erkraften, verstärken kann. Gera­deso, wie wir einen Muskel stärken, wenn wir ihn fortwährend ar­beitend gebrauchen, so können wir das Vorstellungsleben stärken, wenn wir in dem Sinne, wie ich es zum Beispiel in meiner Schrift «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» in allen Ein­zelheiten angeführt habe, wenn wir dieses Vorstellungsleben durch innerliche seelische Arbeit in eine gewisse Richtung bringen, wenn wir gewisse leicht überschaubare Vorstellungen in den Mittelpunkt des Bewußtseins rücken und immer wieder auf diese Weise einer vorstellenden Arbeit uns hingeben, der wir uns sonst nicht hin­geben. Ich kann dies nur prinzipiell hier andeuten, aber Sie finden in dem eben genannten Werk und auch im zweiten Teil meiner « Geheimwissenschaft» deutliche Aufschlüsse darüber, daß das Vorstellungsleben des Menschen durch solche Meditations- und Konzentrations-Übungen des Denkens etwas ganz anderes werden kann. Ich möchte sagen: Ohne irgendwelche abnorme Vornahme, sondern durch bloße Fortbildung dessen, was als Gedankenleben, als Vorstellungsleben im Menschen normal ist, kann ein stärkeres, kräftigeres Vorstellungsleben erzeugt werden.

Und indem man dieses kräftigere Vorstellungsleben erzeugt, indem man durch Meditation und Konzentration sich über das hinaushebt,

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was in unserem gewöhnlichen Vorstellungsleben eigentlich bloß bildhaft ist, kommt man zu dem, was ich in den genannten Büchern das inhaltsvolle, imaginative Vorstellen nenne.

Dieses imaginative Vorstellen lebt mit einer solchen inneren Lebendigkeit in dem bloßen Gedanken, wie sonst der Mensch in seinen äußeren Wahrnehmungen lebt. Dadurch aber kommt man allmählich dahin, daß das Vorstellungsleben nicht mehr dieses bloß abstrakte, dieses, ich möchte sagen bloß bildhafte ist, sondern man macht durch rein innerliche Forschung - die aber durchaus mit demselben Ernst getrieben wird wie nur irgendeine wissen­schaftliche Forschung - die Entdeckung, daß die Seele, die ihr Vorstellungsleben sonst nur mit den Ergebnissen der äußeren Ein­drücke anfüllen konnte, innerlich von Kräften erfüllt wird, die ge­wissermaßen in das Seelenleben hereinschießen. Die Vorstellungen sind nicht mehr bloß dieses Leichtflüssige, wenn sie durch Medita­tion, durch Konzentration ausgebildet werden, sondern sie werden durchkraftet, durchzogen von Kräften, die ich gestaltende Kräfte nennen möchte, von Kräften, die ein innerlich geistig-plastisches Element ausmachen. Und man entdeckt nach einiger Zeit, daß man durch diese Ausbildung des Vorstellungslebens mit demjenigen zusammenwächst, was die Bildekräfte des menschlichen Leibes sel­ber sind; man macht nach einiger Zeit die Entdeckung, daß das Gedankenleben gewissermaßen nichts anderes ist als das verdünnte Kraftleben des menschlichen Wachstums. Was uns im physischen Leibe von der Geburt bis zum Tode innerlich plastisch gestaltet, das ist, ich möchte sagen in einem «verdünnten» Zustand unser Vorstel­lungsleben im gewöhnlichen Bewußtsein.

Wir blicken hin auf das eben geborene Kind. Wir wissen, daß in diesem eben geborenen Kind, vom Gehirn ausgehend, die bildsa­men, die plastischen Kräfte an der Gestaltung des Leibes arbeiten. Wir verfolgen das Wachstum des Kindes, wie es ausstrahlt gerade von der plastischen Gehirntätigkeit, wir verfolgen es bis zu einem gewissen Einschnitt im menschlichen Erdenleben, bis zum Zahn-wechsel, bis gegen das siebente Lebensjahr hin. Wir ,werden, indem wir dieses Kraftleben, das da im Menschen pulsiert, das plastisch in

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ihm tätig ist, zunächst als ein Unbestimmtes empfinden. Auf der andern Seite, indem wir unser Vorstellungsleben durch Meditation, durch Konzentration kraftvoll ausgestalten, werden wir unbewußt zu demselben Element hingeführt, das plastisch von unserer ersten Kindheit an in uns arbeitete. Und das ist eine bedeutsame Entdek­kung des inneren menschlichen Lebens, daß man das Vorstellungs­leben so erkraften kann, daß man es innerlich so intensiv machen kann, daß man sich dann darinnen fühlt in dem, was des Menschen Bildekräfte sind, was Bildekräfte sind in seinem Wachstum, in sei­nem Stoffwechsel. So sonderbar es für die heutige Forschung noch klingt: es ist so, daß es möglich ist, durch eine Verstärkung des Seelenlebens in das hineinzuwachsen, was uns gewissermaßen dann aufnimmt als dasjenige, was unsern äußeren physischen Leib als seine Bildekräfte plastisch gestaltet. Man wächst durch das Vor­stellungsleben in die Wirklichkeit hinein, man wächst in ein gestal­tendes Element hinein.

Und man lernt auf diese Art kennen, was hinter dem bloßen Ge­dankenprozeß liegt; man lernt erkennen, wie ein Geistiges, mit dem man sich jetzt verbunden hat, am menschlichen Organismus von der Geburt bis zum Tod arbeitet. Das Vorstellungsleben bekommt seine Realität, das Vorstellungsleben ist nicht mehr das bloße Bild-leben, das Vorstellungsleben wird ein Kraftleben, das im Dasein selber drinnensteht.

Und nur durch eine solche Erkenntnis kann das, was die Unterströmung von Ängstlichkeit, von Furcht in der menschlichen Seele erzeugt, vom Bewußtsein aus bezwungen werden, so daß es in der Tat nicht eine theoretische Lösung der Seelenrätsel ist, auf die hier Anthroposophie hinweist, sondern eine durchaus innerliche, praktische Lösung, die zu erleben ist.

Anthroposophie muß darauf hinweisen, daß aus ihrer Forschung heraus dasjenige in das menschliche Bewußtsein hereinkommen und durch das menschliche Bewußtsein begriffen werden kann, was im Menschen lebt, was, ich möchte sagen nur zum Schein sich so weit verdünnt, daß es als unser gewöhnliches Vorstellungsleben herauskommt, was aber seiner Wahrheit nach die innere Wachstumssphäre

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unseres Daseins ist. Und indem der Mensch auf der anderen Seite im Vorstellungsleben, ich möchte sagen das Schwer­gewicht verliert und in eine ängstliche Unterströmung dieses Seelenlebens hineingerät, kann er die Ergebnisse der geistes-wissenschaftlichen Anthroposophie über das Vorstellungsleben aufnehmen und kann dieses Vorstellungsleben auf dem Erkennt­niswege befestigen. Die Lösung dieses Seelenrätsels bietet Anthro­posophie nicht, indem sie eine Theorie hinstellt, sondern indem sie dem Menschen ein Ergebnis hinstellt, das er mit seinem gesunden Menschenverstand durchaus begreifen kann und das dann - wie Schwere verleihend - im Vorstellungsleben für sein Bewußtsein, für sein Seelenleben auftritt, so daß in die Seelenstimmung, in die Seelenverfassung hinein rätsellösend strömen kann, was Anthropo­sophie scheinbar als bloße Erkenntnis über das Vorstellungsleben geltend zu machen vermag.

Man erkennt da eben durchaus auf der einen Seite, wie der Mensch ein gestaltetes Wesen ist, wie er als Ganzes in einer be­stimmten Gestalt auftritt, wie seine einzelnen Organe aus dem Gei­ste heraus gestaltet sind und wie wir - damit wir freie Wesen sein können, damit wir nicht gezwungen durch diese innerlichen Kräfte nur handeln, sondern uns freien Spiegelbildern hingeben können -bis zu einem plastisch Gestalteten unsere bloß bildhaften Vorstel­lungen hinentwickeln. Das, was da vorliegt, habe ich zu Beginn der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in meiner «Philosophie der Freiheit» ausgeführt, indem ich gezeigt habe, daß der Mensch ein freies Wesen dadurch ist, daß er eben gerade in den reinen Gedanken, die nicht mit irgendeiner äußeren Realität für sein Bewußtsein zusammenhängen, leben kann, daß er in diesen reinen Gedanken seine moralischen Impulse formen kann. Spiegelbildern gegenüber wird man so dastehen, daß man selber irgend etwas aus­führen muß, wenn das Spiegelbild sich ändern soll; Spiegelbilder bestimmen einen nicht kausal. Der Mensch wäre niemals frei, wenn er von einer Realität in seinem gewöhnlichen Bewußtsein bestimmt wäre. In seinem gewöhnlichen Bewußtsein leben die Vorstellungen als Bilder, dadurch wird er von ihnen nicht bestimmt, wie man

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durch Spiegelbilder auch nicht bestimmt wird. Er ist frei. Damit er frei sein kann, muß sich sein Leben herausheben aus demjenigen, was es plastisch als Wachstumskraft, als Wachstumsleib, könnte man sagen, als Bildekräfteleib durchzieht. Aber dieses Leben in der Freiheit muß der Mensch eben mit der charakterisierten ängstlichen Unterströmung in seinem Seelenleben erkaufen, und daher muß der Mensch in seinem gewöhnlichen Bewußtsein dazu kommen, seine Freiheitsempfindung voll zu erleben, aber auch als polarischen Gegensatz diesem Freiheitserlebnis das entgegenstellen können, was Anthroposophie als Befestigung des Vorstellungslebens in der angedeuteten Weise geben kann.

Dringt man aber auf diesem Wege weiter, so dringt man ja von dem, ich möchte sagen ganz verdünnten, bloß bildhaften Vorstel­lungsleben vor zu dem, was wirkliche Realität ist, was in dem Men­schen gestaltend lebt. Es ist nicht der physische Leib, es sind nicht die physischen Organe, es ist ein übersinnlich Kraftendes, aber es ist da. Man erfaßt etwas, was außerhalb des physischen Leibes liegt, und man dringt, indem man einfach nach der einen Seite hin die Seelenrätsel verfolgt, dadurch in das ein, was unabhängig von dem menschlichen physischen Leibe eine übersinnliche Realität im Men­schen hat. Man dringt vor bis zu dem, was durch die Geburt oder durch die Konzeption als menschlicher physischer Leib durch die bloßen Vererbungsverhältnisse zubereitet, durch bloße äußere Na­turtatsachen vorgebildet wird. Man lernt erkennen, wie sich mit den vererbten Merkmalen, die von Eltern oder Voreltern herrühren, mit dem ganzen Leib, der sich im mütterlichen Organismus bildet, aus der geistigen Welt heraus dasjenige verbindet, was man im Leben wiederfindet, wenn man das Vorstellungsleben erkraftet.

Man gelangt, ich möchte sagen zu der einen Seite der Un­sterblichkeitsfrage. Man schaut hin auf das, was unsterblich, was ewig ist in der Menschennatur, weil es aus einer geistigen Welt durch Konzeption und Geburt in das eindringt, was menschlich-leiblich ist, und weil es fortwirkt auch während des Erdenlebens als die inne­re plastische Gestaltungskraft, mit der wir uns verbinden, indem wir in der angedeuteten Weise unser Gedankenleben verstärken.

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So bietet Anthroposophie die Perspektive, die etwa ein Franz Brentano suchte. Brentano begann auch bei einer Untersuchung der Gedanken, er ließ aber die Gedanken so, wie sie im gewöhnlichen Bewußtsein sind. Er beschränkte sich darauf, bloß zu registrieren, was im gewöhnlichen Bewußtsein vorhanden ist. Erst die Verstär­kung des Gedankenlebens durch Meditation und Konzentration führt dieses Gedankenleben zu der inneren plastischen Gestaltungs­kraft, und sie führt wirklich auf den Weg, der beim Erfassen des einfachen alltäglichen Gedankens beginnt und der endet bei dem geistig-seelischen Element des Menschen, das da gelebt hat vor der Geburt, vor der Konzeption in der geistig-seelischen Welt selber und das sich mit den Vererbungskräften, mit den physischen Kräf­ten des Menschenleibes verbunden hat.

Es gibt keine andere Lösung der Seelenrätsel als dadurch, daß man diesen Weg von den einfachsten Erscheinungen des alltäg­lichen Lebens bis zu den großen Rätselfragen des Daseins wirklich findet.

Ich habe bisher auf das hingewiesen, was der Mensch gegenüber seinem Gedankenleben erreichen kann. Da kommt er zu dem, was den Menschen gewissermaßen in den Raum herausgestaltend treibt, was die räumliche Leiblichkeit des Menschen plastisch durchdringt, was sich in der Gestalt auslebt, was aus der geistigen Welt, wie ich angedeutet habe, heruntersteigt und in die äußere Gestalt des Men­schen, auch in die Gestalt seiner inneren Organe, hinein verfließt. Das ist aber nur die eine Seite des Menschenlebens, und auch an der anderen Seite des Menschenlebens nimmt das Seelische durchaus teil, wenn wir ebenso, wie wir durch Meditation und Konzentration das Gedankenleben ausbilden können, nach der anderen Seite das Willensleben jetzt nicht so ausbilden, daß man im eigentlichen Sinne sagen kann, man verstärkt es, sondern so, daß wir es hinge­bungsvoller machen, vergeistigter machen.

Man kann es dadurch erreichen, daß man dieses Willensleben in einem gewissen Sinne losreißt von seiner Alltäglichkeit. - Ich habe viele einzelne Übungen gegeben - Geisteswissenschaft ist nicht leichter als die Forschung auf der Sternwarte oder in der Klinik -,

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die jahrelang getrieben werden müßten, aber ich möchte nur einzel­nes herausgreifen, um das Prinzipielle anzudeuten. - Es kann das [dieses Losreißen] dadurch geschehen, daß man das, was im ge­wöhnlichen Denken als Wille wirkt - denn im Denken ist immer ein Wille vorhanden, die Gedanken werden durch den Willen ge­staltet, das Gedankliche ist nur die eine Seite, im Seelenleben ist immer der Wille mit den Gedanken durchwoben und die Gedanken mit dem Willen -, daß man dieses Willenselement, das in den Ge­danken lebt, von seinem gewöhnlichen Gang, der sich an die äuße­ren physischen Tatsachen hält, dadurch losreißt, daß man zum Bei­spiel etwas rückwärts vorstellt. Sagen wir, während man gewohnt ist, ein Drama vom ersten bis zum fünften Akt vorzustellen, stellen wir einmal dieses Drama von den letzten Vorgängen bis zum An­fange hin rückwärts verlaufend vor. Man gehe dann über dazu, äu­ßere Tatbestände rückwärts verlaufend vorzustellen. Man kann zum Beispiel am Abend sein gewöhnliches Tagesleben rückverlau­fend so vorstellen, daß man in möglichst kleinen Partien vorgeht, vom Abend bis zum Morgen, selbst bis zu dem Grad, daß man das Hinaufgehen über eine Treppe so vorstellt, daß man es wie ein Rückwärts-Heruntergehen von der obersten bis zu der vorletzten Treppe und so weiter vorstellt.

Dadurch, daß man gewohnt ist, das Denken immer in demselben Sinne zu führen, wie die äußeren Tatsachen verlaufen, spielt das Denken für uns eigentlich in bezug auf den Willen, der in ihm ent­faltet wird, eine passive Rolle. Es wird aktiv innerlich tätig, durch­setzt von innerlicher Initiative, wenn wir es durch solche Übungen schulen wie das Rückwärtsvorstellen, wo wir es losreißen von dem Gang der äußeren Tatsachen, wo wir es auf sich selbst angewiesen machen. Denn wenn wir solches, was wir auf diese Weise in sorg­

-fältigen und energischen Übungen erreichen, durch eine wirklich ernste Selbstbeobachtung verstärken, indem wir das, was wir als Willensmensch tun, so beobachten, wie wenn wir neben uns stehen würden und uns Stück für Stück in unserer Willensentfaltung beob­achten würden, oder auch wenn wir zur Aktivität übergehen wür­den, wenn wir Übungen geradezu zu dem Zweck machten, uns etwas

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vorzunehmen und es dann mit einer eisernen Energie exakt auszuführen, so daß wir ganz im Willenselement leben - ich wollte nur prinzipiell solche Übungen angeben, die den Willen nicht nur von den äußeren Tatsachen losreißen, sondern von seinem Gebun­densein an den Leib selber, die den Willen selbständig machen, ver­geistigen -, dann kommen wir auf diese Art tatsächlich zu einer Willensentfaltung, so daß wir uns mit unserem Seelenleben, das nun den Willen entfaltet, außer unserem Leibe erleben. Es ist ein bedeutsames Erleben. Aber dadurch sieht man erst ein, was der Wille ist. Der Wille ist im gewöhnlichen Leben an die Organe gebunden. Wir sehen ihn sich entfalten, indem wir unsere Glieder bewegen. Wir beobachten nur durch unser Gedankenleben die Vor­gänge, die Wirkungen unseres Willens. Wir sehen in ihn hinein, wenn wir ihn losgerissen haben von der Leiblichkeit, wenn wir ihn in sich selbst erleben, ganz eins werden mit ihm. Dann wird er durchdrungen von einer Erhöhung derjenigen Kraft, die sonst auch an unseren physischen Organismus gebunden ist, durchdrungen von der Liebekraft. Und zu einer durchsichtigen, hellen Klarheit wird jenes hingebungsvolle Element im Seelenleben ausgebildet, das uns - ich möchte sagen dunkel, als emotionelles Willensleben -in der Liebe entgegentritt.

Ich weiß, wie wenig die Menschen heute die Liebe als eine Er­kenntniskraft gelten lassen wollen. Im gewöhnlichen Leben ist sie es auch nicht; aber wenn sie so ausgebildet ist, daß der Wille nicht mehr in Instinkten, in Trieben, in Emotionen wurzelt, sondern daß er im rein Seelischen, abgesehen von der Leiblichkeit lebt, dann wird dieser Wille eigentlich erst seiner Wesenheit nach erkannt, und dann zeigt er sich als etwas ganz anderes, als was das Gedankenele­ment sich gezeigt hat. Das Gedankenelement hat sich in seiner Ver­stärkung als dasjenige, was aufbauend gestaltet, gezeigt, was, ich möchte sagen Organ aus Organ herausfließen läßt, was zuletzt gip­felt in der menschlichen Fortpflanzung. Das Gedankenelement ent­faltet sich als das plastische Wirken, von der Seele aus plastische Wirken in die menschliche Leiblichkeit hinein. Das Willenselement, das entfaltet sich so im Leib, daß es - wenn man es abgesondert vom

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Leib erkennt, kann man dann anschauen, wie es auf den Leib wirkt

- das Leibliche nun gerade nicht plastisch gestaltet, sondern das Pla­stisch-Gestaltete wird zurückgebildet, wird aufgelöst, zerstäubt, verfließend gemacht. Das Willenselement ist das, was stetig - ich bitte, mich nicht mißzuverstehen -, ich möchte sagen die gebildeten Elemente des Menschen wiederum verbrennt, in Flammen, geistig gesprochen, aufgehen läßt. Der Ausdruck ist bildlich gemeint, aber er bedeutet etwas sehr Wichtiges.

Das menschliche Leben, wie es aus der Seele in die Leiblichkeit sich ergießt, kann nur verstanden werden, indem es auf der einen Seite durchschaut wird als dieses plastische Element, auf der ande­ren Seite als das Wiederauflösen des plastischen Elements, als das, ich möchte sagen, in das Zerstäubte, in das Zerfließende Hinein­kommenlassen des plastischen Elementes. Und indem alles, was als Wille sich im Menschen entfaltet, im menschlichen Leibe ein solch Auflösendes, Zerstäubendes, das Zerfließende ist, ist dieses willens­artige Element das, was nun erlebt wird als dasjenige, was uns nach der anderen Seite des Menschenlebens den Weg weist, was uns den Weg weist zum Tod hin.

Wie wir durch die Plastik des Denkens eben zunächst das gei­stig-plastische Element der menschlichen Seele kennenlernen, das durch Geburt oder Empfängnis in den physischen Leib einzieht, so lernen wir erkennen, wie das willensartige Element den mensch­lichen Leib auflöst, aber im Auflösen - wie gesagt, bildlich ge­sprochen - aus der Flamme die reine Geistigkeit hervorgehen läßt. Wir lernen den Auszug der Seele aus dem Leibe kennen. Wir lernen auf diese Weise aus dem Verfließen des Willenselementes heraus den Tod verstehen. Wir lernen verstehen, was im Tode mit dem Menschen vorgeht, weil wir verstehen lernen, was beim alltäglichen Willensentschluß im Menschen vorgeht. Der alltägliche Willensent­schluß bewirkt im physischen Leib - wie gesagt, bildlich gespro­chen - eine Art Verbrennungsprozeß, aber aus diesem Verbren­nungsprozeß geht hervor, was unser inneres Seelenleben ist. Was wir innerlich als Seele empfinden, es könnte nicht da sein, wenn wir immer bloß Leib wären, bloß plastisch gestaltet würden. Das Plastische

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muß abgebaut werden, verfließen, und aus dem Verfließenden des Plastischen, aus dem immer Fortwährend-Zerstörtwerdenden des Leiblichen geht das Erleben des Seelischen hervor. Und wir begreifen den Auszug der Menschenseele aus dem physischen Leib mit dem Tod, der nur in einen Augenblick zusammengefaßt dasje­nige darstellt, was sich in der Entfaltung des Willens zur Geistigkeit der Seele immerdar darstellt. So wie ich im gegenwärtigen Augen­blick meinen Willen erlebe, wie er eine Art Verbrennungsprozeß, Auflösungsprozeß im Leibe bildet, wie durch die Zerstörung das Geistige auflebt im menschlichen Leib, so lerne ich erkennen, wie mit dem anderen Zerstören des Leibes im Tode, das nichts anderes ist als die letzte Wirkung des im Leibe verborgenen Willens, wie da das Geistige wiederum zurückkehrt in die geistig-seelische Welt.

Das ist es, was aus Anthroposophie heraus lebendig in die Seelenrätsel hineinführt. Anthroposophie will nicht eine Theorie sein; gewiß, sie will Erkenntnis geben, aber nicht eine theoretische Erkenntnis, sie will eine Erkenntnis geben, die Seelennahrung ist. Und sie kann auf diese Weise die einzelnen täglichen Erlebnisse des Seelenwesens vor das geistige Auge hinstellen, sie kann von diesen einzelnen Erlebnissen dann zu den großen Fragen des Seelenlebens hinschreiten.

Gestatten Sie, daß ich auf eine Einzelheit eingehe, damit Sie sehen, worauf gerade das beruht, was durch Anthroposophie in die menschlichen Seelenrätsel hineinführen soll, gestatten Sie, daß ich die Einzelheiten der menschlichen Erinnerung anführe.

Ist man dazu gelangt, so das verstärkte Vorstellungsleben in sich zu haben, wie ich es charakterisiert habe, und hat man auf der anderen Seite kennengelernt, wie fortwährend das Plastische wie­der abgebaut wird von dem Willensleben, dann schaut man auch die inneren Seelenprozesse erst in durchsichtiger Klarheit an. Man sieht, wie der Mensch der äußeren Welt gegenübersteht, wie er seine Eindrücke von der äußeren Welt bekommt, wie er dann sich Vorstellungen, Gedanken über diese äußeren Eindrücke bildet, wie er dann nach einiger Zeit - oder auch nach lailger Zeit - als Erinnerungen diese Vorstellungen aus gewissen Untergründen

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heraufholt oder wie sie auch von selbst, wie man heute sagt als «frei steigende» Gedächtnis-Vorstellungen herauftauchen. Schon in diesem Herauftauchen der Erinnerungsvorstellungen kündet sich für den, der unbefangen auf das menschliche Seelenleben hin-blicken will, ein bedeutsames Seelenrätsel an, und man kann sa­gen: In durchaus kurioser Weise haben die Menschen gesprochen von dem, was eigentlich das Wesen der Erinnerung ist. Man hat sich - und tut das zuweilen noch heute - vorgestellt: Nun ja, der Mensch bekommt durch die Wahrnehmungen Eindrücke, sie wer­den durch seine Sinne hervorgerufen, dann setzen sie sich fort durch sein Nervensystem, er bildet sie um durch sein Vorstellen. Diese Vorstellungen tauchen dann in gewisse Untergründe seines Seelenlebens ein und kommen dann wieder herauf, wenn sie erin­nert werden. Nun, kein Mensch, der unbefangen denkt, kann sich irgend einen klaren Gedanken darüber machen, wie eigentlich diese Vorstellungen, wenn wir sie nicht haben, da unten in un­bekannten Untergründen des Seelenlebens spazieren gehen sollen, um dann wieder heraufzukommen durch Willkür, wenn sie ent­weder gerade gebraucht werden oder an irgend etwas sich an­lehnen wollen, das als eine neue Wahrnehmung, als ein neuer Eindruck der Außenwelt auftritt.

Anthroposophie geht da zur wirklichen, wahrhaftigen Beobach­tung des menschlichen Seelenlebens selber über. Sie durchschaut dadurch, daß sie das verstärkte Vorstellungsleben und das durchgei­stigte Willensleben kennt, den ganzen Prozeß, der sich von der Wahrnehmung des äußeren Dinges durch das Vorstellungsbilden, durch das Bilden der Erinnerung bis zum Wiederum-Heraufkom­men der erinnerten Vorstellungen abspielt. Dadurch, daß anthropo­sophische Forschung durch eine solche Gestaltung des Vorstel­lungs- und Willenslebens zu Erkenntniskräften vordringt, wie ich angedeutet habe, wird der ganze Seelen- und leibliche Prozeß und wie diese beiden Prozesse ineinanderspielen, so umgestaltet, wie etwas - wenn ich es damit vergleichen darf -, was ich als etwas ganz Dunkles, Undurchsichtiges vor mir habe, dadurch umgestaltet wird, daß es durchleuchtet wird, plötzlich durchsichtig wird. Der

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ganze menschliche Seelenprozeß wird durch dieses verstärkte Vorstellungsleben und durchgeistigte Willensleben durchsichtig.

Und worauf sieht man jetzt in bezug auf das, was ich angedeutet habe? Man sieht, wie die äußeren Eindrücke den Sinnen sich mei­lenweit dehnen, wie der ganze Prozeß weiterspielt und wie in der Tat das, was ich als gestaltendes, als plastisches Element des ver­stärkten Gedankenlebens bezeichnet habe, in dem gewöhnlichen Wahrnehmungsprozeß als eine Fortsetzung wirkt. Ich nehme äu­ßerlich wahr, aber es wirken in mir ja nicht bloß die abstrakten Gedanken, die ich im gewöhnlichen Bewußtsein habe, sondern das, was durch Geisteswissenschaft bloß ergründet wird, das wirkt ja fortwährend; dieses Plastische in den Vorstellungen, das wirkt hin­unter in die menschlichen Seelen- und Leibestiefen. Und dann, wenn dies geschehen ist, wenn in die Seelenuntergründe und in die Leibesuntergründe der Gedanke gestaltend gewirkt hat, dann geht der Mensch zu anderem über. Da ist ein Willensentschluß tätig, da spielt der Wille, da ist aber der vergeistigte Wille vorhanden. In demjenigen Leben des Menschen, das an das äußere Gehirn gebun­den ist, entfaltet sich dieser Wille, er baut, indem er die Plastik des Gehirns auflöst, dasjenige für das gewöhnliche Bewußtsein ab, was der Eindruck aufgebaut hat, so daß wir eine äußere Gehirn-Ober­fläche, wenn ich mich grob ausdrücken darf, über Untergründe ausgebreitet haben, wo aber die Plastik fortwirkt.

Nehmen wir nun an, ich erinnere mich in willkürlicher Weise an irgend etwas, dann geschieht das so, daß ich aus einer gewissen Vorstellungsreihe heraus diesen Willen entfalte. Die Willensentfal­tung ist wiederum mit einem Abbauen verbunden, wenn jetzt nicht wiederum äußere Eindrücke eindringen; und daß diese nicht kom­men, dafür sorgt ja wiederum die Willensentwickelung, die ein Abbauen ist. Und dieses Abbauen läßt das, was in den Untergrün­den bei der willkürlich heraufgeholten Erinnerung ist, als Plastik des Menschen heraufkommen. Kommen freisteigende Vorstellun­gen herauf, so geschieht es umgekehrt. Da ist irgendein äußerer Eindruck vorhanden, der sich zum Gedanken bildet. Der Gedanke ist plastisch tätig. Dem Gehirn wird er eingeprägt. Diese Plastik ist

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ähnlich derjenigen Plastik, die einmal so in den Untergründen das­jenige ausgebildet hat, was in den Untergründen in einer gewissen Gestalt leben kann. Das lebt in derjenigen Plastik, die jetzt der Gedanke gebildet hat.

Sie sehen, das Seelenleben wird auf diese Weise durchsichtig, man lernt es erkennen im Zusammenwirken mit dem Leibesleben, im Zusammenwirken des Geistigen mit dem Leiblichen und mit dem Seelischen, man lernt es erkennen in seinem innerlichen plasti­schen Aufbauen, in seinem fortwährenden Ablöschen, Abbrennen durch das Willenselement. Und indem man so jeden einzelnen Augenblick des Lebens verstehen lernt, lernt man in diesen Strö­men des Lebens dasjenige erfassen, was die großen Lebensfragen sind. Man lernt aus den Gedanken heraus erkennen, was durch die Geburt in das physische Erdenleben einzieht, man lernt aus dem Willen heraus erkennen, was durch den Tod des Menschen in die geistige Welt hinauszieht.

So treten die anthroposophischen Forschungsergebnisse wie et­was auf, das von den Einzelheiten des Lebens zu dem Umfassenden des menschlichen rätselvollen Seelenwesens vordringt.

In dieser Art, indem wir erkennen, wie schon in der gewöhn­lichen Erinnerung der Gedanke plastisch wirkt, wie wenn irgend et­was im Leibe gestaltet wird, erfahren wir auch, wie dasjenige, was noch nicht im Leibe ist, aber mit dem Leib sich verbindet durch Geburt und Konzeption, wie das plastisch eingreift in den Leib. Wir lernen das menschliche Lebenselement in dieser plastischen Gestaltung kennen, weil wir das einzelne plastische Element ken­nenlernen, das schon in der Gestaltung der Erinnerung auftritt.

Lebensvoll möchte Anthroposophie zu den Seelenrätseln hin-blicken! Das sollte überhaupt als das Wesentliche anthroposophi­scher Forschung aufgefaßt werden: daß sie überall durchaus stehen bleibt bei der wissenschaftlichen Gewissenhaftigkeit, zu der man sich heute heranerzogen hat durch die großen, gewaltigen Fort­schritte der äußeren Naturwissenschaft, daß sie aber, indem sie bei dieser Gewissenhaftigkeit stehenbleibt, zu gleicher Zeit hinaus-schreitet über das, was die bloße äußere Beobachtung, das bloße

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außere Experiment darbieten kann, daß sie fortschreitet von den Fähigkeiten, welche gerade durch ihr besonderes Vorhandensein die menschliche Seele für den Menschen selbst zu einem rätselvollen Wesen machen, daß sie durch eine Ausbildung dieser Fähigkeiten dahin führt, daß diese Seelenrätsel nicht theoretisch, aber praktisch gelöst werden.

Man braucht nicht zu fürchten, daß derjenige, der auf dem Gesichtspunkt einer solchen sogenannten Lösung der Seelenrätsel­fragen steht, etwa eines Tages wie eine vollendete Sache, wie eine vollendete Erkenntnis dasjenige hinstellen möchte, was die Seelen­ratsel löst, so daß dann die Seele in Trägheit, in Lässigkeit gegen­über ihrem eigenen Leben verfallen könnte. Nein, die Seele wirft diejenigen Rätsel, die ich heute als die lebendigen, als die erlebten Seelenrätsel angeführt habe, in jedem Augenblick des Lebens auf, und in jedem Augenblick des Lebens brauchen wir neuerdings die Ergebnisse geistiger Forschung, welche ausgleichend wirken auf dasjenige, was so rätselvoll aus den dunklen Tiefen der Seele auf­steigt. Was ich die ängstliche, was ich die zommütige Unter-strömung des menschlichen Seelenlebens genannt habe, es ist nichts anderes, als die innerliche Aufforderung der menschlichen Seele, sich nicht als selbstverständlich hinzunehmen, sondern sich in vol­lem fortwährendem Erleben so hinzunehmen, daß sich diese menschliche Seele fortwährend ein Rätsel ist, daß sie fortwährend die Lösung dieses Rätsels braucht. Und eine solche fortwährende Lösung des Rätsels der Seele möchte eben gerade anthroposophi­sche Forschung darbieten, so anknüpfend an die Wirklichkeit des Daseins, daß man - wenn ich einen trivialen Vergleich gebrauchen darf - sagen kann: So wie der Mensch in seinem physischen Leben ein Wesen ist, das fortwährend Nahrung zu sich nehmen muß, das nicht mit dem einmaligen Nahrung-zu-sich-Nehmen befriedigt sein kann, weil es diese Nahrung verbraucht, weil es diese Nahrung ver­bindet mit seinem Lebensprozeß, so ist es mit dem, was uns durch Anthroposophie als Ergebnis der Seelenrätsel dargeboten wird. Es entschwindet uns seine innerliche intensive Wirksamkeit, wenn wir es nicht fortwährend ins Auge fassen, wenn wir nicht fortwährend

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fortschreiten. Weil wir es auf diesem Gebiet mit einer Wirklichkeit zu tun haben, nicht mit einer Theorie, die man lernen und gedächtnismäßig behalten kann, so wie bei der Wirklichkeit des Sich-Ernährens, deshalb hat man es zu tun mit etwas, das aus An­throposophie in den fortwährenden Lebensprozeß eindringen muß.

Und es ist ja auch so. Der Mensch wird nämlich folgendes ge­wahr werden, gerade wenn er sich mit den Ergebnissen der Anthro­posophie in bezug auf die eigenen Seelenrätsel befaßt: Lernen - so sonderbar das klingt, es ist eine Wahrheit, die jeder, der sich mit Anthroposophie befaßt, gerade mit Bezug auf die Seelenrätsel er­fahren kann -, lernen kann man im Grunde genommen die Anthro­posophie nicht; man kann ihre Ergebnisse an sich herantreten las­sen, man kann Bücher lesen, Vorträge hören; aber wenn man nicht fortwährend dasjenige erlebt, was man so aufgenommen hat, wenn man nicht in einem fortdauernden Prozeß - so wie man die leibli­chen Stoffe der Außenwelt durch den Ernährungs- und Stoffwech­selvorgang fortwährend mit den leiblichen Prozessen verbindet -dasjenige mit der menschlichen Seele, mit dem seelischen Prozeß verbindet, was in Anthroposophie dargeboten wird, so wird man sehen, daß es seine Bedeutung für das Seelische verliert, wie das Physische seine Bedeutung für die Leiblichkeit verliert, wenn es nicht fortwährend in diese Leiblichkeit eingeführt wird. Und wie sich leiblich in dem Hunger und Durst das Nichtvorhandensein der physischen Nahrung ausspricht, so spricht sich in einem aus den Tiefen der Seele heraufdringenden ängstlichen und krankhaft-zorn­mütigen Wesen das aus, was durch eine wirkliche Erkenntnis der geistigen Bedeutung des Vorstellungs- und des Willenslebens beein­flußt sein will. Und dringt der Mensch dadurch vom, daß er in sei­nem Bewußtsein das immer hegen kann wie eine Nahrung seiner Seele, was ihm so die anthroposophische Forschung gibt, dann findet er, was er als Gleichgewicht seines Seelenlebens braucht, was er als eine fortwährende lebendige Lösung der auch fortwährend lebendigen Seelenrätsel empfinden und erleben muß.

Und immer wieder muß es gesagt werden: Obwohl dadurch, daß man das, was in den genannten Büchern ausgeführt ist, an sich herantreten

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läßt und prüft, man sich auf den Weg selbständigem anthro­posophischer Forschung begeben kann, ist Anthroposophie nicht darauf angewiesen, daß jeder Mensch auf diesem Weg nachprüfen kann, was in Anthroposophie dargeboten ist. Auch wenn man das nicht tut, kann man trotzdem mit dem gesunden Menschenverstand das, was in der Anthroposophie zutage tritt, vernünftig oder unver­nünftig finden. Der Mensch kann mit seinem gesunden Menschen­verstand, ohne daß er selbst anthroposophischer Forscher wird, verfolgen, was der anthroposophische Forscher behauptet. Aber außer diesem gesunden Menschenverstand hat der Mensch noch etwas. Der Mensch kennt ja auch nicht, wenn er ein Laie ist auf physiologischem oder biologischem Gebiet, die chemische Zusam­mensetzung seiner Nahrungsmittel; aber er prüft, was die Nah­rungsmittel für den Menschen in Wahrheit sind, indem er sie ge­nießt, indem er die Kräfte mit den Kräften seiner Leibesprozesse verbindet. So kann er das, was ihm Anthroposophie an Ergebnissen darbietet, wovon sie zeigt, wie es die Seelenrätsel löst, mit seinem Seelenleben vereinigen, und er wird finden: es sättigt ihn seelisch. Und was sind im Grunde genommen vor diesem anthroposophi­schen Forum Seelenrätsel? Seelenrätsel, in ihrer Lebendigkeit er­faßt, sind nichts anderes als dem Ausdruck des seelisch-geistigen Hungers und des seelisch-geistigen Durstes. Und die Lösung der Seelenrätsel ist im Grunde genommen nichts anderes als Aufnahme wahrhaftiger geistiger Inhalte, wahrhaftiger geistigem Wesenheiten, die sich vereinigen mit dem menschlichen Geiste und mit dem menschlichen Seelenleben. Und so, möchte ich sagen, ist geistige Sättigung, die fortwährend sich wiederholen muß, Lösung der See­lenrätsel Je lebendiger man den Prozeß faßt und je mehr man ein­sieht, wie Anthroposophie durchaus in das praktische Leben hin-eingreifen will in jedem Punkte, wie sie im Allemalltäglichsten Wur­zel fassen und hinaufgelangen will zu den großen Rätselfragen des Daseins, indem sie den Menschen in den göttlich-geistigen Urgrund des Daseins einführt, indem sie ihn zu seinem Unsterblichen führt, desto mehr wird man einsehen, daß Anthroposophie nicht Theorie sein kann, sondern etwas durchaus Erlebbares.

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Von diesem Gesichtspunkt aus versucht Anthroposophie in die verschiedensten praktischen Gebiete des Lebens hineinzuwirken; von diesem Gesichtspunkt aus hat sie versucht, zu gestalten, was ich hier öfter dargstellt habe als die Begründung unserer Waldorf-Schu­le durch Emil Molt, also etwas, was auf praktisch sozialem Gebiete getan wird.

Anthroposophie löst, wie Sie sehen, die Seelenrätsel, indem sie an den ganzen lebendigen Menschen, an Leib, Seele und Geistes­menschen sich wendet. Dadurch überwindet sie die Einseitigkeiten desjenigen Erkennens und Seelenlebens, das notwendigerweise her­aufziehen mußte mit den auf ihrem Gebiet voll anerkannten Ergeb­nissen der neueren Naturwissenschaft, die durchaus als Triumph auch von der Anthroposophie eingesehen werden.

Aber man müßte so etwas beachten - und man würde es beach­ten, wenn Anthroposophie nicht noch so mißverstanden würde -, wie es sich zum Beispiel während des verflossenen Sommers hier in Stuttgart auf dem anthroposophischen Kongreß zugetragen hat, wo von Dr. von Heydebrand aus der Waldorf-Pädagogik heraus in ei­nem Vortrag, der auch gedruckt vorliegt, gerade die Einseitigkeiten der bloß äußerlich experimentellen Seelenkunde dargelegt worden sind. Nicht weil gegen diese experimentelle Seelenkunde oppositio­nell vorgegangen werden soll - sie wird gerade auf ihrem Gebiete mit ihren Ergebnissen in der richtigen Weise gewürdigt werden können, wenn man auf der anderen Seite das, was so äußerlich erkundet wird, mit dem durchdringen kann, was geistig-seelisch durch Anthroposophie erreicht werden kann. Denn durch Anthro­posophie wird dasjenige, was in das Leiblich-Körperliche des Men­schen geistig-seelisch, aus geistig-seelischen Welten heraus wirkt, begriffen. Dadurch aber kann auch alle äußere Forschung belebt werden, kann belebt werden Pädagogik, kann belebt werden Medi­zin - auch das ist hier in früheren Vorträgen auseinandergesetzt worden -, und kann belebt werden auch das soziale Leben.

Auch da möchte ich hinweisen auf ein schönes Beispiel in dem Vortrag, den Emil Leinhas auf dem genannten Kongreß gehalten hat - der auch hier gedruckt vorliegt -, der darlegt, was die aus bloß

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nachgebildeten naturwissenschaftlichen Methoden heraus entstan­dene Nationalökonomie nicht leisten kann. Hier ist ein Anfang ge­macht für eine wirkliche aus dem Geistig-Seelischen heraus­kommende Gesundung des sozialen Lebens. Und woran liegt denn das zuletzt?

Man sieht durch Anthroposophie ein, wie der Gedanke gestal­tend wirkt. Nun, er wirkt nicht nur im menschlichen Leib gestal­tend als das Seelisch-Geistige, er wirkt auch gestaltend, wenn wir ihn in der richtigen Weise als soziale Ideale in das menschliche Gesellschaftsleben einführen können, und es wirkt der durch­schaute Wille in der richtigen Weise auch in sozialer Beziehung. Denn wie durch ihn, wie wir wissen, das menschliche Leibliche auf­gelöst, einer gewissen Verbrennung entgegengeführt wird, so wird dasjenige, was als durchschautes Willenselement in das soziale Le­ben richtig eingeführt wird, im richtigen Augenblick erkennen, wo irgendeine Einrichtung sich überlebt hat, verschwinden muß, damit gerade ihre Früchte in einer neuen Gestalt aufleben können. So wie das Geistig-Seelische aus dem Abbauen des Leiblichen in der darge­stellten Weise sich erhebt, so erheben sich die höheren Gebilde des sozialen Lebens dadurch, daß gewisse äußere Einrichtungen, die sich überlebt haben, verschwinden, daß dieses Verschwinden zusammenwirkt mit dem Plastisch-Aufbauenden. Hinausfließen in das soziale Leben kann, ich möchte sagen auch die Frage der sozia­len Rätsel lösend, dasjenige, was in dem richtigen anthroposophi­schen Erfassen der menschlichen Seelenrätsel durchschaut wird.

Dadurch aber kommt der Mensch dazu - lassen Sie mich das zum Schluß aussprechen -, sich selbst in der richtigen Weise zu er-fassen, sich zu erfüllen mit rechter innerer Kraft, mit der wahren Kraft seines wirklichen Ich, das im menschlichen Gefühl, im menschlichen Gemüt lebt. Zwischen dem Vorstellungsleben, zwi­schen dem Willensleben, da lebt das immer unbegreifbare, immer unfaßbare, aber deshalb nicht weniger erlebbare Gefühlsleben des Menschen; und in diesem Gefühlswesen enthüllt sich für den, der so das Leben anzuschauen vermag, wie ich es heute charakterisiert habe in bezug auf die Seelenrätsel, das ewige Ich, das durch wiederholte

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Erdenleben geht. Dann weiß man zusammenzuschauen plastisch-gestaltendes, entwickeltes Vorstellungsleben und durch­geistigtes Willensleben, das abbaut.

So lernt man am Menschen ergreifen, was durch die Geburt oder Konzeption so in den Menschen hemeingegangen ist, daß es zu­nächst auf frühere Erdenleben zurückweist bis zu dem Zustand, wo in aller Urzeit das äußere kosmische Leben so wenig getrennt war von dem inneren Menschenleben, daß es keiner wiederholten Er­denleben, sondern eines kontinuierlich fortschreitenden, geistig-seelisch-natürlichen Lebens bedurfte, um eben den Fortschritt zu bewirken. Man lernt hinschauen auf wiederholte Erdenleben, auf zwischen ihnen liegende geistig-seelische Leben, man lernt hin­schauen in die Zukunft bis zu einem Zustand, wo wiederum der Mensch sich so verbunden haben wird mit dem Geistigen, daß die wiederholten Erdenleben ihren Sinn verlieren - indem der Mensch sich erhebt zu der Vergeistigung seines Daseins, ich möchte sagen mit einem aus dem bloßen Unlebendigen in die Geistigkeit hin­strebenden Erleben sich erhebt.

Man wird durch die Lösung der Seelenrätsel zu der wahren Lö­sung der Weltenrätsel geführt; man steigt auf zu der menschlichen Seele, zum Kosmos. Dadurch aber erlangt man lebendiges Wissen, lebendige Erkenntnis, die, wie ich eben schon angedeutet habe, gei­stige Nahrung ist. Dadurch aber wird ein Wissen, wie es von der Anthroposophie dargeboten werden will, zu einem wirklichen in­neren Halt der Seele in demjenigen Element, in dem das Leben schwankend werden will. Lebenssicherheit, Lebenshalt, Lebens-orientierung, die findet man, indem man also die geistige Sättigung der Anthroposophie sucht. Dasjenige, was uns heimlich jauchzend machen will, in dem wir uns verlieren könnten, das bringt uns Anthroposophie zu uns selbst zurück, indem sie das verwandelt in inneren Halt, indem sie unserem innerlichen Gleichgewicht einen inneren Schwerpunkt verleiht. Und ebenso können wir uns in den schweren Augenblicken des Lebens, wenn wir oftmals im Unglück zu versinken drohen, einen Halt verschaffen durch eine Seelenstim­mung, die innerlich getragen wird von dem Vollbewußtsein der den

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Menschen erfüllenden Geistigkeit, wenn wir uns dessen voll be­wußt werden, daß das Gedankenleben kein nichtiges ist, daß es in der plastisch gestaltenden Welt- und Seelenkraft die Realität finden kann und daß der Wille dasjenige ist, was diese plastische Ausge­staltung der Seelenkraft immer wieder zum Geiste zurückbringt. Das gibt Halt in den schweren Augenblicken des Lebens, das stellt das Leben auf einen festen Boden, das führt auch in der richtigen Weise zu dem Ende des Lebens hin.

Und so können wir hier, in Anlehnung an das heute Gesagte, an den Ausspruch eines alten griechischen, vorsokratischen Weisen erinnert werden, der aus einer erst ahnungsvollen Erkenntnis her­aus das gewichtige Wort spricht: «Wenn die menschliche Seele, vom Leibe befreit, in den freien Äther sich aufschwingt, ist ein unsterb­licher Geist sie, vom Tode befreit.»

Ja, man kann durch wirkliche Wissenschaft die Rätsel der Seele lösen. Man kann zu dieser Überzeugung kommen, indem man das, was das alltägliche Seelenleben an Rätselvollem darbietet, zu lösen versucht durch ein wirkliches geistiges Schauen. Man kann einen Erkenntnisabglanz der Unsterblichkeit sehen in den gewöhnlichen Ereignissen des Lebens. Und wer in der richtigen Weise die ein­zelne Gedanken-, die einzelne Gefühls-, die einzelne Willens-Ent­faltung beurteilen kann, der sieht das Unsterbliche schon in ihnen, und der blickt dann auf zu der Unsterblichkeit im umfassenden Sin­ne und kommt dadurch zu einem wirklichen Erfassen des Ewigen in der Menschennatur, das im ewigen Daseinsgrund des Kosmos, der Weltenentwicklung, wurzelt.

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DAS ÜBERSINNLICHE IN MENSCH UND WELT Rotterdam, 1. November 1922

Zuerst muß ich Sie um Entschuldigung bitten, daß ich nicht in der Lage bin, die folgenden Auseinandersetzungen heute abend in der Sprache dieses Landes zu geben. So bitte ich Sie, dieselben in der mir gewohnten Sprache entgegennehmen zu wollen.

Nun, jeder Unbefangene und jeder, der mit wachem Verstand und auch mit wachem Herzen das Leben der Gegenwart miterlebt, der fühlt ja, daß wir uns heute in einer Zeit befinden, welche dem Menschen herbe Hindernisse in den Weg legt. Die Zeiten sind schwierige geworden. Allein, man würde doch fehlgehen, wenn man meinte, daß man die Ursachen zu den heutigen Zeitschwierig­keiten allein in der äußeren Welt suchen soll. Dasjenige, was in der äußeren Welt - namentlich insofern diese äußere Welt aus den Handlungen der Menschen selbst sich zusammensetzt - uns entgegentritt, hat seine Wurzeln zuletzt doch in den Tiefen der menschlichen Seele. Man sieht es nur nicht immer, wie dem Men­schen die Kraft, die Zuversicht, die Tüchtigkeit und namentlich die Übersicht über das Leben dahinschwinden, wenn er nicht aus den geistig-seelischen Untergründen seines Wesens heraus eine Lebens­auffassung sich bilden kann, die ihm als solche innere Kraft gibt.

Wie gesagt, man macht sich das nicht immer klar, namentlich deshalb, weil man nicht weiß, wie selbst die physischen Kräfte des Menschen, die wir in der äußeren Welt anwenden, zuletzt abhängig sind von dem, was als seelisches Leben unseren ganzen Menschen durchwellt und durchrieselt. Daher muß es demjenigen, dem daran liegt, daß wir in den weiten Umkreisen unserer gegenwärtigen Zivilisation - denn auf einzelne enge Gebiete kommt es dabei nicht an - zu einem aus freudigem Menschenherzen herauskommenden Aufstieg kommen, dem muß es darum gehen, Einkehr zu halten in das menschliche Seelenleben, zu fragen, wie diesem aus tiefstem Inneren heraus Kräfte zur Arbeit, Kräfte zur Umschau im Leben,

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Kräfte überhaupt erwachsen können, um die Lebenswege in ent­sprechender Weise gehen zu können.

Und wenn wir den eigentlich heute vielen Menschen unbewuß­ten Konflikt ins Auge fassen wollen, so tritt uns dieser doch in der Art und Weise des Widerstreits entgegen, wie sich einerseits für unseren Kopf, andererseits vor allem für unser Herz ausnimmt, was wir an Erkenntnissen, an Eindrücken aus der seit einer Reihe von Jahrhunderten groß gewordenen naturwissenschaftlichen Welt­anschauung gewinnen können.

Diese naturwissenschaftliche Weltanschauung hat Triumphe über Triumphe gefeiert, hat das ganze moderne Leben umgestaltet. Alles, was uns in der Außenwelt heute entgegentritt, namentlich wenn wir in Städten wohnen, ist ja ein Ergebnis des heutigen naturwissen­schaftlichen Denkens, wie es sich seit Jahrhunderten entwickelt hat.

Aber diesem naturwissenschaftlichen Denken steht ein anderes gegenüber, dasjenige, was aus den Bedürfnissen der Menschenbrust, ja, des ganzen Menschen hervorgeht als die moralische, als die reli­giöse Weltauffassung des Menschen. Wenn wir uns ein wenig in der Menschheitsentwicklung umschauen, dann mussen wir uns sagen:

Je weiter wir zurückgehen in dieser Menschheitsentwicklung, desto mehr finden wir, daß in älteren und immer älteren Zeiten der Mensch alles, was er glaubte zu wissen, aus einer moralischen, aus einer religiösen Weltanschauung herleitete. Wenn er hinausblickte in die Natur, so glaubte er hinter den Naturerscheinungen überall leitende und lenkende geistige Wesenheiten wahrzunehmen. Und wenn er den Blick hinaufrichtete zu den Sternen, glaubte er die Formung der Sterne, die Bewegung der Sterne gelenkt und geleitet von göttlich-geistigen Wesenheiten. Und wenn er hineinblickte in seine eigene Seele, hineinblickte überhaupt in sein eigenes Wesen, dann dachte er sich, daß diese göttlich-geistige Lenkung und Lei­tung sich fortsetzt; er nahm an, daß, wenn er selbst nur einen Arm bewegte, wenn er einen Gang machte im alltäglichen Leben. eigentlich die göttlich-geistigen Lenker in ihm tätig seien.

Eine Naturanschauung, wie wir sie heute in solcher Größe vor uns haben, hatte der ältere Mensch eigentlich nicht. Das tritt uns ja

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an mancher Einzelheit so gewaltig anschaulich entgegen. Denken Sie zum Beispiel daran, welch enge Verbindung in älteren Zeiten für den menschlichen Gedanken bestand zwischen der Krankheit, ja dem Tode, und demjenigen, was man Sünde nannte. Man glaubte, daß allein aus moralischen Untergründen heraus der Mensch krank werden könne. Man glaubte insbesondere in älteren Zeiten, daß der Tod über das Menschengeschlecht aus einer Ursünde heraus ver­hängt war. Überall, wo man hinsah, sah man nicht in unserem heu­tigen Sinne Naturerscheinungen, man sah das Walten und Wirken göttlich-geistiger Mächte, deren Gebiet im Menschengeschlechte selber die moralische Weltanschauung ist und zu denen man das Herz, zu denen man das Gemüt hinlenkte, wenn man sich selber fühlen wollte in seinem geistig-ewigen Wesenskern, im Schoße des Göttlichen der Welt.

Neben dieser moralisch-religiösen Weltanschauung hatte man keine Naturanschauung. Und in der Gegenwart hat der Mensch eigentlich nur noch als seine moralische, als seine religiöse Welt­anschauung Reste desjenigen, was ihm aus alten Zeiten überkom­men ist, in denen einzig und allein eine moralisch-religiöse Welt-ansicht da war, ohne Naturanschauung.

Heute stehen wir vor einer großartig entwickelten Naturan­schauung, und wir haben den Menschen einbezogen in diese Natur-anschauung; das 19. Jahrhundert hat namentlich darüber nachden­ken gelernt, wie der Mensch aus natürlichen Untergründen heraus gebildet wird, wie er sich allmählich aus niederen tierischen Formen herauf entwickelt hat. Das 19. Jahrhundert - und auch in einer noch vollkommeneren Weise jetzt schon der Anfang des 20. Jahrhunderts

- hat darüber nachdenken gelernt, wie das, was wir in unseren Glie­dern tragen, unsere Lebenstüchtigkeit, im Grunde genommen die natürliche Folge der Vererbung ist. Den Menschen selbst hat die neuere Zeit in die Naturordnung hineingestellt. Überall erblicken wir Naturgesetzlichkeiten, die wir nicht verbunden denken können mit irgendwelchem Moralischen.

Die Art und Weise, wie die Pflanzen wachsen, wie Elektrizität und Magnetismus durch die Naturvorgänge wirken, wie die Entwicklung

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der Tiere, ja, wie die physische Entwicklung des Men­schen geschieht: in alles dasjenige, in das die Naturwissenschaft solche Klarheit gebracht hat, können moralische Gedanken zu­nachst nicht hineingebracht werden. Und wenn der Mensch auch seine innige Freude, sein tiefes Behagen, ja in gewisser Beziehung eine ästhetische Hingabe an die Natur haben kann: religiöse Hinga­be an die Weltordnung kann er insbesondere gegenüber derjenigen Natur nicht haben, die ihm heute die Wissenschaft vor Augen stellt.

Und so ist der moderne Mensch dazu gekommen, das Wahre, das Seiende, dasjenige, was allein Wirklichkeit hat, in der Natur zu sehen. Aber in seiner Brust kämpft sich dennoch der Drang nach moralischer Weltordnung herauf, kämpft sich das innige Bedürfnis herauf, mit etwas zusammenzuhängen, was als Übersinnliches allem Sinnlichen in der Natur gegenübersteht, ringt sich der Drang her­auf, religiös empfinden zu können gegenüber Mächten, welche nicht aus der Naturgesetzlichkeit heraus zu den Menschen sprechen können. Und immer mehr und mehr wird dieser moderne Mensch irre daran, die alten Traditionen aus einer moralischen, aus einer religiösen Weltansicht beizubehalten; immer mehr und mehr findet er sie im Widerspruch mit dem, was eine neuere Naturanschauung gibt. So steht der heutige Mensch da im Zwiespalt, indem er hin­sieht auf die Welt, die ganz von Naturgesetzen durchwoben ist, die ihren Anfang aus Naturgesetzen genommen hat, die seiner Hypo­these nach ihr Ende nach Naturgesetzen nehmen muß.

Und darüber steht dasjenige, von dem er sagt, daß es ihn eigent­lich erst zum Menschen mache; darüber steht das moralische Emp­finden, darüber steht die religiöse Hingabe. Und der Mensch steht da mit seiner bangen Rätselfrage des Daseins: Bin ich imstande, demjenigen, was ich aus meinem moralischen Sinn herausbringe, eine Realität zu geben, da die Natur ihm keine Realität gibt? Bin ich imstande, meinen religiösen Sinn nach etwas zu wenden, dem er zu­streben kann in Wahrheit und Ehrlichkeit, da dieser Sinn demjeni­gen, was nur als Naturgesetzlichkeit ihm entgegentritt, sich nicht zuwenden kann?

So kommt sich dieser Mensch vor, wie wenn seine moralischen

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Ideale, seine religiösen Empfindungen immer mehr und mehr anfin­gen, als Abstraktes in einer seelischen Luft zu hängen, wie wenn sie verurteilt wären, ebenfalls begraben und verschollen zu sein im bloß naturgesetzlichen Weltenall, wenn dereinst einmal die Erde in einer Art von Wärmetod ihr Ende findet.

In einen tiefen Zwiespalt ist der Mensch der Gegenwart auf diese Art hineingestellt. Er bringt sich diesen Zwiespalt nicht immer zum Bewußtsein. Allein es kommt ihm etwas anderes zum Bewußtsein. Es kommt ihm zum Bewußtsein, daß er sich nicht auskennt in der Welt, daß er keine Kraft hat und keine Freudigkeit, um in der Welt zu wirken. Und oftmals, um nun wenigstens einen Halt für sein Moralisches, für sein Religiöses zu haben, greift er zurück zu aller­lei alten Weltanschauungen, zu allerlei alten mystischen oder, wie man auch sagt, okkultistischen Weltanschauungen. Er wärmt sie auf, weil er aus dem, was ihn selbst heute umgibt, eine Erkenntnis des Übersinnlichen in Mensch und Welt nicht finden kann.

Dennoch ist es möglich, dieses Übersinnliche in Welt und Mensch zu finden. Und wie es gefunden werden soll, davon wollen wir heute abend reden.

Zwischen dem, was rein moralisch und rein religiös ist, und dem, was natürlich und sinnlich ist, empfand man immer mitten drinnen-stehend etwas, was am Menschen selbst während seines Lebens einem entgegentritt. Anders hat man das in älteren Zeiten angese­hen, wo man nur moralisch, wo man nur religiös die Welt angese­hen hat, anders sieht man es heute an. Aber dennoch, man kann auch heute nur in einer einseitigen Weise dasjenige, was so am Menschen ist, in die bloße Naturordnung hineinstellen.

Drei Dinge sind es am Menschen, die, ich möchte sagen hin- und herwanken, hin- und herpendeln zwischen demjenigen, was doch als Übersinnliches gefühlt wird, und demjenigen, was nur natürlich ist. Es wird Ihnen vielleicht sonderbar erscheinen, daß ich gerade diese drei Erscheinungen an der Menschennatur hervorhebe; allein, Sie werden sehen, daß sie es gerade sind, deren Umwandlung, deren Metamorphosierung uns hinaufführen wird in eine Betrachtung der übersinnlichen Erkenntnisse und Weltanschauungen.

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Das Erste, was uns entgegentritt am Menschen, wenn er, ich möchte sagen seine ersten Lebenserfahrungen als ganz kleines Kind im Kampfe mit der Umwelt durchzumachen hat, ist, daß er aus seinem Wesen, dem in der Welt noch nicht seine eigene Lage gege­ben ist, diese eigene Lage sich erkämpft: den aufrechten Gang, das Stehen.

Das Zweite, in das der Mensch sich hineinfindet, das ist das Sprechenlernen. Und erst aus dem Sprechen heraus - wer das kind­liche Lebensalter unbefangen zu beobachten vermag, weiß das -entwickelt sich die Gabe des Denkens. Sich selbst in der Welt zu orientieren, so daß man nicht wie das Tier zur Erde hinunterschaut, sondern frei hinaus in den Weltenraum zu den Sternen blickt, sein eigenes Inneres hinaustragen zu können zu seinen Mitmenschen in der Sprache, hereinzubekommen in das seelische Leben die Welt in der Form der Gedanken: das empfand eine ältere Weltanschauung als etwas, was gewissermaßen hier herunten im Sinnlichen eine Gabe des Übersinnlichen für den Menschen ist. Den Zusammen­hang des übersinnlichen Menschen mit der übersinnlichen Welt empfand man, indem man nach diesen drei Eigentümlichkeiten der Menschennatur hinblickte. Daß der Mensch so gebaut ist, daß aus seinem Bau heraus der aufrechte Gang, das Hinausblicken in Him­melsweiten entspringt, das sah eine ältere Weltanschauung, die auf das Moralische und Religiöse der Weltordnung hinsah, als eine Gabe göttlich-geistiger Mächte, die im Menschen wirkten. Und das Sprechenlernen sah man erst recht als eine Gabe dieser göttlich-geistigen Mächte an.

Niemals war es in älteren Zeiten der Menschheitsentwicklung anders, als daß der Mensch sich sagte: Wenn Gedanken in seinem Inneren Platz greifen, dann leben in diesen Gedanken engelhaft­geistgleiche Wesenheiten. - Erst im Laufe des Mittelalters hat der Mensch die Diskussionen begonnen, ob seine Gedanken nur seine eigene Schöpfung seien oder ob in seinen Gedanken sich göttlich-geistige Mächte innerhalb seiner Leibesorganisation ausleben.

So hat man diese drei Gaben in älteren Zeiten als etwas angesehen, was von übersinnlichen Welten in den Menschen hereinkommt und

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da west und lebt. Daher hat man angeknüpft an diese drei Gaben, die dem Menschen während seiner Kindheit zukommen, wenn man den Menschen, der auf der Erde steht und auf der Erde lebt und auf der Erde seine Arbeit zu verrichten hat, hinauflenken wollte zu den Mächten der moralischen, der religiösen Weltordnung.

Ich will jetzt absehen von denjenigen Übungen, welche eine noch ältere Menschheit zum Beispiel durch Regulierung des Atems gemacht hat, um auf diese Weise zu den Erkenntnissen der äußeren Welt die übersinnlichen Erkenntnisse zu gewinnen. Ich will auf al­lerdings weit im Vorchristlichen liegende, aber doch nicht gerade alteste Ansichten und Übungen der Menschheit zurückblicken, welche sich namentlich an diese drei charakterisierten Eigentüm­lichkeiten der Menschennatur anschlossen.

Da sehen wir, wie im Orient drüben, wo in älteren Zeiten ein mächtiges Streben nach einer Erkenntnis des Göttlich-Geistigen war, zunächst der Mensch dasjenige ausbilden wollte, was in der Kraft seiner Orientierung liegt, was in der Kraft liegt, die ihn als Kind dazu bringt, ein aufrechtes, in die Weiten der Welt hin­ausblickendes Wesen zu werden. - Sehen Sie hin auf jene Stellun­gen, auf jene Körperlagen, welche der orientalische weise Lehrer seinem Schüler vorschreibt, weil er ihm - indem er als erwachsener Mensch in anderer Weise dasjenige in Angriff nimmt, was im Kinde zur Orientierung des Ganges, zur Orientierung der Stellung wird -die Möglichkeit geben will, in den Körper das Göttlich-Geistige hereinwirken zu lassen. Man sagte sich: Wenn das Kind aus dem kriechenden den aufrechten Gang lernt, dann wirkt das Göttlich-Geistige herein. Wenn der Schüler des orientalischen Weisen seine Beine übereinanderlegt und sich auf die übereinandergelegten Beine selber mit seinem Oberkörper lagert, dann nimmt er eine andere Position ein. Und wenn er sich dann voll dieser Position bewußt wird, dann kann in ihm diese geistig-seelische Welt hereinwirken, wie sie in das Kind hereinwirkt, so daß sie es zum aufrechten Gang anspornt. Und wenn der Mensch, statt daß er das Sprechen so lernt, wie es in der sinnlichen Welt der Fall ist, das Sprechen nach inwärts wendet, dann wendet er diese Gabe Gottes um in eine hellseherische

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und helifühlende Kraft, so daß er dadurch sein eigenes Übersinnliches in Verbindung bringen kann mit dem Übersinn­lichen der Welt.

Daher war es, daß in älteren orientalischen Zeiten mit einer ge­wissen Disziplin des Atmens verbunden war das rezitativ-gesang­hafte Sprechen von gewissen Sprüchen, die man Mantrams nannte, die nicht hinausgesprochen wurden, um sich mit anderen Menschen zu verständigen, sondern gewissermaßen hineingewendet wurden, die den menschlichen Organismus durchvibrierten, die alles dasje­nige, was wir sonst in der Sprache nach außen wenden, hineinwen­deten, so daß der ganze menschliche Organismus die Kraft, die Gewalt dieser mantrischen Worte mitmachte. Und das, was das Kind als eine Gabe des Übersinnlichen, die ihm geworden war, hin­ausergoß in die Sprache, durch die es sich mit Menschen verständig­te, das goß der Schüler des orientalischen Weisen in den eigenen Körper hinein. Bei ihm vibrierten die Worte nicht allein nach außen, damit er sich mit dem anderen Menschen verständigen konnte, bei ihm vibrierten die Worte hinunter in die Lunge, vibrier­ten weiter in das Blut, vibrierten im Blute mit den Atemstößen hin­auf in das Gehirn. Und wie derjenige, der unserer Sprache zuhört, den Schlag unserer Seele, die Empfindung unserer Seele aus den Worten fühlt, so erfühlte der orientalische Weise aus dem, was als Wort in seinem Leibe vibrierte, aus diesem übersinnlichen Erleben des mantrischen Wortes das Übersinnliche der Welt.

Und wenn das Kind aus dem Sprechen das Denken entwickelt, so entwickelte dieser orientalische Weise als die dritte Stufe - indem er das Übersinnliche durch das mantrische Wort, durch den mantri­schen Spruch empfand - jetzt nicht ein Denken, das nur in ihm war. Denn so, wie in der gewöhnlichen Sprache unsere Seele zum ande­ren Menschen hinausvibriert, so vibrierte in dem inneren Wort, das er erlebte, die Welt herein. Und was zu ihm sprach, war jetzt nicht ein anderer Mensch, waren nicht Menschengedanken; was zu ihm sprach, waren Weitgedanken, es war der Geist, das Übersinnliche der Welt, das sich in seinen eigenen Organismus als ein Übersinn­liches ergoß.

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In einer solchen Weise suchte man in älteren Zeiten das Über­sinnliche des Menschen in ein Verhältnis zu bringen zu dem Über­sinnlichen der Welt. Und alles, was an religiöser Weltanschauung, was an moralischer Weltanschauung auf uns gekommen ist, was in der Tradition lebt, rührt her von einer solchen Verbindung, die einstmals der Mensch zwischen seinem Übersinnlichen und dem Übersinnlichen der Welt hergestellt hat.

Der Mensch ist für eine gewisse Epoche herausgetreten aus die­sem Miterleben des Göttlich-Geistigen in der Welt. Die Lehrer, die ihren Weg in die übersinnlichen Teile der Welt hinein suchten, wurden immer seltener; und die Menschen, die für solche Lehrer Bedürfnis hatten und die auf dasjenige, was solche Lehrer zu sagen hatten, hören wollten, um die eigene Seelennahrung daraus zu be­ziehen, wurden immer seltener. Denn der Mensch ging für eine Weile durch eine Epoche hindurch, in der alles, was sich in ihm entwickeln sollte, auch geistig-seelisch entwickeln sollte, in engstem Zusammenhange mit seinem Leibe, mit seinem physischen Körper, mit seinem Sinnlichen stehen sollte. Denn jener ältere Mensch, der sich ganz und gar geborgen fühlte in einer moralischen Weltord­nung, die nicht in ihm lag, sondern die die Welt durchflutete, der sich ganz und gar geborgen fühlte in einer göttlichen Welt, die ihm die Natur völlig aufsog, dieser Mensch hätte als solcher niemals zur Freiheit kommen können - zu jener Freiheit, die sich bewußt wird des eigenen Ich als eines festen Stützpunktes im Innern des Men­schen; zu jener Freiheit, welche die Handlung, die der Mensch aus­führt, nicht unmittelbar ableitet vom Göttlich-Geistigen, das her-einwirkt in den Menschen und das eigentlich im Menschen handelt; zu jener Freiheit, die im Menschen selber den Antrieb zum Han­deln suchen will.

Zu diesem Ich-Bewußtsein, zu diesem Freiheitserlebnis mußte die Menschheit kommen und ist sie gekommen. Aber jetzt stehen wir an einem wichtigen Wendepunkt in der Menschheitsentwick­lung. Wir haben den alten Zusammenhang mit dem Göttlichen ver­loren. Und auch diejenigen können ihn nicht finden, die, wie ich schon angedeutet habe, in aller möglicher Weise die alten Wege

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wieder aufwärmen wollen, nach dem Gnostizismus, nach dem orientalischen Okkultismus hinschauen, um Trost für dasjenige zu finden, was sie aus der naturwissenschaftlichen Anschauung der Gegenwart heraus nicht finden können. Nein, die Anschauung, von der ich hier spreche, die wird zwar oftmals auch dahin verleumdet, daß sie auch nur den alten Gnostizismus oder Orientalismus auf­wärmen wollte. Das ist aber nicht der Fall. Diese Weltanschauung steht auf dem Standpunkte, daß wir aus derselben streng exakten Denkweise, die wir heute im Naturerkennen anwenden, den Weg ins Übersinnliche finden können, wenn wir sie nur in der richtigen Weise erkraften und verschärfen.

Allerdings, auch dasjenige, was ich eben als die Dreiheit beson­derer Eigenschaften in der Menschennatur charakterisiert habe und was in älteren Zeiten als Gaben der moralisch-göttlichen Welten-ordnung angesehen worden ist, erscheint dem Menschen der Ge­genwart, auf den mit mächtiger Gewalt und überzeugender Autori­tät die naturwissenschaftliche Weltanschauung wirkt, nur als eine natürliche, als eine sinnliche Gabe. Und so sucht man heute selbst­verständlich - und tut von einem gewissen Standpunkt aus durch­aus recht damit -, aus dem besonderen Aufbau, der sich aus der Le­bensweise des Menschen ergibt, die aus der Lebensweise der Tier­heit herausgewachsen ist, die andersartige Organisation der einzel­nen Menschenglieder abzuleiten und dadurch den aufrechten Gang aus rein natürlichen Verhältnissen heraus zu verstehen. Man sucht die Sprache aus der natürlichen Organisation heraus und aus dem Zusammenhang zu verstehen, den diese natürliche Organisation des Kindes mit dem älteren Menschen hat. Und man sucht auch das Denken selbst, das Hegen von Gedanken als etwas zu begreifen, was mit der menschlichen Organisation zusammenhängt.

Wie sollte man das nicht? Hat doch die Naturwissenschaft zu-nÄchst gezeigt, daß die Gedanken der Menschen gar sehr abhängig sind von ihrer natürlichen Organisation. Es braucht nur diese oder jene Partie des Gehirnes des Menschen gelähmt zu sein; eine gewis­se Partie von Gedankentätigkeit kann ausfallen. Wir sehen überall, wie selbst durch Anwendung von giftigen Substanzen, die im

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menschlichen Leibe wirken, die menschliche geistige Tätigkeit be­einträchtigt werden kann. Die Gewohnheit, alles naturwissen­schaftlich zu betrachten, hat gerade diese Dreiheit - Orientierung des Menschen im Weltenall, Sprechenlernen, Denkenlernen - auch auf naturgemäße sinnliche Weise in eine natürliche sinnliche Wel­tenordnung hineingestellt. Und von da aus hat man noch anderes in eine solche Weltenordnung hineingestellt.

Nun, was der Mensch zunächst durch seine Geburt, oder sagen wir durch seine Empfängnis hier für diese Erde wird, von dem kann man glauben, daß es hervorgehe - denn man sieht es äußerlich her­vorgehen - aus einer bloßen natürlichen Ordnung. So kann man hinblicken auf der einen Seite nach vorne, nach der Geburt, und man kann in Geburt und Vererbung alles dasjenige sehen, was uns Menschen durchpulst und durchkraftet. Aber sieht man nach der anderen Seite, nach der Seite des Todes, dann sieht man klar, wenn man nur ein wenig unbefangen sein will, wie das, was wir sind als Mensch, die Natur nicht wieder aufnimmt, sondern es auslöscht, wie die Flamme der Kerze ausgelöscht wird. So erscheint es dem modernen Menschen, als ob er selber sich von der Natur gegeben würde durch Keimesleben und Vererbung. Aber es muß ihm auch erscheinen, als ob er sich selber am Ende seines Erdenlebens durch die Natur in keiner Fortsetzung sehen könnte, als ob die Natur eben nicht in der Lage wäre, sein menschliches Wesen aufzuneh­men, sondern nur, es zu zerstören. Deshalb ist das große Rätsel, das einstmals für die Menschen in älteren Zeiten, in denen man nament­lich eine moralische und eine religiöse Weltanschauung hatte, das Geburtsrätsel war, für eine spätere Menschheit und noch für uns heute zum Todesrätsel geworden. Das Rätsel des Geborenwerdens ist zu dem Rätsel der Unsterblichkeit geworden.

Denn in der Zeit, in der die Menschen nach der göttlich-geistigen Welt in moralischer, in religiöser Beziehung erkennend haben hin­schauen können, das Übersinnliche der Menschen mit dem Über­sinnlichen der Welt in Beziehung haben bringen können, fragte man sich: Wie ist der Mensch herunter gekommen von den geisti­gen Welten, in denen er früher gelebt hat, auf diese Erde? Was

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natürliches Geschehen im Keimesleben, bei der Geburt war, das sah man nur als den äußeren Ausdruck dieses Heruntersteigens aus göttlich-geistigen Welten ins physische Erdenleben. Die Geburt war das große Rätsel. Was hat der Mensch hier auf der Erde zu vollbringen? Das fragte man sich. Heute blickt der Mensch nach der anderen Seite, nach der Seite des Todes, wenn er sich das große Rätsel nach dem wahren Wesen seines innersten Menschheitskernes aufwerfen will.

Und noch von einer anderen Seite können wir dasselbe Rätsel betrachten. Ja, man kann den Glauben haben, daß aus den natürli­chen Instinkten, die aus dem Blute, aus dem Fleische, aus dem Nervensystem, aus der ganzen menschlichen Organisation geboren werden, durch eine gewisse Vervollkommnung die moralischen Impulse des Menschen entstehen, und man kann aus dem Vorhandensein solcher moralischer Impulse auch gewisse religiöse Empfindungen ableiten. Man kann also gewissermaßen das Her­kommen der Moral und das Herkommen der religiösen Emp­findungen aus der sinnlichen Naturordnung ableiten.

Aber wir brauchen nicht etwa von der Vergeltung der morali­schen oder unmoralischen Handlungen zu sprechen. Das führt zu sehr ins egoistische Gebiet. Doch wir können davon sprechen, daß dasjenige, was wir moralisch vollbringen - wenn wir als Allumfas­sendes nur die sinnliche Naturordnung glauben -, kraftlos in der Welt erlöschen müßte. Die Frage entsteht: Die kleinste Äußerung der elektrischen Kraft hat innerhalb des Weltenalls ihre bestimmte Folge - das ist nach der Anschauung der Naturwissenschaft; das­jenige, was moralisch aus uns entspringt, das sollte im Weltenall keine Folgen haben?

Wir blicken auch in dieser Beziehung nach dem andern Ende. Wir können zur Not die moralischen Impulse als höher entwickelte Triebe und Instinkte ansehen, aber wir können nicht die Bedeutung der moralischen Impulse für die Zukunft aus einer bloß natürlich-sinnlichen Weltanschauung heraus erkennen.

Vor diesen Fragen steht ein Teil der Menschen lieute ganz be­wußt. Und wer bewußt vor diesen Fragen steht, der muß sich eben

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zu demjenigen hinwenden, was hier als anthroposophische Geistes­wissenschaft auseinandergesetzt wird. Ein großer Teil der Mensch­heit steht unbewußt, mehr empfindend vor diesen Fragen. Er kann nicht mehr ganz mitgehen mit dem, was ihm an alten religiösen Tra­ditionen überliefert worden ist, denn er fühlt instinktiv, daß das doch aus alten Erkenntnissen hervorgegangen sein muß. - Das ist nicht aus einem Glauben, den man heute den Menschen aufreden will, hervorgegangen! Alle religiösen Bekenntnisse sind aus alten Erkenntnissen entsprungen, aus solcher Verbindung des Übersinn­lichen im Menschen mit dem Übersinnlichen der Welt, wie ich es Ihnen vorhin charakterisiert habe. Aber wir können diesen alten Weg heute nicht wiederum gehen. Die Menschheit hat seither an­dere Entwicklungsformen angenommen. Sie hätte sonst nicht jenen Weg, ich möchte sagen jene Zwischenepoche durchmachen können, in der sie sich das Gefühl des Ich-Bewußtseins, das Erlebnis der Freiheit geholt hat. Sie hätte nicht ganz im physischen Menschenlei­be leben können, wenn sie nicht ganz anders organisiert gewesen wäre in dieser Zwischenepoche als in jenen älteren Zeiten, wo die­jenigen Vertrauen und Anerkenntnis gefunden haben, die auf dem Wege der Körperposition, der Mantrams und der sich ihnen offenbarenden Weltgedanken den Menschen Kunde gebracht haben von der Art und Weise, wie die Menschenseele, das Menschenin­nere mit dem Übersinnlichen der Welt zusammenhängt, wie der Mensch nur als Körper ein vergängliches, als Seelisches aber ein unvergängliches Wesen, eine ewige Wesenheit ist.

Wenn der Mensch heute versucht - und es tun es ja viele, ich möchte sagen zum Unheil für eine wirkliche Erkenntnis -, in der­selben Weise die Verbindung des Übersinnlichen in seiner Natur mit dem Übersinnlichen der Welt zu suchen wie, sagen wir die Anhänger des Buddha, wenn er etwa durch besondere Körperposi­tionen, durch Absingen von Mantrams und durch so geartete, im Innern regsame Worte im inneren Logos sich offenbarende Weltge­danken suchen wollte, wenn er durch das alles zum Übersinnlichen kommen wollte, so würde er als heutiger Mensch, der in ganz an­derer Weise seinen physischen Leib ausgebildet hat als eine ältere

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Menschheit, nur seinen physischen Menschenleib in Unordnung bringen und ihn nicht hinauflenken können zum Ubersinnlichen. Jener ältere Menschenleib, der in der Weise mit Übungen zu durchdringen war, wie ich das dargestellt habe, der hatte eben noch nicht jene Festigkeit, jene innere Konsistenz, aus der ein starkes Erden-Ich-Bewußtsein, ein starkes Erdenfreiheitserlebnis ent­springt. Der menschliche Organismus ist konsistenter geworden. Würde man heute eine genauere Physiologie, wie sie die hier ge­meinte anthroposophische Geisteswissenschaft gibt, anerkennen, so würde man wissen, daß in den neueren Menschenleibern die festen Bestandteile, namentlich die salzigen, intensiver ausgebildet sind, als sie in den Körpern der alten Menschen ausgebildet waren, die solche Übungen für die höhere Erkenntnis machen konnten, wie ich sie geschildert habe. Der heutige Mensch muß deshalb in ande­rer Weise sein eigenes Übersinnliches mit dem Übersinnlichen der Welt in Beziehung, in Verbindung bringen. Der heutige Mensch muß auf andere Weise das Moralische, das Religiöse in der Welten-ordnung suchen, als es ältere Zeiten gesucht haben.

Die Geisteswissenschaft, von der ich hier spreche, sucht deshalb von zwei Seiten her in die übersinnliche Welt hineinzukommen: er­stens von der Seite des Gedankens, zweitens aber von der Seite des Willens. Von der Seite des Gedankens dadurch, daß der Mensch den Gedanken, der ihm ja so ungeheure Dienste gerade in der modernen Naturwissenschaft in der Beobachtung und Experimentierkunde geleistet hat, nicht bloß als ein Abbild der Außenwelt erlebt, son­dern daß er lernt, mit diesen Gedanken im stillen Inneren der Seele zu leben. Dadurch kann der moderne Mensch eine geistes-wissenschaftliche Methode ausbilden, ähnlich wie der alte Mensch sie durch seine Mantrams ausgebildet hat, nur daß die Mantrams noch etwas Sinnlicheres waren, der moderne Mensch aber etwas Geistigeres in der bloßen Ausbildung der Gedanken hat.

Ich habe im einzelnen den weiten Weg, den man zu durchlaufen hat, um in dieser Weise zu einer wirklichen Geisteswissenschaft und somit zu einer Erkenntnis der übersinnlichen Welten zu kom­men, ausführlich in meinen Büchern, zum Beispiel in dem Buch

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«Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», im zweiten Teil meiner «Geheimwissenschaft» und in anderen Büchern, ge­schildert. Hier möchte ich nur kurz prinzipiell andeuten, wie man heute - ganz angemessen der heutigen Menschheitsorganisation -zum Geistesforscher werden kann.

Nicht jeder braucht ein Geistesforscher zu werden, aber einzelne Menschen können es werden. Bis zu einem gewissen Grade kann allerdings jeder wenigstens zum Nachprüfer dieser Geistesfor­schung werden, wenn er dasjenige als Übungen sich angelegen sein läßt, was ich in den genannten Büchern dargestellt habe. Aber wer heute ein Geistesforscher werden will, muß es nicht mehr durch das sinnliche Absingen von Mantrams, sondern durch rein übersinn­liche Übung in Gedanken werden.

Nun, wir haben es heute zu exakten Gedanken gebracht. Wenn ich hinschaue in die Sternenwelten in der exakten Astronomie: da haben wir es zu einem exakten Denken im Physikalischen, im Che­mischen gebracht; sogar streben wir es heute schon im biologischen Forschen, im Erforschen der Lebewesen an, und wir fühlen uns da insbesondere dann befriedigt, wenn wir die äußere sinnliche Welt so erforschen können, wie wir gewöhnt sind, unsere Gedanken zu orientieren, wenn wir in der Mathematik Probleme lösen. Daher hat man ja das Wort geprägt, nur soviel sei wirkliche Wissenschaft der Natur vorhanden, als Mathematik in der Naturwissenschaft enthal­ten ist. Und man redet aus diesem Grunde von exakter Naturwis­senschaft. Alles soll in Beobachtung und Experimentieren so über­schaut werden können, wie man die Probleme überschaut, wenn man mathematische Aufgaben löst. Von exakter Wissenschaft redet man da.

Von exaktem Hellsehen, exakter Clairvoyance redet die anthro­posophische Geisteswissenschaft, die hier gemeint ist. Wenn der heutige Naturwissenschafter die heutige Welt in exakter Weise er­forscht, so macht derjenige, der anthroposophischer Geistesfor­scher wird, etwas ebenso Exaktes, nur auf einem anderen Gebiete. Er entdeckt allmählich, daß es in der Seele verborgene Kräfte gibt, die im gewöhnlichen Leben und in der gewöhnlichen Wissenschaft

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nicht angewendet werden. Er entdeckt allmählich, daß es wirklich so ist, daß im Kinde, im ganz kleinen Kinde, Geistig-Übersinnliches und Physisch-Sinnliches noch ungetrennt zusammenwirken, daß aber dann das Kind gewissermaßen in den aufrechten Gang, in die Sprache, in das Denken nach der sinnlichen Außenwelt dasjenige ergießt, was in ihm vorher übersinnlich gestaltet lebt. Alles, was in der allerersten Lebenszeit des Menschen hinunterquillt in das Blut, das, was ganz und gar in den Organen vibriert, das ergießt sich, indem der Mensch sich in der Außenwelt orientiert, nach außen; das ergießt sich in der Sprache nach außen, das ergießt sich ins­besondere im Denken nach außen.

Aber wir können es wieder zurücknehmen. Der orientalische Schüler des orientalischen Weisen suchte vorzugsweise durch das Zurückwenden der Sprache zu erreichen, was man Verbindung des Übersinnlichen im Menschen mit dem Übersinnlichen der Welt nennen kann. Wir Neueren müssen den Gedanken selbst nach in­nen wenden. Wir müssen uns ganz im Ernste sagen können: Wir haben es weit gebracht in der Beobachtung der äußeren Natur. Es stehen vor uns die exakten Gedanken der Sternenformen und Ster­nenbewegungen. Es stehen vor uns die exakten Gedanken der elek­trischen, der magnetischen, der Wärme-Wirkungen, der Schall-, der Licht-Wirkungen. Wir blicken in die Welt hinaus - exakte Gedan­ken in uns bilden uns diese Welt ab. Wir müssen uns als Geistesfor­scher in die Lage versetzen können, jetzt von allen Gedanken abzu­sehen, die uns so nach außen zu den Sternen, zu den elektrischen, magnetischen Wärmeerscheinungen führen. Wir müssen imstande sein, so wie der alte Weise sein mantrisches Sprechen nach innen wendete und sich dadurch den Logos der Welt offenbaren ließ, die Kraft des Gedankens nach innen wenden zu können. Mit derselben Stärke wie äußerlich durch unsere Sinne - die körperliche Organi­sationen sind und uns zu Hilfe kommen, so daß wir nicht die eigene Stärke, die Stärke der Seele anzuwenden brauchen - müssen wir uns aufschwingen, das Denken im Meditieren so stark zu machen, daß unsere Gedanken, obwohl sie nur innerlich entwicl:'elt werden, so lebhaft werden wie sonst die Sinnesempfindungen.

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Denken Sie nach, wenn Sie Töne hören, Farbe sehen, wenn Wärme- und Kälte-Empfindungen Ihren Leib durchrieseln, wie lebendig das alles ist, wie intensiv das wirkt. Denken Sie darüber nach, wie grau und abstrakt die Gedanken dagegen sind, die Sie von diesen Erlebnissen der Außenwelt behalten. Und Meditieren be­steht darinnen, daß man diese Gedanken - die sich nur grau und abstrakt an die Außenwelt schließen, die dadurch in uns aufdäm­mern, daß man sich passiv an die Beobachtung der Sinne hingibt -innerlich so erkraftet, so intensiviert, daß sie genauso werden wie Sinneswirkungen. Dadurch schwingt man sich auf zu einem neuen Denken. Während das Denken, das man im gewöhnlichen Leben und in der gewöhnlichen Wissenschaft hat, so ist, daß man sich darinnen passiv fühlt, daß diese Gedanken eigentlich kraftlos sind, nur Bilder sind, die die äußere Welt abbilden, kann man durch das Meditieren erreichen, daß man in der Gedankenwelt lebt, wie man in seinen Wachstumskräften lebt, wie man in Hunger und Durst lebt, wie man im innerlichen leiblichen Wohlbefinden lebt - das ist der Ertrag des Meditierens. Man muß nur eines lernen, um in einer solchen Weise die Gedankenwelt innerlich zu beleben: man muß lernen, liebend in Gedanken innerlich zu weben.

Das muß man, wenn man Geistesforscher werden will, mit eben-solcher Hingabe üben, wie man, wenn man Physiker werden will, jahrelang im physikalischen Laboratorium üben muß, wie man jah­relang, wenn man Astronom werden will, auf der Sternwarte üben muß. Es ist wahrhaftig nicht leichter, Geistesforscher zu werden, als ein Astronom oder ein Physiker. Nachprüfen kann jeder, der nur ein wenig beachtet, was ich im Buche «Wie erlangt man Er­kenntnisse der höheren Welten?» beschrieben habe, dasjenige, was der Geistesforscher sagt. Aber ebensowenig, wie jeder ein Astro­nom werden soll, der die Ergebnisse der Astronomie in seine Welt­anschauung aufnimmt, ebenso wenig braucht jeder ein Geistes-forscher zu werden, wenn Geistesforschung ein Element unserer Zivilisation, unseres Kulturlebens werden soll. Ja, im Gegenteil:

jene Beziehung von Mensch zu Mensch, die einmal dadurch entste­hen kann und die eigentlich in einer nicht sehr fernen Menschheitszukunft

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entstehen muß - wenn der Niedergang nicht immer stärker und stärker werden soll -, jenes soziale Zusammenleben zwischen Mensch und Mensch, das notwendig werden wird und, man könnte sagen eigentlich schon heute notwendig ist, das wird wesentlich belebt, wenn jenes Vertrauen wiederum in das soziale Leben der Menschen einzieht, wodurch man weiß: Wer aus den Tiefen sei­ner Seele heraus über die geistigen, übersinnlichen Welten spricht, weil er als Geistesforscher sich zu ihnen aufgeschwungen hat, der verdient Vertrauen.

Wo in dieser Weise die Seelen intim zueinander stehen können, daß die Intimitäten der übersinnlichen Welt in der übersinnlichen Wesenheit des Menschen einander mitgeteilt werden, in einer sol­chen sozialen Ordnung werden diejenigen Kräfte leben, die einzig und allein wiederum unser soziales Leben festigen werden. Des­halb ist es vollständig unbegründet und entspringt eigentlich nur einem menschlichen Egoismus, wenn man sagt: Ich halte mich nicht an die Erkenntnisse der anthroposophischen Forschung über das Übersinnliche, solange ich die Dinge nicht selber sehe. - Jeder Mensch ist so geartet, daß er für die Wahrheit und nicht für die Unwahrheit veranlagt ist. Erforschen kann nicht jeder die über-sinnliche Welt, wie nicht jeder ein Bild malen kann. Wie aber jeder ein Bild, das künstlerisch gemalt ist, in sich aufnehmen kann, ebenso kann auch jeder, weil er als ganzer, als Vollmensch für die Wahrheit veranlagt ist, nicht auf einen blinden Glauben hin, son­dern auf innerliches Erleben hin die Wahrheit der Geisteswissen­schaft, wie sie hier gemeint ist, anerkennen. Diese Geisteswissen­schaft selbst kann nur dadurch erlangt werden, daß durch Medi­tieren, durch Konzentrieren innerhalb des Denklebens selbst in dieser Weise von dem gewöhnlichen abstrakten Denken zu einem bildhaften Denken vorgeschritten wird, zu einem solchen Denken, das innerlich lebendig ist. In diesem Denken leben wiederum die Weltgedanken. In diesem Denken fühlt sich dann der Mensch nicht mehr wie eingeschlossen in seinem Leibe, in diesem Denken fühlt er sich auf der ersten Stufe bezüglich des Eintrittes in die ubersinnliche Welt.

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Der ältere Mensch ging von etwas mehr Sinnlichem, von dem nach innen gewendeten Worte aus. Der neuere Mensch muß von etwas mehr Geistigem, von dem nach innen gewendeten Gedanken selber ausgehen, und er findet dadurch seinen Zusammenhang mit dem Übersinnlichen der Welt und kann wiederum sprechen von die­sem Übersinnlichen der Welt. Denn das bleiben nicht leere Worte, die sich einem dann ergeben, wenn man in solcher Weise durch das innerlich belebte Denken in das Übersinnliche der Welt eintritt und mit dem Übersinnlichen in seinem eigenen Inneren dieses Übersinn­liche der Welt miterlebt. Geradeso, wie wir in der sinnlichen Außen­welt von den vielen Pflanzenformen, von den Formen der Tiere um­geben sind, wie wir umgeben sind von demjenigen, was uns aus den Sternen herunterleuchtet, so verglimmt gewissermaßen vor der gei­stigen Anschauung, die sich dem bildhaften Denken ergibt, die sinn­liche Welt, und eine geistige Welt geht auf. Man erblickt jetzt nicht mehr bloß die Sonne in ihrem physischen Glanze, man erblickt eine Summe von geistigen Wesenheiten, deren physisches Abbild die physische Sonne ist. Man dringt durch die physisch erscheinende Sonne zu dem geistigen Sonnenwesen vor. Und ebenso dringt man durch den physisch erscheinenden Mond zu den geistigen Monden­wesen vor. Man lernt erkennen, wie diese geistigen Mondenwesen die Menschenseele aus geistig-seelischen Welten durch die Geburt hier in das Erdenleben hereinführen, wo sie von der Mutter und von dem Vater den Leib annimmt. Man lernt erkennen, wie in dem geisti­gen Sonnenwesen diejenigen Kräfte liegen, die den Menschen durch den Tod wiederum hinausführen, und man lernt erkennen den Gang der Menschenseele aus den übersinnlichen Welten heraus.

Diese Erkenntnis vertieft sich einem allerdings noch dadurch, daß man jetzt nicht den Willen durch Körperlagen ausbildet, wie es der alte Orientale getan hat, sondern daß man den Willen in einer ahnlichen Weise ausbildet, wie man den Gedanken zu einer exakten Clairvoyance, zu einem exakten Hellsehen ausgebildet hat, wie ich es Ihnen geschildert habe. Es war auch eine Willensbildung, wenn man die äußere Orientierung unterdrückte, seine Beine kreuzte und sich darauf setzte, um in einer anderen Lage des Menschenleibes

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andere Strömungen der Welt durch den Menschen hindurch und so vom Übersinnlichen eine Wahrnehmung zu bekommen. Der moderne Mensch kann das nicht ausführen. Sein Organismus ist ein anderer geworden. Der moderne Mensch muß auf den Willen selber gehen. Was der alte Orientale, ich möchte sagen durch eine mehr physische Weise durch Körperstellungen ausgebildet hat - er stellte ja auch den Körper nach Osten, nach Westen, nach Süden -, alles dasjenige würde Scharlatanerie für den modernen Menschen sein. Der moderne Mensch muß seinen Willen unmittelbar in die Hand nehmen. Und Sie finden wiederum in «Wie erlangt man Erkennt­nisse der höheren Welten?» und in der «Geheimwissenschaft» eine ganze Anzahl von Übungen zur Selbstüberwindung, Selbsterzie­hung, vor allem zur Willenskultur. Ich möchte nur einige anführen.

Wenn der Mensch zum Beispiel - während er sonst gewöhnt ist, mit seinem Denken nur die äußeren sinnlichen Vorgänge von rück­wärts nach vorne [vom Früheren zum Späteren] zu verfolgen - sein Denken umstellt, zum Beispiel abends dasjenige, was er zuletzt er­lebt hat, vorstellt, dann dasjenige, was er früher am Tage erlebt hat und so zurück bis zum Morgen, wenn er also gewissermaßen die Naturordnung in umgekehrter Folge vor seiner Seele darstellt, dann reißt er sich mit seinem Denken, das sonst an dem Naturlaufe haftet, das vom Früheren zum Späteren geht, los von diesem Natur-laufe. Er denkt dem Lauf der Natur entgegengesetzt. Dadurch er­kraftet sich der Wille, der in dem Denken liegt. Insbesondere ist das dann der Fall, wenn man auf Kleinigkeiten, auf Einzelheiten ein­geht. Stellen Sie sich zum Beispiel vor: Ich bin heute über eine Trep­pe hinaufgegangen; ich stelle mich nicht auf der untersten Stufe, sondern auf der höchsten Stufe vor, gehe so zurück, stelle das ganze Hinaufgehen als einen Heruntergang vor, reiße mich los von dem­jenigen, was wirklich Erlebnis war, stelle es umgekehrt vor. Da­durch erkrafte ich den Willen, der in dem Denken liegt. Ich kann diesen Willen auch dadurch erkraften, daß ich zum Beispiel meine Selbsterziehung in die Hand nehme, daß ich mir sage: Ich habe diese oder jene Lebensgewohnheit; ich ändere sie - ,in drei Jahren muß ich in bezug auf irgend etwas eine ganz andere Lebensgewohnheit

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haben. Und so gibt es Hunderte und Tausende von Übungen, die unmittelbar Willensübungen sind, die unmittelbar auf eine Umänderung des Willens abzielen, so daß sich der Wille losreißt von demjenigen, was ihm durch die bloße Körperlichkeit auf-gedrängt ist.

Dadurch macht in seiner Art der moderne Mensch etwas Ähn­liches durch wie der alte Mensch durch seine Körperstellung. Denn zu diesen alten Übungen können wir aus den erwähnten Gründen nicht wiederum zurückgehen. Dadurch aber gelangt dieser moder­ne Mensch dazu, immer mehr und mehr in ein unmittelbares Ver­hältnis seines eigenen Übersinnlichen zu dem Übersinnlichen der Welt zu kommen.

Was ich da meine, darf ich vielleicht durch ein Gleichnis klarma­chen. Das menschliche Auge zum Beispiel - wodurch ist es eigent­lich unser Sehorgan? Nun, Sie können an der Starkrankheit, die eine Verhärtung der Linse oder des Glaskörpers darstellt, sehen, wie das Auge nicht mehr dem Sehen dienen kann, wenn sich das Materielle im Auge geltend macht. Das Auge muß in gewissen Teilen seiner Organe selber absolut durchsichtig sein, wenn es dem Sehen dienen soll. Es muß gewissermaßen selbstlos sein, dann dient es dem Men­schen. So wird unser Leib, wenn wir den Willen in der Weise er­kraften, wie ich es eben dargestellt habe, geistig-seelisches Sinnes­organ - wenn ich das Paradoxon gebrauchen darf; unser Leib wird

- in gewissen Augenblicken der Erkenntnis natürlich, sonst im Le­ben wohl - nicht mehr von Trieben, Instinkten, Begierden, welche unseren Körper undurchsichtig machen, in seelischer Weise durch­drungen. Er wird in bezug auf Wünsche, Triebe, Begierden so rein, wie es in bezug auf das Materielle das durchsichtige Auge ist. Und wie man durch das durchsichtige Auge die Farbenwelt sieht, so kommt man durch den wunsch- und begierdelos gewordenen Leib

- er ist es nicht immer, aber er kann darauf eingestellt werden bei demjenigen, der sich dazu durch die Übungen in den genannten Büchern geübt hat - zum Ansichtigwerden der geistigen Welt, der übersinnlichen Welt, der man als übersinnliche Wesenheit des Menschen, die man ja in seinem Innern ist, angehört.

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Damit lernen wir das wahrhaft Übersinnliche in dem Menschen selber kennen. Hat man einmal durchschaut, wie es sich mit dem Menschen verhält, wenn er seinen Leib in der geschilderten Weise durchsichtig gemacht hat, wenn er in der rein übersinnlichen Welt lebt, dann hat man schauend das Rätsel des Todes gelöst, denn man hat in der Anschauung das Leben ohne den Leib. Man weiß, wie man lebt, wenn man durch die Todespforte gegangen ist und den Leib abgelegt hat. Man weiß, wie es sich in der Welt ohne den Leib lebt. Man lernt auf diese Weise sein eigenes menschliches Übersinn­liches kennen. Und indem man so sein eigenes menschliches Über­sinnliches kennenlernt, wie es lebendig seelisch durch die Todes-pforte geht, lernt man es erkennen als etwas, was von einer über­sinnlichen Welt dann aufgenommen werden kann, wie es bei der Empfängnis von der übersinnlichen Welt entlassen worden ist. Lernt man auf diese Weise durch den lebendigen Gedanken, der im Meditieren errungen wird, hinter der Sonne die geistige Sonnen-welt, hinter dem Mond die geistige Mondenwelt kennen, das heißt diejenigen geistigen Wesenheiten, welche den Menschen ins irdi­sche Dasein hereinführen, welche ihn aus dem irdischen Dasein hinausführen, dann lernt man das Übersinnliche der Welt kennen. Und dann weiß man, wie unsere lebendige Seele nach dem Tode von dem lebendigen Wesen der Welt, dem lebendigen Wesen des Universums, des übersinnlichen Universums aufgenommen wird. Wie unser Leib von der Sinnenwelt aufgenommen wird und zum Tode gerufen wird, so wird zum Leben im Ewigen die Menschen-seele von denjenigen Wesen gerufen, die man im Übersinnlichen der Welt durchschaut.

Den Gang, den die Menschheitszivilisation auf diese Weise ge­nommen hat, den erkennen wir dann als einen solchen, der uns die Kraft gibt, in der Gegenwart wiederum aus unserer Natur heraus in ebenso exakter Weise durch Willenskultur - die, wie sonst mathe­matische Probleme, ganz exakt in Übungen durchgeführt wird, durch Übungen in Gedanken, wie ich sie geschildert habe, die zur exakten Clairvoyance führen -, an die natürliche Weltenordnung eine Moralität, eine Religion anzugliedern.

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Das brauchen wir heute. Dieser Gang der Menschheitsentwick­lung, er wird auch in grandioser Weise angedeutet in der Stellung, die gerade eine wirkliche Geisterkenntnis dem Mysterium von Golgatha in der Menschheitsentwicklung geben kann.

Wie war es doch - lassen Sie mich das zum Schlusse noch mit einigen Worten andeuten - unmittelbar, nachdem das Mysterium von Golgatha sich auf der Erde abgespielt hat, mit denjenigen Men­schen, die die ersten Bekenner dieses Mysteriums von Golgatha waren? Sie haben hingeschaut auf dasjenige, was ihnen berichtet worden ist, daß es auf Golgatha geschehen ist. Sie haben hinge-schaut auf dasjenige, was der Jesus von Nazareth erlebt hat, und sie haben empfunden, daß in dem Jesus von Nazareth als Menschen das göttlich-geistige Christus-Wesen gelebt habe.

Das haben sie empfunden, daß dieses göttlich-geistige Christus-Wesen zu ihnen heruntergestiegen ist auf die Erde, um ihnen etwas zu bringen, was sie auf Erden gar sehr brauchten. Was hat denn Veranlassung gegeben, daß diese ersten Christen die Weisheit des Mysteriums von Golgatha so unbedingt angenommen haben? Das hat Veranlassung gegeben, daß da noch Reste vorhanden waren je­ner alten Anschauungen, die sich sagten: Der Mensch ist von über­sinnlichen Welten durch die Geburt ins irdische Dasein herunter­gestiegen. Als der Mensch in älteren Zeiten das noch aus seinem instinktiven Anschauen und aus demjenigen, was ihm seine Ein­geweihten, seine Lehrer gesagt haben, ganz klar gewußt hat, da empfanden die Menschen, daß ein geistiger Führer in den geistigen Welten war, der sie zum physischen Erdendasein heruntergeleitet hat. Aber sie fühlten, weil sie wußten, daß sie als Geister auf die Erde heruntergekommen sind, daß sie auch durch die Pforte des Todes gehen werden. Und der Tod hatte nichts Rätselhaftes, keine Schrecken für die ältere Menschheit, geradeso - mißverstehen Sie den Vergleich nicht, es ist nicht für den Menschen herabsetzend gemeint - wie das Tier auch keine Todesrätsel und keinen Schrek­ken des Todes empfindet.

Daß der Mensch den Tod empfinden lernte, kam erst im Laufe der Zeit. Der Tod wurde erst Rätsel, als der Mensch nicht mehr das

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Rätsel der Geburt hatte, als er nicht mehr hinaufschaute in die gei­stig-seelischen Welten, aus denen er heruntergestiegen war, als in der Menschheitsentwicklung die Anlage heraufkam, die dann alles dasjenige, was wir im Geburtsvorgang haben, als ein bloß Natür­liches ansah - da kam über die Menschen das Todesrätsel, da kam der eigentliche Schrecken des Todes.

Das wurde nicht geheilt durch eine theoretische Erkenntnis, das wurde aber dadurch geheilt, daß sich das Mysterium von Golgatha auf der Erde abspielte. Und die Menschen wußten aus den Resten der alten Weisheit, daß der Christus, der auf der Erde in dem Men­schen Jesus von Nazareth erschienen war, dasselbe Wesen war, das die Menschen als Seelen aus geistig-seelischen Welten auf diese Erde heruntergeleitete. Und die ersten Christen wußten, daß der Chri­stus auf die Erde heruntergestiegen ist, um den Menschen auf Erden dasjenige zu geben, was sie über das Rätsel des Todes hinwegführt. Daher sehen wir jenen Zusammenhang, den selbst noch Paulus zwischen dem Todesrätsel und demjenigen, was auf Golgatha voll­bracht worden ist, hat. Wir sehen, daß Paulus den Menschen klar-macht, daß sie über den Tod als Menschenseelen nur hinausdenken können, wenn sie hinblicken können zu dem Auferstandenen, das heißt zu dem den Tod besiegenden Christus.

Nun, aus älterer Weisheit heraus waren die ersten Christen noch imstande - mehr fühlend als klar erkennend -, den Christus als den­jenigen zu erfassen, der auf die Erde heruntergestiegen ist. Die neuere Geisteswissenschaft, von der ich Ihnen heute abend gespro­chen habe, lehrt die Menschen wiederum durch exakte Clair­voyance in die übersinnlichen Welten hineinschauen. Diese anthro­posophische Geistesforschung wird, indem sie den Menschen zum Schauen außer seinem Leibe hinführt - wenn dieser Leib in der ge­schilderten Weise durchsichtig geworden ist und sich der Mensch in der Welt, in der er zu leben hat, wenn er durch die Pforte des Todes geschritten ist, erlebt -, wiederum hinweisen dürfen nicht nur auf den Menschen Jesus von Nazareth, sondern auf den göttlich-geisti­gen Christus, der aus übersinnlichen Welten heruntergestiegen ist und das Übersinnliche im Menschen selber durchkraften kann. Aus

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dieser Durchkraftung, aus dieser Kraft heraus, die Christus in ihm nach dem Paulusworte: «Nicht ich, sondern der Christus in mir» entfaltet, kann der Erdenmensch den Impuls gewinnen, mit dem Christus als lebendige Seele durch den Tod durchzugehen, um nicht blind in jene geistigen Welten einzutreten, in denen er - wie ich es dargestellt habe - von dem Sonnenwesen aufgenommen wird, sondern durch das Licht, das Christus auf die Erde gebracht hat, sehend in diese geistige Welt einzutreten.

So kann eine solche anthroposophische Geisteswissenschaft das religiös-christliche Leben aufnehmen. So wird das religiös-christli­che Leben auf diese Weise gerade durch die anthroposophische Geisteswissenschaft wiederum eine Vertiefung erfahren. Die letzten Jahrhunderte haben uns die Großartigkeit der Naturwissenschaft gebracht, die wir langsam sich entwickeln sehen - jedoch so, daß wir in dem Entwickelnden keine moralische Weltordnung erblicken können, ja die Natur sich uns um so treuer offenbart, je weniger wir in sie hineinmoralisieren. Wie wir uns jedoch nicht eigentlich an dasjenige, was Naturgesetzlichkeit ist, als an ein Göttliches hinge­ben können, so werden wir aber, indem wir die exakte Methode, die wir in der Mathematik, in der Naturwissenschaft anwenden gelernt haben, auf das Denken anwenden, dieses zur Bildhaftigkeit, zur exakten Clairvoyance erheben. Und indem wir die exakte Methode auf unseren Willen anwenden, uns selbst erziehen, die schönsten Taten zu unserer Selbsterziehung tun, werden wir dadurch nicht zu einer äußerlich scharlatanhaften Magie, sondern zu einer inner­lichen, idealistischen Magie kommen und so wiederum das Mora­lische an das Natürliche, an das Religiöse anknüpfen.

Und letzten Endes: was will diese Anthroposophie, von der ich hier spreche? Sie will den tiefen Abgrund ausfüllen, der wenigstens für den modernen Menschen, für alle Menschen, die nur irgendwie die Welt miterleben, unbewußt zwischen der natürlichen amora­lischen Weltenordnung auf der einen Seite und der religiösen mora­lischen Ordnung auf der anderen Seite besteht, damit der Mensch in der Zukunft in seinem Leben, in dem, was ihm durch seinen Leib die Natur, die Sinnlichkeit gibt, das starke Übersinnliche wieder

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habe, in das die Weltenmoral, nicht nur die Menschheitsmoral her­einströmt, in das nicht bloß die Naturordnung, sondern die gött­liche Ordnung hereinströmt.

Und mit den kosmisch-moralischen Impulsen, die seine indivi­duellen werden, mit der Durchdringung mit dem durch den geistig geschärften Blick ihm gegebenen Gottesbewußtsein, wird der Mensch seinen Weg in die Zukunft finden und jene wichtigen Fra­gen und Rätsel lösen, die man heute schon ahnen kann, wenn man nicht schlafend, sondern mit voller, wacher Unbefangenheit die Welt rings herum und dasjenige, was im Menschenherzen als Drang, als Hoffnung aus der Gegenwart heraus in die Zukunft hinein leben kann, ansieht.

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DIE RELIGIÖSE UND SITTLICHE ERZIEHUNG IM LICHTE DER ANTHROPOSOPHIE Den Haag, 4. November 1922

Die anthroposophische Geisteswissenschaft, von der ich am letzten Dienstag und gestern abend hier im Haag sprechen durfte, verfolgt nicht bloß Erkenntnisziele, nicht bloß das Ziel, den Menschen wis­senschaftlich, sittlich, religiös zu vertiefen, sondern sie verfolgt im wesentlichen auch praktische Ziele. Und es wurde gewünscht, daß ich am heutigen Abend über eines dieser praktischen Ziele, über das Erziehungsziel, sprechen soll.

Indem diese Geisteswissenschaft vor allen Dingen bestrebt ist, eine wirkliche Erkenntnis des ganzen, des vollen Menschen zu er­reichen - des Menschen in bezug auf seine körperliche, auf seine seelische, auf seine geistige Wesenheit -, kann sie auch im prakti­schen Leben Menschenkenntnis vermitteln, Menschenkenntnis in bezug auf alle Lebensalter. Und für die Erziehungskunst ist ja vor allen Dingen Menschenkenntnis in bezug auf das Kind selbst not­wendig.

Die Erziehungsfrage ist im wesentlichen eine Lehrerfrage. Eine Lehrerfrage insofern, als es sich darum handelt, ob der Lehrer, ob der Erzieher in der Lage ist, das Menschenrätsel praktisch am Kinde zu lösen. Vielleicht bemerkt man es an diesem Kindesrätsel am allermeisten, was das uralte Wort bedeutet, das wie eine Devise über die menschliche Erkenntnis geschrieben worden ist: das Wort, daß im Menschen selber die Lösung des Weltenrätsels liege.

Viele Menschen haben nämlich eine Art von Angst davor, daß, wenn auf eine Lösung des Weltenrätsels hingewiesen würde, die menschliche Erkenntnis dann ja nichts mehr zu tun hätte. Wenn man aber der Anschauung ist, daß auf alle die unzähligen Geheim­nisse, die das Weltenall birgt, der Mensch selbst gewissermaßen als das Endziel dieser Weltentwicklung die Lösung ist, so weiß man dann zwar, daß man im Menschen die Lösung der Weltenrätsel zu suchen hat, aber der Mensch selber erfordert, wenn man ihn

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kennenlernen will, wiederum unermeßliche Mühe, unermeßliche Arbeit, um in sein Wesen Einblick zu erhalten.

Wenn man dem Menschen in der Welt gegenüber so gestimmt ist, daß in ihm gewissermaßen ein Unsterbliches verborgen ist, dann gelangt man dazu, auch dem Kinde gegenüber jene scheue Ehr­furcht zu haben, die man als Lehrer und Erzieher haben muß, wenn man in der rechten Art an dieses Kind herantreten will.

Nun werde ich mich heute bemühen, mit Bezug auf die Men­schenerkenntnis dem Kinde gegenüber von den Auseinanderset­zungen abzusehen, die ich in den letzten Tagen über die Erkenntnis des menschlichen Geistes und des Geistes der Welt gemacht habe. Ich will versuchen, das Geisteswissenschaftliche in möglichst popu­läre Formen zu kleiden, damit auch diejenigen der verehrten Zu­hörer den Auseinandersetzungen folgen können, die in den letzten Tagen nicht anwesend waren.

Es handelt sich ja vor allen Dingen darum: Derjenige, der seine Lebensanschauungen durch das vertieft, was ihm eine wirkliche -nicht eine abstrakte - Erkenntnis der Menschenseele und des Men­schengeistes geben kann, der sieht vor allen Dingen im Leben des Menschen große Einschnitte; er sieht, daß er das gesamte Leben des Menschen in Lebensepochen gliedern muß. Nicht immer sieht man auf diese Lebensepochen mit dem richtigen Interesse und mit dem tiefen Einblick hin, mit dem man eigentlich darauf hinblicken sollte. Aber wer ein wirkliches, tief menschliches Verhältnis als Erzieher, als Lehrer zu dem Kinde haben will, der muß eine gründliche Erkenntnis gerade dieser Lebensepochen haben.

Wir sehen eine solche Lebensepoche beim Kinde abgeschlossen so ungefähr um das siebte Lebensjahr herum, wenn das Kind die zweiten Zähne bekommt. Diese zweiten Zähne betrachtet derjeni­ge, der Menschenkenner ist, ja nur als das äußere Symbol für einen bedeutungsvollen Umschwung sowohl im Körperlichen wie im Seelischen und Geistigen des Kindes. Und wer sach- und fachge­mäß die Frziehungskunst auszuüben versteht, der sieht mit dem Zahnwechsel auch eine Umänderung der seelischen Eigentümlich­keiten und der geistigen Fähigkeiten des Kindes vor sich gehen.

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Denken wir nur einmal daran, daß im menschlichen Organismus ja auch im späteren Lebensalter ein Umsatz, ein Stoffwechselumsatz stattfindet, daß wir jeweilig nach acht, neun Jahren nicht mehr die­selbe Stoffzusammensetzung, dieselben Stoffe in uns haben, die wir vorher hatten. Wenn wir das bedenken, so müssen wir aber uns dennoch sagen: Was mit dem siebten Jahre im Zahnwechsel vor sich geht, ist eine mächtige Kraftentwicklung, die der Organismus im späteren Lebensalter nicht wiederholt und die auch nicht ein einma­liges Geschehen oder ein Geschehen über einen kurzen Zeitraum ist. Wer eine Anschauung von der Entwicklung des menschlichen Organismus hat, der weiß, wie sich in den ersten sieben Lebensjah­ren alles dasjenige aus den intimsten Vorgängen des Stoffwechsels heraus vorbereitet, was dann gewissermaßen seinen Abschluß, seinen Schlußpunkt in den zweiten Zähnen findet.

Und wir sehen in bezug auf das Seelische, wie mit diesen zweiten Zähnen zum Beispiel das Gedächtnis, aber auch das Vorstellen an­ders wirkt - vor allen Dingen der Art nach -, als es früher gewirkt hat. Wir sehen, wie das Gedächtnis vorher im hohen Grade un­bewußt wie aus den Tiefen des körperlichen Wesens des Kindes heraus sich entwickelt hat und wie es später geistiger wird. Auf diese Dinge muß zart hingedeutet werden, denn einer groben An­schauung bieten sie sich kaum dar.

Aber was gerade für den Erzieher vor allen Dingen wichtig ist, ist, daß das Kind in den ersten Lebensjahren bis zum Zahnwechsel hin ganz und gar als nachahmendes Wesen an die Außenwelt hinge­geben ist. Das Verhältnis des Kindes zur Außenwelt beruht darauf

- ich sage das nicht, um ein Paradoxon auszusprechen, sondern um etwas ganz Wirkliches zu treffen -, daß das Kind in den ersten sie­ben Lebensjahren, annähernd in diesen sieben Lebensjahren, fast ganz Sinnesorgan ist, daß es die Umwelt nicht nur mit den Augen, mit den Ohren wahrnimmt, sondern daß sein ganzer Organismus an die Umwelt hingegeben ist, ähnlich wie im späteren Leben die Sinnesorgane. Und wie in den Sinnesorganen sich die Bilder von äußeren Dingen und Vorgängen vorbereiten, die dann im Innern nur seelisch nachgebildet werden, so ist es beim kindlichen Organismus

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dagegen so, daß das Kind als nachahmendes Wesen alles das, was es außen sieht, innerlich nachahmen will. Es will sich ganz und gar an die Außenwelt hingeben. Es will alles dasjenige in seinem Inneren imitieren, was sich außen darbietet. Ganz Sinnesorgan ist das Kind. Und würde man mit demjenigen hellseherischen Sinn, mit jener exakten Clairvoyance, von der ich in den letzten Tagen ge­sprochen habe, in den kindlichen Organismus hineinsehen, so würde man wahrnehmen, wie zum Beispiel der Geschmack, der sich für den erwachsenen Menschen an Zunge und Gaumen auslebt, beim Kinde viel weiter in den Organismus hineinreicht. So geht man nicht fehl, wenn man sagt: Beim Säugling zum Beispiel ist es so, daß er auch mit dem ganzen Körper die Muttermilch nach dem Geschmacke erlebt.

Man muß schon auf solche Intimitäten des menschlichen physi­schen Lebens eingehen, wenn man wirklich jene zarte Erkenntnis gewinnen will, die für die Erziehungskunst notwendig ist.

Und wenn man darauf hinschaut, wie das Kind ganz und gar Nachahmer ist, dann begreift man, ich möchte sagen in jedem ein­zelnen Zuge, wie das Kind sprechen lernt. Man kann förmlich ver­folgen, wie das Kind veranlaßt wird, dasjenige, was angeschlagen wird als Laut, im Innern Stück für Stück nun auch durch Nach­ahmung zu verfolgen und sein eigenes Inneres dem äußerlich Wahr­genommenen ähnlich zu machen. Und man kann so in alle Einzel­heiten des Kindes hineinschauen und wird überall sehen, wie das Kind ganz Sinnesorgan, ganz Nachahmer ist, ganz hingegeben ist an die sinnliche Außenwelt.

Man kann in dieser Beziehung das Kind verstehen in bezug auf gewisse Dinge, die nicht so wie beim älteren Kinde oder gar wie beim Erwachsenen beurteilt werden dürfen. Ich will das durch ein Beispiel verdeutlichen. Ein Vater fragte mich einmal - das hat sich wirklich im Leben zugetragen -: Ja, was soll ich mit meinem Kna­ben machen? Der hat der Mutter Geld gestohlen. - Ich fragte den Vater: Wie alt ist das Kind? - Das Kind war noch nicht sechs Jahre alt. Ich mußte zum Vater sagen: Wer das Kind wirklich versteht, der kann hier nicht von Diebstahl sprechen; das Kind hat - wie sich im

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Wechselgespräch mit dem Vater herausstellte - täglich gesehen, wie die Mutter aus der Schublade Geld herausnahm. Das Kind ist Nachahmer; es nahm auch Geld heraus, weil es das gesehen hat. In der Nachahmung ist die ganze Handlung erschöpft, denn das Kind hatte überhaupt gar keinen Wert darauf gelegt, selber von dem sogenannten gestohlenen Gelde etwas zu haben. Es hat dafür Näschereien gekauft und sie sogar an andere Kinder verteilt. Solche Beispiele könnten zu Hunderten angeführt werden.

Anders stellt sich das Seelenleben des Kindes nach dem Zahn-wechsel vor uns hin. Da sehen wir, wie das Kind beginnt, sich nicht bloß den sinnlichen Eindrücken hinzugeben, sich gewissermaßen ganz in diese sinnlichen Eindrücke hineinzuleben und sich innerlich dem ähnlich zu machen, was es außen sieht. Das Kind beginnt nun auf dasjenige hinzuhorchen, was ihm in Worten vorstellungsgemäß entgegentritt. Aber es braucht das, was ihm in seiner Umgebung entgegentritt, so, daß es getragen wird von der menschlichen Persönlichkeit. Daher dürfen wir sagen: Bis zum Zahnwechsel ist das Kind ein nachahmendes Wesen; vom Zahnwechsel ab - und das dauert im wesentlichen bis zur Geschlechtsreife - wird es ein We­sen, welches sich nun nicht als Nachahmer, sondern als Folger nach demjenigen richtet, was ihm durch Vorstellungen von den Persön­lichkeiten seiner Umgebung entgegentritt. Und der Lehrer und Er­zieher muß vor allen Dingen darauf sehen, daß dasjenige, was er dem Kinde gegenüber spricht, tatsächlich für das Kind Norm, Richtschnur wird. Das nachahmende Leben geht mit dem Zahn-wechsel in ein Leben über, in dem das Kind durch seine natürliche Gesetzmäßigkeit der selbstverständlichen Autorität folgen will.

Aller Unterricht und alle Erziehung muß für dieses zweite Le­bensalter vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife auf das selbst­verständliche Autoritätsgefühl hin orientiert sein. Das Kind lernt in diesem Lebensalter dasjenige, was wahr ist, als Wahres anerkennen, weil die geliebte autoritative Persönlichkeit es als wahr darstellt. Was schön ist, was gut ist, wird von dem Kinde sympathisch emp­funden oder befolgt in Anlehnung, in autoritativer Anlehnung an die geliebte erzieherische Persönlichkeit. Und wenn wir dem Kinde

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zwischen dem siebten und vierzehnten bis fünfzehnten Jahre etwas so beibringen wollen, daß das durch das ganze Leben hindurch für das Kind fruchtbar wird, dann müssen wir alles, was wir dem Kinde in dieser Zeit beibringen, in dieses autoritative Element kleiden können.

Meine sehr verehrten Anwesenden, man wird bei jemandem, der wie ich gestern hinweisen durfte auf seine vor mehr als dreißig Jah­ren geschriebene «Philosophie der Freiheit», nicht voraussetzen, daß er zu stark auf das autoritative Prinzip hinweisen möchte. Al­lein, gerade wer die Freiheit über alles liebt, der in der Freiheit das selbstverständliche Gesetz des sozialen Lebens erblickt, der muß aus einer wirklichen Menschenerkenntnis darauf hinweisen, daß zwischen dem siebten und vierzehnten Jahre für das Kind diejenige Zeit da ist, in der es einzig und allein dadurch gedeiht, daß es sich an einer Persönlichkeit aufrichten und aufranken kann, die es als selbstverständliche Autorität empfindet. So möchten wir sagen: das Kind ist in den ersten sieben Lebensjahren - das ist alles approxima­tiv, annähernd so - ein nachahmendes Sinnenwesen; in den zweiten sieben Lebensjahren vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife ist das Kind ein auf seine menschliche Umgebung hinhorchendes Wesen, das sich selbstverständlich unter eine Autorität gestellt sehen will.

Wer so wie die hier gemeinte anthroposophische Geisteswis­senschaft den Menschen nach Leib, Seele und Geist in seiner Ent­wicklung verfolgt, der weiß, was es für das spätere Leben, vielleicht noch für das Greisenalter für eine ungeheure Bedeutung hat, wenn der Mensch in der Lage war, während des angedeuteten Lebensab­schnittes eine besondere Ehrfurcht - wenn auch nur in einer beson­deren Ausbildung kurze Zeit hindurch - zu empfinden, zum Bei­spiel wenn man in der Lage war, daß oftmals, als man acht oder neun Jahre alt war, von einer in der Familie hoch verehrten Persön­lichkeit gesprochen wurde, von der man durch das Sprechen wirk­lich etwas von scheuer Ehrfurcht ihr gegenüber aufgenommen hat. Und dann naht der Tag, an dem man sie zum ersten Mal sehen soll, jener Tag, an dem sich alles in Seheuheit und Ehrfurcht kleidet und

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man erwartungsvoll die Türe geöffnet bekommt, um diese Persön­lichkeit zum ersten Mal zu sehen: wenn man weiß, wie solch ein Erlebnis wirkt, wenn die Seele auch in bezug auf das Autoritäts­gefühl so ganz an die Außenwelt hingegeben ist, wie in den ersten Kindesjahren der ganze Mensch als Sinneswesen hingegeben ist -dann weiß man, welche Wohltat man dem Kinde während des schulpflichtigen Alters erweist, wenn man es recht viel erleben läßt von dieser scheuen Ehrfurcht gegenüber der selbstverständlichen Autoritat.

Auf solche Dinge muß man hinschauen, wenn man aus Men­schenerkenntnis heraus Erzieher oder Unterrichter werden will. Dann wird man vor allen Dingen in Erwägung ziehen, daß der Mensch nicht nur ein Raumesorganismus ist, bei dem das einzelne Glied seines Leibes mit irgendeinem anderen entfernten in Raumes-Wechselwirkung steht, sondern daß der Mensch auch ein Zeit-organismus ist. Menschenkenntnis kann nicht erworben werden, ohne daß man auf den Menschen als auf einen Zeitorganismus hin-orientiert ist. Wenn Sie irgendein Glied der rechten Hand nehmen, so steht das durch eine innere Gesamtorganisation in Wechselwir­kung mit jedem anderen Gliede dieses Raumesorganismus im Men­schen. Wenn Sie aber auf dasjenige hinschauen, was der Mensch zuerst in der Kindheit ist, dann in der späteren Kindheit, in der Jünglings- und Jungfrauen-Zeit, im Erwachsenen-Alter, im abneh­menden Alter, dann im Greisen-Alter - so steht da zeitlich alles in einem innigen Zusammenhange. Und wer als Erzieher und Unter-richter nur auf das gegenwärtige Leben des Kindes schaut, auf das acht- bis neunjährige Kind schaut, der genügt nicht im vollen Sinne seiner Pflicht. Nur wer da weiß, daß dasjenige, was er dem sieben-bis achtjährigen Kinde tut, weiter wirkt in dem Zeitorganismus, der eine Einheit ist - aus dem Kinde, aus dem Menschen im mittleren Alter, aus dem Menschen im Greisenalter -, und daß dasjenige, was in der Kindheit in der Seele sich entzündet, weiter wirkt, aber an­ders wird, sich metamorphosiert: nur wer sich eine Vorstellung machen kann über die Art und Weise, wie sich das verändert, ver­wandelt, der kann im rechten Sinne des Wortes erziehen.

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Ich möchte mich durch ein Beispiel ausdrücken. Sehen Sie, man legt so großen Wert darauf, daß das Kind schon alles, was man ihm beibringt, mit seinem noch zarten Verstand verstehe. Das wider­spricht dem Prinzip der selbstverständlichen Autorität. Wer aber dem Kinde nur das überliefern möchte, was es unmittelbar mit sei­nem zarten Verstande auffassen kann, der bedenkt zum Beispiel das Folgende nicht. Es bedeutet viel, wenn man in seinem achten bis neunten Jahre etwas auf selbstverständliche Autorität hin als ein Wahres, Schönes, Gutes hingenommen hat, das eine verehrte Auto­rität eben als schön, als gut, als wahr bezeichnet, und man hat das noch nicht völlig verstanden. Im fünfunddreißigsten Jahre, viel­leicht noch später, kommt das aus den Tiefen der Seele herauf. Man ist mittlerweile reifer geworden in seinem Leben. Jetzt versteht man es, jetzt holt man es herauf, jetzt beleuchtet man es mit der reifen Lebenserfahrung.

So etwas - wenn man im späteren Alter aus der Reife heraus das versteht, was man früher nur aus Liebe zur Autorität aufgenommen hat, wenn man eine solche Reminiszenz im späteren Lebensalter heraufkommen fühlt und jetzt erst versteht -, so etwas bedeutet ein Aufflackern neuer Lebenskräfte, ein ungeheures Prinzip in der Seele, dessen man sich nur nicht immer voll bewußt wird.

In anderer Weise kann ich noch klarer machen, was ich eigentlich meine mit dem Grundsatze, man solle so erziehen, daß dasjenige, was man heranzieht, für das ganze Leben wirkt. Sie wissen, es gibt Menschen, die in irgendeine Umgebung, wo andere Menschen sind, hineintreten und wie segnend allein durch ihre Gegewart wirken. Sie brauchen sich nicht viel anzustrengen durch Reden, ihre Worte sind durebhaucht, durchwärmt von etwas, was auf die anderen Menschen wie segnend wirkt. Es werden in der Regel Menschen im gereiften Alter oder im Greisenalter sein, die in ganz besonderem Sinne solch eine segnende Wirkung durch ihre bloße Anwesenheit auszuüben vermögen.

Wer den Menschen nicht nur dem gegenwärtigen Augenblicke nach studiert, sondern wirklich das ganze Leben des Menschen, was ein schweres Studium ist - es ist leichter in der Physiologie, in der

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gewöhnlichen Menschenkunde, nur die gegenwärtigen Augenblicke oder kurzen Zeiträume zu studieren -, wer nun aber den Blick auf das ganze menschliche Leben wendet, der weiß, wie in der Regel solche segnende Wirkung, die vom späteren Alter ausgeht, damit zusammenhängt, daß der betreffende Mensch als Kind in der Lage war, zu verehren, hinzuschauen, andächtig hinzuschauen zu einem anderen Menschen. Und ich möchte es paradigmatisch so ausspre­chen, daß ich sage: Niemand, der nicht als Kind seine Hände falten gelernt hat, kann sie wirksam im Alter zum Segnen anwenden. Gefaltete Hände bei den Kindern enthalten die seelischen Keime zu segnenden Händen im Alter. Der Mensch ist nicht nur ein Rau­mesorganismus, der Mensch ist ein Zeitorganismus, und alles hängt im zeitlichen Leben zusammen, so wie im Raumesorganismus die einzelnen Glieder in Wechselwirkung zusammenhängen.

Wer das voll durchschaut, der wird es auch vermeiden, dem Kin­de solche Begriffe beizubringen, die sich dann im späteren Leben nicht ändern können. Man wird ja so leicht als Erzieher, Unterrich­ter dazu verführt, möglichst schon mit aller Bestimmtheit an das Kind heranzutreten, ihm Begriffe, Vorstellungen mit scharfen Kon­turen zu geben. Das wäre gerade so, wie wenn wir die zarten Hände des Kindes, die noch wachsen sollen, die sich wandeln sollen, in Klammern einspannen würden, so daß sie nicht wachsen können. Wie der physische Organismus des Kindes wachsen muß, so muß dasjenige, was der Lehrer, der Erzieher in seine Seele hineingeheim­nißt, Wachstumskräfte in sich haben. Das bringen wir in das Kind nur hinein, wenn wir die Erziehung, den Unterricht auch während des volksschulpflichtigen Alters künstlerisch gestalten.

Ich möchte da zur Illustration auf die Art und Weise hinweisen, wie wir in der Waldorfschule - die vor einigen Jahren durch Emil Molt in Stuttgart begründet worden ist und die von mir geleitet wird nach den Grundsätzen, über die ich nur in flüchtiger Skizze heute vor Ihnen sprechen kann - dieses artistische, dieses künst­lerische Prinzip in den Unterricht hineinbekommen

Da gehen wir zum Beispiel beim Lesen nicht davon aus, daß wir dasjenige, was Buchstaben sind, unmittelbar dem Kinde beibringen.

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Diese Buchstaben sind ja der menschlichen Natur etwas ganz Frem­des. Denken Sie nur daran, wie in früheren Zeiten eine Bilderschrift bestanden hat, eine Bilderschrift, die vor allen Dingen dadurch ent­standen ist, daß im Bilde dasjenige nachgeahmt wurde, was wahr­genommen worden war. Da war die Schrift ganz nahe bei dem, was man wahrnahm. Da hatte die Schrift etwas unmittelbar mit dem Menschen Zusammenhängendes. Im Verlaufe der Zivilisations­entwicklung haben sich die Buchstabenformen losgelöst vom Men­schen. Man braucht nun nicht etwa die Geschichte so weit zu stu­dieren, daß man die alte Bilderschrift wieder in der Schule lebendig werden läßt. Aber es ist gut für den Lehrer, seine künstlerische Phantasie so wirken zu lassen, daß er zunächst das Kind malen läßt, Formen zeichnen läßt, die durchaus dasjenige wiedergeben, was das Kind empfindet, in dem das Kind lebt.

So gehen wir in der Stuttgarter Waldorfschule nicht vom Lesen-lernen oder gewöhnlichen Schreibenlernen aus, sondern künst­lerisch von einem Malerischen, von einem Zeichnerischen. Wir ent­wickeln die Buchstabenformen erst aus diesem Zeichnerischen heraus, entwickeln überhaupt zuerst auf diese Weise aus dem Künstlerischen heraus. Wir lassen das Kind auch mit Farben hantie­ren - wenn das auch schwieriger ist und erst aus dem Schmutzigen heraus entwickelt werden muß. So beginnen wir mit dem Künst­lerischen und entwickeln daraus das Schreiben und dann erst das Lesen. Und so soll überhaupt ein Künstlerisches über den ganzen Unterricht ausgegossen werden.

Das kann bis in das Rechnenlernen hinein geschehen, wenn die Lehrkräfte dazu da sind, jene Lehrkräfte, die aus einer wirklichen Vertiefung ihrer eigenen Seelenschätze dadurch Kenner geworden sind, daß sie die Richtkräfte einer wirklichen anthroposophischen Geisteswissenschaft in ihr Gemüt, in ihre Erkenntnis, in ihr Emp­finden, in ihr Wollen aufgenommen haben. Wer so Geisteswissen­schaft als Lebendiges aufgenommen hat, der kann auch aus dem Geiste heraus wirken für ein Verwandeln allen Unterrichts in ein Künstlerisches. Wenn aber der Unterrichter, wenn der Lehrer für dieses Kindesalter im Verkehr mit dem Kinde ganz künstlerisch

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wird, dann wirkt er ja nicht so sehr durch das, was er weiß, sondern er wirkt durch die Art und Weise, wie seine Persönlichkeit ist. Er wirkt durch seine Individualität. Und das Kind erhält dadurch in seinem Gemüte etwas, was Wachstumskräfte in sich hat, wie der körperliche Organismus Wachstumskraft in sich hat. Man gelangt dann als Mensch dazu, später im dreißigsten bis vierzigsten Jahre nicht bloß gedächtnismäßig zurückdenken zu müssen an das, was man in der Schule an festen Begriffen bekommen hat, an die man sich erinnern soll, - nein, diese Begriffe sind mit einem gewachsen, sind anders geworden. So müssen wir ja als Lehrer wirken; wir müssen als Erzieher das Kind so behandeln können.

Dadurch wirken wir in Autorität, aber zu gleicher Zeit im wahrsten Sinne des Wortes für die Freiheit des Kindes; denn wir müssen in jedem Augenblicke uns doch klar darüber sein, daß wir nur dann wirkliche Erzieher sind, wenn wir auch diejenigen Men­schen in der richtigen Weise die Lebensbahn geleiten können, welche einmal fähiger sein werden, als wir als Lehrer sind. Es könnte sich ja herausstellen, daß wir als Lehrer an einer Schule sitzen, sagen wir in einer Klasse, in der zwei Genies sind. Und wenn wir als Lehrer nicht selber Genies sind, so müssen wir das betreffende Kind so erziehen können, daß wir ihm keine Hinder­nisse bieten für die Entwicklung seiner genialen Fähigkeit. Wenn wir in dem Sinne und aus der Gesinnung heraus erziehen, wie ich es eben jetzt angeführt habe, daß wir künstlerisch mit unserer Persönlichkeit dem Kinde das entgegenbringen, was es braucht -so wie es in früheren Jahren die Nachahmung des sinnengemäß Wahrgenommenen brauchte, so jetzt dasjenige, was wir vielleicht selber individuell als Lehrer sind -, dann werden wir ihm so wenig ein Hindernis der Kräfte sein, die in uns selbst vielleicht gar nicht sind, wie die Mutter, die den Kindeskeim in sich tragen muß, dem Genie ein Hindernis sein kann, wenn sie nicht selbst ein Genie ist. Wir werden zu Pflegern der kindlichen Eigenschaf­ten und werden gar nicht in die Versuchung kommen, dem Kinde etwa das aufzudrängen, was wir selber sind. Denn das ist der schlechteste Erziehungsgrundsatz, wenn wir die Kinder zu einem

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Abbild von uns selber machen wollen. Dazu kommen wir nicht in Versuchung, wenn wir uns Menschenkenntnis im Sinne einer geistigen Erkenntnis erwerben, und das Kind uns in jedem Le­bensalter ein zu lösendes Rätsel ist.

Ich bedaure nur, daß wir nicht auch schon einen Kindergarten haben können, so daß auch die jüngeren Kinder in diesen Erzie­hungsgrundsätzen erzogen werden könnten - das können wir aus pekuniären Gründen noch nicht. Diejenigen aber, die an der Stutt­garter Waldorfschule Lehrer sind, die empfinden es, wie das, was im menschlichen physischen Organismus sich als Seelisch-Geistiges durch Blick, durch Physiognomie, durch das Wort, durch alles Mögliche offenbart, sich des Körpers bedient - der durchaus bei dieser Erziehung nicht vernachlässigt wird -, wie das herunterge­stiegen ist aus göttlich-geistigen Höhen und sich mit dem vereinigt hat, was ihm von Vater und Mutter in der Vererbungsströmung durch die Empfängnis beziehungsweise durch die Geburt geworden ist. Wer mit der Empfindung an das Kind herantritt: Es ist aus der geistigen Welt zu dir dieses Kind heruntergestiegen, du sollst sein Rätsel lösen von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, - der hat in seinem Gemüte diejenige liebevolle Hingabe an die Entwicklung des Kindes, die notwendig ist, um dieses Kind durch alle möglichen Imponderabilien auf den Lebensweg zu geleiten. Und um solche Imponderabilien - das heißt dasjenige, was man nicht in der groben Vorstellung fassen kann - handelt es sich vielfach im Erziehen und im Unterrichten. Es ist wahrhaftig nicht bloß dasjenige zwischen dem Erzieher und dem Kinde waltend, was eine systematisierende Erziehungswissenschaft gelten lassen will.

Ich möchte Ihnen wiederum durch ein Beispiel illustrieren, was ich sagen will. Nehmen wir einmal an, ein Lehrer hätte die Aufgabe, einem Kinde in kindlicher, einfacher Form etwas beizubringen über die Unsterblichkeit der Menschenseele. Das muß man dem Kinde, das zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife vorzugs­weise auf die Entgegennahme von Bildern - noch nicht von abstrak­ten Begriffen - eingestellt ist und das alles auf selbstverständliche Autorität hinnehmen will, eben durch ein Bild beibringen.

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Nun kann man dieses Bild in einer zweifachen Weise an das Kind herantreten lassen. Man kann sagen: Ich, der Lehrer, bin furchtbar gescheit. Das Kind ist noch furchtbar töricht. Ich habe es zu unterrichten über die Unsterblichkeit der Seele. Ich werde ein Bild gebrauchen. Ich werde dem Kinde sagen: Sieh dir einmal die Schmetterlingspuppe an, da kriecht der Schmetterling heraus. Der kriecht als ein sichtbares Wesen heraus. Ebenso, wie der Schmetter­ling als ein sichtbares Wesen aus der Schmetterlingspuppe her­auskriecht, so löst sich deine Seele im Tode von dem physischen Leib wie aus dem Puppenzustande, fliegt in die geistige Welt.

Ich sage selbstverständlich nicht, daß das ein philosophischer Beweis ist. Das ist er ganz gewiß nicht. Aber eine Anschauung kann man dadurch dem Kinde beibringen. Ich kann das - wie gesagt - so machen, wie ich es eben beschrieben habe. Ich sage, ich weiß das alles gut, denn ich bin gescheit, das Kind ist dumm. Ich bringe das dem Kinde bei. Es ist ein törichter Vergleich, aber das Kind soll daran glauben.

Nun, meine verehrten Anwesenden, man wird nichts erreichen, wenn man in dieser Weise an das Kind herankommt, denn das Kind wird sich vielleicht gedächtnismäßig das merken; aber dasjenige, was man erreichen soll, Hebung des Seelenniveaus, Erfüllung der Seele mit einem lebenskräftigen Inhalte, das kann man auf diese Weise nicht. Aber man kann es auf andere Weise, wenn man sich jetzt nicht sagt: Du bist gescheit als Lehrer, das Kind ist töricht, sondern wenn man sich sagt - verzeihen Sie, wenn ich so paradox spreche -: Vielleicht ist das Kind sogar in den unterbewußten Tie­fen seiner Seele viel gescheiter als du bist. Vielleicht bist du der Tö­richte, und das Kind ist gescheiter. - In gewisser Beziehung stimmt das ja, denn wer weiß, wie die noch unausgebildeten inneren Orga­ne, namentlich das Gehirn, von der noch unbewußten Seele, träu­menden Seele des Kindes gestaltet werden, wie da eine ungeheuer bedeutsame Weisheit gerade in den frühesten Kindesjahren gestal­tet. Wer eine Einschätzung für solche Dinge hat, wer nicht ein plumper Philister ist und für solche Dinge keine Schätzung haben kann, der sagt sich dennoch: Alle unsere Weisheit, die wir uns im

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Leben erwerben, mag sie noch so schöne Maschinen erzeugen, sie ist noch nicht so weit, wie die unbewußte Weisheit des Kindes ist.

Wer als Lehrer auf anthroposophischem Boden steht, der glaubt nämlich selber an das Ausschlüpfen des Schmetterlings aus der Pup­pe, denn er sagt sich: Nicht ich mache diesen Vergleich, sondern die Natur selber macht diesen Vergleich. Was auf einer höheren Stufe das Auslösen, das Loslösen der unsterblichen Seele vom Leibe ist, das hat die Gottheit selber in der Natur in dem aus der Puppe aus­kriechenden Schmetterling vorgebildet. Durchdringe ich mit dem eigenen Gefühle, was ich als Bild dem Kinde vorhalte, dann gebe ich dem Kinde das Rechte, dann gebe ich ihm Lebenskraft damit. Nichts, an das ich nicht selber mit aller Gewalt glaube, wirkt auf das Kind im rechten Sinne. Das sind die Imponderabilien, die zwischen dem Unterrichtenden, Lehrenden und dem Kinde wirken sollen, das Unausgesprochene, dasjenige, was nur im Gefühlsaustausch liegt, das Übersinnliche im Unterrichten. Ist das nicht da, dann wirkt, ich möchte sagen nur das Grobgewichtige, nicht das Impon­derabile, dann geben wir dem Menschen nicht das Rechte auf den Lebensweg mit.

Ich wollte durch diese Dinge vor allem darauf hinweisen, wie ein künstlerisches Element, ich möchte sagen fromme Stimmung ge­genüber der Menschenwesenheit, in das Erziehen, in das Unterrich­ten hineingehört. Das zeigt sich ganz besonders, wenn wir unseren Blick auf die religiöse und auf die sittliche Erziehung richten, die wir dem Kinde angedeihen lassen wollen. Und da zeigt uns die an­throposophische Geisteswissenschaft, von der ich in diesen Tagen hier im Haag zu Ihnen sprechen durfte, wie gerade in bezug auf das religiöse und auf das sittliche Element, das im Menschen vorhanden ist, dieser Zeitorganismus seine große Bedeutung für den ganzen Menschen und seinen irdischen Lebenslauf hat. Kann man die Stim­mung, die in dem ganz kleinen Kinde, das ein nachahmendes Wesen ist, gegenüber seiner ganzen Außenwelt vorhanden ist, schauend kennenlernen und kann man sich in diese Stimmung hineinverset­zen, dann kann man sie nicht anders als dadurch charakterisieren, daß man sagt: Das Kind ist eben ganz der Außenwelt hingegeben; es

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verliert sich an die Außenwelt. Wie sich das Auge an die äußere Farbenwelt, an die äußere Lichtwelt verliert, so verliert sich das Kind an die Außenwelt. Das Innere dämmert nur ganz allmählich auf. Aus noch ganz in der Außenwelt lebenden und webenden Träumen tauchen allmählich die bestimmteren Vorstellungen auf.

Nun, meine sehr verehrten Anwesenden, diese Stimmung beim Kinde richtig gewürdigt - wissen Sie, was das ist? Das ist in Wahr­heit die fromme Stimmung, das ist in Wahrheit die religiöse Stim­mung, die religiöse Stimmung mitten in die Sinneswelt hineinge­stellt. Mag das Kind im übrigen noch so ein starker Wildfang sein:

in bezug auf sein Verhältnis zur Sinneswelt, in bezug auf seine Hin­gabe an die Sinneswelt ist das Kind religiös gestimmt. Es will selber ganz dasjenige sein, was es in seiner Umgebung schaut. Es ist noch keine Religion, in der das Kind ist. Aber diese Stimmung, die im Kinde gerade in den ersten Jahren vorhanden ist und bis zum Zahn­wechsel hin allmählich ganz abglimmt, diese Stimmung, die dann nicht mehr vorhanden ist, wenn das selbstverständliche Autoritäts­gefühl mit dem Zahnwechsel eintritt - sie taucht für den einsich­tigen Lehrer in einer merkwürdigen Weise später wiederum auL

Wenn das Kind im volksschulpflichtigen Alter zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahre steht, dann steht der wirklich ein­sichtige Erzieher und Unterrichter vielleicht vor seiner allergrößten Aufgabe. Denn dann wird er bemerken, daß die meisten Kinder, die ihm anvertraut sind, an ihn herankommen und ihn ganz besonders brauchen, daß sie nicht immer ausgesprochen, sondern oftmals un­ausgesprochen, bloß in Empfindungen lebend, an ihn Fragen zu stel­len haben. Diese Fragen können Hunderte, Tausende von Formen annehmen. Es kommt viel weniger darauf an, daß man dann dem Kinde eine bestimmte Antwort gibt. Mag man die eine oder die ande­re Antwort geben, auf den Inhalt der Antwort kommt es nicht so stark an. Worauf es aber ganz besonders ankommt, das ist, daß man mit dem richtigen Seelengefühl das richtige Vertrauen in dem Kinde auslöst, daß man mit dem richtigen Empfinden gerade im richtigen Augenblick, der für die Kinder immer zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahre eintritt, dem Kinde entgegentritt.

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Ich kann diesen Augenblick in der verschiedensten Weise cha­rakterisieren. Wenn wir dem Kinde Unterricht erteilen, so bemer­ken wir, daß es vor diesem Augenblick, der etwa zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahr liegt, noch nicht sich selber or­dentlich von der Umwelt unterscheidet, nicht ordentlich sich als Ich erlebt - wenn es auch längst «Ich» zu sich sagt. In diesem Augen­blicke des Lebens lernt es sich so recht unterscheiden von der Um­welt. Wir können jetzt nicht mehr bloß auf das Kind wirken mit Märchen, mit allerlei Unterricht, wobei wir die Außenwelt beleben. Wir können jetzt schon die Aufmerksamkeit darauf richten, daß das Kind sich von der Außenwelt als «Ich» unterscheidet.

Aber noch etwas wesentlich anderes tritt ein, das ganz tief mit dem moralisch sich Entwickelnden zusammenhängt. Das tritt ein: In der anfänglichen Zeit jener Lebensepoche, in der das Kind der Autorität hingegeben ist, nimmt es diese autoritative Persönlichkeit so, wie sie ist. Zwischen dem neunten und zehn­ten Lebensjahre - es braucht sich dessen sogar nicht bewußt zu sein, es kann tief im Empfindenden, im, wie man sagt Unterbe­wußten vor sich gehen, aber da ist es -, da sieht sich das Kind durch seine Entwickelung gewissermaßen gezwungen, hindurch-zuschauen durch die autoritative Persönlichkeit auf das, von was diese autoritative Persönlichkeit selbst getragen ist. Diese autori­tative Persönlichkeit sagt: Das ist wahr, das ist gut, das ist schön. - Jetzt möchte das Kind fühlen und empfinden, woher dasjenige bei der autoritativen Persönlichkeit kommt, was das Wissen über das Gute, Wahre, Schöne ist, das Wollen im Wah­ren, Guten, Schönen ist. Das rührt davon her, weil das, was -ich möchte sagen in den Untergründen der Seele - sich während des Zahnwechsels und noch nachher gehalten hat, was in der ersten Kindheit ein, wenn ich das merkwürdige Wort gebrau­chen darf, sinnlich-frommes Sichhingeben an die Außenwelt war, weil das da in den Untergründen der Seele verschwunden ist und jetzt wie aus den Tiefen des Menschenwesens seelisch her-auftaucht. Was sinnlich war beim Säugling bis zum Zahnwechsel, was als Sinnliches der Keim für alles spätere religiöse Empfinden

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gegenüber der Welt ist, das taucht zwischen dem neunten und zehnten Jahre seelisch auf, wird seelisches Bedürfnis.

Das zu wissen, darauf zu rechnen, daß, wie man den Pflanzen­keim liebevoll pflegt, damit er zur Pflanze wird, man dasjenige, was einstmals im Kind sinnlich keimhaft sich vorbereitet hat, jetzt seelisch vor sich hat, seelisch zu pflegen hat, das gibt einem ein be­sonderes Verhältnis zu dem Kinde. Und man legt auf diese Weise den religiösen Keim in das Kind hinein.

Dann werden die Erzieher wiederum merken, daß im späteren Lebensalter, so gegen das siebzehnte bis achtzehnte Jahr hin, dasje­nige, was seelisch gemütvoll als religiöse Empfindung zutage getre­ten ist, daß das dann geistig zutage tritt, daß es sich in den Willen ergießt, so daß der Mensch seine religiösen Ideale in dieser Zeit aufbaut.

Sehen Sie, es ist außerordentlich wichtig, diese Dinge im Fun­damente zu durchschauen, wenn man sinnvoll und wahrheits-, wirklichkeitsgemäß erziehen und unterrichten will. Für den phy­sischen Organismus des Menschen hat ja die Natur gesorgt, sonst könnte man vielleicht gar nicht sicher sein, ob nicht - insbesondere wenn die Betreffenden moderne futuristische Maler sind - es den Menschen sogar einfiele, das Ohr einmal an eine falsche Stelle zu setzen oder dergleichen. Solche Dinge könnten schon passieren, wenn nicht die Natur für die ganze entsprechende Organisation des Menschen gesorgt hätte. So müssen wir als Lehrer und Erzieher für den Zeitorganismus sorgen. So müssen wir nicht versuchen, den re­ligiösen Sinn des Kindes seelisch vor dem bezeichneten Augenblik­ke zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahr anders als vor­bereitend zu pflegen. Wir müssen diesen Zeitleib des Kindes sicher handhaben. Wir müssen uns sagen: Was du vorher dem Kinde an religiösen Empfindungen, Begriffen beibringst, das bleibt ihm außerlich, das nimmt es auf Autorität hin. Aber zwischen dem neunten und zehnten Jahre erwacht etwas in ihm. Nimmst du das wahr, richtest du die Empfindungen, die da wie von selbst aus der Seele wollen im religiösen Sinne, dann machst du das Kind zu einem religiös wahren Menschen. Es gibt heute so wenig wirkliche Zeitpsychologie,

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sonst würden die Menschen wissen, wo die unrichti­gen religiösen Empfindungen und Gefühle, die heute im sozialen Leben vorhanden sind, herkommen: weil man glaubt, man könne in jedem Lebensalter beim Menschen jedes Mögliche entwickeln, weil man nicht weiß, was gerade zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahre aus der Seele des Kindes herausgeholt werden muß.

Wenn man nun den ganzen Unterricht so einrichtet, daß das Kind um das zwölfte Lebensjahr herum so viel von Naturwissen­schaft aufgenommen hat - durchaus entsprechend dem volksschul­mäßigen Erziehen und Unterrichten -, daß es einen Überblick hat über manche physikalischen, über manche Begriffe der Botanik und so weiter, nicht im wissenschaftlichen, sondern durchaus im kind­lichen Sinne, dann darf in diesem Lebensalter so um das zwölfte Jahr herum bei dem Kinde hingesehen werden - und das Kind dem­gemäß behandelt werden -, nach jenem Konflikt, der entsteht, wenn man auf der einen Seite hinaufschaut zu der göttlichen Wel­tenlenkung, zu der das Kind zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahr hat hingelenkt werden können, und jenem Gegensatz, der sich ergibt, wenn wir nur von den äußeren - nicht von mora­lischen, nicht von göttlich-geistigen Kraftentfaltungen her -, im Offenbaren vor uns hintretenden Naturerscheinungen Kenntnis nehmen. Diese Naturerscheinungen treten ja vor uns hin, ohne daß sie uns von moralischen Prinzipien durchsetzt erscheinen, ohne daß wir das Göttliche in ihnen unmittelbar wahrnehmen.

Das brachte ja die modernen Menschen überhaupt in jenen Kon­flikt hinein, der auf der einen Seite das Gemüt zu den religiösen Quellen des Daseins hinauflenkt, auf der anderen Seite zur Natur­erkenntnis. Um das zwölfte Lebensjahr herum merken wir aus wirklicher Menschenkenntnis heraus bei dem heranreifenden Kin­de, daß wir da leise diese Konflikte anschlagen dürfen, daß wir aber auch in der Lage sind - weil jetzt die seelisch-religiösen Empfin­dungen so stark, so frisch, so lebensvoll, so jugendlich noch sind, wie sie eben nur beim zwölfjährigen Kinde sein können -, dann in der rechten Weise das Kind herüberlenken zu könne'i, so daß es im ganzen späteren Lebensalter die Natur selber nicht entgöttlicht zu

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sehen braucht, sondern den Einklang zwischen der Natur und dem göttlich-geistigen Wesen der Welt finden kann.

Es kommt darauf an, daß man - wiederum mit Berücksichtigung der rechten Entwicklung des Zeitorganismus' im Menschen - gera­de um das zwölfte Jahr herum diesen Konflikt anschlagen läßt, weil er sich durch diejenigen Kräfte, die da gerade in der menschlichen Seele sind, eben wirksamst überbrücken läßt.

Wiederum bietet sich dem, der in Wahrheit - nicht lieblos, sondern mit einer echten Psychologie - das soziale Leben heute zu betrachten weiß, aus einer solchen Erziehungskunst heraus die Erkenntnis dar, wie zahlreiche Menschen über den angedeuteten Konflikt nicht hinwegkommen, weil sie nicht im rechten Lebens­alter in diesen Konflikt hineingeführt und über ihn hinweggebracht worden sind.

Das ist die Hauptsache, daß der Lehrer und Erzieher das Leben des Menschen im allgemeinen kennt, um, wenn es ihm bei dem ein­zelnen Kinde, bei dem einzelnen jungen Menschen entgegentritt, das Rechte in der rechten Zeit bemerken zu können und sich in der rechten Zeit zu orientieren versteht.

Auch das religiöse Erleben liegt durchaus im Menschen selbst. Wir können es nicht in ihn hineinpfropfen, wir müssen es aus der Seele herausholen. Aber ebenso, wie wir nicht mit der Nase essen können, sondern mit dem Munde essen müssen, so müssen wir wissen, daß wir nicht in jedem Lebensalter das Religiöse dem Menschen beibringen können, sondern in dem entsprechenden Lebensalter. Das lernt man vor allem durch eine wirkliche Geist-erkenntnis: im rechten Lebensalter das Rechte an das Kind heran-zubringen. Dann nimmt sich das Kind dasjenige, was seinen Fähig­keiten gemäß ist.

Und wenn wir hinschauen auf diese kindliche Entwicklung und richtig wissen, wie zwischen dem Zahnwechsel und der Ge­schlechtsreife alles auf den persönlichen Verkehr des Lehrers mit dem Kinde abgestellt ist, wie in diesem persönlichen Verkehr aber etwas durchaus Künstlerisches liegen muß, dann werden wir auch einsehen, daß es zunächst für das Kind eine Art von Gefallen und

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Mißfallen, Sympathie und Antipathie sein muß, was sich wiederum aus I mponderabilien heraus der selbstverständlichen Autorität gegenüber entwickelt.

Der Lehrer redet dem Kinde entweder in Erzählungen, in Gleichnissen - hunderterlei Arten sind ja möglich - von dem, was er moralisch gut, was er moralisch böse findet. Ist er wirklich so, daß er eine artistische, eine künstlerische Erziehung entwickeln kann, dann wirkt das künstlerische Element zwischen dem Erzieher und dem Kinde so, daß das Kind eben gerade durch dieses Hin-neigen zu der selbstverständlichen Autorität mit Sympathie auf das Gute, mit Antipathie auf das Böse sehen lernt, daß sich aus Gefallen und Mißfallen ungefähr zwischen dem siebten und dem vierzehnten Jahre ein moralisches Fühlen, ein sittliches Empfinden beim Kinde entwickelt.

Es ist ganz falsch, dem Kinde in diesen Jahren mit Geboten bei­zukommen. Da versklaven wir es entweder, oder wir machen es boshaft, halsstarrig, auflehnend gegen die Gebote. Es versteht nicht, warum es Gebote befolgen soll. Aber was die selbstverständliche Autorität richtig oder unrichtig, gut oder böse findet, das kann ihm gefallen oder mißfallen, das kann es mit Sympathie oder Antipathie verfolgen lernen. Und diese Sympathie und Antipathie wird zum selbstverständlichen Inhalt der Seele.

Was sich schulmäßig in diesem Lebensalter entwickelt, was zwi­schen dem siebten und vierzehnten Jahre an moralischem Gefühl in der angedeuteten Weise in dem Kinde sich festgelegt hat, das kommt nun - wenn nur später diejenige Persönlichkeit da ist, die durch die eigene Begeisterung für moralische Ideale, für schöne Menschheitsideale dem jungen Menschen voranleuchtet als ein spä­terer Führer im Leben - als Willensimpuls erst im siebzehnten, achtzehnten Lebensjahre zum Vorscheine.

Mit derselben Notwendigkeit, mit der der Pflanzenkeim noch nicht die Pflanze ist, aber der Pflanzenkeim erst da sein muß, damit die Pflanze entsteht, kann das sittliche Wollen in gesunder Weise die reife Frucht des sittlichen Menschen im sechzeli'nten, siebzehn­ten Jahre mit aller Kraft werden, wenn im Anranken an die selbstverständliche

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Autorität sich das sittliche Gefühl zwischen dem sieb­ten und vierzehnten Lebensjahr entwickelt hat.

Und dieses sittliche Gefühl, wie entwickeln wir es am sichersten? Wenn wir die ganze Unterweisung, die ganze Erziehung so lenken, daß das Kind vor allen Dingen ein Gefühl entwickeln lernt. Wo­möglich kann dafür schon die Erziehung des ganz kleinen Kindes lange vor dem Zahnwechsel sorgen, wenn wir dieses Kind so len­ken, daß es gegenüber allem, was es im Leben empfängt, Dankes-gefühle entwickeln lernt. Das Dankesgefühl unterschätzt man heu­te. Dieses Dankesgefühl verbindet den Menschen mit der Welt, läßt den Menschen sich selber als ein Glied der Welt erkennen. Lenkt man das Kind so, daß es gegenüber den geringsten Kleinigkeiten deutliches Dankesgefühl entwickeln kann, dann schließt sich das Kind nicht in Egoismus ab, dann wird das Kind altruistisch, dann verbindet sich das Kind mit der Umgebung. Dann gelangt man dazu, den Unterricht auch im schulpflichtigen Alter so zu lenken, daß das Kind nach und nach wirklich sein physisches Dasein, das ihm gegeben ist, sein seelisches, sein geistiges Dasein gewisser­maßen in Dankbarkeit von den Mächten der Welt, von den physi­schen, von den seelischen, von den geistigen Mächten der Welt, entgegennimmt und daß sich dieses Dankesgefühl in ein Gefühl des Dankes gegenüber der Welt, aus deren Schoße man entsprossen ist, ausbreitet.

So kann man das Dankesgefühl gegenüber den Eltern, Erziehern, gegenüber all der Umgebung, hinüberleiten in das große Dankes­gefühl gegenüber den göttlichen Lenkern der Welt.

Dieses Dankgefühl, das muß durchaus vor der Erkenntnis, die sich ein Mensch nur je aneignen kann, vorhanden sein. Jede Er­kenntnis - mag sie noch so logisch gerechtfertigt sein -, die nicht zugleich als Erkenntnis in das Gefühl der Dankbarkeit gegenüber der Welt einmündet, gereicht dem Menschen zum Nachteil seiner Entwicklung, verstümmelt ihn gewissermaßen seelisch und geistig.

Das zeigt die Geisteswissenschaft, die ich in diesen Tagen hier vertreten durfte: daß jede, auch die höchste, auch die exakteste Erkenntnis, in Gefühle, vor allen Dingen aber in Dankgefühle

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einmünden kann. Und hat man in das Kind das Dankesgefühl ge­pflanzt, dann wird man sehen, daß man den Boden für die sittliche Erziehung gepflanzt hat. Denn wenn man dieses Dankesgefühl ge­pflegt hat und sich dieses Dankesgefühl mit aller Erkenntnis als vereinbar erweist, dann wird das Gefühl des Kindes leicht zu dem Durchdrungensein von Liebe, wie der Mensch sie haben muß zu allen anderen Menschen, zum Schlusse zu allen Geschöpfen der Welt. Man wird die Liebe am sichersten aus dem Dankesgefühl heraus entwickeln können.

Und insbesondere wird man in der Lage sein - wiederum von jenem Zeitpunkte an, der zwischen dem neunten und zehnten Le­bensjahre liegt -, die Autorität allmählich in eine liebedurchtränkte Autorität übergehen zu lassen. Es muß eben das ganze Verhalten des Lehrers so eingerichtet werden, daß jene Autorität, die zuerst, ich möchte sagen der Liebe gegenüber neutral ist, ein selbstver­ständliches Folgen, ein selbstverständliches Gehorchen ist, ein freies Gehorchen wird, wenn das Kind neun oder zehn Jahre alt wird, so daß das Kind in Liebe der selbstverständlichen Autorität folgt, in einer Liebe, die es schon in sich selber erweckt, in einer Liebe, die es schon versteht.

Hat man so Dankgefühl und Liebesgefühl in der Seele in richti­ger Weise entwickelt, dann ist man später auch in der Lage, das sitt­liche Empfinden des Kindes oder des jungen Menschen so weit zu bringen, daß der Mensch nun im sittlichen Leben wirklich das sieht, wodurch gerade im höchsten Maße seine menschliche Würde be­gründet wird: er sieht das, was hinweghebt über die bloße sinnliche Welt, über die bloße physische Welt, was ihn emporhebt zu einem wirklich geistigen Dasein.

Ich habe in diesen Tagen die geistige Welt aus einer übersinn­lichen Erkenntnis heraus nach gewissen Seiten hin zu schildern ver­sucht. Der Geistesforscher kann sich Erkenntnisse dieser geistigen Welt erwerben. Allein, mit unserem sittlichen inneren Erleben ste­hen wir auch im gewöhnlichen Leben jederzeit in einem Geistigen darinnen, wenn wir das Sittliche mit der nötigen Stärke, mit der nötigen Reinheit empfinden. Das aber erreichen wir, wenn wir dem

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Kinde eine ganz bestimmte Menschenkenntnis beibringen. Und wir sollten eigentlich ohne ein gewisses Maß von Menschenkenntnis kein Kind aus der Schule, die die allgemeine Lebensschule, die all­gemeine Volksschule ist, entlassen. Wir sollten das Kind erst entlas­sen, wenn wir es bis zu einem gewissen Grade - eben bis zu diesem Grade ist es ja auch nur möglich - erfüllt haben mit dem: «Erkenne dich selbst».

Natürlich wird man dieses «Erkenne dich selbst» durch alle mög­liche Wissenschaft und Weisheit zu einem immer höheren Grad bringen können. Aber bis zu einem gewissen Grad soll jede Volks­schule das Kind mit der Erfüllung des «Erkenne dich selbst» ent­lassen. Bis zu einem gewissen Grade soll sich der Mensch als Leib, Seele und Geist erkennen. Diese Menschenerkenntnis aber, wie sie aus wirklicher Geisterkenntnis folgt, stellt einen wahren Zusammen­hang zwischen dem Guten und zwischen dem Menschen her.

Warum bringt es denn die heutige anerkannte Wissenschaft nicht bis zu einer Erkenntnis dieses Zusammenhanges? Weil sie den Men­schen nicht vollständig erkennt. Aber ebenso, wie man kein voll­ständiger Mensch wäre, wenn einem für irgendein Organ die Blut­zirkulation fehlte - das Organ müßte verkümmern -, so lernt man, wenn man wirklich den ganzen Menschen nach Leib, Seele und Geist betrachtet, erkennen, daß das Gute dasjenige ist, was den Menschen erst zum Menschen macht, und daß das Böse etwas ist, was aus dem unvollständig gebliebenen Menschen kommt.

Ein richtig durch Dankbarkeit, durch Liebe hindurchgegangenes Kind lernt zuletzt auch begreifen, daß ein Mensch erst vollständig ist, wenn er sich als den Ausführer der göttlichen Weltordnung, des Guten in der Welt in dem irdischen Dasein betrachtet. Hat man das sittliche Erziehen auf Dankbarkeit begründet und damit den Ego­ismus in gesunder Weise überwunden - nicht durch mystisch-moralische Deklamation oder durch Sentimentalität -, hat man die Dankbarkeit in gesunder, nicht in sentimentaler Weise, in Liebe ubergeführt, so wird man zuletzt den die Welt liebenden jungen Menschen zu der Erkenntnis überführen können, daß der nicht gute Mensch als ganzer Mensch nach Leib, Seele und Geist ebenso

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verkrüppelt ist im Geistigen, wenn er sich nicht zum Träger des Guten macht, wie irgend jemand verkrüppelt ist, dem ein Bein fehlt. Das Gute lernt man in der Imagination, in der ätherischen Geister-kenntnis als den vollendeten Menschen erkennen.

Und so, wie, wenn Sie das Nervensystem oder das Blutsystem irgendwo aufgezeichnet finden, das flüchtig angesehen wie ein Schatten des Menschen selber ausschaut, so ist, wenn Sie für imagi­native Erkenntnis das Gute zum Bilde bringen, dieses das Vorbild des ganzen Menschen.

Hier aber vereinigt sich die sittliche Erziehung mit der religiö­sen. Denn erst jetzt bekommt es einen Sinn, daß Gott der Quell des Guten und der Mensch das Abbild, das Ebenbild des Gottes ist. Hier wird religiöse und sittliche Erziehung dazu führen, daß der Mensch fühlt - und dieses Gefühl in seinen Willen aufnimmt -, daß er nur als sittlicher Mensch ein wahrer Mensch ist, daß, wenn er das Sittliche nicht will, er kein wirklicher vollständiger Mensch ist. Lernt man den Menschen so erziehen, daß er sich seines Menschen­tums selber ganz ehrlich gefühlsmäßig beraubt glauben kann, wenn er nicht ein guter, ein sittlicher Mensch wird, dann wird man ihm die richtige religiöse und die richtige sittliche Erziehung angedeihen lassen.

Sagen Sie nicht, daß man leicht von diesen Dingen sprechen kön­ne, daß sie aber ein Ideal bleiben müssen, weil die Außenwelt eben niemals etwas Vollkommenes sein kann. Gewiß kann die Außen­welt nichts Vollkommenes sein. Das weiß derjenige, der aus dem Geist der Geisteswissenschaft heraus spricht, ganz gewiß und ganz genau. Aber was uns als Gesinnung durchdringen kann, indem wir lehren oder erziehen, was uns in jedem Augenblicke Begeisterung geben kann und uns mit dieser Begeisterung dahin bringt, daß wir von der kindlichen Seele empfindend verstanden werden, daß wir den Weg finden zu dem kindlichen Willen, das liegt dennoch in dem, was ich eben angedeutet habe - in einer wahren Menschen­kenntnis, die in dem Satze gipfelt: Der wirkliche vollständige Mensch ist nur der sittlich gute Mensch, und den sittlich guten Menschen durchdringen die religiösen Impulse.

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So kann man alle Erziehung in der sittlichen, der religiösen Er­ziehung gipfeln lassen. Aber auch da muß man wissen, daß der Mensch einen Zeitorganismus in sich trägt und daß man in geist-erfüllter Menschenerkenntnis diesen Zeitorganismus in jeder Stun­de, in jeder Woche, in jedem Jahre, in dem man das Kind zu unter­richten, zu erziehen hat, beobachten lernen muß, daß man liebevoll in Einzelheiten eingehen muß.

Ich habe Ihnen damit angedeutet, wie aus einer Geisterkenntnis heraus Richtlinien gewonnen werden können für ein Stück des praktischen Lebens, für das Erziehen. Ich schildere Ihnen nicht bloß etwas, was in grauer Theorie dasteht. Ich habe Ihnen schon angedeutet, daß diejenigen Erziehungsgrundsätze, die ich nur ganz skizzenhaft schildern konnte, seit Jahren in der Stuttgarter Wal­dorfschule angewendet werden, daß da von vornherein dasjenige, was ich hier für die religiöse Erziehung angedeutet habe, den gan­zen Lehrplan durchdringt, einen Lehrplan, der aufgebaut ist auf einer seminaristischen Vorerziehung der Lehrerschaft der Stuttgar­ter Waldorfschule. Und ich darf hinzufügen, daß wir immerhin jetzt, zurückschauend auf einige Jahre der Entwicklung der Wal­dorfschule - wenn auch natürlich im äußeren Leben alles unvoll­kommen bleibt -, sagen können: Es ist möglich, diese Grundsätze zu praktischen Grundsätzen zu machen, so daß sie sich in der Ent­faltung des kindlichen Lebens zeigen.

Und so zeigen sich auch diese Impulse des religiösen, des sitt­lichen Erziehens, wie sich auf der anderen Seite die Fruchtbarkeit der Impulse der körperlichen Erziehung zeigt, die von geistig-seeli­scher Seite aus geleitet wird, zum Beispiel in der Anwendung der eurythmischen Kunst in der Schule. Ich erwähne das nur aus dem Grunde, weil sich wirklich gezeigt hat, wie sich die Kinder selbst­verständlich in diese eurythmische Kunst hineinfinden, wie sie in einem früheren Lebensalter sich in das Sprechen der Laute hinein-finden, und um Ihnen zu zeigen, daß, wer in einer solchen Weise die religiöse, die sittliche Erziehung gepflogen sehen will, wie heute auseinandergesetzt, keineswegs die körperliche Erziehung vernach­lässigen will. Im Gegenteil, wer so mit lebendiger Ehrfurcht, aber

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auch mit geisterfüllter Tätigkeit auf das Leben des Kindes hin­schaut, der vernachlässigt auch die körperliche Erziehung nicht, denn er weiß, daß sich im Körperlichen bis in die einzelnen Blut­bahnen hinein das Geistig-Seelische auslebt und daß derjenige, der sie vernachlässigt, gewissermaßen den Geist aus der Sinneswelt zu­ruckschiebt, in die hinein er sich offenbaren will.

Das Kind ist vor allen Dingen eine Einheit von Leib, Seele und Geist, und nur wer das Kind in dieser Totalität als Einheit aus ech­ter Menschenbeobachtung heraus zu erziehen und zu unterrichten versteht, der ist wahrer Lehrer und Erzieher.

Das ist dasjenige, was in Stuttgart in der Waldorfschule ange­strebt wird und was bis zu einem gewissen Grade eben schon in bezug auf das, was ich versuchte, Ihnen heute für eine Seite des Erziehungswesens wenigstens anzudeuten, praktisch bewährt ist. Was man aber immer wiederum diesem Gebiete und anderen Ge­bieten des Lebens gegenüber sagen muß - und es liegt ja nahe, den Blick auf das gesamte soziale Leben hinzuwenden, das heute in so vielen Sackgassen steckt, es liegt gerade vom Erziehungsstandpunkt aus nahe -, ist dieses: Die sozialen Verhältnisse können heute doch nur dadurch die wünschenswerte Verbesserung erfahren, daß wir die Menschen in der richtigen Weise in das soziale Leben hinein­stellen, nicht bloß durch Verbesserung äußerlichen Institutionen. Wenn man das alles bedenkt, dann sieht man eben die Wichtigkeit einer wahren, einer wirklichkeitsgemäßen Erziehungskunst; und eine solche wirklichkeitsgemäße Erziehungskunst will die Wal­dorfschulpädagogik, die Waldorfschuldidaktik, ich möchte sagen als ein Musterbeispiel einer Erziehungskunst, in die Welt hinein­stellen.

Sie hat ja schon manche Nachfolgeschaft erfahren, und wer für eine auf geisteswissenschaftlicher Grundlage ruhende, wirklich­keitsgemäße Erziehungskunst begeistert ist, möchte natürlich vor allen Dingen, daß sie recht viel Nachfolgeschaft erfährt. Denn sie ist aufgebaut, ich möchte sagen auf einer Urwahrheit. Auch das Erzie­hungswesen ist etwas, was man als einen Teil des sozialen Zusam­menlebens der Menschen anschauen muß. Denn dieses soziale Zusammenleben

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ist ja nicht nur das Zusammenleben von gleichaltrigen Menschen, es ist das Zusammenleben von Alten und Jungen. Und schließlich ist auch ein Teil des sozialen Lebens das Zusammen­leben des Lehrers, des Erziehers mit dem Kinde. Nur wenn der Lehrer in dem Kinde schon den ganzen vollen Menschen sieht und gewissermaßen prophetisch, hellseherisch vorausschauen kann, was aus jeder einzelnen Erziehungs- und Unterrichtstätigkeit, die er unternimmt, an Glück und Schicksal für das ganze Leben abhängt, wird er in der richtigen Weise erziehen. Denn alles Leben, deshalb auch das Erziehungs- und Unterrichtsleben, das sich zwischen Menschen abspielt, muß auf dem Grundsatze ruhen: Alles, was zwischen Mensch und Mensch geschieht, geschieht nur dann rich­tig, wenn der ganze Mensch sich immer dem ganzen Menschen in rechter Liebe hingeben kann.

Das aber muß auch auf dem ganzen Gebiete des Unterrichts­wesens wahr werden. Daher wird die Unterrichtskunst in der Zukunft dann auf eine sichere, auf eine wirklichkeitsgemäße Grundlage gestellt sein, wenn der Lehrer sein bestes Menschliches an das beste Menschliche im Kinde heranzubringen vermag, wenn in dem Verhältnis des Lehrers zum Kinde im schönsten Sinne das freie, aber auch das in der Weltennotwendigkeit gegebene Verhält­nis zwischen Mensch und Mensch sich entwickelt.

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ERZIEHUNG UND UNTERRICHT AUF GRUNDLAGE WIRKLICHER MENSCHENERKENNTNIS Autorreferat Prag, 4. April 1924*

Von einer Erziehungs- und Unterrichtsart möchte ich sprechen, die den ganzen, vollen Menschen nach Leib, Seele und Geist in gleich­mäßiger Art zu entwickeln bestrebt ist. Eine solche Erziehung kann nur geleistet werden, wenn der Erziehende sich bewußt ist, wie das Leibliche in der Entwicklung aus dem Seelischen und Geistigen heraus gebildet wird. Denn man kann an der Bildung eines Wesens nur mitwirken, wenn man die Gesetze dieser Bildung durchschaut.

Anthroposophie führt zu einer solchen Menschen-Erkenntnis. Sie betrachtet nicht einseitig das Leibliche, wie es in der naturwis­senschaftlichen Weltanschauung geschieht. Sie erhebt sich zu einem geistigen Schauen und blickt dadurch in jedem Lebensalter des Menschen auf die Art, wie der Geist am Leibe des Menschen schafft und wie die Seele im Leibe lebt.

Vor solcher Anschauung treten deutlich unterschiedliche Epo­chen im heranwachsenden Menschen auf.

Eine erste Epoche läuft von der Geburt bis zum Zahnwechsel, um das siebente Lebensjahr herum. Das Heraustretender zweiten Zähne ist nicht bloß ein lokalisierter Prozeß im Organismus des Menschen. Es geht, wenn die ersten Zähne ausfallen und die zweiten erscheinen, im ganzen Organismus etwas vor sich. Die Entwicklung ist bis dahin so, daß das Geistig-Seelische an der Leibesbildung intensiv mit-arbeitet. Leib, Seele und Geist sind in dieser Zeit der menschlichen Entwicklung noch im hohen Grade eine Einheit.

* Unter diesem Titel hielt Rudolf Steiner am 4. April 1924 in Prag einen Vortrag. Bei dem hier vorliegenden Autorreferat handelt es sich offenbar um einen für Pressevertreter abgefaßten Text, um ihnen den Bericht über diesen Vortrag zu erleichtern. Rudolf Steiner setzte folgende Bemerkung voran: «Dieses Ist nur eine Skizze dessen, was ich zu sagen haben werde; der Geistesforscher kann eigentlich solche Sachen nicht machen; er schöpft im Vortrage aus dem Geiste, nicht aus dem Gedächtnis, ist daher beirrt, wenn er seinen Vortrag wörtlich aufschreiben soll. Bitte das zu entschuldigen.»

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Der ganze Mensch ist deshalb wie ein umfassendes Sinnesorgan. Was später nur in der Sinnesorganisation konzentriert ist, das wirkt in dieser Zeit noch im ganzen Menschen. Dieser ist deshalb wie ein Sinnesorgan ganz an das Tun und Treiben der Umgebung hingege­ben. Er ist im ausgesprochenen Sinne ein nachahmendes Wesen. Sein Wille wirkt wie im Reflex auf alles, was in der Umgebung vorgeht.

Man kann deshalb in diesem Lebensalter nur erziehen, indem man als Erziehender sich so verhält, daß das Kind alles, was man tut, nachahmen kann. Dies muß im umfassendsten Sinne genom­men werden. Zwischen dem Kinde und seinem Erzieher wirken Imponderabilien. Das Kind hat Eindrücke nicht nur von dem, was es in seiner Umgebung mit den äußeren Sinnen wahrnimmt, son­dern es empfindet aus dem Verhalten der anderen Menschen deren Gesinnung, deren Charakter, deren guten und bösen Willen. Man sollte daher als Erzieher in der Umgebung des Kindes bis in die Gedanken und Empfindungen hinein sich der Reinheit des Lebens befleißigen, so daß das Kind so werden kann, wie man selber ist.

Aber man sollte sich auch bewußt sein, daß man durch sein Ver­halten nicht bloß auf die Seele, sondern auch auf den Leib wirkt. Was das Kind aufnimmt und reflexartig in seinen Willen über-strömen läßt, vibriert in der Organisation seines Leibes weiter. Ein jähzorniger Erzieher bewirkt am Kinde, daß dessen Leibes-organisation gewissermaßen spröde wird, so daß sie im späteren Lebensalter leicht zu der Beeinflussung durch krankmachende Einflüsse neigt. Wie man nach dieser Richtung erzieht, das wird im späteren Leben in der gesundheitlichen Verfassung des Menschen zutage treten.

Die anthroposophische Erziehungskunst sieht auf das GeistigSeelische in der Erziehung nicht, weil sie einseitig bloß dieses zur Entwicklung bringen möchte, sondern weil sie weiß, daß sie das Körperliche nur richtig entwickeln kann, wenn sie das Geistige, das am Körper schafft, in der rechten Art entwickelt.

Mit dem Zahnwechsel geht eine vollständige Metamorphose bei dem Kinde vor sich. Was vorher in die körperliche Organisation

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versenkt war und in dieser wirkte, wird selbständiges Seelenwesen und das Körperliche wird mehr seinen eigenen Kräften überlassen.

Man hat es deshalb von dem Lebensalter, mit dem das Kind schulmäßig erzogen und unterrichtet werden soll, mit dessen Seele so zu tun, daß man in dieser auf Kräfte trifft, die vorher die bildsa­men Kräfte im Leibe waren. Man wirkt erziehend und unterrich­tend nur, wenn man das im Auge behält. Das Kind nimmt in diesem Lebensalter deswegen noch nicht mit einem abstrakten Verstande auf; es will Bilder erleben, wie es nach Bildern bis zu dieser Lebens-epoche am eigenen Leibe gearbeitet hat. Das wird nur erreicht, wenn der Erziehende und Lehrende sich durch das Gemüt auf künstlerische Art zu dem Kinde verhält. Er kann nicht darauf rech­nen, daß das Kind schon verstehe, was er ihm mitteilt. Er sollte so wirken, daß das Kind in Liebe sich in die Bilder, die er auf künstle­rische Weise entfaltet, versenkt. Er sollte für das Kind die selbstver­ständliche Autorität sein. Das Kind kann das Wahre, Gute und Schöne noch nicht deshalb aufnehmen, weil es diese versteht, son­dern es muß für das Kind etwas wahr, gut und schön sein, weil es der geliebte Lehrer oder Erzieher als solches im Bilde vor dem Kinde darstellt.

Aus der bildhaften Anschaulichkeit muß alles im Unterrichten und Erziehen herausgeholt sein. Künstlerisch muß aller Unterricht gestaltet sein. Man kann nicht mit dem Lesen beginnen und nicht mit den Buchstabenformen, die in ihrer heutigen Gestalt dem inne­ren Erleben des Menschen fremd sind. Man muß mit einer Art malendem Zeichnen beginnen. Das Kind muß Formen malen und zeichnen, die so ähnlich gewissen Vorgängen und Dingen sind, wie die Zeichen in der Bilderschrift vorzeitiger Völker waren. Bild muß zuerst sein, was das Kind von den Dingen und Vorgängen der Welt fixiert. Dann sollte man vom Bilde zum Buchstabenformen überge­hen, wie die Bilderschrift sich in die abstrakte Zeichenschrift hinein entwickelt hat.

Erst wenn das Kind auf diese Art vom malenden Zeichnen zum Schreiben gekommen ist, sollte man zum Lesen übergehen. Denn in diesem wird nur ein Teil des menschlichen Wesens betätigt: das an

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die Kopforganisation gebundene Auffassen. Im malenden Zeichnen und Schreiben wird auch ein umfassenderer Teil der menschlichen Organisation beteiligt. Man erzieht so den ganzen Menschen, nicht einseitig das Kopfsystem.

Von derselben Haltung sollte alles Erziehen getragen sein bis zu dem zweiten einschneidenden Lebenspunkte in der Entwicklung des Kindes. Dieser liegt im Eintreten der Geschlechtsreife. Auch da metamorphosiert sich nicht nur ein lokaler Teil des menschlichen Organismus, sondern das Menschenwesen als Ganzes. Erst da ent­faltet sich jenes Verhältnis zur Umgebung des Menschen, das in der mehr abstrakten Begriffsbildung sich offenbart. Erst von diesem Zeitpunkte an sollte man auf das freie verstandesmäßige Auffassen bei dem heranwachsenden Menschen rechnen. Vorher sollte alles in bildhafter Form dargeboten sein, bei dessen Erfassung man auf die Liebe zum Bilde beim Kinde rechnet.

Mit einem solchen Erziehungswesen hat man das ganze Men­schenleben, nicht nur das kindliche Alter im Auge. Denn es ist et­was ganz anderes, das Kind in bildhafter Art zu beschäftigen, so daß es, was es so aufgenommen hat, später erst versteht, als wenn man im sogenannten Anschauungsunterricht, der aber keiner ist, weil er das Künstlerische nicht in sich hat, frühzeitig nur das Kopf-system einseitig ausbildet. Was im kindlichen Alter veranlagt wird, das tritt in seinen Wirkungen erst im späteren Lebensalter hervor. Ein Kind, das im entsprechenden Alter durch die Bildhaftigkeit gegangen ist, wird ein Mensch, der im Alter noch frisch und lebens-tüchtig sein kann; ein Kind, das einseitig zum Verstehen dessen gebracht wird, das man oft dem Kindesalter angemessen glaubt, wird ein Mensch, der früh altert, der anfällig für die krankmachen­den Lebensverhältnisse ist.

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Zum Vortrag in Hengelo am 3. März 1921: Erziehungs-, Unterrichts- und praktische Lebensfragen vom Gesichtspunkte der anthroposophischen Geisteswissenschaft

Von diesem Vortrag ist nur folgender Zeitungsbericht aus dem «Nieuwe Hengelose Courant» vom 9. März 1921 erhalten. Die Zeitung erschien mittwochs und samstags.

Donnerstagabend, am 3. des Monats, sprach Dr. R. Steiner hier über das Thema «Erziehungs-, Unterrichts- und praktische Lebensfragen vom Ge­sichtspunkte der Anthroposophischen Geisteswissenschaft».

Der Sprecher begann damit, seine Zuhörer um Verständnis zu bitten für seine unklare Stimme infolge einer Erkältung und der vielen Reden der letzten zwölf Tage, aber bald zeigte sich, daß dies nicht von derartigem Einfluß war, daß der Rede nicht zu folgen gewesen wäre.

Der Redner erzählte, daß seine Unterrichtseinrichtung in Dornach, mit deren Bau 1893 begonnen worden war, vergangenes Jahr soweit fertig wurde, daß bereits dreißig Dozenten in seiner «Freiheitsschule» unterrich­ten. Den Zweck dieses besonderen Institutes hat man darin zu suchen, daß beim Unterricht davon ausgegangen wird, daß er die Seelenbedürfnisse jedes Menschen befriedigen muß. Denn dies ist gerade der größte Fehler des modernen Wissenschaftsgeistes, daß daran nicht gedacht wird. Der Redner will nun weiter aufbauen auf der modernen Wissenschaft, aber nicht losgelöst von den Seelen- und Lebensrätseln, denn der Mensch ist eine Einheit und die Ausschaltung des Tieferen muß zu seinem Untergang führen.

Außerdem wies der Redner auf die technische Einrichtung des Lebens, woraus die sozialen Fragen geboren wurden. Hauptsache ist nun vor allem, die Richtung der Wissenschaft auszuüben, die so lange verwahrlost worden ist, nämlich die «anthroposophische Naturwissenschaft», welche im Gegensatz zu der «äußeren Naturwissenschaft» die Seelenkräfte stu­diert. Unmittelbare Wahrnehmung mittels dieser Kräfte führt zu einem besseren Verstehen der Dinge, der indirekte Weg muß verlassen werden, der Kontakt mit einer «übersinnischen Welt» wird erlangt, was zu einem Kräftigerwerden unseres innerlichen Wesens führen wird (das Aufwachen «schlummernder Kräfte»). Früher bestand nur die Frage des Nachtod­lichen, aber die Anthroposophie geht auch ein auf das «Vorgeburtliche».

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#Bild s. 174-178

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NOTIZBUCHEINTRAGUNGEN

zum Vortrag vom 1. November 1922, Rotterdam:

aus dem Notizbuch Archiv-Nr. 300

Seiten 181-193

zum Vortrag vom 4. November 1922, Den Haag:

aus dem Notizbuch Archiv-Nr. 300

Seiten 195-199

zum Vortrag vom 4. April 1924, Prag:

aus dem Notizbuch Archiv-Nr. 336

Seiten 200-201

(Leerseiten zwischen den Notizbuch-Eintragungen

sind technisch bedingt.)

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#Bild s. 181-201

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HINWEISE

Der vorliegende Band enthält ausschließlich öffentliche Vorträge, die Rudolf Steiner in verschiedenen Städten in den Niederlanden, Deutschland sowie in Prag gehalten hat. Abgesehen vom Darmstädter Pädagogischen Abend, der innerhalb der Darmstädter Hochschulwoche (erschienen in GA 77a) im Sommer 1921 auf Wunsch von Studenten veranstaltet worden war, richteten sich die Vorträge an ein breit gefächertes Publikum, das an den neuen pädagogischen Ideen und ihren Hintergründen sowie an ihrer Umsetzung in die Praxis interessiert war. Neben seinen ausführlichen Darstellungen men­schenkundlich-pädagogischer Aspekte sprach Rudolf Steiner in den in Hol­land gehaltenen Vorträgen von 1921 immer auch über die Notwendigkeit einer grundlegenden Neugestaltung des sozialen Lebens in Richtung einer Dreigliederung des sozialen Organismus, durch die die gesellschaftlichen Voraussetzungen für ein ein wirklich freies Schulwesen geschaffen werden.

Über das Thema «Erziehungs-, Unterrichts- und praktische Lebensfragen vom Gesichtspunkte anthroposophischer Geisteswissenschaft» sprach Rudolf Steiner auf seiner Vortragsreise durch Holland im Jahre 1921 zunächst in Utrecht am 24. Februar im «Gebouw v. Kunst en Wetenschappen», dann am 27. Februar in Den Haag (veröffentlicht in GA 304), am folgenden Tag im «Gebouw Vrije Gemeente» in Amsterdam und wenige Tage später, am 3. März, in Hengelo Dieser letzte Vortrag in Hengelo war wohl ursprünglich nicht vorgesehen, jedenfalls findet er sich nicht auf dem Programm (vgl. S 174); von diesem Vortrag liegt im Archiv auch nichts weiter vor als ein Zeitungsbericht (vgl. S. 171f.). Die beiden Vorträge vom 17. Januar 1922 in Stuttgart über «Anthroposophie und die Rätsel der Seele» und vom 1. November 1922 in Rotterdam über «Das Übersinnliche in Mensch und Welt» sind zwar keine pädagogischen Vorträge im engeren Sinne, aber in diesen Betrachtungen der Seelenrätsel bzw. der urmenschlichen Fähigkeiten des Gehens, Sprechens und Denkens gibt Rudolf Steiner für die Pädagogik äußerst bedeutsame menschenkundliche Grundlagen.

Zwischen dem 31. Oktober und dem ,7. November 1922 besuchte Rudolf Steiner - in Begleitung Marie Steiners und der Eurythmie-Gruppe des Goe­theanums - wiederum verschiedene Städte in den Niederlanden. Er hielt in dieser Zeit etliche öffentliche Vorträge, einen Mitgliedervortrag und einen Vortrag für Studenten; außerdem wurden zwei Eurythmie-Aufführungen gegeben. Zwei der öffentlichen Vorträge wurden in den vorliegenden Band aufgenommen: der oben erwähnte Vortrag vom 1. November in Rotterdam und der Vortrag vom 4. November 1922, der um 20 Uhr im «de van Dijk»­Saal in Den Haag gehalten wurde. Er gibt eine in dieser Art im Werkc Steiners wohl einzigartige zusammenhängende Darstellung über die »Religiö­se und sittliche Erziehung im Lichte der Anthroposophie».

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Während seines zehntägigen Aufenthaltes in Prag im Frühjahr 1924 (siehe hierzu die ausführliche Dokumentation «Rudolf Steiner in Prag», in der Schriftenreihe «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe», Heft 109, Mi­chaeli 1992) hielt Rudolf Steiner vier Vorträge für die dortigen Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft sowie insgesamt fünf öffentliche Vorträge, von denen leider keine Nachschriften erhalten sind. Glücklicherweise liegt vom Vortrag vom 4. April 1924, gehalten im Mozarteum, ein Autorreferat Rudolf Steiners vor, das er als Zusammenfassung des Vortrages für einige Pressevertreter verfaßt hatte.

Textgrundlagen: Die Vorträge vom 1. und vom 4. November 1922 wurden von der Berufsstenographin Helene Finckh mitstenographiert und von ihr in Klartext übertragen. Die Originalstenogramme liegen im Rudolf Steiner Archiv vor. Hedda Hummel stenographierte die Vorträge vom 24. und 28. Februar 1921 sowie den «Pädagogischen Abend» vom 28. Juli 1921 mit; die Originalstenogramme liegen nicht vor. Die Wiedergabe dieser Vorträge er­folgt auf der Grundlage der Klartextübertragung. Der Vortrag vom 17. Januar 1922 in Stuttgart wurde von Frau Bäuerle mitgeschrieben.

Der Titel des Bandes stammt von den Herausgebern.

Die Titel der Vorträge entsprechen den Originaltiteln, unter denen die Vorträge angekündigt waren

Frühere Veröffentlichungen:

Utrecht, 24. Februar 1921

«Die Menschenschule», Nr.12/1959 (nur Fragenbeantwortung) Darmstadt, 28. Juli 1921

«Die Menschenschule», Nr. 10/1952 und 5/1953

»Die Aufgabe der Anthroposophie gegenüber Wissenschaft und Leben»,

GA 77a

Stuttgart, 17. Januar 1922

»Zur Pädagogik Rudolf Steiners», Nr. 1/1931

»Die Menschenschule», Nr. 7-8/1937

Rotterdam, 1. November 1922

»Das Goetheanum», Nr.25-29/1940

«Mensch und Welt. Blätter für Anthroposophie», Nr.4-5/1967

Den Haag, 4. November 1922

«Die Menschenschule», Nr.4-5/1946

»Die religiöse und sittliche Erziehung im Lichte der Anthroposophie», Dornach 1996, 1998.

Prag> 4. April 1924

«Erziehungskunst», Nr.10/1956

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Hinweise zum Text

Werke R;

Zu Seiter

13 am letzten Montag hier in Utrecht: Im öffentlichen Vortrag vom 21. Februar 1921 (noch nicht in der Gesamtausgabe erschienen>.

15 mit der Freien Waldorfschule, die Emil Molt in Stuttgart begründet hat: Emil Molt (1876-1936), Direktor der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik in Stuttgart, richtete für die Angehörigen seines Unternehmens Arbeiterbildungskurse ein. Hieraus entstand schließlich der Gedanke, eine Schule für die Kinder der Arbeiter einzurichten. Für den Aufbau und die Leitung der Schule, die im September 1919 eröffnet wurde, berief er Rudolf Steiner.

22 Sixtinische Madonna: Gemälde von Raffaelo Santi (1483-1520), befindet sich heu-te in der Gemäldegalerie in Dresden.

27 das letzte Mal, als ich hier sprach: Siehe den Hinweis zu S. 13.

29 Dreigliederung des sozialen Organismus: Ausführlich dargestellt in Rudolf Stei­ner «Die Kernpunkte der Sozialen Frage in den Lebeninotwendigkeiten der Ge­genwart und Zukunft» (1919), GA 23, insbesondere auch im Vorwort zur 4. Aufl. 1920; siehe ferner «Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 1915-1921», GA 24, und die Schriftenreihe «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe», Hefte 24/25, 27/28, 88 und 106.

30 Karl Marx, 1818-1883, Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus, leitete von London aus den »Kommunistenbund» und von 1864-1876 die «Internationale Arbeiterassoziation». Hauptwerk: »Das Kapital - Kritik der politischen Okono­mie« , Bd. I, Hamburg 1867, Bd. II und III, hrsg. von Friedrich Engels 1885 und 1895.

Pierre Joseph Proudhon, 1809-1865, französischer Sozialist und Anarchist. Als solcher wollte er den Staat durch freiwillige Organisationen von Gruppen und Verbänden ersetzen. Gilt auch als Begründer der anarchistischen Bewegung («Ei­gentum ist Diebstahl!»).

31 «Die Kernpunkte der Sozialen Frage in den Lehensnotwendigkeiten der Gegen­wart und Zukunft» (1919), GA 23. Siehe auch Hinweis zu S.29

32 im letzten Vortrag hier in Utrecht: Siehe Hinweis zu S. 13.

33 wie unsere Herhstkurse waren, wie unsere Osterkurse sein werden: Siehe die im Herbst 1920 gehaltenen Vortragsreihen »Grenzen der Naturerkenntnis und ihre Überwindung», GA 322, und «Physiologisch-Therapeutisches auf Grundlage der Geisteswissenschaft», GA 314, und die im Frühjahr 1921 gehaltenen Kurse «Die befruchtende Wirkung der Anthroposophie auf die Fachwissenschaften«, GA 76, sowie «Geisteswissenschaftliche Gesichtspunkte zur Therapie«, GA 313.

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33 Weltschulverein: Der Grundgedanke für einen von Rudolf Steiner immer wieder ab Sommer 1920 ins Auge gefaßten und bisweilen vehement geforderten Weltsehulvereins klingt bereits in seiner Ansprache am Begrüßungsahend für die Teilnehmer an den pädagogischen Kursen zur Vorbereitung der Gründung der Waldorfschule am 20. August 1919 an. Dort heißt es: «Die Waldorfschule muß eine wirkliche Kulturtat sein, um eine Erneuerung unseres Geisteslebens der Gegenwart zu erreichen , Die Möglichkeit der Waldorfschule muß dabei ausge­nützt werden, um reformierend, revolutionierend im Schulwesen zu wirken.« (GA 293, Dornach 1992, S. 13) Damals hoffte Rudolf Steiner noch, daß der Kul­turrat «sein Programm wirklich aufnehme und dahin arbeitete, das ganze Schul­wesen in die Hand zu nehmen ... Der Kulturrat hätte die Aufgabe, «das ganze Unterrichtswesen umzugestalten.« («Konferenzen», GA 300/1, S. 95) Doch die Idee des Kulturrates war in der damaligen politischen Situation nicht durchsetz­bar. Eine neue Richtung deutet sich an in der Konferenz mit den Lehrern der Waldorfschule in Stuttgart am 24. Juli 1920, in der Rudolf Steiner die Hoffnungen auf einen zu gründenden Weltschulverein setzt, um die für die Stuttgarter Schule erforderlichen Gelder zu beschaffen, denn, «wir können nur weiterarbeiten, wenn von seiten der Allgemeinheit die nötigen Mittel der Sache zufließen« (Konferenz vom 29. Juli 1920, in GA 300/1, S. 182>. Während eines Frageahends über Drei­gliederung im Rahmen des ersten anthroposophischen Hochschulkurses am 12. Oktober 1920 in Dornach rief Rudolf Steiner die Zuhörer nachdrücklich zu ent­schlossenenem Handeln auf: «Was wir brauchen, ist ein Weltsehulverein in allen Ländern der Zivilisation, daß so schnell wie möglich die größte Summe von Mit­teln herbeigeschafft werde. Dann wird es möglich sein, auf Grundlage dieser Mittel dasjenige zu schaffen, was der Anfang ist eines freien Geisteslebens.« (GA 337b) Und am 16. Oktober 1920 (siehe GA 217a> wiederholte er vor den am Hochschulkurs teilnehmenden Studenten sein Anliegen mit eindringlichen Wor­ten: «Da muß ich doch darauf aufmerksam machen, daß das von mir ganz ernts­haft gemeint ist, was ich in diesen Tagen als die Begründung eines Weltschulver­eins Ihnen angeführt habe. Den denke ich international gebildet, so daß er gewis­sermaßen aus dem Denken und Empfinden der heutigen Zeit heraus geschaffen werden soll.« - Der Weltsehulverein war also nicht als eine Art Interessengemein­schaft bereits bestehender bzw. geplanter Waldorfschulen gedacht, sondern als eine breite, internationale Organisation, deren Ziel die Propagierung eines von staatlichen Einflüssen freien Geisteslebens und die Finanzierung von Schulen, Hochschulen und anderer Bildungseinrichtungen sein sollte. In den folgenden Wochen und Monaten wird vor allem im Rahmen der «Konferenzen» immer wieder über den Weltschulverein gesprochen, jedoch wurden keine konkreten Schritte zu seiner Gründung unternommen (siehe die Einleitung zu den «Konfe­renzen« in GA 300/1, S. 24-26). An der Mitgliederversammlung der Anthroposo­phischen Gesellschaft am 4. September 1921 in Stuttgart (in der Gesamtausgabe noch nicht publiziert) bringt Rudolf Steiner sein Unbehagen hierüber so zum Ausdruck: «So aber ... mußte ich das erleben, was ich die innere Opposition nen­ne, die gegen meine Absichten eigentlich in sehr starkem Maße vorhanden ist, als ich in der schärfsten Weise im vorigen Jahr im Herbst in Dornach darauf hinwies, welche Notwendigkeit die Begründung eines Weltsehulvereins wäre, und als ich während meiner holländischen Vortrsgsreisc im Winter dieses Jahres mehrfach auf die Notwendigkeit dieses Weltsehulvereins hinwies.«

34 in den furchtbaren Jahren im Zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts: Erster Weltkrieg von 1914-1918.

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34 Ich habe in meinen Schriften gezeigt: Siehe vor allen »Die Kernpunkte der Setis­len Frage» (1919>, GA 23, und »Aufsätze über dit Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 1915-1921», GA 24.

35 die richtige Preislage: Rudolf Steiner hat zwischen 1919 und 1922 immer wieder die Frage des »richtigen Preises» angesprochen. Von ihm verfaßte, schriftille Ausführungen finden sich dazu vor allem im Aufsstz »Die Dreigliederung des sozialen Organismus, die Demokratie und der Sozialismus» (GA 24, S. 216f.), der im Juli 1919 in der ersten Nummer der schweizerischen Dreigliederungs-Zeit-schrift »Soziale Zukunft» erschien, und in seiner Schrift «Die Kernpunkte der Sozialen Frage» (1919), GA 23,3. Kap., Anmerkung S. 131f., allerdings erst in der überarbeiteten 4. Auflage vom Dezember 1920. Siehe auch seine Ausführungen im «Nationalökonomischen Kurs», GA 340.

«In Ausführung der Dreigliederung des sozialen Organismus«: 21 Aufsätze, Stut­gart 1920, heute enthalten in »Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 1915-1921», GA 24.

eine holländische Zeitschrift über Dreigliederung: Gemeint ist die Monatsschttift »Drieledige Indeeling van bet Sociale Organisme» (»Dreigliederung des Sozialen Organismus»), die in zwei Jahrgängen, vom Januar 1920 bis Dezember 1921, er-schien. Redigiert wurde sie zunächst unter anderem von Johanna Maria Tak sen Poortvliet (1S71-1936) und ab dem zweiten Jahrgang von Pieter de Haan (1891-1968). Diese Zeitschrift tollte die Dreigliederungs-Idee in den Niederlanden rasch verbreiten helfen und damit die Bemühungen des im November 1919 gegründe­ten holländischen «Bond voor drieledige indeeling van het sociale Organisme« («Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus») unterstützen. Da es sich aber bald zeigte, daß vielen Menschen das tiefere Verständnis für diese Ideen fehl-te, wurde diese Zeitschrift durch die Monatsschrift »Anthroposophie. Maandblsd voor sociale, paedagogische en geesteswetenschappelijke Vraagstukken« («Me­natsblatt für soziale, pädagogische und geisteswissenschaftliche Fragestellungen) ersetzt; diese sollte beitragen, den noch fehlenden, aber notwendigen Boden für eine grundsätzliche Gesellscbaftsreform zu bereiten.

40 Ich wurde zum Beispiel jüngst aufgefordert: Möglicherweise handelt es sich hier um die Neuwachtschule in Köln, gegründet im April 1921, die nach den Prinzi­pien der Stuttgarter Waldorfschule arbeitete.

43 «Das Christentum als mystische Tatsache« (1902), CA s.

44 meine «Philosophie der Freiheit«: Das Buch (GA 4) erschien im Herbst 1893, trug aber als Erscheinungsjahr bereits die Zahl 1894. Seither ist es in vielen Auflagen erschienen. Siehe auch den Band «Dokumente zur >Philosophie der Freiheit», GA 4a.

45 In meinem ersten Vortrag, den ich hier in Amsterdam am 19. des Monats gehalten habe: Öffentlicher Vortrag, noch nicht in der Gesamtausgabe enthalten; siehe «Die Menschenschule« Nr. 12/1959.

47 «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» (1904/05), CA 10.

«Die Geheimwissenschaft im Umriß» (1910), CA 13.

55 1892 eine kleine Schrift: Vgl. den Hinweis zu S. 44.

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60 an einer Arbeiterbildungsschule: Von Januar 1899 bis Dezember 1904 lehrte Ru­dolf Steiner an der von Wilhelm Liebknecht begründeten Arbeiterbildungsschule in Berlin, ab 1902 auch in Spandaue Siehe Rudolf Steiner, »Mein Lebensganger, Kape XXVIII, GA 28, sowie die ausführliche Dokumentation «Rudolf Steiner als Lehrer an der Arbeiterbildungsechule in Berlin und Spandau 1899-1904» in der Schriftenreihe «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe», Heft 111/1993

62 Veranstaltung jenes Herbstkurses: Siehe Hinweis zu S. 33.

65 Weltschulverein: Siehe Hinweis zu S. 33.

Sixtinische Madonna: Gemälde von Raffaelo Santi (1483-1520).

66 Österreich ... das Experimentierland war für das Wirken der soxialzerstörenden

Krafte: Siehe dazu Rudolf Steiners Aufsätze in der Wiener Zeitung «Deutsche

Wocheoschrift« in »Gesammelte Aufsätze zur Kultur- und Zeitgeschichte

1887-1901», GA 31.

68 In Ausführung der Dreigliederung des sozialen Organismus»: 21 Aufsätze, Stutt­gart 1920, heute in «Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 1915-1921« GA 24.

in der Stuttgarter Zeitschrift «Die Dreigliederung«, die herausgegeben wird vom Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus: Die erste Ausgabe der Wocheozeitung «Dreigliederung des sozialen Organismus» erschien am 8. Juli 1920, als der Höhepunkt der Dreigliederuogs-Massenbewegung bereits über­schritten war. Die Zeitschrift wurde vom Schriftsteller Ernst Uehli redigiert. Vor allem in den ersten beiden Erscheinungejahren schrieb Rudolf Steiner eine ganze Reihe von Leitartikeln für diese Zeitschrift, die alle im Band »Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 1915-1921» (GA 24) abgedruckt sind. Ab dem vierten Jahrgang, das heißt ab Juli 1922, als der end­gültige Niedergang der Dreigliederuogs-Bewegung besiegelt war, änderte die Zeitung auch ihren Namen und erschien nun unter dem Titel »Anthro­posophie.Wochenschrift für freies Geistesleben; früher Dreigliederung des sozia­len Organismus«. In der folgenden Zeit - bis zu ihrer Vereinigung mit der Zeit­schrift »Die Drei» im Oktober 1931 - sollte sie noch mehrfach ihren Namen wie auch den Redakteur und den Herausgeber wechseln.

wie diese Assoziationen zu einer gerechten Preisbildung ... führen werden: Siehe Hinweis zu S. 35.

89 Emile Du Bois-Reymond, 1818-1896, deutscher Physiologe, Professor in Berlin und ab 1867 ständiger Sekretär der Berliner Akademie der Wissenschaften.

Du Bois-Reymond auf der 45. Naturforscherversammlung in Leipzig: »Über die Grenzen des Naturerkeoneos«, Vortrag, gehalten in der zweiten öffentlichen Sit­zung der 45. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte am 14. August 1872; gedruckt vom Verlag Veit & Co, Leipzig 1872.

90 Er sagt: Da hinein, wo Materie kommt: Siehe ebenda, S. 15f. und Anm. 18, S. 39. Er sagt: Mit der vollkommensten Naturerkenntnis: Siehe ebenda, S. 24f.

91 Franz Brentano, 1838-1917, Neffe Clemens Breotanos, katholischer Theologe und Professor für Philosophie und Psychologie in Würzburg, bis er 1873 aufgrund

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des Infallibilitätsdogmas aus der Kirche austrat und seine Professur nieder-legte. Ab 1874 wirkte er als Professor und später als Privatdozent in Wien. Rudolf Steiner widmete ihm 1917 inder Schrift »Von Seelenrätseln», GA 21, einen Nach­ruf. Siehe auch die Aufsätze über ihn in »Methodische Grundlagen der Anthroposophie», GA 30, S. 526ff., in »Der Goetheanumgedanke inmitten der Kulturkrisis der Gegenwart», GA 36, S. 153ff. und S. 158ff., und den Vortrag vom 12. Dezember 1911 in «Anthroposophie - Psychosophie - Pneumatosophie», CA

115. Werke: »Die Psychologie des Aristoteles» (Mainz 1867); «Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis» (Leipzig 1889).

91 Franz Brentano, der eine Seelenkunde ... begründen wollte: «Psychologie vom empirischen Standpunkt», Leipzig 1874.

im dritten Teil meines Buches «Von Seelenrätseln»: CA 21 (1917), Kap. «Franz Brentano«(«Ein Nachruf»).

Für den Herbst war der zweite Band versprochen; er ist niemals erschienen: Der von Oskar Kraus (Leipzig 1925) herausgegebene zweite Band der «Psychologie» Franz Brentanos besteht nur aus den erwähnten Ansätzen («Klassifikation der psychischen Phänomene» 1911) und einigen Abhandlungen aus dem Nachlaß.

Er sagt da etwa: Mit dieser naturwissenschaftlichen Forschung gelingt es ja: Vgl. «Psychologie vom empirischen Standpunkt», Kap. i, §§ 2 und 3.

93 auch im zweiten Teil meiner «Geheimwissenschaft»: «Die Erkenntnis der höheren Welten (Von der Einweihung oder Initiation)» in «Die Geheimwissenschaft im Umriß» (1910), CA 13.

96 «Die Philosophie der Freiheit« (1894), CA 4.

109 während des verflossenen Sommers hier in Stuttgart auf dem anthroposophischen Kongreß: Es handelt sich um den öffentlichen Kongreß «Kultur-Ausblicke der Anthroposophischen Bewegung», der vom 28. August bis 7. September 1921 in Stuttgart stattgefunden hatte. Morgens fanden fachwissenschaftliche Referate statt, nachmittags »Koreferate als positive Zeitkritik« und den Abend beschloß jeweils ein Vortrag Rudolf Steiners (siehe «Anthroposophie, ihre Erkenntniswur­zeln und Lebensfrüchte», CA 78). Die Veranstaltungen wurden von jeweils etwa 1000 Menschen besucht.

Dr. von Heydebrand ... in einem Vortrag, der auch gedruckt vorliegt: Carolinc von Heydebrand »Gegen Experimentalpsychologie und -pädagogik«, Stuttgart, Der Kommende Tag-Verlag 1921.

in dem Vortrag, den Emil Leinhas auf dem genannten Kongreß gehalten hat:

«Der Bankerott der Nationalökonomie», Stuttgart, Der Kommende Tag-Verlag 1921.

112 Wenn die menschliche Seele, vom Leibe befreit, in den freien Äther sich auf-schwingt, ist ein unsterblicher Geist sie, vom Tode befreit: Rudolf Steiner gibt in «Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums« (1902), CA 8, S. 48, diesen Spruch folgendermaßen wieder: «Wenn du den Leib verlassend, dich zum freien Ather schwingst, 1 Wirst ein unsterblicher Gott du sein, dem Tode entronnen.« Er gibt dort Empedokles als den Verfasser an, doch ist der Spruch in dieser Form in den «Fragmenten» nicht zu finden. In dem von

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Rudolf Steiner oft beigezogenen Werk von Vincenz Knauer «Die Hauptprobleme der Philosophie« (Wien und Leipzig 1892, S. 97) werden diese Worte ohne nähere Angabe Heraklit zugeschrieben.

114 so tritt uns dieser doch in der Art und Weise des Widerstreits entgegen, wie sich einerseits für unseren Kopf andererseits namentlich für unser Herz dasjenige aus­nimmt, was wir an ... Umstellung des Satzes durch die Herausgeber; im Original lautet diese Stelle in der Nachschrift : «... so tritt uns dieser doch entgegen in der Att und Weise, wie sich sowohl für unseren Kopf wie namentlich für unser Herz der Widerstreit ausnimmt zwischen dem, was wir an ...«.

127 nur soviel sei wirkliche Wissenschaft der Natur vorhanden, als Mathematik ... ent­halten ist: Siehe Immanuel Kant, «Metaphysische Anfangsgründe der Naturwis­senschaft», Vorrede A VIII; in der von G. Hartenstein besorgten Ausgabe sämt­licher Werke (Leipzig 1867) in Bd. IV, S. 360. Wörtlich heißt es bei Kant: «Ich behaupte aber, daß in jeder besonderen Naturlehre nur so viel eigentliche Wissen­schaft angetroffen werden könne, als darin Mathematik anzutreffen ist.«

132 von rückwärts nach vorne: So im Stenogramm. Es ist wohl im Sinne der Formu­lierung gemeint, die sich ein paar Zeilen weiter unten findet: «das sonst an dem Naturlaufe haftet, das vom Früheren zum Späteren geht«.

136 die dann alles dasjenige, was wir im Gehurtevorgang haben, als ein hloß Natürli­ches ansah, da kam üher die Menschen: Sinngemäße Korrektur durch die Heraus­geber; in der Nachschrift heißt es Original: «die dann alles dasjenige, was wir im Sprachgang als ein bloß Natürliches haben, ansah, ...«.

137 »Nicht ich, sondern der Christus in mir«: Aus dem Brief an die Galater (Gal. 2,20:

»Ich lebe aber; doch nun nicht ich, sondern der Christus lebt in mir»).

139 von der ich am letzten Dienstag und gestern abend hier im Haag sprechen durfte:

Zwei öffentliche Vorträge: »Die Erkenntnis des geistigen Wesens des Menschen«

(31. Oktober 1922) und »Die Erkenntnis des geistigen Wesens der Welt« (3.

November 1922). Beide Vorträge sind vorgesehen für den Band GA 80; bisher

veröffentlicht in der Zeitschrift «Das Goetheanum«, Nrn. 35-39 bzw. 40-48/

1941.

140 den Auseinandersetzungen ... in den letzten Tagen: Siehe den vorigen Hinweis.

Lebensepochen: Siehe Rudolf Steiners grundlegende Ausführungen hierzu in sei­ner Schrift «Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissen­schaft» (1907; enthalten im Band «Lucifer - Gnosis«, CA 34). Siehe auch die Vor­träge in den Bänden «Die Erneuerung der pädagogisch-didaktischen Kunst durch Geisteswissenschaft», CA 301 (insbesondere über das zweite Lebensjahrsiebt), «Die gesunde Entwickelung des Menschenwesens«, CA 303, und »Erxiehungs­und Unterricbtemetboden auf antliroposophischer Grundlage«, CA 304 (insbe­sondere die Aufzeichnungen Rudolf Steiners zum Vortrag in Stratford am 19. April 1922), und »Die Methodik des Lehrens und die Lebensbedingungen des Erziebens», CA 308.

147 Da gehen wir zum Beispiel heim Lesen nicht davon aus: Für ausführliche Hinwei­se zum Schreib- und Leseunterricht siehe die Vorträge vom 21. August 1919 in »Erziehungskunst. Methodisch-Didaktisches», CA 294; vom 18. April 1923 in «Die pädagogische Praxis vom Gesichtspunkte geisteswissenschaftlicher Menschenerkenntnis«,

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CA 306; vom 13. August 1923 in «Gegenwärtiges Geistesleben und Erziehung», CA 307; vom 15. April 1924 in «Die Methodik des Lehrens und die Lebensbedingungen des Erziehens«, CA 308; und vom 30. August 1924 in «Anthroposophische Menschenkunde und Pägagogiker, CA 304a.

150 Ich bedaure nur, daß wir nicht auch schon einen Kindergarten haben können:

Elisabeth von Grunelius (1895-1989) war ursprünglich in das «Urlehrerkollegi-um der Waldorfschule berufen worden, um die Kindergartenarbeit aufzubauen. Der Versuch, den Kindergarten in einem Raum der Schule zu installieren, mußte aber bald wieder aufgegeben werden, da die rasch wachsende Schule den Raum beanspruchte. Erst nach Rudolf Steiners Tod konnte Ostern 1926 eine auf Betrei­ben Herbert Hahns errichtete kleine Baracke auf dem äußersten Zipfel des Turn­platzes der Stuttgarter Waldorfschule als erster Kindergarten eröffnet werden.

152 von der ich in diesen Tagen hier im Haag zu Ihnen sprechen duffte: Siehe Hin­weis zu S. 139.

159 die Geisteswissenschaft, die ich in diesen Tagen hier vertreten durfte: Siehe Hin­weis zu S. 139.

163 Lehrplan, der aufgebaut ist auf einer seminaristischen Vorerziehung der Lehrer-schaft der Stuttgarter Waldorftehule: Zur Vorbereitung der künftigen Waldorf­lehrer fand in Stuttgart vom 24. Augtist bis 4. September 1919 ein pädagogischer Kursus statt, der sich in drei Teile gliederte: morgens fanden Vorträge über «All­gemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik», (CA 293) statt, darauf folgten weiterer über methodisch-didaktische Fragen (»Erziehungskunst. Metho­disch-Didaktisches», CA 294) und am Nachmittag wurden in seminaristischer Form pädagogische Besprechungen abgehalten («Erziehungskunst. Seminarbe­sprechungen und Leheplanvorträge», CA 295).

173 Unterrichteeinrichtung in Dornach, mit deren Bau 1893 begonnen worden war:

Der Schreiber des Artikels bringt hier offensichtlich etwas durcheinander. Rudolf Steiner erwähnte einerseits - wie aus den anderen holländischen Vorträgen er­sichtlich wird -, die Entstehungszeit der »Philosophie der Freiheit« (1892/93), andrerseits die Tagungen, die im Goetheanum in Dornach stattgefunden hatten, mit dessen Bau aber erst 1913 begonnen worden war.

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PERSONENREGISTER

* = nicht namentlich erwähnt

Aristoteles 91
Brentano, Franz 91 f., 98
- Psychologie vom empirischen
Standpunkt 91f.
Buddha, Gautama 125
Du Bois-Reymond, Emile 89f.
- Grenzen der Naturerkenntnis
Heydebrand, Caroline von 109
Jesus von Nazareth 136
Leinhas, Emil 109
Marx, Karl 30
Molt, Emil 15, 51, 109
Paulus (Apostel) 136f.
Plato 91
Proudhon, Pierre Joseph 30
Shakespeare, William 46

Steiner, Rudolf, Werke:
Schriften:
- Die Philosophie der Freiheit (GA 4) 44, 55*, 96, 144
- Das Christentum als mystische Tatsache (GA 8) 43
- Wie erlangt man Erkenntnisse (GA 10) 47, 93, 127, 129, 132
- Geheimwissenschaft im Umriß (GA 13) 47, 93, 127, 132
- Von Seelenrätseln (GA 21) 92
- Die Kernpunkte der Sozialen Frage (GA 23) 31, 35, 43, 68
- In Ausführung der Dreigliederung (in GA 24) 35, 68
Vorträge:
- Die befruchtende Wirkung der Anthroposophie ... (GA 76) 33
- Geisteswissenschaftliche Gesichtspunkte ... (GA 313) 33
- Physiologisch-Therapeutisches ... (GA 314) 33
- Grenzen der Naturerkenntnis (GA 322) 33

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.