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einzig und allein zur Verfügung haben, zu der Epimetheus-artigen Ge­schichte, die von Prometheus geschriebene hinzufügen. Dann, wenn beide Elemente in der Geschichtsdarstellung wirken, werden wir tat­sächlich für das geschlechtsreife Alter geschichtliche Darstellungen ha­ben, beziehungsweise solche zustande bringen, wenn uns die entspre­chende Aufgabe zugefallen ist.
einzig und allein zur Verfügung haben, zu der Epimetheus-artigen Ge­schichte, die von Prometheus geschriebene hinzufügen. Dann, wenn beide Elemente in der Geschichtsdarstellung wirken, werden wir tat­sächlich für das geschlechtsreife Alter geschichtliche Darstellungen ha­ben, beziehungsweise solche zustande bringen, wenn uns die entspre­chende Aufgabe zugefallen ist.
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= VIERZEHNTER VORTRAG Dornach, 5. Januar 1922 =
= VIERZEHNTER VORTRAG Dornach, 5. Januar 1922 =
<nowiki>#</nowiki>G303-1969-SE253 Die gesunde Entwickelung des Menschwesens
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VIERZEHNTER VORTRAG
Dornach, 5. Januar 1922
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Dasjenige, was ich Ihnen als Gliederung der menschlichen Wesenheit dargestellt habe und was dienen kann, eine totale Menschenerkenntnis zu erringen, das kann von den verschiedensten Gesichtspunkten aus dargestellt werden, und gerade wenn es von den verschiedensten Ge­sichtspunkten aus dargestellt wird, so kommt der Mensch allmählich zu einer wirklichen Erkenntnis desjenigen, was eigentlich dahinter­steckt. Ich habe Ihnen von dem astralischen Leibe gesprochen, also von demjenigen Gliede der menschlichen Wesenheit, das sich gewis­sermaßen über die räumlichen sowohl wie die zeitlichen Zusammen-hänge hinwegsetzt, das in freier Weise die räumlichen und die zeit­lichen Zusammenhänge braucht. Ich habe versucht zu zeigen, wie dies im Traume mit seinen Bildern zum Ausdrucke kommt, indem gezeigt wurde, daß ja der Traum im wesentlichen von dem astralischen Leibe herrührt, und daß der Traum das zeitlich Auseinanderstehende in sei­nen Bildern ineinander verweht.
Dasjenige, was ich Ihnen als Gliederung der menschlichen Wesenheit dargestellt habe und was dienen kann, eine totale Menschenerkenntnis zu erringen, das kann von den verschiedensten Gesichtspunkten aus dargestellt werden, und gerade wenn es von den verschiedensten Ge­sichtspunkten aus dargestellt wird, so kommt der Mensch allmählich zu einer wirklichen Erkenntnis desjenigen, was eigentlich dahinter­steckt. Ich habe Ihnen von dem astralischen Leibe gesprochen, also von demjenigen Gliede der menschlichen Wesenheit, das sich gewis­sermaßen über die räumlichen sowohl wie die zeitlichen Zusammen-hänge hinwegsetzt, das in freier Weise die räumlichen und die zeit­lichen Zusammenhänge braucht. Ich habe versucht zu zeigen, wie dies im Traume mit seinen Bildern zum Ausdrucke kommt, indem gezeigt wurde, daß ja der Traum im wesentlichen von dem astralischen Leibe herrührt, und daß der Traum das zeitlich Auseinanderstehende in sei­nen Bildern ineinander verweht.
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heißen würde: «Die Freiheit des Einen kann nicht gedeihen ohne die Freiheit von allen.» Das hat aber auch wiederum im Deutschen keinen Sinn; es steht auch nicht da. «Die Freiheit des Einen», steht da, «kann nicht ohne die Freiheit des Anderen gedeihen» - nicht: «von allen», sondern «des Anderen» gedeihen, und darauf kommt es an.
heißen würde: «Die Freiheit des Einen kann nicht gedeihen ohne die Freiheit von allen.» Das hat aber auch wiederum im Deutschen keinen Sinn; es steht auch nicht da. «Die Freiheit des Einen», steht da, «kann nicht ohne die Freiheit des Anderen gedeihen» - nicht: «von allen», sondern «des Anderen» gedeihen, und darauf kommt es an.


Wie gesagt, ich bitte, das nicht mißzuverstehen. Ich habe es nur angeführt als ein mir naheliegendes Beispiel. Und ich wollte darauf hinweisen, wie wir heute schon dabei angelangt sind, nicht die Dinge zu erleben - das könnten wir gerade an der Sprache -, sondern über die Dinge hinwegzuleben. Unsere Zivilisation hat allmählich eine sa­loppe Gestalt angenommen. Wir müssen wiederum die Möglichkeit gewinnen, uns in die Worte hineinzuleben, mit den Worten mitzuleben. Dann nur werden wir das realisieren können, was ich als eine Anforde­rung hingestellt habe: daß das Kind, nachdem es zuerst etwas in die Grammatik eingeführt wurde, dann in die Rhetorik, das heißt in die Schönheit, auch in das Künstlerische der Sprache eingeführt wird. Und wir müssen das Kind in das Künstlerische der Sprache einführen. Das hat auch seine internationale Bedeutung, und es ist außerordentlich wichtig, sich heute klarzumachen, daß dasjenige, was die soziale Frage genannt wird, durchaus oftmals von anderen Ecken heraus gesehen werden muß, als man es heute sieht.  
Wie gesagt, ich bitte, das nicht mißzuverstehen. Ich habe es nur angeführt als ein mir naheliegendes Beispiel. Und ich wollte darauf hinweisen, wie wir heute schon dabei angelangt sind, nicht die Dinge zu erleben - das könnten wir gerade an der Sprache -, sondern über die Dinge hinwegzuleben. Unsere Zivilisation hat allmählich eine sa­loppe Gestalt angenommen. Wir müssen wiederum die Möglichkeit gewinnen, uns in die Worte hineinzuleben, mit den Worten mitzuleben. Dann nur werden wir das realisieren können, was ich als eine Anforde­rung hingestellt habe: daß das Kind, nachdem es zuerst etwas in die Grammatik eingeführt wurde, dann in die Rhetorik, das heißt in die Schönheit, auch in das Künstlerische der Sprache eingeführt wird. Und wir müssen das Kind in das Künstlerische der Sprache einführen. Das hat auch seine internationale Bedeutung, und es ist außerordentlich wichtig, sich heute klarzumachen, daß dasjenige, was die soziale Frage genannt wird, durchaus oftmals von anderen Ecken heraus gesehen werden muß, als man es heute sieht.


= FÜNFZEHNTER VORTRAG Dornach, 6. Januar 1922 =
= FÜNFZEHNTER VORTRAG Dornach, 6. Januar 1922 =

Version vom 2. November 2023, 09:00 Uhr

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE ÜBER ERZIEHUNG

Die gesunde Entwickelung
des Menschenwesens

Eine Einführung
in die anthroposophische
Pädagogik und Didaktik

Weihnachtskurs für Lehrer
gehalten in Dornach vom 23. Dezember 1921
bis 7. Januar 1922

GA 303

1987

Inhaltsverzeichnis


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ERSTER VORTRAG Dornach, 23. Dezember 1921

Das erste Wort, das ich ausspreche, soll ein Wort der herzlichen Freude und der innigen Befriedigung sein über Ihren Besuch, meine Damen und Herren. Derjenige, welcher für die Bewegung, welche von dem Goetheanum hier ihren Ausgangspunkt nehmen möchte, am intensiv­sten enthusiasmiert ist, der muß gegenüber einem Interesse, das sich in einer so außerordentlichen Weise durch Ihren Besuch zeigt, eben tiefst erfreut und innigst befriedigt sein. Und aus dieser Freude und dieser Befriedigung heraus gestatten Sie mir, daß ich Sie hier heute im Beginne dieses einleitenden Vortrages in der herzlichsten Weise begrüße.

Insbesondere darf ich Frau Professor Mackenzie begrüßen, deren Bemühungen es gelungen ist, diesen Kursus zu inaugurieren, und der ich deswegen im Namen der anthroposophischen Bewegung ganz be­sonderen Dank schulde. Aber Sie alle begrüße ich auf das herzlichste aus dem ganzen Geist und dem Sinn unserer Bewegung heraus. Und, meine Damen und Herren, es ist ja hier so, daß nicht nur eine einzelne Persönlichkeit Sie begrüßt, sondern daß Sie vor allen Dingen hier der Bau, das Goetheanum selber begrüßt.

Es ist mir durchaus begreiflich, daß der eine oder der andere von Ihnen an diesem Goetheanum als Bau, als Kunstwerk, manches auszu­setzen haben wird. Allein, alles dasjenige, was in dieser Weise in die Welt tritt, unterliegt selbstverständlich der Kritik, und jeder Wider-spruch, der aus guter Meinung heraus kommt, wird insbesondere mir selbst durchaus willkommen sein. Aber dennoch begrüßt Sie dieses Goetheanum, dessen Form und dessen künstlerische Ausgestaltung Sie ja darauf hinweisen wird, daß es sich hier nicht allein darum handelt, ein einzelnes Gebiet der menschlichen Lebenspraxis zu inaugurieren, auch nicht etwa in einseitiger Weise bloß das erzieherische Unterrichts-gebiet. Der ganze Geist dieses Baues und das Dasein dieses Baues kann Ihnen anzeigen, daß es sich hier um eine aus dem Geist unserer Zeit heraus gedachte und heraus gewollte Bewegung für unsere ganze Zivi­lisation handelt. Und insoferne Erziehung und Unterricht wesentliche

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Teile der menschlichen Zivilisation sind, müssen insbesondere auch Er­ziehung und Unterricht von hier aus ihre besondere Pflege finden.

Die intimen Beziehungen zwischen dem anthroposophischen Wol­len und den Erziehungs- und Unterrichtsfragen werden uns ja in den nächsten Tagen in ausführlicher Weise vor die Seele treten können. Heute aber gestatten Sie mir, daß ich zu dem herzlichsten Gruße, den ich Ihnen darbringe, etwas hinzufüge, was gewissermaßen auf dem Boden einer ja auch gesellschaftlichen Bewegung sich in gewissem Sinne selbst versteht.

Sie sind gewissermaßen hierhergekommen, um sich zu informieren, wie es steht mit den Bewegungen, die vom Goetheanum in Dornach ausgehen. Indem ich Sie in herzlicher Weise in diesem Goetheanum als willkommene Gäste begrüße, fühle ich mich aber verpflichtet, wie das ja sonst auch im gesellschaftlichen Verkehre der Menschen durch­aus in ähnlichem Falle Pflicht ist, Ihnen vor allen Dingen die Bewe­gung, die von hier aus ihren Ausgangspunkt findet, einmal vorzustellen.

Dasjenige, was mit dieser anthroposophischen Bewegung schon Seit ihrem Anfang vor zwanzig Jahren gewollt worden ist, das kommt eigentlich erst jetzt langsam zur Offenbarung. Im Grunde genom­men - Sie werden das aus den folgenden Vorträgen ersehen - war diese Bewegung von vorneherein als dasjenige gedacht, als was sie heute im zustimmenden Sinne, und vor allen Dingen auch im ablehnenden Sinne, von der Welt genommen wird. Heute erst beginnt man von dieser an­throposophischen Bewegung so zu sprechen, wie sie ursprünglich ge­dacht war. Allein diese anthroposophische Bewegung hat die verschie­densten Phasen durchgemacht, und an diesen Phasen werde ich Ihnen am leichtesten diese Bewegung zunächst einmal rein äußerlich vor­stellen können.

Zunächst wurde die anthroposophische Bewegung von dem kleinen Kreise, der sich zu ihr bekannte, wie eine Art im engeren Sinne reli­giöser Weltanschauung genommen. Menschen, die sich wenig beküm­merten um wissenschaftliche Fundierung, die sich wenig bekümmerten um künstlerische Ausgestaltungen und um die Konsequenzen der an­throposophischen Lebenspraxis für das gesamte soziale Leben, solche Menschen kamen zunächst an diese anthroposophische Bewegung heran.

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Menschen, die vor allen Dingen sich unbefriedigt fühlten innerhalb der gegenwärtigen traditionell religiösen Bekenntnisse, Menschen, die dasjenige suchten, was aus den tiefsten menschlichen Sehnsuchten heraus kommt in bezug auf die großen Fragen der menschlichen Seele und des menschlichen Geistes, Menschen, die sich in bezug auf diese Fragen von den traditionellen Vorstellungen vorhandener Religionsbekennt­nisse tief unbefriedigt fühlten, kamen an diese Bewegung heran, und sie nahmen zunächst diese Bewegung auf mit ihrem Gefühl, mit ihrer Empfindung.

Für mich selbst war es oftmals erstaunlich, zu sehen, wie dasjenige, was ich über Anthroposophie auszusprechen hatte, eigentlich in bezug auf seine Fundierung auch von den Anhängern durchaus nicht durch­schaut worden ist, wie aber dieser anthroposophischen Bewegung aus schlichten und elementaren menschlichen Empfindungen Sympathie und Anhängerschaft entgegengebracht worden ist. Aus dem, was von Anfang an im Grunde genommen eine wissenschaftliche Orientierung hatte, hörten diese ersten Anhänger dasjenige heraus, was zu ihren Herzen sprach, was zu ihrem unmittelbaren Gefühle, zu ihrer Empfin­dung sprach. Und man kann sagen, es war dieses die ruhigste Zeit -obwohl Ruhe nach dieser Richtung nicht immer erwünscht ist -, es war dieses die ruhigste Zeit der anthroposophischen Bewegung.

Weil dies so war, konnte diese anthroposophische Bewegung in ihrer ersten Phase durchaus zunächst aufgenommen werden und mitgehen -rein äußerlich allerdings, in bezug auf das bloß administrative Mit­gehen - mit derjenigen Bewegung, die Sie vielleicht kennen als die Be­wegung der Theosophischen Gesellschaft.

Menschen, welche in der geschilderten Art aus ihrem schlichten Her­zen heraus nach den Fragen des Ewigen in der menschlichen Natur suchen, sie finden zuletzt, wenn sie manches Wesentliche und Funda­mentale eben übersehen, gleichmäßig ihre Befriedigung in der theo­sophischen Bewegung und in der anthroposophischen Bewegung. Allein die theosophische Bewegung war von vorneherein nach einer gewissen bloß theoretischen Seite hin orientiert. Die theosophische Bewegung will eine Lehre sein, wie sie sich in Worten ausspricht, welche eine Kos­mologie, eine Philosophie und eine Religion umfaßt, und insofern man

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die Kosmologie, Philosophie und Religion durch Worte verkündigen kann, will sich die theosophische Bewegung ausleben. Menschen, die in bezug auf die übrigen Verhältnisse des Lebens eigentlich in ihrer Le­bensiage zufrieden sind unJ nur etwas anderes über die Fragen des Ewigen hören wollen, als die traditionellen Religionsbekenntnisse lie­fern können, solche Menschen finden in gleicher Weise oftmals ihre Befriedigung in der einen und in der anderen Bewegung. Und erst als sich zeigte, trotzdem es damals wenig bemerkt worden ist, daß Anthro­posophie etwas sein will, was nicht bloß theoretisch sich ergehen will über Kosmologie, Philosophie und Religion, sondern was gemäß den Forderungen des gegenwärtigen Zeitgeistes in die wirkliche Lebens-praxis auf allen Gebieten einzugreifen hat, da stellte sich allmählich durch innere Gründe die Unmöglichkeit heraus, daß anthroposophische Bewegung weiter zusammen wirke mit der theosophischen Bewegung. Denn heute - auch das wird sich uns in den weiteren Vorträgen zeigen -artet jede Art von Bewegung, die sich auf diese drei Gebiete, auf Kos­mologie, auf Philosophie und Religion in einem mehr theoretischen Sinne beschränkt, es artet jede solche Bewegung in ein zuletzt uner­trägliches Dogmengezänke aus. Und ein Dogmengezänke, das sich im Grunde genommen in Nichtigkeiten bewegte, war es, was dann äußer­lich die Abtrennung der anthroposophischen Bewegung von der theo­sophischen bewirkte.

Es ist selbstverständlich für jeden vernünftigen, mit der Bildung der abendländischen Welt ausgerüsteten Menschen, dasjenige, was dazumal als Dogmen auftrat innerhalb der Theosophischen Gesellschaft, als die Anthroposophische Gesellschaft von ihr abgetrennt wurde, es ist ein solches Dogmengezänke über die Präponderanz indischer Weltanschau­ung oder abendländischer Weltanschauung, eine Diskussion, die so ge­führt wird, wie sie damals geführt wurde, und vor allen Dingen der Dog­menstreit über einen Inderknaben als zukünftigen Christus, etwas, was nicht ernst zu nehmen ist, was durchaus keinen seriösen Charakter tragen kann, sondern im Grunde genommen auf Nichtigkeiten hinausläuft.

Anthroposophische Bewegung aber ist ihren ursprünglichen Anla­gen nach nicht dazu angetan, in theoretischen Streitigkeiten sich zu erschöpfen, sondern sie will unmittelbar in das Leben eintreten, sie

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will im Leben wirken. Und daher ergab sich die innerliche Trennung von der Theosophischen Gesellschaft, als die Notwendigkeit auftrat, aus den Grundbedingungen anthroposophischer Bewegung heraus all­mählich zu künstlerischer, zu sozialer, zu wissenschaftlicher und vor allen Dingen auch zu pädagogischer Wirksamkeit überzugehen. Nicht gleich trat das hervor; aber im Grunde genommen war alles dasjenige, was innerhalb der anthroposophischen Bewegung nach dem Jahre 1912 geschehen ist, nur Dokument dafür, daß diese Bewegung sich ihre selbständige Stellung in der Welt als eine lebenspraktische Bewegung erringen mußte.

Das erste wichtige Aperçu, das sich mir ergab für eine Unmöglichkeit eines innerlichen Zusammengehens mit einer bloßen theosophischen Bewegung, das war mir 1907 vor Augen getreten, als von der Theoso­phischen Gesellschaft ein Kongreß in München veranstaltet worden ist. Die Dinge festzustellen, die zum Programm dieses Kongresses ge­hörten, das oblag ja dazumal mir und meinen Freunden von der Deut­schen Sektion der theosophischen Bewegung. Wir fügten den traditionel­len Programmen, die innerhalb der theosophischen Bewegung figurier­ten, ein eine Vorstellung eines Mysterienspieles von Edouard Schuré:

«Das heilige Drama von Eleusis». Damit vollzogen wir den Übergang von einer bloßen theoretisch-religiösen Bewegung zu einer umfassen­deren Weltbewegung, die auch das Künstlerische als einen notwendigen Faktor in sich aufnehmen muß.

Wir hatten, das stellte sich sehr bald heraus, insofern wir auf an­throposophischem Boden standen, die Aufführung des Dramas von Eleusis als etwas Künstlerisches genommen. Von den Persönlichkeiten, welche innerhalb der Bewegung nur die Befriedigung religiöser Ge­fühle, die manchmal sehr egoistisch sein können, suchten, wurde auch dasjenige, was als ein erster künstlerischer Versuch auftrat, nur im Sinne einer Vorlage für theoretische Interpretation genommen. Man fragte sich daher: Was bedeutet die eine Persönlichkeit des Dramas? Was bedeutet die andere Persönlichkeit? Und man brachte das ganze Drama, man war froh, wenn man das konnte, zuletzt auf eine Art bloßer Terminologie.

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Nun, eine Bewegung, die sich in so einseitiger Weise entwickelt, daß sie nicht die volle Lebenspraxis in sich aufnehmen kann, und die sich auf das charakterisierte Gebiet erstreckt, muß notwendigerweise durch sich selbst eine sektiererische Bewegung werden, muß eine Sek­tenbewegung werden. Anthroposophische Bewegung war vom Anfange an eben nicht dazu veranlagt, eine Sektenbewegung zu werden, denn in ihren Anlagen liegt alles, was zum Gegenteil einer Sektenbewegung führen muß. In ihrer Anlage liegt alles dasjenige, was diese Bewegung zu einer ganz allgemeinen menschlich lebenspraktischen machen muß. Und im Grunde genommen war es das Herausarbeiten aus dem Sek­tiererischen, was nun mit der zweiten Phase der anthroposophischen Bewegung eintrat, die ich das Hineinarbeiten in das Künstlerische nen­nen möchte.

Allmählich kam es dann dazu, daß bei einer größeren Anzahl der nun hinzukommenden Anhänger das Bedürfnis entstand, dasjenige, was nur gedacht wird als Philosophie, als Kosmologie, als religiöser Inhalt, auch vor der unmittelbaren Anschauung zu haben. Das kann aber nur, wenn es letztlich befriedigend auftreten soll, in künstlerischer Weise geschehen. Und so trat denn an mich die Notwendigkeit heran, in mei­nen Mysteriendramen auf künstlerische Weise, zunächst dichterisch, dasjenige zum Ausdrucke zu bringen, was man eigentlich innerhalb solcher Bewegungen bis dahin nur theoretisch zu hören gewöhnt war.

Diese Mysteriendramen dürfen nicht abstrakt theoretisch interpre­tiert werden. Sie gelten der unmittelbaren künstlerischen Anschauung. Und um diese unmittelbare künstlerische Anschauung unter unseren Anthroposophen zu pflegen, wurden diese Mysterien vom Jahre 1910 bis zum Jahr 1913 in München in der Umrahmung von gewöhnlichen Theatern aufgeführt. Aus alldem heraus entstand dann das Bedürfnis, der anthroposophischen Bewegung ein eigenes Haus zu bauen. Und die verschiedenen Verhältnisse, die es dann untunlich erscheinen lie­ßen, dieses Haus in München aufzuführen, brachten uns zuletzt hier herauf auf den Dornacher Hügel, wo dieses Goetheanum erstand, um allmählich eine der anthroposophischen Bewegung entsprechende Stätte zu werden.

Aber gerade dabei zeigte sich, wie diese anthroposophische Bewegung

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ihrer ganzen Anlage nach als etwas Allgemein-Menschliches auf­gefaßt und gewollt werden muß. Was wäre geschehen, weim irgend­eine andere, theoretische religiöse Bewegung genötigt gewesen wäre, sich ein eigenes Haus zu bauen? Diese Bewegung, das kann man ja in einem solchen Falle leider nicht umgehen, hätte selbstverständlich zunächst Gelder gesammelt bei ihren Freunden, dann hätte man sich an einen Baumeister gewandt, der im antiken oder im Renaissance-, im gotischen oder im Barockstil oder in einem ähnlichen Baustil, der eben traditionell gewesen wäre, einen Bau ausgeführt hätte.

Dies erschien mir in dem Augenblicke, als die anthroposophische Bewegung so glücklich war, zu einem eigenen Haus zu kommen, eine völlige Unmöglichkeit. Denn dasjenige, was innerlich organisch lebens-voll ist, setzt sich niemals aus zwei heterogenen oder aus mehreren heterogenen Stücken zusammen. Was hätte das Wort, das aus anthro­posophischem Geiste heraus gesprochen worden wäre, in einem Barock-, in einem antiken oder einem Renaissancebau mit den Formen zu tun gehabt, welche einen dann ringsherum umgeben hätten? Eine theore­tische Bewegung ist eben nur imstande, sich durch Ideen, durch Ab­straktionen auszusprechen. Eine lebensvolle Bewegung wirkt in alle Zweige des Lebens mit ihren charakteristischen Impulsen hinein. Und was Anthroposophie als Lebens-, Seelen- und Geistespraxis ist, das er­fordert, daß die Form, die einem bei der Umhüllung entgegentritt, daß das Malerische, das einem von der Wand entgegenleuchtet, daß die Säulen, die einem entgegentreten, daß alle diese Formen und Far­ben dieselbe Sprache sprechen, welche theoretisch in Ideen, in abstrak­ten Gedanken gesprochen wird. Jede solche lebensfähige Bewegung, die in der Welt auftrat, war in dieser Weise umfassend. Die antike Baukunst steht nicht als etwas der antiken Kultur Fremdes gegenüber. Sie ist herausgewachsen aus demjenigen, was im übrigen Theorie und Lebenspraxis war. Ebenso die Renaissance, und ganz besonders zum Beispiel die Gotik, auch das Barock.

Sollte die Anthroposophie nicht etwas Sektiererisches, etwas Theo­retisches bleiben, so mußte sie zu ihrem eigenen Bau-, zu ihrem eigenen Kunststil kommen. Diesen Bau-, diesen Kunststil, ich sagte es schon, man kann ihn heute noch ungenügend finden oder vielleicht sogar

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paradox, aber die Tatsache besteht, daß Anthroposophie ihrer ganzen Veranlagung nach nicht anders konnte, als sich ihre eigene, für sie charakteristische Umhüllung schaffen. Lassen Sie mich einen Vergleich gebrauchen, der scheinbar trivial ist, der aber das Wesentliche aus­spricht. Nehmen Sie eine Nuß. Sie haben den Kern der Nuß, Sie haben die Schale. Es ist unmöglich, daß bei dem organischen Gebilde der Nuß die Schale aus anderen Kräften hervorgehe als der Kern. Dieselben Kräfte, die den Kern bilden, sie bilden auch die Schale, denn Schale und Kern sind ein Ganzes. So aber wäre es gewesen, wenn von einem fremden Baustile das anthroposophische Wollen eingehüllt worden wäre. Es wäre, wie wenn die Nuß in einer ihr fremden Schale auf­treten würde. Dasjenige, was naturhaft ist, und das ist anthroposophi­sche Anschauungsweise, das bringt Kern und Schale hervor, und beides spricht das gleiche aus. So mußte es hier geschehen. So mußte unmittel­bar, nicht in eine Symbolik, nicht in eine Allegorie, sondern in unmit­telbares künstlerisches Schaffen das anthroposophische Wollen einflie­ßen. Wenn hier in Gedanken gesprochen wird, so sollen diese Gedanken keinen anderen Stil haben als dasjenige, was als Bau- und Kunststil am Goetheanum vorhanden ist. So wuchs wie von selbst anthroposo­phische Bewegung in künstlerische Bestrebungen hinein.

Es war dies nicht ganz leicht, denn ganz stark machen sich die sektiererischen Tendenzen gerade heute geltend, gerade bei dem nach religiösen Aufschlüssen verlangenden Menschenherzen. Jene innere Freiheit und Offenheit der Seele, die es als selbstverständlich findet, den Übergang zu suchen von demjenigen, was der Seelenorganismus als religiöse Befriedigung anstrebt, zur äußeren, auch künstlerischen Of­fenbarung des Geistigen und Seelischen, diese Gesinnung ist vielleicht gerade bei denen wenig zu finden, die in ganz aufrichtiger und inniger Weise in der charakterisierten Art ihre Seelenbefriedigung suchen. Aber anthroposophische Bewegung richtet sich nicht nach den Sympathien und Antipathien dieser oder jener Menschen, sondern anthroposophi­sche Bewegung kann sich nur nach dem richten, was in ihren eigehen Anlagen liegt, die aber allerdings innig zusammenhängen mit den Be­dürfnissen und Sehnsuchten des Zeitgeistes, wie wir wohl auch in den nächsten Tagen näher sehen werden.

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Und so waren wir daran, in dasjenige praktische Gebiet Anthro­posophie hineinzuführen, das uns zunächst zugänglich war. Ich habe in der Zeit, in der wir uns also in die Kunst hineinarbeiteten, manch­mal innerhalb des Kreises der Anhänger der anthroposophischen Be­wegung ein paradoxes Wort ausgesprochen. Ich habe gesagt: Anthro­posophie will auf allen Gebieten in das praktische Leben hinein. - Man läßt uns heute zunächst nicht in die Welt hinein mit der Lebenspraxis, sondern nur in diejenigen Gebiete, die die Welt bedeuten, auf die Bühne oder höchstens in die Kunst, obwohl man da auch viele Türen zuschließt. Aber ich sagte: Am liebsten würde ich aus anthroposophischem Geiste heraus Banken gründen. - Das mag paradox geklungen haben; es sollte nur in seiner paradoxen Art andeuten, wie mir Anthroposophie als das erschien, was nicht nur theoretische oder einseitig religiöse sektiere­rische Bewegung sein soll, sondern was in alle Gebiete des Lebens be­fruchtend hineinwirken soll und nach meiner Überzeugung auch kann.

Damit wären wir an diejenige Zeit herangekommen, welche aus dem allgemeinen katastrophalen Menschenchaos heraus ganz besondere Be­dürfnisse für die gegenwärtige Menschheit zeitigte, wir waren heran-gelangt bis zu der furchtbaren Kriegskatastrophe. 1913, im September, hatten wir den Grundstein zu diesem Bau gelegt. 1914 waren wir mit seinem Anfange beschäftigt, als die Kriegskatastrophe über die Mensch­heit hereinbrach. In diesem Zusammenhange will ich nur sagen, daß in der Zeit, in der Europa in nationale Aspirationen gespalten war, die wenig und immer weniger Berührungspunkte miteinander hatten, daß es uns in dieser Zeit hier in Dornach gelungen ist, immerdar während des ganzen Kriegsverlaufes eine Stätte zu haben, in der sich Persön­lichkeiten aller Nationalitäten begegnen konnten und in ausgiebigem Maße auch wirklich zum Zusammenwirken in Frieden und im Geiste sich zusammenfanden. Das war etwas, was von einem gewissen Ge­sichtspunkte aus mit tiefer Befriedigung erfüllen konnte, daß hier im Goetheanum eine Stätte war, wo, während die Nationen sich sonst zer­fleischten und verbluteten, sich Angehörige aus allen europäischen Na­tionen zu friedwärtigem geistigem Zusammenarbeiten fanden. Damit habe ich Ihnen die zweite Phase unserer anthroposophischen Bewegung charakterisiert.

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Während der Kriegsdauer war ja das äußere Wirken der anthroposo­phischen Bewegung vielfach gelähmt. So viel innerhalb ihrer geleistet werden konnte, wurde aber versucht. Ganz abgesehen aber von diesen äußeren Vorgängen konnte man durch die ganze Kriegsdauer hindurch sehen, wie innerhalb weiter Menschheitskreise das Bedürfnis nach sol­chen Erkenntnissen wuchs, wie sie nach meiner Überzeugung durch die Anthroposophie gegeben werden können. Und man kann sagen, nachdem die Kriegskatastrophe zunächst 1918 einen äußerlichen Ab­schluß gefunden hatte, war in einem unbegrenzten Maße das Interesse für eine solche Bewegung, wie sie die anthroposophische sein will, gewachsen. Dann aber, als der Herbst 1918 hereinbrach und das Früh­jahr 1919, da kamen zunächst eine Anzahl von Freunden aus Deutsch­land zu mir, speziell aus Stuttgart, und die Aspirationen dieser Freunde leiteten eigentlich die dritte Phase unserer anthroposophischen Bewe­gung ein. Denn aus diesen Aspirationen heraus war die anthroposo­phische Bewegung genötigt, gewissermaßen ihre Impulse nun auch in das soziale Leben der Menschheit im weitesten Umfange hineinzu­strahlen.

Ein anderes Gebiet als Deutschland und speziell Süddeutschland, Württemberg, war ja der anthroposophischen Bewegung in diesem Zeitraume nicht zugänglich. Aber man wollte innerhalb desjenigen Gebietes wirken, innerhalb dessen sich eben wirken ließ. Und dieses Wirken hatte selbstverständlich in der Zeit seines Auftretens auf sozia­lem Gebiete eine gewisse Farbnuance angenommen von dem, was ge­rade in Süddeutschland das damals Maßgebliche war. Und dieses Maß­gebliche war eigentlich das soziale Chaos. Man kann schon sagen, ein unbeschreibliches Elend auch in physisch-materieller Beziehung lastete dazumal über Mitteleuropa. Aber selbst dieses unermeßlich große phy­sisch-materielle Elend war eigentlich für den, der solche Dinge unbe­fangen zu beobachten vermag, klein gegenüber der seelischen Not. Diese seelische Not hatte ja auch die Menschheit gerade in bezug auf das soziale Wollen in eine Art von Chaos auf diesem Gebiete geworfen. Man fühlte, in bezug auf das soziale Leben war die Menschheit vor die allerursprünglichsten Fragen der Menschheitsentwickelung überhaupt gestellt. Die Fragen, die einst Rousseau aufgeworfen hat, die Fragen,

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welche dann eine äußere Gestaltung in der Französischen Revolution erfahren haben, sie rührten nicht so stark an die ursprünglichsten, ele­mentarsten menschlichen Sehnsuchten und Bedürfnisse, wie die Fragen, die eigentlich im Jahre 1919 auf den Gebieten da waren, auf denen wir gerade zu wirken hatten.

Alles, was seit Jahrhunderten den sozialen Organismus, wie er sich aus den verschiedenen Völkerschaften heraus gebildet hat, konstituierte, das kam in Frage. Und aus dieser Stimmung heraus entstand sowohl mein kurzer «Aufruf» über die Dreigliederung des sozialen Organismus «an das deutsche Volk und an die Kulturwelt», wie auch mein Buch «Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft», und aus dieser Stimmung heraus entstand dann alles dasjenige, was zunächst innerhalb Süddeutschlands an Be­handlung der sozialen Frage unternommen worden ist. Damals war es im Grunde genommen notwendig, aber ungeheuer schwierig, an die Elementarsehnsuchten der menschlichen Herzen zu rühren. Die Men­schen mußten aus physischem und seelischem Elend heraus abstrakt nach einem Größten suchen, und nach der Verfassung der Zeit waren sie unfähig dazu. Und gar mancher sagte mir am Schlusse dieser oder jener Rede, die ich gehalten habe: Das mag alles schön sein, aber es beschäftigt sich ja damit, wie es in der Zukunft unter den Menschen ausschauen soll; wir sind so oft dem Tode gegenübergestanden in den letzten Jahren, daß uns das Denken über die Zukunft gleichgültig ge­worden ist. Warum sollten wir jetzt mehr Interesse der Zukunft ent­gegenbringen, als wir ihr entgegenbringen durften, als die Kanonen auf unsere Leiber gerichtet waren! - So ungefähr charakterisierte man immer wiederum die durch das Elend und die Not gegebene Interesse­losigkeit gegenüber dem Notwendigsten in der Menschheitsentwicke­lung.

Aus dem, was dazumal meiner Freunde Herzen und Seelen bewegte, entstand dann, ich möchte es nennen ein Spezialgebiet sozialen Wir­kens, indem man sich sagte: Für die Zukunft kann man vielleicht nur in der wirksamen Weise vorarbeiten, wenn man sich an die Jugend, wenn man sich an die Kindheit der Menschheit wendet. - Und unser Freund Emil Molt in Stuttgart, der selbst Fabrikant und Unternehmer

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ist, trat in den Dienst gerade eines solchen Wollens. Er begründete zu­nächst mit den Kindern seiner Waldorf-Astoria-Fabrik die Waldorf-schule in Stuttgart, und mir wurde zunächst die pädagogisch-didak­tische Durchführung des Waldorfschul-Planes übertragen.

Man hatte in der Zeit, die der Kriegskatastrophe vorangegangen ist, viel erlebt an allerlei Erziehungs- und pädagogischen Versuchen. Hier handelte es sich nicht um die Begründung von Landerziehungsheimen, nicht um die Begründung irgendwelcher, aus Partialwünschen hervor­gehender Sonderschulbestrebungen, hier handelte es sich um etwas, was im ganzen Rahmen des sozialen Menschheitsstrebens gelegen ist. Wir werden ja über all diese Grundlagen einer Waldorfschul-Pädagogik in den nächsten Tagen zu sprechen haben. Hier will ich nur so viel an­deuten, daß Anthroposophie, wie sonst, so auch hier genötigt war, mit der Realität, mit der vollen Realität zu rechnen. Wir konnten nicht irgendwo in der schönen freien Waldnatur draußen ein Landerziehungs­heim gründen, wo man alles dasjenige machen kann, was einem gefällt; wir hatten ganz bestimmte reale Verhältnisse zunächst. Wir hatten die Kinder einer Kleinstadt, mußten eine Schule in der Kleinstadt begrün­den, waren angewiesen darauf, dasjenige, was durch diese Schule auch vielleicht mit den sozial höchsten Zielen geleistet werden sollte, aus rein pädagogisch-didaktischer Fundierung heraus zu leisten. Wir konn­ten uns weder Lokalität noch Schüler aussuchen etwa nach Ständen oder Klassen. Wir hatten fest gegebene Verhältnisse und waren ange­wiesen darauf, dasjenige, was wir tun konnten, aus dem Geiste heraus zu tun. So entstand als eine ganz notwendige Konsequenz der anthro­posophischen Bewegung ihr Wirken auf pädagogisch-didaktischem Ge­biete, das uns ja in den nächsten Tagen ganz besonders beschäftigen soll.

Die Waldorfschule in Stuttgart, die nun längst nicht mehr das ist, was sie im Anfang war, nämlich eine Schulanstalt für die Kinder der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik, diese Waldorfschule ist schnell eine Schule für alle Stände geworden, und von überailher strebt man heute schon darnach, die Kinder in diese Waldorfschule zu bringen. Von hun­dertvierzig Kindern, mit denen wir die Schule begründet haben, ist sie jetzt angewachsen zu sechshundert Kindern, und die Anmeldungen stellen

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sich jedesmal in erhöhter Zahl ein. Wir haben in den letzten Tagen den Grundstein zu einem Neubau für diese Schule legen müssen und hoffen, daß wir sie trotz aller Schwierigkeiten, die heute gerade einem solchen Wirken gegenüberstehen, immerhin doch zu gewissen Entfal­tungsmöglichkeiten bringen können.

Aber betonen muß ich, daß das Wesentliche dieser Schule in dem Pädagogisch-Didaktischen liegt, in der Anpassung dieses Pädagogisch-Didaktischen an die gegebenen realen Verhältnisse des Lebens, in dem Sich-Halten an die unmittelbare Lebenspraxis. Wenn man sich die Klasse auswählen kann, aus der man die Schüler nimmt, wenn man sich die Lokalität der Schule auswählen kann, so ist es eben ein leichtes, damit eine eingebildete oder vielleicht auch eine wirkliche Schulreform durchzuführen; es stellt aber eben Aufgaben, welche wiederum zusam­menhängen mit den Urimpulsen alles Menschlichen, wenn aus rein päd­agogisch-didaktischer Fundierung eine solche Schule gegründet und weitergeführt werden soll.

Damit aber war während der dritten Phase unserer anthroposo­phischen Bewegung diese Bewegung ausgedehnt worden auf das soziale und das pädagogische Gebiet. Und wegen dieses letzteren sind Sie ja hierher gekommen, und dieses pädagogische Gebiet wird uns in den nächsten Tagen ganz besonders zu beschäftigen haben. Es ist tatsäch­lich erst der Anfang gemacht worden damit, in der äußeren Wirklich­keit auszubauen, was der anthroposophischen Bewegung durch ihre Anlagen von allem Anfange an als ihr Fundament gegeben war.

Zu dem, was dann hinzugekommen ist, gehört, daß eine große An­zahl von Menschen in den letzten Jahren mit wissenschaftlicher Bil­dung und mit wissenschaftlichen Aspirationen sich gefunden haben, welche einsahen, daß die anthroposophische Bewegung auch das un­mittelbar wissenschaftliche Leben der Neuzeit befruchten kann Me­diziner fanden sich, welche durchdrungen waren davon, daß die an die äußere Beobachtung und an das äußere Experiment allein sich haltende Naturwissenschaft den gesunden und kranken menschlichen Organismus nicht in seiner Totalität zu begreifen vermag. Ärzte fanden sich, welche die zu überwindenden Grenzen der heute geltenden Medi­zin in dieser Art tief empfanden, vor allen Dingen die Kluft tief empfanden,

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welche heute für die anerkannte Medizin besteht zwischen der Pathologie und Therapie. Pathologie und Therapie stehen heute wie unvermittelt nebeneinander. Anthroposophie, die ihre Erkenntnisse nicht nur durch das äußere Experiment, durch die Beobachtung und den kombinierenden Verstand sucht, sondern mit denjenigen Mitteln, die ich in den nächsten Tagen charakterisieren werde, sie betrachtet den Menschen nach Leib, Seele und Geist, und faßt den Geist in sei­ner Lebendigkeit, nicht in seiner Abstraktion als eine Summe von Ge­danken, wie das in der neueren Zeit üblich geworden ist. Damit aber konnte Anthroposophie den Aspirationen gerade solcher Menschen ent­gegenkommen, die zum Beispiel aus der Medizin heraus eine Befruch­tung ihres Gebietes heute dringend suchen. Und so kam es, daß ich zwei Lehrkurse für akademische Mediziner und praktizierende Ärzte hier in Dornach zu halten hatte über dasjenige, was Anthroposophie für Pathologie und Therapie zu leisten imstande ist. Sowohl hier in Dorn­ach, in Arlesheim drüben, wie auch in Stuttgart, sind medizinisch-the­rapeutische Institute entstanden, welche mit eigenen Heilmitteln ar­beiten, welche vor allen Dingen das praktisch fruchtbar zu machen versuchen, was aus Anthroposophie für die Menschenheilung, für Men­schengesundheit und Krankheit kommen kann.

Und auch von anderer Seite haben die einzelnen Wissenschaften die Befruchtung gesucht durch die Anthroposophie. Physikalische, astronomische Kurse mußten gehalten werden. Nach den verschieden­sten wissenschaftlichen Gebieten hin mußte von der Anthroposophie heraus das geleistet werden, was eben aus einer wirklichen Geist-Er­kenntnis für die heutige Wissenschaft geleistet werden kann.

Diese dritte Phase der anthroposophischen Bewegung charakterisiert sich gerade dadurch, daß man da, wo man streng wissenschaftliche Fundierung fordert, allmählich, wenn das auch heute noch vielfach angefochten ist, dennoch findet, daß diejenige Geisteswissenschaft, wie sie hier gepflegt wird, jeder wissenschaftlichen Forderung nach Fun­dierung genügen kann, daß die Anthroposophie, die hier gemeint ist, mit voller Strenge und im vollen Einklange mit jedem wissenschaft­lichen Ernste arbeiten kann. Indem dieses immer mehr und mehr wird eingesehen werden, wird man verstehen, was in der anthroposophischen

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Bewegung eigentlich von vornherein vor zwanzig Jahren wenigstens veranlagt war.

Daß die verschiedensten Gebiete befruchtet werden können durch Anthroposophie, es zeigt sich ja auch dadurch, daß wir in der Lage waren, in unserer Eurythmie eine besondere Bewegungskunst zu be­gründen, eine Kunst, welche sich des Menschen selber als ihres Aus­drucksmittels, als ihres Instrumentes bedient, und welche gerade da­durch zu ihren besonderen Wirkungen zu kommen sucht. - So versu­chen wir auch auf anderen Gebieten, ich werde davon noch zu reden haben im Laufe der nächsten Tage, zum Beispiel auf dem Gebiete der Rezitations- und Deklamationskunst eine Befruchtung herbeizuführen durch dasjenige, was genannt werden darf nicht anthroposophische Theorie, sondern anthroposophisches Leben.

Und so ist vielleicht doch diese letzte Phase der anthroposophischen Bewegung mit ihrem pädagogischen, medizinischen, ihrem künstle­rischen Einschlage dasjenige, was am meisten für Anthroposophie cha­rakteristisch ist. Anhänger hat die Anthroposophie gefunden; Gegner, wütende Gegner hat sie gefunden; aber sie ist einmal in der Gegenwart in dasjenige Stadium ihres Wirkens eingetreten, das sie eigentlich su­chen muß. Und so war es für mich befriedigend, daß es während mei­nes Aufenthaltes in Kristiania vom 23. November bis zum 4. Dezember dieses Jahres möglich war, das anthroposophische Leben zur Sprache zu bringen innerhalb pädagogischer Gesellschaften, innerhalb staatsöko­nomischer Gesellschaften, innerhalb der Studentenschaft Norwegens und auch innerhalb weitester Kreise, solcher Kreise, die durchaus ge­willt sind, nicht bloß eine Theorie, ein religiöses Sektiererisches entge­genzunehmen, sondern schon dasjenige, was aus dem unmittelbaren Geist unserer Zeit als eine große Menschheitsforderung heute innerhalb der Welt sich offenbaren will.

Diese drei Phasen hat die anthroposophische Bewegung in ihrer Entwickelung aufzuweisen. Indem ich sie kurz vor Ihnen skizzierte, meine Damen und Herren, habe ich vielleicht in einer ausführlicheren Weise zunächst nur den Namen genannt für die anthroposophische Be­wegung. Allein das ist es ja, was ich wollte. Ich wollte Ihnen diese an­throposophische Bewegung heute zunächst einleitungsweise vorstellen,

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das heißt, vor Ihnen ihren Namen nennen, und ich werde mir erlauben, auf unser eigentliches Thema von morgen ab vor Ihnen einzutreten. Diese anthroposophische Bewegung als solche, insbesondere aber mit ihren pädagogisch-didaktischen Konsequenzen, sie ist es, welche Ihnen aus tiefbefriedigter Seele über Ihren Besuch heute den ersten Gruß ent­gegenbringen wollte.

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ZWEITER VORTRAG Dornach, 24. Dezember 1921

Die Erziehungs- und Unterrichtskunst, von der hier in diesen Vorträ­gen gesprochen werden wird, beruht ganz und gar auf Menschenerkennt­nis. Eine Menschenerkenntnis im durchgreifenden Sinne ist aber nur möglich aus einer umfassenden Welterkenntnis heraus, denn der Mensch wurzelt mit allen seinen Fähigkeiten, mit all den Kräften, die er in sich trägt, in der Welt im allgemeinen, und es kann im Grunde genommen eine wirkliche Menschenerkenntnis nur geben, wenn sie aus einer Welterkenntnis heraus entspringt. Man wird daher auch immer sagen, daß ein Zeitalter über das Erziehungs- und Unterrichtswesen diejenigen Ansichten und Ideen hat, welche sich aus seiner Welterkenntnis heraus ergeben. Man wird daher auch nur dasjenige, was man über Erziehungs­und Unterrichtskunst in der Gegenwart zu sagen hat, in der richtigen Weise beurteilen können, wenn man die Erziehungs- und Unterrichtsmaßnahmen der Gegenwart an der allgemeinen Welterkenntnis der Gegenwart prüft. Und da muß es bedeutsam sein, den Blick gerade auf einen Repräsentanten der Gegenwartsidee hinzurichten, auf eine Per­sönlichkeit, welche ganz drinnensteht in dem Vorstellungsleben, in der Weltansicht, wie sie sich im Laufe der letzten Jahrhunderte herausge­bildet hat, wie sie der Menschheit in der Gegenwart zu eigen geworden ist. Nun ist es ja außer allem Zweifel, daß die Menschheit bis in die Gegenwart herein ganz besonders stolz war und zum großen Teile auch heute noch ist auf das, was sich unter dem Einfluß des Intellek­tualismus, wenn wir es so nennen dürfen, in der neueren Zeit ergeben hat.

Die gebildete Menschheit ist im Grunde genommen, wenn sie es auch nicht immer zugestehen will, ganz intellektualistisch geworden. Alles wird durch das Instrument des Intellektes in der Welt betrachtet. Und gerade wenn man den Blick auf diejenigen Namen hinwendet, die einem einfallen, wenn man von dem ersten Aufgang der neuzeitlichen Denkweise spricht, so wird man auf Persönlichkeiten hingelenkt, wel­che durch den Glauben an den Intellekt die neuzeitliche Philosophie

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und die neuzeitliche Lebensansicht begründet haben. Man wird auf Namen wie Galilei, Kopernikus, Giordano Bruno und andere gelenkt, und kommt dadurch auf Vorstellungen, von denen man heute zwar oftmals meint, sie leben nur in den wissenschaftlichen Kreisen; allein, das ist nicht richtig.

Wer heute wirklich mit unbefangenem Blicke zu beobachten ver­mag, was in den weitesten Kreisen der Menschheit an maßgebenden Lebensimpulsen vorhanden ist, der wird finden, daß überall eine Nu­ance naturwissenschaftlichen Denkens darinnen ist; und in diesem na­turwissenschaftlichen Denken lebt doch wiederum der Intellektualis­mus. Man meint, daß man in Beziehung auf moralische Vorstellungen und Impulse, in bezug auf religiöse Ideen und Gefühle unabhängig sein könne von dem, was man naturwissenschaftlich denkt und empfindet. Man wird aber sehr bald sehen, daß man, indem man sich in der Ge­genwart einfach dem überläßt, was durch alle Zeitungen und populären Werke von der Bildungsschichte in die breite Menschheit strömt, man mit alledem sich doch Vorstellungen hingibt, welche so gestimmt sind, daß der Ton einer naturwissenschaftlich gestimmten Saite immer hin­einklingt.

Wer nicht durchgreifend versteht, daß sich der heutige Mensch mit naturwissenschaftlichen Vorstellungen des Morgens zum Frühstücks­tisch hinsetzt und des Abend mit naturwissenschaftlichen Vorstellungen zu Bette geht, daß er seine Geschäfte mit naturwissenschaftlichen Vor­stellungen verrichtet, daß er seine Kinder mit naturwissenschaftlichen Vorstellungen erzieht, der versteht das Leben nicht, denn er glaubt, daß er ganz unabhängig vom naturwissenschaftlichen Denken dastehe im Leben. Es ist aber nicht der Fall. Wir gehen sogar in die Kirche mit naturwissenschaftlichen Vorstellungen, und wenn uns die ältesten, kon­servativsten Ansichten von der Kanzel herab verkündet werden, wir hören sie an mit einem Ohr, das naturwissenschaftlich gestimmt ist. Die Naturwissenschaft aber lebt vom Intellektualismus.

Zwar betont sie bei jeder Gelegenheit, daß sie alles auf Beobach­tung, auf das Experiment und die äußere Erfahrung aufbaue. Aber das seelische Instrument, dessen man sich bedient, indem man das Teles­kop nach den Sternen lenkt, das Instrument, dessen man sich bedient,

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wenn man im Laboratorium Versuche macht über Chemie, über Physik, das ist ein Instrument, das eben das intellektualistische der mensch­lichen Seele ist. Und dasjenige, was der Mensch aus der Natur macht, macht er durch seinen Intellekt.

Nun liegt die Sache so, daß die Menschheit des gebildeten Abend­landes gerade in der neuesten Zeit ganz besonders entzückt geworden ist von all den Ergebnissen, die für die allgemeine Zivilisation durch den Intellektualismus heraufgekommen sind. Man hat gelernt, nunmehr so zu denken: Frühere Epochen der Menschheit waren mehr oder we­niger unintelligent, sie ergaben sich kindlichen Vorstellungen über die Welt. Jetzt sind wir vorgeschritten zu einer intelligenten Auffassung der Welt. - Und man ist dazu gelangt, diese intelligente Auffassung der Welt als das anzusehen, was allein einen festen Boden hat. Man ist in die Furcht verfallen, daß man ins Phantastische hineinkommt, wenn man den Boden des Intellektualismus verläßt.

Derjenige, der im Geist der gegenwärtigen Zeit denkt, der der Geist namentlich auch der letzten Jahrhunderte war, der sagt sich: Zu einer wirklichen Erfassung des Lebens komme ich nur, wenn ich mich an das Intellektuelle halte; sonst laufe ich Gefahr, mich phantastischen Ideen über die Natur und über das Leben hinzugeben. - Das ist auf der einen Seite als eine feste Idee heraufgekommen in der neuesten Zeit.

Nun liegt etwas sehr Bemerkenswertes vor. Dasjenige, was man auf der einen Seite als das Wertvollste anschaut, als das Bedeutsamste für die ganze neuere Zivilisation, es ist auf der anderen Seite gerade in der unmittelbaren Gegenwart zu einer Frage geworden, und am meisten zu einer Frage derjenigen, die es mit der Erziehung und mit der Unter­richtskunst der Menschen ernst meinen. Man hat auf der einen Seite hinzuschauen, wie die Menschheit groß geworden ist durch den In­tellektualismus, und man sieht andererseits heute die Erziehungs-, die Unterrichtsergebnisse des Intellektualismus und erklärt: Wenn man die Kinder nur intellektualistisch erzieht, verkümmern ihre Fähigkeiten, verkümmern ihre menschlichen Kräfte. - Und man sehnt sich darnach, gerade in Erziehungs- und Unterrichtskunst etwas anderes an die Stelle des Intellektualismus zu setzen. Man appelliert an das Gemüt, an den Instinkt, man appelliert an die Moralimpulse, an die religiösen Impulse

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des Kindes. Man will etwas haben, was abliegt vom Intellekt. Aber was brauchte man, um das zu finden, was man da haben will? Man brauchte eben eine durchgreifende Menschenerkenntnis, die wiederum nur sein kann die Konsequenz einer durchgreifenden Welterkenntnis. Wie die gegenwärtige Welterkenntnis über die Erziehung denkt, das kann man eben, wie ich eingangs bemerkte, bei einer repräsentativen Persönlich­keit ganz besonders ersehen. Und eine solche repräsentative Persön­lichkeit scheint, wenn man alles erwägt, was dabei in Betracht kommt, Herbert Spencer zu sein.

Ich führe Herbert Spencer nicht etwa deshalb an, weil ich glaube, daß seine Erziehungsansichten in erster Linie für den Pädagogen heute in Betracht kommen; ich weiß, wieviel man gegen sie einwenden kann, und wie sehr man sie, indem sie einem gewissermaßen als etwas Laien­haftes erscheinen, ausbauen muß. Aber auf der anderen Seite ist Her­bert Spencer eine Persönlichkeit, die mit ihrem ganzen Vorstellungs­leben in all dem fußt, was im Laufe der letzten Jahrhunderte an all­gemeiner Menschheitsbildung heraufgekommen ist. Wenn Emerson von repräsentativen Persönlichkeiten gesprochen hat, und eine Reihe sol­cher für die Entwickelung der Menschheit repräsentativen Persönlich­keiten angeführt hat, in Swedenborg, in Shakespeare, in Goethe und Dante, so muß man sagen, für die Gegenwart, für dasjenige, was die Gegenwart fühlt, empfindet und denkt, ist gerade Herbert Spencer in allererster Linie der repräsentative Mensch. Und wenn auch bei den­jenigen Menschen, die im Sinne der modernen Zivilisation denken, dieses Denken je nach der Nationalität, eine französische, eine italie­nische, eine russische Nuance hat: über diese Nuancen hinausgehend ist dasjenige, was man bei Herbert Spencer an Art des Denkens findet maßgebend für die ganze Gegenwart. Weniger sind die Ergebnisse maßgebend, zu denen Herbert Spencer in seinen vielen Büchern für die meisten Gebiete des Lebens gekommen ist, aber die Art, wie er denkt die lebt in einem ganz unermeßlichen Grade im Grunde genommen in allen Gebildeten der Gegenwart, die von Wissenschaft beeinflußt sind und die das Leben nach der Wissenschaft einrichten möchten. Deshalb muß dem, der nicht vom eingeschränkten Schulstandpunkte aus, son­dern vom weltmännischen Standpunkte aus die Stellung der heutigen

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Gebildeten zu Pädagogik und Didaktik beurteilen will, Herbert Spen­cers Urteil als besonders maßgebend erscheinen.

Es wächst ja alles bei ihm heraus aus intellektualistischer Naturwis­senschaft. Und welche Urteile wachsen aus dieser intellektualistischen Naturwissenschaft bei ihm heraus? Herbert Spencer, der natürlich den Blick vor allen Dingen darauf gerichtet hält, wie sich aus niederen Lebewesen allmählich der Mensch herausgebildet hat, wie der Mensch nun in seinem fertigen Zustande zu den niederen Lebewesen steht, er frägt sich: Erzieht man heute die Kinder, die Jünglinge und Jungfrauen im Sinne dieser naturwissenschaftlichen Denkungsarten? - Und diese Frage beantwortet er sich mit nein.

Er hat in seinem Essay über das Erziehungs- und Unterrichtswesen die wichtigsten Fragen der heutigen Pädagogik berührt, zum Beispiel die Frage: Welche Erkenntnis ist die wertvollste? - Er stellt die Frage nach der intellektuellen Bildung, nach der moralischen Bildung, die Frage nach der physischen Entwickelung der Menschen. Aber wie im Zentrum all dieser Betrachtungen steht eines, zu dem man, möchte ich sagen, eigentlich nur als ein ganz im Sinne der Gegenwart denkender Mensch kommen konnte. Er sagt: Wir erziehen heute unsere Kinder so, daß sie ihren Körper in entsprechender Weise benutzen lernen, daß sie ihn im Sinne seiner Einrichtungen im Leben benützen können. Wir erziehen die Menschen so, daß sie in ihr Gewerbe, in ihren Beruf hinein­passen. Wir erziehen sie so, daß sie gute Staatsbürger sein können. Wir erziehen sie vielleicht auch nach unseren Anschauungen zu sittlichen, zu religiösen Menschen, aber wir erziehen sie zu einem nicht: wir er­ziehen sie nicht selber zu Erziehern.

Und das ist es, was Herbert Spencer an aller Pädagogik und Didak­tik heute vermißt: daß im Grunde genommen die Menschen nicht zur Kunst der Erziehung erzogen werden. Das drückt er so aus, daß er sagt: Wir erziehen die Menschen dazu, daß sie sich physisch ihres Leibes bedienen können, daß sie ihren Beruf ausfüllen können, daß sie im Staate ein wichtiges Glied sein können; aber wir erziehen sie nicht zu Eltern und Erziehern.

Nun sagt er als echter naturwissenschaftlicher Denker: wie in der natürlichen Entwickelung des Menschen der Abschluß dieser ist, daß

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der Mensch Nachkommen erhält, daß er fortpflanzungsfähig wird, so müßte auch in der Erziehung der Abschluß der sein, daß der Mensch die Fähigkeit erlangt, die aufwachsenden Kinder in der richtigen Weise zu erziehen und anzuleiten. - Das ist im Sinne eines Gegenwartsmen­schen ganz richtig gedacht.

Aber zu welchen Urteilen kommt nun Herbert Spencer, indem er den Blick auf die Erziehungspraxis der Gegenwart hinlenkt? Er drückt das durch ein drastisches Bild aus, von dem ich glaube, daß es sehr gut ist. Er sagt: Wir haben großartige Erziehungsforderungen, Erzie­hungsideale - und Herbert Spencer wird diesen Erziehungsidealen, die­sen Erziehungsforderungen, diesen Regeln voll gerecht; er wird zum Beispiel auch Pestalozzi voll gerecht -, aber er frägt nun nicht: Sind theoretisch diese Erziehungsprinzipien, diese Erziehungsmaximen schön, sympathisch? - Sondern er frägt: Wie ist die Erziehungspraxis, wie geht es in der Schule zu? - Und dafür findet er nun ein drastisches Bild. Er sagt: Man nehme nun einmal einen zukünftigen, sagen wir, in fünf bis sechs Jahrhunderten lebenden Archäologen, der das, was in unserer Gegenwart geschieht, aus den Dokumenten, Archiven ausgräbt, wie unsere Archäologen gewohnt sind, das auszugraben, was in früheren Epochen war; diesem Archäologen käme eine Beschreibung der heuti­gen Schulpraxis in die Hände. Er wird da sehen: Ja, die Kinder wer­den durch die Grammatik angeleitet, in die Sprache sich hineinzuleben. Aber was sie in der Grammatik lernen, das sieht man ja, das trägt gar nichts dazu bei, die Sprache im Leben zu handhaben. Und dann findet man: eine große Anzahl dieser Kinder muß Griechisch und Latein ler­nen, muß andere Sprachen lernen, die längst tot sind. Also ist das Er­ziehungsreglement eines Volkes, das keine eigene Literatur hat, das nicht viel lernen kann und erfahren kann, wenn es sich mit der eigenen Literatur befaßt; es muß sich daher mit alten Literaturen befassen. Und wenn auch viel geredet wird, daß die Erziehung ins Leben führen soll, man sieht an allem, was in der Schule getrieben wird, wie wenig diese Schule für das Leben eigentlich vorbereitet. Ah - denkt sich die­ser Archäologe -, das kann nicht die allgemeine Schulpraxis dieser Generation gewesen sein! Da ist mir zufällig - dem Archäologen fallen ja natürlich die Dokumente zufällig von dem einen oder dem anderen

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in die Hände -, da ist mir zufällig die Schulpraxis für einen heranzu-bildenden Mönchsorden in die Hände gefallen!

So drastisch drückt sich immerhin ein Weltmann der Gegenwart über dasjenige aus, was ihm als Eindruck kommt, wenn er die Schul-praxis ins Auge faßt. Und er sagt, natürlich von seinem Gesichtspunkte aus, daß sich nun die also gebildeten Menschen dann, wenn sie erwach­sen sind, dem Leben gegenüber nicht wie lebensfremde Mönche beneh­men, das rührt einzig und allein davon her, daß das Leben eben seine grausamen Forderungen stellt. Aber ungeschickt benehmen sie sich doch in ihm, weil sie eigentlich als Mönche erzogen sind und nun in der Welt zurechtkommen sollen. Man kann da schon hineinblicken in den Eindruck, den nun die Lehr- und die Erziehungspraxis gerade auf ein solches weltmännisches Menschenwesen macht.

Man kann auf das, was unsere moderne Anschauung, auf die wir so stolz geworden sind, dem Menschen für seine eigene Erkenntnis geben kann, am besten kommen, wenn man sich die Frage eben lebenspraktisch beantwortet, wenn man sich frägt: Was kommt nun für den Menschen zustande in bezug auf die Auffassung seines eigenen Lebenswertes, wenn er allüberall von Vorstellungen umgeben ist, die aus der intellektuali­stisch-naturwissenschaftlichen Erfassung des Lebens hervorgehen? -Man braucht sich ja nur einmal vor die Seele zu führen, welche Welter-kenntnis dadurch zustande kommt, und man wird fühlen und empfin­den, welche Menschenerkenntnis dadurch zustande kommen kann.

Wir können in großartiger Weise das, was in der leblosen Natur vorhanden ist, durch unsere Naturgesetze zusammenfassen. Wir geben uns ja wohl auch den Illusionen hin, daß wir dadurch auch Verständnis gewinnen für das Lebendige, für den Organismus. Nun, ich will heute nicht über diese Illusionen sprechen; aber das gilt, daß wir eigentlich in Gemäßheit der heutigen Zivilisation uns vorzugsweise Vorstellungen hingeben, welche über das Aufschluß geben, was außerhalb des Men­schen liegt. Wir bilden uns großartige physikalisch-chemische Vorstel­lungen, und wir können dann doch nicht anders, als diese Vorstellun­gen auszudehnen, wenn auch zunächst nur hypothetisch, über die ganze Welt. Gewiß, es gibt heute schon viele Menschen, welche die Berechtigung

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bestreiten, das, was wir im Laboratorium lernen, was uns durch das Teleskop überliefert wird und durch das Mikroskop, für eine allgemeine Weltvorstellung anzuwenden. Aber der Mensch kann eben nicht anders, als zu einer solchen Anwendung kommen. Und er kann auch nicht anders, als eine solche Anwendung dann auf sein Gefühl, auf seine Empfindungen wirken zu lassen. Und dehnt man dann, wenn auch, wie gesagt, nur hypothetisch, die im Laboratorium und auf der Sternwarte gewonnenen Vorstellungen auf Erden- und Weltenanfang, auf Erden- und Weltenende aus, wozu kommt man?

Nun, wenn auch heute die sogenannte Kant-Laplacesche Theorie vielfach modifiziert ist, das Allgemeine gilt doch: man kommt zu einem Anfangszustande von Erde und Welt, der in dem bekannten Urnebel besteht. Der Urnebel läßt sich aber doch nur nach aeromechanischen Gesetzen begreifen. Und wir verfahren ja auch so. Wir sehen auf einen Anfangszustand der Welt oder der Erde hin, der sich nur begreifen läßt nach dem, was wir durch die Aeromechanik gelernt haben. Da ist nichts Seelisches, da ist nichts Geistiges darinnen. Wenn dann Men­schen nach ihren Herzens- und Seelenbedürfnissen sich etwas anderes vorstellen müssen, dann kommen sie zu allerlei seelisch-göttlichen, geistig-göttlichen Wesen, welche auch noch da waren außer dem, was aeromechanisch angenommen wird, und welche eine, ich möchte sagen, kosmische Geschicklichkeit besitzen, um dasjenige plastisch zu gestal­ten, oder in anderer Weise zu formen, was da als ein Urnebel vorhanden ist. Der Mensch, namentlich der Mensch mit seinen seelisch-geistigen Kräften und Fähigkeiten, ist nicht in diesem Urnebel drinnen enthalten, er wird gewissermaßen aus dem herausgeworfen, was mit dieser Welt­anschauung und Weltphilosophie umfaßt wird. Derjenige, der sich dann ganz eingewöhnt hat in den Gedanken, daß nur die intellektua­listische Naturwissenschaft Gewißheit gibt, wird natür]ich doch in herbe Zweifel hineinkommen, wenn er außer dem, wozu er sich nach den Gesetzen der Aeromechanik berechtigt glaubt, noch Seelen- oder Geisteswesen in den Beginn des Erdenanfangs oder des Weltanfangs setzen muß.

Wenn der Mensch also hypothetisch auf Erdenende und Welten-ende hinblickt dann muß er nach den physikalischen Gesetzen verfahren.

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Und da tritt vor seine Seele hin der sogenannte zweite Haupt­satz der mechanischen Wärmetheorie, der besagt, daß alle lebendigen Kräfte ineinander umgewandelt werden, daß aber, wenn sie in Wärme umgewandelt werden, oder Wärme in sie umgewandelt wird, der Ge­samtvorgang immer der ist, daß Wärme übrigbleibt, so daß zuletzt für die gesamten Prozesse der Erde sich der Zustand ergeben muß, daß alles, was sonst an lebendigen Kräften vorhanden ist, sich in Wärme-kräfte umgewandelt hat. Es wird nichts mehr an Kräften bleiben, als:

Differenzen von Wärmezuständen. Der sogenannte Wärmetod wird alles ergreifen. Wir schauen dann auf das Erdenende hin als auf einen großen Friedhof, in dem alles begraben liegt, was die Menschen jemals aus ihrem Seelischen hervorgebracht haben an intellektuellen, an mora­lischen Idealen, an religiösen Impulsen. Das alles enthüllt sich als Illu­sion, die wie ein Nebel, ja weniger als ein Nebel auftaucht in dem Menschen, der hineingestellt ist zwischen einen Erdenanfang, der nichts Menschliches enthält, und ein Erdenende, das wiederum nichts Mensch­liches enthält. Es enthüllt sich alles dasjenige, was der Mensch ist, vor diesem intellektualistisch-naturwissenschaftlichen Blicke als eine Illu­sion.

Nun, in der Theorie nimmt sich dieses ja zunächst so aus, als ob man darüber hinwegkommen könnte, als ob man sich sagen könnte:

Das ist eben Theorie. - Allein, wenn auch die Menschen heute noch nicht alle Etappen durchmachen, die von dieser Theorie zu den Lebens-empfindungen hin vorhanden sind, in den allgemeinen Lebensempfin­dungen der heutigen Menschheit lebt doch die Konsequenz dieser Vor­aussetzungen. Wir denken über das Leben so, als wenn die Erde mit dem menschenleeren Urnebel begonnen hätte, als ob sie dem Zustande des Wärmetodes entgegenginge, wo wiederum alles Menschliche be­graben sein wird. Man hat nicht den Mut, sich klarzumachen, wo der Anfang dieser heutigen Empfindungen liegt. Aber diese Empfindun­gen sind es, die auch für den einfachsten Menschen heute dadurch maß­gebend werden, daß sie durch unsere Journal- und Buchliteratur auf manchmal recht undefinierbarem Wege bis in die breiteste Menschheit hineinfließen.

Und aus diesem Empfinden heraus erziehen wir unsere Kinder. Wir

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erziehen sie ja allerdings auch zuweilen durch religiöse Vorstellungen, aber da kommen wir erst recht an einen Abgrund heran. Denn wenn wir gegenüber dem Anfang, den wir in der Vorstellung über das Leben haben müssen, der auch in unseren Empfindungen weiterlebt, wenn wir neben diesem Anfang nun mit religiösen Vorstellungen kommen, dann werden wir ja unwahr, und das Unwahre rächt sich nicht etwa bloß auf eine Weise, die man äußerlich intellektualistisch begreifen kann, das Unwahre rächt sich durch seine eigene Innenkraft. Eine Un­wahrheit, auch wenn sie nicht zutage tritt, wenn sie sich nicht offen­baren kann, wenn sie auch nur im Unbewußten bleibt, wirkt zerstörend auf das Leben.

Wir kommen in die Unwahrheit hinein, wenn wir nicht daran­gehen, uns völlige Klarheit über diesen Anfang unserer heutigen Emp­findungen zu verschaffen. Diese Klarheit liefert uns nichts anderes, als daß wir mit den modernen Vorstellungen eine Welterkenntnis gewin­nen können, in der der Mensch keinen Platz hat.

Sehen wir auf dasjenige, was uns ja mit Recht als naturwissen­schaftliche Erkenntnis stolz macht: Wir verfolgen die Entwickelungs­reihe der Lebewesen von dem einfachsten, unvollkommensten durch vollkommenere bis herauf zum Menschen, den wir als das Vollkom­menste ansehen. Aber wenn wir uns dann die Frage stellen: Was ist der Mensch seinem Wesen nach? - so beantworten wir uns diese Frage da­mit, daß wir uns sagen: Der Mensch ist eben der Schlußpunkt der Tier-reihe, er ist das vollkommenste Tier. Wir gehen nicht ein auf das We­sen des Menschen. Wir antworten nur: Inwiefern ist der Mensch das vollkommenste Tier? - Und gerade in der Anerkennung solcher Ein­sichten hat es die moderne Menschheit am allerweitesten gebracht. Von diesen Einsichten hat sie ihre Empfindungen am tiefsten beeinflussen lassen.

Wiederum darf ich auf diesem Gebiete Herbert Spencer anführen, weil sein ganzes Empfinden charakteristisch ist für das, was man über­all auf dem Erziehungs-, auf dem pädagogischen Gebiete gerade dann wirksam sieht, wenn die Leute heute anfangen, im Sinne der modernen Gedanken reformieren zu wollen. Sie reformieren ja in der Regel aus diesen Vorstellungen heraus, die menschenfremd sind. Herbert Spencer

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ist da wiederum repräsentativ für dasjenige, was die Lebenspraxis uns heute auf Schritt und Tritt liefert. Herbert Spencer sagt zum Beispiel:

Man müßte die heute übliche Beeinflussung der Kinder durch die Er­wachsenen, durch Eltern oder Erzieher abschaffen. Aus älteren Zeiten sei uns die Unart geblieben, daß, wenn ein Kind etwas Unrechtes tut, wir zornig werden, wir es strafen, wir ihm bemerklich machen, daß wir uns darüber ärgern. Mit einem Worte: wir tun etwas, was in gar keinem Zusammenhange steht mit dem, was das Kind getan hat. Das Kind hat sich vielleicht dazu herbeigelassen, im Zimmer alle möglichen Gegenstände herumliegen zu lassen. Wir sehen das als Erzieher, werden zornig, wir prügeln vielleicht das Kind, ich will gleich das Drastische sagen. Welcher Kausalzusammenhang - und der Naturforscher muß ja nach dem Kausalzusammenhang fragen -, welcher Kausalzusam­menhang besteht zwischen den Prügeln, die hier als eine Wirkung auf­treten, und dem Unordnungmachen? Nicht der geringste!

Herbert Spencer sagt daher: Wir müssen uns zu Missionaren der kausalen Naturvorgänge machen, wenn wir Kinder in der richtigen Weise erziehen wollen. Wir müssen zum Beispiel, wenn wir einen Kna­ben sehen, der neugierig ist, wie kleine Papierschnitzelchen an einer Flamme brennen, wir müssen uns dann sagen: dieser Kabe ist wißbe­gierig. Wir dürfen uns nicht darüber ärgern, daß er eventuell sich selbst beschädigt, oder uns vielleicht das ganze Zimmer anzündet, sondern wir müssen uns zunächst klar darüber werden, daß er wißbegierig ist, und müssen versuchen, ihn möglichst gelinde dazu zu bringen, daß er sich einmal verbrennt; dann wird er in dem, was er erlebt, den rich­tigen Kausalzusammenhang haben. So sollen wir überall sorgen, daß der richtige Kausalzusammenhang eintritt und uns zu Missionaren des Kausalzusammenhanges in der Natur machen.

Man wird heute überall hören, gerade wo man reformieren will, daß diese Maxime die einzig mögliche ist. Und derjenige, der unbefangen ist, wird sagen: Ja, sie ist die einzig mögliche, wenn unsere intellektua­listisch-naturwissenschaftliche Grundempfindung die einzig richtige ist. Es gibt gar keine andere Möglichkeit, als so zu denken über das Erzie­hen und Unterrichten, wenn die naturwissenschaftlich-intellektualisti­sche Richtung das Wahre ist.

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Aber wozu kommt man dann mit aller Erziehungs- und Unterrichts-kunst, wenn man bis ins Extrem hin so vorgeht, wenn man ganz wahr wird in diesem Erziehen und Unterrichten? Man spannt ja den Men­schen ganz und gar ein mit all seinem Empfinden, mit all seinem Denken in dasjenige, was im Laufe der Natur sich vollzieht. Und, was er denkt und empfindet, das ist gewissermaßen nichts weiter mehr als dasjenige, was in der Natur geschieht, was ganz von selbst geschieht, was ge­schieht, wenn der Mensch eben möglichst unbewußt an der Natur sich nur beteiligt. Der Mensch wird dadurch in die äußere Natur ganz ein­gespannt, er wird nicht herausgehoben aus der äußeren Natur, er wird gewissermaßen zu einem Gliede in der Kette der Naturnotwendigkei­ten gemacht.

Da sehen Sie das Umgekehrte von dem, was ich vorhin zu erwähnen hatte. Ich habe vorhin gesagt, der Mensch wird durch die moderne Naturphilosophie aus der Welt herausgeworfen. Man kennt ihn nur noch als das letzte Glied der Naturentwickelung, aber nicht mehr als Menschen. Er wird herausgeworfen, weil man nichts über ihn weiß; weil man nichts über ihn selber aussagen kann, stellt man ihn wiederum hinein in die Natur. Und er soll auch praktisch nicht aus der Natur herausgehoben werden, er soll in die Naturordnung, in die Naturnot­wendigkeit hineingefügt werden. Er soll ganz und gar zu einem solchen Wesen werden, welches den Kausalzusammenhang verwirklicht.

Die Anschauung, die Gedanken über die Natur werfen den Men­schen heraus. Die Erziehungs- und Unterrichtskunst stellt den Men­schen in das Außermenschliche hinein. Man verliert ganz und gar den Menschen. Man macht sich das nur nicht klar, weil man nicht den Mut dazu hat. Aber wir sind heute an einem Weltenwendepunkte, wo man den Mut dazu haben muß, bis in diese Urimpulse der Menschheitsent­wickelung hineinzuschauen, denn der Mensch muß dasjenige, was er vorstellt, zuletzt auch empfinden.

Nun ist das ja heute eine Tatsache, daß uns Menschen entgegen­treten, welche mit gläubigem Gemüte auf dasjenige hinschauen, was naturwissenschaftliche Voraussetzung ist, und sich sagen: Man darf eben einfach über die Welt keine anderen Vorstellungen haben als diese:

Erdenanfang = durch Aeromechanik zu begreifender Nebel; Erdenende

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= Wärmetod, Friedhof. In der Mitte: der Mensch, der zu seiner eigenen Illusion herauswächst aus dem Außermenschlichen, in dem aufsteigen, um ihn zu betrügen, die Illusionen von moralischen Ideen, von religiösen Impulsen, von allerlei sonstigen Idealen, und der sich zuletzt um all dieses betrogen sieht, weil alles das doch auslaufen muß in den allgemeinen Friedhof.

Eine tragische Stimmung kommt dann über solche Menschen. Sie sind aber nur diejenigen, die das in besonders drastischer Weise aus-leben müssen, was eigentlich im Unterbewußten im größten Teil der heutigen Menschheit abgelagert ist. Und aus dieser Stimmung heraus erwächst dasjenige, was wir heute in der allgemeinen Zivilisation sehen.

Mit dieser Stimmung können wir nicht erziehen, denn diese Stim­mung ermangelt einer Welterkenntnis, die so stark in sich ist, daß sie zur Menschenerkenntnis vorschreiten kann, zu einer solchen Menschen-erkenntnis, in der der Mensch seinen Wert und sein Wesen findet, so wie er es empfinden muß, wenn er sich wirklich in der Welt als Mensch wissen soll. Wir können heute den Menschen nach Naturnotwendig­keit erziehen. Wir können ihn aber dann nicht zum freien, zum wirklich freien Menschen machen. Wenn wir ihn zum wirklich freien Menschen heranwachsen sehen, so geschieht das, im Grunde genommen, trotzdem wir ihn falsch ausbilden, nicht weil wir ihn richtig ausbilden.

Man kann heute nicht über die Welt nur denken. Man muß heute so über die Welt denken, daß das Denken allmählich übergeht in eine allgemeine Weltempfindung. Denn aus Empfindungen heraus entste­hen die Impulse zur Reform, zum Weiterarbeiten. Anthroposophie will eine solche Welterkenntnis sein, die nicht im Abstrakten bleibt, die in die Empfindung sich hineinlebt und die dadurch zu einer Grundlage für Pädagogik und Didaktik werden kann.

Was wir im Vorstellungsleben durch lange Zeiten begründet haben, tritt uns im äußeren Leben gegenwärtig bereits historisch entgegen. Der Mensch ist durch die Ideen über die Welt, durch seine Welterklä­rung, aus der Welt herausgeworfen worden. Auf dasjenige, was sich da als Vorstellung in den Oberschichten der menschlichen Zivilisation her­ausgebildet hat, antwortet heute das Echo aus den Impulsen von Millio­nen und aber Millionen des Proletariervolkes. Und die zivilisierte Welt

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will nicht einsehen den Zusammenhang zwischen dem, was sie denkt, und dem, was heute aus den Gemütern der Proletarier darauf antwor­tet. Dasjenige, was als eine Empfindung in dem einzelnen Menschen wie eine tragische Stimmung leben kann, daß er sich sagt: Was aus dem Menschen herauskommt an moralischen Idealen, an religiösen Im­pulsen, das sind im Grunde genommen Illusionen, eingezwängt zwi­schen dem nebulosen Erdenanfang und dem Wärmetod der Erde, das tritt uns in der Lebensphilosophie von Millionen und Millionen Pro­letariern heute entgegen. In dieser Lebensphilosophie wird als das ein­zige Reale dasjenige aufgefaßt, was der Mensch im wirtschaftlichen Leben arbeitet und erfährt.

Wie durch die verschiedenen Epochen der Menschheitsentwickelung hindurch gewirtschaftet worden ist, wie gearbeitet worden ist im wirt­schaftlichen Leben, wie produziert worden ist, wie gekauft, verkauft worden ist, wie durch dieses Produzieren, durch dieses Kaufen und Verkaufen die Lebensbedürfnisse befriedigt worden sind, das soll nach dieser proletarischen Weltanschauung, nach dieser proletarischen Welt­philosophie die einzige Wirklichkeit sein. Dagegen alles dasjenige, was im wirtschaftenden Menschen aufsteigt als moralische Anschauung, als religiöse Ideale, als künstlerische Impulse, als Staatsideale, das ist eine Ideologie, das ist etwas im Grunde Illusionäres, das ist ein unwirklicher Überbau über dem einzig Wirklichen der Produktionsprozesse. In die­ser Form ist das, was sich in den Oberschichten der Menschen mehr wie eine theoretische, höchstens noch wie eine religiöse Überzeugung erhalten hat, in den proletarischen Schichten praktische Lebensweis­heit nicht nur, sondern Lebensrealität geworden; das ist dasjenige ge­worden, wonach gehandelt wird.

In dieses Leben ist der Mensch hineingestellt. Aus diesem Leben heraus will er erziehen und muß er erziehen. Aber er muß dieses Le­ben, wenn er erziehen will, wenn er unterrichten will, unbefangen an­schauen können.

Es ist ein Eigentümliches, daß gerade der Intellektualismus mit seinem Gefolge der naturalistischen Lebensauffassung eigentlich den Men­schen nicht tiefer in die Wirklichkeit hineingebracht hat, sondern aus

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der Wirklichkeit herausgebracht hat. Verfolgen Sie frühere Lebens­philosophien von diesem Gesichtspunkte aus: Sie werden überall Le­bensgedanken finden, die geeignet sind, an das Leben irgendwo an­zuknüpfen, denen gegenüber es dem Menschen ja nicht einfallen würde, sie als bloße Ideologie anzusehen. Die Menschen wurzelten eben im Leben, und sie konnten deshalb nicht daran denken, daß ihre Gedan­ken nur wie ein Rauch wären, der aus dem Leben aufsteigt. Heute ist diese Anschauung über einen großen Teil der gebildeten Welt hin Le­benspraxis geworden. Und die Menschheit seufzt unter den Folgen desjenigen, was da geworden ist. Aber die Menschheit will noch nicht einsehen, daß, was in Rußland geschieht und immer weiter geschehen wird in der Welt, das Ergebnis dessen ist, was an unseren Universitäten gelehrt, was in unseren Schulen heranerzogen wird. Es wird gelehrt, es wird herangezogen - in der einen Lokalität hat man nicht den Mut, die Konsequenzen zu ziehen, in der anderen Lokalität geht man bis zu den äußersten Konsequenzen. Man wird das rollende Rad nicht aufhalten können, wenn man nicht bis zur Klarheit gerade auf diesem Gebiet drängt, hier wirklich Ursache und Wirkung einzusehen, wenn man nicht einsieht, daß der Mensch in eine Wirklichkeit hineingestellt ist, innerhalb welcher er sich unmöglich wird bewegen können, wenn er sie bloß intellektualistisch erfaßt. Der Intellektualismus hat als ein Instrument keine Kraft, in die Wirklichkeit einzugreifen.

Ich kannte einmal einen Dichter, der sich schon vor Jahrzehnten die bittersten Vorstellungen gemacht hat über das, was aus dem Men­schen werden müsse, wenn er nur immer mehr in den Intellektualismus hineintreibt. In der Gegend, in der dieser Dichter lebte, hat man eine drastische Vorstellung von intelligenten, intellektualistischen Leuten. Man nennt sie dort nämlich «großkopfet», das heißt, man meint, sie haben große Köpfe, geistig aufgefaßt. Dieser Dichter setzte sich das in ein recht drastisches Bild um. Er sagte: Die Menschheitsentwickelung läuft intellektualistisch; das muß dazu kommen, daß die Menschen end­lich immer größere und größere Köpfe bekommen und die andere Leib­lichkeit nur noch wie rudimentäre Organe daran hängt, rudimentäre Arme, ganz kleine Händchen, rudimentäre Beine, ganz kleine Füß­chen, und dann werden die Menschen so fortrollen. Man hat es mit

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großen Kugeln zu tun, an denen Bein- und Armansätze als rudimen­täre Organe sein werden. - In recht pessimistische Stimmung kam dieser Dichter über dasjenige, wozu es die Menschen bringen müssen, wenn sie weiter auf der Bahn des Intellektualismus so bis zum Rollen sich fortbewegen.

Man kann sagen, das, was da als Intellektualismus uns erscheint, es entfernt den Menschen von sich selbst, es stellt eben den Menschen aus der Wirklichkeit heraus. Daher wird ihm zu der einzigen Wirklich­keit dasjenige, was der Proletarier als solche anerkennt, dasjenige, was man nicht hinwegleugnen kann, weil man entweder darauf stößt und dann nach unserem Erziehungssystem, auch wenn es reformistisch sein will, die Folge trägt im Kausalzusammenhang und sich Beulen schlägt, oder aber man wird hungrig - wiederum trägt man die Folge im Kau­salzusammenhang. Da sieht man, spürt man, empfindet man das Reale genau. Aber man dringt nicht mehr in dieses Reale hinein.

Und der Mensch wird merkwürdigerweise in sich immer robuster, indem er sich immer mehr von der Wirklichkeit entfernt. Er wird schon, wenn auch bildlich gesprochen, so ist das doch wahr, diese rol­lende Kugel. Man wird einsehen müssen, wie man auf Universitäten und in Schulen dasjenige züchtet, wovor man zurückbebt, wenn es dann als Lebenswirklichkeit, als Lebenspraxis einem entgegentritt, wie das heute schon in hohem Maße der Fall ist. Die Menschen kritisieren dasjenige, was ihnen entgegentritt, sie wissen aber nicht, daß sie es ge­pflanzt haben. Die westlichen Menschen sehen auf Rußland hin und finden es furchtbar. Sie wissen nicht, daß ihre Lehrer im Westen das erst gepflanzt haben.

Der Intellektualismus, sagte ich, ist kein Instrument, mit dem man die Wirklichkeit anfassen kann. Im Erziehen muß man die Wirklich­keit des Menschen anfassen. Wenn der Intellektualismus kein Instru­ment ist, womit man die Wirklichkeit anfassen kann, so entsteht die große Frage: Können wir überhaupt auf intellektualistische Weise in der Erziehung etwas anfangen?

Diese große Frage steht am Ausgangspunkte unseres Vortragskur­sus vor uns. Wir müssen nach anderen Mitteln greifen als nach denen, die uns der Intellektualismus in die Hand gibt. Und dazu können wir

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uns doch am besten aufschwingen, wenn wir wiederum das einzelne Gebiet aus dem ganzen Lebenszusammenhang heraus erfassen.

Worinnen ist denn eigentlich die heutige Menschheit besonders groß, und wovon ist sie am meisten entzückt? Nun, von Kongressen im öf­fentlichen Leben. Nicht davon, ruhig sich mit dem Wesen einer Sache bekanntzumachen, sondern auf Kongresse zu gehen und dort über die Dinge zu diskutieren. Denn zum Diskutieren gehört zuletzt der Intel­lektualismus. Man geht nicht ein auf das Wesen. Man hat das Wesen schon und diskutiert darüber. Man kommt zusammen und diskutiert über alles mögliche. Die Kongreßusance, die diskutieren muß, das ist das, was aus dem Intellektualismus folgt, und was auf der anderen Seite zur Weltfremdheit führt. Und so kann man schon das Gefühl haben, daß im Grunde genommen unsere Kongresse alle als etwas Illusorisches über der Wirklichkeit schweben. Da unten im Leben, da geht allerlei vor, und auf Kongressen wird schön darüber gesprochen, auch geistreich darüber gesprochen. Ich kritisiere die Kongresse gar nicht im abfälligen Sinn. Ich finde, auf den Kongressen ist es so, daß sehr viel außerordentlich Geistreiches gesprochen wird. Es ist in der Regel so, daß man mit dem, was der A sagt, einverstanden sein kann und mit dem, was der B sagt, einverstanden sein kann, auch wenn es das Entgegengesetzte ist, man kann von einem gewissen Gesichtspunkte aus wiederum damit einverstanden sein. Ebenso mit dem C. Man kann eigentlich immer auf Kongressen von einem gewissen Gesichtspunkte aus mit allem einverstanden sein. Warum? Weil alles im Intellektualis­mus schwingt und der Intellektualismus nichts über die Wirklichkeit aussagt. Und so könnte eigentlich unsere heutige Wirklichkeit so ver­laufen, wie sie verläuft, auch ohne daß Kongresse da sind. Man könnte durchaus entbehren, was auf Kongressen geredet wird, trotzdem man seine aufrichtigste, wahrhaftigste Freude haben kann an all der Geist­reichigkeit, die da entfaltet wird, denn alles ist im Grunde genommen gut.

Wir haben im Laufe der letzten fünfzig bis sechzig Jahre auf den verschiedensten Gebieten die großartigsten theoretischen Ausführun­gen erlebt und haben oftmals mit unbefangenem Sinn das Leben über­blicken können und sehen können, wie dieses Leben im entgegengesetzten

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Sinne verlaufen ist. Zum Beispiel: als in einzelnen Ländern vor ei­niger Zeit die Frage nach der Goldwährung flüssig geworden ist, da wurde wirklich über die Goldwährung Wunderbares geredet. Man kann nur sagen, in Handelskammern, in Parlamenten, ich rede wirk­lich nicht ironisch, ich meine es ganz ernst, wurden die allergeschei. testen Reden gehalten über die heilsamen Folgen der Goldwährung. Insbesondere haben ganz riesig scharfsinnige, gescheite Leute und auch Praktiker bewiesen: wenn die Goldwährung kommt, muß der Frei­handel kommen; das eine ist die Konsequenz des anderen. Und siehe da: in den meisten Ländern, wo die Goldwährung gekommen ist, ist ein unerträgliches Wesen von Zollschranken, das heißt, die Unfreiheit des Handels gekommen! Das hat die Wirklichkeit, das Leben gesagt. Die Gescheitheit, die aus der Intellektualität hervorgewachsen ist, die hat, aber jetzt auf gescheite Weise, ohne es jetzt ironisch zu meinen, das Gegenteil gesagt. Man muß sich eben klar sein, daß der Intellektualis­mus aus dem Leben herauswächst, den Menschen großkopfig macht.

Das ist dasjenige, was aus der Menschenerkenntnis hinausführt, was uns dem Menschen entfremdet, und was daher niemals die Grundlage für eine Pädagogik und Didaktik abgeben kann. Denn das pädago­gische, das didaktische Verhältnis ist doch ein menschliches Verhältnis, das Verhältnis des Lehrers, des Erziehers zum Kinde, zum Schüler. Aus diesem menschlichen Verhältnisse heraus muß Pädagogik und Didak­tik gewonnen werden. Das kann nur durch eine wirkliche Menschen-erkenntnis geschehen, und eine solche wirkliche Menschenerkenntnis möchte Anthroposophie geben.

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DRITTER VORTRAG Dornach, 25. Dezember 1921

Wenn man die Betrachtungen, von denen ich gestern hier gesprochen habe, immer mehr und mehr ausdehnt, so wird man bemerken, daß in der Tat die moderne Welterklärung vor dem menschlichen Wesen stillstehen muß, daß sie ohnmächtig wird gegenüber der Erklärung des Menschenwesens selber. Und man wird das, was ich ja hier nur an­deuten konnte, gerade durch eine Verfolgung ins einzelne hinein über-all bestätigt finden. Man wird gerade dann, wenn man auf die einzelnen Lebensfragen ganz besonders exakt eingeht, immer mehr finden, wie das gilt, was ich in dieser Weise habe aussprechen müssen.

Nun steht aber dieser eigentümlichen Tatsache, daß die gegenwär­tige Welterklärung an den Menschen nicht herankommen kann, diese Welterklärung selber in einer eigenartigen Weise gegenüber; sie will sich diese Tatsache nicht in ihrer vollen Bedeutung gestehen. Sie will nicht zugeben, daß auf diesem Gebiete eine Unvollkommenheit der modernen Weltanschauung vorliegt. Aber gerade in der Einsicht in diese Unvollkommenheit gewinnt man auch die Einsicht in die Be­rechtigung der anthroposophischen Forschung.

Besonders charakteristisch tritt uns das, was ich sagte, dann ent­gegen, wenn wir repräsentative Beispiele betrachten. Ich habe nicht, um etwas zu beweisen, aber um die Denkweise der Gegenwart zu ver­anschaulichen, Herbert Spencer angeführt.

Nun, Herbert Spencer hatte seine wichtigsten, seine grundlegenden Ideen bereits ausgebildet, bevor der eigentliche Darwinismus aufge­treten war. Man sieht aber gerade an dem Auftreten dieses eigentlichen Darwinismus, wie naturwissenschaftlich-intellektualistische Vorstel­lungsart sich denjenigen Fragen und Problemen gegenüberstellt, die doch einer tiefen Sehnsucht des menschlichen Gemütes ihren Ursprung verdanken.

Man kann schon sagen, daß mit dem Werke von Charles Darwin, das 1859 erschienen ist, «Die Entstehung der Arten», etwas maßgeb­liches innerhalb des modernen Geisteslebens getan war. Die ganze Art

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und Weise, wie beobachtet worden ist, wie die Beobachtungen durch Schlußfolgerungen verknüpft worden sind, wie dann das Ganze, Be­obachten und in Schlußfolgerungen sich ergehen, in das Werk über «Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl» gebracht wor­den ist, das ist für die moderne Vorstellungsart mustergültig. Man kann sagen, außerordentlich treu ist Charles Darwin in bezug auf sinnliche Beobachtungen, und in einem ganz hervorragenden Maße sucht er innerhalb dessen, was er sinnlich beobachtet, Gesetze, welche die Be­obachtungen miteinander verknüpfen. Er sucht so nach Gesetzen, wie man das tut, wenn man alles das berücksichtigt, was uns die Beob­achtung selbst für unseren Verstand lehrt. Er tut es so, wie man es zu tun gewöhnt wird, wenn man sich nicht durch allerlei Subjektives ver­leiten läßt, über die Außenwelt zu denken, sondern wenn man in der Außenwelt selber lernt für sein Verstandes-Ich; für die Art und Weise, wie der Verstand, der Jntellekt im Leben wirken soll.

Durch eine solche Art der Lebensbetrachtung kommt Darwin wirk­lich in mustergültiger Weise darauf, eine Verbindung zu schaffen zwi­schen den einfachsten, unvollkommensten Organismen und dem höch­sten Erdenorganismus, dem Menschen. Die ganze Reihe, vom ersten bis zum letzten, wird in intellektualistisch-naturwissenschaftlicher Art durchsichtig betrachtet. Aber es ist das Außermenschliche, was da be­trachtet wird. Es ist dasjenige, worinnen weder das Wesen des Men­schen selber schon beschlossen ist, noch auch dasjenige, was der Mensch als seine Sehnsucht nach dem Übersinnlichen erlebt.

Es ist außerordentlich charakteristisch, wie Darwin bis an eine Grenze gelangt, und besonders, wie er sich an dieser Grenze verhält. Er sagt nämlich, nachdem er die ausgezeichneten Schlußfolgerungen in seinem Buche angeführt hat: Warum sollte es dem göttlichen Schöpfer-wesen weniger gefallen haben, einmal eine kleine Anzahl verhältnis­mäßig unvollkommener Urformen des Organischen zu schaffen und sie dann nach und nach in immer Vollkommenere umzuwandeln, oder sich umwandeln zu lassen, als gleich im Beginne die ganze Fülle und Mannigfaltigkeit der organischen Formen in die Welt hineinzu zaubern?

Was bedeutet ein solches Stehenbleiben an einer gewissen Grenze? Es bedeutet, daß man die intellektualistisch-naturalistischen Gedanken

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in sich aufnimmt, sie so weit führt, als ein inneres Gefühl, eine innere Empfindung einem das gestattet, und daß man dann an einer gewissen Grenze stehenbleibt, nicht weiter grübelt, ob man eine Grenze hat, oder ob man eventuell diese Grenze auch überschreiten könne, sondern wie selbstverständlich an dieser Grenze stehenbleibt und an dieser Grenze dasjenige aufnimmt, was von alten Zeiten traditionell sich erhalten hat.

Man führt also innerhalb des außermenschlichen Gebietes die mo­derne intellektualistisch-naturalistische Forschungsweise durch, und an der Grenze, zu der man da kommt, nimmt man das Traditionelle, das alte Religionsbekenntnisse geben, herein. Diese Art der Weltbetrach­tung ist auch nicht viel anders geworden in dem Werke, das dann Dar­win hat nachfolgen lassen, und das den Titel trägt: «Die Abstammung des Menschen». In bezug auf das eben Charakterisierte ist eigentlich bei Darwin selbst nichts dazugekommen.

Nun ist das, was ich eben angeführt habe, nicht nur an sich cha­rakteristisch, sondern es ist auch charakteristisch durch die Art, wie es je nach den verschiedenen nationalen Gesichtspunkten mehr von den westlichen, namentlich den anglo-amerikanischen Völkern aufgenom­men wird und wie in Mitteleuropa. Man kann, wenn man das mo­derne Dasein lebensvoll betrachten will, gerade auch in Beziehung auf diese nationalen Nuancen viel lernen.

Man hat es in Deutschland gesehen, daß man dem Darwinismus enthusiastisch entgegengekommen ist. Aber in zweierlei Art hat man den Darwinismus aufgenommen. Da war erstens vor allen Dingen Ernst Haeckel, der sich mit jugendlicher Begeisterung die ganze Anschau­ungsweise Darwins angeeignet hat, aber aus der national-deutschen Nuance heraus nicht in so selbstverständlicher Weise an der Grenze stehen blieb wie Darwin; der nicht haltmachte vor den traditionellen Religionsbekenntnissen und von einem Schöpfer sprechen wollte, der einige unvollkommene Urformen geschaffen hat. Ernst Haeckel nahm vielmehr dasjenige, was in so ausgezeichneter Weise für das Außer-menschliche gilt, auf und konstruierte daraus auch eine neue Religion, dehnte dasjenige, was sich als so prägnant erwiesen hat für das außer-menschliche Gebiet, auch auf das Menschliche und Göttliche aus. Er

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machte also nicht halt an der Grenze, sondern er überschritt diese Grenze, aber mit denselben Mitteln, mit denen Darwin nur innerhalb des außermenschlichen Gebietes arbeiten wollte.

In einer anderen Weise hat Du Bois-Reymond den Darwinismus aufgegriffen. Er sagte: Es ist so, daß man mit der naturalistisch-intel­lektualistischen Denkweise nur innerhalb des außermenschlichen Ge­bietes stehen kann. Aber man muß da auch stehenbleiben. Er machte nicht in einer selbstverständlich gefühlsmäßigen Weise halt, sondern das Haltmachen selber machte er zur Theorie. Da wo, ich möchte sagen, ein unbestimmtes Auslaufen da war bei Darwin, dahin setzte Du Bois-Reymond ein aut-aut, ein Entweder-Oder, und er konstatierte seinerseits: Ja, es ist so: wenn wir in die Außenwelt hineinschauen, da tritt uns die Materie entgegen. In das Wesen der Materie können wir nicht eindringen - eine Grenze unseres Erkennens. Wenn wir in das eigene Innere hineinschauen, da tritt uns das Bewußtsein entgegen. Wir können mit der gewöhnlichen naturalistisch-intellektualistischen Anschauungsweise das Bewußtsein nicht erkennen - die andere Grenze. Wir können also nicht zu einem Übersinnlichen aufsteigen. - Das macht Du Bois-Reymond zu einer Theorie. Er sagt: Man müßte aufsteigen zu dem Supranaturalismus. Allein, wo der Supranaturalismus anfängt, hört Wissenschaft auf. Daher überläßt er alles dasjenige, was über das sinnliche Gebiet hinausgeht, den Religionen, spricht aber alldem, wozu man da kommen kann, die Wissenschaftlichkeit ab und gestat­tet es dem Menschen bloß, in freier, mystisch-phantastischer Weise, oder auch durch Aufnahme desjenigen, was uns traditionell über­kommen ist, sich sein Erkenntnisgebiet durch das Glaubensgebiet zu ergänzen.

Es ist überhaupt der charakteristische Unterschied zwischen den mitteleuropäischen Menschen und den westländischen Menschen, daß die westländischen Menschen das allerdings mehr praktische Gebaren haben, die Gedanken so zu fassen, daß sie in einer gewissen Weise ins Unbestimmte auslaufen, wie das Leben selbst ins Unbestimmte ausläuft. In Mitteleuropa ist man mehr zu dem Unpraktischen, aber theoretisch Konsequenteren veranlagt, die Gedanken bis zu dem Entweder-Oder zu bringen. Und das sehen wir ganz besonders da, wo solche Lebensgrundlagen

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sich geltend machen mit Bezug auf die höchsten Fragen des menschlichen Daseins.

Nun aber liegt von Darwin noch ein drittes Buch vor, das dem, der sich im Ernste mit Seelenfragen befaßt, eigentlich viel bedeutungsvol­1er erscheint als sowohl «Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl» wie auch «Die Abstammung des Menschen». Und das ist das Werk über die Gemütsbewegungen. Wenn man dieses Werk mit seinen feinen Beobachtungen über den Ausdruck menschlicher See­lenregungen, menschlicher Gemütsbewegungen auf sich wirken läßt, dann geht man eigentlich von diesem Werk sehr befriedigt fort, und man sagt sich zuletzt: Durch dasjenige, was man sich durch dieBeobach­tung, die im naturalistisch-intellektualistischen Sinne gehalten ist, her­anschult, kommt man schon zu Fähigkeiten, die sehr geeignet sind, auch das menschliche Seelen- und Geistesleben zu beobachten. Darwin kam selbstverständlich nur so weit, als ihm das durch seine Instinkte gege­ben war. Aber gerade die Feinsinnigkeit dieser Beobachtung liefert den Beweis, daß es jener Gewöhnung, jener Schulung, die man sich aneignet an den naturwissenschaftlichen und intellektualistischen Beobachtun­gen, gelingt, auch in das Seelenleben einzudringen.

Und auf dieser Tatsache beruht nun die Hoffnung der anthropo­sophischen Forschung. Diese anthroposophische Forschung möchte bei keinem ihrer Schritte die streng exakte Schulung durch die moderne naturalistisch-intellektualistische Denkungsart verleugnen. Aber sie möchte zu gleicher Zeit zeigen, wie man diese Vorstellungsart weiter ausbilden und dadurch dazu kommen kann, die Grenze, welche von Darwin in mehr praktischer Weise statuiert, von Haeckel kühnlichst mit dem Naturalismus überschritten, von Du Bois-Reymond theore­tisch festgelegt worden ist, in sachlich exakter Weise zu überschrei­ten und wie man in eine übersinnliche Welt hineingelangen kann, damit auf diese Weise eine wirkliche Menschenerkenntnis zustande kommt.

Der erste Schritt nun, der in dieser Beziehung gemacht wird, ist nicht gleich auf dem Gebiet gelegen, das uns in den nächsten Tagen vorzugsweise beschäftigen wird, sondern er ist bemüht, von den ge­wöhnlichen modernen Vorstellungen und Empfindungen eine Brücke zu schlagen zu der übersinnlichen Erkenntnis. Und diese Brücke kann

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geschlagen werden, wenn man bloß mit den Mitteln zunächst, die gar nicht auf dem Gebiete übersinnlicher Forschung liegen, sich klarmacht, worinnen das Wesen der naturalistisch-sensualistischen Ansicht von der Welt eigentlich beruht.

Um von diesem Wesen sprechen zu können, möchte ich zweierlei hypothetisch vor Ihre Seele hinstellen. Nehmen Sie einmal an, wir wüchsen von Kindheit auf so heran, daß das ganze Gebiet des ma­teriellen Daseins lichtvoll vor uns aufgeschlossen wird. Nehmen Sie an, die Materie wäre außer uns nicht als etwas Dunkles gelegen, bis zu dem unser Blick dringt, das wir aber nicht durchschauen können, son­dern alles materielle Dasein wäre für den äußeren Blick und den kom­binierenden Verstand restlos zu durchschauen, so daß wir uns durch die bloße naturalistisch-intellektualistische Anschauung von der Welt dazu bringen könnten, daß wir Gedanken haben von alledem, was in­nerlichst die Materie ist. Nehmen wir also an, die Materie läge nicht undurchsichtig vor uns, sondern ganz durchsichtig. Wir würden das, was uns als Materielles im Mineral entgegentritt, wie ganz von in­nerem Gedankenlicht durchdrungen, voll verstehen können. Wir wür­den dann aber auch alles das voll verstehen können, was uns zum Bei­spiel als Mensch materiell vor Augen steht. Wir würden in dem Men­schenwesen nicht ein unbestimmtes Materielles vor unserem sinnlichen Auge haben, sondern wir würden voll hineinschauen in das ganz durch­sichtige Menschenwesen, insofern es materiell ist.

Wenn Sie einen Augenblick hypothetisch annehmen, daß Ihnen die Welt so entgegentritt, dann müssen Sie sich etwas hinwegdenken, ohne das das Leben, in dem unser gewöhnliches Bewußtsein sich ent­wickelt, gar nicht gedacht werden kann, Sie müssen sich aus diesem Leben alles dasjenige hinwegdenken, was wir mit dem Worte Liebe umfassen. Denn worauf beruht die Liebe, die wir zu einem anderen Menschen, auch nur in allgemeiner Menschenliebe vielleicht, oder zu noch anderen Wesen in der Welt haben? Sie beruht darauf, daß wir zunächst noch mit anderen Kräften, als den durchsichtig machenden Gedanken, uns dem anderen Menschen, dem anderen Wesen gegen­überstellen. Wenn in demselben Augenblicke, wo wir uns dem anderen Wesen gegenüberstellen, sogleich der abstrakte, helle Gedanke aufleuchten

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würde, der uns dieses Wesen voll durchsichtig machte - jede Liebe erstürbe schon in ihrem allerersten Keime; wir könnten nicht lieben. Sie brauchen sich nur zu erinnern, wie für das gewöhnliche Le­ben die Liebe aufhört, wenn der abstrakte Gedanke in seiner Hellig­keit beginnt. Sie brauchen sich nur daran zu erinnern, wie berechtigt es ist, von der Kälte der abstrakten Gedankenwelt zu sprechen, wie alle in­nere Wärme aufhört, wenn wir uns dem Gedanken nähern. So würde diese Wärme, die in der Liebe sich offenbart, gar nicht entstehen kön­nen, wenn wir dem äußeren materiellen Leben mit vollem intellektua­listischen Verständnisse gegenüberstehen könnten. Es wäre also die Liebe ausgelöscht aus unserer Welt.

Und jetzt nehmen Sie für einen Augenblick hypothetisch an, daß Sie ganz hineinschauen könnten in das eigene menschliche Wesen, daß Sie dann, wenn Sie den Blick von der Außenwelt abwenden und ihn zurückwenden nach dem eigenen Inneren, gewissermaßen die Kräfte und Stoffe des eigenen Inneren heraufleuchten sehen würden, so wie Ihnen die Erscheinungen der Außenwelt entgegenleuchten in den Far­ben, entgegentönen in den Tönen. In dem Augenblicke, wo das der Fall wäre, würden Sie ja immer das eigene innere Wesen gegenwärtig haben können. Allein Sie müßten sich wiederum etwas wegdenken, ohne das das persönliche menschliche Wesen in der gewöhnlichen Welt gar nicht bestehen könnte. Denn, was leuchtet Ihnen denn da in der gewöhnlichen Welt aus dem Inneren entgegen, wenn Sie diese Selbst-schau suchen? Da leuchten Ihnen die erinnerungsgemäßen Vorstellun­gen an das entgegen, was sie in der Außenwelt durchgemacht haben Da leuchtet Ihnen gar nicht das Wesen Ihres eigenen Inneren entgegen, sondern die Spiegelbilder, die Erinnerungsbilder desjenigen, was äuße­res Erlebnis ist, das leuchtet Ihnen entgegen.

Wenn Sie bedenken, daß ohne dieses Erinnerungsvermögen, ohne dieses Gedächtnis das persönliche Leben gar nicht möglich wäre, daß Sie sich dieses Erinnerungsmäßige hinwegdenken müßten, wenn Sie die volle Selbstschau hätten im gewöhnlichen Leben, dann werden Sie sich sagen: Hier kommen wir in einer Weise an eine höhere Grenze, die sich einfach aus der Notwendigkeit der menschlichen Organisation heraus erklärt. - Eine Erkenntnis, welche das Wesen der Materie immer mehr

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enthüllt hätte, setzte einen Menschen voraus, der liebelos wäre. Eine Erkenntnis, welche das innere Wesen fortwährend enthüllen würde, setzte einen Menschen voraus, der sein Erinnerungsvermögen nicht als eine ureigene menschliche Fähigkeit ausgebildet hätte.

Und so gehen wir davon aus, zu erkennen, daß für das gewöhn­liche Leben und gewöhnliche Erkennen, das ja in diesem Leben stehen­bleiben will, diese beiden Grenzen einfach durch die menschliche Na­tur notwendig sind. Weil Liebe sein muß für das soziale Außenleben, weil Erinnerung sein muß für das persönliche Innenleben, müssen zwei Grenzen des Erkennens da sein. Und die Frage ist nur diese, ob man in der Lage sein kann, ein Gebiet zu betreten, welches uns zwar in die übersinnliche Welt hineinführt, welches aber nicht das soziale und das persönliche Leben zerstört.

Anthroposophie hat den Mut, zu gestehen, daß man eben mit na­turalistisch-intellektualistischer Erkenntnis nicht zum Übersinnlichen kommt. Aber sie hat auch den Mut, danach zu fragen, ob es Mittel gibt, welche mit ebensolcher Strenge, wie die intellektualistisch-natu­ralistischen Mittel in die Sinnenwelt hineinführen, hinaufführen in die übersinnliche Welt. Anthroposophie will den Mut haben, nicht zu sa­gen: Wo Supranaturalismus anfängt, hört Wissenschaft auf -, sondern sie will die Wege eröffnen, welche uns auf ebenso exakte Weise, wie man durch naturalistische, intellektualistische Anschauungsweise in die Sinneswelt eindringt, in die übersinnliche Welt eindringen lassen. Da­durch ist Anthroposophie in Wahrheit eine echte Fortsetzerin des mo­dernen Weges, des ganzen modernen Lebens. Sie will nicht ein Rebell sein, sie will gerade dasjenige geben, was dieses moderne Leben aus seiner eigenen Grundlage heraus braucht, aber mit den eigenen Mitteln sich nicht geben kann.

Dasjenige, was man an Ansicht gewinnen kann über das notwen­dige Aufsteigen in eine übersinnliche Welt aus solchen Betrachtungen heraus, wie sie eben angestellt worden sind, kann aber nun ergänzt werden durch zwei andere, wie mir scheint, bedeutungsvolle Gesichts­punkte, die sich aus dem modernen Leben heraus ergeben, und die auch ein bedeutsames Schlaglicht gerade auf das Erziehungs- und Un­terrichtswesen werfen.

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Man muß nämlich sagen, daß die intellektualistisch-naturalistische Denkweise des modernen Lebens, so sehr sie darnach strebt, lichtvolle Klarheit in den Zusammenhang der sinnlichen Erscheinungen zu brin­gen, doch auf der anderen Seite wiederum in viel Unbewußtes hinein-führt, das in diesem modernen Leben vorhanden ist. Ich möchte an zwei Beispielen dieses Hineinsegeln in das Ungewisse, in das Instink­Live des modernen Lebens veranschaulichen.

Man könnte ja sagen, wenn man in solcher Weise zu Darwin hin-blickt, wie wir das eben getan haben: Nun ja, wenn es eben so sein muß, daß man mit der sicheren Wissenschaftlichkeit stehenbleibt auf dem physisch-sinnlichen Gebiete, und wenn man an das Übersinnliche herankommen will, zu dem Traditionellen des Glaubens fortschreiten muß, dann müsse das eben hingenommen werden, dann könne man eben nichts dagegen machen. Aber man müßte ja dann etwas hin­nehmen, was ganz und gar nicht zum Heile der Menschheit wäre. Der­jenige, der mit ein wenig psychologischem Blick die Geschichte ver­folgt, der findet nämlich, daß in alten Zeiten die religiösen Vorstellun­gen nicht als Glaubensvorstellungen gegolten haben, das sind sie erst in der neueren Zeit geworden, sondern durchaus als Erkenntnis, die ebenso wissenschaftlich genommen wurde, wie die Erkenntnis der äußeren Sinneswelt. Nur die neuere Zeit hat das Wissen eingeschränkt auf die Sinneswelt. Daher kommt es, daß sie kein Wissen über die übersinnliche Welt erreicht; sie nahm das übersinnliche Wissen in der alten traditionellen Form herüber und erzeugte kein neues. Und aus der Illusion, in der man in dieser Richtung lebt, entstand die Meinung, daß man dem Übersinnlichen gegenüber überhaupt nur zu Glaubensvor­stellungen kommen kann. Aber wenn man die Art überblickt, wie das Übersinnliche in den alten Religionen gelebt hat, dann sieht man zu­gleich, daß diese Art des inneren Erfassens des Übersinnlichen eine Stärkung des Menschen bedeutet, daß im religiösen Leben erkenntnis-mäßig drinnenstehen den Menschen innerlich bis ins Physische mit Kraft durchtränkt; und man sieht, daß die moderne Zivilisation dem Menschen diese Kraft, die aus dem Religiösen in der alten Art an den Menschen herankam, nicht geben kann. Denn wenn das Religiöse zur Glaubensvorstellung herabgedämpft wird, dann ist es keine starke

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Kraft mehr, dann wirkt es nicht bis in das Physische hinein. Das wird wohl instinktiv gefühlt in der neueren Zeit, aber nicht in seiner ganzen Bedeutung durchschaut. Und aus dem instinktiven Fühlen dieser Sache ist die Hinleitung der modernen Menschheit zu etwas entstanden, das man instinktiv sucht, dessen Hineinstellen in die moderne Zivilisation man eigentlich gar nicht versteht, und das ist alles dasjenige, was mit dem Sport zusammenhängt.

Die Religion hat die innerliche Kraft, das Physische des Menschen zu stärken, verloren. Daher ist der Instinkt entstanden, auf äußerliche Weise sich diese Kraft zuzuführen. Und wie alles im Leben polarisch wirkt, so haben wir hier die Tatsache, daß, was der Mensch auf dem Gebiete der Religion verloren hat, er sich instinktiv auf äußerliche Weise zuführen will. Nun, ich will ganz sicher keine Philippika gegen das Sportwesen halten, will gar nicht das Geringste gegen die Berech­tigung des Sportwesens sagen, bin auch überzeugt davon, daß es sich schon in gesunder Weise weiterentwickeln wird. Aber es wird in der Zukunft eine andere Stelle im Menschenleben einnehmen, während es heute ein Religionsersatz ist. Solche Dinge erscheinen einem paradox, wenn sie heute ausgesprochen werden. Aber gerade die Wahrheit er­scheint heute paradox, weil wir in so vieles in der modernen Zivilisation hineingeraten sind.

Und ein anderes ist es noch, was als ein Charakteristisches auftritt in der naturalistisch-intellektualistischen Zivilisation, das ist, daß sie überall nicht ins Lebensvolle, sondern in Widersprüche hineinführt, die das Leben zerstören. Der Intellektualismus verstrickt sich, kommt zu allerlei Gedankennetzen, deren Verstricktheit, deren Verworrenheit, deren chaotische Beschaffenheit er nicht durchschaut. Er wird einfach nicht darauf aufmerksam.

So steht der moderne naturalistische Intellektualismus bewundernd vor der Tatsache, daß das Kind heute gewissermaßen die Wiederholung des wilden, barbarischen Zustandes der gesamten Menschheit ist. Die Menschheit ist vorgeschritten aus älteren Zeiten zu den jetzigen, von der Wildheit, der Barbarei zu der Zivilisation. Das Kind wiederholt in seinem ganzen Wesen wiederum etwas von der Barbarei, von der Wildheit. Der moderne naturalistische Denker sieht das Kind ja nur so

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an: er sieht die Nase des Kindes an mit den etwas aufgestülpten Nasen-löchern, die Augenstellung - die Augen sind noch weiter auseinander als im späteren Leben -, er sieht die Stirnbildung an mit ihrer eigen­tümlichen Wölbung, die Mundbildung: alles erinnert ihn an den wil­den, barbarischen Zustand. Das Kind ist ein Barbar, ein Wilder.

Aber auf der anderen Seite rumort in einem sehr eigenen Wider­spruche mit dem eben Angeführten doch wiederum etwas Rousseausches in dem modernen Zivilisationsmenschen. Er möchte den Menschen wie­derum zu dem Naturgemäßen in der physischen, in der moralischen Erziehung bringen. Aber er steckt doch im Intellektualismus drinnen, dieser moderne Mensch. Und dieser Intellektualismus, er führt im Den­ken zur Logik. Nun sieht der moderne Mensch viel Unlogisches in der Erziehung, und er will nun die Logik in die Erziehung hineinbringen. Er will die Erziehung logisch gestalten. Das greift nicht an gegenüber dem Kindeswesen. Er findet es naturgemäß, daß die Dinge logisch sich entwickeln. Es greift nicht an beim Kindeswesen. Und doch, wenn er in die barbarische Zeit, in die wilde Zeit zurückblickt, deren Wieder­holung sich im Kinde darstellen soll, dann kann man nicht sagen, daß uns die Archäologen lehren, daß die Barbaren, die Wilden in unserem Sinne besonders logisch denken

Und so glaubt der moderne Mensch Äm Naturgemäßen zu kom­men, indem er gerade etwas an das Kind heranbringen will, was das Kind nicht haben kann, wenn es ei n wirklicher Wilder, ein wirklicher Barbar ist. Der Rousseauismus kommt in einen merkwürdigen Wider­spruch mit dem Intellektualismus. Das Streben nach Natur läßt sich nicht ganz anpassen der Richtung zum Intellektualismus. Und erst wenn es zu der Willenserziehung kommt, dann findet sich der moderne intellektualistische Denker erst recht nicht zurecht. Da findet er aus seiner Denkweise heraus, der Mensch müsse vor allen Dingen nach dem Nützlichen streben. Das Kind schon müsse zum Nützlichen er­zogen werden. Und nicht müde wird dieser moderne intellektualistische Denker, zu finden, daß die Menschen sich unbequeme Kleider anziehen, die nicht nützlich sind, daß sie sich allerlei Verrichtungen im Leben hingeben, die nicht nützlich sind. Er findet, man muß, um zum Natur­gemäßen zu kommen, das Nützliche so recht heranerziehen. Insbesondere

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die Mädchenerziehung wird von den pädagogischen Reformisten gerade von diesem Gesichtspunkte aus ganz besonders getadelt.

Nun steht man aber wiederum vor dem Rätsel: die Wilden, die Barbaren, die in den Kindern sich wiederholen sollen - haben die das Nützliche angestrebt? Ganz gewiß nicht. Der moderne intellektuelle Denker sieht sich auf der einen Seite gedrängt, in den Vorstellungen nach dem Logischen hinzustreben, nach der anderen Seite auf dem Gebiete des Willens nach dem Nützlichen. Und die Barbaren, die Wil­den, deren Wiederholung doch die Kinder sein sollen, die haben, wie uns die Archäologie lehrt, bei ihrem Denken wenig um Logik, wenig um das Nützliche gestrebt, das sie, soweit es nur allernotdürftigst für sie war, aus den Instinkten heraus befriedigten.

Aber nach was haben sie gestrebt? Nach dem Schmuck. Die Klei­dung ist nicht aus dem Befriedigen der Bedürfnisse des Menschen ent­standen, sondern aus der Sehnsucht, sich zu schmücken. Alles das, was sich der Wilde anzieht, oder namentlich, was er sich nicht anzieht, was er sich nur aufmalt auf den Körper, was ja ebenfalls gerade nicht zu dem Nützlichen gerechnet werden kann: alles das zeigt, daß man nicht von dem Logisch-Wahren oder dem Logisch-Richtigen, nicht von dem Nützlichen, sondern von dem Schmückenden, von dem Schönen eigent­lich in dem Sinne, wie es verstanden wird, ausgegangen ist.

Das sieht man im Grunde eigentlich auch bei den Kindern. Da kommt man dann, wenn man einerseits intellektualistisch denkt, wo­durch man zu dem Logisch-Richtigen und zu dem Lebensvoll-Nütz­lichen gedrängt wird, und wenn man nun auf der anderen Seite rous­seauisch fühlt und zurück will zur Natur, da kommt man in einen selt­samen Widerspruch hinein. Man will eigentlich das dem Kind auf­drängen, was man als Erwachsener in seinem Intellektualismus als das Logische, Nützliche, Richtige hat. Die Kinder, die streben aber tat­sächlich, nur in einer anderen Weise als in der rousseauischen Weise zurück, nämlich zu dem Schmücken, zu dem, was für sie weder der Ausdruck des Guten auf der einen Seite noch des Nützlichen auf der anderen Seite, sondern das Schöne ist.

Wer das Unvollkommene und auch Widerspruchsvolle des moder­nen Lebens in dieser Art durchschaut, der wird schon dazu getrieben

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werden können, die Frage aufzuwerfen: Woran liegt denn eigentlich dieses Unvollkommene und dieses Widerspruchsvolle? - Wenn wir auf diese Frage unbefangen hinschauen, werden wir immer mehr und mehr dazu getrieben, einzusehen, wie einseitig die intellektualistisch­naturalistische Denkweise den Menschen selbst betrachten muß. Sie betrachtet ja wirklich nicht den ganzen Menschen, das ganze Men­schenleben, sondern nur eine Seite des menschlichen Lebens. Sie be­trachtet nämlich nur das wache Tagesleben und kommt nicht dazu, einzusehen, daß das ganze menschliche Leben in der Tat ebenso das­jenige umfaßt, was vom Einschlafen bis zum Aufwachen geschieht, wie dasjenige, was vom Aufwachen bis zum Einschlafen geschieht. Man kann ja allerdings sagen, die moderne intellektualistisch-naturalistische Denkweise betrachte auch das Schlafesleben, und es gibt mancherlei interessante Hypothesen über das Wesen des Schlafes, über das Wesen des Traumes; aber das alles ist ja nur vom Gesichtspunkte des Wachen-den erkannt.

Der Mensch, indem er wacht, erkennt ja nicht nur, er erlebt, er steht im Dasein drinnen. Im Schlafleben steht der Mensch zunächst nicht bewußt darinnen. Er kann es in der Perspektive betrachten, in der es in das wache Leben hereinscheint; aber er kann nicht unmittelbar mit dem gewöhnlichen Bewußtsein drinnenstehen. Eine völlige Lebensbe­trachtung erfordert, daß man nicht nur etwas abstrakt erkennt, son­dern daß man in dem Erkannten voll darinnenstehen kann. Und so steht man als moderner intellektualistischer Denker vor dem Schlafes-leben, daß einem, wenn man unbefangen und seriös genug dazu ist, allerdings viel Verwunderungswürdiges und Erstaunenerregendes aus diesem Schlafesleben entgegenleuchtet, daß man aber über das Erstau­nen und die Verwunderung nicht in der Art hinauskommt, wie es die griechische Philosophie zum Beispiel für eine Lebensanschauung über­haupt gefordert hat. Alles in der Lebensanschauung, so sagte die grie­chische Philosophie, beginnt mit der Verwunderung über die Welt, mit dem Erstaunen über die Tatsachen, die einem entgegentreten. Aber es muß dann eben weitergehen. Man muß vorschreiten von Verwunde­rung und Erstaunen zum Erkennen.

Das kann zunächst der moderne Mensch mit seinen Mitteln gegenüber

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dem Schlafes- und Traumleben nicht. Und der erste Schritt, der in die übersinnliche Welt hinein gemacht werden soll, darf nicht darin­nen bestehen, daß man gleich die übersinnliche Erkenntnis selbst an­strebt, sondern daß man eben eine Brücke baut von der gewöhnlichen sinnlich-physischen Erkenntnis hinüber zu der übersinnlichen Erkennt­nis. Das kann dadurch erreicht werden, daß man die Schulung, die man sich durch die Beobachtung der sinnlich-physischen Welt angeeignet hat, lebensvoll ausdehnt über dasjenige, was aus Schlaf und Traum in das gewöhnliche Leben hereinragt. Beobachten kann allerdings der moderne Mensch; aber das Beobachten allein macht es nicht aus, son­dern es kommt darauf an, daß man nach gewissen Richtungen hin beobachtet, wenn sich einem das Wesen der Dinge ergeben soll. Es kommt auf das an, wie man beobachtet.

Einige Beispiele sollen Ihnen zeigen, wie man die Beobachtung ver­anlagen soll gegenüber dieser anderen Seite des Lebens, die in das Tag-leben hereinragt, die aber nicht von demselben Gesichtspunkte aus ge­wöhnlich beobachtet wird wie das gewöhnliche, wache Alltagsleben.

Es gibt Menschen, die nehmen den Unterschied zwischen dem wa­chen Alltagsleben und dem Schlafleben allerdings wahr, aber nur in einer ganz beschränkten Weise. Aber man kann doch sagen, in man­chem naiven Gemüte ist ein Bewußtsein vorhanden, daß der Mensch etwas anderes ist im wachen Tagesleben als im Schlafleben. Deshalb sagen solche naiven Gemüter oftmals, wenn man ihnen die Wertlosig­keit zum Beispiel des Schlafes darlegen will, daß es faul sei, träge vom Menschen, wenn er zuviel verschläft: Solange man schläft, sündigt man nicht, man ist da kein sündiger Mensch. - Und damit wollen sie ausdrücken, daß der Mensch das, was er vom Aufwachen bis zum Ein­schlafen ist, ein sündiges Wesen, radikal nicht ist vom Einschlafen bis zum Aufwachen. Es liegt ein sehr guter Instinkt in dieser naiven An­schauung drinnen.

Aber dasjenige, was eigentlich auf diesem Gebiete vorliegt, wird man doch nur kennenlernen, wenn man die Beobachtung in entspre­chender Weise ausbildet. Und da möchte ich zum Beispiel das Folgende sagen: Es wird gewiß einige unter Ihnen geben, vielleicht sind es alle, die Träume von der Art gehabt haben. welche ihrem Inhalte nach

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deutlich Reminiszenzen des äußerlich physisch-sinnlichen Lebens dar­stellen. Man kann zum Beispiel träumen, man werde an einen Fluß ge­führt, man müsse hinüber über diesen Fluß. Man sucht sich im Traume ein Boot. Man hat die ganze Mühe des Bootsuchens im Traume. Dann hat man das Boot gefunden - man kann das alles träumen -, man muß sich nun anstrengen, jeden einzelnen Ruderschlag zu machen. Man fühlt während des Träumens die Anstrengung, die man mit den Ruder-schlägen macht, und endlich kommt man mit aller Mühe hinüber, wie man es im Alltagsleben etwa auch tun würde.

Viele solcher Träume sind vorhanden. Sie stellen sich als Träume dar, die wenigstens ihrem Inhalte nach klare Reminiszenzen des phy­sisch-sinnlichen Lebens sind. Andere Träume stellen sich nicht als sol­che Reminiszenzen des physisch-sinnlichen Lebens dar. Auch solche Träume werden Sie kennen. Es kann zum Beispiel jemand träumen, er werde an einen Fluß geführt, er soll hinüber; er überlegt sich das im Traume, kurz und gut, er breitet seine Flügel aus, fliegt hinüber und kommt am anderen Ufer an. Man kann nicht sagen, daß das eine Re­miniszenz aus dem physisch-sinnlichen Leben ist, denn so viel mir be­kannt ist, pflegen die allermeisten Menschen nicht auf diese Art im physisch-sinnlichen Leben einen Fluß zu übersetzen; wir haben es also da im Traum mit etwas zu tun, was der Mensch im physisch-sinnlichen Leben wirklich nicht ausführt.

Nun tritt aber etwas sehr Eigentümliches ein, das einem erst auf-fällt, wenn man den Zusammenhang wirklich betrachtet zwischen dem Schlafesleben, dem Traumesleben und dem äußerlich sinnlich-wirk­lichen Leben im Wachzustande. Wer auf diesem Gebiete exakt beob­achtet, würde nämlich das Folgende sehen. Er würde wahrnehmen, wenn er einen solchen Traum oder solche Träume gehabt hat, die ihm all die Plackerei und Mühen des Alltagslebens im Traume auferlegen, die Reminiszenzen des physisch-sinnlichen Lebens sind, daß er ermü­det aufwacht. Die Glieder sind schwer, wenn er aufwacht, und er bleibt den ganzen Tag in dieser ermüdeten Stimmung. Man wacht also so auf aus einem Traume, der der sinnlich-physischen Wirklichkeit nachge­bildet ist, daß man im Alltagsleben, im Wachleben, geschwächt ist. Be­obachten Sie, wie ein Traum wirkt, der nicht eine Reminiszenz des physisch-sinnlichen

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Lebens ist: wenn Sie einmal geflogen sind, so mit rech­ter Begeisterung, mit Leichtigkeit geflogen sind im Traume, kurz und gut mit Ihren Flügeln, die Sie ja im physischen Leben gar nicht haben, einen Fluß übersetzt haben, wachen Sie frisch und munter auf, Ihre Glieder sind leicht. Solche Unterschiede in der Wirkung des Traumes-lebens und des Wachlebens muß man exakt beobachten, wie man sonst gewöhnt ist, in der Mathematik oder Physik zu beobachten. Würde man da nicht exakt beobachten, käme man auch nicht zu Resultaten. Aber in dieser Weise stellt man eben auf den besprochenen Gebieten die Beobachtungen nicht an; daher kommt man eben auch nicht zu Ergeb­nissen, die einen befriedigen können, noch zu Impulsen für ein weiter-gehendes Erkennen und Leben.

Und es ist nicht etwa so, daß man nur einzelne Aperçus hinstellen kann, die dann das, was ich eben angedeutet habe, scheinbar bestätigen, sondern je weiter man auf die Tatsachen eingeht, desto mehr zeigt sich, daß ein solcher Zusammenhang, den man ja ahnen kann, zwischen dem, was vorgeht im Schlafesleben und dem wachen Leben, besteht. Es gibt ja Träume, die verlaufen zum Beispiel so, daß man recht sympathische Speisen vor sich hat und im Traume ißt, mit riesigem Appetit und viel. Sie werden nun in der Regel wahrnehmen, wenn Sie im Traume geges­sen haben, daß Sie appetitlos aufwachen, daß Sie irgendwie einen ver­dorbenen Magen haben, daß Sie den ganzen Tag nicht recht essen kön­nen. Haben Sie aber im Traume mit einem Engel gesprochen, und ha­ben Sie sich so recht hineinversetzt in diese Sprache mit dem Engel, dann werden Sie sehen, daß das in außerordentlich anregender Weise auf ihren Appetit während des Tages wirkt. Ich brauche wohl nicht ausdrücklich zu sagen, oder etwa sogar einen exakten Beweis zu liefern, daß das Essen im Traume eine Reminiszenz an das physisch-sinnliche Leben ist, denn in der übersinnlichen Welt ißt man und trinkt man nicht. Das werden Sie mir wohl auch ohne Beweise zugeben. Es ist also, wenn man im Traume ißt und trinkt, der Trauminhalt Reminiszenz an das physisch-sinnliche Leben, und es ist, wenn man mit einem Engel spricht - das kommt ja auch für die wenigsten Menschen im physisch-sinnlichen Leben vor -, ein Ereignis, das seinem Inhalte noch nicht eine Reminiszenz aus dem physisch-sinnlichen Leben sein kann,

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Schon wenn man mehr abstrakt denkt, sieht man daraus, daß mit dem Menschen irgend etwas zunächst ganz Unbekanntes vorgeht zwi­schen dem Einschlafen und Aufwachen, was herüberspielt in das wache Gebiet, in das Leben zwischen dem Aufwachen und Einschlafen. Und man kann nicht sagen, daß man nicht eigentlich ganz differenzierte Vorstellungen auf diesem Gebiete gewinnen könnte. Denn es ist doch etwas ganz Differenziertes, wenn man sagen muß: Träumen wir von dem, was im physisch-sinnlichen Leben die Wirklichkeit ist, wird der Traum zu dem, was eine Zeitlang die naturalistischen Dichter oder naturalistischen Künstler anstrebten, die nur immer das Leben nach­ahmen wollten, die nicht irgend etwas aus dem Übersinnlichen heraus in das Leben hineinstellen wollten -, wird der Traum solch ein Natura-list, dann wirkt er auf das wache Leben ungesund ein. Er wirkt Krank­heit erzeugend. Wenn man also das gewöhnliche Sinnesleben im Traume herausträgt in den Schlaf hinein, so wirkt es krankmachend, ungesund zurück. Und auf der anderen Seite, wenn man dasjenige, was nicht real ist in der physisch-sinnlichen Welt, was der steife Philister für Phan­tastisches hält, für ein Mystisches, für ein Zeug, das ein vernünftiger Mensch, ein richtiger Intellektualist nicht geistig auffassen möchte, wenn es im Traume auftritt, so ist es gerade dasjenige, was einen dann munter, frisch und gesund macht. - So kann man ein eigentümliches Hereinspielen desjenigen beobachten, was zwischen dem Einschlafen und Aufwachen mit dem Menschen vorgeht, in das gewöhnliche wache Leben.

Und da die Dinge differenziert sind, so kann man schon sagen: es muß etwas mit dem Menschen geschehen, was unabhängig ist von der Leiblichkeit, denn es drückt sich in seiner Wirkung in der Leiblichkeit aus, während der Mensch schläft. Und der Traum ist dasjenige, was zunächst für das gewöhnliche Bewußtsein zur Verwunderung und zum Erstaunen hereinspielt, dasjenige, was da der Mensch in einem außer­gewöhnlichen Zustande für sein gewöhnliches Bewußtsein nicht erlebt, sondern unbewußt durchmacht. Je mehr Sie versuchen werden, Bei­spiele zu sammeln, desto mehr werden Sie finden, daß in der Tat ein solcher realer Zusammenhang zwischen dem Wach- und Schlafleben existiert.

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Aber sehen Sie sich jetzt den Traum einmal an. Er unterscheidet sich ganz wesentlich von dem Seeleninhalte des wachen Tageslebens. Dem wachen Tagesleben stehen wir so gegenüber, daß wir durch un­seren Willen Vorstellung mit Vorstellung verbinden, Vorstellung von Vorstellung trennen. Das alles können wir im Traume nicht. Das Bild des Traumes webt sich, wie sich objektive Erscheinungen weben, ohne unseren Willen. Die Aktivität der Seele, die im wachen Tagesleben sich betätigt, ist herabgelähmt, sie geht in eine Passivität über gegenüber dem Traum.

Und wenn wir dann den Traum von einem ganz besonderen Ge­sichtspunkte aus studieren, wird er wiederum ein merkwürdiger Ver­räter geheimer Seiten unseres Menschenwesens. Beobachten Sie nur, wie Sie manchmal einem Menschen im Leben gegenüberstehen, den Sie beurteilen, nun, aus den Rücksichten des Lebens heraus. Sie ge­statten sich nicht, Ihre ganze volle Innerlichkeit in dieses Urteil ein­fließen zu lassen. Sie urteilen so, daß Sie noch immer darauf Rücksicht nehmen, daß der Betreffende zum Beispiel einen Titel hat, daß der­jenige, der einen solchen Titel hat, gewöhnlich in einer gewissen Art angesehen werden muß, oder daß er sonst irgendwie im gesellschaft­lichen Leben drinnensteht, kurz, Sie kommen zu einem gewissen Urteil im wachen Tagesleben. Im Schlafesleben passiert Ihnen zuweilen aber das Folgende: Sie sehen sich diesem Menschen gegenüber und fangen an, ihn tüchtig durchzuprügeln, was von dem Urteil abweicht, das Sie im wachen Tagesleben ausgebildet haben, was Sie aber hinweist auf tiefer in Ihnen liegende Sympathien und Antipathien, die Sie sich im wachen Tagesleben nicht gestatten und die der Traum im Bilde vor Ihre Seele zaubert. Also etwas, was der Mensch sich nicht gesteht im wachen Tagesleben, was er aber in sich trägt, das wird in bildhafter Weise durch unterbewußte Imagination durch das Traumesleben vor die Seele hingestellt. Das ist noch verhältnismäßig leichter zu beachten. Aber würde man auf der anderen Seite auf manches, was im wachen Tagesleben an Verstimmungen, an Launen oder auch an einer uner­klärlichen Munterkeit, die aus den Erscheinungen des Lebens heraus nicht zu verstehen sind, eingehen, so würde man finden, wenn man die Träume nicht vergessen hätte, die da waren: sie haben einen entweder

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zu dieser Verstimmung oder zu dieser Munterkeit gebracht; ins Unbe­wußte, ins Stimmungsgemäße schiebt sich dasjenige hinein, was vom Einschlafen bis zum Aufwachen erlebt wird und was der Traum ent­hüllen kann. Man kann überhaupt das Leben in seiner Totalität nicht verstehen, wenn man diese andere Seite des Lebens, die zwischen dem Einschlafen und Aufwachen verläuft, nicht in exakter Weise in Rech­nung zieht.

Aber das alles verläuft ja ohne das menschliche Zutun. Man kann nun aber auch dasjenige, was da auf unbewußte Weise unwillkürlich verläuft, zu einer vollbewußten Tätigkeit erheben, zu einer so vollbe­wußten Tätigkeit, wie nur die Tätigkeit ist zum Beispiel im Mathema­tisieren, im wissenschaftlichen Forschen. Und wenn man das tut, steigt man auf von dem Unbestimmten, das man anschauen kann, wenn man das Schlafesleben auf das wache Leben bezieht, zu dem, was einem dann an bewußt ausgebildeter Imagination, Inspiration und Intuition entgegentreten kann.

Durch diese aber wird dann erst wahre Menschenerkenntnis mög­lich. Dasjenige, worauf also, ich möchte sagen, die Welt stammelnd hindeutet, indem sie uns das Schlafesleben vorführt, das wird in be­wußter Weise in den Methoden ausgebildet, welche zu einer wirklichen Welt- und Menschenerkenntnis durch Anthroposophie angestrebt wer­den.

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VIERTER VORTRAG Dornach, 26. Dezember 1921

Bei allen gegenwärtigen Betrachtungen, die ja dann ihren Ausdruck auf dem Erkenntnisgebiete und auch in der Lebenspraxis durch die intellektualistisch-naturalistische Welterklärung finden, legt man ei­gentlich eine Beobachtung desjenigen zugrunde, was dem Menschen im gegenwärtigen Augenblicke vorliegt. Aus Außerlichkeiten könnte das anders erscheinen. Allein im weiteren Verlaufe dieser Darstellun­gen wird schon ersichtlich sein, daß es sich da eben doch um Äußer­lichkeiten handelt. Wir untersuchen den Menschen seiner Organisation nach durch die gewöhnliche Methode der Biologie, der Physiologie, der Anatomie, und wir machen uns da eigentlich immer mit demjenigen zu tun, was uns der gegenwärtige Augenblick bedeutet. Allerdings, es sieht zunächst anders aus. Wir untersuchen zum Beispiel die Lunge eines Kindes, die Lunge eines reifen Menschen, die Lunge eines Greises und stellen den augenblicklichen Befund fest. Dann ziehen wir unsere Schlußfolgerungen für den menschlichen Lebenslauf. Aus den Verände­rungen der Lunge von der Kindheit bis zur Greisenhaftigkeit schlie­ßen wir etwas über die menschliche Entwickelung. Aber dasjenige, was wir da für den eigentlichen Verlauf tun, ist nicht ein Hineinleben in den zeitlichen Verlauf, sondern es ist doch ein Stehenbleiben bei dem Räumlichen, und den zeitlichen Verlauf schließen wir nur aus den räumlichen Veränderungen. Wir machen es ja so, wie wir es etwa bei unserer Beobachtung der Uhr machen. Wir beobachten die Uhr, sagen wir am Morgen, in ihrer Zeigerstellung und orientieren uns aus einem Räumlichen über die Zeit. Wir beobachten die Uhr dann am Mittag, orientieren uns wiederum aus einem Räumlichen über die Zeit. Wir schließen vom Räumlichen auf die Zeit. Diese Art, sich ins Leben hin-einzustellen, ist überhaupt unsere gewöhnliche geworden. Wir beob­achten den Augenblick, den wir erleben. Wir erleben ihn an dem Räum­lichen. Aber nicht in der gleichen Weise erleben wir das innere Werden der Zeit. Nur dadurch kann man das Wesen des menschlichen Lebens­laufes zwischen Geburt und Tod richtig beurteilen, daß man sich ebenso

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lebendig in die Zeit versetzen kann, wie wir es gewohnt worden sind, uns in den Raum zu versetzen. Ich will das durch einige Beispiele erläu­tern, gerade mit Bezug auf das Menschenleben, was ich soeben theore­tisch ausgesprochen habe. Denn gerade für denjenigen, der Erziehungs-und Unterrichtskunst üben will, ist dieses Sich-Einleben in den zeit­lichen Verlauf von ganz besonderer Wichtigkeit. Das sieht man aus solchen Beispielen.

Man nehme an, ein Kind entwickle eine ganz besondere Ehrfurcht für Erwachsene. Ein gesundes Empfinden wird gerade das beim Kind als etwas Gesundes ansehen, was eben das Kind zu einer solchen selbst­verständlichen Ehrfurcht vor dem Erwachsenen führt, wenn diese Ehr­furcht durch die Eigenschaft des Erwachsenen berechtigt ist, und das soll ja so sein. Wir werden davon in den weiteren Vorträgen gerade im Sinne einer Erziehungs- und Unterrichtskunst zu sprechen haben. Jetzt will ich das nur als Beispiel anführen.

Nun beschränkt man sich gewöhnlich darauf, daß man sagt: Es gibt Kinder, die entwickeln eine solche Ehrfurcht. - Man schreibt das ge­wissen Eigentümlichkeiten gewisser kindlicher Wesen zu, und man be­gnügt sich mit dem Augenblick. Man gelangt niemals zu einer Erkennt­nis der ganzen Bedeutung dieser Ehrfurcht, wenn man nicht das ganze menschliche Leben betrachtet. Man wird dann allmählich in die Lage kommen, den oder jenen Menschen in einem späten, vielleicht sehr späten Lebensalter zu beobachten, und man wird finden, daß es Men­schen gibt, welche die Eigentümlichkeit haben, in selbstverständlicher Art andere, die einen Trost brauchen, zu trösten, anderen, die eine Erbauung brauchen aus der Not des Lebens heraus, eine solche Er­bauung zu geben. Oftmals ist es wahrhaftig nicht einmal der Inhalt desjenigen, was solche tröstenden, erhebenden Menschen sagen; es liegt im Timbre, im Klang der Stimme; es ist die Art und Weise, wie sie sprechen. Geht man dann im Lebenslaufe solcher Menschen auf das Kindesalter zurück, dann findet man: das sind Menschen, die in ihrem Kindesalter ganz besonders der Ehrfurcht beflissen wa­ren, der Hochachtung vor dem Erwachsenen. Dieses ehrfürchtige Sich-Verhalten zu den Erwachsenen, das verschwindet dann im Laufe der Zeit, lebt in den Untergründen des Lebenslaufes und tritt

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im reifen Alter in der Gabe, Erbauung, Erhebung zu bieten, wie­derum auf.

Man kann das in einer gewissen Weise Geschilderte auch in der folgenden Art aussprechen. Man kann sagen: Wenn ein Kind so richtig aus dem Inneren heraus hat beten lernen, die Betstimmung hat ent­wickeln lernen, so geht diese Betstimmung in der angedeuteten Weise während des mittleren Stadiums des Lebens in die Untergründe des Lebens hinein und kommt in sehr späten Lebensaltern wieder heraus und äußert sich dann als eine gewisse Gabe des Segnens, die von an­deren Menschen empfunden wird. Aber gerade bei solchen Menschen, deren Dasein im späteren Alter segnend wirkt für den Mitmenschen, wird man wiederum finden: sie haben die betende Stimmung in ihrer Kindheit zu eigen gehabt. - Solche Dinge findet man nur, wenn man ebenso mit der Zeit leben lernt, wie wir das mit dem Raume gewohnt geworden sind. Und es muß schon ein Wissen geben, das in der Zeit ebenso lebt wie im Raume, nämlich unmittelbar, nicht durch Schluß­folgerungen aus dem Räumlichen, wie wir es mit der Uhr machen.

Das, was ich Ihnen da, ich möchte sagen, für das moralisch-inner­liche Leben durch ein paar Beispiele veranschaulicht habe, das muß aber, wenn es zu einer wirklichen Erziehungs- und Unterrichtskunst kommen soll, schon in den Anfängen der allgemeinen Menschenbe­trachtung durchaus auch angewendet werden. Und das kann in der folgenden Weise geschehen.

Wenn wir den Menschen, wie er uns als Ganzes im Leben entgegen­tritt, mit dem Tiere vergleichen, dann finden wir, daß das Tier, ins­besondere das höhere Tier, gleich so geboren wird, daß es die ihm im Leben notwendigen Geschicklichkeiten besitzt. Das auskriechende Hühnchen ist schon ganz seiner Umgebung angepaßt, braucht nicht mehr zu lernen; seine Organe besitzen eine so feststehende Plastizität, wie das betreffende Tier nach seiner besonderen Art sie eben nötig hat. Das ist beim Menschen ja nicht der Fall. Der Mensch wird hilflos ge­boren, er muß erst durch die Außenwelt seine besondere Geschick­lichkeit auf gewissen Gebieten erwerben. Das verdankt der Mensch dem Umstande, daß das Wichtigste in seinem irdischen Lebenslaufe eine mittlere Etappe ist zwischen der Kindheit und dem Greisenalter

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im weiteren Sinne. Diese mittlere Etappe, diese Zeit der Reife ist für das Leben des Menschen auf der Erde hier das Allerwichtigste. Da paßt er seine Organisation durch Erwerbung der Geschicklichkeit dem äußeren Leben an. Da tritt er mit der äußeren Welt in erfahrungs­gemäße Beziehung. Diese mittlere Etappe, in der die Organe noch ihre labile Plastizität haben, fehlt eigentlich dem Tier vollständig. Das Tier wird schon so in das Leben hineingeboren, wie wir Menschen im Grunde erst als Greise werden, wo unsere Formen fest werden, wo unseren Formen eine feststehende Plastizität eigen ist. Will man die Animalität verstehen in ihrer Beziehung zur Welt, so versteht man sie eigentlich nur richtig, wenn man sie mit der menschlichen Greisenhaftigkeit ver­gleicht.

Es kann aber dann die Frage auftauchen: Äußert sich nicht das Tier auch in seinen seelischen Eigenschaften sogleich in Greisenhaftig­keit? - Das ist nicht der Fall, weil ein anderer Pol noch da ist im Tiere, der diesem Greisigen entgegenwirkt, und das ist die Fortpflanzungs­fähigkeit. Die Fortpflanzungsfähigkeit ist zugleich für den Menschen, der sie trägt oder für das Wesen, das sie trägt, ein Verjüngendes. Und indem das Tier auf der einen Seite die Greisenhaftigkeit entwickelt, auf der anderen Seite aber in diese Greisenhaftigkeit die Fortpflanzungs­fähigkeit hineinfließt, bleibt es in einer gewissen Weise doch bewahrt vor dem zu frühen Ergreisen, bis es fortpflanzungsfähig wird.

Können Sie aber ein Tier oder eine Tierart unbefangen betrachten, dann werden Sie sich sagen: in dem Momente, wo das Tier bei der Fähigkeit anlangt, Nachkommenschaft zu erzeugen, ist es eigentlich schon in die Greisenhaftigkeit hineingekommen. Das ist gerade das Eigentümliche beim Menschen, daß sowohl Greisenhaftigkeit wie Kind­haftigkeit - denn während der Kindhaftigkeit entwickelt sich langsam die Fortpflanzungsfähigkeit - an die Enden des Lebens gestellt sind, und in der Mitte die organisch-plastische Etappe drinnen liegt, die sich durch die Beziehung mit der Außenwelt an diese Außenwelt anpassen kann. Und man kann es in einem gewissen Sinne das Normale des Men­schenlebens nennen, daß diese mittlere Etappe in der richtigen Weise bei dem Menschen vorhanden ist. Dann werden gewissermaßen in der richtigen Zeit die Menschen Kinder sein, aufhören in der richtigen

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Zeit, Kinder zu sein, ins Reifealter eintreten, und sie werden auch in der richtigen Zeit aus dem Reifealter in das Greisenalter eintreten.

Wenn man diesen ganzen Lebensweg des Menschen mit einem Sich­Hineinversetzen in das Zeitliche betrachtet, dann kommt man gerade von da aus auch zu der Betrachtung der Abnormitäten. Man kann näm­lich bei gewissen menschlichen Individuen sehen, wie sie es, wenn ich so sagen darf, nicht verstehen, die Greisenhaftigkeit lange genug zurück-zuhalten. Ich denke jetzt gar nicht an diejenige Greisenhaftigkeit, die gleich graue Haare oder frühzeitig kahlen Schädel bekommt, diese Greisenhaftigkeit meine ich nicht, denn man kann lange, wenn man einen kahlen Schädel bekommen hat, noch ein Kindskopf geblieben sein, aber ich meine diejenige Greisenhaftigkeit, die sich mehr inner­lich, organisch äußert, und die auch nur einer inneren Lebensbeob­achtung, einer intimen Lebensbeobachtung gegenüber sichtbar wird:

die seelische, wenn wir sie so nennen dürfen, Greisenhaftigkeit, die dann Ln das Leben hereinspielt, wenn dieses Leben äußerlich durchaus in der plastischen Etappe ist.

Es kann aber auch das Umgekehrte eintreten: der Mensch kann in seinem Lebenslauf nicht in der rechten Zeit die Kindhaftigkeit verlas­sen. Dann spielt die Kindhaftigkeit in das mittlere Lebensalter hinein; dann trägt er dasjenige, was er eigentlich nur innerlich-seelisch als Kind haben sollte, in das mittlere Alter hinein. Und durch dieses entsteht im menschlichen Lebenslaufe ganz besonders Eigentümliches, das wir heute skizzenhaft zu betrachten haben werden.

Betrachtet man das menschliche Leben von diesem Gesichtspunkte aus in seinem zeitlichen Verlaufe, so kann man von dem sogenannten normalen Menschenleben zu den verschiedenen Abnormitäten dieses Menschenlebens kommen. Indem wir als Mensch der Greisenhaftigkeit entgegengehen, verliert ja insbesondere unsere Kopf-, unsere Hauptes-Organisation die innere Beweglichkeit, die bewegliche Plastik. Wir werden steifer, uiiplastischer in bezug auf die Hauptesorganisation, wenn es gegen das Lebensende zugeht. Und alle diejenigen Fähigkeiten, die wir uns im Leben erworben haben, werden im Greisenalter seeli­scher, geistiger. Aber das geschieht auf Kosten einer Animalisierung unserer Hauptesorganisation. Wir werden physisch so, wie das Tier

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vom Anfange an ist. Wir werden gewissermaßen animalisiert. Dadurch erkaufen wir uns dasjenige, was wir, wenn die Erziehung richtig ist, vielleicht für das ganze Leben noch haben können an geistig-seelischem Zusammenhang mit dem Leben, wir erkaufen uns das dadurch, daß in diesem späteren Lebensalter gewissermaßen das, was wir geistig-see­lisch mit der Welt erleben, nicht mehr so recht in unsere Organisation hineingeht. Der Schädel ist zu steif, plastisch zu fest geworden. Wir hantieren in dem Greisenalter daher mehr mit dem, was uns seelisch-geistig mit der Außenwelt verbindet. Wir nehmen nicht mehr in gleich starkem Maße wie früher dasjenige, was wir an der Außenwelt erfah­ren, in unsere Innerlichkeit hinein. Eine Animalisierung unserer oberen Organisation tritt ein.

Diese Animalisierung unserer oberen Organisation, die kann nun tatsächlich deplaciert schon in dem frühen Reifealter eintreten, in der innerlichen Weise, wie ich das auseinandergesetzt habe. Weil aber der Mensch selbstverständlich noch immer Mensch bleibt, also auch, wenn er gewissermaßen seiner Kopforganisation nach animalisiert ist, doch Mensch ist, so tritt uns das, was hier in Betracht kommt, nicht in äußer­lichen Merkmalen entgegen, sondern eben in innerlich-seelischen Eigen­tümlichkeiten. Das geschieht so: Wenn diese besondere Art, mit der Außenwelt in Verbindung zu kommen, die der Greis oder die Greisin hat, zu früh eintritt, sie kann sogar schon im Kindesalter eintreten, so tritt diese - weil ja dann doch natürlich die Plastizität im übrigen Men­schen noch überwiegt - zurück in die physische Organisation und man erlebt dasjenige, was man in einem gesunden Verhältnis zur Außen­welt erlebt, wenn man verstanden hat, in der richtigen Zeit Greis zu werden, auf innerliche Art früher. Man verbindet es mit seinem Phy­sischen. Man nimmt es auf in seine physische Organisation, und es kom­men dadurch Eigenschaften zustande, die dem Animalischen, dem Tier-haften ähnlicher werden, als sie sonst bei normalen Menschen sind.

Das Tier hat, man kann sagen, wenn man will, vor dem Menschen einen gewissen Instinkt voraus, der es mit Seiner Umgebung in einem höheren Maße verbindet, als der Mensch im normalen Zustande mit seiner Umgebung verbunden ist. Es ist keineswegs eine Legende, son­dern entspricht durchaus den Eigentümlichkeiten des tierischen Lebens,

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daß gewisse Tiere, wenn Naturereignisse herannahen, die ihrem Le­ben gefährlich werden, von diesen Orten, wo die Gefahr eintreten könnte, wegziehen. Tiere haben eine gewisse instinktive, prophetische Gabe, wenn es sich um die Bewahrung ihres Lebens handelt. Es ist auch durchaus richtig geschildert, wenn man sagt, das Tier empfinde in einem viel höheren Maße als der Mensch den Lauf der Jahreszeiten mit. Das Tier empfindet das Herannahen jener Zeit, in der es fort-fliegen muß, wenn es ein Wandertier ist, um andere Orte aufzusuchen. Das Tier hat also eine intime instinktive Beziehung zur Umgebung. Und könnte man in das hineinschauen, was da im tierischen Seelen-[eben vor sich geht, so würde man, zwar ganz eingekleidet in das Unbe­wußte, aber doch sehen, wie das Tier eine instinktive Lebensweisheit hat, die sich als ein Zusammenleben mit dem ganzen Naturverlaufe äußert.

Wenn der Mensch in der angedeuteten Weise frühzeitig die Greisen­haftigkeit in sein Leben hereinbekommt, dann tritt, nun allerdings nicht gleich wie beim Tier, weil beim Menschen alles in das Menschliche heraufgehoben wird, aber es tritt doch dieses instinktive Erleben der Umwelt auf. Und dasjenige, was man heute kennt, vielfach richtig, vielfach auch falsch beschreibt als niederes Hellsehen, als Telepathie, als Teleplastie, als Telekinesie, Dinge also, die abnorm im Menschen­leben auftreten, das ist nichts anderes als ein Hereinspielen der Greisen­haftigkeit in das frühere Erleben des Menschen. Man kann die Greisen­haftigkeit eben zur richtigen Zeit erleben, dann erlebt man sie als ge­sunder Mensch. Wenn man die Greisenhaftigkeit schon mit zwanzig Jahren erlebt, wird man im niederen Sinne ein Hellseher. Es äußern sich eben die Dinge, die als Offenbarung der frühzeitigen Greisen­haftigkeit auftreten und Abnormitäten des Lebens darstellen, nicht so sehr in den äußeren als in den inneren Merkmalen. Man würde in das, was als niederes Hellsehen, als Telepathie, Telekinesie, Teleplastie vor­handen ist, was ja bis zu gewissen Graden schon sehr gut erforscht ist, viel tiefere Blicke hinein tun, wenn man den Gesichtspunkt in der rich­tigen Weise würdigen könnte, daß man es da mit einem frühzeitigen innerlichen Vergreisen zu tun hat.

Aber man muß dann zu einer wirklichen Lebeusbetrachtung vorschreiten.

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Man muß im gegenwärtigen Augenblicke nicht nur dasjenige sehen, was räumlich vor einem steht, sondern man muß ihn so inter­pretieren können, daß man weiß: wenn man den Menschen im gegen­wärtigen Augenblicke betrachtet und er diese und jene Eigentümlich­keiten zeigt, so rührt das davon her, daß dasjenige, was eigentlich später sein soll, in ein Früheres hereinspielt.

Wir werden in den nächsten Tagen sehen, wie gerade Heilprozesse durch ein solches Hineinschauen in die menschliche Natur in einer exakten Weise zustande kommen können. Es ist durchaus also eine Art Animalisierung des Menschen möglich, die sich dann aber nicht in einem äußerlichen Greisenhaftwerden äußert, sondern dadurch, daß die sonst im tierischen Instinkt auf tierhafte Art auftretenden Bezie­hungen zur Umwelt ins Menschliche, aber ins Niedrig-Menschliche her­auf übersetzt werden.

Für die unbefangene Weltbetrachtung verlieren ja natürlich die Eigentümlichkeiten der Telepathie, Telekinesie, Teleplastie nicht das Bedeutungsvolle, wenn man sie in dieser Weise nicht als eine Äußerung eines Übersinnlichen betrachtet, sondern als dasjenige, was sich ergibt durch das Hereinspielen eines Späteren in das frühere menschliche Le­ben. Man lernt dadurch gerade auch die menschliche Wesenheit in ihrem Grundcharakter erkennen, daß man sie so zeitlich betrachtet; denn zeitlich betrachten heißt eben: nicht aus den verschiedenen Augen­blicken des Lebens Schlüsse ziehen über Lebensverläufe, sondern inner­lich mitleben mit der Zeit und auch sehen können, wie das Spätere, statt später zum Vorschein zu kommen, sich früher auslebt. Zeitlich anschauen, heißt: die Zeit überblicken in der Anschauung, und im ge­genwärtigen Augenblicke Vergangenheit und Zukunft sehen können.

Sie werden selber fühlen, wie eigentlich unserer gegenwärtigen Be­trachtung, wenn das auch äußerlich anders aussieht, diese innerliche, der Zeit und ihrem Verlauf gemäße Anschauungsweise durchaus fern-liegt. Daher kommen dann die ungenügenden Interpretationen desje­nigen, was im Leben auftritt. Und von diesen ungenügenden Interpre­tationen ist ja heute das sogenannte wissenschaftliche Erkennen und die Wirkung des wissenschaftlichen Erkennens auf das Leben voll.

Aber auch der umgekehrte Fall kann eintreten: es kann das Kindhafte

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in das spätere, reife Leben des Menschen hineinspielen. Das Kindhafte besteht darinnen, daß nicht nur in instinktiver Weise durch die Kopforganisation die Verhältnisse der Umwelt erlebt werden, son­dern die Kopforganisation lebt im Stoffwechsel intensiv dasjenige mit, was sein Verhältnis zur Außenwelt ist. Wenn das Kind Farben sieht, so geschehen in ihm lebhafte Stoffwechselvorgänge. Das Kind konsu­miert gewissermaßen die äußeren Eindrücke auch bis in seinen Stoff-wechsel hinein. Man kann durchaus sagen, ohne bildlich, sondern ganz real zu sprechen: die Magenfunktion des Kindes richtet sich nicht nur nach den Speisen wegen des Geschmackes und ihrer Verdaulichkeit, sondern auch nach den Farbeneindrücken der Umgebung. Sie richtet sich nach dem, was das Kind aus der Umgebung herein erlebt. So daß man sagen kann: Bei dem Greise haben wir eine Animalisierung des Lebens in physischer Beziehung; bei dem Kinde haben wir das ganze Leben erfüllt von einer Sensitivität des vegetativ-organischen Pro­zesses.

Der vegetativ-organische Prozeß, nicht der animalisch-organische, sondern der vegetativ-organische Prozeß erlebt bei dem Kinde mit alles, was es in der Außenwelt erfährt. Das geht eben durchaus bis in die seelischen Eigenschaften hinein. So daß wir bei dem Kinde niemals zu einer vollständigen Erkenntnis kommen, wenn wir uns nicht auch fragen: Wie konsumiert das Kind bis in seinen Stoffwechsel hinein seine Eindrücke? - Darin besteht ja das sogenannte normale Menschenleben, daß der Mensch dann im späteren, reifen Alter seinen Stoffwechsel mehr sich selbst überläßt, daß er das Leben mit der Außenwelt wie­derum in einer selbständigeren Weise erlebt, daß der Mensch dasjenige, was er seelisch-geistig mit der Außenwelt erlebt, nicht so wie das Kind hinunterläßt in den Stoffwechsel, daß nicht immer von einer so leben­digen, innerlichen Drüsenabsonderung, wie es beim Kinde der Fall ist, alle äußeren Beziehungen zur Außenwelt begleitet werden.

Das Kind konsumiert dasjenige, was es in der Außenwelt erlebt, ich möchte sagen, wie eine Nahrung. Und der spätere, reife Mensch über­läßt seinen Stoffwechsel sich selber. Er ist nur dadurch eben ein reifer Mensch im normalen Leben, daß die Dinge nicht so tief in seine vege­tativ-organischen Prozesse hineingehen. Aber es kann das bei gewissen

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Individuen bleiben. Gewisse Individuen können die Kindhaftigkeit in das spätere Leben hineintragen. Dann behalten sie eben diese Eigen­schaft, daß sie das äußere Erleben mit ihren organischen Prozessen ver­binden, daß sie auch Seelisches noch mit ihren organisch-vegetativen Prozessen verbinden.

Nehmen wir ein Beispiel: Jemand, der schon ein gewisses Reifealter erlangt hat, entfaltet eine besondere Liebe, nun, sagen wir, zu einem Hund. Solche intensive Hundelieben gibt es ja. Und gerade solche Lieben sind oftmals mit einer starken Intensität des Erlebens verbun­den. Wenn dann bei einem solchen Menschen das vorliegt, daß er etwas von der Kindhaftigkeit in das spätere reife Alter hineingetragen hat, oder auch, daß er in der Kindheit die Kindhaftigkeit in einem gestei­gerten Maße erlebt, dann bleibt es bei dieser Liebe nicht allein bei dem seelischen Bezug zur Außenwelt, sondern diese Liebe ruft organische, vegetative Prozesse hervor. Der Organismus erlebt diese Liebe mit. Es geschieht immer etwas, wenn diese Liebe lebhaft empfunden wird, auch in den Stoffwechselvorgängen. Die Stoffwechselvorgänge gewöh­nen sich dann, nicht nur dem normalen Verdauen, dem normalen Her-umgehen in der Welt, dem sonstigen normalen Leben zu dienen, son­dern ein gewisses Gebiet, eine gewisse Provinz des Stoffwechsels ge­wöhnt sich auch daran, solche Absonderungen und wiederum Regene­rationen zu haben, wie es diesem besonderen Falle der lebhaften Emp­findung dieser Hundeliebe entspricht. Eine gewisse Provinz der Orga­nisation bedarf dieser besonderen Veränderung, die da innerlich rein organisch-vegetativ eintritt im Gefolge der Hundeliebe.

Und nun nehmen Sie an, der Hund stirbt. Die äußere Lebeusbe­ziehung kann sich nicht mehr entwickeln, sie ist nicht mehr da. Der Hund ist gestorben; aber eine innere Provinz des Vegetativ-Organi­scheu hat sich gewöhnt, solche Prozesse zu entwickeln. Es kommt beim Menschen dazu, daß dieser Organprozeß, der jetzt nicht mehr seine Befriedigung hat, dem die äußere Anschauung fehlt, weiter funktio­niert, aber eben nicht mehr befriedigt wird, weil sein äußeres Korre­lat nicht mehr da ist. Solche organische Prozesse haben ihre innere Träg­heit; sie setzen sich fort. Das rumort im Inneren des Menschen. Und es können die sonderbarsten Störungen zurückbleiben, wenn zum Beispiel

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eine Hundeliebe so in die Organ-Vegetativprozesse aufgenommen ist und der Hund dann stirbt.

Ist ein vernünftiger Mensch da, der auch einige Lebenspraxis hat, was wird dieser Mensch tun? Nun, er wird sich wahrscheinlich darum bemühen, daß ein anderer Hund gekauft wird und dann Sorge dafür tragen, daß der betreffende frühere Hundebesitzer diesen neuen Hund ebenso liebgewinnen kann. Wenn er das erreicht hat, dann hat er eigent­lich eine heilsame Handlung vollzogen; denn jetzt kann sich der innere organische Prozeß wiederum an dem äußeren Erleben befriedigen. Wir werden allerdings im Laufe dieser Vorträge sehen, daß es auch noch gescheitere Behandlungsmethoden gibt, aber ich meine, ein mittelver­nünftiger Mensch wird so ungefähr handeln.

Nun gibt es ja aber allerdings solche Erlebnisse der Außenwelt, die nicht so drastisch sind wie gerade eine Hundeliebe. Unzähliges können wir an der Außenwelt erleben. Und wenn dann das erlebende Indivi­duum die Kindhaftigkeit, das heißt, dieses Konsumieren der Außen­welt in sich lebendig erhalten hat, dann wird bei einem solchen Indi­viduum etwas vom Rumoren im vegetativen Organismus zurückblei­ben, wenn ihm das Erleben entzogen wird, wenn es also das, woran sich innere Prozesse entwickelt haben, nicht mehr äußerlich erleben kann. Diese Dinge gibt es im menschlichen Leben, wo man aufsuchen muß, woher ein solcher innerer Zustand kommt, der unerklärlich aus den menschlichen Tiefen aufsteigt. Der Mensch wird dadurch unbefrie­digt, moros, hypochondrisch, bekommt alle möglichen Folgezustände. Geht man dem nach, so findet man, daß ihm irgend etwas durch das Leben oder durch Sonstiges entzogen ist, was eigentlich schon in den vegetativ-organischen Prozessen sein Korrelat gefunden hat. Wenn ein solcher Mensch mit seinem Bewußtsein auf die Außenwelt hinschaut, kann er sich nicht mehr die Befriedigung verschaffen für das, was in seinem Organismus drinnen rumort. Es geht etwas in seinem Organis­mus vor, was eigentlich außen angeschaut oder wenigstens gedacht sein will, und was er nicht denken kann, weil die Veranlassung dazu nicht da ist.

Wiederum finden wir lebenspraktische Leute, die haben die Eigen­tümlichkeit, daß sie instinktiv solche Dinge aus dem Menschen herauswittern,

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wenn er sie hat, und dann finden sie die Möglichkeit, allerlei zu ihm zu sprechen, was diese Dinge aus den unbestimmten Tiefen des Vegetativ-Organischen heraufbringt und sie ins Gedankenleben, ins Vorstellungsleben erhebt, so daß der Mensch das denken kann, vor­stellen kann, was er eigentlich zu denken, vorzustellen begehrt. Wer das Leben beobachten kann, wird unzählige solche Zusprüche im Le­ben finden, wo einfach ein vegetativ-organischer Inhalt, der aus frühe­rer Enttäuschung, aus einem früheren Entziehen eines Lebensinhaltes herrührt, dadurch geheilt, abgeleitet wird, daß man wenigstens in dem Eindringlichen der menschlichen Zusprache an den Menschen heran­tritt und auch in sein Bewußtseinsleben einführt, was er braucht.

Da es in der Gegenwart durch die besondere Artung unserer Zivi­lisation wirklich recht viele Individuen gibt, welche ihr Kindhaftes in ihr Reifealter hereinspielen haben, so hat man das, was ich jetzt an­führte, in leichten und schweren Fällen viel bemerkt. Während man im gewöhnlichen Leben nicht viel Aufsehens damit macht, von Zu­spruch spricht, der in liebevoller Hingabe der einen Person an die andere manches Heilsame bewirken kann, hat man das auch einfließen lassen, in vieler Beziehung mit Recht einfließen lassen in die wissen­schaftlich-psychologische Betrachtungsweise. Man hat solche Menschen vor sich, die ein solches innerliches Rumoren haben. Wir wissen jetzt, es rührt dieses innerliche Rumoren von zurückgebliebenen, aus Lebens-enttäuschungen und dergleichen zurückgebliebenen vegetativ-organi­scheu Prozessen her. Man hat solche Menschen vor sich. Man muß sich dann, wenn man die Sache ins wissenschaftliche Gebiet überführt, natürlich auch wissenschaftlich ausdrücken. Man untersucht dann den betreffenden Menschen. Und aus seinem bisherigen Lebenslauf, den man durch Beichten oder durch die Träume, die er hat, oder durch sonst etwas auskundschaftet, findet man, was nötig ist, um dem Men­schen dasjenige ins Bewußtsein überzuführen, was eben vom unter­bewußten Vegetativ-Organischen begehrt wird. Man nennt das dann analytische Psychologie oder Psychoanalyse. Man spricht dann, selbst­verständlich wissenschaftlich sich ausdrückend, von «verborgenen See­lenprovinzen». Es sind nicht «verborgene Seelenprovinzen», sondern es sind vegetativ-organische Prozesse, die in der geschilderten Weise zurückbleiben,

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die nach Erfüllung von außen begehren. Und man sucht nach dem, was man dem Menschen als eine solche Erfüllung bieten kann. Man sagt: Mau sorgt für die Abreagierung solcher verhaltener Prozesse. - Sehen Sie, in dem, was ich eben angedeutet habe, liegt das Berechtigte der sogenannten analytischen Psychologie oder der Psycho­analyse.

Anthroposophie ist immer solchen Dingen gegenüber, die ja auf ihrem Gebiete durchaus als berechtigt auftreten, in einer besonderen Lage. Anthroposophie ist eigentlich gar nicht von sich aus streitsüchtig. Sie anerkennt gern all das, was innerhalb desjenigen Horizontes auftritt, in dem es berechtigt ist. So wird sie innerhalb des Horizontes, in dem sie berechtigt ist, selbstverständlich auch die Psychoanalyse anerken­nen. Aber Anthroposophie muß die Dinge aus der menschlichen Voll-natur und aus einer totalen Welterklärung heraus suchen, muß also gewissermaßen die kleinen Kreise, die in etwas dilettantenhafter, laien­hafter Art auch heute von Wissenschaftern getrieben werden, in grö­ßere Kreise einbeziehen. Sie hat deshalb keine Veranlassung zu streiten. Sie schließt nur das, was einseitig erklärt wird, in den großen Kreis ein. Sie fängt daher in der Regel von sich aus nicht zu streiten an. Aber die anderen streiten, denn die wollen bei ihrem kleinen Kreise bleiben. Die sehen in ihrer Art nur das, was in diesem kleinen Kreise ist. Und weil sie dasjenige, was von einem größeren Horizont ist und sie eigent­lich im Grunde genommen fördert, gar nicht besonders verlockt, weisen sie es wütend ab. So daß in der Regel Anthroposophie nur genötigt ist, sich gegen die Einseitigkeiten zu wehren, die sie attackieren. Das ist etwas, was besonders gegenüber solchen Zeitströmungen, wie der psy­cho-analytischen, gesagt werden muß.

Das besonders Eigentümliche ist ja dieses, daß wir also sehen: wenn der Mensch dazu kommt, sein Lebensende zu stark in die mittlere Le­bensetappe hereinzuziehen, dann entstehen die abnormen Beziehungen zu der Außenwelt, Telepathie, Hellsehen im niederen Sinne. Der Mensch erweitert in instinktiver Weise seinen Horizont über seine Le­beuskreise hinaus. Wenn der Mensch nach der umgekehrten Richtung geht, wenn er das, was an seinen Lebensanfang in die Kindhaftigkeit hineingehört, in die späteren Lebensepochen hineinschiebt, dann dringt

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er mit seinem Wesen zu tief in sein Organisches hinein, dann wirft das Organische Wogen herauf, dann entstehen Abnormitäten nach dem Inneren; er tritt gewissermaßen mit seinem eigenen organischen Inne­ren in eine zu nahe Beziehung. Und diese Beziehungen stellen sich eben dann so heraus, wie sie von der analytischen Psychologie beschrieben werden, die aber eigentlich hinuntergehen müßte in die Organologie, damit sie wirklich erfaßt werden.

Zu einer vollständigen Menschenerkenntnis ist eben durchaus das Hereinziehen des zeitlichen Lebensverlaufes zwischen Geburt und Tod notwendig. Und eine solche vollständige Menschenerkenntnis ist daher darauf angewiesen, gerade alles Augenmerk auf den zeitlichen Verlauf des Lebens hinzulenken, den zeitlichen Verlauf des Lebens mitzuer­leben. Gerade deshalb muß Anthroposophie, indem sie durch ihre be­sondere Methode ins Übersinnliche und dadurch in eine vollständige Menschenerkenntuis eindringen will, sie muß sich an das Einleben im Zeitlichen halten können. Der Mensch beachtet eben im Sinne der heutigen Zivilisation dieses Zeitliche nicht. Imagination, Inspiration, Intuition, welches die besonderen Erkenntuismethoden der Anthropo­sophie sind, müssen durchaus auf einem zeitlichen Erleben des Daseins aufgebaut sein.

Imagination, Inspiration und Intuition soll nun nicht etwas sein, was sich als ein ganz Fremdes ins Menschenleben hineinstellt und als Fremdes zur übersinnlichen Erkenntnis führen soll, sondern etwas, was durchaus in der Fortsetzung der gewöhnlichen menschlichen Fähigkei­ten liegt. Es wird also von Anthroposophie nicht behauptet, daß irgend­welche besondere Begnadigungen vorliegen müßten, um zu Imagina­tion, Inspiration, Intuition zu kommen, sondern daß der Mensch sich gewisser tiefer in ihm liegenden Fähigkeiten bewußt werden könne, die er ganz sachgemäß entwickeln kann. Aufgestiegen werden muß durchaus von jener Art von Erkenntnis, die wir uns im gewöhnlichen Leben im heutigen wissenschaftlichen Erkennen und in der heutigen Lebenspraxis aneignen.

Wie verfahren wir denn da eigentlich, indem wir erkennende Men­schen werden? Ich meine jetzt erkennende Menschen eben nicht nur als wissenschaftlich erkennende Menschen, sondern erkennende Menschen

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durchaus nur in dem Sinne, wie wir es sein müssen, um unser Leben in praktischer Weise durchzuführen. Wir haben dasjenige um uns herum, was wir nennen möchten den Sinnesteppich: die Farben-welt, die Tonwelt, die Welt der Wärmeverhältuisse und so weiter, alles dasjenige, was auf unsere Sinnesorgane Eindruck macht. Wir geben uns diesem Sinneseindrucke hin und verweben diese Sinneseindrücke mit demjenigen, was wir denken, mit den Gedanken. Wenn Sie sich überlegen, was, wenn Sie sich Ihrem eigenen inneren Leben etwas er­innernd hingeben, was da den Inhalt dieses Seelenlebens ausmacht: es sind Sinneseindrücke, die in die Gedanken hineingewoben sind. Wir leben ganz und gar dadurch, daß wir in unser Seelisches ein solches Gewebe von Sinneseindrücken und Gedanken hereinnehmen.

Was geht da eigentlich vor? Nun, betrachten Sie in dieser sche­matischen Zeichnung diese Linie a bis b als den Sinnesteppich, als die sich um uns herum ausbreitenden Farben, Töne, Gerüche und so weiter. Der Mensch gibt sich seiner Beobachtung, diesem Sinnes-teppich hin, und er verwebt die Eindrücke durch seine Gedanken, die ich hier als die rote Schlangenlinie zeichne. Der Mensch verbin­det, indem er sich dem Sinnesleben hingibt, gedanklich alles, was er

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in dieser Sinneswelt erlebt. Er interpretiert die Sinueswelt durch seine Gedanken. Dadurch, daß er gewissermaßen alles, was er an Gedanken entwickelt, in diese Sinneswelt hineinlegt, bildet diese Sinneswelt für

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ihn eine Grenze, eine Wand, durch die er nicht durchkommen kann. Er zeichnet gewissermaßen alle seine Gedanken auf dieser Wand auf, aber er durchstößt die Wand nicht im heutigen normalen Bewußtsein. Die Gedanken machen halt an dieser Wand und zeichnen auf dieser Wand.

Hinaus kommt man über dieses Haltmachen an der Wand dadurch, daß man zunächst die imaginative Erkenntnis ausbildet durch das, was man Meditation in systematisch-regelmäßiger Weise nennen kann. Diese Meditation kann als eine innerliche Forschungsmethode ebenso ausgebildet werden, wie die äußerliche chemische oder astronomische Versuchsmethode ausgebildet werden kann. Sie können sich aus mei­nem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» und aus dem zweiten Teil meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» sogar überzeugen, daß die Methoden, sich in dieser Meditation zu bewegen, keineswegs einfach und weniger langwierig sind, als die Methoden, die man sich aneignen muß, um ein Astronom oder ein Chemiker zu wer­den, wenn man bis zu den letzten Konsequenzen eben kommen will. Es ist allerdings ein verhältnismäßig leichtes, die Lektüre solcher Werke zu pflegen, welche Anleitungen zu den entsprechenden Übungen geben, und dann so weit zu kommen, daß man mit Zuhilfenahme des gesun­den Menschenverstandes auch wirklich sich innerlich von der Wahr­heit dessen überzeugen kann, was von anthroposophischen Forschun­gen gesagt wird. Man braucht es nicht auf Autorität hinzunehmen. Auch wenn man es nicht selber erforschen kann, so kann man es prü­fen, wenn man nur auf die Eigentümlichkeit der Forschungsmethode eingeht.

Nun, dieses ganze Üben beruht ja darauf, daß man von einem Eingehen auf die Sinneseindrücke absieht. Den Sinneseindrücken gibt man sich nicht hin im Meditieren, man gibt sich allein dem Gedanken­leben hin. Dieses Gedankenleben aber muß, durch ein festes Ruhen auf gewissen leicht überschaubaren Gedanken, zu einer solchen Lebendig­keit, zu einer solchen Intensität gebracht werden, wie es sonst nur das äußere Sinnesleben hat. Sie wissen ja, es ist etwas ganz anderes, wenn wir den äußeren Sinneseindrücken hingegeben sind, als wenn wir mit dem gewöhnlichen Bewußtsein nur unserer blassen, unlebendigen Gedankenwelt

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hingegeben sind. Die Sinneseindrücke wirken lebendig, intensiv auf uns. Wir sind an sie hingegeben. Die Gedanken verblassen, sie werden abstrakt, sie werden kalt. Aber darin besteht gerade das Wesen des Meditierens, daß wir es durch Übung dahin bringen, in dem bloßen Gedankenweben mit einer solchen Intensität und Lebhaftig­keit darinnen zu leben wie sonst im äußeren Sinnesleben. Wenn man einen Meditationsgedanken in einer solchen inneren Lebendigkeit er­fassen kann, wie sie sonst vorhanden ist, wenn man sich einer Farbe hingibt, dann hat man den Meditationsgedanken in der richtigen Weise ins Leben hereingestellt. Alles das aber muß mit einer solchen inneren Freiheit geschehen, wie eben das normale Gedankenweben und das sinnliche Wahrnehmen geschieht. Wie wir uns da nicht nebulosen Stim­mungen, mystischen Verträuintheiten hingeben, wenn wir die äußere Welt beobachten, wie wir da nicht zum Schwärmer werden, so dürfen wir es auch nicht, wenn wir in dieser Weise richtig meditieren. Genau dieselbe Stimmung muß in diesem Meditieren enthalten sein, wie sonst im äußerlichen, sinnlichen Wahrnehmen.

Das ist das Eigentümliche der anthroposophischen Methode, daß sie die Sinneswahruehmung geradezu zum Muster nimmt. Sonstige nebu­lose Mystiker findet man ja, die sagen: Sinneswahrnehmungen - etwas sehr Minderwertiges! Die muß man verlassen. Man muß ins Traum­hafte, ins Mystische, ins Sinnesabgewandte sich versetzen! - Dadurch kommt natürlich nur ein halber Schlaf zustande, nicht ein wirkliches Meditieren. Die Anthroposophie verfolgt den entgegengesetzten Weg:

Sie nimmt sich das Sinneswahruehmen geradezu zum Muster in bezug auf seine Qualität, Intensität, in bezug auf seine Lebhaftigkeit. So daß sich der Mensch in diesem Meditieren so frei bewegt, wie er sich in der Sinneswahrnehmung sonst bewegt. Er fürchtet sich dabei gar nicht, daß er zum trockenen Nüchterling wird. Die Dinge, die er auf diese Weise in aller Objektivität erlebt, die halten ihn schon von der trocke­nen Philistrosität ab und er hat nicht nötig, wegen der Objekte, die er erlebt, um der Überwindung der Alltäglichkeit willen sich in traum­hafte Nebulositäten zu erheben.

Indem der Mensch also richtig meditiert, gelangt er dazu, sich in Gedanken frei zu bewegen. Dadurch aber werden die Gedanken selber

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befreit von ihrem vorherigen abstrakten Charakter, sie werden bildhaft. Und das tritt jetzt beim vollen Wachbewußtsein ein, mitten unter dem anderen gesunden Denken. Das darf man nämlich nicht verlieren. Der Halluzinant, der Schwärmer, der ist in dem Momente, wo er halluzi­niert, schwärmt, ganz Halluzinant, ganz Schwärmer, da setzt er den gesunden Menschenverstand ganz weg; das darf derjenige, der die hier beschriebenen Methoden befolgt, nicht. Der hat immer den gesunden Menschenverstand neben sich. Den nimmt er durch all dasjenige mit, was er da im bildhaften Gedankenleben erlebt. Und was tritt dadurch ein? Ja, sehen Sie: bei vollem Wachzustande tritt dasjenige ein, was sonst nur das unbewußte Leben formt an der Bildhaftigkeit des Trau­mes. Aber das ist gerade der Unterschied der Imagination gegenüber dem Traume: beim Traume wird alles in uns gemacht; dann dringt es aus unerkannten Tiefen herein in das Wachleben, und wir können es nur hinterher beobachten. Bei der Imagination, bei der Vorbereitung zur Imagination, beim meditativen Inhalt machen wir das selbst, was sonst in uns gemacht wird. Wir werfen uns auf zu Schöpfern von Bil­dern, die nicht bloße Phantasiebilder sind, sondern an Intensität, an Lebendigkeit sich von den Phantasiebildern ebenso unterscheiden wie die Traumbilder von den bloßen Phantasiebildern. Aber wir machen das alles selbst, und darauf kommt es an. Und indem wir es selbst machen, sind wir auch von einer gründlichen Illusion befreit, die näm­lich darinnen besteht, daß man dasjenige, was man so selber macht, als eine Kundgebung aus der objektiven Außenwelt ansehen könnte. Das wird man nie, denn man ist sich bewußt, daß man dieses ganze Bildgewebe selber macht. Der Halluzinant, der hält seine Halluzina­tionen für Wirklichkeit. Er hält Bilder für Wirklichkeit, weil er sie ja nicht selber macht, weil er weiß, daß sie gemacht werden. Dadurch entsteht für ihn die Täuschung, daß sie Wirklichkeit seien. Derjenige, der sich durch Meditation für die Imagination vorbereitet, kann gar nicht in den Fall kommen, das, was er da selber ausbildet, für wirkliche Bilder zu halten. Eine erste Stufe zur übersinnlichen Erkenntnis wird gerade darinnen bestehen, daß man illusionsfrei wird dadurch, daß man das ganze Gewebe, das man jetzt als die innere Fähigkeit, Bilder von solcher Lebendigkeit, wie sonst die Traumbilder sind, hervorzurufen,

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daß man das in völlig freier Willkür gestaltet. Und man müßte selbstverständlich ja jetzt verrückt sein, wenn man das für Wirklich­keit hielte!

Nun, die nächste Etappe in diesem Meditieren besteht darinnen, daß man sich wiederum die Fähigkeit erwirbt, diese Bilder, die etwas Faszinierendes haben, und die, wenn der Mensch sie nicht in vollstän­diger Freiheit wie beim Meditieren entwickelt, tatsächlich sich wie die Parasiten festsetzen, daß man diese Bilder aus dem Bewußtsein wie­derum ganz verschwinden lassen kann, daß man auch die innere Will­kür erhält, diese Bilder, wenn man will, wiederum völlig verschwinden zu lassen. Diese zweite Etappe ist so notwendig wie die erste. So wie im Leben gegenüber dem Erinnern das Vergessen notwendig ist - sonst würden wir immer mit der ganzen Summe unserer Erinnerungen her-umgehen - so ist auf dieser ersten Stufe des Erkennens das Abwerfen der imaginativen Bilder so notwendig als das Weben, das Gestalten dieser imaginativen Bilder.

Aber, indem man das alles durchgemacht hat, durchgeübt hat, hat man etwas mit dem Seelischen vollzogen, was man vergleichen könnte damit, wenn man einen Muskel immerfort gebraucht, wenn man ihn immerfort übt, so wird er stark. Man hat jetzt eine Übung in der Seele dadurch vollzogen, daß man Bilder weben, Bilder gestalten lernt, und sie wiederum unterdrückt, und daß das alles vollständig in dem Be­reich unseres freien Willens steht. Sehen Sie, man ist dadurch, daß man die Imagination ausgebildet hat, zu der bewußten Fähigkeit gekom­men, Bilder zu gestalten, wie sie sonst das unbewußte Leben des Traums gestaltet, da drüben in der Welt, die man sonst mit seinem gewöhn­lichen Bewußtsein nicht überblickt, die in die Zustände zwischen dem Einschlafen und Aufwachen hineinverlegt sind. Jetzt entfaltet man diese selbe Tätigkeit bewußt herüber. Man entfaltet also in jener Me­ditation, die abzielt auf das imaginative Erkennen, den Willen, die Fähigkeit zu erringen, bewußt Bilder zu schaffen, und wiederum die Fähigkeit, bewußt Bilder aus dem Bewußtsein wegzuschaffen. Dadurch kommt eine andere Fähigkeit.

Diese Fähigkeit ist eine solche, die sonst unwillkürlich vorhanden ist nicht während des Schlafens, sondern im Momente des Aufwachens

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und Einschlafens. Der Moment des Aufwachens und Einschlafens kann sich so gestalten, daß man das, was man vom Einschlafen bis zum Auf­wachen erlebt hat, in den Traumresten herübernimmt, dann von dort­her dasjenige, was drüben ist, beurteilt. Es kann uns aber auch das­jenige, dem wir uns öffnen beim Aufwachen, gleich so überraschen, daß alle Erinnerung an den Traum hinuntersinkt. Im allgemeinen kann man sagen: In den Träumen ragt etwas Chaotisches, etwas wie erra­tische Gebilde von einem außer dem gewöhnlichen Wachleben Liegen­den in das Wachleben herein. Es ragt dadurch herein, daß der Mensch während des Schlafens die bildhafte, die Imaginationen schaffende Tätigkeit entwickelt. Entwickelt er im Wachleben die Imaginationen schaffende Tätigkeit und die Imaginationen wegschaffende Tätigkeit, kann er also aus seiner Vorbereitung zur Imagination zu einem bewußt­seinsleeren Zustand kommen: dann ist es so wie ein Aufwachen, und dann dringen von jenseits des Sinnesteppichs - was ich jetzt hier in der Zeichnung mit einem roten Kreis bezeichnet habe -, da dringen dann auf den durch die Meditation entwickelten Gedaukenbahnen diejeni­gen Wesenhaftigkeiten durch den Sinnesteppich durch in uns ein, die jenseits dieses Sinnesteppichs sind. Wir durchstoßen den Sinnesteppich, wenn wir nach den gemachten Bildern mit leerem Bewußtsein verhar­ren; dann kommen die Bilder herein durch Inspiration aus dem Jen­seits der Sinneswelt. Wir treten in diejenige Welt ein, die jenseits der Sinneswelt liegt. Wir bereiten uns durch das imaginative Leben zur Inspiration vor. Und die Inspiration besteht darinnen, daß wir be­wußt so etwas erleben können wie sonst unbewußt den Moment des Aufwachens. Wie im Moment des Aufwachens in unser waches Seelen-leben etwas von jenseits des wachen Seelenlebens hereinkommt, so kommt dann, wenn wir durch die Imagination unser Seelenleben so ausgebildet haben, wie ich es geschildert habe, etwas von jenseits des Bewußtseins des Sinnesteppichs herein.

Wir erleben auf diese Weise die geistige Welt, die hinter der Sinnes-welt ist. Es ist durchaus das, was als solche Fähigkeiten zur übersinn­lichen Erkenntnis angeeignet wird, eine Fortsetzung desjenigen, was der Mensch schon im gewöhnlichen Leben als Fähigkeit hat. Und dar­auf beruht Anthroposophie, daß solche Fähigkeiten weiter ausgebildet

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werden. Sie muß sich aber dabei ganz und gar auf dasjenige stützen, was sich der Mensch durch ein zeitliches Erfassen der Lebens- und Daseinsläufe aneignet.

Wenn Sie daher das durchlesen, was Sie als vorbereitende Übungen für Imagination, Inspiration und Intuition in meinem Buche: «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? » oder in meiner «Ge­heimwissenschaft» finden und mit unbefangenem Blicke betrachten, so werden Sie sehen, daß alles das auf eines hinausläuft, darauf hinaus­läuft, den Zeitenverlauf erleben zu können. Der Mensch lebt sonst in seinem Leben nacheinander im kindlichen Erfassen der Welt, im rei­fen Erfassen der Welt, im greisenhaften Erfassen der Welt, oder er er­lebt abnorm das Hereindringen des einen oder des anderen. Nicht die Imagination selbst, aber dasjenige, was in regelrechter Weise dazu vor­bereitet, das muß darauf hinarbeiten, daß alles Leben aus dem vollen Menschen herauskommt; daß der Mensch aus dem ganzen Lebenslauf heraus sich der Welt hingibt; daß also dasjenige harmonisiert wird, was an dem Kinde besonders für die Welt geeignet ist, was im Reife-alter besonders für die Welt geeignet ist, und dasjenige, was im Greisen­alter besonders für die Welt geeignet ist; das muß in der Weltanschau­ung, die zum Übersinnlichen kommt, zusammenfließen und muß har­monisiert werden. Der ganze Mensch auch als Zeitorganismus muß ge­genüber der Welt wirken. Der Mensch muß gewissermaßen die Frische und Munterkeit des Kindesalters für die übersinnliche Anschauung mit­bringen; er muß die Klarheit der Gedanken des reifen Alters mitbrin­gen, und er muß die ja in einem richtigen Menschenleben im Greisen­alter erlangte Hingabe an das Leben, die liebevolle Hingabe an das Le­ben mitbringen. Und das alles: Frische und Munterkeit in der Auf­fassung, Klarheit in der Beurteilung und liebevolle Hingabe an die Er­scheinungen, das muß der Mensch als Vorbereitung mitbringen, damit sich Imagination, Inspiration und Intuition in entsprechender Weise entwickeln können.

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FÜNFTER VORTRAG Dornach, 27. Dezember 1921

Nach den Schilderungen, die ich bisher gegeben habe, wird die soge­nannte imaginative Erkenntnis dadurch erlangt, daß man dasjenige, was im Traume unterbewußt als unwillkürliche Tätigkeit ausgeübt wird, in das volle Bewußtsein heraufhebt. Wenn ich mich also genauer ausdrücken soll, so muß ich dann sagen: nicht das Träumen mit seinem Trauminhalte wird heraufgehoben in das Bewußtsein - dadurch würde man ja nur zu Unwirklichem kommen -, sondern die Tätigkeit, die etwas weiter jetzt nicht zu Definierendes auf unbewußte Art ausübt, wenn wir träumen, die wird heraufgehoben zu einer voll willkürlichen Tätigkeit, die im Lichte des Bewußtseins ausgeübt wird und die da­durch zur Grundlage wird für die imaginative Erkenntnis. Diese Tä­tigkeit unterscheidet sich ganz wesentlich von der bloßen Traumtätig­keit. Bei der bloßen Traumtätigkeit halten wir ja dasjenige, was vor unser Bewußtsein hintritt, für äußere Wirklichkeit, weil wir eben nicht aktiv in der Tätigkeit drinnenstecken. Wenn wir aber die traumerzeu­gende Tätigkeit ins Bewußtsein heraufholen, dann wissen wir zunächst, daß das erste, zu dem wir gelangen, von uns selbst gemachte Bilder sind. Wir werden sie also, wie ich schon angedeutet habe, niemals in dieser Form für eine Wirklichkeit halten, sonst würden wir nicht anthroposo­phische Forscher, sondern Halluzinanten sein. Es muß nun zu dieser als Meditation ausgeübten Tätigkeit, die dazu führt, in solchen Bildern zu leben, die andere kommen, die nun diese Bilder wiederum unter­drücken kann, die also das Bewußtsein von diesen Bildern leer machen muß. Eignet man sich diese Tätigkeit an und gelangt man, nachdem man im Bildergestalten und im Bildervernichten die Seelenkräfte ge­steigert hat, dazu, dann mit vollem Bewußtsein zu leben, dann steht man eben in der geistigen Welt drinnen. Man übt eine Tätigkeit, welche geistig-seelisch ist, unabhängig vom Leibe aus. Man nimmt also nicht durch Leibesorgane wahr. Man denkt nicht mit dem Leib, man denkt mit dem Geistig-Seelischen und hat doch einen Bewußtseinsinhalt; der ist dann ein geistiger.

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Ich habe gestern gesagt, daß das Vorbild für die geistige Wahr­nehmung des anthroposophischen Forschers nicht die träumerischen Erlebnisse des Bewußtseins sind, sondern geradezu die freien, von der Willkür durchdrungeneu Erlebnisse der Sinneswahrnehmungen. Aller­dings, im übersinnlichen Erkennen nehmen wir nicht durch die Sinne wahr; aber wir betrachten die Freiheit, mit der wir uns innerhalb des Sinneswahruehmens bewegen, die Unabhängigkeit von unserer Persön­lichkeit in der Sinneswahruehmung, die betrachten wir als eine Fähig­keit. Und das kann uns insbesondere vor die Seele treten, wenn man gerade auf konkretes einzelnes eingeht.

Betrachten Sie dasjenige Organ der Sinneswahruehmung, das am charakteristischsten die Sinneswahrnehmungsfähigkeit darstellt, das Auge. Dieses Auge kündigt Ihnen zunächst seine verhältnismäßige or­ganische Selbständigkeit schon dadurch an, daß es wie ein in sich Ab­geschlossenes, nur durch geringfügige Brücken mit dem übrigen Orga­nismus Verbundenes in der Augenhöhle drinnensitzt. Wir können also gewissermaßen im Auge schon dem äußeren räumlichen Anblicke nach etwas verhältnismäßig Selbständiges im menschlichen Organismus er­blicken.

Sehen wir zunächst von dem Inneren der Sinneswahrnehmung beim Auge ab und halten wir uns an etwas scheinbar Äußerliches. Das Auge hat in seiner Nachbarschaft die Tränendrüsen. Diese Tränendrüsen sondern fortwährend die Flüssigkeit ab, die im wesentlichen aus Wasser und Salz besteht. Diese Tränenflüssigkeit wird fortwährend abgeson­dert, wenn wir wachen. Sie umfließt das Auge, sie umfließt auch den­jenigen Teil, der bei auseinandergespannten Augenlidern sich der Außenwelt exponiert. Dadurch wird das Auge fortwährend durch die Tränenflüssigkeit abgewaschen. Der Staub, der sich dem Auge von außen nähert, wird durch diese Tränenflüssigkeit abgewaschen. Und wenn die Tränenflüssigkeit diese hygienische Aufgabe absolviert hat, wenn sie das Auge abgewaschen hat, dann ergießt sie sich durch die feinen Tränenkanälchen in die Nase und wird auf diese Weise abge­sondert. Das ist etwas, was zu der normalen Betätigung des Augen-Organismus gehört. Aber Sie werden zugeben, daß man im gewöhn­lichen Leben von dieser hygienischen Betätigung innerhalb des Auges

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nicht viel Bewußtsein hat, daß sich das ganz im Unbewußten vollzieht. Man hat es also mit einer rein organischen Tätigkeit zu tun, die sinn­voll, weisheitsvoll ist, die aber eine rein unbewußte organische Tätig­keit ist.

Nun kann aber diese Tätigkeit gesteigert werden. Das kann da­durch geschehen, daß, sagen wir, ein Stoß auf das Auge ausgeübt wird, daß Kälte das Auge reizt. Es kann auch sogar dadurch herbeigeführt werden, daß das Auge selbst oder der ganze übrige Organismus ermüdet ist; dann wird reichlicher Tränenflüssigkeit abgesondert. Wenn Sie sich überlegen, was da stattfindet, so müssen Sie sich sagen, da wird schon der Reiz, der diese Tränenflüssigkeit absondert, mehr ins Be­wußtsein heraufgehoben, da werden Sie schon etwas von dem Reiz gewahr und auch etwas von den Folgen des Reizes, von der Absonde­rung der Tränenflüssigkeit. Aber es kann diese ganze Tätigkeit noch gesteigert werden, und das geschieht in dem Falle, wo sich der Mensch bewußt wird seines persönlichen Verhältnisses zu der Welt. Das ge­schieht dann, wenn Moralisch-Seelisches, Trauriges, Schmerzhaftes vom Menschen erlebt wird und er dadurch zum Weinen kommt, dann wird diese Tränenflüssigkeit durch Moralisch-Seelisches abgesondert. Sie se­hen, es ist eine Steigerung herauf ins Bewußtsein. Eine Tätigkeit, die Absonderung der Tränenflüssigkeit, geschieht zuerst ganz in der Sphäre des Unbewußten, sie wird dann immer mehr in die Sphäre des Be­wußten heraufgehoben, man möchte sagen, in die Sphäre des Seelisch-Moralischen.

An dieser einfachen Tatsache, die sich au einem relativ selbständigen Teil des menschlichen Organismus abspielt, kann man sich veranschau­lichen, was geschieht, wenn man sich durch Meditation zu leibfreiem Seelen- und Geistesleben aufschwingt. Wenn Sie weinen, weil Sie einen Brief bekommen, der sie traurig macht, so werden Sie sich sagen müs­sen: Dasjenige, was da erlebt wird durch den Brief, das ist ziemlich außerhalb der Organisation des Auges, das steht zunächst nicht irgend­wie innerlich mit der Organisation des Auges in Zusammenhang. Den­noch wird eine Wirkung auf das Auge hervorgebracht. - Daß die Trä­nen nicht bloß vom Lesen zu kommen brauchen, das können Sie ja daraus ersehen, daß Sie ebenso Tränen vergießen, wenn Sie sich den

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Brief vorlesen lassen. Also es handelt sich wirklich darum, daß man nachweisen kann: hier ist etwas, was äußerlich vor sich geht und was in einer von außen her geschehenden Wirkung einen organischen Pro­zeß hervorruft. Allerdings, dieser organische Prozeß ist immer noch so, daß etwas außer ihm Stehendes ihn bewirkt.

Aber Sie können sich die Sache noch gesteigert denken. Sie können sich nämlich folgendes denken: Sie hätten sich trainiert, geübt, nicht immer gleich tränenselig zu sein, schwere Noterlebuisse das Daseins so zu erleben, daß Ihr seelischer Schmerz nicht geringer ist als bei den­jenigen, denen gleich die Tränen überquellen, aber daß dieser seelische Schmerz rein in der Seele erlebt wird und es nicht zu Tränen kommt. Sie brauchen deswegen wahrhaftig nicht kälter zu sein, aber sie erle­ben auf eine geistig-seelischere Art, bei der sich dasjenige, was eben in der Seele vorgeht, von dem physischen Organismus absondert. Es drückt sich das, was in der Seele vorgeht, nicht gleich in den Organismus hin­ein.

Wenn Sie das, was Sie hier au einem Beispiel aus dem Leben gewin­nen können, auf das gesamte Erleben im imaginierenden, im inspi­rierten Bewußtsein sich ausgedehnt denken, wenn Sie sich ein solches selbständiges geistseelisches Erleben denken, das gar nicht einen Ein­druck auf den Organismus macht, das ganz außerhalb des Organis­inus verläuft - wie der Schmerz der Seele erlebt wird ohne Tränen, ohne Überfließen in den Augenorganismus -, dann haben Sie ein Bild desjenigen Erlebens, das Sie in die geistige Welt hineinstellt. Sie sehen daraus: Man kann, wenn man richtig vorgeht, das Erleben in der gei­stigen Welt, in der Welt jenseits des Sinnesteppichs so schildern, daß klar sich zeigt: dieses Erleben ist nur eine Fortsetzung desjenigen, was in irgendeiner Weise schon beim normalen, gewöhnlichen Menschen vorhanden ist. Es müssen nur eben seelisch-geistige Übungen gemacht werden, um in dieser Weise zur Unabhängigkeit vom Leiblichen zu kommen.

Wenn Sie nun die Übungsrichtung so weit fortsetzen, daß Sie es bis zur Unterdrückung der selbstgemachten Imagination gebracht haben, bis zur Leerheit des Bewußtseins und dennoch realen geistig-seelischen Inhalt erleben, dann wird das erste sein, was Sie erleben. ein Tableau

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Ihres bisherigen Erdenlebens so ungefähr bis zur Geburt hin. Den phy­sischen Leib sehen Sie dabei nicht. Der physische Leib entschwindet einem, wenn man also zum leibfreien Wahrnehmen kommt. Aber alles das bleibt vor der Seele stehen, was man erlebt hat, was sonst unbe­wußte Erinnerungsströmung ist, aus der die einzelnen Erinnerungen auftauchen. Das tritt jetzt vor die Seele hin, aber nicht so wie in der gewöhnlichen Erinnerung, sondern so, daß es auf einmal da ist, daß es gewissermaßen ein Zeitorganismus ist, ein in sich beweglicher Zeitorga nismus.

Der Raumesorganismus, den wir an uns tragen, ist dadurch ein Organismus, daß er in seinen einzelnen Gliedern Wechselwirkungen hat und seine einzelnen Glieder voneinander abhängig sind, daß das Ganze sich zu einer Totalität zusammenfügt. Wie es im Magen zugeht, davon hängt ab, wie es im Kopfe zugeht, und wie es im Kopfe zugeht, davon hängt ab, wie es im Magen zugeht. Im Organismus ist alles von­einander abhängig. So ist es auch in diesem Zeitorganismus: das Spä­tere, das der Mensch erlebt hat, gliedert sich organisch zusammen mit dem Vorhergehenden. Ein totales Tableau steht auf einmal vor unserer Seele.

Wenn man jetzt durch die Steigerung derjenigen Kraft, durch die man früher selbstgemachte Imaginationen unterdrückt hat, es dahin bringt, nun auch dieses Erinneruugstableau zu unterdrücken, also nicht nur seinen eigenen Leib nicht mehr zu sehen, sondern das ganze Tableau sich innerlich unsichtbar zu machen und dabei doch im Wachzustande zu verharren, dann kommt man zu der Stufe der Erkenntnis, die einem das Geistig-Seelische enthüllt, das man vor der Geburt, oder sagen wir vor der Konzeption, durchgemacht hat. Die geistig-seelische Welt, in der man war, bevor man heruntergestiegen ist in das Erdendasein, die trägt man während des Erdendaseins in sich. Sie wirkt und lebt in uns, aber sie wirkt und lebt so in uns, wie der Wasserstoff im Sauerstoff, wenn Wasser da ist. Man kann gar nicht während des Erdenlebens zwi­schen der Geburt und dem Tod das Geistig-Seelische an sich unter­suchen, so wenig man den Wasserstoff untersuchen kann, wenn er mit dem Sauerstoff zusammen im Wasser gebunden ist. Es muß der Sauer­stoff erst herauskommen aus dem Wasser; so muß das Geistig-Seelische

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herauskommen. Dann versetzt es einen aber nicht in die Gegenwart, sondern es versetzt einen gerade in das präexisteute Dasein. Man nimmt also dasjenige wirklich wahr, was sich zur irdischen Daseiusform her­unterbegeben hat. Man bekommt auf diese Weise eine Anschauung von demjenigen, in dem man gelebt hat, bevor man zur Erde gekommen ist.

Nun kann man ja natürlich sagen, man wolle nicht Anstalten ma­chen, auf diese Weise das Ewige im Menschen zu erforschen. Gewiß, dem Menschen steht es frei, solches auch nicht zu wollen. Dann aber irgendwie zu glauben, daß man das Geistig-Seelische durch die gewöhn­liche Erkenntnis erfassen könne, das käme dem naiven Glauben gleich, daß man den Wasserstoff erforschen könne, wenn er ans Wasser ge­bunden ist, ohne daß man ihn erst absondert. Man wird schon zugeben müssen, daß eben mit dem gewöhnlichen Bewußtsein das Geistig-See­lische einfach nicht zu erlangen ist. Will man also die Ergebnisse der Geistesforschung nicht aufnehmen, so gibt es nichts anderes als Schwei­gen über das Geistig-Seelische und sich bloß mit der materiellen Seite des Daseins zu beschäftigen. Das mag manchen heutigen Menschen ver­stimmen, aber es gibt eben Lebensnotwendigkeiten, denen man sich fügen muß.

So gelangen wir allmählich in das inspirierte Erkennen hinein. Denn es ist ein inspiriertes Erkennen bereits, ein Inspiriertwerden von etwas, das sonst nicht in unser Bewußtsein hineintritt, das uns aber so durch­organisiert wie bei der Respiration oder durch die Respiration der Sauerstoff, den wir auf materielle Weise aus der äußeren Luft auf­nehmen. Wir werden gewissermaßen von dieser inspirierten Erkennt­nis erfüllt, bewußt erfüllt von dem Inhalte unseres vorgeburtlichen, unseres präexistenten Daseins, wie wir bei der Respiration von dem materiellen Sauerstoff erfüllt werden. Wir atmen unser Geistig-Seeli­sches ein. Wir erheben uns zur Inspiration. Der Name ist nicht will­kürlich, sondern durchaus aus den Eigentümlichkeiten heraus gewählt, die eben diese Erkenntnis hat.

Nun hat diese Erkenntnis aber noch ein Charakteristikon. Sie wer­den auch darüber in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» Aufschlüsse finden. Man muß sich nämlich noch etwas aneignen, wenn man zu dieser inspirierten Erkenntnis kommen

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will. Das ist Geistesgegenwart. Geistesgegenwart hat man, wenn man, in irgendeine Lebenssituation gebracht, schnell handeln kann, nicht erst nachklappt mit seinem Urteil, bis die Gelegenheit zum Handeln schon vorüber ist. Man muß gerade durch solche Dinge sich üben, die einem notwendig machen, schnell zu handeln, schnell zuzugreifen, weil näm­lich dasjenige, was durch Inspiration auftritt, schnell vorüberhuscht; im Status nascendi, im Momente des Entstehens entschwindet es auch schon. Man muß die Aufmerksamkeit schnell darauf werfen können.

Sie sehen daraus: wenn man der gewöhnlichen äußeren Sinneswelt gegenübersteht, ist sie räumlich ausgedehnt. Steht man dem nächsten, was einem entgegentritt, gegenüber, dem eigenen Lebenstableau, dann hat man die Zeit auf einmal vor sich, und jetzt, im inspirierten Erken­nen, ist man aus der Zeit heraus. Man ist angewiesen, im Augenblick wahrzunehmen. Man ist ganz heraus aus der Zeit. Die Zeit hat für das­jenige, was in inspirierter Erkenntnis gewonnen wird, gar keine innere Bedeutung mehr.

Wenn man sich in dieses Lebeustableau hineinlebt, dann findet man:

in diesem Lebenstableau ist etwas viel realer als in der bloßen Erinne­rung. Die Erinnerungsvorstellungen sind neutrale, die keine innere Kraft haben, die gewissermaßen daliegen, die wir aufnehmen können, die aber keine innere Kraft haben. Dasjenige, was im Lebenstableau enthalten ist, hat innere Kraft und enthält zugleich diejenigen Kräfte, die den Menschen bilden, die innerlich bildend wirken, die zum Bei­spiel beim Kinde, wo das Gehirn zunächst noch nicht seine vollständige plastische Ausgestaltung hat, sondern erst im Laufe der ersten Lebens­jahre ausgestaltet wird, als übersinnliche Bildekräfte wirken. Diese übersinnlichen Bildekräfte lernt man jetzt kennen, indem sie in diesem Lebenstableau drinnen enthalten sind. Man ergreift also nicht etwas bloß abstrakt Vorstellungsmäßiges, sondern man ergreift eine Realität, einen Zeitlauf, der krafterfüllt ist: und das ist der feinere Leib, von dem wir sprechen, Ätherleib, auch Bildekräfteleib genannt, der ein ab­geschlossenes Bild im Raume nur gibt als ein augenblicklich Festge­haltenes in einem fortwährenden Strömen. Dieser Ätherleib ist in fort­währender Bewegung. Und wenn man versucht, ihn zu malen, so malt man eigentlich etwas Unwirkliches auf, etwas, was nur einen Augenblick

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dauern könnte, denn der nächste Zustand ist schon gleich wieder ein anderer und der frühere war ein anderer. Es ist eben durchaus ein Zeitenleib, der aber als Kräfteleib, als Bildekräfteleib dem Wachstum und auch dem Stoffwechsel des menschlichen Organismus zugrunde liegt, von dem wir als von einem feineren, ätherischeren Leibe sprechen. Das Wort ätherisch darf uns dabei nicht an das erinnern, wie es in der Physik gebraucht wird, sondern nur an dasjenige, was eben vorhin charakterisiert und so genannt worden ist.

Wenn man nun in der imaginativen Erkenntnis so weit kommt, daß man in der geistig-seelischen Außenwelt drinnensteht und zunächst es bis dahin gebracht hat, das eigene Lebenstableau, also den Äther- oder den Bildekräfteleib wahrzunehmen, dann hat man eine gewisse Um­änderung, eine Transformation des Erkenntuislebens erfahren. Was man da im Erkennen dieses ätherischen Wesens ausführt, das ist ähn­lich und doch wiederum sehr unähnlich nicht der gewöhnlich natura­listisch-abstrakten Erkenntuisweise, sondern der künstlerischen Betäti­gung. Man muß vielmehr ein gestaltendes Denken entwickeln, ein Den­ken, das in einer gewissen Beziehung schon an die besondere Vorstel­lungsweise des Künstlers erinnert. Allerdings, es ist auch wiederum der künstlerischen Vorstellungsweise sehr unähnlich. Denn dasjenige, was der Künstler bildet, bleibt innerhalb des Wesens der Phantasie stehen. Die phantasievoll bildende Tätigkeit ist im eminentesten Sinne an die Leiblichkeit, an die Körperlichkeit gebunden, ist nicht eine Tätigkeit frei von der Leiblichkeit. Die Tätigkeit, die man in der imaginativen Erkenntnis ausübt, ist frei von der Leiblichkeit, und deswegen ergreift sie auch ein Reales. Die Schöpfungen des Künstlers sind nicht so, daß sie sich als Reales in die Welt hineinstellen können. Sie werden noch nie­mals die Vorstellung gehabt haben von der Venus von Milo, daß sie anfängt weiterzuschreiten und auf Sie zuzukommen. Dasjenige, was der Künstler bildet, ist doch nicht Realität. Ebensowenig werden Sie, wenn Sie auf einem Gemälde einen Teufel gesehen haben, die Befürch­tung haben hegen können, daß der Teufel, der da gemalt ist, Sie holen könnte. Es ist die Art und Weise, wie der Künstler sich in die Realität hineinstellt, an die menschliche physische Realität gebunden, taucht

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aber nicht in die geistig-seelische Realität hinein. Dasjenige, was in imaginativer Erkenntnis erobert wird, das taucht in eine wirkliche Realität, in ein Geschehen ein.

Nun kann man ja allerdings sagen, man könne logisch, erkenntnis­theoretisch beweisen, daß das Erkennen überhaupt nicht bis zur künst­lerischen Betätigung aufsteigen solle. Denn Erkennen heißt, mit Hilfe der diskursiven Begriffe von einem Begriff zum anderen logisch fort­schreiten; und wenn man eben ins Künstlerische übergeht, so über­schreitet man das Gebiet der erlaubten Erkenntnis. Man kann lange genug, lange gut in dieser Art philosophieren, wie Erkenntnis beschaf­fen sein solle oder nicht: wenn die Natur, wenn die Welt eine Künst­lerin ist, so wird sie sich eben einem bloß logischen Erkennen nicht ergeben. Man gelangt nicht an sie heran; sie entzieht sich einem bloß logischen Erkennen. Daher kann es noch so bloß logisch gerechtfertigt sein, daß das Erkennen nicht künstlerisch sein soll: mit einem nicht-künstlerischen Erkennen taucht man eben nicht in die ätherische Wirk­lichkeit hinunter. Es kommt darauf an, wie die Welt ist, nicht wie das Erkennen sein soll, nicht daß wir aus irgendwelchen logisch richtigen Voraussetzungen etwas anerkennen. So muß man sagen: Es tritt ein künstlerisches Moment ein, wenn wir uns von der gewöhnlichen, gegen­ständlichen Erkenntnis zu der imaginativen herauferheben.

Und wenn wir uns zur inspirierten herauferheben, dann werden die Inspirationen, die wir in unserem Bewußtsein tragen, so sein, daß wir sie wieder Erlebnissen vergleichen können, die ihnen ähnlich und doch wiederum unähnlich sind; und das sind die moralischen Erlebnisse und ist das Auffassen moralischer Ideen. Ähnlich sind die Inspira­tionen aus der geistigen Welt den moralischen Ideen dadurch, daß man qualitativ dasselbe tut, wenn man die inspirierten Vorstellungen erlebt, wie man tut, wenn man moralische Ideen und Ideale in seinem Bewußtsein anwesend sein läßt. Diesem Qualitativen des innerlichen Erlebens nach sind auch die Inspirationen dem moralischen Ideale-Erleben ähnlich; aber sie sind wiederum total verschieden dadurch, daß ja das moralische Ideal, das wir fassen, nicht die innerliche Aktivi­tät hat, sich durch eigene Kraft zu verwirklichen. Unser moralisches Ideal ist zunächst machtlos, ohnmächtig in der Welt. Wir müssen es

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durch unsere physische Persönlichkeit verwirklichen. Wir müssen es auf dem Umwege durch unsere physische Persönlichkeit in die Welt hineinstellen. An sich bleibt das moralische Ideal ein bloßer Gedanke. Das ist die Inspiration nicht. Wir vollziehen sie so, daß sie qualitativ ähnlich ist dem moralischen Vorstellen, dem moralischen Impuls; aber sie erweist sich durch ihr Drinnenstehen in der Welt als ein Reales, als ein Mächtiges, als dasjenige, was so wirkt, wie Naturkräfte wirken. Man taucht also in eine Welt ein, die man so zu denken hat, wie man die moralische denkt, die aber eine von vornherein durch ihre eigene Kraft reale ist.

Und wenn man in der Inspiration so weit gekommen ist, daß man nun darinnensteht in einer geistig-seelischen Welt, daß einem die geistig-seelische Welt einen Inhalt gibt, dann ist zum vollen Erleben dieser geistig-seelischen Welt noch etwas notwendig. Dann muß man in diese geistig-seelische Welt etwas hineintragen, was eben durchaus nicht in unserer abstrakten Gedankenwelt ist. Man muß hineintragen die Hin­gabe an das Objekt. Man lernt doch eine Wesenheit oder eine Kraft in der geistig-seelischen Welt nicht voll kennen, wenn man nicht mit dem eigenen Wesen in Liebe ganz hinübergehen, ganz einströmen kann in das, was sich einem in der Inspiration darbietet. Die Inspiration ist gewissermaßen zunächst nur eine Offenbarung des Geistig-Seelischen. Das innere Wesen enthüllt sich einem, wenn man sich selber in liebe-voller Hingabe in dasjenige ausgießt, wovon man inspiriert wird. Und indem man in dieser Weise, lebensvoll erhöht, die geistig-seelische Rea­lität erlebt, ist man in der Intuition darinnen.

Das ist die intuitive Erkenntnis. Schatten von der Intuition sind ja auch schon im gewöhnlichen Leben vorhanden, und die Schatten der Intuition leben sich im religiösen Empfinden, im religiösen Fühlen aus. Dasjenige, was im religiösen Fühlen nur innerlich ist, ohne daß man in einer besonderen Welt darinnensteht, das ist in der geistigen Intuition voll erfüllt mit Realität. So daß die geistige Intuition ähnlich und wiederum ganz verschieden ist von dem bloß religiösen Empfin­den. Das bloß religiöse Empfinden bleibt subjektiv. Bei der geistigen Intuition strömt das Innenwesen in die Objektivität hinüber, lebt in der geistig-seelischen Realität darinnen, so daß man sagen kann: Ähnlich

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und unähnlich dem religiösen Vorstellen ist die intuitive Art der über­sinnlichen Erkenntnis.

Will man also in einer gewissen Systematik diese Stufen der höheren Erkenntnis aneinanderreihen, so kann man sagen: Wir haben zuerst die im gewöhnlichen Leben stehende gegenständliche Erkenntnis; die ist naturalistisch. Wir kommen dann zu der Erkenntnis durch Ima­gination; die ist künstlerisch. Wir kommen dann zu der Erkenntnis durch Inspiration; die ist moralisch. Und wir kommen dann zu der Er­kenntnis durch Intuition; die ist religiös, in dem Sinne also, wie ich das charakterisiert habe.

Sie sehen: das, was da in Wirklichkeit zu ergreifen ist durch kunst­ähnliche Vorstellungen, moralähnliche, religionsähnliche Vorstellun-gen, das wirkt ja im Menschen, das ist in ihm darinnen. Es entzieht sich nur dem gewöhnlichen Bewußtsein. Daher kann man gerade dadurch, daß man diese Erlebnisse des übersinnlichen Bewußtseins kennenlernt, den vollen Menschen auffassen. Insbesondere, da ja dasjenige, was aus der geistigen Welt sich in die physische Welt hereinlebt, im Kinde mächtig wirkt, kann man gerade die kindliche Natur kennenlernen, wenn man die höheren Glieder der menschlichen Wesenheit kennt:

dasjenige, was durch Imagination, durch Inspiration, durch Intuition am Menschen erkennbar ist. Aber man muß sich in das richtige Verhält­nis zu dem versetzen, wie dieses Übersinnliche zu dem Physisch-Leib­lichen steht.

Man kann das an dem Beispiel des Gedächtnisses, der Erinnerung, ganz besonders gut. Die Erinnerung ergreift ja in ihrer Tätigkeit durch­aus das Leiblich-Physische. Der Leib, der Körper ist an unserer Erinne­rungstätigkeit beteiligt. Das kann schon durch die ganz gewöhnliche Erfahrung nachgewiesen werden. Wenn wir heute eine Rolle oder ein Gedicht lernen, und es will durchaus nicht recht in uns hinein und wir schlafen dann eine Nacht darüber, dann geht es am nächsten Tage schnell, kommt wie von selbst. Der Leib hat sich durch seine Regene­ration zubereitet, die Arbeit auszuführen, die eben als eine leibliche im Erinnern ausgeführt werden muß.

Aber auch sonst kann man ja durch unsere gewöhnliche Anatomie, Physiologie wirklich im einzelnen nachweisen, wie gewisse Provinzen

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des Nervensystems gelähmt, abgetrennt sein können, und wie dadurch auch gewisse Provinzen des Gedächtnisses auslöschen. Kurz, man kann durchaus die Gebundenheit des Gedächtnisses an die leibliche Organi­sation durchschauen. Der Leib übt eine Tätigkeit aus, wenn Gedächt­nistätigkeit ausgeübt wird. Diese Gedächtnistätigkeit aber, diese Erin­nerungsfähigkeit ist nun, wie schon daraus hervorgeht, durchaus ver­schieden von dem, was da in Imagination, in Inspiration, im höheren Bewußtsein erlebt wird; denn das ist unabhängig von der Leiblich­keit. Das darf nicht in die Leiblichkeit eingreifen, was da übersinn­lich erlebt wird. Und das zeigt sich bei diesen Erlebnissen auch: sie können nämlich nicht in der gewöhnlichen Weise erinnert werden, sie prägen sich der gewöhnlichen Erinnerung nicht ein.

Bei demjenigen, der auf anthroposophische Weise forscht, muß im­mer die gewöhnliche Erinnerung an die sonstigen Erlebnisse ganz ne­benherlaufen; sie muß intakt sein. Er muß gewissermaßen diese zweite Persönlichkeit, die er im alltäglichen Leben ist, immer neben sich ha­ben. Aber er weiß ganz gut: er lebt außerdem in den übersinnlichen Er­kenntnissen, und die prägen sich der gewöhnlichen Erinnerung gar nicht ein. Geradesowenig wie Sie einen Fisch, den Sie anschauen, seiner Wirklichkeit nach in der Erinnerung mittragen: Sie tragen ihn bild­lich in sich; Sie müssen zum Fisch wieder zurückgehen, wenn Sie ihn als Wahrnehmung haben wollen. Mit den übersinnlichen Erlebnissen hat man Wahrnehmungen, nicht Vorstellungen, daher muß man immer wieder zu ihnen zurückkehren. Man kann sich aber an das erinnern, wie man es gemacht hat, daß man zu der übersinnlichen Anschauung gekommen ist. Wenn man das wieder macht, dann taucht sie wieder auf, aber passiv; in der Erinnerung wirkt sie nicht fort. Sie ist daher nur in der Aktivität wiederum zu erreichen. Dieses der Erinnerung Ent­rücktsein, das ist ein besonderes Kennzeichen dessen, was übersinnliche Erkenntnisse sind. Man kann sie wieder haben, aber man muß sie eben erst wiederum auf dieselbe Weise herbeiführen, wie man sie das erste Mal herbeigeführt hat. An den Weg, wie man sie herbeigeführt hat, kann man sich erinnern, aber nicht einfach an das übersinnliche Erlebnis.

Gerade dadurch zeigt sich, wie das übersinnliche Erlebnis etwas anderes ist als dasjenige, was in dem gewöhnlichen Erleben beschlossen

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wird. Dabei ist durchaus immer festzuhalten, daß die gesunde mensch­liche Erinnerungskraft allem richtigen übersinnlichen Erleben parallel gehen muß. Derjenige, der in übersinnlichen Erlebnissen den gewöhn­lichen Strom seiner Erinnerungen verlieren würde, der würde seine ganze Persönlichkeit in das übersinnliche Erleben hineingießen. Er wäre kein anthroposophischer Forscher, er wäre ein Halluzinant, der ganz in seinen Visionen, in seinen Bildern, in seinen Halluzinationen lebt.

Das ist es aber gerade, auf was es ankommt, daß alles bloß Hallu­zinatorische ausgeschlossen ist, daß alles im Übersinnlichen Erlebte neben dem steht, was der gesunde Standort der Seele sonst im Leben ist. Dieses muß durchaus festgehalten werden, wenn man die übersinn­liche Erkenntnis in der richtigen Weise beurteilen will. Wer einwendet, es könnten die Imaginationen und Inspirationen, die in der Anthropo­sophie gegeben werden, auch nur Halluzinationen sein, wer das sagt, kennt eben die charakteristischen Eigentümlichkeiten des anthroposo­phischen Weges noch nicht, und redet dann von dem, was er nicht kennt.

Diese Beziehung von einem Übersinnlichen zu dem Gedächtnis zu durchschauen ist wichtig. Denn, sehen Sie, das alles sind Realitäten im Menschenleben. Dieses Übersinnliche, das wir durch Imagination, Inspiration vor unsere Seele hinstellen, das ist ja vorhanden. Wir rufen es nur in unser Bewußtsein herein. Dasjenige aber, was Erinnerung ist, daran arbeiten wir nicht allein aktiv, sondern da arbeitet unser Unbe­wußtes mit. Dasjenige also, was wir in der Imagination erleben, bleibt in der geistigen Welt, tritt gewissermaßen nur an den Menschen heran, vereinigt sich mit ihm; dasjenige, was Erinnerung wird, strömt in ihn unter, ergreift die physische Organisation und veranlaßt die physische Organisation zu einer Mittätigkeit. Es dringt hinunter in die physische Organisation. Man kann gerade an dem Vergleich des Imagi­nativen mit der Erinnerung genau den Unterschied merken zwischen dem, was verleiblicht und dem, was fortdauernd, auch zwischen Geburt und Tod, als Übersinnliches in uns lebt, was sich aber dem gewöhn­lichen Bewußtsein entzieht und daher durch anthroposophische For­schung enthüllt werden muß.

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Gerade wenn man sich in dieses Zusammenwirken hineinvertieft des nur im Übersinnlichen zu erlebenden Menschenwesens mit dem leib­lich-physischen Menschen, lernt man ja erst den vollen, ganzen Men­schen kennen, und man lernt an dem Sich-Hineinleben in das, was übersinnliche Erkenntnis enthüllt, auch das Kind, den werdenden Men­schen so kennen, daß man ihn wirklich durch Erziehungs- und Unter­richtskunst entsprechend behandeln kann. Gerade an einem solchen konkreten Beispiel wie der Beziehung der übersinnlichen Wesenheit zu dem, was im Gedächtnis, was in der Erinnerung wirkt, kann man man­ches anschaulich machen.

Nehmen wir einmal an, man hätte in irgendeiner Schulklasse ein Kind, das man von einem gewissen Punkte an zu unterrichten beginnt. Man geht zunächst in einer allgemeineren Weise vor und glaubt, das Richtige zu tun. Man merkt aber von einem gewissen Momente ab, daß ein bestimmtes, individuelles Kind immer blasser und blasser wird. Es braucht nicht gleich eine ganz robust auffallende Blässe zu sein, sondern es kann eine solche Blaßheit vielleicht eben nur für denjenigen bemerkbar sein, der sich für solches Bemerken besonders eingeschult hat. Aber das muß ja durchaus bei dem Lehrer und Erzieher sein, daß er sich auf ein feineres Bemerken und Beobachten des Lebens einstellt.

Nun, selbstverständlich sind solche Dinge, wie ich sie jetzt charak­terisieren werde, von dem allermannigfaltigsten abhängig; aber der­jenige, der eben gerade durch die Erkenntnis des anthroposophisch­übersinnlichen Weges sich auch in Menschenerkenntuis hineinfindet, wird als Lehrer, als Erzieher durch diese lebensvolle Erkenntnis des Menschenwesens, vertiefend, steigernd auf seine ganz natürlich elemen­taren Erziehungs- und Unterrichtsinstinkte wirken. Eine Pädagogik und Didaktik, die ihre Regeln in abstrakte Gesetze faßt, ist eigentlich für den praktischen Erzieher und Unterrichter wirklich etwas, was ihn allmählich in eine Lebenssituation bringt, wie wenn er sich fortwährend selber auf die Füße treten würde und dabei gehen wollte; sie bringt einen um alle Unbefangenheit. Wenn man immer nachdenken sollte:

Wie soll eigentlich erzogen werden? Welche Regeln schreibt Pädagogik und Didaktik vor? - dann verliert man eben die Unbefangenheit, dann

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verliert man das Berechtigte des Instinktiven. Nicht so wirkt eine Päd­agogik und Didaktik, die auf anthroposophischer Grundlage erbaut ist; die zieht sich viel intimer in das ganze menschliche Leben hinein, und es werden einem nicht die elementaren Erziehungsinstinkte untergra­ben, sondern sie werden gerade angefeuert, belebt, durchwärmt, erkraf­tet. Man verliert nicht die Unbefangenheit, sondern man vertieft, man belebt sie. Das ist dasjenige, was anthroposophische Pädagogik und Didaktik für den Lehrer, für den Erzieher anstrebt. Daher mögen noch so sehr, wie im Leben alles mannigfaltig ist, die Verhältnisse mannig­faltig sein: wenn man ein solches blaßwerdendes Kind vor sich hat -wenn es aus anderen Gründen, als die ich jetzt anführe, blaß geworden ist, wird das der Lehrer, der Erzieher aus seinem naturgemäßen In­stinkte heraus schon bemerken, aber es kann durchaus der Fall ein­treten, den ich jetzt charakterisiere -, ein Kind wird immer blasser und blasser. Berücksichtige ich dann alles aus den pädagogischen In­stinkten heraus, die durch anthroposophische Einsicht vertieft sind, so werde ich vielleicht darauf kommen: dieses Kind habe ich mit Erinne­rungsstoff, mit Gedächtnisstoff überfüttert; ich habe seinem Gedächt­nisse, seiner Erinnerung zuviel zugemutet.

Sehen Sie, darum ist es der Anthroposophie zu tun, dieses Inein­anderwirken von Seelisch-Geistigem und Physisch-Leiblichem vor die Aufmerksamkeit hinzustellen. Nicht in irgendeiner Weise dem Men­schen bloß eine Kunde von dem Geistigen bringen will Anthroposophie, sondern das lebendige Wirken des Geistigen auch im Materiellen ver­stehen können, das will sie. Und das allein kann ja lebenspraktisch machen; das allein kann den Menschen stark hereinstellen in die Welt, in der er schon einmal seine Aufgabe zu erfüllen hat.

Nun wird man bemerken können, wenn so etwas nicht zur rechten Zeit erfaßt wird, daß man ein Kind durch Überwiegen des Gedächt­nisstoffes blaß gemacht hat, daß sich das dann steigert. Wenn man fortfährt, das Kind mit Gedächtnisstoff zu überfüttern, wird die nächste Stufe dann eine Seelenoffenbarung sein: das Kind wird zu aller­lei Ängstlichkeiten, zu Angst- und Furchtzuständen kommen. Auch diese brauchen wiederum nicht robust für eine oberflächliche Beobach­tung hervorzutreten, sondern eben nur für das feinere Beobachten, das

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sich der Erziehungs- und Unterrichtskünstler eben aneignen muß. Und die letzte Stufe, wenn man fortfährt, aus irgendwelchen theoretischen Vorurteilen heraus immer mehr und mehr Gedächtnisstoff in das Kind hineinzustopfen, sind Wachstumsstörungen. Das Kind bleibt auf irgend­eine Weise sogar im Wachstum zurück.

Da sieht man das Ineinanderwirken von Geistig-Seelischem und Physisch-Leiblichem. Da lernt man einsehen, wie notwendig es ist für den Unterrichts- und Erziehungskünstler, eine Vorstellung zu gewin­nen, wie die menschlichen Neigungen zum Gesunden und zum Kranken zu behandeln sind. Die groben Krankheitsfälle werden natürlich dem Arzt überlassen bleiben, aber man hat es in der Erziehung fortwährend mit einem Ausleben der feineren Neigungen zur Gesundung und zur Erkrankung zu tun. Die müssen durchaus dem Bewußtsein des Lehren­den, des Erziehenden immer gegenwärtig, immer zugänglich sein. Im­mer muß der Lehrende, der Erziehende wissen, wie die menschliche Natur durch ihre Totalität dahin neigt, durch dies zur Gesundheit zu kommen, durch jenes zum Erkranken; wie Krankheitsursachen ent­stehen zum Beispiel in dem Falle, den ich Ihnen jetzt angeführt habe. Durch ein so geartetes Bewußtsein wird man es dahin bringen, in der richtigen Weise einzuhalten mit der Überfütterung des Gedächtnisses und in anderer Weise an das Kind heranzutreten. Und man wird sehen, das Kind wird wiederum eine gesundere Lebensfarbe bekommen, wenn man in der Folgezeit nicht zu stark an seine Erinnerung appelliert, son­dern mehr an dasjenige, was erlebt wird. Sagen wir, man führt ihm an dem einen Tag etwas Schönes vor, an dem es eine unmittelbare Freude hat, und am nächsten Tag etwas anderes Schönes oder das frühere in einer Variante. Man appelliert also in der nächsten Zeit nicht an sein Erinnerungsvermögen.

Oder man habe einen Knaben vor sich, den man wiederum von einem gewissen Punkte an unterrichtet hat. Der zeigt für ein feineres Bemerken nach einiger Zeit, daß er leise errötet. Nicht Schamröte kommt ihm, sondern ein mit seinen ganzen Gesundheitsverhältnissen zusammenhängendes Erröten kann man bemerken. Das braucht nicht robust aufzutreten, sondern in intimer Beobachtung enthüllt sich: der Knabe ist einfach jetzt von rötlicherer Hautfarbe, als er sie vorher

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gehabt hat. Natürlich können wieder alle möglichen Veranlassungen dazu da sein; aber das wird sich ja für eine gesunde Erziehungs- und Unterrichtskunst im einzelnen herausstellen. Aber es kann der Fall vor­Liegen, daß ich gerade diesem Knaben in bezug auf das Erinnerungs­vermögen zuwenig zugemutet habe, daß ich zuwenig appelliert habe an sein Erinnerungsvermögen. Dadurch ist er zum Erröten gekommen, und ich muß das nach einer anderen Seite ausbessern, indem ich nun an-fange, seine Erinnerungsfähigkeit in Anspruch zu nehmen. Und wieder gibt es eine Steigerung desjenigen, was einem da entgegentritt im, ich möchte sagen, milden Erröten. Das nächste ist nämlich ein Seelisches:

der Knabe bekommt leise, aber als Anlage schon bedeutende Zornan-wandlungen, Wutanwandlungen. Es ist durchaus ein Zusammenhang möglich, daß aus einem Leerbleiben der Erinnerungsfähigkeit ein Kind zu Zornanwandlungen, zu krankhaften leisen Wutausbrüchen kommt, die wiederum in schädlicher Weise auf den Organismus zurückwirken; denn das Geistig-Seelische ist beim Menschen zwischen der Geburt und dem Tode fortwährend in Wechselwirkung mit dem Physisch-Leib­lichen. Und die höchste Steigerung, die dadurch kommen kann, ist diese, daß das betreffende Kind zu einer Steigerung, zu einem Unregel­mäßigwerden seiner Atmung, seiner Blutzirkulation kommt. Ich kann sogar nach dieser Richtung hin ganz schlimme Anlagen in das Kind ver­setzen, wenn ich mich nicht zurechtfinde in dem, was sich da zunächst im Rötlicherwerden der Hautfarbe, nachher in den leisen Zorn- und Wutanwandlungen, und dann in einem leise gesteigerten Atmungs- und Zirkulationsprozesse ausdrückt. - Manche Anlagen, die in dem Men­schen stecken und erst nach Jahren, wenn andere auslösende Ursachen da sind, vielleicht zu sehr schweren Krankheitsfällen führen, die haben ihren Grund in den Vornahmen einer verfehlten Erziehungs- und Un­terrichtskunst.

So muß derjenige, der Erzieher und Unterrichtskünstler sein will, durchaus eine Erkenntnis davon haben, wie die Wege der menschlichen Natur sind zur Gesundung hin oder zum Krankwerden, zum Bekom­men von Krankheitsanlagen. Wie gesagt, die extremen Fälle mögen dem Arzte gehören, aber im Entwickeln des Menschen werden fort­während die Wege zur Gesundungs-, zur Krankheitsanlage betreten.

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Die muß der Erziehungs-, der Unterrichtskünstler kennen. Er muß sie sogar in ihrer feineren Manifestation beobachten können. Das sind Dinge, die in allererster Linie der Erziehende, der Unterrichtende vom Gesund- und Krankwerdeu des Menschen wissen muß.

Um das noch anschaulicher zu machen, werde ich ein drastisches Beispiel gebrauchen, das ja anfechtbar ist, aber im Leben kann ja alles die mannigfaltigste Gestalt annehmen. Daher kann auch dasjenige, was ich anführe, in anderen Fällen selbstverständlich wiederum von ganz anderem kommen. Man gewöhnt sich daran, wenn man sich in anthro­posophische Pädagogik und Didaktik hineinlebt, für dasjenige, was auftritt, eben die mannigfaltigsten Ursachen zu suchen; aber der Zu­sammenhang kann durchaus der folgende sein, den ich jetzt darstellen will.

Nehmen wir einmal an, ein Knabe oder ein Mädchen sitzt da in der Klasse. Es war lange Zeit hindurch ganz normal aufmerksam, ich war mit seiner Aufmerksamkeit durchaus zufrieden. Nun fängt es an, so leise blasiert zu werden, nicht mehr genügend aufmerksam zu sein. Ge­wisse Dinge, die ich vorbringe, gehen an ihm vorüber. Vielleicht kann es dann vorkommen, daß ein nicht geschulter Erziehungskünstler, je nach seiner Weltanschauung, zum Prügeln greift oder zu einer anderen Strafe, um das Kind wieder aufmerksamer zu machen. Derjenige, der mit dem Zusammenhange zwischen dem Geistig-Seelischen und dem Leiblich-Physischen des Menschen in bezug auf die Wege von Gesund­heit und Krankheit bekannt ist, wird zu etwas ganz anderem greifen. Er wird dem Jungen oder dem Mädchen sagen: Du mußt dir zur rechten Zeit die Fingernägel oder die Fußnägel schneiden; du wartest zulange, bis du dir die Finger- oder die Fußnägel abschneidest. - Denn dasjenige, was sich da als Wachstumskraft äußert, in das menschliche Werden übergeht, in das Wachsen der Fingernägel und der Fußnägel, das ist ja auch durchseelt, durchgeistet. Und wenn die Fingernägel oder die Fußnägel zu lang werden, dann staut sich diese Wachstumskraft, dann kann diese Wachstumskraft sich nicht in die Finger- und in die Fuß-nägel hinein ergießen, wird zurückgehalten. Und dieses Stauen des Wachstums, das erst wiederum frei wird, wenn man die Nägel ab­schneidet, wenn also wiederum die freie kleine Oberfläche daliegt, dieses

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Stauen, das staut auch auf der anderen Seite das Geistig-Seelische der Aufmerksamkeit zurück. Denn die Aufmerksamkeit kann sich nur bei einem vollen, freien, ungehemmten Leben, das durch den Organis­mus fließt, entwickeln. In den meisten Fällen wird man bei Kindern, die man dazu angeleitet hat, die Fingernägel und die Fußnägel in der richtigen Weise zu schneiden, solche Wandlungen, solche Metamor­phosen in der Aufmerksamkeit eben nicht bemerken.

Ich führe ein solches Beispiel nur an, damit Sie sehen, daß anthro­posophische Pädagogik und Didaktik nicht darauf ausgeht, das Phy­sische zu vernachlässigen und nur in das Nebulos-Geistige hinaufzu­steigen, sondern daß gerade das Geistige ins Auge gefaßt wird, um das Leben in der richtigen Weise zu verstehen und zu behandeln.

So wird der Lehrende, der Erziehende dadurch, daß er sich in dieser Weise in die menschliche Natur erkennend hineinversetzen lernt, ge­rade in bezug auf die Wege des Menschen zur Gesundheit, zur Krank­heit für seinen Beruf auf das Richtige kommen.

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SECHSTER VORTRAG Dornach, 28. Dezember 1921

In den Betrachtungen von gestern und heute will ich nicht etwa schon etwas Spezielles über Gesundheits- und Krankheitslehre sagen, son­dern zunächst nur dasjenige, was die Notwendigkeit darlegen wird, daß sich der Lehrende und Unterrichtende auf Wege begeben muß, die ihn zu einem Durchschauen des Gesundenden und Krankmachenden im Menschen führen. Der Unterrichts- und Erziehungskünstler muß ja vor allen anderen Dingen wirklich in die menschliche Gesamtorga­nisation hineinschauen können, und er darf sich nicht den unbefange­nen, man möchte sagen, instinktiv-intuitiven Blick für diese mensch­liche Gesamtorganisation stören lassen durch allerlei abstrakte pädago­gische und didaktische Regeln. Die machen ihn dem Kinde gegenüber nur befangen. Er muß ganz frei dem Kinde gegenüberstehen.

Nun hört man ja besonders in Mitteleuropa, ich weiß nicht, ob es in Westeuropa auch so ist, sehr häufig den Satz anführen: es gäbe nur eine Gesundheit und sehr, sehr viele Krankheiten. Dieser Ausspruch, an den vielfach geglaubt wird, kann aber doch einer wirklichen Men­schenerkenntnis gegenüber nicht bestehen, denn der Mensch ist so indi­viduell, so als besonderes Wesen gestaltet, daß eigentlich im Grunde genommen jeder und auch schon jedes Kind seine eigene Gesundheit hat, eine ganz besonders modifizierte Gesundheit. Und man kann sa­gen: So viele Menschen es gibt, so viele Gesundheitsverhältnisse und Krankheitsverhältnisse gibt es. - Das schon weist uns darauf hin, wie wir unser Augenmerk immer darauf lenken müssen, die besondere indi­viduelle Natur des Menschen zu erkennen.

Davon aber kann nur dann die Rede sein, wenn der Mensch im­stande sein wird, dasjenige, was er im anderen Menschen vor sich hat, wirklich seiner Ganzheit, seiner Totalität nach zu betrachten. In dem Menschen, dem wir im Leben gegenüberstehen, haben wir ein Inein­anderwirken von Geistig-Seelischem und Physisch-Leiblichem vor uns, gerade so, wie wir im Wasser Sauerstoff und Wasserstoff vor uns ha­ben. Und in dem, was als Mensch vor uns steht, kann das Geistig-Seelische

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und das Physisch-Leibliche unmittelbar ebensowenig angeschaut werden wie im Wasser der Wasserstoff und der Sauerstoff.

Man muß, um die beiden Wesensglieder des Menschen richtig zu­sammenzuschauen, sie eben erst kennen. Und man kann sie nicht aus der gewöhnlichen Lebenserkenntnis heraus erkennen. Heute betrachtet man ja den Menschen auf der einen Seite so, daß man ihn in der Phy­siologie und Anatomie so betrachtet, wie er als leibliches Wesen vor uns steht, und man liebt es ganz besonders, die Physiologie und die Anatomie nach dem aufzubauen, was man nun nicht mehr als den kon­kreten Menschen vor sich hat, sondern als den Leichnam, wo das Gei­stig-Seelische weg ist.

Und auf der anderen Seite betrachtet man den Menschen nach dem, was er in seinem Inneren erleben kann. Aber in unserer naturalistisch­intellektualistischen Zeitperiode bemerkt ja der Mensch, indem er in sein Inneres hineinschaut, eigentlich nur noch Abstraktionen, nur noch ganz dünne, kalte Vorstellungen. Er wird nur warm, wenn er auf eine ihm unerklärliche Weise dann zum Fühlen und zu den Willensimpul­sen kommt. Die durchschaut er aber wieder nicht. Die dringen als un­bestimmte Wogen aus seinem Inneren herauf. Beim Hineinschauen in das Innere wird er nur die ganz dünnen, kalten Gedanken gewahr.

Sehen Sie, daß der Mensch, wenn er durch Innenschau diese kalten, blassen, dünnen Gedanken wahrnimmt, ja kein Wirklichkeitsgefühl be­kommen kann, kein Realitätsgefühl, das ist eigentlich ganz selbstver­ständlich. Und ich werde jetzt etwas aussprechen, was der heutigen Lebensauffassung etwas paradox erscheint, aber was doch eben durch­aus der Wahrheit entspricht. Man wird nämlich materialistisch ge­stimmt heute wegen einer zu hohen, nämlich einer zu dünnen Geistig­keit, weil dasjenige, was man im Inneren sieht, wirklich keinen Reali­tätscharakter mehr hat. Und gerade diejenigen Menschen unserer Kul­turperiode sind ja die stärksten Materialisten geworden, die in den ab­straktesten Gedanken leben. Man wird gerade durch die heutige Gei­stigkeit zum Materialisten. Und umgekehrt, diejenigen Menschen, wel­che wenig angekränkelt sind von des Gedankens Blässe, wie er in un­serer Zeit hervorgebracht wird, die sich wenig einleben in die gegen­wärtige Art des schulmäßigen, des wissenschaftlichen Denkens, die sich

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mehr an die äußeren, materiellen Vorgänge halten, die ahnen in diesen äußeren materiellen Vorgängen Geheimnisvolles genug. In unseren Ge­danken ist nicht viel Geheimnisvolles heute. Die sind recht dünn, durch­sichtig, vor allen Dingen ganz abscheulich klar, deshalb aber auch nicht in der Wirklichkeit stehend. Die materiellen Vorgänge draußen, die sind aber schon geheimnisvoll; die kann man nicht nur in Klarheit an­schauen, sondern man kann sie auch bewundern, an die kann sich auch das Gefühl anheften. Daher werden diejenigen, die wenig angekränkelt sind von unserem heutigen Gedankenleben, die es sich nicht so unbe­quem gemacht haben, die Wissenschaft der heutigen Zeit zu studieren, sich mehr an das Materielle, an das geheimnisvoll Materielle halten. Und wenn sie dann doch die Sehnsucht haben, etwas vom Geist zu er­kennen, dann wollen sie diesen Geist auch als etwas Materielles hin-stellen. Und die werden Spiritisten. Man wird aus der heutigen ab­strakten naturwissenschaftlichen Erkenntnis heraus nicht Spiritist, son­dern Materialist; man wird aber gerade aus dem Hinneigen zum Ma­teriellen heute Spiritist. Das ist das Eigentümliche, Paradoxe unserer Zeit, daß die am Materialismus hängenden Menschen, wenn sie noch Sehnsucht haben nach dem Geiste, Spiritisten werden. Sie wollen den Geist auch in materieller Form, in materiellen Erscheinungen hinge-stellt haben. Und diejenigen, welche sich in die Wissenschaft der heu­tigen Zeit einleben, die werden Materialisten. Aber man kann weder mit Materialismus noch mit Spiritismus den Menschen erkennen, son­dern man kann den Menschen nur erkennen, wenn man in dem, was vor uns steht, das Geistig-Seelische und das Physisch-Leibliche inein­anderschauen kann, wenn man in jedem Organ und im ganzen Men­schen immer die innige Durchdringung von Physisch-Leiblichem und Seelisch-Geistigem sieht.

Der Mensch spricht heute von der Seele und vom Geist, gewiß; er spricht vom Leib und vom Körper. Und dann stellt er große Philo­sophien an, welches Verhältnis zwischen der Seele und zwischen dem Leibe besteht. Da werden von den gescheitesten Menschen ausführ­liche Theorien aufgestellt. Die Theorien sind sehr gescheit, sehr scharf­sinnig, aber sie können ja nicht die Wirklichkeit berühren, aus dem ein­fachen Grunde, weil sich die Wirklichkeit nur ergibt, wenn man in dem

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vollen Menschen, in dem ganzen Menschen, in unmittelbarer Anschau­ung das Geistig-Seelische und das Physisch-Leibliche sich durchdrin­gend, durchschauen kann. Und wer die Menschenerkenntnis von heute recht betrachtet, der wird ja auch finden, wie grau und nebulos sowohl die äußere Menschenerkenntnis wie auch die innere ist.

Wenn der Mensch heute den Menschen betrachtet, der vor ihm steht, dann sagt er: Das ist ein Ganzes. - Man betrachtet ihn als ein Gan­zes, weil er durch die Haut schön abgeschlossen ist. Aber man berück­sichtigt wenig, wie ja diese Einheit eigentlich nur dadurch eine Einheit ist, daß die mannigfaltigsten Organe in dieser Einheit Zusammenwir­ken. Man kann ja die Einheit nur erfassen, wenn man sieht, wie die mannigfaltigsten Organe zu dieser Einheit zusammenwirken. Und wenn heute jemand spricht, daß der Mensch doch nicht so von vornherein als eine Einheit angesehen werden kann, dann kommen die Gegner und sagen: Ja, ihr zerstört die Einheit des Menschen; man muß ihn als eine Einheit betrachten. - Aber diese Einheit bleibt ja ein ganz abstrakter Gedanke, wenn man sie in der eigenen Vorstellung nicht selber aus den konkreten Gliedern, die im Menschen enthalten sind, aufbauen, harmo­nisieren kann.

Und wiederum, wenn der Mensch nach innen schaut, faßt er das­jenige, was in ihm lebt, zusammen, indem er zu sich «Ich» sagt. Leute von größter Kapazität, wie John Stuart Mill, mußten sich alle Mühe geben, Theorien darüber zu finden, was eigentlich da in diesem inner­lichen Zusammengefühle enthalten ist, das sich als Ich ausdrückt. Der Mensch soll nur einmal recht achtgeben darauf, wie nebulos diese punktuelle Vorstellung «Ich» ist, was er damit eigentlich hat. Er wird schon sehen, daß er nicht mehr etwas Konkretes erfaßt in dem, was er mit dem Worte Ich bezeichnet. Im Deutschen - drei Buchstaben sind es in der Regel, und über die Buchstaben kommt der Mensch nicht hin­aus. Im Englischen sollen es sogar noch weniger sein, was man mit dem Ich umfaßt, nicht einmal drei Buchstaben. Sie sehen also: nebulos beim Hineinschauen ins Innere, nebulos beim Hinausschauen in die äußere Leiblichkeit wird die heutige Menschenerkenntnis.

Gerade dieses Zusammenschauen des Geistigen mit dem Physischen, das ist es. was die Anschauungsweise des Menschen befruchtet. Die

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Menschen fühlen sich heute ungeheuer wohl, wenn ihnen das Goethe­sche Wort entgegenklingt: Materie in Geist, Geist in Materie. - Es ist schön, daß sich die Leute wohl fühlen dabei, denn es entspricht ja das wirklich einer Realität. Aber für denjenigen, der gewöhnt wird, überall das Geistige und das Physische zusammenzuschauen, für den kann das ebenso eine Trivialität sein, wenn man ihn noch zur Aner­kennung dieser Selbstverständlichkeit auffordert. Und daß sich die Leute so wohl fühlen, wenn so etwas theoretisch vor sie hingestellt wird, das ist eben ein Beweis dafür, daß sie es in der Praxis nicht haben. Sehr dezidierte Theorien sind in der Regel ein Beweis dafür, daß man das Betreffende in der Praxis nicht hat, wie die Geschichte zeigt. Die Leute haben erst über das heilige Abendmahl in Theorien zu disku­tieren angefangen, als sie in der Praxis der Sache nicht mehr die nötige Empfindung entgegenbrachten. Theorien stellt man in der Regel auf für das, was man nicht hat, nicht für das, was man im Leben hat.

Gerade mit dieser Gesinnung kann nun derjenige, der ein wirklicher Erziehungs- und Unterrichtskünstler sein will, an eine Menschen-erkenntnis herangehen. Dann wird er aber dazu geführt, die Glied­haftigkeit des Menschen in der Konkretheit zu erfassen, nicht ein ver­schwommenes Einheitsgebilde; die Einheit tritt zuletzt auch auf, aber aus dem Zusammenhang der Gliedhaftigkeit. Und da kann man dann nicht anders, als zunächst zu dem geführt werden, was ich zuerst in meinem Buche «Von Seelenrätseln» angedeutet habe, zu der Gliederung des Menschen in drei ihrer Organisation nach verschiedene Wesensteile. Schon äußerlich zeigt sich die Kopforganisation ganz anders als, sagen wir, die Organisation, die wir sehen als die Gliedmaßen-Stoffwechsel­Organisation. Ich spreche von Gliedmaßen-Stoffwechselorganisation, weil der Stoffwechsel dann charakteristisch hervortritt, wenn der Mensch durch seine Gliedmaßen in Tätigkeit ist. Der Stoffwechsel ist ja auch morphologisch gewissermaßen die Fortsetzung nicht des ruhen­den, sondern des bewegten Menschen nach innen; daher ist er reger, wenn der Mensch bewegt ist. Es ist ein innerer Zusammenhang, den man auch ganz im einzelnen nachweisen kann - ich will ihn hier nur andeuten - zwischen dem Gliedmaßenorganismus und dem Stoffwechselorganismus,

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so daß ich da zunächst von einer Einheit spreche: Glied­maßen-Stoffwechselorganismus. Aber an sich stellen diese beiden ein­ander entgegengesetzte Organisationen dar.

Nehmen Sie schon das Äußerliche, rein der Gestalt nach. Der Kopf ist, wenn wir von den Haaren absehen, die aber nach außen gehen und eigentlich etwas sind, was sich der lebendigen Organisation ent­zieht, die etwas Totes sind - es ist interessant, die Haare zu betrachten, aber es würde uns im gegenwärtigen Augenblicke zu weit führen -, der Kopf ist von einer Skelettkapsel umgeben, und die ist an der Peri­pherie am mächtigsten ausgebildet; während dasjenige, was das Weiche, Lebendige des Hauptes, des Kopfes ist, im Inneren liegt. Sehen Sie sich dagegen die Organisation des Menschen am entgegengesetzten Pole an, sehen Sie sich die Gliedmaßenorganisation an: Sie haben den Röhren-knochen, innerhalb desselben das gewöhnlich kaum bemerkte Mark, dem man für den Gesamtorganismus nicht eine solche Bedeutung zu-schreibt wie dem Inneren des Kopfes; dagegen sehen Sie dasjenige, was wichtig ist für den Organismus, äußerlich angehängt. Also gerade den Gegensatz sehen wir hier ausgebildet. Und dieser Gegensatz ist durch die ganze menschliche Natur bedingt. So daß wir von zwei entgegen­gesetzten Naturen sprechen können: von der Nerven-Sinnesorganisa­tion, die hauptsächlich, ich sage hauptsächlich, nicht ausschließlich, im Kopfe lokalisiert ist, und von der Stoffwechseltätigkeits-Organisation, die im Stoffwechsel-Gliedmaßenorganismus lokalisiert ist. Natürlich ist der Mensch in Wirklichkeit doch eine Einheit. Und wir dürfen nicht vergessen, daß wir nicht, einer gewissen schematisierenden Neigung entsprechend, jetzt wiederum drei Teile hinstellen und diese fein de­finieren dürfen: Nerven-Sinnesorganisation, die andere werden wir gleich kennenlernen, Stoffwechsel-Gliedmaßenorganisation, und dann feine Definitionen hinstellen, als ob das so getrennt wäre. So getrennt ist es nicht. Es findet ein fortwährender Stoffwechsel und auch eine Be­wegungstätigkeit in den Muskeln des Kopfes statt und im Kopfe; aber es ist der Kopf hauptsächlich Nerven-Sinnesorganisation; und es findet auch ein Durchdringen des Stoffwechsel-Gliedmaßenorganismus mit Gedankenkräften statt. Aber es ist der Stoffwechsel-Gliedmaßenorga­nismus eben hauptsächlich Stoffwechsel-Gliedmaßenorganismus.

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Und zwischen drinnen steht alles dasjenige, was man nennen kann den rhythmischen Organismus des Menschen. Er ist lokalisiert im Brust­Organismus. Da haben wir die hauptsächlichsten Rhythmen, Atmungs­rhythmus, Zirkulationsrhythmus voneinander differenziert; der At­mungsrhythmus langsam, der Zirkulationsrhythmus schneller; der At­mungsrhythmus in den Atemzügen bemerkbar, der Zirkulationsrhyth­mus im Pulsschlag. Das ist das Vermittelnde, das steht zwischen den beiden anderen Polen drinnen, das gleicht aus. Es wäre reizvoll, das alles im einzelnen durchzuführen, allein das kann man nicht immer, wenn man zu einem besonderen Zweck, wie hier zu dem pädagogisch-didaktischen, die Dinge auseinandersetzt. Wenn Sie sich aber einen Sinn dafür aneignen, die Brustorganisation zu betrachten, dann wer­den Sie in der Skelettgestaltung, in der Gestaltung der Organe, überall den Übergang finden von der Gestalt der Kopforgane zu der Gestalt der Gliedmaßenorgane, der Stoffwechselorgane. Es steht das alles, was in der Brustorganisation ist, auch seiner Form nach, in der Mitte drin­nen zwischen diesen beiden Polen der menschlichen Organisation. Zu dieser Betrachtungsweise werden wir geführt, wenn wir uns auf den Weg begeben, den Menschen nun tatsächlich seiner inneren Konfigu­ration nach anzuschauen und nicht einfach das nebulose Gebilde des Einheitsmenschen vor uns hinstellen.

Aber das geht viel weiter. Das geht auch in die Betätigungsweise des ganzen Menschen hinein. Und dafür möchte ich Ihnen auch ein Beispiel anführen. Man könnte unzählige solcher Beispiele anführen, aber gerade aus einem solchen Beispiel werden Sie sehen, wie not­wendig es ist, daß gerade der Unterrichts- und Erziehungskünstler sich auf einen solchen Weg begibt, wie ich ihn hier darstelle. Nehmen Sie einmal an, Sie haben einen Menschen vor sich, der an Zornanwand­lungen leidet. Zornanwandlungen, Zornmütigkeit beim Menschen kön­nen schon im Kinde auftreten. Man muß damit fertig werden als Er­zieher, als Unterrichtskünstler. Nun, wenn man mit der heutigen Phy­siologie und Anatomie den Menschen betrachtet, so wird man ja aller­dings noch auf der einen Seite abstrakt untersuchen, wie die Seele sich auslebt, wenn sie zornig wird, wie der Gewohnheitszorn sich äußert; das steht auf der einen Seite. Auf der anderen Seite wird man vielleicht

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auch wiederum dazu kommen, sich zu sagen: beim zornmütigen Men­schen sondert sich Galle ab im abnormen Maße. Aber man schaut diese zwei Dinge nicht zusammen. Man schaut nicht das Geistig-Seelische des Zorns, des Ärgers, und das Leiblich-Physische, die Gallenabsonde­rung als eine Einheit zusammen. Nun, im normalen Menschen ist es notwendig, daß er die Gallenabsonderung hat, weil sich der Gallsaft vermischen muß mit den Stoffen, die sich seinem Organismus durch die Ernährung einverleiben. Von dem, was ganz in der Ordnung ist im normalen Organismus, von dem tut der Zornmütige zuviel, er sondert zuviel Galle ab. Und wenn er in diesem Zustande verbleibt, wird er zuletzt die Gelbsucht bekommen, wie Sie wissen.

Wir sehen durch ein Zusammenschauen des Geistig-Seelischen mit dem Physisch-Leiblichen eine Krankheitsneigung entstehen. Das allein aber genügt nicht, um die Menschennatur zu beurteilen. Während im Stoffwechselorganismus die Galle abgesondert wird, geschieht immer im Kopforganismus ein polarisch entgegengesetzter dazugehöriger Vor­gang. Man betrachtet überhaupt die menschliche Natur nicht voll­ständig, wenn man nun wiederum nur die Aufmerksamkeit auf die Galle und auf ihre Absonderung richtet, wenn man nicht weiß: wäh­rend im Stoffwechselorganismus Galle abgesondert wird, geschieht im Kopforganismus gerade das polarisch Entgegengesetzte. Da findet eine Aufnahme einer aus dem übrigen Organismus zubereiteten milchsaft-ähnlichen Flüssigkeit statt. Während also im abnormen Maße im Stoff­wechselorganismus Gallenflüssigkeit abgesondert wird, entnimmt der Kopf aus dem übrigen Organismus, indem er sie aufsaugt, eine milch­saftähnliche Flüssigkeit. Dadurch entwickelt der Zornmütige einen Hang, seinen Kopf mit dem auszustaffieren; allerdings, wenn die Zorn-anwandlung vorüber ist, dann fühlt er so etwas, wie wenn sein Kopf zerspringen würde. Und während ihm einerseits durch die Gallen­absonderung etwas gegeben werden kann in der milchsaftähnlichen Flüssigkeit, zeigt sich andererseits, wenn der Zorn im Abfluten ist, daß er durch dasjenige, was sich in seinem Kopf ansammelte, ganz blau wird. - Wir sehen also, auch wenn wir nicht bloß auf die Form, son­dern auch auf die Vorgänge schauen, eine Polarität zwischen der Kopf-oder Nerven-Sinnesorganisation und der Gliedmaßen-Stoffwechselorganisation.

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Zwischen beiden ist die rhythmisch-regulierende Organi­sation, eben die rhythmische Organisation. die in Atmung und Zirkula­tion besteht.

So steht gewissermaßen in der Mitte der menschlichen Natur die rhythmische Organisation in Atmungsrhythmus, in Zirkulationsrhyth­mus. Wenn man nun versucht, seine Menschenerkenntnis nicht so be­quem auszugestalten, daß man sie nach den ruhenden Organen richtet, und diese möglichst in scharfen Konturen aufzeichnen will, sondern wenn man seine Menschenerkenntnis innerlich beweglich macht, so wird man vor allen Dingen von der Beziehung, dem Verhältnis gefan­gengenommen werden, das zwischen den drei angeführten Gliedern der menschlichen Natur besteht. Man wird sehen, wenn man den Blick zu der rhythmischen Atmungstätigkeit hinwendet, wie beim Einatmen ge­wissermaßen der Atmungsstoß bis zu jener Flüssigkeit geführt wird, die den Rückenmarkskanal ausfüllt. Diese Flüssigkeit setzt, indem sie den Atmungsrhythmus empfängt, diesen Atmungsrhythmus bis in die Flüs­sigkeit des Gehirns hinein fort, welche die verschiedenen Hirnhöhlen ausfüllt, und durch das Anschlagen dieser Atmung an das Gehirn wird fortwährend dasjenige aus der Atmung heraus angeregt, was den Men­schen bereit macht, durch seine Nerven-Sinnesorganisation, durch die Kopforganisation zu wirken. Es ist wie eine Umsetzung des Atmungs­prozesses durch den Rückenmarkskanal mit Hilfe der Rückenmarks-und Gehirnflüssigkeit in den Kopf hinein, was von diesem mittleren Gliede, von dem Atmungsgliede an Reizen fortwährend in den Kopf hinein will.

Und wiederum, wenn wir nach unten gehen, wenn wir sehen, wie der Atmungsrhythmus sich gewissermaßen mehr erregt zum Pulsrhyth­mus, wie er in den Zirkulationsrhythmus übergeht, so lernen wir darauf blicken, wie nun wiederum bei der Ausatmung, wenn die Gehirnflüs­sigkeit und Rückenmarksflüssigkeit nach unten stößt, der Zirkula­tionsrhythmus auf die Stoffwechseltätigkeit wirkt, und wir sehen den Zirkulationsrhythmus ineinanderwirken mit dem Sinnes-Nervenorga­nismus und dem Stoffwechsel-Gliedmaßenorganismus auf dem Um­wege durch eine lebendige, plastisch-künstlerische Betrachtung der Atmungs-Zirkulationsorganisation. Wir sehen, wie sie sich polarisch

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nach der einen Seite hin in das Gehirn, in die Kopforganisation er­streckt, auf der anderen Seite ganz anders, polarisch entgegengesetzt in dem Stoffwechsel-Gliedmaßenorganismus sich äußert. Aber wenn man sich einmal auf den Weg begibt, der in dieser Art den Menschen leben­dig auffaßt, dann kommt man weiter. Dann wendet man den Blick auf den Atmungs-Zirkulationsrhythmus hin und verschafft sich Vor­stellungen, die sich gewissermaßen mit dem Atmungs-Zirkulations­rhythmus decken. Diese Vorstellungen sind ja nicht so bequem, daß man sie aufzeichnen kann, aber dieses Aufzeichnen und Einteilen, das ist überhaupt etwas Mißliches gegenüber der immer beweglichen Men­schennatur.

Als wir uns, lassen Sie mich das einschalten, noch innerhalb der Theosophischen Gesellschaft bewegten mit der anthroposophischen Er­kenntnis und Lebenspraxis, da traf man überall, wenn man in die Zweige kam, Tabellen, ein, zwei, drei, vier, fünf, manchmal ganz un­geheuer viele Zahlen und überall zu diesen Zahlen Termini dazu. Da war alles gegliedert. Man hatte so eine schematische Leiter. An dieser hätte man hinaufsteigen können in die höchsten Regionen des Daseins. Manche stellten sich auch so etwas wie ein Kletterturnen vor von der physischen Welt hinauf in die höchsten Regionen des Daseins. Es war alles so hübsch eingekapselt. Das kann für denjenigen, der weiß, daß man die bewegliche Menschennatur übersinnlich wirklich nur so er­fassen kann, daß man sich sein Vorstellungsleben beweglich erhält, das kann so werden - ja, es zuckte einem furchtbar in den Gliedern, wenn man in diese Zweige hineinkam, man konnte es gar nicht aushalten, man hätte immer gleich hinauslaufen mögen, bloß wegen dieser Denk-gewohnheiten. Nun, das ist es eben, worauf es ankommt, daß man zu einer wirklichen Menschenerkenntnis den Weg suchen muß durch Be­weglichmachen seiner Vorstellungen. Dadurch gelangt man aber von dem, was ich schon angeführt habe, dann noch um einen Schritt weiter.

Wenn man versucht, Vorstellungen zu gewinnen über diesen At­mungs-Zirkulationsrhythmus, wie er sich nach oben modifiziert und metamorphosiert, dann kommt man dazu, sich zu sagen, indem man jetzt nicht schematisch. sondern nur andeutend zeichnet (es wird gezeichnet):

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man hat hier etwas wie Vorstellungsstränge, durch die man sich in einer ziemlich robusten Art vorstellt, was durch die Atmungs­wege, Zirkulationswege sich für Prozesse abspielen, und man erfaßt dann das, was da materiell ist in der Blutflüssigkeit, in der viel feine­ren imponderablen Nerven-Ätherflüssigkeit, könnte man sagen. Aber wenn man nun den Menschen weiter vorstellt, indem man den Blick von der Brustorganisation im Menschen nach aufwärts wendet, so sieht man sich gedrängt, seine Vorstellungen selber zu zerfasern, sie netz­förmig zu gestalten. Und dadurch kommt man dazu, etwas, was äußer­lich real, wirklich ist, tatsächlich durch seine nach oben hin modifi­zierten Vorstellungen zu erfassen. Man kommt dazu, diese robusten,

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dicken Stränge zu zerfasern, und man kommt allmählich durch das Vorstellen dieses Prozesses in dasjenige hinein, was die sogenannte weiße, faserige Hirnsubstanz ist, die unter der grauen Masse liegt. Man wird mit seinen Vorstellungen so beweglich, wie die menschliche Natur selber beweglich ist.

Und wiederum, wenn man dem Menschen die Ehre antut, ihn nicht einfach so robust anzuschauen: er ist eine Einheit, sondern, wenn man auf seine Brust schaut, hier diese robusten Vorstellungen hat, dann, indem man sich dem Kopf nähert, die Vorstellungen zerfasert, kommt man gerade dadurch, indem die Vorstellungen sich zerfasern, in das materielle Leben hinein, was einem dann in den Nervenfasern und in ihren Verwebungen abgebildet wird.

Wenn man nun mit seinem Vorstellen nach abwärts geht, dann kommt man dazu, das nicht zu können, die Vorstellungen zu zerfasern, so daß sie ein Gewebe bilden, das man dann im Nervensystem wieder­findet, sondern dann kommt man dazu, indem man versucht, die ro­busten Stränge nach unten fortzusetzen, daß man sie verliert. Sie hören auf, sie wollen sich nicht fortsetzen, sie hören auf. Man kommt in ein Vorstellen hinein, das sich nicht mehr recht mit einem Materiellen decken will, weil einem das Materielle flüssig wird. Sehen Sie, wenn Sie sich das Gehirn anschauen, wie es sich im Rückenmark durch die zwölf Brustwirbel, Lendenwirbel, Kreuzwirbel und so weiter fortsetzt, so lösen sich die Nervenmassen, die jetzt außen weiß und innen grau sind, gegen das Stoffwechselgebiet hin auf. Gewissermaßen verliert sich die Möglichkeit in diesem Gefühl, sich das materiell vorzustellen. Man kann nicht mit gleichartig bleibenden Vorstellungen den ganzen Men­schen umfassen. Man muß sein Vorstellungsleben innerlich beweglich machen. Indem man beim Menschen hinaufschaut, werden die Vor­stellungen zu etwas anderem, als wenn man beim Menschen herunter­schaut. Es ist eine Art Nachschaffen desjenigen möglich, was beim Men­schen beweglich geworden ist. - Sie sehen, es ist ein Anfang zu einer künstlerischen Tätigkeit, die dann gewissermaßen den Erkennenden in dasjenige hineinstellt, was man als materielles Gebiet wirklich drau­ßen am Menschen in der Welt sieht. Man hat, möchte man sagen, nicht auf der einen Seite die derbmaterielle konkrete Welt und dann das abstrakte

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Vorstellen, sondern man taucht unter in die menschliche Natur. Und das, was man in den Vorstellungen hat, das wird selber so, daß es lebendig wird und das menschliche Leben mitlebt. Auf eine andere Weise kann man insbesondere das, was man als Erziehungs- und Un­terrichtskünstler nötig hat, am Menschen gar nicht erkennen. Man muß in dieser Weise selber beweglich werden, um den Menschen wirklich zu erkennen. Dann wird man aber auch richtig herausfinden, wie diese drei Glieder der menschlichen Organisation zusammenwirken müssen, um das menschliche gesunde Gleichgewicht zu erzeugen. Und man wird auf dasjenige aufmerksam werden können, was in gestörtem Gleichgewicht die Neigungen zu allerlei Krankhaftem hervorbringt. Man wird eine lebendige Anschauung von dem Wege zum Gesunden­den und dem Erkrankenden im Menschen gewinnen.

Das wird namentlich dann wichtig, wenn man den menschlichen Lebenslauf ins Auge faßt. Denn in einer anderen Weise wirken im Kinde, in einer anderen Weise im reifen Alter und in einer noch ande­ren Weise im Greisenalter diese drei Glieder des menschlichen Orga­nismus zusammen. Beim Kinde ist es so, daß die geistig-seelische We­senheit in einer ganz anderen Art in die physisch-leibliche hineinwirkt, so daß zwischen diesen drei Gliedern ein ganz anderes Zusammenwir­ken zustande kommt als beim reifen Menschen und beim Greise. Und auf dieses verschiedene Wirken wird man hinschauen müssen. Wenn man überhaupt den Weg zu einem solchen Vorstellen nimmt, wird man es allmählich dazu bringen, auch den menschlichen Lebenslauf in einer anderen Weise zu erfassen, als man das gewöhnt ist.

Man hat es mir besonders übelgenommen, daß ich in meinem Buche «Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit» darauf auf­merksam gemacht habe, wie das Kind eine Weisheit besitzt, die der Er­wachsene eigentlich gar nicht mehr hat. Gewiß, ich will ja der Weis­heit, der Gescheitheit unserer erwachsenen Leute nicht nahetreten; aber denken Sie nur einmal, wenn Sie all diese Weisheit im späteren Leben aufbringen müßten, die imstande ist, aus der verhältnismäßigen Unbe­stimmtheit der Gehirnmasse, des übrigen Organismus weisheitsvoll den ganzen Organismus zu durchdringen, wie wir es im Kindheitsalter in­stinktiv machen, wir würden schlecht damit fahren. Allerdings bleibt

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das beim Kinde alles im Unbewußten stecken, wie es das Gehirn pla­stisch herausgestaltet, wie es das übrige plastisch herausgestaltet; aber es ist doch vorhanden, und man sieht, daß es vorhanden ist, wenn man mit den Mitteln des Erkennens, die ich Ihnen in den letzten Tagen geschil­dert habe, herangeht, den ganzen Lebenslauf zu betrachten; wenn man namentlich ein wirkliches Organ entwickelt für die kindlichen Träume. Die Erwachsenen weisen sie ja heute meistens als unsinnig zurück; aber diese kindlichen Träume, in ihrer Wesenheit betrachtet, sind außer­ordentlich interessant, sind ganz anders als die Träume des Erwach­senen. Sie sind so, daß das Kind tatsächlich vielfach von dem träumt -es kann es nur nicht ausdrücken, aber wir können dahin kommen, das Kind nach dieser Richtung zu verstehen -, daß das Kind in Gestalten von jener Weisheit träumt, durch die es sich sein Gehirn und seinen übrigen Organismus plastisch gestaltet. Würde man manchen Kindes-traum mit einer inneren Liebe nach dieser Richtung hin verfolgen, man würde schon sehen, wie das Kind, ich möchte sagen, Urweisheit träumt, die da waltet. Von diesem Gesichtspunkte aus, verzeihen Sie den harten Ausdruck, ist das Kind viel weiser, viel gescheiter als der erwachsene Mensch. Und der Erziehende sollte sich eigentlich bewußt sein, wenn er über die Schwelle der Schultüre schreitet, daß das Kind nach dieser Richtung viel mehr Weisheit hat als er. Er hat es ja schon abgelegt und ausgebildet; was er nun als die mittlerweile errungene Erfahrungsweis­heit, Erfahrungsgescheitheit hat, läßt sich doch nicht gut mit dem ver­gleichen, was er damals als Weisheit hatte. Wenn man daher die mensch­lichen Träume des späteren Alters nimmt, enthalten sie nicht mehr das, was das kindliche Träumen hat, sondern dasjenige, was der Mensch von dem äußeren Leben in das Träumen hineinträgt. Ich habe darüber von einem anderen Gesichtspunkte aus gesprochen. Träumt der er­wachsene Mensch, trägt er seine Tagesweisheit auch in das Nachtleben hinein; die wirkt wiederum auf ihn zurück, während auf das Kind eine viel höhere Weisheit wirkt. Die hat das Kind nicht im Bewußt­sein, aber im Unbewußten empfindet das Kind diese Weisheit, und wenn es in der Schule sitzt, so hat es ein unbewußtes Gefühl, daß es diese Weisheit in sich hat, die der Lehrer nicht hat, die er schon abge­legt hat. Der Lehrer hält sich äußerlich für viel weiser als das Kind.

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Es ist natürlich, er würde sich ja sonst nicht recht als Lehrer fühlen kön­nen; aber er hat seine Weisheit eben im Bewußtsein. Das hat er ja vor dem Kinde voraus. Aber sie ist nicht so umfassend, nicht so großartig wie die Weisheit des Kindes. Würde man dasjenige, was das Kind unbe­wußt als Weisheit in sich trägt, aussprechen, und würde man dasjenige, was der Lehrer verloren hat, auch wiederum in Worte kleiden, so würde etwas sehr Sonderbares herauskommen, das aber eine große Wichtig­keit hat für das wirklich imponderable Leben in der Schule. Da würde man nämlich auf das Folgende kommen: Wenn der Lehrer mit seiner in der Welt erworbenen Gescheitheit die Schule betritt, ist er durcb diese abstrakte Gescheitheit von heute, das kommt vor, ein ziemlich trockener, philiströser Mensch geworden, der das auch zuweilen schon im Äußeren zeigt. Das Kind hat ja noch all die Munterkeit, die aus jener Weisheit kommt, von der ich gesprochen habe. Man verbietet ihm natürlich, seine Empfindung auszudrücken. Und so kommt das zustande, daß in der Schule das Lehrerurteil waltet: Der Lehrer ist gescheit, das Kind ist dumm. - Aber im Unterbewußten ist es anders. Und wenn in den Träumen erst gesprochen würde, so ware es wieder anders. Im Unterbewußten kommt das zustande, daß die Kinder un­bewußt denken: Wie ist doch der Lehrer dumm - und der Lehrer denkt unbewußt: Wie sind doch die Kinder gescheit! - In dem ganzen En­semble spielt dasjenige, was da waltet in einer Schulklasse, eben eine außerordentlich große Rolle.

Man muß sich durchaus klar darüber sein, daß eigentlich das Kind, indem es sich so verhält, wie ich es geschildert habe, immer ein wenig in einer Art von innerem Hochmut, der aber unbewußt bleibt, in einer Belustigungsstimmung dem Lehrer auf ganz naturgemäße Weise, ge­genüberstehen muß; denn es kann ja nicht anders, als empfinden im Hintergrunde seiner kindlichen Natur das weisheitsvolle, den Men­schen aufbauende Wesen, und das andere - wie wenig eigentlich dann daraus geworden ist, wie man ja sieht; so urteilt dann ja die unbewußte Natur des Kindes -, wenn der Lehrer hereintritt mit seiner Steifigkeit, mit seiner durch abstrakt-intellektualistische Begriffe moros gewor­denen Signatur, mit dem Rock, der in der Bibliothek so staubig geworden

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ist, daß man ihn gar niemals genügend ausbürsten kann, da, nicht wahr, empfindet das Kind in der allerintensivsten Weise dasjenige, was ich ein belustigendes Erkennen nennen möchte.

Das ist dasjenige, was man dem Kinde gegenüber tatsächlich immer empfinden muß, und was in einer gewissen Weise aus der menschlichen Natur heraus durchaus berechtigt ist. Das Kind rettet sich ja eigentlich seine Gesundheit dadurch; denn es ist ganz sicher, das Kind träumt nicht in erhebender Weise von Lehrern, sondern es träumt von jener Weisheit, die ich geschildert habe, die es durchwebt, durchströmt. Beim Lehrer entwickelt sich etwas Entgegengesetztes im Unterbewußtsein, das auch eine Möglichkeit in den Imponderabilien der Schulstube ist. Aber es ist deutlich da. Beim Kinde ist es mehr, ich möchte sagen, ein Erkenntnisverhältnis. Beim Lehrer wird es zu etwas Begehrlichem, wird es zu etwas, was im Begehrungsvermögen sich äußert. Der Lehrer denkt in seinem Unterbewußtsein und träumt auch davon - was er sich natürlich vermöge seiner schulmäßigen Zivilisation im Oberbe­wußtsein ganz und gar nicht gesteht -, er träumt eigentlich davon, etwas von dem zu haben, was an Kräften der kindlichen Natur eigen ist. Man würde schon sehen, wenn man gerade daraufhin manchmal mit etwas mehr Geist, als es heute geschieht, die menschlichen Seelen psy­choanalysieren würde, welche Rolle im unterbewußten Leben des Leh­rers diese munteren, frischen Wachstumskräfte und sonstigen mensch­lichen Kräfte des Kindes spielen.

Das aber wirkt alles im imponderablen Leben, das sind Kräfte, die sich wirklich in der Schulstube entwickeln. Und man kann schon sagen, sieht man etwas hinter die Kulissen des gewöhnlichen kindlichen Daseins, dann wirkt das Kind in der Schulstube so, daß es sein Inter­esse von dem Lehrer wegwendet und frägt: Was ist denn in diesem Individuum aus all dem geworden, was wir in uns haben? - Aber beim Lehrer wirkt das auf das Begehrungsvermögen. Er beginnt im Unter­bewußten die Kinder zu vampyrisieren. Unter dem Bewußtsein will er sich die Kräfte der Kinder aneignen. Und würde man genauer zu­sehen, so würde man sehen, wie stark oft dieses Vampyrisieren hinter den Kulissen des physischen Daseins wirkt. Man würde sehen, woher die Schwächlichkeit mancher Kinder - allerdings müssen die Dinge

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wiederum intim betrachtet werden - und die krankhafte Veranlagung der Kinder dieser oder jener Schulstube kommen. Man würde sich nur, wenn man freien, offenen Blick dazu hat, die Figuration des Lehrers oder der Lehrerin anzuschauen brauchen, dann würde man manchen Einblick in die gesunden und kranken Neigungen der Kinder in der Schulstube bekommen.

Wir können so etwas als Erziehungs- und Unterrichtskünstler nicht anders überwinden, als wenn wir uns von einer Menschenerkenntnis erfüllen, die - weil sie innerlich beweglich ist, weil sie selber geistig­seelisch ein Organismus ist, der dem Menschenorganismus nachgebildet ist in der Art, wie ich das gezeigt habe -, die sich zugleich mit Men­schenliebe, mit wahrer Menschenliebe verbindet, die die verschiedenen einseitigen Kräfte der menschlichen Natur eben überwindet und har­monisiert. Dadurch, daß man sich eine solche Menschenerkenntnis an­eignet, kommt man auch darauf, wie nicht nur die menschliche Natur sich in verschiedener Weise in verschiedenen menschlichen Individuen ausspricht, sondern wie sich die menschliche Natur in ganz anderer Weise in der Kindheit, im reifen Alter, im Greisenalter ausspricht. Die drei Glieder der Menschennatur wirken eben ganz verschieden inein­ander, und sie mussen aufeinander abgestimmt werden.

Das wird zum Beispiel sehr real, wenn wir daran denken müssen, die Zeit die wir zum Unterrichten und Erziehen zur Verfügung haben, in der richtigen Weise einzuteilen. Wir müssen ja selbstverständlich den ganzen Menschen in das Erziehungs- und Unterrichtswesen hinein­stellen, also sowohl seine Kopfnatur wie auch seine Gliedmaßen-Stoff­wechselnatur, und da ja wiederum in jedem einzelnen Gliede die an­deren Prozesse der anderen Glieder auch vor sich gehen, müssen wir das berücksichtigen. Im Kopfe finden natürlich auch fortwährend Stoffwechselvorgänge statt.

Haben wir es nun nötig, für gewisse unterrichtliche, erzieherische Formalia das Kind ruhig sitzen zu haben in der Klasse, wir werden davon noch sprechen, auch auf den hygienisch eingerichteten Bänken, dann behandeln wir das Kind aber immerhin so, daß es still sitzt, daß also nicht im Stoffwechsel-Gliedmaßenorganismus die Tätigkeit wirkt, sondern daß alles dasjenige, was wirkt, aus dem Kopf herausgeholt

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werden muß. Das ist eine Einseitigkeit, in die wir das Kind versetzen. Wir gleichen das wiederum aus, indem wir nachher, mit Recht nach-her, den Kopf entlasten von seiner Tätigkeit und den Gliedmaßen­Stoffwechselorganismus in Regsamkeit bringen, indem wir das Kind zur Gymnastik bringen.

Wenn man sich bewußt ist, wie polarisch entgegengesetzt die Pro­zesse im Kopforganismus und im Gliedmaßen-Stoffwechselorganismus sind, wird man gar wohl begreifen, wie wichtig es ist, daß man auch in dieser Weise in der rechten Art abwechselt. Aber wenn wir dann die Kinder haben turnen, springen lassen, alle möglichen Übungen haben machen lassen und sie dann wiederum zurücknehmen in die Klasse und in der Klasse weiter unterrichten, ja, wie ist es denn dann?

Sehen Sie, während der Mensch seinen Stoffwechsel-Gliedmaßen­Organismus in Regsamkeit hat, da sind allerdings diejenigen Gedanken, die künstlich zwischen Geburt und Tod in den Kopf hineingebracht werden, aus dem Kopf draußen. Das Kind springt herum, bewegt sich, bringt den Stoffwechsel-Gliedmaßenorganismus in Bewegung. Die während des physischen Erdenlebens eingepflanzten Gedanken, die gehen zurück. Aber dasjenige, was sonst in den Träumen figuriert, diese übersinnliche Weisheit ist jetzt auf unbewußte Art im Kopfe drinnen, macht sich gerade im Kopfe geltend. Führen wir daher das Kind nach der Gymnastik wiederum zurück in die Schulstube, dann setzen wir ihm etwas, was im Unterbewußten für das Kind minderwertig ist, an die Stelle desjenigen, was es vorher gehabt hat während der gymnasti­schen Übungen. Denn während der gymnastischen Übungen wirkt nicht nur das Sinnliche auf das Kind erziehend, sondern auch das Über­sinnliche, das während der gymnastischen Übungen ganz besonderen Anlaß hat. Daher wird das Kind in der folgenden Stunde innerlich unwillig. Es äußert vielleicht den Unwillen nicht so stark, aber es wird innerlich unwillig. Und wir verderben es, wir veranlagen in ihm Krank­heitsneigungen dadurch, daß wir wiederum auf die gymnastischen Übungen den gewöhnlichen Unterricht hinaufpfropfen.

Es ist das ja eine Tatsache, die sogar häufig schon äußerlich be­merkt worden ist, wie mir ein Physiologe versicherte. Aber hier haben Sie aus anthroposophischer Geistesforschung die Gründe dafür, daß

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wir sehen können, wie wir allerdings die Neigungen zum Gesunden da­durch fördern können, daß wir uns als Lehrer und Erziehungskünstler in der richtigen Weise Menschenerkenntnis erwerben. Natürlich, wenn wir es nicht in der richtigen Weise machen, erzeugen wir allerlei Krank­heitsanlagen. Das müssen wir durchaus bedenken. Denn, Sie haben ja bemerkt, ich will nicht in Glorifizierung desjenigen verfallen, was der Mensch sich als seine Lebensweisheit aneignet; sie würde ja nicht aus­reichen, um die menschliche Organisation im künftigen Alter plastisch zu gestalten. Aber würden wir nicht im späteren, reifen Alter in der Organisation schon so versteift sein, daß dasjenige, was wir da in den Kopf hineinbringen als äußerliche Weisheit, die auf naturalistisch-in­tellektualistische Art erworben wird, würde das nicht alles in der rich­tigen Weise als Erinnerungsvorstellung zurückstrahlen, so würde es später in den übrigen Organismus hinunterströmen. Und dasjenige, so paradox es wiederum klingt, was nach der normalen Organisation des Menschen im Kopforganismus bleiben soll, wenn es in den Gliedmaßen­Stoffwechselorganismus hinunterströmt, macht es den Menschen krank, ist wie Gift. Verstandesweisheit ist in der Tat eine Art von Gift, so­bald sie an den unrichtigen Ort kommt, sobald sie wenigstens in den Stoffwechselorganismus hineinkommt. Wir können nur dadurch mit der Verstandesweisheit leben, daß dieses Gift - in ganz technischem Sinne, nicht in moralischer Beurteilung sage ich das -, daß dieses Gift nicht in unseren Stoffwechsel-Gliedmaßenorganismus hinunterdringt. Da wirkt es furchtbar zerstörerisch.

Aber beim Kinde ist diese Versteiftheit nicht da. Wenn wir da mit unserer heutigen reifen Weisheit kommen, so dringt dieses Gift hin­unter und vergiftet in der Tat den Stoffwechsel-Gliedmaßenorganis­mus. Sie sehen, es ist notwendig, aus der unmittelbaren Lebenspraxis heraus wissen zu lernen, wieviel man diesem Kinderhaupte zumuten darf, damit man nicht zuviel hineinpreßt, was dann nicht mehr aufge­halten wird und was dann in den Stoffwechsel-Gliedmaßenorganismus hinuntergeht.

Man hat es also als Lehrer und Erziehungskünstler in der Hand, entweder gesundend oder krankmachend auf den Kindesorganismus zu wirken. Und will man ein Kind nach der heutigen Lebensweisheit

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ganz besonders gescheit machen, setzt man es also immer hin und pfropft soviel als irgend möglich in es hinein beim Sitzen, dann tritt das andere ein: dann verhindert man im Kind, daß die unbewußte Weisheit in ihm wirkt. Denn diese unbewußte Weisheit wirkt ja ge­rade, wenn es sich tummelt, wenn es mehr oder weniger rhythmische Bewegungen macht; denn der Rhythmus fördert das Sich-Verbinden des Organismus mit der unbewußten Weisheit durch die eigentümliche Mittelstellung, die dieser rhythmische Organismus zwischen Kopfor­ganisation und Stoffwechsel-Gliedmaßenorganisation angenommen hat. So daß sich schon das herausstellt, wenn wir diese Klostererziehung an­wenden, von der Herbert Spencer spricht, um die Kinder und jungen Leute ganz besonders gescheit zu machen, dann machen wir sie da­durch so, daß wir sie mit Krankheitsneigungen ausstatten, durch die sie im späteren Leben mit der Weisheit, die wir ihnen beibringen, gar nichts mehr anzufangen wissen.

Das sind alles Dinge, die wahrhaftig nicht mit der Waage abge­wogen werden können, sondern nur vor einer beweglichen Vorstel­lungsart sich enthüllen, die sich immer ans Leben anpaßt, wie sie eben durch anthroposophische Schulung erworben werden kann. Und da­mit sei im allgemeinen darauf hingedeutet, wie der Lehrer und Erzie­hungskünstler sich bekanntmachen muß mit den großen Grundsätzen des Gesundens und Krankens im Menschen.

Und da ist es von wesentlicher Bedeutung, zu bemerken, wie das Streben, mit seiner Anschauung, mit seinem Welterkennen nicht an dem Äußerlichen, Unbeweglichen, Fixen hängenzubleiben, sondern zu einer inneren Beweglichkeit des Denkens aufzusteigen, wie das mit der Erkenntnis all der labilen Zustände zusammenhängt, in denen die menschliche Natur sich nach der gesunden und kranken Seite äußert, und die als etwas, was er zu behandeln hat, dem Lehrer in der Schule entgegentritt.

Auf die Einzelheiten werden wir eingehen, wenn wir nun das Kind, den werdenden Menschen in den aufeinanderfolgenden Lebensaltern betrachten.

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SIEBENTER VORTRAG Dornach, 29. Dezember 1921

Gerade wenn man an das ganz kleine Kind in der Eigenschaft eines erziehenden Führers durch Elternschaft oder durch anderes Verhält­nis heranzutreten hat, dann fühlt man gegenüber dem ganz kleinen Kinde in einem außerordentlich starken Grade die Verpflichtung, auf den ganzen menschlichen Lebenslauf verstehend eingehen zu können. Es ist mir daher ein immer ganz besonderer Schmerz gewesen, daß wir für die Stuttgarter Waldorfschule erst Kinder bekommen können, die schon das in Mitteleuropa als schulpflichtig bezeichnete Alter erreicht haben.

Es wäre mir eine tiefe Befriedigung, wenn auch schon das jün­gere Kind in die Freie Waldorfschule hereingenommen werden könnte. Aber abgesehen von sonstigen Schwierigkeiten, stellt sich ja der Er­richtung einer Art Kleinkinderschule auch das hauptsächlich entge­gen, daß wir ja auf allen Gebieten unserer anthroposophischen Bewe­gung an einem außerordentlich starken Überfluß an Geldmangel leiden, und dieser starke Überfluß an Geldmangel läßt uns höchstens hoffen, daß, wenn man der Waldorfschule in der Zukunft nicht allzu feind­lich gegenüberstehen wird, wir auch noch dazu kommen, das jüngere Kind in diese Waldorfschule hereinzunehmen.

Das jüngere Kind ist ja derjenige Mensch, der zunächst für die Außenwelt, auch für dasjenige, was wir als außenstehende Menschen gegenüber dem Kinde versuchen, am wenigsten zugänglich ist. Und insbesondere im allerersten Lebensalter schließt es gewissermaßen die Tore seines Seelenlebens ganz und gar noch gegen die Außenwelt ab, namentlich vermöge dessen, was es in den allerersten Lebensjahren ent­wickelt gegen alles, was aus dem Willen der außenstehenden Persön­lichkeiten mit dem Kinde vorgenommen werden soll. In der allerersten Zeit seines Lebens vollbringt der Mensch - man kann das ganz ohne Einschränkung sagen - einfach dasjenige, was er will. Wenn der Er­wachsene sich es nur recht eingesteht, muß er das einsehen, er ist gegen­über dem, was das Kind will, in einem hohen Grade machtlos, namentlich

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in bezug auf alles dasjenige, was aus dem Kinde wird im späteren, manchmal noch im spätesten menschlichen Lebenslauf.

Sie wissen vielleicht, daß ich längere Zeit, bevor ich im engeren Sinne daran gegangen bin, anthroposophische Literatur zu veröffent­lichen, meine «Philosophie der Freiheit» im Beginne der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts veröffentlicht habe. Diese «Philosophie der Freiheit»will sein eine wirkliche Betrachtung gerade desjenigen im Menschenleben, auch in sozialer Beziehung, was sich im Menschen zum Impuls der Freiheit, zum Impuls der ganzen, der vollen mensch­lichen Persönlichkeit entwickelt.

Gerade wenn man von solchen Voraussetzungen ausgeht, wird einem der Blick so recht darauf hingelenkt, wie man dem ganz kleinen Kinde eigentlich so gegenübersteht, daß man schon die Freiheitsfrage aufwerfen muß und auf der anderen Seite die Schicksalsfrage. Man kann schon sagen, wenn man so recht ins menschliche Herz hinein-sieht, so kündigt sich einem schon an, wie von dem Bewußtsein, das der Mensch von Freiheit in seiner eigenen Brust haben kann, der größte Teil seines irdischen Lebensglückes, seines Gefühles für seinen Men­schenwert und für seine Menschenwürde abhängt. Und anthroposo­phische Erkenntnis zeigt uns ja, daß der Zweck des irdischen Lebens gerade darinnen besteht, zu den mancherlei Eigenschaften, die der Mensch auch entwickelt, wenn er sich vor der Geburt oder vor der Konzeption in der geistig-seelischen Welt aufbaut, und die er wiederum nach dem Tode durchlebt, daß der Mensch zu all diesen Eigenschaften gerade während seines Erdenlebens, und nur während dieses, durch den Gebrauch seiner Leiblichkeit, durch das Untertauchen in seine Leiblichkeit den Freiheitsimpuls auslebt. Ein freies Wesen kann der Mensch nur auf der Erde werden, und nach anderen Welten kann der Mensch nur so viel Freiheit mitbringen, als er auf der Erde sich an­eignet. Wenn man mit diesem Gefühl - und Gefühle sind ja die wich­tigsten Kräfte für den Erziehungs- und Unterrichtskünstler -, wenn man mit diesem Gefühl an das ganz kleine Kind herantritt, dann frägt man schon: Wie hat man sich zu verhalten, daß das ganz kleine Kind später einmal in den vollen Besitz seines Freiheitsbewußtseins gelangen kann? - Und auf der anderen Seite werden wir leicht, schon durch das

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äußere Leben, wenn man nur unbefangen genug ist, dasjenige einsehen, was dann anthroposophische Einsicht zur vollen Gewißheit erhebt, daß der Mensch trotz seiner Freiheit ein Schicksal hat, dasjenige hat, was man mit einem orientalischen Namen «Karma» nennt.

Nehmen wir einmal für das spätere Leben an, wie der Mensch einer Persönlichkeit entgegentritt, die er vorher gar nicht gekannt hat, die dann in sein Schicksal tief eingreift, mit der er sich im besonderen zu einer Lebensgemeinschaft vielleicht verbindet. Es sieht das zunächst aus, als ob einen die Zufälle des Lebens zu dieser Persönlichkeit hin­geführt hätten. Wenn man aber dann, selbst ganz ohne anthroposo­phische Geisteswissenschaft das Leben rückwärts betrachtet, wird man merkwürdigerweise finden, wie man vorher alle möglichen Schritte angestellt hat, die sich in Harmonie stellen zu dem, was einem da schein­bar ganz zufällig geworden ist. Es nimmt sich tatsächlich hinterher aus, als ob man den Weg zu dieser Persönlichkeit planvoll gesucht hätte. Und Goethes alter Freund Knebel hat rückschauend auf sein Leben aus späterem Alter aus tiefster Seele heraus die Bemerkung gemacht:

Wenn man im späteren Alter auf sein Leben zurückschaut, dann nimmt sich eigentlich alles wie von einem Plan getragen aus. Es paßt alles zu­sammen. - Und da unser Wille in unsere einzelnen Handlungen hinein-verwoben ist, so kann man eigentlich überall sehen, wie das Leben schicksalsgemäß an uns herantritt. Man könnte noch viele andere Per­sönlichkeiten anführen außer Knebel, die durch rein äußerlicheBetrach-tungen des Lebens zu einer solchen Überzeugung kommen. Man wird dann sehen, daß sich die äußerlichen Lebensbetrachtungen auch in be­zug auf solche abliegenden Wahrheiten, wie die Karmawahrheit ist, durchaus bestätigend ausnehmen. Aber gerade wenn man von diesem Gesichtspunkte ausgeht, dann muß man sich ja als der erziehende Füh­rer des ganz kleinen Kindes doch die Frage vorlegen: Bist du es gerade -und insbesondere, wenn man ein Kinderheim hat, so wird einem diese Frage vor die Seele treten, denn man müßte es dann für alle möglichen Kinder sein, die einem da gebracht werden -, bist du es gerade, der vom Schicksal zu einem so wichtigen Verhältnis, zu einer so wichtigen Beziehung ausersehen worden ist, wie diejenige des erziehenden Füh­rers es ist? - Und man wird hineingestellt in die Alternative: Was kann

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man tun, um sich so stark als möglich auszulöschen, damit unser Per­sönliches möglichst wenig auf das Kind einfließt, damit wir dem Kind sein Schicksal nicht verderben, sondern es heranziehen zu einem freien Menschen im Leben?

Wie tief aber der Mensch gerade beim ganz kleinen Kinde in das Menschenwesen eingreifen kann, das zeigt sich, wenn man zunächst die ganze Eigentümlichkeit des ersten größeren Lebensabschnittes des Menschen ins Auge faßt, der geht von der Geburt - wenn wir jetzt absehen vom Embryonalleben, worauf wir später noch zu sprechen kommen - bis zum Zahnwechsel, annähernd um das siebente Jahr herum. Der Zahnwechsel macht einen tiefen Einschnitt in das ganze menschliche Leben. Und derjenige, der voll zu beobachten vermag, wird sehen, daß eine gewisse Konfiguration von Denken, von Fühlen und Wollen nach dem siebenten Jahre beim Kinde so auftritt, wie sie eben vorher nicht vorhanden war. Wir sind gewohnt worden im äuße­ren Betrachten des Materiellen, gewisse Vorstellungen, die wir noch in einer geistgemäßen Weise entwickelt haben, auch in der Lebenspraxis auf das menschliche Leben anzuwenden. Wenn wir gewisse materielle Vorgänge sehen, die an einem bestimmten Punkte äußerlich wahrnehm­bare Wärme entwickeln, die vorher nicht wahrnehmbar war, die auch nicht von außen zugeführt ist, dann sagen wir; diese Wärme war vorher latent in dem Materiellen und ist dann freie Wärme geworden. Wir sind ja ganz gewohnt worden, von solchen Dingen in der Betrachtung von äußeren materiellen Vorgängen zu sprechen. - Nun, gerade wie durch einen materiellen Vorgang Wärme frei werden kann, die vorher latent war, so werden um das siebente Jahr herum im Denken, Fühlen und Wollen des Kindes Kräfte frei, die vorher in dem kindlichen Orga­nismus drinnengesteckt haben, die vorher nicht abgesondert seelisch tätig waren. Sie sind jetzt nach dem siebenten Jahre abgesondert see­lisch tätig. Vorher waren sie organisch tätig, sie waren verbunden mit den Wachstums-, mit den Ernährungsvorgängen. Aus denen heraus sind sie frei geworden; sie sind Seelisches geworden.

Heute betrachtet eine abstrakte Wissenschaft immer das Verhältnis von Leib und Seele, macht sich einen abstrakten Begriff von Seele, von Leib, und dann wird von Einwirkung des Leibes auf die Seele, von

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Einwirkung der Seele auf den Leib, von psychophysischem Parallelis-mus und wie die schönen Dinge alle heißen, gesprochen, dann wird spintisiert darüber, wie die Seele auf den Leib wirke. Man beobachtet nicht auf diesem Gebiete, man spintisiert, man philosophiert. Aber man kann lange in einer solchen Richtung philosophieren, dabei kommt gar nichts zustande; denn wenn man in das Gebiet des Menschenwesens eindringen will, muß man gerade so beobachten, wie man in der äuße­ren Natur beobachten will. Und für das Leben von der Geburt bis un­gefähr um das siebente Jahr herum erweist sich für ein Zusammen-schauen des Geistig-Seelischen und des Physisch-Leiblichen die Sache so, daß die Kräfte unbemerkbar im Organismus drinnen sind, die spä­ter als seelische Kräfte, vom siebenten Jahre an im Verhältnis, im Ver­kehr mit der Außenwelt zutage treten.

Will man also die Frage beantworten: Wie schaut die Seele in dem kindlichen Alter bis zum siebenten Jahre aus? - so schaue man die see­lische Entwickelung vom siebenten Jahre bis später an. Da ist das als Seelisches zu beobachten, was vorher im Organismus drinnengesteckt hat und organisch tätig war. Wenn man dies aber ins Auge faßt, wird man einsehen, daß diese besondere innere organische Tätigkeit des Kindes in der plastischen Ausgestaltung des Gehirnes, in der Heran-bildung der übrigen Organisation etwas ganz Besonderes bedeutet. Das Kind trägt dasjenige, was es durch die Geburt oder Konzeption von geistig-seelischen Welten heruntergetragen hat, in die körperlich-phy­sische Organisation hinein. Es ist in dieser Organisation beschäftigt. Es tut, was es will aus diesem Organisieren heraus, schließt noch die Tore vor der Außenwelt. Und wir dürfen nicht unpraktisch hineintapsen in das, was da das Kind so vollzieht, daß es eben tut, was es will, daß es namentlich dem Willen der Außenwelt nicht zugänglich ist.

Und wenn wir wiederum bedenken, daß alles, was wir in der Nähe des Kindes tun, auf das Kind einen Eindruck macht, trotzdem einen Eindruck macht, wir werden das noch genauer schildern, und uns über­legen, daß ja dasjenige, was später seelisch ist, beim Kinde noch orga­nisch wirkt, daß also, wenn das Kind irgendeine Vorstellung aufnimmt, diese Vorstellung in ihrer besonderen Eigenart auf Lunge, Magen, Le­ber, auf alles mögliche wirkt, dann werden wir sehen, daß nach den

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Eindrücken, die das Kind von uns bekommt, weil sein Seelisches noch nicht frei geworden ist vom Organismus, sondern an dessen Organi­sation mitarbeitet, daß wir daher die ganze Gesundheits- oder Krank­heitsanlage eines Kindes durch unser eigenes Verhalten in diesem Le­bensalter bestimmen.

Sie können sagen, hier wird im allgemeinen über Erziehungsgrund­sätze gesprochen. Aber diese Erziehungsgrundsätze sind ja gerade, wenn sie richtig praktisch gehandhabt sind, das wesentlich Praktische. Denn dasjenige, was am meisten in der Erziehung in Betracht kommt, sind die Gefühle über das Wesen des Menschen, mit denen wir neben dem Menschen stehen. Und wenn wir uns durch eine Einsicht in die mensch­liche Natur in der richtigen Weise neben den werdenden Menschen hinstellen, dann sind wir gute Erziehungskünstler. Ja, es darf sogar das Paradoxe behauptet werden: es mag der einzelne im einzelnen ma­chen, was er will - das wird jeder einrichten nach dem, was er gerade selber als Erzieher im Leben gelernt hat -, mag der einzelne die Dinge einrichten, wie er will, wenn er nur dasjenige mitbringt, was sich in sein Herz ablagert durch eine richtige Einsicht in die menschliche Na­tur, wird er auf die eine Art und auf die andere Art das Richtige ma­chen können. - Wenn ich als der geistige Leiter der Waldorfschule in unsere Parallelklassen komme - wir haben wegen der Überfülle von Schülern in der Waldorfschule schon Parallelklassen -, wenn ich dann in die einzelnen Klassen komme, und sehe, wie der eine ganz denselben Lehrstoff auf die eine Art behandelt, und ganz verschieden denselben Lehrstoff der andere, so wird mir nie einfallen zu sagen: da müssen be­stimmte Verrichtungen nur getrieben werden. Sondern dasjenige, was ganz entgegengesetzt ausschaut, kann durchaus jedes in seiner Art ab­solut richtig sein. Ja, wenn es der eine Lehrer dem anderen nachmachen würde, so könnte das gerade das Falsche werden. Daher ist es eben so, daß die Waldorfschule ihren Namen «Freie Schule» nicht etwa bloß aus einer Außerlichkeit trägt, sondern aus der innersten, freiesten Kon­stitution ihres ganzen Wesens.

Ich habe an den vorangehenden Tagen darauf aufmerksam gemacht, daß uns eine übersinnliche Menschenbetrachtung darauf führt, außer

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dem physischen Leib einen feineren Leib anzuerkennen, den wir Ather-leib, Bildekräfteleib genannt haben. Dieser Bildekräfteleib, der ja auf der einen Seite die Kräfte enthält für Wachstum, für Ernährung, aber auch für Gedächtnis, für Erinnerung, für Vorstellungsbildung, dieser Bildekräfteleib wird eigentlich erst mit dem Zahnwechsel in einer ähn­lichen Weise aus der ganzen menschlichen Wesenheit heraus geboren, wie der menschliche physische Leib aus der Mutter geboren wird, wenn der Mensch eben ins physische Dasein eintritt. Das heißt, die besonderen, nach außen wirkenden Kräfte dieses Bildekräfteleibes, dieses Ather­leibes, werden bis zum Zahnwechsel in ihrem hauptsächlichsten In­halt in den organischen Wirkungen drinnen zu suchen sein, nachher nur zum großen Teile noch; aber ein Gebiet wird ihnen entnommen sein und wird im Vorstellen, in Erinnerungen und in den sonstigen Seelennuancen wirken, welche das Kind mit dem Zahnwechsel ent­wickelt.

Daß das Kind die zweiten Zähne bekommt, geschieht ja nur ein­mal; dritte bekommt es nicht mehr. Diejenigen Kräfte im Organismus, die die zweiten Zähne heraustreiben, können da sein, bevor diese zwei­ten Zähne da sind; nachher werden sie nicht mehr gebraucht im Or­ganismus. Sind die zweiten Zähne einmal herausgetrieben, dann wird diejenige Tätigkeit des Atherleibes, die gerade so etwas bewirkt wie das Heraustreiben der zweiten Zähne, nicht mehr im Organismus not­wendig sein. Dann tritt sie frei heraus. Aber dieser Schlußpunkt des zwei­ten Zähnebekommens drückt ja nur das ganz deutlich aus, was auch sonst unten an Kräften im Organismus wirkt. Eine ganze Summe von solchen Kräften wird eben am Ende dieses ersten Lebensabschnittes seelisch-geistig frei. Man kann den gesamten menschlichen Lebenslauf in solche Abschnitte gliedern, und der erste, approximativ, ist eben bis zum siebenten Jahre hin. Aber jeder solche Lebensabschnitt gliedert sich wiederum in drei deutlich voneinander unterscheidbare Teile. Und wir können, wenn wir dieses allmähliche Freiwerden gewisser Kräfte des Atherleibes von der Geburt bis ungefähr zum siebenten Jahr be­trachten, sehen, wie durch zweieinhalb Jahre ungefähr von der Geburt an dieser Atherleib für den Kopf frei wird, wie er dann vom zweiein­halbten Jahre bis gegen das fünfte Jahr zu für die Brust frei wird, und

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dann für den Stoffwechsel-Gliedmaßenmenschen bis zum Zahnwechsel. So daß wir drei Etappen in diesem Freiwerden gewisser Kräfte des Bilde­kräfteleibes zu unterscheiden haben. Es ist deshalb schon so, daß man deutlich bemerken kann: der auch für den Kopfteil des Menschen noch ganz innerhalb erscheinende Bildekräfteleib weist den äußeren Willen der Erziehenden zurück.

Nun ist das gerade der Lebensabschnitt, wo wir Allerwichtigstes lernen, was wir also ganz durch innere Arbeit lernen aus dem heraus, was wir uns aus dem präexistenten Leben mitgebracht haben. Beden­ken Sie, daß man in den ersten zweieinhalb Jahren sprechen lernt, ge­hen lernt, dasjenige also, was am intimsten mit der Selbstbehauptung des Menschen für sich und im sozialen Leben zusammenhängt. Dieses Wichtigste eignet man sich an, während die Kräfte des ätherischen Leibes noch am Gehirn arbeiten, hineinstrahlen in den ganzen übrigen Organismus. Wenn sie zu stark in den übrigen Organismus hinein-strahlen, so daß sie dort die noch zarten Stoffwechselverrichtungen oder die noch zarten Atmungsv errichtungen, Blutumlaufsverrichtungen zu stark stören, wenn sie also zu stark hinunterrumoren in den kind­lichen Organismus, dann gibt es schon im kindlichen Alter gern Schar­lach und ähnliche Kinderkrankheiten. Das, was da arbeitet, ist im Grunde genommen für ein von außen kommendes, bewußtes, willkür­liches Einwirken unzugänglich, schließt die Tore. Das Kind will im Inneren an sich arbeiten.

Und das ist gerade beim Kinde in diesen zweieinhalb ersten Lebens­jahren von ganz besonderer Bedeutung, daß es nicht für den fremden Willen zugänglich ist, aber daß es ein feines, instinktives Wahrneh­mungsvermögen hat für alles das, was in seiner Umgebung vorgeht, insbesondere für das, was in den Personen vorgeht - wozu ja die Er­zieher im ganz besonderen Maße gehören -, mit denen es in einem ge­wissen seelischen Rapport steht. Nicht etwa, daß der äußere Blick schon ganz besonders geschärft wäre, das ist nicht der Fall; nicht das ausgesprochene Sehen macht es aus, sondern ein Gesamtwahrnehmen intimster Art richtet sich nach dem, was in der Außenwelt um das Kind herum vorgeht, und was nicht mit der Absicht vorgeht, daß auf das Kind besonders eingewirkt werden soll. Das Kind wehrt sich ganz

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unwillkürlich gegen dasjenige, was bewußt auf es einwirken will, be­sonders in den ersten zweieinhalb Lebensjahren.

Daraus folgt aber, daß wir diese Empfänglichkeit, die noch die Wahrnehmung ganz in das Gefühl untergetaucht hat, berücksichtigen müssen. Man macht sich vielleicht anschaulich, was diese Empfänglich­keit bedeutet, wenn man zu dem nächstniedrigen Wesen heruntergeht, zum Tiere. Das Tier hat nämlich diese Empfänglichkeit ganz beson­ders. Das widerspricht dem nicht, was ich über die Greisenhaftigkeit sagte. Man muß eben da durchaus auf Beobachtung gehen. Das Tier hat diese Empfänglichkeit für die Umgebung ganz besonders. Ich weiß nicht, ob Sie in England und in den anderen europäischen Ländern etwas gehört haben von dem Aufsehen, das einmal da war, einige Jahre vor dem Kriege, wegen der sogenannten rechnenden Pferde: in Berlin das bekannte Pferd des Herrn von Osten, in Elberfeld die rechnenden Pferde. Nun, ich kann nichts sagen über die rechnenden Pferde in Elberfeld, aber das Pferd des Herrn von Osten in Berlin habe ich ganz gut kennengelernt, daher auch jene Beziehung, welche zwischen dem Herrn von Osten, dem erzieherischen Führer und diesem Pferde be­stand. Das Pferd stampfte ganz brav: drei mal drei ist neun mit seinen Beinen, rechnete immerhin für ein Pferd recht respektabel.

Nun sind alle möglichen Theorien aufgestellt worden, wie denn eigentlich dieses Pferd dazu kommt, auf die Fragen des Herrn von Osten in dieser Weise zu reagieren. Unter anderem gab es einen Privat­dozenten. Das sind gescheite Leute. Der schrieb sogar ein Buch über dieses Pferd des Herrn von Osten, und er sagte: Natürlich, rechnen kann das Pferd nicht, aber wenn Herr von Osten sagt: drei mal drei, dann macht er immer ganz leise Bewegungen dazu. Er hat ein Mienen­spiel. Und wenn er dann sagt: neun, dann ist das Mienenspiel so, daß das Pferd eben mit seinem Fuß stampft. Dieses Mienenspiel, das kann das Pferd beobachten. - Es war eine sehr gelehrte Schrift, die dieser Pri­vatdozent verfaßte. Er sagte dann: Ja, ich selber - nämlich der Privat­dozent - habe dieses Mienenspiel nicht beobachten können; ich kann es also nicht konstatieren, daß es wirklich da ist, aber es muß schon da sein, und das Pferd hat das beobachten können. - Für mich, ich kann nichts dafür, hat dieses Buch nur gezeigt, daß ein Beweis geliefert werden

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sollte, daß dieser Privatdozent das Pferd für beobachtungsfähiger hält als sich selber, daß also ein Pferd dasjenige kann, was immerhin ein Privatdozent nach seinem eigenen Eingeständnis nicht kann. Nun aber, für mich lag das Wichtigste an der ganzen Prozedur in dem Ver­hältnis des Herrn von Osten und dem Pferde, daß Herr von Osten, der große Taschen hatte, fortwährend, während er mit dem Pferde in Rapport stand, dem Pferde Süßigkeiten verabreichte, so daß ein fort­währender Austausch von Empfindungen da war, die Dankbarkeit des Pferdes für die Süßigkeit. Es war ein intimes Verhältnis zwischen die­sem Pferde und dem Herrn von Osten; es tauchte alles das, was da stattfand, in Liebe ein. Es war also das ganze Verhältnis zu diesem Führer ins Gefühlsmäßige umgesetzt. Das gibt nämlich bei der Tier-natur etwas, was in einem hohen Grade, nicht etwa für die geheimnis­vollen Mienen, sondern für die Gedanken, für das Innere des Seelen­lebens empfänglich macht. Und die ganzen Rechnungsvorgänge, die in Herrn von Osten waren, die übertrugen sich auf dem Umwege durch die Süßigkeiten in einer ganz ausgesprochenen Suggestion auf das Pferd. - Die Erscheinung ist deshalb nicht weniger interessant, daß sie so ist. Sie lehrt uns vieles kennen über die Beziehungen von Wesen. Aber sie ist eben nicht auf rationalistische Weise zu erklären durch die Beobachtung eines Mienenspiels, das zwar ein Pferd, nicht aber ein Privatdozent beobachten kann, und das er nur hypothetisch an­nimmt.

Und so steht in ähnlicher Weise in den ersten zweieinhalb Lebens­jahren auch das Kind, wenn sich der erziehende Führer richtig be­nimmt, in einer Art von seelischem Wahrnehmungsrapport zu diesem Führer, und es wird das Kind in allerausgesprochenstem Maße ein Nachahmer, ein Imitator. Uns erwächst dann die Aufgabe, nicht durch unseren Willen allerlei dem Kinde beibringen zu wollen, sondern in einer etwas unbequemeren Weise so zu sein in seiner Nähe, daß das Kind die betreffende Sache nachmachen kann; denn das Kind ist emp­fänglich für alles, was wir tun, wie wir uns bewegen. Das alles ahmt es entweder wirklich nach, das vielleicht erst später, aber es entwickelt in sich die Nachahmungstendenzen und preßt diese durch die orga­nisch-seelischen Kräfte in seine Körperlichkeit hinein. Und es ist auch

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empfänglich für unsere Gefühle, für unsere Gedanken. So daß die Er­ziehung in diesen ersten zweieinhalb Lebensjahren sich lediglich dar­auf beziehen kann, daß wir uns selbst so weit erziehen, daß wir in der Nähe des Kindes das denken, fühlen und wollen, was das Kind an­schauen kann. Es erhält sich das manchmal noch, weil die Nachah­mung im wesentlichen bis zum Zahnwechsel hingeht, für die späteren Lebensjahre. Man erfährt da, wenn man wirklich praktisch im Leben drinnensteht, gar manches von dieser Art.

Zu mir kam zum Beispiel einmal ein Elternpaar ganz trostlos und sagte: Unser Kind war immer ein braves Kind, jetzt hat es gestohlen! -Nun, hat es wirklich gestohlen? Na ja, es hat ja gestohlen, denn es hat einfach aus dem Schrank, wo seine Mutter das Geld immer liegen hat, Geld herausgenommen, hat Süßigkeiten gekauft, nicht einmal für sich selber immer verwendet, sondern sogar mit anderen Kindern geteilt. Ich sagte, das Kind hat gar nicht gestohlen. Es ist gar keine Rede da­von, daß das Kind gestohlen hat! Das Kind hat jeden Tag gesehen, wie die Mutter zu diesem Schrank geht, dort Geld herausnimmt; von der Vorstellung des Stehlens ist nichts in dem Kinde vorhanden. Aber ein Nachahmer ist das Kind, und es macht dasselbe, was die Mutter macht. Es geht also auch an den Schrank und kauft etwas. Das hat gar noch nichts zu tun mit dem Begriff des Stehlens oder Nichtstehlens. Und will man vermeiden, daß das Kind das tut, so muß man sich eben in einer anderen Weise in seiner Umgebung verhalten.

Alles läuft darauf heraus, daß namentlich für die ersten zweiein­halb Lebensjahre das Kind so wird, wie wir selbst in seiner Umgebung sind. Und das bedingt, daß wir, indem das Kind zum Beispiel sprechen lernt, ihm nicht irgend etwas in der Sprache aufdrängen, vor allen Dingen nicht durch unseren Willen herankommen wollen, um zu be­wirken, daß es so oder so sagt; sondern wir müssen in seiner Umgebung so sprechen, wie uns der Schnabel gewachsen ist, damit es Gelegenheit hat zu hören, und müssen nur dafür sorgen, daß er uns moralisch ge­wachsen ist. Das Kind nimmt das auf und führt sich selbst in diese Bahn hinein.

Und wenn man genauer zusieht, das Kind lernt auch niemals gehen dadurch, daß wir alle möglichen Stehversuche und so weiter machen.

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Beim späteren Gymnastikunterricht ist das am Platze. Beim Gehenler-nen können wir sehr leicht mit einem solchen Tapsen erreichen, wenn wir viel zu früh so etwas wie Steh- und Gehversuche anfangen, daß wir dann das Kind in seinem Nervenprozeß für das ganze Leben hin­durch ruinieren. Wir lassen das Kind beobachten, daß der Erwachsene aufgerichtet ist. Als Nachahmer schiebt es sich zur richtigen Zeit selbst in diese Lage. Wir müssen eben den Menschen bei seinem Eintritt in das Leben durchaus als ein imitierendes, als ein nachahmendes Wesen auffassen und darnach gerade die Erziehung einrichten.

Gewiß erwächst daraus manche Unbequemlichkeit, und Sie wer­den einwenden: es gibt ja doch Kinder, mit denen sich gar nichts an­fangen läßt, die einem den ganzen Tag die Ohren so vollbrüllen, daß einem das Trommelfell zerspringt, oder die nach anderer Richtung hin manche sogenannte Ungezogenheiten haben. Nun gewiß, die Außer­lichkeiten des Lebens bringen es mit sich, daß man auch wiederum äußerliche Maßnahmen treffen muß, damit das Kind nicht gerade durch seine Ungezogenheiten Schaden anrichtet. Aber zum Erziehen gehört das eigentlich im Grunde genommen nicht. Es ist ja unbequem, wenn das Kind uns den ganzen Tag die Ohren vollbrüllt, aber wenn wir daneben nur dennoch in seiner Umgebung uns so verhalten, wie ich es eben charakterisiert habe, dann wird unser Verhalten in seinen tieferen geistig-seelischen Kräften, die noch verwandt sind mit den organischen Kräften, aufgenommen, und später kommt das zum Aus­drucke. Dasjenige, was da in seinem Brüllen oder in etwas anderem enthalten ist, entpuppt sich für den unbefangenen Beobachter als Folge der Organisation. Das kommt aus etwas, was mit dem kindlichen Alter vorübergeht, allerdings nicht die intensiven Kräfte des Brüllens, aber die Neigung, gerade diese Kräfte durch das Brüllen zu äußern. Denn es ist wahr, das, was zum Beispiel im kindlichen Alter sich als Brüllkräfte äußert, hat eine gewisse Intensität. Erziehen wir das Kind durch das, was wir selber sind, zu moralischen Wesen, so äußern sich diese Brüll­kräfte seines ersten kindlichen Alters später als intensiv moralische Kräfte. Der spätere Mensch hat eine starke moralische Intensität, die im kindlichen Alter als intensives Brüllen sich auslebte. Wenn wir allerdings unmoralisch sind in seiner Umgebung, auch nur in Gedanken,

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dann äußern sich eben diese Brüllkräfte später in unmoralischer Intensität.

Aber dasjenige, worauf es ankommt, wird man schon nach dieser Auseinandersetzung in der richtigen Weise würdigen können. Und das ist das Wesentliche, daß wir uns zum Beispiel nicht verleiten lassen von einem falschen Instinkt - es ist eigentlich nicht einmal ein Instinkt, son­dern es ist etwas durch gewisse Vorurteile Anerzogenes -, wie es un­erzogene, wenn ich mich so ausdrücken darf, Ammen und Kindermäd­chen tun, das dem Kinde vorzumachen, was es eigentlich gar nicht nachmachen soll, daß wir versuchen, selbst recht kindisch zu sein und in seiner Nähe auch so zu sprechen, möglichst ins Kindische gekleidet. Diese Übersetzung macht das Kind nach seinem Vermögen schon selbst. Wir tun ein Unrecht an dem Kinde, wenn wir unsere Sprache zum Beispiel besonders herrichten; denn das Kind will nachahmen den, der in seiner Nähe ist und mit dem es in einem bestimmten Rapport steht in demjenigen, was er seiner Natur nach tut. Das Kind lehnt aber im Grunde genommen alles innerlich ab, was durch den Willen des Er­ziehenden eingerichtet ist, wie zum Beispiel die kindliche, naive Spra­che, die wir in seiner Nähe annehmen. Es ist gezwungen, sich diese Sprache gefallen zu lassen, hat aber eine tiefe innerliche Antipathie dagegen, die im Grunde genommen eine für das ganze spätere Leben wirkende schwache Verdauung zum Beispiel bewirkt. So daß manches, was man im späteren Leben als schwache Verdauung diagnostizieren kann, seinen Ursachen nach richtig herausgefunden wird dadurch, daß man erfährt: dieser Mensch hat als ganz kleines Kind ein sich zu kind­lich machendes Kindermädchen gehabt.

Das sind so Maximen, die für das erste Drittel des ersten großen Lebensabschnittes, für die ersten zweieinhalb Jahre des kindlichen Al­ters notwendig sind.

Wenn das Kind dann etwa zweieinhalb Jahre alt geworden ist, dann ist seine Kopfesorganisation so weit, daß der Teil des Bildekräfte­leibes, des Atherleibes, der in den ersten Kinderjahren diese Kopfplastik besorgt, frei wird. Und diese Befreiung trifft dann auf ein weiteres Freiwerden, das nach und nach in bezug auf den Atherleib der Brust

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sich vollzieht bis gegen das fünfte Jahr hinein. Das Atmen, der Blut­kreislauf werden dann von den in ihnen noch liegenden Atherkräften bis zu einem gewissen Grade befreit. Und es wirkt also in dem Kinde, das dann sprechen gelernt hat, das gehen gelernt hat, dasjenige zusam­men, was als seelisch-geistige Kräfte aus dem Kopforganismus heraus frei geworden ist, und das dann zusammenschwingt mit demjenigen, was sich nach und nach befreit im Brustorganismus. Und das erscheint als die besondere Heranbildung dieses lebendigen kindlichen Gedächtnis­ses, das man ja gerade sich heranentwickeln sieht zwischen dem zwei­einhalbten und gegen das fünfte Jahr hin, und namentlich in dem wirkt, was ich Ihnen eben geschildert habe als die Heranbildung, die Heran-entwickelung der eigentümlichen kindlichen Phantasie.

Dieses beiderseitige Wirken auf der einen Seite des sich seelisch ge­staltenden Gedächtnisses, der sich seelisch gestaltenden Phantasie, das muß in diesem Lebensabschnitte von dem erziehenden Führer ganz be­sonders berücksichtigt werden. Immer bleibt ja das Kind ein nach­ahmendes Wesen. Und insbesondere in bezug auf das sich heranbil­dende Gedächtnis, die Erinnerungsfähigkeit, muß man sich klar sein, daß man das Kind wiederum möglichst sich selbst überlassen muß, daß man nicht gut tut, in diesem Lebensabschnitte dem Kinde etwas bei­zubringen, wobei man darauf rechnet, daß es sich erinnert. Es soll dasjenige aufnehmen in vollständig freiem Sich-Heranbegeben an das, was es behalten will, woran es sich erinnern will. Ja nicht irgendwie etwas nach Gedächtnisübungen Ausschauendes mit dem Kinde in die­sem Lebensalter machen! Wer einem Kinde für die Merk-, für die Er­innerungsfähigkeit zwischen dem zweiten und fünften Jahre etwas auf­drängt, der beachtet dasjenige nicht, was sich eben beobachten läßt, wenn man den ganzen menschlichen Lebenslauf wiederum ins Auge faßt.

Man kann ja manche Menschen kennenlernen, die erklären einem, wenn sie vierzig Jahre alt geworden sind oder noch später: sie haben Gliederreißen, Rheumatismus. Nun gewiß, das kann ja von allem mög­lichen herrühren; aber es gibt durchaus diejenigen Fälle, in denen man, wenn man die Untersuchung nur weit genug treibt, durchaus darauf kommt, daß der Rheumatismus, das Gliederreißen von einem

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Überfüttern mit Gedächtnismaterial in diesem früheren Lebensalter der Kinder herrührt. Ja, die Lebenszusammenhänge sind eben durchaus kompliziert, und nur derjenige, der sich darauf einläßt, diese Lebens-zusammenhänge kennenzulernen, kann für das Erziehen und überhaupt für die ganze Führung des werdenden Menschen auch die rechte Liebe in sich entwickeln, die doch allein nur das beste Erziehungsmittel ist.

Aber der kindlichen Phantasie, ihr muß man allerdings schon ent­gegenkommen, denn sie will sich am Außeren betätigen, nämlich an Spielzeug und am sonstigen Spiel mit anderen Kindern. Alles dasjenige, was da das Kind vollziehen will im Spiel, das ist die Betätigung dieser besonderen Phantasieform zwischen dem zweieinhalbten und fünften Jahre. Derjenige, der für so etwas Beobachtungsgabe hat, der weiß schon an den besonderen Neigungen, die das Kind am Spiel entwickelt, vieles vorauszusehen für seine spätere Seelenverfassung, für seinen Cha­rakter und so weiter; inwiefern der Mensch nach der einen oder der anderen Richtung tüchtig werden kann, man kann es an der Art und Weise ablesen, wie das Kind spielt. Nur handelt es sich darum, daß man sich wirklich ein Verständnis dafür erwirbt, was man eigentlich der kindlichen Phantasie entgegenbringen soll. Das tun ja schon die verschiedenen Zeitalter nach ihrem besonderen Verständnisse.

Ich weiß nicht, ob es im Westen auch so ist, in Mitteleuropa kam zu einer bestimmten Zeit eine wahre Epidemie herauf, alle Kinder mit Baukasten, besonders auch zur Weihnachtszeit, zu beschenken. Da mußten sie aus einzelnen Würfelformen, parallelepipedartig geformten einzelnen Stücken irgendeine architektonische Scheußlichkeit zusam­mensetzen. Das ist etwas, was durchaus tief auf das Kind wirkt, gerade auf die Entwickelung der Phantasietätigkeit in diesen Jahren, denn es entwickelt den atomistisch-materialistischen Sinn, es entwickelt den Sinn, aus einzelnen Stücken ein Ganzes zusammenzusetzen, während man dem eigentlichen Leben praktisch entgegenkommt, wenn man nicht das Verstandesvermögen, das zusammensetzende Vermögen, das aus Atomen aufbauende Vermögen in dieser Zeit fördert, sondern die innerlich lebendige, regsame kindliche Phantasie, die sich eben losge­löst hat aus dem, was eine so regsame, innerlich lebendige Arbeit ist:

die plastische Ausbildung des Gehirnes. Man muß daher auch womöglich

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wenig diese Phantasie in starre, fertige Konturen hereinzubringen versuchen.

Nehmen wir an, es sind zwei Erzieherinnen, die haben zweieinhalb bis fünfjährige Kinder zu erziehen. Die eine, sie kann das Kind sehr gern haben, gibt dem Kinde, wenn es nun gerade ein Mädchen ist, eine Puppe, eine «schöne Puppe», womöglich nicht nur mit herausge­malten Wangen oder Haaren, sondern noch mit beweglichen Augen, mit einem beweglichen Kopf; ich glaube, manche Puppen können sogar sprechen. Das gibt sie also dem Kinde. Das Kind hat aus seiner nach Beweglichem lechzenden Phantasie gar nichts mehr hervorzubringen. Man spannt diese ganze Phantasie in die spanischen Stiefel noch dazu einer plastischen Scheußlichkeit ein. Die andere Erzieherin, die viel­leicht etwas verständiger ist, nimmt ein altes Tuch, das man zu nichts anderem mehr gebrauchen kann, bindet oben einen Faden herum, so daß etwas wie ein Kopf entsteht, und läßt womöglich von dem Kinde selbst zwei schwarze Punkte oder noch mehr Punkte darauf machen, die Augen und Nase und Mund bedeuten, und das Kind hat innerlich -weil das seine Phantasie anregt, weil es damit noch etwas machen kann, weil das seine Phantasie nicht in bestimmte Formen, Konturen hinein-nimmt - viel regeres Leben, viel intimeres noch als an der sogenannten schönen Puppe. Die Spielzeuge sollen womöglich der Phantasie freien Spielraum lassen. Und da der Verstand, der Intellekt nicht Phantasie ist, so ist eben das Zusammensetzen von allerlei Dingen nicht gerade dasjenige, was der besonderen Artung der kindlichen Phantasie in die­sem Alter entgegenkommt.

Dasjenige, was das Gefühl innerer Lebendigkeit hervorruft, ist im­mer besser. Ein Bilderbuch zum Beispiel, das ausgeschnittene, nicht ge­rade scheußlich, sondern geschmackvoll gemalte Figuren hat, die unten an Fäden zu ziehen sind, so daß diese Figuren ganze Handlungen aus­führen, sich kosen und prügeln, und das Kind ganze Dramen dadurch für sich hervorrufen kann aus dem, was es da sieht, das ist ein außer­ordentlich gutes Spielmittel für ein Kind. Und in ähnlicher Weise sollen die freien Spiele im freien Verkehre mit anderen Kindern nicht allzu-stark abgezirkelt sein, sondern möglichst der freien Phantasie des Kin­des entgegenkommen. Das folgt eben, wie Sie sehen, aus einer wirklichen

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Menschenerkenntnis heraus, und man eignet sich das, was not­wendig ist, auch für die Lebenspraxis an, wenn man in einem wirklichen Erziehen und Unterrichten drinnensteht,

Wenn es dann gegen das fünfte Jahr zugeht, dann ist von dem Atherleib das frei geworden, was die Atmungsorganisation, die Blut­zirkulation versorgt. Und es ringt sich allmählich bis zum Zahnwechsel hin dasjenige los, was von dem Bildekräfteleib aus dem Stoffwechsel­Gliedmaßenorganismus heraus frei werden kann. Da werden dann gei­stig-seelisch allmählich schon diejenigen Kräfte rege, die eigentlich erst voll herauskommen nach dem siebenten Jahre, die wir daher erst später besonders besprechen werden. Aber sie leuchten schon in diesen letzten, den dritten Lebensabschnitt der ersten großen Lebensepoche herein. Das Kind wird ja durch dasjenige, was gerade an seelisch-geistigen Kräften aus seiner Brust heraus frei wird, empfänglich für Ermahnungen, für dasjenige, was aus der Autorität heraus kommt, was man glauben muß. Vorher glaubt das Kind nicht, hat für das Sollen nicht einen Sinn, son­dern nur für das Nachahmen.

Man kann nun erst gegen das fünfte Jahr hin anfangen, das Sollen an das Kind heranzubringen. Wenn wir also ins Auge fassen, daß das Kind in diesem ganzen großen Lebensabschnitt bis zum Zahnwechsel ein nachahmendes Wesen ist und sich nach und nach herausarbeitet zu einem leisen Gebrauch von Phantasie und Gedächtnis, von einem mo­ralischen Glauben, von einem Autoritätsgefühl gegenüber dem Erwach­senen, namentlich dem Erzieher, mit dem es in Rapport steht, dann werden wir aus dieser Gesinnung heraus, die wir durch solche Einsicht gewinnen können, in der richtigen Weise erziehen, und in diesem Le­bensalter jedenfalls noch nicht unterrichten. Es ist mir immer auch wiederum ein großer Schmerz, daß man schon das sechste Lebensjahr der Kinder als das schulpflichtige Alter einführt. Sie sollen eigentlich erst im siebenten Lebensjahre in die Schule geführt werden. Ich war immer wirklich ganz besonders befriedigt - Sie mögen mir das meinet­willen als barbarisch auslegen -, wenn in anthroposophischen Familien die Kinder mit acht Jahren wirklich noch nichts vom Schreiben ver­standen haben und vom Lesen; denn dasjenige, was man nach den vor­handenen Kräften erst später bewältigen kann, ohne daß man sich die

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physische Organisation zerstört, das soll nicht in ein früheres Lebens­alter hineingepfropft werden.

Wie wir versuchen, ohne daß der Mensch dabei Schaden nimmt, die Kinder nun zu behandeln, wenn sie zu uns in die Waldorfschule kommen, davon will ich dann in den nächsten Tagen sprechen, morgen damit beginnend, Ihnen gewissermaßen als Einleitung den Schauplatz der Waldorfschule vorzustellen, natürlich nur mit Worten.

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ACHTER VORTRAG Dornach, 30. Dezember 1921

Ich möchte bemerken, daß ich durch den ganzen Gang unserer Be­trachtungen mich genötigt sehe, heute etwas von dem fortlaufenden Programm abzugehen und Ihnen zunächst von der mehr äußerlichen Einrichtung der Waldorfschule zu sprechen. Sie werden ja aus den Be­trachtungen, die wir bisher gepflogen haben, entnommen haben, daß der Waldorfschul-Gedanke so ist, daß im strengsten Sinne des Wortes Lehrplan, Lehrziel, überhaupt die ganze Einrichtung der Schule gewis­sermaßen von dem abgelesen wird, was im menschlichen Lebenslauf an leiblichen, seelischen und geistigen Kräften des Menschenwesens in Erscheinung tritt. Das erforderte eine ganz besondere Einrichtung der Waldorfschule, und diese Einrichtung weicht in mancher Beziehung von dem, was man heute gewöhnt ist, ab.

Zunächst kommt es ja darauf an, in dem Sinne zu unterrichten und zu erziehen, den ich den seelisch-ökonomischen nennen möchte. Heute, im gewöhnlichen Erziehungs- und Unterrichtswesen, zersplittert man den Unterricht sehr stark, und dadurch wirkt er nicht konzentriert ge­nug auf das heranwachsende Kind ein. Es handelt sich um folgendes. Nehmen Sie einmal an, man will irgend etwas in der Schule mit dem Kinde durchnehmen, das für das Kind dann einen bleibenden Besitz des Lebens bedeuten soll. Nun, ich will jetzt etwas herausgreifen, was auch im gewöhnlichen Unterrichtsplan liegt, und zwar etwas aus dem Geschichtlichen. Man nehme einmal an, man wollte mit den Kindern das Zeitalter der Königin Elisabeth durchnehmen mit allem, was dazu­gehört und was gewöhnlich im Zusammenhang mit diesem Zeitalter an die Kinder herangebracht wird. Sie werden zugeben, daß man das so tun kann, daß man in den historischen Stunden durch ein halbes Jahr hindurch die Einzelheiten dieses Zeitalters der Elisabeth bespricht. Man kann es aber auch noch anders machen. Man kann es so machen, daß man zunächst als Lehrer in einer wohlgeordneten Vorbereitung sich ein feines Gefühl von den Tatsachen aneignet, die für dieses Zeit­alter in Betracht kommen. Da haben die einen ein gewisses Schwergewicht;

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kennt man sie, läßt man sie auf die Seele wirken, dann prägen sie sich in leichter Weise der Seele ein, und die anderen Tatsachen kommen dann wie von selber dazu. Und man kann unter Umständen, wenn man wirklich mit einer freien Beherrschung als Lehrer diesen Stoff in die Schule hineinträgt, es ist nicht einmal übertrieben, in drei, vier Stunden nicht nur dasjenige an die Kinder heranbringen, was man sonst in einem halben Jahr an die Kinder heranbringt, sondern man kann es sogar besser heranbringen, so daß die Kinder dann davon für das ganze Leben einen bleibenden Eindruck haben.

Wer sich jemals einen Überblick darüber verschafft hat, was alles unsere Kinder lernen sollen, der wird ohne weiteres zugeben, was ich eben angedeutet habe. Denn das, was unter unseren heutigen Zivilisa­tionsverhältnissen unsere Kinder in dem vierzehnten Jahre schon ge­lernt haben sollten, das ist, so wie man es gewöhnlich in der Form des angehäuften Stoffes hat, etwas, was ja ohnedies nicht bewältigt wird. Es wird ja nirgends bewältigt, aber es wird so getan, als ob, und es wer­den vor allen Dingen die Lehrpläne und Lehrziele so aufgestellt, als ob man es bewältigen könnte und sollte.

Es handelt sich darum, daß im Sinne des Waldorfschul-Gedankens der ganze Unterricht so veranlagt werde, daß in der möglichst kürze­sten Zeit möglichst viel mit den allereinfachsten Mitteln an die Kinder herangebracht werde, so daß dem Kinde nirgends die innere seelische, nicht einmal die verstandesmäßige, meine ich hier, sondern die innere seelische, empfindungsgemäße Überschau verlorengeht.

Sie begreifen, daß das gerade an die Lehrerschaft besondere An­forderungen stellt. Und ich habe zum Beispiel aus dem, was ich see­lisch-ökonomischen Unterricht nenne, die Überzeugung gewonnen, die ich dezidiert - sie ist ja vielleicht nicht immer so dezidiert realisiert -, die ich aber so dezidiert aussprechen möchte, daß ich sage: Will man in einer halben Stunde in der richtigen ökonomischen Weise, so daß das Kind keinen Schaden erleidet, irgend etwas an das Kind heranbringen, so braucht man dazu mindestens eine Vorbereitung als Lehrer von zwei bis drei Stunden, um das Ganze in einen solchen lebendigen inne­ren organischen Zusammenhang zu bringen, den man dann durch die Schultüre in die Klasse hineinzutragen hat. - Es stellt also an die Lehrerschaft

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ein solches Erziehungsprinzip allerdings große Anforderun­gen. Aber diese großen Anforderungen werden von der Sache selbst ge­stellt, und sie müssen einfach, so gut es geht, befriedigt werden.

Nun erfordert das aber eine ganz besondere Einrichtung und Ver­teilung des Unterrichtens und des Erziehens in dem Falle, wo man diesen pädagogisch-didaktischen Grundgedanken in die Realität um­setzen will, wenn so etwas an einen herantritt, wie die Einrichtung der Stuttgarter Waldorfschule war. Ich möchte Ihnen diese Einrichtung nun in großen Zügen schildern, nicht die Einzelheiten heute schon rechtfertigen - das wird der Gegenstand eben der nächstfolgenden Be­trachtungen sein -, aber ich möchte Ihnen zunächst sozusagen einen allgemeinen Umriß geben, wie es eigentlich in der Waldorfschule zu­geht.

Der Lehrer also betritt, in der gekennzeichneten Weise vorbereitet, am Morgen das Schulgebäude. Die Kinder erscheinen etwas früher in der Sommerszeit, um acht Uhr, etwas später im Winter, und nachdem sie sich in den Klassen versammelt haben, werden sie zunächst dadurch gesammelt, daß jeder Lehrer, jede Lehrerin in ihrer Klasse mit einem möglichst an das allgemein Menschliche und auch Religiöse herange­henden Spruch beginnt, der entweder in Sprach- oder Gesangsform, aber zugleich mit einer Art Gebetscharakter von der ganzen Klasse im Chore vorgebracht wird. Ein wirkliches Gebet kann sich dann daran-schließen. Die Einzelheiten sind ja in unserer Freien Waldorfschule immer ganz der Individualität des betreffenden Lehrers überlassen.

Dann beginnt der sogenannte Hauptunterricht, jener Hauptunter­richt, der ja nach den gewöhnlichen Lehrplänen vielfach zerschnitten ist. Gerade das seelisch-ökonomische Prinzip, auf das ich aufmerksam machte, macht nötig, wenn man es zu Ende denkt, daß man sich von dem, was man gewöhnlich Stundenplan nennt, gründlich abwendet. Im gewöhnlichen Sinne haben wir für den Hauptunterricht keinen Stundenplan, sondern das Kind wird, je nachdem ein Gebiet so oder so abgeschlossen werden kann, durch vier bis sechs Wochen in den er­sten zwei Stunden, zwischen denen eine Pause liegen kann, für die kleineren Kinder auch liegen muß, in seiner Klasse unterrichtet. Also vier bis sechs Wochen lang nimmt man ein geographisches Gebiet oder

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ein Rechengebiet durch. Sind diese vier bis sechs Wochen vorüber, dann wird ein anderes Gebiet begonnen, das wiederum seine entsprechende Zeit hat, das aber nicht fortwährend stundenplanmäßig von irgend etwas anderem durchbrochen wird.

So wird zeitraummäßig das Jahr hindurch dasjenige, was der Lehr­plan nach den entsprechenden Grundsätzen enthalten soll, an das Kind in seelisch-ökonomischer Weise herangebracht, so daß nicht große An­forderungen nach der Richtung hin gestellt werden, daß das Kind in irgendeinem Augenblick das Gefühl hat, es habe Mühe, mitzukommen. Dieses Gefühl soll es nie bekommen. Es soll das Innere des Unterrich-tens so eingerichtet werden, daß das Kind nie das Gefühl hat, es bereite ihm Schwierigkeiten, vorwärtszukommen, sondern es soll immer die Sehnsucht haben, wirklich von dem einen zu dem anderen zu kom­men. Und niemals ist das Kind dadurch eigentlich versucht, etwas als abgebrochen zu betrachten, sondern überall ist Anschluß zu erreichen.

Es ist ja wiederum selbstverständlich, daß dann, wenn der Jahres­schluß vor den Ferien herannaht, in einer Art Rekapitulation alles das wiederum an die Seele des Kindes herangebracht wird - man kann das in einem hübschen Zusammenhang tun -, was in den verschiedenen Zeiträumen während des Jahres dem Kinde, wie man sagt, beigebracht worden ist.

Alles das also, was eigentlicher Hauptunterricht ist, fällt in diese Kategorie hinein. Und es wird immer darauf gesehen, daß in solchen vier bis sechs Wochen dem Kinde etwas Ganzes überliefert werden kann, was gerade deshalb, weil es ein Ganzes ist, ihm dann etwas gibt, was es ins Leben mitnimmt, wie es die Dinge ins Leben mitnehmen soll.

Denken Sie doch nur einmal, wenn wir die Gliedmaßen der Kin­der ordentlich pflegen wollen, so werden wir es vermeiden, sie in solche Bekleidungen zu stecken, durch die sie in ihrem Wachstum behindert werden. Wir wollen die äußere Leiblichkeit des Kindes so pflegen, daß der Mensch sich nach den in ihm liegenden Wachstumsprinzipien bis ins späteste Alter hinein frei entwickeln kann. Dasselbe muß auch mit allem Seelischen und Geistigen gemacht werden. Geben wir dem Kinde fertige, scharf umrissene Vorstellungen, so können die ja nicht mitwachsen mit dem zunehmenden menschlichen Leben. Die Vorstellungen,

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die Empfindungen, die Willensimpulse, die wir ihm mitgeben, die müssen so behandelt werden wie menschliche Glieder. Sie müssen nicht in steif-abstrakte Definitionen gekleidet werden, die dann be­halten werden, so daß man im fünfundvierzigsten Jahre noch densel­ben Begriff hat von einer Sache, die man im achten Jahre vermittelt erhalten hat, geradesowenig wie man seinen kleinen Finger im fünf­undvierzigsten Jahr noch in der Konstitution hätte, wie man ihn im achten Jahre hatte! Es handelt sich darum, daß wir den kindlichen Organismus auch seelisch so aufbauen, daß seine einzelnen Glieder wirklich wachsen können, daß wir ihm also nicht etwas so Steifes, Festes beibringen, daß wir im fünfundvierzigsten Jahre noch so über die Sache denken und empfinden, wie man im achten, neunten Jahre gedacht und empfunden hat. Das ist aber nur möglich, wenn wir in der angedeuteten seelisch-ökonomischen Weise die Dinge an die Kin­der heranbringen.

Der weitere Vormittag ist dann den freieren Gegenständen gewid­met. - Es ist mir zwar ein Greuel, den Ausdruck Gegenstand zu ver­wenden, aber er ist nun schon einmal üblich geworden. - Da spielen vor allen Dingen die modernen fremden Sprachen die größte Rolle. Diese modernen fremden Sprachen werden, weil sie sich wirklich prak­tisch einleben sollen in das kindliche Leben, vom Eintritt der Kinder mit dem sechsten, siebenten Jahre an gepflegt, und sie werden so ge­pflegt, daß das Kind sich wirklich einleben kann in die fremde Spra­che, daß also beim Erlernen der fremden Sprache die Vermittlung durch die Muttersprache vermieden wird.

Es muß ja natürlich, weil man jetzt ältere Kinder vor sich hat als damals, da sie ihre Muttersprache gelernt haben, der Unterricht in einer anderen Sprache etwas anders eingerichtet werden. Gerade wenn man auf die Lebensalter sieht, so muß das sein. Aber die Kinder müssen doch die Sprache so mit sich vereinigen, daß sie nicht, indem sie irgend etwas in der fremden Sprache zum Ausdruck bringen, im geheimen immer übersetzen. Dieses Übersetzungsprinzip, das soll vollständig ver­mieden werden. Wenn also dem Kind ein Wort oder eine Wortfolge beigebracht wird, sagen wir im einfachsten Falle: Tisch, Fenster -, so wird dieses «Tisch» nicht an das deutsche Wort angeknüpft, sondern an

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den wirklichen Tisch, oder das «Fenster» an das wirkliche Fenster. Un­mittelbar in Heranbringung an die Sache, an die Gegenstände, wird die fremde Sprache beigebracht, so daß das Kind zunächst sprechen und dann übersetzen lernt, wenn das letztere sich überhaupt als irgend etwas Wünschenswertes in dem einen oder anderen Fall herausstellt.

Man kann durchaus bemerken, daß mit der Vermeidung der ge­wöhnlichen Grammatik und so weiter da etwas erreicht wird, was die Kinder in ganz lebendigem Sinn aufnehmen. - Das einzelne wird dann bei der Besprechung der einzelnen Lebensalter ja Gegenstand der Be­trachtungen der nächsten Tage sein. Ich will jetzt mehr nur einen all­gemeinen Überblick über die äußeren Einrichtungen geben.

In diese Zeit fällt dann auch noch dasjenige hinein, was als be­sonders wichtig gehalten werden muß: der Handarbeitsunterricht; auch zum Teil dasjenige, was man gewöhnlich als den Handfertigkeitsunter­richt bezeichnet. Der Handarbeitsunterricht wird gemäß dem Prinzip der Waldorfschule, das ja in einer Klasse Knaben und Mädchen ver­einigt, auch für Knaben und Mädchen gleichmäßig getrieben. Und es ist im Handarbeitsunterricht eine große Freude für einen, wenn die Knaben und Mädchen zusammen stricken, häkeln und andere ähnliche Arbeiten machen. Man kann durchaus aus der Schulpraxis heraus die Versicherung geben, obgleich der Knabe etwas anderes hat von dem Stricken als das Mädchen, daß dennoch der Knabe auch viel hat da­von, und daß er es vor allen Dingen mit großer Freude tut. Es ist dieses Zusammenarbeiten für die Gesamtentwickelung eines Menschen, wie sich bisher gezeigt hat - ich werde auch das in den Einzelheiten noch besprechen -, von einem ganz besonderen Vorteile. In dem Handfer­tigkeitsunterricht müssen dann wiederum die Mädchen genau dasselbe mitmachen, was die Knaben machen, schwerere Arbeiten, so daß über­all auf die Geschicklichkeit, auf das Geschicktwerden des Menschen hingesehen werden kann.

Dann fällt in diese Zeit der späteren Vormittagsstunden auch noch dasjenige herein, was man den eigentlichen Weltanschauungsunterricht nennen kann. Sehen Sie, die Waldorfschule, und überhaupt jede Schule, die aus anthroposophischer Bewegung hervorgehen würde, legt natür­lich keinen Wert darauf, etwa Anthroposophie den Kindern beizubringen,

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in der Form wie sie heute da ist. Sie würde das sogar für das Allerverkehrteste betrachten, zu dem man sich wenden könnte. Denn Anthroposophie, wie sie heute vorliegt, hat man ja zunächst mit den Erwachsenen, manchmal schon mit recht grau gewordenen Menschen zu besprechen. Sie ist daher auch so eingerichtet in ihrer Literatur und in der Art und Weise, wie sie an den Menschen herantritt, daß sie die Form hat, wie man zu Erwachsenen spricht und wie man Erwachsene eben anredet. Ich würde es daher für das Allerverkehrteste ansehen müssen, wenn man dasjenige, was in meiner «Theosophie» steht oder in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», irgendwie dem Kinde vermitteln wollte. Das kann niemals der Fall sein, denn man würde das Kind, verzeihen Sie den etwas trivialen Ausdruck, dadurch, daß man etwas ganz Ungeeignetes für dieses Alter an es heranbringt, zum - man sagt im Deutschen - Aus-der-Haut-Fah­ren bringen. Das kann es dann nicht ausführen, aber es steckt in ihm diese Sehnsucht, aus der Haut zu fahren.

Nicht darauf kommt es also an, in die Schule als solche etwas hin-einzutragen, was heute anthroposophischer Inhalt ist, sondern darauf kommt es an, daß Anthroposophie ja nicht eine Theorie, nicht eine theoretische, in Ideen bloß sich ergehende Weltanschauung ist, son­dern Lebenssystem ist, den ganzen Menschen in Anspruch nimmt. Wenn also der Lehrer als Anthroposoph in die Schule kommt, so ist er ein geschickter Mensch geworden, und er handhabt eine pädago-gisch-didaktische Kunst, und auf diese pädagogisch-didaktische Kunst kommt es an.

Also eine methodische Schule soll gerade die Waldorfschule sein, und das Methodische soll herausgeholt werden aus der anthroposo-phischen Weltanschauung. Es ist schon so, wenn man eine solche le-benspraktische Weltanschauung in sich aufnimmt, dann wird man da­durch nicht ein weltabgekehrter Theoretiker, sondern ein geschickter Mensch. Nun will ich nicht behaupten, daß schon alle diejenigen, die sich innerhalb der anthroposophischen Bewegung befinden, in dieser Richtung alle Ideale erfüllen. Es ist nicht der Fall. Ich kenne noch immer Männer innerhalb der anthroposophischen Bewegung, die nicht in der Lage sind, wenn ihnen ein Hosenknopf, verzeihen Sie den harten

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Ausdruck, abreißt, ihn auch selbständig nach allen Regeln der Kunst wieder anzunähen. Man ist natürlich kein vollständiger Mensch, wenn man das nicht kann. Und vor allen Dingen, die Gesinnung fehlt noch vielfach, die sich mit dem Worte ausspricht: Man kann kein Phi­losoph sein, wenn man nicht in der Lage ist, wenn es nötig ist, sich auch die Stiefel selbst zu flicken. - Es ist natürlich etwas im Extrem ausge­drückt, aber es sagt dasjenige, was Sie ja verstehen werden.

Derjenige, der irgend etwas Theoretisches behaupten will, muß viel mehr im Leben drinnenstehen als derjenige, der zum Beispiel Schneider oder Schuster oder Ingenieur oder dergleichen ist. Ich möchte sagen:

man kann es einem nur verzeihen, daß er etwas Theoretisches äußert, wenn der Betreffende auch ein Lebenspraktiker ist. Sonst wird alles Aussprechen in Gedanken gleich etwas, was mit dem Leben eigentlich nicht mehr viel zu tun hat. Dadurch, daß in dieser Art die Lehrer anthroposophische Lebenspraxis in die Schule hineintragen, dadurch sollen sie als Künstler geeignet werden, immer das Richtige zu finden, was nach den Außerungen des Kindes eben vorgenommen werden muß. Da übt ja dann das Beste im einzelnen Fall der Instinkt aus, wenn man den ganzen Duktus eines Erziehungs- und Unterrichtskünstlers in die Schule hineinträgt. Das ist heute im äußeren Leben nicht im weitesten Maße eigentlich erfüllt.

Bitte, betrachten Sie das, was ich sage, nicht als etwas, was dem einen oder dem anderen nahetreten will. Derjenige, der heute in die Schule hineingestellt wird, muß das ja am allermeisten selbst empfin­den, was ich sage; er muß sich mehr als ein Opfer seiner Zeit betrach­ten, weil er eben nicht anders kann. Er kann schon dadurch nicht an­ders, daß er durch das Martyrium des Gymnasiums und der Hochschule durchgegangen ist. Aber beim praktischen Handhaben des Unterrichts kommt es ja darauf an, daß man in jedem Augenblicke etwas anderes tun kann, je nachdem das Kind es einem sagt, was man zu tun hat. Aber erzieht man denn in der weiten Welt so? In der weiten Welt erzieht man so, daß man von vornherein weiß: das hat zu geschehen, das hat man an das Kind heranzubringen. Auf mich macht es oftmals den Eindruck, daß das Kind von diesem Erziehungsstandpunkte aus gar nicht dabei zu sein braucht bei dem, was da eigentlich vollzogen wird.

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Man könnte ganz gut nach den heutigen Schulprinzipien Abdrücke aus Papiermaché von den Kindern machen lassen, wenn sie in die Schule aufgenommen werden, und dann hat man dasselbe, es ist ja von vornherein bestimmt, ganz dasselbe an den Abdrücken vorzunehmen, was man jetzt an den wirklichen Kindern von Fall zu Fall vornimmt.

Also eine Weltanschauungsschule wollten wir ganz gewiß nicht schaffen, wie man leicht denken könnte, wenn man äußerlich hört: da haben die Anthroposophen eine Schule begründet; sondern es handelt sich darum, Anthroposophie in die pädagogische Praxis hineinzutragen.

Daher war es mir auch verhältnismäßig gleichgültig, den Gipfel­punkt des Weltanschauungslebens, die religiöse Weltanschauung, ein­fach den entsprechenden Vertretern der traditionellen Religionsbe-kenntnisse zu überlassen. Und so wurde denn der katholische Religions­unterricht ruhig dem katholischen Pfarrer, der evangelische dem evan­gelischen Pfarrer zur Verfügung gestellt. Wir hatten keine Angst, daß nicht dasjenige, was sie verderben, wieder gutgemacht werden kann durch ein anderes. Aber es stellte sich dabei die Sache so heraus, daß, als unser Freund Emil Molt die Waldorfschule in Stuttgart begründete, zunächst das Hauptkontingent der Kinder die Proletarierkinder seiner Fabrik waren. Es waren zum großen Teil Dissidentenkinder, Kinder die, wenn sie in eine andere Schule gegangen wären, eben an gar kei­nem Religionsunterricht teilgenommen hätten, die religionslos aufge­wachsen wären. Für die stellte sich sowohl bei den Kindern selbst in der Art, wie das eben bei Kindern in Erscheinung treten kann, wie bei den Eltern der Kinder das Bedürfnis ein, nun doch so etwas zu haben, und da mußten wir doch unseren freien Religionsunterricht für die Kinder einrichten. Er wird dann, geradeso wie der evangelische Unter­richt vom evangelischen Pfarrer, der katholische Unterricht von einem katholischen Priester erteilt wird, von unseren Lehrern erteilt, die sich dann auch als gegenüber dem übrigen Lehrplan zugelassene Religions­lehrer betrachten. So wird dann anthroposophischer Religionsunterricht erteilt. Und wir haben es dazu gebracht, daß dieser freie, anthroposo­phische Religionsunterricht, heute schon für viele andere Kinder auch, aber gerade sehr Vielversprechendes für Proletarierkinder bedeutet.

Da tritt nun eine besondere Schwierigkeit auf; denn wir haben eine

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Anthroposophie für Erwachsene, und der Lehrer hat heute, wenn er seinen anthroposophischen Religionsunterricht erteilt, nun damit zu ringen, für dasjenige, was er da mit den Kindern durchzunehmen hat, Inhalte zu schaffen. Es ist dasjenige, was anthroposophische Weltan­schauung ist, erst in die Form zu gießen, in der es an das Kind heran-gebracht werden kann. Und an dieser Bearbeitung, nun einer moder­nen, dem Menschengeiste entsprechenden Weltanschauung für das Kind, arbeiten wir vielfach. Da ist es in der Tat notwendig, tief einzu­gehen, wie weit zum Beispiel Symbole, die man gebrauchen muß, auf das Kind wirken, und wie da Imponderabilien in Betracht kommen. Nun, davon werden wir gleich sprechen.

Sie werden begreifen, daß eine solche Schule wie die Waldorfschule, wenn sie auch im allgemeinen den Grundsatz verfolgen muß, Lehr­plan, Lehrziele von dem abzulesen, was als Menschenerkenntnis vor­handen ist, dennoch heute nicht im Sinne eines Ideals eingerichtet wer­den kann. Man muß die mannigfaltigsten Kompromisse schließen, denn es ist ja unmöglich, daß man heute etwa ein Kind ganz so erzieht und unterrichtet, wie man es nach einem abstrakten Ideal, etwa als Wal­dorfschulgedanke unterrichten könnte. Es würde so in das Leben hin­eingestellt werden, daß es sich einfach in das Leben nicht hineinfinden würde. Es ist verhältnismäßig leicht, über das Leben in der heutigen Gegenwart die mannigfaltigste Kritik zu sagen. Vieles kann einem da nicht gefallen, und man kann sich ergehen in sehr scharfsinnigen, geist­reichen Kritiken, wie alles anders sein soll. Aber man kann nicht Men­schen erziehen, die dann, wenn sie aus der Schule ins Leben hinaus­treten, bloß Sinn für eine Kritik haben für den sinnlosen Sinn des Le­bens. Mag das Leben noch so unvollkommen sein vor einer abstrakten Verstandeskritik, man muß im Leben drinnenstehen. Die Waldorf­kinder müssen allerdings ins Leben hinaus entlassen werden - sonst würde die Waldorfschule keinen Sinn haben -, indem auf ihre Mensch­lichkeit mehr Rücksicht genommen ist, als das sonst in unserem heu­tigen Zeitalter der Fall ist; aber sie dürfen nicht in dem Sinne zu lebens-fremden Menschen ihres Zeitalters gemacht werden, daß sie sich nur als lebensfremde Kritikaster hineinstellen. Das will ich andeuten. Und

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daher mußten gleich im Anfange die mannigfaltigsten Kompromisse geschlossen werden auch in bezug auf Lehrplan und Lehrziel. Man konnte nur das Mögliche ansetzen. Ich habe daher gleich bei Begrün­dung ein Memorandum ausgearbeitet, welches dann der hohen Schul­behörde vorgelegt wurde und welches ungefähr das Folgende besagt:

Von dem Eintritt des Kindes in die Schule, vom sechsten, siebenten Le­bensjahr bis zum vollendeten neunten Jahre, also bis zur Vollendung der dritten Klasse etwa, wird das Kind in den einzelnen Jahren mög­lichst frei nach dem, was man für das Richtige hält, unterrichtet. Da steht Verteilung des Lehrstoffes, Festsetzung der Lehrziele frei im Er­messen des Lehrers beziehungsweise Lehrerkollegiums, das in ganz re­präsentativer Weise eingerichtet ist und wirkt. Es wird überhaupt ein großer Wert darauf gelegt, daß der einzelne Lehrer nicht bloß seine Kinder kennt, sondern daß zwischen dem Lehrerkollegium und den Kindern ein entsprechendes Verhältnis angebahnt werden kann, das sich dann auch auf die Zwischenstunden erstreckt, daß diese oder jene Kinder auch bei dem Lehrer, der ihnen gerade gefällt, ihre Ratschläge suchen und so weiter. Es ist eine wahre Freude, wenn man in die Wal­dorfschule hineinkommt, wie zutunlich sich die einzelnen Kinder zu den Lehrern verhalten in den Zwischenstunden und auch dann, wenn kein Unterricht erteilt wird.

Also in dieser Zeit, etwa vom sechsten, siebenten Lebensjahr bis zum neunten, zehnten Lebensjahre wird der Unterricht nach dem Prinzip erteilt. Aber es wird zu gleicher Zeit angestrebt, daß nach Vollendung der dritten Klasse jedes Kind so weit ist, daß es auch in die vierte Klasse einer anderen Schule eintreten kann. So daß also das Kind nicht her­ausgenommen wird aus dem Leben, sondern daß ihm etwas gegeben wird, was es vor den übrigen voraus hat, aber doch nicht etwa sich nicht wiederum an das übrige Leben anschließen kann.

Ebenso wird darauf gehalten, daß vom vollendeten neunten Jahre, der dritten Klasse, bis zum zwölften Jahre, der vollendeten sechsten Klasse, der Unterricht streng nach dem Prinzip verläuft, daß das Kind nach dem vollendeten zwölften Jahre wiederum in der Lage ist, in einer anderen Schule, in die siebente Klasse etwa, eintreten zu können und dann gut mitkommt. Solche Kompromisse mußten geschlossen

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werden, weil wir nicht Fanatiker sein wollen, sondern eben lebens-praktische Menschen gegenüber den Bestrebungen der Waldorfschule sein wollten. Und wenn die Volksschule mit dem vierzehnten Jahre absolviert ist, soll das Kind eintreten können in die entsprechenden Klassen der Realschule, Gymnasium und so weiter, wie alle die schönen Dinge heißen, die da sind, so daß alles dasjenige wirklich befolgt wird, was ich eben angedeutet habe.

Nun sind wir ja bestrebt, die Waldorfschule so auszubauen - wir setzen jedes Jahr, nachdem wir erst eine vollständige Volksschule be­gründet hatten, wo Kinder bis zum vollendeten vierzehnten Jahre drinnen waren, eine neue Klasse daraufhin an -, daß wir wirklich zu­nächst so weit kommen, wie die jungen Leute kommen, wenn sie das Gymnasium oder die Realschule vollendet haben, also an eine Univer­sität oder eine Hochschule gehen wollen.

Da müssen wir natürlich auch die gesamte Erziehung und den Un­terricht so einrichten, daß dann die jungen Leute, wie man in Öster-reich sagt, ihre Maturitätsprüfung oder, wie man in Deutschland sagt, ihr Abiturium ablegen können. In anderen Ländern werden solche schönen Dinge ja noch anders genannt. Jedenfalls aber, die Kinder sollen so weit gebracht werden, daß sie dann in eine Hochschule auf­steigen können. Wir haben ja noch nicht die Möglichkeit, eigene Hoch­schulen zu begründen, denn, was wir nach dieser Richtung auch tun, hat durchaus überall einen privaten Charakter. Es würde uns ja kein Staat gestatten, irgendwie an selbstgegründeten Hochschulen gültige Zeugnisse über die nicht stattgefundenen Examina auszustellen; denn natürlich würden wir keine Prüfungen abhalten.

Nun, so sind wir eben genötigt, durchaus den realen Waldorfschul­Plan in einer kompromißartigen Weise auszubauen, und wir wollen das auch durchaus nicht verleugnen. Dasjenige, um was es sich handelt, ist aber, daß nun in diesem Rahmen so viel von dem Geist, den ich vor­hin charakterisiert habe, hineingebracht werde, als nur irgend möglich ist. Wir haben, als wir die Waldorfschule begründeten, weil wir sie gleich als vollständige Schule begründeten, natürlich Kinder bekom­men, die von allen möglichen Schulklassen entlassen worden sind. Wir haben ja reichlich Gelegenheit gehabt, die Früchte der ja so strengen

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Disziplin in den Schulen an unseren Waldorfschul-Kindern noch zu sehen. Jetzt haben wir etwas mehr als zwei Jahre Waldorfschul-Dis­ziplin hinter uns. Ich werde über die Einzelheiten auch der Schuldiszi­plin noch sprechen. Wir haben diese Waldorfschul-Disziplin hinter uns, die größtenteils ja darinnen besteht, daß wir die Disziplin abge­schafft haben, und wir haben doch zum Beispiel so etwas zu verzeich­nen, wie das, was ich wie symptomatisch erwähnen möchte.

Vor einigen Wochen erst hatten wir - wir waren ja durchaus noch in provisorischen Räumen - den Grundstein für ein größeres Schul­gebäude zu legen. Diese Grundsteinlegung erforderte für mein Gefühl, daß auch die sämtlichen Kinder dieser Grundsteinlegung beiwohnten. Nun, im Leben geht es halt so, es dauert alles länger, als man sich es ge­wöhnlich vornimmt, und so waren alle Kinder schon da in der Zeit, als wir erst anfingen, die vorbereitenden Schritte zu machen für diese Grundsteinlegung. Ich mußte zunächst mit dem Lehrerkollegium und einigen anderen Leuten zusammensein. Nun waren aber schon alle Kinder da. Wir mußten uns zusammensetzen im sogenannten Konfe­renzzimmer, im Lehrerzimmer. Was mit den Kindern tun? Der Ver­walter der Schule sagte einfach: Wir tun die Kinder in die Klassen. Sie sind jetzt so weit, daß wir sie ruhig in die Klassen tun können, da wer­den sie schon ordentlich sein und das tun, was uns nicht stört.

Also, wir waren immerhin mit der sehr anfechtbaren Disziplin, die uns hereingebracht worden ist, nach unserer Art der Abschaffung der Disziplin so weit, daß wir die Kinder in die Klassen tun durften, und sie störten uns gar nicht. Das ist natürlich etwas ephemär zu nehmen; für nervöse Ohren würde es ja vielleicht auch noch jetzt stören, aber das schadet ja auch nichts. Kinder, die nervöse Ohren nicht stören, sind ja in der Regel nicht gerade von einer guten Disziplin. Nun, es stellt sich überhaupt heraus durch die imponderable Einwirkung einer solchen Schulhaltung, daß sich manches verändert, was sonst selbst­verständlich da ist und auch gehandhabt wird in der Schulpraxis.

Man soll ja, wie sie vielleicht auch schon gehört haben, in der ge­wöhnlichen Schulpraxis manche Art von Strafen haben. Natürlich mußte anfangs auch manches herumexperimentiert werden, um erst daraufzukommen, wie man vorzugehen hat. Und so hat denn einer der

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Lehrer einmal, als eine solche Sache zur Diskussion gekommen ist, eine recht schöne Auskunft geben können, die ich Ihnen hier wiederholen will. Er hat probieren wollen zunächst, was Strafen einer bestimmten Art auf die Kinder für einen Eindruck machen; es war, als die Kinder schon einiges der Waldorfschul-Disziplin mitgemacht hatten, gerade in einer Klasse, in der ganz furchtbare Rangen sind. Diese Rangen -so nennt man ganz besondere Nichtsnutze in Deutschland -, diese Nichtsnutze, die haben nun etwas schlecht gemacht und sollten be­straft werden, so ein bißchen nach dem Muster, wie man das in an­deren Schulen auch macht. Sie sollten nachsitzen, wie man sagt, etwas nachbleiben und da Rechnungen machen während der Zeit. Und als diese Strafe nun über einzelne Mitglieder der Klasse verhängt worden war, siehe, da kamen alle anderen und sagten, sie wollten nun auch da bleiben und rechnen, denn das Rechnen wäre etwas so Schönes.

Sie sehen, der Begriff der Strafe hatte eine vollständige Metamor­phose durchgemacht. Er war etwas ganz anderes geworden, etwas sehr Begehrenswertes für die ganze Klasse. Das sind in der Tat Dinge, die man nicht erreicht, wenn man sie, ich möchte sagen, in direkter Weise beabsichtigt, sondern sie stellen sich ein als eine Folge, wenn das andere selber in der richtigen Weise gepflegt wird. Ich weiß, daß über manche Art der disziplinarischen Handhabung man im äußeren Leben heute sich ganz besondere Gedanken machen würde.

So war ich einmal in der Lage, ganz stark zu beobachten, wieviel davon abhängt, wie der naturgemäße, durch die verschiedenen charak­terologischen Beschaffenheiten von Schülern und Lehrern, Erziehern herbeigeführte Kontakt zwischen dem Lehrer und dem Schüler ist. Man kann ja in der Tat sagen, von der Art, wie aus dem ganzen Geiste der Schulpraxis heraus der Lehrer des Morgens die Schule betritt, ob ihm die Kinder Sympathien entgegenströmen lassen oder Antipathien, da­von hängt das ab, ob sie überhaupt etwas profitieren oder nicht. Und man kann sogar diskutieren darüber, ob ein schlampiger Lehrer, der gar keine richtigen Prinzipien handhabt, mehr nützt, oder ein Lehrer, der furchtbar gute, aber abstrakte, nicht in die Lebenspraxis überge­hende, ausgezeichnete pädagogisch-didaktische Prinzipien handhaben will. Solche Prinzipien gibt es ja heute zur Genüge. Ich spotte auch

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gar nicht, wenn ich sie sehr geistreich nenne, es kann ja darüber disku­tiert werden; aber wenn ein schlampiger, ein nachlässiger Lehrer in die Klasse hineinkommt, der aber doch durch sein ganzes Wesen etwas von Liebe ausstrahlt auf seine Klasse, dann werden die Kinder zwar auch nicht ganz besonders ordentlich, aber für das Leben nehmen sie noch mehr Nützliches mit, als wenn ein Lehrer, der durch sein ganzes We­sen Antipathie hervorruft, mit ausgezeichneten Erziehungsgrundsätzen in die Klasse hineinkommt und dann seine Dinge an die Kinder heran-bringt. Da kann man erleben, daß gerade durch ausgezeichnete Erzie­hungsprinzipien, wenn das Leben des Lehrers Antipathie hervorruft, die Kinder eine furchtbare, wie man es heute nennt, Nervosität sich ins spätere Leben hinein mitbringen.

Diese Dinge können alle diskutiert werden und müssen diskutiert werden, wenn man es mit Lehr- und Erziehungskunst seriös meint. Und deshalb war ich einmal in einem besonderen Fall, der natürlich wie etwas Greuliches von mancher Seite beurteilt werden wird. Es wurde mir erzählt, als ich eben wiederum einmal in der Schule war, daß ein Junge einer Klasse absolut nicht zurechtzubringen sei, alle möglichen Schlechtigkeiten verübt hatte, und die Lehrerschaft der Klasse wußte nichts mit ihm anzufangen. Ich ließ mir den Jungen kommen und wollte sehen, wie es eigentlich mit dem Jungen steht. Sie werden zugeben, in vielen Schulen gäbe es tüchtige Prügel in einem solchen Fall oder viel­leicht gelindere Strafen oder so etwas dergleichen. Nun, ich prüfte den Jungen ganz genau, und das Ergebnis meiner Prüfung war dieses, daß ich ihn aus der einen Klasse, in der er war, in die nächsthöhere hinauf-versetzte; das war seine Strafe. Nun, ich habe seither nicht klagen hö­ren. Sein Lehrer bestätigt, daß er jetzt sogar ein Musterjunge ist. Es ist ja wohl jetzt alles in Ordnung und darauf kommt es doch eigentlich an.

Sie sehen, es kommt auf das richtige Hineinschauen in das kindliche Gemüt und auf die ganze kindliche Natur an. Es war einfach kein Kon­takt zu bekommen zwischen diesem Jungen und der entsprechenden Lehrkraft, und da der Junge durch seine Intelligenz zuließ, ihn in die nächste Klasse hinaufzusetzen, eine Parallelklasse war nicht da, so mußte man gerade dieses tun. Man hätte ihn gründlich verdorben, wenn man ihn in die nächstniedere Klasse hinunter versetzt hätte.

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Wenn män also bei all diesen Dingen Menschenwohl und Menschen-entwickelung im Auge hat, dann gibt das eben die richtige Unterrichts-und Erziehungspraxis. Und deshalb muß man immer, ich möchte sa­gen, in symptomatischer Weise das einzelne anführen. Die Waldorf-schule, das wollen wir durchaus nicht verleugnen, ist in vieler Bezie­hung durchaus auf Kompromissen aufgebaut; aber soviel als heute möglich ist, wird im Sinne einer wirklichen Menschenerkenntnis erzo­gen und unterrichtet.

So also wird der Vormittag in der Weise ausgefüllt, wie ich es Ihnen schon angedeutet habe, und es muß ja manches, zum Beispiel auch der Unterricht in den antiken Sprachen, aus dem Grunde eingefügt werden, der auch daraus hervorgeht, daß wir eben die Schüler und Schülerin­nen bis zur Hochschule bringen müssen. Es wird gerade bei diesem Un­terricht notwendig sein, das ganz besonders zu berücksichtigen, was seelische Ökonomie ist. Auch dieser lateinische und griechische Unter­richt fällt dann in die Vormittagsstunden.

Die Nachmittagsstunden sind dann dem gewidmet, was sich auf das Leiblich-Physische bezieht: auf Gymnastisches, auf das Eurythmi­sche, auf dasjenige, was zum Künstlerischen im Speziellen gehört. In einzelnen Fällen wollen wir dies in den nächsten Tagen besprechen. Gerade das Künstlerische also spielt in unserem Gesamtunterricht in der Waldorfschule eine sehr ausschlaggebende Rolle.

Es kommt durchaus in Betracht, daß alles dasjenige, was sozusagen Kopferziehung und Kopfunterricht ist, in den Vormittagsstunden mit den Kindern bewältigt werden soll, und erst nachdem dieses eben ab­solviert ist, werden die Kinder an das Leiblich-Physische nachmittags, insofern sie es nicht austoben in den Zwischenstunden am Vormittag, geführt. Und nachdem diese mehr physisch-gymnastische Erziehung Platz gegriffen hat, wird das Kind nicht wiederum zum Kopfunter­richt zurückgeführt. Ich habe es ja schon angedeutet, daß das zerstö­rerisch wirkt auf das Leben; denn während die Kinder gerade dasjenige pflegen, was sich auf das Leiblich-Physische bezieht - die Details wer­den wir in den nächsten Tagen ausführen -, arbeitet ein unbewußtes Übersinnliches in dem Kinde, und der Kopf ist nicht mehr in der Lage, nachdem er sich dieser leiblich-physischen Erziehung hingegeben hat,

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nach dieser Betätigung wiederum zur Kopfarbeit zurückzukehren. Etwa eine Turnstunde mitten in den übrigen Unterricht hineinzuschie-ben, auch wenn es nicht gerade eine ganze Stunde ist, und sich dem Glauben hingeben, daß dadurch für den Unterricht durch Abwechs­lung etwas erzielt werde, ist durchaus falsch. Der einheitliche Charak­ter, den dadurch der Vormittags- und Nachmittagsunterricht erhalten, erweist sich als etwas durchaus Förderliches für die Entwickelung des Menschen. Gerade wenn in einer solchen Weise überall auf das Mensch­liche Bezug genommen wird, stellen sich ja auch die menschlichen Affi­nitäten, diese menschlichen inneren Neigungen in der allerbesten Weise bei den zu erziehenden Menschen ein.

Ich habe gesagt, wie wir selber genötigt waren, auch eine Art an­throposophischen Religionsunterrichtes für die Kinder zu geben. Aber sehr bald stellte sich gerade zu diesem anthroposophischen Religions­unterricht hinzu ein anderes Bedürfnis ein, und wir mußten dazu über­gehen, eine Sonntagshandlung einzuführen, die etwas Kultartiges hat und an der die Kinder mit einer großen religiösen Inbrunst teilnehmen. Das Kultmäßige, das im Bilde an den Menschen herantritt, ist ja wirk­lich etwas, was von der Seite der Anschauung her in das Gemüt, in die religiöse Empfindung sich hineinzieht. Und so übt diese kleine Kultus­handlung, die an jedem Sonntagvormittag mit den Kindern vorgenom­men wird, auch einen außerordentlich vertiefenden Einfluß auf das Kindergemüt aus.

Das mußte ja beim Schulabgang erweitert werden. Im übrigen Deutschland ist man gewohnt, daß ja die Kinder zur Konfirmation ge­bracht werden, das ist eine Art Firmung, ein Reifwerden für das Le­ben durch eine zeremoniell unterrichtliche Handlung. Auch wir haben etwas Ahnliches eingerichtet für die Kinder, welche die Volksschule absolviert haben, und auch das hat einen außerordentlichen und vor allen Dingen einen bleibenden Eindruck auf die Kinder hervorgerufen, wie auch schon konstatiert werden konnte.

Es ist so, daß sich durch eine solche, auf Menschenerkenntnis be­ruhende Unterrichts- und Erziehungspraxis manches als notwendig ein­stellt, was sonst nicht bemerkt wird. Zum Beispiel: es ist in Deutsch­land so, daß die Kinder am Ende des Schuljahres Zeugnisse bekommen.

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Nun, Zeugnisse muß man ihnen schon geben, damit sie irgend etwas in die Ferien nach Hause tragen können. Aber gegenüber diesen Zeug­nissen waren wir doch auch genötigt, eine ganz besondere Stellung ein­zunehmen. Ich muß gestehen, daß es mir außerordentlich schwer wer­den würde, zurechtzukommen in der Waldorfschule, wenn ich die in Deutschland übliche Zeugnismode mitmachen müßte. Ich könnte es nicht gut, aus dem einfachen Grunde: ich konnte mir nie einen Unter­schied aneignen zwischen dem, was eine «befriedigende», «fast befrie­digende», «genügende», «fast genügende», «kaum genügende» und so weiter Leistung in der Schule ist, was dann noch in Ziffern gebracht wird, so daß dann in Deutschland manche Schulzeugnisse so ausschauen, da stehen einerseits die Gegenstände, dann folgt daneben: 4i/2, 3, 3-4 und so weiter. Für diese okkulten Zusammenhänge hatte ich nie im Le­ben ein Verständnis entwickeln können! Und so mußten wir die Schul­zeugnisse eben anders einrichten.

Das Kind bekommt, wenn es am Schluß des Jahres in die Ferien geht, allerdings ein Zeugnis. Da steht aber eine Art vom Lehrer ganz individuell für das Kind verfaßtes Spiegelbild drinnen, etwas Biogra­phisches über das Jahr, und es hat sich überall gezeigt, die Kinder nehmen das mit einer großen Befriedigung auf. Sie lesen da ihr Bild, das man entwirft mit einem entsprechenden Wohlwollen, aber durch­aus nicht gefärbt, nicht etwa, daß man etwa irgendwelche Schönfär­berei dabei übt. Sie nehmen das mit einer großen Befriedigung hin. Und dann lassen wir einen Spruch folgen, ganz individualisiert für jedes Kind, den jedes Kind in sein Zeugnis hineingeschrieben bekommt. Und dieser Spruch bildet dann für das nächste Jahr eine Art Lebensgeleit­spruch. Das ist etwas, was sich, wie ich glaube, schon bewährt hat und auch später noch bewähren wird, mag man es auch sonst nach einem in den letzten Jahren in Deutschland beliebt gewordenen Ausdrucke einen «Zeugnisersatz» nennen.

Nun, die Kinder sind unter dem Einflusse dieser Waldorfschul­Praxis eigentlich gern in der Schule, und es kann immerhin als ein Symptom, wie gern sie in der Schule sind, gelten - ich erzähle gern Ein­zelheiten, um durch Symptome zu charakterisieren -, daß mir zum Bei­spiel eine Mutter sagte: Mein Junge hat sich im Leben gar nicht angewöhnt

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gehabt, irgendwie mit mir zärtlich zu sein; er konnte nicht zärt­lich werden. Er ist nun in die Waldorfschule gekommen, hat das Schul­jahr mitgemacht, ist in die Ferien gegangen; die Ferien gingen zu Ende, und siehe da, als die Ferien zu Ende gingen und dem Jungen, der noch ziemlich jung ist, gesagt wurde, er dürfe wieder in die Schule gehen, da war es das erste Mal, daß mich der Junge geküßt hat. - Immerhin ein Symptom für dasjenige, was sich in das Gemüt derjenigen Kinder hineinschiebt, die aus Menschenerkenntnis in Menschenfreundlichkeit erzogen und auch durch Zeugnisgebung und so weiter darinnen gehal­ten werden.

Diese Dinge, die, ich möchte sagen, mit der Außeneinrichtung der Waldorfschule zusammenhängen, wollte ich Ihnen, bevor ich in der Schilderung der Einzelheiten weitergehe, heute vorbringen, Ihnen ge­wissermaßen die Waldorfschule als solche vorstellen. Ich hielt das für notwendig, und in diesem Punkte mußte ich abgehen von dem ur­sprünglich aufgestellten Programm, nach dem auf die heutige Stunde die Schilderung des kindlichen Alters, das unmittelbar auf den Zahn-wechsel folgt, hätte entfallen sollen. Das wird morgen nachgeholt wer-den. Aber ich wollte schon einmal eben die folgende Schilderung in dasjenige hineinstellen können, was sich als ein äußerer, praktischer Rahmen für die Waldorfschule ergeben hat.

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NEUNTER VORTRAG Dornach, 31. Dezember 1921

Es ist ein bedeutsamer Wechsel, welcher mit dem Menschen vor sich geht, wenn er in den Zahnwechsel eintritt. Nicht nur ist dieser Zahnwechsel ein physisches Ereignis im menschlichen Leben, sondern der Gesamtmensch erfährt eine Metamorphose. Derjenige, welcher Erzie­hungs- und Unterrichtskünstler sein will, muß durchaus auf diese Me­tamorphose sachkundig eingehen können. Dasjenige, was ich in den vorangehenden Betrachtungen den ätherischen, den feineren Bilde­kräfteleib genannt habe, das wird mit Bezug auf gewisse seiner Ver­richtungen frei in der Zeit zwischen dem Zahnwechsel und der Ge­schlechtsreife des Menschen. Das funktioniert vorher organisch-phy­sisch und beginnt von diesem Zeitpunkte an seelisch zu funktionieren. Dadurch aber wird auch das Leibliche des Menschen in einer ganz an­deren Weise von innen heraus ergriffen als früher. Vorher war eigent­lich für den Menschen die Sache so, daß gewissermaßen die materiali­stische Betrachtung im Rechte ist. Diese materialistische Betrachtung sieht in dem Menschen eine Summe von materiellen Vorgängen und in dem Geistig-Seelischen etwas, was aus diesem Physisch-Leiblichen hervorgeht, mit ihm zusammenhängt, wie die Flamme aus der Kerze. Das ist auch ungefähr richtig für das ganz kleine Kind bis zum Zahn-wechsel hin. Da wirkt alles Seelisch-Geistige so, daß es eigentlich in physisch-leiblichen Prozessen besteht, und alle physisch-leiblichen Pro­zesse sind zugleich seelisch-geistige; das Ganze wird beim Kinde in be­zug auf die plastische Ausgestaltung des eigenen Leibes vom Kopfe aus dirigiert. Seinen Abschluß findet es, wenn im Kopfe das Hervorstoßen der zweiten Zähne beginnt. Da müssen die Kräfte im Kopfe, die vor­her tätig waren, aufhören in einem ausgesprochenen Maße tätig zu sein; da zieht sich die seelisch-geistige Tätigkeit mehr in untere Re­gionen des Leiblichen hinunter und geht über in den Atmungs- und in den Herzrhythmus. Vorher strömen gewissermaßen die Kräfte von ihrer ausgiebigsten Tätigkeit in der plastischen Gestaltung des Gehirnes immer hinunter in den übrigen Organismus, und sie wirken plastisch

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gestaltend, sie greifen direkt ein in das Substantielle, in das Stoffliche des Menschen. Sie bewirken dort Stoffprozesse.

Das wird anders mit dem Zahnwechsel. Da werden gewisse Kräfte mehr geistig-seelisch, und sie greifen jetzt nur ein in die Bewegungen, die sich im Herz-, im Atmungsrhythmus äußern. Sie wirken nicht mehr in demselben Maße in den stofflichen Vorgängen wie früher, dagegen abgetrennt von dem Körperlichen in das Atmungs- und Zirkulations­system. Man kann das auch leiblich bemerken, indem der Atmungs­rhythmus, der Zirkulationsschlag stärker wird in diesem Lebensalter. Das Kind hat in diesem Lebensalter einen inneren Drang, einen inneren Trieb, dasjenige, was es allmählich als selbständiges Geistig-Seelisches hat, zu erleben, allerdings unbewußt, instinktartig, als Rhythmus, als Takt, aber als Rhythmus und Takt, die sich zunächst im eignen Leib abspielen. Und es hat eine Sehnsucht nach diesem Abspielen von Rhyth­mus und Taktmäßigem in der eigenen Organisation. Es ist notwendig, zu berücksichtigen, daß man alles, was man an das Kind nach dem Zahnwechsel heranbringt, in einer solchen taktmäßigen, rhythmischen Weise gestaltet, damit es sich in dasjenige eingliedert, was das Kind eigentlich haben will. Man muß gewissermaßen als Lehrer und Er­ziehungskünstler in einem taktmäßigen, rhythmischen Elemente leben können, damit das an das Kind heranschlägt und das Kind sich in sei­nem Elemente fühlt.

Damit beginnt aber auch ein anderes. Wenn der Atmungs- und Zir­kulationsrhythmus in diesem Lebensalter nicht in der richtigen Weise behandelt wird, dann zerstört man ihn in einer gewissen Weise für das ganze spätere Leben, und manche schwachen, krankhaften Zustände, die gerade in den Atmungs- und in den Zirkulationsrhythmus-Organen sich finden, die rühren von einer falschen Erziehung in dem schul­pflichtigen Alter her. Das Kind bildet sich ja in dieser Zeit durch die andersartige Wirkung seines Äther- oder Bildekräfteleibes auch so aus, daß sich die Gliedmaßen in dieser Zeit stark verlängern, daß das Mus­kel- und Knochenleben, das Skelettleben in dieser Zeit eine besondere Rolle spielt und sich dem Atmungs-, dem Zirkulationsleben anpassen will. Das Kind wächst in dieser Zeit so, daß die Muskeln mitvibrieren, zum Teil in besonders hervorragendem Maße mit dem Atmungs-, mit

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dem Zirkulationsrhythmus, daß das ganze Wesen des Kindes einen mu­sikalischen Charakter annehmen will. Während das Kind vorher pla­stisch tätig war an seinem eigenen Leibe, fängt es jetzt an, ein Musiker zu werden, ein unbewußter, der nach dem Inneren hineinarbeitet. Und das ist das Wesentliche gerade bei dem Kinde, das man in die Schule hereinbekommt, daß man weiß, man hat es mit einem unbewußten Mu­siker in dem Kinde zu tun. Und man muß dem Triebe in dem Kinde entgegenkommen, daß es seine eigene Organisation so behandeln will, wie etwa unter dem Einfluß eines Geigenspielers eine neue Violine sich verhält, daß sie sich mit ihrer eigenen Organisation in die Wellenberge und Wellentäler hineinfindet. Nur ist das beim Menschen natürlich alles Wachstum; die Geige kann man höchstens ruinieren ein für alle­mal; aber dem Menschen kann man falsche Wachstumsprinzipien ein­verleiben, die sich dann fortwährend vergrößern und verstärken und im ganzen Leben ruinös wirken können.

Wenn man sich einmal auf diese Bahn einer für die Pädagogik und Didaktik wirksamen Menschenerkenntnis begeben hat, dann wird man finden, daß dieser allgemeine Charakter, den ich jetzt angegeben habe, sich durch das schulpflichtige Alter vom Zahnwechsel bis zur Ge­schlechtsreife hindurchzieht, daß aber auch dieser Lebensabschnitt wie­derum in drei voneinander deutlich unterscheidbare, einzelne Perioden zerfällt. Die erste dauert vom Zahnwechsel bis ungefähr um das voll­endete neunte Lebensjahr herum, die zweite bis gegen das zwölfte Lebensjahr, und die dritte dann vom dreizehnten Jahr etwa bis zur Ge­schlechtsreife hin.

Gerade an dem, was das Kind innerlich musikalisch erlebt, kann man Einsichten bekommen, wie sich diese drei kindlichen Lebensperio­den voneinander unterscheiden. In der ersten Lebensperiode, bis etwa zum vollendeten neunten Jahre hin, will das Kind alles, was an es her­andringt, in innerlichen Rhythmen, in innerlich Taktmäßigem aus-leben, das sich mit seinem Atmungs- und Herzrhythmus zusammen-fügt, und dadurch mittelbar wiederum mit dem, wie die Muskeln, wie die Knochen sich gestalten. Und wenn es sich nicht zusammenfügt, wenn das eine gewissermaßen nicht in das andere übergeht, so ent­wickelt sich der Mensch eben, nicht gleich äußerlich sichtbar, aber doch

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als eine Art innerlicher Krüppel. Das Kind hat bis zum neunten Jahre hin durchaus das Bestreben, alles rhythmisch, taktmäßig im Inneren auszuleben. Wenn das Kind - das kann man durchaus durch einen schauenden Blick, der auf die innere seelische Organisation des Kindes eingehen kann, erkennen -, wenn das Kind in diesem Lebensalter Mu­sik hört, dann setzt es eigentlich das ganze Musikalische in inneres Taktmäßiges, Rhythmisches um. Es vibriert mit. Es bildet innerlich dasjenige nach, was es äußerlich wahrnimmt.

Das Kind ist nämlich in diesem Lebensalter noch etwas von dem, was es vorher war. Vorher, bis zum Zahnwechsel, war es ja im aus­giebigsten Maße eigentlich Sinnesorgan; nicht ein Sinnesorgan, das in bewußter Weise wirkt, aber ein Sinnesorgan, das, wie ja schließlich auch die anderen Sinnesorgane, unbewußt die Außenwelt nachbildet; das Kind ist bis zum Zahnwechsel durchaus, wie ich auseinandergesetzt habe, ein Nachahmer. - Wenn Sie das menschliche Auge betrachten und davon absehen, was durch das menschliche Auge in das Vorstel­lungsleben hereingenommen wird, so äußert sich ja im eigentlichen Sinne die Augenorganisation auch darinnen, daß die Umwelt inner­lich nachgebildet wird. Dieser Nachbilder bemächtigt sich dann erst das Vorstellungsleben. Da schließt sich das Vorstellungsleben an das Sinnesleben. Das ganz kleine Kind ist ganz unbewußt Sinnesorgan. Es bildet innerlich dasjenige nach, was es namentlich an Menschen seiner Umgebung wahrnimmt. Aber diese innerlichen Bilder sind nicht bloße Bilder, sie sind zugleich Kräfte, die es innerlich stofflich, plastisch or­ganisieren.

Jetzt, wenn der Zahnwechsel kommt, gehen diese Nachbilder eben nur in das Bewegungssystem, in das rhythmische System hinein, wollen nur da hineingehen. Es bleibt allerdings als plastische Bildung noch etwas zurück, aber es tritt eben zu ihr das andere hinzu, was vorher nicht in demselben Maße da war. Es ist ein Unterschied zwischen der Art und Weise, wie sich das Kind gerade zu Rhythmus und Takt vor dem Zahnwechsel und nach dem Zahnwechsel verhält. Vorher wurde auch Rhythmus und Takt zu etwas, was das Kind allerdings nachahmt, was aber in Plastik umgesetzt wird. Nachher wird es in ein innerlich musikalisches Element umgesetzt.

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Und hat das Kind etwa das neunte Lebensjahr vollendet, dann be­kommt es bis zum zwölften Lebensjahre hin erst ein Verständnis für Rhythmus und Takt an sich, für das Melodiöse an sich. Es will jetzt nicht mehr so stark das Rhythmische, das Taktmäßige im Inneren nach-bilden; es faßt es als solches, als Gebilde, das außer ihm steht, auf. Vor­her erlebt das Kind Rhythmus und Takt; nachher fängt es an, Ver­ständnis, Auffassungsgabe dafür zu entwickeln. Das dauert, nicht nur dem Musikalischen, sondern allem gegenüber, was ihm in der Welt entgegentritt, bis gegen das zwölfte Jahr hin.

Gegen das zwölfte Jahr, schon etwas früher, beginnt dann beim Kinde erst die Fähigkeit, dasjenige, was vorher nur phantasiegemäß musikalisch, rhythmisch, taktmäßig erlebt sein will, in das bloß Ge­dankenmäßige überzuführen.

Man kann für alles, was seelisch erschaut wird, durch den schauen­den Blick auch die äußeren leiblich-physischen Mitwirkungen sehen. Ich habe vorhin davon gesprochen, daß das Kind die Muskeln, die Knochen demjenigen nachbilden will, was da innerlich in ihm ist. Jetzt, gegen das zwölfte Jahr hin, beginnt das Kind nicht mehr bloß in Rhyth­mus und Takt leben zu wollen, sondern das Rhythmus- und Taktgefühl in Abstrakt-Gedankliches auslaufen zu lassen, so wie in dieser Zeit allmählich sich immer mehr und mehr der Teil des Muskels verstärkt, der in die bloße Sehne ausläuft. Vorher ist alles Bewegen mehr auf den Muskel als solchen gerichtet, nachher auf dasjenige, was in die bloße Sehne ausläuft. Alles, was im Seelisch-Geistigen vor sich geht, findet man im Leiblich-Physischen wieder. Und dieses Einbeziehen des Seh­nenlebens, der Verbindung von Knochen und Muskel, das ist der äußere, physische Ausdruck für das Hineinsegeln aus dem bloß gefühlsmäßigen rhythmischen, taktmäßigen Elemente in dasjenige, was nun logisch ist, was nun nicht mehr Rhythmus und Takt hat. Dem, was man da durch Menschenerkenntnis sich erwirbt, muß man aber durchaus in der Er­ziehungs- und Unterrichtskunst entgegenkommen.

Es ist schon so, daß gegenwärtig eben die meisten Erwachsenen, wenn sie etwas im Zusammenhang, nicht im einzelnen, aber im Zu­sammenhang - wie Sie es an die Kinder ja auch dann im Zusammen­hang heranbringen müssen als Lehrer -, wenn sie etwas wie Pflanzen,

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wie Tiere im Sinne haben, sich dann an das erinnern, was sie selber schon in einem späteren Lebensalter als Botanik, als Zoologie gelernt haben. Nun ist dasjenige, was in unseren Botanik- oder Zoologiebü­chern steht, das allerschlechteste Unterrichtsmaterial, das man in die Schule hereintragen kann. Das mag noch so großen wissenschaftlichen Wert haben, meistens hat es ihn ja auch nicht, aber in die Schule für dieses Lebensalter taugt es nicht hinein.

Wir mussen durchaus alles, was wir dem Kinde beibringen über Pflanzliches, über Tiere, so beibringen, daß wir eigentlich dabei als Künstler wirken, daß wir auf die harmonische Gestaltung des Pflanzen-wesens und auf die harmonische Beziehung der einzelnen Pflanzenart zu der anderen, auf dieses, was auch da rhythmisch-harmonisch-ge­fühlsmäßig ist, einen viel größeren Wert legen als auf das, was in den Botanikbüchern steht. Gerade bei einer Pflanze ist es ja ohnedies so, daß uns die Systematik der Pflanzen, dieses Einteilen der Pflanzenwelt, so, wie sie auftritt, im Grund genommen am widerlichsten ist; am meisten Sympathie kann man noch haben für den Linné, der die Pflan­zenwelt nur da, wo sie nach oben aufhört, noch Pflanze zu sein, und ihre Kräfte ins allgemeine Weltenleben hineinstreckt, der nur die Blüte bei der Gestaltung der Pflanze betrachtet; aber jede Art gerade von Pflanzensystematik kann in der Schule gar nicht verwendet werden. Wir werden in den späteren Betrachtungen schon sehen, was da zu verwenden ist.

Überhaupt, ein Lehrer, der mit dem Buche in der Hand, worin ja heute in der Regel der Absud des Wissenschaftlichen steht, etwa gar in die Klasse hineintritt und demgemäß, was er selber in Botanik und Zoologie gelernt hat, in der Volksschule unterrichtet, der ist unter allen Umständen ein schrecklicher Lehrer. Eine schreckliche Lehrergestalt ist ja derjenige, der nun gar dieses Buch mitträgt und vor den ersten Bänken auf und ab geht und selber erst, während er es an das Kind heranbringt, sich erinnert, indem er sich die Vorstellungen, die er in einem viel späteren Lebensalter aufgenommen hat - und das, was er da hat, das taugt zudem ja gar nichts -, indem er sich diese Vorstellungen auffrischt.

Es ist eben durchaus notwendig, daß wir über Pflanzen, über Tiere

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so reden lernen, wie es einer künstlerischen Anschauung entspricht. Dadurch allein bringen wir auch das mit einem musikalischen Duk­tus in das ganze kindliche Wesen hinein. Das ist eben etwas, was wir berücksichtigen müssen, daß der Unterricht vom künstlerischen Element ausgehen müsse, nicht von dem gedanklichen Element, auch nicht von einem abstrakten Anschauen, sondern von einem von Kunst und künstlerischer Lebensempfindung durchdrungenen Elemente. Die­ses verlangt das Kind.

Wenn wir das Kind in die Schule hereinbekommen und uns nun aufgetragen ist, das Kind muß so schnell wie möglich zum Beispiel schreiben lernen, so könnte man ja versucht sein, die Buchstaben-formen - die sich nun einmal innerhalb der heutigen Zivilisation aus dem Handgelenk der Menschen loslösen, wenn sie etwas fixieren wollen für den Mitmenschen -, so wie sie sind, an das Kind heranzu­bringen.

Ja, aber diese Buchstabenformen sind ja etwas, wozu das Kind, wenn es den Zahnwechsel begonnen hat und in die Volksschule herein­kommt, nicht die allergeringste menschliche Beziehung hat. Als noch menschliche Beziehungen zum Schreiben waren, wie war es denn da? Man sehe nur zurück in ältere Kulturperioden: als zum Schreiben noch menschliche Beziehungen waren, da hatten die Alten auf den Täfelchen oder Pergamenten Bildchen fixiert, die noch etwas Ähn­liches hatten mit dem, was man angesehen hat. Da war eine mensch­liche Beziehung zwischen dem, was man da aus dem Bilde herausge­stalten mußte, und demjenigen, was in der Umgebung war. Die Ent­wickelung der menschlichen Zivilisation hat das durchgemacht, daß diese noch aus der menschlichen Natur herauskommenden Formen all­mählich durch alle möglichen Übergangsformen zu dem geworden sind, was heute ein A oder ein B oder ein E ist, zu denen es gar keinen mensch­lichen Bezug mehr gibt.

Das Kind, das uns in seinen Neigungen in vieler Beziehung das­jenige zeigt, was frühere Kulturstufen dargeboten haben, verlangt einen menschlichen Bezug zu dem, was man von seinem Willen verlangt. Wir dürfen ihm nicht die abstrakten Formen beibringen, die die Buch­staben zum Beispiel angenommen haben. Wir müssen Menschliches in

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künstlerischer Weise gerade dann an das Kind heranbringen, wenn es uns beim beginnenden Zahnwechsel zur Schule übergeben wird.

Will man in einer menschlichen Art das Schreiben an das Kind heran­bringen, dann hat man durchaus von demjenigen auszugehen, was das Kind erleben kann als Zusammenhang des Gesehenen und dem durch den Willen hervorgebrachten Gesehenen - wir nennen das die Schrift. Das ist dasjenige, was das Kind nun triebhaft entgegenbringt als Be­dürfnis, aus dem Willen heraus zu erleben. Das Kind bringt einem nun einmal diese künstlerischen Tendenzen in die Schule herein, und es muß diesen künstlerischen Tendenzen zum Beispiel dadurch Rech­nung getragen werden, daß man ein Kind, sagen wir zunächst, herum­laufen läßt in dieser Kurve (siehe Zeichnung). Dann bringt man ein

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Gefühl davon hervor, was bei einem so gearteten Herumlaufen inner­lich erlebt wird. Man geht dann dazu über, das Kind aufmerksam zu machen, daß es da diese Linie am Fußboden beschrieben hat. Man kann es dann überleiten, diese Linie entsprechend mit der Hand nach­zumachen. Nun läßt man es dann so laufen, daß es so seinen Weg

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vollführt, läßt es auch das wiederum mit der Hand nachahmen. Was so der ganze Körper in der künstlerischen Erziehung aus dem ganzen

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Organismus gebildet hat, läßt man nun einseitig mit der Hand nach­formen. Und dann leitet man es dazu hin, Worte auszusprechen, die mit L beginnen. Man leitet es dahin, daß dasjenige, was solch ein Wort, das mit L beginnt, als Laut zunächst hat, in dem, was man aus dem Zeichnen, nicht aus dem abstrakten Nachbilden unserer L-Form her-ausgeholt hat, daß es das in dem hat.

Man kann auf diese Weise aus dem innerlich als Bewegung Erlebten zu dem Zeichnen der Buchstaben kommen. Man kann es auch anders machen. Das Kind ist ja nicht nur durch den Zahnwechsel ein inner­licher Musiker, es ist auch von früher her ein Plastiker. Nun kann man das Folgende machen: Man versucht, dem Kind ein Bild des Fisches zu geben; man geht dann allmählich künstlerisch über zu einem sol­chen Verlauf dieser Form: und man leitet das Kind von dem Worte

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Fisch zu dem F, nach dem Gehör, und bringt ihm diesen Zusammen­hang lebendig vor Augen zwischen dem F und dem Bilde, das man vom Fisch herausgebildet hat. Man hat da sogar in einer gewissen Weise den Gang nachgebildet, wie in der Menschheitsentwickelung das F aus dem Worte Fisch heraus entstanden ist.

Es braucht nicht immer der Fall zu sein, daß wir in dieser Weise gerade just das treffen, was die Menschheitsentwickelung selber durch­gemacht hat. Wir können durchaus unsere freie Imagination spielen lassen; denn es kommt nicht darauf an, daß das Kind wirkliche Kul­turgeschichte wiederholt, sondern daß es in der Art, die einmal sich abgespielt hat, nun auch von dem Künstlerischen, dem Zeichnerisch­Bildhaften in die abstrakte Schriftform hineinkommt. Man macht das

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Kind aufmerksam, wie Wasser Wellen aufwirft. Man bringt es zu die­sem Bilde,

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verwandelt dann langsam, allmählich dieses Bild in das,

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leitet über in das Wort Welle, Woge, zu W und bringt Welle, Woge, es woget, es wellet, mit dem Zeichnen in Zusammenhang. So holt man aus dem unmittelbaren Leben heraus dasjenige, was zunächst zeich­nerisch vorhanden sein kann, und leitet es über zu den Buchstaben-formen.

Man wird ja natürlich dadurch das Kind nicht so früh beim Schrei­ben haben, wie man es sonst hat. - Wir haben in der Waldorfschule Elternabende eingerichtet, wo die Eltern der Kinder zusammenkom­men, ohne die Kinder, und da wird manches, was dann die Eltern als Folge der Waldorfschul-Erziehung bemerken, besprochen. Dann kom­men manche Eltern mit ihrem Kummer und finden, ihr achtjähriges Kind kann noch immer nicht ordentlich schreiben. Man muß dann den Eltern die Auskunft geben, daß das ein Glück ist für das Kind, denn es verwebt dadurch diese ganze Kunst des Schreibens eben mehr mit seinem Wesen, daß es in dem richtigen Lebensalter in das Schreiben hineinkommt und auf eine menschlichere Art, als dann, wenn etwas ganz Fremdes an das Kind herangebracht wird, was das Ergebnis einer menschlichen Zivilisation ist, und ganz gewiß gar keine innerliche Be­ziehung zu dem Kinde hat, wenn man nicht erst die innerliche Bezie­hung schafft. Wir müssen natürlich die Kinder immer weiter unter­richten; aber wir müssen das auf menschliche Art tun.

Das ist ja überhaupt dasjenige, was im allgemeinen heute unter­lassen wird: irgendein Gebiet des Lebens in die Totalität des Lebens

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hineinzustellen. In unserer vorgerückten Zivilisation hat sich ja alles spezialisiert; wir sehen, wie die einzelnen Dinge in Spezialismen hinein-laufen. Gewiß, das mußte eine Zeitlang die Menschen in die verschie­denen Einseitigkeiten hineinführen. Aber wir sind jetzt in dem Aus­einandertreiben in Spezialismen eben so weit gekommen, daß wir not­wendig haben, diese einzelnen Spezialismen zum Heile der Menschheit wiederum mit dem Gesamtleben zu verbinden.

Dazu ist einmal eine Menschenerkenntnis notwendig, welche die Ergebnisse der Geistesforschung nicht ausnimmt. Man versteht das­jenige, was innerhalb der anthroposophischen Bewegung nach dieser Richtung zum Ausdrucke kommt, sehr falsch, wenn man glaubt, daß gegen irgendwelche neueren Errungenschaften unserer Zivilisation Sturm gelaufen wird in reaktionärer Weise. Das ist nicht der Fall. Aber es muß auf der anderen Seite überall der Lebenszusammenhang ge­sehen werden. Ich werde gewiß nicht im geringsten etwas dagegen ein­wenden, daß es heute Schreibmaschinen gibt. Das Schreibmaschinen-schreiben ist natürlich noch viel unmenschlicher als das Schreiben aus dem Handgelenk heraus, aber, wie gesagt, ich bin kein Agitator gegen das Schreibmaschinenschreiben, aber die Tätigkeit, die da entfaltet wird, muß man kennenlernen, weil alles dasjenige, was im Leben ab­läuft, in polarischer Weise abläuft. Und vielleicht verzeihen Sie es mir, wenn ich etwas aus dem höheren Gebiete des anthroposophischen Schauens gerade mit Bezug auf die Schreibmaschine vorbringe, nur um etwas zu veranschaulichen. Wer das nicht als etwas hinnehmen will, was eben auch der Realität des Lebens angehört, der kann es ja als eine Art Narretei betrachten und es ablehnen. Aber ich rede durchaus von einer Wirklichkeit.

Sehen Sie, wenn man mit dem Anschauen der geistigen Vorgänge vertraut ist, die ja wie die physischen immer um uns sind, dann macht das Schreibmaschinenschreiben einen ganz besonderen Eindruck. Ich erzähle Ihnen durchaus Erlebtes, wenn ich Ihnen sage: wenn ich an einem Tage mit der Schreibmaschine geschrieben habe - Sie sehen, ich agitiere nicht gegen das Schreibmaschinenschreiben, sondern ich bin froh, wenn ich selber einmal an das Maschinenschreiben komme -, wenn ich an einem Tage mit der Schreibmaschine geschrieben habe, so

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geht mir das lange nach. Nicht als ob das irgend etwas wäre, was mich selbst störte, aber es geht mir lange nach. Und wenn ich dann in die Ruhe komme, verwandelt sich ja bei dem imaginativen Sehen eine solche Tätigkeit in Selbstanschauung, und diese Selbstanschauung stellt sich innerlich vor den Menschen hin. Man sieht dasjenige, was sich innerlich abspielt, durchaus in der Außenwelt. Das alles muß sich bei vollem Bewußtsein abspielen, und man muß sehen, wie dasjenige, was in der äußeren Imagination auftritt, eben durchaus die Projektion des­jenigen ist, was vielleicht viel früher innerlich als organische Tätigkeit sich abgespielt hat. Man kann dasjenige, was im Inneren des Menschen geschieht, besonders anschaulich vor Augen haben, wenn man es dann im hellsichtigen Imaginieren vor sich hingestellt findet: jeder Druck auf eine Taste wird zu einem Blitzschlag in diesem objektiven An­schauen des Subjektiven. Und dasjenige, was hingestellt ist als das menschliche Herz, das wird fortwährend von diesen Blitzschlägen durchstoßen. Und nun ist ja auf der Schreibmaschine nicht gerade nach einem spirituellen Prinzip eine Taste neben die andere gestellt, sondern nach dem reinen Utilitätsprinzip die Buchstaben, welche man öfter notwendig hat, so daß man schnell schreiben kann. Das alles bewirkt, daß dadrinnen nicht gerade viel Spirituelles ist. So daß das Fahren des Fingers von einer Taste auf die andere die Blitzschläge nicht nur als Blitzschläge erscheinen läßt, sondern noch dazu in Unordnung bringt. Kurz, es ist ein fürchterliches Gewitter, in dem sich ein Schreibmaschi­nenschreiben objektiviert.

Was bedeutet das? Das bedeutet nichts anderes, als daß man eine Erklärung dafür hat, warum im Leben so viele Menschen, bei denen sich gegen das Schreibmaschinenschreiben nicht das polarische Gegen­mittel einfindet, mit einem schwachen Herzen herumgehen, insbeson­dere wenn sie zu früh an die Schreibmaschine herangebracht werden, wo das Herz noch im weitesten Umfange zerstörungsfähig ist. Und man wird schon sehen, wenn die Schreibmaschinenschreiberei zunimmt, wie immer mehr und mehr die Herzschwächen und Herzkrankheiten sich vermehren werden.

Diese Zusammenhänge gibt es im Leben. Es soll nicht in reaktio­närer Weise gegen irgendein Kulturmittel Sturm gelaufen werden, aber

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man soll sich ein Wissen erwerben von den Bedürfnissen und Anfor­derungen des Gesamtlebens. Man soll erkennen, was man auf der an­deren Seite zu tun hat, wenn man zu irgendeinem Kulturmittel greift. Solche Dinge sind für den praktischen Erzieher von ganz besonderer Bedeutung, weil er die Erziehung in das Leben hineinstellen muß; es kommt ja nicht allein darauf an, was wir innerhalb der Schule oder in ihrer Nähe mit den Kindern machen, sondern es kommt darauf an, daß sich die Schule, überhaupt alles, was sich auf Erziehung bezieht, in der richtigen Weise in das Leben hineinstellt; daher muß man ein Lebenskenner sein, wenn man ein Erziehungs- oder Unterrichtskünst­1er sein will. - In Deutschland zum Beispiel, da ist, 1835 war es, die erste Eisenbahn gebaut worden zwischen Fürth und Nürnberg. Man hat dazumal dem erleuchteten bayrischen Medizinalkollegium die Frage vorgelegt, ob es sich vom medizinischen Standpunkte aus empfiehlt oder nicht, Eisenbahnen zu bauen. Im Anfange solcher Zivilisations­bestrebungen fordert man ja natürlich immer Gutachten ein. Da hat das bayrische Medizinalkollegium - die Sache ist dokumentarisch fest­gehalten - folgendes Gutachten abgegeben: Man sollte eigentlich keine Eisenbahnen bauen, denn das Nervensystem der Menschen würde außer­ordentlich leiden, wenn sie auf der Eisenbahn fahren. Wenn aber den­noch durchaus Eisenbahnen gebaut werden sollten, so soll man sie we­nigstens links und rechts mit hohen Bretterwänden umgeben, weil sonst die Bauern, an denen die Eisenbahnen vorüberfahren, leicht eine Ge­hirnerschütterung erleiden.

Dieses ist ein Gutachten einer gelehrten Körperschaft. Man lacht natürlich darüber, denn viele solche Gutachten von gelehrten Körper­schaften sind ja schon abgegeben worden, und man könnte dieses Bei­spiel sehr, sehr stark vermehren durch Beispiele von demselben Stil. Nun aber, jegliches Ding hat zwei Seiten, und man könnte ja ebensogut diesem bayrischen Medizinalkollegium, dessen Gutachten ja gar nicht so weit hinter uns liegt, noch nicht einmal ein Jahrhundert, in einem feineren Sinne nicht bloß allein Unrecht geben, sondern man könnte ihm sogar Recht geben von einem gewissen Gesichtspunkte aus: die Menschen sind nämlich wirklich nervöser geworden, seit sie in den Eisenbahnen fahren. Und wenn wir einen Menschen beobachten und

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uns die Mittel verschaffen, die Menschen nach dem Bau der Eisen­bahnen zu vergleichen mit denen, die noch in der alten, ehrwürdigen, philiströsen Postkutsche gefahren sind - sie sind anderer Natur. Das Nervensystem nimmt sich anders aus! Das bayrische Medizinalkolle­gium hat sich zwar lächerlich gemacht, aber es hat in einer gewissen Beziehung sogar Recht gehabt.

Es handelt sich durchaus darum, daß für gewisse Dinge, die in der Zivilisation auftreten, zu gleicher Zeit die Gegenmittel gefunden wer­den müssen, daß der Mensch, indem er von außen herein geschwächt wird, innerlich stärker gemacht wird. Und das kann eben nur gesche­hen, wenn wir unserer immer spezialisierter werdenden Zivilisation eine in sich geschlossene, im Sinne einer wahren Menschenerkenntnis gehaltene Erziehungskunst entgegensetzen.

Es kann nur frommen, wenn das Kind zuerst schreiben lernt auf die Weise, wie ich es zum Ausdrucke gebracht habe. Denn alle Entwicke­lung des Kindes geht vom Willen aus, und dieser Trieb zum Rhythmi­schen, zum Taktmäßigen geht aus dem Willen hervor, und diesem Willensdrängen des Kindes muß man entgegenkommen. Ihm kommt man entgegen zunächst mit der Betätigung, nicht mit dem Anschauen, nicht mit dem Vorstellen. Daher ist es unrecht, zuerst das Lesen dem Kinde zu übermitteln und dann das Schreiben. Das Lesen ist schon ein Übergang vom Willensmäßigen zum abstrakten Anschauen. Erst auf künstlerische Weise das Schreiben beibringen, und dann übergehen zuerst zum Lesen von Geschriebenem und dann allmählich zum Lesen, da es schon sein muß, von Gedrucktem.

Sie sehen, ringt man sich zu einer wirklichen Menschenerkenntnis durch und kann man diese anwenden auf die Entwickelung des Kin­des, so kann man auch die Aufeinanderfolge der Gebiete, die man in die Erziehung hereinbeziehen will oder muß, dieser Entwickelung des Kindes ablesen.

Für das Rechnen ist in der Tat das Kind ohne weiteres geeignet, wenn es das schulpflichtige Alter betritt. Nur handelt es sich darum, daß man auch mit dem Rechnen auf die inneren Bedürfnisse der kindlichen Organisation eingehen muß. Das Kind ist nach dieser Richtung auf

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Rhythmus, Takt, auf das empfindende Ergreifen eines Harmonisie­renden veranlagt. Dem entspricht nicht, wenn man, wie ich es nennen mdchte, die additive Art an das Kind heranträgt und es zum zählen­den Rechnen bringt.

Natürlich muß das Kind zählen lernen, aber das zunächst additive zählende Rechnen, das ist nichts, was sich vereinigen kann mit den inneren Organisationskräften des Kindes. Wir sind ja im Verlaufe der Zivilisation allmählich dazu gekommen, das Arbeiten mit Zahlen in einer gewissen synthetischen Weise zu behandeln. Wir haben eine Ein­heit, eine zweite Einheit, eine dritte Einheit, und wir bemühen uns, im Abzählen, im additiven Elemente das eine zu dem anderen hinzuzu­fügen, so daß dann das eine neben dem anderen liegt, indem wir zählen. Dafür bringt uns, wie man sich wird überzeugen können, das Kind nicht ein äußerliches Wiederholen der Einheit, sondern sie lag in der wiederum nicht das elementar Menschliche zum Zählen hin entwickelt. Das Zählen ging allerdings aus von der Einheit; die Zwei war aber nicht ein äußerliches Widerholen der Einheit, sondern sie lag in der Einheit darinnen. Die Eins gibt die Zwei, und die Zwei sind in der Eins drinnen. Die Eins geteilt, gibt die Drei, und die Drei sind in der Eins darinnen. Fing man an zu schreiben ins Moderne umgesetzt: eins, so kam man aus der Einheit nicht heraus, indem man zur Zwei kam. Es war ein innerlich organisches Bilden, indem man zur Zwei kam, und die Zwei war in der Einheit drinnen; ebenso die Drei und so weiter. Die Einheit umfaßte alles, und die Zahlen waren organische Gliederungen der Einheit.

Das so zu empfinden, hat auch das Musikalisch-Rhythmische in der kindlichen Anlage den Trieb, und man wird daher, statt in pedan­tischer Weise mit einer Art Addieren zu beginnen, lieber die Sache so anfangen, daß man sich ein Kind herausruft. Man gibt nicht da drei Äpfel und vier Äpfel und zwei Äpfel und veranlaßt das Kind, das Zusammenzählen zu lernen, sondern man gibt einen Haufen Äpfel -es kann ja natürlich, wenn man Äpfel nicht hat, auch etwas anderes sein -, man gibt einen Haufen Äpfel. Da ist dasjenige, was das Kind zunächst einmal hat. Nun ruft man zwei andere Kinder zu dem einen heraus, sagt dem Kinde: da hast du einen Haufen Äpfel, du sollst etwas

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davon dem ersten Kind geben, dem zweiten Kind und dann für dich selbst behalten, und es soll jeder so viel haben wie der andere. Man bringt das Kind zum Auffassen dieser Prozedur, und dadurch bringt man es allmählich dahin, in das Drittel dieses Haufens Äpfel hinein-zukommen. Man geht von einem Ganzen aus und geht zu dem divisio­nalen Prinzip; man beginnt nicht mit dem Additiven. Dadurch kommt man wirklich an das Verständnis des Kindes heran. Wir behandeln in der Waldorfschule aus Menschenerkenntnis heraus nicht zuerst die Addition, sondern zuerst die Division oder die Subtraktion und ge­hen dann erst zu der Addition oder Multiplikation über, indem wir den naturgemäßen Prozeß, den wir beim Divisiblen oder beim Sub­traktiven durchmachten, wieder zurücklaufen; so wie das frühere Di­visionelle, das Zahlenmäßige, auch nicht ein Synthetisches, sondern ein Analytisches war, ein Vordringen vom Ganzen zu dem Einen.

Das sind so Beispiele, wie man aus der Entwickelung des Kindes ab­lesen kann, was man in einem bestimmten Lebensalter eigentlich ma­chen soll. Das Atmungs-, das Zirkulationssystem, also das ganze rhyth­mische System des Menschen, der mittlere Mensch, der ist ebenso der leiblich-physische Repräsentant für das Fühlen, wie der Kopf der Re­präsentant ist für das Vorstellen, für das Denken. Dieses Fühlen, das gefühlsmäßige Element, wird insbesondere mit dem Zahnwechsel in dem Kinde frei. Daher nimmt auch das seelische Wesen etwas an, dem man nur durch das Gefühlsmäßige beikommt. Es ist durchaus auf dem Umwege durch das kunstgemäß gestaltete Fühlen in diesem Lebensalter dem Kinde beizukommen. Man kann das sogar ganz radikal in der Weise ausdrücken, daß man sagt: Die anderen Menschen, die das Kind vor dem Zahnwechsel in ihren Bewegungen, in der Sprache, selbst in den Empfindungen auf imponderable Weise nachahmt, die sind vom Kind noch nicht so empfunden, daß es auf deren eigenes Wesen, auf deren inneres Wesen hinschauen kann. Das Kind bis zum siebenten Jahre empfindet eigentlich den anderen Menschen in Wahrheit noch gar nicht ordentlich als anderen Menschen, sondern als etwas, mit dem es wie mit seinen Armen oder mit seinen Beinen verbunden ist. Es son­dert sich noch nicht heraus aus der Welt.

Mit dem Zahnwechsel, mit dem selbständig durch Atmung, Zirkulation

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wirkenden Gefühlssystem, sondert sich das Kind ab von dem anderen, und daher wird ihm der andere Mensch ein Wesen mit einer Innerlichkeit. Und das verlangt beim Kinde, daß es in scheuer Ehr­furcht zu dem Erwachsenen, der groß ist, hinaufschaut, daß es sich gefühlsmäßig nach ihm richten lernt. Das bloße Nachahmungsprinzip, das sich auf die Äußerungen bezog, wird nach dem Zahnwechsel zu einem anderen; rein aus den Bedürfnissen der menschlichen Natur heraus muß sich das Autoritätsprinzip entwickeln.

Sie werden mir, der ich als junger Mensch im Beginn der neunziger Jahre meine «Philosophie der Freiheit» geschrieben habe, nicht zu­muten, daß ich aus besonderer Sympathie für den allgemeinen Gehor­sam für dieses autoritative Wesen zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife eintrete. Aber es muß dafür eingetreten werden, weil die menschliche Wesenheit in diesem Lebensalter verlangt, daß das Autoritative eine Rolle spielt.

Wir kommen nur zum richtigen Gebrauche unserer Freiheit im spä­teren Leben, wenn wir scheue Ehrfurcht und Autoritätsgefühl ken­nengelernt haben zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife. Da liegt wieder ein Gebiet, an dem man so recht sehen kann, wie man das Erziehungswesen als etwas im sozialen Leben im allgemeinen Drin­nenstehendes anschauen und betrachten muß. Wenn wir heute zurück­blicken, wie stolz die Menschheit auf ihr modernes Erziehungswesen gewesen ist, wie sehr man das gerühmt hat, so kommen wir manchmal zu eigentümlichen Gefühlen. Nach Österreich herüber, wo ich meine halbe Lebenszeit verbracht habe, haben wir ja öfter nach dem Jahre 1866 gehört, der preußische Schulmeister habe dazumal den Sieg da­vongetragen. Österreich war in seinem Schulwesen nach damaliger Auffassung noch zurück und hat seine Schulgesetzgebung erst später bekommen. Der preußische Schulmeister wurde gerühmt als derjenige, der dazumal den Sieg erfochten hat. Seit 1918 habe ich von diesem Ge­sichtspunkte aus nicht so häufig auf den preußischen Schulmeister hin­weisen hören! Aber es ist das nur ein Beispiel, wie das moderne Schul­wesen auf den verschiedensten Gebieten mit Stolz gerühmt worden ist.

Nun, heute sehen wir doch etwas von den Früchten: Das chaotische soziale Leben, das immer chaotischer und chaotischer zu werden droht,

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das vor allen Dingen dadurch chaotisch ist, daß die Menschen den Freiheitsinstinkt an die Stelle des Freiheitswillens und Freiheitsgemütes setzen und eigentlich den Wert der inneren Freiheit in der richtigen Weise zu gebrauchen verlernt haben. Derjenige, der das Leben beob­achten kann, kann durchaus einen Zusammenhang sehen zwischen dem sozialen Chaos in der Gegenwart und zwischen denjenigen Erziehungs­prinzipien, die zwar das intellektualistisch-naturalistische Bedürfnis in hohem Grade befriedigen konnten, die aber den Vollmenschen nicht auf die rechten Wege bringen werden. Man muß eben durchaus wissen, daß das Leben sich in polarischen Gegensätzen entwickelt, und daß der Mensch im späteren Leben dadurch in der richtigen Weise frei werden kann, daß er gelernt hat, in der richtigen Kindheitszeit gelernt hat, sich zu sagen: Das ist wahr, was der verehrte Lehrer oder Erzieher ihm für wahr bezeichnet. - Oder: Das ist falsch, weil er es sagt! Das ist schön! Das ist häßlich! - was er ihm als schön oder häßlich bezeich­net. Das ist gut, und das ist böse! - Der Mensch gewinnt mit dem Zahn-wechsel ein neues Verhältnis zur Welt, aber die Welt muß ihm zunächst in der Form des Seelenlebens, das er jetzt erst abgesondert von sich empfinden kann, als die erzieherische Autorität entgegentreten. Der Erzieher ist die Welt für dieses Lebensalter. Man muß die Welt zu­nächst als Inhalt des Lebens des Erziehers kennenlernen, um im späte­ren Leben zum wirklichen, wahren Gebrauche der Freiheit zu kommen. Daher müssen wir sagen:

Von der Geburt bis zum Zahnwechsel = Nachahmungstrieb;

vom Zahnwechsel zur Geschlechtsreife = Prinzip der Autorität; der selbstverständlichen Autorität, nicht der erzwungenen, jener Auto­ritat, die durch die Imponderabilien, die den richtigen Rapport hervor­rufen zwischen dem Kinde und dem Erzieher, bewirkt wird.

Da walten wirklich Imponderabilien. Ich möchte Ihnen an einem Beispiel symptomatisch zeigen, wie Imponderabilien arbeiten. Nehmen wir einmal an, wir wollen einem Kinde, was viel schwieriger ist als man gewöhnlich meint, einen Begriff, eine Vorstellung von der Un­sterblichkeit der Seele beibringen. Wir können in dem Lebensalter, wo das Kind vorzugsweise für das Künstlerische in der Erziehung ver­anlagt ist, solche Dinge nicht mit abstrakten Begriffen, mit Vorstellungen

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in ideenhafter Form an das Kind heranbringen. Wir müssen es in bildhafter Weise heranbringen. Und wie wird denn ein Erziehungs­künstler, der für das Intellektualistiscli-Naturalistische eine gewisse Schwäche hat, wie wird der dem Kinde in bildhafter Form die Unsterb­lichkeit beibringen? Er wird sich, wenn auch nicht ganz explicite, aber in seinem Unterbewußten sagen: Ich bin sehr gescheit, das Kind ist sehr dumm; darum werde ich ein Bild ausdenken, um dem Kinde die Un­sterblichkeitsidee beizubringen. Die Puppe, aus der der Schmetterling auskriecht, ist ein gutes Bild. In der Puppe ist der Schmetterling ver­borgen. Im menschlichen Leib ist die Seele. Der Schmetterling fliegt heraus. Das ist auf sichtbarem Boden dasjenige, was mit dem Tode ge­schieht, indem die übersinnliche Seele den Leib verläßt und hinaus-flattert in die Geisteswelt. Ich kann das so beibringen, daß ich es als ein ganz gescheiter intellektualistischer Mensch ausgedacht habe, und es dann an das Kind übermittle. Wenn ich diese Gesinnung habe, wird es nicht sehr einschlagen in das Kind. Das Kind wird das Bild auf­nehmen, vergißt es auch wieder. Es dringt nicht tief genug in das Ge­müt des Kindes ein. Ich kann aber dieses Bild auch in einer anderen Weise gebrauchen.

Ich kann ja gar nicht sagen: Ich bin besonders gescheit, das Kind ist besonders dumm. - Wir haben ja im Laufe der Betrachtung gesehen, daß das Kind auf einem anderen Gebiete gescheit ist und der Lehrer dumm. Ich kann mir das in irgendeiner Weise vor Augen halten und kann an dieses Bild selber glauben. Und eine geistgemäße Weltan­schauung lehrt mich, an dieses Bild selber zu glauben, mir zu sagen: das­jenige, was auf einer höheren Stufe der Prozeß des Austrittes der Seele aus dem Organismus ist, das ist auf der niederen Stufe dasselbe, nur einfacher und sinnlich anschaubar. Das, was mit Puppe und Schmetter­ling wirklich geschieht, ist nicht von mir ausgedacht, das ist in die Schöpfung durch die Urweltweisheit hineingelegt, und ich habe auch draußen in der Natur in dem Ausfliegen des Schmetterlings ein Bild desjenigen zu sehen, was auf einer höheren Stufe auch geschieht, im Verlassen des Leibes durch die Seele. Da komme ich dazu, an mein Bild selber inbrünstig zu glauben, es für ein wahres zu halten. Da wirkt dann etwas, was ich durchaus in das Gebiet der Seelenimponderabilien

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rechnen muß, hinüber auf das Kind. Bringe ich aus der Wärme und aus der Innigkeit dieses eigenen Glaubens an mein Bild das dem Kinde bei, dann bleibt es, dann gestaltet es sich hinein in den ganzen Menschen. Man kann das Wirken der selbstverständlichen Autorität in solcher Weise anschauen. Dann wird diese Autorität, dieses Hinführen zum Gehorsam, zum innerlichsten Gehorsam eben in seiner heilsamen und wohltätigen Wirkung durchschaut werden und nicht etwa von einem falschen Freiheitsprinzip her angefochten werden.

Und so weist uns alles darauf hin, daß der Lehrer, der erziehende Künstler dem Kinde eben als ein wirklicher Lebenskünstler gegenüber-zustehen habe, denn ihm kommt nach dem Zahnwechsel das Kind ent­gegen als ein plastischer Künstler nach innen, als ein musikalischer Künstler nach innen.

Diese Fähigkeiten entwickeln sich bei einzelnen Menschen dann, die Genies oder Virtuosen werden, in besonderer Weise. Sie bleiben. Aber nach innen unbewußt ist das Kind ein großer Plastiker. Das bringt es sich aus dem Lebensalter vor dem Zahnwechsel mit und dann verwebt sich das musikalische Wirken nach innen mit dem plastischen Wirken nach innen, und wir selbst mussen in einer lebendigen Weise diesem innerlichen künstlerisch-plastischen, künstlerisch-musikalischen Gestalten als Lehrer, als Erzieher entgegenkommen.

Nur wenn wir so verfahren, werden wir in der Lage sein, den Men­schen nicht innerlich verwuchern zu lassen, sondern ihn nach allen Seiten zu einer gewissen Vollkommenheit, die in seinen Anlagen liegt, auszubilden.

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ZEHNTER VORTRAG Dornach, 1. Januar 1922

Wenn das Kind das neunte Lebensjahr vollendet hat, folgt ein wich­tiger Entwickelungsmoment im Zeitpunkte zwischen dem neunten und dem zehnten Lebensjahr. Dieser Entwickelungsmoment kann dadurch charakterisiert werden, daß man darauf aufmerksam macht, wie das ja mit dem Zahnwechsel eintretende Autoritätsbedürfnis des Kindes gewissermaßen bis zu dem vollendeten neunten Lebensjahr undiffe­renziert ist. Das Kind individualisiert nicht gegenüber der Autorität. Es nimmt dasjenige, was autoritativ gegeben wird, als solches hin und hat ein Bedürfnis, sich darnach zu richten. Mit dem vollendeten neun­ten Jahre tritt bei dem Kinde etwas ganz Besonderes auf. Es will ge­wissermaßen von diesem Zeitpunkte an die Autorität in einer gewissen Weise begründet haben.

Mißverstehen Sie mich nicht. Das Kind stellt nicht etwa verstan­desmäßig die Erwägungen an: ist die Autorität begründet oder nicht? Aber im ganzen Empfindungsleben des Kindes liegt etwas, was so wirken muß, daß sich die Autorität durch ihre eigene Qualität, durch ihr Darinnenstehen im Leben, durch die eigene Sicherheit bewährt. Da­für hat das Kind von diesem Zeitpunkte an ein besonders feines Ge­fühl, und das äußert sich eben dadurch, daß auch objektiv in diesem Zeitpunkt eine Wendung im Leben des Kindes eintritt, die absolut berücksichtigt werden muß, wenn die Erziehung und der Unterricht gesund sein sollen. Bis zu diesem Zeitpunkt unterscheidet sich eben das Kind wenig von seiner Umgebung. Die Welt und es selber gehören für seine Empfindung zusammen.

Man muß, wenn man diese Dinge charakterisiert, sich etwas radi­kal ausdrücken; aber ich bitte Sie, dieses radikale Ausdrücken eben auch in dem richtigen Sinne zu nehmen. Man muß zum Beispiel sagen:

vor dem Abschlusse des neunten Lebensjahres gibt es für das Kind im vollendeten Sinne nicht Menschen, Tiere, Pflanzen, Mineralien, son­dern Wesen im allgemeinen. Nun ist das natürlich, wenn es so radikal ausgesprochen wird, nicht so, daß man jetzt das Dogma verkünden

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darf, das Kind unterscheide nicht Menschen von Lilien; aber in einer gewissen Beziehung gilt das, was ich gesagt habe, und in einer gewissen Beziehung ist durchaus in der Erziehungs- und Unterrichtskunst darauf Rücksicht zu nehmen, daß solche Dinge, die in radikaler Art hinge-stellt werden, nicht dogmatisch genommen werden. Dafür sorgt schon das Leben, das alles bestimmt, und das nichts mit den scharfen Kon­turen erscheinen läßt, mit denen es der Pedant gern nehmen möchte.

Mit dem vollendeten neunten Jahre hört zum Beispiel in einer deut­lichen Weise das auf, was von einer kindlichen Wissenschaft immer in ganz falschem Lichte dargestellt wird. Man sieht darauf hin, daß das Kind, wenn es sich an einer Tischecke stößt, die Tischecke schlägt. Aber dann sagt die Wissenschaft: das Kind personifiziert den Tisch, es macht ihn zum lebendigen Wesen, das es strafen muß. Es zeigt wenig ein tieferes Eingehen auf die Gemütsverfassung des Kindes, wenn man so etwas ausspricht, denn es ist das durchaus nicht der Fall, daß das Kind den Tisch personifiziert. Es hat nur noch nicht das tote Wesen von dem lebendigen Wesen unterscheiden gelernt. Der Vorgang des Personifi­zierens spielt sich gar nicht ab im kindlichen Leben, sondern es behan­delt eben die Außenwelt noch ganz im allgemeinen, und sich selber stellt es in diese Außenwelt so hinein, daß es sich von dieser Außenwelt recht wenig unterscheidet. Und der Zeitpunkt nach dem vollendeten neunten Lebensjahre wird deshalb ganz besonders wichtig, weil eben da wie an einem bedeutsamen Lebenswendepunkte aus dem Kinde heraus Fragen aufschießen, man möchte sagen, ganze Berge von Fra­gen, die alle sich darauf beziehen, empfindungsgemäß sich von der Umgebung zu unterscheiden, sich auch zu unterscheiden von dem Füh­rer, von dem Erzieher.

Bis dahin hat das Kind wenig Gefühl dafür gehabt, ob der Lehrer oder Erzieher ein ungeschickter Kerl ist, der selbst überall da oder dort mal anstößt, der die Kreide fallen läßt, wenn er sie in die Hand be­kommt und dergleichen. Es hat wenig Gefühl dafür, so etwas zu be­merken, wie jener Prediger entwickelt hat, der nach jedem Satze sich einmal an die Nase gefaßt hat, was seine Gemeinde mit einer Lach­haftigkeit erfüllt hat. Das Kind bemerkt solche Sachen schon auch vor dem vollendeten neunten Lebensjahre, aber es bemerkt sie so, daß sie

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an seinem Gemüte vorübergehen, daß sie keinen tieferen Eindruck machen. Wer also glauben würde, daß es sie gar nicht bemerkt, der irrt sich. Aber nach dem vollendeten neunten Jahre beginnt das Kind scharf gerade auf solche Dinge zu achten. Es achtet sogar später im zehnten, elften Jahre wieder weniger darauf. Es achtet darauf, und es hüllt sich das nur ein in das gesamte Fragesystem, was in diesem Lebens­punkt auf der Seele des Kindes lastet. Diese Fragen brauchen nicht ausgesprochen zu sein, aber sie sind da. Das Kind frägt empfindungs­gemäß, ob sich der Lehrer geschickt verhält im Leben, ob der Lehrer vor allen Dingen sicher im Leben drinnensteht, ob der Lehrer weiß, was er will, und es hat vor allen Dingen eine feine Empfindung für die Ge­samtseelensituation des Lehrers.

Ein Skeptiker wirkt ganz anders auf das Kind als ein im richtigen Sinne gläubiger Mensch. Es tönt eben etwas ganz anderes durch die Stimme eines Skeptikers als durch die Stimme eines gläubigen Men­schen. Und um solche Dinge kümmert sich das Kind zwischen dem neunten und dem zehnten Lebensjahre. Es ist hier vieles Individuelle, das im Menschenleben liegt, zu berücksichtigen. Ein evangelisch ortho­doxer Lehrer wirkt ganz anders gerade in diesem Lebenspunkte auf das Kind, als ein katholisch gestimmter Lehrer, einfach durch die an­dersartige Seelensituation.

Und hier kommt auch in Betracht, daß dieser Lebenspunkt bei den verschiedenen Rassen, Nationalitäten, in der allerverschiedensten Weise zum Ausdruck kommt, sogar bei der einen Nationalität etwas früher, bei der anderen etwas später. Er kommt bei jedem Kinde individuell zum Ausdruck, bei dem einen früher, bei dem anderen später, und man kann daher im allgemeinen nicht viel sagen, sondern nur: aus dem Gesamttakt des Lehrers muß sich das ergeben, daß er diesen Wende­punkt in der Entwickelung des Kindes wirklich sehen kann, wie über­haupt in der Erziehung unendlich viel darauf ankommt, daß man auf den Zögling die richtige, eindringliche Aufmerksamkeit wenden kann.

Bei uns in der Waldorfschule wird gerade darauf ein großer Wert gelegt. In den Konferenzen, die wir haben, wird gewissermaßen jedes einzelne Kind durchgesprochen, und es wird, soweit das möglich ist -natürlich, wenn sich die Schule immer vergrößert, wird das noch andere

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Einrichtungen notwendig machen, als die schon da sind -, es wird versucht, möglichst viel an der besonderen Individualität des Kindes zu lernen. Und man kann schon viel lernen, insbesondere wenn man darangeht, die Imponderabilien des wachsenden Menschen zu studieren.

Diese Imponderabilien ergeben manchmal etwas recht Überraschen-des. So zum Beispiel bin ich darauf ausgegangen, eine Zeitlang sorg­fältig zu beobachten, wie es in unseren die beiden Geschlechter ver­einigenden Klassen wirkt, wenn in einer Klasse mehr Mädchen als Kna­ben sind, gleichviel Mädchen und Knaben sind, oder mehr Knaben als Mädchen sind; ganz abgesehen von den äußeren Dingen, die mit dem Verstande zu erfassen sind, und die auf dem Verkehr der Kinder beruhen, ist eine Klasse, in der die Mädchen in der Majorität sind, etwas ganz anderes, als eine Klasse, in der Knaben in der Majorität sind. Hier wirken die Imponderabilien im Zusammenhang der Men­schen in ganz besonders starker Weise. Man darf nur aus solchen Vor­aussetzungen nun nicht die bequemsten Schlüsse ziehen. Die bequem­sten Schlüsse wären natürlich diese, wenn man sagen würde: Nun, dann taugt ja das Zusammenhalten von Knaben und Mädchen nichts, man muß sie trennen. - Damit würde man wiederum viel größeren Schaden anrichten; sondern man muß lernen, wie man nun, trotzdem das eine oder das andere auftritt, die Klasse zu behandeln hat.

Es kommt also schon wesentlich auf die Art der Aufmerksamkeit an, die man auf das einzelne Kind und die man auf die Gesamtklasse richtet. Es treten dabei außerordentlich tief philosophische Fragen auf. Zum Beispiel konnten wir sehr gut bemerken, daß die Lehrer am mei­sten lernen, wenn sie sich in der richtigen Weise in den Unterricht einfügen, und daß der Unterricht eines Lehrers selbstverständlich nach einiger Zeit etwas ganz anderes ist, als er vor einiger Zeit war. Auch da spielen aber unbewußte und unterbewußte Momente eine außer­ordentlich große Rolle.

Aus alledem heraus, was ich geschildert habe, kommt ganz un­weigerlich in diesem Zeitpunkt das Kind an den Führer, an den Lehrer heran und stellt allerlei Fragen. Es kommt gar nicht so sehr auf den Inhalt der Fragen an, und es kommt gar nicht so sehr auf den Inhalt

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der Antwort an, die der Lehrer nun gibt, sondern es kommt darauf an, daß durch das, ich möchte sagen, Undefinierbare, das sich gerade in diesem Lebenspunkte zwischen Führer und Kind entwickeln muß, das Kind eine empfindungsgemäße Anschauung darüber in sein Gemüt ein­gesetzt bekommt: Ich habe bisher zu meinem Lehrer aufschauend ge­standen; jetzt kann ich es nicht mehr, ohne daß ich weiß, daß der Lehrer zu irgend etwas aufschaut, das im Leben auf irgendeine Weise drinnen begründet ist. - Besonders neugierige Kinder verfolgen dann den Lehrer auch außerhalb der Schule, bemerken allerlei, was er außer­halb der Schule tut. Das alles zu berücksichtigen, ist von einer unge­heuren Wichtigkeit. Aber dasjenige, wovon alles abhängt, ist, daß man diesen Zeitpunkt merkt, daß man weiß, jetzt tritt das Kind so an einen heran, daß das, was sich zwischen Führer und Kind abspielt, Vertrauen, immer mehr bewußtes Vertrauen fordert. Denn, wie man sich in die­sem Zeitpunkt zu dem Kinde verhält, davon hängt für das ganze spä­tere Leben unendlich vieles ab; ob das Kind ein haltloser Mensch wird, oder ob das Kind ein sicher im Leben stehender Mensch ist, das hängt manchmal daran, ob der Lehrer die genügend sichere Art findet, in diesem Zeitpunkte sich zu dem Kinde zu stellen.

Man könnte ja allerdings fragen: Wie ist dann eigentlich der Mensch von seiner Umgebung abhängig, wenn er zwischen dem neunten und zehnten Jahre in einer so außerordentlichen Art darauf angewiesen ist, daß sich der Lehrer und der Führer in einer gewissen Art benimmt? -Aber diese Dinge können nicht beleuchtet werden, ohne auf die mit dem Schicksal des Menschen tief zusammenhängenden Fragen, die karmi­schen Fragen, einzugehen, und das wird uns ja insbesondere in den letzten Stunden hier zu beschäftigen haben. Für das Denken, das in der richtigen Weise sich dem Erziehenden und Unterrichtenden gegen­über verhält, ist aber dasjenige, was ich gesagt habe, ganz unbedingt richtig. Es handelt sich in diesem Zeitpunkte darum, daß das Kind irgend jemanden findet - ob das eine Person oder mehrere sind, ist von einer geringeren Bedeutung -, der in gewisser Weise als Bild bleibt für das ganze spätere Leben.

Wenige Menschen bemerken dasjenige, was ich jetzt sagen werde, aber es tritt immer wieder und wiederum, und zwar in bestimmten

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Perioden des Lebens, die Wirkung des Kindesalters in dem Menschen auf, und eine ganz hervorragende, ausgezeichnete Bedeutung hat das Bild, das gerade aus diesem Lebenswendepunkte immer wieder auftritt. Ob das im späteren Leben, ob im Traume oder im Wachen, verschwom­men auftritt, ganz sympathisch oder ganz antipathisch betrachtet wer­den kann, das ist außerordentlich wichtig, nicht die Sympathie und Antipathie als solche, sondern daß im Gemüte des Kindes etwas ist, was in dem einen Falle zur Sympathie und im anderen zur Antipathie wird. Und ich will gar nicht einmal behaupten, daß der ganze Vor­gang, den ich hier schildere, diese Reminiszenz an dem Lebenswende­punkte zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahr ganz expliziert im Bewußtsein heraußen steht; manchmal kann es fast ganz im Unter­bewußten liegen, aber vorgehen muß das Entsprechende. Es findet sich immer. Lebhaft träumende Menschen werden in fast periodisch ver­laufenden Zwischenräumen im Traume irgendeine Szene herauftau­chen sehen oder die Persönlichkeit selbst, den Führer, der da helfend, mahnend, vertrauenerweckend, ein persönliches Verhältnis erweckend, dem Kinde zur Seite getreten ist. Das braucht das Kind zwischen dem neunten und zehnten Jahre, und das hängt zusammen mit der objek­tiven Wendung in dem Kinde, daß es sich eigentlich bis dahin von der Welt draußen, von der Umwelt nicht unterschieden hat, und daß es jetzt das Bedürfnis bekommt, innerlich ein Mensch zu sein, ein abge­schlossenes Individuum, und sich der Außenwelt gegenüberzustellen.

In Gemäßheit dessen, was eben gesagt worden ist, ist es nötig, den Erziehungsstoff in dieser Lebenszeit des Kindes zu verteilen. Man wird in unserer heutigen Zeit ganz besonders aus einer tieferen Einsicht in diese Dinge heraus das Erziehungs- und Unterrichtswesen behandeln müssen. Bedenken Sie nur, wie viele Menschen heute die Möglichkeit haben, in ihrem Lebensalter, das unmittelbar an den Zahnwechsel sich schließt, allerlei Lokomotiven, Tramwaywaggons und so weiter zu se­hen. Ich darf sagen, daß ich auf diesem Gebiete Beobachtungen ganz persönlichster Art habe machen können, denn ich habe mein Leben in diesem kindlichen Alter in einer kleinen Eisenbahnstation zugebracht und habe richtig viele Lokomotiven jeden Tag vorbeifahren sehen. Man

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muß nämlich sagen: das Schlimmste, was einem Kinde vor dem vollen­deten neunten Lebensjahre passieren kann, ist, wenn es ein mechani­sches Verständnis einer Lokomotive oder eines Tramwaywagens oder dergleichen gewinnt. Daß solche Dinge in die Gesamtkonstitution bis ins physische Leben hineinfließen können, werden Sie verstehen, wenn Sie auf andere Lebenserscheinungen hinblicken. Bedenken Sie doch nur zum Beispiel, was es im Leben einer Anzahl von Generationen bedeutet, wenn ein Volk eine Sprache, die es bis zu einem gewissen Zeitpunkte hin nicht gesprochen hat, annimmt. Warum sind denn zum Beispiel die Bulgaren ein slawisches Volk? Rassegemäß sind sie es nicht. Rassege­mäß sind sie verwandt mit den Finnen, den Hunnen. Sie sind eine Art mongolisch-tartarischen Volkstums. Aber sie haben frühzeitig ein sla­wisches Jdiom angenommen und sind dadurch zu einem slawischen Volk geworden. Das, was sie mit der Sprache, mit der äußeren Kultur angenommen haben, ist durchaus in ihre Organisation hineingegangen. Und ich habe Leute kennengelernt, die betrachten das bulgarische Ele­ment geradezu als eins der reinsten slawischen Elemente, was es an­thropologisch, historisch eben ganz und gar nicht ist. Man verschafft sich sehr häufig nicht ein tieferes Verständnis dafür, wie eingreifend bis in die physische Organisation dasjenige ist, was geistig-seelisch namentlich an die Kinder herangebracht wird.

Und da muß man sagen: das Kind, wenn es den Zahnwechsel eben vollendet hat, würde es als etwas wie Spieße in seine Organisation Ein­dringendes empfinden, wenn man es in begriffsmäßiges Denken, na­mentlich über dasjenige einführen wollte, was aus dem Unlebendigen, aus dem Unorganischen heraufgekommen ist. Schon durch das fühlt sich das Kind fremdartig berührt, was aus dem Unbeseelten herauf-genommen wird. Daher muß man den künstlerischen Sinn in sich haben, wenn man ein Kind in diesem Lebensalter zu erziehen hat, alles wirk­lich noch zu beleben. Der Lehrer muß beleben; der Lehrer muß die Pflanzen sprechen lassen, die Tiere moralisch handeln lassen, der Leh­rer muß in der Lage sein, alles ins Märchen, in die Fabel, in die Legende zu verwandeln. Und hier zeigt sich etwas, was ganz besonders wichtig ist zu berücksichtigen.

Bequeme Lehrer und Erzieher, was werden denn die tun, wenn

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man diese pädagogische Forderung vor sie hinstellt? Sie gehen in die Bibliotheken, sammeln sich Bücher, wo Legenden, Sagen, Tiergeschich­ten und ähnliches drinnenstehen, lernen das, und bringen es dann in der Klasse vor. Man muß ja im Leben überall Surrogate haben, aber das Ideal ist das nicht. Das Ideal ist, daß, wenn der Lehrer so gut vor­bereitet ist - denn dazu muß man ganz besonders gut vorbereitet sein -, daß aus ihm selber heraus als seine individuellste Gestaltung dasjenige entsteht, was Gespräch dieser mit jener Pflanze ist, daß das Märchen zwischen der Lilie und der Rose von dem Lehrer selber ersonnen ist und an die Kinder herangebracht wird, daß das Gespräch der Sonne mit dem Monde ganz individuell von dem Lehrer ersonnen wird und vor den Kindern ausgebreitet wird. Warum ist das so? Ja, ich möchte mich dabei im Bilde ausdrücken. Sagt man das zu dem Kinde, was man aus Büchern gelernt hat, dann redet man so wie ein vertrockneter Mensch, wenn man auch noch so lebendig ist sonst, man redet doch auf imponderable Weise wie ein vertrockneter Mensch; so ungefähr, wie wenn man nicht lebendige Haut hätte, sondern mit Pergament bedeckt wäre, denn man trägt immer etwas in sich vom Rest des auf rein histo­rische Weise Gelernten. Dagegen hat dasjenige, was man selbst ersinnt, noch Wachstumskraft in sich, noch das frische Leben in sich; das wirkt auf das Kind.

Daher muß der Drang, die ganze Pflanzen-, Tierwelt, die Sonnen-und Sternenwelt im Märchen lebendig umzudeuten, im Lehrer selber vorhanden sein, der ein Erzieher dieses kindlichen Alters sein will. Und er wird eigentlich günstig auf das Kind wirken, wenn er schon des Morgens über dem, was er da eben erst ersonnen hat in einer Arbeit, die immerhin anstrengend ist, so zur Schule geht, daß man schon sei­nem Schritte ansieht, es drängt ihn, das nun vor seiner Kinderschar aus­zubreiten. Es ist das so, daß die von ihm ausgedachte Geschichte noch gar nicht fertig ist, bevor sie ihren Abschluß dadurch erlangt hat, daß er die befriedigten und sich freuenden Gesichter der Kinder sich ent­gegenleuchten gesehen hat.

Alles, was das Kind von Pflanze, Tier, Mineralien, von Sonne, Mond, von Bergen, Flüssen lernt, soll eigentlich bis zum vollendeten neunten Lebensjahre in diese Form hineingegossen sein; denn das Kind

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verbindet sich mit der Welt. Welt und Kind, Kind und Welt ist eines für diese Lebensjahre.

Aber mit dem gekennzeichneten starken Umschwung tritt eben ein anderes ein. Da wird das Kind für sich selber ein eigenes Wesen. Es lernt sich von der Welt unterscheiden, und man bekommt dadurch die Möglichkeit und auch Notwendigkeit, das Kind nun heranzuführen an die Natur, an die Umwelt. Da tritt das auf, was man als den durch­greifenden Unterschied charakterisieren muß zwischen dem Heran­führen an die Pflanzenwelt und an die Tierwelt. An diese beiden Na­turreiche will der Mensch in einer ganz verschiedenartigen Weise her­angeführt werden. Allerdings, sowohl an die Pflanzenwelt wie an die Tierwelt kann man das Kind so vom zehnten bis zwölften Jahre her­anführen; aber in verschiedener Art an die Pflanzenwelt und in ver­schiedener Art an die Tierwelt.

Die Pflanze in diesem Lebensalter als ein abgesondertes, von der Erde ausgerissenes Wesen an das Kind heranzubringen, ist eigentlich etwas Schreckliches. Es muß durchaus eine Empfindung bestehen, daß die Pflanze für sich, aus dem Boden herausgerissen, gar kein selbstän­diges Wesen ist. Man muß die gesamte Pflanzenwelt so empfinden, wie zum Beispiel ein Menschenhaar im Zusammenhange mit der ganzen menschlichen Organisation betrachtet und empfunden werden muß. Ein Menschenhaar, das ausgerissen daliegt, ist ja ein Unsinn, ist ja keine Realität; das kann durch die Kräfte, die in ihm liegen, nie bestehen. Ebenso ist eine Pflanze etwas, das nicht zu bestehen vermag, wenn sie aus dem Boden herausgerissen wird und für sich da ist. Die Pflanze gehört zum Antlitz der Erde. Pflanze und Erde gehören zunächst zu­sammen. Daß noch etwas anderes stattfindet, werden wir gleich sehen, aber Pflanze und Erde gehören zunächst zusammen. Daher ist es auch notwendig, daß man womöglich eine empfindungsgemäße Betrach­tung vor den Kindern entrollt, die Pflanze und Erde zusammengehörig betrachtet, so daß man ein Empfinden davon erweckt, wie das Wurzel­hafte zum Boden und seiner Eigentümlichkeit gehört. Das Kind muß allerdings nicht abstrakt verstandesgemäß, aber empfindungsgemäß eine Vorstellung haben, wie das Wurzelhafte anders wird in einem trockenen Boden. in einem feuchten Boden, anders, wenn in der Nähe

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des Pflanzenwachstums Felsen sich auftürmen, oder wenn das Meer in der Nähe ist. Das Kind muß zunächst das Pflanzenhafte durchaus im Zusammenhange mit dem Erdboden betrachten lernen. Und alle Ve­getation muß ein Stück desjenigen sein, was da aus der Erde herauf-kommt.

Und man muß ein Empfinden hervorrufen aus der Anschauung für den Gegensatz des Wurzelhaften, das zur Erde gehört, und des Blütenhaften und Fruchtenden, das von der Sonne hervorgetrieben wird. Man muß das Kind von der Erde zur Sonne führen, indem man dem Kinde das Blütenhafte vorhält. Das Kind muß ein Gefühl dafür bekommen, wie das Blütenhafte durch das wärmende Umfassen des Sonnenhaften sich entfaltet, wie im Blühenden und Fruchtenden all­mählich die Pflanze sich tatsächlich vom Erdboden emanzipiert. Erde, Pflanzenwachstum, Einwirkung des Sonnenhaften auf die Erde ge­hören durchaus zusammen, und sie müssen in der Betrachtung zusam­menwachsen. Man möchte sagen, das Kind muß eine solche empfin­dungsgemäße Vorstellung von dem Pflanzenhaften haben, daß, wenn man ihm eine Pflanze beschreibt ohne Beziehung zu Boden und Sonne, es ein innerliches Leidwesen ungefähr so empfindet wie beim Ausreißen der Pflanze.

Man darf auch in dieser Beziehung das Erziehungswesen durchaus nicht als etwas Abstraktes für sich betrachten, sondern als hineinge­stellt in den ganzen sozialen Organismus. Man muß schon ein Empfin­den dafür haben, was es für die Entwickelung der Menschheit bedeutet, daß seit langer Zeit eine große Anzahl von Menschen in die Stadt hin-eingeführt wird, daß da Generation nach Generation Großstadtjugend so heranwächst - man kann das erfahren von in die Stadt gezogenen Menschen -, daß sie den Roggen von dem Weizen nicht mehr unter­scheiden kann.

Es mag sich grotesk ausnehmen, aber man muß immer wiederum behaupten: ein Mensch, der nicht gelernt hat, einen Roggen von einem Weizen zu unterscheiden, ist kein ganzer Mensch. Und man kann sogar noch weitergehen: ein Mensch, der nur in der Stadt gelernt hat aus der Beschaffenheit der Ähre, aus den Roggen- und Weizenkörnern Rog­gen von Weizen zu unterscheiden der hat auch noch nicht das Ideal

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erreicht. Erst derjenige, der auf dem Boden gestanden hat, wo Roggen und Weizen wächst, und an der Stelle den Roggen vom Weizen hat unterscheiden lernen, erst der hat eigentlich das Richtige erlebt. Wir sollten es vermeiden als Lehrer, botanisieren zu gehen und dann mit der Botanisiertrommel in die Klasse zu gehen und die Pflanzen auszubrei­ten. Wir sollten vielmehr die Kinder hinausführen und womöglich wirklich im realen Zusammenhang mit der Erde und mit den Sonnen­strahlen und mit dem Leben die Kinder zum Verständnis des Pflanz­lichen bringen. Dadurch können wir in ganz naiver Weise den Über­gang zu etwas anderem finden, was außerordentlich wichtig ist.

Wenn das Kind eine Vorstellung bekommt, was eine Kartoffel eigentlich ist, so bedeutet das außerordentlich viel. Die Kartoffel ist ja keine Wurzel, die Kartoffel ist ein verknollter Stamm, ein verknoll­ter Stengel. Der trockene Boden, auf den die Kartoffel angewiesen ist, der zieht dasjenige, was ins Kraut schießen soll, zurück in die Erde hinein. Aus dem Kraut soll man erkennen, wie lange die Pflanze in ihrem Heraufwachsen dem Boden verwandt bleibt, wie lange der Bo­den seine Impulse auf die Pflanze geltend macht. Man soll dieses ple­bejische Hineinwachsen der Kartoffel in den trockenen Boden verspüren können. Und wiederum soll man verspüren können, wie in der Tat der etwas feuchtliche Boden im Zusammenhange mit den schon nach ab­wärts sich senkenden Sonnenstrahlen die Herbstzeitlose, Colchicum autumnale, gestaltet.

Wenn man in dieser Weise dasjenige betrachtet, was da aus der Erde als aus einem Organismus herauswächst, natürlich differenziert nach den verschiedenen Differenzierungen des Antlitzes der Erde, dann fin­det man in naiver Art den Übergang zu einer naturgemäßen Geo­graphie. Die wächst von selber heraus. Und die anderen Dinge, die dann in der Geographie noch in Betracht kommen, schließen sich an dasjenige, was das Pflanzenleben ist, an. Wie spricht der heutige Mensch manchmal von der Erde? Der heutige Mensch spricht manchmal so von der Erde, als ob sie überhaupt keine Pflanzen hervorbringen würde. Er denkt sich die Erde als eine im Weltenraume befindliche Kugel; die Schwerkräfte wirken so, daß die Intensität im Quadrat der Entfernung abnimmt, und so wirken die Weltkörper aufeinander. Ganz mathematisch-mechanisch

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wirkt das. Aber wer hat denn ein Recht, dieses Mathe­matisch-Dynamische der Schwerkraft abstrakt von dem abzusondern, was gerade so in die Erde hineingestellt ist: die sich entfaltende Pflan­zenwelt! Wenn man von dem kosmischen Drinnenstehen der Erde spricht, dann muß man dasjenige, was sie beim Wurzelhaften der Pflanze gibt, ebenso zur Empfindung bringen wie die rein mathema­tisch-mechanischen Beziehungen der Gravitation und so weiter.

Daß in dieser Beziehung die lebendige Fülle im Unterricht lebt, darauf kommt es ganz besonders an. Wie man nun die Pflanzenwelt in Beziehung setzen muß zu dem Irdischen, so die Tierwelt in Beziehung zu dem Menschen. Man wird bemerken, indem man bei den Kindern Vorstellungen über das Pflanzliche hervorruft, wie ich sie geschildert habe, daß die Kinder gerade an dem Pflanzlichen die Frage nach dem Warum und Wie der Welt entwickeln. Es ist wirklich viel gesundender für das kindliche Gemüt, wenn es die Frage nach dem Warum und Wie an dem Pflanzlichen entwickelt, als etwa an dem Mineralischen und dem Maschinenartigen. Wie man sozusagen das Kausalgefühl, das Ursachengefühl an der an die Erde gebundenen Pflanze entwickeln soll, so den Vergleich, die Analogie, die immer eine entsprechende Stellung im Leben einnehmen soll, an der Tierwelt.

Nun möchte ich, damit wir uns richtig verstehen, einen gewissen Gedanken so ausführen, wie er nur für uns Erwachsene gemeint ist, der dann in allerlei Weise in der Schule umgesetzt, dem kindlichen Verständnis zwischen dem zehnten und zwölften Jahre angepaßt wer­den muß, aber wie er heute eigentlich viel zu wenig gepflegt wird.

Wenn man den Menschen, ich möchte sagen, morphologisch, physio­logisch und so weiter betrachtet, so kann einem zunächst das Folgende auffallen. Betrachten wir das menschliche Haupt, schon seiner äußeren Form nach: es ist kugelig. Gehen wir dann in das Innere, finden wir die graue Gehirnmasse, wenig herausgebildet in ihrer Differenzierung von dem, was noch zellige Ganglien sind, und weiter nach innen erst die faserige weiße Masse. - Wir sehen diese menschliche Kopfbildung an, und wir können sie vergleichen mit der Tierwelt. Aber wo müssen wir das suchen, was wir in der tierischen Welt mit der menschlichen Kopfbildung vergleichen können? Wir müssen es bei den ganzen niederen

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Tieren suchen. Am menschlichen Kopfe ist allerdings alles diffe­renziert. Aber die Hauptsache, worauf es beim menschlichen Kopf auch ankommt: innerlich weiche Masse, von einer Schale umgeben, das ist bei den niederen Tieren noch in seinem undifferenzierten Zu­stand vorhanden. Derjenige, der die Natur unbefangen betrachtet, wird gerade bei dem Schalentier das Einfache, das Primitive für den menschlichen Kopf finden, und er wird die menschliche Hauptesbil­dung zu den niederen Tieren in eine Beziehung bringen. Innerlich be­trachtet, steht eine Auster dem menschlichen Kopf viel näher als ein Affe. Wenn Sie ein schleimiges Tier, umgeben von einer Schale betrach­ten, so ist das eigentlich die einfachste Form für einen menschlichen Kopf.

Gehen wir jetzt zu den menschlichen Brustorganen über, zu dem­jenigen, was vorzugsweise unter der Herrschaft des Rückgrates steht, so werden wir schon zu höheren Tieren geführt, zum Beispiel zum Fisch. Beim Fisch, was ist denn da vorhanden? Der Kopf ist da kaum etwas anderes als eine ein klein wenig differenzierte Fortsetzung des­jenigen, was überall sich an das Rückgrat anschließt. Der ganze Fisch ist ein Rückgrattier. Und gehen wir auf die Organisation des Fisches, als auf eines in der mittleren Lage der Tierreihe liegenden Wesens ein, so mussen wir es mit der menschlichen Lymphorganisation, mit dem mittleren Menschen vergleichen.

Und gehen wir zu den höheren Tieren herauf, dann können wir nicht anders, als das, was an den höheren Tieren sich entwickelt, mit dem Stoffwechsel-Gliedmaßensystem des Menschen vergleichen. Se­hen Sie sich den Löwen, sehen Sie sich das Kamel an: alles ist da be­herrscht von der besonderen Organisation des Gliedmaßen-Stoffwech­selleibes. So daß wir eine merkwürdige Gliederung des Tierreiches in bezug auf die menschliche Organisation bekommen:

Kopforganisation - niedere Tiere

rhythmische Organisation - mittlere Tiere

Stoffwechsel-Gliedmaßenorganisation - höhere Tiere

Eine solche Einsicht gibt erst einen richtigen Blick über die Evolution. Die menschliche Entwickelung ist von etwas ausgegangen, was dann

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später Kopf geworden ist. Aber in sehr frühen Zeiten, wo in der Um­welt andere Verhältnisse waren, hat sich das entwickelt, was später beim Menschen zum Kopf geworden ist, und der Mensch hat reichlich Gelegenheit gehabt, von der Zeit, wo er, einer Auster ähnlich, ange­wiesen war auf die Impulse seiner Umgebung, sich dahin zu entwickeln, wo der Kopf als ein Parasit auf dem ganzen übrigen Organismus sitzt und dasjenige, was die Auster noch aus ihrer Umgebung ziehen muß, aus dem übrigen Teil seines Organismus anzieht. Er hat die anderen Teile herausgesetzt. Er hat sich die Erdenumgebung ersetzt durch sei­nen Kopf, den er angesetzt hat. Sie können das in der Embryologie heute noch verfolgen. Wenn man auf die Embryologie des Menschen sieht, muß man sagen, der Mensch hat in bezug auf seinen Kopf eine lange Evolution durchgemacht. Diese Kopforganisation ist von einem Punkt ausgegangen, auf dem heute noch die niederen Schalentiere ste­hen; nur haben sich die in der Evolution verspätet. Sie müssen unter ungünstigeren äußeren Verhältnissen sich entwickeln. Sie kommen da­her nicht bis zu der Dichte des Kopfes; sie bleiben bei dem schleimigen Leib und der schaligen Umgebung stehen. Sie stellen heute unter ganz anderen Erdenverhältnissen dasjenige dar, was unter früheren Verhält­nissen in seiner Kopforganisation der Mensch selbst noch war. Und die Fischorganisation, sie trat später in der Erdenentwickelung auf als die Menschenorganisation und traf schon eine andere äußere Umgebung. Der Mensch war schon so weit, daß er Impulse, die der Fisch aus seiner Umgebung ziehen muß, aus seinem eigenen rhythmischen Organismus ziehen konnte. Es kam also zu der Menschheitsevolution, die bis zu einem gewissen Punkte heraufgekommen war, die Organisation der mittleren Tiere hinzu. Und zuletzt, als der Mensch schon seinen Glied­maßen-Stoffwechselorganmsmus mm heutigen Sinne angesetzt hatte, so daß sich der Stoffwechsel differenziert hat, daß der Stoffwechsel nur seine Reste zurückgelassen hat in den Kopf- und Brustorganen, da kamen die höheren Tiere dazu.

Man wird auf diese Weise einsehen, daß die Deszendenztheorie für den Menschen richtig ist, aber nur, wenn man seinen Kopf betrachtet. Er stammt in physischer Beziehung seiner Kopforganisation nach von Vorfahren ab, die eine entfernte Ähnlichkeit haben mit den heutigen

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niedersten Tieren, aber doch wiederum verschieden sind, weil sich diese niederen Tiere unter anderen Verhältnissen heute entwickeln. Er stammt seiner mittleren Organisation nach von Wesen ab, die durchaus schon auf dem Wege zum Menschen waren, die Ähnlichkeit haben mit der Fischorganisation. Aber die Fische sind zu spät gekommen. Die muß­ten den Kopf schon ganz unentwickelt lassen; weil sie ihn früher nicht entwickelt haben, da ging es nicht mehr, den Kopf in entsprechender Weise zu entwickeln, insbesondere nicht, weil sie auf das flüssige Ele­ment sich beschränkt haben. Und so kommt man zu einer Überschau, man kommt auf eine Deszendenztheorie, die dann der Realität ent­spricht; während, wenn man den ganzen Menschen nimmt, ohne seine Dreigliederung zu beachten, kommt man zu einer einseitigen Deszen­denztheorie, die sehr geistvoll, sehr scharfsinnig ist, aber eben vor einer durchgreifenden Beobachtung nicht standhält. So daß man sagen kann:

Was wir in der Tierreihe draußen finden, ist überall die einseitige Aus­bildung irgendeines menschlichen Organsystems. Die Austern sind ein­seitige Kopftiere, die Fische sind einseitige Brusttiere, die höheren Säu­getiere namentlich sind einseitige Stoffwechsel-Gliedmaßentiere. Jede Tierform verstehen wir, wenn wir sie als eine einseitige Ausbildung eines menschlichen Organsystems betrachten.

Man hat einmal für eine solche Sache eine Empfindung gehabt, am Übergang des 18. zum 19. Jahrhundert; aber nur die Empfindung war richtig. Man hat zu wenig Kenntnisse gehabt, um diese Dinge nun wirklich real auszubilden. Einer von den vielverachteten deutschen Naturphilosophen, Oken, der aber ein sehr geistreicher Mann war, tat einen grotesken Ausspruch, über den heute zu lachen leicht ist, aber der aus einer gewissen richtigen Empfindung hervorgegangen ist: die Zunge des Menschen sei ein Tintenfisch. Ja, gewiß, die Zunge ist kein Tintenfisch. Man kann darüber sehr leicht ein Urteil haben. Aber die allgemeine Empfindung, daß man zu den niederen Tieren hinunter-gehen müsse, wenn man die Formen der menschlichen Kopfglieder er­kennen will, lag in dieser Behauptung.

Nun, dasjenige, was ich Ihnen hier auseinandergesetzt habe, ist eben zu unserer Orientierung. Man kann das aber durchaus auf dasjenige übertragen, was für das Kind verständlich ist. Man kann vor dem

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Kinde morphologisch, der Form gemäß, allerlei an dem Menschen be­trachten und es dann überführen in die Analogie mit der oder jener Tierform, und man kann durchaus in dem Kinde die Empfindung ent­stehen lassen: Das ganze Tierreich ist ein ausgebreiteter Mensch; der Mensch ist ein Kompendium des ganzen Tierreiches. - So bringt man das Tierreich an den Menschen heran, wie man das Pflanzenreich an die Erde herangebracht hat, und man erweckt gerade dadurch in dem Kinde ein gesundes Weltgefühl, daß man gewissermaßen auf die Ni­veaulinie Rücksicht nimmt zwischen Tier und Pflanze, bei der Pflanze hinuntergeht zur Erde, beim Tier herauf zum Menschen. Dadurch stellt sich die Seele empfindungsgemäß in richtiger Art zu ihrer Um­gebung ein, von der sie sich zu unterscheiden gelernt hat mit dem voll­endeten neunten Jahre. Und nicht darauf kommt es ja eigentlich an, daß man dem Kinde allerlei Kenntnisse übermittelt, sondern daß man ihm die Vorbereitung gibt zu einer richtigen Weltempfindung.

Was tun wir denn eigentlich manchmal heute im Leben, nicht bloß für Kinder, sondern auch für die Erzieher selbst? Schreckliches. Denken Sie nur einmal, daß man ja bei den Prüfungen von den Lehrern Dinge verlangt, die man eigentlich alle nicht verlangen sollte, weil sie im Grunde genommen unnötig sind, mit sich herumzuschleppen. Meistens wird ja heute das geprüft, was der Lehrer, da es heute ein Konver­sationslexikon gibt, aus der Stellage herunternehmen und es nachschla­gen kann, wenn er den betreffenden Band nimmt. Das ist nicht wich­tig, daß man solches prüfungsmäßig fordert. Wichtig ist hingegen, daß man sich die Überzeugung verschafft: das ist ein Mensch, der so in die Schule hineintreten kann, wie das aus wirklicher Menschenerkenntnis heraus geschehen muß.

Von besonderer Bedeutung ist es, daß man für das kindliche Alter die richtige Stellung gewinne zur Entwickelung des Gedächtnisses. Wir müssen nicht vergessen, daß bis zum Zahnwechsel hin das Gedächtnis, das Erinnerungsvermögen im engsten mit der organischen Entwicke­lung gebunden, verbunden ist. Was das Kind in dieser Zeit dann in leichter Weise erinnert, das wirkt durch Kräfte, die zu gleicher Zeit im Wachstum. in der Ernährung wirken. Es ist einmal das Kind in bezug

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auf die geistig-seelischen Kräfte und die physisch-leiblichen Kräfte bis zum Zahnwechsel eine Einheit. Wir können daher auch die größten Fehler machen, wenn wir für das Kind vor dem Zahnwechsel ver­suchen, allerlei zu veranstalten, um das Gedächtnis künstlich stärker zu machen.

In solcher Beziehung müssen wir uns darüber klar sein, daß eben auch für die Entwickelung des Gedächtnisses vor dem Zahnwechsel das Kind ein nachahmendes Wesen ist, daß wir das Richtige in seiner Um­gebung tun müssen, allerdings eben das Richtige, dann wird das Kind, je nach seinen Wachstumsanlagen, nach seinen Ernährungsanlagen, auch im vollsten Sinne des Wortes sein Gedächtnis heranentwickeln. Leibliche Pflege, von der wir noch zu sprechen haben werden, Pflege der körperlichen Gesundheit sind in dieser Zeit auch die beste Pflege für das Gedächtnis, für das Erinnerungsvermögen.

Das Charakteristische unseres materialistischen Zeitalters ist, daß die Menschen womöglich früh schon anfangen möchten, in künstlicher Form allerlei Erziehungsmäßiges an den Menschen heranzubringen. So möchten sie auch auf eine seelisch-geistige Weise schon vor dem sieben­ten Jahre das Gedächtnis pflegen. Sie möchten sogar noch weitergehen, und das zeigt, auf welchem falschen Wege gerade ein materialistisches Zeitalter in dieser Beziehung ist. Es gibt Mütter, ich kann Ihnen das aus Erfahrung sagen, die fragen einen nicht nur, wie soll man in einer Weise, die erst für ein späteres Lebensalter in Betracht kommt, das Kind vor dem Zahnwechsel erziehen, sondern die fragen einen, wie soll man das Kind vor der Geburt erziehen im embryonalen Zustande? Da möchten die Menschen allerlei Anweisungen haben. Man kann ihnen nur sagen: Schau auf dich selbst als Mutter, behandle dich ordentlich, dann wird das Kind, dessen Bildekräfte du doch noch dem Schöpfer überlassen mußt, schon in der richtigen Weise gedeihen.

Das ist dasjenige, was allerdings auch radikal ausgesprochen ist, aber was durchaus berechtigt erscheint gegenüber gewissen sophistischen Fragen nach gewissen Erziehungsprinzipien, die erst in das spätere Alter hineingehören. Dagegen muß man sich klar darüber sein, daß mit dem Eintreten des Zahnwechsels das Seelisch-Geistige sich so weit emanzipiert, daß man schon auch für das, was ja nun mitemanzipiert

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ist, das Erinnerungsvermögen, das Gedächtnis, Erziehungsgrundsätze entwickeln muß. Man muß sich nämlich klar sein darüber, daß man im schulpflichtigen Alter etwas tun muß, damit das Gedächtnis immer stärker und stärker wird. Da muß man es planmäßig entwickeln. Ent­wickelt man das Gedächtnis so, daß es überlastet wird, beziehungsweise durch Überlastung gestärkt werden soll, so wird es eben schwächer und schwächer. Dann erzieht man einen steifen Menschen, der sich für das Leben gewisse Vorurteile aneignet und über diese nicht hinaus kann. Erzieht man den Menschen so, daß man gar keine Rücksicht nimmt auf die Entwickelung seines Gedächtnisses, so gibt man ihm etwas nicht mit, was in gewissem Sinne kräftigend auf seinen Leib wirkt. Bei einem Menschen, bei dem man im schulpflichtigen Alter gar keine Rücksicht auf die Entwickelung des Gedächtnisses nimmt, wird man die Neigung zu allerlei entzündlichen Zuständen im späteren Jünglings- und Jung­frauenalter heranerziehen. Man wird dann die Neigung hervorrufen, daß ein solcher Mensch leicht Entzündungen und überhaupt Erkäl­tungen ausgesetzt ist.

Diese Dinge hängen schon einmal so zusammen, daß man das Leib­lich-Physische und das Geistig-Seelische zusammenschauen muß. Des­halb ist die Entwickelung des Gedächtnisses an einen ganz besonderen Erziehungstakt gebunden. Man darf in dieser Richtung nicht zu viel und nicht zu wenig tun. Man darf das Kind nicht in beliebiger Weise auswendiglernen lassen, um sein Gedächtnis zu stärken; man darf aber das Auswendiglernen auch nicht ganz übersehen. Und in der Tat, man kann ja in dieser Beziehung, ohne dem lebendigen Verständnis, das man im Kinde heranentwickeln will, zu schaden, noch auf die Ausbildung des Gedächtnisses Rücksicht nehmen.

Sehen wir zum Beispiel wie uns gewisse Dinge dazu die Handhabe geben. Wir können mit dem Kinde die ersten Zahlenverhältnisse in der im letzten Vortrag geschilderten Weise durchnehmen; wir können es so in die Beziehungen, in die subtraktiven, divisiven, additiven, multipli­kativen Verhältnisse der Zahlen einführen, daß ihm die Sache durch­sichtig ist, daß es also ein gewisses Verständnis dafür hat, in der Art, wie das gestern geschildert worden ist. Aber wir haben ja noch immer Gelegenheit, auch gedächtnismäßig das Kind das Einmaleins lernen

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zu lassen. Für die späteren komplizierten Zahlenzusammenhänge gibt es noch immer die Möglichkeit des Memorierens des Einmaleins, wenn man es nur richtig zu den Zahlenverhältnissen in Beziehung bringt.

In dieser Beziehung kann man wirklich durch sogenannten Anschau­ungsunterricht viel sündigen. Man hat die Rechenmaschine eingeführt. Ich will nicht fanatisch sein nach irgendeiner Richtung, sie mag auch ihr Gutes haben; schließlich hat ja alles im Leben von einem gewissen Punkte seine Berechtigung. Aber vieles von dem, was man durch aus­gedachte Rechenmaschinen erreichen kann, kann man ebensogut auch an den zehn Fingern erreichen und an der Zahl der Schüler, die in der Klasse sind, ohne daß man zu den komplizierten Rechenmaschinen übergeht. Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich in eine Schule hin­einkomme und die Rechenmaschine sehe, dann komme ich mir gegen­über dem Geistig-Seelischen doch so vor wie in einer Folterkammer des Mittelalters gegenüber dem Leiblich-Physischen! Es handelt sich wirklich darum, daß wir diese Dinge nicht ins Äußerlich-Mechanische überführen, um von dem scheinbar innerlich Mechanischen des Memo­rierens abzukommen.

Nun, in dieser Beziehung ist uns ja in der Waldorfschule eine be­sonders schwierige Aufgabe dadurch gestellt, daß wir wirklich in see­lisch-ökonomischer Weise erziehen wollen, daß wir also das eigent­lich Unterrichtliche in die Schule verlegen wollen und dem Kinde mög­lichst wenig Schulmäßiges noch außer der Schulzeit zum Arbeiten las­sen wollen. Das kommt aus einer anderen Maxime her. Gewiß, man soll bei dem Kinde das Pflichtgefühl entwickeln. Wir werden noch davon sprechen, wie es entwickelt werden kann. Aber es ist von be­sonderem Schaden, wenn es in der Schule so zugeht, daß der Lehrer etwas von dem Schüler haben will und der Schüler das nicht tut. Dazu verleiten die Hausaufgaben zu stark, überhaupt das hausmäßige Lernen.

Eltern beschweren sich, beklagen sich bei uns öfters darüber, daß die Kinder so gar nichts zu tun haben außerhalb der Schulzeit. Aber da muß schon einmal - für den, der unbefangen Seelenerfahrungen machen kann, zeigt sich das ganz klar - darauf Rücksicht genommen werden, daß das Zuviel der häuslichen Aufgaben eben das hervorruft, daß eine Anzahl von Kindern vielleicht sich übernimmt an der Arbeit,

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andere aber einfach zum Schlendrian kommen und die Dinge nicht machen. Manchmal können ja auch die Kinder nicht alles das machen, was man von ihnen in der Schule verlangt! Das Schlimmste aber ist in der Schule, wenn dasjenige, was der Lehrer haben will, von den Schü­lern nicht ausgeführt wird. Daher soll man lieber sparen mit dem, was man von den Kindern haben will, als daß man riskiert, daß sie das nicht ausführen, was man haben will. Nach dieser Richtung hin muß das, was man in bezug auf die Ausbildung des Gedächtnisses und auch in anderer Beziehung an Hausaufgaben verlangt, besonders mit Takt behandelt werden. Das Entwickeln des Gedächtnisses hängt von einem außerordentlich feinen Erziehungstakt ab und ist in besonderem Maße daran beteiligt, das richtige Verhältnis zwischen dem Erzieher und der zu erziehenden Schulklasse zu entwickeln.

Wie wir uns verhalten gegenüber dem Überladen des Gedächtnis­ses und dem zu lässigen Behandeln der Gedächtnisentwickelung, wer­den wir morgen noch besonders besprechen.

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ELFTER VORTRAG Dornach, 2. Januar 1922

Gestern habe ich zuletzt versucht, über die Entwickelung des Gedächt­nisses zu sprechen. Gerade gegenüber dieser Gedächtnisentwickelung wird man bemerken können, daß heute der Mensch bei seinen Maximen über das Erziehungs- und Unterrichtswesen recht wenig auf das Rück­sicht nimmt, was sich einer wirklichen Menschenerkenntnis als die Fortsetzung und Umwandelung gewisser Impulse in das spätere mensch­liche Leben hinein ergibt. Es ist ja heute sogar vielfach so, daß der Er­wachsene die Art und Weise, wie sein Organismus ist, wie sein Seelen-leben ist, sich klarzumachen versucht, und von dem, was ihm als das Bequeme, als das Richtige für sich als Erwachsenen erscheint, setzt er dann auch ganz unbewußt voraus - ich behaupte gar nicht, daß das mit vollem Bewußtsein geschieht -, daß das auch gegenüber dem Kin­desalter unternommen werden müsse.

Aber gerade dadurch kommt man dem Kinde gegenüber in schiefe Lagen. Bedenken Sie nur einmal das Folgende: das Kind ist ja so zu behandeln, wie es seinen inneren Entwickelungskräften gemäß ist; es erfordert schon einmal während seines Kindesalters gewisse Dinge, zum Beispiel gerade dasjenige im umfassendsten Sinne, was ich als Autori­tätsgefühl geschildert habe; das Kind erfordert schon einmal durch seine Natur das, was unmittelbar und in seinem speziellen Wachstum angesehen werden muß. Nehmen Sie einmal den Fall an, irgend jemand kommt in seinem vierzigsten Lebensjahre dazu, daß ihm etwas aus der Seele heraufzieht. Durch die äußeren Erlebnisse verbreitet sich ihm plötzlich Licht über dasjenige, was da aus seiner Seele heraufzieht. Und was da aus seiner Seele heraufzieht, das hat er vielleicht auf die Autorität des von ihm geliebten Lehrers und Erziehers im achten oder neunten Lebensjahr aufgenommen. Damals konnte er es nicht anders als gedächtnismäßig annehmen, denn das innere Verständnis für eine sol­che Sache ist vielleicht erst mit dem vierzigsten Lebensjahr vorhanden -obwohl man heute nicht daran glaubt. Man kann aber mit dem Erwer­ben solcher Dinge nicht bis zum vierzigsten Jahre warten; deshalb

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entwickelt man ja die Sehnsucht nach Autorität im richtigen Lebens­alter. Aber wenn das eingetreten ist, daß, was man im achten Lebens­jahre auf Autorität hin aufgenommen hat den Erlebnissen der Außen­welt gegenüber, im vierzigsten Jahre heraufschießt und dadurch ein neues Licht bekommt, dann wirkt dieser Vorgang, verknüpft mit einem Empfinden eines inneren Lebensgefühles, erfrischend auf den ganzen Menschen. Eine innere Kraft entwickelt sich an einem solchen Vorgang, die man gar sehr im späteren Leben braucht. Und wenn man recht viel von dieser Art hat, was man auf das Autoritätsgefühl hin aufgenommen hat, und was dann in dieser Weise durch die späteren Lebensverhält­nisse aus dem Organismus heraufschießen kann, dann hat man das ganze folgende Leben hindurch viele Lebenserfrischungsquellen in sich. Manche Menschen altern seelisch und leiblich heute so früh, weil ihnen gerade diese Erfrischungsquelle fehlt, da es schon zu lange her ist, daß man darauf nicht gesehen hat, in einer vernünftigen, ich sage also in einer vernünftigen Weise, auch auf die Ausbildung desjenigen zu ach­ten, was im schulmäßigen Alter nur dem Gedächtnis überwiesen werden kann, da es auf Treu und Glauben, auf das Autoritätsgefühl hin aufge­nommen werden muß.

Man hat, wie ich schon gestern sagte, wirklich noch viele Gelegen­heit, auch die Verständnisfähigkeiten zu pflegen neben dem, was man dem Gedächtnis anvertraut. Aber es ist zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife für das kindliche Alter durchaus notwendig, daß man sich in eine rationelle Methode der Entwickelung auch des Gedächtnisses hineinfindet, denn man entbehrt sonst viel zu viel im späteren Leben, wenn man diese Entwickelung des Gedächtnisses nicht durchgemacht hat.

Wenn ich von dem Gesichtspunkte aus sprechen würde, durch meine Rede bloß irgendwelchen Gefallen hervorzurufen, so würde ich man­ches anders sagen müssen. Aber ich will eben nur die Dinge sagen, die sich aus einer Menschenerkenntnis, die durch jahrzehntelange anthro­posophische Forschung gewonnen worden ist, ergeben, und deshalb muß manches gegenüber sehr verbreiteten Anschauungen der Gegen­wart eben paradox klingen. Manches wird vielleicht den Eindruck des Veralteten machen, manches den Eindruck des allzu Neuen. Um alles

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das kann es sich nicht handeln, sondern lediglich, ob die Dinge vor einer wirklichen Menschenerkenntnis Bestand haben oder nicht. Wenn man der Gegenwart gegenübersteht, muß man ja in bezug auf diese Menschenerkenntnis der Gegenwart sagen, sie ist eigentlich so gewon­nen, als ob man eine Uhr kennenlernen wollte, die man nur von außen anschaut. Man kann ja lernen, die Zeit anzugeben nach dieser Uhr; man kann auch erkennen lernen, ob sie aus Gold oder Silber ist, man kann aber nicht Uhrmacher dadurch werden. Nun, auch dasjenige, was wir heute Biologie, Physiologie, Anatomie nennen, ist ja nur eine Anschauung des Menschen von außen. Ein wirkliches Durchsichtig-werden der menschlichen Natur entsteht erst dann, wenn der Mensch nach Leib, Seele und Geist durchschaut wird. Aber erst eine solche Erkenntnis nach Leib, Seele und Geist gibt die Möglichkeit, den Men­schen auch in entsprechender Weise zu behandeln. Und so ergibt sich auch erst vor einer wirklichen Menschenerkenntnis ein richtiges Urteil über eine Frage, die erst im Zusammenhange eine Beleuchtung in rech­ter Beziehung erfahren kann: die Frage der Ermüdung des Schülers.

Man wirft heute die Frage so auf, daß man Versuche darüber macht, wie das Kind durch das eine oder das andere ermüdet, und man möchte dann den Unterricht so einrichten, daß man nach diesen Ergebnissen geht und versucht, dasjenige zu überwinden, was den Schüler eben zu stark ermüden kann. Diese Frage ist aber über die ganze Welt hin heute eigentlich falsch gestellt. Man kann gar nicht so fragen, wenn man wirkliche Menschenerkenntnis hat. Denn bedenken Sie nur, was wir gerade in den letzten Tagen hervorgehoben haben: für das schulmäßige Alter soll der ganze Unterricht und die Erziehung so orientiert werden, daß sie auf das Rhythmische, auf das Musikalische gehen, daß sie also vorzugsweise Atmungs- und Zirkulationssystem in Anspruch nehmen.

Nun frage ich Sie: liegt im Atmungs- und im Zirkulationssystem, also im mittleren Menschen, der für das schulmäßige Alter vorzugsweise in Betracht kommt, liegt da der Quell der Ermüdung? Nein, Sie atmen durch das ganze Schlafen durch, Sie atmen von der Geburt bis zum Tode, Sie haben Ihre Zirkulation von der Geburt bis zum Tode. Das wird nie durch Ermüdung unterbrochen, denn es wäre schlimm, wenn das durch Ermüdung unterbrochen würde. Man appelliert also in einer

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wirklichen Erziehungskunst gerade an diejenigen Organe, die der Er­müdung gar nicht unterworfen sind, und damit wird diese Ermüdungs­frage durch eine auf Menschenerkenntnis beruhende Methodik über­haupt auf eine ganz andere Grundlage gestellt.

Wo liegen eigentlich die Quellen der Ermüdung für den Menschen? Sie liegen im Kopfsystem und im Gliedmaßensystem. Auf diese muß man hinschauen, wenn man die Ermüdung in ihrem Wesen kennenlernen will. Und sie ist ganz verschiedener Art, je nach dem Kopfsystem, je nach dem Gliedmaßensystem.

Dasjenige, was vom Kopfsystem aus in den ganzen Organismus hin-einwirkt, wirkt so auf ihn, daß es die Ablagerung von Stoffwechsel-produkten fördert, daß es den Menschen mit allerlei salzartigen Ab­lagerungen durchdringen will. Das ist etwas, was in das Atmungs- und Zirkulationssystem eingreift, was aber deshalb der Ermüdung unter­worfen ist, weil es mit der Außenwelt in Beziehung steht, weil es in einer nicht-rhythmischen, in einer nichtmusikalischen Weise von der Außenwelt abhängig ist; während der Atmungs- und Zirkulations­rhythmus so fest an die Organisation gebunden sind, daß sie ein Gleich­gewicht für sich in ihren eigenen Gesetzen haben. Dasjenige, was für sich ein abgeschlossenes System ist, kann nicht ermüden, wenigstens nicht in erheblichem Maße. Man kann durch falsche Maßnahmen, die für das Kind oder auch für den Erwachsenen den Rhythmus zerstören, erkrankend wirken. Aber dessen muß man sich voll bewußt sein, daß dasjenige System, das für eine der Menschennatur entsprechende Er­ziehungskunst vor allen Dingen in Betracht kommt, überhaupt nicht ermüdet.

Das Gliedmaßen-Stoffwechselsystem ermüdet. Sie können das be­obachten, wenn Sie eine Schlange anschauen, nachdem sie gefressen hat. Das Gliedmaßen-Stoffwechselsystem ermüdet, hat wenigstens den Quell der Ermüdung für den ganzen Menschen in sich. Es ermüdet auf andere Weise als das Kopfsystem. Das Kopfsystem wirkt Salze abla­gernd, mineralische Einschläge im Organismus ablagernd. Das Glied­maßen-Stoffwechselsystem wirkt so auf den Menschen, daß es ihn eigentlich durch Wärme fortwährend auflösen will. Es wirkt nach der entgegengesetzten Richtung, aber wiederum so, daß die Art, wie es

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wirkt, nicht vom inneren Rhythmus abhängt, sondern von dem, was ich in der Außenwelt mit meinen Gliedmaßen vornehme und was ich mit meinem inneren Stoffwechselsystem vornehme, indem ich esse und trinke. Das vollziehe ich ja auch oftmals in Unregelmäßigkeit, denn die wenigsten Menschen geben sich einem vollständigen Rhythmus in bezug auf Essen und Trinken hin. Da wirkt, ich möchte sagen, der polarische Gegensatz ermüdend auf den Menschen.

Was folgt also aus diesem? Daß die ganze Ermüdungsfrage auf eine andere Basis gestellt werden muß, daß gefragt werden muß: Wenn nun das Kind zu früh ermüdet, was hat man denn da falsch gemacht? -Man soll nicht einfach a priori voraussetzen: der Unterricht ist richtig. Und jetzt notiert man: nach einer halben Stunde macht das Kind in einer Zeile so und so viel mehr Fehler als vor der halben Stunde; oder man notiert: das Kind merkt sich jetzt nach einer halben Stunde sinn­los hingeworfene Worte in einer geringeren Zahl als vor einer halben Stunde. Auf diese Weise kann man nie dem nahekommen, was die wirkliche Menschennatur ist, sondern allein dadurch, daß man ver­steht, an das Leben die richtigen Fragen zu stellen. Die richtige Frage mit Bezug auf die Ermüdung ist diese: Wenn die Ermüdung zu früh eintritt, hat man entweder das Kopfsystem oder das Gliedmaßensystem überlastet; man muß nun allerdings damit einsetzen, es nicht zu über­lasten. Aber man muß nun nicht glauben, daß dies lediglich durch Verteilung des Lehrstoffes zu erreichen wäre, denn die Gymnastik kann nicht recht auf den Kopf wirken und wiederum wirkt das Rechnen nicht unmittelbar auf den Stoffwechsel, wohl aber in mittelbarer Weise. Es handelt sich deshalb nicht darum, daß man dies durch eine Vertei­lung nach dem Stundenplan bewirkt, sondern durch ein künstlerisches Gestalten des ganzen Unterrichts- und Erziehungswesens im schul­pflichtigen Alter, so daß man in der Tat an das nicht ermüdende System anknüpft - in der Weise, wie ich es angedeutet habe -, und dadurch auch die anderen Systeme, das Kopfsystem und das System des Stoff­wechsels und der Gliedmaßen, in der richtigen Weise mitzieht.

Also Sie sehen, dasjenige, was sehr häufig gerade aus dem Vorurteil der Gegenwart heraus gefragt werden kann über irgendeine bestimmte Erziehungsmethode, das kann eigentlich gegenüber der Waldorfschul­-Pädagogik

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nicht gefragt werden, weil sie eben auf einer wirklichen Menschenerkenntnis in ihrem ganzen Umfange beruht. Und weil sie auch über das Geistige und Seelische des Menschen versucht Licht zu schaffen, kann sie auch Behandlungsmethoden, die auf den ganzen Menschen gehen, wirklich ergründen.

So handelt es sich darum zum Beispiel einzusehen, daß das Haupt-, das Kopfsystem des Menschen im Grunde genommen dasjenige in sich trägt, was, am meisten in der Kindheit, dann immer weniger, an Kräften plastizierend, gestaltend den ganzen menschlichen Organismus durch­dringt, durchkraftet. Dasjenige, was dadrinnen wirkt als die dirigie­renden Gedanken, hat sich eigentlich der Mensch mit seinen Anlagen durch die Geburt oder Empfängnis mit in die Welt gebracht. Das ist so weit gekommen, daß es darauf hinorganisiert ist, den Menschen zu gestalten. Würde der Kopf nicht mit der Außenwelt in Berührung treten, würde dadurch nicht der Rhythmus im Menschen gestört wer­den, dann wäre, wenn ich mich so ausdrücken darf, dasjenige, was da im Kopfe durch die Geburt angekommen ist, mit der materiellen Organisation des Menschen zufrieden. Der Mensch würde in seine materielle Organisation ausfließen. Die würde ihn ganz in Anspruch nehmen, in der würde er ganz aufgehen, und er würde nicht den An­schluß finden an die übersinnlich-geistige Welt. Sein Inneres würde immer künstlicher und künstlicher werden, aber er würde getrennt werden von der geistigen Welt. Und wiederum, wenn der Mensch durch sein Gliedmaßen-Stoffwechselsystem nicht zusammenhängen würde mit der äußeren Welt, würde er die Erwärmung, die Durchglühung des­jenigen, was vom Kopfsystem aus immer vollkommener und vollkom­mener, künstlicher und künstlicher sein würde, nicht erreichen.

Das sind zwei polarische Gegensätze. Der Kopf schließt uns eigent­lich fortwährend aus von der geistigen Welt, weil er unseren Leib so gestaltet, daß wir aus diesem Leibe heraus kein rechtes Verhältnis zur geistigen Welt gewinnen können; denn der Kopf mit seinem Inhalte hat im vorgeburtlichen Dasein seine Entwickelung abgeschlossen, und dasjenige, was der Kopf an uns materialisiert, das wird fortwährend entmaterialisiert durch dasjenige, was in den Kräften des Stoffwechsel­Gliedmaßenmenschen liegt. Dadurch wird in unserem materiellen System

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das Gleichgewicht hervorgerufen. Und dazwischen liegt dasjenige drinnen, was wie ein in sich selbst gebautes System ist, das rhythmische System, das Atmungssystem, das Zirkulationssystem, wie eine abge­schlossene Welt in sich, wie ein wirklicher Mikrokosmos, das aber des­sen bedarf, daß der Kopf nicht etwa im Extrem so wirkt, wie das unter gewissen Voraussetzungen geschehen kann, wo dann die Lunge mit allerlei unrichtigen Organisationsprinzipien durchzogen wird. Das verspüren wir dann in den Verhärtungen der Lunge, in den Neubil­dungen der Lunge bei lungenkranken Leuten.

Und wiederum auf der anderen Seite braucht der Mensch diesen polarischen Gegensatz, der von seinem Stoffwechsel-Gliedmaßenorga­nismus herkommt, und der eigentlich dasjenige auflöst, was sich vom Kopfe her verhärten will. Das ist auch in der Medizin wichtig; denn wenn man den Zusammenhang erkennt zwischen dem, was vom Kopfe kommt und dem, was vom Stoffwechsel kommt, so wird man zum Bei­spiel manches, was an Krankheitserscheinungen im Kehlkopf, in der Luftröhre oder auch in der Lunge auftritt, obgleich es vom Kopfe her­rührt, vom Stoffwechselsystem aus kurieren. Die Leute sind dann er­staunt, wenn insbesondere bei Kinderkrankheiten sich in den oberen Organen irgend etwas zeigt, und man die ganze Geschichte dadurch kuriert, daß man den Stoffwechsel verändert und dann eine wirkliche Heilung eintritt. Der Mensch ist eben ein Ganzes und muß als ein Ganzes behandelt werden. Das macht sich auf allen Gebieten geltend, sowohl auf dem Gebiete einer wirklich rationellen Therapie wie auch auf dem Gebiete der Erziehungs- und Unterrichtskunst.

Ich bitte Sie, zu beachten, daß wir ja trotz der großen Fortschritte, die wir im Laufe der letzten Jahrhunderte in der Erkenntnis haben, gerade in der Menschenerkenntnis nichts Erhebliches haben leisten können, weil die Methoden der modernen Erkenntnis im Grunde genommen nur auf das Leiblich-Physische, auf das Außerliche gehen. Nun ist es ganz besonders wichtig, um Erziehungskunst treiben zu können, gerade für das Kindesalter, das sich an den wichtigen Lebenswendepunkt zwi­schen dem neunten und zehnten Lebensjahr anschließt, für das kind­liche Lebensalter zwischen dem zehnten Jahre und der Geschlechtsreife,

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wirklich in den Menschen praktisch hineinzuschauen, zu sehen, welches die leiblichen, die seelischen. die geistigen Bedingungen der Entwicke­lung sind.

Wenn wir das Kind mit einer wirklichen Menschenerkenntnis be­obachten, dann zeigt sich, daß von dem Zeitpunkte, der zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahre bis gegen das zehnte Lebensjahr hin liegt, das Kind alles das, was es seelisch verarbeitet, so verarbeitet, daß vorzugsweise das Muskelsystem in seinen Wachstumskräften überall mitarbeitet. Es geht in dieser Zeit im Kinde eben nichts anderes vor, als daß mit dem Seelischen das Muskelsystem mitarbeitet, und zwar in seinen intimeren Wachstumskräften mitarbeitet. Das innere Schwellen, Längerwerden der Muskeln, ist im wesentlichen davon abhängig, wie die Seelenkräfte sich entwickeln. Und das Eigentümliche im kindlichen Alter zwischen dem zehnten und zwölften Jahre ist dieses, daß die Muskeln ein intimes Verhältnis zum Atmungs- und Zirkulationssystem haben; sie neigen zum Atmungs- und Zirkulationssystem hinüber. Und an das appellieren wir ja gerade in einer wirklich kunstgemäßen Er­ziehung. Also wir greifen auf dem Umwege durch das Atmungs- und Zirkulationssystem in das Muskelsystem ein.

Gegen das zwölfte Jahr hin tritt beim Kinde etwas ganz anderes ein. Da wenden sich die Muskeln von ihrem intimen Verhältnis zum At­mungs- und Zirkulationssystem ab und wenden sich zum Knochen-system, zum Skelett hin, entwickeln sich so, daß sie sich von da ab an das Skelett anpassen. Während sie sich vorher in ihren Wachstums-prinzipien an Atmungs- und Blutumlauf angepaßt haben, passen sie sich jetzt an die Dynamik des Skeletts an. Sie machen in ihren Wachs­tumskräften alles das mit, was wir im Gehen, Greifen, Springen, über­haupt im Gliedmaßensystem, im Knochensystem abwickeln. Der Mus­kel wendet sich von seiner Intimität zum Atmungs- und Zirkulations­system herüber zu einer Intimität mit dem Skelett- und Knochen-system. Dadurch paßt sich der ganze Mensch in einer sehr starken Weise an die Außenwelt an, noch in einer stärkeren Weise vom zwölf­ten Jahre ab, als es früher war. Früher war er ja in seinem Muskelsystem nach innen gerichtet. Er ließ seine Muskeln wachsen, wie es das im Inneren abgeschlossene rhythmische System vermag. Er bewegte sich

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im Appell an das Muskelsystem, und er schleppte die Knochenform bloß mit. Jetzt, gegen das zwölfte Jahr hin, wird es ganz anders; jetzt stellt er sich mit seinem Muskeiwachstum in die Mechanik, Dynamik des Knochensystems hinein.

Wer einen wirklichen Blick dafür hat, was da zwischen dem elften und zwölften Jahre mit dem Kinde vor sich geht, wie es bis gegen diese Zeit hin sein Muskelsystem behandelt und die Knochen mit­schleppt, wie es dann anfängt, sich in das Knochensystem, also in die äußere Welt sich hineinzuversetzen, der hat einen tiefen Einblick getan in die ganze Entwickelung der menschlichen Natur.

Solche Dinge führen eben heraus aus jener abstrakten, intellektua­listischen Betrachtung, die wir heute anwenden, und die wir auch ganz unbewußt in die Erziehung hineintragen. Sie führen dazu, den Men­schen als Erzieher menschlich dem Kinde gegenüberzustellen. Wenn man sich mit solchen Empfindungen dem Kinde gegenüberstellt, macht man mit ihm wahrhaftig nicht die Prozedur, die etwa mit dem Mar­syas gemacht worden ist. Die Leute könnten natürlich zurückschrecken vor einer solchen, zu durchsichtig gemachten Menschenerkenntnis, weil sie glauben, man tranchiere dann den Menschen, man schneide seelisch in ihn hinein. Aber das ist nicht der Fall. Diese Anschauung ist zugleich künstlerisch und Erkenntnistat. Es wird alles künstlerisch in der An­schauung, und das ist es, was notwendig ist, wenn man gerade dieses Lebensalter bis zu der Geschlechtsreife hin ordentlich ins Auge fassen will, diesen Übergang von der Intimität der Muskeln und des Atmungs­Zirkulationssystems bis zum zwölften Jahre und die Intimität von Muskeln und Knochen vom zwölften Jahre bis zur Geschlechtsreife.

Bemerken Sie, wie der Mensch sich eigentlich an die Welt anpaßt:

Beim ganz kleinen Kind sitzen die plastizierenden, gestaltenden Kräfte im Gehirn; die strahlen von da aus. Dann geht die Sache an die Mus­keln über. Und wenn der Mensch im zwölften Jahr angekommen ist, setzt er seinen ganzen Menschen ins Skelett hinein, und dann geht es heraus in die Welt, dann erst geht es heraus. Der Mensch geht durch sich durch und kommt dann in eine Beziehung zu der ganzen Welt. Zuerst Kräfte des Kopfes; diese Kräfte des Kopfes werden dann später in die Muskeln hineinergossen, dann in die Knochen hinein; der Mensch

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setzt sich in die Knochen hinein, und wenn er geschlechtsreif geworden ist, setzt er sich in die ganze Welt hinein. Da steht er erst in der Welt in Wirklichkeit drinnen.

Diese Sache muß beachtet werden, wenn man die richtige Vertei­lung des Unterrichts- und Erziehungsstoffes gerade für dieses Lebens­alter des Kindes finden will. Aber wir sind eben heute wirklich nicht gesegnet mit einer gründlichen Menschenerkenntnis. Und jetzt ver­zeihen Sie mir, wenn ich ein arges Paradoxon vor Sie hinstellen muß. Das bin ich ja oft genötigt, weil ich schon einmal dasjenige, was an­throposophische Wahrheit ist, bekennen muß. Es ist eine arge Ketzerei und ein Greuel für die heutige Physiologie, Biologie und Anatomie, aber es ist nun einmal so.

Sehen Sie, heute hat sich ja alles, möchte ich sagen, was der Mensch über den Menschen denkt, nach dem Kopfe hin geschlagen, und ob­wohl uns der Kopf selber fortwährend in das Materielle hineindrängt, eigentlich uns jeden Tag totschlagen will, wendet sich alle Menschen-betrachtung heute im Grunde genommen dem Kopfe zu. Das ist das Ungesunde der heutigen Menschenbetrachtung. Sie geht eigentlich von der Wissenschaft aus, diese Menschenbetrachtung, denn man denkt sich: im Kopfe ist das Gehirn, alles wird vom Gehirn aus dirigiert. Nun weiß ich nicht, wie man es gemacht hätte, wenn man diese Theo­rie in einem Zeitalter ausgebildet hätte, wo es noch keine Telegraphen gegeben hat, wo man also nicht von Tel egraphenleitungen die Analogie hat hernehmen können. Aber das braucht uns ja auch nicht weiter zu interessieren. Die Theorie von dem Nervensystem ist ja ausgebildet worden, nachdem man die Telegraphenleitungen als einen Anhalts­punkt hatte, um eine Analogie zu bilden. Und so hat man denn das Gehirn als eine Art Zentralstation, sagen wir, London. (Es wird ge­zeichnet.) Dann hat man, wenn das das Zentrum ist, dann hat man vielleicht da Oxford, da Dover. Und nun, indem man London als das Zentrum betrachtet, sagt man sich: es geht eine Leitung von Oxford nach London; da wird umgeschaltet, und das geht dann weiter nach Dover. Man kann sich das ja unter gewissen Fällen so vorstellen.

Nun, so stellt man sich das Gehirn vor. Der Nerv geht zu dem Sinnesorgan hin, die Sensation tritt auf, wird bis zum Gehirn geleitet;

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da im Gehirn ist die Zentralstation, das menschliche London. Dann geht der motorische Nerv vom Gehirn zu den Bewegungsorganen hin und treibt in Gemäßheit der Gedanken, die da irgendwie dazwischen sitzen, das Wollen, die Bewegung hervor.

Man kann, wenn man eine solche Theorie ausgesonnen hat, sogar die Tatsachen so registrieren, daß sie diese Theorie zu bestätigen schei­nen. Sie können ja heute jedes Physiologiebuch in die Hand nehmen und Sie werden, wenn Sie nicht sehr vorurteilsvoll sind - denn die Dinge schauen alle sehr plausibel aus -, da einfach sehen, wie die Expe­rimente mit dem Nervenzerschneiden gemacht werden, wie die Kon­klusionen gezogen werden aus der Reaktion und so weiter, und alles stimmt wunderbar. Es stimmt nur nicht vor einer eindringlichen Men­schenerkenntnis. Da ist es schließlich nicht so.

Ich will ganz absehen davon, daß ja schließlich die sensitiven von den motorischen Nerven anatomisch fast gar nicht zu unterscheiden sind; die einen sind höchstens etwas dicker als die anderen; aber in bezug auf die Struktur ist wirklich ein wesentlicher Unterschied nicht vorhanden. Was anthroposophische Forschung in dieser Beziehung lehrt - ich kann das nur andeuten, nur Ergebnisse mitteilen, ich müßte sonst anthroposophische Physiologie vortragen -, das ist dieses, daß die Nerven durchaus einheitliche Organe sind, daß es ein Unding ist, von zweierlei Nerven, von sensitiven und motorischen Nerven zu sprechen. Da im Seelischen das Willensmäßige und Empfindungsmäßige überall durchgebildet ist, stelle ich es jedem frei, motorisch oder sensitiv zu sagen, aber er muß einheitlich werten, denn sie sind absolut einheit­lich, es gibt keinen Unterschied. Der Unterschied liegt nämlich nur in der Richtung der Funktion. Wenn der sensitive Nerv nach dem Auge hingeht, so öffnet er sich den Eindrücken des Lichtes, und es wirkt wiederum dasjenige, was an der Peripherie des Menschen liegt, auf einen anderen Nerv, den die heutige Physiologie als einen motorischen Nerv anspricht. Wenn er nun vom Gehirn ausgeht nach dem übrigen Organismus, so ist dieser Nerv dazu da, daß er dasjenige wahrnimmt, was bei einer Bewegung vorgeht. Eine richtige Behandlung der Tabes gibt schon auch durchaus Bestätigung dieses Resultates.

Der Nerv also, der motorischer Nerv genannt ist, der ist dazu da,

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um die Bewegungsimpulse, das, was da während der Bewegung vor­geht, wahrzunehmen, nicht um der Bewegung den Impuls zu geben. Nerven sind überall die Vermittlungsorgane für die Wahrnehmungen, die sensitiven Nerven für die Wahrnehmungen nach außen, die so­genannten motorischen Nerven, die auch sensitive Nerven sind, für die Wahrnehmungen nach innen. Es gibt nur einen Nerv. Und nur eine materialistischewissenschaftsgesinnung hat dieseTelegraphengeschichte als Analogon erfunden.

Diese materialistische Wissenschaftsgesinnung glaubt nämlich, eben­so wie sie für die Sensation, für die Empfindung, für die Wahrneh­mung der Vermittelung der Nerven bedarf, bedürfe sie auch der Ver­mittelung des Nervs für die Willensimpulse. Das ist aber nicht der Fall. Der Willensimpuls geht von dem Geistig-Seelischen aus. Da beginnt er, und er wirkt im Leibe, unmittelbar, nicht auf dem Umweg des Nervs, unmittelbar auf das Gliedmaßen-Stoffwechselsystem. Und der Nerv, der in das Gliedmaßen-Stoffwechselsystem hineingeht, vermit­telt nur die Wahrnehmung desjenigen, was das Geistig-Seelische an dem ganzen Menschen in bezug auf sein Gliedmaßen-Stoffwechselsystem tut. Wir nehmen dasjenige wahr, was eine Folge ist seelisch-geistiger Willensprozesse in der Blutzirkulation, im übrigen Stoffwechsel und auch in der mechanischen Bewegung der Glieder; wir nehmen das wahr. Die sogenannten motorischen Nerven sind keine motorischen Nerven, die sind bloß dasjenige, was die Außerungen, den Impuls des Willens wahrnimmt. Ehe man diesen Zusammenhang nicht einsehen wird, eher wird man nicht zu einer durchsichtigen Menschenerkenntnis kommen. Wenn Sie aber diesen Zusammenhang voll einsehen, dann werden Sie es auch begreiflich finden, daß ich nun eben ein Paradoxon, eine Ket­zerei vor Sie hinstellen muß: denn dann wirkt das Geistig-Seelische ja eben auf den ganzen übrigen Menschen.

Beim Kinde also bis gegen das zwölfte Jahr hin äußern sich die Wir­kungen nach Maßgabe des eben Geschilderten in den Muskelkräften, die ein intimes Verhältnis zur Atmung und zum Zirkulationssystem haben. Beim Kinde vom zwölften Jahre an bis zur Geschlechtsreife nach denjenigen Kräften hin, die gegen das Skelett gehen. So daß wir also vor dem zwölften Jahre mehr dasjenige, was noch in unseren Mus­keln

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liegt, mit dem sogenannten motorischen Nerv wahrnehmen, nach dem zwölften Jahre nehmen wir mit diesem sogenannten motorischen Nerv mehr dasjenige wahr, was in unseren Muskeln und Knochen vor­geht. Nun, wenn Sie bedenken, daß in allem Denken etwas Willens-mäßiges liegt - es ist ja Wille, was da wirkt, wenn ich Vorstellungen synthetisch zusammenfasse oder analytisch trenne, es ist überall Wille darinnen-, so müssen Sie diesen Willen auch im Organismus aufsuchen. Und gerade dieser Wille in der seelischen Funktion des Denkens ist in dieser Art angeschlossen, wie ich es jetzt geschildert habe. Indem wir ins zwölfte Jahr eintreten, lernen wir ein solches Denken, das nach der Willensnatur seine Vorgänge in den Knochen, in der Skelettdynamik hat. Wir machen da den wichtigen Übergang vom weichen System des Menschen zum ganz harten System, das sich, ich möchte sagen, wie ein objektives Hebelsystem in die Welt hineinstellt.

Das ist die Ketzerei, das Paradoxon, das ich vor Sie hinstellen muß, daß der Mensch, wenn er seine Gedanken über die unbelebte äußer­[iche Natur faßt, das nicht in unmittelbarer Weise mit dem Kopfe, mit dem Gehirn tut, sondern daß er es mit dem Skelett tut. Selbstver­ständlich, man kann darüber lachen, wenn man in der heutigen Phy­siologie drinnensteckt, daß da einer in Dornach ist, der behauptet, daß die Menschen mit den Knochen abstrakt denken; aber die Sache ist eben so. Es wäre bequemer, das nicht auszusprechen, aber es muß eben ausgesprochen werden, denn wir brauchen eine wirkliche Menschen-erkenntnis. Was wir an Gedanken im Gehirn haben, das sind nur Bilder dessen, was sich im wirklichen Gedankenprozeß abspielt. Dasjenige, wofür das Gehirn das Werkzeug ist, das sind die passiven Bilder für die wirklichen Prozesse, die sich beim Denken abspielen. Daß das Denken zum Bewußtsein kommt, das ist von diesen Bildern abhängig; aber in diesen Bildern liegt nicht die innere Kraft, die im Denken wirkt, liegt nicht das Willensgemäße des Denkens. Dasjenige, was das Wesen-hafte des Denkens ist, das hat mit diesen Bildern, die das Gehirn zur Voraussetzung haben, nicht mehr zu tun als ein Bild, das Sie dort auf der Wand sehen würden von Herrn X, mit dem wirklichen Herrn X zu tun hätte. Sie müssen das Bild von Herrn X von dem wirklichen Herrn X unterscheiden. So unterscheidet sich der reale Prozeß, der sich während

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des Denkens abspielt, von den Bildern. Während des Denkens über die physische Natur waltet eigentlich der Prozeß im ganzen, im vollen Menschen, und zwar gerade für das Denken im Skelett. Wir setzen uns auch mit unserem Denken in das Skelett hinein mit unserem zwölften Jahre. Das ist dasjenige, was uns einen wirklichen inneren An­haltspunkt bietet für das, was wir zu tun haben in der Überleitung des Unterrichts zu dem, was ich gestern charakterisierte: das Kennenlernen der Pflanzenwelt im Zusammenhang mit der Erde, das Kennenlernen der Tierwelt im Zusammenhang mit dem Menschen bis zu dem zwölf­ten Jahre, bis zu der Geschlechtsreife.

Mit dieser Aufmerksamkeit in der Richtung der seelisch-geistigen Or­ganisation muß dasjenige zusammenhängen, was in der Reihenfolge der Unterrichts- und Erziehungsinhalte gegliedert wird. Gerade dieses Teilnehmen des Muskelsystems, das innerlich weich ist, im Zusammen-hange mit dem Atmungs- und Zirkulationssystem, das veranlaßt, wenn man alle Dinge durchschaut, dazu, zu finden, daß das Kind vom zehn­ten bis zum zwölften Lebensjahre so das Pflanzliche, das Tierische ken­nenlernen muß, wie es geschildert wurde, also dasjenige, was noch mit dem Inneren des Menschen verwandter ist als das Außermenschliche, das Mineralische, das Dynamische, das Physische und so weiter, das nicht mehr zum Menschlichen gehört. Es muß daher der Unterricht, wenn es gegen das zwölfte Jahr hingeht, an dasjenige im Menschen appellieren, was sich jetzt als seine besondere Wesenheit herausstellt. Jetzt muß man beginnen, dasjenige, was man zuerst im Bildhaften ge­halten hat, was man dann in das lebendig Pflanzliche, in das empfin­dend Tierische übergeführt hat, in das Begreifen, in das verstandes­mäßig-intellektualistische Begreifen der unorganischen Natur überzu­führen.

Jetzt sind wir erst an dem Punkt, wo sich der Mensch selber als ein physisches Wesen mit Dynamik, Mechanik in die Welt hineinstellt und als solches erlebt. Jetzt ist erst die Möglichkeit geboten, daß man mit dem, was Physik, Chemie auch in ihrem einfachsten Elemente ist, was als Erde der Chemie, Dynamik unterworfen ist, was Mineralogie, Mineralkenntnis ist, an den Menschen herankommt. Wenn man das

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Mineralische, das Dynamische, das Physikalische, das Chemische vor­her an den Menschen heranbringt, greift man, unbewußt, schädigend in die menschliche Natur ein. Auf der anderen Seite ist dasjenige, was Erfassen der sogenannten geschichtlichen Zusammenhänge, der Über­schau über die Geschichte ist, was Erfassen der treibenden Impulse im Geschichtlichen, im sozialen Werden ist, nur ein polarischer Gegensatz zu dem Erfassen des Physischen, des Mineralischen. Dafür werden die Kinder auch erst reif, wenn es gegen das zwölfte Jahr hingeht. Das­jenige, was die historischen Ideen sind, die Impulse, die durch das ge­schichtliche Leben durchgehen, die in soziale Gestaltungen eingreifen, die sind, obwohl sie wiederum etwas ganz anderes sind auf geschicht­lichem Gebiete, dennoch gleichsam das Skelett der Geschichte, während das Fleisch, während die Muskeln die lebendigen Menschen sind mit ihren Biographien und die unmittelbaren konkreten Ereignisse im Ge­schichtlichen. Daher müssen wir in der Geschichtsbehandlung, die wir auch schon zwischen dem zehnten und zwölften Lebensjahre einfügen müssen, so vorgehen, daß wir abgeschlossene Bilder, an denen sich das Gefühl erwärmen kann, zu denen das Gefühl hinaufschauen kann, er­zählen, Biographisches, Charakteristiken abgeschlossener Ereignisse, nicht abstrakte durchgehende Impulse. Die kommen an das Kind her­an, wenn das zwölfte Jahr herangekommen ist, wo dasjenige eintritt, was eben dann durch das Stehen des Menschen in der Außenwelt be­dingt ist - er geht ja ganz von innen nach außen; nun kann er auch dasjenige erfassen lernen, was als geschichtliche Impulse von außen her die einzelnen Menschen ergreift.

Das muß durchaus beachtet werden, sonst geht man von dem, was man an dem erwachsenen Menschen, an sich selbst erlebt, durch gewisse Symptome zum Kinde hinunter. Und man sagt dann: Nun ja, es ist in der Wissenschaft so, zuerst begreift man das einfache Physikalische, Chemische, nachher steigt man zu dem anderen herauf; so muß es auch der Unterricht machen. Aber das entspricht nicht der kindlichen We­senheit. Was in dieser Beziehung das Einfachste ist, die abstrakten Linien, die durch das Dasein gehen, die sich ja im Mineralisch-Physi­schen erschöpfen, die werden erst wirklich von dem Kinde verstanden, wenn das Kind auf sein Skelett gestellt ist und mit seinem ganzen Men­schen

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dynamisch-physisch, wie nach einem Hebelgesetze, nach dynami­schen Gesetzen sich in der Außenwelt herum bewegt. Wir haben einmal in unsere Weltauffassung die Anschauung aufgenommen, daß wir im­mer mehr und mehr übergehen müssen, alles nach und nach in eine Art Naturgesetz zu verwandeln. Und so sehen wir, wie Historiker bemüht sind, das soziale Element in der Geschichte dadurch zu behandeln, daß sie die Impulse der Geschichte möglichst nahe an die Naturgesetze her-anrücken.

Dieser Hang entsteht dann schon im Kinde, wenn man die physi­kalisch-chemischen Gesetze vor dem zwölften Lebensjahr behandelt, und wenn man das Organische oder das Menschliche erst nachher be­handelt. Weil man die Dinge an die falsche Stelle gesetzt hat, trägt dann das Kind dasjenige, was es an den bloßen Naturgesetzen emp­funden hat, auch in das soziale Leben und in die Geschichte hinein. Und weil das in die Erziehung untergetaucht ist, deshalb hat man für die Anschauung, daß überall Naturgesetze gesucht werden sollen, daß man nicht von historischen Impulsen, die unmittelbar spirituell, gei­stig sind, sprechen soll, ein großes Publikum; und das beeinflußt aller­dings wiederum die Erziehungsprinzipien. Man richtet sich das Kind schon so her, daß es einen starken Glauben an das bloße Physikalische und Chemische bekommt, und den dann in die gesamte Weltauffassung hineinträgt.

Von Amerika kommt das her, was ich hier aufgeschrieben habe:

«Nature's proceeding in the social phenomena.» Es ist das geradezu ein Schlagwort geworden gerade für einen gewissen Erziehungsgrundsatz, daß man sagt: Man soll das Kind so erziehen, daß es Naturprozesse empfindet in den sozialen Vorgängen, daß es gewissermaßen nur wie eine Art Naturlehre empfindet, was im sozialen Leben lebt.

Es kommen immer wiederum Leute zu mir und sagen: Man sagt im Englischen anders, man sagt: progress of nature - oder so etwas. Aber so gut aus dem Sprachgebrauche heraus diese Kritik sein mag - es ist nur ein Zitat, und es ist tatsächlich dieses als ein Schlagwort vorhan­den, gerade mit Bezug auf die Erziehungswissenschaft! Also das muß schon dabei berücksichtigt werden, daß da an dem vielleicht etwas ver­bessert werden könnte. Ich möchte es auch, und zwar im Weltensinne

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verbessern! Aber mit der sprachlichen Verbesserung ist es dabei eigent­lich nicht getan, denn es drückt ja das aus, daß man eigentlich natür­liche Impulse in den sozialen Impulsen sehen will. Dazu richten wir uns die Kinder her. Das ist aber dasjenige, was wir gerade beginnen müssen, daß wir das Natürliche im Sinne der Naturgesetze und das Soziale im Sinne der höheren sozialen Gesetze erleben; das können wir nicht. - Wir verderben uns unsere ganze Weltanschauung, wenn wir in ein falsches Lebensalter die Behandlung des Chemischen, Minerali­schen, Mineralogischen, des Physikalischen, des Dynamischen und so weiter hineinstellen. Man muß schon - das habe ich ja jetzt schon sehr häufig erwähnt - unser ganzes Kulturmilieu ins Auge fassen, wenn man verstehen will, wo die Impulse für die Erziehungs- und Unterrichts-kunst einsetzen sollen. Verzeihen Sie, daß ich Ihnen hier wiederum mit einer Art Einwurf, aber doch gerechtfertigtem Einwurf gekommen bin.

Sehen Sie, wenn man mit dieser Erkenntnis, mit diesem Schauen, wie sie in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» geschildert sind, an die heutige wissenschaftliche Weltan­schauung herantritt, dann bekommt man den Eindruck, daß die Wel­ten, die die Wissenschaften heute beschreiben, und die eigentlich alles auf das Mineral isch-Physische zurückführen, gar nicht die Welten sind, in denen wir als Menschen mit Fleisch und Blut leben. Es sind andere Welten. Denn wenn man in solche Welten, wie sie der heutige Natur-wissenschafter beschreibt, und wie sie auch auf den Menschen einwir­ken sollen, mit der nötigen imaginativen Anschauung hineinschaut, da sind keine Menschen mit Fleisch und Blut! Da wandeln nämlich lauter Skelette herum, lauter Knochenmännlein und Knochenweiblein wandeln da herum. Es ist eine merkwürdige Welt. Ich habe das Expe­riment einmal angestellt, indem ich die Schilderung genommen habe, die ein richtiger Denker der neueren Zeit, der Schweizer Vogt - die Jüngeren erinnern sich nicht mehr an den sogenannten «dicken Vogt», der in den fünfziger Jahren aus dem robusten Materialismus heraus eine Weltanschauung gezimmert hat, die aber überall spukt, in allen mög­lichen Weltanschauungen der Gegenwart -, ich habe das Experiment gemacht: ich habe versucht, zu schauen, was entstehen würde, wenn in diese Welt, in der normalerweise eigentlich nur wandelnde Skelette

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drinnen sein könnten, wenn in diese Welt sich einmal ein wirklicher Mensch mit einigem Fleisch und Blut verlieren würde. Einer, der mit normalem Fleisch und Blut ausgestattet ist, kann es da nicht aushalten darinnen. Aber wenn ein Mensch mit etwas Fleisch und Blut sich hin­einverirren würde, was geschähe dem? Sehen Sie, durch all die Ein­wirkungen, die da geschildert werden, und die auch auf den Menschen so sein sollen, wie es eben im Sinne dieser materiell gedachten Welt ist, würde er zugleich im allerschlimmsten Sinne neurasthenisch und hyste­risch zusammen werden. Er könnte sich gar nicht frei machen von all-dem, was da in ihn hineinwirkt. Im Grunde genommen beschreibt die Naturwissenschaft heute eine Welt, an der wir neurasthenisch und hysterisch werden könnten. Und das Gute ist nur das, daß diese Welt, die da beschrieben ist, eben nicht unsere wirkliche ist, und daß unsere wirkliche eben noch andere Kräfte hat als diejenige, die da beschrieben wird.

Nun, das haben wir aber schon nötig, daß wir aus der vereinheit­lichten Welt, aus der illusionären Welt, aus der wir heute fast alles auch für unsere Gesamtzivilisation nehmen, herauskommen und zu einer wirklichen Menschenerkenntnis kommen; denn dadurch allein können wir auch zu einer wirklichen Pädagogik und Didaktik kommen.

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ZWÖLFTER VORTRAG Dornach, 3. Januar 1922

Es dürfte meine Schilderung in den letzten Tagen auf Sie den Eindruck gemacht haben, daß gerade die auf anthroposophische Menschener­kenntnis begründete Erziehungs- und Unterrichtskunst in allererster Linie das physisch-leibliche Element im Menschen berücksichtigt. Denn Sie werden bemerkt haben, daß ich mich bemühte, zu zeigen: wie kommen wir mit unserer Erziehungskunst am besten der freien Ent­faltung der vom Haupte des Menschen ausgehenden, am eigenen Orga­nismus arbeitenden plastischen Kräfte zu Hilfe? Wie kommen wir ge­rade bei der schulmäßigen Erziehung dem Atmungs-, dem Zirkulations­system entgegen? Wie können wir berücksichtigen, daß sich die Muskel-kräfte in der freiesten Weise ausbilden? Wie können wir berücksichti­gen, daß sich in einer richtigen Weise die Muskeln an die Knochen an­setzen und der Mensch so in einer entsprechenden Weise physisch-leib­lich in die Außenwelt hineingestellt ist?

Es sieht so aus, als ob alles dasjenige, was von dieser hier bespro­chenen pädagogischen Kunst ausgeht, insofern es seelische, geistige Maßnahmen sind, so orientiert würde, daß man die möglichst gesunde und normale physisch-leibliche Entwickelung des Menschen zustande bringt. Und das ist auch so. Tatsächlich ist das vollbewußte Ziel des­jenigen, was hier als gesunde Pädagogik und Didaktik angesehen wer­den muß: in der freiesten Weise das Physisch-Leibliche des Menschen zu entwickeln und dem Geistig-Seelischen gewissermaßen die Möglich­keit zu bieten, sich aus sich selbst heraus zu entfalten; dem Geistig-Seelischen gerade dadurch die Möglichkeit zu bieten, aus sich selbst heraus sich zu entfalten, daß man mit dem Geistig-Seelischen gerade während des schulmäßigen Alters den wenigsten Schaden anrichtet; nicht daß man sagt, der Mensch sollte so oder so werden. Man wendet gewissermaßen alles, was man im Unterricht anwendet, so an, daß man lernt, wie der Mensch am besten gesund ist. Da man eben im Unterricht auch das Geistig-Seelische berücksichtigen muß, da das Leib­liche ein Ausdruck, eine Offenbarung des Geistig-Seelischen werden

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muß, so muß eben auf die Handhabung des Geistig-Seelischen so hin-geschaut werden, wie es der gesunden Entwickelung des menschlichen Wesens entspricht.

Welcher obersten Erziehungsmaxime entspringt denn gerade eine solche Anschauung? Sie entspringt nämlich dem absoluten Hingegeben-sein an die menschliche Freiheit, an menschliches Freisein. Sie ent­springt dem Ideal, den Menschen so in die Welt hineinzustellen, daß er seine individuelle Freiheit entfalten kann, daß er an der Entfaltung dieser individuellen Freiheit in seinem Leibe kein Hindernis hat.

Was wir also durch diese auf das Leiblich-Physische hin orientierte Erziehungs- und Unterrichtskunst ganz besonders anstreben, das ist, daß der Mensch sein Leiblich-Physisches in der richtigen Weise gebrau­chen lernt im späteren Leben. Denn es beruht diese Erziehungskunst ebensosehr auf Erkenntnis wie auf einem gewissen Vertrauen, daß das Leben, gerade wenn es sich in freier Weise gesund entwickelt, am be­sten sich entfaltet. Natürlich sind diese Dinge alle im relativen Sinn zu nehmen, aber dieser relative Sinn kann schon verstanden werden.

Ein Mensch, der während seines schulmäßigen Alters dazu getrie­ben wird, sein Atmungssystem, sein Sehnen- und Knochensystem nicht in richtiger Weise gebrauchen zu können, der wird ein unfreier Mensch im Leben. Und ein Mensch, den man so dressiert, daß man sich sagt, er soll diese oder jene Begriffe, diese oder jene Vorstellung für das Leben erwerben, der wird ein unfreier Mensch. Allein derjenige wird ein freier Mensch, den man so erzieht, daß man die Erziehung von den Anforderungen der physisch-leiblichen Entwickelungsnotwendigkeit des Menschen abliest. Vom Menschen selbst muß alles abgelesen werden, was geistig-seelisch mit ihm im schulmäßigen Alter vorgenommen wer­den soll.

Gerade dadurch will sich anthroposophische Weltanschauung für das Leben bewähren, daß sie nicht zu einem falschen Idealismus führt, sondern gerade zu einer richtig praktischen Handhabung desjenigen, was im Leben vorhanden ist, insofern sich dieses Leben uns Menschen zeigt, die sich im Leibe zwischen Geburt und Tod entwickeln, und die in diesem Leibe dasjenige entwickelt haben müssen, was ihr Geistig-Seelisches ist.

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Sehen Sie, wenn wir auch wollten, wir hätten ja auf die eigentliche Entwickelung des Geistig-Seelischen als Lehrer und Erzieher gar keinen Einfluß. Das Geistig-Seelische ist in seinem ihm angemessenen Zustande nur vom Einschlafen bis zum Aufwachen vorhanden. Dieses Geistig-Seelische müßten wir nämlich eigentlich im Schlafe erziehen, wenn wir es erziehen wollten. Wir können es gar nicht erziehen. Und das ist das, was uns in einer Zeit, wie es die unsere ist, so stark entgegen­tritt, daß man glaubt, man müsse das Geistig-Seelische erziehen, man müsse den Menschen zu der Auffassung von dem oder jenem hinbrin­gen, während man ihn nur zu der freien Benützung seiner physischen Leiblichkeit durch das Geistig-Seelische hinzubringen hat.

Man kann das Erziehungswesen - ich habe das oftmals angeführt -nicht ohne Zusammenhang mit der ganzen Zivilisation einer Zeit behan­deln, überhaupt mit dem ganzen Milieu, in das es hineingestellt ist. Ich werde mich ganz gewiß enthalten, irgend etwas, was nicht zu unserem Gegenstande gehört, in diese Betrachtung hineinzufügen. Allein das Folgende gehört im eminentesten Sinne zu der Betrachtung unseres Gegenstandes, allerdings aus der Zeit heraus.

Wir hören jetzt, daß im europäischen Osten für die erwachsenen Menschen, die dort allein gelten gelassen werden, nämlich diejenigen, die der radikal-sozialistischen Partei angehören, eine Pädagogik ausgearbei­tet wird; denn alles dasjenige, was bisher gegolten hat, betrachtet man ja dort nicht mehr als richtig, und so wird eine neue Pädagogik ausgearbei­tet. Rein nach äußeren Maßnahmen wird pädagogisch vorgegangen. Und wie? Wir hören, wie eine der führenden Persönlichkeiten Rußlands ge­genwärtig ausersehen ist, eine Geschichte der kommunistischen Partei zu schreiben. Er soll sich mit diesem Schreiben der Geschichte der kom­munistischen Partei einen Monat beschäftigen. Das ist ihm staatsmäßig zugeschrieben. Er soll nach einem Monat fertig sein. Während dieses Monats soll er sich zu gleicher Zeit in der Moskauer Zentrale auch noch etwas praktisch beschäftigen. Dadurch soll er ein Buch zustande bringen, und daran sollen dann alle diejenigen gebildet werden, die im heutigen Sinne richtige Russen sind. Ein zweiter Mann ist damit beauftragt worden, eine Geschichte der Arbeiterbewegung des Westens und eine Geschichte der Internationale zu schreiben. Diesem Mann ist

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der Auftrag gegeben worden, während dieser Zeit zugleich noch etwas anderes zu machen - nach anderthalb Monaten hat er fertig zu sein, dann hat sich wiederum jeder echte Russe mit diesem Buche zu be­schäftigen; verzeihen Sie, ich glaube, es sind ihm zwei Monate Zeit gelassen. Der dritte Mann ist damit beauftragt, die Theorie des Marxis­mus zu schreiben. Er hat anderthalb Monate dazu zu gebrauchen und hat dann ein Buch zu liefern, mit dem sich wiederum jeder, der in wür­diger Weise hineinzuwachsen hat in die Verhältnisse des Ostens, zu beschäftigen hat. In solcher Weise sind etliche Menschen beauftragt, die nächstkünftige russische Literatur zu schaffen. Jedem ist vorge­schrieben, wieviel Wochen er dazu zu gebrauchen hat, auch was er mittlerweile sonst zu tun hat; derjenige, der über den Marxismus schrei­ben soll, soll in der Zeit zugleich die «Prawda» mitredigieren.

Warum führe ich das an? Weil es im Grunde genommen die letzte Konsequenz desjenigen ist, was in uns allen als gegenwärtige Zivili­sationsmenschen steckt; man will nur nicht zugeben, daß das die letzte Konsequenz ist, die nur in ihrer Absurdität im Osten von Europa ausgebildet wird. Das Absurde geschieht darinnen, daß man eben da­von ausgeht, dieses oder jenes Bestimmte müsse der Mensch wissen; daß man nicht davon ausgeht: wie muß der Mensch sein, damit er ein Mensch ist, ein Mensch, der richtig in das Weltengefüge einge­gliedert ist?

Die äußerste Ehrfurcht vor dem Geistig-Seelischen muß der Lehrer in seine Schule hineintragen, und ohne diese äußerste Ehrfurcht ist im Schulmäßigen ebensowenig zurechtzukommen wie ohne eine gewisse künstlerisch-wissenschaftliche Bildung des Lehrers. Daher ist vor allen Dingen die Grundanforderung für den Lehrer, der auf Grundlage einer anthroposophisch orientierten Pädagogik wirken will, daß er Ehrfurcht habe vor den Entwickelungsmöglichkeiten desjenigen, was das Kind als sein Geistig-Seelisches in die Welt hineinträgt, und daß er sich auch dem Kinde als einem freien Wesen gegenüber fühlt, daß er daher die Maximen findet, welche das Kind so erziehen können, daß das Kind, wenn es später zurückschaut auf seine Erziehung, keine Beeinträchti­gung seiner Freiheit, auch nicht in den Folgen dieser Erziehung sehen kann.

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Was da gemeint ist, wird uns am besten dadurch ersichtlich sein, daß wir uns die Frage vorlegen: Was wird aus dem Menschen, wenn seine leiblich-physischen Eigentümlichkeiten im kindlichen Alter nicht rich­tig behandelt werden? Sie bleiben unausgebildet und gehen dann in das spätere Alter hinein. Was sind denn aber die kindlichen Eigen­schaften für das spätere Alter? So paradox es klingt, es ist durchaus wahr: die kindlichen Eigenschaften für das spätere Alter sind Krank­heitsursachen; das muß man in der seriösesten Gestalt wissen, daß die kindlichen Eigenschaften für das spätere Alter Krankheitsursachen sind. Dann wird man schon den richtigen inneren Impuls für eine Ge­sundheitslehre bekommen und auch für das Respektieren der mensch­lichen Freiheit im ganzen.

Denn vergleichen wir einmal, nehmen wir einen Menschen, der bis in die äußerste Faser seines Wesens für die Freiheit des Menschen enthusiasmiert ist, und er wird krank, er ruft sich den Arzt. Der Arzt kuriert ihn nach aller richtigen modernen Kunst. Wird er dadurch seine Freiheit beeinträchtigt glauben? Nie und nimmer. Dasjenige, was in dieser Weise an den Menschen herantritt, beeinträchtigt die Freiheit des Menschen nie und nimmer.

Dasselbe Gefühl muß gegenüber der Erziehungs- und Unterrichts-kunst vorhanden sein. Man muß das radikal aussprechen, aber wie­derum kann das radikal Ausgesprochene eben auf seine richtige Nuance hin gehört werden. Dasselbe muß in bezug auf Erziehungs- und Unter­richtskunst vorhanden sein, daß man die Erziehungs- und Unterrichts-kunst in einem gewissen Verhältnisse zur ärztlichen und zur medizini­schen Kunst zu denken in der Lage ist. Selbstverständlich ist die Er­ziehungskunst keine Therapie im wahren Sinne des Wortes. Aber das Verhältnis des Menschen zum Kinde muß in einer solchen Weise an­gesehen werden, daß der Vergleich mit dem therapeutischen Verhalten durchaus als gerechtfertigt erscheinen kann.

Wenn man das Kind aus der schulmäßigen Erziehung entläßt um die Zeit der Geschlechtsreife - über diesen Lebenswendepunkt werden wir ja in den nächsten Tagen bei der ästhetischen und moralischen Erzie­hung zu sprechen haben; wir werden jetzt mehr auf die allgemein

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menschlichen Gesichtspunkte eingehen -, wenn man also das Kind aus der eigentlich schulmäßigen Behandlung im vierzehnten, fünfzehnten Lebensjahre entläßt, hat man ja ganz besonders nötig, darauf zu sehen, ob nun wirklich in der Zeit zwischen dem Zahnwechsel und der Ge­schlechtsreife alles dasjenige an dem Kinde getan worden ist, was ihm im späteren Leben förderlich sein kann. Da muß berücksichtigt werden, daß es ja vor allen Dingen der Ätherleib, der Bildekräfteleib ist, mit dessen Kraftzusammenhängen man es in diesem schulmäßigen Alter zu tun hat, und daß dann, wenn das Kind das schulmäßige Alter verläßt, das eigentlich Seelische - von dem wir gleich nachher noch genauer sprechen wollen - erst zur wirklichen Offenbarung kommt. Und zwar ist es so, daß wir nun auf den nächsten menschlichen Lebensabschnitt hinschauen müssen, der mit dem vierzehnten, fünfzehnten Lebensjahre beginnt, bis in den Beginn der Zwanzigerjahre dauert, und der durch die menschliche Wesenheit selbst an den Menschen die Anforderung stellt, sich dem äußeren Leben immer mehr und mehr anzupassen. Wir haben ja gesehen, wie sich das Kind allmählich seinen Leib erobert, zu­letzt sein Knochensystem, und dadurch durch sich selbst mit der äuße­ren Welt zusammenwächst, sich in die äußere Welt hineinstellt. Es muß sich dann der äußeren Welt anpassen können. Und das geschieht im wesentlichen bis zum Beginn der Zwanzigerjahre.

Dann kommt aber ein ganz besonders wichtiger Lebensabschnitt für den Menschen, ein Lebensabschnitt, in dem wir uns dem Menschen nicht mehr schulmäßig gegenüberstellen. Aber wir haben ungeheuer vieles getan in dem schulmäßigen Lebensabschnitte, was sich gerade in der Zeit der beginnenden Zwanziger- bis zum Abschluß der Zwan­zigerjahre beim Menschen zeigt.

Unmittelbar nachdem wir den Menschen aus dem schulpflichtigen Alter entlassen, muß er in dasjenige eintreten, was ihn für diesen oder jenen Beruf vorbereitet. Da muß ihm dasjenige überliefert werden, was nun nicht mehr bloß allein aus der menschlichen Natur gegeben wird, sondern was in der Zivilisation als für diesen oder jenen Beruf geeignet aufgespeichert ist. Da muß der Mensch also an eine Spezialität des Lebens anpassungsfähig sein. Wir versuchen gerade in unserer Pädago­gik diesem Hinausgehen in das Leben dadurch gerecht zu werden, daß

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wir bei den Kindern oder jungen Leuten, die eben im vierzehnten, fünf­zehnten Lebensjahre stehen, nun allmählich ganz praktische Unter­richtszweige, Weberei, Spinnerei eintreten lassen, an denen wir das Hineinwachsen in das Leben heranbilden wollen. Denn so etwas zu kennen, namentlich an so etwas einmal herumhantiert zu haben, wie an Weberei, Spinnerei, das ist nicht nur für den wichtig etwa, der ein Spinner, ein Weber werden soll, sondern das ist für jeden Menschen, der lebenspraktisch sein will, von außerordentlicher Bedeutung. Es handelt sich dann nur darum, daß man es trifft, gerade im richtigen Alter die richtigen Dinge zu behandeln.

Dasjenige aber, was im schulmäßigen Alter in dem Äther- oder Bildekräfteleib ausgebildet wird, das kommt im Seelischen dann zwi­schen den beginnenden und den sich vollendenden Zwanzigerjahren, wenn der Mensch nun wirklich sich zunächst beruflich in das Leben hineinstellen muß, zum Vorschein. Die Art, wie wir ihn in der Schule behandelt haben, macht es ihm in den Zwanzigerjahren möglich, ent­weder ungeschickt, mit Widerstrebungen, mit Hemmungen sich in das Leben hineinzustellen, oder geschickt, mit einer Kraft, die Hindernisse, die Hemmnisse zu beseitigen. Der Mensch muß durchaus in seinen Zwanzigerjahren erleben, wie das, was wir im schulmäßigen Alter mit ihm gemacht haben, während der Vorbereitung für den Beruf gewis­sermaßen mehr in den Untergrund getreten ist, dann aber wiederum an die Oberfläche tritt, und zwar jetzt als dasjenige, was der Mensch selber handhabt, wie er sich ins Leben hineinstellt. Wenn man dies weiß, dann wird man gerade in der richtigen Weise auf die großen Abschnitte im menschlichen Leben, zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife, hinzuschauen vermögen. Zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahre ist jener wichtige Lebenspunkt, von dem ich ge­sprochen habe. Gegen das zwölfte Jahr hin ist wiederum ein wichtiger Wendepunkt, auf den ich auch hingedeutet habe. Wenn das Kind im sechsten, siebenten Jahre aus dem Hause zu uns in die Schule kommt, dann ist es zunächst dasjenige, was ich ein totales Sinnesorgan genannt habe. Es hat durch Nachahmung vieles aufgenommen. Es hat eine ge­wisse innere Plastik ausgebildet. Das bringt es uns in die Schule her­ein. Und alles das, was wir nun bis gegen den Wendepunkt zwischen

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dem neunten und zehnten Lebensjahre anwenden müssen, ist ein ge­staltendes Vorgehen, ein so gestaltendes Vorgehen im Erziehen und Un­terrichten, daß der Mensch immer bei diesem Gestalten dabei ist. In der Schilderung, die ich gegeben habe über die Art und Weise, wie Le­sen, Schreiben, Rechnen an das Kind herangebracht werden soll, drückt sich dies ja schon in der Forderung des künstlerischen Vorgehens gerade für dieses Lebensalter aus. Also das künstlerische Element zu berück­sichtigen, ist auch gerade in diesem Lebensalter ganz besonders wichtig.

Derjenige, der weiß, daß das Erziehen im schulmäßigen Alter von dem Willen ausgehen muß und erst allmählich zum Intellekt hinzu-führen hat, wird auf die Ausbildung des Willens ein ganz besonderes Augenmerk richten. Er wird sich sagen: Das Kind muß in der richtigen Weise lernen, seinen Willen aus seinem Organismus herauszutreiben. -Dazu muß der Wille in allen seinen Äußerungen in der richtigen Art etwas Gefühlsmäßiges aufnehmen. Wir müssen nicht nur das oder jenes tun, wir müssen auch Sympathie und Antipathie in entsprechender Weise mit dem entwickeln, was wir tun. Und das beste Element, ab­gesehen von seinem eigenen Werte, was das Kind in diese Strömung hineinbringt, das ist das Musikalische. Daher sollte man sofort, wenn einem das Kind in die Schule hineingebracht wird, das musikalische Element an das Kind heranbringen durch Gesangliches, aber auch durch einfaches Handhaben des Instrumentalen.

Nicht nur, daß das Kind dabei den ästhetischen Sinn pflegt, son­dern vor allen Dingen, weil gerade auf diesem Umwege die innere har­monische Ausgestaltung des Willenselementes herbeigeführt wird. Und auch dazu bringt uns das Kind Anlagen mit. Es ist innerlicher Plastiker, und wir können diese innerlichen plastischen Anlagen herausholen, überhaupt die gesamten Anlagen herausholen. Auch dazu bringt uns das Kind Anlagen mit, daß wir es, wenn es auch unbequem ist, mit Farben allerlei auf dem Papier machen lassen, wodurch es in die Ge­heimnisse der Farbenwelt eingeführt werden kann. Es ist zum Beispiel außerordentlich interessant, wie die Kinder sich in das Farbige hinein-finden, wenn man sie einfach zunächst mit Farbe auf einer weißen Fläche hantieren läßt. Sie bedecken die einzelnen Teile dieser weißen Fläche mit Farben, in denen ja schon durch die naturgemäße Anlage

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des Kindes eine gewisse innere Farbenharmonie liegen wird. Es ist nicht sinnlos, was sie da herumschmieren auf dem Papier, es ist eine gewisse Farbenharmonie. Man muß nur darauf Rücksicht nehmen, daß man nun ja nicht die Kinder jene Farben verwenden läßt, die man als Kinder-Malfarben bekommt, wo sie dann die Farbe von den Farb­tabletten direkt aufs Papier aufstreichen. Das ist immer, das ist sogar in der malerischen Kunst von Schaden! Gemalt soll werden aus dem Tiegel, aus der aufgelösten Farbe, aus der im Wasser oder einer sonsti­gen Flüssigkeit aufgelösten Farbe. Man muß ein inneres intimes Ver­hältnis entwickeln zur Farbe. Das muß schon das Kind. Wenn man bloß von der Palette herunterschmiert, hat man kein intimes Verhält­nis zur Farbe, sondern wenn man aus der im Tiegel aufgelösten Farbe heraus malt.

Wenn man dann dem Kinde sagt: Sieh einmal, das ist sehr schön, was du da gemacht hast: da hast du in der Mitte eine rote Fläche an-gestrichen, und darnach hast du dich dann gerichtet. Alles, was du da drauf hast, das stimmt zu der roten Fläche. Nun mache es einmal gerade umgekehrt, auf dem Platz, auf dem du jetzt eine rote Fläche hast, mach eine blaue, und mach das andere alles entsprechend, wie du es dann machen müßtest, wenn in der Mitte nicht Rot, sondern Blau ist.

Erstens ist das Kind furchtbar angeregt von einer solchen Übung, zweitens wird vielleicht mit einiger Anleitung von seiten des Lehrers und Erziehers das Kind ganz gewiß diese Umsetzung in eine andere farbige Grundtönung so herausarbeiten, daß es in dem inneren Ver­hältnisse zur Welt ungeheuer viel gewinnt, wenn man eben so etwas machen läßt. Und so unbequem es auch sein mag, kleine plastische Dinge soll man vom Kinde durchaus anfertigen lassen, nun ja, aus dem Material, das Sie irgendwo finden. Es ist ja wahr, daß man nötig hat, die Kinder vor dem Sich-zu-schmutzig-Machen zu bewahren; das ist ja unbequem, aber was die Kinder dabei gewinnen, das ist ungeheuer viel mehr wert, als daß die Kinder sich nicht irgendwie dabei beschmut­zen und dergleichen. Kurz, es ist notwendig, das künstlerische Element gerade in der ersten Zeit an das Kind heranzubringen. Alles dasjenige, was aus dem Kinde herauskommen muß, das ist in kindlicher Art an das Kind heranzutragen. Wenn man in dieser Weise Kunst an die Kinder

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heranbringt, dann geht es mit den anderen Fächern viel leichter. Sie lernen zum Beispiel die Sprachen viel leichter, wenn man Kunst an sie heranbringt. Ich habe ja angeführt, daß das Sprachenlernen schon in einem sehr frühen Lebensalter eintreten muß, womöglich wenn die Kinder in die Schule kommen.

Nun, in unserer Zeit sind viele Fanatismen herrschend, und so kann man das, was nach der einen Seite durchaus richtig ist, bis zum Fana­tismus getrieben, ins Einseitige ausgebildet finden. So geht es zum Bei­spiel mit Bezug auf das Sprachliche. Die Muttersprache lernt das Kind zunächst natürlich ganz ohne jegliche Grammatik, und selbstverständ­lich soll es sie so lernen; auch wenn das Kind in das schulmäßige Alter eintritt und ihm fremde Sprachen beigebracht werden, soll das ganz ohne Grammatik geschehen, gewissermaßen in einer etwas reiferen Nachbildung des Erlernens der Muttersprache.

Aber wenn der erwähnte Wendepunkt im Leben zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahre da ist, da ist es einfach durch das eigene Leben des Menschen gefordert, daß etwas von nicht pedanti­schen grammatischen Erkenntnissen an das Kind herangebracht werde, um der richtigen Entwickelung des Kindes willen, denn es muß das Kind in diesem Lebensalter den Übergang finden zu der Ich-Entfal­tung. Es muß bewußter alles treiben lernen als früher. Man muß daher an der Sprache, die es schon kann, die es spricht, handhabt, in das bloße gefühlsmäßige sprachliche Element das gedankliche Element durch nicht pedantisch, sondern anregend geübtes Erkennen der Re­geln doch hineinbringen. Es muß das Kind schon etwas Grammatisches haben; so daß es zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahre, wo dieser wichtige Lebenswendepunkt da ist, sich nicht sagt: Wie soll ich das sagen, wie soll ich das sagen? - ohne daß es irgendeinen logischen Anhaltspunkt hat. Denn man muß sich klar sein, die Sprache hat eben zwei Elemente in sich, die immer ineinanderwirken: ein gedankliches Element und ein gefühlsmäßiges Element.

Ich möchte das anschaulich machen durch einen Satz, den ich Ihnen aus Goethes «Faust» zitiere:

Grau, teurer Freund, ist alle Theorie,

Und grün des Lebens goldner Baum.

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Ich kann Ihnen als westlichen Menschen nicht zumuten, daß Sie etwa Kommentare über Goethes «Faust», die es gibt - sie sind eine große Bibliothek -, studieren; aber Sie würden, wenn Sie sie studierten, eine merkwürdige Entdeckung machen. Eine gewisse Klasse dieser Kom­mentare bringt immer wiederum, wenn der Kommentator bei diesem Satz in Goethes «Faust» anlangt, unter dem Strich so eine Bemer­kung: oben steht 3526, weil 3525 Erklärungen schon vorangegangen sind; unten steht dann 3526 - etwas über das Unlogische dieses Satzes, das man dem Künstler in seiner künstlerischen Freiheit verzeihen muß, daß aber immerhin es sehr unlogisch ist, denn - ein goldner Baum, ist es ein Orangenbaum, dann ist er wieder nicht grün, und ist es ein an­derer Baum, dann ist er entweder nicht golden, oder er ist bloß ein künst­licher Baum. Ein goldener Baum kann jedenfalls nicht grün sein. Und andererseits wiederum: Theorie - ja, sie kann doch nicht grau sein! Sie ist doch etwas, was man gar nicht sieht, also kann sie nicht grau sein. Logisch ist die Sache also nicht.

Es gibt allerdings dann andere Kommentatoren, die sind mehr künst­lerische Menschen, die freuen sich darüber, daß es hier nicht so ganz logisch zugeht.

Nun, was liegt da eigentlich zugrunde? Das liegt zugrunde, daß hier in diesem Satze das gefühlsmäßige Element der Sprache auf der einen Seite und das gedanklich-anschauliche Element ganz besonders stark hervortreten. Indem er sagt: Ein goldner Baum -, meint er einen Baum, den man so lieb hat wie das Gold, wobei man bei golden gar nicht mehr auf die Anschauung, sondern eben auf das Gefühl, das man bei diesem eigentümlichen Erglänzen hat, hinschaut. Also ein goldner Baum ist derjenige, den man so fühlt, wie man Gold fühlt. Da ist ganz nur auf das Gefühl Rücksicht genommen. Und mit dem Grün ist eben ein rich­tiger Baum gemeint, wie man ihn anschauen kann: da ist der Logik Rechnung getragen. - Theorie, sie ist ja nichts, was man sieht, wobei aber schon mancher Mensch berechtigt oder unberechtigt dasjenige empfindet, was Sie empfinden können, wenn es in London gerade Ne­bel gibt. Nun, dieses Gefühl kann man dann auf das Erleben der Theo­rie übertragen. Und es ist wiederum in dem Grau das bloß gefühlsmä­ßige Element der Sprache.

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Aber dieses gefühlsmäßige und gedankenmäßige Element in der Sprache, die mischen sich überall durcheinander. In den heutigen Spra­chen ist ja sogar schon vieles abgelähmt; aber in früheren Bildungs-epochen der Sprachen war überall ein tätiges, ein bildendes Element, und es ist so das Gefühlsmäßige in das Gedankenmäßige hineingebracht.

Nun, das Kind hat vor dem neunten Jahre zu der Sprache ein ganz und gar nur gefühlsmäßiges Verhältnis. Aber sein Selbstbewußtsein könnte sich nicht entwickeln, wenn wir nicht etwas das gedankliche Element hineinbrächten. Deshalb ist es so notwendig, das gedankliche Element auf dem Umwege durch vernünftig beigebrachte grammatische Regeln, vor allem an der Muttersprache, dann aber vielleicht auch an der fremden Sprache, wobei die Regeln dem Sprachelernen nachfolgen, an das Kind heranzubringen.

Dabei sollte das Folgende berücksichtigt werden: das Kind soll zwischen dem neunten, zehnten Lebensjahre das Gefühl bekommen, etwas in das Verständnis der Sprache auf diese Weise einzudringen, wie ich das eben ausgedrückt habe. So könnte man dem Kinde ein rich­tiges grammatisches Gefühl gegenüber der Sprache beibringen.

Gegen das zwölfte Lebensjahr, und darauf müssen wir sehen, soll das Kind ein Gefühl für die Schönheit der Sprache, ein ästhetisches Empfinden gegenüber der Sprache entwickelt haben, und es soll auch sich bemühen, gegen das zwölfte Jahr hin in einem vernünftigen Sinne wieder so zu sprechen, was man nennen könnte «schön sprechen»; von da ab bis zu dem Geschlechtsreifealter sollte das Kind erst dasjenige entwickeln, was dann zur Handhabung der Sprache gehört, um jemand anderen zu überzeugen: das dialektische Element der Sprache. An die­ses Element sollte das Kind erst beim Verlassen des schulmäßigen Alters herangeführt werden. So daß man sagen könnte: Dasjenige, was uns nach und nach für die Sprache aufgehen muß, das ist zuerst ein Gefühl für das im Leben selbst liegende Richtige der Sprache, ein Gefühl für die Schönheit der Sprache, dann ein Gefühl für die Macht, die man durch die Sprache im Leben hat. So soll alles dasjenige eingerichtet werden, was zum Sprachunterricht gehört.

Es ist viel wichtiger, daß der Lehrende, der Erziehende sich in solche Dinge hineinfindet, als daß er irgendeinen fertigen Lehrplan mit Zielen

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bekommt. Er wird schon auf diese Weise in die einzelnen Lebensab-schnitte das Richtige hineinstellen und auf diese Weise behandeln. Er wird mit Künst und mit künstlerischer Behandlung bis zum neunten und zehnten Jahre hin zu dem Gestaltenden, woran der Mensch noch selber Anteil hat, hinzutreten lassen - ohne daß das Gestaltende dann vernachlässigt wird - das Beschreibende.

Das ist durchaus möglich, wenn man einen solchen Lehrgang wählt, wie ich ihn in diesen Tagen auseinandergesetzt habe, wo man das Na­turkundliche auf der einen Seite an das Irdisch-Geographische anreiht, und dasjenige, was sich auf die Tiere bezieht, an den Menschen heran-bringt. Man wird da insbesondere mit dem zunächst bloß Beschrei­benden am meisten ausrichten, wird das Beschreibende so gestalten können, daß es nun nicht mehr den Menschen so ganz in Anspruch nimmt, aber noch das Seelische in Anspruch nimmt. Man wird also viel Wert darauf legen müssen, den Kindern lebendig gestaltet zu er­zählen. Und ebenso wird man das Geschichtliche, wie ich schon er­wähnt habe, in diesem Lebensabschnitte so behandeln, daß man abge­schlossene Bilder von menschlichen Ereignissen hinstellt.

Dann, wenn es gegen das zwölfte Jahr hingeht, kann zu dem Gestal­ten und Beschreiben erst das Erklären treten, das Rücksichtnehmen auf Ursache und Wirkung, dasjenige, wo der Verstand angestrengt wird. Dahinein wächst das Kind erst zwischen dem elften und zwölften Jahre.

Nun muß sich über diese ganze Zeit aber etwas ausgießen, das ist die Behandlung des Mathematischen in seinen verschiedensten Gebie­ten, natürlich dem kindlichen Alter angemessen. Das Mathematische, das Heranbringen von Rechnerischem und Geometrischem an das Kind, das ist etwas, was ganz besondere Schwierigkeiten für den Unterricht und die Erziehung bedeutet. Denn es ist wirklich so, daß die mathema­tischen Dinge, die man in ihrer einfacheren Art vor dem neunten Le­bensjahre - denn das Kind kann in dieser Beziehung, wenn man richtig vorgeht, sehr viel begreifen -, dann in immer weiterer Art weiter kom­pliziert, das ganze schulmäßige Alter hindurch beibringt, daß man diese zunächst nun auch ganz künstlerisch machen muß, daß man durch alle möglichen Hantierungen das Rechnerische, das Geometrische künst­lerisch zunächst an das Kind heranbringt, daß man auch da zwischen

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dem neunten und zehnten Lebensjahre zum Beschreiben der Gebiete übergeht.

Das Kind soll durchaus in der beschreibenden Art Winkel, Drei­ecke, Vierecke und so weiter betrachten lernen; und zum Beweisen soll man überhaupt erst gegen das zwölfte Jahr übergehen.

Nun ist es gerade bei diesem Unterricht so, daß der langweilige Lehrer ungeheuer wenig oder gar nichts erreicht, daß derjenige Lehrer aber die Mathematik zu dem reizvollsten Unterrichtsgegenstande macht, der mit seinem ganzen Wesen bei dieser Mathematik dabei ist, die uns ja im Grunde genommen wirklich die harmonische Raumesidealität der ganzen Welt erleben läßt. Wenn ein Lehrer begeistert sein kann für den pythagoreischen Lehrsatz, wenn er schwärmen kann für innere Harmonien zwischen Flächen und Körpern, dann wird er gerade in diesen Unterricht etwas hineinbringen, was für das Kind ungeheuer wichtig ist, auch in bezug auf das Entwickelungsmoment des Seelischen. Dann wird er durch dieses Element dem Verwirrenden entgegenwirken, was das Leben ja immer hat.

Sehen Sie, es gäbe keine Sprache, wenn die Sprache nicht so durch­einanderwürfeln würde. Das ist nur ein besonders extrem herausgestell­ter Satz, aber wir reden eigentlich immer so im Leben, daß wir eigent­lich, wenn wir die Sprachen prüfen würden, überall finden würden, wie Gefühl und Gedanke ineinander verschwimmen. Und der Mensch würde durch dieses in der Sprache schon und durch manches andere in ein gewisses Chaos des Lebens hineingeworfen, wenn er nicht jene Festigkeit bekäme, die man gerade durch die Mathematik bekommt. Derjenige, der tiefer hineinschaut in das Leben, weiß, wie viele Men­schen vor Neurasthenie, vor Hysterie und noch Schlimmerem nur da­durch bewahrt bleiben, daß sie in der richtigen Weise Dreiecke, Vier­ecke, Tetraeder und so weiter haben anschauen lernen.

Ich darf vielleicht ein Subjektives einfügen, das nur zur sympto­matischen Veranschaulichung da sein soll. Nicht bloß aus objektiven Gründen, sondern in diesem Falle durchaus auch aus subjektiven Grün­den liebe ich ganz besonders die Mechanik. Und das ist eben aus dem Grunde, weil - denn solche Dinge setzen sich auch in das spätere Le­ben fort - ich an der Wiener Hochschule einen Lehrer erlebt habe, der

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die Mechanik so vorgetragen hat, daß er wirklich glühte für das Su­chen von Resultierenden aus Komponenten. Es war interessant anzu­schauen, wie der Mann mit innerer Begeisterung die Resultierenden aus den Komponenten suchte und wieder die Resultierenden in die Komponenten zerlegte, und wie er, nachdem er fast von einem Ende der Tafel zum anderen gesprungen ist, nur so tänzelte, sich dann im­mer freute, wenn er etwas sagte von der Art, etwa, daß c2 = a2 + b2 ist. Wenn er so ergriffen war von einem solchen Fall, den er auf die Tafel gebracht hatte und sich so umschaute mit der freundlich lächeln­den Miene zu dem Auditorium, dann war das wirklich etwas, was auch schon die Begeisterung mitteilen konnte für die analytische Mechanik, die ja sonst den Menschen nicht außerordentlich liegt. - Aber es ist wichtig, daß gerade dieses Mathematische, das eben in der angedeu­teten Weise über die verschiedenen Lebensepochen des Schulzeitalters verteilt sein muß, daß diese Mathematik ihr Wesen über den ganzen Menschen ausgießt.

Man hat dann diese zwei Pole in der menschlichen Entwickelung drinnen, auf der einen Seite das Musikalisch-Artistische, auf der ande­ren Seite das Mathematisch-Ideelle; und so wächst der Mensch nach und nach tatsächlich so in die Welt hinein, daß von innen heraus in der richtigen Weise seine Menschheitstotalität gepflegt wird.

Wenn man sich im Unterrichten und Erziehen dem Lebensalter nähert, in dem das Kind aus der gewöhnlichen Schule zu entlassen ist, fühlt man sich schon gedrängt, in der Unterrichtspraxis selber einen Über­blick zu halten über dasjenige, was die wichtigsten Momente sind für die Entwickelung des Kindes in diesem schulpflichtigen Alter. Wir be­kommen das Kind, wenn es sechs oder sieben Jahre alt ist, aus dem Hause in die Schule herein. Wir entlassen es gewissermaßen in die Welt, und wir müssen dafür sorgen, daß es dann - wie ich das gerade im Ein­gang der heutigen Betrachtungen angedeutet habe - die Möglichkeit findet, sich der Welt anzupassen. Indem wir das Kind vom Hause emp­fangen, ist es ja eine Art großes Sinnesorgan. Es trägt in sich eine Art Abbild, Abdruck der Eltern, anderer Personen seiner Umgebung, seines ganzen sozialen Milieus. Und wir müssen dasjenige, was das Kind zu

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einer Art Spezialmenschen macht - wir bekommen es wirklich als eine Art Spezialmenschen -, wir mussen das in das allgemeine Menschen­tum überführen. Wir können das insbesondere dadurch, daß wir auf die Atmungs-Zirkulationssysteme, die ja dem menschlich Individuellen entrückt sind, wirken, daß wir an dieses System appellieren. Wir müs­sen in der Tat in einer gewissen Weise den Spezialmenschen, den wir be­kommen, in einen allgemeineren Menschen überführen. Aber auch et­was Individuelles trägt das Kind durchaus in sich, schon wenn es in die Schule hereinkommt. Nicht in der ausgesprochenen Weise, wie wir dies charakteristisch finden, wenn es einseitig beim erwachsenen Menschen im späteren Menschenalter hervortritt, wenn wir von den Tempera­menten der einzelnen Menschen reden, wenn wir vom melancholischen, vom sanguinischen, vom phlegmatischen, vom cholerischen Tempera­ment reden; aber das Naturell des Kindes hat durchaus eine solche Färbung, daß wir von melancholisch veranlagten, phlegmatisch veran­lagten, sanguinisch veranlagten und cholerisch veranlagten Kindern sprechen können. Und wir müssen uns eigentlich in der Lehr- und Er­ziehungskunst ein feines Verständnis aneignen für das Bemerken alles dessen, was mit dieser Temperamentsanlage des Kindes verbunden ist, und auch für die Behandlungsweise des Kindes, je nachdem es diese oder jene Temperamentsanlage hat.

Das melancholische Kind ist dasjenige, das besonders von seiner Körperlichkeit abhängig ist, das immer dazu veranlaßt ist, auf sich selbst zurückzuschauen, weil es vermöge seiner ganz besonderen Kon­stitution von seinem Körper in Anspruch genommen wird. Dadurch ist seine Aufmerksamkeit von der äußeren Welt abgelenkt. Das melancho­lische Kind braucht nicht ohne weiteres unaufmerksam genannt zu werden. Es ist nur unaufmerksam auf die äußere Welt und auch auf die Eindrücke, die vom Lehrer kommen; aber es ist sehr aufmerksam auf seine eigenen Zustände. Daher ist das melancholische Kind - ich rede immer von Kindern, es kann das nicht ohne weiteres auf erwachsene Menschen übertragen werden -, daher ist das melancholische Kind auch ein launisches Kind, ein Kind, das Stimmungswechseln unterworfen ist.

Das phlegmatische Kind ist so eingegliedert in die Welt, daß es im Unterbewußten eigentlich ganz der Welt hingegeben ist. Und weil die

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Welt groß ist und vieles da ist, es also an vieles hingegeben ist, so inter­essiert es sich nicht für das Nächste. Das, was ich nun sage, gilt wie­derum nicht für den erwachsenen Menschen, denn es könnte sonst leicht scheinen, als ob ich den Phlegmatikern schmeicheln wollte; ich will das ganz gewiß nicht. Aber indem man die Sache etwas radikal aus­drückt, kann man sagen: Wenn das phlegmatisch veranlagte Kind nicht just auf der Erde wäre, sondern im Himmel, in der Welt drau­ßen, so würde es sich für die Umgebung außerordentlich stark inter­essieren, denn es ist eigentlich für die Peripherie der Welt, für das Große, das nur deshalb wenig Eindruck macht, weil es eben so umfang­reich ist, für das ist es veranlagt, nicht für das Nächste.

Das sanguinische Kind ist so veranlagt, daß es in einem gewissen Sinne das Gegenteil vom Melancholischen, das Gegenteil vom Phleg­matischen offenbart. Der junge Melancholiker ist seinem physischen Leib hingegeben, der Phlegmatiker ist deshalb für die große Welt, für das Sphärische veranlagt, weil er mit seinem ganzen menschlichen We­sen besonders tief in seinem Äther- oder Bildekräfteleib lebt. Der ist dem ganzen Wesen hingegeben. Er zerstreut sich ja auch gleich in die Welt wenige Tage nach dem Tode.

Das sanguinische Kind lebt in dem, was wir den astralischen Leib oder den Seelenleib nennen. Dieser Seelenleib unterscheidet sich von dem physischen Leib und von dem Ätherleib dadurch, daß er eigent­lich kein Interesse für das Zeitliche und für das Räumliche hat. Er ist außerhalb des Zeitlichen und außerhalb des Räumlichen. Der astra­lische Leib bewirkt, daß wir in jedem Augenblicke unseres Lebens, wenn auch die weiter in der Zeit entfernten Erlebnisse schwächer als die nächsten, aber doch unser ganzes Leben fortwährend in uns haben. Der astralische Leib ist vorzugsweise derjenige, der die Träume diri­giert. Nun wissen Sie, daß die sich auch nicht stark um den zeitlichen Lebenslauf kümmern. Wir träumen etwas, was gestern geschehen ist; da mischen sich Menschen hinein aus der allerersten Kindheit. Der astralische Leib mischt das ganze Leben zusammen, nicht nach der Zeiten- und Raumesfolge, sondern so, wie er die Dinge durcheinander­bringt, wie sie durcheinandergebracht sein sollen, wie etwas, was ganz anders ist als das Zeitlich-Räumliche. An diesen astralischen Leib ist das

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sanguinische Kind besonders hingegeben, und das drückt sich in seinem ganzen Gehaben aus. Es faßt schon die äußeren Eindrücke so auf, als wenn das Zeitlose und Raumlose durch die Welt selbst uns schon ge­geben wäre. Es gibt sich einem Eindruck rasch hin, verarbeitet ihn nicht, weil es nicht für die Zeit sorgt. Es ist dem astralischen Leib hingegeben. Es sorgt nicht dafür, daß der Eindruck bleibt im Wesen des Menschen. Oder auch, es erinnert sich nicht gern an das Frühere; das sanguinische Kind lebt im gegenwärtigen Augenblicke, weil es eben auf die Zeit keine Rücksicht nimmt, sondern im äußeren Leben dasjenige zum Aus­druck bringt, was eigentlich der Astralleib in einer höheren Welt ent­falten soll. Das gibt dem sanguinischen Kinde eine gewisse Oberfläch­lichkeit.

Und das cholerische Kind ist dasjenige, das ganz mit seinem Wesen in seinem Ich oder in seiner Egoität sitzt, wo das ganze Leibliche auch so zu seinem Ausdrucke kommt in seiner Willensnatur, das in seiner Egoität sich ausdrückt, daß der Mensch vor allen Dingen aggressiv in das Leben eingreift.

Man muß sich nun als Erziehungs- und Unterrichtskünstler wirk­lich eine feine Empfindung für die charakteristischen melancholischen, sanguinischen und so weiter Eigenschaften beim heranwachsenden Kinde aneignen. In zweifacher Beziehung muß man versuchen, das Temperamentwesen zu behandeln. Zunächst dadurch, daß man ein ge­wisses soziales Element in die Schule schon gerade auf dem Umweg der Temperamente hineinträgt. Man verschafft sich einen Überblick in seiner Klasse über die melancholischen Kinder, oder die melancho­hsch gearteten Kinder - die Temperamente sind auch gemischt, das muß alles berücksichtigt werden -, und setzt irgendwo in der Klasse, wo man es für richtig hält, eine Gruppe melancholischer Kinder, eine Gruppe phlegmatischer Kinder, eine andere Gruppe sanguinischer Kinder und eine Gruppe cholerischer Kinder.

Es ist gut, wenn man die gleichtemperamentierten Kinder zusam­menbringt, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil, wenn die me­lancholischen zusammensitzen, so haben sie in der Nachbarschaft eben auch Melancholiker, so daß sich dann die Temperamente aneinander reiben. Das melancholische Kind sieht an dem anderen, wie es sich

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quält mit allem möglichen, wie es in seinem Körper drinnensteckt. Das sieht es dann auch an sich und es wird von dem Anblick des anderen eine heilsame Wirkung ausgeübt auf das eigene Naturell des melancho­lischen Kindes.

Wenn die phlegmatischen Kinder zur Nachbarschaft auch Phleg­matiker haben, werden ihnen diese so langweilig sein, daß dann selbst ihr Phlegma aufgeregt wird, und man treibt etwas Aufgeregtes aus dem phlegmatischen Kinde dadurch heraus, daß es mit anderen phlegma-tischen Kindern zusammen sein muß, daß die in seiner unmittelbaren Nähe sind.

Die sanguinischen Kinder werden dadurch, daß sie in der Nach-barschaft sind von sanguinischen Kindern, die sie im Extrem von Ein­druck zu Eindruck herumflattern sehen, so daß sie bald dies, bald jenes interessiert, sie wegwischen wollen wie Fliegen, welche in der Nachbarschaft flattern, da werden sie selber, indem sie das am ande­ren Menschen wahrnehmen, was sie selber haben, aufmerksam auf die Oberflächlichkeit ihres sanguinischen Temperamentes.

Und die Choleriker, wenn man die zusammensetzt, puffen sich gegenseitig, und dadurch wird auf ihr cholerisches Temperament in gewissem Sinne eine Art von Heilung ausgeübt; denn diese blauen Flek­ken, die sie da davontragen, sind etwas, was auf das cholerische Tem­perament außerordentlich gut wirkt.

Schauen Sie sich diese Dinge an. Sie werden sehen, wenn Sie auf diese Weise eine Art sozialen Elementes in die Schule hineinbringen, so hat das einen außerordentlich heilsamen Einfluß und auch das Ver­hältnis des Lehrers zu dem einzelnen Temperament kommt in einer gewissen Weise zum Ausdruck. Das melancholische Kind, überhaupt die verschieden temperamentbegabten Kinder soll man nicht so behan­deln, daß man das Entgegengesetzte tut von dem, wozu sie veranlagt sind; man soll sich gewöhnen, Gleiches mit Gleichem zu behandeln. Wenn man also zum Beispiel ein cholerisches Kind dazu veranlassen würde, festzusitzen, ruhig zu sein, dann sammelt sich so viel von dem Cholerischen an, daß das erst recht vergiftend im Inneren wirkt. Das geht gar nicht. Dagegen wenn man zum Beispiel ein melancholisches Kind so behandelt, daß man auf seine Launen, auf seine Melancholie

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eingeht, sich dafür interessiert, dann wirkt das auf die Dauer dennoch auch sehr heilsam. Dann aber ein phlegmatisches Kind - man behandle es so, daß man zwar innerlich sich für es interessiert, aber äußerlich selber eine Art Phlegma dem phlegmatischen Kinde gegenüber anwen­det. Das sanguinische Kind behandle man so, daß man ihm recht viele Eindrücke gibt, so daß man seinen Sanguinismus noch steigert. Dann wird die Intensität, die es entwickelt, noch größer sein, wenn es die Eindrücke alle aufnehmen soll, als es die Eindrücke sonst auf­nimmt, und die Folge davon wird sein, daß durch die Zahl der Ein­drücke die Intensität erhöht wird. Also gerade indem man Gleichem mit Gleichem beikommt, ist an die Temperamente heranzukommen.

Und die cholerischen Kinder würde ich am liebsten, wenn alle Schulverhältnisse ideal eingerichtet werden könnten, des Nachmittags hinaus in den Garten schicken, würde sie draußen herumlaufen lassen, würde sie bis zur Müdigkeit auf Bäume hinauf- und wieder hinunter-klettern lassen. Wenn der eine oben sitzt, würde ich ihn hinüber schreien lassen zu dem zweiten, sie müßten sich gegenseitig anschreien, sie müß­ten sich ermüden. Dadurch wird in der Tat, gerade durch das Heraus-treiben desjenigen, was das Cholerische herauszutreiben verlangt, der heilsamste Einfluß auf das Cholerische ausgeübt werden.

Man kann also gerade dadurch, daß man die Dinge kennenlernt, in der entsprechenden Weise in der Schule wirken. Zu einer solchen Behandlung muß allerdings der Lehrer in die Schule eines hineintra­gen, was ungeheuer wichtig ist. Er darf ja wirklich nicht, wenn er sich in diesen Dingen zurechtfinden will, mit einer griesgrämigen Miene hineingehen, die die Altersfalten schon im frühen Zeitalter des Berufes zeigt, sondern er muß mit Humor in der Klasse sich zu verhalten wis­sen. Er muß einzugehen wissen auf alles dasjenige, was ihm in der Klasse entgegentritt und sein Wesen hinüberfließen lassen können in das Wesen des Kindes.

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DREIZEHNTER VORTRAG Dornach, 4. Januar 1922

Wenn man auf den Zeitpunkt im menschlichen Leben hinblickt, der an das Ende des schulmäßigen Alters fällt, der sich organisch als der Eintritt in die Geschlechtsreife ausdrückt, dann hat man etwas vor sich, was nicht nur durch den Erziehungs- und Unterrichtskünstler aufmerksam und sorgfältig zu betrachten ist, dann, wenn es da ist, sondern auf das schon die ganze vorhergehende Zeit hindurch die Auf­merksamkeit hingerichtet sein muß. Wir müssen uns nur einmal vor Augen stellen, was nach dieser Richtung eigentlich mit dem Menschen vorher und was in dem Zeitpunkte der Geschlechtsreife vor sich geht.

Wir haben ja im Laufe der Betrachtungen gesehen, wie der Mensch bis zum Zahnwechsel ein nachahmendes Wesen ist, wie er in dieser Zeit einer noch nicht getrennten organisch-seelischen Tätigkeit in sei­nem Inneren hingegeben ist, wie von der Kopforganisation eine geistig-seelische Tätigkeit ausgeht, die noch organische Tätigkeit ist und die den ganzen Organismus erfüllt. Der Mensch lebt also für dieses Le­bensalter ganz in seinem Inneren nach seinem geistig-seelischen Inhalte und auch nach seinem physisch-leiblichen Inhalte. Man kann sagen:

Besonders charakteristisch ist für dieses Lebensalter, wie der Mensch lebt.

Und nicht weil ich glaube, daß das nun unbedingt im Verlaufe einer solchen Betrachtung gerade in dieser Weise gesagt werden muß, sondern weil wir uns vielleicht dadurch nach dem Vorangegangenen am besten verstehen können, muß ich wiederum nach der Methode greifen, die sich für das schauende Bewußtsein ergibt, wenn ich Ihnen ganz deutlich charakterisieren will, was da eigentlich vorgeht.

Wenn der Mensch in diesem Lebensalter schläft, ist es äußerlich natürlich auch so, daß beim Einschlafen sein Geistig-Seelisches aus dem Physisch-Leiblichen herausgeht, beim Aufwachen wiederum hinein-geht. Aber es ist noch kein großer Unterschied zwischen dem bewuß­ten Erfahren im Leibe und dem unbewußten Erfahren im Schlafe. Das unbewußte Erfahren im Schlafe, wenn es normal verläuft, wenn nicht

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Reminiszenzen aus dem Tagesleben hineingehen - und das ist beim Kinde noch kaum der Fall -, dieses Schlafesleben bewegt sich durch­aus in einer Überwelt gegenüber dem Irdischen, und aus dieser Über-welt heraus wird ja zunächst auch diejenige Aktivität geholt, welche vom Gehirn aus im wachenden Zustande beim Kinde in den ganzen Organismus hineinarbeitet.

Wenn das Kind nun durch den Zahnwechsel hindurchgeht, so wer­den gewisse geistig-seelische Kräfte so frei, daß sie nicht mehr bloß ihre organische Gestalt annehmen. Sie nehmen schon einen geistig-seelischen Charakter an. Das Kind entwickelt ein freieres Denken, Fühlen und Wollen zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechts-reife als vorher. Es ist nicht bloß ein nachahmendes Wesen, es ent­wickelt den Grad des Bewußtseins, durch den es aus dem Autoritäts­gefühl heraus sich an Äußeres anschließen kann. Aber es braucht eben doch dieses Autoritätsgefühl, um sich an Äußeres anzuschließen. Die gewöhnlichen Verhältnisse des Lebens genügen nicht. Der Erwach­sene steht dem Erwachsenen anders gegenüber als das Kind mit seinem Autoritätsgefühl Das Kind muß dieses Positive, das im Autoritätsver­hältnisse liegt, zu dem Verhältnisse hinzufügen, das der Erwachsene dem Erwachsenen gegenüber betätigt, auch wenn irgend etwas mit­geteilt wird, oder in anderer Weise, ohne die Mitteilung, irgend etwas als eine Suggestion im guten Sinne vom Erwachsenen zum Erwachse­nen ausgeübt wird. Das hat dann zur Folge, daß auch während des Schlafzustandes nach und nach schon mehr von dem Wachleben in das seelisch-geistige Leben hineinkommt. Und gerade so viel, als im Schlaf-zustande von irdischer Welt hineinkommt und nicht mehr drinnen ist von Überwelt, gerade in demselben Maße eröffnet sich uns die Mög­lichkeit, in dem Lebensalter zwischen dem Zahnwechsel und der Ge­schlechtsreife unterrichtend und erziehend an das Kind heranzukom­men.

Mit der Geschlechrsreife tritt etwas ganz Neues ein, und im Grunde genommen ist der Mensch nach der Geschlechtsreife ein anderes We­sen als vorher. Wir können die Sache charakterisieren, indem ich an das anknüpfe, was ich im letzten Teil meiner gestrigen Betrachtung hier vor Ihnen entwickelt habe. Es ist einfach normal für das Menschenleben,

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daß das Kind bis zum Zahnwechsel in seinem physischen Leibe ganz drinnen lebt. Wenn es von diesem Zustande, ganz im physi­schen Leibe drinnen zu leben, für das spätere Leben zuviel mitnimmt -denn für das spätere Leben ist dieses Erleben des physischen Leibes, wie es im ersten Kindesalter eintritt, nicht mehr das Normale -, wenn also zuviel davon mitgenommen wird für das spätere Leben, dann entsteht eben das, was das auffällig melancholische Temperament ist. Es ist durchaus richtig, daß das Kind im kindlichen Alter einen sol­chen Zusammenhang zwischen seinem Geistig-Seelischen und seinem Leiblichen haben soll, wie sie der Melancholiker hat; nur ist dasjenige, was für das eine Lebensalter gut ist, für das andere abnorm. Das muß immer berücksichtigt werden.

Wenn das Kind durch den Zahnwechsel geht, dann werden gewisse geistig-seelische Kräfte frei für die organische Tätigkeit und fließen in das aus, was ich den Bildekräfte- oder Äther- oder feinen Leib genannt habe. Der gehört der ganzen Außenwelt an, und das Kind soll in dieser Zeit gerechterweise eben in diesem ätherischen Leibe leben zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife. Wenn es vor dem Zahn-wechsel zuviel davon schon gehabt hat, wenn es in seinem Ätherleibe zu stark auf die und jene Art vor dem Zahnwechsel gelebt hat, dann kommt dieses besonders nuancierte phlegmatische Temperament her­aus. Aber in einem gewissen Sinne gibt es ein normales Zusammenleben des Menschen mit seinem Ätherleib. Dieses normale Zusammenleben des Menschen muß gerade da sein zwischen dem siebenten und vier­zehnten Lebensjahr, also zwischen dem Zahnwechsel und der Ge­schlechtsreife. Wird das dann mit hineingenommen ins spätere Leben, dann entsteht eben beim Erwachsenen das abnorm phlegmatische Tem­perament.

Dagegen ist das, was dann in normaler Weise selbständig heraus­kommen kann mit der Geschlechtsreife, was ich gestern den astralischen Leib genannt habe, was nicht mehr in Raum und Zeit eigentlich lebt, dasjenige, was sich vorzugsweise im sanguinischen Temperament aus-lebt. Und beim Kinde tritt die sanguinische Temperamentsnuance her­vor, wenn zuviel hereingenommen wird in die Zeit vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife von dem, was erst mit der Geschlechtsreife

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herauskommen soll. Der Mensch wird erst reif für den Sanguinismus, wenn er geschlechtsreif wird.

Alles steht im Leben so, daß es seine normale Periode hat, und die verschiedenen Abnormitäten des Lebens treten dadurch ein, daß das­jenige, was für ein Lebensalter normal ist, eben in ein anderes anor­malerweise hineingeschoben wird. Man lernt auf diese Weise den Men­schen durch und durch verstehen, wenn man also das Leben über­schauen kann.

Nun, was tritt denn aber mit der Geschlechtsreife ein? Das tritt ein, was sich uns wiederum aus den Betrachtungen der vorangehenden Tage ergeben kann. Wir haben gesehen, auch noch mit dem schon bis zu einem gewissen Grade emanzipierten Geistig-Seelischen, das nach dem Zahnwechsel da ist, mit dem arbeitet der Mensch noch innerlich. Er arbeitet sich durch das Atmungs-, durch das Zirkulationssystem bis zum Knochenansatz der Muskeln durch. Er arbeitet sich ganz an seine menschliche Peripherie heran und bricht mit der Geschlechtsreife in die Außenwelt hinein. Er steht erst dann voll in der Außenwelt dar­innen.

Dadurch sind wir aber genötigt, uns ganz anders zu verhalten zu dem Jüngling und der Jungfrau, die durch das geschlechtsreife Alter hindurchgegangen sind, als wir uns früher zu dem Knaben und zu dem Mädchen haben verhalten können. Denn im Grunde genommen hat der ganze Prozeß, der sich im Menschen abspielt mit den freigewordenen geistig-seelischen Kräften vor der Geschlechtsreife, mit dem Geschlechte noch gar nichts zu tun. Er ist etwas nuanciert, aber er hat mit dem Ge­schlechte in Wirklichkeit noch gar nichts zu tun. Dasjenige, was mit dem Geschlechte zu tun hat, entwickelt sich eben erst, wenn der Mensch seinen Durchbruch in die Welt vollzogen hat, wenn er also mit der Welt in Zusammenhang getreten ist.

Dann aber tritt für sein Seelisch-Leibliches wiederum etwas Ähn­liches ein wie beim Zahnwechsel. Beim Zahnwechsel sind diejenigen Kräfte freigeworden, die nach dem Denken, Fühlen, Wollen gehen, was sich mehr nach der Erinnerungsseite hin entwickelt. Die Erinne­rungskraft wird gewissermaßen frei. Jetzt, bei der Geschlechtsreife, kommt etwas zu freier seelischer Tätigkeit, das vorher in den Rhythmus

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der Atmung hineingegangen ist, was sich von da aus noch be­strebte, Rhythmus in das Muskelsystem, sogar in das Knochensystem hineinzubringen. Dieses Rhythmische wird nun frei, und das wird frei als Empfänglichkeit des Jünglings oder der Jungfrau für ideale Ge­bilde, für das Phantasiemäßige. Die eigentliche Phantasie wird im Grunde mit der Geschlechtsreife erst aus dem Menschen herausgeboren, denn die eigentliche Phantasie kann erst dann geboren werden, wenn der von Zeit und Raum freie astralische Leib geboren wird, der ebenso wie die Träume Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nach inneren Gesichtspunkten durcheinander gruppieren kann.

Was bringt sich denn der Mensch mit, wenn er da gewissermaßen auf dem Umwege durch das Knochensystem durchbricht in die Welt? Er bringt sich das mit, was vorher in seinem Inneren war, was er aus seinem präexistenten Leben in sein Inneres hereingebracht hat. Er wird gewissermaßen mit der Geschlechtsreife tatsächlich aus der geistig-seelischen Welt herausgeworfen. Man kann das ohne Übertreibung sagen, denn es ist die reine Wahrheit: der Mensch wird mit der Ge­schlechtsreife aus dem geistig-seelischen Leben der Welt herausgeworfen und hineingeworfen in die äußerliche Welt, die er nur mit seinem phy­sischen Leib, mit seinem ätherischen Leib wahrnehmen kann. Und wenn das auch durchaus nicht klar in das Bewußtsein herauftritt, im Unter­bewußten spielt es eine um so größere, eine um so intensivere Rolle. Im Unterbewußtsein spielt es eine solche Rolle, daß nun der Mensch -wie gesagt, unterbewußt oder halbbewußt - die Welt, die er betritt, vergleicht mit der Welt, die er früher in sich gehabt hat. Er hat sie früher in sich nicht vollbewußt wahrgenommen, aber er fand die Mög­lichkeit in sich, mit ihr zu arbeiten. Das Innere des Menschen gibt die Möglichkeit, frei mit einer Überwelt zu arbeiten, frei mit einem Gei­stig-Seelischen zu arbeiten. Die äußere Welt gibt das nicht. Da gibt es alle möglichen Hemmungen, da gibt es die Wünsche, diese Hemmun­gen zu überwinden. Da gibt es den ganzen Tumult, der in dem Ver­kehre zwischen Mensch und Welt zwischen dem vierzehnten und fünf­zehnten Jahre und dem Beginn der Zwanzigerjahre eintritt.

Dieser Tumult muß da sein, und man muß während der ganzen vorhergehenden Erziehung auf diesen Tumult hinschauen, der notwendigerweise

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entstehen muß. Menschen, die vielleicht übertrieben elegisch veranlagt sind, können glauben, es sei gut, wenn man dem Menschen diesen Tumult erspart. Dadurch wird man aber gerade sein größter Feind. Man soll dem Menschen diesen Tumult nicht ersparen. Man soll die ganze Erziehung vorher so veranlagen, daß sie nun dem innerlichen Arbeiten des Geistig-Seelischen am Menschen zu Hilfe kommt.

Und von der Geschlechtsreife an soll man sich klar sein, daß der Mensch einem ein neues Wesen entgegenbringt, welches aus seinem Ver­hältnisse zur Welt entsteht, daß das Autoritätsgefühl jetzt keine Rolle mehr spielt, daß er vor allen Dingen, wenn irgend etwas an ihn herange­bracht wird, die Gründe dafür verlangt. Wir müssen uns jetzt ange­wöhnen, dem heranwachsenden Jüngling und der heranwachsenden Jungfrau mit Gründen entgegenzutreten. Wir müssen uns zum Bei­spiel gewöhnen, wenn der Jüngling oder die Jungfrau, die eben eine Überwelt in die Welt hereingeführt hat, nun toben, daß diese Welt nicht so ist, daß alles so anders sein muß - wenn sie rebellisch werden, muß man sich bemühen, ohne daß man dabei in die Philisterei verfällt, nun zu motivieren, daß dasjenige, was da ist, ja schließlich aus dem Vorhergehenden, aus dem Geschichtlichen geworden ist. Man muß den gescheiten Menschen spielen, der voll begreift, wie dasjenige, was da ist, geworden ist. Aber man wird mit Autorität gar nichts mehr aus­richten können. Man muß so in der Sache drinnenstehen, daß man jetzt die vollgültigen Gründe für die Dinge anzuführen in der Lage ist. Tritt einem gerade in diesem Lebensalter durch den Menschen eine nichtbegründete Welt von Inhalten entgegen, treten einem Zustände entgegen in der Welt, die unvernünftig empfunden werden und denen gegenüber man so empfindet, daß man sich sagt: Was ich bisher gelebt habe, bevor ich die Welt betreten habe, ist ja eigentlich sinnlos, denn das alles führt mich in eine Welt, die ja unvernünftig ist -,findet man da nicht den Anschluß an Menschen, die nun wiederum die Vernünf­tigkeit der Welt wenigstens bis zu einem gewissen Grade begründen können, dann wird der innere Sturm zu groß, dann verliert der Jüng­ling oder die Jungfrau den inneren Halt. Denn dieser freigewordene astralische Leib, der ist eben nicht von dieser Welt. Aus seiner Welt ist

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der Mensch herausgeworfen, und er will sich in diese Welt nur hinein­stellen, wenn diese Welt es begründen kann, daß sie auch da ist.

Sie werden das gründlich mißverstehen, was ich sage, wenn Sie meinen, daß ich das für das volle Bewußtsein des Menschen schildere. Nein, für das schildere ich es nicht, sondern ich schildere es gerade als im tagwachenden Zustand im Unterbewußten drinnen sich abspielend, in Gefühlen heraufwogend, in sich abstumpfenden Willensimpulsen heraufwogend, sich auslebend in enttäuschten Idealen, in enttäuschten Wünschen, sich auslebend in einem gewissen Stumpfwerden vielleicht gegenüber dem, was sich in der unvernünftigen Außenwelt darstellt.

Denn, wenn in diesem Lebensalter noch erzogen werden soll - und für jeden, der etwas lernen will, muß ja auch erzogen werden -, so muß das zu Lernende in einer entsprechenden Erziehungsform an den Men­schen herangebracht werden, so muß ja vorbereitet werden für die Zeit der beginnenden Zwanzigerjahre bis weiter ins Leben hinein. Da­für muß vorgearbeitet werden. Denn, was man erlebt vom fünfzehnten bis zum einundzwanzigsten, zweiundzwanzigsten Jahre - diese Periode grenzt sich selbstverständlich nicht ganz voll ab, besonders in unserer chaotischen Zeit nicht, manchmal geschieht das noch viel später -, was man da erlebt, das muß dazu führen, daß man ausgerüstet mit alle­dem, was einen gestochen hat aus dem Leben, mit alledem, wo man selbst gestochen hat in das Leben, in den Zwanzigerjahren wieder auf­genommen wird in die Welt, aus der man bei der Geschlechtsreife her­ausgeworfen worden ist. Man muß wieder aufgenommen werden; man muß wieder einen Anschluß finden, denn ohne diesen Anschluß geht es im Leben nicht. Diesen Anschluß muß man selbständig finden. Wird er einem durch Autorität aufgezwungen, dann gilt er nichts für den Menschen im Leben.

Wir müssen daher bis zur Geschlechtsreife hin, durch die vom Kinde ersehnte Autorität, das Kind so weit bringen, daß wir unsere Autorität von der Geschlechtsreife an nicht mehr anzuwenden brauchen. Aber wir müssen uns auch selber, ganz besonders als Lehrer und Erzieher, in eine solche Lage bringen, daß wir überall dasjenige begründen kön­nen, was wir an das Kind heranbringen wollen.

Das zeigt zunächst vom mehr geistig-seelischen Standpunkte aus

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jene ganz grandiose Metamorphose, die sich mit der Geschlechtsreife für den heranwachsenden Menschen abspielt.

Es ist von der allergrößten Wichtigkeit, festzuhalten, daß das Prinzip der Geschlechter im Menschen erst mit seinem Eintritt in die Welt, wie ich ihn charakterisiert habe, auftritt. Natürlich, da alles im Leben relativ vorhanden ist, so muß auch diese Wahrheit als relative Wahr­heit genommen werden. Aber eigentlich muß eingesehen werden, daß der Mensch bis zur Geschlechtsreife als allgemein menschliches Wesen lebt, und daß er dasjenige, was er von der Welt erlebt dadurch, daß er Mann oder Frau ist, erst von dem Eintritt der Geschlechtsreife an erlebt. In dieser Beziehung, in der man ja heute aus unserer allgemeinen intellektuell-naturalistischen Zivilisation heraus nicht sehr einsichtig ist, ergibt sich für denjenigen, der etwas unbefangen gerade für rich­tige Menschenerkenntnis an die Welt herantritt, erst die wirkliche Ein­sicht in das Verhältnis der Geschlechter in der Welt und auch in die Bedeutung zum Beispiel der Geschlechtsfrage oder der Frauenfrage in der Gegenwart und für die nächste Zukunft.

Natürlich, wenn gesagt werden muß, daß der Mensch gewisser­maßen nur bis zur Geschlechtsreife hin im allgemeinen Mensch ist, so wird das nur vollständig verstanden, wenn man sich klar darüber ist, welche ungeheuer bedeutungsvolle Metamorphose zum Beispiel für das männliche Geschlecht in der Umwandlung der Stimme, der Stimm­lage während der Geschlechtsreife stattfindet. Ähnliche Prozesse fin­den ja auch statt für das weibliche Geschlecht; sie sind nur auf einem etwas anderen Felde gelegen. Dasjenige, was menschliche Stimme im allgemeinen ist mit all ihrer Modulation, mit allem, was sie befähigt zum Laut- und Tongestalten, das rührt von dem Allgemein-Mensch­lichen her, das ist herausgeboren aus dem Geistig-Seelischen, wie es in dem Menschen bis zur Geschlechtsreife hin arbeitet. Dasjenige, was der Mensch an Verwandlung seiner Stimmlage aufbringt, ist etwas ihm von außen, von der Welt Aufgedrängtes, das ist etwas, wodurch er sich mit seinem innersten Wesen in die äußere Welt hineinstellt. Es ist ein­fach, daß nun beim Kehlkopf nicht nur die Weichteile nach der An­lehnung an die Knochen hinarbeiten, sondern es ist ein leises Verknöchertwerden

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des Kehikopfes selber, was da auftritt, und im Grunde genommen dadurch ein Herausgehen des Kehlkopfes aus dem bloßen inneren Menschensein in das Weltsein.

Überhaupt ist es so, daß wir dieses Hineintreten in die Welt als etwas viel Allgemeineres ansehen müssen, als es gewöhnlich angesehen wird. Gewöhnlich schildert man das Eintreten des Menschen in die Periode, in welcher bei ihm die Liebe eine Rolle spielt, so, als ob eben die Liebe, wenn auch im allgemeineren Sinne, nur für das Geschlechts-leben ihre Rolle spielen würde. Es ist nicht so; der Mensch tritt mit dem Durchgang in die Geschlechtsreife in die Kraft des Liebens für alles dasjenige, was in seiner Umgebung ist, ein. Nur eine besondere Nuance, ein Herausgehobenes aus dem allgemeinen Lieben ist die Liebe zwi­schen Mann und Weib. Nur wenn man sie in dieser Spezialisierung an­sieht, dann versteht man sie eigentlich recht, und dann versteht man auch recht ihre Aufgabe in der Welt.

Was tritt denn eigentlich mit der Geschlechtsreife im Menschen auf? Bisher war ihm die Menschheit so gegeben, daß er sie nachahmen konnte, daß er unter ihrer Autorität stehen konnte. Sie wirkte von außen in ihn herein, denn alles dasjenige, was in ihm war, kam ja im Grunde genommen von dem, was er sich schon aus dem präexistenten Leben mitgebracht hatte. Die Menschheit als Ganzes wirkte vom Gan­zen in ihn herein. Zunächst indem er sie nachahmte, dann indem er unter ihrer Autorität stand. Jetzt, nachdem er selber den Weg zur Menschheit gefunden hat, nachdem die Menschheit nicht mehr auf ihn zu wirken braucht in der Weise, wie das früher der Fall war, jetzt tritt Empfindung, Gefühl für das Allgemein-Menschliche in sein Inneres herein, und dieses ist das Gegenstück dazu, daß der Mensch fortpflan­zungsfähig wird. Er ist in der Lage, Menschen aus sich hervorzubrin­gen im physischen Sinne; geistig-seelisch kommt er in die Lage, in sich die ganze Menschheit zu erleben.

In diesem Erleben der ganzen Menschheit, da tritt nun stark die Differenzierung nach Mann und Frau auf. Diese Differenzierung nach Mann und Frau tritt so auf, daß nur durch eine vollständige Verstän digung durch das soziale Leben selber, durch die Realität des Aus­tausches, auch im Seelisch-Geistigen, zwischen Mann und Frau die

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volle Menschheit auf der Erde sich verwirklichen kann. Die Frau trägt so wie der Mann das volle Menschliche in sich, aber so, daß sie es wie eine Gabe aus dem Außerirdischen ansieht, wie etwas, das im Grunde genommen aus dem Himmlischen herein sich in die Welt ergossen hat. Die Frau sieht die Menschheit so an, daß sie gewissermaßen im Hinter­grunde ein Bild hat, wenn auch im Unbewußten, nach dem sie die Menschheit formt. Die Frau sieht die Menschheit so an, daß sie dabei vorzugsweise Werturteile zugrunde legt, daß sie abwertet, abschätzt. Wenn das im heutigen Leben nicht immer zugegeben wird, so rührt das lediglich davon her, daß unser heutiges Leben eben zunächst in der Außenwelt durchaus den Charakter einer Männerzivilisation trägt.

Seit längerer Zeit ist die hauptsächlichste Kraft des Zivilisatorischen ein Männisches, ein von Männern Ausgehendes. So grotesk sich wie­derum diese Behauptung ausnimmt, es ist ein tief bedeutsames Sym­bolum des heutigen Lebens, daß sich mit etwas, wovon die Frauen nichts wissen sollen, die Männer in die Freimaurerlogen zurückziehen. Und wenn dann Logen zusammenkommen, wo Frauen und Männer untereinander sind, dann ist im Grunde genommen da das Freimaurer­tum schon absolut abgestumpft, ist nicht mehr dasselbe. Wer die Kon­stitution des Freimaurertums ins Auge faßt, sieht in ihm natürlich eine Spezialerscheinung, mit Recht; aber er sieht in ihm zugleich dasjenige, was in intensiver Weise darauf hindeutet, wie unsere Zivilisation eine männische ist. Und die Frauen haben eben ungeheuer viel Männisches angenommen und unterdrücken dadurch erst recht das spezifisch Frauenhafte. Daher macht auf Männer manche Strömung in der heu­tigen Frauenbewegung den Eindruck: das sind Programme, das sind Ideale, aber die unterscheiden sich im Grunde genommen ihrer inner­lichen Substanz nach, nicht einmal ihrem Tone nach, nicht von den Idealen und Programmen der Männerbewegung. Gewiß, sie unter­scheiden sich dadurch, daß man einmal die Forderungen für die Frauen, das andere Mal für die Männer aufstellt; aber ich meine jetzt, ihrer innerlichen Substanz nach unterscheiden sie sich eigentlich gar nicht.

Dem inneren Wesen nach trägt der Mann die Menschheit so in sich, daß er eigentlich das Menschliche immer wie ein Rätsel empfindet, wie etwas, das er nicht ganz durchdringen kann, das an ihn unsägliche

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Fragen stellt, mit denen er nicht fertig wird. Diese spezielle Männer­nuance, die dann eben gerade im Freimaurertum in all das Zeremo­nielle und Geheimnisvolle ausgeflossen ist, das einen männisch trocknen Charakter hat, die ist so in unsere allgemeine Kultur eingedrungen, daß eben die Frau heute darunter seufzt, aber auf der anderen Seite wiederum es verlangt, es begehrt und sich hineinleben möchte.

Wenn man, so sonderbar es klingt, die heutige Medizin nimmt mit ihrem ganz materialistischen Charakter und zu gleicher Zeit mit der Eigenschaft, daß von der menschlichen Natur, gerade von der phy­sischen Natur, wiederum nichts verstanden wird, sondern man höch­stens darauf angewiesen ist, daß man ausprobiert - wenn man diese Medizin nimmt -, sie ist in ausgeprägtem Maße ein Männerprodukt' so daß man gar nicht klarer charakterisieren könnte, was aus dem Männerkopf heute eigentlich herkommt, als an der heutigen Medizin.

Wenn man heute oftmals die Wahrheit auseinandersetzt, so neh­men einen die Leute für einen Menschen, der aus Lust das Paradoxe auseinandersetzt; aber dasjenige, was heute real ist, ist ja vielfach eben das Paradoxe. Daher muß man, wenn man die Wahrheit charakteri­siert, was unbequem ist, eben paradox wirken.

Während also die Frau die Menschheit mehr im Bilde erlebt, erlebt sie der Mann mehr als Wunsch mit einem Rätselcharakter. Nach einer anderen Seite dringt man in dasjenige, was hier vorliegt und was ins­besondere für den Erziehungs- und Unterrichtskünstler von ganz be­sonderer Wichtigkeit ist, nur ein, wenn man sich klar wird darüber, daß ja in der heutigen Zivilisation ganz im allgemeinen von Liebe ge­sprochen wird. Liebe, gewiß, man kann auch im allgemeinen von Liebe sprechen, so wie man von Tischzutaten sprechen kann; aber wenn jemand jene abstrakten Spekulationen von den Dingen in die Welt hineinstellt und dann anfängt über sie zu sprechen, dann kommt es mir immer so vor, wie wenn einer rede davon: Salz, Zucker, Pfeffer, das sind Tischzutaten, alles Essenszutaten. Das ist ein Abstraktum. Wenn er dann ins Leben übergehen würde und würde sich in den Kaffee Salz tun statt Zucker, weil alles eine Essenszutat ist, also alles unter dieselbe allgemeine Kategorie fällt, so wird er eben töricht sein, nicht wahr. Im Zivilisationsleben wird man alle Augenblicke so töricht, indem

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man sich in die spekulativen Allgemeinheiten begibt und nicht in die konkreten Realitäten des Lebens.

Die Liebe ist eben etwas ganz anderes bei dem Mann und bei der Frau. Bei der Frau geht durchaus die Liebe von der Phantasie aus und ist immer damit verknüpft, ein Bild zu formen. Die Frau liebt - ver­zeihen Sie, wenn ich das sage - niemals vollständig bloß einfach den realen Mann, der dasteht im Leben; die Männer sind ja auch gar nicht so, daß man sie, wie sie heute sind, mit einer gesunden Phantasie lieben könnte, sondern es ist immer etwas mehr darinnen, es ist das Bild dar­innen, das aus jener Welt heraus ist, die eine Gabe des Himmels ist. Der Mann hingegen liebt mit Wunsch; die Liebe des Mannes trägt einen ausgesprochenen Wunschcharakter. Und dieser Unterschied muß gemacht werden, wie das auch in mehr ideellem, idealem oder realem Sinne dann zum Ausdruck kommt. Das höchste Ideal kann noch ideale Wünsche enthalten; das instinktiv Sinnlichste kann Produkt der Phan­tasie sein. Aber dieser radikale Unterschied ist zwischen Mannes- und Frauenliebe. Die Frauenliebe ist in Phantasie getaucht; die Männerliebe ist in Wunsch getaucht. Dadurch gerade bilden sie etwas, was im Leben in Harmonie tritt.

Dies aber sollte gerade der Erziehungskünstler voll im Sinne haben, wenn er sich den geschlechtsreifen Menschen gegenübergestellt findet. Er sollte sich klar darüber werden, daß gewisse Dinge, die vorher nicht an den Menschen herangebracht worden sind, eben nicht mehr nach­zuholen sind, wenn man in das Geschlechtsreifealter eingetreten ist. Man muß bis zum geschlechtsreifen Alter hin so viel an den Menschen heranbringen, daß es durch alle Folgezeit genügt, daß der Mann nicht einseitig wird und die Frau nicht. Sie werden aber unweigerlich ein­seitig, wenn nicht in der richtigen Weise bis zum Geschlechtsreifealter hin erzogen wird.

Heute, wo wir glücklicherweise immer mehr und mehr in die Zeit eintreten, wo auch nach dem Geschlechtsreifwerden bei den folgenden Erziehungsgelegenheiten das männliche und das weibliche Geschlecht nebeneinander teilnehmen, um nebeneinander im sozialen Leben zu arbeiten, heute ist es ganz besonders wichtig, dies, was ich eben gesagt habe, voll zu berücksichtigen. Denn gerade dadurch wird auch so etwas

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wie die Frauenbewegung erst auf eine gesunde, auf eine wirklich ge­sunde Grundlage gestellt werden können.

Wir haben, wenn wir uns dies, was ich jetzt sage, in einem größeren Weltenbilde vor Augen stellen, darauf Rücksicht zu nehmen, daß ja unsere Erdenzivilisation einen Grundunterschied aufweist zwischen dem Westen und dem Osten, zwischen Asien auf der einen Seite und Europa, Amerika auf der anderen Seite. Viel größer als alle anderen Differenzierungen, viel größer zum Beispiel als die Differenzierung zwischen Europa und Amerika, ist die Differenzierung zwischen Eu­ropa, Amerika auf der einen Seite und Asien auf der anderen Seite. In Asien hat man doch eben etwas, was in eine uralte weisheitsvolle Kultur zurückweist. Sie ist äußerlich in der Dekadenz, vollständig dekadent, aber sie lebt wie eine Erinnerung, sie wird verehrt wie eine Erinnerung. Sie lebt so, daß im Grunde genommen der Asiate dennoch weder den Europäer noch den Amerikaner in der richtigen Weise verstehen kann. Und wer sich darüber täuscht, der täuscht sich eben über das größte historische Weltgeheimnis der Gegenwart, das insbesondere in der Ge­genwart wichtig ist, und für die nächste Zeit ganz besonders wichtig werden wird.

Im Westen haben wir trotz aller Nuancierungen ein Gleichmäßiges gegenüber dem Osten. Wir haben das Hineinleben in die irdische Zivi­lisation, diejenige Zivilisation, die vor allen Dingen ihre Vorstellungen von dem hernimmt, was zwischen Geburt und Tod liegt. Der Osten lebt fast gar nicht mit dem, was zwischen Geburt und Tod liegt, nicht im inneren religiösen Leben, nicht im äußeren, mechanischen Zivilisations­leben. Der Westen aber lebt in diesem Leben, das zwischen Geburt und Tod sich abspielt, auch mit seinen religiösen Empfindungen. Der Ost-mensch frägt: Warum bin ich denn eigentlich geboren, warum bin ich denn in diese physisch-sinnliche Welt hereingekommen? - Der West-mensch nimmt das Leben in der physisch-sinnlichen Welt mehr oder weniger als Selbstverständlichkeit. Selbst wenn er zum Selbstmörder wird, ist das noch so. Er nimmt das Leben als eine Selbstverständlich­keit, und nur, weil dieses physische Leben eine große Enttäuschung wäre, wenn es mit dem Tode abschließen würde, entwickelt er auch eine gewisse Empfänglichkeit für das außerirdische Leben.

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Es ist ein radikaler Unterschied, aber diesen radikalen Unterschied treffen wir nicht, wenn wir jetzt wiederum in abstrakter Weise die Sache charakterisieren, sondern wenn wir in das konkrete Leben ein­treten. Je weiter man von dem Osten gegen den Westen kommt, desto mehr findet man, wie trotz allen Bewußtseins in der Frau eine Sehn­sucht nach dem Inneren des Ostens lebt. Ganz anders beim Manne des Westens. Er hat auch Sehnsuchten' aber nicht nach etwas, sondern aus dem heraus, was er erlebt. Er steht ganz in dem äußeren Zivilisations­leben drinnen, das sich zwischen Geburt und Tod abspielt. Aber etwas in ihm will doch noch aus diesem heraus. Und das ist in alledem wahr­zunehmen, was uns schließlich als äußere Zivilisation umgibt von der Weichsel, durch Deutschland, Frankreich, England, Amerika hindurch bis nach der anderen Seite zum Stillen Ozean. Da ist in dieser Bezie­hung durchaus ein gemeinsamer Zug. Und diesen gemeinsamen Zug merkt heute zu seiner vielleicht unbewußten Verzweiflung, aber eben im Bewußten, der Erzieher, der dem geschlechtsreifen Menschen ent­gegentritt. Man muß schon erziehender Philister werden, wenn man das nicht merkt.

Wir haben ja in den verflossenen Betrachtungen angedeutet, wie man eigentlich die Bücher alle wegwerfen sollte in der Schule, wie rein nur das persönliche Verhältnis des Erziehungskünstlers zum Kinde wirken sollte. Wenn man aber nun an die geschlechtsreifen Menschen herantritt, dann werden die Bücher, dann wird fast das ganze äußere Zivilisationsleben überhaupt zu einer Qual. Ich weiß, daß das von vielen nicht wahrgenommen wird, weil sie sich nicht bis zu diesem Grade ins reale, ins wirklich konkrete Leben hineinstellen. Aber unsere ganze äußere Zivilisation hat ja durchaus auch in dieser Beziehung etwas einseitig Männisches. Geschichte, Kulturgeschichte, Anthropolo­gie, alles hat etwas einseitig Männisches. Der Mensch möchte als Abend-länder heraus aus der Welt, in der er eigentlich drinnensteckt. Aber dieses Heraus, das wagt er nicht wirklich zu vollziehen. Er findet nicht die Brücke aus der physisch-sinnlichen Welt zur geistigen Welt. Und so haben wir in unserer äußeren Zivilisation überall die sinnlich-physische Welt charakterisiert eigentlich mit der Sehnsucht: heraus aus ihr, aber wiederum mit dem Nichtherauskönnen aus ihr.

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Es ist durchaus so, daß man ja große Mühe hat, im Konkreten Schul­einrichtungen zu treffen für Kinder bis zum geschlechtsreifen Alter, daß man dann aber für die älteren Kinder in einem gewissen Sinne ganz hilflos wird, weil das, was einem zur Verfügung steht, um den Menschen damit noch etwas zu sein, einfach nicht genügt. Und des­halb müßte im Grunde gerade der Erziehungs- und Unterrichtskünst-1er empfinden, wenn er nun dem geschlechtsreifen Alter gegenüber­steht: du brauchst, damit du überhaupt nur anfangen kannst mit dem Erziehen und Unterrichten, etwas von wirklicher Menschenerkennt­nis. Deshalb wird vielleicht mehr oder weniger leise dem Erzieher des noch nicht geschlechtsreifen Menschen gegenüber heute schon die Sehnsucht nach tieferer Menschenerkenntnis auftauchen können. Aber für jedes gesunde pädagogische Empfinden muß sie wie etwas inner­lich Unbesiegeltes auftreten gegenüber der Erziehung des geschlechts-reifen Menschen.

Daß die Frau sich nach dem Osten sehnt, der Mann eigentlich her­aus will aus dem Westen, das ist ein Grundzug unserer ganzen gegen­wärtigen Zivilisation. Das ist etwas, was uns, weil der Mensch bis zum geschlechtsreifen Alter hin nur im allgemeinen Mensch ist, auf den Erüheren Schulstufen nicht so stark entgegentritt, was uns aber, sobald wir dem geschlechtsreifen Menschen gegenüberstehen, sogleich ganz im Konkreten entgegentritt.

Nehmen Sie einmal an, der Deutschlehrer möchte einem geschlechts-reifen Menschen irgendein Buch empfehlen, das vom deutschen Stand­punkte aus Goethe schildert. Er ist absolut in Verlegenheit. Es gibt so etwas innerhalb der gebräuchlichen anerkannten Zivilisation nicht. Und wenn die dazu geschriebenen Bücher verwendet werden, so lernt eben der Deutsche den Goethe aus diesen Dingen gar nicht kennen. Wenn, sagen wir, die Goethe-Biographie von Lewes verwendet wird, lernt der Deutsche zwar mehr nach außen gehende Seiten Goethes gut kennen, besser als aus irgendeinem deutschen Buche, aber er lernt wiederum nicht dasjenige kennen, was in Goethe das spezifisch Deut­sche ist. Und so ist es heute überall, einfach aus dem Grunde, weil wir eine für die Erziehung, für den Unterricht des geschlechtsreifen Men­schen brauchbare Literatur oder dergleichen überhaupt nicht haben.

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In bezug auf so etwas kommt alles darauf an, daß wir wirklich in das Zeitalter eintreten, wo die Frau mitgestaltend wirkt für das Zivili­sationsleben, wo die Frau dasjenige in das Zivilisationsleben hinein-bringt, was sie speziell als Frau bringen kann, wo sie aber nicht das­jenige hineinträgt, was sie aus der bisher männischen Kultur gelernt hat. - Ich hatte einmal mit einer deutschen Frauenrechtlerin in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein Gespräch; sie war ganz radikal in ihren Anschauungen, dennoch mußte ich sagen, diese An­schauungen kommen mir doch so vor, als ob die Frau nur in die Män­nerkultur hineinwachsen wollte, nicht die Welt mit ihrem Frauen-wesen bereichern. Das, was hier gemeint wird, ist nicht in einseitiger oder philiströser Weise gedacht. Ich mußte selbst dieser sehr freien, radi­kalen Frau gegenüber sagen: Ja, diese Bewegung stellt noch nicht das­jenige dar, was die Welt eigentlich braucht. Die Welt braucht nicht das, daß nun die Frauen sich anziehen - verzeihen Sie -, was man in England nicht aussprechen darf, sondern daß tatsächlich zusammen-wirkt, was Mann und Frau, je nachdem, an sich haben können.

Bei allem, mit dem wir an den werdenden Menschen herantreten, müssen wir auf diese besondere Konfiguration vor und nach der Ge­schlechtsreife hinarbeiten. Legen wir uns einmal eine konkrete Frage vor. Es gibt das «Verlorene Paradies» von Milton. Es wird ganz gut sein, das auch zum Gegenstand des Unterrichts zu machen. Wann? Derjenige, der alles das betrachtet, was ich in diesen Dingen auszufüh­ren versucht habe, wird bei richtigem Begreifen des Eintrittes des er­zählenden, des beschreibenden Elementes in das Lebensalter nach dem zehnten Lebensjahre finden, daß in dieses Alter Miltons «Verlorenes Paradies» beziehungsweise überhaupt die epische Poesie hineingehört. Auch Homer wird, wenn er zwischen dem zehnten und vierzehnten Jahre vorgebracht wird, in entsprechender Weise am besten aufge­nommen werden. Dagegen ist etwas durchaus gegenüber der wirklichen Menschheitsentwickelung Verfrühtes, wenn man erziehungs- oder un­terrichtsgemäß in dieses Lebensalter mit Shakespeare hineinfällt; denn um dasjenige, was in der dramatischen Poesie auftritt, in der richtigen Weise als Mensch aufzunehmen, hat man schon wenigstens den Übergang

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ins geschlechtsreife Alter nötig. Das Dramatische vorher aufzu­nehmen, hieße, aus seinem Menschen etwas heraustreiben, was einem später dann durchaus fehlen wird.

Was ich eben anzudeuten versuchte, das wird man so stark gewahr, wenn man genotigt ist, sowohl für den Jüngling wie für die Jungfrau nach dem Eintritt in die Geschlechtsreife - ich will heute nur ein Bei­spiel herausheben - zum Beispiel Geschichte vorzuführen. Im wirk­lichen Gang der menschlichen Geschichtsentwickelung fielen, wenn auch in anderer Form, männliche und weibliche Kräfte durcheinander. Unsere Geschichtsdarstellungen, die uns einzig und allein für das ge­schlechtsreife Alter zur Verfügung stehen, sind aber durchaus männi­scher Natur, wie wenn sie bloß von Epimetheus dargestellt worden wä­ren. Dafür bringen zum Beispiel die Mädchen, die geschlechtsreif ge­worden sind, gar kein Verständnis entgegen. Den Jungen wird es etwas langweilig, aber es ist noch eher mit ihnen auszukommen mit dem Epi­metheischen, mit demjenigen, was vorzugsweise mit dem Urteilen, mit dem unmittelbar Feststellbaren sich befaßt.

Es gibt auch eine Prometheus-artige Darstellung der Geschichte, wo nicht nur dasjenige gezeigt wird, was geschehen ist, sondern, wo das­jenige, was von Ideen in der Gegenwart dasteht, in seiner Metamor­phose aus Vorangegangenem gezeigt wird, aber so gezeigt wird, wie Impulse da waren, um die Gegenwart weiterzuführen, wie die Gegen­wart wieder weitergeführt wird durch Impulse. Dieses Wirken eines Prometheus-Elementes in der Geschichte, das ist dasjenige. was das Frauenelement besonders anzieht.

Es würde durchaus einseitig werden, wenn man die Geschichte in einer Frauenschule in einer Prometheus-artigen Weise, für die Männer in einer Epimetheus-artigen Weise darstellen wollte. Die Männer wür­den ganz in die Vergangenheit zurückfließen und da noch mehr erstar­ren als sie es heute sind. Die Mädchen in den Mädchenschulen würden gerade bei den für sie geeigneten Geschichtsdarstellungen gewisserma­ßen der Zukunft nur entgegenfliegen wollen. Sie würden überall die Impulse empfinden, die durchaus ihrem Verständnisse besonders nahe­liegen. Aber wir gewinnen ein richtiges Wirken für das soziale Zu­sammenleben nur dann, wenn wir eben zu dem, was wir heute fast

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einzig und allein zur Verfügung haben, zu der Epimetheus-artigen Ge­schichte, die von Prometheus geschriebene hinzufügen. Dann, wenn beide Elemente in der Geschichtsdarstellung wirken, werden wir tat­sächlich für das geschlechtsreife Alter geschichtliche Darstellungen ha­ben, beziehungsweise solche zustande bringen, wenn uns die entspre­chende Aufgabe zugefallen ist.

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VIERZEHNTER VORTRAG Dornach, 5. Januar 1922

Dasjenige, was ich Ihnen als Gliederung der menschlichen Wesenheit dargestellt habe und was dienen kann, eine totale Menschenerkenntnis zu erringen, das kann von den verschiedensten Gesichtspunkten aus dargestellt werden, und gerade wenn es von den verschiedensten Ge­sichtspunkten aus dargestellt wird, so kommt der Mensch allmählich zu einer wirklichen Erkenntnis desjenigen, was eigentlich dahinter­steckt. Ich habe Ihnen von dem astralischen Leibe gesprochen, also von demjenigen Gliede der menschlichen Wesenheit, das sich gewis­sermaßen über die räumlichen sowohl wie die zeitlichen Zusammen-hänge hinwegsetzt, das in freier Weise die räumlichen und die zeit­lichen Zusammenhänge braucht. Ich habe versucht zu zeigen, wie dies im Traume mit seinen Bildern zum Ausdrucke kommt, indem gezeigt wurde, daß ja der Traum im wesentlichen von dem astralischen Leibe herrührt, und daß der Traum das zeitlich Auseinanderstehende in sei­nen Bildern ineinander verweht.

Man kann viele Gesichtspunkte wählen, um das zu charakterisieren, was der menschliche astralische Leib ist. Man kann zum Beispiel auch versuchen, einen Einblick zu gewinnen in all diejenigen Eigenschaften und Zustände, die der Mensch mit der Geschlechtsreife aus sich heraus entwickelt, und man wird, indem man auf diese Zustände, auf diese Kräfte sieht, auch ein Bild des Astralleibes gewinnen; denn mit der Geschlechtsreife wird gerade das zur freien Behandlung des Menschen geboren, was der astralische Leib ist.

Augustinus, der mittelalterliche Schriftsteller, sucht nun in einer anderen Art an den astralischen Leib heranzukommen. Ich muß be­tonen, daß man bei Augustinus durchaus noch die Gliederung des Menschen in dem Sinne findet, wie ich sie hier darstelle, nicht aus der bewußten anthroposophischen Forschung heraus, sondern bei Augu­stinus wird sie verzeichnet aus dem instinktiven Hellsehen, das die Menschheit einmal gehabt hat. Und die Art, wie Augustinus diese Seite des astralischen Leibes charakterisiert, die mit dem Geschlechtsalter im

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Menschen zur freien Entfaltung kommt, ist für das Leben des Menschen ganz charakteristisch. Augustinus sagt nämlich eigentlich: Durch die Grundeigenschaften des astralischen Leibes mache sich der Mensch mit alledem bekannt, was durch die Menschheit künstlich in die Mensch­heitsentwickelung hineinwellt. Wenn wir ein Haus bauen, einen Pflug fabrizieren, eine Spinnmaschine konstruieren, so ist das so, daß die Kräfte, die dabei vom Menschen in Betracht kommen, an den astra­lischen Leib gebunden sind. Der Mensch lernt tatsächlich durch seinen astralischen Leib dasjenige kennen, was ihn in der Außenwelt von dem durch Menschen selbst Hervorgebrachten umgibt.

Daher ist es durchaus auf eine wahre Menschenerkenntnis begrün­det, wenn wir uns im Erziehungs- und Unterrichtswesen bemühen, den Menschen von dem Zeitpunkte an, wo er durch die Geschlechtsreife hindurchgeht, praktisch in diejenigen Seiten des Lebens einzuführen, die vom Menschen selbst hervorgebracht worden sind. Das ist aller­dings heute eine kompliziertere Sache als zur Zeit des heiligen Augustin. Damals war das Leben um den Menschen herum wesentlich einfacher. Heute ist es kompliziert geworden. Aber gerade dem, was ich an den vorhergehenden Tagen seelische Ökonomie im Unterrichts- und Erzie­hungswesen genannt habe, dem muß es gelingen, auch heute auf den geschlechtsreifen Menschen so hinzuschauen, daß er in der Zeit vom fünfzehnten bis gegen das zwanzigste Jahr oder noch über das zwan­zigste Jahr hinaus nach und nach so erzogen wird, daß er in das ihn um­gebende künstliche Menschendasein hineingeführt wird.

Bedenken Sie nur, wieviel unserer ganzen Zivilisation nach dieser Richtung hin eigentlich fehlt. Fragen Sie sich einmal, oh es nicht zahl­reiche Menschen gibt, die sich heute des Telephons, des Tramway be­dienen, ja man kann sogar sagen, des Dampfschiffes bedienen, ohne eine Vorstellung davon zu haben, was da eigentlich geschieht imDampf­schiff, im Telephon und in der Fortbewegung des Tramwaywagens. Der Mensch ist ja innerhalb unserer Zivilisation ganz umgeben von Dingen, deren Sinn ihm fremd bleibt. Das mag denjenigen als unbedeu­tend erscheinen, die da glauben, für das Menschenleben habe nur das eine Bedeutung, was sich im bewußten Leben abspielt. Gewiß, im Bewußtsein läßt es sich ganz gut leben, wenn man bloß ein Tramwaybillett

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kauft und bis zu der Station fährt, zu der man fahren will, oder wenn man ein Telegramm empfängt, ohne eine Ahnung zu haben, auf welche Weise es zustande gekommen ist, ohne jemals etwas gesehen zu haben von einem Morseapparat. Für das gewöhnliche Bewußtsein, kann man ja sagen, ist das gleichgültig; aber für dasjenige, was sich in den Tiefen der menschlichen Seele abspielt, ist es eben nicht gleich­gültig; der Mensch in einer Welt, deren er sich bedient, und deren Sinn er nicht versteht, ist wie ein Mensch in einem Gefängnis ohne Fenster, durch das er in die freie Natur hinausschauen könnte.

Von dieser Erkenntnis muß Erziehungs- und Unterrichtskunst gründ­lich durchzogen sein. Indem der Mensch, wie ich gestern charakteri­siert habe, in die Differenzierung nach Mann und Frau eintritt, wird er auch reif, in die anderen Differenzierungen des Lebens einzutreten, und er muß eben in das wirkliche Leben eingeführt werden. Daher nehmen wir, wenn das geschlechtsreife Alter bei unseren Waldorf­schulkindern herannaht, so etwas wie Spinnerei, Weberei in den Schul­plan auf. Natürlich erwächst einem dadurch eine große Aufgabe, und es ist schwierig, den Schulplan zu bearbeiten, wenn man die Tendenz verfolgt, in diesen Schuiplan vom geschlechtsreifen Alter an alles das hineinzubringen, was den Menschen zu einem lebenspraktischen Men­schen macht; das heißt, zu einem solchen, der in der Welt mit Ver­ständnis drinnensteht. Wir kämpfen ja natürlich in der Waldorfschule auch mit den äußeren Opportunitäten des heutigen Lebens. Wir müs­sen ja die Schüler und Schülerinnen dazu bringen, daß sie eventuell eine Universität in dem heutigen Sinne, eine technische Hochschule und dergleichen besuchen können. Wir müssen daher all dasjenige auch in den Lehrplan hineinbringen, was wir vielleicht sonst für unnötig halten würden, was aber aus dem angedeuteten Grunde hinein muß. Gerade für diejenigen Schüler und Schülerinnen, die das geschlechts-reife Alter erreichen, den Schulplan möglichst seelisch-ökonomisch ein­zurichten, das ist schon etwas, was einem recht schwere Sorge macht. Es macht viel Mühe, aber man kann es. Man kann es dadurch, daß man eben gerade selber einen Sinn entwickelt für die Hauptsache des Lebens, und diese in möglichst ökonomischer Weise dann an die Schü­ler und Schülerinnen heranbringt, so daß sie auf die einfachste Weise

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erkennen lernen, was sie eigentlich tun, wenn sie ein Telephongespräch empfangen oder aufgeben, was der Tramway tut mit den ganzen übri­gen Einrichtungen und so weiter. Man muß nur in sich die Fähigkeit entwickeln, bis dahin zu kommen, daß alle diese Dinge möglichst auf einfache Formeln gebracht werden; dann kann man diese Dinge durch­aus im entsprechenden Lebensalter sinngemäß an die Schüler und Schü­lerinnen heranbringen. Denn das ist es, was angestrebt werden muß, daß die Schüler und Schülerinnen mit dem Sinn unseres Kulturlebens durchaus bekannt werden. - Man muß nur schon im chemischen, im physikalischen Unterricht alles in der Weise vorbereiten, wie es eben wiederum für das betreffende Lebensalter vor der Geschlechtsreife taugt, damit man wiederum in möglichst ökonomischer Weise die ganz praktischen Seiten des Lebens darauf aufbauen kann, wenn die Ge­schlechtsreife eingetreten ist.

Da kommt natürlich auch schon das in Betracht, daß ja die Schüler und Schülerinnen nunmehr in das Alter eintreten, wo sie in einer ge­wissen Weise differenziert werden müssen darnach - natürlich einzelne auch wiederum nach anderen Richtungen -,aber darnach vor allen Din­gen, ob sie einen mehr geistigen Beruf oder einen mehr handwerklichen Beruf ergreifen. Dabei muß durchaus berücksichtigt werden, daß eine auf wirkliche Menschenerkenntnis gebaute Erziehungskunst ja wie als etwas Selbstverständliches erkennt, daß die einzelnen Glieder der menschlichen Natur nach Totalität hinstreben. Es muß nur immer eine Einsicht vorhanden sein, wie diese Totalität angestrebt werden soll. Man muß natürlich diejenigen Schüler und Schülerinnen, die ihrer be­sonderen Begabung nach für mehr geistige Berufe taugen, in diesem Sinne erziehen und unterrichten. Aber dasjenige, was auch in den späteren Lebensaltern einseitig in dem Menschen heranentwickelt wird, muß in gewissem Sinne durch eine andere Entwickelung wiederum zu einer Art Totalität erhoben werden. Wenn wir auf der einen Seite dem Schüler und der Schülerin Willensimpulse beibringen, die nach einer mehr geistigen Seite gehen, dann müssen wir die Erkenntnisseite -denn der astralische Leib verlangt, wenn er seine Willensimpulse nach einer gewissen Seite hin ausbildet, daß die auch in ihm liegenden Er­kenntnisimpulse nach der anderen Seite des Lebens auch ausgebildet

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werden -, wir müssen die Erkenntnisimpulse dann so ausbilden, daß der Mensch wenigstens eine Einsicht hat und zwar eine anschauliche Einsicht in Gebiete des praktischen Lebens, die ihm einen Sinn beibrin­gen für die Gesamtheit des praktischen Lebens.

Es ist zum Beispiel in unserer Zivilisation durchaus ein Mangel, wenn sich, ich will einen extremen Fall nennen, Statistiker finden, welche in ihre Statistiken einsetzen, wieviel in einem gewissen Terri­torium an Seife verbraucht wird und keine Ahnung haben, wie man Seife fabriziert. Niemand kann mit einem wirklichen Verständnis den Seifenverbrauch statistisch konstatieren, wenn er nicht eine Ahnung davon hat, wenigstens ganz im allgemeinen, wie man Seife fabriziert.

Sie sehen, weil ja das heutige Leben so kompliziert geworden ist, daß die Dinge, die man zu berücksichtigen hat, fast schier unermeß­lich sind, wird da ganz besonders das Prinzip des Seelisch-Ökonomi­schen die größtmögliche Rolle spielen müssen. Das Erziehungsproblem, das auf diesem Gebiete vorliegt, ist eben: in ökonomischer Weise das herauszufinden, was für dieses Lebensalter getan werden muß. Es könnte leicht getan werden, wenn uns nicht immer noch die Schlacken von allen möglichen Erziehungsveranstaltungen im Leibe steckten, die nun traditionell heraufgekommen sind in die Gegenwart und die eigent­lich dem gegenwärtigen Leben gegenüber keine Berechtigung haben.

Der Grieche würde ein sonderbares Gesicht gemacht haben, wenn man die jungen Leute zunächst, bevor sie ins griechische Leben hinein­gestellt worden sind - etwa so ähnlich, wie wir das bei unseren Gym­nasiasten tun -, in das Agyptische oder Chaldäische eingeführt hätte. Aber über diese Dinge läßt sich noch gar nicht sprechen, weil wir ja die Opportunitäten des heutigen Lebens eben durchaus berücksichtigen müssen.

Nun handelt es sich darum, in möglichst umfassender Weise den­jenigen, der sich einem mehr geistigen Berufe zuwendet, mit den Din­gen des äußerlichen handwerklichen Lebens bekanntzumachen, und umgekehrt denjenigen, der sich dem handwerklichen Leben zuwendet, soweit er urteilsfähig wird, in gewissen Grenzen mit dem, was den Menschen als geistiger Beruf zugeführt wird. Dabei muß betont wer­den, daß es durchaus wenigstens angestrebt werden muß, diese praktische

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Seite des Lebens durch die Schule selbst zu pflegen. Auch das Handwerkliche sollte nicht eigentlich dadurch gepflegt werden, daß man die jungen Leute sogleich unter die Erwachsenen in die Fabrik steckt, sondern man sollte innerhalb des Schulmäßigen selbst die Mög­lichkeit zur Hand haben, die praktische Seite des Lebens zu berück­sichtigen, damit dann der junge Mensch dasjenige, was er in einer kur­zen Zeit, ich möchte sagen, bildlich gesprochen, am Modell sich angeeignet hat, in das praktische Leben übersetzen kann. Das Aneignen am Modell kann nämlich so praktisch sein, daß durchaus die betref­fende Sache ins praktische Leben hineingetragen werden kann. Ich sehe auch nicht ein, da es doch einmal in unseren Gefängnissen gelungen ist, die Gefangenen so arbeiten zu lassen, daß sie Dinge fabrizieren, die dann im Leben draußen irgendeine Rolle spielen, warum nicht auch in den Schulwerkstätten Dinge sollten fabriziert werden, die dann ein­fach ans Leben hinaus verkauft werden könnten.

Aber daß der junge Mensch möglichst lange in dem schulmäßigen Milieu bleibt, das allerdings dann gesund sein muß, darauf ist zu sehen; denn es entspricht eben einfach der inneren Wesenheit des Menschen, nach und nach an das Leben heranzutreten und nicht mit einem Stoß in das Leben hineingeführt zu werden. Weil das Alter so wenig ver­standen hat, was mit der Jugend anzufangen ist, deshalb haben wir ja heute die wirklich schon im Internationalen drinnenstehende Jugend­bewegung, eine Bewegung, welche von den Alten heute am allerwenig­sten in ihrer tiefen Berechtigung verstanden wird. Sie hat eine tiefe Berechtigung und müßte durchaus in dieser tiefen Berechtigung ver­standen werden. Sie müßte aber auch in die richtigen Wege geleitet werden. Und das kann im Grunde genommen nur dadurch geschehen, daß das Erziehungswesen in die rechten Wege geleitet wird.

Das ist es, was wir vor allen Dingen im Waldorfschul-Prinzip an­streben: möglichst den Menschen an das Leben heranzubringen, damit er im Beginne der Zwanzigerjahre, wenn das eigentliche Ich in freier Handhabe sich in die Welt hineinstellt, auch wirklich das rechte Welt-gefühl entwickeln kann, damit er sich dann auch wirklich in einer Welt drinnen fühlen kann, von der er die Empfindung zu empfangen in der Lage ist: Ich habe Mitmenschen, die sind älter als ich, die haben die

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frühere Generation gebildet. Diese früheren Generationen haben alles das hervorgebracht, dessen ich mich nun bediene; aber ich habe eine Gemeinschaft mit diesen früheren Generationen. Ich verstehe dasjenige, was sie in die Welt hineingestellt haben. Ich setze mich nicht bloß auf den Stuhl, den mir mein Vater hingestellt hat, sondern ich lerne ver­stehen, wie dieser Stuhl zustande gekommen ist.

Es steht heute natürlich manches Vorurteil einer solchen Einführung der jungen Leute in das praktische Leben entgegen. Ich verstehe es aber hier durchaus in einem wahrhaft praktischen Sinne. Denn rich­tig ist es doch: von allen Zeitaltern, die die Menschheit in ihrer Ent­wickelung durchgemacht hat, ist das materialistische, in das wir her­eingewachsen sind, für den Menschen selbst das allergeistigste, das allerspirituellste. Sehen Sie, ich kann mich darüber vielleicht in der folgenden Weise erklären. Ich habe Theosophen kennengelernt, die streben in das Geistige hinein; aber sie sind die reinsten Materialisten, denn sie reden vom physischen Leib: er hat eine gewisse Dichte; dann reden sie vom Ätherleib: der ist dünner, aber er hat noch immer eine gewisse Dichte und Körperlichkeit; dann reden sie vom astralischen Leib: der ist schon sehr viel dünner, hat aber noch immer eine gewisse Dichte in der Vorstellung. Dann reden sie von allen möglichen anderen schönen Dingen: man kommt ja immer höher und höher hinauf, und da wird die Sache schon so dünn, daß man gar nicht mehr weiß, was man mit dieser Dünnheit anfangen soll; aber es bleibt alles doch nach Analogie des Materialismus gedacht, es erhebt sich nicht wirklich ins Spirituelle. - Eigentlich habe ich den gröbsten Materialismus innerhalb der Theosophischen Gesellschaft kennengelernt. Ich habe es ja zum Bei­spiel ausstehen müssen, daß mir in Paris jemand gesagt hat, nachdem ein Vortrag gehalten worden ist und ich gefragt habe, welchen Ein­druck diese Persönlichkeit von diesem Vortrage gehabt habe: Ja, der Vortrag hat so gute Vibrationen zurückgelassen im Zimmer! - So daß man ungefähr die Vorstellung hat, der Eindruck des Vortrages wird gerochen. Es wurde nach und nach alles ins Materielle umgesetzt.

Dagegen sage ich gern denen, die mir zuhören wollen, daß mir ein geistvoll denkender materialistischer Mensch viel lieber ist, als ein also in die geistige Welt nach materieller Weise hinaufsteigender Theosoph;

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aus dem einfachen Grunde, weil der Materialist zwar im Irrtum ist, aber, was er ausdenkt, hat Geist, hat wirklichen Geist; es ist nur eben sehr verdünnter Geist, ein abstrakter Geist, aber Geist ist dar­innen, wirklicher Geist, und auf die Wirklichkeit des Lebens muß ge­gangen werden. Daher finde ich die Materialisten oftmals viel geist-reicher als jene, die auf materialistische Weise aus dem Materialismus herausstreben. Unser Zeitalter ist wirklich darauf angelegt, den Geist so dünn in sich zu verarbeiten, daß es ihn eben nicht mehr merkt. Aber das Geistvollste entwickeln wir schon in unserer modernen Technik. Da ist eigentlich alles, worauf ein Objekt beruht, aus dem Geist hervor­gegangen, aus dem menschlichen Geist selber.

Man braucht nicht besonders geistreich zu sein, um einen schönen Blumenstrauß auf den Tisch hinzustellen, denn das macht die Natur. Aber man muß schon etwas von geistiger Wirksamkeit in sich haben, wenn man auch nur die einfachste Maschine konstruiert. Der Geist ist schon da, man merkt ihn nur nicht, denn man schaut nicht in der rich­tigen Weise auf sich selbst zurück. Und so den Geist zu haben, ist näm­lich für die unterbewußte Menschennatur außerordentlich schwer er­träglich, wenn ihr nicht das nötige Verständnis des Objektiven gegeben ist. Diesen Geist, den wir heute als einen abstrakten über die Gegen­wart ausgegossen haben, den lernen wir eben allmählich gerade durch das Hineinfinden in die Lebenspraxis ertragen.

Ich kann Ihnen die Versicherung geben: wenn einmal die anthro­posophische Erziehungskunst da sein wird, wird sie viel praktischere Leute ins Leben hineinstellen als die mehr materialistische Erziehungs­kunst von heute, denn sie wird den Geist haben als einen schöpferischen, nicht bloß als einen solchen, den man, nachdem man nur möglichst die Augen zugemacht hat, ein bißchen fortgeflogen ist von der äußeren Wirklichkeit, erträumt. Zum Geist zu kommen, ohne die Lebenspraxis zu verlieren, das ist das, was gerade für die praktische Seite des Le­bens dasjenige offenbaren will, was ich anthroposophische Bewegung nenne

Nun, gerade wenn man die Knaben und Mädchen vom geschlechts-reifen Alter an in dieser Art auch unmittelbar praktisch ins praktische

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Leben einführen will, kann man schon als Lehrer manchmal in Ver­zweiflung geraten über die Ungeschicklichkeit gerade in unserer Zeit. Und man muß fragen: Gibt es einen Weg für das eigentlich schulpflich­tige Alter zwischen Zahnwechsel und Geschlechtsreife, der geeignet ist, aus dem ganzen Menschen ein geschicktes, ein anstelliges Wesen zu machen? - Und da, wenn man auf das wirkliche Leben, nicht auf Theo­rien hinsieht - wenn man sich eben vom Leben leiten läßt, nicht von den abstrakten Ideen -, wird man gerade, wenn man die Tendenz ver­folgt, den Menschen praktisch zu machen, dazu geführt, in der Zeit vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife möglichst viel vom Schö­nen, vom wirklich künstlerischen Erfassen des Lebens an den Men­schen heranzubringen. Je mehr man dem Menschen Verständnis bei-bringt für das Schöne, je mehr er sich durchdringt mit innerem Ver­ständnis für das Schöne, desto besser wird er vorbereitet sein, im ge­schlechtsreifen Alter an das wirklich Praktische heranzutreten, ohne daß ihm für das ganze weitere Leben Schaden zugefügt wird. Man kann erst dann im Grunde genommen ungefährdet an das Verständnis eines Tramwaywagens, an das Verständnis einer Lokomotive heran-treten, wenn man im richtigen Lebensalter sich das ästhetische Ver­ständnis für ein Gemälde oder eine Plastik angeeignet hat. Das ist es, worauf vor allen Dingen gesehen werden muß. Aber es muß Schön­heit als in das Leben hineingehörig betrachtet werden. Es muß überall ein Sinn dafür entwickelt werden, daß die Schönheit nichts für sich Abgeschlossenes, sondern etwas in das Leben Hineingestelltes ist. Und in dieser Beziehung muß unsere heutige Zivilisation gerade für Unter­richts- und Erziehungszwecke manches lernen.

Sie werden an einzelnen Beispielen, die ich möglichst auf das Ein­fachste reduzieren will, sehen, wie es eigentlich gemeint ist, das Kind in den lebensvollen, lebensgetränkten Schönheitssinn hineinzuführen. Sehen Sie, man kann zu irgendeinem häuslichen, manchmal auch einem schulmäßigen Handarbeitsunterricht hingeführt werden; da sitzen die Mädchen und haben irgendwelche Bänder und sticken auf diese Bän­der allerlei Muster drauf, wie man sagt. Sagen wir also, da sticken die Mädchen etwas auf ein Bändchen, etwa dieses (Zeichnung 2) - ich ma­che es möglichst einfach, nur zur Verdeutlichung. Wenn man dann frägt:

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Wozu ist das? - dann kann man die Antwort bekommen: Das näht man da um den Halsausschnitt herum, um den Gürtel, und auch unten an die Säume des Kleides an. - Das ist zum Davonlaufen, wenn einem so etwas gesagt wird, denn das zeigt ein völliges Unverständnis für die Wirklichkeit des Lebens im Zusammenhange mit dem Schönheitssinn. Wenn man ein ganz lebendiges Empfinden hat für das, was lebens-wirklich ist, und es wird einem ein junges Mädchen oder eine Dame vorgeführt, die solch ein Muster oben, in der Mitte und unten ange­näht hat, dann hat man ungefähr dasselbe Gefühl, als wenn sie von oben nach unten zusammengedrückt wäre! Man muß dann die Sache dadurch verbessern, daß man klarmacht, es müssen drei Verteilungen solcher Dinge gestickt werden. Es muß ein Band oben anders gestickt werden, und ein unteres Band wiederum anders.

# Bild s. 262

Auf dieses Band (das obere) muß vielleicht dieses Muster gestickt werden (Zeichnung 1), wie gesagt, nur skizziert, und auf dieses Band (das untere), muß dieses Muster gestickt werden (Zeichnung 3). Dann kann diese werteste Persönlichkeit dieses (Zeichnung 1) oben am Hals annähen, denn das besagt, daß drüber der Hals ist, der Kopf. Das (Zeichnung 2) kann dann an den Gürtel genäht werden und das (Zeich­nung 3) unten an den Kleidersaum; denn das besagt, daß dies Unten und dies Oben ist. Denn der Mensch hat ein Unten und Oben, und das muß hervortreten, wenn man das künstlerisch Empfundene an das

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Lebendige heranbringen will. Ich habe zum Beispiel einmal die Ent­deckung gemacht, daß Kopfkissen mit solchen Dingen versehen wor­den sind (Zeichnung 4), oder so ungefähr. Ja, da kann man sich doch nicht darauflegen mit seinem Kopfe, denn das in der Mitte sticht einen doch! Da kann man doch nicht liegen darauf! Das drückt doch un­möglich dasjenige aus, was wirklich mit dem Ding geschehen soll.

# Bild s. 263

Man hat das natürlich so zu machen (Zeichnung 5); und jetzt, jetzt kann man sich auch nur da drauflegen, daß man mit dem Gesicht nach rechts liegt, und man muß eigentlich bei jedem solcher Kissen auf der anderen Seite liegen, und dasselbe muß man auf der linken Seite haben, wenn man es wirklich künstlerisch ausgestalten will (Zeichnungen 5 und 6).

Nun, in Wirklichkeit macht man das nicht. Die Kunst enthält aber auch den Schein. Und so muß man eine Empfindung dafür haben, daß eigentlich ein Kopfkissen so gemacht sein müsse, daß es wirklich an die Lage des Menschen nach rechts und links angepaßt ist, daß die Fiktion vorausgesetzt ist, man hat das Kissen umgedreht.

Diese Dinge, die führen eben hinein, ich möchte sagen, in die Wirk­lichkeit der künstlerischen Scheinwelt. Und nur, wenn man in diese Wirklichkeit entsprechend hineingeführt wird, dann wird in einem der Sinn auch ausgebildet, der, ich möchte sagen, der Gegensinn ist für das bloß Praktische, das dann wirklich in der richtigen Weise erlebt wird, wenn man innerlich in den Schönheitssinn, aber in den lebensvollen Schönheitssinn' hineingestellt ist.

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Jetzt ist es ja besonders beliebt, Pompadours mit allerlei solchen Ausnähungen zu versehen. Bei einer ganzen Anzahl von solchen Pom­padours muß ich fragen: Ja, wo ist denn da oben und unten? - Man muß doch das äußerlich dem, was da als Verzierung dran ist, ansehen, wo etwas hineingesteckt wird, wo unten oder oben ist. Das ist ge­wöhnlich gar nicht irgendwie berücksichtigt, wie wir es bei unseren Büchern sehr selten so machen, daß man dem Buch ansieht, wo es auf­geschnitten wird. Da wird irgendein Motiv draufgemacht, das eigent­lich gebietet, das Buch zuzulassen, es nicht aufzumachen.

Ich will durch diese Beispiele eben, wie gesagt, nur andeuten, wie dasjenige, was Schönheitssinn ist, sich in das Leben wirklich hinein­stellen, wie das lebensvoll erfaßt werden muß. Denn nur dann, wenn wir in dieser Weise lebensvoll die Schönheit ausgebildet haben, können wir auch weiter so erzogen werden, daß wir uns in der heute gefor­derten Weise ins praktische Leben hineinzustellen verstehen.

Nun allerdings, was da in Betracht kommt, ist so, daß das Kind wirklich eingeführt werden muß in einen Realitätssinn. Ich will wie­derum an einem Beispiel, das ich konstruiere, in möglichster Einfach­heit zeigen, wie man dem Kinde diesen Realitätssinn in der Schönheit beibringen kann. Da kann man sich so helfen: Nehmen wir einmal an, ich zeichne dem Kinde dieses auf (siehe Seite 265). Ich muß nun als Unterrichtskünstler in der Lage sein, in dem Kinde ein Gefühl hervorzu­rufen - und man wird das bei einer Anzahl immerhin gesund fühlender Kinder bald heraus haben -, daß das Ding so unerträglich ist, weil es nichts Wirkliches hat im unmittelbaren Anschauen, und man das nicht ertragen kann. Und ich werde das bei dem Kinde dahin steigern können, daß ich ihm beibringe - aber alles aus dem Kinde herausholend, nicht von außen etwa es ihm suggerierend: Wenn du das siehst, ist das ja ge­rade so, als wenn du einen Menschen vor dir hättest, der nur eine linke Gesichtshälfte hat oder nur einen linken Arm oder nur einen linken Fuß. Das kannst du nicht ertragen, was in der Wirklichkeit nicht als ein Wirkliches wirken kann. Man muß dies in den Schönheitssinn her­einbringen, kurz, man muß das Kind dazu bringen, daß es als eine Notwendigkeit ansieht, dazu das andere zu machen, und daß es die Sache nicht für fertig hält, wenn dieses andere nicht da ist. Dann bilde

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# Bild s. 265

ich den unmittelbar lebendigen Schönheitssinn aus. Schön ist sprach-verwandt mit Schein. Ich werde aus dem Kinde herausbringen, was wirklich den astralischen Leib in sich beweglich macht, was den astra­lischen Leib dazu bringt, daß er ein funktionierendes Glied im Men­schen ist.

Es ist wichtig, daß wir gerade auch als Erziehungs- und Unterrichts-künstler selber diesen Sinn in uns pflegen; denn wir werden sehen, wie wir die Kinder beleben, wenn wir in einer solchen Weise an sie herankommen. Und wir werden dann auch das andere Künstlerische in der richtigen Weise pflegen, von dem ich ja schon im Verlaufe dieser Vorträge gesprochen habe. Ich sagte, alles müsse, wenn das Kind beim Zahnwechsel in die Schule kommt, in einem gewissen Sinne künst­lerisch betrieben werden. Man soll auch das, was man dem Kinde von der Umgebung erzählt, mit künstlerischem Sinn erzählen, sonst kommt man in das hinein, was man Anthropomorphismen nennt, daß man überall nur das Menschliche in die Natur hineinbringt. Indem man alles zum Märchen, zur Legende macht, trägt man das Menschliche hinein, und man kommt dann wirklich in die Gefahr, den Kindern vor-zureden, daß gewisse Bäume aus dem Grunde gewachsen sind, damit der Mensch Korke, Pfropfen bekommen kann. Von dieser Art darf das bildliche Erziehen durchaus nicht durchdrungen sein. Deshalb müs­sen die Bilder, die wir für dieses Lebensalter gewinnen, in Schönheit erzeugt sein. Das Schöne fordert Anschaulichkeit, unmittelbare Emp­findung. Und was unmittelbar in Schönheit an der Natur empfunden

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werden kann, das fordert nicht zu vermenschlichtem Personifizieren, zu Anthropomorphismen und dergleichen auf. sondern das ergeht sich wirklich im Anschaulichen.

Wenn wir das Kind bis zum geschlechtsreifen Alter hin an allen Gegenständen diesen Schönheitssinn entwickeln lassen, dann tritt es eben so in das praktische Leben ein, daß es dieser Lebenspraxis mensch­lich gegenübersteht, daß sich eine Harmonie herausbildet zwischen der menschlichen Anschauung und dem, was man als lebenspraktische Dinge an das Kind im geschlechtsreifen Alter heranbringt.

Das hat aber auch eine ungeheuer bedeutungsvolle soziale Seite. Die soziale Frage muß iii vieler Beziehung von Ecken her in Angriff ge­nommen werden, an die man heute gar nicht denkt. Sehen Sie, es ist durchaus möglich, daß all die Scheusäligkeiten' die uns heute im Zivi­lisationsleben umgeben - und Sie werden mir doch kaum ableugnen, daß es eine ganz internationale Wahrheit ist, daß in dem Augenblicke, wo wir uns der Großstadt nur nähern, wir in ästhetischer Beziehung von lauter Scheusäligkeiten, zum großen Teil wenigstens, umgeben sind -, daß alle diese Scheusäligkeiten ganz etwas anderes werden würden, wenn einmal ein paar Generationen so erzogen würden, daß wirklich Schönheitssinn da ist!

Wir haben heute den Menschen, wie er sich uns in bezug auf seinen physischen Leib darbietet; den schauen wir von außen an. Und wir haben den anderen Menschen, den wir von innen aus anschauen, sei­nem Ich nach. Zwischen dem Ich und dem physischen Leib liegt der astralische Leib und der Ätherleib. Sie verkümmern eigentlich bei dem heutigen Menschen. Sie sind eigentlich heute in einer entsprechenden Ausbildung nur beim orientalischen Menschen vorhanden. Bei allen westlichen Menschen verkümmern sie. Sie können sich nicht frei aus­bilden. Wir können diese freie Ausbildung fördern, wenn wir ein möglichst umfassendes Empfinden für das Schöne an den Menschen heranbringen. Dazu ist er am empfänglichsten im schulmäßigen Alter. Deshalb müßte eigentlich alles darauf angelegt sein, den Menschen gerade zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife in das Empfinden, in das Erleben der Schönheit hineinzuführen. Dann wird er es für das spätere Lebensalter behalten.

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Von einer ganz besonderen Wichtigkeit wird das Heranbringen des Künstlerischen an den Menschen für die Behandlung des sprachlichen Elementes. Die Sprachen sind ja sämtlich von einem unmittelbar Er­lebten ausgegangen. In dem Element des Lautes kann man durchaus überall, wenn man nur mit seiner Empfindung wiederum finden kann, wie das sprachliche Element empfindungsgemäß sich entwickelt hat, den Worten noch diese ihre erlebte oder erlebensfähige Bedeutung an­hören. In unserem abstrakten Leben ist uns ja das fast ganz verloren­gegangen, und wir halten uns einseitig heute an das Logische, nicht an das Künstlerische der Sprache. Gewiß, das Logische ist in den Sprachen drinnen vorhanden, aber es ist das Skelett der Sprache, und das ist etwas Totes. Das Leben der Sprache, das nur im Zusammenhange mit dem Genius einer Sprache empfunden werden kann, hat noch vieles andere als dieses bloß Logische.

Versuchen Sie einmal von diesem Gesichtspunkte aus an den Wor­ten zu fühlen, wie sie in das Leben hinaus wollen. Man kann durch­aus sagen, so etwas ist charakteristisch - ich will ein Beispiel anführen, aber ich denke, Sie werden es verstehen, wenn es auch aus einer älteren Form der deutschen Sprache ist -, wenn zum Beispiel gesagt wird «Sucht», dieses Wort «Sucht», für das Sie ja auch im Englischen schon das Analogon finden können, das bedeutet auf einer früheren Stufe des Deutschen etwas, was mit suchen zusammenhängt. Der Körper hatte eine Sucht, eine Krankheit; er suchte etwas, was er sonst nicht sucht. Und an den äußeren Formen, an dem Spezialisieren erkannte man dann, was er sucht: Gelbsucht, Fallsucht waren bestimmte Krank­heitsformen. Man konnte in dem «Sucht» nachfühlen, was da eigent­lich im Leben vorgestellt wurde.

Wir haben uns heute, wiederum mit Ausnahme der Orientalen, die dieses Gefühl noch in ihrer Sprache haben, um so mehr von diesem künstlerischen Erfühlen der Sprache entfernt, je weiter wir nach We­sten zu gehen. Und es ist von einer großen Wichtigkeit, wiederum we­nigstens eine Art Grundlage zu finden für ein solches Leben im Sprach-genius, im Sprachorganismus drinnen. Das hat wiederum eine große, und zwar internationale soziale Bedeutung.

Verzeihen Sie, wenn ich mich über das, was ich hier zum Ausdruck

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bringen möchte, an einem mir naheliegenden Beispiel erkläre. Aber ich bitte Sie, dasjenige, was ich sagen werde, ja nicht irgendwie mißzu­verstehen. Sehen Sie, auf Seite 88 der Übersetzung meines Buches «Die Kernpunkte der sozialen Frage», also des Buches «The Threefold State» finde ich den Satz: «The freedom of one cannot prosper without the freedom of all.» Dieser Satz, indem ich ihn mit allen den Gefühlsunter­gründen empfinde, die dort in der Sprache sind, er ist - wie gesagt, es darf nicht mißverstanden werden -, er ist ein Unsinn; er kann nicht gesagt werden, denn er besagt etwas ganz anderes, als der korrespon­dierende deutsche Satz, der bei mir steht: «Die Freiheit des Einen kann nicht ohne die Freiheit des Anderen gedeihen.»

Dieser Satz besagt etwas ganz anderes. Und will man ihn so über­setzen, wie es dem Ideal eines Übersetzens entspricht, dann müßte man ihn ganz umschreiben. Man müßte etwas ganz anderes an die Stelle setzen. Denn eine Übersetzung muß eigentlich so gestaltet sein, daß das betreffende übersetzte Buch aus dem Sprachgenius, aus dem Sprachgebiet des Landes heraus eben auch als solches geschrieben sein könnte. Eine andere Übersetzung ist nicht möglich. Und ich weiß ganz gewiß, daß sich Bentham noch in der astralischen Welt so benehmen würde, daß ihm alle Haare zu Berge stehen, wenn er diesen Satz fände:

«The freedom of one cannot prosper without the freedom of all.» Er ist ganz undenkbar. Und da liegt etwas ganz Besonderes zugrunde.

Wenn Sie diesen Satz in einem Buch finden, wenden Sie natürlich ohne weiteres ein, besonders wenn er sich auf das Schulwesen bezieht:

Ja, wir haben ja die Freiheit . . . Du redest da von Verhältnissen, die in England gar nicht anwendbar sind. In dem Originalbuch liegt das nicht, da ist es schon anwendbar. Aber in dieser Übersetzung kann die Sache, die ursprünglich in dem Buche gemeint ist, eigentlich gar nicht verstan­den werden. Und worauf beruht das?

Nun will ich Ihnen an einem einzelnen Worte zeigen, worauf das beruht. Sie haben das Wort «freedom».Wollten wir empfindungsgemäß im Deutschen ein entsprechendes Wort dafür haben, so würden wir das Wort «Freitum» bilden müssen. Und hätten wir das Wort «Frei­tum», dann könnte man einfach lexikographisch ins Englische über­setzen: «freedom», dann würde es unmißverständlich sein. Daß das

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nicht einfach möglich ist, wenn man wirklich auf den Genius der Sprache eingeht, das mag Ihnen zum Beispiel daraus erhellen, daß wir im Deutschen gut das Wort «Irrtum» gebrauchen können. Aber «Irr­tum» ist eine konturierte Tatsache, die als eine einmalige Tatsache da-steht. Wollte ich dieses Wort mit «heit» haben, dann müßte man - was im Deutschen durchaus möglich wäre, es wird das Wort gewöhnlich nicht angewendet, aber es ist aus dem Genius der deutschen Sprache heraus durchaus möglich, es anzuwenden -, man müßte dann das Wort «Irreheit» bilden. «Irreheit» führt uns aber gleich in das Innere des Menschen hinein; es ist eine Eigenschaft des Inneren des Menschen. Wir haben im Deutschen keine Worte, die mit «heit» gebildet sind, die nicht auf irgend etwas durch den Menschen Bewegliches hinweisen, die nicht an den Menschen die Sache herantragen. Es ist sogar schade, daß wir das Wort «Freitum» nicht haben, denn dann könnten wir dasje­nige auch ohne Umschreibung ausdrücken, was mit dem Worte «free­dom» eben speziell empfunden wird.

Gerade so etwas führt einen in die Tiefen der Sprachorganisation, des Sprachgenius hinein. Nun, sehen Sie, ich bemühe mich, wenn ich meine Bücher schreibe, auch wenn ich deutsch schreibe, möglichst so zu schreiben, daß die Sache in die anderen Sprachen übersetzt werden kann. Das nennen dann die Deutschen bei mir einen schlechten Stil! Aber nicht immer kann das gemacht werden. Wo es sich aber darum handelt, ins deutsche Zivilisationsleben ein Buch hineinzusenden, da muß natürlich schon dasjenige, was spezifisch deutsch ist, zuweilen berücksichtigt werden. Und so finden Sie bei mir das Wort «Freiheit», dürften es aber nie übersetzen mit «freedom». Meine «Philosophie der Freiheit» dürfte im Englischen nie den Titel tragen: «Philosophy of freedom», sondern es müßte erst herausgefunden werden, welchen Titel sie zu tragen hätte, wenn es die Sache treffen soll.

Es ist ja ganz interessant, betrachten Sie es nicht als eine Pedan­terie, statistische Studien zu machen. Die Dinge, die ich von solchen Gesichtspunkten aus sage, sage ich wahrhaftig nicht gewissenlos, son­dern ich sage sie tatsächlich aus sorgfältigen Untersuchungen heraus. Wenn ich ein Erziehungsbuch abfassen würde, so würden Sie bei gewis­sen Kapiteln immerzu das Wort «Freiheit» finden. Ich habe nun rein

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zur Prüfung ein in englischer Sprache geschriebenes Erziehungsbuch einmal hergenommen und bei den entsprechenden Kapiteln, wo bei mir immer das Wort «Freiheit» sich finden würde, nachgeschaut. Und siehe da, in diesen Kapiteln war das Wort «Freiheit» nicht ein ein­ziges Mal drinnen, nicht ein einziges Mal! Das ist das, was man eben fühlen und empfinden muß, denn das brauchen wir zur internationa­len Verständigung. Dem müssen wir wahrhaftig schon in der Schule Rechnung tragen. Ich nehme darauf in meinen Büchern Rücksicht, ich habe es eben angedeutet, und so bin ich außerordentlich vorsichtig im Gebrauch gewisser Worte, denn, gebrauche ich irgendwo in einem Satze das Wort Natur, bin ich sicher: wenn das ins Englische übersetzt wird, wird es mit «nature» übersetzt. Es ist ganz außer Zweifel, daß es mit «nature» übersetzt wird. Und dennoch, der ganze Sinn wird verkehrt, wenn dasjenige, was im Deutschen bei dem Wort Natur gefühlt wird, einfach im Englischen mit «nature» wiedergegeben wird.

Daher werden Sie sehr häufig bei mir Umschreibungen finden, ich möchte sagen, für das Übersetzen präpariert; dasjenige wird umschrie­ben, wovon ich nicht möchte, daß es eine andere Empfindung hervor­ruft. Ich muß natürlich auch für gewisse Zwecke das Wort Natur ge­brauchen, aber an den Stellen, wo es mir darauf ankommt, daß eine andere adäquate Vorstellung hervorgerufen wird, setze ich dann, na­mentlich für westliche Sprachen, in meinen Satz nicht Natur hinein, sondern setze hinein: die sinnliche Welt, denn das ist ungefähr, was heute schon die Bedeutung von Natur angenommen hat, so wie das Wort im Deutschen gebraucht wird.

Und das, was ich oft sagen will bei Natur, kann ich dann - für das Internationale vorbereitet - sagen, indem ich hinsetze: die sinnliche Welt. - Ich habe erwartet, daß dann in der Übersetzung das entspre­chende Wort stehe, aber siehe da, ich finde, es ist einfach wiederum wörtlich übersetzt. So daß es schon außerordentlich wichtig ist, sich dieses Leben des Sprachgenius gerade für die künstlerische Behand­lung der Sprache einmal vor Augen zu führen.

Abgesehen davon - ich will darauf nur nebenbei aufmerksam ma­chen -, daß in der Übersetzung der Sprachgenius nicht festgehalten worden ist, steht ja auch hier, was wiederum lexikographisch übersetzt

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heißen würde: «Die Freiheit des Einen kann nicht gedeihen ohne die Freiheit von allen.» Das hat aber auch wiederum im Deutschen keinen Sinn; es steht auch nicht da. «Die Freiheit des Einen», steht da, «kann nicht ohne die Freiheit des Anderen gedeihen» - nicht: «von allen», sondern «des Anderen» gedeihen, und darauf kommt es an.

Wie gesagt, ich bitte, das nicht mißzuverstehen. Ich habe es nur angeführt als ein mir naheliegendes Beispiel. Und ich wollte darauf hinweisen, wie wir heute schon dabei angelangt sind, nicht die Dinge zu erleben - das könnten wir gerade an der Sprache -, sondern über die Dinge hinwegzuleben. Unsere Zivilisation hat allmählich eine sa­loppe Gestalt angenommen. Wir müssen wiederum die Möglichkeit gewinnen, uns in die Worte hineinzuleben, mit den Worten mitzuleben. Dann nur werden wir das realisieren können, was ich als eine Anforde­rung hingestellt habe: daß das Kind, nachdem es zuerst etwas in die Grammatik eingeführt wurde, dann in die Rhetorik, das heißt in die Schönheit, auch in das Künstlerische der Sprache eingeführt wird. Und wir müssen das Kind in das Künstlerische der Sprache einführen. Das hat auch seine internationale Bedeutung, und es ist außerordentlich wichtig, sich heute klarzumachen, daß dasjenige, was die soziale Frage genannt wird, durchaus oftmals von anderen Ecken heraus gesehen werden muß, als man es heute sieht.

FÜNFZEHNTER VORTRAG Dornach, 6. Januar 1922

#G303-1969-SE272 Die gesunde Entwickelung des Menschwesens

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FÜNFZEHNTER VORTRAG

Dornach, 6. Januar 1922

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Was ich heute vorzubringen haben werde, wird sich im wesentlichen auf die physische Entwickelung, auf die physische Erziehung des Kin­des beziehen. Es wird ja in der Natur der Sache liegen, daß diese heu­tigen Betrachtungen aus verschiedenen Gründen heraus aphoristisch gestaltet sein werden. Der Hauptgrund ist ja der, daß auf dem Gebiete der physischen Entwickelung des Menschen gerade in der Gegenwart am meisten das vorherrscht' was nur aus der Persönlichkeit des Men­schen heraus geltend gemacht wird. In bezug auf physische Entwicke­lung hat jeder Mensch seine Sympathien und Antipathien, und aus diesen Sympathien und Antipathien heraus entwickelt er dann seine Theorien, und gerade dasjenige, was aus Sympathien und Antipathien geltend gemacht wird und was am meisten den Charakter des Fana­tismus gewinnt, das ist schließlich auch dasjenige, was am fernsten liegen muß, zunächst wenigstens, der Wirksamkeit der anthroposo­phischen Bewegung. Diese muß einmal so geartet sein, daß sie ganz weit entfernt ist von allem Fanatismus, daß sie durchaus nicht darauf ausgeht, für das einzelne zu agitieren, sondern einfach darauf aufmerk­sam macht, wie das eine oder das andere im Leben wirkt, und es dann dem Menschen selbst überläßt, seine Sympathien und Antipathien an die Sache zu knüpfen.

Was wird heute für eine Summe von Fanatismus aufgebracht von Vegetariern für, oder von denjenigen, die nicht Vegetarier sind, gegen den Vegetarismus. Man ruft alle möglichen Instanzen der Wissenschaft pro und kontra auf einem solchen Gebiete auf. Man muß aber auch sagen: eigentlich hat niemals gerade der Dilettantismus so geblüht wie bei der heutigen Verteidigung von solchen Dingen. Es ist schon ein­mal so, daß Anthroposophie nicht die geringste Anlage in sich trägt, nach der einen oder anderen Richtung hin fanatisch zu werden. Sie kann also keine Partei nehmen für die Menschen, die nun etwa, weil sie Vegetarier geworden sind, für diesen Vegetarismus mit einem solchen Fanatismus eintreten, daß sie ihn jedem anderen Menschen aufprägen,

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aufreden möchten, und eigentlich jeden Menschen, der nicht Vegetarier ist, nicht mehr zur Menschheit im vollen Sinne des Wortes rechnen. Wenn auch zuweilen auf dem Gebiete der anthroposophischen Bewe­gung solche Fanatismen erblühen, so liegt es eben durchaus nicht im Wesen der Anthroposophie.

Nun handelt es sich gerade im Zusammenhang mit diesen Vorträ­gen auch noch um etwas anderes. Sie werden ja bemerkt haben, daß bei den Erziehungsprinzipien, die hier zur Darstellung gekommen sind, immer das Hauptaugenmerk darauf gelegt worden ist, daß alle see­lischen und geistigen Maßnahmen auch so getroffen werden, daß das Leiblich-Physische des Menschen zu seiner naturgemäßen Entfaltung, Entwickelung kommt. So daß man wird sagen können: Es liegt hier ein Erziehungssystem vor, unter dessen Einfluß der Mensch, wenn nur alles richtig berücksichtigt wird, sich auch in gesundheitlicher Bezie­hung am allerbesten entwickeln wird. - Daher sind ja die allerwichtig­sten Grundlagen für die physische Erziehung durchaus schon durch das bisher Gesagte gelegt. Man muß aber natürlich die physische Erzie­hung doch - wenn auch wegen der Kürze der Zeit nur aphoristisch sein kann, sonst . ßte man auch darüber einen ganzen Vortragszyklus halten - wenigstens zusammenfassend noch einmal vor die menschliche Seele hinstellen.

In bezug auf die physische Erziehung des Menschen kommt ja vor allen Dingen die Ernährungsweise in Betracht, die Art und Weise, wie wir das Kind in die Wärmeverhältnisse, in die Kälteverhältnisse der Umgebung hineinstellen, und in welcher Weise wir die Bewegungs­tätigkeit an das Kind heranbringen. Unter diese drei Kategorien läßt sich eigentlich im Grunde genommen alles fassen, was für die körper­liche Erziehung eine besondere Wichtigkeit hat.

Nun ist es nicht möglich, mit Hilfe gerade der heutigen Erkennt­nisart, die aus intellektualistischer Linie heraus verläuft, die Mannig­faltigkeit des Lebens so zu fassen, daß man aus diesen intellektuali­stischen Linien heraus die ungeheure Differenzierung des menschlichen Organismus wirklich treffen würde. Es ist schon notwendig, daß sich der Mensch trotz seiner heutigen Wissenschaftlichkeit, auf die er so stolz ist, einen gewissen Instinkt aneignet für das Gesunde und für das

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Krankhafte und auch für alles dasjenige, was dazwischen liegt. Die instinkthafte Anteilnahme an der Welt gerade für diese Dinge ist von einer außerordentlichen Bedeutung. Und man muß ja auch sagen: wir bringen es nach und nach durch die heute anerkannte Wissenschaft zu einer immer mehr und mehr materialistischen Färbung dieser Wissen­schaft. Was wissen wir nicht heute alles schon von jenen Geheimnissen der Welt, die erforscht werden können unter dem Mikroskop, die er­forscht werden können, wenn wir irgendwelche niederen Tiere zer­schneiden und dann die Teile funktionieren lassen. Was haben wir nicht alles für Konklusionen geschlossen aus dem Verhalten der Tierwelt auf den Menschen, ohne zu wissen, daß gerade mit Bezug auf die wichtig­ste Sache die menschliche Organisation doch radikal von der tierischen verschieden ist. Wenigstens wird das nicht immer ins Auge gefaßt, und das Wesentliche ist ja, daß die heutige Wissenschaft im Grunde genom­men darauf angewiesen ist, ein jegliches Ding abgesondert für sich zu betrachten. Ja, bei einem Ding hat man ja nur einen Ausschnitt des Lebens.

Nehmen Sie einmal an, ich möchte das durch einen Vergleich aus­drücken, ich begegne um neun Uhr vormittags zwei Menschen; die sitzen auf einer Bank, und ich rede mit ihnen einiges, mache mir eine Vorstellung über die Gesamtverfassung dieser Menschen. Ich gehe weg. Um drei Uhr nachmittags treffe ich wiederum die zwei Menschen auf der Bank. Nun kann verschiedenes geschehen sein: die beiden Men­schen können da gesessen und sich meinetwillen unterhalten haben, oder auch, je nach der Rassenverschiedenheit der Menschen wird das eine oder andere eintreten, sie können stumm nebeneinander gesessen haben. Es kann aber auch das geschehen sein, daß der eine Mensch sitzenge­blieben ist, und der andere Mensch, wie ich es nicht mehr bemerkt habe, weggegangen ist und gerade wieder zurückkam, also gerade sich wieder hingesetzt hat, bevor ich die beiden Menschen auf der Bank wieder traf und so weiter. Dann werde ich den Tatbestand um neun Uhr und den Tatbestand um drei Uhr nachmittags konstatieren; er ist äußerlich derselbe, aber die beiden Menschen sind durchaus in ihrer Gesamtver­fassung voneinander verschieden.

Nirgends kann sich das Leben in seinen Geheimnissen enthüllen,

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wenn man eben nur auf die Beobachtung des unmittelbar Gegenwär­tigen sieht. Und wie Sie sich überzeugen können, ist das mehr, als man gewöhnlich meint, der Fall bei den heutigen wissenschaftlichen Metho­den. Und so führen sie einen schon einmal dazu, daß man das Entsetz­liche erlebt, was ich einmal bei einem Freunde erlebt habe. Ich kannte ihn in der Jugend, ja, ich möchte sagen, als einen naturgemäßen Men­schen. Dann sah ich ihn längere Zeit nicht, traf ihn dann wieder ein­mal, besuchte ihn. Er setzte sich zum Mittagsmahl' und es wurde nicht nur das Übliche, was man in einem solchen Fall gewöhnlich ißt, auf­getragen, sondern auch eine Waage, und auf dieser Waage wog er sich das Fleisch zu, wog er sich das Gemüse zu, denn er hatte angefangen nach der Wissenschaft zu leben, die ja weiß, wieviel Gewichtmengen man von einem jeden Nahrungsmittel aufnehme muß, wenn man ein richtiger Mensch sein will. Es braucht wohl um erwähnt zu werden, daß alles ganz richtig und geistvoll sein kann, daß aber die natürlichen Instinkte des Lebens durch so etwas auf das Gründlichste untergraben werden. Und natürliche Instinkte für das Gesunde und Krankmachende braucht vor allen Dingen der Erziehungs- und Unterrichtskünstler. Dann wird er alles dasjenige, was im Verlaufe dieser Vorträge schon beleuchtet worden ist, auch mit Bezug auf die physische Erziehung auf seinem Wege weitertragen und es gerade für die physische Erziehung besonders ausbilden können.

Wir haben zum Beispiel gesehen, wie das Kind vorzugsweise vor dem Zahnwechsel ganz in seinem physischen Organismus drinnen lebt. Dieses Leben im physischen Organismus ist nun im höchsten Grade der Fall beim Säugling, und zwar wiederum am hervorstechendsten in be­zug auf seine Ernährung. Er genießt ja, wie Sie wissen, zunächst eine außerordentlich einförmige Ernährung, wenn er die Welt betritt. Und wenn der Erwachsene dauernd so einförmig leben müßte, fast ganz von einem einzigen Nahrungsmittel, zum Frühstück, Mittag, sonst, er würde das ja ganz gewiß für seine seelische und auch leibliche Verfas­sung nicht gerade zuträglich finden. Der Erwachsene will alles durch­einandermischen, er will Abwechslung haben. Der Säugling bekommt diese Abwechslung nicht. Und dennoch machen sich die wenigsten Menschen eine Vorstellung davon, wie groß gerade das Glück des

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Säuglings durch seine Ernährung ist, weil die wenigsten Menschen wis­sen, mit welcher intensiven Süße der ganze physische Organismus des Säuglings durch die Muttermilch durchzogen wird.

Der Erwachsene hat ja nur noch die Möglichkeit, Geschmacksemp­Findungen auf seinem Gaumen und dessen Nachbarorganen zu haben. Er hat schon einmal das Malheur, daß alle Geschmacksempfindungen sich nach dem unglückseligen Kopfe hingezogen haben, und dadurch unterscheidet er sich von dem Kinde, das im Säuglingsalter durch und durch Geschmacksorganismus ist, das durch und durch schmeckt. Und mit dem Ende des Säuglingsalters hört dieses durch und durch Schmek­ken auf. Es wird ja auch später, von den Menschen, die sich nun ein­mal nur des gewöhnlichen Lebensbewußtseins bedienen, vergessen. Die wissen gar nicht, wie verschieden von ihrer späteren Lebensverfassung das Schmecken während des Säuglingsalters war. Es ist ja das auch für manche Menschen durch das spätere Leben außerordentlich schwierig gemacht. Ich nahm zum Beispiel einmal an einer Unterhaltung teil zwischen einem abstinenten Menschen und einem solchen, der das Gegenteil eines abstinenten Menschen war, und der Abstinent, der natürlich auch ein Fanatiker war - solche Menschen sind ja immer Fa­natiker -, der Abstinent bearbeitete den anderen; und da sagte der andere - ich will die Geschichte nicht ganz ausführlich erzählen, es ist aus dem Zusammenhang heraus: Aber ich war einmal volle zwei Jahre meines Lebens vollständig Abstinent! - Da fragte ihn der andere:

Wann? - Ja, die ersten zwei Jahre meines Lebens! - Nun, es war das eine äußerlich geartete Erkenntnis dessen, was sich zugetragen hat. Von innen heraus wissen das ja die wenigsten Menschen in Wirklich­keit.

Das Kind steckt also in seinem physischen Organismus so drinnen, solange es Säugling ist, daß es eigentlich nur ißt mit seinem physischen Organismus, aber auch davon wirklich sehr viel hat. Und darin besteht ja das Entwachsen aus dem Säuglingsalter, daß zunächst dasjenige be­ginnt, was sich allmählich so stark nach dem Kopfe heraufzieht, daß der Zahnwechsel möglich wird, daß im Kopfe diese starke Kraft ent­wickelt werden kann, welche die ersten Zähne abstößt, die zweiten herausbringt. Das geschieht natürlich in dieser Weise im ganzen Lebensalter

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von der Geburt bis zum Zahnwechsel hin; und das lebt sich darinnen auf den verschiedensten Gebieten aus. So daß also nach dem Säuglingsalter zunächst der Geschmack nach dem Kopfe heraufzieht, und daß dann das Kind damit beginnt, nicht bloß mit dem Leibe zu essen, sondern mit der Seele zu essen, daß es wenigstens mit der Seele unterscheiden lernt, dann auch die einzelnen Nahrungsmittel differen­ziert.

Und da müssen wir in der Lage sein, dem Kinde nachgehen zu können. Da mussen wir Verständnis entwickeln können für das Kind. Wir müssen Verständnis entwickeln für das, was dem Kinde schmeckt und nicht schmeckt, denn darinnen liegt noch ein sehr guter Regulator für dasjenige, was beim Kinde auch gesundend und kränkend ist. Aller­dings muß man sich zu diesem Zwecke eben eine richtige Anschauung über das Ernähren des Menschen überhaupt erwerben.

Heute sieht man ja hauptsächlich in der Ernährung auf das hin, was das Gewichtartige in den äußeren Nahrungsmitteln ist. Das ist aber nicht das Wesentliche, das Gewichtartige, sondern das Wesentliche be­steht darinnen, daß ein Nahrungsmittel, das ein Mensch zu sich nimmt, in der äußeren Welt eine bestimmte Summe von Kräften in sich hat. Jedes Nahrungsmittel hat eine ganz bestimmte Summe von Kräften in sich, durch die es der äußeren Welt angepaßt ist. Und im Inneren des menschlichen Organismus ist alles anders. Dieser menschliche Orga­nismus muß das Nahrungsmittel vollständig metamorphosieren. Er muß die Nahrungsmittelprozesse in diejenigen Prozesse umändern, die in seinem Organismus walten sollen. Und dasjenige, was im menschlichen Organismus vor sich geht, ist nämlich ein fortwährender Kampf, in­dem wir die Dynamik der Nahrungsmittel umändern, indem wir sie zu etwas ganz anderem machen. Die Reaktion in unserem Inneren gegen die Nahrungsmittel ist es eigentlich, was wir dann als dasjenige empfinden, was uns anregt und was unser Leben unterhält. Daher dür­fen wir nicht immer bloß fragen: Müssen wir von diesem oder jenem Stoff so und so viel zufügen? - sondern vor allen Dingen: Was tut der Organismus oftmals mit den kleinsten Mengen von irgendeinem Stoff? Wie reagiert er darauf? - Der Organismus hat eben diese Kräfte not­wendig, die Widerstände gegen die äußeren Naturprozesse entwickeln.

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Der menschliche Organismus ist ja so, daß er zunächst in einem bestimmten Gebiete, das, grob gesprochen, etwa vom Mund bis zum Magen reicht, zwar gegenüber der Außenwelt schon etwas modifizierte Prozesse hat, aber doch solche, welche sich mit den Prozessen der Au­ßenwelt noch vergleichen lassen. Dann hat er in all den Prozessen, die sich an die Magenprozesse anschließen, solche Prozesse, die schon stark verschieden sind von denjenigen, die sich in der Außenwelt voll­ziehen. Und er hat dann in seiner Kopforganisation Prozesse, die das genaue Gegenteil von dem darstellen, was die Naturprozesse in der Außenwelt sind. Es muß also der Gesamtorganismus des Menschen vor allen Dingen durch die Nahrung in der richtigen Weise angeregt werden.

Nun kann ich mich, da ich eben aphoristisch sein muß, nicht auf eine Terminologie einlassen, die vielleicht aus den tieferen Erkennt­nissen der Sache selbst genommen ist, ich muß an dasjenige anknüpfen, was die populäre Terminologie ist; aber das genügt auch durchaus für unsere diesmaligen Zwecke. - Sie wissen, es gibt solche Nahrungsmittel, die man im gewöhnlichen Leben nahrhafte Nahrungsmittel nennt, und es gibt solche, die man unnahrhafte nennt. Menschen wachsen sowohl bei unnahrhaften wie bei nahrhaften Nahrungsmitteln auf. Sie brau­chen nur zu bedenken, wie viele Menschen etwa bei Brot und Kartof­feln aufwachsen, was in ganz entschiedenem Maße unnahrhafte Nah­rung ist. Sie brauchen sich auf der anderen Seite zu erinnern, wieviel besonders bei einer labilen Gesundheit darauf Rücksicht genommen werden muß, daß man das Verdauungssystem nicht durch unnahrhafte Nahrungsmittel überlastet, also ihm nichts zumutet. Bei Brot- und Kartoffelnahrung wird dem Verdauungssystem ungeheuer viel zuge­mutet, und es wird für die übrigen Funktionen nicht mehr viel übrig­bleiben. Daher wird das Wachstum nicht leicht gefördert werden können, gerade bei einer in Brot und Kartoffeln bestehenden Ernäh­rung. Es wird dann darauf gesehen, daß man Nahrungsmittel zusam­menstellt, welche das Verdauungssystem nicht überlasten. Dann hat das Verdauungssystem verhältnismäßig wenig zu arbeiten. Wenn man aber das wiederum bis zum Extrem treibt, dann versetzt man das Ge­hirn in eine übertriebene Tätigkeit. Das entwickelt dann Prozesse, die

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den äußeren Naturprozessen außerordentlich unähnlich sind, und es wirkt wiederum zurück auf die übrige Organisation des Menschen: das Verdauungssystem wird schlaff und so weiter.

Alles das, was da in Betracht kommt, ist außerordentlich kompli­ziert und es ist außerordentlich schwierig für den Menschen, in alle Verzweigungen desjenigen hineinzudringen, was da in Betracht kommt. Es gehört zu den schwierigsten Aufgaben einer ernsten, nicht einer heute gebräuchlichen, sondern einer ernsten wissenschaftlichen For­schung, zum Beispiel alles das zu erkennen, was geschieht, wenn der Mensch durch seinen Mund eine Kartoffel oder ein Stück Roastbeef befördert. Die beiden Prozesse sind in sich unendlich mannigfaltig, aber grundverschieden, und man muß eine große Menge von Einzel­heiten kennen, wenn man auf diese Dinge sachgemäß eingehen will.

Für unseren Zusammenhang wird zum Beispiel schon eine Andeu­tung genügen von dem, was hier eigentlich stattfindet, wenn ich Ihnen das Folgende sage. Nehmen Sie an, ein Kind verzehrt eine Kartoffel. Diese Kartoffel schmeckt es zunächst im Haupte, also in den Ge­schmacksorganen, und dieser Geschmack wirkt nun. Obwohl er nicht mehr den ganzen Organismus durchzieht, wirkt er nun doch auf den ganzen Organismus. Nun ist eine Kartoffel nicht besonders, nicht über­trieben schmackhaft. Sie läßt also den Organismus in einer gewissen Weise lässig sein. Er hat keinen außerordentlich starken Anteil an dem, was da mit der Kartoffel im Munde des Menschen geschieht. Dann wird die Kartoffel auf den Wegen, die Sie ja kennen, in den Magen beför­dert. Der Magen nimmt sie aus dem Grunde nicht mit übertriebenem Interesse auf, weil er nicht darauf vorbereitet worden ist durch an­regenden Geschmack. Der anregende Geschmack ist immer die Provo­kation für den Magen, um mit größerer oder geringerer Sympathie ein Nahrungsmittel aufzunehmen; so daß sich der Magen schon nicht mehr stark anstrengen will, um diese Kartoffel in ihrem dynamischen System dem Organismus zuzuführen. Dann muß das aber doch geschehen. Die Kartoffel kann nicht im Magen liegenbleiben. Hat der Magen dann die nötige Stärke, so nimmt er dasjenige, was die Dynamik der Kar­toffel ist, in sich auf, verarbeitet es mit Widerwillen in sich, läßt es in sich hineinrollen, entwickelt auch keine starke Reaktion, empfängt

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keine starke Anregung. Das Ganze geht dann in das weitere Verdau­ungssystem über und wird in dem weiteren Verdauungssystem wider­willig verarbeitet. Und dasjenige, was von der Kartoffel in die Kopf-Organisation gelangt, ist außerordentlich wenig. So daß also nur in diesen wenigen Andeutungen, die man natürlich jetzt überall vertiefen müßte, Ihnen vor Augen treten kann, wie kompliziert das eigentlich ist, was sich da im menschlichen Organismus abspielt.

Dennoch, der Erziehungs- und Unterrichtskünstler muß über diese Dinge seine praktische Anschauung haben. Ich glaube, es ist, damit man aus einem gewissen Ernste heraus auf diesem Gebiete praktische Anschauung entwickelt, schon notwendig, daß man gerade auf diesem Gebiete das Warum und Weil ein wenig einsieht. Ich könnte mir vor­stellen, daß es auch Zuhörer gibt, die sagen: Sage uns nur einmal, was wir dem Kinde zu essen geben sollen und was nicht, dann genügt uns das. - Aber es genügt dieses eben nicht in Wirklichkeit. Man entwickelt gerade in physischer Beziehung die richtige Erziehertätigkeit, wenn man in die Dinge hineinsieht; denn die Dinge sind so mannigfaltig, daß man vor allen Dingen nötig hat, auf den richtigen Weg geführt zu werden, die richtigen Maximen auf diesem Gebiete zu erkennen. Und dazu ist notwendig, daß man gerade auf das hinschaut, was einem nun in einer vereinfachteren Weise vor Augen führen kann, wie das kind eigentlich ernährt werden soll.

Vielleicht auf keinem Gebiete bemerkt man so sehr, wie weit man mit den Erziehungsmaximen von dem allgemeinen sozialen Leben ab­gegangen ist, als gerade bei der physischen Erziehung. Wenn man nicht gerade Internate hat, durch die man in leichter Weise befolgen kann, was ich heute andeute, dann wird man nämlich immer genötigt sein, mit den Eltern oder der sonstigen Umgebung des Kindes gerade bei der physischen Erziehung eminent zusammenzuwirken, und das bietet ja nach der mannigfaltigsten Richtung hin, wie Sie wissen, große Schwierigkeiten. Daher wird das, was man für richtig hält, vielleicht sogar nur nach Überwindung großer Hindernisse zu erreichen sein. Ich will von einem Beispiel ausgehen.

Nehmen Sie an, ich bekomme ein Kind in die Schule, das sich in

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übertriebener Weise mit der melancholischen Temperamentsnuance äußert. Wenn so etwas in übertriebener Weise auftritt, kann man im­mer sicher sein, daß bei dem Kinde eine abnorme physische Organisa­tion nach irgendeiner Richtung vorliegt. Seelische Abnormitäten ha­ben eben immer ihre Grundlage in physischen Abnormitäten nach ir­gendeiner Richtung hin, denn das Physische ist durchaus ein wirklicher Ausdruck des Seelisch-Geistigen. Nehmen wir also an, in eine Schule, die nicht gerade Internat ist - sonst werde ich natürlich die entspre­chenden Maßregeln innerhalb des Hauses treffen -, bekomme ich also ein solches Kind. Was muß ich tun? Ich muß versuchen, mit den Eltern des Kindes in Verbindung zu treten, und, wenn ich mir ganz klarge­worden bin, was in diesem Falle eigentlich vorliegt, die Eltern bitten, die Speisen, die das Kind genießt, mindestens anderthalbmal, manch­mal doppelt so stark zu versüßen, als das vielleicht bei einem Kinde notwendig ist, das sich sonst normal zeigt. Also, ich muß den Eltern raten, bei diesem Kinde mit dem Zucker als Speisenzusatz' den man ihm vielleicht in Form von Bonbons beibringt, nicht zu sparen.

Was will ich denn da eigentlich? Nun es wird Ihnen vielleicht noch klarer werden, was ich da will, wenn ich noch einen solchen Fall nehme:

Nehmen wir an, ich bekomme ein krankhaft sanguinisches Kind. Ich meine, die Sache muß natürlich bis zur Abnormität gehen, krankhaft sein, wenn das richtig sein soll, was ich jetzt sage. Ich bekomme ein übertrieben sanguinisches Kind. Wiederum wird eine Abnormität der physischen Organisation vorliegen, und ich werde in einem solchen Fall die Eltern bitten, sie sollen den Süßigkeitsgehalt der Speisen ver­ringern, überhaupt mit dem Zucker etwas sparen dem Kinde gegen­über.

Aus welchem Grunde tue ich das? Man sieht erst ein, in welchem Maße und Grade man so etwas tun muß, wenn man folgendes wirklich durchschaut. Sehen Sie, die Muttermilch am meisten, Milch- und Milch-produkte aber überhaupt, wirken so auf den Menschen, daß sie ihre Wirksamkeit in gleichmäßiger Art auf den ganzen Menschen erstrecken. Alle Organe kommen gewissermaßen in einer gewissen Harmonie zu ihrem Rechte durch Milch und Milchprodukte. Dagegen die anderen Nahrungsmittel haben die Eigentümlichkeit, daß jedes einzelne auf

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ein besonderes Organsystem einen überwiegenden Einfluß hat. Bitte, ich sage nicht, einen ausschließlichen, sondern einen überwiegenden Einfluß hat. Da handelt es sich darum: die Art und Weise, wie ein Kind sich mit seinem Geschmack zu einem Nahrungs- oder auch Ge­nußmittel verhält, oder wie diesem Geschmack entgegengekommen wird, hängt davon ab, wie ein bestimmtes Organsystem des Kindes oder überhaupt des Menschen beschaffen ist; die Genußmittel sind manchmal durchaus bei der Ernährung ebenso wichtig wie die Nah­rungsmittel.

Bei der Milch kommt der ganze Mensch in Betracht; bei irgend­einem anderen Nahrungsmittel ein einzelnes Organsystem. Beim Zucker kommt in dem Zusammenhang, den ich jetzt hier ins Auge fasse, ganz besonders die menschliche Leber in Betracht. Nun, was will ich denn also, wenn ich das abnorm melancholisch auftretende Kind mit viel Zucker behandeln lasse? Dann bewirke ich nämlich, daß seine Leber in ihrer Tätigkeit etwas herabgesetzt wird, weil der Zucker so dem Organismus zugeführt wird, daß er in einem gewissen Sinne die Leber-tätigkeit übernimmt, daß also die Lebertätigkeit mehr, ich möchte sagen, auf etwas Äußeres, was ich zuführe, bezogen wird, und als eigene Tätigkeit zurücktritt. Das ist etwas, wodurch ich die melan­cholische Neigung des Kindes - auch als anämische Neigung erschei­nend -, die unter Umständen eben in der Lebertätigkeit des Kindes fußen kann, auf rein ernährungsmäßigem Wege etwas zurücktreiben kann. - Was tue ich, wenn ich die Sparsamkeit in Zucker bei einem übertrieben sanguinischen Kinde anempfehle? Da versuche ich, bei diesem übertrieben sanguinischen Kinde die äußere Tätigkeit des Zuk­kers einzuschränken und dadurch die Leber aufzufordern, eine regere Tätigkeit aus ihrem Eigenen heraus zu entwickeln, und ich sporne da­durch das Kind an, das Ich stärker anzuregen, also dasjenige zu über­winden, was in dem physischen Gefolge des sanguinischen Tempera­mentes auftritt.

Sie sehen also, man trifft Maßnahmen aus dem Durchschauen der Gesamtorganisation des Menschen heraus. Deshalb kommt es bei die­sen Dingen in der physischen Erziehung wirklich auf das Warum und Weil an, daß man Bescheid weiß in dem Warum und Weil; und auch

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da gibt es natürlich wiederum ungeheuer viele Details. Aber es ist schon durchaus möglich, diese Details auf allgemeinere Gesichtspunkte zu­rückzuführen, und diese allgemeineren Gesichtspunkte bestehen in etwas Polarischem. Allerdings derjenige, der ein ganz guter Erzieher und Unterrichter ist, ein so guter, wie es sie gar nicht gibt, wird in einer gewissen Beziehung durch seine Anteilnahme an dem Kinde schon prophetisch voraus wissen, wie er da oder dort einzugreifen hat. Aber es ist immerhin von außerordentlicher Bedeutung, daß man seine Auf­merksamkeit darauf zu lenken vermag, wenn das Kind in irgendeiner Weise von dem Normalen nach dieser oder jener Richtung hin ab­weicht, um dann einzugreifen.

Tut man das durch längere Zeit, dann kommt man dazu, überhaupt solche Erkenntnis zu entwickeln, daß man auch schon zu Vorbeu­gungsmaßregeln kommen kann. Aber das ergibt sich in der Regel erst dann für den wirklichen tätigen Lehrer und Erzieher, wenn er eine Zeitlang die leisen Abweichungen - man darf natürlich nicht warten, bis es ins Extrem geht - zu bemerken in der Lage ist. Es erfordert das allerdings, daß der Lehrer fortwährend die Neigung hat, sich nach dieser Richtung hin zu vertiefen, und daß er da manche menschliche Neigungen überwindet, die dem entgegenstehen, sonst fürchte ich, daß die Lehrer und Erzieher die nötige Gründlichkeit erst in dem Momente haben, wo sie sich pensionieren lassen.

Das, worauf man besonders achtgeben muß, liegt auf der einen Seite in dem Interesse, das das ganze Kind, also nicht bloß das Geistig-See­lische, sondern das Kind als Leib, Seele und Geist sowohl sich selber wie seiner Umwelt entgegenbringt; für das Interesse oder für diese In­teresselosigkeit muß man eine instinktive Aufmerksamkeit entwickeln. Das ist der eine Pol. Der andere Pol ist die Ermüdbarkeit des Kindes. Woher kommt die besondere Ausprägung des Interesses? Diese beson­dere Ausprägung des Interesses kommt aus dem Stoffwechsel-Glied­maßensystem, vorzugsweise aus dem Stoffwechselsystem. Wenn ich sehe, daß ein Kind nach irgendeiner Richtung interesselos wird, sagen wir also zunächst, was das Auffälligste ist, in geistiger Beziehung in­teresselos wird, oder auch interesselos wird in bezug auf äußere Be­tätigung: daß es an den Spielen nicht mehr teilnehmen will und dergleichen,

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wenn ich sehe, was beim Kinde unter Umständen sogar das Allerschlimmste sein kann, daß es interesselos wird gegenüber der Leckerheit der Speisen - das Kind soll vor allen Dingen Interesse daran haben, wie die Dinge schmecken, und es soll in seiner Art den Ge­schmack der einzelnen Dinge differenzieren -, wenn das Kind sogar zur Appetitlosigkeit übergeht, Appetitlosigkeit ist ja Interesselosigkeit in physischer Beziehung, dann weiß ich: die Ernährung ist falsch, die Ernährung ist so, daß sie dem Verdauungssystem zuviel zumutet. Ich habe nachzuforschen, inwiefern gerade diesem Kinde nach seiner Or­ganisation zuviel solche unnahrhafte Nahrungsmittel beigebracht wer­den, die das Verdauungssystem zu stark in Anspruch nehmen. Wie ich das Wetter an dem Barometer merke, so merke ich an der Interesse­losigkeit, daß die Ernährung falsch ist. Ich muß mir also klar sein, daß ich das vorhandene Interesse oder die Interesselosigkeit für etwas außer­ordentlich Wichtiges betrachten muß für die Maßnahmen, die ich in bezug auf die Ernährung zu treffen habe.

Bemerke ich, daß ein Kind leicht ermüdbar ist - es ist ja der gerade entgegengesetzte Pol -, sei es, daß ein Kind durch geistige Beschäfti­gung oder durch körperliche Betätigung abnorm leicht müde wird, da kommt wiederum beim Kinde ganz besonders das Physische in Be­tracht, welches sich so ausdrückt, daß das Kind zwar essen kann, aber durch das Essen in eine Art Traumzustand versetzt wird, daß es also nach jedem Essen ein abnormes Bedürfnis hat, sich auszuruhen, sich nach Schlangenart zu benehmen und sich hinzulegen und nicht zu­rechtkommt in dieser Weise mit der Verdauung, also durch die Ver­dauungstätigkeit ermüdet wird - merke ich dieses, dann weiß ich, dem Kinde wird zuviel von solchen Nahrungsmitteln beigebracht, die das Verdauungssystem zu wenig in Anspruch nehmen, die daher vorzugs­weise mit dem Kopfsystem verarbeitet werden, und die auf diese Weise das Kind zur Ermüdung bringen.

Wenn das Kind zu starke Interesselosigkeit zeigt, muß ich versu­chen, solche Nahrungsmittel beizubringen, die zu den sogenannten nahrhaften gehören. Und da braucht man wiederum kein Fanatiker zu sein. Fanatiker des Vegetarismus werden sagen: Ah, sieh einmal, dieses Kind ist interesselos geworden, das hast du mit Fleisch gefüttert, jetzt

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mußt du es an bloße rohe Früchte gewöhnen, dann wird es wiederum an Interesse gewinnen! - Das kann ja durchaus sein. Auf der anderen Seite werden natürlich wiederum die Fleischernährer sagen, wenn ein Kind leicht ermüdbar wird: Ja, das muß man eben mit Fleisch anre­gen. - Die Dinge sind nämlich, soweit sie auf diesem Gebiete liegen, gar nicht so, daß sie ein so furchtbar intensives Interesse herausfor­dern, aus dem einfachen Grunde, weil es in der Tat möglich ist, andere Nahrungsmittel so zu kombinieren, daß sie das Fleisch zum Beispiel ersetzen können. Auf der anderen Seite ist es nicht so wichtig, daß man den Menschen ganz und gar zum Vegetarier macht und derglei­chen. Aber darum handelt es sich, daß man diese Maxime kennt, daß man in dieser Form eintretende Interesselosigkeit durch Aufbesserung der Ernährung in bezug auf nahrhafte Nahrungsmittel beseitigt, und daß man die Ermüdbarkeit dadurch aufbessern muß, daß man eben nach der anderen Richtung hin wirkt. Das sind die Dinge, die durch­aus das allgemeine Wissen, ich möchte sagen, aus dem Intellektuellen, Mannigfaltigen und Unübersehbaren auf das Gebiet des Einfachen herabbringen. Wenn ich zum Beispiel weiß, daß ich ein Kind habe, das leicht ermüdet, so muß ich wissen, es wird sein Verdauungssystem eben zu wenig oder in einer unrichtigen Weise in Anspruch genommen. Ich muß die Nahrung nach dieser Richtung ändern.

So sehen Sie, daß es darauf ankommt, eine Art Symptomatologie des Menschen zu entwickeln, und diese Symptomatologie bringt einen schon auf den Weg, auf dem man dann weiterkommen kann. Es ist nicht nötig, daß durchaus in allen Einzelheiten gesagt wird: Das muß man tun. - Das ist es gerade: wenn man in dieser Weise sich den Über­blick über das Leben verschafft, indem man an eine Symptomatologie herantritt, kann man in bezug auf die Ernährung die Maximen auf den Weg mitnehmen, die einen dann durchaus richtig weiterleiten.

Innig verwandt, aber doch wiederum in einem gewissen Sinne ent­gegengesetzt, ist nun die Wärmung des Kindes. Da handelt es sich darum, daß ja in einer noch deutlicheren Weise die Welt dem Men­schen eine Art Richtschnur mitgibt; aber es muß diese Richtschnur nur in der richtigen Weise verstanden werden. Man hat ja auch noch jetzt dasjenige, was im 19. Jahrhundert Schlagwort geworden ist. - Auf der

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einen Seite sind ja Schlagworte immer nur allzu berechtigt in ihrem Inhalt, wenn man ihn versteht. Schlagworte werden sie aber dadurch, daß eben die Sache übertrieben wird. Auf der anderen Seite werden eben dadurch, daß die Sache übertrieben wird, Schädigungen hervorge­rufen. - Es ist auch heute noch ein Schlagwort vorhanden und wirksam, das im 19.Jahrhundert immer mehr und mehr um sich gegriffen hat:

Abhärtung. Gewiß, sie kann sehr gut sein, und in bezug auf die Ab­härtung ist außerordentlich viel getan worden. Aber sehen Sie, es wird dem, der auf einer wirklichen Menschenerkenntnis fußen kann, doch immer in einem gewissen Sinne angst und bange, wenn er Menschen sieht, die als Kinder sehr im Sinne der Abhärtung erzogen worden sind, und die dann nicht in der Lage sind, weil sie so abgehärtet sind, über einen sonnendurchstrahlten, heißen Platz zu gehen, weil sie an­fangen, in einer Weise in eine Seelen- und Körperverfassung zu kom­men, daß sie eben dann nicht über den Platz gehen. Die Abhärtung kann nur dann eine richtige sein, wenn sie den Menschen für die ver­schiedensten Gebiete des Lebens ertragsam macht.

Da muß man allerdings zwei Arten in Betracht ziehen. Das erste ist dieses, daß ja die Welt dem Menschen eine gewisse Richtschnur mitgegeben hat, daß er sich eigentlich nur wohl befindet, wenn er die Wärme- und Kälteverhältnisse seiner Umgebung nicht bemerkt, und daß er eigentlich immer in einer Lage ist, die unter allen Umständen seiner Gesundheit nicht zuträglich ist, wenn er in abnormer Weise die Wärme- und Kälteverhältnisse seiner Umgebung merken muß. Er muß sie natürlich unter Umständen als Sinnesempfindungen merken, aber er soll sie nicht durch seinen ganzen Organismus merken.

Dazu ist also notwendig, daß wir wirklich vor allen Dingen die Bekleidung so einrichten, daß der Mensch in einem neutralen Erlebnis gegenüber den Wärmeverhältnissen sein kann, und da muß tatsäch­lich alles einzelne berücksichtigt werden. Wir sind durchaus als Men­schen so veranlagt, daß, wenn wir zu stark den Kälteverhältnissen aus­gesetzt sind, wir dann einfach ein gewisses inneres Funktionieren nicht in der richtigen Weise vollziehen können; und daß, wenn wir zu stark den Wärmeverhältnissen ausgesetzt sind, dieses innere Funktionieren gewisser Organe wiederum übertrieben wird. So können wir sagen:

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Wenn der Mensch in abnormer Weise zu stark Kälteverhältnissen aus­gesetzt ist, werden seine Organe allmählich dazu geneigt gemacht, sich innerlich zu verschleimen, und es entstehen dann alle diejenigen Krank­keiten, die ich eben mit einem populären Ausdruck bezeichnen will: die innerlichen Verschleimungen. Die Organe werden innerlich mit Stoff­wechselabgängen durchkleistert. Es entsteht diese Verschleimung. -Wenn ich den Menschen zu stark der Hitze aussetze, so verdorren die Organe, sie verknöchern, sie verkrusten, und sie werden dann im emi­nentesten Sinne anämische Organe.

Das ist dasjenige, was durch ein gewisses Hineinschauen in den Organismus einem wiederum den Weg bereitet, um auf diesem Gebiete in der richtigen Weise erziehend vorzugehen. Aus allem muß der Mensch symptomatologisch lernen. Wir Menschen sind zum Beispiel dazu ver­anlagt, daß wir das Gesicht in einer Weise der Kälte aussetzen können; und dieses menschliche Antlitz ist durch den Anteil, den es an der Ge­samtorganisation des Menschen nimmt, eben schon dazu veranlagt, auch größeren Kälteverhältnissen ausgesetzt zu werden als der übrige Organismus. Dadurch, daß es größeren Kälteverhältnissen ausgesetzt ist, hält es fortwährend die anderen Organe vor dem Verdorren zurück, regt die Organe an, und es ist ein Wechselspiel zwischen dem der Kälte sich leichter aussetzenden Gesicht und den anderen Gliedern der menschlichen Organisation. Aber man darf das nicht verwechseln mit einem anderen des Menschen, verzeihen Sie den harten Ausdruck, man darf die Waden des Menschen nicht verwechseln mit dem Gesicht. Das ist ein Unfug, der in der Gegenwart getrieben wird, indem des Menschen Waden verwechselt werden mit seinem Gesicht. Man läßt die Kinder so herumgehen, daß sie nackte Beine haben bis über die Knie herauf, manchmal noch weit über die Knie herauf. Das ist eine Verwechslung des einen Endes des Menschen mit dem anderen. Wenn die Menschen den Zusammenhang einsehen würden, der da besteht, so würden sie eben wissen, wie ungeheuer viel Blinddarmentzündungen im späteren Leben eben einfach zusammenhängen mit dieser Verwechs­lung des einen Endes des Menschen mit dem anderen Ende.

Es muß allerdings gesagt werden, daß der Mensch eben auch er­tragsam gemacht werden muß, daß er nicht bei jedem Temperaturwechsel

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außer sich gerät. Das wird dann wiederum dadurch bewirkt, daß man zum Beispiel weiß: Wenn der Mensch sich schon in der Kind­heit zu empfänglich zeigt für einen solchen Temperaturwechsel, dann muß man durch die entsprechende Nahrung wiederum aufhelfen. -Das sind durchaus Dinge, welche uns zeigen, wie Erwärmung und Ernährung zusammenwirken müssen. Nahrung und Wärme, Ernäh­rung und Wärmung stehen durchaus in einem Wechselverhältnisse. Bei demjenigen Menschen, der den Temperaturwechsel zu stark emp­findet, muß man dafür sorgen, daß er durch eine mehr oder weniger wärmende Ernährung innerlich fester wird gegen diese Temperatur-wechsel.

Sie sehen also, wie eine wirkliche Menschenerkenntnis auch in dieser Beziehung auf den Weg hilft, und wie im Grunde genommen alles im menschlichen Organismus nicht nur zusammenwirken muß, sondern vor allen Dingen beim Erzieher und Unterrichter zusammenwirkend muß gedacht werden können.

Das dritte, worauf Sorgfalt zu verwenden ist in bezug auf die phy­sische Erziehung, das ist die Bewegungsbetätigung' die wir an das Kind heranbringen. Es handelt sich ja da durchaus darum, daß das menschliche Wesen nicht nur seine innere Betätigung auszuführen hat, sondern so organisiert ist, daß in seiner Wesenheit selbst die Mitbetä­tigung an der äußeren Welt liegt; daß es sich als ein Glied dieser äuße­ren Welt fühlen muß. Wir können sagen, kein Organ an dem Menschen ist so organisiert, daß wir es in der Ruhe verstehen können. Wir kön­nen die Ruhe eines menschlichen Organes nur verstehen, wenn wir es auf die Bewegung beziehen können, die durch das Organ ausge­führt ist, sei es ein äußeres Organ, wo in der Ruheform schon die äußere Bewegungsform angedeutet ist, sei es ein inneres, wo in der Gestalt des Organes eben durchaus ausgedrückt wird, in welcher Weise es in einer innerlichen Rührigkeit ist und dadurch an dem Gesamtprozesse der menschlichen Organe teilnimmt. Dem wird dadurch Rechnung getragen, daß wir die Bewegungsbetätigung in der richtigen Weise an das Kind heranbringen. Aber wir müssen gerade dabei die Gesamt­wesenheit des Menschen ins Auge fassen und werden darauf Rücksicht

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nehmen müssen, daß das Leibliche, das Seelische, das Geistige in der gleichen Weise zu seinem Rechte kommt. Das ist zunächst für das Kind nur dann der Fall, wenn wir seine Bewegungsbetätigung in dem richtigen Stil geschehen lassen, in dem Stile, bei dem das Kind dadurch eine Befriedigung hat, daß es die entsprechenden Bewegungsformen aus seinen eigenen Intentionen hervorbringt und mit seinen eigenen Befriedigungen begleiten kann.

Wir müssen daher bei einer auf Menschenerkenntnis beruhenden Erziehung dafür sorgen, daß wir verstehen lernen, in welcher Weise sich das Kind im Spiel frei betätigen will. Alles, was wir an stereotypen, ausgetüftelten Spielformen an das Kind heranbringen, all das spannt ja das Kind in etwas ein, was ihm fremd ist; es unterdrückt dasjenige, was innerlich in dem Kinde rührig sein sollte. Das Kind wird allmäh­lich träge in bezug auf seine eigene innere Tätigkeit, und da man ihm dann äußere Tätigkeit aufnötigt' fühlt es sich innerhalb dieser äußeren Betätigung ohne Interesse drinnen.

Man kann sich in diese Dinge besonders dadurch gut Einblick ver­schaffen, wenn man bemerkt, wie man das Spiel des Kindes, bei dem man ja meist darauf Rücksicht nimmt, was in den Intentionen des Kindes liegen kann, wie man das freie Spiel des Kindes zu sehr auf­gehen läßt in der turnerischen Beschäftigung. Wie gesagt, ich will durchaus nicht etwa das Turnen in Grund und Boden verdammen; aber mm allgemeinen muß doch gesagt werden, daß die Turnübungen so geformt sind, daß sie in einer gewissen äußerlichen Weise an das Kind herantreten. Daher wird derjenige, der wirkliche Menschenerkenntnis hat, lieber sehen, wenn die Kinder in ihrer freien Weise am Barren, am Reck, an den Strickleitern und so weiter sich frei betätigen, als wenn der Turnlehrer dasteht und die Bewegungen kommandiert, in die sich das Kind dann als in etwas Äußerliches, das es anschaut, mehr hinein-bequemt, als daß sie aus ihm selbst hervorkämen. Nicht so gut wäre es, wenn der Lehrer kommandiert eins! zwei! drei! - und vorschreibt, wie das Kind auf die erste Speiche der Strickleiter, auf die zweite Spei­che und so weiter gehen soll, oder in entsprechender Weise am Reck oder Barren sich zu betätigen habe, indem es seinen Körper in stereo­type Formen bringt.

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Ich weiß, daß dieses ja schon ein wenig über das hinausgeht, was heute in einer neutralen Weise aufgenommen wird, denn für die eine oder andere gymnastische Zeitbewegung ist ja heute ein jeder etwas fanatisiert, und man trifft insbesondere dann auf Antipathien, wenn man das bloß Gymnastische, das äußerlich dem Kinde beigebracht wird, in das richtige Licht stellt gegenüber dem, was aus dem Kinde selbst an der Entfaltung des freien Spieles hervorgerufen wird.

Dieses freie Spiel ist dasjenige, was man studieren muß! Man muß das Kind kennenlernen, dann wird man auch die Möglichkeit finden, es zu diesem freien Spiel anzuregen. An diesen freien Spielen sollen die Knaben ebenso wie die Mädchen teilnehmen können. Dadurch wird die Möglichkeit herbeigeführt werden, daß durch die Regsam­keit, welche dann das Innere des Menschen mitmacht, während das Kind äußerlich rege ist, die gesamten inneren Funktionen in einer har­monischen Weise zur Betätigung kommen. Und man wird vor allen Dingen in der richtigen Weise dann auf so etwas hinsehen wie, sagen wir, das Eintreten der Anämie, der Bleichsucht bei jungen Mädchen, die ja in den meisten Fällen einfach davon herrührt, daß die jungen Mädchen abgeschlossen werden von den Knaben, daß es so angesehen wird, als ob es bei ihnen nicht artig wäre, wenn sie etwas herumtollen, am freien Spiel mit den Knaben teilnehmen. Nur vielleicht in einer kleinen Weise nuanciert sollen sie in derselben Weise dasjenige aus­führen, was die Knaben im freien Spiel ausführen.

Gerade das aber - bitte, es soll durchaus nicht im geringsten eine Anspielung auf irgend etwas sein, das im Leben einmal da ist, es soll nur als eine Terminologie aufgefaßt werden - es ist einmal richtig, daß das gewohnte Ideal, das oftmals in bezug auf kleine Mädchen vor­handen ist, in vieler Beziehung gerade die gesundheitliche Veranlas­sung ist für das Eintreten der späteren anämischen Zustände, denen wir eben dadurch abhelfen können, daß wir auch das Mädchen in der ent­sprechenden Weise in das freie Spiel hineinbringen. Wir behüten es in dieser Beziehung davor, daß seine inneren Funktionen allmählich träge werden und es nicht bis dahin bringen, in der richtigen Weise aus der Verdauungstätigkeit heraus das Blut zu bilden.

Bei solchen Dingen ist es ja insbesondere schwierig, in der Gegenwart

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volles Verständnis hervorzurufen, aus dem einfachen Grunde, weil die Art von Erkenntnis, die man heute anerkennt, nicht aus dem eigentlichen inneren Wesen des Menschen heraus forscht, sondern ein­zelne Tatsachen zusammenträgt, und sich aus diesen einzelnen Tat­sachen, wie man sagt, auf induktivem Wege ein allgemeines Wissen zusammenbraut. Dadurch kommt man ja ganz gewiß auf richtige Dinge; aber es kommt im Leben darauf an, daß man immer auf die lebenswichtigen Dinge kommt. So kann es schon geschehen, daß ein für die heutige Wissensart besonders fanatisierter Mensch kommt und sagt: Ja, du erzählst uns jetzt, daß durch eine mangelhafte Betätigung des Bewegungsspieles die Anämie bei jungen Mädchen erzeugt werden kann; aber ich hatte einen Fall - er kann auch fünf meinetwillen beob­achtet haben -, wo auf dem Dorfe draußen die Mädchen gar nicht abgehalten worden sind, herumzutollen, und dennoch habe ich dort anämische Fälle gefunden. - Ja, da handelt es sich darum, daß dann eben nachgeforscht werden muß, wo gerade in diesem speziellen Fall die Anämie herkommt. Vielleicht hat einfach das junge Mädchen als Kind, sagen wir, an einer Herbstzeitlose, Colchicum autumnale' ein­mal leise genascht, und dadurch ist die Veranlagung in das Kind ge­bracht worden, die sich später in anämischen Zuständen auswirkt.

Dasjenige, was dann hier noch besonders in Betracht kommt, ist, daß wir die Gesamtgesundheitsveranlagung des Kindes auch durch geistige Überbürdung beeinträchtigen. Wenn wir das Kind nicht in der richtigen Weise ins Bewegungsspiel hineinbringen, dann versorgen wir in schlechter Weise seinen Stoffwechselorganismus. Wenn wir das Kind namentlich mit denjenigen geistigen Dingen, die sich auf die äußere Welt beziehen, überbürden, dann rufen wir in dem Kinde einen übertriebenen Stoffwechsel im Kopfe selbst hervor. Der Mensch ist zwar ein dreigliedriges Wesen, aber alle einzelnen Betätigungen, die in einem Organsystem überwiegen, sind in einem gewissen Sinne auch in dem anderen Organsystem vorhanden. Und wenn wir den Menschen nicht mit spirituellen Sachen, sondern mit demjenigen, was die äußere Welt an ihrem Inhalte auf physischem Gebiete bietet, überbürden, dann lenken wir in einem gewissen Sinne die reguläre Verdauungstätigkeit von dem Stoffwechselsystem nach dem Kopfsystem ab, und dadurch

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rufen wir auf der anderen Seite wiederum eine Art von anormaler Be­tätigung des ganzen Verdauungssystems hervor.

Es können dadurch ganz ähnliche Erscheinungen, wiederum an­amische Zustände, im geschlechtsreifen Alter eintreten. Und auch da kann man uns wieder kommen und hinausweisen aufs Dorf, wo unter Umständen auch anämische Zustände auftreten, und man gar nicht geltend machen kann, daß solche Kinder etwa geistig überfüttert wor­den seien. Man wird wiederum nachforschen müssen und wird heraus­bekommen, daß Anämie vielleicht in diesem Falle dadurch hervorge­rufen worden ist, daß in diesem Dorf ein Haus ist, das von sogenann­tem wildem Wein umrankt ist; die Beeren des wilden Weines haben vielleicht einmal die Neugierde des Kindes erregt, das kann später eingesehen werden, es hat eine, zwei, drei dieser Beeren in einem über­reifen Zustand, wo sie ganz schwarz werden, genascht, und hat dadurch wegen seiner übrigen Konstitution die Anlage zur Anämie gelegt.

Das sind die Dinge, die durchaus berücksichtigt werden müssen: daß ja das ganz richtig sein kann, wenn man einzelne solche Tatsachen zu­sammenträgt und sich daraus ein allgemeines Wissen zusammenbraut, aber bei einem lebenspraktischen Wissen kommt es darauf an, eben auch das eigentlich Lebenspraktische ins Auge zu fassen, dasjenige, wo man angreifen und eingreifen kann im und am Leben. Und ein solches Wissen liefert dem Unterrichtenden und dem Erziehenden doch nur eine wirkliche Menschenerkenntnis von innen heraus, eine solche Men­schenerkenntnis' die ihm dasjenige überliefert, was er in der Hauptsache in seiner Macht haben kann: daß wir in der richtigen Weise das Kind in Bewegungsspiele hineinführen, daß wir das Kind nicht überbürden in geistiger Beziehung. Das haben wir nicht nur in der Hand, sondern das ist unsere erste Aufgabe.

Wir können natürlich nicht in jedem einzelnen Fall ein Kind ab­halten, an Colchicum autumnale oder an wildem Wein zu naschen. Aber wir können es in der richtigen Zeit mit solchen Intuitionen ver­sehen, durch die es in der Lage ist, sein Physisches nach allen Seiten hin und in der höheren Regsamkeit auszubilden.

SECHZEHNTER VORTRAG Dornach, 7. Januar 1922

#G303-1969-SE293 Die gesunde Entwickelung des Menschwesens

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SECHZEHNTER VORTRAG

Dornach, 7. Januar 1922

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Heute möchte ich die Auseinandersetzungen über eine auf Anthro­posophie, oder besser gesagt, auf anthroposophische Menschener­kenntnis begründete Pädagogik und Didaktik dadurch abschließen, daß ich einiges Aphoristische vorbringe über die moralische und über die religiöse Erziehung, die ja namentlich innerhalb der Schule und des Erziehungsgebietes überhaupt zusammengehören. Nirgends aber so sehr, als wenn man über dieses Gebiet spricht, fühlt man sich veran­laßt, gerade aus wirklicher Menschenerkenntnis heraus den einheit­lichen Geist betonen zu müssen, der durch das ganze Erziehungswesen durchgehen muß. Ich habe gestern über die physische Erziehung ge­sprochen, spreche heute über ein Gebiet der Erziehung, das im eminen­testen Sinne auch aus dem Geist unserer Zivilisation heraus das gei­stige Gebiet genannt werden muß. Ich möchte aber einleitungsweise betonen, daß diese beiden Gebiete, die aus unserem gegenwärtigen Zi­vilisationsieben heraus noch ziemlich getrennt behandelt werden, inner­halb der hier gemeinten Pädagogik und Didaktik innig ineinanderflie­ßen werden.

Allerdings wird es zu diesem Innig-Ineinanderfließen noch man-che Zeit brauchen; aber ein Kleines dieses Ineinanderfließens streben wir ja jetzt schon dadurch an, daß wir, wie eine Art geistig-seelischen Turnens, die Eurythmie als obligatorisches Unterrichtsfach in die Wal­dorfschule eingeführt haben. Diese Eurythmie führt alles, was sie aus­führt, im Körperlich-Leiblichen aus; aber sie ist bis ins kleinste hinein in alledem, was sie ausführt, zu gleicher Zeit vom Geistig-Seelischen sinn­voll durchdrungen, so daß bei ihr wirklich dasjenige stattfindet, was in der menschlichen Lautsprache vorhanden ist, bei der wir uns eines phy­sischen Organes bedienen und wo von diesem physischen Organ alles abhängt, was in der physischen Welt von dieser Lautsprache sich äu­ßern kann, bei der aber zu gleicher Zeit alles vom Geiste und von der Seele durchdrungen ist.

Und wie man das Geistige in der Sprache so betrachten kann, daß

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man unmittelbar auch, wenn mnan feiner nuanciert, auf das Moralische und sogar auf das Religiöse kommt - denn nicht ohne Begründung ist es, daß das Johannes-Evangelium beginnt «Im Urbeginne war das Wort» -, so darf man sagen: Wenn auch noch auf einem weniger auf­fälligen Gebiete, wenn auch in einem viel instinktiveren Maße, wird das Ineinanderfließen von Geist, Seele und Leib in das Erziehungs­wesen hineingestellt durch das Pflegen der Eurythmie durch alle Schul­klassen hindurch. So daß die Eurythmie eines von den Elementen, aller­dings nach dem Leiblichen hingerichteten Elementen ist, weiches viel­leicht am meisten heute schon zeigt, wie auch im praktischen Sinne auf diese hier gemeinte Vereinheitlichung des Unterrichts- und Erziehungs­wesens hingearbeitet wird. Es wird manches andere der Eurythmie zur Seite stehen müssen in der Zukunft. Es werden Dinge ihr zur Seite stehen müssen, die nach gewissen Richtungen näher ins Geistig-See­lische noch hinarbeiten in der Eurythmie, von denen heute überhaupt die Menschheit sich noch nichts träumen läßt, die aber auf der weiteren Verfolgung des eben angedeuteten Weges liegen. Dieser Weg ist da. Mag er durch das, was wir an Eurythmie bieten können, noch so un­vollkommen als möglich beschritten sein, alle jene Einseitigkeiten, denen die materialistischen Strömungen auf dem Gebiete der Gymna­stik heute ausgesetzt sind, werden doch einmal durch das eurythmische Prinzip, wenn auch nicht durch die noch in ihrem Anfange, in ihrer Entwickelung befindliche Eurythmie von heute, überwunden werden.

Man fühlt sich gedrängt, wenn es heute auch nur aphoristisch ge­schehen kann, von der ethischen, von der moralisch-religiösen Erzie­hungskunst zu reden, man fühlt sich ja gerade dann auf der einen Seite gedrängt, an das Allgemein-Menschliche, das als solches Allge­mein-Menschliches über die ganze Erde hin ausgebreitet ist und den Unterschied von Völkern und Rassen nicht kennt, an dieses Allgemein-Menschliche zu appellieren. Man weiß aber auch auf der anderen Seite, daß es schier unmöglich ist, gerade auf diesen Gebieten, die so sehr mit dem Inneren des Menschen zu tun haben, heute schon von einem allge­mein menschlichen Gesichtspunkte aus so zu sprechen, daß man von den Angehörigen aller Nationen restlos verstanden werden könnte. Denn man braucht sich es nur an einem Beispiel einmal zu veranschaulichen.

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wie differenziert die Menschen über die Erde hin in bezug auf ihre mora­lischen Empfindungen und in bezug auf ihre religiösen Lebensauffas­sungen sind, und man wird schon sehen, wie beengt man sich fühlt, wenn man an irgendeinem Punkte der Erde über das ethisch-religiöse Gebiet sprechen will, weil einfach gerade dieses mit dem Innersten des Menschen so eng zusammenhängende Gebiet nur richtig verstanden werden kann, wenn es aus Volkstum und aus Religionsbekenntnis her­aus verstanden wird.

In bezug auf alles, was ich bisher schon vorgebracht habe, konnte ich etwas viel mehr Allgemein-Menschliches sagen, als ich Ihnen heute werde sagen können. Anthroposophische Weltanschauung ist einmal dazu da, um die verschiedensten Brücken zu schlagen über dasjenige hin, was die Menschen in Nationen, in Rassen und so weiter trennt. Sie fühlt sich ihrer tiefsten Anlage nach gedrungen, durchaus inter­national zu sprechen. Und sie fühlt es daher auch ganz besonders, wie schwierig es ist, über die intimsten Gebiete des menschlichen Lebens gerade im Sinne der heutigen Zivilisation der Erde - und das ist ja nun schließlich die Wirklichkeit, mit der wir es in der Gegenwart zu tun haben -, gerade im Sinne der heutigen Zivilisation über die Erde hin zu sprechen. Daher werde ich Sie bitten müssen, dasjenige, was ich heute vorbringe, durchaus von dem eben angedeuteten Gesichtspunkte aus zu fassen. Denn, wie gesagt, man braucht sich nur an einem Bei­spiel klarzumachen, wie differenziert die Menschen in bezug auf das Charakterisierte sind.

Ich habe schon einmal im Verlauf dieser Vorträge auf Herbert Spencer hingewiesen, der ganz gewiß - man mag sich heute zu ihm stellen wie man will - doch eine repräsentative Persönlichkeit des Westens ist, und ich habe auch darauf hingewiesen, daß Herbert Spen­cer ganz bestimmte Erziehungsziele geltend macht. Das eine ist das, was er etwa in die Worte faßt: Das menschliche physische Ziel im Erdensein ist, Nachkommenschaft hervorzubringen. Daher ist sein sitt­liches Ziel auf dem pädagogischen Gebiete: diese Nachkommenschaft in der richtigen Weise erziehen zu können, richtige Eltern und Erzie­her heranzubilden. In diesem Sinne, der ausgeht von der physischen Menschenbetrachtung und abzielt auf die physische Menschenbetrachtung,

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ist dasjenige, was Herbert Spencer geltend macht. Er verfolgt die Entwickelung der Menschheit, des Menschen bis zur Nachkommen­schaftserzeugung hin und sucht gerade in dieser Tatsache des Nach­kommenschafterzeugens dasjenige, was auch die eigentlichen Erzie­hungsziele beleuchten kann.

Sehen wir jetzt auf einen etwas später lebenden, aber deshalb doch nicht minder charakteristischen Menschen des Ostens, sehen wir auf Wiadimir So/owjow hin. Wiadimir Solowjow spricht ja durchaus mit westlicher Terminologie aus, was er vertritt; aber in seiner Lebensauf­fassung lebt durchaus dasjenige, was russische Volksseelenäußerung ist. Und so sehen wir, daß es ganz anders klingt, wenn das ethisch-religiöse Ziel der Menschheit von Wiadimir Soiowjow aus dem östlichen Geiste heraus geprägt wird. Wiadimir Soiowjow sagt: Der Mensch muß einerseits nach Vollkommenheit in der Wahrheit streben, und anderer­seits muß er teilhaftig werden der Unsterblichkeit. - Er meint da nicht etwa eine irdische Unsterblichkeit durch Ruhm, sondern die echte See­lenunsterblichkeit, wie sie jeder Mensch für sich in Anspruch nimmt. Und er sagt: Ohne das Streben nach Vollkommenheit in der Wahrheit, also ohne ein wirkliches Erlangen einer Erkenntnis wäre das mensch­liche Leben wertlos. Nur wenn man immer weiter und weiter sich ver­vollkommnen kann, bekommt das menschliche Leben einen Wert. Wenn aber der Mensch nicht unsterblich wäre, dann wäre alle Vollkommen­heit, alle Fähigkeit, Vollkommenheit zu erstreben, ein großer Welt-betrug, denn dann würde die Vollkommenheit versinken, und die Men­schen wären um dasjenige betrogen, aus dem Weltengrunde heraus, das sie gerade als ihr Wertvollstes anstreben müßten. - Das aber, meint Solowjow, wäre der Fall, wenn man innerhalb der Erdenentwicke­lung der Menschheit bloß die Erzeugung von Nachkommenschaft als ein letztes hinstellte. Denn da würde man diese Entwickelung so fassen, daß die Menschen bis zur Erzeugung der nächsten Generation kommen, diese Generation wieder bis zur Erzeugung einer nächsten Generation und so weiter. Und man würde zu einem Rollen eines gleichförmigen Rades kommen in bezug auf die Bewertung der Welt. Kurz, Solowjow lehnt, so deutlich und radikal das nur geschehen kann, aus östlichem Geiste heraus das westliche Ideal Herbert Spencers ab.

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Aus dieser Empfindungsnuance heraus ist alles das gefärbt, was auf ethisch-religiösem Gebiete die Menschheit zunächst nach zwei Sei­ten hin teilt. Und man muß, wenn man für die Menschheit auf der Erde überhaupt Verständnis gewinnen will in bezug auf ihre ethisch-reli­giösen Ziele, sich auf der einen Seite die Vorurteilsiosigkeit aneignen, nicht irgendein Ideal an sich für wertvoller zu halten als das andere, sondern ein jedes nur verstehen zu wollen. Man muß auf der anderen Seite aber auch versuchen, ein jedes zu verstehen. Das, was da an zwei repräsentativen Persönlichkeiten veranschaulicht werden kann, wird ein Hinweis darauf sein können, inwiefern tatsächlich gerade auf dem heute zu besprechenden intimen Gebiete die Menschheit über die Erde hin differenziert ist. Aber gerade das will anthroposophische Weltan­schauung, daß die Menschen die Möglichkeit gewinnen, sich über die Erde hin zu verständigen. Sie will daher eine, zwar nicht im physischen Sinne gemeinte, aber doch eine Sprache sprechen, welche auch gegen­über der heutigen, unmittelbar gegenwärtigen Zivilisation überall ver­standen werden kann. Das wird heute natürlich nur in eingeschränk­tem Maße der Fall sein können. Aber gerade dann, wenn wir dieses eingeschränkte Maß beobachten wollen, werden wir zu dem hingeführt werden können, was uns dann die Sache von einem etwas weiteren Gesichtspunkte empfinden läßt. Denn sobald man sich nur einmal das Gesagte klarmacht, tritt einem ja sogleich vor Augen, wie wenig wir eigentlich in ethisch-religiöser Weise erreichen können, wenn wir be­stimmte religiöse Inhalte oder sogar ethische Inhalte schon an die Kin­der heranbringen. Wir könnten ja höchstens die Kinder zu Christen oder zu Juden oder zu Katholiken und Protestanten erziehen, in dem Sinne, wie wir es selber sind. Das aber muß aus jeder Erziehungskunst ausgeschlossen werden, daß wir das Bestreben haben, die Menschen so zu erziehen, daß sie werden wie wir selber.

Man kann sich das deutlich veranschaulichen, wenn man auf eine gewisse Erziehungstatsache hinblickt, die uns allerdings sehr, sehr an-leitet dazu, des Menschen wirkliche Freiheit schon im Kinde im vollen Umfange des Wortes zu respektieren. Und daß wir das müssen, darauf werden wir von selbst kommen, wenn wir uns sagen: Wir müssen in der Schule den schwachsinnigen, den idiotischen Menschen in derselben

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Weise behandeln wie das Genie. - Was für ein Erziehungsprinzip würde herauskommen, wenn wmr unsere Erziehungsmaximen so einrichten wollten, daß ein jedes Kind dasjenige in seine Seele hereinnimmt, was wir selber in der Seele haben. Der Schwachsinnige, der idiotische Mensch wird belastet geboren, mit einer Last durch seine Leiblichkeit; das Genie wird mit Flügeln geboren, mit Flügeln der Seele. Wir müssen uns ge­stehen, daß wir die Last des Schwachsinnigen mittragen müssen. Wir müssen uns aber auch gestehen, daß wir den Bewegungen der Genie-flügel unter Umständen als Lehrer ja wohl nicht folgen können, denn sonst müßten alle Schulen mit höchsten Genies besetzt werden. Das kann nicht der Fall sein. Es muß die Möglichkeit vorhanden sein, so richtig zu erziehen, daß wir dem Genie nicht die geringsten Hemm­nmsse in den Weg legen, daß wir seine Flügel nicht in der geringsten Weise beschneiden. Das werden wir nur können, wenn wir die Erzie­hungskunst so gestalten, daß sie in diejenigen Kräfte, die sich im Men­schen frei entwickeln müssen, überhaupt gar nicht eingreift.

Darauf waren alle Auseinandersetzungen gerichtet, welche hier in diesen Tagen gemacht worden sind. Und wenn Sie diese Auseinander­setzungen genauer prüfen, werden Sie finden, daß sie alle so sind und so mn das praktische Leben hineingestellt werden können, daß der Er­zieher es eigentlich nur mit demjenigen im Kinde zu tun hat, das in diesem Kinde von ihm auch entwickelt werden kann, selbst wenn er in diesem Kinde für das spätere Leben das größte Genie vor sich hat. Geradeso, wie wenn ich ein Zwerg bin in der Schule als Lehrer, ich nicht durch den Umstand, daß ich ein Zwerg bin, ein Hindernis sein kann dafür, daß irgendeiner meiner Schüler oder eine meiner Schüler­innen sich zum Riesen in körperlicher Beziehung auswächst, geradeso­wenig, wie ich durch meine physische Zwerghaftigkeit in dasjenige ein­greife, was die freien Wachstumsprinzipien des Physischen sind, gerade-sowenig darf ich durch mein Geistig-Seelisches in dasjenige eingreifen, was die Wachstumsprinzipien des Geistig-Seelischen des Kindes sind. Ich bilde in der Schule, wenn ich selber ein Zwerg bin, nicht Zwerge, ich bilde in der Schule, wenn ich selber in einem gewissen Sinne selbst ein beschränkter Mensch bin, nicht lauter beschränkte Menschen aus, sondern wenn die richtigen Erziehungsprinzipien vorhanden sind, dann

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wird von meiner eigenen Seelenverfassung das spätere Leben der Zög­linge gerade deshalb unabhängig sein, weil ich auf Menschenerkenntnis so fuße, daß diese Menschenerkenntnis aus dem ganzen, vollen Men­schen so hervorgeht, wie die physischen Wachstumsprinzipien selber.

Daher begrüße ich es als eine ganz besonders befriedigende Tat­sache, daß in der Stuttgarter Waldorfschule sich etwas herausgebildet hat, was vielleicht derjenige, der sie heute besucht, nicht gleich be­merken wird, aber was doch deutlich vorhanden ist, und was als etwas ganz Konkretes gewachsen ist: das ist der Waldorfschulgeist, der etwas wirklich Vorhandenes ist, der unabhängig ist von dem, was die ein­zelnen Lehrer nun unmittelbar als ihre individuelle Seelenauffassung haben. Diese individuelle Seelenauffassung fühlt sich vielleicht gerade am wohisten, indem sie in diesem allgemeinen Waldorfschulgeist weiter gepflegt wird. Dieser Waldorfschulgeist also ist dasjenige, was immer mehr und mehr streben wird, den Menschen so zu erziehen und zu unterrichten, daß er in einem gewissen Sinne auch noch dann erzogen wird, wenn er als idiotisches Kind schwere Lasten zu tragen hat; daß man lernen wird aus allgemeiner Menschenerkenntnis heraus, diese schweren Lasten zu schleppen, daß man aber auf der anderen Seite zu gleicher Zeit niemals eine Sünde begehen will gegen das freie Entfalten der Flügel der Seele auch für den höchstveranlagten Menschen. Dies ist das Ideal; aber ein Ideal, von dem man nicht sagt, daß es in nebeigrauen Fernen liegt, sondern ein Ideal, das eigentlich an jedem Tage zu ver­wirklichen versucht wird.

An das Inhaltliche von Weltauffassungen, Religionsbekenntnissen, ethischen Impulsen, werden wir uns also, wenn wir ein ethisch-reli­giöses Leben wirklich heranerziehen wollen, nicht halten können. Wir werden vielmehr das Innere des Menschen so ergreifen müssen, daß er sich in der Weise, wie es ihm nach seiner Lebenssituation, man möchte sagen, vom Schicksal aufgegeben ist, in einer freien Weise in dasjenige hineinfindet, was er auf diesem Gebiete mit seinen Mitmenschen Ge­meinsames haben muß, damit er mit ihnen sozial zusammenwirken kann. Also werden wir, wenn wir eine ethisch-religiöse Erziehung geben wollen, zunächst nicht an die Erkenntnis appellieren müssen; denn die

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Erkenntnis ist ja gerade dasjenige, was uns zwar die Inhalte abgibt, was uns aber keine Möglichkeit gibt, uns in ein intim Seelisches hinein-zuleben. Dennoch aber, indem wir die Erkenntnis, indem wir das Den­ken von den drei Seelenkräften Denken, Fühlen und Wollen in der Schule werden pflegen müssen, werden wir auch dem Denken gegen-über uns klar sein müssen, daß dieses Denken wird einmünden müs­sen in ein religiöses, in ein ethisch-sittliches Ziel. Dasjenige, an das wir uns werden halten müssen bei der sittlichen, bei der moralisch-religiösen Erziehung, das wird das menschliche Fühlen sein. Auch das Wollen kann es nicht unmittelbar sein; denn in bezug auf sein Wollen wird der Mensch in die Sozietät hineingestellt, und dasjenige, was er im Wollen vollbringen muß, wird vielfach durch diese Sozietät und ihre Forderungen bestimmt.

Weder an das Denken, das die eindeutige Richtung geben will, noch an das Wollen, welches seine Impulse aus der Sozietät aufnehmen muß, können wir uns wenden, wohl aber besonders an das Fühlen, das in einer gewissen Beziehung jeder Mensch für sich hat. Und wenn wir an das im Unterricht und in der Erziehung appellieren, dann werden wir diejenigen Kräfte in der Menschenseele treffen, die moralisch und religiös zu fassen sind. Aber wir müssen doch den Unterricht über Denken, Fühlen und Wollen ausdehnen. Wir müssen gleichmäßig alle Seelenkräfte ausbilden. Wir können selbstverständlich nicht das Den­ken nur so ausbilden, daß es eine Sache für sich ist, und auch das Wol­len können wir nicht so ausbilden, daß es eine Sache für sich ist, son­dern wir werden das Gefühlsleben in das Denken und in das Wollen gerade zum Ziele der Erziehung und des Unterrichts hineintragen müssen.

Und da kann uns in bezug auf das Denken nur eine auf anthropo­sophische Grundlage gestellte Welt- und Menschenerkenntnis entge­genkommen; denn diese, auf solche Grundlage gestellte Welt- und Men-schenerkenntnis, darf durchaus auf einer physischen Grundlage auf­bauen. Sie darf in unbefangener Weise Physik, Chemie und so weiter pflegen, ohne daß der Mensch diese Dinge so pflegt, daß er von ihnen nicht aufsteigen könnte, indem er sich in den Gedankeninhalt vertieft, der ihm von der Welt gegeben wird, zu einer geistigen, zu einer übersinnlichen

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Welt. Und indem er von der Erkenntnis aus zu der geistig-übersinnlichen Welt kommt, wird eben nicht bloß sein Denken in An­spruch genommen, sondern auch sein Gefühl; denn in demselben Mo­mente, wo wir die Erkenntnis in dieser Art bis zum Übersinnlichen weit genug treiben, beginnen wir ein moralisches Verhältnis zu den Weltengründen, zu den übersinnlichen Wesenheiten zu bekommen.

Und dieses Gefühl, das ist das erste Element unter den drei Seelen-elementen, an das wir für die moralisch-religiöse Erziehung appellie­ren müssen. Es ist dieses Gefühl das Gefühl der Dankbarkeit. Dieses Gefühl der Dankbarkeit, das in einer gewissen Beziehung in unserem heutigen Erziehungswesen eine ziemlich unbewußte Rolle spielt, ist dasjenige, was wir ganz systematisch in allen seinen Formen vom Be­ginne der Schulerziehung heranentwickeln müssen in den einzelnen Stücken des konkreten Lebens, wo wir versuchen sollen, schon in dem Kinde allem gegenüber, das ihm gegeben wird, das Dankbarkeitsge­fühl zu entwickeln.

Und wenn dieses Dankbarkeitsgefühl in der richtigen Weise ent­wickelt wird, dann steht es so da im Seelenleben, daß es bis in die höchsten Gebiete der Weltgesetzmäßigkeit' die wir durch die Erkennt­nis gewinnen, hinaufgehen kann. Dann fühlt der Mensch die Natur um sich herum, lernt deren Gesetze kennen, sieht sich dann als Mensch in diese Natur hineingestellt, lernt wissen, daß dasjenige, was er mit sei­nen Sinnen von dieser Natur erkennen lernt, ihn niemals zum Men­schen machen würde, sondern er lernt eine solche Menschenwissenschaft erkennen, die ihn auf dasjenige hinweist, was über die Natur hinaus­geht und doch durch Erkenntnis sich erreichen läßt. Er fühlt als Mensch in sich nicht nur eine alles überschreitende, universelle Gesetzmäßig­keit der Welt, er fühlt ein Wesenhaftes der Welt im Geiste, und seine Erkenntnis beginnt da von selbst in das Dankbarkeitsgefühl überzu­gehen gegenüber denjenigen Wesen, die ihn in die Welt hereingestellt haben, gegenüber den übersinnlichen Wesen; zu dem Dank gegenüber dem göttlichen Wesen erweitert sich die Erkenntnis. Und keine Er­kenntnis ist dem jungen Menschen richtig beigebracht, die nicht zu­letzt in Dankbarkeitsgefühle gegenüber der übersinnlichen Welt aus­quillt.

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Das erste also, was uns innerhalb der drei Elemente des mensch­lichen Seelenlebens in das ethisch-religiöse Gebiet hinleitet, das wir heranerziehen müssen, ist das Dankbarkeitsgefühl; das schließt auch sonst im Leben schon die Erkenntnis ein; denn wir müssen eine er­kenntnismäßige Anschauung von dem haben, wofür wir dankbar sein sollen. In Dankesgefühlen umschlingt das Gefühlsleben schon im äußer-lich praktischen Leben das Erkenntnisleben. Und so appellieren wir nicht an irgendwelches Übermitteln eines traditionellen Reiigionsbe­kenntnisses - das überlassen wir eben dem besonderen Religionsunter­richt, der dann aber auch in der richtigen Weise sich in das Leben hin­einstellen kann, wenn ihm in dieser Weise vorgearbeitet wird -, wir appellieren zunächst mit Bezug auf das Denken an das Dankbarkeits­gefühl.

Und wenn wir dann an das eigentliche Gefühlsleben herantreten, dann entdecken wir im Gefühlsleben erst in der rechten Weise dasje­nige, was nun das menschliche Innenleben aus sich selbst herausführt, das menschliche Innenleben in die äußere Welt hineinführt. Im Dank-barkeitsgefühl stehen wir den anderen Wesen gegenüber. Wenn wir aber mit unserem eigenen Leben uns in das andere Wesen so hineinfin­den, daß wir es in einem gewissen Sinne miterleben, dann entwickelt sich für das Gefühlsleben dasjenige, was wir die Liebe nennen in Wirk­lichkeit. Die Liebe ist das zweite Element, das gepflegt sein will im Hinblicke auf das moralisch-religiöse Leben. Die Liebe, die wir in der Schule pflegen können, praktisch dadurch, daß wir alles tun, damit die einzelnen Schulkinder untereinander sich lieben; die Liebe, der wir eine feste Grundlage geben, wenn wir dasjenige, was aus dem Nach-ahmungsprinzip zum Autoritätsprinzip geworden ist zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahre, so übergehen lassen können durch unser ganzes Gebaren in der Schule, daß die Autoritätsempfindung sich ganz allmählich in die Liebe-Empfindung, in die wahre Liebe-Empfin­dung, die mit Hochachtung verknüpft ist, gegenüber dem Lehrer und Erzieher verwandeln.

Dann begründen wir ein Zweifaches für das Leben. Wir begründen dasjenige, was in einem uralten Wahrspruch enthalten ist: «Liebe dei­nen Nächsten als dich selbst.» Da wir aber zu gleicher Zeit die Dankbarkeit

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entwickeln, und diese Dankbarkeit uns hinüberweist zur Er­kenntnis der Welt, so fügt sich zu diesem: «Liebe deinen Nächsten als dich selbst» hinzu das: «Liebe das göttliche Wesen über alles.»

Solche Wahrsprüche sind heute natürlich jedem geläufig, denn sie klingen aus uralten Jahrhunderten zu uns herüber; aber darauf kommt es nicht an, daß wir sie in theoretischem Denken wiederholen, sondern daß wir aus unserer unmittelbaren Gegenwart heraus - und in jedem Zeitalter wird ja das Leben der Menschheit ein neues - die Mittel finden, sie wiederum praktisch in das Leben hineinzustellen. Das heu­tige Leben betont immer: «Liebe deinen Nächsten als dich selbst und Gott über alles.» Man kann nicht viel davon sehen! - Gerade das Schul­leben wird dazu beitragen müssen, daß diese Dinge nicht bloß bespro­chen werden, daß sie wiederum belebt werden.

Nun führt lediglich das zu einer sicheren Grundlage des reifen Liebens in der Welt, was sich von Nachahmung durch Autoritätsgefühl naturgemäß in die Liebe hinein entwickelt. Und wenn wir in dieser Weise über die Entwickelung des Menschen auf jene Liebe, die sich ja in diesem Zusammenhange in ihrem Wesen von selber versteht, hin­arbeiten, dann sorgen wir in der richtigen Weise dafür vor, daß wir nicht mehr nötig haben, so furchtbar ausführliche Theorien zu erfin­den, wie sie heute aus unserer materialistischen Gesinnung heraus er­funden werden, den Kindern in der richtigen Weise das Lieben beizu­bringen, wenn sie ins geschlechtsreife Alter kommen. Darüber wird ja heute eine Literatur geschrieben. Diese Literatur krankt alle an dem Umstande, daß man nicht weiß, was man mit den Kindern im Mo­mente des geschlechtsreifen Alters anfangen soll, weil man sie nicht in der richtigen Weise vorbereitet hat dazu; weil man nicht weiß, was in jedem einzelnen Lebensabschnitte getan werden muß. Man hat nicht die Schwierigkeiten gegenüber dem Kinde wenn es geschlechtsreif ist, wenn es in der richtigen Weise bis zu dieser Lebensstufe hingeführt worden ist.

Auch in bezug auf das Wollen müssen wir die kindliche Seelen-entwickelung auf den rechten Weg bringen, indem wir das Fühlen in der richtigen Weise in das Wollen hinüberleiten. Das Kind wird ja Mannigfaltiges als Willensimpulse zum Ausdrucke bringen müssen.

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Aber was macht sich denn geltend, indem das Kind will? Wir wären nicht physische Menschen, wenn nmcht in demselben Augenblicke, wo das Wollen eintritt, und namentlich dasjenige Wollen eintritt, das in das Licht der Moralität, in das Licht der Religion gestellt werden soll, wenn wir da nicht unsere eigene Leiblichkeit in Anspruch nehmen müßten. Im Lieben ergießen wir uns gewissermaßen in die Welt. Im Wollen kehren wir wiederum zu uns selbst zurück. Und wir finden dann in uns, weil gewollt werden muß im Leben, unsere Instinkte, wir finden unsere Triebe, unsere Emotionen. Und in dem Augenblicke, wo wir zum Ethischen und dann zum Religiösen übergehen wollen, müs­sen wir uns bewußt werden, daß in die Instinkte, daß in die Triebe, in die Emotionen dasjenige einfließen muß, was uns im wahren Sinne des Wortes zum Menschen macht, dasjenige, was wir schließlich finden, wenn wir erkennend das Weltenall betrachten und den Menschen dar­mnnen finden, dasjenige, was eine alte Tradition ausspricht, indem sie das Wort prägt: «Der Mensch ist ein Abbild der Gottheit.» Nur wenn wir eine solche Gesinnung in das Wollen hineintragen können, daß bis mn unsere Instinktimpulse noch erkennbar ist, daß der Mensch das Ebenbild Gottes ist, entsteht ein solches Wollen, das einen ethischen und auch schon religiös gefärbten Charakter trägt. Dann kann der Mensch sich bewußt sein: er bleibt in seinem Wollen wahrhaft Mensch.

Und indem der Mensch seine Willensimpulse so in die Welt hinein-setzt, daß er bis in das Instinktieben hinunter so sich der Menschheit vorstellt, daß sie ihn als Menschen anerkennen kann, was tut er dann? Was führt er aus? Ja, er führt dasjenige aus, was nun das dritte Element ist. Er entwickelt ein Fühlen gegenüber seinem Menschlichen, das er ins Handeln, ins Wollen hineingießt. Und dafür habe ich nun kein deutsches Wort. Ich muß also hier, um verständlich zu werden, das Wort «duty» nehmen. Es gibt für «duty» keine deutsche Übersetzung. Das müßte derjenige fühlen, der die Worte in dem Sinne, wie ich das in diesen Tagen ausemnandergesetzt habe, als hervorgehend aus dem Volksgeiste empfindet. Denn wollte ich zu diesem Elemente übergehen aus dem deutschen Volksgeiste heraus, dann müßte ich allerdings sa­gen: dasjenige, was nun der lexikographisch Übersetzende, so ober­flächlich über die Dinge hinstreifend, hinschreiben würde, wenn er

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das englische Wort «duty» findet, er würde es mit «Pflicht» überset­zen; aber «Pflicht» hat in seiner Empfindungsnuance gar nichts mit dem zu tun, was ich nun auseinandergesetzt habe, um zu «duty» zu führen. Denn «Pflicht» ist das Substantivum zu «pflegen» und kommt aus einem ganz anderen Lebensgebiete heraus, so daß man die ganze Auseinandersetzung jetzt anders gestalten müßte, als ich sie eben an­gestellt habe, wenn man dasjenige, was in dem Wort «Pflicht» liegt, auseinandersetzen wollte.

Sie haben hier wiederum ein Beispiel davon, wie differenziert die Menschheit über die Erde hin ist. Derjenige, der gewissenhaft und ge­nau redet, kann nicht in dem Zusammenhange, den ich hier auseinan­dergesetzt habe, «Pflicht» hinschreiben fur « duty », denn er lugt, aller­dings nur theoretisch, wenn er als drittes hier «Pflicht» hinschreibt.

1. Dankbarkeit

2. Liebe

3. duty

Und es ist wiederum charakteristisch, daß ich in der Lage bin, «Dank­barkeit» und «Liebe» in deutscher Sprache hinzuschreiben, daß ich aber kein in demselben Sinne deutsches Wort habe, wenn ich das dritte hinschreiben will. Das habe ich nicht. Und es ist deshalb charakteri­stisch, weil in dem Augenblicke, wo wir aus dem heraustreten, was uns über die ganze Menschheit hin erkennend verbindet - denn die Erkenntnis fühlt jeder als ein Allgemein-Menschliches in einem gewis­sen Sinne - in dem Augenblick, wo wir heraustreten aus der Erkenntnis und der Liebe, die noch immer ein Allgemein-Menschliches ist, in das einzelne Tun, und wir an einen bestimmten Platz in der Welt hinge-stellt werden, müssen wir aus diesem heraus unser Leben entwickeln und uns bewußt werden der Individualität, die in uns ausgebildet wird, indem wir auf einen gewissen Platz in der Welt gestellt werden.

Aber indem in dieser Weise an das Gefühlsleben des Kindes heran­getreten wird, und in dieser Art aus all den Grundlagen heraus, die wir betrachtet haben, Nachahmung, Autoritätsgefühl übergehen zu dem, was dann aus dem Autoritätsgefühl zwischen dem neunten und zehnten

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Jahre wird, indem wir auf diesen Grundlagen aufbauen, die sich ganz naturgemäß auf Grundlage einer anthroposophischen Menschen-erkenntnis ergeben haben, geleiten wir das allgemeine Unterrichten hin­über in ein moralisches und religiöses Erleben. Denn wenn der Mensch fühlt: er muß ganz Mensch sein, er muß sich so in die Welt hineinstel­len, daß bis in sein Instinktieben hinein sein Nebenmensch ihn aner­kennt als Menschen und er sich selber anerkennen kann als Mensch, in dem Augenblick ist der Mensch ein Sendbote, ein Angelos des gött­lichen Wesens in der Welt. Und die Sittlichkeit wird durchdrungen sein von den religiösen Empfindungen. Indem man in der rechten Art das Kind an jenen Lebenspunkt annähert, der zwischen dem elften und zwölften Jahre, gegen das zwölfte Jahr hin liegt, wo der Mensch im allgemeinen Unterricht und in der allgemeinen Erziehung heraustritt in das Außermenschliche, so tritt in diesem Augenblick vor das Kind, wenn es richtig erzogen wird, dieses scharf hin: Ja, du trittst in das Außermenschliche ein, indem du die äußere Natur betrachtest, die dei­nen Sinnen gegeben ist mit den Gesetzen des Lebiosen, des Unorgani­schen. - Wir haben diesen Lebenspunkt charakterisiert, welche Gestalt er im richtig geleiteten Unterrichten und Erziehen annehmen muß. -Aber in diesem Lebenspunkte tritt dann auch vertieft, wenn das Kind in der richtigen Weise erzogen ist, das auf: es will Mensch sein bis in die Natur hinein. Es will Mensch sein bis in diejenige Natur hinein, die im Menschen selbst das Instinkt-, das Triebleben wird. Dann ent­steht dasjenige, was das dritte Element ist: duty. Und dann haben wir aus dem Wesen des Menschen selber heraus die Erziehung über die drei Elemente hin gelenkt, die wir natürlich immer schon früher so ver­anlagt haben müssen, daß wir den Menschen auf eine moralisch-reli­giöse Bahn gebracht haben.

Wenn in der kindlichen Entwickelung der Lebenspunkt heranrückt, der gegen das zwölfte Lebensjahr hin sich einfindet, dann tritt für dieses kindliche Leben das auf, wo in einer gewissen Beziehung das religiöse Leben unmittelbar Aktualität gewinnt. Ich meine damit, daß dann derjenige Lebenspunkt da ist, der gerade für das religiöse Leben als der wichtigste berücksichtigt werden muß. Man muß natürlich vorher

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alles schon darauf hinleiten, daß gerade in religiöser Beziehung dieser Lebenspunkt in der richtigen Weise vorübergehen kann. Aber jedenfalls dürfen wir diesem Lebenspunkte gegenüber nicht so den­ken, daß wir uns sagen: die heutige Zivilisation bietet dem Menschen eben Konflikte dar. Wir stehen heute in der Zivilisation so darinnen, daß wir auf der einen Seite das moralisch-ethische Leben haben; es wurzelt so in der menschlichen Seele, daß sich der Mensch sagt, er habe nicht seine volle Menschenwürde und seinen vollen Menschen-wert, wenn er nicht seine sittlichen Ideale und seine moralischen Ideale hat. Aber wir haben auf der anderen Seite die Naturgesetze, die voll­ständig neutral sind gegenüber der sittlichen Weltauffassung, die ohne Kausalzusammenhänge mit dieser Welt wirken, und die auch den An­spruch darauf erheben, daß man nichts Moralisches in sie hineinträgt.

Nun gibt es allerdings heute eine breite Richtung, die möchte das Kind so erziehen, daß es in möglichst bequemer Weise über diesen Konflikt hinwegkommt. Der Konflikt ist in unserer heutigen Zivilisa­tion ein tief tragisch eingreifender. Wenn dieser Konflikt nicht in ir­gendeiner Weise praktisch doch gelöst ist für das spätere erwachsene Menschenleben, so daß man in einer gewissen Weise einen Weg findet von den moralisch neutralen Naturgesetzen zu der Welt des Morali­schen hin, zu den moralischen Idealen, wenn man nicht eine Einheit bilden kann aus der moralischen Weltenordnung und aus der natura­listischen Weltenordnung, dann kommt man dadurch in Konflikte hin­emn, die schon das Leben zerreißen. Diese Konflikte sind bei fast allen denkenden Menschen der Gegenwart vorhanden, nur bleiben sie im Unterbewußten. Die Menschen gestehen sie sich nicht, sondern sie neh­men traditionelle Religionsbekenntnisse an und überbrücken sich inner­lich dasjenige, was zunächst ja unüberbrückbar ist, wenn man nicht eben in dieser Weise vom Naturalistischen zum Geistigen aufsteigt, wie durch Anthroposophie versucht wird. Also für das spätere erwachsene Alter ist der Konflikt tief tragisch. Wird er gar etwa in das kindliche Alter vor dem elften Lebensjahre hineingetragen, erweist er sich direkt als das Seelenleben zerstörend. Es darf nichts in das kindliche Leben hineinspielen, was etwa das Kind schon dahin führen würde, sich zu sagen: Ja, ich lerne Zoologie, da finde ich nichts von Gott; ich lerne

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Religion, da finde ich einen Gott, aus dem heraus ich mir die Zoologie nicht erklären kann. - In das kindliche Alter das hineinstellen, ist etwas Furchtbares, denn es bringt das Kind aus allem Lebensgeleise.

Aber eine solche Erziehung, wie ich sie in diesen Tagen geschildert habe, kommt ja gar nicht darauf, einen solchen Zwiespalt in das kind­liche Alter hineinzulegen. Eine solche Erziehung berücksichtigt den wichtigen Lebenspunkt zwischen dem elften und zwölften Jahre, und alles dasjenige, was da beginnt und weitergeht. Da ist der richtige Le­benspunkt, wo der Mensch anfangen darf, die Disharmonie zwischen dem bloß naturalistisch Aufgefaßten und dem ethisch, dem moralisch Aufgefaßten zu empfinden. Und wir sollen den Menschen eben nicht so bequem erziehen, daß er nicht wenigstens in seinem Gefühlsleben ne­ben Dankbarkeit, Liebe, duty, etwas mitempfindet von diesem Zwie­spalt auf der Welt. Erziehen wir ihn aber so, wie es hier geschildert ist, dann kommt er gerade in diesem Lebensabschnitt in der richtigen Weise, indem er die Disharmonie empfindet, dazu, sie nach und nach in Harmonie aufzulösen. Das gehört zum religiösen Leben dazu, das ver­tiefst erst das religiöse Empfinden, nicht einfach in traditioneller Weise dem Menschen irgend etwas zu überliefern, woran er zu glauben hat, sondern ihm ein wirkliches Lebensgut zu geben, das so in seiner Seele wirkt, daß er weiß: dieses Lebensgut überbrückt einen Konflikt, den er hat erleben können, weil er da ist.

Unsere heutige Zivilisation fordert, daß wir das gerade vom ethisch-religiösen Gesichtspunkte in das Leben hineintragen. Denn wir können uns beim ethisch-religiösen Unterricht nur an die gefühlsmäßigen Ent-wickelungsmomente halten. Wie wenig wir sonst in der Lage sind, diese Brücke zu schlagen, von der ich eben gesprochen habe, das kann Ihnen anschaulich zeigen ein Ende der achtziger Jahre erschienenes Buch, «Lux mundi», an dem immerhin eine Anzahl von Menschen selbst der hochkirchlichen Richtung mitgearbeitet haben, und in dem versucht wird, dasjenige, was kristallisiert ist in der Kirche, so darzustellen, daß es smch in das soziale Leben der Gegenwart einfügt. Und wirklich, selbst die Mitglieder der Hochkirche - High Church -, die an diesem Buche «Lux mundi» mitgearbeitet haben, welches Ende der achtziger Jahre in London erschienen ist, selbst diese bemühen sich, von ihrem

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Standpunkte aus in die moderne Zivilisation hinüber eine Brücke zu schlagen. Man sieht überall: es diskutieren die Menschen heute über dasjenige, was eigentlich der reale religiöse Inhalt des Lebens werden kann.

Sind wir aber imstande, gerade in das aufwachsende Kind irgend etwas Tragkräftiges zu bringen auf einem Gebiete, wo wir so viel dis­kutieren? Sind wir imstande, ohne weiteres die Menschen zu Christen zu machen, wenn wir unter den Theologen die Diskussionen breiter und breiter werden sehen über das eigentliche Wesen des Christus? Mussen wir nicht gerade heute einen Weg suchen, welcher an den Men­schen unmittelbar selber appelliert, damit sich der Mensch dann in einer freien Weise auch in das Christliche hineinstellen kann? Wir dürfen heute den ethisch-religiösen Unterricht nicht so erteilen, daß wir im allgemeinen Unterrichte schon irgendwelche Formeln oder ir­gendwelche Dogmen beibringen, sondern wir müssen dasjenige, was als Göttlich-Geistiges in der Menschenseele lebt, eben auch entwickeln lernen, dann werden wir in der freien und richtigen Weise das Kind seinem Religionsbekenntnisse entgegenführen. Dann wird es sich selbst nicht in Zwiespalte hineingestellt finden, wenn es sieht, daß der eine der Hochkirche, der andere dem Puritanismus und so weiter angehört. Und bis zu diesem Auffassen des real-religiösen Elementes müssen wir es bringen. Und ebenso müssen wir es dahin bringen, daß durch die drei Elemente des gefühlsmäßigen Seelenlebens, Dankbarkeit, Liebe und duty, es dahin komme, daß das Ethische aus der Seele herauswächst, nicht als etwas hineingepfropft wird mit moralischen Vorschriften.

Das ist zugleich die wichtigste soziale Aufgabe der Gegenwart, und alles übrige Sprechen und Wirken auf dem Gebiete der sozialen Frage hängt davon ab, daß wir in diesem Erziehungsgebiet eine richtige Grundlage schaffen können. Daher ist schon einmal ein großer Teil der heutigen sozialen Frage einfach eine Erziehungs- und Unterrichts-frage.

Es können ja nur Andeutungen sein, die ich geben konnte, wenig­stens über die Maximen, in die sich in bezug auf das ethisch-religiöse Leben dasjenige zusammenfassen läßt, was ich über den allgemeinen Unterricht und über die allgemeine Erziehung in diesen Tagen gesagt

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habe. Wir werden in die Lage kommen, alles dasjenige, was wir sonst in der geschilderten Weise an das Kind heranbringen, als Grundlage für das moralische und für dasereligiöse Leben zu haben, wenn wir auf der einen Seite wirklich auf reiner Menschenerkenntnis fußend unter­richten und erziehen, und auf der anderen Seite wissen, daß wir dem Menschen nicht das Dogma und nicht die Theorie und nicht den Be­fehl hineinzutragen haben in das ethisch-religiöse Leben.

So müssen die Wege gefunden werden zu einer wirklichen Erzie-hungs- und Unterrichtskunst, wie sie die gegenwärtige Zivilisation fordert. Vielleicht darf ich hoffen, daß die Ausführungen, die ich ge­ben durfte, davon durchdrungen waren, was erkennen läßt, daß es sich wahrhaftig hier nicht um irgendeine radikale Opposition handelt ge­gen all dasjenige, was das Erziehungs- und Unterrichtswesen bisher hervorgebracht hat. Wir stehen wahrhaftig im Erziehungs- und Unter­richtswesen ja nicht so da, daß wir in der allgemeinen Menschheitszivi­lisation nicht im allgemeinen wüßten, welches die richtigen Erziehungs­und Unterrichtszieie sind. In abstrakten Worten sind die so richtig als möglich von den großen Pädagogen des 19.Jahrhunderts aller Erdge-biete, aller Länder und Staaten ausgesprochen worden. Nicht gegen dasjenige, was da gewollt wird, will etwa die anthroposophisch orien­tierte Pädagogik Opposition machen. Aber sie glaubt zu wissen, daß dasjenige, was da gewollt wird, erst der rechten Mittel bedarf, und daß diese Mittel nur aus einem wirklichen, vertieften Mensch- und Welteriebnis kommen können. Sie möchte im Grunde genommen hel­fen, das in der richtigen Weise zu erreichen, was alle Menschen heute unbestimmt, abstrakt wollen. Und wenn man das Gefühl hervorrufen kann beim Anhören und beim Betrachten desjenigen, was durch an­throposophische Pädagogik und Didaktik durch die Waldorfschuie gewollt wird, wenn man das Gefühl bekommen kann: da wird nach Mitteln gesucht, um das zu erringen, was wir ja alle wollen, dann wird man der Sache ungefähr das richtige Gefühl entgegengebracht haben.

Daß ich aus diesem Geiste heraus vor Ihnen sprechen durfte, meine Damen und Herren, das ist mir von einem besonderen Wert. Denn mir ist es noch wichtiger, daß man versteht, daß ich aus diesem Geiste her­aus sprechen möchte, als daß man die Einzelheiten anhört, welche ich

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vorzubringen habe. Die Einzelheiten können unter Umständen so sein, daß sie nach der einen oder der anderen Richtung modifiziert werden müßten. Dasjenige, was die Hauptsache ist, sind nicht diese Einzelhei­ten. Dasjenige, was die Hauptsache ist, das ist der Geist, aus dem her­aus gesprochen worden ist. Und wenn es mir gelungen sein sollte, etwas die Empfindung hervorzurufen, welches dieser nun nicht im passiven, sondern im aktiven Sinne tolerante und humane Geist ist, aus dem gerade aus anthroposophisch orientierter Pädagogik heraus gesprochen werden soll, dann ist vielleicht nicht viel im ganzen, aber doch einiges von dem erreicht, was ich durch diese Vorträge habe vor Ihnen darle­gen wollen.

Und indem ich Ihnen diese meine Überzeugung, daß schon ein­mal zu der gegenwärtigen Zivilisation aus diesem Geiste heraus gespro­chen werden muß, am Schlusse noch besonders ausspreche, sage ich Ihnen Dank für das Interesse, das Sie diesen Vorträgen entgegenge­bracht haben, sage Ihnen Dank, daß Sie die Zeit hier mit dem Anhören dieser Vorträge haben verbringen wollen, sogar Ihre Festeszeit, und ich hoffe, daß Sie hier weggehen mit dem Gefühl, daß vielleicht doch wenigstens einiges war, was es rechtfertigt, daß Sie diese Reise ge­macht haben.

Wenn das der Fall ist, dann darf ich Ihnen jetzt am Schluß der Vorträge auch in der herzlichsten Weise den Abschiedsgruß sagen in der Hoffnung auf Wiedersehen, wie ich Ihnen den Anfangsgruß beim Beginn der Vorträge gesagt habe.

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FRAGENBEANTWORTUNGEN

Aus der Diskussion vom 1. Januar 1922

Dr. Steiner: Ich darf vielleicht, da eine Anzahl von Fragen eingelaufen ist, zunächst auf diese Fragen eingehen. Wenn weiteres vorliegt, so können wir uns ja noch in der nächsten Zeit unterhalten und zu einer weiteren solchen Diskussion noch zusammenkommen.

Zur ersten Frage:

Man kann gewiß glauben, daß die Ausdehnung eines einzelnen Unter­richtsgegenstandes über eine längere Zeit gewisse Schattenseiten hat, und man kann ja auch nicht leugnen, daß es schwierig ist, während einer längeren Zeit die Aufmerksamkeit des Kindes auf einen Gegen­stand zu konzentrieren. Es scheint ja auch manches, das nun einmal anerkannt ist in den modernen theoretischen pädagogischen Ansichten, gegen eine solche Ausbreitung des Unterrichtes in einem Fach über einen längeren Zeitraum zu sprechen. Dennoch mußte man sich ent­schließen, eine solche Methode in der Waldorfschule einzuführen. Es handelt sich darum, daß gerade die Resultate neuerer, mehr experi­mental-psychologischer Forschung, die ja solche Ansichten hervorruft, darauf beruhen, auf das eigentlich Menschliche, auf das tiefere Mensch­liche nicht einzugehen.

Warum experimentieren wir denn eigentlich psychologisch? Ich will gar nichts einwenden gegen die Experimentalpsychologie, inso­fern sie auf ihrem Felde berechtigt ist, und innerhalb gewisser Grenzen will ich diese Berechtigung gerne anerkennen, aber ich muß die Frage stellen: Warum experimentieren wir denn überhaupt in der modernen Zeit über das Seelische?

Wir experimentieren aus dem Grunde über das Seelische, weil wir einmal im Laufe der Menschheitsentwickelung dazu gekommen sind, keine Brücke mehr schlagen zu können, keine unmittelbar elementare

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Brücke mehr schlagen zu können von Seele zu Seele hin. Wir haben nicht mehr die ursprüngliche Einsicht, was im Augenblicke das Kind braucht, wie im Augenblicke das Kind ermüdet und dergleichen, und suchen uns die Kenntnis, die wir nicht mehr in voller Geistesgegen­wart, nicht mehr von Mensch zu Mensch haben, auf äußerliche Weise zu erwerben. Wir fragen: Wie ermüdet ein Kind, wenn es sich mit dem oder jenem eine Zeitlang beschäftigt hat? -, machen statistische Auf­nahmen und dergleichen. Wie gesagt, dieses ganze Vorgehen, diese Methode haben wir gewissermaßen erfunden, um das auf eine indirekte Weise über den Menschen kennenzulernen, was wir auf eine direkte Weise nicht mehr erkennen.

Nun ist ja für den, der auf dieses direkte Verhältnis von Lehrer-seele zu Kinderseele hinsehen muß, etwas anderes von einer viel grö­ßeren Wichtigkeit als etwa die Frage, ob, wenn man längere Zeit ein Unterrichtsfach für die Kinder behandelt, ob da nicht die Aufmerk­samkeit zu sehr in Anspruch genommen wird. Wenn ich also die Frage richtig verstanden habe, so könnte der Fragesteller meinen, es würde dadurch, daß man variiert mit dem Unterricht, daß man nach einer verhältnismäßig kurzen Zeit ein Hinlenken der Aufmerksamkeit auf anderes eintreten läßt, es würde dadurch etwas gewonnen. Nun ja, gewiß, es wird auch etwas gewonnen, das ist nicht zu leugnen. Aber die Dinge des Lebens sollen nicht mathematisch berechnet werden, sondern man muß die Möglichkeit haben, durch eine gewisse Intuition zu entscheiden, ob das dadurch Gewonnene das Wertvollere ist in der Gesamtentwickelung des Menschen oder das dadurch Verlorene. Wenn man durch zwei Stunden einen Gegenstand behandelt, ist das ja aller­dings nicht so, als wenn man eine Stunde den einen und in der zweiten Stunde einen anderen Gegenstand behandelt, oder sogar durch kürzere Zeiträume die Sache betreibt. Aber trotzdem das Kind in einer gewis­sen Weise ermüdet und man Rücksicht nehmen muß auf das Ermüden, ist es für die Gesamtenwickelung besser, in dieser konzentrierten Weise vorzugehen, als das ökonomische Bekanntwerden mit irgendeinem Stoffe künstlich abzubrechen und dann die Seele in der nächstfolgen­den Zeit mit etwas anderem zu füllen.

Dasjenige, worauf in der Waldorfschule der größte Wert gelegt

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werden muß, ist ja, in ökonomischer Weise, in seelisch-ökonomischer Weise zu unterrichten und zu erziehen. Und wenn man die Sache so einrichtet, daß man tatsächlich durch die ganze Zeit hindurch große Linien gehen läßt, sagen wir, indem man durch zwei Stunden etwas durchnimmt, große Linien gehen läßt, auf welche die Aufmerksamkeit, ohne zu ermüden, oder wenigstens ohne heftig zu ermüden, gerichtet werden kann, und man dann der Möglichkeit zu ermüden dadurch ent­gegenwirkt, daß man gewissermaßen dem Hauptthema dasjenige pa­rallel gehen läßt, was dieses Hauptthema variiert - all das wird ja für den richtigen Erzieher sich aus dem Gefühl ergeben -, dann erreicht man damit mehr, als wenn man den Unterricht nach einem anderen Gesichtspunkte hin einrichtet und die Vorteile dieses anderen Gesichts-punktes einheimst.

Im Theoretischen läßt sich natürlich über diese Dinge viel für und wider sagen, aber es kann sich durchaus dabei nicht um eine Vorliebe für diese oder jene Theorie handeln, sondern es kann sich nur um die Frage handeln: Was ist für die Gesamtentwickelung des Menschen das bessere?

Und noch etwas kommt dabei in Betracht. Richtig ist es, daß das Kind in einer gewissen Weise ermüdet, wenn es längere Zeit konzen­triert wird auf einen Gegenstand. Aber es ist im Grunde genommen heute so wenig Einsicht vorhanden in die gesunden und kranken Nei­gungen der menschlichen Wesenheit, daß man das überhaupt für einen Fehler ansieht, wenn das Kind nach einer gewissen Richtung hin er­müdet. Ermüden ist durchaus ebenso etwas Gesundes wie Frischsein. Das Leben geht im Rhythmus, und es handelt sich gar nicht darum, daß man das Kind eine halbe Stunde in Anspruch nimmt, dann - wo­durch die innerliche Ermüdung doch nicht aufgehoben wird - es viel-leicht fünf Minuten sich erholen läßt und dann etwas anderes hinein­pfropft. Dadurch bildet man sich bloß eine Illusion darüber, daß man die Ermüdung berücksichtigt hat. Man hat die Ermüdung in Wirklich­keit gar nicht berücksichtigt, sondern man hat nur in die doch ermü­dete Seele etwas anderes hineingegossen, statt dasjenige abklingen zu lassen, was organisch mit dieser Ermüdung dadurch verbunden ist, daß eben die Ermüdung davon stammt.

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Kurz, man muß schon in viel tiefere Untergründe der Seele herein­gehen, als man das heute häufig gewohnt ist, um einzusehen, daß doch die Methode einer längeren Konzentration auf dieselbe Sache für die Gesamtentwickelung des Menschen von einem großen Werte ist.

Man kann durchaus, wie ich sagte, aus gewissen Theorien heraus die Meinung bekommen, daß die Variation des Objekts einen Vorteil bedeutet, aber von einem gewissen Gesichtspunkte aus muß schon ein­mal vom Leben das absolute Ideal ausgeschlossen werden. Ein abso­lutes Jdeal läßt sich im Leben nirgends verwirklichen, und es handelt sich überall nur darum: welches ist das relativ beste? Und da wird man eben auch das noch sehen, daß man bei den kurzen, stundenplanmäßi-gen Behandlungen einzelner Gegenstände absolut nicht in der Lage ist, den Kindern etwas zu geben, was sich tief genug mit ihrer ganzen gei­stigen, seelischen und leiblichen Organisation verbindet.

Ich darf vielleicht noch zu diesem hinzusagen: wenn man zum Bei­spiel dazu verurteilt wäre, eine Schule im Sinne derjenigen Maximen, die ich in den Vorträgen auseinanderzusetzen versuche, mit einer gan­zen Schar von langweiligen Lehrern zu besetzen, dann müßte man ganz zweifellos die Handhabung des Unterrichts nach kleineren Zeiträumen anordnen. Es hängt durchaus die Sache davon ab, daß man eben sagen muß: mit langweiligen Lehrern ist es besser, in kurzen Zeiträumen un­terrichten zu lassen; aber mit Lehrern, welche anregend auf die Schü­ler wirken, ist durchaus der verbreiterte Unterricht der vorteilhafte.

Sie sehen, dasjenige, worauf es mir insbesondere ankommt, ist ja nicht, irgendwie nach irgendeiner Seite fanatisch zu werden, sondern überall die Umstände zu berücksichtigen. Allerdings, es erwächst die Aufgabe, für einen guten Unterricht möglichst nicht gerade langweilige Lehrer zu wählen.

Zur zweiten Frage:

Es mag sein, daß man viele Gründe vorbringen kann dafür, daß Eu­rythmie eine Umsetzung ist von einer Art des Ausdrucks in eine andere, und nicht eine neue Art des Ausdrucks; aber beim Künstlerischen und

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bei alledem, wo das Künstlerische im Leben in Betracht kommt, han­delt es sich darum, doch das Wie ins Auge zu fassen, nicht das Was. Für mein Gefühl zum Beispiel gibt es keinen eindeutigen Sinn, wenn man sagt: Plastik, Musik, Sprache, Rhythmus und so weiter seien Mittel des Ausdrucks, und es ist die Idee, welche alles ausdrückt. Ich meine, es kann sich niemals darum handeln, in dieser Weise bis zum Abstrak­ten hinzugehen, wenn man es mit dem Leben zu tun hat. Man kann ja allerdings, wenn man abstrahieren will, in abstrakter Art auf die Ein­heit gehen will, verschiedene Arten, diese Einheit auszudrücken, fin­den; aber im Leben sind die verschiedenen Arten, eine Sache auszu­drücken, eben eigentlich immer etwas Neues, etwas anderes. Es ist so, daß zum Beispiel im Sinne der Goetheschen Metamorphosenlehre das farbige Blumenblatt in abstrakter Einheit dasselbe ist wie das grüne Pflanzenblatt. Das eine ist die Metamorphose des anderen. Aber dennoch, das eine ist von anderen Gesichtspunkten wiederum etwas ganz anderes als das andere. Und ob nun Eurythmie eine neue Art ist des Ausdruckes oder die Umsetzung von einer Art des Ausdruckes in eine andere, darauf kommt es im Grunde genommen gar nicht an. Wor­auf es ankommt, ist dieses: Im Verlaufe unserer Menschheitsentwicke­lung gelangen wir mit der Lautsprache und in einer ähnlichen Weise, wenn das auch weniger bemerkbar ist, auch im Gesange dahin, daß Laut, Sprache und Gesang immer mehr und mehr sich konzentrieren, ein Ausdrucksmittel zu sein für dasjenige, was durch den Kopf des Menschen wirkt.

Gewiß ist das, ich möchte sagen, auch wiederum radikal ausge­sprochen, aber es trifft dennoch von einem gewissen Gesichtspunkte aus das Richtige. Der ganze Mensch wird heute nicht mehr erfaßt durch das, was durch die Sprache ausgedrückt werden kann. Die Spra­che orientiert sich nach dem Gedanken hin, hat in der neuesten Zeit für alle Völker etwas Gedankliches angenommen. Dadurch kommt durch die gewöhnliche Lautsprache dasjenige zum Ausdruck, was der Mensch aus seinem Egoismus heraus offenbart. Die Eurythmie geht wiederum zurück, namentlich zu dem willensartigen Element und da­durch zu dem Gesamtmenschen, zu dem Vollmenschen. Durch die Eurythmie kommt dasjenige heraus was der Mensch offenbart. indem

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er sich hineinstellt in den ganzen Makrokosmos. Und während zum Beispiel in gewissen Urzeiten immer das Gebärdenhafte, das Mimische sich verband, namentlich wenn der Mensch sich künstlerisch angeregt fühlte, mit dem Worte, so daß in gewissen Ursprachen für «Wort» und «Gebärde» überhaupt nur ein einziges Wort vorhanden ist, daß man Wort und Gebärde gar nicht trennen konnte, fällt heute Wort und Gebärde weit auseinander. Und daher ist heute eben ein berechtigtes Bedürfnis vorhanden, den menschlichen Ausdruck wiederum zurück­zuführen dazu, daß er eben ein Ausdruck für den Vollmenschen ist, etwas, wo hinein sich wiederum das Willensmäßige und dadurch das Makrokosmische mischt.

Das ist dasjenige, was ich glaube, daß berücksichtigt werden muß, wie mir überhaupt scheint, daß man heute zu sehr in allen Dingen theoretisiert; während es gerade heute dringend notwendig ist, auf die praktischen Seiten des Lebens zu sehen.

Derjenige, der von diesem Gesichtspunkte aus das menschliche Da­sein unbefangen betrachtet, weiß, daß es für alles ein Ja und ein Nein gibt. Alles kann man beweisen und widerlegen. Nur, man legt zuletzt auf das Beweisen und Widerlegen, auf das Definieren und Unterschei­den nicht den Hauptwert, sondern auf das Impulsierende, auf dasje­nige, was wirklich Leben gibt. Sie mögen in bezug auf das Aufstellen solcher Behauptungen denken, wie Sie wollen, meine sehr verehrten Anwesenden, aber anthroposophisches Forschen gibt eben einen Ein­blick in die Entwickelung der Menschheit, und die Menschheit ten­diert dahin, das verständesmäßige intellektualistische Element nun doch eben zu überwinden und sich mehr dem Seelischen, dem Leben, das nicht in Definitionen, sondern in Gestaltungen abläuft, zu nähern.

Daher ist es ja immer so, daß man sagen kann: Es ist schließlich gleichgültig, ob man Eurythmie als die Umsetzung eines Modus in den anderen ansieht, oder ob man sie als einen neuen Modus ansieht. -Darauf scheint es mir wirklich ebensowenig anzukommen, wie bei dem folgenden: Als ich an die Wiener Universität kam, da hatte man bei den Professoren, die Titel bekommen mußten, einen sehr hohen Titel, sie hießen «Hofrat». Kam man dann nach Deutschland hinüber, so hießen sie «Geheimrat». Man legte bei diesen Unterscheidungen

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einen gewissen Wert darauf. Aber mir kam es darauf an, auf den Men­schen zu sehen, und mir war es ganz gleichgültig, was er für eine äußere Vignette trug. Und fast so kommt mir auch - verzeihen Sie, ich will damit gar nicht irgend etwas Böses sagen -, so kommt es mir fast vor, wenn man philosophisch definierend vorgeht und unterscheidet von der Umsetzung von einem Modus in den anderen oder, ich weiß gar nicht, wie man sagen soll, den Begriff eines neuen Modus.

Zur dritten Frage:

Es ist mir nicht ganz durchsichtig, was die Frage bedeuten soll, aber ich meine, man kann sie wahrscheinlich von einer gewissen Nuance eines evangelischen Bewußtseins aus fassen. Es ist mit der Sache so, daß die Disziplin, wie ich schon gesagt habe, am besten doch dadurch gewahrt wird, daß man sie zwischen dem übrigen Handhaben der Schule entstehen läßt. Ich habe es ja erwähnt, wie in der Waldorfschule im Laufe von jetzt mehr als zwei Jahren die Disziplin sich in einer ganz außerordentlichen Weise gebessert hat. Ich habe dafür auch Symptome angeführt. - Es könnte einem scheinen, daß man aus einer gewissen eigenen Neigung für diesen «sense of sin» ein Bestreben hätte, auch beim Kinde sich etwas davon zu versprechen, wenn man dem Kinde so etwas beibringt. Aber gerade dieses - wir wollen das jetzt wirklich ohne religiöses Vorurteil ins Auge fassen -, gerade dieses Beibringen eines solchen Verständnisses für die Sünde würde etwas in die Seele des Kindes gießen, was das ganze Leben hindurch bliebe als eine ge­wisse Unsicherheit im Leben. Ich möchte sagen, wenn ich mich psycho­analytisch ausdrücken will, eine verborgene Seelenprovinz würde man schaffen, die im wirklichen Leben dann eine Art Vakuum schaffen würde, eine Art Seelenprovinz, die gewissermaßen immer eine Leere in sich hat und eine Schwäche bedeutete gegenüber einem mehr tat­kräftigen Zugreifen im Leben.

Wenn ich die Frage richtig verstanden habe, so kann ich eben nur dieses darauf sagen.

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Zur vierten Frage:

Ich meine, daß diese Frage mit demjenigen sich beantwortet, was ich im ersten Teile meines Vortrages von heute morgen gesagt habe. Man kann nicht im allgemeinen sagen, daß Knaben in diesem Alter eine andere Krisis durchmachen als diejenige, von der ich heute morgen gesprochen habe. Es würde viel zu sehr das Leben der Kinder in die­sem Alter graduiert sein, wenn man von einem Turbulentwerden in diesem Alter bei allen Knaben sprechen würde. Man gibt sich viel­leicht auch in dieser Beziehung mancher Täuschung hin. Wenn näm­lich jene Umwandelung, von der ich heute morgen gesprochen habe, nicht in der richtigen Weise geleitet wird von dem Lehrer oder Erzie­her, dann werden in der Tat die Kinder, und zwar nicht bloß die Kna­ben, sondern auch die Mädchen, sehr turbulent; sie werden wirklich in einer Weise unruhig, innerlich unwillig, daß es schwer ist, mit ihnen zurechtzukommen.

Dasjenige, was sich in diesem Lebensalter vollzieht, ist ja sehr ver­schieden je nach dem Temperament der Kinder, muß aber eben be­achtet werden. Wenn es beachtet wird, dann kann man eine solche Behauptung, wie sie in dem ersten Satze ist, nicht in dieser Allgemein­heit aufstellen, und man kann auch eben viel eher sagen: werden Kin­der in ihrer Gesamtentwickelung nicht geführt, so daß sie innerlich unwillig, haltlos und dergleichen werden, wenn eben die besondere Wendung zwischen dem neunten und zehnten Jahr von dem Lehrer nicht in der richtigen Weise beachtet wird, dann ist das der Fall. Aber diese Wendung muß eben unter allen Umständen von dem entspre­chenden Lehrer und Erzieher beachtet werden.

Zur fünften Frage:

Das ist durchaus richtig, und ich glaube, daß nichts weiter notwendig ist, als diese Frage eben einfach zu bejahen. Man wird ja natürlich einen gewissen Takt brauchen im Erziehen und Unterrichten in bezug auf dasjenige, was man in der Zeit zwischen dem zehnten und zwölften

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Jahre dem Kinde in bezug auf den Menschen beibringt. Achtet man darauf, was möglich ist, dem Verständnis des Kindes über die Eigen­tümlichkeit des Menschen in solchen Beziehungen beizubringen, dann kann es durchaus bejaht werden, daß es notwendig ist, auf das eigene Leben des Menschen in diesen verschiedenen Beziehungen einzugehen.

Zur sechsten Frage:

Darauf möchte ich sagen, daß es so gehalten werden muß in bezug auf diese Frage, daß man mit den Möglichkeiten rechnet, so daß man ja also ohnedies ein gewisses Interesse immer mehr und mehr in der Weltentwickelung haben wird, solche Methoden der einfach eindring­licheren - denn die übersinnliche Menschenbetrachtung ist zugleich eine eindringlichere - Menschenbetrachtung zu entwickeln. Man wird natürlich nicht überall die Möglichkeit haben; aber wo es sein kann, sollte es eigentlich geschehen. Das ist ja nicht nur für den Lehrer und Erzieher ein Gutes, wenn er mehr vom Menschen beobachten kann, als der bloß äußere Anblick darbietet, es ist zum Beispiel von ganz be­sonderem Vorteile auch für den Arzt, so daß man, ich glaube, ohne sich irgendwelchen Mißverständnissen auszusetzen, sagen muß: Man sollte heute, wo eben die menschliche Natur im Laufe der Menschheits-entwickelung so weit fortgeschritten ist, daß eigentlich nur Vorurteile dagegen sprechen, man sollte heute nach Möglichkeiten solche Metho­den ausbilden. Damit aber ist ja auch schon gesagt, daß es wünschens­wert natürlich ist. Es ist tatsächlich so, daß man viel mehr erreichen könnte nach dieser Richtung hin, wenn nicht eben sich alte Vorurteile wie Steine in den Weg legen würden, und die Menschen gerade, ich möchte sagen, unter dem Zwange der intellektualistischen Vorurteile abhalten würden, in der richtigen Weise solche Wege einzuschlagen, wie sie ja, in ihren Anfangsstadien allerdings nur, in meinem Buch «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» geschildert wer-den.

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Zur siebenten Frage:

Mathematik ist in der Waldorfschule durchaus in dasjenige eingereiht, was ich den Hauptunterricht genannt habe und spielt dadrinnen ganz nach der Entwickelung des Kindes eine Rolle. Sie wird durchaus nicht verlegt auf irgendwelche Stunden, die außerhalb des Hauptunterrich­tes liegen würden. Die Frage beruht etwas auf einem Mißverständnis.

Aus der Diskussion vom 3. Januar 1922

Dr. Steiner: Meine Damen und Herren, es ist zunächst die praktische Frage, von der gewünscht wird, daß sie wegen verschiedener Abrei­sen zuerst behandelt werde. Wenn es sich um die praktische Ausge­staltung der in diesem Kursus angeregten Erziehungsfragen handelt, so darf wohl an die Waldorfschule angeknüpft werden. Ich meiner­seits möchte aber doch noch an etwas Breiteres anknüpfen. Ich glaube, daß zum praktischen Auswirken desjenigen, was hier gemeint ist, eine wirkliche, aus dem Anblicke der heutigen Zivilisation hervorgehende Kraft und ein gewisser Enthusiasmus gehört.

Mir scheint, daß derjenige, der nicht erst einsieht, daß es notwendig ist, die Erziehungsimpulse nach den Seiten hinüberzuleiten, von denen hier gesprochen worden ist, daß dem es kaum gelingen kann, nach die­ser Richtung etwas Durchgreifendes zu unternehmen.

Wenn ich sagen soll, was in dieser Beziehung meine tiefste Über­zeugung ist, so ist es dies, daß wirklich für denjenigen, der die Ent­wickelung der neueren Menschheit innerhalb der zivilisierten Gegen­den unbefangen betrachtet, ganz klar sein muß, daß wir in einer Nie­dergangsepoche unserer Kultur darinnenleben, und daß alle Dinge, die man gegen diesen Niedergang vorbringen kann, eigentlich nur auf Scheingründen aufgebaut sind.

Es ist ja wirklich recht unbequem und sieht pessimistisch aus, wäh­rend es eigentlich optimistisch gemeint ist, wenn man so spricht, wie ich es eben jetzt getan habe; aber es sind so viele auch äußerlich sich zeigende

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Symptome da von niedergehender Zivilisation, daß im Grunde genommen dieser Niedergang schon gesehen werden kann. Und dann geht eigentlich erst im Herzen und in der Seele die Erziehungsfrage im richtigen Sinne auf. Und wenn ich, ich möchte sagen, an dieses Geständnis anknüpfe, dann darf ich auch von der Begründung der Waldorfschule als dem ersten Beispiel für eine praktische Auswirkung der hier gemeinten Erziehungsgrundsätze sprechen.

Warum haben wir denn eine Waldorfschule? Sehen Sie, die Wal­dorfschule verdankt, das darf schon gesagt werden, ihr Dasein der Geltendmachung dieser Erziehungsprinzipien, dieser rein menschlichen Erziehungsprinzipien. Wie sind denn die Dinge gekommen? Sie sind so gekommen, daß mit dem Jahre 1919 in ganz Mitteleuropa ein ab­soluter Zusammenbruch da war, ein Zusammenbruch des ökonomi­schen, des staatlichen, des geistigen Lebens. Man könnte vielleicht auch so sagen: ein Zusammenbruch des ökonomischen und des staatlichen Lebens und ein absoluter Bankerott des geistigen Lebens. Diese Dinge waren 1919 so da, daß eben das allgemeine Bewußtsein davon vor­handen war, durch ein halbes Jahr, möchte ich sagen, das völlige Be­wußtsein vorhanden war, daß dies so ist. Etwa bis zur Mitte des Jahres 1919 war das absolute Bewußtsein vorhanden, daß dies so ist.

Nun wird ja viel in der Welt gefaselt davon, daß sich die Mensch­heit schon wieder erholen wird, auch in Mitteleuropa, daß sie nach einiger Zeit aus den alten Verhältnissen heraus schon wiederum sich hinaufarbeiten wird und so weiter. Solches Gefasel geht hervor aus bequemlicher Denkweise. In Wahrheit sind alle die Dinge, die man nach dieser Richtung sagt, bloße Phrasen. In Wahrheit nimmt der Niedergang stetig zu. Nur ist für Mitteleuropa die Sache einfach so:

1919 war die schiefe Ebene da, auf der es hinuntergeht. Und nun ist es so für Mitteleuropa, wie es für einen Menschen ist, der in besseren Verhältnissen war und sich da Kleider gekauft hat. Er hat diese Klei­der, er trägt sie, bis sie vollständig kaputt sind. Die Gründe, daß er sich keine neuen kaufen kann, sind längst da. Aber weil er noch die alten tragen kann, für die er sich keine neuen mehr wird kaufen kön­nen, täuscht er sich so lange darüber, daß er sich keine neuen wird kaufen können, als von den alten noch ein Fetzen vorhanden ist. Die

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ganze Welt täuscht sich darüber, daß eben die Gründe, sich aus den alten Verhältnissen keine Kulturkleider mehr kaufen zu können, durch­aus vorhanden sind.

Nun, sehen Sie, da war die Stimmung vorhanden im ersten Halb­jahr 1919, in ernster Weise zum Menschen zu sprechen, und da wurde zuerst nicht die Waldorfschule begründet, sondern von mir wurden meine volkspädagogischen Vorträge gehalten, die zuerst dasjenige ent­hielten, wenn auch dazumal in skizzenhafterer Form, was ich jetzt hier auch sagte. Und es leuchtete das einigen Menschen ein. Daraus ging die Waldorfschule hervor.

Ich betone das ausdrücklich aus dem Grunde, weil die Grundvor­aussetzung für das praktische Wirken auf diesem Gebiete die Einsicht ist, die Einsicht, die aus wirklicher Erkenntnis der Erziehungsbedin­gungen hervorgeht. Und bei der Begründung der Waldorfschule sagte ich: Es ist ja schön, daß einmal ein solches Exempel da ist, aber damit ist die Frage nicht gelöst, sondern es handelt sich darum, daß die Frage erst gelöst sein würde, oder daß es wenigstens der Faden ihrer Lösung sein würde, wenn in einem Vierteljahre mindestens ein Dutzend Wal­dorfschulen begründet würden.

Das ist ja nicht geschehen. Deshalb darf auch das, was bisher auf diesem Gebiete geschehen ist, nicht als ein Erfolg angesehen werden, sondern wir haben nur eine einzige, wie man es im Deutschen nennt, Musterschule. Ein Modell haben wir. Und dieses Modell steht ja heute auch noch durchaus nicht so da, wie man es gern dastehen haben möchte. Ich will ein Beispiel erwähnen.

Wir brauchten neben dem Eurythmiesaal, den wir jetzt endlich haben, für allgemeine gymnastische Übungen einen großen Saal. Den haben wir noch nicht. Also derjenige, der die Waldorfschule besucht und sich dort ansieht, was geschieht, der darf das noch nicht für das Ideal der Waldorfschule halten. Die Waldorfschule hat vor allen Din­gen eben kein Geld und steht in finanzieller Beziehung auf außeror­dentlich schwachen Füßen!

Nun stelle ich mir vor, daß zwei Dinge notwendig sind. Das erste ist die Verbreitung des Gedankens der rein menschlichen, auf wirk­liche Menschenerkenntnis gebauten Erziehung. Dieser Gedanke muß

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einmal gründlich gefaßt werden. Es müßte alles getan werden, um diesen Gedanken gründlich zu fassen.

Sehen Sie, es nützt nichts, wenn man sich auf einem so ernsten Ge­biete gewissermaßen Sand in die Augen streut, und deshalb gestatten Sie mir, daß ich ganz frei und offen nach dieser Richtung spreche. Mir wird oftmals erwidert, wenn über diese Dinge geredet wird, und auch wenn über die ökonomischen Bestrebungen geredet wird: ja, in England muß man das oder jenes machen, damit man die Leute nicht vor den Kopf stößt.

Ja, wenn wir bei diesem Urteil eben stehenbleiben, dann kommen wir nicht weiter. Wir kommen absolut nicht weiter, wenn wir uns nicht dazu entschließen, über dasjenige hinwegzukommen, daß wir zum Beispiel sagen: ja, in England muß alles ins Praktische übersetzt werden. Das haben wir ja durch fünf bis sechs Jahrhunderte überhaupt in der zivilisierten Welt getan, alles nur angenommen, wenn man es irgendwie gleich vor Augen führen konnte. Daran gehen wir ja gerade zugrunde. Und wenn wir das immer geltend machen, dann kommen wir nicht aus dem Chaos heraus.

Also es handelt sich nicht bloß um irgendwelche kleinlichen Dinge, sondern es handelt sich tatsächlich darum, daß man den Mut faßt, einen neuen Impuls zu geben. Man glaubt gewöhnlich, daß ich nicht verstehe, wenn man mir sagt: Ja, in England muß das alles anders gemacht werden. - Ich verstehe das schon ganz gut, aber es trifft das gar nicht den Kern der Frage! Und im Grunde genommen, wenn wir zum Beispiel nicht, ich möchte sagen, das Unglück, für die praktische Begründung der Waldorfschule war es ein Glück, wenn wir nicht das Unglück gehabt hätten, 1919 in einer furchtbaren Lage in Mitteleuropa zu sein und dadurch auf seriöse Gemüter zu treffen, so würden wir in Mitteleuropa aus noch ganz anderen Gründen keine Waldorfschule haben können. Denn in Mitteleuropa ist erst recht ein ganz neuer Im­puls notwendig, aus dem einfachen Grunde, weil Mitteleuropa ja, ins­besondere Deutschland, nicht den geringsten Sinn für Organisation oder soziales Strukturleben eigentlich hat. Wenn außerhalb Mittel­europas immerfort von deutscher Organisation geredet wird, so ist das ja nichts weiter als eine Unrichtigkeit. Es gibt gar kein Talent zur

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Organisation. Vor allen Dingen gibt es nicht einen gegliederten Volks-organismus, sondern es gibt ein in einzelnen Individuen lebendes Kul­turleben, das aber gar nicht im Allgemeinen lebt. Die deutschen Uni­versitäten zum Beispiel sind nicht im geringsten Ausdruck des wirk­lichen Deutschtums. Die deutschen Universitäten sind ganz abstrakte Gebilde, sind nicht im geringsten irgendwie ein Ausdruck für das Deutschtum. Das Deutschtum lebt überhaupt als Deutschtum nur in einzelnen Individuen. Das ist natürlich nur eine Andeutung, aber es ist zu gleicher Zeit eine Andeutung dafür, daß wenn man in Mitteleuropa heute noch an irgendwelche allgemeine Stimmung und dergleichen ap­pelliert, so stößt man auf nichts, stößt man überall nur darauf, daß solchen Dingen wie denjenigen, die hier geltend gemacht worden sind, Unverstand entgegengebracht wird. Also die Waldorfschule verdankt ihr Dasein einem unglücklichen Glücksfall.

Nun handelt es sich darum, außer diesem, daß zunächst die Ein­sicht, die wirkliche Einsicht da sein muß für eine notwendige Weiter­führung in dem Sinne, wie es hier gemeint ist, daß außerdem das ein­treten sollte, daß da, wo ein solcher unglücklicher Glücksfall nicht da ist, wo man wirklich aus der Einsicht heraus, aus der unmittelbarsten menschlichen Initiative so etwas begründen könnte wie die Waldorf­schule, daß es da entstünde.

Also wenn zum Beispiel in England so etwas entstehen würde wie die Waldorfschule - sie müßte natürlich jetzt im Individuellen anders ge­macht werden, da kommt man dann auf die besonderen Verhältnisse des Landes und des Volksgebietes -, aber wenn sie entstehen würde, dann würde das wahrscheinlich in der Tat ein mächtiger Ruck vor­warts sein.

Nicht wahr, ich habe, als ich gesehen habe, daß es mit der Waldorf­schul-Bewegung nicht geht, weil die Waldorfschule allein geblieben ist, dann den Gedanken an den «Weltschulverein» anzuregen versucht, weil ja doch immerhin das eine zu verzeichnen ist: Sehen Sie, wir ha­ben, wenigstens in Mitteleuropa, in den letzten Jahren eine sehr starke Ausbreitung der anthroposophischen Bewegung gehabt. Die anthro­posophische Bewegung ist heute ein Faktor in der mitteleuropäischen Welt. Als geistige Bewegung ist sie ein Faktor. Wir haben keine Organisation,

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um diese Bewegung irgendwie zu lenken und zu leiten. Die Anthroposophische Gesellschaft - das muß gesagt werden, denn es ist gut, wenn es erkannt wird -, die Anthroposophische Gesellschaft ist nicht in der Lage, die anthroposophische Bewegung zu tragen. Denn die Anthroposophische Gesellschaft ist so stark durchsetzt von sek­tiererischen Neigungen, daß sie die anthroposophische Bewegung, wme sie heute ist, wie sie sich herangebildet hat, eben nicht tragen kann. Aber ich wollte doch ein letztes Mal an diejenigen Kräfte appellieren, die vielleicht hätten sein können in der Anthroposophischen Gesell­schaft, indem ich die Meinung hatte, vielleicht wird aus diesen Kräften doch eine letzte Anstrengung hervorgehen, um so etwas wie den «Welt­schulverein» zu propagieren. Es ist nicht geschehen. Der «Weltschul­verein» ist begraben. Denn, nicht wahr, man kann nicht über eine solche Sache bloß reden, sondern das muß praktisch in die Hand ge­nommen werden. Dazu müssen eine Anzahl von Menschen da sein. Also der «Weltschulverein» als solcher ist begraben.

Die Waldorfschule in Stuttgart ist aus der deutschen Revolution hervorgegangen, nicht als eine revolutionäre Schule, aber aus der Re-volutionsstimmung. Wenn aber da, wo die Weltsituation überblickt wird, mit vollem Verständnisse so etwas wie eine Waldorfschule be­gründet würde, wie in England, dann würden wir ein Stück vorwärts­kommen.

Vielleicht kann ich nachher, wenn die Diskussion eine Weile ge­waltet hat, noch einiges darüber sagen.


Frau Professor Mackenzie (von Mr. Kaufmann in Kürze übersetzt): Professor Mackenzie führt aus, daß es doch gewisse Persönlichkeiten aus England hier gibt, und zwar Persönlichkeiten, die schon in der Lage sind, etwas in der Richtung zu schaffen und einen Einfluß auszuüben, welche auch aus einer Empfindung der Ent­wickel ung der Menschheitsnotwendigkeiten, der Weltnotwendigkeit heraus etwas in der Richtung dieser Erziehungsimpulse unternehmen wollen. Und als erster Schritt darin hoffen wir, daß es gelingen wird, Herrn Dr. Steiner im Laufe dieses Jahres nach England einzuladen, und auch gelingen wird, in den Vorarbeiten zu einer solchen Einladung wirklich diejenige Stimmung und Einsicht zu schaffen, aus welcher heraus eine Anzahl von Persönlichkeiten, von Erziehern, Herrn Dr. Steiner im richtigen Sinne wird willkommen heißen können.

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Dr. Steiner: Ich möchte hinzufügen, daß so etwas selbstverständlich nur im praktischen Sinne einmal unternommen werden muß, und daß es schädlich sein würde, wenn davon viel geredet würde. Es handelt sich darum, daß diejenigen, die in der Lage sind, in dieser Richtung einen Schritt vorwärts zu unternehmen, die Vorarbeiten schaffen, und daß dann, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, in der richtigen Weise vorwärtsgegangen wird.

Es wird auch sicher im Sinne der Frau Mackenzie und der anderen sein, wenn Freunde, die aus anderen Ländern hier sind, Vorschläge und Anregungen geben wollen, an einzelne von uns herantreten und die Sache zur Sprache bringen.

Frau K., Haag: Es ist heute sehr viel über England gesprochen worden, und wir freuen uns sehr darüber, halten das für nützlich. Aber wir von unserem kleinen holländischen Lande haben Verschiedenes auf dem Herzen, sind eigentlich gekom­men mit einem ganz großen Schuldbewußtsein. Zum ersten Mal ist der Gedanke des «Weltschulvereins» in Holland ausgesprochen worden, und eigentlich hat man das, was wir hätten tun können, nicht getan, teilweise ist es aus Mißverständnis, teilweise aus Mangel an Kräften nicht geschehen. Aber wir sind nicht so untätig gewesen, als man vielleicht glaubt, und ich versichere, daß wir auch in jeder Beziehung furchtbar gern bereit sind, diesen Fehler so viel als möglich wieder gutzumachen. Und ich möchte Herrn Dr. Steiner trotzdem bitten, uns zu sagen, ob der Weg, den er für England vorgeschlagen hat, auch für Holland möglich ist. Und da Herr Dr. Steiner versprochen hat, im April zu uns zu kommen, so mochte sch fragen, ob es viellescht mdglich sein würde, vor einem größeren pädagogischen Kreis zu sprechen über diese Sache.

Dr. Steiner: Für Holland ist ja ein Plan vorhanden, der, so viel ich weiß, eigentlich schon in der Verwirklichung begriffen ist, zunächst vom 5. bis 12. April dieses Jahres einen Hochschulkurs abzuhalten, der ähnlich wie Hochschulkurse, die sonst gehalten werden, auch in Hol­land in ernster Weise die Anthroposophie zur Geltung bringen soll.

Es ist allerdings ganz sicher etwas Deprimierendes gewesen, daß, nachdem lange Zeit auf die Notwendigkeit hingewiesen war, in Hol­land für die Anthroposophie etwas zu tun, dann, nachdem Vorträge, Aufführungen dort stattfanden im Februar und Anfang März letzten Jahres, daß dann allerdings sogar - nun nicht wahrscheinlich in bezug

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auf Verständnis der Anthroposophie, denn das kann ich nicht mei­nen, wohl aber in bezug auf die innere Fassung der Anthroposophischen Gesellschaft in Holland ein Rückgang zu verzeichnen war, der sehr stark wahrzunehmen war. Und daher scheint es mir, daß allerdings es sehr notwendig wäre, daß gerade in Holland die anthroposophische Bewegung neu und frisch in die Hand genommen würde. Von welcher Ecke aus das geschieht, das wird ja dann natürlich von den vorhan­denen Bedingungen abhängen, kann natürlich auch von der Seite der pädagogischen Bewegung stattfinden. Gerade mit Bezug darauf ist hier eine Frage gestellt:

X: Das holländische Gesetz läßt die Möglichkeit zu, bei einem ernsten Versuch, eine freie Schule zu gründen. Würde es, wenn wir in Holland auf andere Weise kein Geld bekommen könnten, möglich sein, mit Subsidien des Staates eine freie Schule zu errichten, unter Voraussetzung, daß wir den Unterricht ganz frei in eigener Hand halten können?

Dr. Steiner: Nun, an dieser Frage ist mir eines nicht ganz verständ­lich, ein anderes ist mir zweifelhaft. Nicht ganz verständlich ist mir dieses, daß man in Holland für eine wirklich freie Schule kein Geld bekommen sollte! Verzeihen Sie, wenn das vielleicht eine Naivität ist, aber es ist mir nicht verständlich. Denn ich meine allerdings, daß, wenn der Enthusiasmus groß genug ist, dann ist es möglich, wenigstens zunächst anzufangen. Es gehört ja gar nicht so viel Geld dazu, um an­zufangen.

Das andere, was mir zweifelhaft ist, das ist, daß es gelingen wird, das mit Subsidien des Staates zu machen. Denn, daß es der Staat sich nicht nehmen lassen wird, eine Schulaufsicht zu üben, wenn er Subsidien gibt, das scheint mir nun eben zweifelhaft. Also ich glaube nicht, daß mit Subsidien, das heißt unter der Aufsicht des Staates, eine wirklich freie Schule gegründet werden könnte.

Es ist ja in Stuttgart auch das, möchte ich sagen, ein Glücksfall ge­wesen, daß die Waldorfschule gerade noch begründet wurde, bevor die republikanische Nationalversammlung ein Schulgesetz beschlossen hat, unter dessen Agide eine solche Schule nicht begründet werden kann; denn, nicht wahr, wir verlieren ja immer mehr und mehr Freiheit.

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je mehr sich der Liberalismus ausbreitet. Und wahrscheinlich würde eben heute, wo der Fortschritt herrscht in Deutschland, die Waldorf­schule in Stuttgart nicht mehr zu begründen möglich sein. Aber sie ist vorher gegründet worden. Und' nun - heute sieht einmal die Welt auf die Waldorfschule, und man wird sie bestehen lassen, bis eben die Be­wegung, welche die sogenannte Grundschule geschaffen hat, so mächtig ist, daß man aus irgendeinem Fanatismus heraus ihr ihre vier ersten Klassen wegnehmen wird. Ich hoffe, daß das zu verhindern sein wird, aber wir gehen ja auch in dieser Beziehung ganz furchtbaren Zeiten ent­gegen. Und das ist es ja, warum von mir so häufig betont wird, daß es notwendig ist, dasjenige, was geschehen soll, bald zu tun; denn es breitet sich über die Welt eine Welle aus, die durchaus nach dem Zwangs-staate hingeht. Und es ist tatsächlich so, daß die abendländische Zivi­lisation sich der Gefahr aussetzt, einmal von einer in irgendwie gearte­ter Weise asiatischen Kultur, die dann etwas Spirituelles hat, einfach überflutet zu werden. Das wollen die Menschen nicht sehen, aber dazu wird es kommen.

Nicht wahr, es ist eigentlich mehr oder weniger nur, glaube ich, eine Art Verzögerung der Sache, wenn man glaubt, erst auf Subsidien des Staates Anspruch machen zu sollen. Ich würde mir davon kaum etwas versprechen können. Aber vielleicht ist jemand anderer Meinung. Ich bitte heute nur alle Meinungen sehr frei zu äußern.

X führt aus, daß es im Augenblick nicht möglich sei, in Holland eine Schule zu grün­den, ohne daß der Staat sich einmische, daß zum Beispiel verlangt werde, daß ein bestimmtes Pensum erreicht werde und so weiter.

Dr. Steiner: Nicht wahr, wenn diese Dinge nicht wären, dann würde ich ja niemals etwas, was doch nach einer gewissen Theorie hinneigt, wie der Weltschulverein, würde ich mich niemals für den Weltschul­verein eigentlich entschieden haben dazumal. Aber gerade weil diese Dinge bestehen, meinte ich, daß der Weltschulverein zunächst etwas Praktisches wäre. Die Sache ist so:

Nehmen Sie also zum Beispiel die kleine Schule, die wir hier an diesem Orte in Dornach gehabt haben. Wir haben es ja wiederum aus dem Grund. den ich schon öfter hier angeführt habe in diesen Tagen,

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aus Überfluß an Geldmangel eben nur zu einer ganz kleinen Schule gebracht. Nun, in dieser kleinen Schule waren Kinder zusammen von unter zehn Jahren und über zehn Jahren. Nun besteht im Staate, man nennt es hier Kanton, Solothurn ein sehr strenges Schulgesetz, das aber nicht sehr viel abweicht von den anderen strengen Schulgesetzen in der Schweiz überhaupt, ein so strenges Schulgesetz, daß, als der Staat Solothurn darauf kam, daß hier Kinder unter vierzehn Jahren unter­richtet werden, er das einfach für eine Unmöglichkeit erklärt hat. Das gibt es nicht. Und da könnte man nun hier machen, was man wollte, man würde niemals dazu kommen können, irgend etwas von Waldorf­schul-Gedanken für Kinder unter vierzehn Jahren zu verwirklichen. Und auf Hindernisse stößt die Sache natürlich mindestens auf dem Kontinente fast überall. Wie es in England ist, das wage ich im Augen­blicke nicht ganz zu entscheiden; aber sollte es dort möglich sein, eine wirklich ganz freie Schule zu begründen, dann wäre das eine ganz vor­zügliche Sache. Und weil eben überall eigentlich, wo man die Schulen praktisch zunächst verwirklichen will, das auf Widerstände stößt, meinte ich, daß der Weltschulverein doch zunächst ein Praktisches ist, denn ich dachte ihn ganz im großen, weil er in der Welt Stimmung machen würde gerade eben für die Möglichkeit, freie Schulen zu schaf­fen. Das heißt, es müßte gegen die Strömung-ihren Höhepunkt erreicht sie ja gerade im Bolschewismus in Rußland -, gegen diese Strömung, die ihren Höhepunkt also in der absoluten Staatszwangsschule findet, die aber sonst überall ist - man sieht ja eben nicht, daß Lunatscharski nur die letzte Konsequenz desjenigen ist, was ja überall in Europa in der Anlage vorhanden ist; solange es einem paßt, sieht man nicht, daß es vorhanden ist -, also ich meine, es müßte eine Strömung eingeleitet werden, die sich in entgegengesetzter Richtung bewegt: Lunatscharski = absolut den Staat zu einer großen Maschine machend, den Menschen zu einem Glied darinnen. Die andere Strömung müßte dahin gehen, Menschen zu erziehen.

Das ist dasjenige, was notwendig ist. Sehen Sie, in dieser Richtung erlebt man tatsächlich innerhalb der anthroposophischen Bewegung Allerschmerzlichstes. Wir können ja aus dem Untergrunde der anthro­posophischen Bewegung heute auch eine wirkliche medizinische Bewegung

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ins Leben rufen. Alle Antezedenzien sind da. Was aber notwendig wäre, das wäre auch da eine Bewegung, die die Sache vor die Welt hin­stellte. Aber überall ist eine andere Bestrebung bei den Menschen vor­handen, nämlich, den einzelnen, der irgendwie etwas von einer rein menschlichen Medizin vertreten kann, zum «Kurpfuscher» zu machen, das heißt, von ihm zu verlangen, gegen das Gesetz zu handeln. Ich könnte Ihnen zum Beispiel - ich sage das nur als Beispiel, es bezieht sich das gar nicht auf die medizinische Bewegung der Anthroposophie -, aber ich könnte Ihnen einen Minister nennen, der im deutschen Reichstag ein scharfes Gesetz vertreten hat gegen das, was ja in Deutschland noch vor­handen ist, gegen die Freiheit des Heilgewerbes, und für seine eigene Familie ist er zu undiplomierten Heilern gegangen, um sie heilen zu lassen. Das heißt, er glaubte nicht an die offizielle Heilkunde für seine eigene Familie, sondern an die, die er nun durch das Gesetz als «Kur­pfuscher» bezeichnen wollte.

Das ist ein Symptom für das sektiererische Bestreben. Nicht sek­tiererisch ist eine Bewegung, wenn sie darnach strebt, sich frei vor die Welt, und zwar vollrechtlich hinzustellen, so daß über die Rechtstitel kein Zweifel sein kann.

Das ist es, was ich gemeint habe, daß der Weltschulverein machen sollte: Stimmung in der Welt hervorrufen für solche Gesetze, die frei gestatten, Schulen aus der pädagogischen Notwendigkeit heraus zu be­gründen. Schulen können niemals aus Majoritätsbeschlüssen heraus be­gründet werden. Daher können sie auch nicht Staatsschulen sein.

Also das ist dasjenige, was ich meine, für den ja sonst mir gar nicht sympathischen Weltschulverein sagen zu müssen. Er ist mir nicht sym­pathisch, weil er ein Verein, eine Propaganda ist; ich habe am liebsten das Wirken ganz aus dem Sachlichen heraus, nicht das Agitieren, nicht das Propagieren. Das sind mir alles entsetzliche Sachen. Aber wenn die Hände gebunden sind, wenn es eben nirgends möglich ist, freie Schulen zu begründen, so muß man eben erst die Stimmung schaffen, die diese freien Schulen möglich macht. Kompromisse können ja natür­lich auch auf diesem oder jenem Gebiete berechtigt sein, aber wir leben heute in einer Zeit, wo uns jeder Kompromiß noch mehr ins Unheil hineinführt.

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Frage: Wie können wir am besten im politischen Leben arbeiten?

Dr. Steiner: ... Ich glaube nun ja, daß wir von dem, um was es sich handelt, zu stark abkommen, wenn wir die tief bedeutungsvollen Fra­gen, die hier vorliegen, auf das Gebiet der aktuellen Politik bringen, weil ich mir von der heutigen aktuellen Politik kaum etwas verspre­chen kann, bevor sie aus ganz anderen Untergründen heraus regeneriert ist, als aus denjenigen, die zunächst heute in den mir auf dem physi­schen Plane bekannten Ländern vorhanden sind. Ich meine, es ist so deutlich gerade auf diesem Gebiete der entschiedene Niedergang zu bemerken, daß man einsehen könnte, warum, ich möchte sagen, wie eine Nebenbewegung der anthroposophischen Bewegung, die Bewegung nach der Dreigliederung des sozialen Organismus notwendig ist.

Wozu hat es denn der nichtdreigegliederte - wenn ich jetzt kurz und daher vielleicht mißverständlich etwas darüber andeuten soll-, wohin hat es denn der nichtdreigegliederte soziale Organismus gebracht? Er hat es dazu gebracht, daß eigentlich die Geschicke der Völker von Par­teien bestimmt werden, deren Meinungsinhalt im Grunde genommen die reinste Phrase ist. Es kann gar nicht behauptet werden, daß das­jenige, was heute als Phrase gebraucht wird für diese oder jene Partei, daß sie irgend etwas Reales ist.

Ich habe in diesen Tagen einmal darauf aufmerksam gemacht, wie Bismarck, der im späteren Lebensalter schon durchaus ein Ultramonar­chist war - er war in seiner Jugend ein ganz verschämter, maskierter Republikaner, wie er selbst meint, aber er ist dann ein starrer Monar­chist geworden -, wie Bismarck dasselbe gesagt hat, was Robespierre gesagt hat. Sagen kann man ja das Verschiedenste. Aber es handelt sich um die Partei, darum, was dann wirklich zutage tritt, wenn das Innere der Parteien, möchte ich sagen, sich entpuppt.

Sehen Sie, ich war durch Jahre Lehrer an der Berliner Arbeiterbil­dungsschule, die eine rein sozialdemokratische Einrichtung war. Mir war es immer willkommen, die Wahrheit auszusprechen, wo man sie hören wollte. Ich habe daher nie einen Anstoß daran genommen, da oder dort die Wahrheit auszusprechen, wenn auch die Vereinigungen, in denen ich wirkte, nach ihren Programmen oder Parteimeinungen

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so oder so geartet waren. Nun habe ich auch unter diesen Leuten, die ihrer Parteirichtung nach starre Marxisten waren, eine absolut anthro­posophische Anschauung sowohl in der Naturwissenschaft wie auch in der Geschichte unterrichtet; sogar im Unterricht, den ich den Leu­ten gegeben habe in Redeübungen, sogar da konnte ich dasjenige, was meine Überzeugung ist, geltend machen. Und die Schule vergrößerte sich immer mehr und mehr. Und siehe da, es wurden dann die sozial­demokratischen Parteiführer darauf aufmerksam, und es genügte, daß drei oder vier Menschen da waren bei einer entscheidenden Versamm­lung, wo meine Schüler alle auch da waren, die alle einstimmig dafür waren, daß ich weiter unterrichten sollte; aber ein paar Leute als stramme Parteiführer waren da, die erklärten: solch ein Unterricht dürfe nicht gegeben werden, der untergrabe das Wesen der sozialdemo­kratischen Partei. Ich sagte: Ja, aber die sozialdemokratische Partei will doch auch für die Zukunft arbeiten, und die Menschheit geht ein­mal der Freiheit entgegen, und wenn man eine Schule der Zukunft ha­ben will, so muß man doch wirklich auf dem Boden einer freien Schule stehen. Da erhob sich so ein richtiger Parteimann und sagte: Freiheit im Unterricht, das kennen wir nicht, wir kennen nur einen vernünf­tigen Zwang. - Von da aus ging eben alles weitere, was zu der Unmög­lichkeit führte, jenen Unterricht fortzusetzen.

Es ist meine Überzeugung, vielleicht mag das recht albern erschei­nen und hochmütig, aber es ist doch meine Überzeugung - da dieser Unterricht von mir gegeben worden ist, und sich die Klassen immer mehr vergrößert haben von Jahr zu Jahr am Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts -, es ist meine feste Überzeugung: wenn diese Be­wegung dazumal hätte fortgesetzt werden können, so wären die Ver­hältnisse in Mitteleuropa anders gewesen im zweiten Jahrzehnt. Nun, wie gesagt, es mag albern erscheinen, aber ich möchte es doch eben sagen.

Also ich habe keine große Meinung von dem, was man auf partei-mäßige Weise erreichen könnte. Mit irgendeiner sozialistischen Partei werden Sie am wenigsten in der Lage sein, irgend etwas von freiem Schulwesen zu begründen. Die sozialistischen Parteien streben in un­glaublichster Weise gerade nach dem Untergang jeder Schulfreiheit.

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Die christlichen Parteien sind ja so, daß sie gegenüber dem gegenwärti­gen Staate darauf angewiesen sind, nach freien Schulen zu rufen. Aber in dem Augenblicke, wo sie am Ruder wären, würden sie natürlich diese Freiheit nur für sich in Anspruch nehmen. So daß es schon so ist, daß wir in diesem öffentlichen Leben sagen müssen: wir kommen nicht weiter, ohne daß wir erst die Grundlage schaffen in der Dreigliederung des sozialen Organismus, wo wir eben auch das demokratische Element nur im mittleren Teile haben, auf dem Rechtsgebiete. Und dann ist ja ganz von selber praktisch die Möglichkeit eines freien Schulwesens ge­geben. Aber auf dem Wege der Wahlen wird man das nicht erreichen.

Z. stellt die Frage, inwiefern, wenn die Kinder der heutigen Generation nach den Prinzipien einer anthroposophischen Erkenntnis erzogen würden, dies genügen würde, um die Kräfte des Verfalls und der Dekadenz von uns abzuleiten, oder ob, angenom­men, daß die Kinder dieser Generation im großen' und ganzen nach diesen Prinzi­pien der anthroposophischen Erkenntnis erzogen würden, es nicht doch auch not­wendig würde, zu versuchen, sie in die Welt hinauszuschicken mit dem bewußten Vorsatz, die heutige soziale Ordnung umzugestalten und einen neuen sozialen Orga­nssmus zu gestalten?

Dr. Steiner: Man sieht kaum ganz, worauf gerade dasjenige basiert, was ich sn meinem Buche «Die Kernpunkte der sozialen Frage» über die Dreigliederung des sozialen Organismus auszuführen versuchte; die Gründe, die zu diesem Buch geführt haben, die sind jahrzehntealt... Es ist so gekommen, daß heute die Menschheit in einem Punkte ihrer Ent­wickelung ist, wo in bezug auf das soziale Leben, in bezug auf soziale Meinungen jemand kommen könnte mit den allerrichtigsten Anschau­ungen - es würde sich ihm nicht die Möglichkeit ergeben, daß durch irgendeines der Mittel, die einmal vorhanden sind, um Meinungen zu verwirklichen heute, auch eine richtige Meinung verwirklicht würde. Es handelt sich heute darum, daß man zunächst die Menschen in solche Verhältnisse bringt, daß sie im sozialen Zusammenwirken tatsächlich erst das Realisieren von Meinungen, von Einsichten möglich machen.

Daher glaube ich nicht, daß es gut ist, zu fragen, ob, wenn eine Generation so erzogen würde, wie es hier gemeint ist, dann die ent­sprechenden sozialen Zustände eintreten würden. oder ob dann noch

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eine Umgestaltung der sozialen Ordnung nach dieser oder jener Rich­tung notwendig wäre, sondern ich möchte sagen, die Sache ist so: wir müssen uns klar sein, das Beste von dem, was wir erreichen können, würde schon dadurch erreicht werden, daß es uns gelänge, möglichst viele Glieder einer Generation in dem Sinne einer allgemeinen mensch­lichen Erziehung vorwärtszubringen. Und dann würde die zweite Frage eigentlich vom praktischen Gesichtspunkte aus wiederum weg­fallen. Denn, was da zu denken wäre über das Umgestalten, das wür­den eben die so erzogenen Menschen denken. Sie würden, weil sie in andere menschliche Verhältnisse gekommen wären, als sie heute mög­lich sind, andere Bedingungen für die Realisierung ihrer Meinung ha­ben.

Also ich meine, es kommt wirklich darauf an, daß, wenn wir prak­tische Menschen sein wollen, wir wirklich praktisch, nicht theoretisch denken sollen. Und praktisch gedacht, heißt, das Mögliche machen, nicht ein Ideal verwirklichen, sondern das Mögliche machen. Das Aussichtsvollste ist, möglichst viele Menschen einer Generation zu er­ziehen in dem Sinne, wie es aus Menschenerkenntnis heraus möglich ist, und darauf zu vertrauen, daß dann diese möglichst richtig erzogenen Menschen auch eine soziale Ordnung herbeiführen, welche wünschens­wert ist.

Die zweite Frage, die läßt sich erst mit den dafür gewonnenen Men­schen praktisch beantworten, nicht theoretisch. Das ist dasjenige, was ich meine.

Ich darf vielleicht nun eine Frage, die hier schriftlich gegeben wor­den ist beantworten:


Frage: Wie kann man dasjenige, was wir hier gehört haben, am besten in den Unter­richt für sehr schwachsinnige Kinder einfließen lassen?

Dr. Steiner: Ich möchte an ein praktisches Beispiel anknüpfen. Als ich selber etwa dreiundzwanzig oder vierundzwanzig Jahre alt war, wurde ich als Erzieher in eine Familie gerufen, in der vier Buben waren. Drei Buben waren verhältnismäßig leicht zu erziehen; einer davon war mit

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elf Jahren in folgendem Zustande: so im siebenten Jahre sollte er in volksschulmäßiger Weise, wenn auch privat, unterrichtet werden. Nun

- die Sache war in Österreich -, in Österreich ist es ja moglich gewesen, daß jeder frei unterrichten konnte, weil nichts anderes gefordert wurde, als daß der Unterricht, auf welche Weise er auch immer gegeben wurde, nur dadurch bewiesen würde, daß man die Kinder dann am Ende des Jahres zum Examen führen mußte. Sie konnten irgendwo an einer Schule am Ende des Jahres ihr Examen ablegen; aber unterrichtet konn­ten sie von Engeln oder von Teufeln werden, das kam nicht darauf an, wenn sie nur das Examen bestehen konnten.

Nun also, unter diesen vier Buben war einer, der hatte nun vier oder fast fünf Jahre Volksschulunterricht hinter sich. Mir wurde das letzte Zeichenheft - er war elf Jahre -, das er von seinem Examen zurück-gebracht hatte, gegeben. In den anderen Lehrfächern hatte er entweder ganz den Mund gehalten oder aber Unsinn geredet, nichts aufs Papier geschrieben. Aber das Zeichenheft hat er wenigstens als das einzige Dokument bei dieser Prüfung abgegeben gehabt, und das bestand dar­innen, daß auf der ersten Seite ein großes Loch war. Er hat nämlich siichts getan, als irgend etwas hingemalt und das wieder ausradiert, und so lange, bis ein großes Loch war. Das war also das Ergebnis seines Examens. Im übrigen war er manchmal wochenlang nicht dazu zu bringen, ein Wort zu reden mit jemand. Er hat auch die Gepflogenheit angenommen, eine Zeitlang nicht bei Tisch essen zu wollen, sondern ist in die Küche gegangen und hat aus den Gefäßen gegessen, wo man die Abfälle hingegeben hat, also nicht die richtigen Speisen, sondern die Abfälle.

Ich beschreibe Ihnen diese Symptome, damit Sie sehen, daß man es mit einem Kinde zu tun hatte, das in die Kategorie derjenigen gehörte, die man schon »sehr schwachsinnig» nennen kann.

Nun wurde mir gesagt: mit dem Kind wird ja natürlich nichts an­zufangen sein, denn es ist alles versucht worden; und auch der Haus­arzt, der übrigens einer der ersten Arzte der betreffenden Stadt war, ein wirklich angesehener Mann, hatte ihn aufgegeben, und man war sehr unglücklich in der Familie. Man wußte nicht, was man mit ihm anfangen sollte.

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Ich sagte, man solle mir den Buben lassen, geradeso wie die anderen, solle mir nur absolut zugestehen, daß ich die nachsten drei Jahre mit ihm machen könne, was mir für richtig er schien. Ich konnte das bei der Familie nirgends durchdrücken als nur bei der Mutter. Mütter haben aus gewissen Untergründen heraus manchmal ein richtiges Ge­fühl für solche Dinge. Es wurde mir der Knabe übergeben. Ich habe den Unterricht so eingerichtet, daß er vor allen Dingen darauf beruhte, daß das, was man mit schwachsinnig bezeichnet, ganz von der Seite der Leiblichkeit aus zu behandeln ist, daß also alles, was getan werden soll, von solchen Gesichtspunkten aus geschehen muß, wie ich sie eben auch für gesunde Kinder erörterte. Es handelt sich nur darum, daß man die Möglichkeit gewinnt, in das Innere eines Menschen hereinzuschauen. Es lag ein starker Hydrocephalus vor. Es war also sehr schwierig, das Kind zu behandeln. Aber es mußte ganz wesentlich der Grundsatz durchgefochten werden: die Erziehung muß Heilung sein, sie muß auf eine medizinische Grundlage gestellt werden.

Und nach zweieinhalb Jahren hatte ich den Jungen so weit, daß die Gymnasialstudien mit ihm begonnen werden konnten, weil es nun wirklich gelang, daß in ökonomischer Weise erzogen wurde. Ich habe zuweilen überhaupt Schulgegenstände bei dem Jungen auf eine Viertel-oder höchstens auf eine halbe Stunde im Tag beschränkt, habe mich allerdings, um in diese halbe Stunde das Richtige hineinzubringen, manchmal vier Stunden für eine solche halbe Stunde vorbereiten müs­sen, um alles in ökonomischer Weise zu gestalten, so daß er absolut nicht angestrengt wurde. Ich habe genau alles gemacht, wie ich es für gut fand. Ich hatte mir ja das vorbehalten, hatte also so viel Musik­unterricht eintreten lassen, als ich eben für das Richtige hielt, immer mehr, ich möchte sagen, von Woche zu Woche, habe auch daran fest­gehalten, wie allmählich sich gerade die körperliche Konstitution um-gestaltete. Und ich habe mir allerdings nichts sagen lassen. Die übrige Familie, außer der Mutter, fand manche Einwände, wenn der Junge immer wieder blaß geworden ist. Ich habe erklärt: Ich habe ihn nun einmal, und ich habe das Recht, ihn blaß werden zu lassen, ganz blaß, er wird schon wiederum rot werden, wenn die Zeit da sein wird.

Nun also, es handelte sich darum, daß der Junge in der Einsicht

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auf die leibliche Entwickelung erzogen wurde, daß alle geistig-seeli­schen Maßnahmen nach dieser Richtung getroffen wurden.

Das einzelne stellt sich ja, wie ich glaube, für jedes Kind ganz indi­viduell ein. Man muß genau den Menschen kennen. Deshalb sage ich, es kommt auf eine wirkliche Menschenerkenntnis an. Und wenn ich mir die Frage beantworten wollte: Wie alt ist der Junge in Wirklich­keit? Wie habe ich ihn zu behandeln? - so mußte ich sagen, der Junge ist in Wirklichkeit etwa ein Kind - als ich ihn empfangen hatte -, ein Kind im Alter von zweieinviertel Jahren, und er mußte eben so be­handelt werden, trotzdem er scheinbar, das heißt im bürgerlichen Ge­burtsregister, das elfte Jahr vollendet hatte, er mußte so behandelt werden, wie es die Wirklichkeit war. Er konnte aber bei einem seelisch-ökonomischen Unterricht, der zunächst eben absolut auf das Nach­ahmeprinzip aufgebaut war, so daß systematisch zuerst auf die Nach­ahmung hingearbeitet worden ist, und dann übergegangen wurde eben zu dem, was ich heute Gestaltung genannt habe - aber alles fortwäh­rend mit Berücksichtigung der Gesundheitsverhältnisse -, in zweiein­halb Jahren so weit gebracht werden, daß er seinen Gymnasialunter­richt hat beginnen können. Ich habe ihm dann weiter geholfen, auch noch während er den Gymnasialunterricht durchmachte. Er war dann befreit von jeder weiteren Leitung, konnte die zwei letzten Klassen selbständig durchmachen, ist dann Mediziner geworden, hat lange praktiziert, und ist dann, im vierzigsten Lebensjahre etwa, während des Weltkrieges an einer Infektion, die er sich im Kriege zugezogen hatte, in Polen gestorben.

Das ist ein Fall - ich könnte manchen anderen auch noch anführen -, der eben zeigt, wie sehr es sich gerade für schwachsinnige Kinder darum handelt, auf dieses gerade auch am heutigen Morgen für gesunde Kinder hervorgehobene Prinzip hinzuarbeiten. Wir haben in der Waldorfschule eine ganze Anzahl von leichten, und, wie es hier heißt, sehr schwach-sinnigen Kindern. Die ganz schwachsinnigen stören natürlich die an­deren Kinder in der Klasse. Daher haben wir unter der Leitung von Dr. Schubert eine besondere Klasse für Schwachsinnige eingerichtet, und zwar kommen da die Schwachsinnigen aller Klassen zusammen. Aber ich habe immer, wenn es sich darum handelt, irgendein Kind für

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die Schwachsinnigenklasse zu designieren, ich habe immer, ich möchte sagen, die Freude, einen Kampf bestehen zu müssen mit dem Lehrer der betreffenden Klasse. Kein Lehrer will eigentlich gern ein Kind herge­ben, und jeder kämpft um dieses Kind; er bemüht sich bis zum letzten Ende, dieses Kind unter den anderen mitzubekommen, und es gelingt auch häufig. Denn wenn auch unsere Klassen nicht klein sind, dadurch, daß individuell unterrichtet wird, gelingt es, auch solche Kinder mit­zubringen. Sehr schwachsinnige Kinder sind also wirklich da beisam­men in unserer Schwachsinnigenklasse. Aber notwendig ist es, sie ab­solut individuell zu erziehen. So daß Dr. Schubert jedes Kind nach dessen eigenen Anforderungen selbst behandelt, und vor allen Dingen bei solchen Kindern keine Lehrziele hat, sondern es sich ganz von der Beschaffenheit des Kindes diktieren läßt und unter Umständen etwas ganz anderes als das gewöhnlich Schulmäßige mit dem Kinde macht. Es handelt sich da darum, daß man nun wirklich die entsprechende, ich möchte sagen, Hilfe für das eine oder das andere Kind findet.

Es gibt zum Beispiel Kinder, die sehr schwachsinnig sind, und man findet heraus, wenn man sich allmählich den Blick dafür aneignet, daß sie einfach mit ihrem Vorstellungsvermögen so langsam arbeiten, daß sie die Vorstellungen verlieren. Sie verlieren die Vorstellungen, sie kom­men nicht zum Vorstellen. Es ist das nur ein Fall. Man erreicht schon etwas mit diesen Kindern, mit einer gewissen Sorte von Kindern, wenn man mit ihnen nun gar nichts gewöhnlich Schulmäßiges macht, son­dern zum Beispiel nur das, daß man einem Kinde sagt, falls es die Worte auffaßt - wir haben auch solche, die nicht einmal die Worte auffassen, dann muß man es anders machen: Nimm rasch mit dem Daumen und dem Zeigefinger der rechten Hand dein linkes Ohrläpp­chen! Greife rasch mit deiner linken Hand an den rechten Oberarm! -Läßt man sie auf diese Weise sich an sich selber orientieren, und dann wiederum an der Außenwelt orientieren, dann erreicht man auch manches mit solchen Kindern, wenn man sie rasch etwas erkennen läßt: Was ist das? (Es wird ein Ohr gezeichnet.) Es ist wirklich nicht so leicht herauszukriegen, daß das Kind sagt: Ohr. Aber in dem Re­kognoszieren und so weiter liegt es: also es liegt in den verschiedensten Dingen, die man aussinnen muß, und durch die man zunächst das

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Kind weckt. Auf dieses Wecken, auf dieses Aktivwerden kommt bei sehr vielen Kindern etwas an, selbstverständlich nicht bei den toben­den, da muß man dann andere Mittel anwenden. Aber in dieser Rich­tung liegt es. Es handelt sich um individuelle Behandlung, und die muß auf einer wirklichen Menschenerkenntnis beruhen.

Aus der Diskussion, Dornach, 5. Januar 1922, abends

Dr. Steiner: Es sind eine Anzahl von Fragen hier abgegeben worden, und ich will versuchen, so gut das geht in der kurzen Zeit, die Fragen zu beantworten.

Zur ersten Frage:

Es handelt sich dabei darum, daß ja die Beantwortung der Frage nach der Beziehung der sensitiven und motorischen Nerven zunächst eine Interpretationssache ist, und daß eigentlich, solange man auf dem Stanpunkte der bloßen physischen Betrachtung steht, man auch kaum

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zu einer anderen Beantwortung kommen kann, als die gebräuchliche ist. Diese gebräuchliche Beantwor­tung ist die, daß, wenn ich schematisch zeichnen soll, man es zu tun habe mit - wollen wir einmal eine ein­fache Nervenleitung nehmen -, daß man es zu tun hat mit dem Zentralorgan. Es würde also dann von der Peripherie die Sensation zum Zentralorgan gelei­tet, würde von dem Zentralorgan das Motorische

wiederum nach dem betreffenden Organ abgeleitet.

Nun ist es durchaus möglich - wie gesagt, solange man innerhalb des bloß materiell Tatsächlichen stehenbleibt -, mit dieser Erklärung sich zu befriedigen. Und ich glaube auch nicht, daß eine andere Interpre­tation angenommen werden kann, wenn man nicht zu dem Tatbestand,

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der sich ergibt als ein übersinnjicher, das heißt als eine wirkliche Beob­achtung, wenn man nicht zu diesem Tatbestand übergehen will. Ich sagte in diesen Tagen, als ich diese Frage behandelte: die Verschieden­heit der sogenannten sensitiven und motorischen Nerven in anatomi­scher und physiologischer Beziehung ist nicht erheblich. Ich sagte nicht, daß kein Unterschied ist, sondern ich sagte nur, die Verschieden­heit ist keine erhebliche, keine große. Die vorhandene Verschiedenheit in anatomischer Beziehung ergibt sich schon auch, wenn man die hier vorgebrachte Erklärung zugrunde legt. Nun ist die Interpretation diese:

Wir haben es nur mit einer Art von Nerven zu tun; die sogenannten sensitiven und die sogenannten motorischen Nerven sind eine Art von Nerven. Es kommt dabei gar nicht darauf an, ob man den Ausdruck sensitive oder motorische Nerven wählt. Es kommt deshalb nicht dar­auf an, weil die Seelenerscheinungen, für die diese Nerven, die, wenn man so sagen will, Werkzeuge sind, die physischen Werkzeuge sind, nicht strenge voneinander getrennt sind. Wir haben es immer zu tun, wenn wir einen Gedankenprozeß haben, mit einem in diesem Gedan­kenprozeß zugleich wirkenden Willensprozeß, und wir haben es auch immer zu tun - wenn das auch ein Vorgang ist, der sich zum größten Teil im Unbewußten abspielt -, wenn wir einen Willensprozeß vor-liegend haben, mit dem Hineindringen des Gedankens beziehungsweise des Sensationsrestes in dasjenige, was den Willensimpuls darstellt.

Nun, der Willensimpuls aber, ganz gleichgültig, ob er ein unmittel­barer oder ob er ein Willensimpuls ist, der auf Grundlage eines Gedan­kens erfolgt, der Willensimpuls geht im tätigen Menschen immer von den oberen Gliedern der menschlichen Wesenheit aus, von dem ver­einigten Wirken von Ich und astralischem Leib. Wenn man nun den Willensimpuls und seine Gesamtbetätigung in der menschlichen We­senheit verfolgt, kommt man durchaus für diesen Willensimpuls nicht auf die Nerven, sondern der Willensimpuls als solcher greift unmittel­bar in den Stoffwechsel des Menschen ein, und zwar in alle Glieder des Stoffwechsels. Der Unterschied der Erklärung, die hier gegeben wer­den muß auf Grundlage der anthroposophischen Forschung von der gewöhnlich anerkannten, besteht darinnen, daß die gewöhnlich aner­kannte Forschung annimmt, daß der Willensimpuls zunächst durch

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den Nerv vermittelt wird und dann sich erst auf die betreffenden Or­gane überträgt, die dann etwa die Bewegungen ausführen.

So ist es in Wirklichkeit nicht, sondern es ist eine unmittelbare Wir­kung des seelischen Willensimpulses auf Stoffwechselprozesse im Or­ganismus vorhanden. Hat man es nun mit einer Sensation zu tun, also mit einer Sinnesenthüllung, nehmen wir zum Beispiel an - da müßte natürlich der Prozeß kondensierter gezeichnet werden -, nehmen wir also an, wir hätten es mit einer Augempfindung zu tun, dann würde zunächst, wenn man die Sache betrachtet, ein Vorgang innerhalb des Auges vorliegen, ein Vorgang, der sich im Auge abspielt und sich auf den Sehnerv überträgt, also auf dasjenige, was man auch in der ge­wöhnlichen Wissenschaft als einen sensitiven Nerv ansieht. Dieser Seh­nerv ist nun der physische Vermittler des Sehens.

Es muß da schon eine Korrektur eintreten, wenn man die Wahr­heit sehen will gegenüber dem, was man gewöhnlich annimmt. Und deshalb hatte ich vorhin nur zögernd von Werkzeugen gesprochen. Der Ausdruck «Werkzeug» für die physisch vorhandenen Organe und Or­gansysteme im Menschen ist eigentlich nicht völlig richtig, sondern man muß folgendes festhalten: Nehmen Sie einmal an, hier wäre ein weicher Weg (es wird gezeichnet). Es würde ein Wagen über diesen weichen Weg fahren; dann würde der Wagen Spuren, Eindrücke in das Erdreich zurücklassen. Ich würde aus den Spuren genau angeben kön­nen, wie der Wagen gefahren ist. Nehmen Sie nun an, es würde jemand kommen und würde diese Spuren, die hier in die Erde eingedrückt sind, erklären wollen und würde sagen: Ja, die erkläre ich so, daß die Erde hier allerlei Kräfte entwickelt, die drücken das Erdreich ein. - Er würde eine vollständige Illusion aussprechen, denn es handelt sich gar nicht darum, daß da die Erde etwas tut, sondern der Erde geschieht etwas; der Wagen fährt darüber, und etwas, was gar nichts mit der Erde zu tun hat, das macht da seine Eindrücke.

So ist es zum Beispiel mit unserem Gehirnnervensystem. Dasjenige, was vorgeht, sind seelisch-geistige Vorgänge - der Wagen. Dasjenige, was zurückgelassen wird, sind Spuren. Die sind zu finden. Aber alles dasjenige, was da im Gehirn wahrgenommen wird, was anatomisch, physiologisch festgehalten werden kann, ist nichts, was mit dem Gehirn

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zusammenhängt, sondern das ist alles ausplastiziert von dem See­lisch-Geistigen. Es ist also gar kein Wunder, daß man alles im Gehirn findet, was im Seelisch-Geistigen vor sich geht; aber das hat nichts zu tun mit dem Gehirn. Man soll also nicht sagen, man habe es mit Werk­zeugen zu tun, sondern soll den ganzen Vorgang so auffassen, wie wenn ich gehen muß; mein Gehen hat schließlich nichts mit dem Boden zu tun, der ist nicht mein Werkzeug. Aber wenn er nicht da ist, kann ich nicht gehen. So ist es. Das Denken, der seelische Inhalt, hat gar nichts zu tun mit dem Gehirn; aber das Gehirn ist der Boden, wodurch dieser seelische Inhalt aufgehalten wird. Und dadurch, durch dieses Aufhal­ten kommt er zum Bewußtsein.

Also es ist durchaus etwas ganz anderes vorliegend, als man ge­wöhnlich sich vorstellt. Nun, eine solche Widerlage, ein solcher Wider­stand muß nun da sein für alles, was sensitiv ist, was Sensation ist, was also eine Empfindung darstellt.

Geradeso nun, wie etwa im Auge ein Prozeß vor sich geht, der mit Hilfe des sogenannten sensitiven Nerven wahrgenommen werden kann (siehe Zeichnung), geht bei den Willensimpulsen, sagen wir zum Bei­spiel im Bein, ein Prozeß vor sich, und dieser Prozeß wird mit Hilfe des

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Nerven wahrgenommen. Die sogenannten sensitiven Nerven sind also Wahrnehmungsorgane, die nach außen in die Sinne hineinerstreckt werden.

Die sogenannten motorischen Nerven sind Nerven, die nach innen hineinerstreckt werden, um wahrzunehmen, was da der Wille tut, damit ein Bewußtsein vorhanden sein kann von demjenigen, was der

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Wille unmittelbar durch den Stoffwechselprozeß vollbringt. Wir ha­ben es also nur zu tun mit Sensation nach außen und mit Sensation nach innen hinein. Wenn ich also einen sogenannten motorischen Nerv habe, so ist das ein ganz gleichartiger Nerv wie der sensitive Nerv; der eine ist nur da, um den Prozeß im Sinnesorgan als Gedankenpro­zeß zu vermitteln, und der andere ist da, um den Prozeß in meinem Inneren, physischen Inneren als Gedankenprozeß zu vermitteln.

Wenn man nämlich die bekannten Versuche, die gewöhnlich aus­geführt werden mit dem Zerschneiden oder mit dem Interpretieren der Tabes, der Rückenmarktabes, wenn man diese Versuche nun wirk­lich ernsthaftig vornimmt, nicht mit den Vorurteilen an sie geht, mit denen gewöhnlich die materialistische Physiologie darangeht, so wer­den gerade durch diese Interpretation diese Tabeserkrankungen ganz besonders erklärlich. Denn, nehmen Sie also an, Tabes sei vorhanden. Es handelt sich darum, daß der Nerv, ich will ihn jetzt sensitiven Nerv nennen, der den etwa ausgeführten Bewegungsvorgang zur Wahrneh­mung bringen könnte, nicht brauchbar ist, dann wird der Bewegungs-vorgang aber auch nicht ausgeführt, denn das ist gerade das Wesent­liche der bewußten Vorgänge, daß sie wahrgenommen werden müßten, wenn sie ausgeführt werden sollen. Es handelt sich um folgendes: Den­ken Sie sich, hier ist ein Stück Kreide. Mit diesem Stück Kreide will ich irgend etwas tun. Ich kann nichts mit ihm ausführen, wenn ich es nicht erst wahrnehme. Ich muß es in irgendeiner Weise wahrnehmen. So muß bei der Tabes der vermittelnde Nerv erst da sein, damit aufge­faßt werden kann; und wenn er verletzt ist, dann ist keine Vermittlung da, und es kann nichts aufgefaßt werden. Deshalb verliert dann der Mensch die Möglichkeit, ihn zu gebrauchen, geradeso wie ich einfach im physischen Leben die Kreide nicht gebrauchen könnte, wenn sie irgend­wo liegt, das Zimmer finster ist und ich sie nicht finden kann. Die Ta­beskrankheit beruht einfach darauf, daß ich die entsprechenden Organe nicht finden kann mit Hilfe der dort mündenden sensitiven Nerven.

Das ist zunächst approximativ und oberflächlich erklärt, aber es kann auch durchaus im feineren erklärt werden. Das Durchschneiden der Nerven ist gerade dann in allen einzelnen Fällen ein absoluter Be­weis für diese Interpretation, wenn man sie in der richtigen Weise faßt.

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Wenn ich Ihnen diese Interpretation gebe, so beruht sie durchaus auf anthroposophischer Forschung, also auf unmittelbarer Anschauung des­jenigen, was vorgeht. Es handelt sich nur immer darum, daß man das, was äußerlich vorgeht, als Belege anführen kann; dasjenige aber, was man noch anführen kann, das ist, daß zum Beispiel irgendein sogenannter motorischer Nerv in irgendeiner Gegend verletzt oder durchschnitten sein kann; wenn man ihn nun mit einem sensitiven Nerv verbindet und verheilen läßt, so funktioniert er wiederum so wie früher. Also man kann einfach die entsprechenden Enden von einem sogenannten sensitiven und einem sogenannten motorischen Nerv zusammenbringen und heilen, und es geht ein einheitlicher Prozeß vor sich. Wären die Nerven radikal verschieden, so würde das ja nicht der Fall sein können.

Nun aber kann noch ein anderer Fall auftauchen, das ist dieser. Nehmen wir also den einfachsten Fall an (es wird gezeichnet): einen sogenannten sensitiven Nerv, der zum Rückenmark geht, einen soge­nannten motorischen Nerv, der vom Rückenmark abgeht, also eben­falls einen sensitiven Nerv, so handelt es sich dabei um eine einheitliche Leitung. Eigentlich ist das alles eine einheitliche Leitung. Und wenn man es mit einer bloßen reflektorischen Bewegung zu tun hat, dann geschieht ein einheitlicher Prozeß. Also denken Sie sich einmal eine einfache Reflexionserscheinung: eine Fliege setzt sich auf mein Augenlid.

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Durch Reflexionsbewegung jage ich die Fliege fort. Der ganze Vorgang ist ein einheitlicher. Das­jenige, was vorliegt (siehe Zeichnung), ist lediglich hier eine Unterbrechung. Wir haben es also zu tun, wenn ich hier einen Umschalter einschalten würde, mit einer Zuleitung und mit einer Ableitung. Der Prozeß ist eigentlich ein einheitlicher, nur ist er hier unterbrochen (Zeichnung) geradeso wie wenn ich einen elektrischen Strom habe, diesen hier unterbreche und dann der Funke überschlägt. Dann, wenn die Strömung einheitlich ist, dann habe ich hier eben Draht und sehe den Funken nicht; wenn ich den Draht durchbreche, so habe ich hier den Funken, es findet hier eine Durchbrechung der einheitlichen Leitung statt. Diese einheitlichen Leitungen sind auch eben im Gehirn vorhanden. Die vermitteln, weil,

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geradeso wie wenn ich also einen elektrischen Strom durch einen Draht habe, den Draht unterbrochen habe, der Funke überspringt, ich sehe den Funken, so habe ich hier eine Unterbrechung des Nervenstromes (Zeichnung). Es springt gewissermaßen das Nervenfluidum, wenn ich mich jetzt eines groben Ausdruckes bedienen darf, über. Das aber be­wirkt die Möglichkeit, daß die Seele den ganzen Vorgang bewußt mit­erlebt. Würde der einheitliche Nervenstrom ohne Unterbrechung ge­hen, so würde er einfach durchgehen durch den Menschen, und die Seele würde das nicht miterleben können. Das ist dasjenige, was ich zunächst darüber sagen kann.

Es gibt nicht nach Ländern verschiedene Theorien über diese Sache, sondern dasjenige, was über diese Dinge gesagt wird, ist durchaus über­all gesagt, und ich lege sogar, wenn ich solche Dinge erkläre und dann gefragt werde, wo man sich nun äußere Kenntnisse verschaffen kann, immer zugrunde das Huxleysche Lehrbuch der Physiologie.

Nur das eine will ich noch dazu sagen: es ist das ja eine sehr subtile Sache, und die Interpretationen, die dafür angeführt werden, sind eben durchaus verführerisch. Es werden ja zur Interpretation die sogenann­ten sensitiven Teile des Nervs durchschnitten, und dann die moto­rischen Teile des Nervs durchschnitten, und man versucht dann, daß dasjenige ausbleibe, was man eben als Sensation oder als Motorisches, als Bewegung interpretiert, was als solche vorliegt. Aber wenn man das ganze, was ich hier gesagt habe, zusammennimmt, und vor allen Din­gen hier den Umschalter nimmt, dann wird man gerade, wenn man diese Erklärung zugrunde legt, auch alle Durchschneidungsversuche verstehen.

Frage: Wie kann der Erzieher am besten der Betätigung der Kinder von fünfeinhalb bis sieben Jahren entgegenkommen, wenn sie bitten, etwas zu tun?

Dr. Steiner: Nun, es ist bei Kindern, die etwa dieses Lebensalter erreicht haben, ja das vorhanden, was ich versuchte in den Vorträgen anzudeu­ten. Es scheint gewissermaßen schon dasjenige herein, was Autoritäts-gefühl ist es ist aber im wesentlichen noch die Sehnsucht nach der

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Nachahmung in der Hauptsache vorherrschend. Darnach muß denn auch das eingerichtet werden, was man mit solchen Kindern tut. Es ist gerade bei solchen Kindern auch außerordentlich gut anzuwenden, was ich etwa als die beweglichen Bilderbücher angeführt habe. Dadurch ist ihre erwachende Phantasie schon durchaus gut zu beschäftigen.

Wenn sie verlangen, etwas zu tun, dann würde ich - wir werden ja, sobald wir Gelegenheit haben, selber einen Kindergarten in Stutt­gart anlegen und werden dann versuchen, das auszuprobieren -, wenn die Kinder irgend etwas zu tun bekommen wollen, dann werden wir versuchen, die einfachsten Arten gerade zu malen, zu modellieren, so durchzuführen, daß man ihnen die Sache vormacht, sie zuschauen läßt. Nicht wahr, bei Kindern, die dann den Zahnwechsel überschritten haben, macht man die Sache nicht vor, sondern da versucht man, ohne daß man es ihnen vormacht, sie dazu zu bringen, daß sie Eigenes ma­chen. Nur wenn man also dann das Schreiben herausholen will aus dem Zeichnen oder Malen, so muß man auch da natürlich wiederum die Nachahmung zu Hilfe nehmen. Aber im wesentlichen würde man im Kindergarten für fünfeinhalb- bis siebenjährige Kinder versuchen, diese Dinge vorzumachen, die sie dann ihrerseits nachmachen, und man kann ja auf diese Weise eben das Nachahmungsprinzip hinüber­leiten zu dem Prinzip des Autoritativen.

Das kann natürlich auch in verschiedener anderer Weise gemacht werden. Es können Kinder durchaus dazu gebracht werden, daß man ihnen die Möglichkeit gibt, zu arbeiten, auch wenn man nicht dabei ist. Ich will also sagen, es ist die Möglichkeit vorhanden, zum Beispiel folgendes zu erfinden: man macht mit dem Kinde zunächst irgend etwas, sagen wir, was es nachzumodellieren hat oder auch nur nach­zuzeichnen oder so etwas, man muß das natürlich dann entsprechend finden, und man erklärt jetzt dem Kinde auf irgendeine Weise: das ist erst vollständig, wenn es, sagen wir, fünf oder zehn solcher Dinge ge­macht hat, die dann in irgendeiner Weise wieder ein Ganzes geben müssen. Dann hat das Kind natürlich darnach zu tun. Man kann auf diese Weise das Nachahmungsprinzip mit dem Autoritätsprinzip ver­binden und muß sich auf diese Weise helfen. Gerade diese Dinge wer­den reizvoll sein, im Praktischen dann auszuprobieren, wenn wir einmal

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in der Waldorfschule einen Kindergarten haben werden. Es würde aber natürlich ganz angemessen sein, wenn Sie selbst solches auspro­bieren würden. Ich würde natürlich viel zu ausführlich werden. wenn ich über diese Andeutungen hinausgehen würde.

Frage: Wird dieser Kurs in englischer Sprache gedruckt werden können?

Dr. Steiner: Solche Dinge sind ja natürlich immer auch Zeitfragen; aber ich möchte selbst gern, daß gerade der Inhalt dieses Kurses möglichst bald fixiert ist nach unseren Stenogrammen, und sobald das geschehen ist, kann ja natürlich auch dann dafür gesorgt werden, daß er im Eng­lischen publiziert werden kann.

Frage: Sollen Kinder Musikinstrumente spielen, und welche?

Dr. Steiner: In der Waldorfschule vertrete ich durchaus das Prinzip, daß nach den technischen Möglichkeiten die Kinder eben nicht nur anfänglich unterrichtet werden nun etwa auf das Anhören des Musi­kalischen hin, sondern daß wenigstens diejenigen Kinder, die einiger­maßen Begabung dazu haben, wirklich ein Musikinstrument lernen. Es sollte nicht die Frage von vorneherein so gestellt werden: Welches Musikinstrument? -, sondern es handelt sich da darum, daß der wirk­lich gute Musiklehrer herausfinden wird, daß spezifische Begabungen vorhanden sind des einen oder des anderen Kindes, die sich schon un­mittelbar, wenn die Kinder zur Schule kommen, äußern für das eine oder das andere Musikinstrument. Es ist das durchaus so, daß man ver­suchen sollte, da zu individualisieren. Es ist ja natürlich das alles auch in der Waldorfschule in den Anfängen, aber wir haben immerhin es schon dahin gebracht, daß in ganz annehmbarer Weise kleine Orchester und Quartette aus unseren Waldorfkindern zustande gekommen sind auf diese Weise.

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Frage: Glauben Sie, daß ein wirklicher Fortschritt für die Zukunft der Musik darin liegt, daß man gemäß den von Fräulein Schlesinger entdeckten griechischen Tonarten (Moden) komponiert, und daß man Instrumente wie das Klavier entsprechend stim­men läßt? Ist es gut, daß wir uns an diese Moden gewöhnen?

Dr. Steiner: Nun, ich möchte dazu sagen, daß ich allerdings der Mei­nung sein muß aus den verschiedenen Voraussetzungen heraus, daß die Musik eine Art von Fortschritt dadurch erfahren wird, daß das­jenige eine immer größere Rolle spielen wird, was ich nennen möchte die intensive Melodie. Die intensive Melodie, die würde darin be­stehen, daß man sich gewöhnen wird, den heute als einen Ton auf­gefaßten Ton zu empfinden schon wie eine Art von Melodie. Man wird sich also gewöhnen an eine größere Komplikation der Töne, des einen Tones. Man wird dazu kommen; und wenn man dazu kommen wird, dann wird das auch in einem gewissen Sinne eine Modifikation unserer Skala geben, aus dem einfachen Grunde, weil die Intervalle in einer verschiedenen Weise ausgefüllt sein werden, in einer verschie­deneren Weise, als man es bis jetzt angenommen hat. Sie werden kon­kreter ausgefüllt sein. Und dann wird man gerade, meine ich, auf die­sem Wege wiederum einen Anschluß finden an gewisse Elemente des­sen, was ich Urmusik nennen möchte, und von dem ich ja in den Ent­deckungen der Moden der Miß Schlesinger tatsächlich sehr Wichtiges zu erkennen glaube. Ich glaube allerdings, daß sich da ein Weg er­öffnet, um das musikalische Empfinden überhaupt zu bereichern und auf gewisse Dinge zu kommen, die einfach in den ja doch mehr oder weniger, ich möchte sagen, zufälligen Skalen, die wir haben, die das, was dadurch in das Musikalische hineingekommen ist, überwinden wer­den. Also ich glaube schon, daß es eine gewisse Aussicht hat, wenn diese besondere Entdeckung weiter verfolgt wird und wenn man sich im musikalischen Empfinden an diese Moden gewöhnt.

Frage: Wird man verkrüppelten Kindern Eurythmie geben können? Oder vielleicht Heileurythmie mit Rücksicht auf jedes einzelne Kind?

Dr. Steiner: Das ist ganz gewiß so. Es handelt sich bei dem Eurythmi­schen nur darum, daß man den Weg findet, es anzuwenden. Es braucht

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ja nur zunächst hingesehen zu werden auf die allgemeinen eurythmi­schen Formen, und man braucht nur nachzudenken darüber, ob irgend­ein verkrüppeltes Kind unmittelbar diese Formen machen kann, trotz der besonderen Art seiner Verkrüppelung, oder ob man sie vielleicht modifizieren muß. Das kann man in jedem Fall. Es wird sich also dar­um handeln, daß man - und insbesondere wird das bei ganz kleinen Kindern respektive bei kleinen Kindern von besonderem Vorteil sein -, daß man die gewöhnliche Kunsteurythmie bei solchen Kindern anwen­det. Es könnten sich sogar da ganz überraschende Gesundungsprozesse schon durch die gewöhnliche Eurythmie ergeben.

Die Heileurythmie ist ja zunächst von mir als ein System ausge­arbeitet worden beim letzten Ärztekursus hier (1921), wo sie in einem besonderen Kursus angeschlossen worden ist, und diese Heileurythmie ist ja zunächst dazu bestimmt, bei verschiedenen Heilprozessen zu dienen. Es liegt durchaus auch auf ihrem Wege, bei Verkrüppelungen zu dienen. Es wird sich natürlich aber darum handeln, daß für leich­tere Verkrüppelungen ja schon in dem, was als Heileurythmie bereits gegeben ist, das Nötige liegt. Bei stärkeren Verkrüppelungen wird es sich natürlich darum handeln, daß unter Umständen die Dinge nach irgendeiner Weise verschärft oder modifiziert werden. Nur, wenn man sehr stark darauf eingehen will auf das Modifizieren, dann han­delt es sich darum, große Vorsicht zu üben.

Dasjenige, was Kunsteurythmie ist, also diejenigen Formen, die in der Kunsteurythmie angewendet werden, die schaden keinem Men­schen, sondern können ihm nur nützen. Dasjenige, was da als Schaden auftreten kann, das liegt auf ganz demselben Gebiete, auf dem an­deres liegt, was der Mensch tut, und wobei er sich etwa auch über-müden kann. Selbstverständlich, geradeso wie man krank werden kann, wenn man zuviel auf Berge steigt, wenn man zuviel läuft, wenn man unter Umständen mit den Armen zuviel arbeitet, so kann man auch durch ein Übermaß von eurythmischen Ubungen sich natürlich auch übermüden und kann sich dadurch allerlei Schwächezustände zuziehen. Aber das liegt nicht in der Eurythmie, sondern das kann eben durch alles mögliche andere auch hervorgerufen werden, und die lobenswer­testen Beschäftigungen des Menschen können selbstverständlich auch dazu

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führen, daß er sich durch sie krank macht. Also bei der gewöhnlichen Eurythmie ist nicht daran zu denken, daß sie irgend auf jemand einen schädlichen Einfluß haben kann. Geht man aber zu der Heileurythmie über, dann ist schon das zu berücksichtigen, was ich überhaupt als eine Art von Regel gegeben habe, als ich dazumal den Kursus über Heil­eurythmie abgehalten habe, daß mit Eurythmie als Heileurythmie nur dann operiert werden sollte, wenn die ganze Behandlung unter der Aufsicht und der Anleitung eines Arztes da ist, das heißt, wenn eine ordentliche Diagnose vorliegt, so daß man auf Grundlage einer ordent­lichen Diagnose die entsprechenden Dinge macht.

Da handelt es sich denn ganz besonders natürlich darum, daß, wenn man diese Dinge noch verschärft, die in der Heileurythmie in Betracht kommen, daß man dann nur im strengen Sinne medizinisch-chirurgisch vorgehen soll, und daß eben nur der wirkliche Kenner der pathologi­schen Zustände, der pathologischen Eigentümlichkeiten in dieser Be­ziehung das Richtige treffen kann. Es ist auch hier nicht anders, als daß man nicht jeden Menschen mit Gift hantieren lassen kann, und eben­sowenig kann man jeden Menschen mit Heileurythmie hantieren lassen. Und wenn dann irgendwelche Schädigungen zustande kommen da­durch, daß gepfuscht wird, dann ist das wiederum nicht etwas, was etwa der Heileurythmie in die Schuhe geschoben werden darf.


Frage: Im gestrigen Vortrage wurde das abnorme Hinüberwirken dessen, was in einem Lebensabschnitte das Richtige ist, hinein in folgende Epochen behandelt. So entstand das überwiegend melancholische, das überwiegend phlegmatische, das über­wiegend sanguinische Temperament. Erstens: Wie entsteht nun das ausgesprochen Cholerische? Zweitens: Woran kann man am jungen Kinde wahrnehmen, daß es diese Hinneigung zum Melancholischen respektive zu den anderen Einseitigkeiten hat? Drittens: Kann dem schon vor dem Zahnwechsel entgegengearbeitet werden?

Dr. Steiner: Das cholerische Temperament, das entsteht im wesent­lichen dadurch, daß an irgendeinem der besonderen Lebenspunkte, die da liegen etwa um das zweite Lebensjahr herum, dann wiederum in dem Lebenspunkt, den ich angegeben habe zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahr; dann sind aber auch noch spätere ähnliche Punkte,

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aber die zwei ersten kommen hauptsächlich in Betracht, daß da jedes­mal das Ich besonders stark wirkt. Nicht wahr, das Ich ist ja nicht etwa so, daß es erst mit dem einundzwanzigsten Jahr vorhanden ist, es wird nur befreit in einem gewissen Lebensalter, es ist natürlich immer im Menschen vorhanden. Von der Geburt beziehungsweise von der dritten Woche nach der Konzeption angefangen, ist es im Menschen vorhanden. - Es kann also das Ich durchaus auch zu einer übergroßen Intensität kommen, und dann wirkt es besonders stark in diesem be­sonderen Lebenspunkt. Beachten Sie nur einmal, was es mit diesem Le­benspunkt überhaupt für eine Bewandtnis hat.

Wir haben zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahr ein ganz besonderes Wirken des Ich, dahingehend, daß der Mensch lernt, sich von seiner Umgebung zu unterscheiden. Da ist für den Normalzustand ein besonderer Gleichgewichtszustand notwendig. Dieser besondere Gleichgewichtszustand kann nach außen verschoben werden; dann ist das auch eine der vielen Veranlassungen für das sanguinische Tempe­rament. Ich habe ja, als ich die Sache gestern behandelte, ausdrücklich gesagt, daß da verschiedene Faktoren zusammenwirken, und daß ich eben diejenigen gestern besonders erörtert habe, die für einen gewissen Gesichtspunkt in Betracht kommen.

Nun kann aber auch der Schwerpunkt nach dem Inneren verlegt werden. Das kann aber schon auch dann geschehen, wenn das Kind die Sprache lernt, oder sogar schon dann, wenn das Kind lernt, sich in der Vertikallage zu erhalten, sich aufzustellen. Da ist überall Ge­legenheit vorhanden, daß das Ich zu stark wirkt. Darauf muß man auch aufmerksam sein und muß also versuchen, nichts Falsches in die­sem Lebenspunkte zu tun. Man tut schon etwas Falsches, wenn man zum Beispiel das Kind zu früh dazu zwingt, frei aufrechtzustehen. Es soll das durchaus als Nachahmerisches so vollziehen, daß es sich auf­richtet, wenn es eben die Fähigkeit hat, die aufrechte Stellung der Er­wachsenen nachzuahmen.

Nun kommt man ja dabei vielleicht zu einem besonders intensiven Verständnis, wenn man beachtet, was so etwas wie die aufrechte Stel­lung des Menschen eigentlich bedeutet. Im wesentlichen - natürlich Ausnahmen abgerechnet aber die können auch dann eben in ihrem

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Ausnahmecharakter erklärt werden -, im wesentlichen ist das Tier ja so konstituiert, daß sein Rückenmark parallel der Erdoberfläche liegt. Der Mensch ist so konstituiert, daß sein Rückenmark für seine normale Stel­lung die Richtung des Erdradius hat. Das ist der radikale Unterschied zwischen Mensch und Tier. Und in diesem radikalen Unterschied zwi­schen Mensch und Tier liegt dasjenige, was man einfach zu erwidern hat, wenn die rein darwinistischen Materialisten - ich sage nicht: die Darwinianer, sondern die darwinistischen Materialisten - anführen, ein wesentlicher Unterschied zwischen Menschen- und Tierskelett wäre ja nicht vorhanden: beide haben gleich viel Knochen und so weiter. Schön, das ist ja wahr, aber das Tierskelett hat das Rückgrat horizontal, der Mensch vertikal. In dieser Vertikallage des Rückgrates spricht sich ein Verhältnis zum ganzen Kosmos aus, und dieses Verhältnis bedeutet, daß der Mensch überhaupt der Träger wird für ein Ich. Wenn wir vom Tiere sprechen, sprechen wir nur von den drei Gliedern, von dem phy­sischen Leib, von dem Äther- oder Bildekräfteleib und dem astralischen Leib. Ein Ich ist nur möglich, wenn ein Wesen auf die Vertikale hin organisiert ist.

Ich habe das einmal in einem Vortrage ausgesprochen. Hinterher kam jemand und sagte: Ja, wie ist es denn dann, wenn der Mensch schläft, da ist ja sein Rückgrat horizontal?

Man faßt solche Dinge durchaus nicht so, wie sie gemeint sind. Es handelt sich natürlich nicht darum, daß der Mensch deshalb ein für das Vertikale konstruiertes Rückgrat hat, daß das Rückgrat eben ver­tikal ist, wenn er steht, sondern es handelt sich da auch um den ganzen Bau des Menschen, es handelt sich darum, daß der Mensch eben alle Verhältnisse, alle gegenseitigen Lagen der Knochen so zueinander hat im ausgewachsenen Zustande, daß also, wenn er geht, das Rückgrat ver­tikal ist, während es beim Tiere horizontal ist. Also es handelt sich wirklich darum, daß in dieser Vertikalen des Rückgrates wesentlich das Kennzeichen dafür vorhanden ist, daß der Mensch ein Ich-Träger ist.

Nun beobachten Sie einmal, wie die physiognomische Bedeutung gerade in der Vertikallinie sich im menschlichen Charakter in einer merkwürdigen Weise ausspricht. Sie werden ja sehen, wenn nur die rechten Mittel der Beobachtung angewandt werden, daß es Menschen

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gibt, bei denen man konstatieren kann, daß solche Wachstumsabnor­mitat eintritt, daß zum Beispiel der Mensch durch ein System in seinem organischen Wesen veranlaßt ist, eine bestimmte Größe zu erreichen; aber ein anderes System wirkt dagegen, und er wird zusammenge-drückt. Diese Konstruktion des menschlichen Organismus ist durchaus möglich, daß man durch gewisse Antezedenzien größer sein sollte, als man ist, daß man zusammengedrückt ist durch ein anderes System. So etwas war zum Beispiel bei Fichte vorhanden. Fichtes Statur - ich könnte viele andere anführen, auch bei Napoleon würde das in Be­tracht kommen zum Beispiel, aber auch bei vielen anderen -, bei Fichte war das gegeben, daß er eigentlich durch einen gewissen Teil seiner Organsysteme hätte größer werden können, als er geworden ist. Nun bleibt er zusammengeschoben. Das drückt sich dann dadurch aus, daß das Ich sich auch bequemen muß, diesem Zusammenschieben sich zu fügen. Und in dem Ich drückt sich das cholerische Temperament aus. Es kann also durchaus auf diese Weise durch eine menschliche Abnor­mität das Cholerische verursacht werden.

In bezug auf die Frage: Woran kann man am jungen Kinde wahr­nehmen, daß es diese Hinneigung zum Melancholischen respektive zu den anderen Einseitigkeiten hat? - ja, ich glaube, wer Kinder in aus­giebigem Maße beobachtet hat, der wird kaum besondere Kennzeichen brauchen. Das drängt sich ja in ganz ausgesprochenem Maße auf. Und man braucht sozusagen ja nur ein wenig seine menschliche Naivität walten zu lassen, so kann man ein cholerisches Kind von einem melan­cholischen sehr gut unterscheiden, nicht wahr, so wie man unterschei­den kann, ob ein Kind fortwährend sitzt und mockt und moros ist, von dem, daß es tobt. Man kann in der Schule sehr gut ein Kind unter­scheiden, das, nachdem es gerade die Aufmerksamkeit der Tafel zuwen­det, sich seinem Nachbarn zuwendet, irgend etwas an diesem Nachbarn bemerkt und dann wiederum zum Fenster hinausguckt. Das ist eben sanguinisch. Es sind das ja Dinge, die durchaus innerhalb der naiven Beobachtungsgabe liegen.

Wenn weiter gefragt wird: Kann dem schon vor dem Zahnwechsel entgegengearbeitet werden? - ist zu antworten: Ja, im Grunde genom­men schon dadurch. daß man dieselben Mittel, die man später anwendet

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und die geschildert worden sind, schon vorher anwendet, indem man ihnen einfach den Nachahmungscharakter verleiht.

Also nehmen wir einmal an, man hat ein tobendes Kind im gehö­rigen Alter, das wird man dann dadurch, daß man versucht, vielleicht auch zu toben, wenn man es gerade will, veranlassen, im Toben sich zu ermüden. Man wird immerhin einiges erreichen.

Im Grunde ist es aber durchaus in diesem Lebensalter nicht not­wendig, weil es in den meisten Fällen gut ist, wenn man vor dem Zahn-wechsel diese Dinge ausleben läßt. Das ist zuweilen unbequem. Aber hier liegt wirklich etwas vor, worüber eigentlich anders gedacht wer­den muß, als gewöhnlich gedacht werden kann, als gewöhnlich ge­dacht wird. Ich möchte Ihnen das lieber durch einen Vergleich klar­machen, weil es vielleicht dadurch leichter eingesehen wird.

Sehen Sie, es gibt gewisse heilende Laien, die keine gründliche Kennt­nis von dem menschlichen Organismus haben, aber Abnormitäten, Krankheitserscheinungen bis zu einem gewissen Grade beurteilen kön­nen. Bei denen kann es einem geschehen, daß sie irgendeinen Kranken haben und sie sagen: Ja, der hat eine Abnormität in der Herzbewegung. Was soll man da tun? - Es kann durchaus der Fall vorkommen, daß man sagt: Lassen Sie dem seine Abnormität des Herzens; denn wenn Sie die auf die sogenannte normale Tätigkeit zurückführen, dann kann er sie nicht ertragen; für seinen Organismus ist das gerade notwendig. -Und so ist es gerade vielfach beim Kinde notwendig, daß man auch weiß, wie lange irgend etwas bleiben muß und sich austoben muß. Das ist dasjenige, was dabei zu berücksichtigen ist.


Frage: Wie vermeidet die anthroposophische Schulung Lieblosigkeit und Gedächtniszerstörung beim Überschreiten der Erkenntnisgrenzen?

Dr. Steiner: Diese Frage beruht wohl darauf, daß dasjenige, was das gewöhnliche Bewußtsein im Leben bewältigen muß, wofür das ge­wöhnliche Bewußtsein da ist, daß das Liebe und Erinnerungsvermögen braucht. Man könnte im gewöhnlichen Leben ohne dieses Erinnerungs­vermögen nicht auskommen; es würde überhaupt ohne die Quelle des

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Erinnerns bis zu einem gewissen Punkte in der Kindheit die Kontinui­tät des Ich nicht vorhanden sein. Es sind ja genügend Fälle bekannt, wo diese Kontinuität zerstört ist, wo das Erinnerungsvermögen Lücken hat. Das ist eben ein pathologischer Zustand. Und ebenso kann das ge­wöhnliche Leben sich nicht entfalten, ohne daß die Liebe darinnen vor­handen ist.

Nun muß ja gesagt werden, daß, wenn ein höheres Bewußtsein aus­gebildet wird, dieses dann eben andere Inhalte hat als das gewöhnliche Bewußtsein. Nun scheint in dem, was dieser Frage zugrunde liegt, ge­schlossen zu sein, daß, weil ja die Erkenntnisgrenzen durch das über­sinnliche Bewußtsein überschritten werden, man es jenseits der Er­kenntnisgrenzen nicht mit der Liebeentfaltung und mit der Erinne­rungsentfaltung zu tun hat. Das ist ganz richtig; aber es wird auch immer betont, daß eine richtige Schulung darinnen besteht, daß man diejenigen Eigenschaften, die man für das gewöhnliche Bewußtsein ent­wickelt hat, neben all den anderen Eigenschaften behält. Ja, es wird sogar, wenn Sie sich die Schulung anschauen, wie ich sie charakteri­siere in meinem Buche: «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», darauf gesehen, daß diese gewöhnlichen Lebenseigenschaf­ten verstärkt werden, wenn man in das höhere Bewußtsein hinauf-schreitet. Also es wird nichts genommen von diesen inneren Fähig­keiten des gewöhnlichen Bewußtseins. Man bekommt nur dasjenige hinzu, was das erhöhte Bewußtsein braucht. Ich möchte einen viel-leicht etwas trivialen Vergleich gebrauchen, der ja nicht ganz zutref­fend ist. aber der dennoch die Sache vielleicht ein wenig beleuchten kann.

Nicht wahr, wenn ich mich auf dem gewöhnlichen Erdboden ge­hend bewegen will, dann darf ich das Gleichgewicht nicht verlieren im Gehen, ich muß andere Dinge noch haben, damit ich auf dem ge­wöhnlichen Erdboden ordentlich gehen kann, nicht umfalle und der­gleichen. Nun, von diesen Eigenschaften verliert man ja gar nichts, die einem dienen auf dem gewöhnlichen Erdboden zu gehen, wenn man Seiltanzen lernt. Wenn man Seiltanzen lernt, steht man unter anderen Bedingungen, aber man kann nicht eigentlich die Frage aufwerfen:

Kann einen nun das Seiltanzen verhindern daran, daß man auf dem

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gewöhnlichen Erdboden gehen kann? - Ebensowenig kann einen die Erringung eines anderen Bewußtseins irgendwie verhindern, die Ei­genschaften des gewöhnlichen Bewußtseins zu haben - womit ich na­türlich durchaus nicht andeuten will, daß ich die Erringung des höhe­ren Bewußtseins mit dem geistigen Seiltanzen vergleichen möchte. Aber die Sache ist doch schon so, daß die Eigenschaften, die man sich er­wirbt, im gewöhnlichen Bewußtsein eben voll erhalten bleiben sollen, wenn man in ein gesteigertes Bewußtsein hinaufsteigt.

Nun will ich mit Rücksicht auf die vorgerückte Zeit so rasch als möglich die Fragen, die noch gestellt worden sind, erledigen, und dann eben mit Rücksicht auf die vorgerückte Zeit eine kleine Ge­schichte erzählen.


Frage: Was ist von der immer stärkeren Verbreitung des Lehrfilms in den Schulen zu halten, und wie kann man seinen Verteidigern am besten klarmachen, daß das Schädigende vom «Lehrreichen» nicht aufgewogen werden kann?

Dr. Steiner: Nun, ich habe versucht, hinter das Geheimnis des Films überhaupt zu kommen und habe allerdings - man mag mir das nun übelnehmen oder nicht, es ist eben eine Tatsache - finden müssen, daß dasjenige, was ich in diesen Vorträgen den Äther- oder Lebensleib genannt habe, insbesondere für die Sinnenorganisation durch das Auf­nehmen der Filmproduktionen in einer außerordentlich starken Weise geschädigt wird. Es ist ja tatsächlich so, daß durch die Filmproduktion die ganze seelisch-geistige Konstitution wirklich vermechanisiert wird; sie stellt sich dar als eine äußerliche Art, den Menschen zur materia­listischen Gesinnung zu bringen. Ich habe das geprüft; insbesondere während der Kriegszeit, wo in den Films agitiert worden ist für alles mögliche, konnte man sehen, wie gierig die Menschen die Filmproduk­tionen aufnahmen - ich war nicht darauf aus, sehr die Films zu be­obachten, sondern das Publikum zu beobachten, und ich konnte durch­aus konstatieren, wie der Film einfach im ganzen Programm der Ma­terialisierung der Menschheit liegt, indem gewissermaßen der Mate­rialismus schon in die Perzeptionsgewohnheiten hineingenommen wird.

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Das ist dasjenige, was natürlich sehr weit ausgeführt werden könnte, aber ich kann ja eben wegen der vorgerückten Zeit nur noch diese Andeutungen machen.


Frage: Wie ist ein Kind zu behandeln, das nach der Aussage der Eltern gut gesun­gen hat, als es drei Jahre alt war, und welches augenblicklich - sieben Jahre alt - gar kein Gehör mehr hat?

Dr. Steiner: Es wäre erst zu prüfen, ob da nicht irgend etwas vorliegt, wodurch sich das Gehör im Augenblicke maskiert. Aber wenn das Kind wirklich mit drei Jahren gut gesungen hat, wenn das also stimmt, daß das Kind mit drei Jahren gut gesungen hat, dann müßte es doch möglich sein bei einer entsprechenden pädagogischen Behandlung, das Kind wiederum zum Singen zu bringen, und man würde das dadurch erreichen, daß man womöglich studiert, was das Kind in derselben Zeit, in der es gut gesungen hat, sonst für Gewohnheiten gehabt hat, womit es sich beschäftigt hat, was es getan hat, und es dann in das ganze Ensemble seines damaligen Lebens, allerdings mit einer gewissen Modi­fikation, wieder hineinversetzt und dann mit dem Gesange an das Kind heranrückt. Man muß versuchen, so wie dazumal das Singen in einem bestimmten Komplex darinnen gestanden hat - vielleicht ist auch sogar noch etwas anderes verschwunden, das man leichter her­anbringen kann als das Singen -, man muß eben versuchen, das ganze Ensemble des kindlichen Lebens zu der Zeit ganz methodisch wiederum hervorzurufen.


Frage: Wie stellt sich die Anthroposophie zu der Erziehung von Montessori; was für Folgen hat sie in der Zukunft?

Dr. Steiner: Es ist mir eigentlich nicht sehr sympathisch, über gewisse zeitgenössische Strömungen, die ja immer das Eigentümliche haben, daß sie mit einem gewissen Fanatismus betrieben werden, zu antworten, so daß ich immer es nicht gern tue, nicht daß ich nicht gern auf Fragen

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antworte, aber ich meine nur, es ist nicht gerade in meinen innersten Sympathien gelegen, auf Fragen, die so gestellt werden: Wie verhält sich Anthroposophie zu dem oder jenem? - zu antworten. Es ist nicht nötig; ich betrachte es nur als meine Aufgabe, dasjenige, was auf Grund­lage der anthroposophischen Forschung gewonnen werden kann, zu vertreten vor der Welt, und betrachte es nicht als meine Aufgabe, an­dere Dinge von diesem Gesichtspunkte aus zu beleuchten.

Ich möchte nur sagen, daß allerdings alle diejenigen Bestrebungen, welche auf gewisse Verkünstelungen hinausgehen - denn auch das­jenige, was eigentlich nicht im normalen Menschenleben liegt, wo man namentlich schon an das ganz junge Kind etwas heranbringt, was nicht in der Selbstverständlichkeit des menschlichen Lebens liegt, sondern wo man ein künstliches System erfindet -, daß all das eigentlich nicht in der gesunden Entwickelung des Kindes liegen kann. Es wird ja nach dieser Richtung hin heute sehr vieles erfunden, und alle diese Metho­den laufen eben doch darauf hinaus, daß sie auf einer nicht gründlichen wirklichen Menschenerkenntnis beruhen.

Natürlich kann man vieles Richtige finden in solchen Methoden. Aber es ist überall notwendig, daß man dann auch dieses Richtige auf das reduziert, was sich vor einer richtigen Menschenerkenntnis ergibt.

Nun, meine sehr verehrten Anwesenden, für die Zeit, die dann fol­gen wird, nachdem dies übersetzt ist, möchte ich eben andeuten, daß ich nicht so unhöflich sein will, zu sagen, daß die Stunde auch einmal zu Ende gehen muß, aber da ich ja sehe, daß dieses Bedürfnis bei vielen der verehrten Anwesenden gegenwärtig schon vorhanden ist und dann wiederum so höflich sein möchte, diesem Bedürfnis entgegenzukom­men, will ich Ihnen eine ganz kleine Geschichte erzählen, sie soll ganz kurz sein: Es gab ein ungarisches Ehepaar, das hatte sich immer zum Abend Gäste eingeladen - in Ungarn ist man sehr gastfreundlich ge­wesen in der Zeit, als noch nicht alles drunter und drüber ging -, und wenn es zehn Uhr geworden ist, dann sagte der Mann zur Frau: Ja, wir müssen jetzt höflich sein, Frau, wir werden uns zurückziehen, die Gäste werden wohl nach Hause gehen wollen!

HINWEISE

#G303-1969-SE360 Die gesunde Entwickelung des Menschwesens

#TI

HINWEISE

#TX

Vor Beginn des pädagogischen Kurses richtete Rudolf Steiner an die Teilnehmer, die im «weißen Saal» des alten Goetheanum versammelt waren, folgende Worte: «Meine sehr verehrten Anwesenden, gestatten Sie, bevor ich beginne mit meinen Auseinandersetzungen, eine administrative Sache vorzubringen.

Der Kursus war ursprünglich nur für einen sntsmen Kreis veranlagt, und nun hat er einen so zahlreichen Besuch erfahren, daß ja vorauszusehen ist, daß wir den Kurs nicht in entsprechender Weise absolvieren können, wenn wir hier in diesem Saal so gedrängt sitzen. Das würde unmöglich sein; Sie würden das schon bemerken, wenn Sie eben da sein müßten während des Vortrags und während der Übersetzung. Deshalb muß ich mich dazu entschließen, den Kursus zweimal zu halten, und zwar das erstemal jeden Tag um 10 Uhr, und dann für diejenigen Herrschaften vor allen Dingen, welche an der Übersetzung teilnehmen wollen, weil das ja technisch sich nicht anders machen läßt, um 11 Uhr dann. Ich werde also den ersten Vortrag jeden Tag pünktlich um 10 Uhr beginnen, und die Wiederholung dann um 11 Uhr. Ich bitte, vielleicht die Sache so einzuteilen, daß alle die verehrten Anwesenden, welche aus England, Holland, Skandinavien da sind, eben an dem zweiten Vortrag teil­nehmen, und die anderen an dem ersten.»

Mititenographiert wurde nur in der Wiederholungsstunde. Der Vortrag wurde in zwei oder drei Teilen gehalten, die durch größere Absätze gekennzeichnet sind. Nach jedem Teil erfolgte die Übersetzung durch Georg Kaufmann (G. Adams).

Die Textgestaltung dieser Auflage folgt - von geringfügigen Ausnahmen abge. sehen - der Fassung, wie sie Marie Steiner für die 1. Buchauflage der Vorträge ge­geben hat.

Der Titel des Vortragskurses wurde durch die Herausgeber nach einem Wort­laut aus dem ersten Vortrag gestaltet. Die Titel der einzelnen Vorträge sind dem Pro­gramm entnommen.

Zu seite

7 Milijeent Mackenzie, war seit 1910 Professorin für Erziehung am University College in Cardiff (Wales).

10 als die Anthroposophische Gesellschaft ... abgetrennt wurde: Siehe die «Denk­schrift über die Abtrennung der Anthroposophischen Gesellschaft von der Theosophischen Gesellschaft« in: Mitteilungen für die Mitglieder der Anthro­posophischen Gesellschaft (Theosophischen Gesellschaft), hg. von Mathilde Scholl, Köln, Juli1913 No. III. Wird wieder abgedruckt im Band 3 der Reihe «Das lebendige Wesen der Anthroposophie und seine Pflege» (Bibl.-Nr. 252).

einen Inderknaben als zukünftigen Christus: Rudolf Steiner bezieht sich hiet auf das seinerzeit von Annie Besant und Leadbeater propagierte Wiedererschei­nen des Christus, zu dessen Träger sie den Inderknaben Krishnamurti bestimm­ten. Dieser hat sich später von dieser ihm zugedachten Rolle distanziert.

11 Edouard Schuré, 1841-1929. «Das Heilige Drama von Eleusis« mit dem Pro­log «Der Raub der Proserpina«, übersetzt von Marie Steiner-von Sivers, in freie Rhythmen gebracht durch Rudolf Steiner, Dornach 1939.

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12 in meinen Mysteriendramen: «Die Pforte der Einweihung», Erstaufführung

1910, «Die Prüfung der Seele» 1911, «Der Hüter der Schwelle» 1912 und «Der Seelen Erwachen» 1913. Bibl.-Nr, 14, Gesamtausgabe Dornach 1962.

16 eine Anzahl von Freunden ai's Deutschland: Herr Molt, Dr. R. Boos und Herr Kühn. Vgl. den Vortrag vom 15. Februar 1919 in «Die geistigen Hintergründe der sozialen Frage, Bd. I, Basel 1946.

Jean Jacques Rousseau, 1712-1778, franz. Schriftsteller und Philosoph. Sein Werk »Du contrat social, ou prineipes du droit politique» hatte entschei­denden Einfluß auf die französische Revolution.

17 «Aufruf an das deutsche Volk und an die Kulturwelt»: wurde im Februar 1919 von Rudolf Steiner verfaßt und vorgelesen, als Flugblatt gedruckt im März 1919; wieder abgedruckt in dem Band «Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 1915-1921», Bibl.-Nr. 24, Gesamtaus­gabe Dornach 1961.

«Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegen­wart und Zukunft», 1.-40. Tausend Dornach und Stuttgart 1919, Neuauf­lagen; 81.-85. Tausend Bibl.-Nr. 23, Gesamtausgabe Dornach 1961.

Emil Malt, 1876-1936, Kommerzienrat, Inhaber der Waldorf-Astoria-Ziga­rettenfabrik in Stuttgart. Als solcher gründete er 1919 die Freie Waldorf­schule in Stuttgart, zunächst für die Kinder der Arbeiter und Angestellten seiner Fabrik. Auf seine Bitte hin besorgte Rudolf Steiner die Einrichtung und Leitung der Schule.

20 zwei Lehrkurse für akademische Mediziner: «Geisteswissenschaft und Medizin», zwanzig Vorträge, Dornach 21. März-9. April 1920, Bibl.-Nr. 312, Gesamt­ausgabe Dornach 1961. »Geisteswissenschaftliche Gesichtspunkte zur Thera­pie», acht Vorträge, Dornach 11.-18. April 1921, Bibl.-Nr. 313, Gesamtausgabe Dornach 1963.

Physikalische, astronomische Kurse mußten gehalten werden: «Geisteswissen­schaftliche Impulse zur Entwickelung der Physik», Erster naturwissenschaft­licher Kurs, zehn Vorträge, Stuttgart 23. Dezember 1919-3. Januar 1920, Bibl.­Nr.320, Gesamtausgabe Dornach 1964.

Zweiter naturwissenschaftlicher Kurs (Wärmekurs), vierzehn Vorträge, Stutt­gart 1.-14. März 1920; vorgesehen in Bibl.-Nr. 321.

»Das Verhältnis der verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebiete zur Astro­nomie», achtzehn Vorträge, Stuttgart 1.-18. Januar 1921; vorgesehen in Bjbl.­Nr.323.

24 Galileo Galilei, 1564-1642.

Nikolaus Kopernikus, 1473-1543.

Giordano Bruno, 1548-1600.

26 ff. Herbert Spencer, 1820-1903, engl. Philosoph. Die im Folgenden gemachten Ausführungen beziehen sich auf sein Werk «Education» (1861) - Die Erzie­hung. Deutsch von Dr. Heinrich Schmidt, Leipzig o. J. (1910).

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26 Wenn Emerson von repräsentativen Persönlichkeiten gesprochen hat: Ralph Waldo Emerson, 1803-1882, amerikanischer Schriftsteller. »Representative men» (1850) - Repräsentanten der Menschheit. Übers. von K. Federn, Halle 1897.

30 Kant-Laplacesche Theorie: Hervorgegangen aus Kants «Naturgeschichte und Theorie des Himmels» (1755), bzw. der darin begründeten «Nebularhypothese» und aus «Exposition du systeme du monde» (1796) von Laplace.

37 Ich kannte einmal einen Dichter: Hermann Rollett, 1819-1904. Über die Be­gegnung mit ihm vgl. den Vortrag vom 13. Oktober 1922 in «Geistige Wir­keoskräfte im Zusammenleben von alter und junger Generation», Bibl.-Nr. 217, Gesamtausgabe Dornach 1964, S.163.

41 ff. Charles Darwin, 1809-1882. «Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder Die Erhaltung der bevorzugten Rassen im Kampf ums Dasein«, London 1859.

42 Verstandes-Ich: Unsichere, aber mögliche Lesart des Stenogramms.

43 Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl», Lon­don 1871.

Ernst Haeckel, 1834-1919. Vgl. u. a. »Die Welträtsel. Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie», Bonn 1899.

44 Emil Du Bois-Reymond, 1818-1896. Vgl. »Darwin versus Galiani», Rede in der öffentlichen Sitzung der königl. preuss. Akademie der Wissenschaften zur Feier des Leibnizschen Jahrestages am 6. Juli 1876, Berlin 1876.

45 liegt von Darwin noch ein drittes Buch vor: «Der Ausdruck der Gemütsbe­wegungen bei den Menschen und den Tieren», London 1872.

51 Rousseau möchte den Menschen wiederum zu dem Naturgemäßen... bringen:

Siehe seine Abhandlung über die Verderblichkeit der Bildung »Discours sur les sciences et les arts», 1750 und die Darstellung seines Erziehungsideals in «Emile, ou de l'éducation», 1762, (Siehe auch Hinweis zu S.16).

103 John Stuart Mill, 1806-1873, Hauptvertreter des modernen Empirismus

104 das Goethesche Wort: »Weil aber die Materie nie ohne Geist, der Geist nie ohne Materie existiert und wirksam sein kann, so vermag auch die Materie sich zu steigern, so wie sich's der Geist nicht nehmen läßt, anzuziehen und ab­zustoßen». «Erläuterungen zu dem aphoristischen Aufsatz «Die Natur>. Goethes Naturwissenschaftliche Schriften Bd. 2, S.64.

119 Herbert Spencer, siehe Hinweis zu S.26.

122 Karl Ludwig von Knebel, 1744-1834. Siehe «Knebels literarischer Nachlaß und Briefwechsel», hg. von Varnhagen von Ense und Mundt, 2. Aufl., Bd. 3, S.452.

128 rechnende Pferde: Siehe «Das Pferd des Herrn von Osten (Der kluge Hans). Ein Beitrag zur experimentellen Tier- und Menschen-Psychologie» von Oskar Pfungst, mit einer Einleitung von Prof. Dr. C. Stumpf, Leipzig 1907 und «Der Streit um die rechnenden Pferde», Vortrag gehalten in der Psychologischen

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Gesellschaft in München von Dr. Max Ettlinger am 27. Februar 1913 (Sammlung «Natur und Kultur«, Nr.6).

148 Ich habe... ein Memorandum ausgearbeitet: dieses ist im Wortlaut abgedruckt in «Konferenzen Dr. Rudolf Steiners mit den Lehrern der Freien Waldorf­schule in Stuttgart 1919-1924», Einleitungen-Hinweise, S. 15 f.

169 Gutachten des bayrischen Medizinalkollegiums: Wird erwähnt in »Die erste deutsche Eisenbahn» von R. Hagen, S. 45. Die Existenz eines solchen Gutach­tens wird heute jedoch bestritten.

173 der preußische Schulmeister habe... den Sieg davongetragen: Ausspruch von Oskar Peschel, Professor für Erdkunde in Leipzig in seinem Aufsatz «Die Lehren der jüngsten Kriegsgeschichte», vom 17. Juli 1866.

182 ich habe mein Leben in diesem kindlichen Alter in einer kleinen Eisenbahnsta­tion zugebracht: Siehe «Mein Lebensgang», Bibl.-Nr. 28, Gesamtausgabe Dorn­ach 1962.

191 Lorenz Oken, 1779-1851, stellte in seinem «Lehrbuch der Naturphilosophie» (3 Teile, 1808-1811, 3. Aufl. 1843) ein alle Naturreiche umfassendes System dar. - Das Zitat konnte bisher nicht aufgefunden werden.

212 «Nature's proceeding in the social phenomena>: auch als Notiz zu diesem Vor­trag in Dr. Steiners Notizbuch, doch ohne weitere Anmerkungen; wahrschein­lich ist dies ein Hinweis auf die damals populär werdenden Erziehungsgedan­ken von John Dewey, 1859-1952 und dessen Schriften «Democracy and Edu­cation» 1916 und »Human Nature and Conduct» 1922.

213 der Schweizer Vogt: Karl Vogt, 1817-1895, einer der Hauptvertreter des Ma­terialismus im 19. Jahrhundert. «Köhlerglaube und Wissenschaft», Gießen 1855, «Vorlesungen über den Menschen, seine Stellung in der Schöpfung und in der Geschichte der Erde», Gießen 1863, 2 Bde.

224 «Grau, teurer Freund, ist alle Theorie»: Mephistopheles in Goethes «Faust« I, Studierzimmer: Schülerszene.

249 die Goethe-Biographie von Lewes: George Henry Lewes, 1817-1878, »The Life and Works of Goethe», London 1855, 2 Bde.; deutsch von J. Frese, Stutt­gart 1857.

250 Ich hatte . .. mit einer deutschen Frauenrechtlerin . .. ein Gespräch: Konnte nicht ermittelt werden.

John Milton, 1608-1674, »Paradise lost», 1667; ein in reimlosen Jamben ge­dichtetes Epos in zwölf Gesängen (verschiedene deutsche Übersetzungen).

253 Augustinus, 354-430. «De quantitate animae»; vgl. dazu «Geschichte des Idealismus» von Otto Willmann, Band II, Braunschweig 1896, § 63,2, S. 262.

264 Pompadours: kleine, bestickte Strick- und Arbeitsbeutel mit Schlaufe für Da­men; genannt nach der Marquise de Pompadour, Palastdame am Hofe Lud­wig XV.

268 Jeremy Bentham, 1748-1832, Begründer der Nützlichkeitsphilosophie oder Utilitarismus.

364

295 Herbert Spencer, siehe Hinweis S. 26.

296 Wladimir Solowiow, 1853-1900. Siehe die Einleitung der Schrift «Die geisti­gen Grundlagen des Lebens>« im ersten Band der ausgewählten Werke, aus dem Russischen übersetzt von Harry Köhler, Jena 1914, S. 7 ff.

302 «Liebe deinen Nächsten ...>:3. Mose 19,18; Markus 12,31.

304 «Der Mensch ist ein Abbild . . .>: 1. Mose 1,27.

308 Ende der achtziger Jahre erschienenes Buch> «Luz Mundi»: A series of studies in the religion of the incarnation, edited by Charles Gore; London 1889, Neu­auflage 1913.

309 Puritanismus: Ergänzung vom Herausgeber. In der Maschinenübertragung steht «Positivismus«; im Stenogramm sind beide Lesearten möglich.

312 da eine Anzahl von Fragen eingelaufen ist: Die Wortlaute der Fragen sind nicht mitstenographiert worden.

319 dann ist das der Fall: gemeint ist, daß dann eintritt, was der Fragesteller be­schrieben hatte.

323 von mir wurden meine volkspädagogischen Vorträge gehalten: Rudolf Steiner bezieht sich hier auf die Vorträge in Stuttgart vom ii. und 18. Mai und 1. Juni 1919. Sie sind abgedruckt in dem Band «Geisteswissenschaftliche Behandlung so­zialer und pädagogischer Fragen«, Bibl.-Nr. 192, Gesamtausgabe Dornach 1964.

330 Anatol Wassiliewitseh Lunatscharski, 1875-1933, russischer Schriftsteller und Politiker; von 1917-1929 Volkskommissar für Volksaufklärung.

332 warum . . . die Bewegung nach der Drei gliederung des sozialen Organismus not­wendig ist: Siehe Hinweise zu Seite 17.

lch habe in diesen Tagen . . . aufmerksam gemacht, wie Bismarck: im Vortrage vom 1. Januar 1922 in »Alte und neue Einweihungsmethoden», Bibl.-Nr. 210, Gesamtausgabe Dornach 1967, S. 22 f.

Fürst Otto von Bismarck, 1815-1898.

Maximilian Marie Isidor Rohes pierre, 1758-1794.

ich war durch Jahre Lehrer an der Berliner Arbeiterbildungsschule: von 1899-1904; siehe «Mein Lebensgang«, Kap. XXVIII; Bibl.-Nr. 28, Gesamtausgabe

Dornach 1962.

335 wurde ich als Erzieher in eine Familie gerufen: Auf Empfehlung von Prof. Karl Julius Schröer war Rudolf Steiner vom 10. Juli 1884 bis zum 29. Sep­tember 1890 im Hause des Baumwollagenten Ladislaus Specht in Wien als Erzieher von dessen vier Söhnen Richard, Arthur, Otto und Ernst tätig. Siehe «Mein Lebensgang«, Kap. VI.

338 Dr. Karl Schubert, 1881-1949, Waldorflehrer, der die Hilfsklasse führte.

344 so werden gerade durch diese Interpretation diese Tabeserkrankungen ganz besonders erklärlich: Daß hier die Tabes dorsalis als Beispiel erwähnt wird,

365

gründet sich wahrscheinlich auf einen älteren Begriff dieser Krankheit. Sie ist nicht in dem Sinne zu nehmen, wie ihn die neuere Diagnostik definiert hat. Denn im engeren Sinne ist die Tabes gerade die Krankheit, die anerkannter­maßen nur die sensiblen Elemente des Nervensystems befällt. Die Interpreta­tion Dr. Steiners trifft hier zweifellos zu, sie ist aber in diesem Falle gar nicht bestritten, weil die sog. motorischen Nerven auch nach den aus der äußeren Be­obachtung stammenden Daten von der Krankheit nicht betroffen sind. Es muß aber aus diesem und anderen Zusammenhängen angenommen werden, daß »Tabes» hier in einem umfassenden Sinne gemeint ist für alle Erkrankungen, die Bewegungsstörungen zusammen mit Rückenmarksveränderungen aufwei­sen, also auch alle sog. myelitischen Prozesse. Für diese wäre die Darstellung Dr. Steiners, wonach auch hier nicht ein motorisches Element, sondern die innere Wahrnehmung ausgeschaltet ist, in der gemeinten Weise problematisch

und fruchtbar. Dr. med. W. Bopp

346 das Huzleysche Lehrbuch der Physiologie: Thomas H. Huxley »Grundzüge der Physiologie«, neu bearbeitet von Dr. I. Rosenthal; 4. verb. Aufl., Ham­burg und Leipzig 1910.

349 Die intensive Melodie: Siehe dazu die Fragenbeantwortung vom 29. Septem­ber 1920 im Band »Das Wesen des Musikalischen und das Tonerlebnis im Men­schen», Bibl.-Nr. 283, Gesamtausgabe Dornach 1969 und den Vortrag vom 21. Februar 1924 in »Eurytlssnie als sichtbarer Gesang», Bibl.-Nr. 278, Ge­samtausgabe Dornach 1956.

den Entdeckungen . . . der Miß Schlesinger: Kathleen Schlesinger, «The greek Aulos», 1939. 350 Die Heileurythmie ist . . . ausgearbeitet worden beim letzten Ärztekursus: Während des zweites Kurses für Ärzte und Medizinstudierende vom 11.-18. April 1921 (s. Hinweis zu Seite 20) entwickelte Rudolf Steiner in sechs Vor­trägen eine besondere therapeutische Eurythmie, die von dazu ausgebildeten Heileurythmistinnen in Zusammenarbeit mit den Ärzten ausgeübt wird. -»Heileurythmie», acht Vorträge, Dornach 12.-18. April 1921 und Stuttgart 28. Oktober 1922, Bibl.-Nr. 315, Gesamtausgabe Dornach 1966.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.