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Tief christlich schließt Goethes Lebensgedicht. An diese aphoristi-schen Bemerkungen - solche sollten es sein - werden wir dann im folgenden anknüpfen.  
Tief christlich schließt Goethes Lebensgedicht. An diese aphoristi-schen Bemerkungen - solche sollten es sein - werden wir dann im folgenden anknüpfen.  
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= DAS REICH DER MÜTTER. DIE MATER GLORIOSA Dornach, 16. August 1915 =
= DAS REICH DER MÜTTER. DIE MATER GLORIOSA Dornach, 16. August 1915 =
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DAS REICH DER MÜTTER. DIE MATER GLORIOSA
Dornach, 16. August 1915
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Blicken wir zurück in eine frühere Szene des zweiten Teiles von Goethes «Faust», in die Szene, die ich in manchem Zusammenhange schon öfters erwähnt habe, wo es Faust möglich gemacht werden soll, mit Helena sich zu vereinigen. Wie wird innerhalb der ganzen Faust-Dichtung diese Möglichkeit der Vereinigung des Faust mit Helena dargestellt?
Blicken wir zurück in eine frühere Szene des zweiten Teiles von Goethes «Faust», in die Szene, die ich in manchem Zusammenhange schon öfters erwähnt habe, wo es Faust möglich gemacht werden soll, mit Helena sich zu vereinigen. Wie wird innerhalb der ganzen Faust-Dichtung diese Möglichkeit der Vereinigung des Faust mit Helena dargestellt?
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Seele, unser Gemüt, unser Herz durchgemacht hat, viel mehr wert als das bloße Wissen, daß die seligen Knaben sagen, sie wären nicht mit Lebechören vereinigt. Nicht das Freuen an dem Geistreichen der Idee soll es sein, das uns ergreift, sondern das Erfreuen, daß die Welt so aus dem Geistigen herausgewoben ist, daß im Menschenherzen des Geistes Walten so hereinwirkt, daß solches Schaffen in der geistigen Entwicke­lung der Menschheit leben kann.  
Seele, unser Gemüt, unser Herz durchgemacht hat, viel mehr wert als das bloße Wissen, daß die seligen Knaben sagen, sie wären nicht mit Lebechören vereinigt. Nicht das Freuen an dem Geistreichen der Idee soll es sein, das uns ergreift, sondern das Erfreuen, daß die Welt so aus dem Geistigen herausgewoben ist, daß im Menschenherzen des Geistes Walten so hereinwirkt, daß solches Schaffen in der geistigen Entwicke­lung der Menschheit leben kann.


= WEISHEIT - SCHÖNHEIT - GÜTE. MICHAEL - GABRIEL - RAPHAEL Dornach, 19. August 1916 =
= WEISHEIT - SCHÖNHEIT - GÜTE. MICHAEL - GABRIEL - RAPHAEL Dornach, 19. August 1916 =

Version vom 27. Oktober 2023, 18:18 Uhr

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE ÜBER KUNST

Faust, der strebende Mensch

Geisteswissenschaftliche Erläuterungen zu
Goethes «Faust»

Band I

Vierzehn Vorträge, gehalten in Berlin am 17. Dezember 1911
und in Dornach vom 4. April 1911 bis 11. September 1916,
mit einem öffentlichen Vortrag in Straßburg am 23. Januar 1910
Vorwort von Marie Steiner

GA 272

1981

Inhaltsverzeichnis


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VORWORT von Marie Steiner

Die hier gedruckten Vorträge waren für den Sprecher und die Zuhörer unmittelbares Erleben, hervorgehend aus der dramatisch-eurythmischen Darstellung von Szenen aus Goethes «Faust», die alle Kräfte der Mitwirkenden, von der Erarbeitung an des Verständnisses für die gegebe­nen Rätsel bis zur Herstellung jeder szenischen Einzelheit, in Tätigkeit brachte. Die Verstandesarbeit war nur die Brücke zum Erfassen der durch Rudolf Steiner hier erschlossenen wesenhaften Wirklichkeit, die hinter den Geheimnissen dieses Werkes steht und sich Wege des Aus­drucks sucht, für welche die bisher bekannten künstlerischen Mittel nicht mehr genügen. In der Eurythmie hatte Rudolf Steiner eine Ausdrucksmöglichkeit geschaffen, durch welche das Element des Übersinnlichen seine eigene Sprache sprechen kann: die Sprache der Bewegung, welche die Ausdrucksform jener Welten ist, die nicht bis zum Physischen hinab sich verhärtet haben. Geheime Naturgesetze können wieder zur Offen­barung kommen durch das Medium einer neuen Kunst. Und in seiner Weisheit vom Menschen, in seiner Wissenschaft von der Initiation hat Rudolf Steiner das Tor geöffnet, durch welches wir den Zugang finden können zu jenen Gebieten, in welche die Faust-Dichtung uns immer wieder hineinversetzt, und die uns doch durchweg als Phantasmagorie erscheinen müssen, wenn wir nicht den Schlüssel handhaben können, der jenes Tor eröffnet. Wer versteht denn den «Faust»? Kommentare, gelehrte Betrachtungen können uns hierbei nicht helfen. Sie tun wenig mehr als den Geist erschweren, ja ersticken, der durch die Dichtung zu uns sprechen will. Wenn wir auch Schröer zu Dank verpflichtet sind, weil wir durch seine fleißigen Erklärungen manches wieder auffrischen können, was in den Schächten des Gedächtnisses sonst leicht verschwin­det, so wird man bei dieser Arbeit doch oft an Schmerzen erinnert, die man durdimacht zum Beispiel beim Lesen der «Divina Commedia>, wenn einem die Seele wie zerschlagen wird durch die Kommentare, die fast jeder schwungvollen Terzine angehängt werden: eine schwer

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zu ertragende Zergliederung ins Pedantisch-Trockene hinein. Nur ist der Abstand von Text zu Kommentar hier nicht ein so gewaltiger. Schroer tragt in sich die Wesensverwandtschaft mit Goethe und die Be­geisterung, und so wirkt seine Gelehrtenarbeit nicht so sehr vertrocknend als gewissenhaft. Man kann sie ohne Ärger beiseite legen, um dann den Text der Faust-Dichtung unmittelbar zu erleben. Dasjenige, was hinter der Dichtung steht, spricht uns zunächst an wie eine Ahnung. Es ergreift uns etwas, das keine gelehrten Kommentare erklären können, das Wort und Schall wäre, wenn es nicht tiefe Wahrheiten enthielte, die uns zunächst freilich nicht zugänglich sind. Das Rauschen von Unter-strömungen wird vernehmlich; Geheimnisse raunen an unser inneres Ohr. Man ist Schröer dankbar dafür, daß er die Stimme der Tiefe nicht ertötet hat, daß er nur geholfen hat, manches Mythologische oder Histo­rische wieder präziser uns ins Gedächtnis zu prägen. Zu den Quellen, die durch die Dichtung pulsieren, haben uns auch diese Erläuterungen nicht führen können. Die Quellen, nach denen Faust drängt, sich sehnt, so daß er das Heil seiner Seele dran wagt, sie, die ihm sein verlorenes Menschtum wieder zurückgeben sollen durch den Lebenstrank, den er aus ihnen schlürfen will, sind auch Schröer in diesem Gelehrtendasein nicht geflossen; sie haben nur seine Seele durdizittert als Sehnsucht und als moralischer Impuls. Faust, und durch ihn Goethe, schreit nach den Quellen des Lebens; es ist der Schrei auch der heutigen Menschheit, welche diesen Namen noch voll verdient, welche ihr Menschtum nicht betäubt hat durch den Lärm der Maschinen und den Druck der die See­len zermalmenden Mechanik. Sie sollte diesen Schrei in der Dichtung in seiner erschütternden Wucht wieder vernehmen, ihn in sich wühlen lassen, auf ihn reagieren. Auf der Bühne sehen wir aber gewöhnlich einen blasierten Faust, der uns irgend etwas vorredet, was sehr abstrakt klingt und ihn nicht stark in seinen Tiefen berührt, nur mit unendlicher Langeweile und Ekel erfüllt, die ihn zuletzt zur Flasche mit der brau­nen Flüssigkeit greifen lassen; das macht ihn dann etwas sentimental. Eine reale Beziehung zu dem Erlebnis mit dem Erdgeist hat man kaum empfinden können. Dann spielt sich noch ein Stückchen nicht recht fun­dierter unrealer Sagenromantik auf der Bühne ab, mittelalterlicher Spuk - und so recht lebendig wird Faust erst, wenn es ums Gretchen

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geht; da weiß er, woran er ist. Sein Spiel mit ihr dauert aber nicht lange. Er muß wieder hinein in spukhafte Romantik. Es folgt dann wohl etwas Reue beim Anblick des wahnsinnig gewordenen Gretchens im Kerker. Aber er vergißt rasch und wacht auf, erfrischt und gestärkt, auf blumi­ger Wiese.

Wie sich hier erschütternde Wirklichkeit und toller Aberglaube zu einer Gesamtwirkung von unentrinnbarer Größe vereinigen, darüber wird wenig nachgedacht. Freilich ist das Menschliche in dieser Gretchen-Tragödie so packend zum Ausdruck gebracht, daß dies genügt, um der Dichtung dauernden Wert zu geben, auch wenn man das andere, das eigentlich Treibende in Faust, nur als Zutat empfindet. Da aber die Zutaten an Umfang die Gretchen-Episode weit überragen, wenigstens beim Lesen des Werks, wo man nicht nach Belieben kürzt oder streicht wie bei der Bühnendarstellung, so kann man immerhin erstaunt sein, daß sich die Dichtung so durchgesetzt hat, und man ihr den hohen kultu­rellen Wert zuerkennt, der sie unter den Schätzen deutschen Geistes an erste Stelle hebt. Die Funken, die aus den feingeschliffenen Gedanken­demanten nur so sprühen, die überall in den Dialogen mit Mephisto und in den Selbstgesprächen Fausts uns entgegenblitzen, sie haben, neben dem Blütenzauber und dem Leide Gretchens, in ihrer Farbigkeit und Lichtkraft genügt, um die ganze Dichtung vor der Vergessenheit zu retten, trotzdem Goethe selbst gesagt hat, daß sein «Faust» nicht popu­lär werden könne: es wäre zu viel hineingeheimnißt.

Und mit dieser Tatsache haben wir zu rechnen. In die tiefen Schächte der Gedankengänge Goethes, seiner Ahnungen und Intuitionen, in die Welt jener Imaginationen, aus der heraus die feingeschliffenen Worte ihren Bilderreichtum und Ewigkeitswert erhalten haben, konnte vor Rudolf Steiner niemand hineinführen. Er erst macht es uns möglich, tiefer hineinzusteigen in jene Schichten seelenbildenden Menschenge­schehens, aus denen die Erkenntnisse von heute ihre Substanz her­leiten. Sie geben gleichsam die Kohle her, aus welcher durch Metamor­phose der Demant entsteht. Und wie die Kohle nicht zum Demanten werden könnte, wenn nicht in ihr der Strahl der Sonne eingefangen und geborgen wäre, so erhält auch der Gedanke sein Licht von der dem Urbild zugrunde liegenden geistigen Sonne.

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Den Weg in diese tiefen Schächte des werdenden Geschehens, den Weg zu den «Müttern», hat uns Rudolf Steiner erschlossen. Nicht, wie der «Faust», den Goethe geschaffen hat, und wie der Faust der Sage, sollen wir diesen Weg suchen mit den Mitteln einer mittelalterlichen Okkultistik, die sich schon damals überlebt hatte, als an der Schwelle der Neuzeit faustische Gestalten kämpften zwischen übernommenen, dekadent gewordenen alchimistischen Forschungsmethoden und neu aufkommender exakter Naturwissenschaft. Man arbeitete an jener Wende des Zeitalters mit vielfach abirrenden, trüben Mitteln, um zu des Lebens Geheimnissen durchzudringen: mit verblichenen Zauber-formeln, mit Beschwörungsexperimenten, mit Mediumismus, Hypnose, Tinkturen und Salben, die auch die heutigen Experimentalpsychologen locken würden zur Bereicherung ihrer Wissenschaft. Rudolf Steiner hat uns andere Wege gewiesen, um zu des Lebens Quellen zu gelangen: die Wege des reinen Gedankens, der moralischen Selbsterziehung, der wissenschaftlichen und künstlerischen Arbeit, der freien Ich-Betätigung im Dienste der Menschheit. Doch war die Vorbereitung dazu nötig durch das, was in der Zwischenzeit geschehen ist: der Verzicht auf die letzten Reste atavistischen Hellsehens von seiten der vorgeschrittenen europäischen Menschen, das Untertauchen in die Grenzen der Natur­wissenschaft, die Eroberung der Technik, die zeitweilige Abschnürung der Persönlichkeit von ihrem geistigen Urquell. Nun stehen wir vor einem andern Wendepunkt. Wir sind im Begriff, die Persönlichkeit zu verlieren, den Menschen von der Mechanik ertöten zu lassen. Die Kraft des Denkens muß uns zu unserer Seelenhaftigkeit zurückführen, zum Ergreifen der bildhaften Anschauung, zum Verstehen der Geistigkeit, die in uns waltet und allen Erscheinungen des Lebens zugrunde liegt. Im Ringen um das höchste Ziel kann uns die Gestalt des Faust, wie Goethe sie hingestellt hat, Beispiel und Ansporn werden. Und wir brauchen nicht mehr uns verlocken zu lassen durch die Abirrungen mittelalterlicher Zauberei. Es wird uns in der Geisteswissenschaft ein sicherer Erkenntnisweg gewiesen.

Die Tragik der mittelalterlichen, an der Schwelle der Neuzeit ste­henden Okkultisten bestand darin, daß sie durch die Überlieferung der Geheimschulen noch wußten von dem realen geistigen Verkehr der

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höchstentwickelten Menschen mit den Intelligenzen des Kosmos, aber auch wußten, daß für sie dieser Weg nun verschlossen war. Sie konnten nicht weiter gelangen als bis zu dem Verkehr mit den Kräften des Zwischenreichs. Eine allmähliche Verdüsterung, ein Abbiegen von den strengen Wegen geistiger Forschung war oft die Folge dieses Experi­mentierens mit der Retorte und mit den Kräften der Elemente und ihrer Wesenhaftigkeiten. Das Streben verirrte sich, griff im Verdursten zu den Mitteln der Verzweiflung, jagte nach Gaukelbildern. In diesem Sinne haben wir zu verstehen dasjenige, was die Seele des Faust durch-wühlt. Doch lag in der Intensität des Strebens dieser Forscher eine Kraft, die Ich-weckend war. Ihr Bewußtsein öffnete sich durch das Leid immer mehr den wachen Impulsen des Ich; durch die Eroberung der Materie hindurch strebte der Mensch dem Zentrum seines Wesens entgegen, in dem er sich selbst würde finden können, das ihn zum Leben im Geist zurückbringen konnte. In der kleineren Kuppel des verbrannten Goetheanum, in welcher Rudolf Steiner die Repräsentanten der ver­schiedenen Kulturepochen der Menschheit in Bild und Farbe hat er­stehen lassen, sah man in verschwebendem dunklem Blau auch diese Gestalt des Faust, des ernsten Alchimisten an der Schwelle vom Mittel­alter zur Neuzeit, in sinnender Gebärde und tiefen Blicks die Rechte zum Antlitz hebend, hinter deren beredter Fingergeste das Siegelwort «Ich» erscheint; ihm die Hände entgegenstreckend schwebt heran in engelartiger Kindesgestalt das werdende höhere, das geistige Ich des Menschen. Unter ihm ragt der Knochenmann, das Skelett, der andere Pol des menschlichen Ich; über der Gestalt des Faust neigt sich zu ihm hin der ihn inspirierende Genius.

Wir können nicht aus kurzgeschürzten Voraussetzungen heraus an das Verständnis des «Faust» herantreten, wir müssen Blickweite gewin­nen. Die hier gebrachten Vorträge geben uns Unterlagen zum Ver­ständnisse des «Faust». Sie sind keine in dem Gelehrtenzimmer ver­faßten Kommentare, sondern eine Einführung in die Gebiete der Geisteswissenschaft an Hand eines von ihnen inspirierten Dichterwerks, dessen Geheimnisse erst durch diese Geisteswissenschaft ihre rechte Be­leuchtung finden. Auf anderen Wegen dringt man nicht durch zum Kern des Faust-Problems. Und erst dann wird diese größte Dichtung

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des deutschen Geistes populär werden können, wenn die Geisteswissen­schaft ebensosehr das Kulturleben des Volkes durchdringen wird, als es die Naturwissenschaft in den letzten Jahrhunderten getan hat.

Gewiß kann man manches einwenden gegen die Veröffentlichung eines solchen Buches, das wie aus Bruchstücken besteht. Die Erläute­rungen wurden von Fall zu Fall gegeben, je nachdem es die Arbeit am Goetheanum mit sich brachte; es wurden jene Szenen dargestellt, in denen Faust mit den Geheimnissen des Daseins ringt und in das über­sinnliche Erleben hineinrückt. Gespielt wurde in der großen Schreinerei des Goetheanum, in welcher auch die Säulen des verbrannten Baues hergestellt wurden, unter primitiven Verhältnissen, aber mit dem Be­streben, das herauszuarbeiten, was als geistige Wirklichkeit der Dich­tung zugrunde liegt. Zur Wiedergabe jener Szenen, die in den über­sinnlichen Welten spielen, sei es in der Ober- oder Unterwelt, fand sich als geeignetes Mittel die im Goetheanum gepflegte Bewegungskunst der Eurythmie. Es war, als ob die Faust-Dichtung auf diese Ausdrucksform gewartet hätte, um auf der Bühne ganz lebendig zu werden, um das sonst Unaussprechbare in künstlerische Wirklichkeit überzu führen. Was sonst abstrakt und konventionell-schablonenhaft geblieben wäre, fand in der Eurythmie die ihm angemessene lebensvolle Sprache. Helfend und ratend in jeder Einzelheit der Wiedergabe stand Rudolf Steiner den Darstellern zur Seite. Unser Leid besteht darin, daß es unter den damals herrschenden Verhältnissen nur zu Teilaufführungen kommen konnte. Sie dienen uns aber als Leitfaden zum Erfassen des Ganzen. Deshalb dürfen wir auch diese Gabe nicht ängstlich nur einem kleinen Kreise vorbehalten. Wir müssen unsern Zeitgenossen und der Zukunft weitergeben, was wir hier zur Erkenntnisbildung erhalten haben. Sind es auch leider nur mangelhaft nachgeschriebene Vorträge, die einer un­mittelbar gegebenen Situation entspringen, so liegt in ihnen doch das, was kein anderer geben kann, und was die Menschheit zu ihrem Heile fördern wird. Aus dem größten Werke der deutschen Dichtkunst, das zugleich weltanschauungsbildend wirken will, sollte das Volk, das seine Aufgabe in der Eroberung des Geistigen hat, die Impulse schöpfen können, die ihm zu seiner schweren Aufgabe Kraft und Mut geben.

1931

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GOETHES «FAUST» VOM GEISTESWISSENSCHAFTLICHEN STANDPUNKT Öffentlicher Vortrag, Straßburg, 23. Januar 1910

Die Geisteswissenschaft, die in die moderne Kulturströmung sich hin­einleben will, will nichts Neues sein und unterscheidet sich gerade da­durch von vielerlei auftretenden Weltanschauungen und sonstigen Geistesrichtungen, die glauben, dadurch, daß sie behaupten, über diese oder jene Frage des Geisteslebens etwas Neues zu bringen, ihre Daseins-berechtigung darlegen zu können. Demgegenüber soll dasjenige, was man Geisteswissenschaft nennt, betonen, daß die Quellen ihrer Erkennt­nisse und ihres Lebens zu allen Zeiten, da Menschen gedacht, Menschen gestrebt haben nach den höchsten Fragen und Rätseln des Daseins, in derselben Weise vorhanden waren. Das durfte ich schon öfters betonen auch in dieser Stadt, als ich die Ehre hatte, in früheren Vorträgen zu sprechen.

Es muß nun ganz besonders reizvoll sein, von diesem Gesichtspunkte aus nicht nur die verschiedenen Religionsbekenntnisse, die verschiedenen Weltanschauungen, wie sie aufgetreten sind in der Entwickelung der Menschheit, zu betrachten, sondern auch Persönlichkeiten, die uns nahe­stehen, einmal von diesem Gesichtspunkte aus anzusehen. Denn soll etwas wahr sein in der Geisteswissenschaft, dann muß wenigstens ein Kern dieser Wahrheit sich finden bei all denjenigen, die ehrlich und energisch nach Erkenntnis und nach dem menschenwürdigen Dasein gestrebt haben.

Wenn nun heute von Geisteswissenschaft die Rede ist, dann machen sich von der einen oder andern Seite die mannigfaltigsten Urteile gel­tend, und derjenige, der nicht tiefer eingedrungen ist in das entspre­chende Gebiet, der sich aus diesen oder jenen Vorträgen oder Broschüren eine oberflächliche Kenntnis verschafft hat, wird je nach seinem Stand­punkt diese Geisteswissenschaft ansehen als Phantasterei oder Träume­rei einiger weltfremder Menschen, die sich kuriose Vorstellungen machen über das Leben und seine Untergründe. Es muß durchaus zugegeben

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werden, daß, wenn man nicht genauer zusieht, ein solches Urteil begreif­lich erscheinen kann, denn obzwar heute davon nicht die Rede sein kann, da wir ein spezielles Thema zur Voraussetzung haben, so soll doch hingewiesen werden auf einige der hauptsächlichsten Erkenntnisse dieser Geisteswissenschaft. Und schon, wenn diese genannt und charak­terisiert werden, wird sich auf eine ganz ehrliche Weise bei unseren Zeitgenossen das Gefühl regen können: Ach, was ist denn das für ein kurioses Zeug!

Im Ganzen beruht ja Geisteswissenschaft, wenn sie ernst genommen wird, darauf, daß vorausgesetzt wird: dasjenige, was uns in der sinn­lichen Welt umgibt, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können, mit dem Verstande begreifen können, der an unsere Sinne gebunden ist, das ist nicht die ganze Welt, sondern hinter alldem, was sinnlich ist, liegt eine geistige Welt. Und diese geistige Welt ist nicht in einem unbestimmten Jenseits, sondern sie ist immer um uns herum, so wie die Farben- und Lichterscheinungen auch um den Blindgeborenen herum sind. Dazu aber, daß wir von etwas wissen, was um uns herum ist, gehört, daß wir ein Organ haben, um es wahrzunehmen. Und so wie der Blindgeborene Farbe und Licht nicht sehen kann, so kann auch in der Regel der Mensch in unserem Zeitalter mit seinen normalen Fähig­keiten die geistigen Tatsachen und Wesenheiten nicht wahrnehmen, die um uns herum sind. Wenn wir aber das Glück haben, einen Blind­geborenen zu operieren, dann gibt es für ihn den Augenblick der Er­weckung des Auges, und was für ihn nicht da war, Licht und Farben, das flutet nun herein in sein Inneres. Das ist für ihn eben von seiner Operation ab eine wahrnehmbare Welt. So gibt es auf geistigem Gebiet eine höhere Erweckung, jene Erweckung, durch die ein Mensch ein Eingeweihter wird in die geistige Welt. Um mit Goethe zu sprechen: es gibt geistige Augen und Ohren, nur sind die Menschenseelen in der Regel nicht so weit, sie gebrauchen zu können. Wenn wir aber die Mittel und Methoden anwenden, durch die diese Kräfte zum Dasein kommen, dann geht etwas in uns vor auf einem höheren Gebiet wie für einen Blindgeborenen, der operiert wird, und dem dann hereinflutet die Welt der Farben und des Lichtes. Da wird der Mensch, wenn ihm geöffnet werden Augen und Ohren, ein Erweckter. Eine neue Welt ist um ihn

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herum, eine Welt, die immer da war, die er aber nur von dem Moment der Erweckung an wahrnehmen kann. Dann aber, wenn der Mensch so weit ist, lernt er verschiedene Erkenntnisse sich zu eigen zu machen, Erkenntnisse, welche das Leben aufhellen, Erkenntnisse, welche uns Kraft und Sicherheit für unser Arbeiten geben können, welche uns möglich machen, in das Wesen der Menschenbestimmung und in die Geheimnisse des Schicksals hineinzusehen.

Und nur vorbereitend soll eine dieser Erkenntnisse besprochen wer­den, eine von jenen Erkenntnissen, die, wenn nicht verrückt, so doch absonderlich und träumerisch dem heutigen Menschen oftmals vor­kommen müssen. Es ist die Erkenntnis, die nichts anderes ist als eine Belebung eines uralten Erkenntnisvorganges, seine Fortsetzung auf höherem Gebiet, eine Wahrheit, welche für ein niedrigeres Gebiet vor verhältnismäßig kürzerer Zeit erst errungen worden ist. Die Menschheit hat im allgemeinen für große Ereignisse der geistigen Welt ein kurzes Gedächtnis, und deshalb denkt man heute so wenig daran, daß im 17. Jahrhundert nicht nur Laien, sondern selbst Gelehrte daran geglaubt haben, daß aus Flußschlamm niedere Tiere, ja sogar Würmer und Fische sich entwickeln würden. Der große Naturforscher Francesco Redi war es, der zuerst darauf aufmerksam machte, daß kein Regenwurm, kein Fisch aus dem toten Flußschlamm herauswächst, wenn nicht vorher ein Regenwurm-, ein Fischkeim darinnen ist. Er hat den Satz ausgespro­chen, daß Lebendiges nur von Lebendigem kommen kann, und daraus erkennt man, daß es nur eine ungenaue Betrachtungsweise ist, wenn man glaubt, es könne aus dem leblosen Flußschlamm herauswachsen das Lebendige eines Fisches oder Wurmes. Genauere Betrachtung zeigt, daß wir zurückgehen müssen zu dem lebendigen Keim, und daß dieser lebendige Keim nur aus seiner Umgebung die Kräfte heranziehen kann, die da sind, um das zur größten Entfaltung zu bringen, was Lebendiges im Keime ist.

Das, was Redi gesagt hat, daß Lebendiges sich nur aus Lebendigem entwickelt, das gilt heute in der Wissenschaft als etwas Selbstverständ­liches. Als Redi damals den Satz ausgesprochen hat, entging er nur mit knapper Not dem Schicksale des Giordano Bruno. So geht es mit der Entwickelung der Menschheit. Erst muß eine solche Wahrheit so errungen

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werden, daß diejenigen, die sie zuerst aussprechen, verketzert wer­den, dann wird sie zur Selbstverständlichkeit, zum Gemeingut der Menschheit. Das, was Redi für die Naturwissenschaft getan hat, das soll für den Geist durch die Geisteswissenschaft heute geschehen dadurch, daß jener Satz, den Redi ausgesprochen hat für die Naturwissenschaft, übertragen wird aus den Erkenntnissen des erweckten Geistesauges und Geistesohres heraus auf das seelische Gebiet. Und da heißt dieser Satz: Geistig-Seelisches kann nur aus Geistig-Seelischem entstehen. - Das heißt, es ist eine ungenaue Betrachtungsweise, wenn wir einen Menschen ins Dasein treten sehen, zu glauben, daß alles, was ins Leben tritt, bloß aus Vater und Mutter und den Vorfahren herstammt. So wie wir zurückgehen müssen beim entstehenden Regenwurm zum lebendigen Regenwurmkeim, so müssen wir von dem Menschen, der sich heraus-entwickelt aus dem Keim zu einem bestimmten Wesen, zurückgehen zu einem früheren geistigen Dasein und müssen uns klar sein, daß dieses Wesen, das durch die Geburt ins Dasein tritt, von seinen leiblichen Vorfahren nur heranzieht die Kraft zu seiner Entfaltung, wie der Regenwurmkeim die Kraft aus der leblosen Umgebung heranzieht. Und in entsprechender Ausdehnung wird dieser Satz: Lebendiges kann nur aus Lebendigem kommen -, zu dem andern Satze: Das gegenwärtige Leben, das durch die Geburt ins Dasein tritt, führt nicht nur zu phy­sischen Ahnen zurück, sondern führt durch die Jahrhunderte zurück auf ein früheres Geistig-Seelisches. - Und wenn Sie sich tiefer darauf einlassen, werden Sie sehen, daß ganz wissenschaftlich gezeigt wird, daß es nicht nur ein, sondern wiederholte Erdenleben gibt, daß das, was jetzt zwischen Geburt und Tod in uns ist, die Wiederholung eines Geistig-Seelischen ist, das schon in früheren Daseinsstufen da war, und daß unser jetziges Leben wiederum der Ausgangspunkt für folgende Leben ist. Geistig-Seelisches kommt von Geistig-Seelischem, geht zu­rück auf Geistig-Seelisches, das da war vor der Geburt, das aus der geistigen Welt heruntersteigt und sich in physischen Verkörperungen auslebt. Wir sehen jetzt ganz anderes, wenn wir zum Beispiel als Er­zieher gegenüberstehen einem Kinde, das stufenweise die Kräfte ent­faltet. Wir sehen bei der Geburt, wie ein Unbestimmtes auf seinem Antlitze ist, wie aus seinem Inneren heraus immer bestimmter und bestimmter

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sich entfaltet, was nicht aus der Vererbung stammt, sondern was aus früheren Leben kommt. Wir sehen, wie dieses Zentrum des Geistig-Seelischen durch die Talente von der Geburt an immer weiter und weiter sich entfaltet.

Das hat heute Geisteswissenschaft zu sagen in bezug auf die wieder­holten Erdenleben. Es mag heute eine Träumerei sein, wie es als eine Träumerei galt, was Francesco Redi im 17. Jahrhundert sagte. Aber was heute als Träumerei gilt, wird eine Selbstverständlichkeit werden in nicht gar zu ferner Zeit, und der Satz: Geistig-Seelisches kommt von Geistig-Seelischem -, wird Allgemeingut der Menschheit werden.

Heute behandelt man die Ketzer nicht mehr so wie früher. Man liefert sie nicht mehr dem Scheiterhaufen aus, aber man betrachtet sie als Toren und Träumer, die aus beliebiger Phantasie heraus sprechen. Man macht sie lächerlich und setzt sich auf den hohen Stuhl der Wissen­schaft und sagt, das sei mit wirklicher Wissenschaft nicht vereinbar, nicht wissend, daß es die wahre, echte Wissenschaft ist, die diese Wahrheit fordert. Und nun können wir hundert und hundert solcher Wahrheiten anführen, die uns zeigen würden, wie Geisteswissenschaft das Leben beleuchten kann, indem sie zeigt, daß ein unsterblicher Wesenskern im Menschen liegt, der durch den Tod in die geistige Welt zieht, und wenn er seine Bestimmung daselbst erfüllt hat, wiederum zurückkehrt ins physische Dasein, um neue Erfahrungen zu sammeln, die er dann wie­derum durch den Tod hinaufträgt in geistige Welten. Wir würden sehen, wie die Bande, die geschlungen werden von Mensch zu Mensch, von Seele zu Seele auf allen Gebieten des Lebens, jene Züge des Herzens, die von Seele zu Seele gehen, die sonst nicht zu erkjären sind, erklärt werden können dadurch, daß sie geknüpft worden sind in früheren Lebensverhältnissen. Und wie das, was wir heute knüpfen an inneren Geistesbanden, nicht aufhört, wenn der Tod über das Dasein hinzieht, sondern wie das, was als Lebensbande von Seele zu Seele zieht, unsterb­lich ist wie die menschliche Seele selber, wie das mitlebt durch die gei­stige Welt hindurch und wiederum aufleben wird in andern, zukünfti­gen Erdenverhältnissen und neuen Verkörperungen. Und nur eine Frage der Entwickelung ist es, daß die Menschen sich auch erinnern werden an ihre früheren Erdenerlebnisse, an das, was sie geistigseelisch

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durchgemacht haben in früheren Erdenleben und Daseins­zuständen.

Solche Wahrheiten werden sich in nicht zu ferner Zeit als notwendige Dinge einleben in das menschliche Leben, und die Menschen werden Kraft und Hoffnung und Zuversicht gewinnen aus solchen Voraus­setzungen heraus. Heute können wir nur sehen, daß einzelne wenige Menschen in der Welt durch ihren gesunden Wahrheitssinn hingezogen werden zu dem, was geistige Forscher aus ihren Erlebnissen in der geistigen Welt heraus zu verkünden haben. Aber das, was geisteswissen­schaftliche Erkenntnisse sind, wird Gemeingut der Menschheit werden und lebt sich hinein in ernstem Wahrheitssuchen. Und diejenigen, die die Pfade ernster Wahrheitssucher gegangen sind, haben immer in all dem, was sie der Menschheit geboten haben, die großen Weistümer und Er­kenntnisse ausgestaltet, die heute die Geisteswissenschaft wiederbringt.

Ein Beispiel soll vor unsere Seele hintreten in einer Persönlichkeit, die unserem neuzeitlichen Leben nahesteht: das Beispiel Goethes, und bei ihm wiederum dasjenige, was ihn als sein umfassendstes und größtes Werk beschäftigt hat sein ganzes Leben hindurch: sein «Faust».

Wenn wir an Goethe herantreten und versuchen mit dem, was Gei­steswissenschaft geben kann, sein Streben zu beleuchten, so konnen wir eigentlich ziemlich früh anfangen. Man kann sagen, aus seiner ganzen Anlage heraus erkennt man bei Goethe, wie in ihm Seele und Geist war. Alles dasjenige, was hindrängt, hinter den Erscheinungen der sinnlichen Welt ein Geistiges zu suchen, das war in ihm eine frühe Anlage. Da sehen wir den siebenjährigen Knaben Goethe, der da hätte aufnehmen können aus seiner Umgebung gewöhnliche Vorstellungen, wie sie ein Knabe aufnehmen kann zu seiner ersten Seelenvorstellung. Das befriedigt ihn nicht; er erzählt es selber in «Dichtung und Wahr­heit». Da sehen wir, wie der siebenjährige Knabe etwas ganz Merk­würdiges beginnt, um seine Sehnsucht nach dem Göttlichen zum Aus­druck zu bringen. Er nimmt ein Notenpult aus der Sammlung seines Vaters, macht daraus einen Altar, indem er darauflegt allerlei Mine­ralien und Pflanzen und sonstige Produkte der Natur, aus denen der Geist der Natur spricht. Ahnend baut sich die Knabenseele einen Altar, stellt darauf ein Räucherkerzchen, nimmt ein Brennglas, wartet, bis

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die Morgensonne aufgeht, sammelt mit dem Brennglas die ersten Strah­len der aufgehenden Sonne, läßt sie auf das Räucherkerzchen fallen, so daß der Rauch aufsteigt. Und im spätesten Alter erinnert sich Goethe daran, wie er als Knabe dem großen Gotte der Natur, der durch Mine­ralien und Pflanzen spricht, der uns in den Sonnenstrahlen sein Feuer sendet, seine frommen Gefühle hinaufsenden will. Das wächst mit Goethe heran. Wir sehen, wie er auf einer reiferen Stufe - aber doch aus sehnender Seele heraus, wie es lebt in Goethe -, nachdem er nach Weimar kommt, vom Herzog zu seinem Ratgeber berufen wird, wie da dieses Gefühl für den Geist, der aus allen Naturwesen spricht, in dem schönen Prosahymnus zum Ausdruck kommt. Da sagt er: «Natur, wir sind von ihr umgeben und umschlungen, unvermögend, aus ihr herauszutreten, und unvermögend, tiefer in sie hineinzukommen. Un­gewarnt und ungebeten nimmt sie uns in den Kreislauf ihres Tanzes auf und treibt sich mit uns fort, bis wir ermüdet sind und ihrem Arme entfallen ... Nicht wir haben getan, was wir tun, alles hat sie getan; sie denkt und sinnt beständig, schaut mit tausend Augen in die Welt.» Und wiederum später sagt er in dem schönen Buch über Winckelmann, «Antikes»: «Wenn die gesunde Natur des Menschen als ein Ganzes wirkt, wenn er sich in der Welt als in einem großen, schönen, würdigen und werten Ganzen fühlt, wenn das harmonische Behagen ihm ein reines, freies Entzücken gewährt: dann würde das Weltall, wenn es sich selbst empfinden könnte, als an sein Ziel gelangt, aufjauchzen und den Gipfel des eigenen Werdens und Wesens bewundern.» So fühlte Goethe, wie alles, was draußen in der Natur lebt und webt, eine Auf­erstehung feiert aus der Menschenseele heraus, und wie eine höhere Natur, eine geistige Natur aus Geist und Seele des Menschen hervor­gebracht wird. Aber nur langsam ringt sich Goethe zur völligen Klar­heit in der geistigen Erkenntnis der Natur durch. Und wir sehen an nichts deutlicher und klarer, wie Goethe sein ganzes Leben ein Stre­bender war, der nicht gerastet und geruht hat, um die Erkenntnis immer wieder umzubilden, um zu höherer Stufe zu kommen, wir sehen das an nichts klarer und besser als an seinem Lebensgedicht, dem «Faust».

In frühester Jugend hatte er begonnen, alles, was seine sehnende und ahnende Seele erfüllte, in sein Gedicht hineinzulegen; und als Greis im

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spätesten Alter, kurz vor seinem Tode, hat er dieses Gedicht, an dem er über fünfzig Jahre gearbeitet und in das er das Beste seines Lebens hineingelegt hat, vollendet. Der zweite Teil lag versiegelt bei seinem Tode da wie das große Testament, das er der Menschheit zu geben hatte. Es ist ein bedeutsames Dokument. Wir verstehen dieses Doku­ment nur, wenn wir Goethe ein wenig verfolgen, wie er selber sich zur Erkenntnis durdizuringen suchte.

Da finden wir zum Beispiel den Studenten Goethe an der Leipziger Universität. Er soll eigentlich Jurist werden, aber das beschäftigt ihn nur untergeordnet. Ein unbesieglicher Drang nach den Geheimnissen der Welt, nach dem Geistigen, lebte schon dazumal in dem jungen Studenten. Deshalb tut er sich um in all dem, was Leipzig darbietet an Naturerkenntnis. Er sucht abzulauschen, was die Natur uns in ihren Erscheinungen zu sagen hat, abzulauschen der Welt die Rätsel ihres Daseins. Aber Goethe brauchte, um das, was die Naturwissenschaft ihm darbieten konnte, umzuprägen, umzuschmelzen in seiner Seele zu jenem alle Kraft seines Inneren durchlebenden und durchwebenden Drange, der nicht nach abstrakter Erkenntnis sucht, sondern nach war­mer Herzenserkenntnis, ein großes Erlebnis, ein Erlebnis, das den Men­schen wirklich zu jener Erkenntnis führt, die das Tor ist, zu dem wir ahnend hinschauen, das Tor, das zuschließt für den heutigen normalen Menschen das Unsichtbare, das Übersinnliche: das Tor des Todes. Der Tod ging am Ende seiner Leipziger Studentenzeit an ihm vorbei. Eine schwere Krankheit hatte ihn niedergeworfen, dem Tode nahegebracht. Stunden, Tage hatte er durchlebt, wo er sich sagen mußte, es könne jeden Augenblick jene geheimnisvolle Pforte durchschritten werden. Und der geheimnisvolle, ungestüme Drang des Erkennens erforderte höchsten Ernst des Erkenntnisstrebens. Mit der so ausgebildeten Er­kenntnisstimmung kehrte Goethe in seine Vaterstadt Frankfurt zurück. Da fand er einen Kreis von Leuten, an deren Spitze eine Frau stand von großer, tiefer Begabung: Susanne von Klettenberg. Goethe hat ihr ein wundersames Denkmal gesetzt in den «Bekenntnissen einer schönen Seele». Er hat gezeigt, wie in der Persönlichkeit, der er dazumal geistig so nahegetreten ist, etwas lebte, was man nicht anders zu bezeichnen vermag als dadurch, daß man sagt: In Susanne von Klettenberg lebte

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eine Seele, welche suchte, das Göttliche in sich zu fassen, um durch das Göttliche in sich das die Welt durchlebende Geistige zu finden. - Goethe wurde dazumal eingeführt durch den Kreis, dem diese Dame angehörte, in Studien, die, wenn man sie heute als so recht moderner Mensch auf sich wirken läßt, einem verrückt erscheinen. Mittelalterliche Schriften waren es, in die sich Goethe hineinlebte. Derjenige, der sie heute in die Hand nimmt, kann nichts damit anfangen. Wenn man die merkwürdi­gen Zeichen sieht, die darin sind, frägt man sich: Was soll das gegenüber dem heutigen Wahrheitsstreben der Wissenschaft? - Da wirkte ein Buch:

«Aurea catena Homeri», «Die goldene Kette des Homer». Wenn man es aufschlägt, findet man eine merkwürdige symbolische Abbildung: einen Drachen oben im Halbkreis, einen Drachen voller Leben, der angrenzt an einen andern Drachen, einen verdorrenden, in sich selber absterben­den Drachen. Allerlei Zeichen sind damit verknüpft: symbolische Schlüs­sel, zwei ineinander verschlungene Dreiecke und die Planetenzeichen. Das ist für unsere Zeitgenossen eine Phantasterei, gegenüber der heu­tigen Wissenschaft ist es eine Phantasterei, weil man nicht weiß, was man mit diesen Zeichen anfangen soll. Goethe spürt in seiner Ahnung, daß sie etwas ausdrücken, daß man etwas damit anfangen kann, wenn man sie betrachtet. Sie drücken nicht unmittelbar etwas aus, was man da oder dort finden kann in der Welt. Wenn man aber diese Zeichen auf sich wirken läßt, indem man sie sich so einprägt, daß man gleichsam taub und blind wird gegenüber seiner physischen Umgebung, nur diese Zeichen in sich wirken läßt, dann erlebt man etwas höchst Eigentüm­liches, dann erlebt man, daß die Seele in sich selber wie etwas verspürt, was früher geschlummert hat, wie ein geistiges Auge, das aufgeht. Und wenn man genügende Ausdauer hat, so ergreift man das, was man Meditation, Konzentration nennen kann, wodurch man seine Seele so zur Entwickelung bringt, daß man tatsächlich so etwas wie eine geistige Augenoperation durdimacht, durch die sich eine neue Welt erschließt. Für Goethe hat sich damals noch nicht eine neue Welt erschließen kön­nen, so weit war er noch nicht. Aber was in seiner Seele auflebte, war die Ahnung, daß es Schlüssel gibt für diese geistige Welt, daß man ein­dringen kann in diese geistige Welt. Diese Stimmung muß man sich vergegenwärtigen; die lebendige Empfindung, das lebendige Gefühl: da

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wird etwas in mir rege gemacht, wird etwas lebendig; es muß etwas geben, was in die geistige Welt hineinführt. Aber zu gleicher Zeit spürt er: er kann noch nicht hinein. Wäre Goethe jemals in seinem Leben iden­tisch gewesen mit Faust, so würden wir sagen: Goethe war in derselben Lage, in der uns Faust entgegentritt im Anfang des ersten Teiles, da, wo Faust, nachdem er studiert hat die verschiedensten Gebiete mensch-licher Wissenschaft, Bücher aufschlägt, worin solche Zeichen sind, und sich von einer geistigen Welt umgeben fühlt, aber nicht hinein kann in die geistige Welt. So fühlte sich Goethe niemals identisch mit diesem Faust: ein Teil von ihm war der Faust, er selber wuchs hinaus über das, was nur ein Teil von ihm selber war. Und so wuchs das, was in Goethe über den Faust hinausging, wuchs dadurch, daß er, keine Unbequemlichkeit

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scheuend, immer weiter und weiter strebte und sich sagte: Hin­ter die Geheimnisse des Daseins kommt man nicht im Sprung, nicht durch Beschwörungen und Formeln, sondern indem man Schritt für Schritt in geduldiger, energischer Erkenntnis das, was immer in der physischen Welt einem entgegentritt, nach und nach wirklich geistig­seelisch durchdringt. - Es ist leicht zu sagen: Es muß aufgehen in der Seele, was eine höhere Erkenntnis ist. - Aufgehen muß diese höhere Erkenntnis in der Seele, aber sie geht in wahrer Gestalt erst dann auf, wenn wir in Geduld und Ausdauer bestrebt sind, von Stufe zu Stufe kennenzulernen die wirklichen Erscheinungen der physischen Welt und dann hinter diesen Erscheinungen der physischen Welt das Geistige zu suchen. Mit dem aber, was Goethe mitnahm aus seiner Frankfurter Zeit, konnte er alles andere zusammenfassen, konnte er alles in ande­rem Lichte sehen.

Goethe kam von Frankfurt in diese Stadt, Straßburg. Wir könnten mancherlei anführen, was ihn hier höher geführt hat. Besonders charak­teristisch ist aber, wie ihm dasjenige vor die Seele trat, was hier in dieser Stadt eine so große Bedeutung hat: das Münster, der Dom. Damals stellte sich vor Goethes Seele die Idee dieses wunderbaren Baues, und er begriff, warum jede einzelne Linie so ist, wie sie ist. Er sah mit geistigem Anschauen, mit dem durch seine Frankfurter Vertiefung gewonnenen Anschauen, jedes Dreieck, jeden einzelnen Winkel dieses bedeutsamen Baues als zum Ganzen gehörig, und in seiner Seele feierte die große Idee des Baumeisters eine Wiederauferstehung, und Goethe glaubte, wieder-zuerkennen das, was als Gedanke, als Idee hineingeflossen war in dieses Bauwerk. Und so könnten wir vieles anführen, wo in Goethes Seele eine Ehe einging das, was als innere Anschauung diese Seele gewonnen hatte, und das, was sie an äußeren Weltvorgängen aufnahm. Deshalb ist es nicht weiter wunderbar, daß er, als er später nach Weimar kam, die Naturwissenschaft von einer neuen Seite aufnahm, die Botanik, die Zoologie, die Knochenlehre und so weiter, um jetzt alles wie Buchstaben zu betrachten, die zusammen das Buch der Natur ergeben, die hinein­führen in die Geheimnisse des Daseins. So entstanden seine Studien über die Pflanzenentwickelung, über die Tierwelt, die er später noch so be­treibt wie als Student, nur daß er überall den Geist hinter den sinnlichen

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Erscheinungen des Daseins suchte. So sehen wir, wie er gerade während seiner italienischen Reise die Kunst auf der einen Seite, die Naturwerke auf der andern Seite betrachtete, wie er die Pflanzenwelt betrachtete, um den Geist, der darinnen waltet, zu erkennen. Groß und schön sind die Worte, die er an seine Freunde schrieb, solcher Art geistige Naturwissen­schaft treibend. Er sagte: Oh, hier tritt mir alles in neuer Weise ent­gegen; ich möchte nach Indien reisen, um das, was schon entdeckt, nach meiner Art anzuschauen. - Das heißt: wie es seine Entwickelung nach den Andeutungen, die wir geben konnten, von ihm gefordert hat. Und so sehen wir, wie er auch die Kunstwerke, die ihm da entgegentraten, betrachtet. Er schreibt in einem Briefe: «Soviel ist gewiß, die alten Künstler haben ebenso große Kenntnis der Natur und einen ebenso sicheren Begriff von dem, was sich vorstellen läßt und wie es vorgestellt werden muß, gehabt als Homer. Leider ist die Anzahl der Kunstwerke der ersten Klasse gar zu klein. Wenn man aber auch diese sieht, so hat man nichts zu wünschen, als sie recht zu erkennen und dann in Frieden hinzufahren. Diese hohen Kunstwerke sind zugleich als die höchsten Naturwerke von Menschen nach wahren und natürlichen Gesetzen hervorgebracht worden. Alles Willkürliche, Eingebildete fällt zusam­men; da ist Notwendigkeit, da ist Gott.» Wie schon zu dem Knaben mit seinen sieben Jahren von dem selbsterrichteten Altare her der große Geist der Natur sprach, so sprach ihm der große Geist des Daseins der geistigen Welt aus diesen Kunstwerken heraus, die er als Einheit be­trachtete. So kam Goethe immer mehr zu der Betrachtung des einzelnen in energischer, hingebungsvoller Arbeit. Dann konnte er den Augen­blick ruhig erwarten, wo aus seinen Beobachtungen eine wirkliche Er­kenntnis der geistigen Welt heraussprang, eine wahre Geisteswissen­schaft, die uns dann entgegentritt, in künstlerischer Weise umgegossen und umgeschaffen, in seinem «Faust».

So haben die ersten Partien des «Faust», die entstehen, ganz die Stim­mung eines Menschen, der die Geheimnisse des Daseins ahnt, der aber nicht in diese Geheimnisse hineinkommen kann. Da sehen wir, wie Faust jene Zeichen wirken läßt, die ihn vom Geistigen umgeben sein lassen, aber wir sehen, wie er noch nicht reif ist, dieses Geistige wirklich zu empfinden. Das sind die Sätze, wo Faust als die Nostradamus-Aura

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die Zeichen des Makrokosmos und des Erdgeistes auf sich wirken läßt, wo der Geist der Erde vor ihm erscheint. In wunderbar schönen Worten wird von Faust der Erdgeist charakterisiert. Wir sehen, wie er ahnt, daß das, was der Planet Erde ist, nicht einfach jene physische Kugel ist, als die sie von der Naturwissenschaft angesehen wird, sondern gerade so, wie der Leib eine Seele enthält, so der Erdenleib einen Geist.

In Lebensfluten, im Tatensturm

Wall' ich auf und ab,

Webe hin und her!

Geburt und Grab,

Ein ewiges Meer,

Ein wechselnd Weben,

Ein glühend Leben,

So schaff' ich am sausenden Webstuhl der Zeit

Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

Das ist das, was in der Erde lebt als der Geist der Erde, wie in uns unser Geist lebt. Aber Goethe kennzeichnet den Faust als noch nicht reif, seinen Geist als noch unvollendeten. Abwenden muß er sich von dem furchtbaren Zeichen wie ein furchtsam weggekrümmter Wurm. Der Erdgeist antwortet ihm: «Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir.» In Goethes Seele lebte die Erkenntnis, wenn sie zunächst auch nur eine ahnende war, daß wir auf keiner Stufe uns befriedigt erklären dürfen, sondern von jeder Stufe aus höhere und immer höhere Stufen erstreben müssen, daß wir auf keiner Stufe sagen können, wir haben etwas erreicht, sondern von jeder Stufe aus immer höher streben müssen. Goethe führten in diese Geheimnisse hinein seine emsigen Stu­dien von Erscheinung zu Erscheinung. Und nun sehen wir ihn wachsen.

Denselben Geist, den er zuerst gerufen hat, und von dem er nur sagen konnte: «Schreckliches Gesicht!», läßt Goethe durch Faust anreden, nachdem Goethe selber eine höhere Stufe erreicht hatte nach der Italien-reise, nach seiner Reise, die ich so charakterisiert habe, daß er die ganze Natur und Kunst mit seiner Anschauung durchdringen wollte. Jetzt ist Faust gestimmt, wie Goethe selber gestimmt war. Jetzt steht Faust vor demselben Geiste, den er also anredet:

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Erhahner Geist, du gabst mir, gabst mir alles,

Warum ial bat. Du hast mir nicht umsonst

Dein Angesicht im Feuer zugewendet.

Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,

Kraft, sie zu fühlen, zu genießen. Nicht

Kalt staunenden Besuch erlaubst du nur,

Vergönnest mir in ihre tiefe Brust

Wie in den Busen eines Freunds zu schauen.

Du führst die Reihe der Lebendigen

Vor mir vorbei, und lehrst mich meine Brüder

Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen.

Und wenn der Sturm im Walde braust und knarrt,

Die Riesenfichte stürzend Nachbaräste

Und Nachbarstämme quetschend niederstreift,

Und ihrem Fall dumpf hohl der Hügel donnert;

Dann führst du mich zur sichern Höhle, zeigst

Mich dann mir selbst, und meiner eignen Brust

Geheime tiefe Wunder öffnen sich.

Und steigt vor meinem Blick der reine Mond

Besänftigend herüber: schweben mir

Von Felsenwänden, aus dem feuchten Busch

Der Vorwelt silberne Gestalten auf,

Und lindern der Betrachtung strenge Lust.

Da ist Goethe und mit ihm Faust zu der Höhe gelangt, nicht mehr sich wegzuwenden von dem Geist, den er im Sprunge hat erreichen wollen. Jetzt tritt ihm der Geist als ein solcher entgegen, von dem er sich nicht mehr hinwegzuwenden braucht. Jetzt erkennt er ihn in allem Lebendigen, in allen Reichen der Natur: in Wald und Wasser, im stillen Busch, in der Riesenfichte, in Sturm und Donner. Und nicht nur da. Nachdem er ihm erschienen ist in der großen Natur draußen, erkennt er ihn auch in seinem eigenen Herzen: seine geheimen tiefen Wunder öffnen sich.

Das ist ein Fortschritt in Goethes Geist-Erkenntnis, und Goethe ruhte nicht, um weiterzukommen. Wir sehen dann, wie er, wohl angeeifert

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durch Schiller, sich zu vertiefen sucht, insbesondere in den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts. Sie brachten ihm dasjenige, was es ihm möglich machte, über die unbestimmte Charakteristik des Geistbewußt-seins, daß in allem ein Geist lebt, hinauszukommen. Zu ergreifen diesen Geist, gelang ihm im Konkreten. Aber Goethe brauchte viele Vorbe­reitungen, bevor er imstande war, darzustellen das Leben des Men­schengeistes in dem Sinne: Geistig-Seelisches kann nur aus Geistig-Seelischem stammen. Daß aber Goethe den Versuch niemals versäumte, tiefer hineinzukommen, zeigt manches Werk, das er vor Vollendung des zweiten Teiles des «Faust» geschaffen hat. Bis zu welcher Höhe er gekommen ist, zeigt der zweite Teil des «Faust». Manche haben sich schon von ihm abgewendet, als sie in der «Pandora» den in sich ver­tieften Goethe kennenlernten. Auch heute erleben wir, daß man sagt: Der erste Teil des «Faust» ist voller Leben, atmet unmittelbare Natür­lichkeit, der zweite Teil aber ist ein Produkt des Goetheschen Alters, voller Sinnbilder und Künsteleien. - Solche Leute ahnen gar nicht, was in ihm steckt, welche unendliche Weisheit in diesem zweiten Teile des «Faust» steckt, zu dem ein so reiches Leben wie das Goethes erst am Lebensabend kommen konnte, so daß er ihn als Testament hinterlassen hat. Deshalb begreifen wir auch, wenn Goethe gegenüber manchen Werken, die schon den Geist des «Faust» atmen, die Zeilen hinschreibt, von denen bekannt ist, daß er den Faust als eine ringende Seele darstellt, eine Seele, über die ein Neues hereingebrochen ist. Wir erkennen es an dem Arger, den er ausgoß über diejenigen, die den «Faust» ein minder-wertiges Werk des Alters genannt haben. Er sagt von ihnen:

Da loben sie den Faust,

Und was noch sunsten

In meinen Schriften braust,

Zu ihren Gunsten;

Das alte Mick und Mack,

Das freut sie sehr;

Es meint das Lumpenpack,

Man wär's nicht mehr!

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Da hat Goethe einmal seine Stimmung in Worte gekleidet, die er empfand gegenüber denen, die glauben, daß nur dasjenige Gültigkeit habe, was Goethe in seinen jüngeren Jahren geleistet hat, die nicht hinaufsteigen wollen zu dem, was er in seinen reiferen Jahren ge­leistet hat.

Nachdem Goethe seinen Faust hineingeführt hat in das Leben, das uns unmittelbar umgibt, ihn hat erleben lassen jene wunderbare Gret­chen-Tragödie, führt er ihn hinaus in die Welt, die äußerlich die große Welt ist, zunächst in die Welt, die äußerlich die große ist: die Welt des Kaiserhofes. Da will Goethe nun zeigen, daß Faust nun wirklich auch geistig eindringen soll in die Geheimnisse dieser Welt. Dann aber sollte Faust nun eingeführt werden in die wirkliche geistige Welt, in die übersinnliche Welt.

Gleich im Anfange des zweiten Teiles sehen wir, wie Goethe den Faust umgeben sein läßt von allerlei geistigen Wesenheiten. Das soll ausdrücken, daß Faust nicht nur in eine äußere physische Welt geführt werden soll, sondern daß er auch durchleben soll, was derjenige durch-leben kann, dessen geistiges Auge geöffnet ist, dessen geistiges Ohr wahrnehmen lernt. Daher zeigt uns Goethe im zweiten Teile Stufe für Stufe das Wesen der menschlichen Seele, der menschlichen Entwickelung. Was soll Faust erleben? Er soll erleben die Erkenntnisse der übersinn­lichen Welt. Er soll eingeweiht werden in die Geheimnisse der über­sinnlichen Welt. Wo ist diese übersinnliche Welt?

Bei dieser Gelegenheit kann uns eigentlich erst, wenn wir den Geist-gehalt des «Faust» in Betracht ziehen, die Frage nach dem Mephisto-pheles beschäftigen, jenem Geiste, der den Faust von Anfang an umgibt, der mitspielt bei allem, was Faust unternimmt. Aber erst im zweiten Teile, da, wo Faust hineingeführt werden soll in die geistige Welt, sehen wir, was für eine Rolle Mephistopheles spielt. Nachdem Faust durch­gemacht hat die Ereignisse am «Kaiserhof», beginnt er das zu sehen, was in der sinnlichen Welt nicht mehr da ist: den Geist der Helena, die vor Jahrhunderten und Jahrhunderten gelebt hat. Sie soll für Faust gefunden werden. Sie kann nicht in der physischen Welt gefunden werden. Faust muß in die geistige Welt hinuntersteigen. Mephistopheles hat den Schlüssel zu dieser Welt, er kann aber nicht selbst in diese

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geistige Welt hinein, er kann sie verstandesmäßig beschreiben. Er kann sagen: Du wirst hinuntersteigen, man könnte auch sagen, du wirst hinaufsteigen. - Er beschreibt dann tatsächlich die geistige Welt, in die Faust eintauchen soll, um sie übersinnlich kennenzulernen, um darin den Geist zu finden, das Unsterbliche, das Ewige, das zurückgeblieben ist von Helena. Ein Wort ertönt, ein wunderbares Wort: zu den Müt­tern soll Faust hinuntersteigen. Was sind die «Mütter»? Man könnte stundenlang reden, wenn man genau charakterisieren wollte, was die Mütter sind. Wir brauchen hier nur zu sagen, daß die Mütter für die Geisteswissenschaft zu allen Zeiten das waren, was der Mensch kennen-lernt, wenn sein geistiges Auge geöffnet wird. Wenn er in die physische Welt blickt, sieht er alle Dinge begrenzt. Wenn er in die geistige Welt eintritt, kommt er in etwas, woraus alle physischen Dinge so heraus­kommen, wie aus einem Wasserteich das Eis herauskommt. Wie einer, der das Wasser nicht sehen könnte, sagen würde: Nichts ist da als Eis, es türnit sich auf aus dem Nichts, - so sagt der, der den Geist nicht kennt: Nur physische Dinge sind da. - Er sieht nicht den Geist, der zwischen und hinter den physisch-sinnlichen Dingen ist, aus dem sich alle sinnlich-physischen Dinge herausbilden wie Eis aus Wasser. Da, wo der Urgrund der physischen Dinge ist, der nicht mehr durch die physischen Augen sichtbar ist, sind die Mütter. Mephistopheles ist die Wesenheit, die dar­stellen soll jenen Verstand, der nur kennt, was äußerlich im Raume ausgestaltet ist, die zwar weiß, daß es eine geistige Welt gibt, die aber nicht in sie eindringen kann. Mephistopheles steht da neben Faust, wie heute neben dem Geistesforscher steht der materialistische Denker, der da sagt: Ach, du Geisteswissenschafter, du Theosoph, du willst in eine geistige Welt hineinschauen? Da drinnen ist ja gar nichts, das ist ja alles erträumt. Das ist alles nichts. - Diesem Materialisten, der da fest bauen will auf das, was das Mikroskop, das Teleskop offenbart, der aber alles, was hinter den physischen Erscheinungen liegt, wegleugnen will, ruft der Geistesforscher zu: «In deinem Nichts hoff' ich das All zu finden.» So steht der materialistische Denker dem spirituellen Menschen gegen­über, der den Geist gerade dort zu finden hofft, wo der andere nichts sieht. Ewig werden sich diese zwei Mächte gegenüberstehen. Und von Anfang steht Mephisto dem Faust so gegenüber als der Geist, der bis

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zur Tür führen kann, der aber diese Pforte nicht durchschreiten kann. Der Theosoph oder Geisteswissenschafter sagt nicht: Die materielle Wissenschaft ist nichts, ist unnötig. - Er sagt: Wir müssen diese Wissen­schaft ernst nehmen, sie studieren, aber sie hat nur den Schlüssel, sie führt uns dahin, wo erst das wahre geistige Leben zu finden ist.

Faust steigt dann hinunter in das Reich der Mütter, in die geistige Welt; es gelingt ihm den Geist der Helena heraufzuführen. Aber er ist noch nicht reif, diesen Geist mit seiner eigenen Seele wirklich zu ver­binden. Daher die Szene, wo in Faust die Leidenschaft sich regt, wo er mit sinnlicher Leidenschaft umfassen will das Urbild der Helena. Deshalb wird er da zurückgestoßen. So ergeht es jedem, der aus per­sönlichen, egoistischen Gefühlen sich der geistigen Welt nähern will. Er wird zurückgestoßen, wie Faust zurückgestoßen wird, als er vom Reiche der Mütter herauf den Geist der Helena geholt hat. Faust muß erst reif werden, erkennen lernen, wie sich wirklich zusammenfinden die drei Glieder der menschlichen Natur: der unsterbliche Geist, der von Leben zu Leben, von Verkörperung zu Verkörperung geht; der Leib, der zwischen Geburt und Tod sich auslebt; und die Seele, die zwischen beiden drinnen steht. Leib, Seele und Geist, wie sie sich ver­binden, wie sie zusammengehören, das soll Faust kennenlernen. Das Urbild der Helena, das Unsterbliche, das Ewige, das von Verkörperung zu Verkörperung, von Leben zu Leben geht, hat Faust schon gesucht, aber unreif. Jetzt soll er heranreifen, um würdig zu werden, wirklich in die geistige Welt einzutreten. Dazu muß Faust kennenlernen, wie dieses Unsterbliche erst dann herantritt an den Menschen, wenn er sich im physischen Dasein in einem neuen Leben zwischen Geburt und Tod wiederum verkörpern kann. Deshalb muß Goethe zeigen, wie die Seele zwischen Geist und Körper lebt, wie sie sich hineinstellt zwischen den unsterblichen Geist und den Leib, der zwischen Geburt und Tod steht. Das zeigt uns Goethe im zweiten Teile des «Faust».

Die Seele ist bei Goethe verborgen in jenem wundersamen Gebilde, über das die Goethe-Forscher nicht viel zu sagen wissen, in dem die Geistesforscher, die bewandert sind, erkennen das Urbild der Seele. Das ist nichts anderes als das wunderbare Gebilde des Homunkulus, des kleinen Menschleins. Das ist ein Bild der menschlichen Seele. Was hat

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diese Seele zu tun? Sie ist der Vermittler zwischen Leib und Geist, sie muß die Elemente des Leibes aus allen Reichen der Natur heranziehen, um sich mit ihnen in Verbindung zu bringen. Erst dann kann sie mit dem unsterblichen Geiste vereinigt werden. Daher sehen wir, wie Faust von diesem Homunkulus geführt wird in die klassische Walpurgisnacht bis zu den Naturphilosophen Anaxagoras und Thales, die nachgedacht haben, wie die Natur und das Lebendige entstehen.

Da wird jene wahre Entwickelungslehre gezeigt, die zurückgeht dazu, daß nicht nur ein Tierisches der menschlichen Entwickelung zugrunde liegt, sondern ein Seelisches, das die Elemente aus der Natur sammelt, um nach und nach den Leib aufzubauen. Daher wird dem Homunkulus der Rat gegeben: Vom untersten Reich mußt du beginnen, um zu höhe­rem und höherem aufzusteigen. - An das mineralische Reich wird zu­nächst die Seele des Menschen verwiesen. Dann wird ihm gesagt: Du hast durch das Pflanzenreich durchzugehen. - Ein wunderbarer Ausdruck ist da: «Es grunelt so», um den Durchgang durch die Pflanzenwelt, das Saftig-Grüne, zu verzeichnen. Da sammelt die Seele alle Elemente der Naturreiche, um dann heraufzusteigen. Es wird ausdrücklich gesagt:

«Und bis zum Menschen hast du Zeit.» Dann sehen wir, wie herantritt der Geist der Liebe, Eros, nachdem die Seele aus allen Reichen der Natur sich den Leib herangebildet hat. Da verbindet sie sich mit dem Geiste. Leib, Seele und Geist sind vereinigt. Hier verbindet sich das, was Seele des Homunkulus ist, was sie sich als Leib einorganisiert, mit dem Geist der Helena. Deshalb kann uns im dritten Akte des zweiten Teiles Helena leibhaftig entgegentreten. Die Wiederverkörperungslehre sehen wir künstlerisch-dichterisch in den zweiten Teil des «Faust» hinein­geheimnißt. Nicht so kann man sich verbinden mit Helena, daß man in stürmischer Leidenschaft sie an sich heranzieht, sondern so, daß man wirklich die Geheimnisse des Daseins durchlebt, die wirkliche Wieder-verkörperung durchlebt.

Goethe konnte im Sinne seiner Zeit noch nicht zum Ausdruck brin­gen, wie wir es heute können, die Idee der wiederholten Erdenleben. Aber er legte sie hinein in den zweiten Teil seines «Faust». Deshalb konnte er zu Eckermann sagen: Ich habe meinen «Faust» so geschrieben, daß er für das Theater paßt; daß die Bilder, die er darbietet, äußerlich

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sinnlich interessant sind für den, der nur äußerlich sinnlich sehen will. Für die Eingeweihten aber wird ersichtlich sein, daß Tiefstes in diesen zweiten Teil des «Faust» hineingeheimnißt worden ist. - So hat Goethe ausdrücklich darauf hingewiesen, daß man seine Lebensanschauung, seine Geistesanschauung in dieser Dichtung finden kann. Und so be­greifen wir nun auch, daß Goethe uns veranschaulichen konnte in dieser Wiederverbindung des Faust mit der Helena das, was wahre Mystik ist.

Faust verbindet sich mit der geistigen Welt. Da entsteht nicht ein gewöhnliches Kind, da entsteht Euphorion, der ebenso wahr ist, als er dichterisch ist. Ebenso wahr stellt er uns dar, was in unserer Seele auf­lebt, wenn sie sich mit der geistigen Welt verbindet. Wenn die Seele in die Geheimnisse der geistigen Welt eindringt, dann gibt es in der Seele einen Augenblick der Entwickelung, der von ungeheuer tiefer Be­deutung für diese Seele ist. Bevor die Seele zu weiterem gelangt, gelangt sie dazu, für kurze Augenblicke die Verbindung mit der geistigen Welt zu gewinnen, für ganz kurze Zeiträume zu wissen, was geistige Welt ist. Dann ist es so, wie wenn aus der geistigen Erkenntnis herausgeboren würde ein geistiges Kind. Aber dann kommen wieder die Momente des Lebens, wo uns dieses geistige Kind wie in die geistige Welt hinein verschwunden ist. Das muß man lebensvoll mit dem Herzen erfassen, dann fühlt man nach, wie der Euphorion, das geistige Kind des My­stikers, trotz aller dichterischen Lebenswahrheit, hinuntersinkt in die geistige Welt, in die Faust noch nicht ganz eintreten kann, wie er aber hinüberzieht etwas anderes noch. Das ist ein Erlebnis des Geistes-forschers, des geistigen Suchers, wenn unsere Seele die Stunde hat, wo sie so recht empfindet ihr Verhältnis zur geistigen Welt, und wo die Erkenntnis erscheint wie ein Kind einer Ehe mit der geistigen Welt. Dann erlebt sie es tief, wenn sie in die Alltäglichkeit hinuntersinkt, und es ist, wie wenn es das Beste, was wir haben, mitnimmt. Es ist, wie wenn unsere eigene Seele entrinnen würde und mitzöge in die geistige Welt. Wenn man das gefühlt hat, fühlt man nachtönen die geistigen Worte des Euphorion, der hinuntergesunken ist, und der ruft aus der dunklen Tiefe: «Laß mich im düstern Reich, Mutter, mich nicht allein.» Diese Stimme kennt der wahre Mystiker, die Stimme, die von dem geistigen Kinde nach unserer Seele als seiner Mutter ruft.

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Aber diese Seele muß weiter. Loskommen muß sie von dem, was nur persönliche Leidenschaft ist. Unpersönlich müssen wir hingegeben sein können der geistigen Welt. So lange noch ein Eigennutz, ein Eigen­wille da ist, können wir die geistige Welt nicht erfassen. Erst dann können wir diese geistige Welt erfassen, wenn alles Persönliche hinweg-gescheuert ist vor dem Höheren der geistigen Welt; erst dann können wir wirklich dauernd eintreten in die geistige Welt. Da aber kommen noch mancherlei Momente, wenn wir schon jenen Moment erlebt haben, der uns wieder zurückstößt in die physische Welt, Momente, die uns alle Mystik wegnehmen für lange Zeit. Das sind jene Momente, von denen wir uns sagen müssen: Ja, wenn wir schon alles überwunden haben von Eigennutz und Eigenwillen, es bleibt doch noch dieses oder jenes zurück, wie es im Faust zurückgeblieben ist, nachdem er schon gesagt hatte: Auf freiem Grunde stehe ich hier, ich will nur arbeiten, der Natur alles ab­gewinnen, nur für andere etwas tun. - So weit ist er aber noch nicht gekommen. Indem er auf die Hütte von Philemon und Baucis blickt, indem das seinen Blick stört, zeigt er: da ist noch nicht hinweg jener Egoismus, der durch den Anblick erfreut sein will. Er hat einen Besitz schaffen wollen, selbstlos, er kann aber noch nicht ertragen, was ihn verunziert: die Hütte des Philemon und der Baucis. Da naht sich ihm noch einmal der Geist des Bösen. Die Hütte wird abgebrannt. Da zeigt sich ihm das, was sich jedem zeigt, der die Entwickelung durchmacht:

die Sorge, die an jeden herantritt, der noch eigennützige Bestrebungen in sich trägt, und die ihn nicht hinaufsteigen läßt in die geistige Welt. Da steht sie vor uns, die Sorge, da lernen wir sie erkennen in ihrer wahren Gestalt; dann ist sie etwas, was uns zum Letzten der wirklichen Geisteserkenntnis führen kann. Es soll nicht darauf hingewiesen wer­den, daß der Mensch weltfremd, weltfeindlich werden soll, sondern darauf, wie der Mensch in der Welt dasjenige kennenlernen soll, was ihn nicht loskommen läßt von der Welt. In weiser Selbsterkenntnis sollen wir die Sorge vor uns hintreten lassen, damit wir frei werden von dem Egoistischen der Sorge, nicht von der Sorge selbst, was ver­anschaulicht wird, indem die Sorge sagt, sie schleiche sich durch ein Schlüsselloch hinein. Wenn wir diese Sorge kennenlernen, nicht bloß fühlen, sondern ertragen lernen, dann erlangen wir jenen Entwicke­lungsgrad

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des Menschen, der uns das geistige Auge aufschließt. Dies wird veranschaulicht dadurch, daß Faust blind wird im hohen Alter, nicht mehr physisch-sinnlich sehen kann, sondern hineinschauen kann in die geistige Welt. «Die Nacht scheint tiefer, tief hereinzudringen.» Finster ist es äußerlich, aber inneres helles Licht, das Licht, das die Welt beleuchten kann, leuchtet auf, das Licht, in dem die Seele ist zwischen Tod und Geburt: das Reich der Mütter. Jetzt erst kann Faust die Wan­derung antreten in die geistige Welt, da wo seine Himmelfahrt so schön geschildert wird.

Dann kann Goethe zusammenfassen, was aus Faust geworden ist, von dem ahnenden Streben jenes Menschen an, der an der Wissenschaft verzweifelt und sich abwendet, was er von jener Stufe aus geworden ist bis zur höchsten Geist-Erkenntnis. Er kann es zusammenfassen im Chorus mysticus, der schon durch seinen Namen anzeigt, daß er etwas Tieferes bedeuten soll. In diesem Chorus mysticus soll paradigmatisch in wenigen Worten noch einmal zusammengefaßt werden, was den Schlüssel darbietet zu allen Weltgeheimnissen, wie alles Vergängliche nur ein Gleichnis ist für das Unvergängliche. Das, was das physische Auge sehen kann, ist nur ein Gleichnis für das Geistige, Unsterbliche, von dem Goethe gezeigt hat, daß er sogar die Erkenntnis der Wieder-verkörperung erlangt, wenn er in dieses Geistige eintritt. Das soll end­lich gezeigt werden, daß, wenn der Mensch eintritt in das geistige Reich, dann alles das, was in der physischen Welt Ahnung, Hoffnung ist, dort eine Wahrheit ist. Was in der physischen Welt angestrebt wird, wird Erreichnis in der geistigen Welt.

Fast pedantisch möchte es aussehen, wenn ich hier etwas angebe, was man wissen muß, um die Schlußworte zu verstehen.

Goethe sprach etwas undeutlich im hohen Alter, weil er zahnlos war. Er diktierte den zweiten Teil seines «Faust» einem Schreiber. Da er immer noch etwas hatte von Frankfurter Mundart, sind manche Worte und Laute etwas undeutlich herausgekommen. So ist für manches di ein g gesetzt worden vom Schreiber. So zum Beispiel wurde für «Erreichnis» «Ereignis» geschrieben. Goethe hat, als er die Schlußworte des «Faust» diktierte, gesprochen «Erreichnis». Das Unzulängliche wird hier etwas, was erreicht werden kann, ein Erreichnis, also mit zwei r und di. Überall,

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in allen Goethe-Ausgaben finden Sie «Ereignis» geschrieben. So we­nig wissen die Goethe-Forscher in den Sinn einzudringen. Dasjenige, was unzulänglich ist in der physischen Welt, wird in der geistigen Welt «Er­reichnis». Was nicht beschrieben werden kann in der physischen Welt, wird getan in der geistigen Welt. Es wird dort zur lebendigen Tat.

Und endlich erleben wir das Große, das Goethe im Schlußwort des zweiten Teiles des «Faust» zum Ausdrucke bringen darf: «Das ewig Weibliche». Oh, es ist eine Versündigung an Goethe, zu sagen, Goethe meint mit diesem Worte das weibliche Geschlecht. Goethe meint jenes Tiefe, was die Menschenseele darstellt dem Weltgeheimnis gegenüber, das, was sich sehnt als das Ewige im Menschen: Das ewig Weibliche, das die Seele hinanzieht zu dem ewig Unsterblichen, der ewigen Weisheit, und das sich dem ewig Männlichen hingibt. Das ewig Weibliche zieht uns hinan zu dem, was ewiges Männliches ist. Es bezieht sich nicht auf etwas Weibliches im gewöhnlichen Sinne. Deshalb dürfen wir durchaus dieses ewig Weibliche im Manne und in der Frau suchen: Das ewig Weibliche, das zum ewig Männlichen im Kosmos hinstrebt, um sich zu vereinigen, um eins zu werden mit dem die Welt durdiwebenden, die Welt durdiwirkenden Göttlich-Geistigen, nach dem der Faust strebt. -Dieses Geheimnis der Menschen aller Zeiten, nach welchem der Faust strebt von allem Anfange an, dieses Geheimnis, zu dem uns Geistes­wissenschaft in einem modernen Sinne führen soll, drückt Goethe para­digmatisch wie monumental in jenen schönen Worten am Schlusse des zweiten Teiles des «Faust» aus, die er als mystischen Geistchor hinstellt, daß alles Physische, was uns in der sinnlichen Welt umgibt, Maja, Illusion, Täuschung ist, ein Gleichnis ist des Geistigen. Dieses Geistige aber sehen wir, wenn wir zu dem durchdringen, was es wie ein Schleier bedeckt. In diesem Geistigen sehen wir erreicht, was hier auf Erden nicht erreicht werden kann. Wir sehen das, was unbeschreiblich ist für den an die Sinne gebundenen Verstand, in wirkliche Tat umgewandelt, wenn der Geist des Menschen sich vereinigt mit der geistigen Welt. «Das Un­beschreibliche, hier ist's getan.» Und wir sehen jenes Bedeutsame, wo die Seele sich vereinigt, zusammenlebt mit dem ewig Männlichen der großen Welt, das diese Welt durchlebt und durchwebt. Das ist das große Geheimnis, das Goethe ausdrückt mit dem Worte:

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Alles Vergängliche

Ist nur ein Gleichnis;

Das Unzulängliche,

Hier wird's Erreichnis;

Das Unbeschreibliche,

Hier ist's getan;

Das Ewig-Weibliche

Zieht uns hinan.

Goethe durfte sich sagen: Jetzt habe ich mein Lebenswerk getan. Es ist jetzt eigentlich gleichgültig, was ich die übrige Zeit, die ich noch zu leben habe, auf Erden vollbringe. - Goethe siegelte den zweiten Teil seines «Faust» ein. Und dieser zweite Teil wurde erst nach seinem Tode der Menschheit übergeben, und diese Menschheit wird alle Geistes­wissenschaft zusammennehmen müssen, um einzudringen in die Ge­heimnisse dieses gewaltigen Werkes.

Nur Skizzenhaftes konnte heute gegeben werden. Man könnte stun­den- und wochenlang mit allen Mitteln der Weisheit hineinleuchten in das, was Goethe als Testament der Menschheit gegeben hat. Möge die Menschheit immer mehr eröffnen dieses Testament! Siegel für Siegel wird fallen, je mehr die Menschen den Willen haben werden, in die Geheimnisse des zweiten Teiles einzudringen. Verstummen werden die Stimmen derjenigen, die sagen: Ihr sucht da etwas, was Goethe gar nicht hineinlegen wollte in sein Werk. - Sie kennen die Tiefen der Goetheschen Seele nicht, die da so sprechen. Die allein erkennen sie, die das Höchste sehen in diesem Werk, und in dem, was Goethe zusammen-drängt in den mystischen Chor, der so viele Betrachtungen schließen kann, die zum Geiste führen sollen.

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DAS VERHÄLTNIS DES GOETHESCHEN «FAUST» ZU GOETHE Berlin, 17. Dezember 1911

Da durch die Erkrankung von Frau Wandrey ihre Faust-Vorträge nicht stattfinden konnten während der Zeit dieses Berliner Zusammenseins, möchte ich am heutigen Morgen einige abgerissene und mehr wie zufällig zusammengestellte Bemerkungen über den Goetheschen «Faust» machen. Ich habe öfter über den «Faust» vorgetragen und hoffe doch auch einmal in einer kleineren Schrift zu einer Zusammenstellung des­sen zu kommen, was in den verschiedenen Vorträgen gesagt wurde. Nun ist das Faust -Thema ein außerordentlich umfassendes auf der einen Seite und auf der andern Seite ein außerordentlich schwieriges, schwierig aus dem Grunde, weil wohl nicht viele Dichtungen der Welt­literatur in so eigenartigem Verhältnis stehen zu ihrem Dichter wie der Goethesche «Faust» zu Goethe. Wir brauchen nur die äußere Tatsache zu bedenken, daß Goethe eine Art von erster Gestalt, die sich bei ihm als Faust-Dichtung ausgebildet hatte, nach Weimar mitbrachte, sie in Weimar also in verhältnismäßig sehr früher Zeit nur etwas ergänzt und durchgearbeitet hat und dann vorlesen konnte. Es ist die Gestalt, die am Ende des 19. Jahrhunderts herausgegeben ist, gefunden ist in einer Abschrift, welche den wenig geschmackvollen Namen trägt Goethes «Urfaust». Damit haben wir eigentlich also die Faust-Gestalt vor uns, die Goethe schon sehr früh hatte. Dann haben wir eine Ge­staltung der Faust-Dichtung vor uns, die Goethe aus bestimmten Emp­findungen heraus 1790 veröffentlichte, ein «Faustfragment». Ich sage selbstverständlich aus bestimmten Empfindungen heraus, weil man die Tatsache, daß Goethe es veröffentlichte, damit in Zusammenhang brachte, daß Goethe eigentlich daran verzweifelte, diese Faust-Dich­tung damals zu beenden. Es handelte sich also darum, das von sich abzustoßen, was er bis dahin gedacht hatte, weil er gar nicht die Mög­lichkeit sah, es weiterzuführen. Dann haben wir die Form, in der im Anfang des 19. Jahrhunderts der «Faust» in die Öffentlichkeit trat.

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Das ist ungefähr unser heutiger erster Teil mit der «Zueignung», dem «Prolog im Himmel» und so weiter. Es ist aber damit nicht getan, weil dazumal schon fertig war die «Helena-Szene», die heute als dritter Akt des zweiten Teiles figuriert, so daß in der Zeit, als Goethe diese Gestalt des «Faust» hatte, er schon in seinen Empfindungen und Gedanken lebend hatte einen Zusammenhang dieser Faust-Gestalt mit der Helena-Gestalt. Und dann, als Goethe fünfundsiebzigjährig ist, 1824, geht er mit Energie daran, den zweiten Teil abzurunden und zu einer vollen Dichtung zu machen, die dann von ihm als Testament hinterlassen ist nach seinem Tode.

Wir haben also eine Dichtung vor uns, die nicht nur Goethe wäh­rend seines ganzen Lebens begleitete, an der er nicht nur während seines ganzen Lebens schuf, sondern die auch ihre ganze innere Fügung, den Gehalt, die Form, die Auffassung, alles überhaupt im Laufe der Zeit fortwährend änderte. Dazu müssen wir nehmen, daß Goethe sich gerade in diesem «Faust» zeigt als einen der wahrhaftigsten Dichter, die wir in der Weltliteratur finden. Denn es war ihm bei dem «Faust» niemals darum zu tun, irgend etwas nach außen hin Schönes oder Voll­kommenes zu geben, sondern stets das zu geben, was er aus tiefster, innerster Ehrlichkeit heraus geben konnte, ungeschminkt das zu geben, was die Seele jeweilig als Wahrheit ergriffen hatte. Wenn man dazu-nimmt, daß dieses Goethe-Leben nun durch und durch zugleich ein Streben war, daß wir verfolgen können, wie dieses Goethe-Leben von Jahrzehnt zu Jahrzehnt sich weiterentwickelt, sich erhebt, wie Goethe Neues denkt, erkennt, zu neuen Welten Beziehungen faßt, so werden wir die Wichtigkeit erkennen, die darin liegt, daß Goethe in die Faust-Dichtung immer das hat einfließen lassen, was in ihm lebte. So konnte es schon sein, daß sein «Faust» ihm selber da und dort recht fragwürdig erschien, wenn er das vornahm, was er vor Jahrzehnten geschrieben hatte. Mittlerweile war er weitergekommen. Jetzt soll das weiter­geführt werden, was er vor Jahren geschaffen hatte.

Eine Sache soll hier ins Auge gefaßt werden, um an Hand des «Faust» ein wenig in Goethes Seele hineinzuschauen. Nehmen Sie das, was jetzt unter dem Titel «Urfaust» erschienen ist, so haben Sie darin etwas, was Sie nennen können: Es ist ungefähr das, was Goethe nach Weimar gebracht

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hatte und in den ersten Weimarer Jahren abrundete. Es ist etwas, was man nennen könnte die Dichtung eines jungen, außerordentlich begabten Dichters, der aber von dem, was eigentlich in seiner Seele ruhte, noch nicht viel für sich selber aus seiner Seele hat herausbringen können. Denn es fehlen in dieser Gestalt der Faustdichtung noch alle Zusammenhänge, die Goethe in seinem späteren Leben Zusammenhänge mit der geistigen Welt genannt haben würde. Es sind eigentlich nur die äußerlichen, ganz realistisch menschlichen Szenen da, die in solcher Jugendlichkeit gefaßt werden konnten. Es ist selbstverständlich, daß die Menschen, die ihr ganzes Leben bei einem solchen Verhältnis zur geistigen Welt bleiben wollen, und die das Werden, die Entwickelung in Goethe nicht sehen wollen, Widersprüche finden. Von ihnen sagte

Goethe:

Da loben sie den Faust,

Und was noch sunsten

In meinen Schriften braust

Zu ihren Gunsten.

Das alte Mick und Mack,

Das freut sie sehr;

Es meint das Lumpenpack

Man wär's nicht mehr.

Aber fassen wir Goethes Situation ins Auge, fassen wir die Sache mit Hinblick auf Goethes Seele ins Auge. Wir können Station machen in der Zeit, als Goethe in Italien weilt, als er in Rom ist, also in der zweiten Hälfte des vorletzten Jahrzehntes des 18. Jahrhunderts, 1787 bis 1788. Was ist von jener Zeit an, wo Goethe das geschrieben hat, was jetzt im Urfaust vereinigt ist, bis zu der Zeit in der Goetheschen Seele geschehen, wo er in Italien weilte, wo er ansah als ihm passendste die Kunstform, die er im «Tasso», in der «Iphigenie» gegeben hat? Bedenken Sie, was es heißt, daß es dieselbe Persönlichkeit ist, die auf der einen Seite schon den merkwürdigen, chaotischen «Götz von Berlichingen» in seiner ersten Gestalt geschrieben hatte und dann die wunderbar in sich gerundete Form im «Tasso» und der «Iphigenie» gegeben hat. Das ist derselbe

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Mensch. Aus inneren Gründen wird man später einmal nachweisen können, wenn man nicht mehr wird wissen, daß diese Werke von dem­selben Dichter sind, daß unmöglich derselbe Dichter diese Dinge geschrie­ben haben kann. In Goethe selber steckten schon verschiedene Menschen im wahrhaften Sinne des Wortes, können wir sagen. Der Goethe des Jah­res 1775 war in Goethe überwunden und 1788 war es der Goethe, der in der Villa Borghese in Rom die «Hexenküche» schrieb und die wunderbare Szene «Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles, warum ich bat». Es ist eine tief bedeutsame Tatsache für die Erkenntnis von Goethes Seele, daß aufsteigen vor Goethes Geist die Bilder des Urfaust, die er damals in jugendlichem Titanismus in Auflehnung gegen die bestehen­den Geistesströmungen hinschrieb, aus derselben Stimmung heraus, aus der auch der «Götz von Berlichingen» entstanden ist. Derselbe Goethe fühlt sich in Rom gedrungen, Maß und Harmonie hineinzubringen in seine Auffassung, wieder vorzunehmen die alten Gestalten. Er muß wieder ehrlich und aufrichtig aus seiner Gegenwart dem «Faust» etwas hinzufügen, den «Faust» selbst weiterzuführen suchen, wie er selber weitergekommen ist. Das war eine sehr schwierige Lage. Die frühere Zeit ist nicht mehr da, aber dem dichtenden Goethe stand sie gegenüber. Er hätte alles, was bis dahin geschrieben war, neu schreiben müssen, oder er hatte etwas vor sich, was vor ihm stand wirklich, als wenn er mit vierzig Jahren vor sich hätte seine Gestalt mit siebzehn, fünfund­zwanzig, dreißig Jahren und so weiter, als wenn er das alles vor sich hätte. Und wiederum, wenn er den ganzen «Faust» umgestaltet hätte, würde er nicht wahr gewesen sein, denn er hätte nicht die Stimmung zum Ausdruck gebracht, die in ihm war, als er sich gerade interessierte für diese Szenen. Das alles macht die Faust-Dichtung so ungeheuer wichtig und so ungeeignet der Philistrosität, die wir im Leben finden. Aber es ist noch etwas vorhanden in Goethe, als er die «Hexenküche» schrieb und die Szene «Erhahner Geist», es ist noch etwas da.

Was war denn damals vor Goethe schon getreten? Goethe war nahe-getreten durch alles, was in seiner Seele war, der vierten nachatlanti­schen Kulturperiode, der griechisch-lateinischen Zeit. Voller Enthusias­mus ist er für diese vierte nachatlantische Kulturperiode, für die griechisch-lateinische Zeit. Ich habe die Vermutung, schrieb er von

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Italien aus, daß ich den Gesetzen der griechischen Kunst auf der Spur bin. Die Künstler verfuhren nach denselben Gesetzen, nach denen die Natur selbst verfährt. - Nachdem er sich tief in Spinoza eingelesen hatte, um den Gott in der Natur zu finden, steht vor ihm, als er vor den Kunstwerken in Italien steht, das, was ihm erscheint als Kunst, als er sagte: «Hier ist Notwendigkeit, hier ist Gott.» Gegenübergestellt fühlte er sich nun dem, was er in sich aufgesogen hatte im Norden aus einer Kultur heraus, in welche im wesentlichen das hineingespielt hatte, was erste Morgenröte der fünften nachatlantischen Kulturperiode war. Mag von dem, was da in den merkwürdigen Dämmerzeiten des Mittelalters auftauchte, manchem manches sonderbar erscheinen - von dem sonder­baren Teufelsglauben, von den Legenden und was da alles lebte im 13. bis in das ,7. Jahrhundert hinein, was mit der Entstehung der Faust-Sage zu tun hat-, es steht in Zusammenhang mit der Kulturperiode, welche die griechisch-lateinische Zeit wiederum ablöste. Und nun steht vor Goethes Geist in dieser Zeit in ganz merkwürdiger Art die Voll­endung des Menschen in der griechisch-lateinischen Zeit. Es war eine Vollendung, die dadurch herbeigeführt worden ist, daß dieser Kultur-periode, welche die Mitte der nachatlantischen Zeit ist, drei Perioden vorangehen, die sich in einer gewissen Weise später wiederholen, daß diese vierte Periode aber die Mitte, der Schwerpunkt der nachatlanti­schen Zeit ist, daß damals der Mensch bis zum Außersten in die physi­sche Welt hinausgegangen ist. Daher das Abgeschlossene, das ruhig Voll­endete dieser Kunst. Das war es, was auf Goethe solchen Eindruck machte. Er fühlte: Wenn du solch ein Kunstwerk vor dir hast, brauchst du nicht in den Raum hinauszugehen, in das Ä ußere, es ist alles in das Kunstwerk eingeflossen. - Dieses Ausgeflossensein in die Form, in das «Wie», war es, was ihn besonders packte.

Im Norden stellte sich ihm entgegen, was er selbst mit der andern Seite seines Wesens so ungeheuer liebte in der früheren Zeit. Nehmen wir einen gotischen Dom oder die Kunst Dürers, Holbeins und so wei­ter. Da haben wir das, was vorbereitet die fünfte Periode. Die Kunst­werke sind nicht abgeschlossen. Man muß das suchen, was in dem Kunstwerk drinnen ist. Ein griechischer Tempel ist abgeschlossen, so abgeschlossen, daß kein Mensch da zu sein braucht. Der gotische Dom ist

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das nicht, er ist erst vollständig, wenn andächtige Menschen darinnen sind. Bis in die Zeit des Niedergangs in Griechenland haben wir immer in der äußeren Form das Geistige. Aber in der Form Dürers haben wir überall das Bestreben, tiefer zu gehen als das, was die äußere Form ausdrückt. Die Formen sind im griechischen Sinne manchmal unschön, weil ein gewaltiger Wille sich da ausdrücken will. Goethe war in der Jugend ein Anhänger dieser Kunst, der Shakespeareschen Kunst, die das Gegenteil der griechischen Kunst ist. Das, was hier wie zwei widerstrebende Elemente in Goethes Seele einander entgegengesetzt ist, würde kaum in einer andern Seele solch einen inneren Aufruhr hervorgerufen haben. Goethe wollte nämlich nichts Geringeres als mit allem, was ihm da entgegentrat unmittelbar in der äußeren Welt, zu­gleich das Übersinnliche, das Geistige haben. Er gehörte nicht etwa zu den Menschen, die mit der äußeren Form zufrieden waren, sondern zu jenen, die die äußere Form, die er in der griechisch-lateinischen Kunst sah, deshalb so sehr schätzten, weil mit der Form zugleich gegeben war das Übersinnliche. Die Form selber war ein Übersinnliches. Das, was in der Natur gegeben ist, was ihm sonst in der Welt entgegentrat, war für Goethe schon Maja, große Illusion, überall war Maja oder große Illusion gegeben. Aber von der Kunst verlangte er, daß sie mitten in die Maja hineinstellt das Wahre, den griechischen Tempel, den griechischen Gott, der vom übersinnlichen Standpunkte aus das Wahre ist. So war Goethe durstend nach der Wahrheit des Übersinnlichen in dem Sinnlichen, trun­ken nach griechisch-lateinischer Kunst deshalb, weil er in das Reich der Maja durch die Kunst ein Reich der Wahrheit stellen wollte. Alles Un­wahre sollte von der Kunst entfernt werden.

Aber auf der andern Seite sah er, wie gefährlich eine solche Kunst-forderung ist. Durch die Geisteswissenschaft wissen wir, warum gefähr­lich. Weil jede Kunstform an eine bestimmte Epoche gebunden ist, weil sie später nicht wieder auftauchen kann. Das war etwas, was für die vierte Periode ist, nicht aber für die fünfte. Da mußten die Menschen sich hinrichten auf das Übersinnliche, das nicht in der Form sich aus­drücken kann. Das war das Los der Menschheit, auf das gerichtet zu sein. Daher das Losringen in den nordischen Kulturen von allem Auße­ren, das groteske Schauen des Geistigen in allem. So lange man - sagte

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Goethe sich - über diese Dinge bloß redet - Goethe sagte sich das schon, als er in der Villa Borghese saß -, so lange man bloß redet, wie ich es auch getan habe in meiner Jugend, ist man eigentlich nicht wahr. -Denn in der äußeren Rede ist die Phrase so lange unvermeidlich, als sie nicht durchtränkt ist von innerem Seelensein. Goethe kam alles, was er bis dahin geschaffen hatte, wie etwas Unwahres vor gegenüber dem Plane, den er jetzt hatte, in der Kunst in die Maja hineinzustellen die Wahrheit. So entstand in ihm der Drang, herüberzubringen in die neue Zeit das, was wie ein Ewiges in jeder Epoche fortleben kann, herüber-zubringen aus der griechisch-lateinischen Epoche das, was fortleben kann. Fassen Sie das wohl. Nicht wahr, es ist unbewußt herübergebracht, denn jede Kulturepoche steht auf der früheren. Unbewußt lebte die vierte in der fünften Kulturepoche fort. Das alles lebte als Drang in Goethe: Wie kriegt man das bewußt herüber, wie kann man das, was damals gelebt hat und Ewigkeitswert hat, herüberströmen lassen? Wie würde sich das, was in der griechisch-lateinischen Kultur lebte, ausneh­men, wenn die Menschen es bewußt in ihr Bewußtsein hinübertragen könnten? - Das war etwas, was in Goethes Seele lebte: Wie mußte ein Mensch sich ausnehmen, der ganz darin gelebt hat in der griechisch-lateinischen Zeit und der nun bewußt sein Bewußtsein in die spätere Zeit herübertrüge? - Damit war in Goethes Seele angeschlagen - wahr­haftig, tiefer konnte es für die damalige Zeit nicht angeschlagen wer­den - das ganze Problem der Reinkarnation, der Wiederverkörperung, angeschlagen in der Art, daß er sich fragte, wie könnte man zu einem bewußten Herübertragen früherer Kulturinhalte in spätere Kultur-inhalte kommen? Das lebte so in ihm, daß er es nicht anzufassen wußte in der eigenen Seele. In der unterbewußten Seele lag das, was umge­staltet hatte die eigene Seele so, daß in dem Übergang von der vierten in die fünfte Periode eine so merkwürdige Gestalt wie der Faust auf­treten konnte.

Faust hat wirklich gelebt, ist in die Matrikel der Heidelberger Uni­versität eingeschrieben. Was war das eigentlich für eine Gestalt? Er war in gewissem Sinne ein Zeitgenosse des Nostradamus. Er war ein Mensch, der in gewisser Weise die Sehnsucht empfand, das, was jetzt wieder hervorgeholt werden muß aus verborgenen Seelentiefen, mehr oder

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weniger bewußt heraufzutragen. Die dritte Kulturepoche soll ja wieder heraufgetragen werden. Fausts Schicksal ist es, diese dritte Kulturepoche wieder heraufzuführen. Die Berechtigung eines solchen Geistes neben dem, der als Ideal in Goethes Seele entstand, die Berechtigung eines sol­chen modernen Geistes stand Goethe immer vor Augen. Niemals konnte er bezweifeln, daß dieser moderne Geist Berechtigung hatte neben dem Idealmenschen in seiner Seele aus der griechisch-lateinischen Zeit. Aber nun sagte er sich: Dieser Geist muß in die eigenen Seelentiefen hinunter-tauchen, muß Bekanntschaft machen mit alledem, was den Menschen zer­spaltet, wenn er die höheren Welten betritt. Kaum ist der Mensch an den «Hüter der Schwelle» herangekommen, das fühlte Goethe, tritt ihm sogleich eine Vielheit von Gestalten entgegen. So wurde für Goethe der Faust eine höchst fragwürdige Gestalt, aber eine, an der er nicht vor­übergehen konnte: Wie ist der Geist, den ich aus der vierten Kultur-periode herübergetragen habe, in berechtigter Weise enthalten in einem Geiste im Übergang zur fünften Kulturperiode? - Er ist so enthalten, daß in das Streben hineinspielen müssen alle Gefahren, die dem Men­schen begegnen, wenn er an dem «Hüter der Schwelle» vorbeigeht und die übersinnlichen Welten betritt. Daß Faust die übersinnlichen Welten betritt, geht aus seiner Sehnsucht, aus seiner gefühlsmäßigen Kontem­plation hervor. Damit war Goethe von Anfang an bekannt, aber er wurde erst nach und nach bekannt mit den Gefahren, die damals noch vorhanden waren, heute nicht mehr, denn durch die Lehren in «Wie er­langt man Erkenntnisse der höheren Welten?» können sie vermieden werden. Faust aber hatte die Gefahren noch. Die Art, wie Faust in die übersinnlichen Welten kommt, ist so, daß gleichzeitig mit dem Aufgehen einer gewissen imaginativen Erkenntnis eine Aneiferung, eine Entfiam­mung und Entzündung des niederen Leidenschaftslebens einhergehen muß. Beide Dinge sind nicht zu trennen, wenn nicht ein regulärer spiri­tueller Pfad eingeschlagen wird. Diese Dinge sind nicht davon zu tren­nen, das können Sie auch bei Blavatsky nachlesen. Sie sagt, man soll nur bemerken, wie das Karma dessen sich ändert, der in die geistigen Welten eindringen will, wie er Unglück über seine Umgebung bringen kann, wenn er nicht in regulärer Weise in die höheren Welten hineinkommt, wie er über seine ganze Umgebung die Kreise verbreitet, die von den

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Impulsen ausgehen, die in ihm sind. Dafür mischen sich auch in die höheren Welten die eigenen Triebe und Leidenschaften; Gestaltenwelten umgeben den Menschen.

Diese realen Geistsucher mußte Goethe sich vor die Seele hinstellen, da er auf dem Boden stand, in sich eine Ahnung zu haben von der ab­soluten Wahrheit der griechisch-lateinischen Kultur. Diesen Geistsucher der fünften Periode mit all seinen Schwierigkeiten mußte er sich vor die Seele stellen. Was umgibt einen solchen Menschen, in welche Gefah­ren wird ein solcher Mensch hereingebracht? In der ganzen Sinnenwelt gibt es nidits, was konform ist dem, was ein solcher Mensch erlebt. Da muß in die Geisteswelt hineingeschritten werden. Aber man muß zu­nächst wissen, wie sich das, was ein solcher Mensch erlebt, unterscheidet von der Sinnenwelt. Deshalb die «Hexenküche»; weil Goethe das ganze übersinnliche Milieu zeigen wollte, in das Faust kommen mußte, weil gezeigt werden mußte, wie die übersinnlichen Welten sich darstellten bei alle den Antezedenzien, von denen wir gesprochen haben. Man muß ganz als Teil der geistigen Welt diese «Hexenküche» aufnehmen. Man muß wissen, daß Goethe gewisse Geheimnisse der übersinnlichen Welt kannte, so daß er sachgemäß schilderte, wie die Dinge tatsächlich er­kannt werden vom hellseherischen Bewußtsein. So ist die übersinnliche Welt ungemein sachgemäß geschildert, wenn das ganze Brodeln der menschlichen Leidenschaften beschrieben wird bei dem damals noch furchtbaren Eintreten in die geistige Welt. Alles, was da auftritt an brodelnden Leidenschaften, spiegelt sich in den Affen, welche die Namen Meerkatze und Meerkater führen, spiegelt sich in alledem, was sach­gemäß in der «Hexenküche» dargestellt ist.

Nun hat aber Goethe den Drang, Faust heraufzukriegen zur Wahr­heit, nicht zu dieser Welt des Unwahren. Es ist zwar eine Welt, die absolut in den Tatsachen wahr ist, aber eine Welt, die noch mehr Illusion ist, als die gewöhnliche Sinnenwelt für die Sinne Maja ist. Goethe muß sich so bestreben, an die Wahrheit heranzukommen. Da muß er darstel­len, wie die äußere Welt, der Mephistopheles angehört, die übersinn­liche, die in der «Hexenküche» dargestellt ist, umstellt. Goethe will zeigen, daß Faust aus der Welt heraus kann, aus der Mephisto seine An­regungen empfangen kann. Denken Sie sich einen Menschen so hingestellt

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in die übersinnliche Welt, wie Faust in die

Du mußt verstehn!

Aus eins mach zehn,

Und zwei laß gehn,

Und drei mach' gleich,

So bist du reich.

Verlier' die Vier!

Aus fünf und sechs,

So sagt die Hex',

Mach' sieben und acht,

So ist's vollbracht:

Und neun ist eins,

Und zehn ist keins.

Das ist das Hexen-Einmal-Eins.

Es handelt sich darum, sich in die Seele eines Menschen zu versetzen, der sich plötzlich in dieser Welt sieht, wo alles anders ist, nachdem er das gewöhnliche Zahlensystem kennengelernt hat. Wenn man mehr oder weniger geistvoll diese Dinge auslegt, schadet man der Dichtung, weil es dann den Anschein hat, als ob der Dichter selber so symbolisiert hätte. Nein, vor dem Dichter stand lebendig die Situation. Wer Goethe einen Symboliker, einen abstrakten Denker nennt, der zeigt, daß er nicht das Bedeutungsvolle und Reale dieser Situation erfassen kann. Was mußte dem Faust geschehen, wenn er nicht sein eigenes Karma und das seiner Umgebung, wie zum Beispiel bei Gretchen, verderben wollte? Es war ein weiter Weg von diesem Faust bis zu dem, der aus der An­schauung der vierten Kulturepoche heraus spricht die Worte: Oh, aus dem Menschenherzen entspringen die Imaginationen, die in ein Netz einspinnen die ganze Welt der Illusion:

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Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles,

Warum ich bat. Du hast mir nicht umsonst

Dein Angesicht im Feuer zugewendet.

Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,

Kraft, sie zu fühlen, zu genießen. Nicht

Kalt staunenden Besuch erlaubst du nur,

Vergönnest mir, in ihre tiefe Brust

Wie in den Busen eines Freunds zu schauen.

Du führst die Reihe der Lebendigen

Vor mir vorbei und lehrst mich meine Br ü der

Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen.

Und wenn der Sturm im Walde braust und knarrt,

Die Riesenfichte stürzend Nachbaräste

Und Nachbarstämme quetschend niederstreift,

Und ihrem Fall dumpf hohl der Hügel donnert,

Dann führst du mich zur sichern Höhle, zeigst

Mich dann mir selbst, und meiner eignen Brust

Geheime tiefe Wunder öffnen sich.

Das ist der Faust, der da redet mit der Natur, indem sich seine ima­ginative Welt verbindet mit dem, was als Maja oder Illusion vorliegt, der ein anderer ist als der, zu dem Mephistopheles so sonderbar sagen darf:

Wie hättst Du, armer Erdensohn,

Dein Leben ohne mich geführt?

Vom Kribskrabs der Imagination

Hab' ich dich doch auf Zeiten lang kuriert.

Wodurch hat er ihn kuriert? Dadurch, daß er ihn in die übersinnliche Welt hineingeführt hat. Aber Faust soll nicht auf diese Weise von der Imagination kuriert werden, sondern so, daß er erkennt die Imagination als allumfassend die große Maja, die Illusion. Was ist dazu notwendig, damit der Faust sagen kann:

Und wenn der Sturm im Walde braust und knarrt,

Die Riesenfichte stürzend Nachbaräste

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Und Nachbarstämme quetschend niederstreift,

Und ihrem Fall dumpf hohl der Hügel donnert,

Dann führst du mich zur sichern Höhle, zeigst

Mich dann mir selbst, und meiner eignen Brust

Geheime tiefe Wunder öffnen sich.

Damit diese klassische Ruhe des Öffnens eintreten kann, was muß Faust gegenüber der «Hexenküche», wo er sich verlieren muß, wenn er nicht etwas ganz bestimmtes entwickelt, was muß Faust entwickeln? Er muß nicht wie ein theosophischer Theoretiker vorgehen, er muß wie ein Mensch mit einem ganz bestimmten Erleben zu sich selbst kommen, er muß objektiv sich selbst schauen. Es muß gegenüber der «Hexenküche» etwas ihm entgegentreten, worin er sich selbst schaut. Es muß in der Imagination etwas von höherer Wahrheit erscheinen, aber etwas, was höhere Realität hat als die «Hexenküche». Das höhere Selbst ist ja für den Mann weiblich. Das ist sehr real dargestellt in dem Erscheinen der «Helena» in der «Hexenküche», das Erscheinen des Atherleibes, den man nur von einer gewissen Entfernung schauen kann. Dieser Gestalt gegenüber sagt Mephistopheles, weil er sie nicht versteht:

Du siehst mit diesem Trank im Leibe

Bald Helenen in jedem Weibe.

Das ist aus einem wahren dichterischen Impulse dargestellt, der nach dem strebt, was die Menschen der Außerlichkeit nach lange nicht als das ansehen werden, worauf es ankommt. Für die Menschen des fünften Zeitraumes wird noch lange eine Frage ertönen nach dem, was sie nötig haben, eine Frage, die leicht etwas Zweideutiges haben könnte, aber wenn sie wahr beantwortet ist, ist sie leicht zu begreifen. Wie könnte man der wichtigsten Angelegenheit der Menschen des fünften Zeitrau­mes gegenüber sprechen?

Was ist verwünscht und stets willkommen?

Was ist ersehnt und stets verjagt?

Was immerfort in Schutz genommen?

Was hart gescholten und verklagt?

Wen darfst du nicht herbeiberufen?

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Wen höret jeder gern genannt?

Was naht sich deines Thrones Stufen?

Was hat sich selbst hinweggebannt?

Es ist eine merkwürdige Rätselrede, mit der Goethe nahe an dem Beginne des zweiten Teils uns entgegentritt. Man könnte Worte genug finden, dieses Rätsel aufzulösen, für unsere Menschheit aber wird man am besten die Lösung finden, wenn man auf alles, was gefragt ist, ein einziges Wort anwendet. Das Wort: Geist. Goethe wollte aber nicht, daß man es so leicht hat, das Rätsel zu lösen, nicht so knüppeldick wollte er es vorführen. Aber der Geist ist verwünscht in der mannigfaltigsten Weise und doch stets willkommen. Man soll nur die geistige Entwicke­lung der Menschen ansehen, um zu wissen: Was ist ersehnt und stets verjagt? - Da braucht man ja nur auf die Geisteswissenschaft zum Bei­spiel hinzuweisen. Damals durfte sich der Geist nur in der Gestalt des Hofnarren zeigen, sonst war er wenig gerne gesehen.

Das ist die große Frage, wie nun die fünfte nachatlantische Kultur zu Geist kommen sollte, zu Geist kommen soll aus dem, was sie ja hat, wie sie erfassen kann die eigentliche Grundwesenheit der Welt. Nun ist in keiner Kulturepoche die Menschheit mehr geeignet gewesen, sozusagen den Geist in der Form des Ich zu finden als in unserer Kulturepoche. Aber wie konnte man doch erst die wahre Natur des Menschen finden, wenn man dieses Ich auf der Unterlage, auf dem Hintergrunde des Astralleibes fassen konnte? Nehmen wir an, wenn sich der Mensch des 19. oder auch des 16. Jahrhunderts schon daranmachen wollte das zu fin­den, was der Astralleib ist. Die Imagination hat der Mensch zunächst in der äußeren Erkenntnis nicht. Den Astralleib sollte der Mensch suchen, das, was zugrunde liegt von der Mondenzeit her der äußeren Ich-Ent­wickelung. Der Mensch kann natürlich, weil alle Kräfte überall hinkom­men können, auch dann, wenn er auf die Dinge den Intellekt anwendet, zu etwas kommen, aber was wird er dann aus dem Astralleib herausbrin­gen? Nehmen wir an, was dann aus dem Astralleib hervorkommt, wenn man das, was für die äußere Maja gut paßt, auf den Astralleib anwen­det. Man kann das nicht passender ausdrücken, als indem man das, was da herauskommt, mit dem Homunkulus bezeichnet. Der Homunkulus

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hat etwas zu tun mit dem Astralleib, wie er sich herumgliedert um das, was das Ich ist. Man hat es zu tun mit dem Übersinnlichen, so daß Goethe hier ein Wort prägen darf, das von vornherein verweist auf etwas, was in der übersinnlichen Welt erzeugt wird. Da sagt Wagner -der philiströse Intellekt bringt ja im Laboratorium den Homunkulus hervor -:

Es wird! Die Masse regt sich klarer!

Die Überzeugung wahrer, wahrer!

Was man an der Natur Geheimnisvolles pries,

Das wagen wir verständig zu probieren,

Und was sie sonst organisieren ließ,

Das lassen wir kristallisieren.

Mit diesem Worte Überzeugung haben die Kommentatoren das Merk­würdigste anzufangen gesucht, weil sie nicht dahinterkommen konn­ten, daß hier nicht Überzeugung gesprochen wird, sondern daß Goethe in dem Sinne, wie er vom Übermenschen spricht, hier spricht von einer Überzeugung. Aber man hat ja den zweiten Teil des Faust in merk­würdiger Weise so kommentiert, daß man die Schreibfehler kommen­tiert hat. Wenn zum Beispiel Goethe diktierte und der Schreiber schrieb: «Nur strebe nicht nach höheren Orden» und so weiter - es ist wahr­haftig hier nicht gemeint Orden, sondern der, dem Goethe diktiert hat, hat geschrieben statt Orten «Orden». Diese Dinge, die wir da haben, zeigen uns, daß für Goethe, nachdem er sich Faust in seinem ganzen gei­stigen Streben vor Augen gestellt hatte, jetzt besonders brennend wird die Frage: Wie kann man bewußt das Bewußtsein herüberbringen? -Das Bewußtsein, das zum Beispiel in Helena gelebt hat, die jetzt vor seinen Geist hintrat. Das war die brennende Frage. Dabei muß ich erwähnen - Sie müssen den Goethe des Jahres 1797 nehmen -, da ist in der ganzen Goethe-Seele die größte Veränderung vorgegangen, die über­haupt in ihr vorgegangen ist. In derselben Zeit, als die Faust-Gestalt in ihm erzeugt die Notwendigkeit, sie nicht nur zu denken als hervor­gegangen aus Vorgängen der inneren Seele, als er den «Prolog im Him­mel» dichten muß, da änderten sich in seinem Inneren sozusagen alle Dinge. Da trat auch die Notwendigkeit an ihn heran, immer bestimmtere

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Gestalt zu geben diesem bewußten Herüberkommen des Bewußt­seins aus der vierten in die fünfte Periode. Daher auch das Bestreben, die Frage irgendwie zu lösen.

Ich habe öfter angedeutet, wie Goethe dichterisch die Reinkarnations­frage zu lösen sucht, indem er zeigt, daß das Ewige der Helena in der geistigen Welt der «Mütter» ruht. Aber der Mensch kann nicht ohne weiteres eindringen in die geistige Welt, Sonst tritt das ein, was Faust paralysiert, als er das Bild der Helena anschaut. Der Geist muß sich umschließen erst mit der Seele, dann mit dem natürlichen Leibe. Mit der Seele umschließt sich Helena, als im Astralischen seelisches Mate­rial in Homunkulus zur Verfügung gestellt wird. Im Homunkulus ha­ben wir die Kräfte des Astralleibes eines ins Dasein tretenden Menschen.

Ihm fehlt es nicht an geistigen Eigenschaften,

Doch gar zu sehr am greiflich Tüchtighaften.

Alles ist ganz sachgemäß geschildert, und zuletzt das Umhüllen mit der äußeren Natur, wo wir darauf hingewiesen werden, wie das äußer­lich Körperhafte aufgenommen wird. Da muß er durch alle Natur-elemente durchgehen, er fängt an bei der mineralischen Welt, geht durch die Pflanzenwelt. Goethe findet da das wunderbare Wort: «Es grunelt so», um anzudeuten, das, was aus der grünenden Pflanzenwelt in die Menschennatur übergehen kann. So geht es durch alles durch. ... bis zum Menschen hast du Zeit.» Aber dann kannst du nicht weitergehen.

Denn bist du erst ein Mensch geworden,

Dann ist es völlig aus mit dir.

Das geht weiter, bis der Mensch durch das Mysterium der Liebe ins Dasein tritt, was so wunderbar dargestellt ist, wie der Mensch durch das Mysterium der Liebe, durch das Mysterium des Geschlechtsgegen-satzes ins Dasein gerufen wird. Nachdem Goethe alles dargestellt hat, was dem Mysterium vorangeht, läßt er die Sirenen das Wunder aus­sprechen:

Welch feuriges Wunder verklärt uns die Wellen,

Die gegeneinander sich funkelnd zerschellen?

So leuchtet's und schwanket und hellet hinan,

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Die Körper, sie glühen auf nächtlicher Bahn,

Und ringsum ist alles vom Feuer umronnen;

So herrsche denn Eros, der alles begonnen!

Und der Mensch tritt ins Dasein.

Heil den mildgewognen Lüften!

Heil geheimnisreichen Grüften!

Hochgefeiert seid allhier,

Element' Ihr alle vier!

Und wir blättern um. Dritter Akt: die Helena ist da. Diese Dinge dürfen nicht mit groben Händen angefaßt werden, nicht einer äußeren Interpretation anvertraut werden. Die Dinge lassen sich nur so schil­dern, daß man nachläuft und nadischlüpft dem, was sich da ausdrückt, indem man die Dinge in dem sich metamorphosierenden Wasser löst wie bei Goethe. Aber darinnen ist das alles. In Goethe ist der Drang, das bewußt heraufzubringen, was unbewußt im Menschen der vierten Kul­turperiode gelebt hat, und was bewußt heraufkommen muß.

Und dann gebraucht Goethe noch das moralisch-religiös-mystische Element des Nordens, um nun zu zeigen, wie in der Tat das Berechtigte herauskommen kann von dem, was sich unberechtigt in der «Hexen­küche» gezeigt hat. Das zeigt er so großartig in der Schlußszene, wo Geisteswissenschaft und Mysterium so wunderbar zusammenspielen, wo dann im «Chorus mysticus» so wunderbar zusammengedrängt ist alles, was da in Goethe gelebt hat, indem dieser Chorus mysticus geradezu auch als Symbolum der Geisteswissenschaft gebraucht werden kann, was vorher schon ausgedrückt ist durch die gestreuten Rosen, und wenn dann gesagt wird:

Alles Vergängliche

Ist nur ein Gleichnis;

Das Unzulängliche

Hier wird's Erreichnis;

Das Unbeschreibliche,

Hier ist's getan;

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Das Ewig-Weibliche

Zieht uns hinan

so ist da in wenigen Zeilen alles das ausgedrückt, was wir als geistes­wissenschaftliche Wahrheit anerkennen.

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DAS RINGEN FAUSTS NACH DEM CHRISTDURCHTRÄNKTEN QUELL DES LEBENS Dornach, 4. April 1915

Unter den Osterdarbietungen, die eben vor unseren Sinnen vorübergezogen sind, waren ja auch diejenigen, welche darstellen, wie eine Seele, die nahe daran ist, durch ihren eigenen Entschluß durchzugehen durch die Todespforte, zurückgeholt wird in die Welt des irdischen Lebens durch die Osterbotschaft. Ich glaube, daß unter den mancherlei Eindrücken, welche die Faust-Dichtung auf uns Menschen machen kann, dieser Szene Eindruck einer der tiefsten sein muß. Bringen Sie jetzt, ich möchte sagen, nach der Verwandlung* der die Welt mit ihrer Entwicke­lung bedeutenden Szenerie, bringen Sie das, was Sie als einen Ausblick innerhalb der Faust-Dichtung in Ihre Seele aufgenommen haben, in Zusammenhang mit dem, was gestern gewissermaßen vor der Verwand­lung von mir hier gesagt worden ist über jene bedeutungsvolle reale Vision, die der Menschenseele aufgehen kann, wenn sie hintritt vor das Symbolum des im Grabe ruhenden Jesus Christus. Bedenken wir, daß wir gestern sagen durften, daß wachgerufen wird durch ein entspre­chendes geistiges Anschauen oder geistiges Empfinden der Anblick des­sen, was dem Menschenleben verbunden ist durch seine Erdenentwicke­lung in bezug auf die luziferische, die ahrimanische Welt. Bedenken wir, daß wir in der Faust-Dichtung vor uns haben eine Seele, welche sich uns sogleich, da die Dichtung beginnt, ankündigt als eine solche, welche auf-genommen hat in sich ahrimanisches Wissen, ahrimanische Erkenntnisse. Und schauen wir dann in diese Seele hinein, wie sie ringt aus ihrer Ver­bindung mit der ahrimanischen Weisheit heraus nach dem - wir dürfen von unserem Gesichtspunkte aus sagen - christdurchtränkten Quell des Lebens: ein bedeutungsvoller Augenblick, der uns für eine Menschen-seele vorgeführt wird. Fassen wir sie ins geistige Auge, diese Menschen-seele! Da steht sie vor uns mit all dem Wissen, das sie in sich aufgenommen

- - -

* Bei den Worten «Christ ist erstanden» verwandelte sich die schwarze Farbe der Szenerie in eine rote.

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hat durch die Beobachtung der äußeren materiellen Welt und ihrer Zusammenhänge, mit der Erkenntnis, die sie sich erobern konnte durch die Instrumente, durch die der äußere Naturforscher einzudringen ver­sucht in die Zusammenhänge der Natur... Und wozu ist diese Seele gekommen mit all dem Forschen, das sich knüpft an die verschiedenen Instrumente und auch an die Phiole, in der die Säfte enthalten sind, die für das irdische Leben «eilends trunken machen»? Wir fühlen, wie schon ahrimanisches Wesen an der Seite der Faust-Seele waltet, und wie dieses ahrimanische Wesen verknüpft ist mit dem, was Erdentod ist. Ist es uns nicht, wie wenn diese mit ahrimanischem Wesen angefüllte Menschen­seele das Ergebnis ihrer ahrimanischen Erkenntnisse zöge? Und dieses Erkenntnisergebnis, das Ahriman auf Erden den Menschen geben kann, das ist es, was sich zusammenfaßt in die Worte:

Ich grüße dich, du einzige Phiole!

Die ich mit Andacht nun herunterhole,

In dir verehr' ich Menschenwitz und Kunst.

Du Inbegriff der holden Schlummersäfte,

Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte,

Erweise deinem Meister deine Gunst!

Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert,

Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,

Des Geistes Flutstrom ebbet nach und nach.

Ins hohe Meer werd' ich hinausgewiesen,

Die Spiegelflut erglänzt zu meinen Füßen,

Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.

Und schon hat diese Seele die Vision, daß sie zum andern Ufet kommt, wo sie vielleicht dasjenige wird finden können, was sie glauben muß, durch ihre ahrimanische Verstrickung auf dieser Erde nicht finden zu können. Schon hat sie die Vision des Hinübergehens zu dem andern

Ufer:

Ein Feuerwagen schwebt, auf leichten Schwingen,

An mich heran! Ich fühle mich bereit,

Auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen,

Zu neuen Sphären reiner Tätigkeit.

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Dies hohe Leben, diese Götterwonne!

Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?

Ja, kehre nur der holden Erdensonne

Entschlossen deinen Rücken zu!

Vermesse dich, die Pforten aufzureißen,

Vor denen jeder gern vorüber schleicht.

Hier ist es Zeit, durch Taten zu beweisen,

Daß Manneswürde nicht der Götterhöhe weicht,

Vor jener dunklen Höhle nicht zu beben,

In der sich Phantasie zu eigner Qual verdammt,

Nach jenem Durchgang hinzustreben,

Um dessen engen Mund die ganze Hölle flammt;

Zu diesem Schritt sich heiter zu entschließen

Und, wär' es mit Gefahr, ins Nichts dahin zu fließen.

Und nachdem er nun auch noch das andere ahrimanische Instrument ergreift, da ist er bereit, den Weg hinüber zu nehmen in diejenigen Ge­filde, von denen er in Ahrimans Schule gelernt hat, daß sie nimmermehr erkennbar sind der Seele, solange sie im Erdenleibe eingeschlossen ist. Und aus dieser Stimmung wird diese Seele herausgerissen durch den Klang der Osterglocken und den Chor des Ostergesanges. Und wieder hat die Faust-Seele das irdische Leben, um jetzt innerhalb des irdischen Leibes das zu suchen, was diese Menschenseele als Ergebnis ihres Suchens im irdischen Leibe hindurditragen soll durch die Pforte des Todes, damit sie es hinauftragen könne in die geistigen Gefilde, in denen sie es braucht zu ihrer weiteren Entwickelung.

Dasjenige, was Sie heute gehört haben von dem ersten Teil von Goethes «Faust», und manches, was zu diesem Teile, zu dieser Szene von Goethes «Faust» gehört, erschien zuerst als abgeschlossener erster Teil der Dichtung im Jahre 1808. Vorher aber schon war im Jahre 1790 von Goethe erschienen «Faust, ein Fragment», dieses Fragment, das noch nicht die letzte Gretchen-Szene hatte. Aber auch die Szene hatte dieses Fragment nicht, die uns heute jene für Fausts Seele bedeutungsvollen Ereignisse vor die eigene Seele geführt hat. 1790 gab Goethe sein Frag­ment noch ohne diese Osterszene und ohne den Monolog heraus, der

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in die tiefsten Tiefen menschlich-seelischen Erlebens führt. Und am Ende des 19. Jahrhunderts ist dasjenige entdeckt worden, was Goethe fertig hatte in den achtziger, sogar schon in den siebziger Jahren, in den neunziger Jahren. Es ist dann veröffentlicht worden unter dem ge­schmacklosen Titel «Urfaust». In diesem Urfaust haben wir nun eben­falls nicht, man kann sagen selbstverständlich nicht diese Osterszene. Warum haben wir sie nicht? Ja, Goethe, der ein Kind seiner Zeit war, mußte reif werden, um in seiner Art, seiner Seele gemäß, die Wirkung des Christus-Impulses auf Fausts Seele darstellen zu können; er mußte erst dazu reif werden. Und Goethe war bis zum Jahre 1790 nicht dazu reif. In die neunziger Jahre fällt jene Vertiefung Goethes in seiner Seele, die ihren Abglanz gefunden hat in dem uns ja bekannten «Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie». Es fällt hinein in die Zeit zwischen dem Zeitpunkt, in dem der «Faust» erschienen ist ohne die Osterszene, und dem Zeitpunkt, in dem er erschienen ist mit der Oster­szene. Eine unendliche Vertiefung erfuhr Goethes Seele durch das, was sie ausgestaltete in dem «Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie». Und erst an diesem Erlebnis gewahrte Goethe, wie er wirken lassen dürfe die Osterauferlebens-Szene auf Fausts Seele.

Nun, sehen wir in diese Faust-Seele selber hinein, versuchen wir ein­mal, uns zu versetzen in den Anfang von Goethes «Faust», der in den verschiedenen aufeinanderfolgenden Veröffentlichungen so ziemlich gleich ist. Wir wissen, er heißt:

Habe nun, ach! Philosophie,

Juristerei und Medizin,

Und leider auch Theologie!

Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.

Da steh' ich nun, ich armer Tor!

Und bin so klug als wie zuvor;

Heiße Magister, heiße Doktor gar,

Und ziehe schon an die zehen Jahr,

Herauf, herab und quer und krumm,

Meine Schüler an der Nase herum -

Und sehe, daß wir nichts wissen können!

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Zehn Jahre also ist er Dozent. Nehmen wir an, er wäre regelmäßig in die Dozentenlaufbahn hineingekommen, dann könnten wir etwa denken, so gegen die Dreißigerjahre hin wäre er Dozent geworden, so hat er also gewissermaßen seit dem dreißigsten Jahre seines Lebens seine Schüler an der Nase herumgeführt! Erinnern wir uns, was ich gestern sagte. In den Dreißigerjahren wird der Mensch stehen vor dem Bilde des Jupiterdaseins, wenn sich ihm vor Augen stellen wird jene Verfüh­rung, von der ich gestern gesprochen habe. Und eine Vision, eine pro­phetische Vision jener Verführung, hat man vor sich, wenn man vor dem im Grabe liegenden Christus Jesus steht. Haben wir nicht in Faust ausgestaltend dramatisch jene Vision? Steht er nicht förmlich vor uns vor dem Ostergeheimnis, und steht er nicht gerade, man kann sagen, am Ende der Dreißigerjahre vor uns vor dem Ostergeheimnis? Dürfen wir nicht annehmen, daß in seinen Empfindungen rumort, was der Mensch aus dem Ostergeheimnis empfinden muß wie eine Vorahnung des Jupitererlebnisses mit Luzifer und Ahriman? Zu Goethes Zeiten konnte man das nicht so darstellen, wie man es jetzt darstellen kann, aber Goethe konnte darstellen die im Herzen rumorende Empfindung gegenüber dem Ostergeheimnis, und die rumorte in Fausts Seele. Und ist es nicht, als wenn Faust fühlte, da wo Mephisto-Ahriman an ihn heran-tritt, wie verfallen seine Seele ist den ahrimanischen Mächten? Wie er sich zu retten hat vor irgend etwas? Ja, vor was denn? Vor was hat er sich zu retten? Können wir nicht sagen, daß Goethe etwas davon empfunden hat, als er die eigene Faust-Stimmung seiner Jugend wie­derum auf sich wirken ließ als reifer Mensch, als reife Seele etwas empfunden hat, so wie er es in seiner Zeit empfinden konnte, von der Osterstimmung, die wir uns in diesen Tagen vor die Seele malten, und daß daraus das Bedürfnis entstanden ist, die Osterszene einzu­fügen in den «Faust», der früher nicht dieser Osterszene gehabt hat? Ins Christliche umgedichtet ist der «Faust» mit der Einfügung der Osterszene zwischen den Jahren 1790 und 1800.

Welche Jahre hatte denn also Faust zu durchleben? Vor welchen Lebensjahren schauderte er so zurück, daß er selbst zur Phiole greifen wollte? Nun, vor dem zweiten, absteigenden Teil des Lebens, jenem Teil des Lebens, von dem wir gesagt haben, wie der Mensch, indem

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er vor die Vision des Jupiterdaseins tritt, weiß, daß er später auf den Jupiter tragen muß dasjenige, was ihm der Christus als Wegzehrung geben kann, weil er sonst der Nahrung ermangeln müßte in der zwei­ten Lebenshälfte. Was sucht denn Faust? Er sucht Nahrung der Seele für die zweite Lebenshälfte. Wir suchen sie im Grunde genommen alle seit der Zeit, da das Mysterium von Golgatha über die Entwickelung unserer Erde hinweggegangen ist. Wir suchen sie im Grunde alle. Denn dasjenige, was auf dem Jupiter physisch-psychische Gestalt annehmen wird, das lebt jetzt schon in unseren Seelentiefen, und etwas von dieser Faust-Stimmung müssen wir alle empfinden. Wir brauchen eine Kraft, die wir nicht haben können durch dasjenige, was uns als Mensch nur die Freiheit gibt und uns demgemäß zu Ahriman und Luzifer führt, wir brauchen eine Kraft für diejenigen Impulse in uns, die zusammen­hängen mit der absteigenden Lebenshälfte. Die Christus-Kraft ist es, die Christus-Kraft, die der Christus hat, nachdem er durch die Todes-pforte gegangen ist und in einem irdischen Leibe nicht durchlebt hat des Menschen zweite Lebenshälfte. Warum durchlebte er sie nicht? Weil diese Kraft, die dem Menschen gespendet werden muß in der zweiten Lebenshälfte, in die Erdenaura ausfließen mußte, damit sie alle Menschen durch die Erdenentwickelung in sich finden können. Es aufersteht durch das Ostermysterium dasjenige, was wir brauchen, da­mit wir mit unserer Seele unser ganzes Leben auf der Erde durch-pilgern können. Und denken Sie sich jetzt diesen tiefen Zusammen­hang in Goethes «Faust». Faust hat in sich aufgenommen - Goethe wußte, wie man dieses aufnimmt, denn er hat es ohne das Oster­geheimnis hingestellt, als er ohne das Ostergeheimnis sein Fragment herausgab -, Faust hat in sich aufgenommen, was der Mensch durch die Verbindung mit Luzifer und Ahriman aufnehmen kann, was uns die Möglichkeit der freien Seele gibt. Aber er, der die Seelentiefen durch-mißt, ist sich klar, mit dem kann er nun nicht weiterleben, er braucht, um weiterzuleben, etwas anderes. Und Goethe wurde reif dazu, zu zeigen, wie es der Impuls des Ostergeheimnisses ist, was Faust braucht. Steht nicht das Ostergeheimnis tiefsinnig vor uns in dem, was Goethe erst als ganz reifer Mann aus seinem «Faust» gemacht hat, was er 1790 noch nicht drinnen haben konnte, weil er es noch nicht verstand?

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Wie ist in dem jungen Goethe die dichterische Idee zu diesem Ge­dicht, von dem Sie sehen, daß es uns in solche Tiefen führt, entstanden? Wir wissen, daß der junge Goethe einen starken Eindruck bekommen hat sowohl von dem Puppenspiel des Faust, als er es gesehen hat, wo man einfach das Schicksal des Faust durch Puppen dargestellt findet, wie auch aus dem Volksschauspiel von dem «Doktor Faust». Dieses durchaus Volksmäßige trat vor Goethes Seele. Was ist denn nur dieser Faust? Und Goethes Seele war sogleich klar: Dieser Faust muß sein der strebende Mensch überhaupt, der durch sein Streben in alle Untergründe des menschlichen Seelenlebens hinuntertauchen kann und den Weg finden muß hinauf in die lichten Höhen des Geistes. Daß ein innerer Weg von einer Menschenseele durchlaufen werden müsse, das wußte der junge Goethe. Denn was ist es im Grunde genommen anderes als eine Medi­tation, was Faust in seiner Seele sengend durchlebt bei dem Anblick der verschiedenen Zeichen? Eine Meditation ist es, die ihn zuletzt zu der Vision des die Erde durdiflutenden und durdiwallenden Erdgeistes führt. Die Meditation erhält als Antwort die Worte:

In Lebensfluten, im Tatensturm

Wall' ich auf und ab,

Webe hin und her!

Geburt und Grab,

Ein ewiges Meer,

Ein wechselnd Weben,

Ein glühend Leben,

So schaff' ich am sausenden Webstuhl der Zeit

Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

Meditation und Gegenmeditation! Hinein führt es ihn in die Tiefen des Lebens, den Faust, aber wie hinaus? Wie hinauf in die geistigen Höhen?

Nachdem wir uns also vor die Seele gestellt haben, welch grandiose Idee von dem strebenden Faust in Goethes Seele am Puppenspiel und am Volksschauspiel entstanden ist, und welche Gestalt diese grandiose Idee angenommen hat durch das Eindringen der Goethe-Seele in das Ostergeheimnis, fragen wir uns jetzt einmal: Was hat nun Goethe zeit

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seines Lebens aus dem «Faust» gemacht? - Nachdem wir uns das Gran­diose desjenigen klargemacht haben, was in Goethes Seelenkraft gelegen hat durch den Eindruck des Faust-Impulses, dürfen wir uns wohl auch fragen: Was ist denn nun geworden künstlerisch-dichterisch aus diesen Eindrücken? - Nun, schon eines, was ich eben sagte, kann uns zu unse­rem Hange, diesen «Faust» auch ästhetisch-künstlerisch zu begreifen, behilflich sein. Goethe hat ein Fragment, das ungefähr mit der Dom-szene abschließt, 1790 veröffentlicht. Das, was uns heute den «Faust» so grandios erscheinen läßt, ist nicht darinnen. Er hat es später hinzu­gedichtet, hat es hineingelegt, als er in Rom war. 1787 hat er das, was wir heute als «Hexenküche» kennen, hineingelegt. Andere Szenen hat er zu andern Zeiten hineingelegt in das Manuskript, das ursprünglich geschrieben und abgeschrieben war und das in der Zeit, in der die späte­ren Szenen hinzukamen, von ihm selbst als ein «vergilbtes Manuskript» bezeichnet wird. Und als Schiller Goethe aufforderte um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert, etwas zu tun, um den «Faust» abzurunden, da sagte Goethe, es würde ihm schwierig werden, das alte Ungeheuer «Faust» wiederum vorzunehmen und das, was so lange liegengeblieben ist, nun in entsprechender Weise zu ergänzen. Goethe hatte Angst, in diesen seinen «Faust» hineinzulegen das, wozu er später reif geworden war, in all dasjenige, was er war und was erschienen ist bis zum Jahre 1790.

Und schauen wir uns nun den ersten Teil dieses «Faust» an. Ist er denn nicht ein Werk, dem wir es genau ansehen, daß es zusammenge­flickt ist aus dem, was zu verschiedenen Zeiten entstanden ist? Würden die Menschen nicht an traditionellen Urteilen hängen, so würden sie in dem «Faust» die grandioseste dichterische Idee, die jemals mit Bezug auf das einzelne Menschliche in die Welt gekommen ist, sehen. Und zu gleicher Zeit müßten sie sich gestehen, daß mit Bezug auf das Künst­lerisch-Dichterische dieser «Faust» das uneinheitlichste, daß er ein durch­aus unharmonisches Werk ist, in das man noch mancherlei hineinlegen könnte, was nicht darinnen liegt, das überall Risse und Sprünge hat, das künstlerisch durchaus nicht vollendet ist. Das große Genie Goethes konnte nur fragmentarisch immer vollenden, was vor seiner Seele stand. Und so sehr wir die grandiose Schönheit einzelner Szenen bewundern müssen, so wenig können wir, wenn wir uns nicht bloß an das traditionelle

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Urteil anhängen, das Literaturhistoriker gefällt haben, sondern wenn wir unbefangen sind, uns verhehlen, daß der «Faust», wie er ist, kein in sich harmonisches Kunstwerk ist, daß er an vielen Stellen geleimt ist, aber Risse und Sprünge überall zeigt. Warum denn dies? Goethe hat dann noch einmal im höchsten Alter unternommen, wiederum zu vollenden den zweiten Teil seines «Faust», wofür auch schon einzelne Szenen da waren, an die er wiederum angefügt hat dasjenige, was er im höchsten Alter hinzufügen konnte. Zum Beispiel: der Anfang der klas­sisch-romantischen Phantasmagorie, des Helena-Zwischenspiels, war schon um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert vollendet, und manche Partien waren früher vollendet. Und wiederum haben wir durchaus Veranlassung, nicht zu sagen, wie manche Literaturhistoriker sagen, daß man den zweiten Teil des «Faust» nicht verstehen könnte, oder, wie ein keineswegs blöder, sondern sehr gescheiter Mann gesagt hat, daß der «Faust» «ein zusammengeschustertes, geflicktes Machwerk des Alters» sei. Das ist er nicht! Anderseits ist er ein Werk, dessen Aufgabe so groß war, daß selbst die reiche Lebenserfahrung Goethes in seiner Zeit nicht hinreichte, um es durchzugestalten. Man darf schon auch gegenüber dem Größten in der Welt sein eigenes Urteil haben. Warum aber ist das also? Nun, ich habe es schon einmal gelegentlich eines Vortragszyklus, der in Den Haag gehalten worden ist, angedeutet, daß dieser Faust keineswegs, ich möchte sagen, welthistorisch so außerordentlich jung ist. Der Faust, wie er lebte in dem Volksschauspiel, das Goethe gesehen hat, und wie er lebte im Puppenspiel, stellt den in die Tiefen des geistigen Lebens hinuntersteigenden Menschen dar, und er stellt den sich zu den lichten Höhen erheben wollenden Menschen dar; er stellt ihn so dar, daß der neueren Zeiten größter Dichter das Ostergeheimnis für seiner Seele Be­freiung brauchte. Wie er im Volksschauspiel dasteht, ist er zusammen­geflossen zunächst aus der äußeren physischen Realität, aus jenem Dr. Georg Faust, der in der zweiten Hälfte des Mittelalters gelebt hat und wie ein Landstreicher herumgezogen ist; von dem uns berichten sowohl Trithem von Sponheim wie andere bedeutende Männer, die ihm begegnet sind, und die sogar eine gewisse Achtung vor ihm gehabt haben, die Achtung, die man entgegenbringt einer merkwürdigen Per­sönlichkeit, welche durch die Art, wie sie sich seelisch ausdrückt, gar

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mancherlei weiß und gar mancherlei vermag. Und nicht umsonst wurde ja dieser reale Doktor Faust so genannt, wie ich es einmal hier angeführt habe:

Magister Georgius Sabellicus Faustus Junior, fons necromanticorum, Magus Secundus, Chiromanticus Aeromanticus, Pyromanticus, in hydra arte secundus.

So nannte er sich selbst. Nun war es allerdings im Gebrauch dazumal, so viele Titel von sich herumzutragen, und man könnte von Giordano Bruno und manchen andern bedeutenden Geistern des Mittelalters auch eine lange Liste ganz ähnlich klingender Titel sagen. Wenn es vielleicht heute von den ganz gescheiten Menschen als absonderlich empfunden wird, daß Trithem von Sponheim und andere Menschen, die um die Existenz dieses realen Faust gewußt haben, so dachten, daß er mit dämonischen Welt- und Erdenmächten in Verbindung stehe und durch sie mancherlei vermöge, so müssen wir eben bedenken, daß ja zu Luthers Zeiten zum Beispiel das gar nichts besonderes war, wenn man solches erzählte. Wir wissen, wie Luther selbst mit dem Teufel gerungen hat. Wir wissen, daß alles das gang und gäbe, Anschauungen und Erzählun­gen jener Zeit waren. Aber ein Gefühl lebte in alledem, was beitrug dazu, den Faust auszugestalten im Volksbewußtsein. Es lebte das Ge­fühl - ich sage das Gefühl und nicht der Begriff, nicht die Idee -, die Naturwissenschaft kommt herauf, die Naturwissenschaft, die den ahrimanischen Teil der realen Wirklichkeit vor die Menschenseele bringt. Und dadurch entstand das Gefühl: Faust ist eine Persönlichkeit und war eigentlich immer eine solche Persönlichkeit, welche etwas mit diesen ahrimanischen Mächten zu tun hat. Gleichsam die geheimen gei­stigen Verbindungsfäden erblickte man, die von der Seele des Faust zu den ahrimanischen Mächten hingingen. Und das Geschick des Faust fand man geknüpft an dieses Hinneigen zu den ahrimanischen Mächten. Daß Ahrimanisches und Luziferisches mit der ganzen Entwickelung der Menschenseele zu tun hat, von dem fühlte und empfand man noch etwas aus den Resten des alten Hellsehens und der alten hellsichtigen Erkennt­nis. Und so verknüpfte sich die Faust-Figur mit diesem Erfühlen von des Menschen Zusammenhang mit den luziferischen und ahrimanischen Mächten. Aber es war zugleich die Zeit, in der dieses fühlende Erkennen

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bereits in die Dämmerung herunterstieg, in der das alles schon unklar wurde. Und so entstand dann, man möchte sagen, das Gefühl, da kann man den strebenden Menschen mit all seinen Versuchungen und Gefah­ren für seine Seele darstellen in der Figur des Faust. Aber wie das zu­sammenhängt, was da der Mensch erstrebt, mit Luzifer und Ahriman, das wußte man nicht mehr genau. Das war schon verschwommen ge­worden, und daraus ging dann jene ungeheuerliche Verschwommenheit hervor, von der man einen Eindruck hat, wenn man das mittelalterliche Faust-Buch in die Hand nimmt, worin all dasjenige, was die Volksfigur durchlebt haben soll, geschildert wird, wo wie Kraut und Rüben durch­einander geworfen werden zu einem grotesken Ragout von allen mög­lichen Abenteuern, die des Menschen Seele durchlebt in ihrem Streben, alle möglichen dämonischen und Elementargeister und Ahriman und Luzifer. Nachdem man diese nicht mehr in ihrer vollen Gestalt gesehen hat, nachdem man sie zertrümmert und zu einem Ragout zusammen-gemahlen hat mit allen möglichen Elementargeistern der Natur, stellte man nun in diesem Volksbuch, in dieses Ragout die Figur des Doktor Faust hinein. Goethes genialem Tiefblick war es eben einzig und allein angemessen, in dem schauerlichen Ragout die gewaltige Grundidee zu ahnen und sie so weit hinaufzuführen, daß sie an das Ostermysterium herankam. Aber es ist im Grunde recht interessant, zu beobachten, wie, ich möchte sagen, Luzifer und Ahriman nach und nach zu solchen Ra­goutteilen zerstückelt worden sind.

Wenn wir zurückgehen und die Figur des Faust in alten Zeiten suchen, so können wir in Büchern suchen, die damals als Volksbücher entstanden sind, und die in all derjenigen Händen waren, die sich damals mit Angelegenheiten befaßt haben, die sich auf solche Dinge beziehen. Augustinus' Werke waren sehr verbreitet, als dieses Buch zu­sammengeschrieben, zusammengeschustert, zusammengeleimt worden ist. Man hat das Gefühl von einem Buchhändler, der ein möglichst dickes Buch machen wollte, und nicht, als ob es von einem Literaten oder gar einem Schriftsteller wäre. Aber seinen Augustinus muß er gekannt ha­ben, namentlich die Lebensbeschreibung des Augustinus. Und Augusti­nus tritt uns ja in seiner ganzen Entwickelung so merkwürdig entgegen. Wie er zunächst nicht verstehen kann, was das Christentum in seinem

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Wesen ist, wie er sich nach und nach durch die inneren Widerstände, die er in der Entwickelung seiner Seele dem Christentum entgegenbringen muß, hindurdiwindet, zuerst zu dem, was ihm nun an Kunde werden kann von der Manichäerlehre. Und von einem großen, bedeutenden Manne innerhalb der Manichäersekte erhält Augustinus Kunde, von dem Manichäerbischof Faustus. Und wir spüren fast, wer nun jener Faustus senior ist, dem gegenüber der Faust, den ich vorhin genannt habe, sich Faustus junior nennt. Derjenige ist es, dem Augustinus in alten Zeiten einmal entgegengetreten ist, derjenige, der etwas von der Manichäerlehre vertrat als Faustus, als Bischof der Manichäer.

Aber was vertrat er von der Manichäerlehre? Dasjenige, was an-gefressen ist von Ahriman, dasjenige, wodurch man nicht mehr einsehen kann, wie der Mensch mit seiner Seele zusammenhängt mit dem ganzen Kosmos, mit allen kosmischen, allen Sternenimpulsen. Man kann sagen:

Auch schon im Manichäerbischof Faustus ist zerrissen das Erkenntnis-band, das hinaufführt zu den kosmischen Einsichten, die zeigen, wie die Menschenseele aus dem Kosmos herausgeboren ist, und die man kennen muß, wenn man in Wahrheit das Ostergeheimnis verstehen will. - So konnte in dem, der das Volksbuch vom Doktor Faust zusammenschrieb, gerade aus der Gestalt, die uns Augustinus schildert als den Manichäer­bischof Faustus, - es konnte in diesem Zusammenschreiber und Zusam­menleimer durch diese Gestalt der dem Ahriman verfallene Faustus auftauchen. Aber da alles verschwommen geworden war, so verstand er nicht, daß das gegen Ahriman hin ging. Die Fetzen von ahrimani­scher Gefahr sehen wir daher durchschimmern durch die Erzählungen des Volksschauspiels, aber nichts Klares sehen wir durchschimmern. Doch können wir ein deutliches Gefühl erhalten, daß in Faustus der Repräsentant des strebenden Menschen hingestellt werden soll so, daß ihm von ahrimanischer Seite her Gefahr droht. Und vieles war in die Faust-Figur, wie sie sich herausgebildet hat bis zu Goethe, hineingefügt von jenem Manichäerbischof Faustus, dem Faust senior. Manche Ka­pitel des Volksbuches erscheinen geradezu, wie wenn sie abgeschrieben wären, aber schlecht abgeschrieben nur aus dem Buche, in dem Augusti­nus schildert seine eigene Entwickelung und sein Zusammentreffen mit dem Bischof Faustus. So sehr können wir beweisen, daß dasjenige, was

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als ahrimanischer Zug der Faust-Figur anhaftet, nach dieser Seite hin­weist, daß also, als das Volksbuch niedergeschrieben worden ist, nur noch der letzte dunkle Drang da war, die ahrimanischen Elemente der Menschennatur gerade an der Faust-Figur darzustellen.

Und nun gar, wie ist es denn mit dem luziferischen Element? Wie sind denn die luziferischen Elemente zerhackt worden in jene Ragout­teile, die dann hineingekocht worden sind in das Ragout aus Elemen­targeistern und aus Stücken von Luzifer und von Ahriman, wie ich eben gesagt habe? Ja, wir müssen schon suchen, wenn wir nun des Faust Ver­bindung mit Luzifer auch suchen wollen. Auch da können wir histo­risch suchen, da brauchen wir nicht einmal gar so furchtbar weit zu gehen, wir brauchen nur nach Basel zu gehen, und wir können Anhalts­punkte in Basel finden, wie Luzifer zu einem Ragout zerhackt worden ist. Es wird uns nämlich erzählt, wie gerade in Basel Erasmus von Rotterdam zusammengekommen sei mit Faust, wie sie dort im Kolle­gium eine Mahlzeit halten wollten, aber nicht die rechte Speise dazu fan­den. Und da es dem Erasmus gebrach an etwas, was ihm nun schmecken sollte, so sagte er das dem Faust, der bei ihm saß und mit ihm essen wollte, aber sie hatten nichts Rechtes. Da erzählt uns die Faust-Sage, daß Faustus nun imstande gewesen sei, irgendwo her - man weiß nicht woher - ganz fremde, in Basel sonst nicht auf dem Markte zu habende Vögel plötzlich gekocht, gebraten auf den Tisch hinzubringen. Also wir sehen eine Szene zwischen Erasmus von Rotterdam und Faust, in der Faust imstande ist, solche Vögel, wie man sie in Basel dazumal nicht kau­fen konnte, weit herum in der Umgebung auch nicht, dem Erasmus vor-zusetzen. Was ist denn das nun eigentlich? Als solches ist es in der Sage gar nicht verständlich, man kann sagen, ganz und gar unverständlich, aber es wird uns die Sache verständlicher, wenn wir nachgehen und zu­sammenbringen dasjenige, was wir aus den Schriften des Erasmus von Rotterdam gewinnen können, der uns selbst erzählt, daß er in Paris die Bekanntschaft gemacht hat von einem gewissen Faustus Andrelinus. Dieser Faustus Andrelinus war ein außerordentlich gelehrter Mann, aber auch ein außerordentlich sinnlicher Mann. Erasmus wurde zunächst so bekannt mit diesem Faustus, daß er noch keinen rechten Geschmack hatte an den sinnlichen Seiten dieses Faustus. Aber wiederum hören

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wir da von einer Mahlzeit, welche die zwei miteinander aufgegessen haben sollen. Nun, allerdings, zwei gelehrte Herren der damaligen Zeit, wie Erasmus von Rotterdam und Faustus Andrelinus - wir dürfen ihnen nicht zumuten, daß der eine dem andern solche Vögel vorsetzt und auf solche Art gar, wie der Faustus von Basel sie dem Erasmus vor­gesetzt haben soll. Es wird also wahrscheinlich dasjenige, was uns da überliefert worden ist, nur eine Art von, ich möchte sagen, scherzhafter Rede sein, welche die beiden bei der Mahlzeit ausgetauscht haben. Aber wir kommen doch ein wenig hinter diese scherzhaften Reden, wenn wir innerhalb dieser Reden auch vernehmen, daß der Faust - diesmal ist es wohl der Faust - sich auch nicht recht gaumenbefriedigt erklärte mit dem, was ihm da vorgesetzt wird, und anderes verlangte. Faust möchte nun essen, um sich besonders zu letzen, fremde Vögel und Kaninchen; ja, fremde Vögel und Kaninchen. Erasmus hat zunächst die Idee, daß das etwas bedeuten müsse. Er benimmt sich also genauso wie manche Theosophen, die nachdenken, was die Dinge bedeuten. Nun, da sagt der andere, gut, er will verzichten auf die Kaninchen. - Erasmus meinte nämlich: Könnte das nicht bedeuten Fliegen und Ameisen? - Auf die Kaninchen will er verzichten. Aber die Vögel sind wirklich Fliegen, und mit Fliegen wolle er sich einmal besonders letzen. - Jetzt sind wir sehr weit. Jetzt haben sich die Vögel durch astralische Verwandlung in Flie­gen verwandelt. Und bei Goethe haben wir in der Gestalt des Mephisto den Gott der Fliegen. Es braucht nur der Geist da zu sein, der diesen Wesen gebietet, und er könnte diese Wesen hinzaubern. Und so haben wir die Verbindungsbrücke geschlagen von der unverständlichen Basler Legende und den sonderbaren Vögeln zu den Fliegen, die einfach vom Teufel herkommen. Und daß der Teufel Fliegen vorsetzt dem, den er zu Tische lädt, darüber brauchen wir uns nicht zu verwundern. Welcher Art aber jenes Faustus Andrelinus Seelenwesen ist, welcher Seelenart gerade dieser ist, ja, das wird uns klar, wenn wir den Erasmus nun ein Stückchen weiter seines Weges verfolgen in Paris. In Paris war Erasmus noch nicht so recht geneigt, einzugehen auf dieses Faustus Andrelinus Eigenart. Aber dann muß er eine Reise machen nach London. Da schreibt er denn, daß er jetzt gelernt habe - wahrhaftig, Erasmus, den­ken Sie! -, sich im Salon zu bewegen, während er früher Manieren

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gehabt hätte wie ein grober Bauer, - daß er nun gelernt habe, Verbeu­gungen zu machen und sogar sich auf dem Hofparkett zu bewegen ver-stünde! Und - ja, Erasmus schreibt es - daß er in einer Atmosphäre lebe, wo man, wenn man kommt und geht, durcheinander sich immer küßt. Man erkennt daraus, daß er den Geschmack seines Pariser Freundes treffen will. Er schreibt: Komme doch herüber. Und wenn die Gicht zu stark dich abhält, so komme auf dem Geisteswagen durch die Lüfte herübergeflogen. Das ist für dich ein Element! - Man sieht, da haben wir die Verbindung des Faustus mit der luziferischen Art der Seelen-tendenz.

Bei Goethe tritt uns dann das entgegen, wie Faust seine Verführungen macht, indem er Gretchen verführt und so weiter. Der Luzifer ist wirklich so abgefallen aus der Umgebung der Faust-Figur, daß man schon solche literarische Untersuchungen machen muß, wenn wir an dem Pariser Faust die Verbindung des Faust mit Luzifer konstatieren wol­len. Aber wir sehen förmlich den Faust dastehen, Luzifer und Ahriman

- wenn auch undeutlich durch die verworrene Zeit - an seiner Seite, im Volksbuch alles zu einem Ragout zusammengekocht. Brauchen wir uns darüber zu verwundern, daß wir in dem Volksspiel und Volksschau­spiel, sogar auch in dem Marloweschen Faust etwas haben, was ein Überrest ist uralter Anschauungen, die noch wurzeln in jenen Zeiten, in denen man aus atavistischem Hellsehen heraus des Menschen Zusam­menhang mit Ahriman und Luzifer erkannte? Aber all das ist ver­schwommen geworden, und in dem literarischen Produkt, von dem wir gesprochen haben, durchaus verschwommen hingestellt. Goethe emp­fand den tiefen Zusammenhang. Aber was konnte Goethe nun nicht? Luzifer und Ahriman voneinander sondern, das konnte er nicht. Sie verschmolzen ihm noch zu der Zwittergestalt des Mephisto, bei dem man nicht recht weiß, ist es nun der Teufel, der Ahriman, der wirkliche Mephisto? Denn er hat auch das, was Luzifer ist, auf sich geladen. Goethe empfängt gleichsam das Ragout, er spürt, daß da Ahriman und Luzifer walten, aber er kann es noch nicht auseinanderklauben, er ver­schlingt sie zu der okkultistisch unmöglichen Gestalt des Mephisto, der eine Zwittergeburt ist aus Ahriman und Luzifer. Man möchte die Zeit nennen, in die Goethe geblickt hat, indem er das Faust-Buch kennenlernte:

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das letzte Nadidunkeln eines alten Wissens über diese Sache, die verglimmende Abenddämmerung des alten Wissens von Ahriman und Luzifer. Und Goethes «Faust» ist die erste Morgendämmerung des noch nicht aufgestiegenen Wissens von Ahriman und Luzifer, dunkel und verworren in der Gestalt des Mephisto noch Ahriman und Luzifer durcheinander. Aber schon mit dem Bedürfnis, darzustellen, was die Menschenseele haben kann, indem sie auf sich wirken läßt dasjenige, was in die Erdenaura eingeflossen ist dadurch, daß das Christus -Wesen durch das Mysterium von Golgatha hindurchgegangen ist!

Das Ostergeheimnis erscheint uns selber wie der Aufgang einer neuen Zeit des geistigen Lebens der Menschheit in dem «Faust» Goethes, der trotz seiner grandiosen Art noch immer etwas Verworrenes hat, etwas von nur dunkler, nebelhafter Morgendämmerung hat. Er erscheint uns wie etwas innerhalb dieser dunklen Morgendämmerung, was wir er­blicken können, wenn wir hinaufsteigen auf einen Berg und die Sonne früher aufgehen sehen, als wir sie sehen konnten, bevor wir auf dem Berge standen. Wie einer der größten Menschen durch das Streben nach Erneuerung alter Erkenntnis seine Seele hinwendet zum Ostergeheim­nis, fühlen wir, indem wir Goethes «Faust» auf uns wirken lassen. Und lassen wir ihn im rechten Sinne auf uns wirken, dann fühlen wir, was in eines größten Menschen Herzen vor sich gehen kann, wenn dieses Menschen Herz vom Ostergeheimnis berührt wurde, wie das Goethe selber zugleich fühlte, wie auch in dieser Vorempfindung Goethes gegen-über dem Ostergeheimnis etwas liegt wie ein Hinweis darauf: Ja, nach der Morgenröte, in welche die ersten dunkel-hellen Strahlen des Oster­geheimnisses hineinscheinen, wird kommen die Sonne einer neuen gei­stigen Erkenntnis. Des Menschen Seele wird auferstehen aus dem Grabe der verdunkelten Erkenntnis, in das auch sie hinuntersteigen muß. Die Menschenseele selbst wird erleben im Laufe ihrer Entwickelung das Ostergeheimnis, die Auferstehung desjenigen, was der Christus-Impuls in ihren tiefen, grabartigen Untergründen ist, wenn sie sich verbindet mit der Kraft, die ausgeht durch die Anschauung des Christus-Oster­geheimnisses.

So, möchte man sagen, empfinden wir Goethes Ruf und möchten ihn, nachdem wir die Tragik des Ostergeheimnisses auf uns haben

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wirken lassen, umwandeln in den Ruf: Es möge auferstehen die der Zukunft angemessene geistige Erkenntnis in der Menschen Herzen, in der Menschen Seelen! Es mögen der Menschen Herzen und der Menschen Seelen nach der Empfindung der tiefsten Tragik heilig jubelnd in ihrem Inneren des Ostermysteriums Tiefe empfinden und erleben die Auf­erstehung in sich durch den Christus!

Mögen Sie auch heute an diesem Tage durch die Worte, die ich mir erlaubte, zu Ihnen zu sprechen, etwas von der Empfindung in Ihre Seele aufnehmen, daß Sie deshalb hier vereinigt sind um unseren dem gei­stigen Forschen gewidmeten Bau, damit Sie durch die Kraft Ihrer Seelen in die Zukunft etwas hineintragen von jenem Auferstehungsimpulse, der uns so groß anschaulich wird am Ostermysterium, und von dem wir sehen konnten, wie die größten Geister derjenigen Zeit, die nun abge­laufen ist, nach ihm hindrängten.

Empfinden Sie im «Faust» etwas von dem, was der Zauberklang der Osterglocken im Geiste in Ihren Seelen erklingen lassen kann.

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DAS EINDRINGEN FAUSTS IN DIE GEISTIGE WELT Dornach, 11. April 1915,

Wir haben heute vorausgehen lassen der Osterszene im «Faust» die Szene, in welcher dem Faust der Erdgeist erscheint. Wir konnten heute vor acht Tagen so manchen Gedanken an den «Faust» anknüpfen, wel­cher demjenigen bedeutungsvoll sein kann, der sich geisteswissenschaft­lich den Gesetzen der Welt, dem Leben der Welt nähern will. Es ist wirklich nicht, um Ihnen Erklärungen zu geben zu Goethes «Faust», daß das letzte Mal, am Ostersonntag, und dieses Mal hier angeknüpft wird von mir auch an diese dichterische Schöpfung Goethes, es ist aus dem Grunde, weil an den künstlerischen Bildern, die uns im «Faust» entgegentreten, die Menschenseele wirklich etwas von dem wahrnehmen kann, was man Entwickelung dieser Seele nennen muß in die geistigen Welten hinein, was man Sich-Einleben nennen kann in die geistigen Welten. Insofern wir gewissermaßen in den «Faust» uns vertiefen kön­nen in geisteswissenschaftlicher Hinsicht, dürfen wir schon an diese dich­terische Schöpfung die eine oder andere Betrachtung anknüpfen. Es ist ja im Grunde Goethes «Faust» der Ausdruck des Hineinstrebens in die geistige Welt bei Goethe, also der Ausdruck dafür, wie an einem wich­tigen Wendepunkt der neueren Geschichte ein so tiefer Geist wie Goethe hineinzukommen versuchte in die Welt, die wir durch unsere geistes-wissenschaftliche Vertiefung suchen.

Wir haben uns das letzte Mal davon überzeugen können, daß Goethe in einer Zeit lebte, in der es wirklich noch nicht möglich war, in klarer, ich möchte sagen, eindeutiger Weise den Weg zu finden in die geistigen Welten hinein. Wir haben uns überzeugen können, daß solche Wahr­heiten wie die von der Bedeutung Luzifers und Ahrimans vor Goethes Seele noch schwebten als unklare Erkenntnis, man möchte sagen, wie ein unklares Ahnen der geistigen Welt, und wir haben uns überzeugen kön­nen, daß in der Gestalt des Mephisto zusammengeflossen sind die beiden Gestalten des Luzifer und Ahriman, daß Goethe also ein unklares Gebilde

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in Mephisto vor sich hat, dem er in eindeutiger geisteswissenschaft-licher Beziehung gar nicht nahekommen kann. Und so können wir gerade in diesem Streben Goethes, wie es sich im «Faust» ausdrückte, sehen, mit welchem Ernste und mit welcher inneren Gewissenhaftigkeit, man möchte sagen, mit welcher Verantwortung vor unserer eigenen Seele wir das betreiben sollen, was uns geisteswissenschaftliche Vertie­fung eröffnen soll. Wenn ein Geist, der so tief ist, solche Schwierigkei­ten im Wege findet zu dem, was heute von vielen, vielen Menschen schon gesucht werden will, so ist wirklich Gelegenheit, gerade an dem Suchen und Streben Goethes vieles zu lernen. Man möchte wünschen, daß jeder, der sich ein wenig in die Ergebnisse unserer Geisteswissenschaft vertieft hat, wiederum heranginge an dieses Dokument, an Goethes «Faust», der ein Dokument ist aus der Morgenröte, noch nicht aus der Zeit nach dem Sonnenaufgang der geisteswissenschaftlichen Bestrebungen. Ich habe das letzte Mal gesagt, daß Goethe die Reife seines Lebens brauchte, um aus dem Zustand herauszukommen, in dem seine Seele in der Jugend war. Goethes Seele kann sich nicht damit begnügen, nur daß in der Welt zu sehen, was die sinnlichen Augen sehen, was der an das Gehirn ge­bundene Verstand wahrnimmt. Und was da in seiner Seele lebte und wühlte nach den tieferen geistigen Grundlagen des Lebens, das gestaltete er in dem strebenden Faust, der nicht ein Abbild von Goethe ist, der aber gewisse Seiten des Goetheschen Strebens und Goetheschen Lebens wirklich künstlerisch real zur Darstellung bringt. Und so haben wir denn gerade in der Erdgeistszene etwas vor uns, was zu den ältesten Partien des «Faust» gehört, die Goethe niedergeschrieben hat.

Ich habe das letzte Mal über Goethes «Faust» so gesprochen, daß, wenn ich so mißverstanden würde dabei, wie ich es oftmals werde, man hingehen könnte und sagen, ich hätte den «Faust» ein mangelhaftes Kunstwerk genannt, hätte sogar über den «Faust» manches herbe Wort gesagt. Und jemand, der besonders erfinderisch ist, könnte sagen, ich hätte eine Wendung in meiner Auffassung Goethes durchgemacht, denn ich war ja früher ein Goethe-Verehrer und habe mich nun bezeugt als ein solcher, der Goethe abkanzelt. Nun, daß ich Goethe nicht weniger verehre, als ich ihn jemals verehrt habe, daß er mir als der grandioseste Geist der neueren Zeit erscheint, das sollte ich nicht zu erwähnen brauchen.

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Aber das, was verehrende Hingabe an eine Persönlichkeit ist, soll uns niemals zu einem blinden Autoritätsgefühl bringen, sondern uns immer einen klaren Blick bewahren für dasjenige, was wir als die Wahr­heit erkannt haben.

Aus verschiedenen Teilen ist der «Faust», man kann sagen, zusam­mengelegt, um nicht zu sagen -geleimt, und man kann sagen, daß Goethe in der Zeit, als er die ältesten Partien des «Faust» schon in den siebziger Jahren des ,8. Jahrhunderts geschrieben hat, wirklich nicht imstande gewesen ist, die späteren Partien zu schreiben, daß er wirklich erst reifen mußte, um von seiner Sehnsucht nach der geistigen Welt zu dem zu kommen, was man sein Verständnis für das Christentum nennen kann. Erst die Reife des Lebens brachte Goethe dazu, den Faust, der nach der Geisterwelt sucht, künstlerisch so weiterzuführen, daß dieser Faust dazu kommt, dem Leben erhalten zu werden durch die Oster­erinnerung, ja, daß dieser Faust sogar dazu kommt, das Evangelium in die Hand zu nehmen und zu beginnen damit, das Johannes-Evange­lium zu übersetzen. Wenn man heute so manche Leute hört, daß sie nichts brauchen von geistiger Erkenntnis, um die Tiefen des Christen­tums auszuschöpfen, daß also diese Geisteswissenschaft ein unnötiges Zeug ist, weil das Christentum schon hinlänglich verstanden werden kann durch das, was jeder Pfarrer von der Kanzel verkündet, daß bloßes Glauben insbesondere in diesem Christentum walten müsse, und man vergleicht solche Seelenstimmung mit dem, was da über Goethe gesagt werden muß, der als einer der tiefsten Geister Jahrzehnte brauchte, um zu seinem Verständnis für das Christentum heranzureifen, dann kann man einen Begriff bekommen von dem ungeheuren Hoch­mut, dem ungeheuren Dünkel, der in den Menschen steckt, die da, dün­kelhaft und hochmütig von der Einfalt ihres Gemütes immer redend, das wegweisen, was sie nicht brauchen - den Inhalt der Geisteswissen­schaft, was sie nicht brauchen nach ihrer Anschauung.

In der Erdgeistszene haben wir etwas von dem vor uns, was Goethe Ln seiner Jugend, in den Dreißigerjahren, auch in den letzten Zwan­zigerjahren seines Lebens beschäftigte. Wir ersehen aus dieser Erdgeist­Szene und aus dem, was vorhergegangen ist, dem sogenannten ersten Faust-Monolog, wie Goethe sich vertieft hat auch in die sogenannte

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okkultistisch-mystische Literatur, wie er versucht hat, durch dasjenige, was diese Literatur ihm gegeben hat, in Meditation, in meditativer Hingabe, die geistige Welt zu finden. Wir sehen ihn gerade in der Szene, die uns heute vorgeführt worden ist, mitten darinnen im Suchen durch die Meditation, die sich ihm ergibt aus den Andeutungen, die er, wie es hier gesagt wird, aus einem okkultistisch-mystischen Buch, aus einem alten mystischen Buch des Nostradamus, gewinnen kann, wie er sich bestrebt durch seine Meditation, die sich ihm aus einem mystischen Buch ergibt, sich hinaufzuschwingen in die geistigen Welten.

Versuchen wir es uns einmal vorzustellen, in welche Welten Faust, und damit auch Goethe, eigentlich da hinauf will. Wenn die Seele des Menschen es wirklich dahin gebracht hat, ihre innere Kraft so zu ver­stärken, daß der geistig-seelische Wesenskern des Menschen frei wird von dem Instrument des physischen Leibes, wenn die Seele gewisser­maßen mit ihren im gewöhnlichen alltäglichen Leben gar nicht für sie wahrnehmbaren Kräften herausgeschlüpft ist aus dem physischen Leib, was wird - nicht etwa der physische Leib selbst in seiner Raumes­umgrenzung, sondern das physische Leben, mit dem der Mensch geistig dann doch immer zusammenhängt, weil ein Strahl oder Strom zu diesem physischen Leben hingeht -, was wird für die menschliche Seele dieses physische Erleben? Es geht auch in dem Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt durch die Zeit zurück ein Strahl oder Strom des gei­stigen Lebens bis zu dem, was wir auf der Erde durchlebt haben, wie Sie das entnehmen können aus Darstellungen früherer Vorträge, es geht also immer so etwas wie eine geistige Handausstreckung, oder mehr noch als eine geistige Handausstreckung, zurück zu dem, was physisches Erleben ist. Was wird denn dieses physische Erleben für die menschliche Seele, die frei geworden ist von dem Gebrauch des Instrumentes des physischen Leibes? Ich möchte sagen: Das ganze physische Erleben wird für den Menschen, der aus diesem physischen Erleben heraußen ist, Seelenorgan. Das physische Erleben wird gleichsam Auge oder Ohr, der ganze Mensch wird ein Sinnesorgan, ein geistiges Sinnesorgan, ein Organ, könnte man sagen, nunmehr der ganzen Erde, die hinausschaut in den Weltenraum. -Damit unser Auge die physischen Gegenstände sehen kann, müssen wir außerhalb unseres Auges sein, das Auge muß eingebettet sein wie eine

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Art selbständiges Organ in die Augenhöhle, die sogar durch Knochen­wandungen abgeschlossen ist, so daß das Auge ein verhältnismäßig selb­ständiges Organ ist. In ähnlicher Weise ist auch das Ohr abgeschlossen. Wiederum der ganze physische Apparat des Gehirns ist in die Kopf-höhle eingeschlossen und von dem übrigen Leibe des Menschen abge­schlossen. So abgeschlossen muß werden das physische Erleben des Men­schen, daß es eine Art Sinnesorgan wird, eine Art Auge oder Ohr, durch das der Mensch dann, der außerhalb dessen ist, was sein physisches Er-leben ist, hinausschaut in den weiten Weltenraum.

Was da erlebt wird, das kann man auch so darstellen: man kann sagen, man sei jetzt in der Welt, die in dem Buche «Theosophie» als Seelenwelt dargestellt wird. Es ist dies die Welt, in die man zuerst eintritt, wenn man das Erlebnis hat, mit der selbständig gewordenen Seele außerhalb des Leibes zu sein und das eigene physische Erleben außerhalb seiner hat. In dem Wiener Zyklus vom April 1914 habe ich geschildert, wie der Mensch auch in dem Leben zwischen Tod und einer neuen Geburt durch sein letztes Erdenleben ein geistig-seelisches Sinnes­organ hat, um die übrige Welt wahrzunehmen, das heißt, daß er durch dieses Erdenleben die übrige Welt wahrnimmt. In dieser Welt finden wir dann auch eine längere Zeit nach dem Tode unsere Verstorbenen, bis sie in eine andere Welt aufrücken, die dann erst durch einen späteren Entwickelungszustand der Seele erreicht werden kann, auch für den menschlichen Eingeweihten. In dieser Welt, in die wir da einrücken, muß so manches dem Betrachter auffallen. Man kann nur Einzelheiten über diese Welt sagen. Sie müssen zusammenholen aus den verschie­denen Vorträgen, was diese übersinnliche Welt charakterisiert. Was vor allen Dingen sogleich der Seele auffällt, ist, daß die Seele, indem sie frei geworden ist vom Leibe und sich einlebt in eine neue Welt, nun zunächst erlöschen sieht die Sterne, die Sterne erlöschen fühlt. Die Seele lebt sich ein in eine elementare Welt, so daß sie nunmehr mit dem Luftmeer webt, mit der in der Welt wallenden Wärme selbst mitwallt, mit dem Lichte hinausstrahlt, und da die Seele mit dem Lichte hinstrahlt, kann sie nicht durch das Licht die äußeren Gegenstände sehen. Deshalb verlöschen Sonne und Sterne, und der Mond erlischt mit seinem Lichte vor der Seele. Es ist nicht ein äußeres Anschauen, in dem man dann ist, es ist ein

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Miterleben der elementaren Welt. Und es ist zu gleicher Zeit ein Mit­erleben desjenigen, was man die Kraft der historischen Geschehnisse, des geschichtlichen Werdens nennt. In dieser Welt kann man ablaufen sehen das, was die Geschichte im Menschenleben wirklich macht.

In ihrer weiteren meditativen Entwickelung kann sich dann die Seele hinaufringen zu einem höheren Erleben. Da wird ihr nicht mehr bloß das eigene Erleben ein geistig-seelisches Sinnesorgan, sondern da wird die ganze Erde Sinnesorgan. Ganz paradox gesprochen, aber Sie werden mich verstehen, muß da die Menschenseele vorrücken zu einem solchen Erleben, von dem man sagen kann: Der Mensch ist jetzt etwas, in dem eingesetzt ist die ganze Erdkugel, wie sonst das Auge oder Ohr einge­setzt sind unserem Leibe, und wie wir sonst mit den Augen sehen, mit den Ohren hören, so nehmen wir mit der ganzen Erde und ihrem Er­leben wahr den Weltenraum. - Da werden wir gewahr, daß das, was die Physiker von der Sonne und den Sternen sagen, eine bloße materia­listische Träumerei ist. Die Sterne sind ja schon erloschen, die Sonne, das Mondenlicht ist erloschen in der vorhergehenden Welt. Jetzt aber wer­den wir gewahr, daß da, wo wir die Sonne vermuteten, eine Gemein­schaft von Geistern ist, daß überall, wo wir einen Stern vermuteten, eine geistige Welt ist. Und wir werden gewahr, indem wir uns zurückerinnern an das Erdenleben, daß das eine phantastische materialistische Träumerei ist, wovon die Physiker sprechen, denn wenn uns Sterne oder Sonnen er­scheinen, so ist dies, weil irgendwo in der geistigen Welt der Sitz ist von einer geistigen Gemeinschaft, wie es die Erde für eine Gemeinschaft von Menschen ist. Aber so wenig man von einem fernen Stern die physischen Leiber wahrnehmen würde, nur die Menschenseelen, so wenig kann ge­sagt werden, daß uns da oben von den Sternen irgend etwas interessieren könnte, was nicht geistig-seelischer Natur ist. Das aber, was wir sehen, das müssen wir uns vorstellen gleichsam als die Dünste der Erdenatmo-sphäre, die zusammenstoßen mit dem, was da hereinkommt, und nichts sehen kann das physische Auge von dem, was der Stern wirklich ist, son­dem den Dunst, den die Erde selber hinauswirft in den Weltenraum. All das, was wir als Sternenhimmel sehen, ist nichts als das aus dem Materiellen, allerdings ätherischen Materiellen der Erde selbst Gewo­bene, ist ein Vorhang, den die Erde hinzieht vor dem, was dahinter ist.

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Wenn aber die Seele dazukommt, sich hinauszuleben in diese Welt hin­ein, dann nimmt sie wahr, wie da draußen nicht diese phantastischen Sterne sind, diese materialistisch-phantastischen Sterne, von denen die Physiker sprechen, sondern lebendige Wesenheiten, lebendige Wesens-gemeinschaften, auf- und abschwebend, hin- und herwebend im Welten-raum draußen und sich die Gaben von oben nach unten reichend, und wiederum werden die Gaben von unten nach oben gereicht. Wenn man ins Geistige umsetzt die Worte:

Wie alles sich zum Ganzen webt,

Eins in dem andern wirkt und lebt!

Wie Himmelskräfte auf- und niedersteigen

Und sich die goldnen Eimer reichen!

- Kräfte, aber jetzt in dem Sinne, wie wir von Urkräften sprechen -,

Mit segenduftenden Schwingen

Vom Himmel durch die Erde dringen,

Harmonisch all das All durdiklingen!

das aber alles geistig-seelisch vorgestellt, dann haben wir ungefähr die Welt, in welche die Seele sich hinauslebt.

Wenn wir uns nun vorstellen, was hatte denn Faust in der Zeit, in der er uns da vorgeführt wird, von alldem, was jetzt beschrieben wor­den ist? Er hat ein altes Buch aufgeschlagen, geschrieben von einem, der eine alte Anschauung in Zeichen aufgezeichnet hat: das hat das Zeichen des Makrokosmos gegeben. Aber Faust ist natürlich nicht in der Lage, mit seiner Seele sich hinauszuleben in Welten, wo die Wesenheiten im Weltenraum ihr großes Geschehen entwickeln. Faust ist nicht in der Lage, da hinaufzukommen. Er sieht nur das Zeichen, das einer hin­geschrieben hat, der da hinausgelangt ist, das Zeichen des Makrokosmos. Aber ein Traum, eine Ahnung wird hervorgerufen, daß dieses Zeichen etwas bedeutet. Denken Sie sich also in Ihre Seele hinein, daß Sie nie­mals etwas von Geisteswissenschaft gehört hätten, daß Sie das Zeichen vor sich hätten, aber daß Sie eine Ahnung hätten, daß einmal einer etwas Ähnliches gesehen hat, das Sie auch sehen möchten, dann sind Sie in Fausts Seele darinnen. Zunächst können Sie sich hineinträumen,

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daß Ihnen Ihre Phantasie irgend etwas durch diese äußeren Zeichen, die im wesentlichen die Zeichen des Tierkreises sind, die Zeichen der Ele­mente, die Zeichen der Planeten, belebe, können sogar zunächst mit überquellendem Gefühl in die Worte ausbrechen:

Welch Schauspiel!

Aber das schlägt sich Ihnen zurück, denn jetzt werden Sie gewahr, Sie haben nichts als das Zeichen im Buche, nichts als eine Phantasie . . .

Aber ach! ein Schauspiel nur!

Sogar nur ein Schauspiel als innere Phantasie! Und zurückgeworfen sind Sie. Das Zeichen hat Sie zu nichts gebracht, im Gegenteil, es hat Sie zurückgeworfen, hat Ihnen das Gefühl gebracht: da ist die Welt des Geistes, vor der Sie stehen, aber nirgends finden Sie Eingang.

Wo fass' ich dich, unendliche Natur?

Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,

An denen Himmel und Erde hängt,

Dahin die welke Brust sich drängt -

Nichts wiederum als das Fühlen in den Elementen drinnen, im Licht und in der Luft, wie ich gesagt habe, in der untergeordneten Welt. Und jetzt sogar deutlich ausgedrückt. Faust hat sich hinaufgedrängt in die geistige Welt, ist zurückgefallen in die Welt, die ich vorhin beschrieben habe als die nächste übersinnliche Welt. Dieses mit dem Luft- und Lichtleben, das drückt sich sehr gut aus in den Worten:

Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht' ich so vergebens?

Er ist ganz in sich zurückgefallen, zurückgefallen aus der geistigen Welt in die elementare Welt. Aber auch diese zu erkennen, ist er ja noch nicht imstande. Da kommt ihm zu Hilfe, daß er das Buch aufschlägt und das Zeichen des Erdgeistes erblickt. Das ist das Zeichen, das nun auch einmal der hingeschrieben hat, der diese untere Welt, die elemen­tarische Welt, als seine eigene Welt gehabt hat. Da fühlt er sich jetzt doch darinnen. Da hat er ein ahnendes Gefühl vom Darinnensein.

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Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!

- deshalb, weil er etwas dabei fühlt, weil er von dem Sinnenschein sich abgewendet hat, und etwas fühlt von dem Darinnenstecken in der Welt. Nun spricht er eigentlich immer von dieser Welt:

Schon fühl' ich meine Kräfte höher,

- das, was man erlebt, wenn man in der Wärme, im Licht lebt -,

Schon glüh' ich wie von neuem Wein.

Denken Sie sich, wenn Sie Wärme fühlen in der Seele, wenn Sie in der Welt als Wärmewelle leben und weben!

Ich fühle Mut, mich in die Welt zu wagen.

Es ist wirklich wie ein sich in den Elementen Bewegen. Ich habe Ihnen gesagt, das Erdenleben wird zum Sinnesorgan, und wie Sie sonst Auge und Ohr in sich fühlen, so fühlen Sie jetzt Ihre Sinnesorgane in der Erde.

Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,

Mit Stürmen mich herumzuschlagen, -

wenn Sie als Luftwelle in der Luft sind.

Es wölkt sich über mir -

Der Mond verbirgt sein Licht -

Kein Wunder! Ich habe Ihnen gerade geschildert, wie das geschieht, wie Sterne, wie der Mond verlöschen. Das Licht verlöscht, weil er mit dem Lichte selbst geht.

Es dampft! - Es zucken rote Strahlen

Mir um das Haupt -

Das ist jetzt innerliche Wahrnehmung.

Es weht

Ein Schauer vom Gewölb' herab

und faßt mich an!

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Ich fühl's, du schwebst um mich, erflehter Geist.

Enthülle dich!

Ha! wie's in meinem Herzen reißt!

Zu neuen Gefühlen

All' meine Sinnen sich erwühlen!

Merken Sie nicht, wie das Leben in den Elementen da ausgedrüekt ist?

Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!

Du mußt, du mußt! und kostet' es mein Leben!

Und jetzt spricht er aus seiner Meditation heraus den Spruch, der zum Zeichen des Erdgeistes hinzugeschrieben ist, ein meditativer, sugge­stiver Spruch, der wirklich ihn zu dem Gesicht des Geistes hinführt, der der Anführer der Geister ist, in deren Bereich wir eintreten, wenn wir die elementarische Welt betreten. Aber sogleich merken wir, daß Faust eigentlich nicht reif ist für diese Welt, sich vor allen Dingen nicht reif fühlen kann für diese Welt. Was soll ihm denn werden, dem Faust? Selbsterkenntnis soll ihm werden, in dem Sinne, daß sie eben die höchste Welterkenntnis ist, indem wir alle das miterleben, was erlebt werden kann, wenn wir im Elementaren schwimmen und weben und wallen und wesen. Aber was sich darinnen individualisiert, Faust kann es nicht erkennen.

Dieses Geistgespräch zwischen Faust und dem Erdgeist ist nun so recht charakteristisch für den Reifezustand auch Goethes in der Zeit, wo er die Szene hingeschrieben hat, wie er sein ungeheures Streben in die geistige Welt hinein schildert.

Geist: Wer ruft mir?

Faust wendet sich schon ab. Natürlich klingt das nicht so wie das, was wir sonst mit den Ohren hören, daß es uns von weitem zuklingt, sondern so, daß wir im Tönen darinnen leben. Das klingt anders als das, was man auf der Erde hören kann, ganz anders. Wie man auch das, was man sieht, nicht durch das Licht sieht, sondern damit selbst strahlt. Das sieht anders aus. Übermensch hat der Faust werden wollen. Das heißt, die geistige Welt hat er betreten wollen, aber ein Grauen

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faßt ihn vor dieser geistigen Welt. Durch diese Begegnung mit dem Erdgeist wird es Faust klar, daß man ein anderer werden muß, als man vorher als Mensch war, wenn man in die geistige Welt hinein will, daß man nicht mit seinen gewöhnlichen Kräften, Empfindungen und Leiden­schaften in diese geistige Welt hinein kann. So muß es Faust tief fühlen, wie er zuerst zurückgeworfen wird, aus der höheren geistigen Welt in die elementarische Welt zurückfällt, und wie er jetzt in der elemen­tarischen Welt in seiner Erkenntnis zurückgeworfen ist, weil er nur das Ich geblieben ist, das er früher war, weil er sich nicht hineinentwickelt hat in diese elementarische Welt, wozu ihn die suggestive Meditation brachte, die er vollzogen hat durch den Spruch, der dem Erdgeist zu­geschrieben ist. Er hat für einen Moment sehen können, was für Wesen darinnen sind. Aber der Geist sagt ihm:

Wo bist du, Faust, dess' Stimme mir erklang,

Der sich an mich mit allen Kräften drang?

Daß diese Stimme aus dem Unterbewußtsein erklang, darauf habe ich schon aufmerksam gemacht, daß das der Faust war, den der äußere Faust selbst nicht einmal richtig kennt.

Bist du es, der, von meinem Hauch umwittert,

In allen Lebenstiefen zittert . . .

Dieses «Du» bezieht sich jetzt auf den gewöhnlichen Faust, während der strebende Faust der höhere Mensch Faust war.

Ein furchtsam weggekrümmter Wurm?

Aber jetzt erwacht der Trotz des Faust. Er will gerade hinein in die Welt, für die er nicht reif ist:

Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?

Ich bin's, bin Faust, bin deinesgleichen.

Jetzt kann er noch hören, wie die Geister der elementarischen Welt, in die er sich versetzt hat, mit der Menschengeschichte leben, mit dem, was auf der Erde durch die Rassen und Kulturen hindurch sich vollzieht, wie sie damit leben. Und das Geheimnis der elementaren Welt wird

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durch den Erdgeist ausgesprochen, er redet nirgends von dem Sein, son­dern von dem Werden, von dem Geschehen.

Geist: In Lebensfiuten, im Tatensturm

Wall' ich auf und ab,

Webe hin und her!

Geburt und Grab,

Ein ewiges Meer,

Ein wechselnd Weben,

Ein glühend Leben,

So schaff> ich am sausenden Webstuhl der Zeit

Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

Nicht im Raume, in der Zeit: Lesen Sie die Haager Vorträge!

So viel kann Faust doch begreifen, daß das der Geist ist, der durch die Geschichte geht:

Der du die weite Welt umschweifst,

Geschäftiger Geist, wie nah fühl ich mich dir!

Der du die weite Welt umschweifst! Der du der Geist bist, der den Zeitgeistern angehört, wie nah fühl ich mich dir! - So sagt er in seiner Vermessenheit. Der Geist sagt ihm jetzt das, was Faust selber später das Donnerwort nennt, was wie ein Donnerwort in seine Seele schlägt und ihn wiederum zurückschlägt in die gewöhnliche Welt, in der er ist, weil er noch nicht reif ist. Selbsterkenntnis soll er suchen und in dem zur Welt erweiterten Selbst die geistige Welt. Er kann sie noch nicht finden, deshalb muß ihm von diesem Erdgeist das Donnerwort ent­gegentönen:

Du gleichst dem Geist, den du begreifst,

Nicht mir!

Welcher Geist ist denn das, den Faust begreift? Welchen Geist begreift denn Faust? Er, das Ebenbild der Gottheit, der nicht den Erdgeist begrei­fen kann? Wie kann er denn jetzt in der Selbsterkenntnis weiterkommen?

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Wie schaut der Menschengeist aus, den Faust begreifen kann? Er tritt herein, in Schlafrock und Nachtmütze, der andere Faust: Wagner! Das ist der Geist, den du begreifst! Wagner, den begreifst du! Weiter bist du noch nicht gekommen, denn das andere lebt in dir nur als Trotz, als Leidenschaft! - In der Selbsterkenntnis kommt er ein Stück weiter. Das ist gerade das Eigentümliche in Goethes «Faust», das ist die schöne künst­lerische Gestaltung des Goetheschen «Faust», daß das, was in realer Ge­stalt auf die Bühne gebracht wird, immer im Grunde genommen ein Stück Selbsterkenntnis ist. Wie der Mephisto ein Stück Selbsterkenntnis ist, so ist Wagner auch ein Stück Selbsterkenntnis des Faust. Wagner ist Faust selbst. Und man würde gar nicht Unrecht tun, wenn man ein­mal den «Faust» so inszenieren würde, wenn man in der Gestalt des Wagner in Schlafrock und Nachtmütze, von dem Faust sich abwendet, ein Konterfei des Faust selbst haben würde, dann würden die Menschen unmittelbar schon verstehen, warum denn jetzt gerade dieser Wagner hereinkommt. Was der Wagner spricht, das ist im Grunde genommen das, was der Faust schon begreift, das andere deklamiert er nur. Das bringt er nur so heraus. Er glaubt sich zu erheben in höchste Wahrheiten, die er in Phrasenhaftigkeit deklamieren kann, aber sie nicht im Inneren erlebt. Und jetzt spielt sich ein Stück Selbsterkenntnis ab. Wagner spricht die Wahrheit aus. Faust hat im Grunde genommen nicht seine innersten Erlebnisse ausgesprochen, er hat deklamiert.

Verzeiht! Ich hör' Euch deklamieren.

Das ist eine Wahrheit: er hat nur deklamiert. Und es ist ein Stück Selbstbesinnung, einzusehen, daß man sich so nicht dem Geist der Welt nähert, sondern höchstens ein griechisches Trauerspiel liest. So viele Menschen wollen, wenn sie an die Geisteswissenschaft herankommen, deklamieren von den höchsten Wahrheiten, wenn es auch oftmals ein Sich - selbst - Vordeklamieren von den höchsten Wahrheiten ist. Im Grunde genommen wollen sie nichts, als sich von dieser Geisteswissen­schaft vordeklamieren, etwas profitieren, sich einen Nebeldunst vor­machen. Mit Bezug auf die heutige Zeit kann man sagen, daß in man­chen Kreisen das heute viel der Fall ist. Manche Menschen sind sehr interessant, wenn sie von ihren Gesichten deklamieren. In früherer Zeit

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hat man das von den Priestern gehört, jetzt haben es noch besser gelernt die Komödianten, so daß die Priester von den Komödianten etwas lernen können. Wenn Faust nur so weit gehen würde, als er mit seinem Verständnis dabei ist, so müßte er die Worte sagen, die Wagner spricht, sein Spiegelbild. Aber er geht mit seiner Leidenschaft hinaus, eben mit dem, was luziferisch ist, hinaus, nicht mit dern echten, vollen, mensch­lichen Seelenkern, sondern mit dem luziferischen Kern. Der Luzifer in Faust ist es, der jetzt dem, was Faust ist, was aber als Wagner vor uns steht, antwortet:

Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist;

Wie das denn wohl zu Zeiten kommen mag.

Diese Verachtung, dieser Hochmut kommt aus dem Luziferischen in Faust, denn, würde Faust nicht von Luzifer gepackt sein, dann würde er so reden wie Wagner, wenn er eben nur aussprechen würde, was er ehrlich als den Gegenstand seines Verständnisses gestehen kann. Das andere ist eine dunkle Ahnung bei ihm von etwas, zu dem er vordringen will. Aber dieses Selbstgespräch - wirklich, es ist nur ein Gespräch mit sich selbst - bringt ihn doch ein Stück weiter. Man kommt so viel im Leben weiter, wenn man sich einmal in einem andern Selbst entgegen­tritt. Sich selbst gesteht man nicht gerne, daß man diese oder jene Eigen­schaften hat. Wenn sie einem aber in einem andern entgegentreten, so studiert man sie schon lieber. So erwirbt man sich schon Selbsterkenntnis dadurch, daß eine Eigenschaft einem in der Gestalt des andern entgegen. tritt wie dem Faust bei Wagner. Faust ist noch nicht so weit, daß er sich jetzt sagen würde, als Wagner fort ist: Ja, eigentlich bin ich das selbst. -Würde er mit seinem Verständnis schon vollständig zu sich durch­gedrungen sein, so würde er sich sagen: Ich bin erst ein Wagner, hier im Kopf sitzt erst der Wagner!

Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,

Der immerfort an schalem Zeuge klebt,

Mit gier'ger Hand nach Schätzen gräbt,

Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet!

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Denn bis jetzt hat er auch nichts anderes gemacht, außer dem, daß er die Geister in der geschilderten Art gesucht hat. Selbsterkenntnis ist es, die dem Faust entgegentritt in Wagner. Wer hat ihm denn den Wag­ner hereingeschickt? Der Erdgeist hat ihn hereingeschickt, der Erdgeist:

Du gleichst dem Geist, den du begreifst,

Nicht mir!

Und jetzt soll Faust sehen, welchen Geistern er gleicht. Dem Erdgeist, der der Beherrscher der Erde ist, gleicht er nicht, aber sehen soll er ein­mal eine der Gestalten, die in ihm steckt: Da hast du den Wagner! Dieser Wagner steckt in dir!

Aber nun steckt nicht bloß Wagner in Faust, sondern das luziferische Element ist gegen den Wagner, das heißt gegen sich selbst. Da ist noch ein anderes Element in ihm drinnen.

Wenn man den «Faust» in seiner früheren Gestalt, wie er anfangs war, ansieht, ist es so, daß Goethe dazumal nach der Erdgeistszene das folgende nicht fertig gemacht hat. Da geht das so fort: Gespräch mit Wagner, dann mit dem Studenten, Mephisto... In den Kreis Fausts und seiner Schüler tritt Mephisto ein, von dem Goethe nicht recht weiß, ob er Luzifer oder Ahriman ist. Würde er Geisteswissenschaft gehabt haben, so würde jetzt der Luzifer auftreten. Da hat er den andern, den ihm der Erdgeist schickt. Der Erdgeist schickt ihm Wagner, schickt ihm Mephisto, wir würden sagen Luzifer. Faust soll so nach und nach ken­nenlernen, was in ihm steckt. Mephisto ist geschickt vom Erdgeist: Da hast du wiederum einen von den Geistern, die du begreifst. Versuche einmal den Luzifer zu begreifen, der in dir steckt, und nicht gleich den Geist der Erde anzuschauen!

Wie Goethe im Unklaren war über die Sache, kann man daraus er­sehen, daß ein kleines Stückchen, das später weggeblieben ist, in der ursprünglichen Niederschrift dasteht, in vier Zeilen. 1775 standen vier Zeilen da, nach der Szene, wo Mephisto den Faust soweit gebracht hat, daß er ihn zu Gretchen hingeführt hat, und daß Faust jetzt zu Gretchen dringen will. Da stehen vier Zeilen, die schon 1790 nicht mehr im Frag­ment darinnen waren. Nachdem Faust den Mephisto, der aber eigentlich Luzifer ist - Goethe bringt es nur durcheinander -, aufgefordert hat,

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für das Geschmeide für Gretchen zu sorgen, da sagt in der alten Hand­schrift Mephisto, nachdem Faust weggegangen ist:

Er tut, als wär er ein Fürstensohn.

Hätt' Luzifer so ein Dutzend Prinzen,

Die sollten ihm schon was vermünzen;

Am Ende kriegt' er eine Kommission.

Da steht es, da nennt sich Mephisto selbst mit dem Namen Luzifer. Wie gesagt, die vier Zeilen sind später weggefallen. Um was war es also Goethe eigentlich zu tun in seiner älteren Zeit, in der er sich, man möchte sagen, selbst ausdrücken wollte in seinem «Faust»? Nun, darum war es ihm zu tun, zu zeigen, wie der Mensch zur Selbsterkenntnis kommen soll. Aber, man möchte sagen, ahnend liegt darinnen in dieser ersten Szene, die Goethe in seiner Jugend hingeschrieben hat, was Sie jetzt mit Deutlichkeit lesen können da, wo geschildert wird in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» die Begegnung mit dem Hüter der Schwelle. Wie der Mensch, der nach und nach einsieht, wie verschiedene Wesenheiten in ihm stecken, sich zerteilt, das haben Sie vorgeahnt in Faust, wie er sich aufteilt in Wagner und Luzifer-Mephisto. Er lernt sich so nach und nach kennen in seinen einzelnen Teilen, er lernt sich kennen als Wagner, er lernt sich kennen als Luzifer-Mephisto. Aber wie gesagt, Goethe mußte erst reif werden, um die große Bedeutung des Christus-Impulses für die Menschheit wirklich zu durchschauen, soweit das in seiner Zeit möglich war. Daher sehen wir, wie Goethe erst in seinen reiferen Jahren das, was er früher geschrieben hat über Fausts Streben bis dahin, wo der Mensch sich in seinen verschiedenen Abbildern, auch im Luzifer-Abbild, entgegentritt, nun dadurch zu ergänzen sucht, daß er Faust in Berührung kommen läßt mit dem, was in die Erdenentwicke­lung durch Christus eingeflossen ist. Man möchte sagen, die Kultzeichen des Christus treten an Faust heran. Und dadurch sehen wir in dern «Faust» das Dokument, das uns anzeigt, wie Goethe selbst herange­bracht hat den Okkultismus an das Christentum, an den Christus­Impuls, und wie wir in der Tat heute auf der Bahn weiterarbeiten, die Goethe mit Bezug auf ihre ersten Schritte dazumal eingeschlagen hat. In Goethes Zeit konnte man nur zu einer Ahnung kommen. Heute ist die

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Zeit herangekommen, die es dem Menschen möglich macht, durch die Geisteswissenschaft wirklich in die Gefilde des geistigen Lebens einzu­treten, in die hinein Goethes ganzes Streben gerichtet war. Die heutige Zeit muß den Faust anders begreifen, als ihn Goethe selbst begriffen hat. Ja, die Welt schreitet vor, und wenn wir nicht voll anerkennen, daß die Welt vorschreitet, so meinen wir es nicht ernst genug mit der Welt. Solche Erlebnisse aber, daß man sich spaltet, daß man sich selbst ent­gegentritt in seiner wahren Gestalt, in luziferischer Gestalt, solche Er­lebnisse bringen einen doch vorwärts, aber immer nur um ein kleines Stückchen. Von dern Glauben müssen wir uns schon trennen, daß wir die ganze geistige Welt überschauen können, wenn wir nur kleine Fort­schritte gemacht haben, wie wir sie durch Meditation machen können. Ein wenig nur kommt man immer vorwärts.

Zwei Naturen sind in Faust: die Wagner-Natur und dasjenige, was nun vorwärts strebt. Als Goethe darauf hinweisen wollte in reifen Jah­ren, hat er das sehr schön gemacht. Es kam Goethe das Bedürfnis, da, als Faust schon an das Christentum herangetreten war, zu zeigen, was die Wagner-Natur in Faust ausmacht. Daher läßt er Wagner und Faust miteinander den Osterspaziergang machen. Es ist jetzt wirklich so, daß uns, wie es dramatisch natürlich ist, an zwei Personen dargestellt wird, was in Fausts Seele vorgeht. Der höhere Mensch in Faust strebt vor­wärts, aber der Faust -Wagner hält den Faust zurück. Ein Funken der Erfassung der geistigen Welt ist in Faust entzündet, daher wird ihm der Pudel, der ihm begegnet, so, daß er jetzt nicht nur den sinnlichen Pudel sieht, und es ist wirklich etwas wie eine Seelenkraft in Faust, die sich da ausspricht in dem Gespräch mit Wagner:

Faust: Siehst du den schwarzen Hund durch Saat und

Stoppel streifen?

Jetzt erwacht wiederum die Natur des Wagner in Faust.

Wagner: Ich sah ihn lange schon, nicht wichtig schien er mir.

Die höhere Natur: Betracht' ihn recht! Für was hältst du das Tier?

Wagner-Natur: Für einen Pudel, der auf seine Weise

Sich auf der Spur des Herren plagt.

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Das sind Einwände, die sich durchaus Faust selbst eigentlich macht. Und nun geht es weiter. Faust beginnt schon hinter dern Sinnlichen das Übersinnliche zu sehen, er ahnt es schon. Also, es ist Ahnen, hervor­gerufen durch die Erfahrungen, die er gemacht hat. Ein Funken der geistigen Welt ist in ihn eingezogen. Und schön ist es, möchte man sagen, wie unendlich künstlerisch aufrichtig und ehrlich Goethe ist, nur muß man ihn verstehen. Als Faust jetzt das Luziferische in sich fühlt - wie Sie wissen, hängt das Luziferische mit dem Eigensinn zusammen, dem inneren Egoismus -, trägt er dieses Luziferische, jetzt als Faust, auch schon in sein Ergriffensein der Seele von dern Christus-Impuls herein. Es ist ein luziferischer Zug, daß ihm das Johannes-Evangelium, indem er es übersetzen will, gar nicht vollkommen erscheint. Denn dem Ver­stehenden sind die Goethe-Kommentatoren etwas kurios, die nun wirk­lich mitgehen, weil sie immer mit dern Dichter mitgehen, auch da, wo er die Dinge, die er sagen will, auf seine Personen verteilt. Den Text des Evangeliums versteht Faust noch gar nicht, sonst würde er stehenbleiben bei «Im Anfang war das Wort». Er stockt, weil er es noch nicht versteht. Die Professoren stellen es so dar, als wenn Faust es besser verstünde, aber er versteht es noch nicht. Ihm erscheint jetzt die Kraft, die Tat - also Rationalistisch-Verstandesmäßiges trägt er in das Evangelium hinein. Das ruft jetzt die entgegengesetzte Erscheinung hervor. Während er früher heruntergestoßen worden ist in die sinnliche Welt, wird er jetzt hinaufgelenkt in die geistige Welt. Indem er so recht seine Beschränkt­heit geltend macht, indem er setzt «Sinn und Kraft und Tat», wird er hinaufgestoßen in die geistige Welt, weil schon ein Funken von geistiger Kraft in Faust ist. Da kommen die Geister und wiederum als Sendbote des Erdgeistes . . . Mephisto, diese unklare Gestalt zwischen Luzifer und Ahriman. Sie sehen also, man muß aus dern Ringen Goethes heraus das Eindringen Fausts in die geistige Welt begreifen, und man kann gerade für unsere jetzige Zeit daraus unendlich viel lernen.

Worum es mir besonders in dern letzten Vortrag am Ostersonntag und in diesem Vortrag zu tun war, ist, vor Ihre Seelen zu führen, wie es gerade einem Geist, der sich vertiefen will, eine schwerere Angelegen­heit ist, zu dern Christus-Impuls vorzudringen, als einem Geist, der in seinem unendlichen Hochmut und in seiner Dünkelhaftigkeit stehenbleibt

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und das nicht haben will, was Geisteswissenschaft ihm bieten kann. Auf der andern Seite wollte ich auch an dern «Faust» anschaulich machen, wie gewaltig das war, was durch den Christus-Impuls in die Welt eingezogen ist. Es werden Zeiten kommen, da wird man immer besser und besser, gerade durch das, was Geisteswissenschaft zu geben vermag, die innere Natur des Christus-Impulses begreifen lernen. Es steht in der Welt da - ich möchte sagen, wie eine durch die Welt­geschichte gebrachte Illustration für die Erdenentwickelung der Mensch­heit von dem, was der Christus-Impuls ist - es steht da die Tatsache, daß Jahrhunderte, nachdem der Christus-Impuls eingetreten ist in die Menschheitsentwickelung der Erde, in dieser Menschheitsentwickelung etwas auftritt, das man auch nicht richtig versteht. Im Augenblick aber, wo man anfängt, es richtig zu verstehen, wird man gerade durch dieses Verständnis zu einem tieferen Gefühl von dem Christus-Ereignis ge­bracht. Sie wissen ja, sechshundert Jahre, nachdem der Christus-Impuls in die Menschheitsentwickelung eingetreten ist, trat in einer gewissen Menschengemeinschaft ein Prophet auf, der das zunächst abgewiesen hat, was durch den Christus-Impuls in die Menschheitsentwickelung eingetreten ist, Mohammed. Wir dürfen heute wirklich nicht mehr zu dern Aberglauben des 19. Jahrhunderts uns bekennen, der aus dern Rationalismus heraus in Kleinheit das erklären will, was aus dern Geiste heraus erklärt werden muß. Und lächerlich muß demjenigen, der in die Geisteswissenschaft wirklich eindringen will, es erscheinen, wenn von Mohamrned ein besonders gelehrter, gescheiter Mann sagt: Ja, der be­hauptet ja, daß in der Gestalt von Tauben zu ihm der Engel heran-komme, der ihm ins Ohr geraunt hat, was er in den Koran geschrieben hat! Aber Mohammed - so sagt der rationalistische Gelehrte - war ein bloßer Gaukler. Er hat sich einige Körner, die die Tauben gern fressen, ins Ohr gesteckt, da sind die Tauben herangeflogen und haben sich die Körner geholt, sind aber wieder weggeflogen, wenn sie sie gehabt haben! - Ja, solche Erklärungen hat es gegeben, innerhalb und außer­halb des Christentums, in dem ganz gescheiten 19. Jahrhundert.

Es wird eine Zeit kommen, wo man wirklich über solche Erklärungen nur lachen wird, trotzdem sie den Materialismus voll befriedigen kön­nen. Wir müssen schon Mohammed tiefer nehmen, wir müssen uns schon

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klar sein, daß dasjenige, was in seiner Seele lebte, wirklich ein solcher Verkehr mit der geistigen Welt war, wie ihn Goethe für seinen Faust suchte. Aber was hat Mohammed gefühlt? Was hat er gefunden? Ich kann das heute nur andeuten, ein andermal will ich es noch genauer ausführen. Was hat Mohammed gefunden? Nun, Sie wissen, Moharn­med strebte zunächst nach einer Welt, für die er einen Ausdruck hatte, es ist nur ein Wort: Der Gott. Die Welt wird zu einem Monon, zu einem monistischen Ausdruck des Gottes. Diese Welt hat nichts von dern Wesen des Christentums, selbstverständlich. Aber Mohammed schaut doch hin­ein in die geistige Welt, er kommt hinein in die elementare Welt, von der ich heute gesprochen habe. Er verspricht seinen Gläubigen, daß sie eintreten werden, wenn sie durch die Pforte des Todes gegangen sein werden, in diese geistige Welt. Aber er kann ihnen nur von der geistigen Welt erzählen, die er kennengelernt hat. Was ist das für eine geistige Welt? Diese geistige Welt, von der Mohammed seinen Gläubigen er­zählt, ist die luziferische Welt, die er als das Paradies ansieht, die Welt, die gerade erstrebt werden soll. Und wenn man aus dern Abstrakten in das Reale kommt, und man hinzufügt, interpretierend, den Sinn des Islam-Strebens in die geistige Welt hinein, erkennt man, was die Geistes­wissenschaft auch verkündet. Aber diese geistige Welt ist die Welt, in der Luzifer seine Herrschaft hat; uminterpretiert wird die luziferische Welt zu dern Paradiese, zu der Welt, die gerade erstrebt werden soll von den Menschen.

Ich glaube, es muß einen tiefen Eindruck auf unsere Seelen machen, wenn wir so in das Wesen des geschichtlichen Werdens an einer sehr wichtigen Erscheinung uns vertiefen können. Es muß uns schon bedenk­lich machen, wenn wir im Fortgang des religiösen Lebens erfahren, wie ein großer Prophet auftrat mit dern Irrtum, daß die luziferische Welt das Paradies sei. Ich möchte nicht, daß das in Ihre Seele nur so einziehe wie abstrakte Wahrheiten, ich glaube, es kann schon die Seele er­schüttern, wenn man dergleichen auf sie wirken läßt. Aber, was tut der Mohammedaner, um in seine geistige Welt hineinzukommen? Wir könnten vielleicht nachher an der Tür jeden einen Zettel abwerfen lassen, der den Koran ganz gelesen hat von den lieben Freunden, die hier sitzen. Es wäre dann interessant, die Zettel zu zählen derjenigen,

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die ihn gelesen haben. Aber es ist auch nicht leicht, den Koran ganz zu lesen, mit seinen unendlichen Wiederholungen, mit dem, was der abend­ländische Mensch in der Darstellung so unendlich langweilig findet. Unter den Mohammedanern aber gibt es Menschen, die ihn siebzig-tausendmal in ihrem Leben vom Anfang bis zum Ende gelesen haben wollen. Das heißt: ein Wort, das gegeben ist, der Seele zugeführt zu haben so, daß dieses Wort in der Seele lebendig geworden ist! Können wir in bezug auf das Christentum sicher nichts inhaltlich lernen von einer solchen Religionsgemeinschaft, so können wir doch erfahren, daß innerhalb jener Menschengemeinschaft ganz anders verfahren wird selbst mit dern geistigen Irrtum, als bei uns mit dem, was wir als geistige Wahrheiten zu erkennen berufen sind. Dasjenige, was ein Europäer höchstens tut, ist, daß er den «Faust» liest, dann, wenn er ihn vergessen hat, ihn wieder liest, wenn er ihn wieder vergessen hat, nochmals liest. Aber diejenigen, die ihn hundertmal gelesen haben, den «Faust», wer­den auch zu suchen sein. Es ist auch begreiflich innerhalb der bisherigen abendländischen Bildung. Wie sollte man denn alles siebzigtausendmal lesen, was im Abendland gedruckt wird; ganz begreiflich ist es. Aber etwas sollten wir uns doch aneignen, daß es etwas anderes ist, sich ein­fach zu informieren über einen Inhalt, der für das Seelenleben bedeu­tungsvoll ist, und etwas anderes, mit ihm zu leben, immer wieder und wiederum, so daß man ganz eins mit ihm wird, ganz eins. Es ist etwas, wovon man erst Verständnis gewinnen muß, wovon man sich nicht einmal ein Verständnis nach den Denkgewohnheiten unserer Volks­gemeinschaft machen kann. Aber wir sollten über solche Dinge nach­denken. Nicht bloß, um Ihnen etwas zu sagen, sondern, um Ihr Nach­denken anzuregen, sind Worte gesprochen, wie diejenigen sind, die in dieser Betrachtung gesprochen worden sind. Um unser Verantwortlich­keitsgefühl gegenüber uns selbst und gegenüber der Welt zu erhöhen, mit Bezug auf dasjenige, was uns Geisteswissenschaft sein kann und soll.

Wir leben in mancherlei Hinsicht in einer schweren Zeit. Die ganz schweren äußeren Ereignisse, die uns in der Gegenwart umgeben, sind nur das äußere Zeichen für unsere ganz schwere Zeit. Es ist nicht gut, diese ganz schwere Zeit wie eine Krankheit anzusehen, wie wir oft­mals eine Krankheit Krankheit nennen, denn die Krankheit ist oft ein

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Heilungsprozeß, die wahre Krankheit ist der physisch erscheinbaren Krankheit vorausgegangen. So ist auch dem, was jetzt als Trauerereig­nisse durch die Welt geht, vorangegangen etwas Krankhaftes, und in viel Tieferes sollen wir hineinsehen, als die Menschheit geneigt ist, hin-einzusehen. Oh, ein großer Schmerz kann sich auf der Seele ablagern desjenigen, der gerade die heutige Zeit betrachtet mit den Aufgaben, die sie hat, und mit dern geringen Verständnis, das so viele Menschen diesen Aufgaben entgegenbringen. Wenn gesehen wird, wie Menschen gerade heute in der Welt urteilen, wie Menschen denken, fühlen und empfin­den, und wie dieses Denken, Fühlen und Empfinden zu äußeren Ereig­nissen führt, und wie die Menschen von diesen äußeren Ereignissen so wenig lernen, dann lagert sich ein unendlich bedeutungsvoller Schmerz auf der Seele ab. Dieses Schmerzgefühl ist es, das jetzt oftmals über die Seele kommen muß. Kann man doch wirklich hinaussehen in die Zeit

- um nur das jüngste zu nennen - monatelanger Prüfung, hinwenden den Blick auf das, was die Menschen gelernt haben durch diese monate-lange Prüfung, auf das, was einem an Urteil entgegentritt im Verhältnis zu dem, was vor acht Monaten einem entgegengetreten ist: es ist dieselbe Art des Urteilens, dieselbe Art des Empfindens Das, womit die Men­schen glaubten, Recht zu haben vor acht Monaten, sie denken es immer noch, sie wollen gar, daß die traurigen Ereignisse eingetreten sind, um besonders ihnen Recht zu geben in dem, womit sie Recht zu haben glaubten vor acht Monaten.

Ich kann es nicht aussprechen, wie unendlich der Schmerz ist, den man empfindet über die geringe Art, wie sich in den letzten Monaten die Menschenseelen gewandelt haben nach den Voraussetzungen, die man für diesen Wandel machen mußte, damit wirklich unsere Zeit die Zeit einer Prüfung, die Zeit eines Lernens sei. Von denjenigen aber, die innerhalb der Geisteswissenschaft stehen, möchte man wünschen, daß sie mancherlei von dern gerade aufnehmen, was man lernen kann, wenn solche Betrachtungen, wie diese im Zusammenhang mit «Faust», ange­stellt werden. Immer wiederum möchte man die Seelen hinweisen auf den tiefen Ernst und auf das heilige Wahrheitsstreben, das mit unserer geisteswissenschaftlichen Anschauung verknüpft sein muß. Und rächen muß sich gerade in einer solchen Bewegung dasjenige, was nicht aus

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tiefer Ehrlichkeit und tiefem Wahrheitsgefühl heraus ist. All dasjenige, wovon man sagen kann dem, der es äußert: Verzeiht, ich hör' Euch deklamieren! -, alles das sollen wir wirklich zu überwinden versuchen.

Ist es denn nicht sonderbar, wenn wir heute den Bühnentraditionen nach Wagner oft über die Bühne gehen sehen, und wenn auch Gelehrte, wenn gegenwärtig Rationalisten und Verstandesmenschen weidlich höhnen über dasjenige, was Wagner ist, statt daß sie an ihr Herz klopfen und sich in dern Wagner sehen würden. Dieser Wagner sitzt überall auf den Lehrstühlen, in den Laboratorien, und unsere wissenschaftliche Lite­ratur, unsere philosophische Literatur, sie würden eine tiefe Wahrheit enthalten, wenn die größte Zahl der Autoren das Pseudonym «Wagner» wählen würden. Denn sie sind von Wagner geschrieben, diese Philo­sophen der Gegenwart.

Ich glaube gar sehr, daß auch mancher, der in den Reihen der Geistes­wissenschaft lebt, hinreichend Grund hat, an seine Brust zu klopfen, sich selbsterkennend zu prüfen, wieviel von bloßem Sich - selbst -Vordekla­mieren in seiner Seele ist, und wieviel aus absoluter Ehrlichkeit, aus absolutem Wahrheitsgefühl entsprungen! Mit dieser Mahnung an Ihre Herzen, an Ihre tiefsten Seelenkräfte schließe ich diese Betrachtung.

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PFINGSTSTIMMUNG. FAUSTS INITIATION MIT DEN GEISTERN DER ERDE Dornach, 22. Mai 1915

im Anschluß an eine eurythmische Darstellung der ersten Szene des «Faust» II. Teil

Im gewöhnlichen Sinn einen Pfingstvortrag in diesem Jahre zu halten, ist ja, das wird verstanden werden, gerade zu diesem Zeitpunkt, nämlich gerade zu Pfingsten, wohl kaum möglich. Bedenken wir, wodurch die Zeit der Pfingsten charakterisiert ist in dem Dokument des Christen­tums, in dern Neuen Testament. Wir werden finden, daß die bedeutsame Charakteristik des Pfingstfestes die ist, daß der Geist ausgegossen wird über diejenigen, die Apostel genannt werden. Und die Folge des Aus­gießens des Geistes ist, wie wir aus dern zweiten Kapitel der Apostelgeschichte ersehen, daß die Menschen der verschiedensten Sprachen, die da versammelt sind am Pfingstfeste, zehn Tage nach der sogenannten Himmelfahrt, ein jeder das, was ihnen verkündet werden soll, so ver­nimmt, daß es ihm vertraut klingt, trotzdem ein jeder ausdrücklich be­tont, daß er nur seiner Muttersprache fähig ist.

Und so erscheint die Ausgießung des Geistes am Pfingstfeste wie die Ergießung des Geistes der Liebe, der Eintracht, der Harmonie derjeni­gen, die über den Erdkreis hin die verschiedensten Sprachen sprechen. Oder man könnte, besser gesagt, um den Wortlaut der Bibel besser zu treffen, die Sache in der folgenden Weise wenden. Man könnte sagen: Es wird in der Pfingstverkündigung etwas gegeben, was so dem mensch­lichen Gemüte anklingt, daß ein jeder es verstehen kann, trotzdem er nur seine Muttersprache versteht.

Es empfindet fast jeder als dern widersprechend, was uns in diesem Jahre am Pfingstfeste umgibt, wenn nur eine Interpretation desjenigen gegeben wird, was mit dieser Pfingstverkündigung gemeint sein kann. Wir brauchen nur zu bedenken, daß die Welt neunzehn Jahrhunderte nach dieser Pfingstverkündigung es dahin gebracht hat, diese Pfingstverkündigung so zu befolgen, daß nunmehr dieses Pfingstfest sieht auf vierunddreißig verschieden sprechende Völker miteinander im Kampfe,

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gewissermaßen völlig widersprechend demjenigen, was der Sinn des Pfingstfestes ist. Vielleicht wird diese Sprache der Tatsache doch wenig­stens in eine gewisse Anzahl von Menschen die Erkenntnis einfließen lassen, daß jene Pfingstverkündigung noch nicht in durdigreifender Weise über den Erdkreis sich verbreitet hat, daß sie noch nicht in ge­nügender Art die Gemüter der Menschen ergriffen hat, und daß sie in einer neuen Form zu den Gemütern der Menschen wird sprechen müssen, eindringlicher, bedeutsamer, als sie bisher gesprochen hat, damit sie in die Zukunft hin in derjenigen Weise verstanden werden könne, in der sie doch verstanden werden muß.

Und so sei denn in diesem Jahre als Pfingstbetrachtung gewisser­maßen ein allgemeiner Gesichtspunkt eingenommen, ein Gesichtspunkt, der uns von einer gewissen Seite die neue Pfingstverkündigung nahe­bringen kann, die wir meinen mit der Geisteswissenschaft. Denn als eine Pfingstverkündigung an die Menschheit müssen wir doch ansehen, was gerade in den Vorträgen ausgeführt worden ist, die wir hier absolviert haben; als eine Pfingstverkündigung müssen wir diese Geisteswissen­schaft doch auffassen.

Nehmen wir einmal das, was wir über das Mysterium von Golgatha wissen, und lassen wir es vor unsere Seele treten. Worin besteht das Wesentliche dieses Mysteriums von Golgatha? Dieses Wesentliche des Mysteriums von Golgatha besteht darinnen, daß eine geistige Wesen­heit, von der wir wissen, daß sie den kosmischen Sphären angehört, herabgestiegen ist und irdische Schicksale, irdisches Leid durchgemacht hat in einem physischen Menschenleibe, daß die Christus -Wesenheit drei Jahre verlebt hat in dern Leibe des Jesus von Nazareth. Durch das, was die Christus -Wesenheit in dern Leibe des Jesus von Nazareth erlebt hat, ist diese Christus -Wesenheit sei dern Mysterium von Golgatha mit dern vereinigt, was wir den Geist der Erde nennen können, was wir das Aurische der Erde nennen können. So daß die gesamte Erdenentwicke­lung für uns in eine Zeit vor dern Mysterium von Golgatha zerfällt, da gewissermaßen dasjenige, was der Christus-Geist ist, nur angedeutet werden kann, wenn der Mensch sich erhebt durch Initiation aus der irdischen Sphäre heraus, um wahrzunehmen nicht dasjenige, was inner­halb der irdischen Sphäre liegt, sondern dasjenige, woran die Erde keinen

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Anteil hat, was ihr erst vorbestimmt ist für eine spatere Zukunft, und in die Zeit nach dem Mysterium von Golgatha. Seit dern Mysterium von Golgatha, wissen wir, ist dies so, daß der Mensch mit seinem Geistig-Seelischen nicht der Erde zu entfliehen braucht, sondern inner­halb der Erdensphäre verbleiben kann und vernehmen kann innerhalb dieser Erdensphäre dasjenige, was die Christus-Wesenheit an Impulsen enthält.

Nun müssen wir uns klarmachen, daß die Jahrhunderte bis in unsere Zeit herein in bezug auf einen Teil der Menschheit ein Bewußtsein davon aufgenommen haben, daß der Christus-Impuls mit dern Erden-dasein sich verknüpft habe. Ganz geändert hat sich etwas in dem Ge­sarntbewußtsein der Menschen, derjenigen Menschen, die etwas gefühlt haben, empfunden haben von dern Christus-Impuls. Geändert hat sich etwas in dern Gesamtbewußtsein dieser Menschen. Der Glaube trat in die Seele ein, daß der Christus mit dern Menschen ist, daß sich das menschliche Gemüt vereinigen kann mit dern Christus, daß das mensch­liche Gemüt etwas durchleben kann innerhalb des Erdendaseins, was von dern Christus-Impuls lebendig durchdrungen wird. Ein Verständnis aber desjenigen, was der Christus-Impuls im gesamten Erdendasein in der Entwickelung der Menschheit ist, muß durch die Geisteswissen­schaft erst wirklich in die Menschenseelen dringen. Und dazu ist not­wendig, daß erkannt werde, wie dieser Christus-Impuls in der Men­schenseele so wirkt, daß zwei andere geistige Impulse gewissermaßen im Gleichgewicht gehalten werden.

Das wird darzustellen haben unser Bildwerk, welches wir aufzustel­len haben im Osten unseres Baues. Da werden wir den Repräsentanten der Menschheit hinstellen, den Repräsentanten des Menschen, insofern dieser Mensch das Tiefste in sich erleben kann, insofern dieser Mensch erleben kann das, was man erlebt, wenn man den Christus-Impuls als einen lebendigen Impuls in seine Seele aufgenommen hat. Meinetwillen wird man nennen können die Hauptfigur im Bau im Osten den Christus, man wird ihn auch nennen können den Repräsentanten des verinnerlich­ten Menschen überhaupt. Aber man wird sehen müssen diesen Geist, der durch einen menschlichen Leib spricht, im Zusammenhange mit zwei andern geistigen Wesenheiten, mit Luzifer und Ahriman. Aufrechtstehend

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wird der Repräsentant der Menschheit auszudrücken haben das Verhältnis zu Luzifer und Ahrirnan. Es wird alles an dieser Figur nur charakteristisch sein müssen. Vor allen Dingen werden Sie später, wenn diese Figur gerade einmal aufgestellt ist, bemerken können, daß die Geste der als Linke erhobenen Hand und die Geste der als Rechte ge­senkten Hand ganz besondere sind. Diese Geste der Hände wird ver­standen werden können, wenn man sehen wird, wie oben auf dern Felsen, nach dessen Gipfel sich die linke Hand des Menschheitsrepräsen­tanten erhebt, der linke Arm erhebt, wie oben auf diesem Felsengipfel Luzifer abstürzt aus dern Grunde, weil er sich die Flügel bricht.

Nun wird man leicht glauben können, daß dieses Brechen der Flügel durch die Kraft geschähe, welche ausströmt aus dern Arm des Mensch­heitsrepräsentanten, als ob gleichsam diese Kraft nach Luzifer aus­strahlte und ihm die Flügel bräche. Das wäre eine falsche Auffassung. Und es wird uns hoffentlich gelingen, durch die plastische Darstellung diese falsche Auffassung nicht aufkommen zu lassen. Denn nicht darum handelt es sich, daß von dern durdichristeten Menschen etwas ausströme, was Luzifer die Flügel bricht, sondern darum handelt es sich, daß Luzi­fer in sich selber etwas erlebt, indem er die Nähe des Christus empfindet, was zum Brechen seiner Flügel führt. Weil er die Christus-Kraft, den Christus-Impuls, nicht ertragen kann, bricht er sich die Flügel. Es ist ein Vorgang, der nicht durch einen Kampf des Christus gegen Luzifer er­zeugt wird, sondern es ist ein Vorgang im Inneren des Luzifer selber, etwas, was Luzifer in sich erleben muß, und es darf keinen Augenblick zweifelhaft sein, daß es dern Christus unmöglich wäre, Haß- oder Kampfgefühle gegen Luzifer zu empfinden. Der Christus ist der Chri­stus und erfüllt nur mit Positivem das Weltensein, bekämpft keine Macht der Welt! Aber sich muß die Macht bekämpfen, die als luzife­rische Macht nun in seine Nähe kommt. Daher darf nicht aggressiv die Hand wirken, die links erhoben wird, und auch nicht aggressiv darf die linke Hälfte des Antlitzes wirken mit dieser eigentümlichen Geste, son­dern es ist wie ein Hinweisen darauf, daß im Weltenzusammenhange Christus etwas mit Luzifer zu tun hat. Aber nicht ein Kampf ist es. Der Kampf entsteht erst in der Seele des Luzifer selber. Er bricht sich selbst die Flügel, ihm werden die Flügel nicht von Christus gebrochen.

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Und ebenso ist es mit Ahriman, der in einer Felsenhöhle unter der rechten Seite des durdichristeten Menschen kauert, unter der die Erde nach oben getrieben wird: das Materielle, das in die Menschen wie hineingetrieben wird, das aber sich nicht erkraften kann und erlahmt, weil die Christus-Kraft in seiner Nähe ist.

Wiederum darf die Christus-Kraft, die durch den Arm in die Hand wallt und strömt, nichts verraten von einem Haß gegen Ahriman, son­dern Ahriman ist es selber, der in sich erlahmt, und der durch dasjenige, was in seiner Seele vorgeht, das versteckt liegende Gold in den Adern der Erde wie Fesseln um sich schlingt, so daß er aus dern Erdengolde sich Fesseln macht und sich selber anschmiedet. Er wird nicht durch Christus angeschmiedet, er schmiedet sich selber an, indem er die Nähe des Christus empfindet.

Damit aber wird erst das Urverhältnis, ich möchte sagen, bloßgelegt, welches erkannt werden muß, damit dasjenige, was der Christus-Impuls ist, wirklich von den menschlichen Seelen verstanden werden kann.

Durch ein einfaches Gleichnis kann man diesen Christus-Impuls ab­strakt klarlegen. Denken Sie sich einmal ein Pendel. Das Pendel schlägt aus nach der einen Seite, fällt dann durch seine eigene Schwerkraft bis zum untersten Punkt und schlägt nach der andern Seite aus, eben so weit, bis an dieser andern Seite ein Punkt ist, den wir als Gleichgewichts-punkt bezeichnen. Dieser Punkt wäre ein toter Punkt, ein ruhender Punkt, wenn das Pendel nun nicht nach der andern Seite ausschlagen würde. Leben ist im Pendel dadurch, daß es nach beiden Seiten aus-schlägt und in der Mitte einen Ruhepunkt hat.

So können wir uns seit dern Mysterium von Golgatha die Erdenent­wickelung vorstellen: Pendelausschlag nach der einen Seite, nach der luziferischen Seite, und Pendelausschlag nach der andern Seite, nach der ahrimanischen Seite. Und der Gleichgewichtspunkt ist der Christus in der Mitte.

Daß dies erst erkannt werden muß, mag Ihnen aus einer bedeutsamen historischen Tatsache hervorgehen. Wir alle bewundern das Bild, das Michelangelo als «Jüngstes Gericht» gemalt hat. Sie kennen es aus Nach­bildungen des Originals, das sich in der Sixtinischen Kapelle befindet. Wir sehen da mit großartiger Meisterschaft durch Michelangelo hingemalt

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den Christus, wie triumphierend die einen zur Hölle sendend, den bösen Geistern entgegen, die andern, die Guten, nach dem Himmel sendend. Und schauen wir einmal ins Antlitz diesem Christus, dann sehen wir in ihm den Weltenzorn. Und haben wir Geisteswissenschaft aufgenommen, haben wir alles das wirklich in Liebe mit unserem Ge­müte vereinigt, was wir bisher aufnehmen konnten von Geisteswissen­schaft, dann sagen wir heute trotz unserer Bewunderung gegenüber dem, was Michelangelo geschaffen hat: Das ist kein Christus, denn der Christus richtet nicht! Die Menschen richten sich selber, wie Luzifer und Ahriman eigene Vorgänge erleben, nicht dasjenige, was durch irgend­einen Kampf des Christus gegen sie bewirkt wird.

Als Michelangelo seinen Christus schuf, war noch nicht die Zeit, den Christus in wirklicher Vollkommenheit zu erkennen. Es waltete in den Menschen noch, ich möchte sagen, Unklarheit. Man sah im Christus sel­ber etwas von dem, wovon wir heute wissen, daß es dern Luzifer oder dern Ahriman zugeschrieben werden muß. Und verstehen können wir heute etwas von dem, wenn Leute in dern Michelangelo-Christus selber etwas wie Luzifer oder Ahriman gefunden haben, denn er ist noch nicht frei, so wie ihn Michelangelo darstellt, von dem, wovon der Christus völlig frei ist.

Halten wir uns einmal vor die Seele, stellen wir uns einmal richtig vor, was es heißt, daß aus jener Anschauung, aus der Michelangelo ge­wachsen ist, ein Bild des Christus nicht zustande kommen konnte, wel­ches einem wirklichen Verstehen des Mysteriurns von Golgatha ent­spricht, weil noch ungeklärt war dasjenige, was gewußt werden muß:

das Verhältnis zwischen Christus, Luzifer und Ahriman.

Wie oft ist es betont worden in unseren Kreisen, daß es eine falsche Empfindung ist, hinzuweisen auf Luzifer und zu sagen: Ich will ihm entfliehen, - oder hinzuweisen auf Ahriman und zu sagen: Ich will ihm entfliehen. - Das würde nur heißen, mit der Schwäche einen Pakt schlie­ßen wollen, würde heißen, dem Pendel den Rat zu geben, damit es in der Gleichgewichtslage sei, gar nicht auszuschlagen nach links und nach rechts, sondern immer in Ruhe zu bleiben. Wir können nicht entfliehen den Weltenkräften, die wir als Luzifer und Ahriman bezeichnen, wir müssen zu ihnen nur das rechte Verhältnis finden. Und dieses rechte Verhältnis

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finden wir, wenn wir den Christus-Impuls in der richtigen Weise verstehen, wenn wir in der Christus-Wesenheit den Führer sehen, der uns in das rechte Verhältnis zu den luziferischen und ahrimanischen Mächten setzen kann, die einmal Mächte der Welt sein müssen.

Betrachten wir alles dasjenige, was Luzifer hineinbringt in das Leben der Menschen. Alles das bringt er hinein, was zusammenhängt mit dern Empfinden, mit den Leidenschaften, mit dem Gefühls- und Gemüts-leben. Trocken, nüchtern, abstrakt wäre das Leben, wenn nicht die lebendige Empfindung, das lebendige Gefühl dieses Leben durchfluteten. Sehen wir hin auf die Entwickelung der Geschichte, was die Leidenschaft, die man oftmals auch die edle Leidenschaft nennt - mit Recht die edle Leidenschaft -, in der Geschichte bewirkt hat, was Fühlen und Empfin­den bewirkt haben. Nimmermehr sind aber wir imstande, überhaupt Gefühle und Empfindungen zu hegen, ohne in die Sphäre des Luzifer uns zu begeben. Nur darum handelt es sich, daß wir niemals in diese Sphäre eintreten ohne die Führung des Christus-Impulses.

Und sehen wir auf der andern Seite, wie notwendig es gerade in der neueren Zeit geworden ist, immer mehr und mehr die Welt zu verstehen, Wissenschaft auszubilden, die äußeren Naturkräfte zu beherrschen. Herr desjenigen, was die äußere Wissenschaft ist, desjenigen, was in den äußeren Naturkräften lebt, ist Ahriman. Und wir müßten dumm und töricht bleiben, wollten wir fliehen das ahrimanische Element. Nicht darum handelt es sich, das ahrimanische Element zu fliehen, sondern wiederum unter der Führung des Christus-Impulses in jene Sphäre ein­zutreten, in der Ahriman in der Welt waltet. Und so nicht in träger Weise bloß den Ruhepunkt zu suchen, sondern die lebendige Bewegung des Weltenpendels mitzuerleben, so zu erleben, daß wir keinen Schritt machen ohne die Führung des Christus-Impulses. Christus-Erkenntnis ist erst möglich, wenn das Verhältnis des Christus-Impulses zu den luzi­ferischen und ahrimanischen Kräften der Menschenseele klar geworden ist. Daher gehört die Verkündigung der luziferischen und ahrimanischen Seite der Welt zu demjenigen, was unsere geisteswissenschaftliche Be­wegung aufnehmen mußte, da sie sich bewußt war, auf den Boden des Christus-Impulses sich stellen zu müssen. Und darum können Sie ge­rade in der außerchristlichen theosophischen Lehre von den ahrimanischen

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und luziferischen Elementen nichts finden, weil dies eben auftreten mußte, dieses luziferische und ahrimanische Element, in dern Augen­blick, in dern in ernster Weise die geisteswissenschaftliche Bewegung mit dern Christus-Impuls zu rechnen hatte.

Ich denke, es ist etwas außerordentlich Wichtiges für die Menschen­seele, zu fühlen, wie Geisteswissenschaft die Aufgabe hat, wirklich etwas Neues in das Menschenbewußtsein hineinzubringen, etwas so Neues, daß wir es selbst messen dürfen an so großen Schöpfungen der Mensch­heit, wie es der Michelangelosche Christus des «Jüngsten Gerichtes» ist. Und es wird uns dasjenige, was uns durch Geisteswissenschaft vorschwe­ben muß, als die neue Pfingstverkündigung im rechten Sinne des Wortes erscheinen müssen.

Wir haben um die Osterzeit herum gesehen, wie einer der großen Geister der neueren Zeit, Goethe, gerungen hat, denjenigen, den er als den Repräsentanten der Menschheit hingestellt hat, den Faust, in eine Beziehung zu bringen zu dem Christus-Impuls. Und wir haben gesehen, wie Goethe in seiner Jugend das noch nicht konnte, wie es ihm erst im reifen Alter möglich geworden ist. Und so erscheint uns denn vielfach das Geistesleben, wie es sich heraufentwickelte bis in unsere Gegenwart, als ein Ringen, als ein unablässiges Ringen. Es erscheint uns wahrhaftig so, daß es uns im höchsten Grade bescheiden machen muß, wenn wir so sehen, wie die erlesensten Geister der Menschheit gestrebt haben, um Vorstellungen, um Empfindungen zu bekommen für dasjenige, was der Christus-Impuls bedeutet. Da überkommt es uns, wie bescheiden wir sein müssen in dern menschlichen Streben nach dieser Erkenntnis des Christus-Impulses.

Goethe - wir haben es gesehen - lag zunächst daran, das, was als luziferisches und ahrimanisches Element um den Menschen herum wirkt, wirklich hintreten zu lassen an seinen Repräsentanten der Menschheit, an den Faust. Und wir haben gesehen, wie Goethe durcheinander-gemischt hat das ahrimanische und das luziferische Element, so daß man es nicht leicht unterscheiden kann in der Mephistopheles-Figur. Wir ha­ben da gezeigt bei den Ostervorträgen, wie in der Mephistopheles-Figur zusammengemischt ist luziferisches und ahrimanisches Element, weil Goethe eine klare Erkenntnis noch nicht möglich war. Goethe hat im

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Grunde genommen zeitlebens empfunden, wie in ihm rumorte das Stre­ben, ins Klare zu kommen über das Verhältnis des Menschen zu Luzifer und Ahriman. Als er am Ende des 18. Jahrhunderts als reifer Mann von Schiller aufgefordert wurde seinen «Faust» fortzusetzen, und wieder sah, was er in seiner Jugend hingeschrieben hatte, da nannte er dasjenige, was er da zusammengefügt hatte zu verschiedenen Zeiten, einen Trage­laph - halb Tier und halb Mensch; so kam ihm sein «Faust» vor. Und er nannte seinen «Faust», um die Schwierigkeit anzudeuten, jetzt ihn fortzusetzen, «eine barbarische Komposition», so daß uns das Urteil vorliegt von Goethe, der genauer Bescheid wissen mußte über seinen «Faust» als diejenigen, die nicht Goethe sind, daß der «Faust» ein Tragelaph sei, «halb Tier und halb Mensch», daß er eine «barbarische Komposition» sei! Dasjenige, was ich zu Ostern darstellen wollte, und was so leicht mißverstanden werden kann, führt zuletzt auf ein Urteil von Goethe selbst zurück. Ja gewiß, sehr gescheite Leute sehen in dern «Faust» ein vollkommenes Kunstwerk, sehen in dern «Faust» dasjenige, was sich nicht überbieten läßt. Es war nicht Goethes Meinung und darf auch nicht ferner unsere Meinung sein. Wenn wir auch im «Faust» die Erhebung zu einem Höchsten sehen, so müssen wir uns darüber klar sein, daß dieser «Faust» vor allen Dingen selbst in der inneren Kom­position daran leidet, daß in seiner Figur des Mephistopheles Luzifer und Ahriman in ganz unorganischer Weise ineinandergemischt sind.

Aber trotz all diesem Ineinandermischen fühlte Goethe dunkel: Luzi­fer und Ahriman, sie hätten ja beide auftreten müssen. Goethe mischt nur alles zusammen und nennt alles «Mephistopheles», so daß in den einzelnen Szenen im «Faust» Luzifer oft Luzifer, in andern Teilen Mephistopheles oder Ahriman ist. Aber dieses war Goethe ganz klar:

in dern Menschen geht etwas vor, was unter dern Einflusse von Luzifer und Ahriman geschieht, von Luzifer und Mephistopheles. Solches geht im Menschen vor.

Nun sehen wir uns einmal den Schluß des ersten Teiles von Goethes «Faust» an. Wie endet er? Faust hat die denkbar schwerste Schuld auf sich geladen, hat ein Menschenleben auf seinem Gewissen, hintergangen hat er einen Menschen, die schwere Schuld auf sich geladen, sich selbst und den andern Menschen gegenüber. Und das letzte Wort des ersten

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Teiles des «Faust» ist: «Her zu mir!», in demselben Momente, wo nur durch eine Stimme wie vom Himmel heruntertönt verhallend: «Hein­rich, Heinrich!» Wir wissen also aus diesem Schluß des ersten Teiles, wohin Faust gekommen ist. Er ist gekommen zu Mephistopheles. Me­phistopheles hat ihn. Darüber ist gar kein Zweifel möglich.

Und nun sehen wir den Beginn des zweiten Teiles. Dieser Beginn des zweiten Teiles bietet uns eine anmutige Gegend dar: «Faust auf blumi­gen Rasen gebettet, ermüdet, unruhig, Schlaf suchend.» Geister treten auf. Und aus dem, was sie sprechen, bekommen wir den Eindruck: wir haben es mit einer Natur zu tun, ja wirklich, mit einer Natur - wir brauchen nur jetzt in dieser Jahreszeit hinauszugehen - und wir haben diese Natur. Pfingstnatur etwa! Pfingststimmung etwa! Diese Pfingst-stimmung, sie wirkt auf Faust. Und nachher setzt er seinen Lebensweg weiter fort.

Ein Gelehrter hat einen Ausspruch getan gegenüber dem, was Goethe da gemacht hat, der, man kann sagen, immerhin etwas für sich hat, trotzdem der Ausspruch philiströs und pedantisch ist. Der Gelehrte hat gesagt: Wenn du eine schwere Schuld auf dich geladen hast, wie Faust dern Gretchen gegenüber, so begib dich in eine anmutige Gegend, auf blumigen Rasen, mache etwa eine Bergpartie, und deine Seele wird nachher gesundet sein, zu weitern Taten fähig. - Man kann sagen, realistisch ahrimanisch aufgefaßt, hat dieser Ausspruch des Gelehrten

- Rieger - manches für sich. Denn es müßte eigentlich allen Menschen, die im gewöhnlichen Sinne der heutigen Zeit eine rein materialistische Weltanschauung haben, unerträglich sein, den zweiten Teil des «Faust» auf sich wirken zu lassen, nachdem die große, gewaltige Schuld im ersten Teil charakterisiert ist, die Faust auf sich geladen hat. Aber man nimmt leider die größte Dichtung der Menschheit, soweit das menschlich Per­sönliche in Betracht kommt - denn das ist der «Faust», trotzdem er eine barbarische Komposition und ein Tragelaph in seinem ersten Teil ist -, man nimmt diese Dichtung leider nicht wörtlich genug. Nähme man sie wörtlich genug, so müßte man eben wissen, daß wahr ist: «Her zu mir!» . . . Mephistopheles hat den Faust. So wie er ihn hat, ist jetzt Faust auf blumigen Rasen gebettet, unruhig Schlaf suchend. Und wir dürfen uns den Faust nicht losgelöst denken am Beginne des zweiten

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Teiles von den höllischen Mächten. Aber Goethe rang nach wirklicher spiritueller Erkenntnis. Wie nahe Goethe spiritueller Erkenntnis war, mag Ihnen aus einer Briefstelle hervorgehen, die Goethe einmal an seinen Freund, den Musiker Zelter, geschrieben hat. Eine bedeutsame Briefstelle! Goethe schreibt da: «Man bedenke, daß mit jedem Atemzug ein ätherischer Lethestrorn unser ganzes Wesen durchdringt, so daß wir uns der Freude nur mäßig, der Leiden kaum erinnern.» Mit jedem Atemzug durchdringt unser Inneres in der Tat ein ätherischer Lebens-strom, das heißt aber nichts anderes als: Goethe wußte ganz gut von dern Ätherleib, den der Mensch hat. Er hat das in seiner Zeit natürlich nur im Freundeskreis zur Sprache gebracht.

Wie Goethe stand zu der gesamten menschlichen Wesenheit, wie er, hinblickend auf diese menschliche Wesenheit, sich sagte: Diese mensch­liche Wesenheit kann schuldig werden, denn in ihr wohnt etwas, was unter mephistophelischem Einflusse steht, was dern Mephistopheles ge­hört -, wie Goethe hinblickte auf diesen Menschen, der dieser Sphäre angehört, so war ihm zu gleicher Zeit klar, daß etwas in der mensch­lichen Natur lebt, was diesem Einfluß niemals verfallen kann, was be­wahrt werden kann vom ahrimanisch-luziferischen Einfluß. Und das­jenige, was bewahrt werden kann vom ahrimanisch-luziferischen Ein­fluß, das ist es in Faust, womit wir es im Anfange des zweiten Teiles zu tun haben. Der Faust, der schuldig werden konnte, der Faust, der sich durch Mephistopheles in die trivialsten, banalsten Lebensgenüsse hat ziehen lassen, der Faust, der dann das Gretchen verführt hat, der Faust ist schuldig geworden. Wir in unserer geisteswissenschaftlichen Sprache würden sagen: Dieses im Faust hat zu warten bis zur nächsten Inkarna­tion.

Aber in der Menschennatur ist etwas, was des Menschen höheres Selbst ist, was in Beziehung bleibt zu den geistigen Mächten der Welt. Daher treten die geistigen Mächte der Welt diesem Ewigen in Faust gegenüber. Der Faust, den wir am Beginn des zweiten Teiles erblicken, müssen wir uns nicht im realistischen Sinne vorstellen als so und so viel älter gewordenen Faust, sondern er ist wirklich nur der Repräsentant zunächst des höheren Selbstes in Faust. Er trägt noch dieselbe Gestalt. Aber diese Gestalt ist der Repräsentant von etwas, was im Faust

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nicht hat schuldig werden können. Dieses, was im Faust nicht hat schuldig werden können, tritt nun in Beziehung zu den Dienern des Erdgeistes.

Goethes Sehnsucht ging von seiner Jugend an dahin, eine Anschauung darüber zu gewinnen, wie es denn ist mit des Menschen Schuld, mit dern Bösen in der Welt, und wie doch über allem etwas schwebe, was aus­gleichend wirken müsse gegenüber Schuld und gegenüber dern Bösen. Und so wagte sich denn Goethe, da er gewissermaßen Fausts eine Natur dem Mephisto überlassen mußte - «Her zu mir!» -, er wagte sich an die andere Natur des Faust. Und wir müssen uns ganz klar sein, jetzt spricht im Beginne des zweiten Teiles zunächst nicht derselbe Faust, den wir kennen aus dern ersten Teil, sondern es spricht eine andere, eine zweite Natur, die nur noch äußerlich Fausts Gestalt trägt, und die sich einleben kann in dasjenige, was als Geistiges die äußere Welt durchzieht. In das aber muß sich hineinfinden, was zunächst keinen Zusammenhang hat mit Fausts äußerem physischem Leib. Denn der physische Leib behält natürlich, solange wir in derselben Inkarnation bleiben, alle Zeichen der Schuld, in die wir verfallen sind. Recht verbinden mit dem, was das höhere Selbst ist, kann sich nur dasjenige in uns, was von dern physischen Leib sich frei macht. Und so muß Faust jene Umwandlung durchmachen, die wir nennen können die Umwandlung der Schuld in eine höhere Erkenntnis.

Das, was er als Schuld trägt, wird er mittragen bis in seine nächste Inkarnation. Für diese Erdeninkarnation trägt er die Schuld als die Quelle einer sich ihm öffnenden höheren Erkenntnis, einer genaueren Erkenntnis des Lebens. Und so öffnet sich denn dern Faust, trotzdem er die ungeheuerste Schuld auf seiner Seele trägt, die Möglichkeit, daß sein höheres Selbst in Zusammenhang gebracht wird mit dem, was die Welt als Geistiges durdiwallt und durchlebt und durchwebt.

Fausts höheres Selbst kommt mit einem Geiste der Erdenaura in Be­ziehung. Goethe wollte gleichsam darstellen: dasjenige, was das Höchste im Menschen ist, konnte gar nicht ergriffen werden von Mephistopheles, wir würden sagen: Luzifer -Ahriman, - das muß bewahrt worden sein, das muß in andere Sphären eintreten, eingehen können. Und so ist denn von Goethe ganz ernst gemeint, daß dieses höhere Selbst in Faust nun

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in Beziehung tritt zu dem, was die elementarische Welt als geistige Wesenheit enthält.

Wir werden später sehen, wie das wiederum mit dern zusammen­hängt, was hier schon in den Ostervorträgen gesagt worden ist. Aber nun bedenken wir, wie anknüpfen diese geistigen Wesenheiten, die unter der Führung des Luftgeistes stehen, denn ein solcher ist Ariel, wie an­knüpfen diese Geister, die wir also im ganzen als Luftgeister bezeichnen können, an die äußeren Naturvorgänge, wie sie sich aber offenbaren als dasjenige, was eine andere geistige Welt ist, gegenüber dem Selbst, das in der überirdischen Natur dern Einfluß von Luzifer und Ahriman nicht ausgesetzt ist:

Wenn der Blüten Frühlingsregen

Über alle schwebend sinkt,

Wenn der Felder grüner Segen

Allen Erdgebornen blinkt,

- also wenn die Natur sproßt und sprießt in der Frühlings-Pfingstzeit, da kommen die Elementargeister heraus. Für das Äußerlich-Materielle sind sie klein, groß sind sie als Geister, denn sie sind erhaben über das­jenige, was im Menschenherzen dern Guten, dern Bösen verfallen kann.

Kleiner Elfen Geistergröße

Eilet, wo sie helfen kann;

Ob er heilig, ob er böse . . .

- das ist der nächsten Inkarnation überlassen, das geht diese Geister nichts an -

Ob er heilig, ob er böse,

Jammert sie der Unglücksmann...

Die Geister haben es mit seinem höheren Selbst zu tun, das bewahrt bleibt vor dem, was in Karma oder Inkarnation sich abzuspielen hat. Aber wirken können diese Geister nur in ihrem eigenen Elemente, in dern der Mensch mit seinem Wesen ist, wenn er als Geistig-Seelisches die äußeren Leibeshüllen verlassen hat. Und jetzt setzt Goethe auseinander, was diese Elfen mit ihrer Geistergröße zu bewirken haben:

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Die ihr dies Haupt umschwebt im luft'gen Kreise,

Erzeigt euch hier nach edler Elfen Weise,

Besänftiget des Herzens grimmen Strauß;

Entfernt des Vorwurfs glühend bittre Pfeile,

Sein Innres reinigt von erlebtem Graus.

Es kann nicht geschehen gegenüber dem Faust, der Ahriman-Luzifer ausgesetzt ist. Diese Reinigung heißt: Holt heraus Faustens höheres Selbst, stellt es rein dar. - Und nun wird ernst genommen etwas, was wie eine Initiation vorgeht mit dern Faust, der außerhalb seines Leibes ist:

Vier sind die Pausen nächtiger Weile,

- von sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens vollbringen die Elfen ihre Pflicht, indem sie die Seele vom Einschlafen bis zum Aufwachen in Zu­sammenhang bringen mit dem, was geistig durdiwallt und durchwebt das Erdendasein.

Nun ohne Säumen füllt sie freundlich aus.

- die vier Pausen, welche die Seele durchlebt vom Einschlafen bis zum Aufwachen.

Erst senkt sein Haupt aufs kühle Polster nieder,

Dann badet ihn im Tau aus Lethes Flut;

Gelenk sind bald die krampferstarrten Glieder,

Wenn er gestärkt dern Tag entgegen ruht;

- wenn er aufgenommen, was der die Welt durchsetzende Geist dar­reicht, wenn dieser Geist hineingegangen ist in dasjenige, was in Fausts Wesenheit als ein höheres Selbst bewahrt ist.

Vollbringt der Elfen schönste Pflicht,

Gebt ihn zurück dern heiligen Licht.

Dasjenige, was äußerlich geschieht zwischen dern Einschlafen und dem Aufwachen, sind wirkliche, reale Vorgänge, gleichartig einer Initia­tion. Und jetzt sehen wir, was je in den drei Stunden von sechs bis neun, von neun bis zwölf, von zwölf bis drei und von drei bis sechs Uhr vor sich geht. Da haben wir zunächst die Pause von sechs bis neun Uhr:

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Wenn sich lau die Lüfte füllen

Um den grünumschränkten Plan,

Süße Düfte, Nebelhüllen

Senkt die Dämmerung heran;

Lispelt leise süßen Frieden,

Wiegt das Herz in Kindesruh,

Und den Augen dieses Müden

Schließt des Tages Pforte zu!

Weg ist die Seele, vom Leibe getrennt. Der zweite Teil:

Nacht ist schon hereingesunken,

Schließt sich heilig Stern an Stern;

Große Lichter, kleine Funken

Glitzern nah und glänzen fern;

Glitzern hier im See sich spiegelnd,

Glänzen droben klarer Nacht,

Tiefsten Ruhens Glück besiegelnd

Herrscht des Mondes volle Pracht.

Aufgenommen wird Sphärenharmonie, Sphärenweisheit von den großen Lichtern, kleinen Funken. Und auch die Geheimnisse des Mon­des, all dasjenige, was wir aufnehmen in der Geisteswissenschaft von den Geheimnissen der Sphären, es wird hineinversenkt in Fausts höheres Selbst.

Der dritte Teil des Schlafens:

Schon verloschen sind die Stunden,

Hingeschwunden Schmerz und Glück;

Fühl' es vor! Du wirst gesunden;

Traue neuem Tagesblick.

Täler grünen, Hügel schwellen,

Buschen sich zu Schattenruh;

Und in schwanken Silberwellen

Wogt die Saat der Ernte zu.

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Innerlich anknüpfend an das Naturdasein; wir haben auch davon schon gesprochen. Lesen Sie den letzten Haager Zyklus, wie die Men­schenseele, wenn sie sich erhebt aus dern Leibe, eins wird mit dem Wallen und Weben des äußerlichen Daseins. Aber ebenso bedeutet das auch das Werden in der Seele des Faust:

Und in schwanken Silberwellen

Wogt die Saat - die Seele des Faust - der Ernte zu.

Und erinnern Sie sich, wie ich gesagt habe, daß der Mensch während des Schlafens wünscht, in den Leib wieder hineinzutreten. - Das ist der letzte Teil der Nacht:

Wunsch um Wünsche zu erlangen,

Schaue nach dern Glanze dort!

Die Sonne kann dann schon geahnt werden.

Leise bist du nur umfangen,

Schlaf ist Schale, wirf sie fort!

Ein wichtiger Satz! Ein großer Dichter schreibt keine Phrasen! Was heißt das: Schlaf ist Schale, wirf sie fort!? - Für denjenigen, der einen gewöhnlichen Schlaf durdischläft, ist der Schlaf nicht Schale; für den ist der Schlaf Schale, für welchen diese Zeit vom Einschlafen bis zum Aufwachen die Aufnahme wird für die Weltengeheimnisse.

Säume nicht, dich zu erdreisten,

Wenn die Menge zaudernd schweift;

Alles kann der Edle leisten,

Der versteht und rasch ergreift.

Und nun das ungeheure Getöse, welches das Herannahen der Sonne verkündet, uns erinnernd an dasjenige, was Goethe im «Prolog im Himmel» im ersten Teil des «Faust» über dieses Sonnentönen schon ge­sagt hat:

Die Sonne tönt nach alter Weise

In Brudersphären Wettgesang,

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Und ihre vorgeschriebne Reise

Vollendet sie mit Donnergang.

Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,

Wenn keiner sie ergründen mag;

Die unbegreiflich hohen Werke

Sind herrlich, wie am ersten Tag.

Wenn die Sonne heraufkommt, das Licht sich ergießt über den physi­schen Plan, da hört die Seele, wenn sie außerhalb des Leibes ist, dieses Herannahen der Sonne als Sphärenmusik, als besonderes Element in der Sphärenmusik. Geister hören es natürlich. Der Mensch hört es nicht, weil er hören muß durch seinen physischen Leib. Der ist aber einverleibt dern physischen Plan, und wenn die Sonne mit dern physischen Plane zusammen ist, da ist die Zeit, wo der Mensch wach sein kann. Daher müssen Geister sich zurückziehen. Dasjenige, was Ariel, der Geist der Luft, jetzt zu seinen Dienern spricht, das ist andeutend das Herauf-ziehen der Sphärenmusik. Die Geister können es hören. Derjenige, der außerhalb seines Leibes ist, kann es hören. Faust also hört es noch, dieses Heraufziehen der Sphärenmusik. Dann tritt er in seinen Leib zurück. Dann hat Ariel die Aufgabe, zu verschwinden. Ariel unterrichtet seine Diener, was sie zu tun haben: sie haben zu verschwinden von dern physischen Plan. Denn wenn die Sonne, die sie nur als tönende Sonne zu finden hat, mit ihrem Lichte sie trifft, so werden sie gerade taub davon. Von dern Lichte werden sie taub, während sie die tönende Sonne, in deren Tönen sie selber leben, durchaus ertragen:

Horchet! Hordit dem Sturm der Horen!

Tönend wird für Geistesohren

Schon der neue Tag geboren.

Felsentore knarren rasselnd,

Phöbus' Räder rollen prasselnd;

Welch Getöse bringt das Licht.

Es drommetet, es posaunet,

Auge blinzt und Ohr erstaunet,

Unerhörtes hört sich nicht.

Schlüpfet zu den Blumenkronen,

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Tiefer, tiefer, still zu wohnen,

In die Felsen, unters Laub;

Trifft es euch, so seid ihr taub.

Und nun verschwinden die Elfen. Faust tritt in seinen Leib zurück. Aber unbewußt bleibt jetzt der schuldige Faust. Der steht nicht vor uns. Der ist tief hinuntergetreten in Fausts Unterbewußtsein und bewahrt sich da auf bis zur nächsten Inkarnation. Der Faust, der eben durchlebt hat das Zusammensein mit dern ganzen geistigen Kosmos, muß jetzt sich klar werden, wie das sich verhält, was er durchlebt hat in den vier Pausen des Schlaflebens, zu dem, wie er jetzt die Welt vernimmt. Er lebt jetzt als höheres Selbst in seinem Leibe.

Ein Mensch, der, nachdem er eine Nacht geschlafen hat und nicht das alles in sich hätte, was Faust in sich hat, ein Mensch, der dann sagen würde, nachdem er des Morgens aufwacht: Du, Erde, warst auch diese Nacht beständig -, wäre ein Narr, denn kein Mensch erwartet etwas anderes, als daß die Erde auch diese Nacht beständig war. Aber aller­dings, wenn man das durchlebt, was Faust als Initiation mit den Geistern der Erde erlebt hat, dann hat man etwas erlebt, durch das man in der Tat glauben konnte, die ganze Erde habe sich verwandelt, dann hat es seine Berechtigung, zu sagen, wenn man sozusagen ein neuer Mensch geworden ist, oder vielmehr, wenn in einem der neue Mensch erweckt worden ist: Du, Erde, warst auch diese Nacht beständig - trotz dessen, was ich erlebt habe. - Da erscheint die Welt ganz neu, weil sie in der Tat einem neuen Menschen gegeben wird.

Des Lebens Pulse schlagen frisch lebendig,

Ätherische Dämm'rung milde zu begrüßen;

Du, Erde, warst auch diese Nacht beständig

Und atmest neu erquickt zu meinen Füßen,

Beginnest schon mit Lust mich zu umgeben,

Du regst und rührst ein kräftiges Beschließen,

Zum höchsten Dasein immerfort zu streben. -

Auch jetzt, wo der Geist sich befreit hat von dem, was in die nächste Inkarnation sich aufbewahren muß!

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In Dämmerschein liegt schon die Welt erschlossen,

Der Wald ertönt von tausendstimmigem Leben,

Tal aus, Tal ein ist Nebelstreif ergossen;

Doch senkt sich Himmelsklarheit in die Tiefen,

Und Zweig und Äste, frisch erquickt, entsprossen

Dern duft'gen Abgrund, wo versenkt sie schliefen;

Auch Farb' an Farbe klärt sich los vom Grunde,

Wo Blum' und Blatt von Zitterperle triefen,

Ein Paradies wird um mich her die Runde.

Das sieht der Mensch, indem er, ich sage nicht, die Initiation durch-macht, sondern in dern die Initiation lebt. Und er hat Veranlassung, neu die Welt zu sehen. Alle die Worte, die er jetzt ausspricht, würde er nicht aussprechen, wenn nur derjenige Mensch in ihm steckte, der schuldig geworden ist und der etwa in dieser Inkarnation unter dern Eindruck dieser Schuld leben würde.

Hinaufgeschaut! - Der Berge Gipfeiriesen

Verkünden schon die feierlichste Stunde;

Sie dürfen früh des ewigen Lichts genießen,

Das später sich zu uns hernieder wendet.

Jetzt zu der Alpe grüngesenkten Wiesen

Wird neuer Glanz und Deutlichkeit gespendet,

Und stufenweis herab ist es gelungen;

Sie tritt hervor! - die Sonne nämlich - und leider schon geblendet,

Kehr' ich mich weg, vom Augenschmerz durchdrungen.

Das höhere Selbst ist jetzt nicht imstande, das, was das sinnliche imstande war, die Sonne - zu schauen. Dennoch hat Faust soviel er-fahren, daß die Sonne jetzt für ihn etwas wesentlich anderes ist. Und jetzt regt sich etwas in seinem Inneren, was mit der menschlichen Er­kenntnis zusammenhängt:

So ist es also, wenn ein sehnend Hoffen Dern höchsten

Wunsch sich traulich zugerungen,

Erfüllungspforten findet flügeloffen.

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Was für Erfüllungspforten? Nur diejenigen, die ihm geworden sind während seines Schlafes zunächst. Aber selbst die gewöhnliche Welt erscheint ihm jetzt, wie wenn es aus ewigen Gründen wie ein Flammen-übermaß brechen würde:

Nun aber bricht aus jenen ewigen Gründen

Ein Flammenübermaß, wir stehn betroffen;

Des Lebens Fackel wollten wir entzünden,

Ein Feuermeer umschlingt uns, welch ein Feuer!

Ist's Lieb? Ist's Haß? . . .

Das kennen wir von früher, aber das, was wir jetzt erleben, ist mehr als Liebe und Haß.

Ist's Lieb? Ist's Haß? die glühend uns umwinden,

Mit Schmerz und Freuden wechselnd ungeheuer,

So daß wir wieder nach der Erde blicken,

Zu bergen uns in jugendlichstem Schleier.

Er kann gar nicht in die Sonne schauen jetzt; er schaut nach dern Wasserfall, in dern sich die Sonne spiegelt, und der ihm die Regenbogen-farben an einem Bogen zeigt. Von der Sonne wendet er sich ab. Er wird zum Weltenbetrachter, so wie diese Welt hineinscheint als Abglanz des geistigen Lebens - diese Welt, von der man sagen kann: Alles Vergäng­liche ist nur ein Gleichnis des Ewigen.

So bleibe denn die Sonne mir im Rücken!

Vorher hat er sie angeschaut. Jetzt wendet er sich zum Wasserfall hin.

Der Wassersturz, das Felsenriff durdibrausend,

Ihn schau' ich an mit wachsendem Entzücken.

Von Sturz zu Sturzen wälzt er jetzt in tausend,

Dann abertausend Strömen sich ergießend,

Hoch in die Lüfte Schaum an Schäume sausend.

Allein wie herrlich, diesem Sturm ersprießend,

Wölbt sich des bunten Bogens Wechseldauer...

- der in sieben Farben spiegelt das, was in Einheit in der Sonne ist.

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Bald rein gezeichnet, bald in Luft zerfließend,

Umher verbreitend duftig kühle Schauer.

Der spiegelt ab das menschliche Bestreben.

Ihm sinne nach, und du begreifst genauer:

Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.

Am farbigen Abglanz haben wir das Leben! - Soweit ist der Faust nach dieser Nacht gekommen, daß er nicht will, wie der Faust des ersten Teiles, sich in das Leben stürzen, so wie es ihn in die Schuld und in das Böse geworfen hat, sondern er wendet sich nach dessen farbigem Ab­glanz. Es ist derselbe farbige Abglanz, den wir Geisteswissenschaft nen­nen, der ihm nur vorkommt als ein farbiger Abglanz, und durch den wir uns allmählich hinaufwinden, die Wirklichkeit zu erleben.

Was nun folgt, der zweite Teil, das ist farbiger Abglanz des Lebens zunächst. Unsinn ist es, diesen zweiten Teil bloß realistisch aufzufassen. Wir haben den Faust, der mit seinem höheren Selbst am farbigen Ab­glanz das Leben betrachtet durch den physischen Leib; diesen trägt er jetzt nur weiter durchs Leben wie etwas, was er aufbewahrt, damit auch noch das in ihm zur Entwickelung kommen kann, was als höheres Selbst ihn bewahrt vor demjenigen, das in späteren Inkarnationen kommt.

Goethe ist es recht schwer geworden, seinen «Faust» fortzusetzen, nachdem das Wort des Mephistopheles ertönt ist: «Her zu mir!» Aber wir sehen, wie Goethe strebt, die Geheimnisse, die wir heute als die Ge­heimnisse der Geisteswissenschaft erkennen, zu durchdringen. Wie er sich ihnen naht. Und verfolgen Sie dann diesen zweiten Teil, wie der Mephistopheles wirklich zunächst den Faust hat, wie der Mephisto­pheles überall drinnen ist in dem, was am «Kaiserhof» und so weiter ge­schieht. Und wie durch die Nachwirkung der in ihm lebenden Initiation Faust sich allmählich im Verlaufe der Handlung des zweiten Teiles dem Mephistopheles entwindet. Doch das sind weitere Geheimnisse dieses zweiten Teiles. Goethe selber hat gesagt, daß er vieles hineingeheimnißt hat in diesen zweiten Teil! - Man hat das Wort nicht ernst genug ge­nommen. Man wird jetzt durch die Geisteswissenschaft allmählich lernen, solche Worte immer ernster und ernster zu nehmen.

Aber das eine werden Sie aus den heutigen Betrachtungen entnommen

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haben, daß Goethe in seinem «Faust» danach strebt, fortzuschreiten darin über den ersten Teil hinaus, etwas in seinem «Faust» zum Aus­druck zu bringen von der Stimmung, die wirklich sinnbildlich im Laufe der Jahreszeiten hier angedeutet wird.

Wenn Pfingsten herannaht, und wenn die Geister der elementarischen Welt so sich den Menschen nahen, daß von ihnen gesagt werden kann:

Wenn der Blüten Frühlingsregen

Über alle schwebend sinkt,

Wenn der Felder grüner Segen

Allen Erdgebornen blinkt,

Kleiner Elfen Geistergröße

Eilet, wo sie helfen kann,

Ob er heilig, ob er böse,

Jammert sie der Unglücksmann.

Pfingststimmung! Ausgießung des Geistes in den nächsten Sätzen, die der Chor spricht, in den vier Zeiten des Schlafes vom Einschlafen bis zum Aufwachen!

So zeigen wir denn auch durch diesen Faust von einer gewissen Seite her die Notwendigkeit, daß der Menschheit überliefert werde nach und nach dasjenige, was Geisteswissenschaft ihr als eine neue Pfingstbotschaft verkünden will. Ist doch dieser Faust so recht geeignet, uns zu zeigen, wie kompliziert dasjenige ist, was da unten auf dern Grunde der Men­schennatur besteht. Es lebt in der Menschennatur da drunten, was fort-während ausgesetzt ist den ahrimanisch-luziferischen Mächten der Welt, und es lebt da dasjenige, was der Mensch finden kann, wenn er sich in die Führung des Christus-Impulses begibt.

Warum sprechen wir von einer Schwelle? Warum sprechen wir von einem Hüter der Schwelle? Wir sprechen davon, weil wirklich wie durch eine Gnade der weisheitsvollen Weltenlenkung dasjenige der Menschen-seele zunächst entzogen war, was da unten auf dern tiefen Untergrunde der Menschenseele kämpft und rumort und Krieg führt in unserem alltäglichen Leben. Es ist wie auf einer Oberfläche, und unten rumort es und kämpft es und kriegt. Und selbst dasjenige, was wir im all­täglichen Leben durchleben, ist ein fortdauernder Sieg. Nur muß er

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immer neu erkämpft werden. Und in der Zukunft wird er nur neu er­kämpft werden, wenn die Menschen dasjenige wissen werden, wodurch sie geführt hat bisher unbewußt eine gütige, weisheitsvolle Welten-lenkung. Auf dern Grunde der Seele müssen wir wirklich dasjenige finden, was im gewöhnlichen Sinnesleben nicht gewußt wird, was aber das Geistige erleben kann. Es ist in jenen Menschentiefen, wo der Men­schen Wesen zusammenhängt mit jenen Kräften der Welt, die über Gutes und Böses hinausgehen mit ihrer Geistergröße.

Das möchte ich zum Ausdruck bringen durch einen Pfingstspruch, in dern ich zusammengefügt habe, wie der Mensch auf dern Grunde seines Seelenwesens elementarische, einander widerstrebende Mächte hat, und wie dasjenige, was in seinem Bewußtsein lebt, Sieg ist über dasjenige, was Krieg führt da unten in den Tiefen des Seelenlebens.

Wie die Dinge dann weiter sich verhalten im Zusammenhange des Menschenlebens - wir werden morgen, vielleicht übermorgen davon sprechen. Heute aber möchte ich schließen mit diesem Pfingstspruch, der im Grunde genommen dasjenige ausdrückt, was immer als innerster Nerv in unserer Geisteswissenschaft lebt, und worauf wir auch heute hingewiesen haben:

Wo Sinneswissen endet,

Da stehet erst die Pforte,

Die Lebenswirklichkeiten

Dern Seelensein eröffnet;

Den Schlüssel schafft die Seele,

Wenn sie in sich erstarkt

Im Kampf, den Weltenmächte

Auf ihrem eignen Grunde

Mit Menschenkräften führen,

Wenn sie durch sich vertreibt

Den Schlaf, der Wissenskräfte

An ihren Sinnesgrenzen

Mit Geistesnacht umhüllt.

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«FAUST», DIE GRÖSSTE STREBENSDICHTUNG DER WELT. DIE KLASSISCHE PHANTASMAGORIE Dornach, 30. Mai 1915

Wenn Sie die Betrachtung, die ich gestern hier angestellt habe, mit den andern Vorträgen, die ich vor einer Woche hier gehalten habe, zusam­mennehmen, dann werden Sie gewissermaßen einen wichtigen Schlüssel zu vielem in der Geisteswissenschaft bekommen. Ich will nur, damit wir uns orientieren können, die hauptsächlichsten Gedanken, die wir für unsere weiteren Betrachtungen brauchen, anführen. Ich habe vor etwa acht Tagen auf die Bedeutung der Vorgänge hingewiesen, die man vom Gesichtspunkt der physischen Welt aus Zerstörungsvorgänge nennt. Ich habe darauf hingewiesen, daß man eigentlich vom Gesichts­punkt der physischen Welt aus das Wirkliche nur in dem sieht, was entsteht, was sich gewissermaßen herausbildet aus dem Nichts und zu bemerkbarem Dasein kommt. Man spricht also von dem Wirklichen, wenn die Pflanze sich der Wurzel entringt, Blatt an Blatt bis zur Blüte hin entwickelt und so weiter. Man spricht aber nicht ebenso von dem Wirklichen, wenn man auf die Zerstörungsvorgänge blickt, auf das allmähliche Welken, auf das allmähliche Hinschwinden, auf das Hinströmen, man könnte sagen, zu dem Nichts. Für den, der nun die Welt verstehen will, ist es aber im eminentesten Sinne notwendig, daß er auch auf die sogenannte Zerstörung hinblickt, auf die Auflösungsvorgänge, auf dasjenige, was sich zuletzt für die physische Welt wie das Hineinströmen in das Nichts ergibt. Denn Bewußtes in der physischen Welt kann sich niemals da entwickeln, wo bloß aufsprießende, sprossende Vorgänge vor sich gehen, sondern Bewußtes beginnt erst da, wo das auf der physischen Welt Ersprossene wiederum abgetragen, ver­nichtet wird.

Ich habe darauf hingewiesen, wie diejenigen Vorgänge, die das Leben in uns hervorruft, von dem Seelisch-Geistigen zerstört werden müssen, wenn Bewußtsein in der physischen Welt entstehen soll. Es ist in der Tat so, daß, wenn wir irgend etwas Äußeres wahrnehmen, unser

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Seelisch-Geistiges in unserem Nervensystem Zerstörungsprozesse an­richten muß, und diese Zerstörungsprozesse vermitteln dann das Be­wußtsein. Immer, wenn wir uns einer Sache bewußt werden, müssen die Bewußtseinsvorgänge aus Zerstörungsvorgängen hervorgehen. Und ich habe darauf hingedeutet, wie der bedeutsamste, der für das Men­schenleben bedeutsamste Zerstörungsvorgang, der Vorgang des Todes, gerade der Schöpfer des Bewußtseins ist für die Zeit, die wir nach dem Tode verbringen. Dadurch, daß unser Seelisch-Geistiges die volle Auf­lösung und Loslösung des physischen und Ätherleibes erlebt - das Auf­gehen des physischen und Ätherleibes ist anders -, schöpft unser Geistig-Seelisches die Kraft, aus dem Todesvorgange zwischen dem Tod und einer neuen Geburt Wahrnehmungsvorgänge haben zu kön­nen. Das Jakob Böhme -Wort: Und so ist denn der Tod die Wurzel alles Lebens - gewinnt dadurch seine höhere Bedeutung für den ganzen Zu­sammenhang der Welterscheinungen.

Nun wird Ihnen oftmals die Frage vor die Seele getreten sein: Wie steht es denn eigentlich mit jener Zeit, die von der Menschenseele durch­laufen wird zwischen dem Tod und einer neuen Geburt? - Es ist oftmals darauf hingewiesen worden, daß für das normale Menschenleben diese Zeit eine lange ist im Verhältnis zu der Zeit, die wir hier im physischen Leibe zwischen der Geburt und dem Tode verbringen. Kurz ist sie nur bei denjenigen Menschen, welche ihr Leben in einer weltwidrigen Weise anwenden, welche, ich will sagen, dazu kommen, dasjenige nur zu tun, was in einem wirklich und wahrhaftigen Sinne verbrecherisch genannt werden kann. Da findet ein kurzer Zeitverlauf statt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Aber bei Menschen, die nicht allein dem Egois­mus verfallen sind, sondern ihr Leben in einer normalen Weise zwischen Geburt und dem Tode zubringen, bei denen findet verhältnismäßig eine längere Dauer der Zeit statt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt.

Aber die Frage muß uns ja, ich möchte sagen, in der Seele brennen:

Nach was richtet sich denn überhaupt das Wiederkommen einer Men­schenseele zu einer neuen physischen Verkörperung? - Innig hängt die Beantwortung der Frage zusammen mit alledem, was man wissen kann über die Bedeutung der Zerstörungsvorgänge, die ich angeführt habe. Denken Sie nur einmal, daß wir mit unseren Seelen, wenn wir das physische

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Dasein betreten, hineingeboren werden in ganz bestimmte Ver­hältnisse. Wir werden hineingeboren in ein bestimmtes Zeitalter, zu bestimmten Menschen hingetrieben. Also in ganz bestimmte Verhält­nisse werden wir hineingeboren. Sie müssen schon einmal recht gründ­lich ins Auge fassen, daß unser Leben zwischen der Geburt und dem Tode inhaltlich eigentlich angefüllt ist mit alledem, in das wir da hinein-geboren sind. Was wir denken, was wir fühlen, was wir empfinden, kurz, der ganze Inhalt unseres Lebens hängt von der Zeit ab, in die wir hineingeboren sind.

Aber nun werden Sie auch wiederum leicht begreifen können, daß dasjenige, was uns so umgibt, wenn wir ins physische Dasein hinein-geboren sind, von den vorangegangenen Ursachen abhängig ist, von dem, was vorangehend geschehen ist. Nehmen Sie einmal an, wenn ich das schematisch zeichnen soll, wir werden in einen bestimmten Zeitpunkt hineingeboren und laufen durch das Leben zwischen Geburt und Tod. (Es wurde gezeichnet.) Wenn Sie dazunehmen, was es uns gibt, so steht das nicht isoliert da, sondern ist die Wirkung von Früherem. Ich will sagen: Sie werden zusammengebracht mit Früherem, mit Menschen. Diese Menschen sind Kinder von andern Menschen, diese wieder von andern Menschen und so weiter. - Wenn wir nur diese physischen Gene­rationsfolge -Verhältnisse betrachten, so werden Sie sagen: Ich nehme, während ich in das physische Dasein trete, etwas an von den Menschen, ich nehme während meiner Erziehung vieles an von den Menschen, die mich umgeben. - Diese haben aber auch wiederum sehr vieles angenom­men von den Vorfahren, von den Bekannten und Verwandten ihrer Vorfahren und so weiter. Immer weiter hinauf, könnte man sagen, haben die Menschen die Ursachen zu suchen von dem, was sie selber sind.

Wenn man dann die Gedanken weitergehen häßt,so kann man sagen, man kann also über seine Geburt hinauf eine gewisse Strömung verfol­gen. Diese Strömung hat gleichsam alles das herangetragen, was uns umgibt in dem Leben zwischen Geburt und Tod. Und wenn wir diese Strömung weiterhin hinaufwärts verfolgen, so würde man irgendwo dann zu einem Zeitpunkt kommen, wo unsere frühere Inkarnation lag. Wir würden also, indem wir die Zeit aufwärts verfolgen vor unserer Geburt, eine lange Zeit haben, in der wir verweilt haben in der geistigen

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Welt. Während dieser Zeit hat sich auf Erden vieles abgespielt. Aber das, was sich abgespielt hat, hat herangetragen die Bedingungen, in denen wir leben, in die wir hineingeboren werden. Und dann kommen wir zuletzt in der geistigen Welt auch zu der Zeit, wo wir in einer frühe-ren Inkarnation auf der Erde waren. Wenn wir über diese Verhältnisse sprechen, sprechen wir durchaus von Durchschnittsverhältnissen. Aus­nahmen sind natürlich sehr zahlreich, aber sie liegen alle, ich möchte sagen, in der Linie, die ich vorhin angedeutet habe für Naturen, die schneller zur irdischen Verkörperung kommen.

Wovon hängt es nun ab, daß wir, nachdem eine Zeit verlaufen ist, gerade hier wiederum geboren werden? Nun, wenn wir hinblicken zu unseren früheren Verkörperungen, so haben uns dazumal während der Erdenzeit auch Verhältnisse umgeben, diese Verhältnisse haben ihre Wirkungen gehabt. Da waren wir von Menschen umgeben, diese Men­schen haben Kinder gehabt, haben auf die Kinder das übertragen, was ihre Empfindungen, ihre Vorstellungen waren, die Kinder wiederum auf die folgenden und so fort. Aber wenn Sie das geschichtliche Leben verfolgen, werden Sie sich sagen: Es kommt schon einmal im Laufe der Entwickelung eine Zeit, in der man an den Nachkommen nichts mehr richtig Gleiches oder auch nur Ähnliches erkennen kann mit den Vor­fahren. Aber der Grundcharakter, der in einer bestimmten Zeit da ist, erscheint natürlich noch in den Kindern, aber abgeschwächt, in den Enkeln noch mehr abgeschwächt und so weiter, bis eine Zeit heran­kommt, wo nichts mehr von dem Grundcharakter der Umgebung vor­handen ist, in der man in der vorhergehenden Inkarnation war. So daß also der Zeitenstrom an dem Zerstören dessen arbeitet, was der Grund-charakter der Umgebung einmal war. Diesem Vernichten schauen wir zu in der Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Und wenn der Charakter des früheren Zeitalters ausgelöscht ist, wenn nichts mehr davon da ist, wenn das, worauf es uns gleichsam in den früheren In­karnationen angekommen ist, vernichtet ist, dann tritt der Zeitpunkt ein, wo wir wiederum ins irdische Dasein eintreten. So wie in der zwei­ten Hälfte unseres Lebens eigentlich unser Leben eine Art Abtragen unseres physischen Daseins ist, so muß zwischen dem Tod und einer neuen Geburt eine Art Abtragen der irdischen Verhältnisse stattfinden,

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ein Vernichten, eine Zerstörung. Und neue Verhältnisse, neue Umge­bung, in die wir hineingeboren werden, müssen da sein. Also wir wer­den wiedergeboren, wenn all dasjenige, um dessentwillen wir vorher geboren worden sind, vernichtet und zerstört ist. So hängt diese Idee des Zerstörtwerdens zusammen mit der aufeinanderfolgenden Wiederkehr unserer Inkarnation auf Erden. Und dasjenige, was unser Bewußtsein schaffi im Momente des Todes, wo wir den Körper abfallen sehen von unserem Geistig-Seelischen, stärkt sich an diesem Moment des Todes, an diesem Anschauen des Zerstörtwerdens für das Anschauen des Ver­nichtungsprozesses, der da verlaufen muß in den Erdenverhältnissen zwischen unserem Tod und einer neuen Geburt.

Jetzt werden Sie auch verstehen, daß derjenige, welcher gar kein In­teresse hat für das, was ihn auf der Erde umgibt, der sich im Grunde genommen für keinen Menschen und für kein Wesen interessiert, son­dern sich nur interessiert dafür, was ihm selbst gut bekommt, und sich einfach von einem Tag zum andern stiehlt, daß der nicht sehr stark zusammenhängt mit den Verhältnissen und Dingen auf der Erde. Er hat auch kein Interesse, ihre langsame Abtragung zu verfolgen, sondern er kommt sehr bald wieder, um das auszubessern, um jetzt wirklich mit den Verhältnissen zu leben, mit denen er leben muß, damit er lernt, ihre allmähliche Zerstörung zu verstehen. Wer niemals mit Erdenverhältnis­sen gelebt hat, versteht ihre Zerstörung, ihre Auflösung nicht. Daher werden diejenigen, welche ganz intensiv in dem Grundcharakter irgend­eines Zeitalters gelebt haben, sich ganz vertieft haben in den Grund-charakter irgendeines Zeitalters, vor allen Dingen die Tendenz haben, wenn nicht sonst irgend etwas dazwischenkommt, das zur Zerstörung zu bringen, wohinein sie geboren worden sind, und wieder zu erschei­nen, wenn ein völlig Neues hervorgetreten ist. Natürlich finden, ich möchte sagen, nach oben hin Ausnahmen statt. Und diese Ausnahmen sind insbesondere für uns wesentlich zu bedenken.

Nehmen wir an, man lebt sich hinein in eine solche Bewegung, wie die geisteswissenschaftliche Bewegung es heute ist, in diesem Zeitpunkt, wo sie nicht stimmt mit alldem, was in der Umgebung ist, wo sie der Umgebung etwas völlig fremdes ist. Da ist diese geisteswissenschaftliche Bewegung nicht dasjenige, in das wir hineingeboren sind, sondern das,

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in das wir uns hineingearbeitet haben, von dem wir gerade wollen, daß es in die geistige Kulturentwickelung der Erde eintrete. Da handelt es sich dann darum vor allen Dingen, zu leben mit der Zerstörung der dem Geisteswissenschaftlichen widerstrebenden Verhältnissen und wiederum zu erscheinen auf der Erde dann, wenn die Erde soweit geändert ist, daß nun wirklich die geisteswissenschaftlichen Verhältnisse das Leben der Kultur ergreifen können. Also hier haben wir die Ausnahme nach oben. Es gibt Ausnahmen nach unten und nach oben. Gewiß bereiten sich gerade die ernstesten Mitarbeiter der Geisteswissenschaft heute vor, möglichst bald wiederum in einem Erdendasein zu erscheinen, indem sie zugleich arbeiten im Verlaufe dieses Erdendaseins daran, daß die Ver­hältnisse verschwinden, in die sie hineingeboren sind. So sehen Sie gerade, wenn Sie den letzten Gedanken ergreifen, daß Sie gewisser­maßen helfen den geistigen Wesenheiten, die Welt zu lenken, indem Sie sich dem hingeben, was in den Intentionen der geistigen Wesenheiten liegt.

Wenn wir heute die Zeitverhältnisse ins Auge fassen, so müssen wir sagen: Wir haben auf der einen Seite eminent das, was in die Dekadenz, den Untergang hineingeht. - Es wurden gewissermaßen diejenigen, die ein Herz und eine Seele haben für das Geisteswissenschaftliche, hinein­gestellt in dieses Zeitalter, um zu sehen, wie es untergangsreif ist. Sie werden hier auf der Erde mit demjenigen bekanntgemacht, mit dem man nur auf der Erde bekannt werden kann, tragen aber das in die geistigen Welten hinauf, sehen nun den Untergang des Zeitalters und werden wiederkommen, wenn das ein neues Zeitalter hervorrufen soll, was gerade in den innersten Impulsen des geisteswissenschaftlichen Strebens liegt. Dadurch werden gewissermaßen die Pläne der geistigen Führer, der geistigen Leiter der Erdenevolution durch das gefördert, was solche Menschen, die sich mit etwas befaßten, was sozusagen nicht Zeitkultur ist, in sich aufnahmen.

Sie werden vielleicht die Vorwürfe kennen, die von den Menschen der heutigen Zeit Bekennern der Geisteswissenschaft sehr häufig gemacht werden, daß sie sich mit etwas befassen, was oftmals äußerlich unfrucht­bar erscheint, was äußerlich nicht eingreift in die Zeitverhältnisse. Ja, es gibt wirklich die Notwendigkeit, daß sich auch Leute im Erdendasein

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mit dem beschäftigen, was zunächst für die weitere Entwickelung eine Bedeutung hat, aber nicht unmittelbar für die Zeit. Wenn man dagegen etwas einwendet, dann sollte man nur das Folgende bedenken. Denken Sie einmal, das wären aufeinanderfolgende Jahre:

1915, 1914, 1913,1912.

Wir könnten dann weitergehen. Nehmen Sie an, das wären aufeinanderfolgende Jahre und das hier wären die Getreidefrüchte der aufein­anderfolgenden Jahre. Und was ich hier zeichne,

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das wären immer die Münder >, welche diese Getreidekörner ver­zehren. Es kann nun einer kommen und sagen: Bedeutung hat nur der Pfeil, der von den Getreidekörnern in die Münder hineingeht, ->, denn das unterhält die Menschen der aufeinanderfolgenden Jahre. - Und er kann sagen: Wer real denkt, der sieht nur auf diese Pfeile hin, die von den Getreidekörnern zu den Mündern gehen. - Aber die Getreidekörner kümmern sich wenig um das, um diesen Pfeil. Sie kümmern sich gar nicht darum, sondern sie haben nur die Tendenz, jedes Getreidekorn zum nächsten Jahre hin zu entwickeln. Nur um diesen Pfeil t küm­mern sich die Getreidekörner, denen liegt gar nichts daran, daß sie auch aufgefressen werden, darum kümmern sie sich gar nicht. Das ist eine Nebenwirkung, das ist etwas, was nebenher entsteht. Jedes Getreide-korn hat, wenn ich so sagen darf, den Willen, den Impuls, ins nächste Jahr hinüberzugehen, um dort wiederum ein Getreidekorn zu werden. Und gut für die Münder, daß die Getreidekörner dieser Pfeilrichtung f folgen, denn wenn die Getreidekörner dieser Pfeilrichtung > folgten, dann hätte der Mund hier - im nächsten Jahr - nichts mehr zu essen! Wenn die Getreidekörner vom Jahre 1913 alle diesem Pfeil > gefolgt wären, so hätten die Münder vom Jahre 1914 nichts mehr zu essen. Wenn jemand das materialistische Denken konsequent durchführen wollte, so würde er die Getreidekörner untersuchen darauf, wie sie chemisch beschaffen sind, damit sie möglichst gute Nahrungsprodukte abgeben. Damit würde man aber keine gute Betrachtung anstellen; denn diese Tendenz liegt gar nicht in den Getreidekörnern, sondern in den Getreidekörnern liegt die Tendenz, sich zum nächstjährigen Getreide-korn hinüberzuentwickeln.

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So ist es nun aber auch mit dem Weltengange. Diejenigen folgen wirk­lich dem Weltengange, welche dafür sorgen, daß die Evolution weiter­geht, und diejenigen, die Materialisten werden, folgen den Mündern, die nur auf diesen Pfeil hier sehen ->. Aber diejenigen, die dafür sorgen, daß der Weltengang weitergeht, brauchen sich in diesem ihrem Streben nicht beirren zu lassen, die nächstfolgenden Zeiten vorzubereiten, eben­sowenig wie sich die Getreidekörner beirren lassen, die nächstjährigen vorzubereiten, wenn auch die Münder hier nach den ganz andersgerich­teten Pfeilen verlangen.

Ich habe in den «Rätseln der Philosophie» am Schlusse auf dieses Denken hingewiesen, habe darauf hingewiesen, daß dasjenige, was man materielle Erkenntnisse nennt, sich durchaus vergleichen läßt mit dem Aufessen des Getreidekornes, daß das, was wirklich in der Welt vor­geht, sich vergleichen läßt mit dem, was von einem Getreidekorn zum andern geschieht. Daher ist das, was man äußerliche, auch wissenschaft­liche Erkenntnisse nennt, ebensowenig von Bedeutung für die innere Natur der Dinge, wie das Essen ohne innere Bedeutung ist für das Fortwachsen der Getreidefrüchte. Und die heutige Wissenschaft, die sich nur um die Art und Weise kümmert, wie man dasjenige, was man aus den Dingen wissen kann, in den menschlichen Verstand hereinbekommt, tut genau dasselbe, wie der Mann, der das Getreide zum Essen verwen­det, denn das, was die Getreidekörner beim Essen sind, hat gar nichts zu tun mit der inneren Natur der Getreidekörner, ebensowenig hat die äußere Erkenntnis irgend etwas zu tun mit dem, was sich im Inneren der Dinge entwickelt.

Versuchen Sie auf diese Weise einmal einen Gedanken in die philo­sophische Betriebsamkeit hineinzuwerfen, von dem man gespannt sein wird, ob er verstanden werden wird, oder ob auch einem solchen sehr plausiblen Gedanken immer wieder und wiederum begegnet wird mit dem törichten: Ja, Kant hat doch schon bewiesen, daß die Erkenntnis nicht an die Dinge herankommen kann. - Er hat es eben nur von der Erkenntnis bewiesen, welche verglichen werden kann mit dem Verzeh­ren der Getreidekörner, und nicht von der Erkenntnis, welche aufsteigt mit der fortschreitenden Entwickelung, die in den Dingen ist. Wir müs­sen uns aber schon bekanntmachen damit, daß wir in allen möglichen

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Formen, nur nicht in voreiligen Formen und nicht in agitatorischen Formen, nicht in egoistischen Formen unserem Zeitalter und dem Zeit­alter, das kommt, immer wieder und wiederum wiederholen, was Prinzip und Wesen der Geisteswissenschaft ist, bis es eingebläut ist. Denn das ist gerade das Charakteristische unseres Zeitalters, daß Ahri­man die Schädel sehr hart und dicht gemacht hat, und daß sie sich nur langsam wiederum erweichen werden lassen. So muß schon niemand, ich möchte sagen, zurückbeben vor der Notwendigkeit, in allen mög­lichen Formen immer wieder und wiederum das zu betonen, was Wesen und Impuls der Geisteswissenschaft ist.

Nun aber blicken wir auf eine andere Forderung der Materialisten, die gestern im Zusammenhang mit mancherlei Voraussetzungen hier geltend gemacht worden ist, die Forderung, daß in unserer Zeit wach­sen müsse die Ehrfurcht vor der Wahrheit, die Ehrfurcht vor dem Wis­sen, nicht vor dem autoritativen Wissen, sondern vor dem Wissen, das man sich erwirbt. Die Gesinnung muß wachsen, daß man urteilen solle nicht aus dem Nichts heraus, sondern aus dem angeeigneten Wissen über die Vorgänge der Welt. Indem wir hineingeboren werden in ein be­stimmtes Zeitalter, sind wir abhängig von unserer Umgebung, ganz ab­hängig von dem, was in unserer Umgebung ist. Aber das hängt zusam­men, wie wir gesehen haben, mit dem ganzen Strom der Entwickelung, mit dem ganzen Streben, das aufwärts führt, daß wir hineingeboren werden in Verhältnisse, die abhängig sind von den vorhergehenden Verhältnissen. Bedenken Sie nur, wie wir da hineinversetzt werden. Gewiß werden wir durch unser Karma hineinversetzt, aber wir werden doch in dasjenige hineinversetzt, was uns als etwas ganz Bestimmtes umgibt, als etwas, das einen bestimmten Charakter trägt. Und jetzt bedenken Sie, wie wir dadurch abhängig werden in unserem Urteil. Es tritt uns nicht immer ordentlich vor Augen, aber es ist doch wirklich so. So daß wir sagen müssen, wenn es auch mit unserem Karma zusammen­hängt: Wie wäre es denn, wenn wir nicht geboren wären zu einem be­stimmten Zeitpunkte an einem bestimmten Ort, sondern fünfzig Jahre früher an einem andern Ort, wie wäre es dann? - Dann würden wir von den andern Verhältnissen unserer Umgebung ebenso die Form und die innere Richtung unserer Urteile bekommen haben, wie wir

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sie bekommen haben durch das, wo wir hineingeboren sind, nicht wahr?

So daß wir wirklich bei einer genaueren Selbstbeobachtung darauf kommen, daß wir in ein gewisses Milieu, in eine gewisse Umgebung hineingeboren werden, in unseren Urteilen, in unseren Empfindungen von diesem Milieu abhängig sind, daß gleichsam dieses Milieu wieder erscheint, wenn wir urteilen. Denken Sie nun, wie es anders wäre, ich will nur sagen, wenn Luther im 10. Jahrhundert geboren worden wäre und an einem ganz andern Ort! Also selbst bei einer Persönlichkeit, die einen ungeheuer starken Einfluß auf die Umgebung hat, können wir sehen, wie sie in ihre eigenen Urteile dasjenige aufnimmt, was aus dem Zeitalter heraus ist, wodurch die Persönlichkeit wirklich eigentlich die Impulse des Zeitalters wiedergibt. Und das ist für jeden Menschen so der Fall, nur daß eigentlich diejenigen, bei denen es am meisten der Fall ist, es am wenigsten bemerken. Diejenigen, bei denen es am meisten der Fall ist, daß sie nur die Impulse ihrer Umgebung wiedergeben, in die sie hin­eingeboren sind, die sprechen in der Regel am allermeisten von ihrer Freiheit, von ihrem unabhängigen Urteil, von ihrer Vorurteilslosigkeit und so weiter. Wenn wir dagegen geradezu Menschen erblicken, die nicht so gründlich abhängig sind wie die meisten Menschen von ihrer Umgebung, so sehen wir, daß sich gerade solche Menschen am allermei­sten bewußt werden dessen, was sie abhängig macht von ihrer Um­gebung.

Und einer derjenigen, die niemals den Gedanken der Abhängigkeit von ihrer Umgebung losbekamen, ist der, von dem wir jetzt wieder ein Stück vor unseren Augen haben vorbeiziehen sehen, ist Goethe. Er wußte im eminentesten Sinne, daß er nicht so wäre, wie er war, wenn er nicht 1749 in Frankfurt am Main geboren wäre und so weiter. Er wußte, daß gewissermaßen sein Zeitalter aus ihm spricht. Das belebte und durchwärmte seine Lebensverhältnisse eigentlich in ganz außer-ordentlicher Weise. Er wußte dadurch, daß er im Hause des Vaters eine bestimmte Art von Zeichnungen und Verhältnissen gesehen hatte, hat er sein Urteil geformt. Dadurch, daß er seine Studentenzeit in Leipzig verbracht hat, hat er sein Urteil geformt. Dadurch, daß er nach Straß­burg gekommen ist, hat er sein Urteil geformt. Das machte es, daß er so

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heraus wollte aus den Verhältnissen und in ganz andere hinein wollte, daß er also in den achtziger Jahren, man möchte sagen, in Nacht und Nebel verschwand und den Freunden erst etwas erzählte von seinem Verschwinden, als er schon über Berg und Tal weit davon war, nachdem man ihn nicht wieder zurückholen konnte bei den damaligen Verhält­nissen. Er wollte heraus, damit anderes aus ihm sprechen konnte. Und wenn man viele Äußerungen Goethes gerade aus seiner Entwickelungs-zeit nimmt, so wird man überall dieses Gefühl, dieses Empfinden für die Abhängigkeit von dem Milieu bemerken.

Ja, aber was hätte denn Goethe dann anstreben müssen, wenn er in dem Moment, wo ihm das so recht zum Bewußtsein gekommen war, daß man eigentlich ganz abhängig ist von seiner Umgebung, wenn er seine Gefühle, seine Empfindungen für diese Abhängigkeit mit den Gedanken, die wir heute geäußert haben, in Zusammenhang gebracht hätte? Er hätte sagen müssen: Ja, das, was meine Umgebung ist, das ist abhängig von der ganzen Strömung bis zu den Vorfahren hin. Ich bleibe immer abhängig. Ich müßte mich denn schon in Gedanken im seelischen Erleben in eine Zeit zurückversetzen, wo gar noch nicht die heutigen Verhältnisse waren, wo ganz andere Verhältnisse waren, dann würde ich, wenn ich mich hineinversetzen könnte in diese Verhältnisse, zu einem neuen Urteil kommen, nicht nur urteilen, wie meine Zeit über meine Zeit urteilt, sondern wie ich urteile, wenn ich mich ganz heraus­hebe aus meiner Zeit.

Dabei kann es natürlich nicht darauf ankommen, daß sich solch ein Mensch, der dies als Notwendigkeit empfindet, gerade in seine eigene frühere Inkarnation versetzt. Aber doch im wesentlichen muß er sich an den Zeitpunkt hin versetzen, der mit einer früheren Inkarnation zu­sammenhängt, wo er in ganz andern Verhältnissen gelebt hat. Und wenn er jetzt sich zurückversetzt in diese Inkarnation, so wird er nicht abhängig sein wie früher, denn die Verhältnisse sind ganz andere ge­worden, die andern Verhältnisse sind inzwischen zerstört, zugrunde gegangen. Es ist natürlich etwas anderes, wenn ich mich jetzt zurück­versetze in eine Zeit, deren ganze Umgebung, deren ganzes Milieu ver­schwunden ist. Was hat man denn dann eigentlich? Ja, man muß sagen:

Vorher lebt man im Leben darinnen, man genießt das Leben; man ist

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verwoben mit dem Leben. Mit dem Leben, das zugrunde gegangen ist, mit dem Leben einer früheren Zeit kann man nicht mehr verwoben sein, dieses Leben kann man nur noch geistig-seelisch durchleben.

Wir sehen im zweiten Teil des «Faust» durch die Erzeugung des Ho­munkulus, das Herauskommen aus der Gegenwart, und wie im dritten Akt des «Faust» nun eintritt die klassische Szene. Den Anfang hatte Goethe schon um die Wende des 18. Jahrhunderts geschrieben; die wich­tigsten Szenen kamen erst 1825 dazu, aber die Helena-Szene war schon 1800 geschrieben, und Goethe nennt sie eine «Klassische Phantasmago­rie», um durch die Worte anzudeuten, daß er ein Zurücksichversetzen meint in Verhältnisse, die nicht die physischen, realen Verhältnisse der Gegenwart sind.

Das ist das Bedeutsame an der Goetheschen Faust-Dichtung, daß sie, ich möchte sagen, ein Werk des Strebens ist, ein Werk des Ringens. Ich habe wirklich klar genug betont in den letzten Zeiten, daß es ein Un­sinn wäre, die Goethesche Faust-Dichtung als ein abgeschlossenes Kunst­werk anzusehen. Ich habe genug getan, um zu zeigen, daß von einem abgeschlossenen Kunstwerke nicht die Rede sein kann. Aber als Werk des Strebens, als Werk des Ringens ist diese Faust-Dichtung so bedeu­tend. Dann erst kann man verstehen, was Goethe ahnend errungen, wenn man sich einläßt auf das, was als ein Licht fallen kann von unserer Geisteswissenschaft aus auf solch eine Komposition, und sieht, wie Faust hineinschaut in die klassische Zeit, in das Milieu des Griechentums hin­ein, wo innerhalb der vierten nachatlantischen Zeit ganz andere Ver­hältnisse waren als in unserer fünften nachatlantischen Zeit. Man be­kommt wirklich die höchste Ehrfurcht vor diesem Ringen, wenn man sieht, wie Goethe in früher Jugendzeit begonnen hat, an diesem «Faust» zu arbeiten, wie er sich da überlassen hat alldem, was ihm dazumal zu­gänglich war, ohne daß er das eigentlich sehr gut verstanden hat. Wirk­lich, wenn man an den «Faust» herantritt, muß man schon diesen Gesichtspunkt der Geisteswissenschaft anlegen, denn die Urteile, die manchmal die äußere Welt bringt, sind zu töricht in bezug auf den «Faust».

Wie sollte es denn dem Geisteswissenschafter nicht auffallen, wenn immer wieder und wiederum die Menschen, die besonders gescheit sich

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dünken, herankommen und anführen, wie so großartig das Glaubens­bekenntnis ausgesprochen wird von diesem Faust, und sagen: Ja, gegen-über alldem, was so viele Leute sagen über irgendein Gottesbekenntnis, müßte man sich immer mehr und mehr erinnern an das Gespräch zwi­schen Faust und Gretchen:

... Gefühl ist alles;

Name ist Schall und Rauch,

Umnebelnd Himmelsglut.

Nun, Sie kennen das, was Faust da mit Gretchen verhandelt, und was immer dann angeführt wird, wenn jemand denkt, er müsse beson­ders hervorheben, was man nicht als religiöse Vertiefung ansehen solle, und was man als religiöse Empfindung ansehen solle. Nur bedenkt man dabei nicht, daß Faust in diesem Falle sein religiöses Bekenntnis für das sechzehnjährige Gretchen formte, und daß eigentlich all die gescheiten Professoren dann verlangen, daß die Menschen niemals in ihrer religiö­sen Auffassung über den Gretchen-Standpunkt hinauskommen. In jenem Augenblick, wo man jenes Bekenntnis des Faust vor Gretchen als etwas besonders Erhabenes hinstellt, in dem Augenblick verlangt man, daß die Menschheit sich niemals über den Gretchen-Standpunkt erhebe. Das ist eigentlich bequem und leicht zu erreichen. Man kann auch sehr leicht prunken damit, daß alles Gefühl sei und so weiter, aber bemerkt eben nicht, daß es der Gretchen-Standpunkt ist.

Goethe hat seinerseits ganz anders gestrebt, seinen «Faust» zum Trä­ger eines fortwährenden Ringens zu machen, wie ich es jetzt wiederum angedeutet habe mit Bezug selbst auf dieses Sich-Versetzen in ein völlig früheres Zeitalter, um die Wahrheit zu bekommen. Vielleicht gerade in derselben Zeit oder etwas früher, als Goethe diese «Klassisch-romanti­sche Phantasmagorie» geschrieben hat, dieses Versetztsein des Faust in das Griechentum, da wollte er sich noch einmal klarmachen, wie eigent-lich sein «Faust» verlaufen solle, was er im «Faust» alles darstellen wolle. Und da schrieb sich Goethe ein Schema auf. Es war von seinem «Faust» damals vorhanden: eine Grundlage, eine Anzahl der Szenen des ersten Teiles und wahrscheinlich auch noch die Helena-Szene. Da schrieb Goethe sich auf:

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«Ideales Streben nach Einwirken und Einfühlen in die ganze Natur.»

Goethe nahm also, als das Jahrhundert zu Ende ging, auf Anregung Schillers, wie er sagte, «den alten Tragelaphen, die barbarische Kom­position» her. So bezeichnet er sie ja - und mit Recht, denn es war Szene auf Szene geschrieben worden. Nun sagte er sich: Was habe ich eigentlich da gemacht? - Und er stellte sich vor die Seele diesen strebenden Faust, heraus aus der Gelehrsamkeit, näher hinein in die Natur.

Da schrieb er sich auf: «Ich habe also hinstellen wollen

1. Ideales Streben nach Einwirken und Einfühlen in die ganze Natur.

2. Erscheinung des Geistes als Welt- und Tatengenius.»

So skizziert er sich die Erscheinung des Erdgeistes.

Nun habe ich Ihnen dargestellt, wie nach der Erscheinung des Erd­geistes Wagner, der erscheint, nur ein Mittel zur Selbsterkenntnis des Faust, ein Stück Faust sein soll. Was streitet denn da in Faust? Was macht jetzt Faust, indem etwas in ihm streitet? Er merkt: Du hast bis jetzt nur in deiner Umgebung gelebt, in dem, was dir die äußere Welt dargebracht hat. - Das kann er am besten sehen an dem Stück, das in ihm ist, an Wagner, der ganz zufrieden ist. Der Faust ist eben daran, sich etwas zu erringen, um frei zu werden von dem, in das man hineingeboren ist, aber der Wagner, der will ganz bleiben das, was er ist, will bleiben in dem, was er äußerlich ist. Was sich äußerlich in der Welt auslebt von Genera­tion zu Generation, von Epoche zu Epoche, was ist es? Es ist die Form, in die das menschliche Streben hineingeprägt wird. Da arbeiten die Geister daran draußen im Formlosen, so daß hineingeprägt wird in die auf­einanderfolgenden Zeitalter, was wir erstreben. Der Mensch aber muß immer, wenn er nicht in der Form ersterben will, wenn er wirklich wei­terkommen will, über diese Form hinausstreben. «Streit zwischen Form und Formlosem», schreibt sich Goethe auch auf.

«3. Streit zwischen Form und Formlosem.»

Aber nun sieht sich Faust die Form an: der Faust in dem Wagner da drinnen. Er will frei werden von dieser Form. Das ist ein Streben nach dem Gehalt hin gegenüber der Form. Dann würde man sagen können:

«Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.» Ja, was müßte denn dann

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geschehen, wenn ein solcher Mensch, der dies darstellen wollte, heraus­kommen wollte aus den Verhältnissen der Gegenwart und zu einem objektiven Urteil kommen, von einem Standpunkt aus, der heute nicht möglich ist? Da müßte er das so darstellen, daß er zurückversetzt wird in ganz andere Verhältnisse. Ob das nun genau die vorhergehende In­karnation ist oder nicht, darauf kommt es nicht an, sondern auf Ver­hältnisse, die auf der Erde ganz andere waren. Und er müßte darnach trachten, nun seine Seele anzufüllen mit den Impulsen, die dazumal waren. Er müßte gewissermaßen in eine Art Phantasmagorie sich ver­setzen, sich identifizieren mit dieser Phantasmagorie und darin leben, in einer Art Phantasmagorie leben, die eine frühere Zeit darstellt.

Dahin strebt aber Goethe, indem er seinen «Faust» fortsetzt im zwei­ten Teil. Denken Sie, daß er seinen Faust zunächst in die Verhältnisse der Gegenwart gebracht hat, da läßt er ihn durchleben alles dasjenige, was man in der Gegenwart erleben kann. Aber bei alldem hat er tief innen das Gefühl: Das kann ja trotzdem zu keinem irgendwie wahren Urteil führen, denn da bin ich immer angeregt von dem, was in meiner Umgebung ist; ich muß heraus, ich muß zurückgehen zu der Zeit, deren Verhältnisse bis in unsere Zeit hinein völlig verändert worden sind. -Deshalb läßt Goethe den Faust den ganzen Weg machen bis zurück in die klassische griechische Zeit und läßt ihn eintreten, zusammenkommen mit der klassischen Walpurgisnacht.

Dasjenige, was er in der Gegenwart im tiefsten Sinne erleben kann, hat er dargestellt in der nordischen Walpurgisnacht. Nun muß er zu­rückgehen zu der klassischen Walpurgisnacht, denn von der nordischen Walpurgisnacht bis zu der klassischen Walpurgisnacht sind alle Ver­hältnisse andere geworden. Das, was das Wesentliche war der klassi­schen Walpurgisnacht, ist verschwunden, und neue Verhältnisse sind eingetreten, die symbolisiert werden durch die nordische Walpurgis­nacht. Da haben Sie die Rechtfertigung des Zurückgehens des Faust in die griechische Zeit. Der ganze zweite Teil des «Faust» ist die Realisie­rung dessen, was man nennen kann: «Am farbigen Abglanz haben wir das Leben.»

Zunächst der Durchgang noch durch die Verhältnisse der Gegenwart, aber diejenigen Verhältnisse, die schon die Zerstörung vorbereiten. Wir

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werden sehen dasjenige, was sich am «Kaiserhof» entwickelt, wo der Teufel an die Stelle des Narren tritt und so weiter. Überall ein Suchen nach einem neuen Gehalt.

Wir hätten ja auch, indem wir beschlossen haben, hier einen Bau auf­zurichten für die Geisteswissenschaft, wie es viele Errichter des 19. Jahr­hunderts gemacht haben, alle möglichen Formen uns anschauen können, alle möglichen Stile studieren können, und dann ein neues Gebäude bauen können, nicht wahr, so wie wir es draußen überall finden. Da hätten wir, aus der Form, die gekommen ist in der Weltenentwickelung, nichts Neues geschaffen: Wagner-Natur. Aber wir haben es vorgezogen, eben den «formlosen Gehalt» zu nehmen, wir haben gesucht aus dem, was zunächst formlos ist, was nur Gehalt ist, die lebendig erlebte Gei­steswissenschaft zu nehmen, und sie erst in eine neue Form zu gießen.

Das tut Faust, indem er den Wagner abweist:

Sei er kein schellenlauter Tor!

Es trägt Verstand und rechter Sinn

Mit wenig Kunst sich selber vor.

«4. Vorzug dem formlosen Gehalt», schreibt sich auch Goethe hin.

Und so ist die Szene, die er hingeschrieben hat, indem er abweist den

Wagner:

«Vorzug dem formlosen Gehalt vor der leeren Form.»

Die Form wird aber im Laufe der Zeit leer. Wenn nach hundert Jah­ren wieder jemand genau einen solchen Bau aufführen würde, wie wir ihn heute aufführen, so wäre es wiederum eine leere Form. Das ist das, was wir berücksichtigen müssen. Daher schreibt Goethe:

«5. Gehalt bringt die Form mit.»

Das ist es, was ich möchte, daß wir uns erwerben, und das ist etwas, was wir mit unserem Bau wollen: Gehalt bringt die Form mit. Und:

«Form», schreibt Goethe, «ist nie ohne Gehalt.» Gewiß ist sie nie ohne Gehalt, aber die «Wagner» sehen den Gehalt nicht darinnen, daher neh­men sie nur die leere Form an. Die Form ist so berechtigt wie nur irgend möglich. Aber darin besteht gerade das Fortschreiten, daß die alte Form durch das Neue überwunden werde.

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«6. Form ist nie ohne Gehalt.»

1. Ideales Streben nach Einwirken und Einfühlen in die ganze Natur.

2. Erscheinung des Geistes als Welt- und Tatengenius.

3. Streit zwischen Form und Formlosem.

4. Vorzug dem formlosen Gehalt vor der leeren Form.

5. Gehalt bringt die Form mit.

6. Form ist nie ohne Gehalt.

Und jetzt ein Satz, den Goethe sich hinschreibt, um seinem «Faust» sozusagen den Impuls zu geben, ein höchst charakteristischer Satz. Denn die «Wagner», die denken darüber nach: Ja, Form, Gehalt - wie kann ich das zusammenbrauen - wie kann ich das zusammenbringen? - Sie können sich ganz gut einen Menschen denken in der Gegenwart, der ein Künstler sein will, und der sich sagt: Nun ja, Geisteswissenschaft, ganz schön. Aber das geht mich weiter nichts an, was diese vertrackten Köpfe da als Geisteswissenschaft ausdenken. Aber sie wollen sich ein Haus bauen, das, glaube ich, griechischen, Renaissance-, gotischen Stil enthält; und da sehe ich, was sie sich da hinein denken, in dem Haus, das sie sich bauen, wie der Inhalt der Form entspricht. - Man könnte sich denken, daß das kommen wird. Es muß ja auch kommen, wenn die Leute daran denken, Widersprüche auszumerzen, während die Welt gerade aus Widersprüchen zusammengesetzt ist, und es darauf an­kommt, daß man die Widersprüche nebeneinander hinstellen kann. So schreibt Goethe sich auf:

«7. Diese Widersprüche, statt sie zu vereinigen, sind disparater zu machen.»

Das heißt, er will sie so darstellen in seinem «Faust>, daß sie möglichst stark hervortreten: «Diese Widersprüche, statt sie zu vereinigen, dis­parater zu machen.» Und um das zu tun, stellt er zwei Gestalten noch einmal einander gegenüber, da wo einer ganz in der Form lebt und zufrieden ist, wenn er an der Form klebt, gierig nach Schätzen des Wis­sens gräbt und froh ist, wenn er Regenwürmer findet. Wir könnten in unserer Zeit sagen: Gierig nach dem Geheimnis des Menschwerdens strebt und froh ist, wenn er etwas herausfindet. - So wie einer der bedeutendsten

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Philosophen der Gegenwart glücklich kürzlich herausge­funden hat, daß das Menschenwesen entstanden ist aus einer Gestalt, welche ähnlich war unserem Igel und Kaninchen. Nicht wahr, darüber daß die Menschenwelt abstammt vom Affen, vom Halbaffen und so weiter, ist die Wissenschaft schon weg; es muß weiter hinaufgegangen werden, wo die Tierart schon früher absproßt. Da gab es einmal Igel, Kaninchen, und auf der andern Seite: der Mensch. Nicht wahr, weil der Mensch nun in gewissen Dingen seiner Gehirnbildung am ähnlichsten ist dem Kaninchen und dem Igel. Diese haben sich erhalten, das andere ist natürlich alles ausgestorben. Also gierig nach Schätzen graben und froh sein, wenn man Kaninchen und Igel findet. Das ist das eine Streben, das Streben bloß in der Form. Goethe wollte es in Wagner hinstellen, und er weiß wohl, daß es ein «gescheites» Streben ist; die Leute sind nicht dumm, sie sind gescheit. Goethe nennt es: «Helles, kaltes, wissen­schaftliches Streben.» «Wagner», setzt er hinzu.

«8. Helles, kaltes, wissenschaftliches Streben: Wagner.»

Das andere, das Disparate, das ist nun, was man mit allen Fasern der Seele von innen heraus erarbeiten will, nachdem man es nicht in der Form darinnen findet. «Dumpfes, warmes, wissenschaftliches Streben» nennt es Goethe; er stellt es entgegen dem andern und setzt dazu:

«Schüler». Dem Faust tritt jetzt, nachdem ihm der Wagner entgegen­getreten ist, auch der Schüler entgegen. Faust erinnert sich, wie er früher Schüler war, was als Philosophie, Juristerei, Medizin und leider auch Theologie er aufgenommen hat, wie er zu dem gesagt hat, als er noch so war wie der Schüler: «Mir wird von alledem so dumm, als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum.» Aber das ist ja vorbei. Auf diesen Stand­punkt kann er sich auch nicht mehr zurückversetzen. Aber das hat doch alles auf ihn gewirkt. Also:

«9. Dumpfes, warmes, wissenschaftliches Streben: Schüler.»

Und so geht es denn weiter. Von da ab sehen wir Faust eigentlich wirklich zum Schüler werden und dann sich noch einmal in all das hin­einbegeben, wodurch man die Gegenwart aufnehmen kann.

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Den ganzen Rest des ersten Teiles, sofern er schon fertig war und noch fertig werden sollte, nennt Goethe nun:

« 10. Lebensgenuß der Person von außen gesehen; in der Dumpfheit und Leidenschaft, erster Teil.»

So genau macht sich Goethe klar, was er da geschaffen hat. Nun will er sagen: Wie soll es weitergehen? Wie soll der Faust nun wirklich her-auskommen aus diesem Lebensgenuß der Person in eine objektive Welt­anschauung hinein? - Da muß er kommen zu der Form, aber die Form muß er jetzt mit seinem ganzen Wesen ergreifen. Und wir haben ge­sehen, wie weit er zurückgehen muß, dahin, wo ganz andere Bedingun­gen da sind. Da tritt ihm die Form dann entgegen als Abglanz. Da tritt ihm die Form entgegen so, daß er sie jetzt aufnimmt, indem er eins wird mit der Wahrheit, die dazumal berechtigt war, und abstreift alles das­jenige, was zugleich hat geschehen müssen bis zu seiner Zeit. Mit andern Worten: er versucht sich hineinzuversetzen in die Zeit, insofern sie nicht von Luzifer durchsetzt war. Er versucht zurückzugehen zu dem gött­lichen Standpunkt des alten Griechenland.

Und wenn man so sich in die Außenwelt einlebt, daß man mit seinem ganzen Wesen in diese Außenwelt hineingeht, aber nichts hineinnimmt von den Verhältnissen, in die man hineingewachsen ist, dann gelangt man zu dem, was Goethe im höchsten Sinne als Schönheit bezeichnet. Deshalb sagt er: «Tatengenuß». Jetzt nicht mehr: Genuß der Person, Lebensgenuß. Tatengenuß, Herausgehen, allmählich sich Entfernen von sich selber. Einleben in die Welt ist Tatengenuß nach außen und Genuß mit Bewußtsein.

«11. Tatengenuß nach außen und Genuß mit Bewußtsein; zweiter Teil. Schönheit.»

Was Goethe nun in seinem Ringen nicht mehr hat erreichen können, weil seine Zeit noch nicht die Zeit der Geisteswissenschaft war, das skiz­ziert er sich aber doch um die Wende des 18. zum 19.Jahrhundert. Denn ganz bedeutsame Worte hat Goethe am Schluß dieser Skizze, die er da hingeschrieben hat, und die in dem ersten Teil eine Rekapitulation des­jenigen war, was er gemacht hatte. Er hatte schon vor, noch eine Art

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dritten Teil zu schreiben; es sind nur die zwei Teile geworden, denn er hätte dazu Geisteswissenschaft gebraucht.

Was Goethe da hat darstellen wollen, das ist nun das Erleben der ganzen Schöpfung draußen, wenn man herausgekommen ist aus dem persönlichen Leben. Dieses ganze Erleben der Schöpfung draußen, in Objektivität in der Welt draußen, so daß von innen aus die Schöpfung erlebt wird, indem man das wahrhaft Innere nach außen getragen hat, das skizziert sich Goethe, ich möchte sagen, stammelnd mit den Worten:

«Schöpfungsgenuß von innen» - das heißt nicht von seinem Standpunkt, indem man herausgetreten ist so aus sich selber.

«12. Schöpfungsgenuß von innen.»

Mit diesem «Schöpfungsgenuß von innen» war Faust nun eingetreten nicht nur in die klassische Welt, sondern in die Welt des Geistigen.

Dann steht noch etwas am Schluß, ein sehr merkwürdiger Satz, der hinweist auf die Szene, die Goethe hat machen wollen, nicht gemacht hat, aber doch hat machen wollen, die er würde gemacht haben, wenn er bereits in unserer Zeit gelebt hätte, die ihm aber vorgeleuchtet hat. Er schrieb:

«12. Epilog im Chaos auf dem Weg zur Hölle.»

Ich habe sehr gescheite Leute darüber reden hören, was denn dieser letzte Satz: «Epilog im Chaos auf dem Weg zur Hölle» bedeute. Die Leute haben gesagt: Also hat Goethe wirklich im Jahre 1800 noch die Idee gehabt, daß Faust zur Hölle fährt und im Chaos, bevor er in die Hölle eintritt, einen Epilog hält? Er ist also erst viel, viel später darauf gekommen, Faust nicht in die Hölle kommen zu lassen! - Viele, viele sehr gelehrte Gespräche habe ich darüber gehört, wie manches Gespräch! Es bedeute, daß Goethe 1800 noch nicht frei war, Faust doch zur Hölle fahren zu lassen. Aber daran dachten sie nicht, daß nicht Faust den Epilog hält, sondern selbstverständlich Mephistopheles, nachdem ihm Faust in den Himmel entkommen!

Den Epilog halten - wir würden heute sagen - Luzifer und Ahriman auf dem Weg zur Hölle; sie würden auf dem Weg zur Hölle besprechen, was sie mit dem strebenden Faust erlebt haben.

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Ich wollte Sie auf diese Rekapitulation und auf dieses Exposé Goethes noch einmal aus dem Grunde aufmerksam machen, weil es uns wirklich im eminentesten Sinne zeigt, wie Goethe mit alledem, was er in seiner Zeit gewinnen konnte, hin strebte nach dem Weg, der geradewegs auf­wärts in das Gebiet der Geisteswissenschaft führt.

Man wird den «Faust» nur in richtigem Sinne betrachten, wenn man sich sagt: Warum ist der «Faust» eigentlich im innersten Kern doch eine unvollkommene Dichtung geblieben, trotzdem er die größte Strebens-dichtung der Welt ist, und Faust der Repräsentant der Menschheit da-durch ist, daß er herausstrebt aus seinem Milieu und sogar in ein frühe­res Zeitalter zurückgetragen wird? Warum ist dennoch dieser Faust eine unbefriedigende Dichtung geblieben? Aus dem Grunde, weil er eben erst das Streben darstellte nach dem, was die Geisteswissenschaft der menschlichen Kulturentwickelung einverleiben soll.

Es ist gut, gerade auf diese Tatsache das Augenmerk zu richten und zu bedenken, daß an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert eine Dich­tung entstanden ist, in der die Gestalt, die den Mittelpunkt dieser Dichtung bildet - Faust - herausgehoben werden sollte aus all den beengenden Gedanken, die den Menschen umgeben müssen, dadurch daß er sein Leben in wiederholten Erdenleben durchläuft. Das Bedeut­same an Faust ist ja dieses, daß, so intensiv er aus seinem Volkstum herausgeboren ist, er doch über das Volkstum hinausgewachsen und ins Allgemein-Menschliche hineingewachsen ist. Nichts von dem engen Ge­danken des Volkstums hat Faust, sondern ganz hinauf strebt er zu dem allgemeinen Menschlichen so, daß wir ihn nicht nur finden als den Faust der neueren Zeit, sondern ihn finden im zweiten Teil als einen Faust, der als ein Grieche unter Griechen steht. Es ist ein ungeheurer Rück­schlag in unserer Zeit, wo im Laufe des 19. Jahrhunderts man wieder angefangen hat, auf die Gedanken der menschlichen Entwickelung das größte Gewicht zu legen, und in der «nationalen Idee» sogar eine Idee sieht, die irgendwie für unsere Epoche noch kulturtragend sein könnte. Wunderbar könnte sich die Menschheit hinaufranken zu einem Ver­ständnis dessen, was Geisteswissenschaft werden soll, wenn man so etwas verstehen wollte, wie es in den «Faust» hineingeheimnißt ist.

Goethe hat nicht umsonst zu Eckermann gesagt, als er den zweiten

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Teil seines «Faust» schrieb, daß er in den «Faust» viel hineingeheimnißt habe, was erst nach und nach herauskomme.

Herman Grimm, von dem ich Ihnen auch öfter gesprochen habe, hat darauf aufmerksam gemacht, daß man Goethe erst in einem Jahrtausend völlig verstehen wird. Ich muß sagen: Das glaube ich auch. - Wenn die Menschen sich noch mehr vertieft haben werden als in unserer Zeit, dann werden sie immer mehr und mehr noch verstehen von dem, was in Goethe liegt. Allerdings vor allen Dingen das, wonach er gestrebt hat, wonach er gerungen hat, was er nicht hat zum Ausdruck bringen können. Denn, würden Sie Goethe fragen, ob das, was er da in den zweiten Teil des «Faust» gelegt hat, auch in seinem «Faust» zum Ausdruck gekom­men ist, er würde sagen: Nein! - Aber dessen dürfen wir uns überzeugt halten, daß er unbedingt, wenn wir ihn heute fragen würden: Sind wir mit der Geisteswissenschaft auf dem Wege, den du dazumal angestrebt hast, wie es dazumal eben möglich war? - er sagen würde: Dasjenige, was Geisteswissenschaft ist, bewegt sich in meinen Bahnen.

Und so wird es, da Goethe bis zum Griechentum seinen Faust zurück­gehen ließ, um ihn als einen die Gegenwart Verstehenden zeigen zu dürfen, schon erlaubt sein, zu sagen: Ehrfurcht vor der Wahrheit, Ehr­furcht vor dem Wissen, das sich herausringt aus dem Wissen des Milieus, aus dem Begrenzten der Umgebung, das ist dasjenige, was wir uns er­werben müssen. Und es ist wirklich wie ein Mahnen der Zeitereignisse, die uns gerade zeigen, wie die Menschheit nach dem entgegengesetzten Extrem hinsteuert, darnach hinsteuert, die Dinge so kurzsinnig wie möglich zu beurteilen, und am liebsten heute nur bis zu den Ereignissen des Jahres 1914 gehen möchte, um all das, was wir heute so furchtbar erleben, zu erklären.

Derjenige aber, der die Gegenwart verstehen will, muß diese Gegen­wart von einer höheren Warte aus beurteilen, als diese Gegenwart selber ist.

Das ist es, was ich wiederum als eine Empfindung in diesen Tagen habe in Ihre Seelen legen wollen, als eine Empfindung, von der ich Ihnen habe zeigen wollen, wie sie aus einem wirklich inneren, lebendigen Ver­ständnis der Geisteswissenschaft folgt, und wie sie angestrebt worden ist von den größten Geistern der Vergangenheit wie von Goethe.

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Indem wir dasjenige, was in diesen Betrachtungen vor unsere Seele tritt, nicht bloß als etwas Theoretisches aufnehmen, sondern es nun in unseren Seelen verarbeiten, es leben lassen in den Meditationen unserer Seele, wird es ja erst lebendig als Geisteswissenschaft. Möge es so mit diesem, mit vielem, ja mit allem, was als Geisteswissenschaft durch unsere Seele geht, von uns gehalten werden!

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FAUSTS HIMMELFAHRT Dornach, 14. August 1915

Es soll morgen von uns das Wagnis unternommen werden, die Schluß-szene von Goethes «Faust» eurythmisch darzustellen. Es wird begreif­lich erscheinen, daß sich meine heutige und morgige Betrachtung in Anknüpfung an den Schluß des zweiten Teiles von Goethes «Faust» hält. Wir stehen ja mit Bezug auf den ganzen zweiten Teil des Goethe­schen «Faust», aber namentlich in bezug auf die Schlußszene, doch vor einem der allergrößten dichterischen Versuche der Weltenentwickelung, der zugrunde liegend hat die bedeutsamsten geistigen Wahrheiten. Den­noch, so wahr es auch ist, daß Goethes «Faust» verschiedene Grade und Stufen des Verstehens zuläßt, so wahr ist es auch, daß man immer weiter und weiter wird gehen können in bezug auf das Aufsuchen desjenigen, was aus Goethes unendlich reichem Seelenleben in den «Faust» und namentlich in den zweiten Teil des «Faust» eingeflossen ist.

Außerdem werden wir sehen, daß gerade der Schluß des zweiten Teiles uns so viele okkulte Wahrheiten geradezu zu enthüllen hat, wenn wir an die Feinheiten in der Darstellung derselben gehen, wie kaum ein anderer Schriftsteller der Welt bis jetzt versucht hat zu enthüllen. Und wir werden sehen, daß diese Wahrheiten von Goethe in den zweiten Teil des «Faust» mit einer wunderbaren - um einen scheinbar pedan­tischen Ausdruck zu gebrauchen - okkult-sachgemäßen Wissenschaft­lichkeit hineingeheimnißt sind.

Nun muß ich Ihnen offen gestehen, daß ich es nicht wagen würde, in einer solchen Weise über den «Faust» zu sprechen, wie ich es tun will, wenn ich nicht wirklich seit dem Jahre 1884 zurückzublicken hätte auf ein nie ruhendes Faust- und Goethe-Problem. Daher wird es mir viel­leicht gestattet sein, manches aphoristisch anzudeuten, was vor dem­jenigen, der nicht von der Geisteswissenschaft ausgeht, viel genauer be­gründet werden müßte. Dennoch muß ich gestehen, daß ich nicht ohne eine gewisse Scheu daran gehe, gerade okkulte Bemerkungen an Goethes «Faust», überhaupt an eine Dichtung zu knüpfen. Denn da taucht vor

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meinem Blicke all das Jammervolle auf, das geleistet worden ist von Okkultisten und Nichtokkultisten in der Interpretation von Dichtungen.

Man muß wirklich etwas zurückbeben vor der okkultistischen Be­sprechung von Dichtungen, wenn man in Gedanken hat, was alles in der Welt verbrochen worden ist mit Bezug auf solche Interpretationen, sei es von der Seite der Wissenschaft oder von sogenannten Theosophen! Und daher gestatten Sie, daß ich eine Art von Einleitung voraussende, aus der Sie entnehmen können, wie wenig ich selber gerade geneigt bin, leichter Hand okkulte Wahrheiten, okkulte Erkenntnisse hineinzuträu­men in irgendwelche Dichtung der Geistesentwickelung der Menschheit, wie sehr ich versuche, nur das vorzubringen, was wirklich als unbedingt begründet gelten kann.

Nun, ich habe so im Gebrauch, wenn ich über einen Gegenstand zu reden habe, mich vorher etwas im weitern Sinne in den Gegenstand hineinzuleben. Beim Ernsthaftnehmen von okkulten Betrachtungen ist das schon notwendig, daß man sich in die ganze Atmosphäre, in die der Gegenstand hineingestellt ist, hineinlebt. Und so war ich denn bestrebt, ein wenig mich wiederum einmal einzuleben in Goetheanismus.

Ich mußte zu diesem Behufe mir manches literarische Hilfsmittel be­schaffen, das ich vor Jahrzehnten durchgenommen habe. So nahm ich mir denn auch wiederum vor die «Weissagungen des Bakis» von Goethe. Das sind zweiunddreißig Sprüche, in rätselhafte Form gekleidet, ge­wissermaßen zweiunddreißig Rätsel. Nun können Sie sich denken, daß unendlich viel geschrieben wurde darüber, was Goethe dazu noch «Weis­sagungen» nannte und worüber er gewissermaßen orientalisierende Weisheit gegossen hat - es ist das eine besondere Speise für die Literar-historiker. So haben in den zweiunddreißig Rätselversen die mannig­faltigsten Leute die kolossalsten Geheimnisse gesehen.

Ich will Ihnen gleich eine charakteristische Probe geben. Es ist der neunundzwanzigste und dreißigste Rätselvers, den Goethe also geprägt hat. Es ist ganz gut, daß wir uns, bevor wir an die letzte Szene des «Faust» gehen, erst in diese Art Rätselverse vertiefen.

Eines kenn' ich verehrt, ja angebetet zu Fuße;

Auf die Scheitel gestellt, wird es von jedem verflucht.

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Eines kenn' ich, und fest bedrückt es zufrieden die Lippe;

Doch in dem zweiten Moment ist es der Abscheu der Welt.

Man muß sagen: es klingt schon recht geheimnisvoll! Und gleich der dreißigste Rätselvers heißt:

Dieses ist es, das Höchste, zu gleicher Zeit das Gemeinste!

Nun das Schönste, sogleich auch das Abscheulichste nun,

Nur im Schlürfen genieße du das, und koste nicht tiefer:

Unter dem reizenden Schaum sinket die Neige zu Grund.

Bevor wir uns etwa eine Vorstellung machen, wie so ein Theosoph diese geheimnisvollen Verse «deutet», wollen wir uns einen Exoteriker ansehen. Man wird zwar nicht klug aus dem werden, was er sagt, aber das schadet nichts; daran kann man einmal sehen, was so «Wissenschaft» heißt: «Eine höchst merkwürdige Wendung! Goethe hat diese Form gewählt, um seine Meinung zu verschließen und zu gleicher Zeit zu enthüllen.» Ein anderer Goethe-Erklärer hat diese Verse bezeichnet als Das ist ein Exoteriker! Ein Esoteriker könnte sagen: So etwas muß man unendlich viel tiefer nehmen!

Eines kenn' ich verehrt, ja angebetet zu Fuße;

Auf die Scheitel gestellt, wird es von jedem verflucht.

Eines kenn' ich, und fest bedrückt es zufrieden die Lippe;

Doch in dem zweiten Moment ist es der Abscheu der Welt.

Das bezieht sich auf die Pflanze, könnte man sagen, die den umge­kehrten Menschen darstellt. Man kann es in Zusammenhang bringen mit dem Logos und Luzifer, oder mit weißer und schwarzer Magie und so weiter! Solche Erklärungen sind zu Tausenden in der theosophischen Literatur verbreitet.

Nun, nicht darauf beruht das Sich-Einleben in die Geisteswissenschaft, daß man dasjenige, was man aufgenommen hat in der Geisteswissenschaft,

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auf alles Beliebige anzuwenden wüßte, sondern darauf, daß man sich+ in das richtige Verhältnis - in unserem Falle zum Beispiel zu Goethe - stellt. Die Geisteswissenschaft soll uns nicht verleiten zu allerlei Spintisierereien, sondern sie soll uns dahin bringen, wo die Wahrheit fließt. Und dann findet man, daß in den zwei ersten Zeilen des erst­genannten Verses gemeint ist - ein Pantoffel, und in den zwei letzten -eine Zigarre. Goethe war Zigarrenrauch verhaßt. Ja, das ist die Wahr­heit, sie ist nicht tief, aber sie ist so, wie Goethe sie gemeint hat. Und die Lösung von dem zweiten Vers heißt: Spiritus. Als der Geist ist er das Höchste, im Alkohol als der Rausch das Abscheulichste. Es ist ganz gut, einen solchen Prozeß einmal vorzuführen, weil man sich wirklich nicht verblenden lassen soll von Interpretationskunst und allerlei tief­sinnigen Künsten, sondern man soll sich dahin führen lassen, wo die Wahrheit ist.

Auch zu einem nationalen Chauvinisten hat man Goethe gemacht. Das war er aber ganz und gar nicht. Nehmen wir den fünften Vers:

Zweie seh' ich! den Großen! ich seh' den Größern! Die beiden

Reiben mit feindlicher Kraft, einer den andern sich auf.

Hier ist Felsen und Land, dort sind Felsen und Wellen!

Welcher der Größere sei, redet die Parze nur aus

Das wurde bezogen auf die Kontinentalmacht, den Kampf zwischen Frankreich und England. Der oben zitierte Kommentator verwirft das aber und sagt, die Französische Revolution und das deutsche Volk seien gemeint. Das ist ganz ordentlich töricht! Gemeint ist in Wirklichkeit Leben und Tod!

Nun, die Sache ist wirklich sehr ernst zu nehmen. Denn, daß irgend etwas sich beweisen läßt, das ist durchaus kein Beweis, daß die Sache richtig ist.

Ich wollte dieses vorausschicken, damit Sie nicht etwa glauben, daß ich in denselben Fehler verfallen will bei der Erklärung der Schlußszene des «Faust». Diese Schlußszene stellt uns dasjenige dar, was man nennen könnte «Fausts Himmelfahrt». Faust ist bekanntlich hindurchgegangen durch schwere Verirrung, auch durch alle möglichen Irren und Wirren der weiteren, größeren Welt. So soll gezeigt werden: Faust soll zwar

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unter den Einfluß des Ahriman-Mephistopheles geführt werden durch die Verirrungen der Welt, aber das Tiefste, was als das Ewige in der Menschenbrust verkörpert ist, das soll nicht angefressen werden können von demjenigen, was von Mephisto-Ahriman kommt. Es soll Faust zu­letzt dennoch aufgenommen werden können von den guten geistigen Welten. Das ist das, was Goethe sich als das Ziel seiner Faust-Dichtung vorgenommen hat.

Derjenige, der etwas von den geistigen Welten durch die Geistes­wissenschaft kennengelernt hat und wenig künstlerischen Sinn in sich hat, kann im allgemeinen sich eine Vorstellung bilden, wie er sich das erdichten würde. Für Goethe, der im intimsten und im höchsten Sinne eine Künstlernatur war, war das nicht so einfach. Er konnte nicht so einfach darstellen, wie Faust da in den Himmel hinaufsteigt, und das alles in abstrakt-allegorische Gebilde bringen, das wäre für ihn Sym­bolik, Stroh gewesen, das wollte er nicht. Er wollte Kunst. Dasjenige, was vor der wahren Wirklichkeit Bestand und Sicherheit hat, das wollte er, das sollte da sein. Daher kam ihm in den Sinn: Wie soll ich das nun auf der Bühne darstellen, daß Faust in den Himmel geführt wird? Man kann doch nur höchstens Gegenstände des physischen Planes hinein­stellen, die können nur etwas Symbolisches andeuten, aber das wäre Stroh, das wäre keine Kunst! Selbst mit allerlei Maschinerien könnte man nur Stroh darstellen. Goethe mußte erst das Weltenmittel suchen, durch das Faust hinaufdringen kann als Seele in die geistigen Welten. Man kann nicht durch die Luft, man kann nicht durch die äußeren physischen Elemente in die geistigen Welten hinaufdringen. Wo ist etwas Reales, was das Mittel, durch das Faust hinaufzudringen vermag, abgeben kann? Das kann nur dasjenige sein, was zunächst auf Erden das Geistige darstellt. Ja, wo ist das auf Erden? Das ist das Bewußtsein, das das Geistige aufnimmt! Das heißt, Goethe hat nötig, erst eine Be­wußtseinsrealität zu schaffen, die das Geistige aufnimmt. Das tut er, indem er in seine Szenerie Menschen hineinstellt, von denen man vor­aussagen kann, daß in ihrem Bewußtsein das Geistige lebt: Mönche, Anachoreten, die lagert er übereinander. Und man kann sagen: das Hin­aufsteigen einer Seele in die geistigen Welten ist ein realer Vorgang. Vor einem gewöhnlichen Parkett einen geistigen Vorgang darzustellen, wäre

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nicht real, da wurzelt er nicht; in den Seelen, die Goethe vorführt, da wurzelt er. So suchte er erst die Bewußtseine darzustellen, die den geisti­gen Vorgang anschauen. So stellt er den Chor und das Echo hin, welche die elementarische Welt des Geistes wahrnehmen können in dem Sinn­lich-Physischen darinnen. Sie haben sich vorbereitet darauf, nicht bloß die äußere physische Natur zu sehen, sondern innerhalb des physischen Planes auch die geistige Welt, in die die Seele des Faust hineingehen muß.

Und nun wird so geschildert, wie nur diese Mönche das empfinden können. Denn nehmen Sie nur die Worte, Schilderungen von physischen Vorgängen sind sie wirklich nicht:

Waldung, sie schwankt heran.

Das ist so, wie wenn man aus den natürlichen Dingen die elementa­rische Welt hervorgehen fühlt.

Waldung, sie schwankt heran,

Felsen, sie lasten dran,

Wurzeln, sie klammern an,

Stamm dicht an Stamm hinan,

Woge nach Woge spritzt,

Höhle, die tiefste, schützt.

Löwen, sie schleichen stumm-

Freundlich um uns herum,

Ehren geweihten Ort,

Heiligen Liebeshort.

Zu diesem Chor ist ein Echo da. Das ist nicht ohne Bedeutung. Es soll uns andeuten, wie wirklich das, was aus der elementarischen Natur kommt, allseitig ist.

Nun werden wir zugleich zu etwas geführt, was bei Goethe zu einer wunderbaren Steigerung wird. Uns werden drei weitergekommene Anachoreten vorgeführt, der Pater ecstaticus, der Pater profundus und der Pater Seraphicus, drei, die höhere Stufen erlangt haben als die andern, die als Anachoreten nur die eben geschilderten Vorgänge be­schreiben. Aber eine wunderbare Steigerung liegt von dem Pater ecsta­ticus durch den Pater profundus zu dem Pater Seraphicus.

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Der Pater ecstaticus hat es mit den niederen Stufen der Vervoll­kommnung zu tun, mit den Sinnenerlebnissen, dem Selbstinnensein. Der Pater profundus ist schon so weit, daß er von innen nach außen geht, daß er das erlebt, was als Geist die Natur durchlebt und zugleich Men­schengeist ist. Er steht höher als der Pater ecstaticus, vom geistigen Ge­sichtspunkt aus gesehen. Wir können sagen: Der Pater profundus sieht den Geist im Kosmos, der bei ihm zugleich Geist im Menschen wird. Der Pater Seraphicus sieht unmittelbar in die Welt des Geistes hinein, für ihn offenbart sie sich nicht durch die Natur hindurch, sondern er hat es unmittelbar mit dem Geiste zu tun.

Daher das Mystischwerden des Pater ecstaticus durch innere Ent­wickelung. Es bedeutet lauter innere Zustände, was jetzt gesagt wird:

Ewiger Wonnebrand,

Glühendes Liebeband,

Siedender Schmerz der Brust,

Schäumende Gottes-Lust.

Pfeile, durchdringet mich,

Lanzen, bezwinget mich,

Keulen, zerschmettert mich,

Blitze, durchwettert mich;

Daß ja das Nichtige

Alles verflüchtige,

Glänze der Dauerstern,

Ewiger Liebe Kern.

Wir haben den Pater profundus bereits durchgenommen, der zu der Stufe übergeht, durch die Natur den Geist zu fühlen.

Wie Felsenabgrund mir zu Füßen

Auf tiefem Abgrund lastend ruht,

Wie tausend Bäche strahlend fließen

Zum grausen Sturz des Schaums der Flut,

Wie strack, mit eignem kräftigen Triebe,

Der Stamm sich in die Lüfte trägt:

So ist es die allmächtige Liebe,

Die alles bildet, alles hegt.

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Ist um mich her ein wildes Brausen,

Als wogte Wald und Felsengrund!

Und doch stürzt, liebevoll im Sausen,

Die Wasserfülle sich zum Schlund,

Berufen, gleich das Tal zu wässern;

Der Blitz, der flammend niederschlug,

Die Atmosphäre zu verbessern,

Die Gift und Dunst im Busen trug:

Sind Liebesboten, sie verkünden,

Was ewig schaffend uns umwallt,

Mein Innres mög' es auch entzünden,

Wo sich der Geist, verworren, kalt,

Verquält in stumpfer Sinne Schranken,

Scharfangeschloßnem Kettenschmerz.

o Gott! beschwichtige die Gedanken,

Erleuchte mein bedürftig Herz.

Nun kommt in dem Pater Seraphicus das unmittelbare Erfassen im Bewußtsein der geistigen Welt, in die Faust aufgenommen werden soll, das heißt solcher Geister, in deren Mitte Faust nun zunächst eintreten soll. Dafür muß zuerst wieder ein Bewußtsein dargestellt werden: das ist der Pater Seraphicus; er gibt das Medium ab, durch das die seligen Knaben erscheinen können. Und nun wiederum wunderbar, ich möchte sagen fach- und sachgemäß beobachtet:

Welch ein Morgenwölkchen schwebet

Durch der Tannen schwankend Haar!

Ahn' ich, was im Innern lebet?

Es ist junge Geisterschar.

Kinder läßt Goethe auftreten, die gleich gestorben sind, nachdem sie geboren sind, man nennt sie im Volksmund: Mitternachtsgeborene.

In Gesellschaft von solchen Mitternachtsgeborenen soll Faust zu­nächst kommen; sie wissen nichts von der Welt, ihr Bewußtsein von früher hat sich getrübt durch die Geburt, und von der neuen Welt wissen sie noch nichts. Das gehört zusammen mit der Himmelfahrt des Faust. So wie in der physischen Welt der Blitz nicht ohne den Donner

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ist, so ist in der geistigen Welt eine solche Himmelfahrt Fausts nicht ohne ein Sich-Bewußtwerden des seligen Knaben.

Daß ein Liebender zugegen,

Fühlt ihr wohl, so naht euch nur;

Doch von schroffen Erdewegen,

Glückliche! habt ihr keine Spur.

Durch unsere Augen und Ohren können geistige Wesenheiten über­haupt nur das Physische des physischen Planes sehen, sonst sehen sie das Geistige. Wenn ein Geist eine Hand sieht, so sieht er den Willen, der die Hand bewegt, und die Form; wenn er das Physische der Hand sehen will, muß er sich eines physischen Auges bedienen.

Steigt herab in meiner Augen

Welt- und erdgemäß Organ,

Könnt sie als die euern brauchen,

Schaut euch diese Gegend an!

(Er nimmt sie in sich.>

Das sind Bäume, das sind Felsen,

Wasserstrom, der abestürzt

Und mit ungeheurem Wälzen

Sich den steilen Weg verkürzt.

Die seligen Knaben sind jetzt in dem Pater Seraphicus darinnen. Er gibt ihnen soviel von seiner geistigen Kraft, daß sie zu höheren Sphären aufsteigen können. Daraus sieht man wieder den Zusammenhang der geistigen mit der physischen Welt. Wenn wir meditieren, kommt das auch den Geistern zugute, deshalb sollen wir den Toten vorlesen. So gibt der Pater Seraphicus den Knaben die Frucht seiner Meditation ab, und dadurch steigen sie auf.

Steigt hinan zu höhrem Kreise,

Wachset immer unvermerkt,

Wie, nach ewig reiner Weise,

Gottes Gegenwart verstärkt.

Denn das ist der Geister Nahrung,

Die im freisten Äther waltet:

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Ewigen Liebens Offenbarung,

Die zur Seligkeit entfaltet.

Den «Faust» so kennen, wie hier einmal bei Goethe eine tiefste ok­kulteWahrheit einer Weltendichtung einverleibt worden ist, heißt näher dem Okkultismus stehen, als noch soviele «okkulte» Erklärungen geben.

Jetzt sind die Knaben in ihren eigenen Regionen. Sie sind über­gegangen aus der Sphäre der Geister der Form in die Sphäre der Geister der Bewegung.

Nun kommen die Engel, heraufbringend Faustens Entelechie, das heißt sein Unsterbliches. Sie haben entrissen dieses Glied der Geister-welt dem Mephistopheles und bringen es hinauf mit den Worten:

Gerettet ist das edle Glied

Der Geisteswelt vom Bösen:

Wer immer strebend sich bemüht,

Den können wir erlösen;

Und hat an ihm die Liebe gar

Von oben teilgenommen,

Begegnet ihm die selige Schar

Mit herzlichem Willkommen.

Die jüngeren Engel:

Jene Rosen, aus den Händen

Liebend-heiliger Büßerinnen,

Halfen uns den Sieg gewinnen

Und das hohe Werk vollenden,

Diesen Seelenschatz erbeuten.

Böse wichen, als wir streuten,

Teufel flohen, als wir trafen.

Statt gewohnter Höllenstrafen

Fühlten Liebesqual die Geister;

Selbst der alte Satansmeister

War von spitzer Pein durchdrungen.

Es ist ein okkulter Satz: dem Mephisto -Ahriman ist die Liebe ein verzehrendes Feuer und eine furchtbare Gabe der Finsternis.

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Jauchzet auf! es ist gelungen.

Nun die vollendeteren Engel:

Uns bleibt ein Erdenrest

Zu tragen peinlich,

Und wär' er von Asbest,

Er ist nicht reinlich.

Wenn starke Geisteskraft

Die Elemente

An sich herangerafft...

Was ist das für ein Erdenrest? Unsere Seele, wenn sie auf der Erde lebt, nimmt durch ihre Wahrnehmungen, Vorstellungen, Gefühle das­jenige auf, was auf der Erde vorgeht, dadurch rafft gleichsam die Seele an sich heran, was in den Elementen des physischen Planes lebt. Das kann nicht gleich getrennt werden. So wie man früher die Leichen in ein Gewebe von Asbest eingehüllt hat, damit die Asche zusammen­gehalten wird, so hat Fausts Seele einen Rest von der Sinnenwelt, der ist nicht rein, wenn er auch wäre wie der Asbest, der dem Feuer stand­hält.

Kein Engel trennte

Geeinte Zwienatur

Der innigen beiden,

Die ewige Liebe nur

Vermag's zu scheiden.

Die Engel verhüllen vor der Menschwerdung ihr Angesicht. Das ist ein Geheimnis, das nur geschaut werden kann von denjenigen Wesen­heiten, die tiefer hinabsteigen können als Engel, welche die Mensch­werdung nicht mitgemacht haben. Nur die Liebe kann das scheiden.

Jetzt werden die Engel der seligen Knaben gewahr. Die seligen Knaben empfangen das, was da hinaufgeführt wird:

Löset die Flocken los.

Hier knüpft Goethe wiederum an physische Vorgänge an, um geistige Vorgänge zu charakterisieren. Die Benediktinermönche werden, wenn

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sie sterben, in ein besonderes Kleid, die «flocca», von bräunlicher Farbe, gehüllt; alle Benediktiner werden in derselben Flocca bestattet, daher das Wort «Flocken».

Hier habe ich versucht, eine Freiheit mir zu gestatten gegenüber dem, was um Faust herum wirklich da ist. Ich habe gesagt: durch ein Be­wußtsein muß das alles uns aufgehen. Bis jetzt geht alles hin durch das Bewußtsein des Chores, der Anachoreten. Jetzt muß Faust selber durch ein Bewußtsein hinaufgehen, aber er muß durch ein Vollbewußtsein hinaufgehen, er muß ein neues Bewußtsein ganz ausfüllen, ein neues Bewußtsein, das aber mit ihm identisch ist, denn er gelangt als voller Mensch hinauf.

Vieles im «Faust» ist noch unvollendet, und sicher unvollendet ist der Pater Marianus, den Goethe später Doctor Marianus nannte. Die­ser Doctor Marianus ist da, damit durch sein Bewußtsein der Faust erscheint, daher lasse ich einfach den Doctor Marianus den Faust selber sein. Der Anachoret Doctor Marianus ist zu gleicher Zeit Doctor Maria­nus und Faust.

Nun handelt es sich darum, daß das tiefe Mysterium der Liebe her­ankommt, als durchdringend die Welt im ganz christlichen Sinne.

Faust hat ja, im profanen Sinne gesprochen, Gretchen verführt, Gretchen ist sogar hingerichtet worden, sie ist unschuldig schuldig ge­worden, in ihr ist jene Unschuld, die in dem Mysterium des Menschen eingeschlossen ruht, und ihre Liebe ist «ewiger Dauerstern». Will man das in einer Imagination ausdrücken, so kommt man zu der Mater­Dolorosa-Gloriosa. Sie bringt mit sich drei Büßerinnen, sie sieht nicht auf die Schuld dieser drei, sondern auf dasjenige, was in ihnen un­schuldig schuldig ist. Dem Doctor Marianus geht dieses Geheimnis auf.

Hier ist die Aussicht frei,

Der Geist erhoben.

Dort ziehen Fraun vorbei,

Schwebend nach oben;

Die Herrliche mitteninn

Im Sternenkranze,

Die Himmelskönigin,

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Ich seh's am Glanze.

(Entzückt)

Höchste Herrscherin der Welt!

Lasse mich im blauen

Ausgespannten Himmelszelt

Dein Geheimnis schauen.

Billige, was des Mannes Brust

Ernst und zart beweget

Und mit heiliger Liebeslust

Dir entgegen träget.

Unbezwinglich unser Mut,

Wenn du hehr gebietest,

Plötzlich mildert sich die Glut,

Wie du uns befriedest.

Jungfrau, rein im schönsten Sinn,

Mutter, Ehren würdig,

Uns erwählte Königin,

Göttern ebenbürtig.

Um sie verschlingen

Sich leichte Wölkchen...

Goethe läßt ganz sachgemäß die Seele erst aus dem Nebelnden

- Wölkchen - hervorgehen, um sich dann erst zur fertigen Form zu ballen.

Es folgt der Chor der Büßerinnen. Es ist großartig, daß Goethe gerade, ich möchte sagen, die Liebe in ihrer sinnlichen Form genommen hat und sie hier religiös verklärt hat - zum zweiten Male; die Bibel hat es schon zum ersten Mal getan. Die Maria Magdalena hat viel geliebt im wirklichen Sinn, aber sie hat eben geliebt, und der Christus sieht nur die Liebe, nicht die Sünde, darum gehört sie auch zum Chri­stus. Dann die Maria Aegyptiaca und die Una Poenitentium, sonst Gretchen genannt. Ebenso könnte stehen: Doctor Marianus, sonst Faust genannt.

Die seligen Knaben nehmen Faust auf in ihren Kreis. Faust sucht das Mariahafte in Gretchen durch die Himmelskönigin, daher darf das,

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was sich zugetragen hat, ein mystischer Chor aussprechen. Dieser mystische Chor enthält die großen, die lapidaren Worte:

Alles Vergängliche

Ist nur ein Gleichnis,

Das Unzulängliche,

Hier wird's Erreichnis;

Das Unbeschreibliche,

Hier ist's getan;

Das Ewig-Weibliche

Zieht uns hinan.

Mit diesem Gerippe wollte ich Ihnen zeigen, daß Goethe wirklich sachgemäß, aus geistiger Erkenntnis heraus, diese letzte Szene dar­gestellt hat, daß er überall die realen Grundlagen zu schaffen gewußt hat: die Bewußtseinsgrundlagen.

Wie einer, der die Sache kennt, weiß, wirklich versteht, so hat Goethe geschildert. Allerdings, man muß sich einleben in das, was Goethe gewollt hat. Man muß in seinen Intentionen darinnen sein, gleichsam als lebend den toten Goethe vor sich stehen haben. Denn manches ist nicht so leicht einzusehen.

MYSTISCHE ERKENNTNIS UND GEISTIGE OFFENBARUNG DER NATUR. WAHRNEHMUNG DER GEISTER Dornach, 15. August 1915

#G272-1967-SE156 Faust I: Faust, der strebende Mensch

#TI

MYSTISCHE ERKENNTNIS UND GEISTIGE OFFENBARUNG

DER NATUR

WAHRNEHMUNG DER GEISTER

Dornach, 15. August 1915

nach einer eurytbmischen Darstellung von Fausts Himmelfahrt

#TX

Wir haben versucht, eurythmische Darbietungen zu geben in bezug auf Goethes «Faust» zu Ostern und zu Pfingsten und am Feste von Mariä Himmelfahrt. Es war uns in gewisser Beziehung eine Art Be­dürfnis, fertig zu werden mit diesen Darbietungen gerade bis zum Feste von Mariä Himmelfahrt. Sie werden sich erinnern, daß von mir in Anknüpfung an die vorigen Darstellungen aus Goethes «Faust» ver­sucht worden ist, zu zeigen, wie die Art, in der Goethe seine Geistes-entwickelung durchgemacht hat, in hohem Grade vorbildlich wirken kann, weil wir an ihm sehen können, wie gerade die große Persön-lichkeit das, was der kleinere Mensch oftmals rasch zu ergreifen glaubt, wie der Genius das langsam und allmählich sich aneignet, sich langsam und allmählich durcharbeitet zu dem Standpunkte in bezug auf eine Sache, der ihn dann befriedigen kann. Wie glaubt mancher, ein guter Christ zu sein und das Christentum zu verstehen. Wir haben darauf aufmerksam machen müssen, wie Goethe damals, als er die ersten Szenen seines «Faust» hingeschrieben hat, im Grunde genommen eine, wenn auch nicht antichristliche, so doch, man kann sagen, christliche Empfindungsweise hatte. Man sehe sich einmal durch, was erhalten ist als der - verzeihen Sie, daß ich den geschmacklosen Titel gebrauche, aber er ist einmal üblich geworden - sogenannte «Urfaust», und was dann veröffentlicht ist unter dem besseren Titel «Faust, ein Fragment».

Wir können daraus sehen, daß Goethe ziemlich alt werden mußte, bevor er, beim Aussprechen der geheimsten Impulse seiner Seele in der bedeutungsvollen Weise diesen Dingen ein christliches Element ein­zufügen, in der Lage war. Unendliche Vertiefung in Welterkenntnis und Weltempfindung brauchte diese Seele. Und als das Fragment des «Faust» 1790 erschien, da war noch nicht darinnen jene Szene, die Goethe erst in einem viel reiferen Alter seines Lebens schreiben konnte,

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jene Szene, wo Faust zurückgenommen wird von dem Schritte, den er tun will, vom Selbstmord, durch die Osterglocken. Goethe fühlte sich erst im reifen Alter veranlaßt, dieses christliche Element in den ersten Teil seines «Faust» hineinzubringen. Viel, viel mehr muß ein solcher Genius durcherleben, durcherfahren, bis er sich zu dem in seiner Art reif fühlt, wozu sich mancher so bald sonst reif fühlt. Und wir sehen, daß Goethe wirklich dieser Ansicht war, so daß er dem «Faust», den er in seiner Jugend - aber auch schon in seiner späteren Jugend - be­gonnen und in gewissen Szeneh durchgeführt hatte, etwas Christliches, etwas vom Christentum einfügte.

Charakteristisch ist nun, daß Goethe gewissermaßen noch einmal einen Anhub brauchte, um sich durchzuarbeiten in seiner Empfindungs­weise und in der innerlichen Arbeitsweise seiner Gefühle gegenüber der Welt - ich möchte sagen durch ein Weltengebiet. aus dem die christ­lichen Impulse herausgerissen sind, bevor er in der neuen Weise, in dieser sein späteres Alter befriedigenden Weise, dem Christentum sich auch dichterisch nähern konnte.

Ich habe Sie schon gestern darauf hingewiesen, wie sach- und fach­gemäß, um den pedantischen Ausdruck zu gebrauchen, der ganze Auf­bau der letzten Szene von der Himmelfahrt des Faust ist. Aber wir blicken noch tiefer in die Sache hinein, wenn wir uns ein weiteres klar­machen aus den geistigen Betrachtungen heraus.

Stellen wir uns einmal vor: da tritt innerhalb einer besonders ge­eigneten Natur - Einöde, Bergschlucht, Felsen und alles mögliche, die einen der Mystik entsprechenden Eindruck machen - uns ein Chor, wir können uns einen Mönchs-Chor vorstellen, entgegen, der in seinem Be­wuißtsein das aufnimmt, was geschieht. Wir haben gehört, warum dieser Mönchs-Chor da ist, weil Goethe, um die Sache auf einen realen Boden zu stellen, dieses Bewußtsein draußen als ein Medium brauchte, damit aufgenommen wurden die Geschehnisse, die verbunden waren mit dem Hinaufstieg der Seele Fausts in die geistige Welt. Was geht vor? Der Chor weist uns zunächst darauf hin, was vorgeht. Wir kön­nen sagen: Dieser Chor empfindet dasjenige, was sonst ruhend ist, als Bewegung. Die Welt der Geister der Form beginnt langsam in die Welt der Geister der Bewegung überzugehen. Es vergeistigt sich, indem

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es beginnt, bewegt zu werden, dasjenige, was uns elementar entgegen­tritt - alles zunächst in Bewegung:

Waldung, sie schwankt heran,

Felsen, sie lasten dran,

Wurzeln, sie klammern an,

Stamm dicht an Stamm hinan,

Woge nach Woge spritzt...

Warum ist das? Ja, das ist deshalb, weil uns gezeigt werden soll, wie von diesem irdischen Sein, dem physischen Plane aus, eine Seele sich er­heben soll in die geistige Welt hinauf. Entwunden werden dem physi­schen Plane soll eine Seele - der physische Plan ist auch die Natur -, ent­wunden werden soll sie der Natur. Wir wissen nun, daß die Natur durchsetzt ist von der elementarischen Welt, daß in dem Augenblick, wo wir übergehen vom starren Naturdasein zum elementarischen Dasein, alles wirklich in Bewegung ist. Wir können uns nicht vorstellen, daß wir die Vorstellung vom Hinaufgehen der Seele des Faust in die geistigen Welten vor unsere Seele hingezaubert erhalten könnten, wenn wir uns nicht lebendig das Lebendigwerden der Natur und das Entlassenwerden aus dem Leben der Natur gegenüber der Seele Fausts vor unser Seelen-auge hinstellen können. Denn das muß schon einmal gesagt werden:

Gegenüber so vielem, so unendlich vielem Ungesunden, das sich gerade in mystisch-okkulten Bewegungen geltend macht, haben wir in alldem, was anknüpfen darf an Goethes Okkultismus, etwas durch und durch Gesundes, in dem festen Boden der Weltenwirklichkeit Fußendes. - Da­her wäre Goethe gar nicht imstande, anders die geistige Welt vor uns hinzustellen, als indem er sie anknüpft an das, was dem Menschen auf dem physischen Plan entgegentritt, an die Natur, indem er gleichsam zeigt, wie die Natur sich vor den gesunden Sinnen vergeistigt. Und nie­mals würde Goethe sein Jawort gesagt haben zu einem Okkultismus, der nicht im innigen Bunde mit einer wirklichen Liebe zur Erkenntnis und zur Durchdringung der Natur auch verbunden wäre.

Wir können ungeheuer viel tun zur Gesundung unserer geisteswissen­schaftlichen Anschauung, wenn wir uns bestreben, die Geheimnisse der Natur zu überschauen. Es ist das in unserer Zeit schwierig, weil - wie

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dies gestern gezeigt werden mußte für die Forschung zum Beispiel der Weisheit des Bakis oder anderer Dinge, die im geistigen Werden uns vor die Seelenaugen treten - in so törichter Art an die Natur herangegangen wird. Und wie ist es? Ebenso, wie jene scheinbar unendlich tiefsinnige Erklärung der acht Zeilen Goethes, die sich beziehen sollen auf alles Mögliche, während sie sich auf Pantoffeln und Zigarren beziehen, ge­radeso ist es in Wirklichkeit mit manchem, was heute von der Wissen­schaft über die Natur gesagt wird. Sie sehen, wie vieles, was heute als Naturwissenschaft figuriert, sich genau so verhält zu der Wahrheit, wie das, was gestern Ihnen mitgeteilt worden ist als philologische Wissen­schaft, und wie Goethes Weisheit sich zu dem verhält, worauf es sich in Wirklichkeit bezieht. Daher ist es in unserer Zeit schwierig, von der Wissenschaft ausgehend jenes Verhältnis zu der Natur zu gewinnen, das Goethe eigentlich hat. Aber wir müssen unablässig streben, unseren Ok­kultismus durchaus gesund zu gestalten. Und da gibt es für unsere Zeit keinen besseren, keinen würdigeren Ausgangspunkt als das, was Goethe gerade zum Okkultismus hinzugesteuert hat.

Wir sehen, wie im Bewußtsein des Chores - wobei dieses sich nun wirklich hineinstellt in das Unpersönliche der Natur, indem das Echo mitklingt - das Geistige der Natur sich losringt. Und wir können nun gleich hoffen, daß dasselbe Bewußtsein, das imstande ist, die Natur so zu durchschauen, daß alles tief aus der Natur herauskommt, die empor-steigende Seele mitschaut. Indem man es erst überhaupt sieht, schaut man es mit der im Geiste emporsteigenden Seele, ganz hineingestellt in das wirkliche Leben. Aber wie kommt man zu der Anschauung dieser geistigen Welt? Ich habe schon gestern erwähnt: in drei Stufen wird es uns würdig dargestellt, indem hinzutritt zu dem Bewußtsein des Chors, der ein allgemeines Bewußtsein davon hat, daß innerhalb der Natur geistige Wesenheit verborgen ist, das Bewußtsein des Pater ecstaticus, das Bewußtsein des Pater profundus, das Bewußtsein des Pater Seraphi­cus: aufeinanderfolgende Stufen seelischer Entwickelung sind das. Wie die mystische Entwickelung von der Selbstvertiefung und dem Selbst sich erhebt zu dem Durchschauen weiterer Geistigkeit der Natur, als der Chor das durchschauen kann, das wird uns beim Übergang vom Pater ecstaticus zum Pater profundus gezeigt, und dann beim Übergang vom

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Pater profundus zum Pater Seraphicus, wie die Seele sich gesund ent­wickeln kann, wirklich hinein sich entwickeln kann in die geistige Welt, so daß sie die geistige Welt in ihren Urtiefen offenbar schauen kann. Dazu hatte Goethe die Anleitung schon früh in seiner Jugend erhalten, als er erfuhr, was Swedenborg für einen Verkehr mit der Geisterwelt hatte. Wir wissen, daß wir diesen nicht allzuhoch einzuschätzen haben, aber für Goethe war das eine mächtige Anregung. Swedenborg erzählt ja, daß er mit geistigen Wesen so verkehrte, daß diese ganz nahe an seinen Kopf herankamen, daß sie von seinen Sinnesorganen Besitz er­griffen, daß sie, durch seine Augen geführt, die Welt sehen, und selbst­verständlich ganz anders das Gehörte und Gesehene mitteilen können als die Menschenseele. So erlebt Swedenborg durch jene englischen We­sen, welche in sein Sinnesorgan eingehen, die geistige Welt. Das machte auf Goethe einen großen Eindruck, dies Eingehen der Geister in den menschlichen Organismus. So daß es in einer gewissen Beziehung ihm ganz vertraut geworden war, wie ein solcher Geist umgeht mit der geistigen Welt. Goethe waren überhaupt diese Dinge ganz vertraut. Was wir hier noch nicht darstellen konnten - später werden wir es ein­mal, wenn unser Bau fertig ist -, das ist die Tatsache, daß der Pater ecstaticus auf und ab schwebt. Goethe schreibt am 26. Mai 1787 über Filippo Neri: «Im Laufe seines Lebens entwickelten sich in ihm die höchsten Gaben des religiösen Enthusiasmus: die Gabe der Tränen, der Ekstase und zuletzt sogar des Aufsteigens vom Boden und des Schwebens über demselben, welches von allen für das Höchste gehalten wird.»

Ich möchte dies ausdrücklich erwähnen, weil ich Ihnen sagen muß, daß Goethe dies nicht etwa unbewußt oder wie ein bloßes Phantasiebild hingeschrieben hat, sondern daß er sehr wohl bewandert war in diesen Dingen, daß er sie kannte, tief kannte. Also er läßt den Pater ecstaticus nicht einfach auf und ab schweben, weil es ihm so einfällt; wir müssen bedenken, daß Goethe ein Mann war, der von Filippo Neri so sprach. Das vertieft ungeheuer das Gefühl. Viel weniger auf geistreiche Erklä­rungen kommt es bei diesen Dingen an, viel mehr darauf, sich hineinzu­versenken in Goethes Seele, wie tief er in seiner Seele verbunden war mit diesem Hinaufsteigen des Menschen auf diesem Pfad der mystischen

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Erkenntnis. Und dann sehen wir, es zeigt uns der Pater ecstaticus, wie die Seele innerlich etwa in der Art des Meister Eckart oder Johannes Taulers oder des Suso aufnimmt das göttliche Walten, so daß die Seele soweit kommt, mit dem Meister Eckart sich zu gestehen: «Nicht ich, sondern der Gott in mir will und denkt und fühlt.» Denn steigt die Seele weiter auf, so wird ihr aus der elementaren Welt die geistige Offen­barung in der Natur, wie wir das beim Pater profundus sehen, dessen Inneres sich ausdehnt über das Ganze, Allwaltende der Natur.

Dann steigt die Menschenseele, indem sie das durchgemacht hat, hin­auf zu dem unmittelbaren Verkehr mit der geistigen Welt, wie wir das beim Pater Seraphicus sehen, der nun wirklich in sein Bewußtsein hereinbekommt die Wahrnehmung von solchen Geistern, wie es die seligen Knaben sind, die Mitternachtsgeborenen, die als geistige Wesen­heiten dadrinnen leben in all dem geistigen Weben und Leben, das sich zwischen den Wohnungen der Anachoreten und der Mönche hier ent­wickelt.

So tritt uns ganz lebendig entgegen - und auf die Vorstellung dieses Lebendigen kommt es an -, daß Goethe Faustens Seele in die geistige Welt hinaufgeleitet, daß er aber dazu eine spirituelle Szenerie braucht. Wir können vermuten, wie die Natur zuerst in Bewegung gerät, wie sich das elementarische Leben aus der Natur heraus erhebt, wie dann die Naturwesen übergehen in die Bewußtseine, die immer höhere sind, mit der Seele übergehen in das Umfangen von geistigen Wesenheiten, wie es die seligen Knaben sind, und wie es dann sein können die Seelen der Büßerinnen und auch die Seele des Faust selber. In der ganzen spiri­tuellen Szenerie steckt das darinnen. Und dann fortwährend wunder­bare Steigerungen bis zum Schlusse hin, wo der Chorus mysticus das Weltgeheimnis ausspricht, wo wir sehen, wie unser geistiges Auge her-aufgehoben wird in eine geistige Welt. Wir machen den Aufstieg mit von dem Stehen in der Natur und auf dem festen Boden des physischen Planes zu den geistigen Welten, in welche die Seele des Faust aufgenom­men wird.

Zu Goethes Lebzeiten war vom «Faust» nur veröffentlicht der erste Teil, wie wir ihn jetzt haben. Dann die Szene: «Anmutige Gegend», Faust auf blumigen Rasen gebettet. Dann einzelne Teile der Szene am

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«Kaiserhof» vom ersten Akt des zweiten Teiles. Darin ein Übergang zum Hingehen zu der «Klassischen Walpurgisnacht», diese aber selber nicht, und dann die «Helena-Szene».

Es haben sich manche Menschen Gedanken gemacht, noch zu Goethes Lebzeiten, wie der «Faust» vollendet werden könnte. Wenn man diese Gedanken verfolgt - und solche sind ja auch gedruckt worden , so fin­det man überall, daß die Leute schon gewußt haben: Fausts Seele muß erlöst werden, muß in die geistige Welt hinaufkommen. Aber alle die Vorstellungen, die sich die Menschen gemacht haben, haben etwas - man kann es nicht anders sagen - abstrakt vages, etwas außerordentlich vages. Goethe sagte dann zu Eckermann einmal, daß er die christlichen Bilder zu Hilfe rufen mußte, um aus dem Vagen in das hineinzukom­men, was er als eine geistige Wirklichkeit hinstellen wollte.

Und 50 tritt uns denn noch einmal in Goethes höchstem Alter dieses Wunderbare entgegen. Bedenken Sie, daß Goethe hingeschrieben hat das ganze Heidnische, das ganze Vorchristliche: die Verbindung des Faust mit der Helena. Dann wiederum etwas, was gewiß nicht anti-christlich ist: den vierten Akt des «Faust», daß er erst, nachdem er noch einmal untergetaucht ist in dasjenige, worin nicht unmittelbar christ­liche Impulse wirken, nachdem er noch einmal sich da durchgewunden hat wiederum, indem er das Rätsel des Faust im höchsten Sinne vor uns hinstellen soll, daß er erst im höchsten Alter aus allem Heiden­kultus heraus in den «Faust» das Christentum hineinpflanzen muß. Achtzig Jahre mußte Goethe alt werden, damit er sich sagen kann, er ist imstande, die christliche Vorstellungen so zu verwenden, daß sie eine Umkleidung sind für den Weg, den die Seele des Faust zu gehen hat.

Es sind wirklich von Goethe die Wege gemacht worden, die wir in der Geisteswissenschaft als Wege bezeichnen, den Christus-Impuls im­mer mehr und mehr zu begreifen. Und zu den Anfängen des Begreifens, die wir jetzt durchmachen konnten, werden in der Zukunft viele andere noch kommen, wenn wir einmal nicht mehr dabei sein können, oder in folgenden Inkarnationen dabei sein können. Mit dem, was von der Geisteswissenschaft durchgemacht werden muß, wurde von Goethe der Anfang gemacht: mit dem Durchdringen der Wirklichkeit dasjenige zu verbinden, was in unserer Seele strömt durch den Christus-Impuls. Und

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in ungeheurer Tiefe hat Goethe dies dargestellt, aber so, daß es immer anschaulich ist, daß es immer sachgemäß ist.

Da steht die Natur vor uns. Der Chor der Mönche, der zunächst auf das Geistige hinweisend uns entgegentritt, sieht aus der Natur die Ele­mente hervorgehen, und zu den Elementen hinzu gesellen sich geistig­seelische Wesenheiten, das kommt aus der Natur heraus. Das empfand Goethe schon als spezifisch christliche Anschauung. Es kommt beim Christentum nicht darauf an, daß man immer sagt: Christus, Christus und wieder Christus! Es kommt beim Christentum nicht darauf an, daß man die christlichen Dogmen immer wiederholt. Es ist eine Art, zu empfinden, sich zur Welt zu stellen. Und dieses Empfinden, dieses Sich-zur-Welt-Stellen kommt in einer wunderbaren Weise dadurch her­aus, wie es bei Goethe dargestellt ist. Wie dieses Empfinden die letzten Szenen des «Faust» durchlebt und durchwebt, das ist in eminentestem Sinne christlich, und seine Christlichkeit tritt uns dadurch besonders ent­gegen, daß der ganze «Faust» - trotzdem manches Fragment und man­ches unvollendet geblieben ist - künstlerisch so groß, so gewaltig konzi­piert ist, daß man erst nach und nach auf die gewaltige künstlerische Konzeption kommt.

Und es steht vor uns das breite natürliche Dasein des physischen Planes, das wir im echt christlichen Sinne übergehen sehen in das elemen­tarische und echt geistige Dasein. Da hinein wird Faust geführt, nachdem er seine Verbindung mit der Helena, mit der antiken geistigen Welt durchgemacht hat. Da stehen wir auch geistigen Wesenheiten gegenüber. Helena wird heraufgeführt aus der Unterwelt. Faust begegnet sich mit ihnen. Von einem Chor ist sie umgeben, zwölf Chorpersönlichkeiten umgeben die Helena. Als die Helena wiederum zurückkehrt zur Unter­welt, da steht der Chor da, und der Chor zeigt sich uns an diesem Ende des dritten Aktes als noch nicht voll zur Menschlichkeit gereift wie elementarische Wesen. Und wie verschwindet der Chor im dritten Akt des zweiten Teiles des Goetheschen «Faust»? Das ist sehr interessant! Da haben wir es auch mit elementarischen Wesenheiten zu tun. Und als Helena verschwindet, verschwindet auch der Chor dieser elementari­schen Wesenheiten. Der Chor teilt sich in vier Teile. Das eine Viertel des Chores, was wird es? Nun - je drei Personen des Chores beschreiben es

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selber, wie sie verschwinden: sie verschwinden hinein in die Natur. Da, wo Goethe das Heidnische darstellt, zeigt er uns die elementarischen Wesenheiten, die als der Zwölfchor um Helena stehen, die verschwin­den jetzt, sie gehen in die Natur. Fühlen Sie es, wie der erste Teil des Chors hineingeht in die Natur:

Wir, in dieser tausend Äste Flüsterzittern, Säuselschweben,

Reizen tänzelnd, locken leise, wurzelauf des Lebens Quellen

Nach den Zweigen; bald mit Blättern, bald mit Blüten

überschwenglich

Zieren wir die Flatterhaare frei zu luftigem Gedeihn.

Das heißt, diese Wesen des Chors werden Bäume, werden Natur. Sie dürfen uns dann, wenn sie uns wieder entgegenkommen, aus den christ­lichen Impulsen heraus entgegenkommen als

Waldung, sie schwankt heran.

Die heidnischen Elementargeister verschwinden in die Natur hinein, und sie treten da, wo der Christus-Impuls sich mit der Erde lebendig verbunden hat, wiederum hervor. Oh, wie wunderbar dieser Chor mit der Helena da verschwindet, und dann - wir wissen es aus der letzten Szene - als die Wesenheiten, die als selige Knaben den Christus-Impuls empfangen haben, heraustreten aus der Natur. Und nehmen Sie gleich noch den andern Teil des Chores:

Wir, an dieser Felsenwände weithinleuchtend glattem Spiegel

Schmiegen wir, in sanften Wellen uns bewegend, schmeichelnd an;

Horchen, lauschen jedem Laute, Vogelsingen, Röhrigflöten.

Wahrhaftig, das sind dieselben Felsen, in die hineingeschlüpft sind diese Elementarwesen, die dann «anklammern», und aus denen uns herauskommen später die Wesen der geistigen Welt, die aus der Erde, nachdem sie den Christus-Impuls empfangen haben, herauskommen.

Da sehen Sie, wie tief empfunden dieses Faust-Gedicht ist, wie da noch andere Zusammenhänge darinnen sind, als die gewöhnlich beob­achteten. Und auf diese Zusammenhänge kommt es ja so sehr an. Dessen war sich Goethe bewußt. Daß er sich dessen bewußt war, geht aus einer

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ganz bestimmten Andeutung hervor, die Goethe geben wollte, als er noch nicht ganz fertig war mit dem dritten Akt des zweiten Teiles des «Faust». Er hatte ihn ungefähr bis zu dem Verschwinden der Helena und bis zu dem «In die Natur hineingehen» dieser elementarischen Chorwesenheiten vollendet, gerade bis zu dieser Szene, ungefähr so weit, als ich jetzt gelesen habe. Dann wollte er, was er in einer gewissen Weise getan hat zum Schlusse des dritten Aktes, aus der Phorkyas den Mephisto entstehen lassen, und nun sollte Mephisto aussprechen, was Goethe beim Abschluß seines «Faust» mit diesem Faust eigentlich ge-wollt hat. Daß er es gerade durch den Mund des Mephisto sprechen ließ, das liegt in Aufführungsgründen, weil Mephisto gewissermaßen der­jenige ist, der den dritten Akt doch zustande bringt. Der dritte Akt ist ja als klassisch-romantische Phantasmagorie einverleibt dem «Faust». Mephisto ist gewissermaßen derjenige, der mit einer Art spiritistischen Laboratoriumsmagie den dritten Akt einführt, er soll sagen, was Goethe eigentlich will, indem er den «Faust» fortführt. In einer Zeit, in der Goethe schon einsieht, daß er ihm den Christus-Impuls einverleiben muß, da will er sagen durch den Mephistopheles: Gewiß, es hat immer Zeiten gegeben, welche erkannt haben, daß auf dem Grunde des Sinnen-daseins spirituelles Dasein ruht. Wir können zurückgehen in die Mystik des alten Indiens, des alten Ägyptens: da hat man gewußt und dar­gestellt, daß auf dem Grunde des natürlichen Daseins Geistiges ist. Aber es ziemt uns nicht - wollte Goethe sagen -, heute dies Geistige so auf­zufassen, wie es in diesen alten Mystiken aufgefaßt worden ist. Der Christus-Impuls hat etwas gegenüber allen alten Mystiken und gegen­über aller uralten Weisheit völlig Neues in die Welt gebracht. Das Alte kann uns nicht mehr dienen. - Das wollte Goethe sagen. Und ich behaupte es nicht nur, daß er es hat sagen wollen, sondern die Stelle ist erhalten, sie ist jetzt nicht im «Faust» darinnen, aber die Stelle ist erhal­ten, von Goethe konzipiert, von seinem Schreiber mit Korrekturen noch versehen, die Goethe angegeben hat. Dort ist am Ende des dritten Aktes gesagt, wie er den neueren Christus-Impuls gerade für seinen «Faust» fordert, wie er nicht etwa irgendeine uralte Weisheit will, sondern etwas völlig Neues im Sinne des Christus-Impulses. Denn Mephisto sollte, in­dem er vor das Publikum hintreten soll, die folgenden Worte sprechen:

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Genug, ihr seht ihn,

- gemeint ist Euphorion -ob es gleich viel schlimmer ist

Als auf der britischen Bühne, wo ein kleines Kind

Sich nach und nach herauf zum Helden wächst.

Hier ist's noch toller. Kaum ist er gezeugt,

So ist er auch geboren,

Er springt, tanzt und spricht ein zierlich Wort.

Tadeln viele das,

So denken andere, dies sei nicht so grad

Und gröblich zu verstehen, dahinter stecke was.

Man wittert wohl Mysterien, vielleicht auch gar

Mystifikationen, Indisches und auch

Ägyptisches, und wer das recht zusammenkneipt,

Zusammenbraut, etymologisch hin und her

Sich zu bewegen Lust hat, ist der rechte Mann.

Goethe ahnt schon etwas voraus von jenen Lehren, die gekommen sind und alles etymologisch zusammengebraut haben, er will aber von all denen nichts wissen, denn er läßt hier sagen:

Wir sagen's auch und unseres tiefen Sinnes wird

Der neueren Symbolik treuer Schüler sein.

Das spricht Goethe aus: nicht ägyptisch, nicht indisch, sondern «der neueren Symbolik treuer Schüler sein»!

Dann kam er dazu - nicht bloß, indem er etwa da oder dort ein Christliches angebracht hat, sondern indem er die ganze Art und Weise der Seele, sich zu stellen, in den Fluß seines Schaffens hineingeheimnißt hat -, auf diese Art den Christus-Impuls seinem «Faust» einzuverleiben. Und wie wir sehen, tut er das. Wir sehen, wie er wirklich den Gang der Mystik kennt an der Steigerung der drei Patres, und wir finden auf der andern Seite, wie er ganz wunderbar den erst einheitlichen Engel-chor trennt in zwei Gruppen: in den Chor der jüngeren Engel und in den Chor der vollendeteren Engel. Und wenn man liest, was die jüngeren

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Engel sagen und was die vollendeteren Engel sagen, so finden wir wie-derum etwas ganz Merkwürdiges. Nehmen Sie das, was die jüngeren Engel sagen zunächst:

Jene Rosen, aus den Händen

Liebend-heiliger Büßerinnen

- man muß sich an die vorhergehende Szene erinnern -

Halfen uns den Sieg gewinnen

Und das hohe Werk vollenden,

Diesen Seelenschatz erbeuten.

Böse wichen, als wir streuten,

Teufel flohen, als wir trafen.

Statt gewohnter Höllenstrafen

Fühlten Liebesqual die Geister;

Selbst der alte Satansmeister

War von spitzer Pein durchdrungen.

Jauchzet auf! es ist gelungen.

Aber die Engel sind schon in den vorhergehenden Szenen wahrzu­nehmen. Das sind jetzt die jüngeren Engel. Man kann gar nicht sagen, wie tief man berührt ist, wenn man das Sachgemäße einer solchen Dar­stellung auf sich wirken läßt. Die jüngeren Engel - weshalb das, die jüngeren Engel? Das heißt: sie sind jünger, sie haben noch nicht so viel Zusammenhang mit der irdischen Welt.

Die Engel sind in der vorchristlichen Zeit diejenigen Wesen, welche überhaupt ihr Antlitz verhüllen vor der Menschwerdung auf Erden, welche sich in der vorchristlichen Zeit in das nicht mischen, was da irdisch unten vorgeht. Sie bleiben ganz oben in geistigen Sphären.

Nun denken Sie einmal, wie charakteristisch diese jüngeren Engel, die noch nicht den Anschluß gefunden haben an die christliche Sphäre, sondern die da oben sind, die noch nicht heruntergestiegen sind während der christlichen Sphäre, wie charakteristisch diese sind! Denken Sie daran, wie die Elohim bei der Schöpfung der Welt charakterisiert sind. Nachdem uns die Schöpfung von Tag zu Tag dargestellt wird, wird uns dann am Schlusse gesagt: «Und sie sahen, daß es gut war», oder «schön»

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war. Es ist das Wort schwierig zu übersetzen, das da steht. Das heißt, die Elohim sind solche geistige Wesen, daß sie zuerst die Dinge machen und nachher sehen, daß es schön war. Das ist es, worauf es ankommt. Das ist die andere Art von Wesenheiten, die auf dem alten Monde ihre Voll­endung erlangt haben, und nun ins Erdendasein geistig übergehen, zu­erst tun und dann schauen und wahrnehmen, daß es gelungen ist. Diese jüngeren Engel müssen die Wahrnehmung dieser geistigen Wesenheiten haben, sie müssen zuerst sagen, was sie getan haben. Jetzt werden sie gewahr, daß sie Rosen gestreut haben aus den Händen der Büßerinnen, daß sie selbst dem alten Satansmeister Pein gemacht haben.

So sachgemäß schreibt Goethe, daß er weiß: Wesenheiten, die nicht in Berührung gekommen sind mit der christlichen Welt, erkennen erst nachher die Schönheit, die Güte des Getanen:

Jene Rosen, aus den Händen

Liebend-heiliger Büßerinnen

Halfen uns den Sieg gewinnen ...

Daß der Sieg gewonnen ist, kommt hinterher. Sie sehen, ich spintisiere nicht!

Nebelnd um Felsenhöh'

Spür' ich so eben,

Regend sich in der Näh'

Ein Geisterleben.

Die Wölkchen werden klar;

Ich seh' bewegte Schar

Seliger Knaben,

Los von der Erde Druck,

Im Kreis gesellt,

Die sich erlaben

Am neuen Lenz und Schmuck

Der obern Welt.

Sei er zum Anbeginn

Steigendem Vollgewinn

Diesen gesellt!

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Die seligen Knaben sind längst da, und sie haben etwas zu tun mit dem Erscheinen dieser Engel, aber die Engel merken es erst, daß sie da sind, als das Ganze in Szene gesetzt ist. Das alles ist Goethe voll be­wußt. Sie tragen nicht dasjenige an der Seele des Faust, was mit der Erde in Verbindung ist, das müssen diejenigen tragen, die etwas älter, vollendeter geworden sind, die durch das Mysterium von Golgatha mit hinuntergekommen sind und in Berührung gelangt sind mit dem Irdi­schen.

Uns bleibt ein Erdenrest

- sagen die vollendeteren Engel, nicht die jüngeren -

Zu tragen peinlich,

Und wär' er von Asbest,

Er ist nicht reinlich.

Und dann erklären sie, daß sie nun durch das Mysterium von Gol­gatha schon die Einsicht erlangt haben, vor der die andern Engel das Angesicht verhüllen, wie sich Geisteskraft verbindet mit den Elementen, die der Natur des irdischen Lebens beigemischt sind. Das ist etwas ganz Gewaltiges, wahrzunehmen, wie sach- und fachgemäß Goethe schildert, wie er so die einzelnen Glieder der geistigen Welt richtig zu charakteri­sieren weiß. Wenn man vergleicht, was andere, die auch Geister dar­stellen wollten, für buntes, charakterloses Zeug zusammenschmieden, so nimmt sich das manchmal geradeso aus, wie wenn irgendeiner die äußere Natur schildern wollte und sagen würde: Ach, ich ging über Wald und Wiese und sah auf den Wiesen so wunderbare blaue Rosen und so wunderbare gelbe Zichorien und so wunderschöne rote und gelbe Veilchen und ähnliches -, was alles nicht paßt. Derjenige, der die geistige Welt kennt, empfindet manche Schilderung als ungemein tölpisch, weil alles nicht stimmt. Bei Goethe stimmt alles! Das ist das Wesentliche, wahrzunehmen nicht eine spintisierte Interpretation, son­dern wahrzunehmen, wie diese Seele in der geistigen Welt darinnen wurzelt in dem Moment, wo sie sich vornimmt, nun aus ihr selbst heraus ein geistiges Ereignis zu schildern, wie es der Aufstieg des Faust in die geistige Welt ist. Und dabei das im eminentesten Sinne

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Künstlerische, künstlerisch Kompositionelle in dem Spirituellen dar­innen!

Ich habe einmal versucht, Ihnen zu zeigen, wie, ganz abgesehen von dem, was das Johannes-Evangelium sonst ist, einfach in der Stimmung des Johannes-Evangeliums etwas liegt, was es zugleich zu einem der größten Kunstwerke macht. Erinnern Sie sich an den Kasseler Zyklus über das Johannes-Evangelium! Wirklich, solche künstlerischen Bestre­bungen, die im Spirituellen das Künstlerisch-Vollkommene anstreben, finden wir überall im «Faust» darinnen, so aber, daß das Künstlerische darinnen wirklich, indem es künstlerisch ist, zugleich spirituell richtig ist. Das ist das Bedeutsame. Denn darauf kommt es an, daß die Welt immer mehr und mehr einsieht, daß das, was aus dem Geiste heraus wirklich erkannt und erfahren wird, das Richtige ist, auch wenn es in die Welt hineingestellt ist. Das, was aus dem Geistigen heraus spinti­siert wird, das nimmt sich gewöhnlich in der Welt wie ein Kartenhaus aus. Das aber, was aus dem Geistigen heraus erkannt ist, läßt sich in die Welt hineinstellen.

Solches wurde erstrebt bei der ganzen Architektur unseres Baues, daß er wirklich aus dem Geistigen heraus erzeugt ist. Daher ist auch alles ausführbar. Um so weniger Skrupel macht es einem, wenn da oder dort Menschen kommen und sagen: das gefiele ihnen nicht und das gefiele ihnen nicht. Es gibt solche Leute, die das oder jenes an unserem Bau zu tadeln haben. Aber, wenn man die Welt ein bißchen kennt und weiß, daß oder inwiefern die Menschen zu dem Chor derjenigen ge­hören, die derart Goethe interpretieren wie jener Herr, von dem ich Ihnen erzählt habe, so macht man sich aus all dem Tadel nichts, denn jener Herr zum Beispiel, der erwähnt wurde, könnte sagen, was er will über unseren Bau und unsere Denkungsweise und so weiter, es würde einem nicht zu imponieren brauchen. Und solchen Geistes sind ja schließ­lich die Leute. Man muß nur ein wenig das Leben kennen. Aber das­jenige, was aus dem Geistigen heraus geboren ist, wird möglich, da es zu gleicher Zeit Geist und zugleich Künstlerschaft ist.

Und da möchte ich heute wenigstens noch auf eines hinweisen. Drei Büßerinnen im Verein mit der Büßerin, die sonst Gretchen genannt wird, treten uns entgegen. Ja, der Künstler macht das niemals so - der

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echte, wahre Künstler -, daß er sagt: Nun, ich will drei Büßerinnen auftreten lassen. Wo gibt es denn drei Büßerinnen? - Allerdings kann man auch im Leben allerlei Leute kennenlernen. So gibt es Leute, wirk­lich, solche Leute, die nehmen ein Reimlexikon und dichten darnach, man kann im Alphabet aufschlagen - was sich darauf reimt - und dann kommt die zweite Zeile und so weiter. Ich kannte auch solche Leute. Aber nicht einmal das macht der wahre Dichter, der ein Künstler ist, daß er etwa drei Büßerinnen in beliebiger Weise nimmt, sondern hier bringt er - das tritt besonders charakteristisch bei Goethe hervor -wiederum eine jener wunderbaren Steigerungen, einen Fall wunder-barer innerer Komposition, die zu gleicher Zeit sachlich treffend und richtig ist. Was sollen denn die drei Büßerinnen: zunächst die Maria Magdalena, dann die Samariterin am Brunnen, und dann gar die ägyptische Maria, was sollen sie? Nun, ich habe schon angedeutet. Sie sollen uns zeigen, daß in der weiblichen Natur ein Ewiges - «ewiger Liebe Dauerstern» - ist, daß der gewissermaßen nicht angefressen wer­den kann, will Goethe sagen, wenn sich verbindet mit der weiblichen Seele, auch mit der Schuld, die Liebe, die Liebe, die der Christus ge­bracht hat, trotzdem sie im äußeren Leben durchaus nicht Mustermen­schen waren, aber ihre Seele war so geartet, daß sie die Liebe verstehen konnten. Wird das nun richtig gedacht, so müssen wir sagen: Ja, so etwas, was wie der Christus-Impuls sich in der Welt ausbreitet, zuerst ergreift er das Nächste, dann ergreift er das Weitere, dann ergreift er das Weiteste. - Und es wäre nun schön, wenn sich der Liebesimpuls des Christus wie eine Welle ausbreitete, wenn er auch die Schuldigen ergriffe und die Schuldigen überstrahlte, immer weitere Kreise ziehend. Also, die Maria Magdalena, die jüdische, die Hebräerin, unmittelbar aus dem Lande, das innig im Judentum verbunden war mit dem Christus Jesus:

die nächste Umgebung wird von der christlichen Liebe ergriffen. Dann geht er schon hinaus, der Christus, aus dem Bereich des Judentums, aber noch in die nächste Region, zu den Samaritern, die keine Volksgemein­schaft mit den Juden haben: der zweite Kreis. Und dann kommt er zum dritten Kreis. Sie wissen, dasjenige, was sehr ferne dem Christentum vorgestellt wird, wird als das Ägyptertum vorgestellt: die ägyptische Maria. Sie kommt aus dem, was noch weit fremder draußen in der heidnischen

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Welt liegt, was nun ergriffen wird in einer fernen Weise, wie durch eine unsichtbare Hand zurückgedrängt wegen der Sünde von der Kreuzesberührung, und nur abbüßend die Schuld durch eine vierzig-jährige Buße: wie weit schlagen die Wellen der Liebe da hinaus!

Wir sehen sie wirklich, die Wellen der Liebe, wie sie sich ausbreiten, und wir verstehen etwas von dem, was sich allmählich zusammen-kristallisiert in Goethes Vorstellung als das, was er dann zum Schlusse als das «Ewig-Weibliche» bezeichnet, in dessen Auffassung jede Spur von Niedrigkeit entfernt bleiben muß.

Und dem, was da sich ausbreitet an Liebe, entspricht genau, ich möchte sagen der Tonfall, die ganze Art und Weise, wie Goethe die Worte in den Mund genommen hat. Versuchen Sie nur einmal, jene wunderbare Steigerung herauszufinden, die nun in der eigentümlichen Empfindung, rhythmischen Bildung der Worte liegt:

Bei der Liebe, die den Füßen

Deines gottverklärten Sohnes

Tränen ließ zum Balsam fließen,

Trotz des Pharisäerhohnes;

Beim Gefäße, das so reichlich

Tropfte Wohlgeruch hernieder;

Bei den Locken, die so weichlich

Trockneten die heil'gen Glieder -

Wir fühlen etwas, wie das Rieseln in der Nähe.

Bei dem Bronn, zu dem schon weiland

Abram ließ die Herde führen,

Bei dem Eimer, der dem Heiland

Kühl die Lippe durft' berühren;

Bei der reinen, reichen Quelle,

Die nun dorther sich ergießet,

Überflüssig, ewig helle,

Rings durch alle Welten fließet -

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Denken Sie, wie sich das weitet! Wir sind eigentlich mit der ganzen Vorstellung in unmittelbarer Nähe der Person des Christus. Dann werden noch ganze Welten in dem Naturvorstellen aufgenommen. Und dann, indem wir zur ägyptischen Maria kommen:

Bei dem hochgeweihten Orte,

Wo den Herrn man niederließ;

Bei dem Arm, der von der Pforte

Warnend mich zurücke stieß;

Das Unsichtbare, das Spirituelle wird unmittelbar angeschlagen. Noch einmal eine Steigerung! Es ist nicht so, daß man erst mit dem Verstand herauszufinden braucht, daß diese drei Kreise wirklich da sind. Man muß sie empfinden, indem die Worte ausgesprochen werden. Das ist das Bedeutsame.

Und wir wollen nun folgendes bedenken. Wir haben in jahrelangen Betrachtungen die Tatsache durchgemacht, daß sich vor unserer Erden-entwickelung eine Saturnzeit entwickelt hat, dann eine Sonnenzeit, dann eine Mondenzeit, und daß wir jetzt bei der Erdenzeit stehen. Der Mensch hat gewissermaßen alles dasjenige mitgemacht, was durch diese Entwickelungsstadien durchgegangen ist. Worin liegt denn das Wesent­liche dieser Entwickelungsstadien? Das liegt darin, daß diese Zeiten einmal da waren und wieder vergangen sind, und daß die Erdenzeit aufgegangen ist. Der Mensch hat aber vor der Erdenzeit Saturn-, Sonnen- und Mondenzeit mitgemacht, und er trägt die Wirkung dieser Zeiten in seinem Inneren. Wenn wir nun den heutigen Menschen mit den Mitteln der Geisteswissenschaft untersuchen, dann finden wir, daß der physische Leib, indem er seine erste Anlage auf dem Saturn erlangt hat, sich dann weiter entwickelt durch die Sonne, durch den Mond hindurch bis zur Erde, wo er sich neuerdings mit kosmischen Mächten verbunden hat, um etwas Neues an sich heranzunehmen. Was der physische Leib des Menschen durch die drei Stadien durchgemacht hat - und dadurch berühren wir den Saum eines bedeutsamen Mysteriums -, insofern es der physische Leib durchgemacht hat, das ist auf der Erde als deutlichste Wirkung in der Konstitution der inneren weiblichen Organe zum Aus­druck gekommen. Das Innere der weiblichen Organisation, sowohl des

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Physisch-Leiblichen, wie alles desjenigen, was in Verbindung mit dem physischen Leib auch als Seele zum Ausdruck kommt, das trägt die Wirkungen von Saturn, Sonne und Mond im eminentesten Sinne an sich. Es wird nicht umsonst in der Bibel erzählt, daß die Elohim den Staub, das heißt dasjenige, was auf der Erde erst hinzugetreten ist, so wie Luft und Wasser - man meint mit «Staub» das irdische Element -nahmen, um den Adam zu formen, den Mann. Aus dem Kosmos heraus wird zunächst dem Makrokosmischen, welches das Weib herüberträgt von Saturn, Sonne und Mond, das Männliche hinzugefügt. Es liegt ein tiefes Geheimnis über demjenigen, was auf der Erde sich als männlich und weiblich gegenübersteht. Selbstverständlich bezieht sich das eben Gesagte nur auf das, was eben in der Organisation des Menschen das Männliche und Weibliche zum Ausdruck bringt. Und dieses Mysterium hängt zusammen mit der ganzen Erdenwelt, hängt zusammen mit den Fähigkeiten, die dem Weibe nur als Weib eigen sind während der Erdenentwickelung, damit, daß im Inneren des Weibes herübergetragen wird das Makrokosmische der Saturn-, Sonnen- und Mondenentwicke­lung und in den Mikrokosmos des Weibes aufgenommen wird, wäh­rend der Makrokosmos der eben vorhergehenden Erdenentwickelung in den Mikrokosmos des Mannes aufgenommen wird. In einer ganz be­sonderen Weise tragen das Weibliche und das Männliche in sich den ganzen Kosmos. Und wenn ich oftmals hier ausgesprochen habe, daß der Mensch überhaupt den ganzen Makrokosmos in sich trägt, so trägt ihn die weibliche und die männliche Organisation in einer verschiedenen Weise in sich.

Goethe geht ein kosmischer Gedanke auf, indem er die Büßerinnen heranbringt an die Mater gloriosa. Denn, was ist ihm die Mater glo­riosa? Diejenige, die am reinsten herübergetragen hat die ewig geblie­benen Wirkungen von Saturn-, Sonnen- und Mondenzeit in die Erden-zeit herein, sie unberührt gelassen hat vom Irdischen und mit dem Makrokosmos sich verbunden hat, indem sie den Christus der Erde hat vorbereiten dürfen. Das Makrokosmische, das Ewige des Weib­lichen, zieht hinan. Was zieht hinan? Wie könnten wir noch sagen, um diese Frage zu beantworten? Indem wir den Chorus mysticus nach-sprechen.

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Das meinte Goethe - nur will er nicht einen allgemeinen Ausdruck gebrauchen -, das meinte Goethe:

Alles Vergängliche

Ist nur ein Gleichnis;

Das Unzulängliche,

Hier wird's Erreichnis;

Das Unbeschreibliche,

Hier ist's getan;

Die Mater gloriosa

Zieht uns hinan.

Dasjenige, was getan ist, was sich vor uns abgespielt hat, das zieht zu gleicher Zeit die ganze geistige Welt hinan.

Tief christlich schließt Goethes Lebensgedicht. An diese aphoristi-schen Bemerkungen - solche sollten es sein - werden wir dann im folgenden anknüpfen.

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DAS REICH DER MÜTTER. DIE MATER GLORIOSA Dornach, 16. August 1915

Blicken wir zurück in eine frühere Szene des zweiten Teiles von Goethes «Faust», in die Szene, die ich in manchem Zusammenhange schon öfters erwähnt habe, wo es Faust möglich gemacht werden soll, mit Helena sich zu vereinigen. Wie wird innerhalb der ganzen Faust-Dichtung diese Möglichkeit der Vereinigung des Faust mit Helena dargestellt?

Wir wissen, daß Faust sich zunächst, um die Vereinigung mit der Helena vollziehen zu können, in jene Region zu begeben hat, in die selbst Mephistopheles nicht hinein kann, in das Reich, das genannt wird «das Reich der Mütter». Wir haben es öfter hervorgehoben, daß Mephi­stopheles-Ahriman nur in der Lage ist, Faust den Schlüssel zum Reiche des «Unbetretenen, nicht zu Betretenden» zu reichen. Wir haben es auch erwähnt, wie in diesem Reiche der Mütter dasjenige zu finden ist, was das Ewige iSt an Helena, und wir haben erwähnt, wie Goethe versucht hat, das Geheimnis des Wiedereintretens der Helena in die Erdenwelt zu lösen. Wir haben dieses Geheimnis von Goethe ausgesprochen ge­funden dadurch, daß er den Homunkulus entstehen läßt, daß der Ho­munkulus durchgeht durch die Evolution der Erdenentwickelung, diese Evolution der Erdenentwickelung gleichsam nachholt, und daß dann der Homunkulus, indem er sich auflöst in den Elementen, übergeht in die elementarische geistige Welt so, daß er, indem er sich vereinigt mit dem Urbild der Helena, welches Faust von den Müttern holt, gewissermaßen die Wiederverkörperung gibt, mit der nun Faust sich verbinden kann. Faust ist gewissermaßen auf den großen Schauplatz der Geschichte er­hoben, er sucht Helena. Was braucht er, um Helena zu suchen? Helena, der Typus der griechischen Schönheit, Helena, das Weib, das so viel Verderben in die Griechenwelt gebracht hat, das aber Goethe doch so darstellt, daß es uns ebenfalls - ich sage dies mit Bezug auf das Gret­chen - in griechischem Sinne unschuldig schuldig erscheint. Denn so tritt Helena am Beginn des dritten Aktes auf: unschuldig schuldig. Durch ihre Tat ist viel Schuld bewirkt worden. Allein Goethe sucht in jeder

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Menschennatur das Ewige und kann nicht rechnen da, wo er die Evo­lution der Menschheit im höheren Sinne darstellen will, mit der Schuld, sondern er kann nur rechnen mit der Notwendigkeit.

Wenn wir uns nun fragen, wodurch wird Faust in die Lage versetzt, in jene geistigen Reiche zu steigen, in denen er die Helena finden kann, da klingt es uns entgegen:

Die Mütter sind es! Mütter!

Und Mephistopheles reicht ihm den Schlüssel zu den Müttern. In charakteristischer Weise wird uns auseinandergesetzt, daß Faust hinab­steigen soll zu den Müttern, man könnte ebensogut sagen hinaufsteigen, denn in diesem Reich kommt es nicht darauf an, in physischem Sinne das Hinab und Hinauf voneinander zu unterscheiden.

Die Mütter! Mütter! - ,s klingt so wunderlich!

Wir hören das Wort aus dem «Faust». Und wenn wir uns erinnern, wie dies Reich der Mütter beschrieben wird, wie sie sitzen um den golde­nen Dreifuß, wenn wir die ganze Szenerie des Reiches der Mütter ins Auge fassen, wie könnte dieses Sich-Begeben des Faust ins Reich der Mütter ausgedrückt werden? Was sind sie, die Mütter, die ewig walten, aber - weiblich dargestellt - die Kräfte darstellen, von denen Faust her­vorgeholt hat das Ewige, das Unsterbliche der Helena? Wollte man an der Stelle, wo Faust zu Helena geschickt wird, die ganze Tatsache aus-drücken, so müßte man sagen: Faust wird seinen Drang zu Helena und zu den Müttern auszudrücken haben dadurch, daß er sagt: Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan oder hinab - darauf kommt es jetzt nicht an. Wir könnten ebensogut dieses letzte Motiv, das uns am Schlusse des «Faust» entgegentritt, angewendet wissen da, wo Faust zu den Müttern hinuntersteigt. Aber wir stehen mit dem Faust bei seinem Gang zu den Müttern und zu Helena auf dem Boden der alten heidnischen Welt, der vorchristlichen Welt, der Welt, die dem Mysterium von Golgatha vor­angegangen ist. Und am Schlusse des «Faust»? Wir stehen einem ähn­lichen Gange des Faust gegenüber, dem Gange des liebenden Faust, der sich Gretchens Seele nähern will, aber wir stehen jetzt mit ihm auf dem

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Boden der Evolution nach dem Mysterium von Golgatha. Und nach was strebt er jetzt? Noch nach den Müttern? Nach der Dreizahl der Mütter nicht mehr. Nach der einen Mutter, nach der Mater gloriosa, die ihm den «Weg ins Unbetretene, nicht zu Betretende», wo Gretchens Seele weilt, ebnen soll. Die Mütter, auch ein Ewig-Weibliches, sind in der Dreizahl. Die Mutter, die Mater gloriosa, sie ist in der Einzahl. Und das Streben zu den Müttern, indem es uns versetzt in die Zeit der Evolution vor dem Mysterium von Golgatha, und das Streben zu der Mutter, zu der Mater gloriosa, indem es uns versetzt in die Evolution nach dem Myste­rium von Golgatha - zeigt es uns nicht in einer wunderbaren Weise, dichterisch großartig, überwältigend großartig dasjenige, was das Myste­rium von Golgatha der Menschheit gebracht hat? Aus der Dreiheit des noch astralischen Denkens, Fühlens und Wollens strebt hinauf die Menschheit im «Faust» nach der Dreigliedrigkeit des Ewig-Weiblichen. Wir haben es oft charakterisiert, wie die Einheit des menschlichen Inne­ren in dem Ich über die Menschheit gekommen ist durch das Mysterium von Golgatha. Aus den drei Müttern wird die eine Mutter, die Mater gloriosa, dadurch, daß der Mensch in der uns bekannten Weise zu der innerlichen Durchdringung mit dem Ich fortgeschritten ist.

In der Faust-Dichtung ist verkörpert das ganze Geheimnis des Über-ganges der Menschheit vor dem Mysterium von Golgatha. Und dieses von dem Ewig-Weiblichen der Dreiheit zu dem Ewig-Weiblichen der Einheit ist eine der größten, der wunderbarsten, schönsten Steigerungen nun in der künstlerischen Ausgestaltung, die sich in diesem zweiten Teil des «Faust» befindet. Aber wie tief wir auch in die Geheimnisse des «Faust» hineinsehen, überall finden wir das, was ich pedantisch aus­gesprochen, aber nicht pedantisch gemeint habe, indem ich gesagt habe:

Alles klingt so sach- und fachgemäß.

Ich habe schon früher darauf aufmerksam gemacht, wie wir, wenn wir vollständig den menschlichen Zusammenh ang begreifen wollen, dar­auf hinweisen müssen, daß der Mensch zunächst als ganzer Mensch mit dem Makrokosmos zusammenhängt, wie im Menschen sich der Makro-kosmos abbildlich als im Mikrokosmos findet. Nur müssen wir uns er­innern, daß des Menschen Erdenentwickelung unverständlich bleibt, wenn man nicht weiß, daß der Mensch in seinem Inneren dasjenige

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trägt, was zunächst für diese Erdenentwickelung ein Vergängliches ist, was aber für des Menschen Entwickelung ein Dauerndes ist, was sich hineinentwickelt hat in die menschliche Natur beim Durchgang durch die alte Saturn-, Sonnen- und Mondenentwickelung. Wir wissen, daß des Menschen physischer Leib sich in der ersten Anlage schon während der alten Saturnentwickelung gebildet hat. Wir wissen, daß er sich da­mals immer weiter und weiter gebildet hat durch Sonnen- und durch Mondenentwickelung bis zur Erdenentwickelung herüber. In verschiede­ner Weise - darauf habe ich früher schon hingewiesen - ist nun einge­gangen in die äußere irdische Bildung des Menschen das, was in den drei Vorstufen der Evolution, der vorirdischen Evolution, mit dem Menschen sich vereinigte.

Ich konnte den Teil, der früher über die Sache zu sagen war, nur flüchtig andeuten, und bei diesem flüchtigen Andeuten muß es auch bleiben. Ich habe gesagt: Wir berühren dabei den Saum eines bedeut­samen Geheimnisses. - Und es ist sehr natürlich, daß diese Dinge nur angedeutet werden können. Wer sie weiter verfolgen will, muß über das Angedeutete eine Meditation anstellen. Er wird dann schon das, was ihm noch wünschenswert ist, finden, wenn es vielleicht auch etwas lange dauert.

Wir aber müssen uns klarmachen, daß der Mensch, indem die Mon­denentwickelung sich abgeschlossen hat, die Erdenentwickelung begon­nen hat, gewissermaßen in diesem Übergang von der Mondenentwicke­lung zur Erdenentwickelung durchgegangen ist durch eine Art von Auf­lösung, Vergeistigung, durch eine Weltennacht, und erst wiederum sich hereingebildet hat ins Materielle. Gewiß, die Anlagen, die er sich durch die Saturn-, Sonnen- und Mondenentwickelung gebildet hat, sind ihm geblieben, auch die Anlagen zum physischen Leibe. Aber er hat sie auch aufgenommen in das Geistige und hat sie dann wieder herausgebildet aus dem Geistigen, so daß wir uns während der Erdenentwickelung eine Zeit denken mussen, in welcher der Mensch noch nicht physisch war.

Wenn wir von allem übrigen absehen, was teil hat an der Entwicke­lung der Tatsache, daß der Mensch sich in seinem physischen Erden-dasein männlich und weiblich bildet, so können wir im allgemeinen sagen: So wie der Mensch überhaupt hereingekommen ist, ist er zunächst

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als ätherischer Mensch hereingekommen. - Gewiß, in diesem ätherischen Menschen waren schon die Anlagen zum physischen Menschen, die wäh­rend der Saturn-, Sonnen- und Mondenzeit sich entwickelt haben, aber dennoch, sie waren im Ätherischen ausgebildet. Ich habe das schon in der «Geheimwissenschaft im Umriß» genauer angedeutet. Und es muß sich das Physische erst wiederum aus dem Ätherischen heraus entwickeln. Aber an diesem ganzen Prozeß des Herausentwickelns haben Luzifer und Ahriman ihren Anteil. Denn Luzifer und Ahriman greifen schon vorher, wenn sich auch ihr Einfluß während der Erdenentwickelung wiederholt, während der Mondenentwickelung und schon während der Entwickelung hin zum Mond in die ganze Entwickelung der Menschheit ein.

Nun habe ich hier etwas zu sagen, was schwer verständlich ist - weni­ger schwer verständlich für den menschlichen Verstand als schwer ver­ständlich, glaube ich, für das ganze menschliche Gemüt -, aber was doch auch einmal wirklich verstanden werden muß. Stellen wir uns vor: der Mensch war also einmal im Erdenlauf, bevor er sich seit der lemurischen und atlantischen Zeit physisch allmählich gebildet hat, ätherisch, und

- ich will das schematisch andeuten - aus diesem Ätherischen habe sich herausgebildet allmählich sein Physisches. Also der Mensch war äthe­risch. Nun wissen wir, daß das Ätherische ein viergliedriges ist. Wir kennen den Äther als eine gewissermaßen viergliedrige Wesenheit. Wenn wir von unten nach oben steigen, so kennen wir den Äther als: Wärme-äther; Lichtäther; den Äther mit stofflicher Natur oder auch chemischen Äther, der aber seine stoffliche Natur dadurch hat, daß der Stoff inner­lich noch den Ton füllt, die Weltenharmonie, die Sphärenharmonie, denn Stoffe sind dadurch Stoffe, daß sie Ausdruck sind für die Welten-harmonie. Zunächst haben wir uns die Welt harmonisch vorzustellen. Der eine Ton bedingt, indem er hinklingt durch die Welt, sagen wir, Gold, der andere Ton bedingt Silber, der dritte Ton bedingt Kupfer und so weiter. Jeder Stoff ist der Ausdruck eines gewissen Tones, so daß wir natürlich auch sagen können Tonäther, nur dürfen wir nicht den Äther so darstellen, daß er irdisch wahrnehmbar ist, sondern als noch in der Äther-Geistsphäre verklingenden Ton. Und der letzte Äther ist der Lebensäther. So daß der Mensch, wenn wir ihn uns noch als ätherisch

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vorstellen, ätherisch dadurch gebildet ist, daß diese vier Ätherarten in­einandergreifen. Wir können also sagen: Der Mensch erscheint da, wo die Erdenentwickelung sich anschickt, aus dem Äthermenschen allmäh­lich den physischen Menschen hervorgehen zu lassen, als ein Ätherorga­nismus vor seinem Physischwerden, wo durcheinander organisiert ist Wärmeäther, Lichtäther, stofflicher oder Tonäther und Lebensäther.

Nun nehmen an diesem ganzen Prozeß des Physischwerdens des Men­schen teil Luzifer und Ahriman. Sie sind immer dabei. Sie nehmen teil an dieser ganzen Evolution. Sie üben ihren Einfluß aus. Natürlich gibt es besondere Punkte, wo sie diesen Einfluß ziemlich stark ausüben, aber immer sind sie da, diese besonderen Punkte, das finden Sie ja in der «Ge­heimwissenschaft» hervorgehoben. So wie, ich möchte sagen, die ganze pflanzliche Kraft immer in der Pflanze ist, aber einmal sich als grünes Laubblatt, einmal sich als Blüte geltend macht, so sind auch Luzifer und Ahriman immer dagewesen, während sich der Mensch hindurchent­wickelt hat durch die verschiedenen Epochen der Erdenentwickelung, sind sie gewissermaßen bei allem dabei.

Wenn Sie nun von allem übrigen absehen, man kann ja nicht immer alles aufzählen, so können Sie sich ungefähr dieses aus der ätherischen Organisation heraus entstehende Physische des Menschen so vorstellen

- alles übrige eingerechnet, was ich in der «Geheimwissenschaft» und sonst natürlich dargestellt habe -, daß weibliche Gestalt und männliche Gestalt entsteht. Was sonst mitwirkt, davon sehen wir jetzt ab, aber es entsteht weibliche und männliche Gestalt. Hätten Luzifer und Ahri-man nicht mitgewirkt, so wäre nicht weibliche und männliche Gestalt entstanden, sondern das, was ich einmal in München beschrieben habe:

ein Mittleres. So daß wir wirklich sagen können: Luzifer und Ahriman ist es zuzuschreiben, daß die Menschengestalt auf Erden differenziert wurde in eine männliche und weibliche Gestalt. - Und zwar, wenn wir uns nun schon vorstellen den Zustand, wie sich der Mensch der Erde nähert, die sich allmählich durch das mineralische Reich verfestigt, wenn wir uns dazu noch vorstellen, daß sich der Erdenplanet bildet, physisch verfestigt, daß sich im Umkreise der Erde der auch die Erde durch-dringende Äther befindet, so können wir uns vorstellen, daß der Mensch sich aus dem Äther der ganzen Erde herausbildet und damit sich in

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seinem Charakter auch nähert dem Physischen der Erde, daß sich in ihm gleichsam das Ätherisch-Mineralisch-Physische begegnet mit dem Mine­ralisch-Physischen der Erde. Aber Luzifer und Ahriman sind dabei, sind richtig dabei wirksam. Viele Mittel haben sie, um ihren Einfluß auf die Evolution der Menschheit geltend zu machen. Und dieser verschiedenen Mittel bedienen sie sich zu diesen oder jenen Vorgängen, die sie hervor-rufen.

Luzifer hat vor allen Dingen die Tendenz, den Geist des Leichten zu entwickeln; er möchte eigentlich immer den Menschen nicht recht irdisch werden lassen, möchte ihn gar nicht so völlig auf die Erde herab-kommen lassen. Luzifer ist ja bei der Mondenentwickelung zurück­geblieben, und er möchte den Menschen für sich gewinnen, ihn nicht hereinlassen in die Erdenentwickelung. Das strebt er auf die Weise an, daß er sich vor allen Dingen der Kräfte des Wärmeäthers und des Licht-äthers bemächtigt. Diese Kräfte verwendet er auf seine Art in den Vor­gängen, die jetzt geschehen bei dem Physischwerden des Menschen. Luzi­fer hat hauptsächlich Macht über den Wärmeäther und den Lichtäther, die beherrscht er vorzugsweise. Dazu hat er sich schon während der Mondenentwickelung gut vorbereitet, die organisiert er auf seine Art. Dadurch kann er in einer andern Weise die Menschwerdung beeinflussen. Indem er aus dem Äther heraus den Menschen physisch werden läßt, kann er dadurch, daß er gerade über Wärme- und Lichtäther sich her-macht und darin seine Gewalt geltend macht in einer andern Weise, als es sonst ohne diese geschehen wäre, die menschliche Gestalt bewirken. So wie er nun im Wärme-Lichtäther waltet und webt, wird durch dieses Walten und Weben nicht der Mittelmensch, der sonst entstehen würde, sondern die weibliche Gestalt des Menschen. Die weibliche Gestalt des Menschen wäre nie ohne Luzifer zustande gekommen. Sie ist schon der Ausdruck des Hervorgehens aus dem Äther, indem Luzifer sich ge­rade des Wärme-Lichtäthers bemächtigt.

Über den Ton- und Lebensäther hat besonders Ahriman seine Gewalt. Ahriman ist zugleich der Geist der Schwere. Ahriman hat das Bestreben, Luzifer entgegenzuwirken. Dadurch wird in einer gewissen Weise wesentlich das Gleichgewicht bewirkt, daß von den weise wirkenden, fortschreitenden Göttern der luziferischen Gewalt, die den Menschen

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hinausheben will über das Irdische, entgegengestellt wird die ahrima­nische Gewalt. Ahriman will nun den Menschen eigentlich herunter-ziehen ins Physische. Er will ihn mehr physisch machen, als er sonst würde als Mittelmensch. Dazu ist Ahriman dadurch vorbereitet, daß er besonders Gewalt hat über den Ton- und Lebensäther. Und in Ton- und Lebensäther wirkt er und webt er, der Ahriman. Und dadurch wird nun die menschliche physische Gestalt, indem sie aus dem Äther herausgeht ins Physische hinein, in einer andern Weise physisch, als sie geworden wäre durch die bloß fortschreitenden Götter, zur männlichen Gestalt. Die männliche Gestalt wäre ohne den Einfluß Ahrimans gar nicht denk­bar, gar nicht möglich. So daß man sagen kann: Die weibliche Gestalt ist herausgewoben durch Luzifer aus dem Wärme- und Lichtäther, in­dem Luzifer dieser Gestalt ätherisch ein gewisses Streben nach oben ein­flößt. Die männliche Gestalt wird von Ahriman so geformt, daß ihr ein gewisses Streben zur Erde hin eingepflanzt wird.

Dies, was so gleichsam jetzt aus dem Makrokosmischen der Welten-evolution heraus gewollt ist, können wir im Menschen wirklich geistes-wissenschaftlich beobachten. Nehmen wir einmal die weibliche Gestalt, schematisch gezeichnet, so müssen wir also sagen: Da ist ätherisch hin­einverwoben von Luzifer Wärme und Licht in seiner Art. - Es ist also die physisch-weibliche Gestalt so gewoben, daß im Licht- und Wärme-äther nicht nur die gleichmäßig fortschreitenden Götter ihre Kräfte entwickelt haben, sondern daß luziferische Kräfte in diesen weiblichen Ätherleib hineinverwoben sind. Nehmen wir nun an, es werde in diesem weiblichen Ätherleib dasjenige, was die Erde besonders gegeben hat, das Ich-Bewußtsein, das zusammenhaltende Bewußtsein herabgestimmt, es trete eine Art herabgestimmtes Bewußtsein ein, was manche Leute schon «Hellsehen» nennen, eine Art des traumhaften, trancehaften Schauens, dann tritt in einem solchen Falle dasjenige, was Luzifer in Licht- und Wärmeäther verwoben hat, in einer Art von Aura heraus, so daß, wenn Visionärinnen in ihren Visionszuständen sind, sie von einer Aura umgeben sind, welche luziferische Kräfte in sich hat, nämlich die des Wärme- und Lichtäthers. Nun handelt es sich darum, daß diese Aura, die nun den weiblichen Leib umgibt, wenn Visionszustände ein­treten auf mediale Art, als solche nicht geschaut wird. Denn selbstverständlich,

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wenn nun der weibliche Leib inmitten dieser Aura ist (es wird gezeichnet), dann sieht der weibliche Organismus in diese Aura hinein, und er projiziert ringsherum das, was er in dieser Aura sieht. Er sieht das, was in seiner eigenen Aura ist. Der objektive Betrachter sieht etwas, was er nennen kann: der Mensch strahlt Imaginationen aus, er hat eine Aura, die aus Imaginationen gebildet ist, an sich. Das ist ein objektiver Vorgang, der dem, der ihn betrachtet, nichts macht. Das heißt, wird diese imaginative Aura von außen betrachtet, durch einen andern be­trachtet, so wird einfach eine Aura objektiv gesehen, wie etwas anderes gesehen wird; wird aber diese Aura von innen, von der Visionärin selber durchschaut, so sieht sie nur das, was in ihr selber Luzifer ausbreitet. Es ist ein großer Unterschied, ob man etwas selber sieht, oder ob es von andern gesehen wird. Ein gewaltiger Unterschied!

Mit diesem hängt es zusammen, daß bei dem Eintritt des visionären Hellsehens bei der Frau die große Gefahr dann vorhanden ist, wenn dieses visionäre Hellsehen in Form von Imaginationen auftritt. Da ist von seiten der Frau ganz besondere Vorsicht nötig. Und es ist immer das vorauszusetzen, daß die Entwickelung scharf in die Hand genom­men werden muß, daß sie eine gesunde ist. Nicht stehenbleiben bei alle­dem, was man sieht, nicht wahr, denn das kann einfach die eigentlich luziferische Aura sein, von innen angeschaut, die nötig war, um den weiblichen Leib zu bilden. Und manches, was Visionärinnen beschreiben, ist aus einem ganz andern Grunde interessant als aus dem Grunde, aus dem es die weiblichen Visionärinnen für interessant halten. Wenn sie es so beschreiben oder ansehen, als ob es eine interessante objektive Welt wäre, so haben sie ganz unrecht, so sind sie ganz im Irrtum. Wenn aber diese entsprechende Aura von außen gesehen wird, dann ist es das, was aus dem Äther heraus die weibliche Gestalt gerade möglich gemacht hat in der Erdenentwickelung. So daß wir sagen können: Die Frau hat be­sondere Vorsicht anzuwenden, wenn bei ihr das Visionäre, das imagina­tive Hellsehen beginnt oder sich zeigt, denn da kann sehr leicht eine Gefahr lauern, die Gefahr, in Irrtum zu verfallen.

Der männliche Organismus ist nun anders. Wenn wir den männlichen Organismus ins Auge fassen, so hat in seine Aura hinein Ahriman seine Kraft, aber jetzt in den Ton- und Lebensäther gewoben. Und wie es bei

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der Frau vorzugsweise der Wärmeäther ist, so ist es beim Manne vor­zugsweise der Lebensäther. Bei der Frau ist es vorzugsweise der Wärme-äther, in dem Luzifer wirkt, und beim Manne der Lebensäther, in dem Ahriman wirkt. Wenn der Mann nun aus seinem Bewußtsein heraus­kommt, wenn der Zusammenhalt, der sich in ihm als Ich-Bewußtsein ausdrückt, herabgedämpft wird, wenn eine Art passiver Zustand bei dem Manne eintritt, dann ist es so, daß man wiederum sehen kann, wie die Aura sich um ihn geltend macht, die Aura, in der Ahriman seine Gewalt darinnen hat.

Aber es ist jetzt eine Aura, die vorzugsweise Lebensäther und Ton-äther in sich enthält. Da ist vibrierender Ton drinnen, so daß man eigentlich diese Aura des Mannes nicht so unmittelbar imaginativ sieht. Es ist keine imaginative Aura, sondern es ist etwas von vibrierendem geistigem Ton, das den Mann umgibt. Das alles hat zu tun mit der Gestalt, nicht mit der Seele natürlich; das hat mit dem Manne zu tun, insofern er physisch ist. So daß derjenige, der diese Gestalt von außen betrachtet, sehen kann: der Mensch strahlt - kann man jetzt sagen -Intuitionen aus. Das sind dieselben Intuitionen, aus denen eigentlich seine Gestalt gebildet worden ist, durch die er da ist als der Mann in der Welt. Da tönt es von lebendig-vibrierendem Ton um einen herum. Da­her ist beim Manne eine andere Gefahr vorhanden, wenn das Bewußt­sein zur Passivität herabgedämpft wird, die Gefahr, diese eigene Aura nur zu hören, innerlich zu hören. Der Mann muß besonders achtgeben, daß er nicht sich gehen läßt, wenn er diese eigene Aura geistig hört, denn da hört er den in ihm waltenden Ahriman. Denn der muß da sein.

Sie sehen jetzt, wie auf der Erde nicht das Männliche und Weibliche in der Menschheit wäre, wenn nicht Luzifer und Ahriman gewirkt hätten. Ich möchte wissen, wie die Frau dem Luzifer entfliehen könnte, wie der Mann dem Ahriman entfliehen könnte! Die Predigt: man soll ihnen entfliehen, diesen Gewalten - ich habe es oft betont -, ist ganz töricht, denn sie gehören zu dem, was in der Evolution lebt, nachdem die Evolution schon einmal so ist, wie sie ist.

Aber wir können jetzt sagen: Ja, indem der Mann also auf der Erde als Mann steht, in einer männlichen Inkarnation, geht er durch sein Leben, und das, was er als Mann ist, was er als Mann erfahren kann,

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was gewissermaßen die männliche Erfahrung ist, hat er davon, daß dieser tönende Lebensäther in ihm ist, daß er gewissermaßen illimer in sich, allerdings von Ahriman gemischte Lebechöre hat, die eigentlich seine männliche Gestalt aufbauen. Lebechöre hat er um sich, in sich, die nur, wenn er medial wird, um ihn herum sichtbar, hörbar werden.

Nehmen wir nun an, wir hätten es mit bei der Geburt gleich Gestor­benen zu tun, die ausdrücken wollen, daß sie nicht «Mann» geworden sind hier während ihrer Inkarnation. Was würden denn die sagen? Die würden sagen, daß dies bei ihrer Geburt nicht gewirkt hat, daß sie zwar die Anlagen gehabt haben, in dieser Inkarnation Männer zu werden, aber es hat das, was den Mann zum Mann macht, nicht gewirkt. Sie sind entfernt worden gleich von dem, was sie in der physischen Inkarnation zu Männern gemacht hätte. Kurz, sie werden sagen:

Wir wurden früh entfernt

Von Lebechören.

Das sagen die seligen Knaben.

Wir wurden früh entfernt

Von Lebechören;

Doch dieser hat gelernt,

das heißt: der hat die Erfahrung durchgemacht, der Faust. Der ist durch das lange Leben gegangen, durch das lange Erdenleben. Der kann uns etwas übermitteln von diesem Erdenleben.

Er wird uns lehren.

So müssen wir gewissermaßen in die tiefsten Tiefen des okkulten Erkennens hineinschauen, wenn wir verstehen wollen, warum das eine oder andere Wort gerade in dieser Dichtung steht. Der Kommentator kommt dann und sagt: Nun ja, der Dichter wählt so ein Wort: Lebe­chöre und so weiter. - Dem ist alles recht, wenn er nur nicht nötig hat, sich der Unbequemlichkeit zu unterwerfen, etwas zu lernen. Durch solche Dinge möchte ich Sie hinweisen darauf, wie sach- und fachgemäß im Sinne der geistigen Weltauffassung diese Goethesche Dichtung ist, was in dieser Goetheschen Dichtung eigentlich ruht.

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Nun habe ich Ihnen vielleicht - ich sagte es gleich: es hat etwas für das Menschengemüt schwer Verständliches - nach der einen oder andern Richtung hin das Herz schwergemacht, indem ich wiederum einmal auf charakteristische Punkte hingewiesen habe, wo Ahriman und Luzifer so in der Welt wirken, daß wir ihnen schon nicht entkommen können. Denn, wir mögen es anstellen, wie wir wollen, wenn wir uns zu einer Inkarnation anschicken - in eine männliche oder in eine weibliche In­karnation müssen wir ja hinein -: ist in ihr nicht Luzifer, so ist Ahriman in ihr. Also es geht wirklich nicht, die Sache so weit zu treiben, daß man sagt: Man muß beiden entfliehen. - Nicht wahr, ich habe Ihnen ge­wissermaßen auch noch dadurch ein schweres Herz gemacht, daß ich Ihnen gezeigt habe, daß es eine gewisse Gefahr bedeutet, die eigene Aura zu beobachten, gleichsam in diese eigene Aura hineinzuschauen. Aber darin besteht gerade die unendliche Weisheit der Welt, daß das Leben nicht so ist, daß es ein ruhendes Pendel ist, sondern daß es aus-schlägt. Und wie das Pendel nach rechts und nach links ausschlägt, so schlägt das Leben nicht nur der Menschheit, sondern der ganzen Welt nach ahrimanischer und luziferischer Seite aus. Und nur dadurch, daß das Leben zwischen ahrimanischen und luziferischen Einflüssen hin und her pendelt und dazwischen das Gleichgewicht hält und die Kraft dieses Gleichgewichtes hat, ist dieses Leben möglich. Daher wird auch diesem, was ich jetzt als Gefährliches geschildert habe, etwas entgegengesetzt. Ist es ein Luziferisches: das Ahrimanische. Ist es ein Ahrimanisches: das Luziferische.

Also nehmen wir noch einmal den weiblichen Organismus. Er strahlt aus gewissermaßen eine luziferische Aura. Aber dadurch, daß er sie ausstrahlt, schiebt er zurück den Lebens- oder Tonäther, dadurch bildet sich um den weiblichen Organismus herum eine Art ahrimanische Aura, so daß dann der weibliche Organismus in der Mitte die luziferische Aura hat, weiter draußen die ahrimanische. Aber dieser weibliche Orga­nismus kann jetzt, wenn er nicht so untätig ist, daß er bei seinem Schauen der eigenen Aura stehenbleibt, sich weiterentwickeln. Und das ist gerade das, worauf es ankommt, daß man nicht in ungesunder Weise bei den erstgebildeten Imaginationen bleibt, sondern daß man gerade alles Wil-lensmäßige mächtig anwendet, um durchzudringen durch diese Imaginationen.

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Denn man muß zuletzt es so weit bringen, daß einem nicht die eigene Aura erscheint, sondern daß zurückgespiegelt gleichsam von einer Spiegelplatte, die jetzt eine ahrimanische Aura ist, das erscheint. Man darf nicht in die eigene Aura hineinschauen, sondern man muß von der äußeren Aura zurückgespiegelt das haben, was in der eigenen Aura ist. Dadurch sehen Sie, ist es für den weiblichen Organismus so, daß er das Luziferische vom Ahrimanischen zurückgespiegelt erhält und dadurch neutralisiert, dadurch gerade ins Gleichgewicht gebracht wird. Dadurch ist es nun weder ahrimanisch noch luziferisch, aber es wird entweiblicht, es wird allgemein-menschlich. Wirklich, es wird allgemein-menschlich.

Ich bitte Sie nur, das so recht zu fühlen, wie der Mensch wirklich, in­dem er ins Geistige aufsteigt, dadurch daß er, sei es der luziferischen, sei es der ahrimanischen Gewalt der eigenen Aura entgeht, gerade ins Luziferische oder Ahrimanische nicht hineinschaut, sondern das eine sich spiegeln läßt und dadurch es zurückempfängt, asexuell, ohne daß es männlich oder weiblich ist. Das Weibliche wird neutralisiert zum Männlichen am Ahrimanischen, das Männnliche wird neutralisiert zum Weiblichen am Luziferischen. Denn ebenso, wie sich die weiblich-luzife-rische Aura umgibt mit der ahrimanischen Aura, so umgibt sich die männlich-ahrimanische Aura mit der luziferischen Aura, und es strahlt sich da ebenso dasjenige zurück, was man in sich hat wie bei der weib­lichen. Man sieht es als Spiegelbild.

Nehmen wir nun an, es wollte diesen Vorgang jemand schildern. Wann könnte er denn in die Lage kommen, ihn zu schildern? Nun, das­jenige, was beim Hellsehen eintritt, tritt doch auch nach dem Tode ein. Der Mensch ist in derselben Lage. Beim Hellsehen muß sich neutrali­sieren das Weibliche ins Männliche hinein, das Männliche in das Weib­liche hinein. Das ist wiederum so der Fall nach dem Tode. Was müssen sich denn da für Vorstellungen herausstellen? Nun, nehmen wir einmal an, eine Seele, die in einem weiblichen Organismus gewesen ist, wäre durch den Tod gegangen, hätte nach dem Tode mancherlei durchzu­machen, was ein Ausgleich sein soll gegenüber irdischer Schuld. Eine solche Seele wird dann langsam streben aus dem, woran sie auf der Erde gebunden war, nach Neutralisierung. Es wird gleichsam das Weibliche nach Neutralisierung durch das Männliche streben. Es soll die Neutralisierung

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das sein, daß für sie eine Erlösung ist, nach dem höchsten Männ­lichen zu streben. Werden wir Büßerinnen finden nach dem Tode, so wird für sie charakteristisch sein müssen, daß ihre Sehnsucht in der geistigen Welt etwas ist voll Hinstreben nach dem Männlich -Ausglei­chenden. Die drei Büßerinnen - die Magna peccatrix, die Mulier Sama­ritana, die Maria Aegyptiaca - sind allerdings im Gefolge der Mater gloriosa, aber sie sollen nach Neutralisierung, nach Ausgleich streben. Daher wirkt die Mater gloriosa zwar in der Aura; das wird uns sehr deutlich ausgedrückt, daß die Mater gloriosa in ihrer Aura wirken kann, ihre eigene Aura hat. Man höre nur:

Um sie verschlingen

Sich leichte Wölkchen,

Sind Büßerinnen,

Ein zartes Völkchen,

Um Ihre Kniee

Den Äther schlürfend,

Gnade bedürfend.

Dir, der Unberührbaren,

Ist es nicht benommen,

Daß die leicht Verführbaren

Traulich zu dir kommen.

Aber das werden sie nur so als ein Bewußtsein gewahr. Das tritt ihnen nicht entgegen wie etwas, was ihnen wie das Hohe des Lebens entgegen-tönt. Das tönt ihnen entgegen, was sie im Zusammenhang mit der Mater gloriosa durch den Christus erfahren sollen. Daher sehen wir überall die Reden der drei Büßerinnen nach dem Männlichen, Christus, hin ge­richtet:

Bei der Liebe, die den Füßen

Deines gottverklärten Sohnes...

Und bei der Samariterin, der Maria:

Bei dem Bronn, zu dem schon weiland

Abram ließ die Herde führen ...

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Und hier vergeistigt:

Bei der reinen, reichen Quelle,

Die nun dorther sich ergießet...

Der Christus nennt sich ja selbst der Samariterin gegenüber: das rechte Wasser.

Und bei der Maria Aegyptiaca haben wir es schon zu tun mit der

Grablegung:

Bei dem hochgeweihten Orte,

Wo den Herrn man niederließ ...

Wir sehen, wie in den dreien das darinnen lebt, was aus der eigenen Aura heraus will zu dem, was sich neutralisiert.

Und fragen wir, was denn der Mann nun findet als dasjenige, was ihn neutralisiert, was ihn aus der Männlichkeit heraushebt, dann ist es die Sehnsucht nach dem Weiblichen, das die Welt durchwallt.

Hier ist die Aussicht frei,

Der Geist erhoben.

Dort ziehen Fraun vorbei,

Schwebend nach oben;

Die Herrliche mitteninn

Im Sternenkranze,

Die Himmelskönigin,

Ich seh's am Glanze.

Er wird nicht so wie die Büßerinnen angezogen unmittelbar durch das Christus-Männliche, sondern er wird durch dasjenige, was zum Christus gehört als das Weibliche, zunächst angezogen. Und das führt ihn wie­derum zu dem mit ihm karmisch Verbundenen der Gretchen-Seele hin, wiederum zu dem Weibe. Da sehen Sie zart hineinverwoben in die Dichtung dieses tiefe Mysterium von dem Stehen des Menschen zur geistigen Welt. Denn wie sollte es nicht, ich möchte sagen, bestürzend tief empfunden werden, wenn uns der okkulte Tatbestand vor Augen tritt: die entkörperte Seele, die noch die Elemente in sich hat - Natur, die erst getrennt werden muß -, die sich neutralisieren muß durch das

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Weibliche. Und wir sehen, wie im Aufstreben zu der Neutralisierung, weil wir es mit dem Männlichen, Faust, zu tun haben, das Weibliche als das «Heranziehen» sich geltend machen muß. Es ist etwas ganz Wun­derbares in dieser Dichtung dargestellt. Und klar und deutlich wird uns angedeutet, daß es darin sein soll. Faust wird also streben durch den Mund des Doctor Marianus dem Weiblichen, das heißt dem geistigen Ewig-Weiblichen entgegen, aber dem Geheimnis, dem Mysterium. Als er geistig ansichtig wird der Mater gloriosa, da sagt er:

Höchste Herrscherin der Welt!

Lasse mich im blauen,

Ausgespannten Himmelszelt

Dein Geheimnis schauen.

Nun stellen wir uns also vor: Faust nach der geistigen Welt strebend, verlangend, das Geheimnis des Weiblichen zu schauen in der Mater gloriosa. Wie wird es denn sein können? Nun, es wird so sein können, daß das Licht durch seine Gegenstrahlung neutralisiert wird, das heißt, daß auftritt die weibliche Licht- und Wärmeaura, aber entgegenge-strahlt, nicht wie sie unmittelbar ausfließt. Das muß neutralisiert sein, muß verbunden sein damit, daß dieses Licht eine Gegenstrahlung hat. Im ausgespannten Himmelszelt wird geschaut das Geheimnis: das Weib mit der Aura, mit der Sonne. Wenn das Licht zurückgestrahlt wird vom Monde: das Weib auf dem Monde stehend. Sie kennen dieses Bild, es sollte wenigstens bekannt sein. So sehen wir Faust Verlangen tragend, im ausgespannten Himmelszeit zuletzt zu schauen das Mysterium:

Maria, das Weib, mit der Sonne bekleidet, den Mond zu Füßen, der zurückstrahlt. Und zusammen bildet das, was er sonst weiß von der Mater gloriosa, mit diesem Geheimnis, mit diesem Mysterium im aus­gespannten Himmelszelt dann den Gefühls- und Empfindungsgehalt des Chorus mysticus. Denn auch das, was noch menschliche Gestalt an der Mater gloriosa ist, ist ein Gleichnis, denn das ist das Vergängliche, was an ihr an menschlicher Gestalt ist, und alles das ist ein Gleichnis. Das Unzulängliche, das heißt das in der menschlichen Sehnsucht Unzu­längliche, hier wird es erst Erreichnis. Hier erhält man das Schauen der Aura-Strahlung sonnenhaft, deren Licht vom Monde zurückwirkt, zurückleuchtet:

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das Unbeschreibliche, hier ist es getan. Dasjenige, was im physischen Leben nicht begriffen werden kann, - daß gesucht wird das, was aus dem Selbst ausstrahlt in der selbstlosen Zurückerstrahlung:

hier ist es getan. - Dann empfindungsgemäß das ganze aus Mannesmund gesagt oder für Mannesohren gesagt:

Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan.

Man muß schon sagen: Den «Faust» auf sich wirken lassen, bedeutet wirklich in bezug auf viele Parteien dieses «Faust» ein direktes Sich-Hineinbegehen in eine okkulte Atmosphäre. - Und wollte ich Ihnen alles sagen, was in bezug auf den «Faust» in okkulter Beziehung zu sagen wäre, dann müßten wir noch lange zusammenbleiben. Sie müßten viele Vorträge darüber hören. Aber das ist zunächst gar nicht notwen­dig, denn es kommt nicht so sehr darauf an, daß man möglichst viele Begriffe und Ideen aufnimmt, sondern zunächst kommt es wirklich bei uns ganz stark darauf an, daß unsere Gefühle sich vertiefen. Und wenn wir unsere Gefühle und Empfindungen gegenüber dieser Weltdichtung so vertiefen, daß wir eine tiefe Ehrfurcht haben vor dem Walten des Genius auf Erden, in dessen Tun und Schaffen wirklich Okkultes gegen­wärtig ist, dann tun wir der Welt und uns ein Gutes an. Wenn wir empfinden können dem Geistig-Großen gegenüber in der richtigen ehr­fürchtigen Weise, dann ist das ein bedeutungsvoller Weg zum Tore der Geisteswissenschaft.

Noch einmal sei es gesagt: Weniger um das Spintisieren handelt es sich, als um das Vertiefen der Gefühle. - Und ich möchte wenig darum geben, daß ich Ihnen zum Beispiel sagen durfte, daß der Ausspruch der seligen Knaben von dem Hinweggerissensein von Lebechören in solch okkulte Tiefen führt, ich möchte wenig darum geben um dieser bloßen Ideen willen, wenn ich nur wissen dürfte, daß Ihr Herz, Ihr Gemüt, Ihr innerer Sinn bei dem Aussprechen einer solchen Wahrheit so ergriffen wird, daß Sie etwas von den heilig tiefen Kräften verspüren, die in der Welt leben, die sich in das menschliche Schaffen ergießen, wenn dieses menschliche Schaffen wirklich mit den Weltgeheimnissen verknüpft ist. Wenn man erschauern kann bei einer solchen Tatsache, daß so Tiefes in einer Dichtung liegen kann, so ist dieses Erschauern, das einmal unsere

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Seele, unser Gemüt, unser Herz durchgemacht hat, viel mehr wert als das bloße Wissen, daß die seligen Knaben sagen, sie wären nicht mit Lebechören vereinigt. Nicht das Freuen an dem Geistreichen der Idee soll es sein, das uns ergreift, sondern das Erfreuen, daß die Welt so aus dem Geistigen herausgewoben ist, daß im Menschenherzen des Geistes Walten so hereinwirkt, daß solches Schaffen in der geistigen Entwicke­lung der Menschheit leben kann.

WEISHEIT - SCHÖNHEIT - GÜTE. MICHAEL - GABRIEL - RAPHAEL Dornach, 19. August 1916

#G272-1967-SE194 Faust I: Faust, der strebende Mensch

#TI

WEISHEIT - SCHÖNHEIT - GÜTE

MICHAEL - GABRIEL - RAPHAEL

Dornach, 19. August 1916

Nach eurythmisch-dramatischen Darstellungen

der «Zueignung» und des

#TX

Wir haben in den letzten Wochen von den drei großen, höchsten Idealen der Menschheit gesprochen und haben diese drei Ideale bezeichnet, wie sie seit langen Zeiten immer bezeichnet werden als das Ideal der Weis­heit, der Schönheit und der Güte.

Nun hat man in den neueren Zeiten immer diese drei höchsten Ideale der Menschheit in Zusammenhang gebracht mit den drei uns bekannten und in den verschiedensten Beziehungen betrachteten menschlichen Seelenkräften. Man hat das Ideal der Weisheit mit dem Denken oder dem Vorstellen in Zusammenhang gebracht, das Ideal der Schönheit mit dem Fühlen, das Ideal der Güte mit dem Wollen.

Weisheit kann dem Menschen nur werden in klaren Vorstellungen, in klarem Denken. Das, was Gegenstand der Kunst ist, das Schöne, kann nicht so erfaßt werden. Das Fühlen ist diejenige Seelenkraft, die vorzugsweise zu tun hat mit der Schönheit, so sagten die Seelenforscher, die Psychologen seit langer Zeit. Und das, was als das Gute in der Welt sich verwirklicht, hängt mit dem Wollen zusammen. Es scheint, daß dies recht einleuchtend ist, was so die Psychologen, die Seelenkenner über die Beziehungen der drei großen Menschheitsideale zu den verschiedenen Seelenkräften gesagt haben. Gewissermaßen wie eine Art von Ergän­zung können wir noch hinzufügen, daß Kant drei Kritiken geschrieben hat, von denen die eine, die «Kritik der reinen Vernunft», dienen soll der Weisheit, weil sie kritisieren will das Vorstellungsvermögen. Eine andere Kritik nannte Kant die «Kritik der Urteilskraft», und sie zer­fällt bei ihm in zwei Teile: in die «Kritik der ästhetischen Urteilskraft» und in die «Kritik der teleologischen Urteilskraft». Im Grunde meint Kant, wenn er hier von Urteilskraft spricht, doch dasjenige, was be­schlossen ist in der Gefühlserkenntnis, durch die man bejaht, daß etwas schön oder häßlich, nützlich oder schädlich ist. So könnten wir also - als

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von einer Unterabteilung gerade in diesem Kantschen Sinne, und andere haben ja die Benennungsweise beibehalten - davon sprechen, daß die Urteilskraft, wobei wir nicht bloß an das vorstellende Urteil denken, sondern daran, daß das Urteil aus dem Herzen heraus kommt, zur Auffassung des Schönen in Beziehung steht. Und eine dritte Kritik Kants ist die «Kritik der praktischen Vernunft», die sich auf das Wollen bezieht, auf das Erstreben des Guten.

Nun können wir das, was ich eben gesagt habe, bei allen Psychologen finden, bis auf einen Psychologen, der in der zweiten Hälfte des 19.Jahr-hunderts aufgetreten ist, und der gefunden hat, daß diese ganze Einteilung in menschliche Seelenkräfte nicht geht, nicht mit der unbe­fangenen Betrachtung der menschlichen Seele übereinstimmt. Und ebensowenig stimme die Zuteilung der großen Ideale der Menschheit an die verschiedenen Seelenkräfte, an Vorstellen, Fühlen und Wollen so, daß man dem Vorstellen die Weisheit als höchstes Ideal zuerteilt, dem Fühlen die Schönheit, dem Wollen die Güte. Der Psychologe, auf den ich hindeute, Franz Brentano, meinte, er müsse die ganze Lehre, die ich jetzt skizziert habe, umstoßen und, man möchte sagen, im Fundamente die Gliederung des menschlichen Seelenlebens anders dar­stellen. Er teilt das Vorstellen - wollen wir davon ausgehen - der Schönheit zu. Sie sehen, während alle andern der Schönheit das Fühlen, beziehungsweise die Urteilskraft, die ästhetische Urteilskraft, überhaupt die Urteilskraft zuteilen, teilt Brentano der Schönheit das Vorstellen zu. Der Weisheit, insofern sie etwas ist, was der Mensch erwirbt, teilt Bren­tano die Urteilskraft zu, er sagt nicht gerade das Fühlen, aber die Ur­teilskraft. Und das Wollen, das stumpif er kurioserweise sogar ab, indem er gar nicht den Blick richtet auf die Willensentfaltung, auf den Willens-impuls, sondern auf dasjenige, was dem Willensimpuls zugrunde liegt: die Sympathie und Antipathie. - Es hat viel für sich, die Dinge so zu betrachten. Zum Beispiel schon die Sprache führt uns manchmal darauf, den Willensimpuls mit Sympathie und Antipathie in Zusammenhang zu bringen. Wenn wir zum Beispiel sagen: Widerwillen gegen etwas haben! - Da wollen wir gar nichts, aber wir haben eine Antipathie gegen etwas. Und so stumpft Brentano gewissermaßen das Wollen ab zu Sympathie und Antipathie und teilt dem Wollen diese Sympathie und

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Antipathie zu, ja oder nein zu sagen zu etwas. Er geht nicht bis zum Wil-Iensimpuls, sondern nur zu dem, was dem Willen zugrunde liegt: das Ja-sagen oder Neinsagen zu etwas, das Bejahen oder Verneinen einer Sache.

Durch das Vorstellen, meint Brentano, kommt man niemals zu einer wahren, also zu einer weisheitsvollen Anschauung, sondern überhaupt nur zu einer Anschauung. Er meint, man stelle sich zum Beispiel ein geflügeltes Pferd vor. Es ist nichts dagegen einzuwenden, ein geflügeltes Pferd sich vorzustellen. Aber es sei nicht - wir müssen beachten, daß Brentano im Zeitalter des Materialismus lebt-, es sei nicht weisheitsvoll, ein geflügeltes Pferd sich vorzustellen, weil ein geflügeltes Pferd ja keine Wirklichkeit habe. Es müsse noch etwas hinzukommen, wenn man eine Vorstellung faßt. Das ist aber, es müsse hinzukommen die Anerkennung oder Nichtanerkennung der Vorstellung durch die Urteilskraft, dann kommt erst Weisheit heraus.

Wir können uns fragen, was liegt denn nun gewissermaßen einer solchen vollständigen Verkehrung der Seelenkräfte zugrunde? Was hat Brentano veranlaßt, ganz anders die Seelenkräfte an Schönheit, Güte und Weisheit zu verteilen als die andern Psychologen? Wenn man nachforscht, warum Brentano zu dieser andersartigen Gliederung des menschlichen Seelenlebens gekommen ist, so kann man auf keine andere Weise eine Antwort bekommen als dadurch, daß man auf Brentanos eigenen, persönlichen Entwickelungsgang Rücksicht nimmt. Die andern Psychologen der neueren Zeit sind Menschen, welche aus der neueren Weltanschauungsentwickelung zumeist hervorgegangen sind. Es ist eine Eigentümlichkeit der neueren Philosophen, aller Philosophen, daß sie recht gut verhältnismäßig die griechische Philosophie kennen - in ihrer Art natürlich-, und dann beginnt wiederum die Philosophie im Grunde mit Kant. Und was zwischen der griechischen Philosophie und Kant liegt, von dem wissen die neueren Philosophen nicht viel. Kant selber wußte von alldem, was zwischen der griechischen Philosophie und ihm lag, auch nicht viel mehr als dasjenige, was er bei Hume und bei Ber­keley gelesen hatte; er wußte nichts von der ganzen Entwickelung der mittelalterlichen Philosophie. Kant war ein vollständig Unwissender in dem, was man die Scholastik des Mittelalters nennt. Und diejenigen, die alles in ihrer Art bequem übertreiben, finden darinnen gerade viel Anlaß,

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weil Kant von der Scholastik nichts wußte, die Scholastik überhaupt als so ein Bündel von pedantischen Torheiten zu betrachten und sie nicht weiter zu studieren. Daß Kant nichts wußte von der Scholastik, das hin­dert nicht, daß er daneben auch nichts wußte von der griechischen Philo­sophie. Andere wußten eben mehr als er auf diesem Gebiete. - Brentano nun war ein gründlicher Kenner der Scholastik, ein gründlicher Kenner der mittelalterlichen Philosophie und außerdem ein gründlicher Kenner des Aristoteles. Was die betrifft, welche die Welt der Philosophie mit Kant auffassen, so sind sie keine Kenner, keine echten Kenner des Aristoteles, denn Aristoteles, der große Grieche, wurde gerade am mei­sten malträtiert in der Entwickelungsgeschichte des neueren Geistes­lebens. Brentano also war ein gründlicher Kenner des Aristoteles und der Scholastik, aber nicht, was man einen historischen Kenner bloß nennt, so einen, der gewußt hat, was der Aristoteles schrieb und die Scholastiker schrieben, denn in bezug auf ein solches Wissen kann man sich so seine Gedanken machen, wenn man die Historie der Philosophie durchgeht ! Brentano war von innen heraus ein Mensch, der sich sowohl in die Philosophie des Aristoteles wie in die Philosophie der Scholastik eingelebt hatte, in dieses in den Klosterzellen durch Jahrhunderte vor sich gehende einsame Denken, in dieses Denken, welches arbeitete mit einer gründlichen Technik der Begriffswelt, mit jener gründlichen Tech­nik der Begriffswelt, die dem neueren Denken ganz verlorengegangen ist. Diejenigen, die daher Psychologie in den siebziger, achtziger Jahren bei Brentano hörten, hörten im Grunde genommen einen ganz andern Ton menschlichen Denkens, als bei andern Philosophen der neueren Zeit zu hören war und ist. Es lebte in Brentano wirklich etwas wie ein Unter­ton desjenigen mit, was aus der Seele der Scholastiker gesprochen hat. Und das ist bedeutsam, weil er aus diesem andersartigen Denken diese an­dersartige Einteilung gemacht hat. So daß wir sagen können: Es liegt die eigentümliche Tatsache vor, daß all die neueren Denker, denen die Scholastik bloß ein Begriffsgespinst war und ist, die menschliche Seele und ihre Beziehungen zu Weisheit, Schönheit und Güte so darstellen:

Weisheit: Vorstellen

Schönheit: Fühlen

Güte: Wollen.

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In Brentano lebten all das Fühlen, all die inneren Impulse, die in einem Scholastikerherzen waren, soweit so etwas in der Gegenwart möglich ist. Er mußte so denken, mußte anders die menschliche Seele gliedern in ihren Kräften und auf die großen Menschheitsideale be­ziehen. Woher kommt das?

Wenn Sie heute sich hätten entschließen können, die Engel oben auf der Bühne zu fragen - und insbesondere die drei Erzengel -, wie sie die Seelengliederung vornehmen und wie sie sie auf die großen Ideale beziehen, dann würden sie Ihnen, allerdings in einer viel vollkommene-ren Weise, als Brentano das konnte, geantwortet haben mit einer ähn-lichen Antwort, wie die ist, die Brentano gegeben hat. Raphael, Gabriel, Michael würden gar nicht ihrerseits verstehen jene Einteilung, aber sie würden sich leicht hineinfinden, nur eben sie vollkommener umgestal­ten, in die Einteilung, die Brentano gegeben hat. Wir berühren da eine bedeutsame Tatsache der geistigen Entwickelung der Menschheit. Man mag heute noch so ferne stehen der Denkweise des scholastischen Mittel­alters, es lag dieser Denkweise etwas zugrunde, das man etwa in der folgenden Weise darstellen kann. Der Scholastiker versuchte nicht ste­henzubleiben, wenn er von den höchsten Dingen sprach, bei dem, was sich unmittelbar auf dem physischen Plane abspielt, sondern der Scho­lastiker versuchte erst seine Seele bereit zu machen, daß aus ihr sprechen konnten die geistigen Wesenheiten der höheren Welt. Es wird dies in vieler Beziehung ein Stammeln der menschlichen Seele sein, weil selbst­verständlich die menschliche Seele nur immer unvollkommen wird dar­stellen können dasjenige, was die Sprache der höheren, den Menschen übergeordneten Geister ist. Aber so wollten bis zu einem gewissen Grade die Scholastiker sprechen von den geistigen Angelegenheiten des Men­schen, wie eine Seele sprechen muß, die sich hingibt dem, was übersinn­liche Geister zu sagen haben.

Wir gewöhnen uns, hier auf dem physischen Plane die Zustimmung oder Nichtzustimmung zu dem, was eine Vorstellung zu einer gültigen, zu einer weisheitsvollen macht, nach der äußeren physischen Welt uns zu bilden, seit die Zeit des Materialismus die eigentliche Menschheitszeit ist. Wir sagen, ein geflügeltes Roß sei keine gültige Vorstellung, weil wir niemals ein geflügeltes Roß gesehen haben. Eine Vorstellung betrachtet

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der Materialismus als eine weisheitsvolle Vorstellung, wenn sie übereinstimmt mit dem, was die Außenwelt diktiert.

Aber versetzen Sie sich in die Sphäre der Engel. Die haben nicht diese physische Außenwelt, denn diese physische Außenwelt ist wesent­lich bedingt durch das Wohnen in einem physischen Leibe, durch das Besitzen physischer Sinnesorgane, welche die Engel nicht haben. Wo­durch bekommen die Engel die Möglichkeit, von ihren Vorstellungen zu sprechen als von gültigen, von wahren Vorstellungen? Dadurch, daß sie in Beziehungen treten zu andern geistigen Wesenheiten. Denn sobald man die Schwelle zur geistigen Welt überschreitet, hört diese Welt der Sinne auf, sich so auszubreiten, wie sie sich vor den Sinnen ausbreitet. Ich habe das oftmals charakterisiert, daß man, sobald man die Schwelle zur geistigen Welt überschreitet, in eine Welt von lauter Wesenheiten kommt. Und von der Art, wie einem die Wesenheiten entgegentreten, hängt es ab, ob eine Vorstellung, die man sich macht, gültig oder nicht gültig ist. So daß Brentano, wenn er bloß von Urteilskraft spricht, nicht ganz richtig spricht. Er müßte sprechen von Wesensoffenbarung. Dann würde man zur Weisheit kommen. Man kann, sobald man die Schwelle zur geistigen Welt überschritten hat, nicht anders zur Weis­heit kommen, als wenn man in ein richtiges Verhältnis zu den jenseits dieser Schwelle befindlichen geistigen Wesenheiten tritt. Wer kein rich­tiges Verhältnis entwickeln kann zu den elementarischen Wesenheiten, zu den Wesenheiten der verschiedenen Hierarchien, kann nur konfuse Vorstellungen entwickeln, nicht richtige Vorstellungen, nicht weisheit-getragene Vorstellungen. Richtig anzusehen die Wesen jenseits der Schwelle zur geistigen Welt, davon hängt das richtige Vorstellen jen­seits der Schwelle ab, davon hängt die Weisheit in bezug auf die geisti­gen Welten ab, denen auch die menschliche Seele angehört. Weil so - Sie finden das schon in meiner «Theosophie» im Schlußkapitel dargestellt -der Mensch keinen Anhaltspunkt hat an einer äußeren physischen Wirk­lichkeit, muß er sich halten mit Bezug auf die Weisheit an die Mitteilun­gen der elementarischen Wesenheiten, der Wesenheiten der höheren Hierarchien und so weiter. Wir treten ein in eine ganz lebendige Welt, nicht in die Welt, in der wir nur Photographen der Wirklichkeit werden.

Brentano hat gewissermaßen den letzten abstrakten Abklatsch gegeben

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von der Sprache der Engel. Engel würden sagen: Weisheitsvoll ist dasjenige, was entspricht dem Zusammenhange der Mitteilungen der Wesen, die jenseits der Schwelle der geistigen Welten sind. - Daß man sich eine Vorstellung macht, genügt nicht, sondern daß diese Vor­stellung im Einklang steht mit dem, was die geistigen Wesen jenseits der Schwelle offenbaren. Das bloße Vorstellen darf also jenseits der Schwelle nicht dienen der Weisheit. Wem darf es denn dienen? Dem Schein, in dem die Schönheit lebt. Wendet man ohne weiteres jenseits der Schwelle das Vorstellen auf die Wirklichkeit an, dann kommt man zu keinem richtigen Vorstellen. Aber auf den Schein, in dem die Schönheit wirkt und lebt, darf man es anwenden. Da hat Brentano sogar ganz richtig gesprochen, indem er das Vorstellen auf die Schönheit bezieht. Denn die Engel werden, wenn sie vorstellen wollen, sich immer sagen: Was für Vorstellungen dürfen wir uns bilden? Niemals häßliche, sondern immer schöne Vorstellungen. - Aber diese Vorstellungen, die sie sich bilden und die sie gemäß dem Ideal der Schönheit bilden, werden nicht der Wirklichkeit entsprechen, wenn sie nicht entsprechen den Offenbarungen anderer Wesenheiten, die ihnen in der geistigen Welt begegnen. Vor­stellen ist da wirklich nur der Schönheit zuzuteilen. Engel haben das Ideal, so vorzustellen, daß ihre ganze Vorstellungswelt durchsetzt und durchleuchtet ist von dem Ideal der Schönheit. Und Sie brauchen nur das Kapitel meiner «Theosophie» zu lesen, welches von der Seelenwelt han­delt, und dort die beiden Kräfte in der Gestalt studieren, wie man sie findet jenseits der Schwelle zur geistigen Welt, die beiden Kräfte von Sympathie und Antipathie, dann finden Sie, wie das Verhältnis von Sympathie und Antipathie dort zugrunde liegt den Impulsen des Wol­lens. Das stimmt also wieder in einer gewissen Beziehung überein. Nur muß man es auf das Leben der Seele beziehen, wie sich dieses Leben, aus dem Unterbewußten heraus, bei der heutigen Menschenseele noch aus der Seelenwelt ergibt. Da sehen Sie, wie ein moderner Philosoph aus dem Grunde, weil er gewissermaßen atavistisch die Scholastik des Mit­telalters in seinem Herzen bewahrt hat, versucht, allerdings in der un­vollkommenen Sprache des modernen Materialismus, in der Terminolo­gie der Engel zu sprechen. Es ist eine außerordentlich interessante Tatsache. Anders versteht man gar nicht, wie Brentano sich so der ganzen

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modernen Psychologie entgegenstellte, daß er die Seelenkräfte ganz anders unterschied als die andern Psychologen und sie den höchsten Menschheitsidealen anders zuteilte.

Nehmen Sie aber dasjenige, was so gesagt wird, in allen seinen Konse­quenzen. Beachten Sie alle Konsequenzen. Wenn wir die Schwelle zur geistigen Welt überschreiten, dann leben wir in einer Welt von Wesen­heiten, sagte ich, insofern wir vom Wirklichen sprechen. Da können wir also nicht in demselben Sinne so abstrakte Begriffe bilden, wie wir sie hier in der physischen Welt bilden, wenn wir vom Wirklichen sprechen. Wir müssen Wesen haben. Wir müssen also schon, wenn wir vom Wirk­lichen sprechen, sagen: Es kann gar nicht sein, daß Weisheit, Schönheit und Güte in der geistigen Welt drüben dieselbe Bedeutung haben wie hier in der physischen Welt. Da wären sie ja wieder abstrakte Begriffe, wie wir sie hier in der physischen Welt anwenden können. Da drüben müssen Wesenheiten sein. - Also, sobald wir im Sinne der Weisheit selber sprechen, das heißt, ein Wirkliches suchen, müssen da drüben Wesenheiten existieren, nicht bloß dasjenige, was man in abstracto mit Weisheit, Schönheit, Güte bezeichnet. Wenn man von Schönheit in der geistigen Welt spricht, dann kann man nicht sagen: Schönheit ist da als Maja, als Schein in der geistigen Welt. - Geradeso wie der physischen Welt Schönheit und Weisheit eingeprägt sind, indem wir zum Beispiel die weisheitsvolle Schönheit darstellen im Drama oder in andern Kunst­werken oder das Gute in Schönheit darstellen im Drama oder in andern Kunstwerken, wie das alles miteinander in Verbindung tritt, so wirkt Weisheit, Schönheit und Güte im Reich der Schönheit drüben jenseits der Schwelle. Aber wir dürfen dann nicht als Vorstellungen von ihnen spre­chen, wir müssen das da drüben nicht so anwenden, wie wir es hier an­wenden. Nehmen wir also an, es wollte jemand von drüben aus spre­chen, und er wollte von drüben aus mit der Seelenkraft sprechen, die unserer Vorstellungskraft entspricht, so dürfte er nicht sagen: Weisheit, Schönheit, Stärke, denn das sind abstrakte Ideen, er müßte Wesenheiten anführen. Weisheit müßte als Wesenheit drüben auftreten.

In der Sprache der alten Mysterien hat man das, was ich jetzt aus-führe, wohl gewußt, und man hat deshalb auch Benennungen einge­führt, die dies zum Ausdrucke bringen können, die nicht hindeuten auf

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bloße abstrakte Ideen, sondern auf Wesenhaftes. Ein Wesen müßte es sein drüben jenseits der Schwelle, was hier die Weisheit ist, ein Wesen. Sie werden, wenn Sie etwas nachdenken, leicht finden können, daß etwa ein Wesen, das wir bezeichnen als Gottschauer, als der Gottschauende, ein solches Wesen sein könnte, das da drüben der Weisheit entspricht:

Gottschauer.

Ein Wesen, das der Schönheit entspricht, unserer abstrakten Idee der Schönheit für den physischen Plan, würde offenbaren müssen. Die Schönheit offenbart sich, sie ist der Schein, das Scheinende, dasjenige, was scheint. Im Augenblicke, wo man die Schwelle überschreitet, tritt dasjenige auf, was viel lebendiger ist als hier auf dem physischen Plan. Es ist nicht, wenn von dem Schönen die Rede ist, dem wesenhaft Schö­nen, von etwas so Stummem oder bloß in menschlichen, physischen Gehör- oder Sprachabstraktionen Lebendem die Rede, wie hier auf dem physischen Plan es ist. Es ist alles Offenbarung, lebendige Offenbarung. Und wenn Sie das, was ich jetzt sage, zusammennehmen mit dem schon früher Gesagten, so werden Sie begreifen, daß die alten Mysterien ein Wort geprägt haben für das, was da drüben jenseits der Schwelle der Schönheit entspricht, das man bezeichnen kann als Gottverkündigung. Gottes Wort, Gott-Aussager etwa, Gottverkünder. Wort Gottes könnte man auch sagen.

Ebenso muß ein Wesen da sein für das Wollen: der Gottwollende. Nicht das Abstrakte, wie wir es in unserer Seele haben als Wollen, sondern ein Wesen muß jenseits der Schwelle sein für den Willen. Gott-woller - wenn wir das Wort bilden dürfen. Warum sollten denn durch­aus nur solche Worte gebildet werden, die schon gang und gäbe sind, da wir doch in Reiche eintreten, für die Worte gar nicht geprägt sind! Gottwoller gewissermaßen. Gott hat in sich - wenn wir Gott als Sam­melnamen nehmen für die geistigen Wesenheiten der höheren Hier­archien - nicht nur ein Wollen, wie wir in unseren Seelen, sondern einen Woller: das ist wesenhaft. Was bei uns nur die drei Seelenkräfte: Vor­stellen, Fühlen, Wollen sind, sind Wesen bei Gott, sind: der Gottschauer, der Gottverkünder, der Gottwoller. Und wenn man - Sie wissen ja, ich habe das öfter bei andern Gelegenheiten erwähnt, was mit Übersetzun­gen alles geschehen ist im Laufe der Zeiten -, wenn man die alten

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hebräischen Ausdrücke nimmt, so entsprechen sie vollständig den Wor­ten, die ich versuchte, hier zu prägen. Gewiß, Sie werden in keinem hebräischen Lexikon die Übersetzung dieser Worte so finden, aber wenn man sich einlebt in das, was gemeint war, so müßte man die alten hebräischen Worte mit diesen Worten heute eigentlich übersetzen, und zwar so, daß Gottschauer ganz dasselbe in unserer Sprache bedeutet wie Michael; Gottverkünder ganz dasselbe bedeutet wie Gabriel; Gott-woller ganz dasselbe bedeutet wie Raphael. Während wir in der physi­schen Welt wirken durch unsere drei Seelenkräfte, wirken die Wesen der höheren Hierarchien durch Wesenheiten selber. Indem wir wirken durch Vorstellen, Fühlen, Wollen, wirkt ein Gott durch Michael, Gabriel und Raphael. Und das bedeutet für einen Gott dasselbe: Ich wirke durch Michael, Gabriel, Raphael - was für unsere Seele bedeutet: Ich wirke durch Denken, Fühlen und Wollen. Diese Übersetzung: Ich wirke durch Denken, Fühlen und Wollen - in: Ich wirke durch Michael, Gabriel, Ra­phael, ist einfach die Übersetzung aus der Sprache der Menschen in die Sprache, die gesprochen werden sollte - wenn man die wirkliche Sprache, die dort herrscht, spricht - jenseits der Schwelle zur geistigen Welt. Wenn Sie sich einlassen auf manche Darstellungen der Bibel, so werden Sie übrigens überall fühlen können - wenn Sie einigermaßen sachgemäß fühlen und nicht so fühlen, wie es der heutigen Interpretation der Bibel, die eine Mißinterpretation in vieler Beziehung ist, entspricht -, Sie werden fühlen können, wie wirklich für Michael, Gabriel und Raphael dies hier gedacht werden muß.

Weisheit: Urteilskraft - Gottschauer: Michael Wesensoffenbarung

Schönheit: Vorstellen - Gottverkünder: Gabriel Urteilskraft

Güte: Sympathie, Bejahen / Antipathie, Verneinen -

Gottwoller: Raphael

Denken Sie nun, dies zugrunde legend, zurück an die Art und Weise, wie Gabriel, Michael, Raphael aus Goethes «Prolog im Himmel» spre­chen. Man kann nur sagen, man wird im Tiefsten erschüttert von der instinktiven Sicherheit, mit welcher in diesem « Prolog im Himmel» angedeutet

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wird, wie sich das wollende Wesen der Gottheit durch Raphael, das schauende Wesen der Gottheit durch Michael, das schönheitsvoll sich enthüllende Wesen der Gottheit, das sich offenbarende, sich verkün­dende Wesen der Gottheit durch Gabriel manifestiert. Das Wollen der Gottheit liegt im Sphärenzusammenklang, liegt in dem, was sich aus­spricht in den großen Bewegungen der Himmelskörper und in dem, was da geschieht, währenddem die Himmeiskörper sich bewegen:

Die Sonne tönt nach alter Weise

In Brudersphären Wettgesang,

Und ihre vorgeschriebne Reise

Vollendet sie mit Donnergang.

Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,

- man könnte auch sagen: Güte, die Stärke des übermoralischen Lebens jenseits der Schwelle. Daher bezeichnen manche auch die drei Seelen-kräfte Weisheit, Schönheit, Güte als Weisheit, Schönheit, Stärke.

Wenn keiner sie ergründen mag;

- man beißt sich die Zähne aus, wenn man versucht, die Faust-Kommen-tatoren an dieser Zeile festzuhalten: «Wenn keiner sie ergründen mag.» Die meisten sagen: 0 ja, Goethe hat eben gemeint, wennschon, oder wenngleich, oder obgleich keiner sie ergründen mag. Aber so spricht ein wirklich großer Dichter nicht - ich habe das schon öfter gerade Goethe gegenüber erwähnt , so spricht ein großer Dichter nicht. Das Ergrün­den gehört zur Weisheit, wie sie lebt innerhalb der menschlichen physi­schen Welt. Jenseits der Schwelle ist alles ein Bekanntwerden mit geisti­gen Wesenheiten, denen man so entgegentritt, wie man hier Menschen entgegentritt, die auch ein Inneres behalten müssen, die man nicht ganz ergründen kann. Dieses Ergründen in dem Sinne, wie es hier auf Erden geschieht, das gibt es für die Engel gar nicht. Sie haben vor sich die geistige Wirklichkeit; sie ergründen nicht; sie schauen an, weil jedem auch zugeteilt ist etwas von der Schaukraft des Michael. Jeder hat etwas von der andern Kraft, so wie jede Seelenkraft etwas hat von der andern, zum Beispiel das Vorstellen etwas von dem Wollen, denn wenn wir beim Vorstellen nicht wollen könnten, so würden wir nur immer träu­men

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und so weiter. So hat auch Raphael etwas von Michael und Gabriel in sich selbstverständlich.

Die unbegreiflich hohen Werke

Sind herrlich wie am ersten Tag.

Versuchen Sie einmal, diese zwei Zeilen zu empfinden mit all den Empfindungen, die Sie haben können aus der Geisteswissenschaft !

Die unbegreiflich hohen Werke

- die da beschrieben werden -

Sind herrlich wie am ersten Tag.

Was heißt denn das? Sie sind nicht herrlich wie an diesem Tag, herr­lich wie am ersten Tag. So, wie sie dazumal herrlich, das heißt sich äußernd, sich offenbarend den Engeln entgegengetreten sind, sind sie noch - luziferisch. Denn was zurückgeblieben ist, ist ja luziferisch. Man muß wirklich die Empfindungen anwenden, die man sich erwirbt durch die Geisteswissenschaft. Luziferisch wie am ersten Tag leuchten die Sterne. Sie sind nicht fortgeschritten; sie behalten ihren ursprünglichen Charakter - wieder ein Grund, daß die Engel sie nicht ergründen, son­dern anschauen. Für Engel ist das Luziferische anschaubar. Sie werden nicht schlecht dadurch, die Engel. Das Luziferische habe ich oftmals als eine Notwendigkeit in der Weltenentwickelung bezeichnet. Hier wird es Ihnen vorgeführt als etwas, dessen Anblick steht vor den Engeln: Luzi­fer - nicht wie er für Menschen waltet -, wie er herrlich erhält die un­beschreiblich hohen Werke, wie sie am ersten Tag waren. Und hingeführt werden wir in erhabener Sprache dazu, daß uns gezeigt wird, wie sich das Luziferische im Weltenall auslebt, und die Engel es anschauen dür­fen wie am ersten Tag. Da ist es berechtigt. Nur soll es sich nicht herab-senken in die physische Welt zu dem Menschen in der gewöhnlichen Weise, wie es oben lebt in der Welt, die jenseits der Schwelle ist. Und die Welt, die vom Weltenwillen durchbraust, durchdonnert ist, sie wird erst verkündet auf der Erde. Da oben soll sie unergründlich bleiben, da soll sie nicht ergründet werden. Hier die Erde mit den Kräften, die dem Menschen zuerteilt sind, die ist da, damit das für Engel Unergründliche ergründet werde durch Menschenweisheit. Aber Gabriel, der Gottverkünder,

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das Wort Gottes, kann das nur so andeuten, wie er es von außerhalb der Erde schaut. Erinnern Sie sich an das tiefe Bibelwort:

Vor dem Geheimnis der Menschwerdung verhüllten sie ihr Angesicht. -In diesem tiefen Bibeiwort liegt das Ganze von dem für die Engel Un­ergründlichen der Welten, die dem Menschen zugänglich sind durch die Weisheit, die auf Erden entwickelt wird. Und hier wird Engelsprache gesprochen im «Prolog im Himmel», deshalb charakterisiert Gabriel , der Gottverkünder, von außen dasjenige, was auf der Erde sich enthüllt als Weisheit.

Und schnell und unbegreiflich schnelle

Dreht sich umher der Erde Pracht;

Es wechselt Paradieses-Helle

Mit tiefer schauervoller Nacht;

So sieht es sich von außen an: das, in dem wir hier leben, das wir zu enträtseln versuchen, und das auf uns wirkt im Sinnesumkreis. Da draußen ist es der wunderbare Wechsel von Tag und Nacht.

Es schäumt das Meer in breiten Flüssen

Davon hängt menschliches Wohl und Wehe ab; da draußen enthüllt es sich nur als dasjenige, was im Schäumen zusammensetzt die kugelige Erde.

Am tiefen Grund der Felsen auf,

Und Fels und Meer wird fortgerissen

In ewig schnellem Sphärenlauf.

In dem ist unser ganzes, an unser Sinnesleben gebundenes Erden-schicksal gebunden. Der Gottverkünder zeichnet es von außerhalb der Erde.

Und der Sinn der Erde, wie enthüllt er sich? Indem man nicht nur auf dasjenige blickt, was gültig ist für den menschlichen Sinnesumkreis, sondern auch auf dasjenige, was seine Wirkung hinaus ins Weltenall sendet. Gabriel schildert die Erde zwar so, wie sie sich von außen an­schaut, aber er schildert das, was im Sinnesumkreis für den Menschen Bedeutung hat. Michael, der Gottschauer, schildert das, was hinaus-strahlt in das Weltenall und auch für die Erdenumgebung, für die ganze

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Himmelssphäre seine Bedeutung hat. Daher beginnt er beim Umkreise, nicht unten, wo das Meer strömt, wo die Flüsse strömen, sondern beim Umkreise. Er schaut den Umkreis.

Und Stürme brausen um die Wette,

Ein tiefes Wort !

Vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer,

Und bilden wütend eine Kette

Der tiefsten Wirkung rings umher.

Stellen Sie sich nur einmal vor, von außen gesehen, sagen wir, die Passatwinde, die in regelmäßigen Strömen da draußen walten. Unsere beschränkte Naturwissenschaft schildert das alles so, was in diesen atmosphärischen Erscheinungen vor sich geht, aber sie ist eben be­schränkt, diese Naturwissenschaft. Wenn man die Regelmäßigkeiten in der atmosphärischen Erscheinung untersucht, so kommt man auf einen tiefen Zusammenhang zwischen diesen regelmäßigen atmosphärischen Erscheinungen und den Mondesphasen, den Mondeserscheinungen, aber nicht deshalb, weil der Mond dasjenige bewirkt, was in der Atmosphäre vor sich geht, sondern weil in gleichem Maße, parallel gehend, die alten Mondengesetze den Mond heute noch beherrschen, und die atmosphäri­schen Erscheinungen auch von den alten Mondengesetzen noch zurück­geblieben sind. Nicht daß der Mond die atmosphärischen Erscheinungen und Ebbe und Flut beherrscht, sondern beide werden von weit zurück-gehenden Ursachen gleich beherrscht, parallel beherrscht. Was so in der Atmosphäre vor sich geht, hat deshalb nicht nur eine Bedeutung für dasjenige, was auf Menschen wirkt im Sinnesumkreis, sondern es hat auch eine Bedeutung für dasjenige, was draußen im Weltenall ge­schieht. Wir schauen hinauf zum Blitz, wir hören den Donner. Aber auch die Götter schauen den Blitz und hören den Donner von der andern Seite aus. Und der bedeutet für sie noch etwas ganz anderes - davon kann ein anderes Mal gesprochen werden - als für uns Menschen hier, die gerade Blitz und Donner nicht verstehen. Aber der Gottschauer Michael versteht von der Erde gerade dasjenige, was sich nach der an­dern Seite hin in Blitz und Donner auslebt, was hier von mir geschildert worden ist - erinnern Sie sich an den ersten Vortrag, den ich hier in diesem

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Sommer wieder gehalten habe - als das Unterirdische der Menschen-seele, als die Gewitterstürme der Menschenseele, die ich Ihnen ausein­andergesetzt habe an dem Charakter des jung verstorbenen Weininger. Was diesen Gewitterstürmen in der menschlichen Seele, in der Atmo­sphäre entspricht, es wirkt hinaus. Und wie dasjenige, was in uns die Seelenstürme sind, harmonisiert, gemildert ist, wenn wir es übergießen mit unseren höheren Seelenkräften, so wird für die Welt draußen das­jenige, das hier in unserer Atmosphäre stürmt und donnert und unregel­mäßig ist in der Meteorologie, nach dem Weltenall hinaus regelmäßig, harmonisch. So wie wir, wenn wir uns entwickeln, nicht bleiben bei den Ungewittern, sondern zum Harmonischen des Seelenlebens vorschreiten. Da unten walten Blitz und Donner -

Doch deine Boten,

- die Engel - Herr, verehren

Das sanfte Wandeln deines Tags.

Da gliedert sich alles zum Sanften, zum Harmonischen zusammen, von der Sphäre der Engel aus draußen gesehen.

Der Anblick gibt den Engeln Stärke,

- das heißt, er bestärkt ihr Wollen -

Da keiner dich ergründen mag,

- um das Ergründen handelt es sich eben da nicht, sondern um das An­schauen !

Und alle deine hohen Werke

Sind herrlich wie am ersten Tag.

Das heißt: sie sind luziferisch, sie sind für Engel da, sie sollen nur nicht in derselben Weise herein auf den Menschen wirken. Luzifer ist das Unberechtigte in der Menschenwelt, insoferne als er seinen berech­tigten Schauplatz draußen für die geistige Welt hereinverlegt in die Menschenwelt und da dieselben Gesetze anwendet, die er nur anwenden sollte draußen in der geistigen Welt.

Und erinnern Sie sich, wie ich auseinandergesetzt habe in andern

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Vorträgen anlehnend an Goethes «Faust» das Unklare, das noch in Goethe steckte, als er den «Faust» dichtete. Ich sagte Ihnen dazumal, Goethe hielt noch nicht ordentlich auseinander Luzifer und Ahriman. Mephistopheles ist eigentlich Ahriman, der nur in anderer Weise als Luzifer zurückgeblieben ist. Aber diese Unterscheidung ist erst gegeben durch die neuere Geisteswissenschaft. Goethe verwechselt fortwährend Luzifer und Ahriman, wirft sie durcheinander, so daß sein Mephisto-pheles wirklich in dieser Beziehung ein verworrenes Gebilde ist, luzife­rische und ahrimanische Züge hat. Würde Goethe schon die Geistes­wissenschaft gehabt haben, so würde diese heillose Verwirrung in bezug auf den Charakter des Mephistopheles allerdings nicht auftreten. Ich habe schon dazumal gesagt: Ich bitte, mich nicht anzuklagen, daß ich Goethe nicht genügend verehre, oder kleinlich philiströs kritisiere, weil ich dieses sage. - Dadurch, daß man die Wahrheit sagt, steht man in der Verehrung irgendeines Genius wahrhaftig nicht geringer da, als wenn man bloß lobhudelt. Ich glaube, daß mich niemand einer geringen Goethe-Verehrung anklagen kann nach dem, was ich über Goethe ge­schrieben habe, gesagt habe. Aber daß sein Mephistopheles ein ver­worrener geistiger Charakter ist, das muß ich immer betonen, wenn ich aus dem Impuls der Geisteswissenschaft heraus spreche. Hätte Goethe das ganz Richtige gewußt, so wäre nach dem Vers:

Und alle deine hohen Werke

Sind herrlich wie am ersten Tag

zunächst Luzifer aufgetreten, derjenige, der wirkt durch den Schein der Sphärenwelt, durch das Schöne der Sphärenwelt hindurch. Luzifer stünde da. Und weil Luzifer zu seinem Gefährten den Ahriman hat, den Mephistopheles - was dasselbe ist wie Ahriman -, so würde Mephisto-pheles dann hinzutreten, oder Luzifer würde abtreten, und Mephisto­pheles würde auftreten. Das würde Goethe gemacht haben, wenn er Geisteswissenschaft schon in der heutigen Gestalt gehabt hätte. Wir hätten zunächst einen roten Luzifer heute gesehen und dann erst den grauschwarzen Ahriman, den grauschwarzen Mephistopheles. Aber Goethe ist nicht so weit gekommen. Daher läßt er bloß den Mephisto­pheles auftreten, der in seiner Art auch die zurückgebliebenen Eigenschaften,

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die droben in der geistigen Welt wirken sollen und nicht in menschlicher Weise herein ins Menschenleben wirken sollen, in sich ver­einigt. Goethe hat das gefühlt, richtig gefühlt. Daher stimmt auch nicht alles so recht bei diesem Mephistopheles und stimmt doch wieder. Das Gefühl wirkt hier viel sicherer, als Goethes Anschauung schon gewirkt hat. Vieles von dem, was an Faust als Versuchung herantritt, ist wirklich von Mephistopheles her, aber anderes, das kann sich nicht recht auf Mephistopheles beziehen. Daß Faust in niederen Leidenschaften Ver­suchung finden soll, das kann nicht recht von Ahriman kommen, das kann nur von Luzifer kommen. Und als Ahriman-Mephistopheles das sagt, da erinnert sich Goethe, unterbewußt, daß das so nicht recht geht. Da müßte eigentlich Mephistopheles den Luzifer an seiner Seite haben. Daher sagt auch Mephistopheles: «Staub soll er fressen», das heißt, in niederen Leidenschaften soll er leben, «wie meine Muhme, die berühmte Schlange». Das ist Luzifer. Da erinnert er an seine Muhme, an die gute Tante Luzifer! Da haben Sie die Reminiszenz an den Luzifer, der eigentlich da sein soll.

Sie sehen, ungeheuer tiefe Weltengeheimnisse stecken in diesem «Pro­log im Himmel», womit ich nicht sagen will, daß Goethe diese so dar­stellen wollte, wie wir sie heute in der Geisteswissenschaft empfinden. Aber die instinktive Weisheit ist oftmals viel tiefer als die offenbare. Und in alten Zeiten gab es nur instinktive Weisheit, und die war wahr­haftig eine höhere Weisheit als diejenige, welche heute die beschränkte Naturwissenschaft produziert.

So ist denn Mephistopheles-Ahriman hereingekommen in die physi­sche Welt, wo er nicht sein sollte. Es stimmt auch schlecht zusammen das­jenige, was er zu sagen hat, mit der physischen Welt und den Intentio­nen, welche die Gottheit in der physischen Welt hat. Er will regieren auf der Welt, aber er findet alles «herzlich schlecht». Er muß anders sein als die andern, als die echten Göttersöhne, denn er soll hier in der physi­schen Welt sein, wo die Werke ergründet werden sollen. Da der Me­phistopheles überhaupt in die physische Welt hereingeht, so gilt für ihn nicht das Wort, daß er die Welt nicht ergründen soll, er muß sie ergrün­den. Nur ist er auf der Erde eine Halbnatur, er gehört als Geisteswesen nicht eigentlich herein. Er müßte ergründen - und kann nicht ergründen.

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Daher findet er alles «herzlich schlecht». Inwiefern er zum Schaffen da ist, davon wollen wir noch morgen sprechen im Zusammenhange mit andern Lehren der Geisteswissenschaft. Heute wollen wir nur dieses noch sagen.

Also dieser Ahriman-Mephistopheles ist hier in der physischen Welt anders als die echten Göttersöhne. Er muß hier wirklich zu etwas an­derem verwendet werden. Er muß auf das in der physischen Welt Wirkliche wirken, anders die echten Göttersöhne. Die müssen in ihren Vorstellungen nicht das Irdisch-Wirkliche haben. Die müssen sich er­freuen an der «lebendig reichen Schöne», der Schönheit in ihren Vor­stellungen. Da ist Diskrepanz zwischen den Engeln, den echten Götter-söhnen, und dem Ahriman, dem Mephistopheles. Für sie gilt: die Engel konnen es nicht so machen wie der Mephistopheles, sie erfreuen sich an der lebendig reichen Schöne.

Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,

Umfaß' euch mit der Liebe holden Schranken.

Hier ist so ziemlich die tiefste Stelle des Prologs. Erinnern Sie sich, was wir von dem Kosmos der Weisheit und dem Kosmos der Liebe gesagt haben. Und erinnern Sie sich noch einmal an das Wort: Sie ver­hüllten ihr Angesicht vor dem Geheimnis der Menschwerdung. - Die Liebe lebt nicht so für die Göttersöhne der Weisheit wie für den Men­schen: sie sind Wesen innerhalb der Weisheit; da sind Schranken für die echten Göttersöhne. Und indem sie in der großen Maja, in der Herrlich­keit der luziferischen Welt leben, weben sie ein die «dauernden Ge­danken», die wiederum Wesen sind, nicht abstrakte Ideen, die Kräfte sind, nicht bloße Gedanken.

Es ist eigentlich ganz merkwürdig, wie im Jahre ,797 dieser «Prolog im Himmel» gedichtet worden ist, man möchte sagen, nicht in der Sprache der Menschen, sondern in der Sprache der Götter, und wie die Menschheit lange brauchen wird, um alle Tiefen dieses Prologs aus­zumessen. Es ist, glaube ich, möglich, ein wenig sich hineinzuversetzen in die Gefühle, die in Goethe lebten, als er, durch Schiller angefeuert, 1797 wieder daranging, den «Faust» fortzusetzen, den er vor Jahren begonnen hatte. Es begann da: «Habe nun, ach, Philosophie, Juristerei»

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und so weiter «studiert». Dann fehlen die drei Teile: «Zueignung», «Vorspiel auf dem Theater», «Prolog im Himmel». Dann fehlte der ganze Osterspaziergang. Einige Szenen wurden dann während der italienischen Reise 1787 geschrieben, und unter Schillers Anfeuerung ging Goethe wieder daran. Da mochte er wohl zurückdenken an die Zeit, wo er den «Faust» noch nicht so tief genommen hatte, wo er ihn nur genommen hatte, wenn auch schon sehr tief, als den, der strebt aus der Welt der physischen Wirklichkeit heraus über die Schwelle, hinein in die geistige Welt, zum Erdgeist und so weiter. Aber er konnte ihn dazumal, er, der zwanzigjährige Goethe, nicht so nehmen, wie er ihn jetzt nahm am Ende des Jahrhunderts, 1797, wo er selber fühlte, daß er vieles von dem wirklich nicht in abstrakter Art verstand, was er im «Prolog im Himmel» auszusprechen hatte. Denn da herrscht die Sprache der Engel. Da hätten sich schon diejenigen, die die ersten Gesänge des «Faust» gehört haben, somit Goethe entwickeln müssen, wie sich Goethe selber entwickelt hat, wenn sie hätten verstehen wollen, was aus der ganzen reichen Welt des «Faust» in Goethes Seele bis zum Jahre 1797 geworden ist. Es ist etwas anderes geworden. In einer höheren Sphäre erschien ihm das, was er als junger Mensch geschaffen hatte. Er mußte zum Teil etwas empfinden von jenem Hinunterschauen aus der Geister-sphäre von jenseits der Schwelle in die irdische Welt, in der auch der Faust wandelte, der da sagt: «Habe nun, ach, Philosophie, Juristerei...» und so weiter «... durchaus studiert mit heißem Bemühn.» Da konnte schon Goethe sagen, er habe damals mit den Genossen etwas anderes genossen als dasjenige, was ihm jetzt geworden ist. Und fühlen mochte er etwas von dem, wie wenig man ihn verstehen werde. Denn Goethe hat schon gefühlt, vom Ende der neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts ab, daß etwas kommen muß wie eine geistige Wissenschaft, wenn das voll verstanden werden soll, was er instinktiv empfunden und gefühlt hat als Weltenweisheit und Weltenschönheit und Weltenstärke.

Sie hören nicht die folgenden Gesänge,

Die Seelen, denen ich die ersten sang;

Zerstoben ist das freundliche Gedränge,

Verklungen ach! der erste Widerklang.

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Widerklang aus den Seelen, denen er die ersten Szenen des «Faust», die er als Zwanzigjähriger gedichtet hat, vorgelesen hat: der erste Widerklang. Verständnis allerdings dazumal - denn auch diese Zeit ist jetzt schon dahin in der Zeit des Materialismus -, Verständnis aller­dings für das Übertreten der Schwelle bei einem Charakter, wie es der Faust war, Verständnis für das Appellieren an den Erdgeist, der da «webt und lebt in Lebensfluten, im Tatensturm». Aber ein Stehen-bleiben bei diesem Verständnis, ein Nicht-aufsteigen-Können zu dem, wozu sich Goethe hindurchringen mußte. Daher - nunmehr, wo eine Engelsprache waltet und das Ganze von einem andern Gesichtspunkte angesehen wird - nicht mehr der alte Widerklang. Verklungen, ach! -dieser alte Widerklang ! Zerstoben die Seelen, für die er die ersten Ge­sänge gesungen hat. Jenes Leid, das jeder durchmacht, der die geistige Welt wirklich anschauen will, Goethe kannte es und wußte, daß er mit diesem Leide in seiner Zeit einsam stand.

Mein Leid ertönt der unbekannten Menge.

Das ist heute noch nicht viel anders, als daß einem bange machen könnte der Beifall, den die Leute dem «Faust» spenden. Denn was hören die Menschen heute noch von den tiefen Weistümern, die im «Faust» walten, viel mehr als Äußerlichkeiten!?

Goethe aber mochte sagen, wenn er jetzt empfand, daß er sein Lied emporheben mußte, das Lied von seinem Leid, in die Sphäre des Gei­sterreiches: Was mir früher Wirklichkeit war, es entschwebt weit in Weiten, und was verschwand früher, das wird zu Wirklichkeiten - das stille, ernste Geisterreich, demgegenüber man sich mit jenem Schauer naht, den man empfindet, wenn man etwas ahnt von der ganz andern Gestalt, welche die Welt hat jenseits der Schwelle und diesseits der Schwelle. Daher ist aus einem tiefen Empfinden der Zukunftsmöglich­keiten bei Goethe auch diese «Zueignung» entsprungen. Könnte Geistes­wissenschaft auch in solchen Fällen menschliche Herzen vertiefen, daß sie das, was tief genommen werden muß, auch wirklich tief zu nehmen vermögen, so erfüllte Geisteswissenschaft eine ihrer Aufgaben. Denn wahr, tief wahr ist das Wort, das ich erst kürzlich hier angeführt habe:

«Die Welt ist tief, und tiefer als der Tag gedacht», das heißt als jener

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Tag, der uns nur die physisch-sinnliche Umwelt zeigt. Die Welt ist tief, wie sie uns geoffenbart wird von jener Nacht, die dern physischen Tag gegenüber zwar Nacht und Finsternis ist, in die wir aber jenes Licht hineintragen, das wir in unserer eigenen Seele entzünden als Leuchte, und die wir dann selber zu erleuchten haben. Die Welt ist tief, und sie muß ergründet werden von einem Lichte, das wir uns durch unser gei­stiges Streben erst entzünden, damit es scheinen könne in der geistigen Welt. Dann wird es so scheinen, wie das Licht im ewig Werdenden, das wirkt und lebt und in dem sich die Wesen der höheren Welt zu ergehen haben, damit ihnen offenbar werde, was sie brauchen, um zu befestigen mit dauernden Gedanken das, was in schwankender Erscheinung schwebt.

Von diesem Punkte aus wollen wir dann morgen in unserer Betrach­tung weitergehen.

Ich möchte nur noch unsere Basler Freunde bitten, morgen keine Kinder mitzubringen. Wir müssen, weil ja diese Szene sich wirklich durch die Anwesenheit der Ihnen heute vorgestellten Persönlichkeit aus der Hölle nicht für Kinderphantasien und Kinderträume eignet, diesmal ausnahmsweise diese Bitte aussprechen, daß alles dasjenige, was unter fünfzehn, sechzehn Jahren ist, morgen nicht mitgebracht wird.

DIE HISTORISCHE BEDEUTUNG DES «FAUST» Dornach, 20. August 1916

#G272-1967-SE215 Faust I: Faust, der strebende Mensch

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DIE HISTORISCHE BEDEUTUNG DES «FAUST»

Dornach, 20. August 1916

nach eurythmisch-dramatischen Darstellungen:

«Zueignung»,

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Ich habe gestern und schon öfter davon gesprochen, daß der Goethesche Mephistopheles im Grunde genommen eine widerspruchsvolle Figur ist. Wir wissen auch schon, warum er eine widerspruchsvolle Figur ist. Es vereinigen sich in ihm, man könnte sagen, bunt durcheinander mephisto­phelische, also ahrimanische, und luziferische Charaktereigenschaften. Goethe wußte - so könnte man zunächst sagen - diese Charaktereigen­schaften noch nicht auseinanderzuhalten. Wenn man auf der einen Seite ein Kunstwerk so hoch stellt, wie Sie gesehen haben, daß ich es mit dem «Faust» tue, so darf man wohl auch auf solche tatsächlichen Dinge auf­merksam machen. Merkwürdig bleibt es allerdings, daß man so wenig

- in einzelnen Fällen ist es ja geschehen - die Widersprüche aus der Dichtung selber heraus eigentlich bemerkt. Es ist das auch ein Zeichen für die Art, wie heute vielfach Dinge aufgenommen werden, daß man nicht mit genügender innerer Teilnahme an die Dinge so herangeht, daß man das innere Leben und Weben bemerkt. Denn täte man es, so würde man zum Beispiel die inneren Widersprüche in der Mephistophelesfigur bald bemerken müssen.

Nehmen wir zunächst einen vielleicht nicht vollständigen, aber immerhin sehr starken Widerspruch, der gleich auffallen könnte, wenn man den Mephistopheles reden hört in der Szene, die eben an unserer Seele vorbeigezogen ist.

Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.

Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,

Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.

Ein wenig besser würd' er leben,

Hätt'st du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;

Er nennt's Vernunft und braucht's allein,

Nur tierischer als jedes Tier zu sein.

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Was für eine Empfindung muß man dabei haben, wenn Mephisto­pheles tadelt, daß der Mensch es so macht? Nun wird niemand dem Mephistopheles sehr tiefe, selbstlose Ziele zutrauen. Das kann er auch gar nicht, schon nach dieser ersten Szene im «Prolog im Himmel». Denn was will denn der Mephistopheles eigentlich? Er will doch den Faust haben, nicht wahr, will ihn doch für sich haben und wird daher doch im Grunde alles gut finden müssen - in seinem Sinne gut -, was der Faust tut, um mit ihm zusammenzukommen, um ihn zu erfassen, zu ergreifen. Erfassen heißt in diesem Falle ergreifen, nicht begreifen; es ist nicht begrifflich, abstrakt gemeint. «Kannst du ihn erfassen» - kannst du ihn ergreifen. Dazu wird ja doch Mephistopheles alles tun wollen. Da könnte es ihm nun sehr gelegen kommen, wenn Faust alle diejenigen Eigenschaften hätte, die ihn gerade in die Klauen des Mephistopheles brächten!

Schlagen wir einmal einen späteren Vers auf, wo Mephistopheles dem Faust selbst gegenübersteht, im Studierzimmer, wo Faust davon spricht, wie er sich zu Vernunft und Wissenschaft stellt. Faust geht ab; Mephisto­pheles bleibt in seinem langen Kleide zurück. Man kann sich denken, daß er jetzt doch wohl mit sich selber aufrichtig sein wird, dieser Mephi­stopheles. Da sagt er:

Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,

Des Menschen allerhöchste Kraft,

Laß nur in Blend- und Zauberwerken

Dich von dem Lügengeist bestärken,

So hab' ich dich schon unbedingt.

Also das könnte ihm gerade passen, wenn der Mensch Vernunft und Wissenschaft nicht im richtigen Sinne anwendet, sondern sie gebrauchte, um tierischer als jedes Tier zu sein. Da wird er just dem Herrn vorreden, nicht wahr:

Hätt'st du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;

Er nennt's Vernunft und braucht's allein,

Nur tierischer als jedes Tier zu sein.

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Ich sage, es ist nicht ein vollständiger Widerspruch, aber für die Emp­findung ein starker Widerspruch.

In der Szene, die ich eben angeführt habe, wo Mephistopheles dem Faust im Studierzimmer gegenübersteht, da ist es ja klar, da redet er schon aufrichtig als Ahriman-Mephistopheles. Aber an der Stelle, die Sie heute gehört haben:

Er nennt's Vernunft und braucht's allein,

Nur tierischer als jedes Tier zu sein,

da kommt ein luziferischer Zug hinein. Dem Luzifer kann das nicht passen, wenn der Faust recht sehr zur Aufstachelung der tierischen Leidenschaften die Vernunft gebraucht. Aber dem Ahriman würde es ja gerade recht sein müssen, wenn der Faust sich so verhielte, wie Mephi­sto es da tadelt. Da haben wir einen jedenfalls nicht halben Wider-spruch, sondern schon dreiviertel Widerspruch!

Aber mit einer andern Stelle, was soll man denn mit der machen?

Solang' er auf der Erde lebt,

Solange sei dir's nicht verboten.

Es irrt der Mensch, solang' er strebt.

Da dank ich Euch; denn mit den Toten

Hab' ich mich niemals gern befangen.

Am meisten lieb' ich mir die vollen, frischen Wangen.

Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus;

Mir geht es wie der Katze mit der Maus.

Wenn man das vergleicht mit der Szene, die wir vielleicht auch ein­mal aufführen können, wo sich der Mephisto zum Schluß so bemüht, die Seele zu kriegen, im zweiten Teil, als der Leichnam daliegt, wie soll man denn da überhaupt zurechtkommen? Der Teufel geht doch auf Seelen aus, und hier spricht er geradezu vom Gegenteil! Solche Wider­sprüche sind durchaus viele vorhanden. Ich wollte nur die zwei Beispiele nennen; das erste: ein dreiviertel Widerspruch, der sich in der Dichtung selber findet. Solche Widersprüche sind durchaus darauf zurückzufüh­ren, daß die zwei Charaktereigenschaften, das Luziferische und das Ahrimanisch-Mephistophelische, durcheinanderkommen.

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Nun kann für uns die Frage entstehen: Wie kommt es denn, daß Goethe geradezu den Ahriman-Mephistopheles dem Faust zur Seite stellt, alles Augenmerk auf den Ahriman-Mephistopheles hinlenkt und gewissermaßen den Luzifer noch ganz unterdrückt? - Das muß doch eine Frage sein. Denn dadurch, daß Goethe aus dem Impulse seiner Zeit heraus dazu verführt worden ist, den Mephistopheles gerade dem Faust an die Seite zu stellen, hat er auch luziferische Züge herübergenommen und dadurch gewissermaßen dem Mephistopheles -Ahriman alles ange­hängt, was auf die zwei verteilt sein sollte. Es muß also Gründe geben in der Zeit, mehr Augenmerk dem Mephistopheles zuzuwenden als dem Luzifer. Goethe geht, indem er die Faust-Sage behandelt, zurück bis dahin, wo das Mittelalter mit der neuen Zeit zusammenstößt. Und er hat im wesentlichen die Zeitimpulse in sich aufgenommen, die aus die­sem Zusammenstoßen des Mittelalters mit der neuen Zeit entstanden sind. Wenn wir etwas weiter zurückliegende Dichtungen ins Auge fassen, Dichtungen, die weiter zurückliegenden Impulsen folgen, so finden wir eine entgegengesetzte Verwechslung. Wir können auch darüber einmal sprechen. Aber heute will ich nur darauf hindeuten. In Miltons «Ver­lorenem Paradies» finden Sie den entgegengesetzten Fehler gemacht. Da ist alles, was dem Ahriman-Mephistopheles zugeschrieben werden sollte, auf den Luzifer abgeladen, wenn auch nicht in einer so groben Weise, wie das im «Faust» geschehen ist. Wie gesagt, wir wollen darüber einmal sprechen. Das war mehr der Fehler, den das Mittelalter gemacht hat, mehr das Augenmerk nach dem Luzifer hin zu richten. Und der Fehler, den die neuere Zeit macht, ist, mehr das Augenmerk nach dem Ahriman­Mephistopheles hin zu richten. Jetzt leben wir in einer Zeit, in welcher das richtige Verhältnis zwischen den beiden Weltmächten Mephisto­pheles und Luzifer immer mehr und mehr von den Menschen eingesehen werden muß. Daher unsere Gruppe, unsere plastische Gruppe, die be­stimmt ist für den Bau hier, und die Ahrimanisches und Luziferisches

- Mephistopheles und Luzifer - in dem richtigen Verhältnis zueinander bildhaft zeigen soll.

Wenn Sie verstehen wollen, um was es sich eigentlich dabei handelt, so müssen Sie etwas ins Auge fassen, was heute noch dem Menschen ganz paradox erscheint, was aber einmal, wenn die Menschen Geisteswissenschaft

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wirklich nicht zurückweisen von dem Erdendasein, tief verstan­den werden wird. Wir leben in der neueren Zeit unter ganz besonderen Impulsen, unter denen wir leben müssen. Es ist richtig, daß wir unter diesen Impulsen leben. Man muß nur diese Impulse erkennen. Man darf sie nur sozusagen nicht verkennen. Ich habe es oftmals selber ausgeführt, wie da im Beginne der neueren Zeit heraufkommen mußte die Koper­nikanische Weltanschauung, wie sie berechtigt, tief berechtigt ist. Wir stehen zwar mit etwas andern Gefühlen dieser Kopernikanischen Welt­anschauung gegenüber als die äußere Welt. Denn wenn man die Ge­fühle, mit denen die äußere Welt der Kopernikanischen Weltanschauung gegenübersteht, ins Auge faßt, so kommt man doch kaum zu einer andern Anschauung, als daß die Leute sagen: Nun, das Mittelalter und das Altertum, die waren dumm, und wir sind gescheit geworden, und als das Mittelalter und das Altertum dumm waren, da haben sie gedacht, die Sonne bewege sich, und haben allerlei Zyklen und Epizyklen kon­struiert - Ptolemäische Weltanschauung - und haben dann das geglaubt, haben nach dem Augenschein die Bewegungen der Himmelskörper an­genommen. - In einem gewissen Sinne ist das sogar richtig für das Mittelalter, für das spätere Mittelalter namentlich, denn da waren schon Konfusionen hereingekommen in das, was als Ptolemäische Welt­anschauung heraufgekommen ist. Aber die ursprüngliche Ptolemäische Weltanschauung war nicht so, sie war ein Teil der ursprünglichen alten Uroffenbarung, war in die Menschenseelen gekommen auf dem Wege durch die alten Mysterien und keineswegs durch das bloße äußere An-schauen, beruhte also auf Offenbarung. Mit dieser Offenbarung brach die neuere Zeit, und die neuere Zeit stellte sich die Frage: Wie muß man denn den Himmel anschauen, um ihn und seine Bewegungen kennen­zulernen? - Kopernikus hat zunächst die Rechnung aufgestellt, versucht, eine einfache Rechnung zu machen über die Bewegungen der Himmels-körper, um dann zu zeigen, wie die Orte, die man errechnet hat, wirklich mit der Stellung der Himmelskörper stimmen. Und so hat er auf dem Wege der Rechnung sein Kopernikanisches System erfunden, drei Sätze aufgestellt, die in Kopernikus' Werken selber zu finden sind, über die Bewegungen der Himmelskörper im Verhältnis zu unserer Erde. Von diesen drei Sätzen hat man allerdings einen weggelassen, und dadurch

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ist die heutige konfuse Kopernikanische Weltanschauung zustande ge­kommen, die nicht die des Kopernikus selber ist. Der dritte war unbe­quem - den hat man weggelassen! Daher kennt heute derjenige, der aus den gebräuchlichen Büchern die Kopernikanische Weltanschauung bloß lernt, die Ansicht des Kopernikus keineswegs. Aber nun, das mußte so kommen. Zunächst mußte Kopernikus eine weitaus richtigere Lehre aufstellen, mit den drei Sätzen, dann mußte unsere Lehre kommen, die auf zwei Sätzen des Kopernikus beruht, und es wird erst, wenn die ganze Sache geisteswissenschaftlich wird durchdrungen werden, das Richtige zum Vorschein kommen.

Dann kamen diejenigen, die mehr auf äußerliche Weise, nicht durch Rechnen, hinter die Bewegungen der Himmelskörper und ihre Gesetze zu kommen suchten. Das Fernrohr kam. Man lernte den Himmelsraum so untersuchen, wie man auf Erden die Dinge untersucht. Und auf diese Weise entstand die moderne Astronomie, die moderne Astrophysik, eine Wissenschaft, die ganz auf die Weise entsteht, daß man dasjenige in Ge­setze faßt, was man beobachtet; das heißt, man will den Himmel da­durch erklären, daß man den Himmel beobachtet. Und was könnte natürlicher sein als dieses? Es müßte ja - so muß der moderne Mensch denken - derjenige schon ein ganz verrückter Kerl sein, der eigentlich etwas anderes wollte, als den Himmel dadurch kennenlernen, daß er den Himmel beobachtet. Das ist doch ganz selbstverständlich, nicht wahr. Und doch ist es nicht richtig, doch ist es eine von den großen Täuschungen. Es ist etwas, was in der Zukunft ganz anders werden wird. Man wird auch in der Zukunft, und zwar mehr noch als in der Gegenwart, den Himmel befragen; man wird kennenlernen wollen, was als Bewegungen in den Himmelskörpern lebt und webt, man wird genau lesen, studieren am Himmel; aber man wird eines wissen, was man heute noch nicht weiß, was heute dem Menschen ganz paradox erscheint, wenn man es ausspricht: Man erfährt nämlich über den Him­mel gar nichts, wenn man ihn beobachtet. Die allerfalscheste Methode, den Himmel und seine Bewegungen kennenzulernen, ist, ihn so zu be­obachten, wie man es heute macht. - Nicht wahr, ich sage etwas ganz Verdrehtes. Aber man muß schon sich zu den Verdrehungen anders ver­halten, als sich der gute Christian von Ehrenfels dazu verhalten hat,

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auf den ich vor acht Tagen hingewiesen habe. Man wird den Himmel beobachten, immer eingehender und eingehender beobachten und sich von ihm sagen lassen seine Geheimnisse. Aber was werden diese Ge­heimnisse einer späteren Zukunft enthüllen? Sie werden das enthüllen, was hier auf der Erde vorgeht. Das werden sie enthüllen. Man wird zwar den Himmel beobachten, aber aus dem, was man am Himmel erkennt, wird man erklären, wie die Pflanzen auf der Erde wachsen, wie die Tiere auf der Erde entstehen, alles dasjenige, was auf der Erde sich bildet, was auf der Erde webt und lebt. Darüber wird einem Auf­klärung geben dasjenige, was der Himmel offenbart. Es wird einem gar nicht mehr einfallen, den Himmel um den Himmel zu fragen, sondern man wird den Himmel fragen, um über die Erde Aufklärung zu finden. Und die bedeutsamsten Gesetze, die man kennenlernen wird vom Him­mel, wird man dazu verwenden, um die Geheimnisse des irdischen Da­seins zu enthüllen. Die alte Astrologie, die in ihrer Urbedeutung heute wenig mehr erkannt wird, die zum größten Teil zum Dilettantismus, ja zum Scharlatanismus geworden ist, wird in einer ganz neuen Form wieder aufleben. Man wird nicht nur irdische Schicksale suchen aus den Bewegungen der Sterne und aus den Gesetzen des Himmelsraums, son­dern man wird die Gesetze des irdischen Lebens, dasjenige, was webt und lebt, aus den Gesetzen der Himmelskörper erklären. Man wird nicht eher wissen, warum das Salz in Würfeln kristallisiert, warum der Demant in Oktaedern kristallisiert und so weiter, bevor man dasjenige, was Formen hat hier auf der Erde, erklären wird aus den Stellungen der Himmelskörper. Und man wird nicht eher wissen das Geheimnis des Lebens der Tiere, der Pflanzen, der Menschen als Lebensgeheimnis, bis man erklären wird aus den Bewegungen der Himmelskörper, deren Wirkung das Leben ist, dasjenige, was hier auf der Erde webt und lebt. Aus dem Himmel erklärt sich die Erde. Allerdings, dasjenige, was man über den Himmel wissen wird, wird eine etwas andere Gestalt anneh­men als das, was man heute zu wissen vorgibt. Man wird erforschen die Gesetze der Stellungen und Bewegungen der Himmelskörper. Aber dann wird man sich anregen lassen meditativ durch das, was man da erforscht, um gewissermaßen mit den Wesen, die in den Sternen leben, in eine Beziehung zu treten. Man wird sich sagen lassen von den

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Wesen, die da leben, was man wird wissen müssen für das Leben auf der Erde.

Das ist eine Zukunftsperspektive. Sie wissen nun, daß in einer ahn­lichen Weise, wie Kopernikus, Galilei, Kepler, denen übrigens noch immer alte Anschauungen in ihren Sinn geflossen sind, versuchten, die Gesetze der Himmelsbewegungen durch die Beobachtung des Himmels zu gewinnen, und wie man es in ihrem Sinne fortgesetzt hat in der neueren Zeit, so ist versucht worden von Darwin, Lamarck, Haeckel, die Gesetze des irdischen Lebens zu finden. Und was wäre hier wieder­um natürlicher, als daß man die Erde durch die Erde kennenlernt! Man reist herum, wie es Darwin gemacht hat, man mikroskopiert, wie es Haeckel gemacht hat, man rationalisiert, wie es Lamarck gemacht hat, über die Wesen der Erde und versucht zu erkennen die Gesetze, von denen das Leben auf der Erde beherrscht wird. Wiederum kann man als ein Verrückter gelten, wenn man das nicht als eine Selbstverständ­lichkeit ansieht. Die Zukunft wird das gar nicht als eine Selbstverständ-lichkeit ansehen! Wenn man den geraden, schönen Entwickelungsgang, den die neuere Biologie genommen hat von Darwin zu Haeckel und zu den Schülern Haeckels, ins Auge faßt, so findet man, daß er dazu ge­führt hat, namentlich über das Embryonalleben gewisse Gesetze zu bilden. Das sogenannte biogenetische Grundgesetz spielt eine große Rolle, daß nachlebt der Mensch im Embryonalleben die einzelnen Tier-gattungen. Sie wissen, ich habe auf das biogenetische Grundgesetz öfter aufmerksam gemacht. Um dieses zu finden, wurden solche Beobach­tungen angestellt, durch die man hoffte, etwas eben über das Leben der Lebewesen zu finden. Man kann sagen, die heutige Zeit arbeitet schon wiederum an der Aufdröselung dieser Anschauungen, nur bemerkt man es in Laienkreisen wenig. Die kopernikanische Astronomie wird schon stark von einzelnen Einsichtigeren bezweifelt. Und Haeckels Schüler, Oskar Hertwig, hat namentlich in seinen letzten Schriften Dinge ge­äußert, die dazu geeignet sind, alles das sehr in Frage zu stellen, was die Darwin-Haeckelsche Theorie an die Oberfläche gebracht hat. Wenn man sich unterrichtet aus dem, was innerhalb der Fachwissenschaft vor­geht, so bekommt man doch eine andere Ansicht, als wenn man sich nur unterrichtet nach dem, was in populären Vorträgen durch die üblichen

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- mauthnerisch darf ich nicht sagen, wie soll ich nur sagen? -, na ja, also was durch die üblichen Vortragenden dem Publikum dargeboten wird. Es geht schon heute viel in der eigentlichen Fachwissenschaft vor, und es bereitet sich schon das vor, was hier als Zukunftsperspektive an­gegeben wird. Nur wird man zur Geisteswissenschaft kommen müssen, damit das, was so vorgeht, nicht konfus werde, sondern wirklich sach­gemäß werde.

Nun muß ich wiederum etwas sagen, was paradox ist. Durch die Be­obachtung desjenigen, was auf der Erde vorgeht, lernt man gar nichts über die Erde kennen, das wird man einmal kennenlernen, wenn man es aus den Sternen abliest, was auf der Erde vorgeht. Was aber draußen im Himmelsraum eigentlich vorgeht, das lernt man kennen durch die Beobachtung zum Beispiel der Embryologie und so weiter. Man kann diese Beobachtung wiederum so behandeln, wie ich vorhin angedeutet habe, daß man die Himmelsbewegungen beobachtet, man kann in eine Beziehung zu den elementarischen Wesenheiten treten, die da regeln diese Bewegungen innerhalb des Erdengeschehens. So wie man den Himmel fragen wird, um die Erde zu erklären, so wird man die Erde fragen, um den Himmel zu erklären. Wie gesagt, es ist heute noch paradox, aber es wird kommen, auf irgendeine Weise wird es schon über diese Erde kommen, daß diese richtige Anschauung Platz greift. Die Astronomen werden mit den Mitteln ihrer Wissenschaft die Biologie begründen, und die Biologen werden mit den Mitteln ihrer Wissen­schaft die Astronomie begründen. Und eine im echten Sinne mit den Mitteln der Astrologie begründete Biologie wird spirituelle Wissen­schaft sein, und eine mit den Mitteln der echten Embryologie begrün­dete Astrologie wird spirituelle Himmelskunde sein. Wenn Sie das be­denken, so müssen Sie sich sagen: Die Menschheit macht eben nicht eine gerade Entwickelungslinie durch, sondern geht gewissermaßen in Wel­len, in einer Wellenlinie vorwärts, auf und ab. - Und damit in der rechten Weise vorbereitet werden konnte die richtige spirituelle An­schauung, die da kommen muß, mußte der Irrtum heraufkommen, der darinnen besteht, daß man in der neueren Zeit den Himmel durch den Himmel, die Erde durch die Erde erklären will. Unter diesem Eindruck lebten die Menschen.

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Aber nicht ganz lebte Goethe unter diesem Eindruck, nicht ganz. Goethe hatte ja in einer gewissen Weise den Darwinismus vordarwi­niert, aber einen viel spirituelleren Darwinismus. Er ging nicht bloß auf die äußere sinnliche Aufeinanderfolge der Erscheinungen, sondern auf Urpflanze und Urtier. Und ich habe öfter hingewiesen auf das be­kannte Gespräch zwischen Goethe und Schiller, wo Goethe, nachdem sie bei dem Botaniker Batsch in Jena gesehen hatten, wie die Pflanzen so nebeneinander betrachtet werden, und Schiller das unbefriedigend fand, mit wenigen Strichen die sogenannte Urpflanze hinzeichnete. Es gibt dieses Bild Goethes nicht. Ich habe versucht, in der Einleitung zu Goethes morphologischen Schriften in Kürschners National-Literatur, die ich geschrieben habe schon in den achtziger Jahren, diese Goethesche Urpflanze nachzuzeichnen. Sie können sie dort finden, wie ich sie nach-gezeichnet habe. Schiller aber sagte: Das ist keine Realität, das ist eine Idee. - Goethe sagte: Dann sehe ich meine Idee mit Augen. - Er war sich klar darüber, daß das eine Anschauung für ihn ist, eine Erfahrung, nicht etwas Ausgedachtes, etwas Errationalisiertes. Und wenn man so Goethe kennenlernt, recht intim kennenlernt, sei es durch seine dichte­rischen Bestrebungen in Verbindung mit seinen wissenschaftlichen, sei es umgekehrt in seinen wissenschaftlichen in Verbindung mit seinen dichterischen - ich habe das gerade bei meiner Interpretation Goethes angestrebt -, so sieht man, wie Goethe sich nicht recht behaglich fühlt, den Himmel durch den Himmel, die Erde durch die Erde zu erklären, und wie fortwährend in seinen Ideen dieses Prinzip der neueren Zeit durchbrochen wird. Deshalb kann man so schwer Goethes Farbenlehre heute noch verstehen, denn, was Goethe will, ist eigentlich eine astrono­mische Erklärung des Farbengeheimnisses. Und wenn Sie ganz aufmerk­sam Goethes Morphologie lesen, so werden Sie sehen, wie da gewisse Dinge hereinspielen, die schon von den ersten Anfängen einer Astrono­mie herrühren. Insbesondere fühlt man das durch, wenn man die Auf­sätze Goethes über die Spiraltendenz der Pflanzen ins Auge faßt. Nun, das würde auf Einzelheiten führen, auf die ich heute nur aufmerksam machen kann; ich will nur hinweisen darauf.

Werfen wir nun die Frage auf: Woher kommt es denn, daß diese neuere Zeit, die wir jetzt rechnen seit dem Zusammenstoß des Mittelalters

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mit der Neuzeit, seit dem Aufkommen des Kopernikanismus, des Galileismus, des Keplerismus, und die wir wiederum weiterverfolgen bis zum Darwinismus, zum Haeckelismus, zum Lamarckismus, wie kommt es denn, daß diese Zeit ins Auge faßt, den Himmel durch den Himmel, die Erde durch die Erde zu erklären, statt die Erde durch den Himmel und den Himmel durch die Erde? Wie kommt das? - Das kommt durch eine doppelte Verführung, indem Ahriman sowohl wie Luzifer die Menschen verführen. Im Mittelalter, als sich die Sachen vorbereitet haben, als man hinsteuerte nach dem Kopernikanismus, Dar­winismus, da war es mehr eine luziferische Wirksamkeit, da waren es luzi­ferische Impulse, die das vorbereiteten. Und als der Kopernikanismus her­aufgekommen war, da war es mehr die ahrimanische Verführung. Ahri-man ist es, der im wesentlichen in den Menschen lebt, indem er diese Um­kehrung derMenschen vollzieht, von der ich gesprochen habe.Denn schließ­lich steht gerade die moderne Wissenschaft ganz unter ahrimanischem Einflusse. Und Goethe hat richtig gefühlt, als er den Ahriman dem Men­schen nahe fühlte, den Mephistopheles, in der neueren Zeit. Für ihn war es weniger wichtig, das Verhältnis des Luzifer zum Menschen, als das des Ahriman zum Menschen ins Auge zu fassen. Darauf mußte sich sein ganz besonderes Augenmerk richten. Weniger kam ihm der luzi­ferische Einfluß in Betracht. Denn Faust ist ja vom Anfang an so hin-gestellt durch die Geschichte, daß er der Mensch der neueren Zeit ist. Die verschiedenen Verirrungen der Theologie des ausgehenden Mittel­alters rührten von Luzifer her. Faust aber tritt gleich so auf, daß er die Bibel unter die Bank legt und ein Weltmensch und Mediziner werden will, das heißt, die Erde durch die Erde erklären will, den Himmel durch den Himmel, nicht so, wie es bei den alten Theologen des ausgehenden Mittelalters der Fall war, daß man noch wie in einem letzten Atavismus die Wunder der Erde aus den Offenbarungen der Theologie zu erklären versuchte, also vom Himmel her zu erklären versuchte. Ahriman trat an des Menschen Seite in der neueren Zeit. Diejenigen, die das zwar fühlten, aber die von der Notwendigkeit nicht durchdrungen waren, sondern nur von der Teufelsfurcht durchzogen waren, verlästerten daher den Faust, der nur folgte dem notwendigen Impulse der neueren Zeit. Und so kam denn die Faust-Dichtung des 16. Jahrhunderts zustande,

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die den Faust in die Hölle hinein verbrennen läßt, weil er dem Ahriman verfällt. Diejenigen, die noch unter dem Atavismus des Mittel­alters standen, die haben gewissermaßen der Dichtung diese Form ge­geben. Goethe stand nicht mehr unter dem Einflusse des Mittelalters. Daher konnte er seinen Faust nicht in die Hölle hinein verbrennen las­sen. Aber die große Frage entstand bei ihm: Was denn eigentlich tun?

Fassen wir die Sache einmal recht konkret. Was tut man denn eigent­lich, wenn man die Erde durch die Erde erklärt? Fassen wir es bei einem Beispiel, das vielleicht, weil es ein bißchen der gewöhnlichen Wissen­schaft entrückt ist, uns näher steht. Nehmen wir eine Mythe oder eine Dichtung und denken wir an einen Kommentator oder an einen Inter­preten von der Art, wie ich sie oftmals getadelt habe - Sie erinnern sich! Nehmen wir an, so ein Kommentator, ein Interpret einer Mythe, einer Sage oder einer Dichtung, tritt vor uns hin und erklärt uns, wie er sagt, die Dichtung aus der Dichtung; er sucht die Gesetze der Dichtung in der Dichtung oder in der Mythe. Er kann sehr geistvoll sein. Es gibt durch­aus sehr geistvolle Mythen- und Dichtungserklärer. Aber sie sündigen alle, denn so kann man nie eine Mythe und nie eine Dichtung erklären, daß man den Verstand auf sie anwendet. Ach, was haben die Hamlet­Erklärer alles geschrieben, um den «Hamlet» zu interpretieren! Was haben selbst die Faust-Erklärer alles geschrieben, um den «Faust» zu interpretieren! Was haben Theosophen alles getan, um allerlei Mythen zu interpretieren! Auf den Grund der Mythe, auf den Grund der Dich­tungen kommt man nur, wenn man den Blick hinauszurichten versteht dahin, wo die Mythen und die Dichtungen her sind - aus dem Himmel herein. Das deutet schon wiederum auf jene Zukunftsperspektive. Das liegt uns näher, als bei der Wissenschaft darauf hinzuweisen. Mythen führt man an, indem man gleichsam durch sie illustriert, wenn man darauf gekommen ist, was die großen Zusammenhänge im himmlischen Weltenall sind; man läßt sie dann durch die Mythe spiegeln wenigstens. Und wenn man Einsicht hat in die kosmischen Gesetze, die da walten, dann wird man auch nicht zu verstandesmäßigen Kommentatorenkün­sten kommen gegenüber Dichtungen; denn wenn man herausschält aus der Mythe und aus der Dichtung das, was solche verstandesmäßigen Erklärer gewöhnlich bekommen, was tritt denn da eigentlich auf? Ja,

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man kann da immer ein gewisses Bild vor sich haben, wenn so ein My­thenerklärer oder ein Dichtungskommentator auf die Art, wie es heute ist, auftritt. Da tritt etwas auf, wie der war, der da hervorgekommen ist in seiner Fledermausgestalt, wirklich so etwas fledermausartiges Graues, gegenüber dem lebendigen Leben, das in Dichtung und Mythe waltet. Da macht man schon auch Bekanntschaft mit Ahriman-Mephistopheles.

Das, was ich jetzt angeführt habe an einem solchen Beispiel, das könnte ausgedehnt werden über das ganze Treiben in der Wissenschaft, wobei ich diese Wissenschaft nicht tadle. Ich will Ihnen gerade die Not­wendigkeit zeigen, daß es so ist. Ahriman mußte eine gewisse Zeit lang eingreifen, sonst wäre die Art und Weise, wie die Menschen in dem Mit­telalter gewirkt haben, eine solche geworden, welche die Menschen all­zuleicht hätte erschlaffen lassen. Die Menschen lieben sich gern die un­bedingte Ruh, drum gibt ihnen die Welt den Teufel zu, der wirkt und lockt und muß als Teufel eben schaffen -, der reizt und lockt und wirkt. Das ist notwendig, dieses Eingreifen des Ahriman. Und es ist ein völli­ger Unsinn, wenn man etwas gehört hat von Ahriman und Luzifer und nun fragt: Ist das vielleicht ein ahrimanischer Einfluß? Ist das ein luzife­rischer Einfluß? Man muß sich davor nur ja hüten!

Welche Rolle Ahriman spielt - Goethe verstand das! Warum aber mußte denn Ahriman eine solche Rolle in der neueren Zeit spielen? Warum mußte überhaupt Ahriman-Mephistopheles in die Sphäre des Menschen eintreten? Nicht wahr, wir wissen, es verläuft die Evolution so, daß wir die sogenannte lemurische Zeit haben, die atlantische Zeit, unsere nachatlantische Zeit. Wir wissen, in der lemurischen Zeit, da war des Menschen Ich, das heißt das Bewußtsein, noch recht wenig tätig, noch recht wenig betriebsam; es beginnt ja eigentlich erst hier.

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Aber erst nach und nach klärt sich der Mensch auf über dasjenige, was als Ich-Impuls in ihm lebt und webt. Nach und nach erst werden die Menschen sich klar darüber, wie sie stehen, indem das Ich in ihrer Seele

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wohnt, zu Luzifer und Ahriman, nach und nach werden sie sich erst klar, die Menschen. Wenn man dasjenige, was Prinzip sein muß der zukünftigen Zeit, ins Auge faßt, so stellt es sich ja dar, schematisch nur angedeutet: nach der Erde hinweisend, um die Geheimnisse des Him­mels zu entdecken; nach dem Himmel hinweisend, um die Geheimnisse der Erde zu entdecken. Macht man die Sache verkehrt, macht man die Sache im Sinne unserer Zeit nur, so findet man nicht die Geheimnisse der Erde, sondern aus der Erde heraus kommt statt der Himmelsgesetze, statt der Himmelsgeheimnisse, die herauskommen sollten, das Ahrima­nische, das an die Menschen herantritt, das versucht, an den Menschen heranzukommen. Es muß zurückgewiesen werden, weil in der Erde nicht gesucht werden muß verstandesmäßig das, was die Erde gibt, son­dern das, was sie offenbart für den Himmel. Von dem Weltenraum her­ein kommt Luzifer; er muß weichen. Würde er an den Menschen heran­kommen, so würde das so sein, daß im Weltenraum draußen gesucht würde das, was in ihm nicht zu finden ist: die Geheimnisse des Himmels selber. Diese Beziehung wird man einsehen müssen.

Man mußte einstmals einsehen, wie nahe zum Menschen Luzifer steht. Es ist den Menschen möglich gemacht worden, dieses einzusehen in einem Symbolum, das viel mehr ist als ein Symbolum, in einem Symbolum, das tief in die Geheimnisse der geistigen Welt hineinweist. Man kann, wenn man das, was Luzifer für den Gesamtmenschen ist, charakterisie­ren will, dies nicht intimer machen, als wenn man die Sache so hinstellt, daß an die Kräfte des Weibes herankommt Luzifer und mit Hilfe der spezifisch weiblichen Kräfte in die Welt hereinwirkt, und der Mann durch das Weib dann mit Hilfe Luzifers verführt wird. Dieses Sym­bolum mußte hingestellt werden vor die Menschheit, und es mußte da­stehen, als der vierte nachatlantische Zeitraum da war, wo die Men­schen zunächst begreifen sollten das Verhältnis Luzifers zum Menschen, wo sie es fühlen sollten, empfinden sollten dieses Verhältnis, es sich zum Bewußtsein bringen sollten. Durch nichts konnte man sich so sehr zum Bewußtsein bringen das Verhältnis Luzifers zum Menschen, als indem man den Anfang der Bibel studierte, wie die Schlange herantritt an das Weib, das Weib an seinen Kräften faßt und dadurch die Verführung, die Versuchung der Welt begann. Dieses bedeutsame Symbolum war das

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wirksamste für diesen vierten nachatlantischen Kulturzeitraum, wenn es auch schon früher dagewesen ist. Das Geheimnis des Luzifer ist in diesem Symbolum enthalten.

Der fünfte nachatlantische Zeitraum mußte den Menschen bewußt aufklären über das ahrimanisch-mephistophelische Geheimnis. Da mußte ein anderes Symbolum hintreten. So wie in dem Religionsbuche, das sich auf die geistige Welt bezieht, das Symbolum des luziferischen Verführers des Weibes an der Spitze steht, und der Mann dadurch mit­verführt wird durch die Künste, die Luzifer mit Hilfe des Weibes aus­führt, so mußte das Gegenbild im fünften nachatlantischen Zeitraum entstehen: Ahriman, der an den Mann herantritt, den Mann zunächst verführt, und mit Hilfe des Mannes die Frau. Wenn es auch vielleicht nicht so grandios gelungen ist im ersten Anhub der Faust-Dichtung, das tief Ergreifende der Gretchen-Tragödie beruht vielfach darauf, daß geradeso wie Adam auf dem Umwege durch Eva von Luzifer verführt wird, so das Gretchen auf dem Umwege durch Faust von Ahriman­Mephistopheles verführt wurde. Die innere Notwendigkeit der Sache trieb dazu, ein Weltbuch dem Theologiebuch gegenüberzustellen: den Verführten und die Verführerin; die Verführte und den Verführer; den Luzifer, den Ahriman. Das Verhältnis Luzifers zum Weibe auf der einen Seite, Ahrimans zum Manne auf der andern Seite. Dies ist ein tief bedeutungsvoller geistiger Zusammenhang.

Und deshalb entstand wirklich aus einem inneren geistigen Impulse heraus dieses Weltbuch des «Faust» im Gegensatze zu dem Theologie-buch. Und die neuere Zeit ist dazu berufen, die Wege zu finden zwischen Ahriman und Luzifer. Denn alle Kräfte, durch die Luzifer in die Welt hereinwirkt, sind zwar nicht gleich, aber ähnlich den Kräften, durch die es Luzifer gelungen ist, die Frau zu verführen. Alle Kräfte, durch die Ahriman in die Welt hereinwirkt, sind ähnlich den Kräften, mit denen Ahriman den Mann verführt. Und wie wir uns richtig denken die luziferische Verführung, die uns die Bibel darstellt, in die lemurische Zeit hinein, so müssen wir den Ahriman suchen an einer Stelle der Bibel, die nicht mehr klargeworden ist, weil das ahrimanische Geheimnis in der Bibel noch nicht in derselben Weise enthüllt ist wie das luziferische Geheimnis. Wir müssen, während wir das luziferische Geheimnis in die

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lemurische Zeit versetzen, das ahrimanische Geheimnis, wie ich öfter ausgeführt habe, in die atlantische Zeit versetzen. Da hat die Bibel nur eine Andeutung, nicht ein so klares, weithin glänzendes Bild wie das von der Paradiesesversuchung. Da steht darinnen nur in der Bibel, daß bewirkt wurde durch die Impulse, die hereinkamen in das Erdendasein, daß die Göttersöhne Gefallen fanden an den Töchtern der Menschen. Das ist nur die Hindeutung auf dasjenige, was als ahrimanischer Im­puls hereinkommt.

Goethes «Faust» hat schon eine gewisse historische Bedeutung. Und diese historische Bedeutung liegt in dem, was ich versuchte, Ihnen heute zu skizzieren. Man muß, wenn man auf das aufmerksam machen will, was Geisteswissenschaft der Menschheit werden will und werden soll, heute vielfach Paradoxes aussprechen, solches aussprechen, das vielen Menschen kurios erscheint. Aber wahr ist es doch. Wenn einstmals die Menschen so sein werden, daß ihre Wissenschaft wieder erinnern wird an die Uroffenbarung, indem sie aus dem Himmelsgeheimnisse das Erdenleben erklären, wenn die Erdenwissenschaft so sein wird, daß zum Beispiel aus der Gestaltung der Embryonalentwickelung erkannt wer­den die tiefsten Geheimnisse des Himmels, dann wird die Menschheit das richtige Verhältnis gefunden haben zu Ahriman und Luzifer, und dann wird in einer gewissen Weise dasjenige in der Menschheit sich aus­leben, was dargestellt werden soll in unserer Hauptgruppe im Bau, in welcher der Repräsentant der Menschheit zwischen Ahriman und Luzi­fer in der richtigen Geste hingestellt wird.

Tiefer und immer tiefer wird man dasjenige aufzufassen haben, was in Goethes «Faust» ruht. Aber man wird eine autoritätslose Auffassung brauchen. Diejenigen Menschen, welche dadurch allein zu einer Erkennt­nis kommen wollen, daß sie, wie eine Dame unserer Gesellschaft einmal gesagt hat, «immer ein Gesicht machen bis ans Bauch», um ihre innere Seelenstimmung auszudrücken, erreichen ihr Ziel nicht. Es war eine Dame, die nicht gewohnt war, deutsch zu sprechen, und daher diesen Sprachfehler gemacht hat. Doch kommt es nicht darauf an, es war eine richtige Bezeichnung. Sie wollte hinweisen auf diejenigen Menschen, denen jede Möglichkeit fehlt, Humor zu entwickeln in der Auffassung der Welt. Wenn man keinen Humor entwickeln kann, dann kann das

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unter Umständen recht schlimm werden. Das wird also schon kommen müssen, daß man sich in der Weise, wie ich es charakterisiert habe, in der Welt zurechtfinden muß. Diejenigen Menschen, die bloß in Sentimental-stimmung sich den Dingen der Welt werden nähern wollen, werden selbstverständlich es lieber haben, wenn sie auch ein solches Kunstwerk wie den Goetheschen «Faust» so auffassen können, daß sie bei jeder Zeile «ein Gesicht bis ans Bauch» machen. Die Menschen aber, die den «Faust» verstehen wollen, werden ihn autoritätsios auffassen müssen. Dann werden sie schon durch die Widersprüche sich hindurcharbeiten müssen, aber das Hindurcharbeiten durch die Widersprüche wird die Möglichkeit des Verständnisses bieten. Ein Kinderspiel ist gerade so etwas nicht wie der «Prolog im Himmel»! Wenn man gar zu sehr scheut eine gewisse Ironie und einen gewissen Humor der Welt gegenüber, dann verfällt man zu leicht dem größten Humoristen, der ein Genosse ist desjenigen, der uns in Goethes Mephistopheles gegenübertritt, der dem Herrn mehr zur Last ist als der Schalk, der ein etwas gefährlicherer Geist von der Sorte derer ist, die da verneinen können.

Anregen möchte ich dazu, daß solche Dinge, die schon eine Ausnahme­stellung einnehmen in der geistigen Menschheitsentwickelung, wiederum tiefer erfaßt werden. Denn sie sind auch ein Weg, hineinzukommen in die Geheimnisse jenseits der Schwelle, wo alles anders ist als diesseits der Schwelle, wo alles so ist, daß man sich schon bekanntmachen muß damit, daß manches paradox klingt, was aus dem Bewußtsein derjenigen Tat-sachen heraus gesprochen wird, die jenseits der Schwelle zur geistigen Welt liegen. Die heutige Zeit will nicht viel wissen von den Geheimnis-sen, die jenseits der Schwelle zur geistigen Welt liegen. Zwar sind die meisten Geister dieser heutigen Zeit immer überzeugt gewesen, daß wir es so herrlich weit gebracht haben. Nun, ich weiß nicht, wie weit sich die Menschen diese Überzeugung hindurchretten werden auch durch unsere uns zunächst liegende Zeit, die es so herrlich weit gebracht hat, und die doch nur in den Konsequenzen desjenigen lebt, was sie durch die Jahr­hunderte geglaubt hat. Aber wenn auch für viele heute noch dasjenige paradox klingt, was verkündet wird aus dem Gebiete von jenseits der Schwelle, es muß immer mehr und mehr Verständnis sich für diese Ge­heimnisse des Daseins bilden. Und vieles von der gedeihlichen Entwickelung

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der Menschheit in die Zukunft hinein hängt davon ab, daß die Menschen Verständnis finden für dasjenige, was heute noch so vielfach paradox klingt.

Töricht mag es heute noch vor der Welt sein, zu sagen, die Erde müsse durch den Himmel, der Himmel durch die Erde erklärt werden. Wer hineinschaut in all das Menschengeschick Bezwingende, das sich offen­bart von jenseits der Schwelle, der weiß, daß das, was so toricht vor den Menschen gilt und paradox, dennoch die Weisheit ist vor dem Geistigen und vor der Welt. Und es darf heute schon gesagt werden, ohne un­bescheiden zu werden, weil man schon, wenn man es aus dem Bewußt­sein der geistigen Welt heraus sagt, die nötige Demut, um es sagen zu dürfen, aufbringt, weil schon im Herzen diese Demut waltet, trotzdem man vielleicht Kraft anwenden muß, um das, was man am liebsten auch in der Geste der Demut vorbringen möchte, in der Geste der nötigen Kraft vorzubringen, die vielleicht den Anschein der Geste des Hochmuts erwecken könnte. Aber auch das könnte nur eine ahrimanische Auffas­sung so finden, wenn sie in diesem Falle verwechseln würde Demut und Hochmut. Davon dann ein andermal.

DIE «GRABLEGUNG». DAS WESEN DER LEMUREN, DER DICK- UND DÜRRTEUFEL Dornach, 4. September 1916

#G272-1967-SE233 Faust I: Faust, der strebende Mensch

#TI

DIE «GRABLEGUNG»

DAS WESEN DER LEMUREN, DER DICK- UND DURRTEUFEL

Dornach, 4. September 1916

#TX

Wir wollen demnächst darstellen die Szene des zweiten Teiles von Goethes «Faust», welche vorangeht der Schlußszene, die ja schon dar­gestellt worden ist, wie Sie wissen. Diejenige Szene, die mit den heiligen Anachoreten beginnt:

Waldung, sie schwankt heran, Felsen, sie lasten dran,

sie wird von Goethe «Fausts Himmelfahrt» genannt, und die Szene, die nun vorangeht, wird gewöhnlich die «Grablegung» genannt. Wir wer­den aber beginnen schon da, wo im weiteren Sinne diese Grablegung Fausts dargestellt ist.

Wenn man zu den verschiedenen Partien von Goethes «Faust» kommt, so muß man immer wieder und wiederum in ein gewisses Er­staunen verfallen über die unendliche Tiefe, die namentlich im zweiten Teil von Goethes «Faust» liegt, tief dadurch, daß man es mit einer durch die Geisteswissenschaft zu rechtfertigenden Sachlichkeit in der Dar­stellung der geistigen Welt zu tun hat. Und es ist das Merkwürdige, daß Goethe mit solcher Sachlichkeit dargestellt hat die geistige Welt in der Zeit, in der es die Geisteswissenschaft als solche noch nicht gegeben hat. Wir brauchen uns nicht erst lange zu befassen mit der Frage, die einmal an mich gestellt worden ist, als ich vor vielen Jahren einen Vortrag hielt über Goethes «Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie», und mich eine theosophische Autorität der alten Schule fragte, ob ich denn meine, daß Goethe das alles gewußt habe, was da zur Rechtferti­gung des tieferen Geheimnisses der Dichtung von der grünen Schlange und der schönen Lilie aus der Geisteswissenschaft heraus gesagt worden ist. Ich konnte nur erwidern, ob denn der Betreffende glaube, daß auch die Pflanze alles ganz genau weiß, was der Botaniker über sie ausmacht, um wachsen zu können in der richtigen Weise nach den botanischen Gesetzen.

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Wenn man eine solche Frage hört, so hat man gewöhnlich das Bewußtsein, wie gescheit sich der Fragende vorkommt. Aber wenn man eine solche Frage im Zusammenhange denkt, dann kommt man darauf, wie unendlich töricht die Menschen oftmals sind, welche sich gar so ge­scheit dünken. Also mit der Frage, ob etwa Goethe auch noch irgendwo Geisteswissenschaft so studiert hat, wie wir sie heute studieren können, brauchen wir uns nicht weiter zu befassen, wenn auch gerade Einwände von einem Gesichtspunkte, der diese Frage ins Auge faßt, sehr leicht ge­macht werden können. Wir wollen vielmehr gleich an die Sache selber gehen.

Es werden uns dreierlei Gestalten zunächst vorgeführt außer denen, die man aus der übrigen Faust-Dichtung kennt. Es werden uns dreierlei Gestalten vorgeführt, welche zu tun haben mit dem Zeitraum, der ver-fließt zwischen dem Sterben des Faust und dem Aufstieg seiner Seele in die geistigen Regionen. Die erste Art der Gestalten, die uns vorgeführt wird, sind die Lemuren; die zweite Art der Gestalten, die uns vorge­führt wird, sind die Dickteufel mit kurzem, gradem Horn, und die dritte sind die Dürrteufel mit langem, krummem Horn; beide Arten von Teu­feln sind «vom alten Teufelsschrot und -korne».

Nun können wir sagen: Welch spirituellem Instinkt, welcher tieferen Weisheit kann man ebensogut sagen, entspricht es, daß Goethe diese dreierlei Gestalten bei der Grablegung und vor der Himmelfahrt Fausts uns vorführt? Diese «Grablegung» wird ja so eingeleitet, daß Faust alt geworden ist in seiner Evolution, und zwar - wie Goethe selber an­gegeben hat - hundert Jahre geworden ist. Also wir haben es hier beim Beginne dieser Szene mit dem alten, hundertjährigen Faust zu tun, welcher noch immer an den Mephistopheles gekettet ist, aber so, daß Faust jetzt den Glauben haben kann, daß Mephistopheles sein Diener geworden sei. Faust hat den Entschluß gefaßt, ein Stück Land dem Meere abzuringen, zu kultivieren dieses Stück Land, und dadurch die Grundlage für ein der Menschheit segensreiches Gebiet zu schaffen, auf dem diese Menschheit, ein Teil der Menschheit, in Friede und Freiheit sich entwickeln kann. Dieses Land ist also gewissermaßen, da es durch die Arbeit des Faust dem Meere abgerungen ist, Faustens Schöpfung. Es soll noch fertiggestellt werden dadurch, daß ein Sumpf, der da ist, abgeleitet

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wird durch einen Graben, damit auch die Luft gereinigt werde, damit nicht durch verpestende Dünste des Sumpfes die Gesundheit der Menschen, die sich entwickeln sollen in Friede und Freiheit, gefährdet werde. Faust glaubt nun, Mephisto sei sein Aufseher geworden in segens­reicher Arbeit und befehlige diejenige Schar, welche nunmehr das letzte Werk verrichten soll. Faust ist ja bereits erblindet, was schon in der vorhergehenden Szene dargestellt ist. Er sieht also nicht, was auf dem äußeren physischen Plan Mephistopheles anrichtet, und dadurch ist es begreiflich, daß er später die Worte «graben» und «Grab» verwechselt. Während Faust der Meinung ist, daß ein Graben, der den Sumpfinhalt nach dem Meere ableiten soll, um die Luft zu reinigen, angelegt werde, läßt Mephistopheles durch seine Lemuren das Grab des Faust schaufeln. Als Hundertjähriger erlebt also Faust noch den Betrug, wird verstrickt in das Lügengewebe des Mephistopheles, der das Grab graben läßt und durch den Namensanklang in Faust die Vorstellung betrügt, daß ein Graben gegraben wird.

Da sind schon sehr viele Geheimnisse darinnen. Ich möchte mich auf diese Dinge heute nicht einlassen, vielleicht kann das ein andermal be­sprochen werden. Aber ich möchte vorzugsweise, daß wir uns begreiflich machen, welcher Art diese dreierlei Wesen sind. Gleich im Beginne der Szene, um die es sich da handelt, die da spielt im Vorhof des Palastes, den sich Faust aufgerichtet hat, tritt Mephistopheles auf, wie gesagt als Aufseher der Arbeiterschar, die Faust versammelt zu haben glaubt, während Mephistopheles seine Lemuren ruft. Nicht in einer besonderen szenischen Bemerkung, sondern in der Szene selbst charakterisiert Me­phistopheles die Lemuren:

Herbei, herbei! Herein, herein!

Ihr schlotternden Lemuren,

Aus Bändern, Sehnen und Gebein

Geflickte Halbnaturen!

Also beschrieben werden sie uns als Wesen, welche zusammengefügt sind nur aus Bändern, durch welche die Glieder des menschlichen Leibes zusammenhängen, anatomische Sehnen und Gebein. Also das, was nicht einmal zu Muskeln gekommen ist am menschlichen Organismus, das

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hält diese Gestalten zusammen, daraus sind sie zusammengeflickt. Sie sind nicht Volinaturen, nicht Ganznaturen, sie sind Halbnaturen, da sie ja nur haben, was nicht Blut ist, nicht Muskeln ist, nicht Nerven ist, son­dern was Sehnen, Bänder und Gebeine sind. Daraus sind sie zusammen­geflickt. Weiter werden sie uns dadurch charakterisiert, daß sie später selber im Chore sich aussprechen. Und das, was sie aussprechen, zeigt uns zweierlei an. Erstens, wie sie eigentlich dazu kommen, dort eine Arbeit unter der Aufsicht des Mephistopheles zu verrichten; aber es spricht uns dieses zugleich wiederum etwas aus über ihre Natur. Die Lemuren äußern sich so, daß man in ihren schlotternden Tonfolgen hört:

Wir treten dir sogleich zur Hand,

Und, wie wir halb vernommen,

Es gilt wohl gar ein weites Land,

Das sollen wir bekommen.

Also die Lemuren sind zunächst auch in der Täuschung befangen: sie haben halb vernommen, daß sie ein weites Land sollen zugewiesen be­kommen. Sie sollen nach des Mephistopheles Auffassung das Grab graben. Aber sie haben halb vernommen und nicht ganz vernommen, daß sie ein weites Land bekommen sollen. Dazu bringen sie zur Arbeit gespitzte Pfähle mit.

Gespitzte Pfähle, die sind da,

Die Kette lang zum Messen;

Warum an uns der Ruf geschah.

Das haben wir vergessen.

Es klingt in ihrer Halbnatur, die zusammengeflickt ist aus Sehnen, Bändern und Gebein, da klingt und klappert noch etwas nach von einem Ruf. Aber was der Inhalt des Rufes ist, was sie da eigentlich wirklich tun sollen, das haben sie vergessen. Sie sind wirklich damit charakteri­siert. Man kann sagen, sie sind da, aber sie wissen nicht, warum sie da sind. Halb wissen sie es, warum sie da sind, sie haben etwas gehört, aber sie wissen nicht, was sie gehört haben. Sie haben einen Ruf vernommen, aber den haben sie wieder vergessen. So also stehen sie vor uns da, diese Lemuren, und der Mephisto weist sie sogleich zurecht. Er sagt: Das ist

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nichts mit dem weiten Land, das ihr habt haben wollen; verfahret nur nach eigenen Maßen, nach solchen Maßen, wie es angemessen ist dem­jenigen, der nur aus Beinen noch und Sehnen besteht:

Der Längste lege längelang sich hin.

Also der eine Lemur muß sich der Länge nach hinlegen, und nun weist er sie an, wie sie das Grab zu graben haben.

Im nächsten Lemurenchor werden wir darauf verwiesen, daß noch in ihnen etwas steckt von einer halben Erinnerung daran, daß sie etwas waren einmal wie Menschen, daß sie von so etwas herkommen wie

Menschen:

Wie jung ich war und lebt' und liebt',

Mich däucht, das war wohl süße;

Wo's fröhlich klang und lustig ging,

Da rührten sich meine Füße.

- Das haben sie hinter sich, das ist halb bewußt -Nun hat das tückische Alter mich

Mit seiner Krücke getroffen;

Ich stolpert' über Grabes Tür,

Warum stand sie just offen!

Also sie erinnern sich halb, daß sie herrühren von gestorbenen Menschen. Mit denen hat zunächst Mephisto versucht, sich abzufinden, die braucht er zunächst.

Nun bitte ich Sie, dabei sich zu erinnern, daß ich allerdings öfter schon gesagt habe, daß wir unseren physischen Leib nicht so ohne weite­res wesenlos an uns tragen und ihn nur wie eine leere Hülle abwerfen. Er ist nicht nur unsere Hülle, sagte ich oft, er ist unser Werkzeug. Er enthält die Kräfte, durch die wir verbunden sind der mineralischen Erde. Nun bitte ich Sie, das Folgende zu beachten: Wir sind mit dem, wie wir jetzt dastehen zwischen Geburt und Tod mit unserem physi­schen Leib, gebildet auf Saturn, Sonne, Mond und Erde. - Denken wir uns das alles, was uns eingepflanzt worden ist durch Saturn, Sonne, Mond und Erde, ich möchte sagen, summiert angedeutet durch alles das,

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was ich hier zeichne, und denken wir uns dasjenige, was uns in der Erde eingegliedert wird dadurch, daß wir in der Erde ein Ich als Werkzeug bekommen, daß als physisches Werkzeug dieses Ich eingegliedert wird. Denken wir uns das darinnen.

#Bild s. 238

Während der Erdenzeit bekommt wiederum unser physischer Leib das, was in ihm verlangt worden war auf dem Saturn, was ausgebildet worden ist während der Sonnen- und Mondenzeit. Aber dadurch, daß in diesem das Ich darinnen arbeitet, wird eingegliedert dem Menschen dasjenige, was er nicht durch Saturn, Sonne und Mond hat, sondern nur durch die Erdenentwickelung, was äußerer physischer Ausdruck des Ich ist. Aus diesem geht im Tode das Ich heraus. Dasjenige, was uns von Saturn, Sonne und Mond geblieben ist, hat im Erdenleben keinen Be­stand, das hat nichts mit den Kräften der Erdenentwickelung zu tun. Die physischen Kräfte der Erdenentwickelung würden niemals unsere Muskeln erzeugen, die mußten schon durch die physischen Kräfte der Mondenentwickelung erzeugt werden; sie würden niemals unsere Ner­ven und so weiter erzeugen. Aber während der Erdenentwickelung durch die Impulse des Ich sind allerdings die Knochen zustande gekom­men, die Knochen sogar erst während der atlantischen Entwickelung, durch die Salzablagerungen im Atlantischen Meere sind zustande ge­kommen die Bänder, die Sehnen. Das alles ist eingegliedert nur durch die Erdenkräfte. Da tragen wir die Erde in uns, in unseren Knochen,

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Sehnen und Bändern. Darinnen lebt der Geist der Erde. Darinnen leben dieselben Kräfte, die in allem mineralischen Natur- oder technischen Walten der Erde vorhanden sind. In der Zusammenstellung unserer Knochen, Sehnen und Bänder lebt alles das, was aus mineralisch-physi­schen Naturwirkungen der Erde und technischen Wirkungen hervor­gehen kann. Wenn wir nun durch die Pforte des Todes gehen, lassen wir unseren Saturn-, Sonnen-, Mondenteil zurück. Die werden dadurch, daß sie nicht bestehen können in der Erde, zerstört. Knochen, Sehnen, Bänder müssen die Kräfte der Erde selbst zerstören, gleichgültig, ob der Mensch verwest oder verbrannt wird; das macht dabei keinen Unter­schied, das müssen die speziellen Kräfte der Erde zerstören.

Indem also Faust gestorben ist, wird das, worinnen die speziellen Kräfte der Erde walten, der Erde übergeben, jener Erde, der auch über­geben sind alle gestorbenen Menschen, insofern sie aus Knochen, Sehnen und Bändern sind. Eine tiefe spirituelle Natureinsicht spricht sich in dieser Gestaltung, die Goethe dieser Szene gegeben hat, aus, eine unend­lich tiefe Naturerkenntnis! Denn man soll nur nicht glauben, daß man schon erschöpft hat das, was von uns übrigbleibt, wenn man sagt:

Nun, der physische Leib fällt ab von uns, und unser Seelisches - wie wir es immer beschrieben - geht weiter in die geistigen Welten. - Nein, es sind geheime spirituelle Kräfte im ganzen physischen Leib, die der Erde verbleiben. Nur kann die Erde nicht das halten, was sie nicht selbst erzeugt hat, sondern nur die Kräfte aus Knochen, Sehnen und Bändern behält sie. Begraben Sie den Menschen und lassen ihn verwesen, ver­brennen Sie ihn - in dem Erdenkörper selbst bleibt, trotz Verwesung oder Verbrennung, immer für alle Zukunft das vorhanden, was als Kräfte in Knochen, Sehnen und Bändern wirkt! Unseren Knochenmann gewisser­maßen, den übergeben wir der Erde, der bleibt da, bis die Erde selbst am Ziel ihrer Evolution angelangt sein wird. Unser Knochenmann wird aufgenommen von den Knochenmännern aller voranverstorbenen Men­schen, tritt ein in die Gemeinschaft der vorangestorbenen Menschen. Es wäre eine oberflächliche Anschauung, zu sagen: Da ist alles vergäng­lich. - Nur die Form ist vergänglich. Die Kräfte, die darinnen walten, sind in dem Erdenwirken enthalten. Und wenn Sie heute die physischen Erdenwirkekräfte nehmen, so sind, wenn Sie hineinsehen gerade in die

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Erde, die Kräfte darinnen, die hineingekommen sind dadurch, daß Menschen in der Erde begraben worden sind, oder daß sie sonst irgend­wie zur Zerstörung gebracht worden sind, die Körper irgendwie zer­stört worden sind. Die Kräfte, die den Menschen geformt haben, sind nun in der Erde darinnen, wirken in dem Erdeninneren, sind da, sind erhalten.

So können wir sagen: Mephisto wird zunächst vor die Aufgabe ge­stellt, sich auseinanderzusetzen mit dem Wege des physischen Leibes, mit dem Wege, mit den Bahnen, die der physische Leib einschlagen will. - Da braucht er die Lemuren, ich möchte sagen, die nicht gespen­stische, sondern untergespenstische Wesen sind, Phantomwesen, die mit dem Erdenleib immer vereinigt sind als die Reste der gestorbenen Men­schen. Die braucht er.

Wissen Sie, was geschehen würde, wenn das vergehen würde, was uns seit der atlantischen Zeit eigen ist in Knochen, Sehnen und Bändern? Schon heute wäre die Erde nahe daran, und sie würde bald mehr daran sein, daß alle Menschen geboren werden würden mit sogenannten «eng­lischen Gliedern», mit mark- und kraftlosen Gliedern. Rachitisch wür­den die Menschen geboren werden, denn die Erde hat nur einen gewissen Fonds von der Kraft, die in unseren Knochenbewegungen und Sehnen­entwickelungen liegt. Und das, was wir wieder zurückgeben im Tode, geht immer auf einem geheimnisvollen Wege in die späteren Menschen-körper hinein. Rachitisch würden sonst die Menschen geboren werden. Und wenn man rachitisch geboren wird, so ist das ein Zeichen, daß man kein rechtes Verhältnis eingegangen ist in seinem Gesamtkarma zu jenen Kräften, welche die Erde immer wieder und wiederum gibt, und immer wieder und wiederum zurückerhält von den Knochen, Sehnen und Bändern der Menschheit.

Also ein unendlich tiefer, spiritueller Naturgedanke ist darinnen aus­gedrückt, daß Mephisto herbeigerufen hat diese untergespenstischen, diese reinen Phantomwesen, in deren Reihe auch Faustens Phantom eintritt. Wir müssen natürlich die Szene ganz geistig fassen. Die Faust­Erklärer haben immer geglaubt, es gehen da Knochenmenschen herum. Aber es sind nur die Kräfte, die in den Knochen, Sehnen und Bändern liegen, die übersinnlichen Kräfte. Die Szene ist durchaus geistig zu

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fassen, nur durch geistiges Schauen, nach Art des geistigen Schauens. Das also haben diese Lemuren an sich, was der Mensch an sich trägt dadurch, daß er ein Ich hat. Aber das Ich ist draußen. So auch alle Eigen­schaften, die erst durch das Ich hereingekommen sind, sind weg, sind nur halb vorhanden, nur Nachklänge. Daher sind sie da und sind auch nicht da. Wir Menschen sind erst dann da, wenn wir in Knochen, Sehnen und Bänder unser Ich hineinsenden. Das haben sie nicht mehr. Wir verstehen erst das, was wir gehört haben, wenn wir durch Knochen, Sehnen und Bänder unser Ich hineinsenden. Sie haben nur den Nachklang; sie hören und wissen nicht, was sie hören; sie haben einen Ruf vernommen und haben ihn nur halb vernommen, haben ihn vergessen, weil das Gedächt­nis in dem System liegt, das durch Knochen, Sehnen und Bänder zusam­mengestellt wird. Also indem Mephistopheles zunächst sich auseinander­setzen muß mit den Wegen, die der physische Leib des Faust macht, kommt er, der ein Geistwesen ist, aber auf der Erde seine Rechte gel­tend machen will, selbstverständlich in die Notwendigkeit, sich mit den Lemuren, so wie sie hier gemeint sind, befassen zu müssen, denn von ihnen könnte er das Geistige von Fausts physischem Leib erhaschen. Es liegt ja dem physischen Leib auch ein Geistiges zugrunde. Dieses Gei­stige könnte er erfassen.

Nun erinnern wir an etwas, um das Ganze zu verstehen, was wir fin­den können in dem Kapitel des Buches «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» da, wo von dem Hüter der Schwelle die Rede ist. Da werden Sie auseinandergesetzt finden, daß, wenn der Mensch eine höhere Entwickelung durchmacht nach dem Spirituellen hin, die einzel­nen Kräfte, die sonst in ihm vereinigt sind beim gewöhnlichen mensch­lichen Erkennen, auseinandergehen. Ich habe sie dort nach den Fähig­keiten charakterisiert. Wollen, Fühlen und Denken gehen auseinander, werden jedes etwas für sich. Mephisto, der zurückgeblieben ist auf der Mondenentwickelung mit seinem eigenen Wesen, war bekannt noch mit der Mondenentwickelung. So müssen Sie ihn auffassen. Er, der Me­phisto, ist in seiner praktischen Lebensauffassung bekannt mit der Mon­denentwickelung. Aber auch in der atavistischen Anschauung des Mon­des lag das, daß die Glieder des Menschen getrennt waren, noch nicht durch das Ich vereinigt waren. Wenn also Mephisto in seiner Art das

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Geistige des Faust erhaschen will, so muß er es eigentlich in der Dreiheit erhaschen. Er muß es erhaschen als das Geistige des physischen Leibes; da muß er sich mit den Lemuren auseinandersetzen. Dann muß er es erhaschen wollen als zweites Glied in dem Atherleib, der sich bald nach dem Tode abtrennt. Das kennt er, da muß er es erhaschen wollen. Und dann muß er es erhaschen wollen in dem, was in die geistige Welt über-tritt und sich vom Atherleib gelöst hat. Das durch das Ich Zusammen­geschlossene entspricht noch nicht seinem Reich, da ist er noch nicht zu Hause, der Mephisto, er hat noch die Getrenntheit. Also er muß instink­tiv einen Wert darauf legen, das zu erreichen, was das Geistige ist des physischen Leibes; da muß er die Lemuren arbeiten lassen. Nun will er, weil er nur in Getrenntheit das Seelische kennt, von diesem Getrenn­ten für sich erhaschen - er weiß nicht was -, den Atherleib, der durch die untere Gliedhaftigkeit des Menschen herausgeht. Da stellt er die Dickteufel hin, die sollen ihm den Atherleib erhaschen. Dann - weiß er nicht, wie es werden soll. Vielleicht kann er Faustens Geistiges beim dritten Glied erfassen, bei dem, was in die geistige Welt hinauf will? Da stellt er die Dürrteufel hin. Und so will er Faustens Geistiges er­fassen. Aber er muß, ich möchte sagen, mit Teufelsinstinkt die Dreiheit zusammenführen, die ihm den physischen Leib direkt in seiner Geistig­keit - Atherleib, Seelisch-Geistiges - übermitteln kann.

Ätherleib - sehen Sie, mit dem Ather, der da vorhanden ist, kommt die Physik nicht so ganz zurecht, weil der Ather eine merkwürdige Eigenschaft hat, die ihn unterscheidet von der gewöhnlichen Materia­lität. Er ist nicht schwer, er hat kein Gewicht. Die gewöhnliche Erden-schwere, die kann den Äther nicht halten. Mephisto will ihn halten. Er will ihn durch geistige Wesenheiten halten. Weil er schon geistig ge­worden ist, der Ather, soll er auch durch geistige Wesen gehalten wer­den. Dazu braucht er die Dickteufel, die als geistige Wesen eine gewisse Schwere haben. Sie müssen daher dickbäuchige Gäuche sein mit riesig dicken Leibern - selbstverständlich klein, denn würden sie hochragend sein, dann würden sie zu stark in die oberen Regionen reichen. Sie müssen klein gestaltet sein, dick, das Geistige muß bei ihnen erdver­wandt sein, das Geistige muß so sein, daß es dasjenige, was geistwärts fliegen will, auf der Erde erhalten kann. Sie müssen also klein und ausgepicht

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sein, und alles dasjenige, was in ihnen physiognomischer Aus­druck des Menschentums ist, muß plump sein. Sie müssen gewaltige Kräfte in ihrem gewissermaßen untersetzten Körper haben. Daher haben sie diejenigen Gliedmaßen, welche mehr vergeistigt sind, klein; sie wür­den in Wirklichkeit auch kleine Hände, Stumpfe, Armstumpfe haben müssen. Es ist schwer darzustellen, kann nur dargestellt werden, wenn sich die Schauspieler möglichst bemühen, bloß den unteren Teil der Arme in Bewegung zu versetzen; das muß natürlich geübt und ein-gelernt werden. Aber auch die Nase, die geht ins Schwere. Sie ist ent­wickelt, die Nase, die zum Horn geworden ist bei den Teufeln, sie geht ins Schwere; sie ist also mit der Stirn zusammen zum schweren Organ, das den Menschen nicht mit der Luft verbindet, sondern das durch Eigenschwere wirkt, gestaltet.

Solche Wesen braucht Mephisto, damit sie ihm den Atherleib, von dem wir wissen, welchen Weg er macht dadurch, daß er keine Erden-schwere hat, im übrigen Erdbereich zurückhalten können. Die muß er also anstellen, daß, wenn aus den unteren Regionen des Leibes des Faust der Ätherleib erscheint, sie diesen fassen können. Daher stellt er diese an:

Nur frisch heran! verdoppelt euren Schritt,

Ihr Herrn vom graden, Herrn vom krummen Horne,

Vom alten Teufelsschrot und -korne

Bringt ihr zugleich den Höllenrachen mit.

Zwar hat die Hölle Rachen viele! viele!

Nach Standsgebühr und Würden schlingt sie ein:

Doch wird man auch bei diesem letzten Spiele

Ins künftige nicht so bedenklich sein.

(Der greuliche Höllen rachen tut sich links auf.)

Eckzähne klaffen; dem Gewölb des Schlundes

Entquillt der Feuerstrom in Wut,

Und in dem Siedequalm des Hintergrundes

Seh' ich die Flammenstadt in ewiger Glut!

Das ist natürlich dieselbe Flammenstadt, die bei Dante vorkommt! -

Die rote Brandung... und so weiter.

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Da kommen sie, die dicken Teufel zunächst mit kurzem, gradem Horne! Er beschreibt sie nun:

Nun, wanstige Schuften mit den Feuerbacken!

Also sie sind in der Verfassung, in der die Mondenwesen noch Feuer geatmet haben. Sie sind «wanstige Schufte mit Feuerbacken», die «so recht vom Höllenschwefel feist» sind.

Klotzartige, kurze, nie bewegte Nacken!

Also alles ist unbeweglich; die Beweglichkeit ist ja schon halb geistig. Es ist alles an ihnen plump und ungelenk, alles so, daß sie den Geist zwingen in die Schwere hinein, weil sie den leichten Äther halten sollen. Und da postiert er sie:

Hier unten lauert, ob's wie Phosphor gleißt:

- ob da der Ätherleib herauskommt, den sie fangen sollen -

Das ist das Seelchen, Psyche mit den Flügeln,

- er sieht es als die Seele an! -

Die rupft ihr aus, so ist s ein garstiger Wurm;

Also er will den Ätherleib in Drachenform haben, nicht wahr.

Mit meinem Stempel will ich sie besiegeln,

Dann fort mit ihr im Feuerwirbelsturm!

Er sagt sehr treffend nun, indem er die Dickteufel dahin postiert:

Paßt auf die niedern Regionen,

Ihr Schläuche, das ist eure Pflicht;

Ob's ihr beliebte, da zu wohnen,

So akkurat weiß man das nicht.

Wie soll er es auch wissen, denn er hat ja die drei Glieder der Seele; er weiß es nicht recht, an was er sich hinmachen soll!

Im Nabel ist sie gern zu Haus,

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Das ist ja die Region, wo der Ätherleib zunächst verlassen muß den Menschen.

Nehmt es in acht, sie wischt euch dort heraus.

Da haben wir also die dicken Teufel mit kurzem, gradem Horn, die versuchen wollen, das Geistige so zu gestalten, daß es Erdenschwere entwickelt.

Den dritten Teil, den will Mephisto bezwingen durch die Dürrteufel. Die müssen ganz dünne Kerle sein, wiederum schwer darzustellen! Ganz dünn, und alles geistig geworden, also Nase und Stirn zusammen zu einem Horn vereinigt, welches die Materie möglichst überwindet, in teuflischer Art überwindet, also krumm und lang, weil sie es erreichen sollen, recht geistig zu werden, die Erdenschwere ganz zu überwinden. Daher sind sie «Firlefanze», so wie Drehkreisel, bewegen sich rasch wie Drehkreisel. Sie müssen nun angestellt werden, um dasjenige, was in die geistige Welt geht - das Dritte -, zu fangen. Also sie sollen sozusagen den Kräften, die gerade aus der Schwere heraus sich entwickeln, nach­sausen. Das, was sie nicht in die Erdenschwere hereinkriegen sollen, sollen sie also, wie ein Kreisel - der Schwere entgegengesetzt - ent­wickeln durch ihre langen, beweglichen Glieder, die eigentlich aus ihnen herauswachsen müßten. So sollen sie sich entwickeln. So stellt Mephisto sie an:

Ihr Firlefanze, flügelmännische Riesen!

Greift in die Luft, versucht euch ohne Rast;

Die Arme strack,

- strack heißt lang in diesem Falle, daß sie dünn und lang werden -

Die Arme strack, die Klauen scharf gewiesen,

- also lange Klauen statt der Finger gehen heraus -

Daß ihr die Flatternde, die Flüchtige faßt.

- die Seele, die in die geistigen Welten geht -

Es ist ihr sicher schlecht im alten Haus,

Und das Genie

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- im Gegensatz zum Ätherleib das Genie, das immer seelisch-geistig ist -

Und das Genie, es will gleich obenaus.

Da sehen Sie, wie nach dem, wie der Mensch konstituiert ist, die Funk­tion der Lemuren auf den physischen Leib, der Dickteufel auf den Ätherleib, der Dürrteufel für das Geistig-Seelische scharf, klar um­rissen ist!

Nun naht die himmlische Schar, die himmlische Heerschar, also die Wesen, die den geistigen Welten angehören. Und die Sache ist so darge­stellt, daß alle diejenigen, welche dienen können dem Mephisto - Lemu­ren, Dick- und Dürrteufel -, nichts erreichen. Die himmlische Heer-schar kommt:

Folget Gesandte,

Himmelsverwandte,

Gemächlichen Flugs;

Sündern vergeben,

Staub zu beleben;

Allen Naturen

Freundliche Spuren

Wirket im Schweben

Des weilenden Zugs.

Das sind also Wesenheiten, die zwar auch nicht das Irdische mit­gemacht haben, aber nicht Anspruch machen, in die Erdensphäre her-einzuwirken, sondern nur auf das Geistig-Seelische des Menschen wir­ken. Mephisto ist gerade deplaciert, er ist Geist geblieben, Mondengeist, und wirkt auf die Erde herein. Die sind in ihrem Gebiet geblieben. Sie müssen daher ihm vorkommen wie Menschen, die nicht einmal Men­schen geworden sind, sondern die noch Vormenschen sind, unmündig sind, weniger als Kinder.

Mißtöne hör' ich, garstiges Geklimper,

Von oben kommt's mit unwillkommnem Tag;

Es ist das bübisch-mädchenhafte Gestümper,

Wie frömmelnder Geschmack sich's lieben mag.

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Und so weiter. Die tiefe Verwandtschaft als Geistwesen, die er mit den Engeln hat, kennt Mephisto natürlich sehr gut. Sie sind beide Geist-wesen geblieben. Daher nennt er sie Teufel nach seiner Art, aber ver­kappte Teufel.

Es sind auch Teufel, doch verkappt.

Nun beginnt der Kampf dieser Engelschar mit dem, was da unten an Dick- und Dürrteufeln sich bemüht um Fausts Seele. Der Mephisto steht da, muß diesen Kampf mitmachen. Er weist seine Teufel an, denn er wittert etwas. Was wittert er denn eigentlich? Ja, er kennt die Drei­heit als Seelisches. Aber das ist nicht fähig, die Ich-Einheit zu erfassen. Er glaubt nicht, daß beim Faust die Ich-Einheit so stark ist, daß sie die Dreiheit zusammenhält. Das ist sein großer Irrtum. Während er eigent­lich immer von der Dreiheit der Seele redet, wird geltend gemacht in diesem Moment die Einheit des Seelischen von der geistigen Welt aus, die alles zusammenhält. Würde diese Einheit, diese Ich-Einheit nicht da sein, da würden die Lemuren das Geistige des physischen Leibes, ohne daß es im Zusammenhang geblieben wäre mit der Gesamtwelt, mit dem Gesamtkosmos, für sich an sich ziehen können, es würden die Dürr­teufel die Seele fassen können, das Genie. Aber weil sie beim Erden-menschen durch das Ich zusammengehalten werden zwischen der Geburt und dem Tod, geht zwar ein jedes seinen Weg: der Leib zur Erde, der Ätherleib in die Ätherregion, dasjenige, was Seele ist, in die geistige Region, aber sie bleiben füreinander bestimmt. Es bleibt ein Zusam­menhang. Und sobald der Zusammenhang, der durch den Charakter des Ich hervorgerufen wird, da ist, kann der Teufel nichts machen. Aber er stellt sich ganz richtig an.

Was duckt und zuckt ihr? ist das Höllenbrauch?

- die Dick- und Dürrteufel verspüren, daß da ein anderes Element kommt.

So haltet Stand und laßt sie streuen.

Die streuen nämlich Rosen als Symbolum der geistigen, von oben kom­menden Liebe.

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An seinen Platz ein jeder Gauch!

Sie denken wohl, mit solchen Blümeleien

Die heißen Teufel einzuschneien;

Das schmilzt und schrumpft vor eurem Hauch.

Nun fangen sie an, weil er ihnen befiehlt:

Nun pustet, Püstriche! -

Nun pusten sie das fort, was da als Liebesqual um sie geht. Das ist ihnen heiße Glut, die sie nicht aushalten. Nun pusten sie, aber sie pusten zu stark, weil sie die rechten Maße nicht finden können. Sie sind nicht auf dasjenige eingelernt, was durch Erdenentwickelung gebildet wird.

- Genug, genug! ...

Daß ihr doch nie die rechten Maße kennt!

Er kennt sie auch nur, insofern er sie auf der Erde beobachtet; aus seinem eigenen Wesen kennt er sie auch nicht, die rechten Maße. Aber weil er so lange beim Faust war und gesehen hat, was der Faust bedarf, erkennt er wiederum für eine Weile die Maße der Menschen.

- - Genug, genug!

Vor eurem Brodem bleicht der ganze Flug. -

Nicht so gewaltsam! Schließet Maul und Nasen!

Fürwahr, ihr habt zu stark geblasen.

Daß ihr doch nie die rechten Maße kennt!

Das schrumpft nicht nur, es bräunt sich, dorr't, es brennt!

Schon schwebt's heran mit giftig klaren Flammen;

Stemmt euch dagegen, drängt euch fest zusammen! -

Die Kraft erlischt! dahin ist aller Mut!

Die Teufel wittern fremde Schmeichelglut.

Ihm ist die Liebe nur Schmeichelei, er setzt alles ins rein Egoistische um. Und so sehen wir, wie durch diesen Kampf, der sich hier entspinnt, wie da in der Vorstellung - denn das Ganze spielt sich ab in der Vorstellung des Mephisto, der sich eine Weile zurückversetzt in seine alte Monden­zeit -, wie sich da für die Vorstellung des Mephisto die Möglichkeit

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zeigt, er könnte die Seele in der Dreiheit haben, während sie eigentlich durch die Einheit ihm entrissen ist.

Das Interessante ist, daß wir gerade in dieser Szene auch ein Bewußt­sein finden von der inneren geistigen Evolution der Menschheit. Denken Sie doch an das, was ich oftmals gesagt habe, daß nur eine gewisse Be­schränktheit glauben kann, wenn man zurückgeht, soweit als es Men­schen gibt, hätten sie immer gleich ausgesehen; also seelisch denkt man sich namentlich die Römer, Griechen, Ägypter alle mehr oder weniger doch schon so wie die jetzigen Menschen, während große Entwickelun­gen durchgemacht worden sind. Die Menschen, die stets nur an die aller­letzten Jahrhunderte denken, wissen nichts von dem, was die Menschen im Laufe der Jahrhunderte in der Evolution durchgemacht haben. Aber die geistigen Wesen merken das, weil sie geistig die Sache ansehen. Und daher ist es so schön, daß wir aus Mephistos Worten hier an Faust ge­rade das sehen, was er, Mephisto, der natürlich ein alter Bursche ist, die ganze Erdenentwickelung durchgemacht hat - Sie wissen, wie er an einer Stelle sagt, daß er einmal «kristallisiertes Menschenvolk» gefun­den hat! - ja, Mephisto sieht da, wie es anders geworden ist:

Der Körper liegt, und will der Geist entfliehn,

Ich zeig' ihm rasch den blutgeschriebnen Titel; -

Also, was will er eigentlich? Faust ist gestorben. Die Seele will er haben, von der er nur die Dreiheit weiß. Wir erinnern uns, daß ja Faust mit Mephisto einen Vertrag geschlossen hat, der mit Blut sogar geschrie­ben ist, einen Vertrag. Was will nun Mephisto eigentlich, Mephisto­Ahriman? Was will er denn? Er will sich auf seinen Vertrag berufen. Wenn er nun in dem Augenblick, wo die Seele herauskommt, den Ver­trag zeigt, da, glaubt er, kann ihm die Seele nicht entschlüpfen. Nun, von diesem Punkte aus will ich lieber nicht weiter sprechen angesichts mancher schnöden Worte, die in dieser aufgewühlten Zeit wiederum gefallen sind. Nachdem schon unsere Freunde beschuldigt sind, über Verträge nicht recht zu denken, so will ich nicht jetzt eine Vertrags-theorie entwickeln, die etwa wiederum ausgenützt werden könnte. Viel­leicht könnte sogar gesagt werden, wenn ich nicht gerade in dieser Szene auf die Seite des Mephisto trete, sondern auf die Seite des Faust: Faust

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wäre in bezug auf seine Vertragsauffassung so ein rechter Pangerma­nist! - Ich will nicht weiter reden über die Misere, in die man da hinein­kommen könnte, denn entweder müßte man für Mephisto -Ahriman Partei ergreifen, oder man würde der Gefahr sich aussetzen, weil Faust auf den blutgeschriebenen Titel nicht eingeht, uns als eine pangerma­nistische Auffassung das anzukreiden. Also schweigen wir lieber über all diejenigen tieferen Weisheiten, welche man entwickeln müßte, wenn man über Faustens und Mephistos Vertrag sprechen würde. Lassen wir das!

Aber die Evolution mit ihrem inneren Sinn, sie tritt uns entgegen bei den Worten des Mephisto, der darauf aufmerksam macht, daß die Zeiten sich ändern und mit ihnen die Impulse, die in der Menschheitsentwicke­lung sind. Früher, da verstand er sich noch ziemlich gut, die Seelen zu erhaschen, als die alten - heute nennt man es Aberglaube, aber wir wissen, es waren die etwas hellseherischen Zeiten -, als die alten Zeiten da waren. Da waren wirklich die Seelen noch in der Dreiheit leicht da; da konnte er wirklich die Seelen, wenn die Sache gut vorbereitet war

- und schließlich, vorbereitet hat er sie ja bei Faust ganz gut -, noch erhaschen. Aber jetzt, wo der fünfte nachatlantische Zeitraum anrückt, und die Einheit der Seele hergestellt wird durch das Ich, da hat er noch nicht seine volle Schulung durchgemacht.

Doch leider hat man jetzt so viele Mittel,

Dem Teufel Seelen zu entziehen.

Auf altem Wege stößt man an,

Auf neuem sind wir nicht empfohlen.

Es muß wirklich aufmerksam gemacht werden auf Mephistopheles­Ahrimans Art im fünften nachatlantischen Zeitraum, und da findet er sich eigentlich «schlecht empfohlen» in diesem fünften nachatlantischen Zeitraum. Er ist auch nicht sehr gut empfohlen, der Teufel, empfohlen nicht, weil er nicht anerkannt wird, wenn er irgendwo vorgestellt wird als Mephistopheles -Ahriman, da gilt er nicht als standesgemäß.

Den Teufel spürt das Völkchen nie,

Und wenn er sie beim Kragen hätte.

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Da ist er doch; aber empfohlen ist er nicht. Und so holt er sich denn die Helfershelfer, von denen er glaubt, daß sie ihm verhelfen können zu dem, was er will: die Seele in ihrer Dreiheit. Aber daß sie in der Dreiheit, in ihrer ursprünglichen Gestalt nicht mehr vorhanden ist, das läßt sie ihm entschlüpfen.

Es ist schon einmal mit diesem Mephisto -Ahriman eine kuriose Sache. Da kommen die Wesen, die der geistigen Welt angehören, in seine Sphären herunter, und - ja, er verliebt sich eigentlich in diese Wesen. Goethe schildert ganz recht eine Liebesszene zwischen Mephisto und den Engeln. Der Teufel hat Verstand. Und eine Liebschaft zwischen Mephisto und den Engeln ist wahrhaftig eine absurde Liebschaft, so nennt sie auch der Mephisto, es ist schon eine absurde Liebschaft. Aber wie kommt es denn, daß ihn diese absurde Liebschaft doch befallen kann? Daß überhaupt Liebesempfindungen in ihm entstehen? Hätte er nicht so lange an der Seite des Faust gelebt und den Faust betören wollen dadurch, daß er in Faust dergleichen Gefühle besonders verlockend an­geregt hat, so würden sie auf ihn nicht übergegangen sein. Und so haben Sie hier wiederum eine tiefe Weisheit, eine wunderbare Weisheit. Der Teufel hat eigentlich keine erotische oder sonstige Liebe im irdischen Sinne. Die hat er nicht. Liebschaft ist natürlich für ihn absurd, denn wir wissen ja, daß die Erde der Kosmos der Liebe ist. Er ist aus dem Kosmos der Weisheit. Aber er ist deplaciert, er wandert auf der Erde herum und will immer die Erde seinem Reich einverleiben. Dadurch kommt er immer wieder in die Lage, sich selbst Eigenschaften, die auf der Erde entwickelt werden und die jetzt zu seiner Natur nicht mehr passen, einzuverleiben. Er muß, um in die Hoffnung kommen zu können, eine Seele zu erringen, diese Seele für den Teufel präparieren, das heißt, sie geeignet machen, die Eigenschaften, die Luzifer am Beginne eingepflanzt hat, zu erfassen. Aber dadurch wird er selber von dieser Eigenschaft angesteckt und macht sich wiederum unfähig, diese Seele halten zu kön­nen. Sie sehen hier im Großen bei dem Teufel ausgebildet dasjenige, was im Kleinen eintritt. Denken Sie sich einmal, der Mensch ist auch dazu veranlagt, Leidenschaften zu erregen, aber wenn er sie bis zu einem gewissen Punkte entwickelt, so zerstören sie ihm zu gleicher Zeit den Organismus. Man kann es also nur bis zu einem gewissen Punkte treiben.

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Der Teufel muß menschliche Eigenschaften gewissermaßen vam­pirisch in sich einsaugen, damit er in Faust die Leidenschaften erregen kann. Aber damit zerstört er in sich selber seine rechte Teufelsnatur. Dadurch ist es möglich, daß die absurde Liebschaft zu den Engeln ent­steht, und er unaufmerksam wird und gar nicht merkt, daß ihm die Engel die Seele wegschnappen. Diese Umdüsterung des Bewußtseins, dieser Übergang des Bewußtseins in das Unterbewußte, das mußte schon bei ihm eintreten.

Da wir heute die Aufführung noch haben werden, kann ich nicht mehr sagen. Ich denke, es ist vorläufig genug gesagt, um das Verständnis gerade der in dieser Szene liegenden Dreiheit ein wenig zu vermitteln. Ich denke, wir sehen, gerade wenn wir uns einer solchen Betrachtung hingeben, wie unendlich tief dasjenige ist, von dem Goethe sagt, daß er es in den zweiten Teil des «Faust» hineingeheimnißt hat.

Solche Leute, welche in sich die Vorstellung hervorrufen konnten davon, daß durch die Evolution der Menschheit spirituelle Weisheit geht, daß sie nur in unserer Zeit etwas zurückgetreten ist, daß diese spirituelle Weisheit oftmals nur noch wie ein Schatten ruht in allerlei berechtigten oder unberechtigten okkulten Gesellschaften, solche Leute wußten als Vereinzelte immer, welche tiefe Weisheit in Goethes «Faust» steckt, reale Weisheit, konkrete Weltenweisheit. Daher haben sie sich in diesem Sinne ausgesprochen. Und ein solcher hat zum Johannisfeste 1880 den Manen Goethes ein kurzes Gedicht gewidmet, ein Gedicht, in dem er ausdrücken wollte, wie sehr er sich eins fühlte mit ihm in spiri­tueller Weisheit, ein Mann, der durch die Gelehrsamkeit des materia-listischen Zeitalters im Grunde doch eigentlich recht wenig von Goethe mehr in sich hatte, recht wenig Konkretes. Und da Geisteswissenschaft noch nicht geboren war, als dieser Mann schrieb, so hatte er nur ein dumpfes Gefühl, daß diese Geisteswissenschaft in Goethe wie ein In­stinkt lebt. Der Faust-Kommentar, den er daher geschrieben hat, Oswald Marbach, ist nicht bedeutend geworden. Aber in dem Gedichte, das er zum großen Weisheits-Maurerfeste den Manen Goethes gewid­met hat - so hat man ja früher immer gesagt, wenn man zu dem unsterblichen Teile des Menschen gesprochen hat, Manen, worinnen derselbe Geist lebt, der in dem Manas lebt -, da zeigt sich, daß, gewissermaßen

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wie halb bewußt nur in einsamen Seelen, doch immer der Zusammenhang da war mit dem Großen, das in Goethes Dichtung ge­lebt hat. Und daher sagt dieser, der sich verbunden fühlte mit den Manen Goethes, mit der Individualität Goethes, zum Johannes-, zum Maurerfeste i88o:

Dir - Bruder - Vater - hoch erhabner Meister!

Dem über ein Jahrhundert heut als Zeichen

Der treusten Lieb im Bunde freier Geister

Wir unsre festverschlungnen Hände reichen; -

Der Geister Größter und der Freien Freiester!

Zu dem empor wir streben, ihm zu gleichen; -

Dir weih'n wir uns! Dir weih'n wir unsre Söhne,

Daß unsern Bau dereinst Vollendung kröne!

Du hast gestrebt wie wir; doch Dein Bestreben

Nach Selbsterkenntnis, die zur Weisheit leitet,

War stets beseelt von urgesundem Leben,

Von Schöpfer-Stärke, die zu Taten schreitet,

Zu Werken, die zum Licht empor sich heben,

Um die der Schönheit Glanz sich ewig breitet:

Du hast wie Israel mit Gott gerungen,

Bis Du als Sieger selber Dich bezwungen!

Was uns geheimnisvoll mit Dir verbündet,

Wird Ungeweihten durch kein Wort verraten;

Doch sei es laut vor allem Volk verkündet

Durch reinster Liebe nimmermüde Taten,

Durch klares Licht, das Geist im Geist entzündet,

Durch ewigen Lebens immergrüne Saaten. -

Voran, 0 Meister! Wo Du hingegangen,

Zieht Dir uns nach sehnsüchtigstes Verlangen.

Möge wieder eine Zeit kommen, in der solche Worte Wahrheit sein mögen und können!

GOETHES EINBLICKE IN DIE GEHEIMNISSE DES MENSCHLICHEN DASEINS Dornach, 9. September 1916

#G272-1967-SE254 Faust I: Faust, der strebende Mensch

#TI

GOETHES EINBLICKE

[N DIE GEHEIMNISSE DES MENSCHLICHEN DASEINS

Dornach,, 9. September 1916

#TX

nach einer eurythmischen Darstellung der Szenen «Mitternacht> und «Grablegung>

Wir haben wieder ein Stück des Goetheschen «Faust» vor unserer Seele vorüberziehen lassen. Einiges von dem, was aus geisteswissenschaftlichen Grundlagen heraus in das Verständnis einführen kann, versuchte ich im letzten Vortrag hier zu entwickeln, als ich über das Wesen der Lemuren, der Dick- und Dürrteufel sprach. Bei einer solchen Gelegenheit versuchen wir dann immer, nicht bloß etwas zum Verständnis dieser Dichtung uns aufzusuchen, sondern von der Dichtung ausgehend einiges zu gewinnen in allgemein geisteswissenschaftlicher Bedeutung, Ausblicke zu tun in jene wahren Wirklichkeiten, die Goethe zu erreichen versuchte mit sei­nem «Faust».

Heute möchte ich einige Betrachtungen anknüpfen gerade an das­jenige, was eben vor unserer Seele vorübergezogen ist. Bedeutsam kann es uns doch erscheinen, daß diese Szene, die wir gerade haben zu Ende gehen sehen, nicht die letzte Szene des Goetheschen «Faust» ist, sondern daß sie, wie wir wissen, gefolgt ist von jener andern Szene, die wir vor einiger Zeit schon hier aufgeführt haben. Sie erinnern sich: Bergschluch­ten, Wald, Fels, Einöde, heilige Anachoreten, Chor, Echo, Waldung, die heranschwankt und so weiter, wo wir geführt werden durch die an­dächtige Meditation des Pater ecstaticus, Pater profundus, Pater Sera­phicus, durch den Chor der seligen Knaben, wo uns die Engel wieder begegnen, welche in der Szene, die wir heute gesehen haben, Faustens Unsterbliches in die oberen Regionen tragen, wo uns ferner begegnet die Dreiheit der Büßerinnen, der Doctor Marianus, die Mater gloriosa als Gretchen-Führerin bis zum Schlußchor, dem eigentlichen mystischen

Chor:

Alles Vergängliche

Ist nur ein Gleichnis ..

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Das alles folgt auf jene Szene, die wir heute gesehen haben, und die darstellt den Kampf der Lichtgeister mit den Geistern der Finsternis um die Seele des Faust.

Man geht oftmals, wenn man den «Faust» zu erklären versucht, von Szene zu Szene, ja oftmals von Satz zu Satz, man stellt nicht Fragen, die gestellt werden können, und die eigentlich erst Licht verbreitend sind über diese große, gewaltige Dichtung. - Wir haben heute gesehen, wie Fausts Grablegung erfolgt ist, wie Mephistopheles-Ahriman sein Spiel verloren hat, wie die Seele in die geistigen Regionen hinaufgetra­gen worden ist. Man könnte sich von einem gewissen Gesichtspunkte aus fragen: Könnte denn nicht die Faust-Dichtung eigentlich damit schlie­ßen? Wissen wir jetzt nicht im Grunde genommen alles, um was es sich handelt? Wissen wir nicht, daß Mephistopheles seine Wette verloren hat, daß alle Anstrengungen, die er hat machen können durch die Lebenszeit des Faust hindurch, die er hat begleiten können, verloren sind, daß Faustens Seele in die Lichtregion aufgenommen ist, daß also das ebenfalls im Hinblick auf eine Faust-Dichtung von Lessing gespro­chene Wort gegenüber den Geistern der Finsternis: « Ihr sollt nicht sie­gen» erfüllt ist? Könnten wir nicht glauben, damit wäre eigentlich alles aus, die Faust-Dichtung hätte ihr Ende gefunden? - Die Frage stellt sich uns vor die Seele: Warum folgt denn der uns bekannte Schluß nun noch auf dasjenige, was wir heute gesehen haben? - Und indem man diese Frage aufwirft und sich dann mit ihrer Beantwortung beschäftigt, rührt man an bedeutungsvolle Geheimnisse des menschlichen Lebens in seinem Zusammenhange mit dem Weltganzen. Daß Goethe diesen Schluß des «Faust» so gestaltet hat, wie er ihn gestaltet hat, zeigt gerade, wie tief er in den Untergründen seines Lebens in einer Zeit, in der es die Geisteswissenschaft noch nicht gegeben hat, Einblick hatte in die Ge­heimnisse des menschlichen Daseins. Vieles, vieles liegt in der Szene, die heute vorgeführt worden ist, und noch mehr liegt in der Tatsache, daß diese Szene gefolgt wird von andern Schlußszenen. Vieles von dem, welches beweist, daß Goethe tiefste Geheimnisse des Daseins kannte, daß er aber auch genötigt war, in einer solchen Weise die Geheimnisse des Daseins vorzuführen, welche nur dem, der tiefer in das geistige Leben, in seine Wesenheit sich einlassen will, zugänglich sind. Ganz

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absichtlich hat Goethe vieles verhüllt ausgedrückt, wie er selbst sagte, in die Faust-Dichtung hineingeheimnißt. Vieles von dem gewissermaßen nur in Umhüllung gesagt, was bei den stumpfsinnigen Menschen, die aus Furcht und Bequemlichkeit nicht an die Erkenntnis der geistigen Welt heran wollen, Haß und Gegnerschaft auslöst, vieles von dem hat er verhüllt angedeutet. Allerdings ist dadurch auch durch vierundacht­zig Jahre die Faust-Dichtung Goethes mehr oder weniger unverstanden geblieben und wird erst nach und nach, wenn wir der Zukunft entgegen-leben können, in ihren Tiefen sich der Menschheit enthüllen. Ja, man kann schon sagen, die geisteswissenschaftliche Erkenntnis wird erst die­jenigen künstlerischen Empfindungen auslösen können, welche das Ver­ständnis der Faust-Dichtung vermitteln können.

Blicken wir zunächst zurück auf die erschütternd eindrucksvoile Szene, in der Faust ansichtig wird der vier grauen Weiber: des Mangels, der Schuld, der Not, der Sorge. Seien wir uns klar darüber, daß Faust dieses Erlebnis mit den vier grauen Weibern hat in einem Augenblicke, da er durchgegangen ist durch viele, viele geistige Lebenserfahrungen, besser gesagt: Lebenserfahrungen, die bei ihm geistiges Verständnis hervorgerufen haben. Goethe stellt sich seinen Faust in der Zeit, welche für den Faust dargestellt wird durch diese Schlußszene, hundertjäh­rig vor, hundert Jahre alt geworden, das hat Goethe selbst ausgespro­chen. Heute ist Faust zunächst vor uns gestanden mit diesen ganzen in seiner Seele vergeistigten Erfahrungen, wie er auf dem Balkon steht seines Heinis, das er sich geschaffen hat an einer Arbeitsstätte, von der aus er für die menschliche Zukunft hat Arbeit leisten wollen. Auf seine Seele blicken wir so, daß in deren Empfindungen sich gleichsam zusam­menfaßt all das, was er an Befriedigung empfindet, was er hat leisten dürfen für die Menschheit dadurch, daß er ein freies Land für freie Menschen dem Meere abgerungen hat.

Die Sterne bergen Blick und Schein,

Das Feuer sinkt und lodert klein;

Ein Schauerwindchen fächelt's an,

Bringt Rauch und Dunst zu mir heran.

Geboten schnell, zu schnell getan!

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Nun geht scheinbar vor seinem Blick, in Wahrheit in innerer Vision, dasjenige vor, was die Erscheinung der vier grauen Weiber bildet:

Was schwebet schattenhaft heran?

Wir müssen uns vorstellen, daß durch die Vertiefung, welche die Seele Fausts erfahren hat, diese Seele fähig geworden ist, aus dem tiefen inneren Born selber heraus die Vision der vier Gestalten - des Mangels, der Not, der Sorge, der Schuld - zu haben. Innerliches Erlebnis im wahrsten Sinne des Wortes ist diese «Szene um Mitternacht», innerliches Erlebnis, wie es in Faust dadurch hervorgerufen wird, daß sich die Seele beginnt langsam vom Leibe zu lösen. Denn das ist das merkwürdig Geheimnisvolle, was Goethe ganz augenscheinlich beabsichtigt hat, daß von dem Augenblicke an, wo die drei grauen Weiber sprechen das

Wort:

Es ziehen die Wolken, es schwinden die Sterne!

Dahinten, dahinten! von ferne, von ferne,

Da kommt er, der Bruder, da kommt er, der - Tod,

- daß von diesem Moment ab bereits sich der Tod wirklich breitet über Faustens Leben. Und nur dann verstehen wir diese Szene recht, wenn wir uns von da ab Faust wie einen Sterbenden denken, wie einen, bei dem sich die Seele langsam loslöst vom Leibe. Und unrecht wäre es, wenn man sich denken würde, daß dasjenige, was jetzt folgt, bloß äußerlich sinnlich realistisch gemeint sei. Das ist es nicht. Indem wir Faust im Zimmer seines Palastes, in das die Sorge eingetreten ist, sehen, finden wir, so wie er da sitzt, daß die Seele in einer gewissen Weise sich schon gelockert hat von dem Leibe, daß zusammenfließen die Erfahrun­gen des physischen Lebens mit den Erfahrungen, welche die Seele macht, wenn sie sich schon vom Leibe gelockert hat. Und nur dann verstehen wir die merkwürdig tief ineinandergeflochtenen Sätze, wenn wir dieses Ineinanderspielen der geistigen Welt, in die Faust sich schon hinein-versetzt durch seine sich lockernde Seele, ins Auge fassen, dieses Zu­sammenspielen der geistigen Welt mit der physisch-sinnlichen Welt, in der Faust noch ist, weil eben die Seele sich lockert, noch nicht gelöst hat. Mangel, Schuld, Not vermochten nichts, sie sind nur die Verkündiger

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gewesen des Todes. Aber die zehrende Sorge bleibt da, wo sich die Vision so verwandelt, daß sie schon die Vision der vom Leibe gelocker­ten Seele ist:

Vier sah ich kommen, drei nur gehn;

Den Sinn der Rede konnt ich nicht verstehn.

Es klang so nach, als hieß es - Not,

Ein düstres Reimwort folgte - Tod.

Es tönte hohl, gespensterhaft gedämpft.

Wenn man weiß, was Goethe bei dem Worte gespensterhaft empfand, er, der viel konkreter bei den Worten empfand als die heutigen stump­fen Materialisten, dann nimmt man ein solches Wort:

Es tönte hohl, gespensterhaft gedämpft -

auch nicht leicht, sondern wichtig und wesentlich und sucht nach der Empfindung, die Goethe hatte, als er dem Faust diese Worte in den Mund legte. Bei Goethe findet sich unter anderem ein schönes Wort, worinnen er das Folgende ausspricht. Er sagt: «Manchmal kommt mir das Leben vor, wie wenn urferne vergangene Ereignisse in das gegen­wärtige Bewußtsein hereintreten würden, und dann erscheint alles fern Vergangene wie Gespenst, das in die Gegenwart herein sich versetzt.» Goethe hatte einen sehr konkreten Begriff von dem, was er gespenster-haft nannte. Da standen vor ihm, visionär, jahrtausendealte Zeiten seines eigenen Lebens, die er oftmals glaubte, wie die Gespenster herein-rücken zu sehen in sein gegenwärtiges Leben. Da sind nicht Behauptun­gen, die ich tue aus der Willkür heraus, das läßt sich streng nachweisen aus dem, was Goethe selber geäußert hat, wenn er sich intim äußerte über die Erfahrungen seines inneren Lebens.

Nun fließen die Anschauungen, die Gedanken zusammen, die der Faust hat, halb darinnenstehend in der geistigen Welt, halb noch auf dem physischen Plane lebend. Wie wenn Sie sich das Ineinanderspielen dieser zwei Welten vorstellen würden, so ist es nun für Faust. Er erlebt jetzt etwas, was man eigentlich nur in diesem Ineinanderspielen der zwei Welten erleben kann, was nicht entwickelt würde, wenn er sich mehr entfernt haben würde von seinem physischen Leibe. Gebunden

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fühlt er noch die Ereignisse von jenseits der Schwelle an die Ereignisse des physischen Lebens:

Noch hab' ich mich ins Freie nicht gekämpft.

Und nun die merkwürdige Rede, die manchem wie ein bloßer Wider­spruch erscheinen wird, die aber gerade verständlich wird, wenn man das Erlebnis so faßt, daß es sich abspielt zwischen physischem Leben und geistigem Leben. Die geistige Welt suchte Faust zu erreichen sein ganzes Leben hindurch. Geisteswissenschaft im eigentlichen Sinne gab es ja damals nicht. Er hat die geistige Welt versucht zu erkennen auf dem Wege der vom Mittelalter her übernommenen Magie, jener Magie, die ihn in Zusammenhang brachte mit Ahriman-Mephistopheles in der Weise, wie wir das öfter und auch im letzten Vortrag besprochen haben. Diese Magie, durch die er in die geistige Welt gelangte, ist von Mephi­stopheles nicht zu trennen. Blicken Sie auf das zurück, was sich zugetra­gen hat um Faust herum, Sie werden überall sehen, daß Mephistopheles die magischen Handlungen in Szene gesetzt hat. Da können wir nicht hoffen, daß Faust festhalten will, jetzt, da er schon halb darinnensteht in der geistigen Welt, an dieser Magie:

Könnt' ich Magie von meinem Pfad entfernen,

Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen.

Jene Zaubersprüche, die er sich aus alten Büchern geschöpft hat, und die schon, weil sie sich von alten Zeiten erhalten haben, luziferisch und ahrimanisch geworden sind. Auf diesem Wege findet er jetzt, wo er wirklich die geistige Welt betritt, daß das, was er erreicht hat, doch nicht das war, was er gesucht hat. Und jetzt blickt er zurück. Er beginnt schon zurückzublicken, wie man bei der gelockerten Seele zurückblickt. Jetzt beginnt er zurückzublicken in das eben verflossene Leben. Der Augenblick steht lebendig vor ihm, der Augenblick, bevor er zu den mittelalterlichen Büchern gegriffen hat, bevor er das verhängnisvolle Wort ausgesprochen hat:

Drum hab' ich mich der Magie ergeben.

Er ist durch gute Kräfte, die ihn gnadevoll geleitet haben im Sinne

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des «Prologs im Himmel», bewahrt geblieben vor den Früchten der­jenigen Magie, die er hätte pflücken müssen, wenn dieses gnadevolle Wirken besonderer Kräfte nicht durch seinen Lebensweg durchgegangen wäre. Jetzt sieht er schon hinein in die geistige Welt, jetzt weiß er es anders. Das spielt hinein. Mit dem jetzigen Wissen würde er den Weg anders machen:

Stünd' ich, Natur! vor dir ein Mann allein,

Da wär's der Mühe wert, ein Mensch zu sein.

Das konnte er früher, solange er seine Seele nicht gelockert hatte vom Leibe, nicht sagen in dieser Weise. Da mußte er den ganzen Irrtumsweg machen. Jetzt blickt er zurück, sieht, daß es eben doch der Weg durch die Finsternisse des Mephistopheles war. Zurück blickt er zunächst auf diejenige Zeit seines Lebens, da Mephistopheles noch nicht seine Bahn durchkreuzt hatte:

Das war ich sonst,

- ein Mensch allein -eh' ich's im Düstern suchte,

Mit Frevelwort mich und die Welt verfluchte.

Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll,

Daß niemand weiß, wie er ihn meiden soll.

Die ganze Schwere der Ereignisse liegt jetzt auf seiner Seele.

Wenn auch ein Tag uns klar vernünftig lacht,

In Traumgespinst verwickelt uns die Nacht;

Wir kehren froh von junger Flur zurück,

- so hat er ja sein Leben zugebracht, halb bloß in der physischen Welt, halb schon - obzwar im physischen Leib - von Mephistopheles in die geistige Welt versetzt, hineinblickend in die geistige Welt, aber immer wieder und wiederum zurück müssend in die physische Welt, weil Mephistopheles nicht finden kann, ihn auch nicht vermitteln kann, den Zugang, weil er den Zusammenhang doch nicht ordentlich findet.

Ein Vogel krächzt; was krächzt er? Mißgeschick.

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Auf diesem Wege ist nur Aberglaube zu finden.

Von Aberglauben früh und spät umgarnt -

Es eignet sich, es zeigt sich an, es warnt -

Und so verschüchtert stehen wir allein.

Immer hat sich der Weg des Aberglaubens, allerdings in den starken Weg, den Faust durch seine eigene starke Natur gehen konnte, gemischt. Und jetzt hat er jene Vision, die ihm bleiben konnte, da sich seine Seele immer mehr und mehr lockert: die Vision der Sorge. Und versuchen Sie zu empfinden, wie Goethe auch in der Sprache an Höchstes hier seine Worte anklingen läßt. Man möchte sagen, die ganze Weltgeschichte liegt auf unserer Seele, wenn wir das Gewicht dieser Worte verspüren. Die Sorge schleicht sich ein. Ist jemand da? - frägt Faust.

Ist jemand hier?

Die Antwort ertönt:

Die Frage fordert Ja!

Nicht eine einfache Antwort: Ja! Die Frage fordert Ja! Ich sagte: Die ganze Weltgeschichte drängt sich in unsere Seele herein durch die Fügung der Worte schon. Denn wie könnte man anders als bei diesen Worten denken an jene großartige Szene, wo vor dem Gericht der Christus Jesus gefragt wird: «Bist du es, der Sohn Gottes?» Der antwortet auch nicht einfach: Ja -, sondern: «Du sagst es!»

Nun wird nicht in einem abstrakten Wort ausgedrückt, wen jetzt Faust erlebt:

Bin einmal da.

Aber sie ist in ihm. Es ist im Grunde ein Selbstgespräch. Und es ist ein tiefes Selbstgespräch. Die Menschheit wird erst nach und nach erfahren, in inneren Erlebnissen erfahren die ganze Schwere dieses Selbstgesprä­ches. Mit dem, was ais Geisteswissenschaft in die Menschheit versetzt werden soll, werden auch Erkenntnisse in die Menschheit kommen, welche mit tiefen, tiefen Gefühlen und Empfindungen über das Leben verknüpft sein werden, mit Gefühlen und Empfindungen, von denen sich der dumpfe, stumpfe Materialismus allerdings nichts träumen läßt,

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und nichts träumen läßt auch diejenige leicht errungene Weltanschau­ung, welche da glaubt, mit Sätzen, in denen man das Physische oder Geistig-Wirkliche charakterisiert, sei nun schon alles gewonnen. Solche Sätze hat man. Von solchen Sätzen weiß man, daß sie in schweren inneren Erlebnissen errungen sind. Man birgt sie in seiner Seele, man trägt sie mit durchs Leben. Aber sie sind nicht, was sie wirklich sein können und sein müssen der menschlichen Seele, wenn sie nicht begleitet sind von allen möglichen Stimmungen, von jenen Stimmungen, die oftmals uns das Seelenleben so erscheinen lassen, als ob es über einem Abgrunde dahinlebte. Und nie kann uns, wenn wir uns geistige Er­kenntnisse errungen haben, die Sorge verlassen, die uns überkommt über die Beziehung der geistigen Erkenntnisse zu der gesamten Wirk­lichkeit des Lebens. Der Mensch muß fühlen, gerade wenn er in die geistige Welt eintritt, daß es eine Flachheit ist, in falscher Askese davon zu sprechen, daß dieses Erdenleben nur ein niedriges ist, das man am liebsten abstreifen möchte. Den ganzen tiefen Sinn dieses Erdenlebens für die Ewigkeit fühlt der Mensch gerade aus den geistigen Erkennt­nissen heraus: daß dieses Erdenleben durchgemacht werden muß, damit dasjenige, was es gibt, einverleibt werden kann den Impulsen, die wir durch den Tod in die Sphäre der Ewigkeit hineintragen. Aber wie könnte es anders sein, als daß am Ende eines Prüfungslebens gerade in einem solchen Augenblicke, wo die Seele herausgelockert ist, der Mensch gewahr wird in ernster, schwerer Sorge, was werden kann aus seinem eben erlebten Leben, wenn er nun mit seiner Seele durch die geistige Welt zu gehen hat, was die Früchte sein können dieses eben verlebten Lebens. Viel, viel hat Faust durchgekämpft. Aber groß ist er dadurch, daß er jetzt, wo er eben in die geistige Welt eingetreten ist und halb darinnen ist und halb noch zurückfühlt zum physischen Erdendasein, in dem ganz ungeheuer bedeutungsvollen Vergleiche, der sich zwischen Physischem und Geistigem in einer solchen Lebens-Todeslage ergibt, weiß:

Ich bin nur durch die Welt gerannt;

Ein jed' Gelüst ergriff ich bei den Haaren,

Was nicht genügte, ließ ich fahren,

Was mir entwischte, ließ ich ziehn.

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Ich habe nur begehrt und nur vollbracht

Und abermals gewünscht, und so mit Macht

Mein Leben durchgestürmt; erst groß und mächtig,

Nun aber geht es weise, geht bedächtig.

Fühlen Sie dieses Zusammenklingen dessen, was jetzt in seiner Seele ersteht: wie er die kleine und die große Welt, wie es im «Faust» heißt, durchgegangen ist und mit einem Gesamtblick, der sich eben eröffnet, wie in dem bedeutungsvollen Rückblick auf das Leben - jetzt erst, seit er aus der geistigen Welt ein Überleuchten fühlt in seinem Schauen, das, was er so durchgemacht hat im Durchrasen der Lebensfluten, weise und bedächtig überschauen kann. Und jetzt: Was sieht er? Was beginnt er zu schauen? - Das, was er im Erdenkreise erlebt hat, beginnt er zu schauen. Denken Sie zurück an all das, was wir besprochen haben über die Rückschau, die im Beginne des nach dem Tode folgenden Lebens die Seele überkommt, die jetzt langsam Faust überkommt. Denken Sie an diese Rückschau. Er sieht sein Erdenleben. Er sieht es gerade so, daß er sich sagen muß:

Der Erdenkreis ist mir genug bekannt.

Was er im Erdenkreis erlebt hatte, das schaut er jetzt. Halb ist er schon in der geistigen Welt. Aus dieser Stimmung fühlen Sie die Worte:

Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt.

Das kann man sagen, wenn man zurückblickt gerade auf das Erden-leben. Das ist kein philosophisches Bekenntnis zum Materialismus, das ist ein unmittelbares Erleben, nachdem der Tod halb schon die Seele ergriffen hat. Tröpfe, welche Faust-Kommentatoren geworden sind, haben diese Stelle so ausgelegt, als ob Faust in seinem hohen Alter noch einmal zurückkäme zu einem materialistischen Glaubensbekenntnis. Jetzt aber, in dieser Lage wäre Faust wahrhaftig ein Tor, wenn er über­rennen wollte die Rückschau auf das Leben und jetzt schon blinzelnd nach jener geistigen Welt schauen wollte, die oftmals ausgemalt wird hier von denjenigen Toren, die diese geistige Welt so aufbauen, daß sie über Wolken einfach ihresgleichen dichten, wie das in vielen Bekenntnissen

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gemacht wird. Auf seinem Ergebnis des Lebens, da will er fest stehen. Und jetzt fallen eigentlich tief bedeutungsvolle Worte, vor denen jeder Schein von Materialismus schwinden muß, ganz schwinden muß. Die verwaschenen Mystiker, jene gräßlichen Mystiker, welche immer davon sprechen, im All nur aufzugehen, die Ewigkeit mystisch ergreifen zu wollen im chaotischen Alldunkel, das sie All-Licht nennen, wollen in die Ewigkeit schweifen. Derjenige, der konkret das geistige Leben ergreifen will, ergreift es da, wo es zu ergreifen ist in seiner Kon­kretheit, er wird zum Toren, verschwimmend in unbestimmte Fernen, die eigentlich nichts enthalten als Leerheit und leeren Raum, und in die sich die Seele einträumt, er wird nicht verführt, in solche Ewigkeiten zu schweifen, sondern die Erkenntnis konkret zu ergreifen. Das, was er erkennt, läßt sich ergreifen:

Er wandle so den Erdentag entlang.

Denken Sie daran, wie wunderbar dieser Satz wird, wenn man denkt, es beginnt die Rückschau auf das Erdenleben: die Schauung wandelt den Erdentag entlang. Jetzt steht er auf dem Punkt, wo er das rechte Ver­hältnis finden kann zu jenen spukenden Geistern, zu denen ihn Mephi­stopheles hier verführt hat.

Wenn Geister spuken,

- jetzt in der Rückschau -geh' er seinen Gang;

Im Weiterschreiten find' er Qual und Glück,

Er! unbefriedigt jeden Augenblick.

Die noch nicht ganz vollendete, aber jetzt hereinbrechende Rückschau müssen wir uns vorstellen, jene Rückschau, die noch voll von der Sorge durchsetzt ist, durch welche Früchte aus dem erlebten Erdentag in die geistige Welt hineingetragen werden können. Und immer so: hinüber-herüber. Geistiges Erleben, aber weil er noch am Leibe haftet, auch phy­sisches Erleben, so finden wir Faust. Die Sorge hält ihn noch am physi­schen Leibe. Bewußt soll er hineingehen in die geistige Welt, bewußt gemacht gerade von der lastenden Sorge. Daher wächst er auch so hinein in die geistige Welt, daß er, indem er schon die geistige Welt

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in seiner Seele trägt, noch immer glaubt, der physischen Welt befehlen zu können. Die Menschen, welche der banalen Gegenwartsansicht sind, daß der Mensch im wesentlichen immer so war, wie er jetzt ist, wissen nicht, daß viele Griechen so gestorben sind, wie Faust stirbt, besser gesagt, wie Goethe Faust sterben läßt. Wir können es aus der griechi­schen Literatur nachweisen, daß dieser Tod für die Griechen geradezu ein Begehrenswertes war, wie noch nachzuleben etwas von dem physi­schen Dasein, während man die Seele schon gelockert hat. Bei Sophokles können Sie Worte finden, welche das andeuten, wie der Grieche etwas Besonderes gesehen hat in einem solchen Sterben, in einem nicht plötz­lich Sterben, sondern langsam Hinsterben, wobei sich schon für die physische Welt halb das Bewußtsein herabdämmert, aber das, was da als Dämmerung ins physische Bewußtsein tritt, erleuchtet wird nach und nach, um voll hineinzuschauen in die geistige Welt. Und Goethe hat ja versucht, vieles vom Griechentum gerade in den zweiten Teil seines «Faust» herüberzunehmen. Wir dürfen uns schon denken, daß er etwas von dem wollte, was man so charakterisieren könnte, als hätte er Faust als sterbenden Griechen darstellen wollen. So fließt schon herüber aus der geistigen Welt dasjenige, was er an Empfindungen hineinlegt in die Worte, wenn er auch noch hier befiehlt. Und das können wir weiter verfolgen, verfolgen, wie Goethe voll bewußt das darstellt, von dem ich Ihnen gesprochen habe.

Sie sahen Faust an die Stelle treten, wo sein Grab schon geschaufelt wird. Man darf wieder sagen: Geschmackvolle Leute sind jene Goethe­Kommentatoren nicht, die Goethe die Geschmacklosigkeit zutrauen, das Grab schaufeln zu lassen, solang der Faust noch lebt! - Das wäre natür­lich eine bloße Geschmacklosigkeit. Wir sehen den hinsterbenden Faust. Dann ist es keine Geschmacklosigkeit, dann ist es eine wunderbare Ima­gination, wenn wir neben dem hinsterbenden Faust nun auch von jenen halbgeistigen Wesen, von deren Artung ich neulich gesprochen habe, von den Lemuren, das Grab geschaufelt sehen. Aber wie spricht Faust? Nun, ich will zunächst die Worte übergehen, die er spricht, in­dem er sich, aus dem Palaste heraustretend, an den Türpfosten vor-tastet. Ich will auf die Worte Ihr Augenmerk lenken, die Faust aus­spricht, indem er gewissermaßen den Auftrag gibt, den Graben zu graben,

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der den verpestenden Sumpf ableiten soll. Zunächst kann man der Meinung sein, daß alles physisch gemeint ist. Aber Goethe war sich wohl bewußt, daß Faust halb aus dem geistigen Bewußtsein heraus spricht, und so will er diese Worte aufgefaßt haben. Und was offenbart sich aus diesem physisch-geistigen, geistig-physischen Bewußtsein? Zunächst in Faust ein wunderbares Wohlgefühl. Denken Sie, was Faust sagt:

Ein Sumpf zieht am Gebirge hin,

Verpestet alles schon Errungene;

Den faulen Pfuhl auch abzuziehn,

Das Letzte wär' das Höchsterrungene.

Eröffn' ich Räume vielen Millionen,

Nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu wohnen.

Schön, aber nun folgen andere Worte:

Grün das Gefilde, fruchtbar; Mensch und Herde

Sogleich behaglich auf der neusten Erde,

Gleich angesiedelt an des Hügels Kraft,

Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft.

Im Innern hier ein paradiesisch Land,

- voll bewußt sind diese Worte hingesetzt, aus dem Physisch-Geistigen, Geistig-Physischen bewußt heraus. Das paradiesische Land ist das Hin-einspielen des Geistigen in das physische Bewußtsein, dann wiederum ins Physische zurück:

Da rase draußen Flut bis auf zum Rand.

Gewiß, es bedeutet auch die äußere Situation, aber daß die Worte gewählt sind, das ist von Goethe voll bewußt geschehen. Nun:

Gemeindrang eilt, die Lücke zu verschließen.

Und jetzt merkwürdige Worte:

Ja! diesem Sinne bin ich ganz ergeben,

Das ist der Weisheit letzter Schluß:

Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,

Der täglich sie erobern muß.

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Und so verbringt, umrungen von Gefahr,

Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.

Solch ein Gewimmel möcht' ich sehn,

Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.

Zum Augenblicke dürft' ich sagen:

Verweile doch, du bist so schön!

Es kann die Spur von meinen Erdetagen

Nicht in Äonen untergehn.

Man muß dieses Wort oft und oft wiederholt hören als ein schönes Wort, das Faust ausspricht, weil er fühlt: Du hast etwas getan für das Gemeinwohl, du hast gewirkt. - Und jetzt überkommt ihn das unge­heure Gefühl, wie das fortwirken wird durch Äonen, wie er gleichsam seinen Ruhm begründet hat in seinen Taten, und seinem Wohlgefühl überläßt er sich. Man hört es oft zitieren. Ich habe es sogar schon zitieren gehört von Leuten, die andern Leuten etwas Schönes sagen wollten und diese Worte zitieren. Du kannst auch sagen: Es wird die Spur von meinen Erdentagen - das heißt, von deinen Erdentagen - nicht in Äonen untergehn. - Und dennoch, wie sehr auch dies als ein schönes Wort aufgefaßt wird, seien wir uns doch klar darüber, es ist ein rein luziferisches Wort, ein Wohlgefühl im Ruhm. Wir fühlen noch einmal, wie die Seele des Faust ganz wie von Luzifer verführt wird, nicht nur hinblickend auf die Taten, sondern in wüst geistig-egoistischer Weise fühlend seinen Ruhm durch Äonen. Es wächst der Egoismus ins Riesen­große und wird noch besiegelt, dieser maßlose Egoismus:

Im Vorgefühl von solchem hohen Glück

Genieß' ich jetzt den höchsten Augenblick.

Wahrhaftig, der Teufel ist kein Tropf. Nach solchem luziferischen Ausbruch, da könnte man schon vermeinen, daß der Teufel ihn hätte, denn es ist noch einmal ein ganz luziferisch-wonniges Gefühl, eine höch­ste Ewigkeitsbegierde. Und wir dürfen nicht an den dummen Teufel denken, sondern an den gescheiten Mephistopheles-Ahriman, wenn er jetzt sagt, was ganz zutreffend ist:

Ihn sättigt keine Lust, ihm genügt kein Glück,

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So buhlt er fort nach wechselnden Gestalten;

Den letzten, schlechten, leeren Augenblick,

Der Arme wünscht ihn festzuhalten.

Die Seele hat sich ganz gelockert, aber mit einem Luziferischen vom Leibe getrennt. Ganz gut schließt es sich an die nicht minder innerlich wollüstigen Worte an, die der Faust äußert, indem er aus dem Palast tritt und sich an den Türpfosten forttastet:

Wie das Geklirr der Spaten mich ergetzt!

Es ist die Menge, die mir frönet.

Man soll nicht denken, daß das keine Versuchung ist, in diesem letzten Augenblicke noch einmal daran zu denken, daß einem die Menge frönet! Die luziferische Versuchung ist noch einmal da, deutlich da. Und nicht dumm ist Mephistopheles, wenn er glaubt, jetzt sei der Augenblick da, der sich anschließen kann an jenes Gespräch, in dem Faust ihm die Seele verschrieben hat. Da sind sie miteinander im Ge­spräch gewesen: wir erinnern uns an den ersten Teil, wo Faust noch nicht aus dem halb errungenen geistigen Bewußtsein, sondern aus dem physischen Bewußtsein heraus die Worte gesagt hat:

Schlägst du erst diese Welt zu Trümmern,

Die andere mag darnach entstehn.

Aus dieser Erde quillen meine Freuden,

Und diese Sonne scheinet meinen Leiden:

Kann ich mich erst von ihnen scheiden,

Dann mag, was will und kann, geschehn.

Davon will ich nichts weiter hören,

Ob man auch künftig haßt und liebt,

Und ob es auch in jenen Sphären

Ein Oben oder Unten gibt.

Man könnte meinen, zurückblickend auf diese Zeit könnte Faust schon sagen:

Ich bin nur durch die Welt gerannt.

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Da sagt Mephistopheles:

In diesem Sinne kannst du's wagen.

Verbinde dich; du sollst in diesen Tagen

Mit Freuden meine Künste sehn,

Ich gebe dir, was noch kein Mensch gesehn.

Faust: Was willst du armer Teufel geben?

Ward eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben,

Von deinesgleichen je gefaßt?

Doch hast du Speise, die nicht sättigt, hast

Du rotes Gold, das ohne Rast,

Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt,

Ein Spiel, bei dem man nie gewinnt,

Ein Mädchen, das an meiner Brust

Mit Äugeln schon dem Nachbar sich verbindet,

Der Ehre schöne Götterlust,

Die, wie ein Meteor, verschwindet?

Zeig mir die Frucht, die fault, eh' man sie bricht,

Und Bäume, die sich täglich neu begrünen!

Ein solcher Auftrag schreckt mich nicht,

antwortet Mephistopheles,

Mit solchen Schätzen kann ich dienen.

Doch, guter Freund, die Zeit kommt auch heran,

Wo wir was Gut's in Ruhe schmausen mögen.

Und jetzt das gewichtige Wort, das Faust spricht:

Werd' ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,

So sei es gleich um mich getan!

Kannst du mich schmeichelnd je belügen,

Daß ich mir selbst gefallen mag,

Kannst du mich mit Genuß betrügen;

Das sei für mich der letzte Tag!

Die Wette biet ich!

Nun, wie wäre das nicht erfüllt? Vollster Genuß sogar im Vorgefühl ewigen Ruhmes ist jetzt da.

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Mephistopheles: Top!

Faust: Und Schlag auf Schlag!

Werd' ich zum Augenblicke sagen:

Verweile doch! du bist so schön!

- Sagt er es denn nicht?! -

Dann magst du mich in Fesseln schlagen,

Dann will ich gern zu Grunde gehn!

Dann mag die Totenglocke schallen,

Dann bist du deines Dienstes frei,

Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen,

Es sei die Zeit für mich vorbei!

Mephistopheles:

Bedenk' es wohl, wir werden's nicht vergessen.

Und er vergißt es nicht. Er sagt es jetzt, der Mephistopheles, nachdem Faust den höchsten Augenblick genossen hat:

Ihn sättigt keine Lust, ihm gnügt kein Glück,

So buhlt er fort nach wechselnden Gestalten;

Den letzten, schlechten, leeren Augenblick,

Der Arme wünscht ihn festzuhalten.

Der mir so kräftig widerstand,

Die Zeit wird Herr, der Greis hier liegt im Sand.

Die Uhr steht still -

Vollständig die Erfüllung der Situation; denn Faust sagt:

Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen.

Mephisto: Die Uhr steht still -

Der Lemurenchor: Steht still! sie schweigt wie Mitternacht.

Der Zeiger fällt.

Eingetreten, was beim Eingehen der Wette vorausbestellt ist. Mephi­stopheles kann annehmen, sein Werk sei getan:

Er fällt, es ist vollbracht.

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Aus des Mephistopheles Munde das Wort des Kreuzes: «Es ist voll­bracht!» Gleich aber der Lemurenchor, der die Stimme der Erde gibt:

Es ist vorbei.

Das fällt in des Mephistopheles Seelentum furchtbar hinein. Er hat gesagt: «Es ist vollbracht.» Der Lemurenchor antwortet ihm: «Es ist vorbei.» Das ist der gewaltige Unterschied. Vorbei - das Wort will er nicht:

Vorbei! Ein dummes Wort.

Warum vorbei?

Vorbei und reines Nichts, vollkommnes Einerlei!

Bei diesen Worten, da ist es zu suchen, um was es sich handelt. Zu­nächst ist ja Mephistopheles im Gespräch mit seinen Lemuren; er glaubt, es ist vollbracht, aber es ist nur vorbei. Und nun besinnt er sich auf sich. Den Widerspruch: Vollbracht, vorbei - er will ihn verstehen.

Vorbei und reines Nichts, vollkommnes Einerlei!

Was soll uns denn das ew'ge Schaffen!

Geschaffenes zu nichts hinwegzuraffen!

«Da ist's vorbei!» Was ist daran zu lesen?

Es ist so gut, als wär es nicht gewesen,

Und treibt sich doch im Kreis, als wenn es wäre.

Ich liebte mir dafür das Ewigleere.

In diesen Worten, ich sagte schon, liegt das, was zu suchen ist. Daß Goethe solche Worte gewählt hat, daß er die Szene aufgebaut hat aus dem Genießen des höchsten Augenblicks, so wie es dargestellt ist, daß er den Mephistopheles so mit den Lemuren sich unterhalten läßt, bezeugt, daß Goethe ein Allertiefstes hat sagen können, ein Tiefstes, an das auch heute eigentlich nur gerührt werden kann, denn in diesem liegt es, warum die letzte Szene folgen muß. Wäre die Sache so, wie viele Faust-Kommentatoren gemeint haben, daß Mephisto einfach mißverstanden hat, aufgesessen ist, dann brauchte die letzte Szene wahrhaftig nicht mehr zu folgen. Dann wäre die Sache einfach genug, dann läge sie so,

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daß Faust nicht gedacht hat, daß es auch einen so hohen Genuß geben kann wie den, der sich ausdrückt in den Worten:

Es kann die Spur von meinen Erdetagen

Nicht in Äonen untergehn...

Mephisto hatte auch nicht daran gedacht; alle beide haben sie daran nicht gedacht. Alle beide haben sie nicht gedacht, daß Faust jemals zum Augenblick sagen wird: «Verweile doch, du bist so schön.» Aber weil das etwas Höheres ist, den Augenblick so zu empfinden, wird der dumme Teufel geprellt um seine Wette: so ungefähr erklären es die Faust-Erklärer alle zusammen. - Nun, dann hätte der Teufel eben die Seele verloren, die Engel hätten sie erbeutet - es wäre alles in Ordnung. Wir brauchten die letzte Szene nicht. Und Goethe hätte sie ganz gewiß nicht geschrieben, da er ein Mann der dichterischen Ökonomie war. Aber man versteht den «Faust» nicht, wenn man ihn so oberflächlich nimmt. Man versteht ihn nur, wenn man sich voll klarmacht: Ja, hier will Goethe noch einmal eine luziferische Verführung, selbst schon als der Tod vollständig eintritt, an Faust herankommen lassen, eine echte luzi­ferische Verführung. - Und es ist Luzifer nochmals da in dem Augen­blicke, als Faust spricht:

Im Vorgefühl von solchem hohen Glück

Genieß' ich jetzt den höchsten Augenblick.

Nun folgt die eigentliche Grablegung und das Sich-Anschicken des Mephisto, mit den Höllengeistern die Seele zu erbeuten. Die Engel kom­men und gewinnen den Sieg über die Teufel. Die Seele ist scheinbar erlöst, wird hinweggetragen, aber die Dichtung ist nicht aus. Was geht da eigentlich vor? Ja, so ohne weiteres konnte Goethe nicht sagen, was da vorgeht. Aber es stehen viele Worte da, durch die er sich für den, der verstehen will, deutlich genug ausgesprochen hat. Nur stimmt die Vorstellung nicht, die man sich so leicht macht von jenem Engelchore, der da anrückt, um sich die Seele zu holen. So ganz ist es nicht unrichtig, daß die Engel, die da anrücken, allzu hoffärtig sind und sich nun vor­kommen als die vollsten Lichtgeister, und die Teufel - die dicken und die dürren Teufel - nur so verachten, und sich jetzt ganz fromm nur vorkommen,

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so recht brav, so recht fromm. Daß er die Vorstellung doch nicht so ohne weiteres haben wollte, hat Goethe schon angedeutet, indem er den Mephisto, den er wahrhaftig nicht als einen ganz dummen Teufel hinstellt, die Worte sagen läßt, die so eingestreut sind an einer Stelle:

Die Pfaffenmiene will dich gar nicht kleiden,

und insbesondere das bedeutungsvolle Wort:

Es sind auch Teufel, doch verkappt.

Sie sind auch von Luzifers Geschlecht. Das steht nicht zum Spaß da! -So weit sich das überhaupt sagen läßt, inwieferne es im Ernste dasteht, wollen wir morgen die Sache weiterbetrachten.

AUSBLICKE IN DIE VON GOETHE GESUCHTEN WAHREN WIRKLICHKEITEN Dornach, 10. September 1916

#G272-1967-SE274 Faust I: Faust, der strebende Mensch

#TI

AUSBLICKE IN DIE VON GOETHE GESUCHTEN

WAHREN WIRKLICHKEITEN

Dornach, 10. September 1916

#TX

Ich werde nun heute und morgen, ausgehend von der Faust-Dichtung, versuchen, einiges zu sagen über gewisse Beziehungen des Menschen zu den geistigen Welten. Es darf angenommen werden von demjenigen, der wirklich sich mit dem Rüstzeug der Geisteswissenschaft vertieft in die Faust-Dichtung, daß Goethe eigentlich gerade in diesen letzten Szenen etwas von dem Tiefsten sagen wollte, was er in innerem Erleb­nis sich errungen hatte durch sein langes Erdenleben als seine Welt­anschauung. Weltanschauung in diesem Falle auch so gemeint, daß Goethe wie instinktiv, möchte ich sagen, wie als selbstverständliche Bei­gabe diese Szenen so gemacht hat, daß man wirklich aus ihnen heraus-fühlt seine Stellung auch zu der Menschheitsentwiekelung, zu den Im­pulsen der Menschheitsentwickelung, soweit sie seiner Erkenntnis zu­gänglich waren. Wenn man geisteswissenschaftliche Ideen heranbringt an die Gestalten, die Goethe in seiner Faust-Dichtung geschaffen hat, dann muß das natürlich in einer ganz bestimmten Weise aufgefaßt werden. Es wäre durchaus falsch, wenn Sie glauben wollten, daß Goethe diese Ideen, von denen hier die Rede ist, zunächst zugrunde gelegt hat und dann, gewissermaßen wie man auf einen Kleiderrechen Kleider aufhängt, die Reden der Personen und ihre Charakteristik aufgehängt hätte. Das ist nicht der Fall. Wenn man also spricht, so wie wir jetzt sprechen wollen über diese Gestalten des Goetheschen «Faust», so muß man das in dem Sinne nehmen, daß Goethe gewissermaßen diese Ge­stalten von Angesicht zu Angesicht kannte und so charakterisierte, wie er sie charakterisieren konnte, daß aber Geisteswissenschaft mit vollem Rechte noch tiefer in die Sache eingehen kann. Nicht wahr, wenn Sie einem Menschen begegnen, den Sie gewissermaßen zum ersteninal sehen, so werden Sie auch nicht gleich darauf kommen, was alles in seiner Seele ist. Trotzdem ist dieses in seiner Seele. Wenn Sie nun nach der ersten Be­gegnung mit diesem Menschen den Menschen beschreiben, so kann es

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sein, daß Sie nur einige Seiten beschreiben von dem Menschen, vielleicht etwas, was rein äußerlich ist, von ihm beschreiben. Aber es ist doch dieser Mensch, den vielleicht Sie selbst, wenn Sie ihn oft gesehen haben, oder ein anderer, der tiefer in die Seele zu sehen vermag, mit viel tieferen Ideen dann charakterisieren müßten. Wenn ich also zunächst, um das Bedeut­same heute und morgen aussprechen zu können, was im Zusammenhang mit der Faust-Dichtung ausgesprochen werden kann, wenn ich zunächst die Frage aufstelle: Was ist dieser Mephistopheles bei Goethe? - so ist das nicht so vorzustellen, als ob Goethe in seinem Bewußtsein auch die Ideen gehabt hätte, die ich Ihnen entwickeln muß, wenn ich von Mephi­stopheles spreche. Goethe hat eben den Mephistopheles charakterisiert, wie er ihn gekannt hat, aber deshalb bleibt doch der Mephistopheles, wie er in Wirklichkeit ist, eine bestimmte Gestalt, die man auch durch geisteswissenschaftliche Ideen charakterisieren kann; und es ist ge­rade das Bedeutsame, daß man durch diese geisteswissenschaftliche Charakteristik tiefer hineinschauen kann in die Individualität des Mephistopheles oder anderer in der Faust-Dichtung vorkommender Gestalten.

Im Sinne der Geisteswissenschaft muß man jedenfalls solch eine Ge­stalt, wie Mephistopheles es ist, sich vorstellen als in gewissem Sinne zurückgeblieben auf der alten Mondenentwickelung. Das ist die Vor­aussetzung gewissermaßen, die geisteswissenschaftliche Voraussetzung, daß Mephistopheles ein Wesen ist, das nicht mitgemacht hat in der ent­sprechenden Form die Entwickelung, die es hätte mitmachen können vom Monde, oder sagen wir vielleicht schon von der Sonne aus zur Erde, oder durch den Mond zur Erde. Aber wenn er uns auch entgegentritt

- allerdings geistig-visionär entgegentritt -, wenn er uns auch entgegen­tritt, dieser Mephistopheles, in der irdischen Menschengestalt, so würden wir doch fehlgehen, wenn wir ihn auffassen würden so, daß wir etwa sagten: Er ist gegenüber der menschlichen Entwickelung auf dem Monde zurückgeblieben. - Er steht ganz entschieden höher auf der Erde, der Mephistopheles, als der Mensch auf der Erde steht, mit Bezug natürlich auf seine Entwickelung, nicht in bezug auf das Talent zum Bösen. Das können Sie ja, wenn Sie wollen, tieferstehend nennen, daß Mephisto­pheles dieses Genie zum Bösen hat. Aber er ist ein Wesen gewissermaßen

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einer höheren hierarchischen Ordnung, als der Mensch es ist, das ist schließlich selbstverständlich. Würden wir also zurückgehen zur alten Mondenentwickelung, so würden wir dort finden, daß der Mensch selbstverständlich in seiner Mondenentwickelung klar unter der Ent­wickelung des Mephistopheles steht, desjenigen Wesens, aus dem der Mephistopheles auf der Erde geworden ist. Also wir müssen ein höheres Wesen suchen in Mephistopheles, ein Wesen, das einfach mit höheren Fähigkeiten zurückgeblieben ist auf der Mondenentwickelung, als der Mensch sie jemals gehabt hat. Wie könnten wir uns, ich möchte sagen, durch eine Analogie noch klarmachen, wie solch ein Wesen eigentlich beschaffen ist?

Nehmen wir einmal an, wir blickten auf unsere jetzige Erden-entwickelung hin. Wir finden auch während unserer jetzigen Erden-entwickelung, daß Menschen weiter sind in ihrer Entwickelung als an­dere Menschen. Es gibt Menschen, die entschieden weiter sind in ihrer Entwickelung als andere Menschen, ja, wir sprechen während der Erden-entwickelung von gewissen Menschen, welche die Initiation durchge­macht haben, die also - während das im jetzigen Erdenzyklus für die Allgemeinheit noch nicht der Fall ist - schon in die Welt hineinschauen, die jenseits der Schwelle liegt. Natürlich gibt es auch eine entsprechend fortschreitende Entwickelung für solche vorgeschrittene Menschen. Aber auch diese Menschen können in einer gewissen Weise zurückbleiben auf den Stufen ihrer Erdenentwickelung und zum Jupiter sich so hinüber-leben, daß sie gewissermaßen, wenn die Jupiterentwickelung akut wird, sagen: Ginge alles den Gang, den die regelmäßige Weltenentwickelung macht, dann würden wir jetzt auf dem Jupiter dieses oder jenes durch­machen, aber das wollen wir nicht, wir bleiben stehen auf dem Stand­punkt, den wir während der Erdenentwickelung erlangt haben. - Der Standpunkt ist ein höherer vielleicht, als er von Menschen hat während der Erdenentwickelung erlangt werden können; der Standpunkt ist ein solcher, daß schon während der Erdenentwickelung die Jupiterentwicke­lung vielleicht vorausgenommen ist. Aber diese Wesen - Menschen sind es in diesem Fall - bleiben doch zurück auf dem Standpunkt, den sie auf der Erde gehabt haben, und stellen sich in diese Jupiterentwickelung so hinein mit einer Jupiterentwickelung, die sie schon während der

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Erdenzeit durchgemacht haben. Also sie sind zurückgeblieben gegenüber ihren eigenen Maßen, aber nicht zurückgeblieben gegenüber der allge­meinen Entwickelung. Sie machen die Entwickelung nur nicht so durch, wie sie die Menschen dann auf dem Jupiter durchmachen werden, sie bleiben Erdenwesen, Erdenmenschen, aber sie tragen schon von der Erde aus die Jupiterentwickelung in sich.

Sie müssen durchaus sich klar sein darüber, daß die verschiedenen Evolutionsvorgänge wirklich recht kompliziert sind, und daß es solche Evolutionsvorgänge, wie ich sie eben charakterisiert habe, tatsächlich auch gibt. Und übertragen Sie jetzt das, was ich gesagt habe von Jupiter­Erde, auf Erde-Mond, dann bekommen Sie ungefähr die Vorstellung von dem, was zunächst der Mephistopheles ist, der in Goethes «Faust» auftritt. Er ist dadurch den ahrimanischen Hierarchien zuzuzählen, daß er die Erdenentwickelung des Menschen schon vorausgenommen hat während der alten Mondenzeit, aber jetzt sich so auf die Erde herein-stellt, daß er nicht Erdenvernunft, Erdenverstand, Erdenindividualität hereinbringt in die Erdenentwickelung, wie sie von der Erde gegeben werden, sondern wie er sie voraus auf dem alten Monde genommen hat, angenommen hat. Daher fühlt er sich im «Prolog im Himmel» so außer­ordentlich überlegen dem Menschen Faust. Er ist ihm auch überlegen, dem Menschen Faust, denn der Mensch Faust soll im Goetheschen Sinne ein richtiger Erdenmensch sein, der nur nicht in der Region der Stumpf­linge zurückgeblieben ist, der aber ganz auf Erdenkräfte baut, auf Erdenimpulse baut das, was er in seiner Seele zu entwickeln hat. Faust ist Erdenmensch, Erdenkämpfer. Mephistopheles tritt ihm gegenüber als der Mondenmensch, der natürlich sich ihm ungeheuer überlegen fühlt, weil er noch in den geistigen Regionen des Mondes schon angenommen hat Vernunft und Wissenschaft, die sonst die Erdenmenschen auf der Erde haben. Daher kann natürlich Mephistopheles nur ein geistiges Wesen sein. Würde er Menschengestalt so wie ein anderer Mensch an­nehmen, dann müßte er auch der Erdenevolution sich anbequemen. Das tut er aber nicht. Da sehen wir also in Mephistopheles ein Wesen, welches außerordentlich hoch sich fühlen kann gegenüber dem Erdenmenschen. Da aber während der Erdenentwickelung erst die Möglichkeit auftritt, moralische Impulse zu haben - erinnern Sie sich an Vorträge, die wir

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gerade in diesen Wochen gehalten haben -, da während der Erdenzeit die menschlich-moralischen Impulse erst auftreten, namentlich alles das­jenige da erst auftritt, was aus dem Impuls der Liebe hervorgeht, so hat Mephistopheles, der seine Mondenentwickelung festgehalten hat, diese Impulse der Liebe ohne weiteres nicht. Er hat sie ohne weiteres nicht. Er ist also ein geistiges Wesen, das zu einer Hierarchie gehört, die des­halb, weil sie sich zurückgehalten hat und auch in früheren Entwicke­lungsepochen sehr hoch gestiegen ist, eine gewisse Höhe aus ihrer ganzen Wesenheit hat.

Stellen wir diesem Mephistopheles gegenüber die höheren Engel. Nehmen wir an, so ein jetziger Engel stünde neben Mephistopheles, also ein Wesen, das jetzt Engel ist. Was ist das für ein Wesen, das jetzt Engel ist? Es ist ein Wesen, das hinuntersteigen muß während der Jupiter­entwickelung, um während der Jupiterentwickelung die Dienste an der Jupitermenschheit zu leisten, welche andere Wesen - sagen wir zum Beispiel Erzengelwesen - an der heutigen Erdenmenschheit leisten. Das ist also ein Wesen, ein solches Engelwesen, das naturgemäß, weil es geistig ist, wenn es einfach neben Mephistopheles steht, in der Evolution weniger weit ist als Mephistopheles selber, respektive die Hierarchie, der er angehört. Die Engelwesen werden in bezug auf Intellektualität dasjenige erst während der Jupiterentwickelung erreichen können, was Mephistopheles durch seine Hierarchie - wenn auch nicht durch sich selbst, falls wir ihn als einen Mondenmenschen ansehen, als einen Mon­den-Initiierten - schon auf dem Monde erlangt hat. Man könnte sagen, der unmittelbare Vorgesetzte des Mephistopheles ist sogar ein außer­ordentlich hochstehendes Wesen, wenn auch ein in der Evolution zurück­gebliebenes Wesen, ein so hochstehendes Wesen, daß ein Wesen wie etwa von dem Range des Erzengels Michael sich unter dem Range des un­mittelbaren Vorgesetzten des Mephistopheles fühlt. Diese Evolutions­vorgänge komplizieren die Rangordnungen der geistigen Wesen. Solch ein Wesen wie Mephistopheles hat sich während der Mondenentwicke­lung sehr weit entwickelt. Dadurch ist es voraus der gewöhnlichen Engel-entwickelung, der normalen Engelentwickelung. Solch ein Wesen wie Mephistopheles ist aber Geist geblieben. Dadurch, daß es Geist ist, hat es etwas Verwandtes mit der gewöhnlichen Engelentwickelung. Engel

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sind ja auch Geister. So daß wir sagen können: Vom mephistophelischen Standpunkte aus ist es ganz richtig, wenn Mephistopheles davon spricht:

«unmündiges Volk» - zu den Engeln. Sie sind ihm gegenüber wirklich ein unmündiges Volk, ein Volk, das es in der Entwickelung, auf die er besonderen Wert legt, nicht so weit gebracht hat wie er selber.

Nun gibt es natürlich auch wiederum alle möglichen Evolutionsstufen in der Hierarchie der Angeloi. Auch da können wir eine - gewisser­maßen pedantisch-philiströs gesprochen - normale Evolutionsstufe für die Engelentwickelung annehmen. Aber wir müssen annehmen - das ist ja Tatsache -, daß auch gewisse Engel zurückgeblieben sind, daß sie sich also, wenn ich den Ausdruck bilden darf, verluziferisieren. Vor der normalen Entwickelung bleiben gewisse Engel zurück und verluzifen­sieren sich. Es sind solche, die nicht mitgehen, sondern auf früheren Stufen zurückbleiben. Die Engel, die sich so verluziferisierten, schon verluziferisiert hatten vor der lemurischen Erdenzeit, nehmen nun noch eine ganz besondere Stellung ein. Denn wodurch erlangten sie denn das, daß sie sich dazumal verluzifenisieren konnten? Es stand - wenn ich mich jetzt populär, wenn auch vielleicht nur annähernd ausdrücken soll, weil es nicht anders sein kann -, damals bevor, daß eben die Wesens-gruppe, die Mensch war, ihre Mondenentwickelung durchmachte. Nun kam das, was man die luzifenische Verführung nennt, durch geistige Wesenheiten, die sich luziferisiert hatten. Diese Luzifenisienung führte gewisse Wesen dazu, während der lemurischen Entwickelung dasjenige für den Menschen zu bewirken, was Sie aus den «Geheimwissenschaft im Umriß» kennen. Dann führte wiederum die ahrimanische Entwicke­lung dazu, während der atlantischen Zeit dasjenige zu bewirken, was Sie auch aus der «Geheimwissenschaft» und aus Vorträgen, die jetzt gehalten worden sind, kennen. So müssen wir also sagen: Von luzifeni­scher Seite ging während der alten lemurischen Zeit ein gewissen Impuls aus, an dem für die Menschheit alle Wesen, die sich vorher luziferisiert hatten, beteiligt waren. Diesen Impuls besteht darinnen, daß den Mensch weiten in das Materielle henuntergestiegen ist während den Enden-entwickelung, als er in der fortschreitenden Entwickelung hätte sollen, daß seine Begierden, Triebe und Leidenschaften, man könnte sagen, in die materielle Entwickelung verstrickt worden sind. Es mußte ein

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Gegengewicht gegeben werden. Und dieses Gegengewicht wurde gegeben durch die ahrimanische Entwickelung, so daß der Mensch im Gleich­gewicht schwebt zwischen der luziferischen und den ahrimanischen Ent­wickelung. Das alles aber, daß der Mensch also im Gleichgewicht schwebt zwischen der luziferischen und der ahrimanischen Entwickelung, ist doch in einem gewissen höheren Stile, in einem gewissen höheren Sinne wie­derum der Plan der fortschreitenden Evolution, liegt im Plan der fort­schreitenden Evolution.

Indem ich Ihnen das rekapituliert habe, können Sie sich sagen: Faust, dem rechten Erdenmenschen, werden gegenüberstehen luziferische und ahrimanische Gewalten. Und die ahrimanischen Gewalten, die ihm gegenüberstehen, zeigt Ihnen Goethe besonders in dem Mephistopheles, den er Faust an die Seite stellt als den Repräsentanten der ahrimanischen Gewalt. Wir hatten schon das besprochen, warum Goethe es unterlassen hat, deutlich herauszustellen, wie die luziferischen Impulse an den Faust herankommen. Aber überall - ich habe das angedeutet - schimmert das durch, daß Goethe eigentlich den Faust hineingestellt hat in die Mitte zwischen die mephistophelischen und die luziferischen Gewalten. Ich habe ausdrücklich wiederholt hervorgehoben, Goethe konnte sich zu seiner Zeit, weil es die Geisteswissenschaft noch nicht so gegeben hat wie heute, noch nicht ganz klar sein über das Verhältnis des Menschen Faust zu Ahriman-Mephistopheles und zu Luzifer. Aber er hatte ein gewisses instinktives Erkennen, daß Faust diesen zwei Impulsanten gegenüber-steht.

Nun fragen wir uns: Worin besteht denn eigentlich dasjenige, was, sei es Mephistopheles selben oder seien es die Verwandten des Mephi­stopheles, mit den Menschen wollten? - Was Mephistopheles mit den Menschen wollte, ist wirklich nichts anderes eigentlich als etwas, was die Menschen auf der Erde unmöglich gemacht hätte, nichtig unmöglich gemacht hätte. Denn was auf der Erde erst eingetreten ist, das ist die Fortpflanzung durch die Geschlechter der Menschen, durch das Männ­lich -Weibliche. Mephistopheles als ein richtiger Monden-Initiierten, der nur zurückgeblieben ist, kann das absolut nicht leiden, und das ist das­jenige, was er eigentlich als seine Aufgabe betrachtet, aus der Welt zu schaffen die Möglichkeit, durch geschlechtliche Fortpflanzung eine

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Menschheit auf der Erde zu haben. Das soll es nicht geben auf den Erde. Also fassen wir das genau: Die normale Entwickelung des Menschen auf der Ende besteht ja darinnen, daß sich auf der Erde das Menschen­geschlecht durch die Geschlechter fortpflanzt. Aber Mephistopheles wollte auf der Mondenentwickelung zurückbleiben. Er wollte das daher nicht haben, daß die Liebe zur Liebe der Geschlechter auf der Erde führt. Mephistopheles ist der Feind der Liebe der Geschlechter auf der Erde. Den ganz entschiedene Feind ist er. Er fühlt sich daher - und Goethe charakterisiert das ganz richtig - außerordentlich dazu berufen, alles dasjenige ad absurdum zu führen, was irgendwie zur Geschlechter-liebe führt. Was er veranlassen will in der Beziehung des Faust zu Gretchen - lesen Sie nur mit Aufmerksamkeit die Gretchen-Szenen, da werden Sie überall spüren, er will da allerlei, was das Amt des Ahriman­Mephistopheles ist. Aber die Liebe zwischen Faust und Gretchen, die wirkliche menschliche Erdenliebe, die will er nicht aufkommen lassen, weder bei Faust noch bei Gretchen will er sie eigentlich dulden. Dagegen ist er nichtig im Spiele da, wo im Laboratorium den Homunkulus erzeugt wird. Und Sie wissen aus früheren Darstellungen, die ich aus dem «Faust» gegeben habe, daß den Homunkulus erzeugt wird, um aus der Natur heraus, ohne Geschlechtenliebe, ein Hervorbringen eines Mensch­lichen - der Helena - zu werden. Das setzt sich Mephistopheles zur Aufgabe, nicht eine Menschheit im Sinne den fortschreitenden Entwicke­lung, die auf der Erde durch Geschlechterliebe hervorgeht, zu erzeugen, sondern auf einem andern Wege, durch die Kräfte, die dem Ahriman zugeteilt sind, eine Wesensart zu erzeugen, die nicht im Sinne des für die Erde bestimmten Menschengeschlechtes ist. Denn denken Sie einmal nur an anderes als an diesen Homunkulus, denken Sie an den Eupho­rion, denken Sie an die ganze Art, wie Helena wieder henaufkommt, da ist überall Mephistopheles im Spiele. Aber nirgends soll da irgend etwas von regulärer Geschlechterliebe in Betracht kommen. Also die Rolle, die Mephistopheles zugeteilt ist, ist schon ganz außerordentlich gut getroffen und kann von der Geisteswissenschaft aus durchaus ge­rechtfertigt werden. Es ist eine ungeheure Tiefe darinnen.

Und nun nehmen Sie das merkwürdige Wort, gleich als die himm­lische Heerschar beginnt da zu sein:

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Mißtöne hör' ich, garstiges Geklimper,

Von oben kommt's mit unwillkommnem Tag;

Es ist das bübisch-mädchenhafte Gestümpen,

Wie frömmelnder Geschmack sich's lieben mag.

Ihr wißt, wie wir in tiefverruchten Stunden

Vernichtung sannen menschlichem Geschlecht:

Das traut er den Engeln schon zu, zu wissen, daß sie zugeschaut haben damals, als Mephistopheles mit seinen Genossen Vernichtung gesonnen hat menschlichem Geschlecht. Jetzt sagt er weiten etwas, indem er ge­wissermaßen die Sprache des Erdenmenschen annimmt:

Das Schändlichste, was wir erfunden,

- das Schändlichste ist eben diese Vernichtung des menschlichen Ge­schlechtes. Man nennt es das Schändlichste.

Um nun weiterzukommen mit dem Verständnisse - es ist natürlich außerordentlich schwer, an diese Dinge heranzugehen, denn Goethe wollte sein tiefstes menschlich-geistiges Fühlen und Empfinden und Er­kennen darin ausdrücken -, um weitenzukommen hat man ungefähr die folgende Betrachtung nötig. Nicht wahr, Sie wissen, es gibt - für uns wenigstens - eine Geisteswissenschaft, wenn sie auch heute erst im An­fange ihrer Entwickelung ist. Sie wissen auch, es hat immer so etwas gegeben, wenn es auch in früheren Zeiten auf andere Weise erlangt wor­den ist, als wahre Erkenntnis der Welt, die über den Schein hinausgeht, die zur Wirklichkeit dringt. Nun wissen Sie auch, daß in einer gewissen Weise sorgfältig gewacht wurde, namentlich in älteren Zeiten, über das geistige Gut, das in den Mysterien bewahrt wurde und das auf wirkliche Welterkenntnis ging. Dieses Geistesgut wurde nur denjenigen - das wissen Sie - mitgeteilt, die ihre Reife dafür zeigten. Wenn man sich nun frägt, welcher Art war denn eigentlich diese besondere Art des Erken­nens, diese besondere Art des Geistesgutes, welche da in den Mysterien mitgeteilt worden ist, so kommt man am besten zu Rande, wenn man versucht zu vergleichen unseren fünften nachatlantischen Zeitraum mit vorhergehenden Zeiträumen, dem griechisch-lateinischen, ägyptisch­chaldäischen und so weiter. Und wenn man sich an den Hand dieser Vergleichung

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frägt, wie hat sich die ganze Auffassung den Welt durch den Menschen geändert aus den früheren Zeitepochen, aus den früheren Kulturepochen in unsere Kulturepoche herein? Es ist wirklich wahr, daß sich Wichtiges, Bedeutungsvolles vollzogen hat in der Evolution den Menschheit, daß es eine fable convenue ist, wenn man glaubt, nur das brauche man zu wissen über die Entwickelung der Menschheit, was die triviale Geschichte, das, was man heute eben Geschichte nennt, mitteilt. Es waren die früheren Kulturzeitalter ganz anders, als man sie sich vorstellte nach der gewöhnlichen Geschichte, die eine fable convenue ist. Erinnern Sie sich nun einmal an die Tiefe eines solchen Spruches, wie ich ihn angeführt habe:

o Sonn', ein König dieser Welt,

Die Luna dein Geschlecht erhält;

Merkur kopuliert euch fix.

Ohn' Venus' Gunst erreicht ihr alls nichts,

Welch Marten sich als Mann erkoren.

Jovis G'nad ist euch unverloren;

Damit Saturnus, alt und greis,

In vielen Farben sich erweis.

Es liegt eine ungeheure Tiefe verballhornt in einem solchen Spruche, aber sie war einmal da, diese Tiefe. Die Menschen haben einmal, wenn auch durch die Ergebnisse des atavistischen Hellsehens, in diese Reali­täten hineingesehen, auf die gedeutet wurde zum Beispiel auch in einem solchen Spruche. Aus diesem Wissen der Grundlage des Daseins ist her­ausgetreten der fünfte nachatlantische Zeitraum. Nach zwei Seiten hin ist er abgeirrt. Die eine Seite habe ich Ihnen gewissermaßen durch die Initiation des fünften nachatlantischen Zeitraums charakterisiert, die ich geschildert habe durch Baco von Verulam, durch Lond Bacon. Da haben wir die Sehnsucht, alles, was über das Sinnlich-Wahrnehmbane hinausgeht, als bloße Idole zu behandeln. Sie wissen, vier Arten von Idolen hat Bacon angenommen. Wir haben sie angeführt: Idola tribus, Idola specus, Idola fori, Idola theatri, vier Arten. Dadurch drückt sich durch Bacons Geist im Beginne des fünften nachatlantischen Zeitraums die eine Tendenz aus, alles, alles nur zu bauen auf eine Erkenntnis, die

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durch sinnliches Anschauen und durch Begriffe gewonnen ist, die sich wiederum aus der sinnlichen Anschauung ergeben. Alles, was über die sinnliche Anschauung hinausgeht, ist Idol, dessen Inhalt sich eigentlich in Worten erschöpft. Und das haben wir ja schon charakterisiert, das ist gewissermaßen die eine Strömung.

Nehmen Sie nun einmal, schematisch ausgedrückt, die Strömung, welche sich ausdrückt durch so etwas wie: «0 Sonn', ein König dieser Welt», die noch in tiefe Grundlagen des Daseins hineingeht, nehmen Sie diese in ihrer Fortsetzung. Wenn sie durch sich nur sich entwickeln wollte von dem vierten in den fünften nachatlantischen Zeitraum hin­über, können wir sagen, so würde sie so gehen (siehe Zeichnung). Die Entwickelung, welche zu den Idolen führt, die geht unter diese Evo­lution hinunter (blaue Linie), sie erkennt nicht an, daß man in Wirk­lichkeit unmittelbar ein Geistiges findet, so wie man ein Sinnliches findet; sie schaltet das Geistige aus und betrachtet es nur als in den Wort-idolen enthalten, diese Entwickelung wird also inauguriert mit Bacon.

#Bild s. 284

Welches wäre denn das Gegenbild dazu? Das Gegenbild dazu wäre eine Entwickelung, welche nur anerkennen würde, daß ein Geistiges, ein Seelisch-Geistiges vorhanden ist, welche das Physisch-Materielle nicht anerkennt. Das wäre das Gegenbild dazu. Wir könnten also fragen: Ist auch diese Entwickelung vorhanden? Gibt es ebenso, wie Bacon sagt, nur die sinnliche Wirklichkeit ist Wirklichkeit, das andere sind Wort-idole, einen Ausdruck dafür, daß es nur ein Geistig-Wirkliches gibt und kein Materiell-Physisches, das in die Sinne tritt? Das gibt es in der Tat

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auch. Etwas später als Bacon lebt Berkeley, George Berkeley, und der stellt diese Linie der Entwickelung dar (rote Linie). Machen wir uns mit ein paar Worten klar, worin das Wesentliche der Weltanschauung Ber­keleys liegt.

Berkeley ist der Anschauung, die sich ihm im wesentlichen aus seiner theologischen Weltanschauung heraus ergeben hat - er war zuletzt Bi­schof -, daß alles das, was außerhalb des Menschen ist und durch die Sinne wahrgenommen wird, nur so lange da ist, als es durch die Sinne wahrgenommen wird. Also Berkeleys Anschauung ist diese - nicht wahr, am Gegensatz kann man es vielleicht am besten charakterisieren -: Sie nehmen an, jetzt aus einer, ich möchte sagen, Anschauung heraus, die dem Berkeleyismus gegenüber naiv ist, Sie nehmen an das Folgende:

Wenn Sie da hereinkommen, so sehen Sie, sagen wir, Herrn Bauer hier sitzen, aber Sie nehmen an, er hätte auch schon vorher hier gesessen, und Sie sehen ihn nachher. - Es gibt, wie gesagt, nicht den geringsten Beweis dafür, daß dasjenige, was Sie auf diesem Stuhle sitzen sehen, auch da war, bevor Sie es gesehen haben. Und wenn Sie wieder hinausgehen, so glauben Sie, der Herr bleibe hier sitzen und sitze da, während Sie ihm den Rücken wenden und hinausgehen. Berkeley ist der Ansicht: Es gibt keinen Beweis dafür, daß, sagen wir das, was Sie hier gesehen haben, noch da sitzt. So lange sitzt es da, als Sie hinschauen, denn das ist leben­dig, das Bilden im Auge, und wie sollte das Bilden im Auge da sein, wenn Sie nicht hinschauen? Man kann die Baconsche Weltanschauung logisch vollständig beweisen. Man kann auch die Benkeleysche Welt­anschauung logisch vollständig beweisen, denn es gibt keinen Wider­spruch im Berkeleyismus, den logisch sich ergeben könnte, es ist durchaus logisch zu erhärten, wenn es auch dem naiven Bewußtsein nicht ent­spricht. Berkeley ist nämlich nicht der Ansicht, daß Sie, wenn Sie her­eingehen, den Herrn Bauer schaffen, und wenn Sie hinausgehen, ihn wieder hinwegzaubern, dieser Ansicht ist er gerade nicht, aber daß das, was Sie sehen, erst mit Ihrem Schauen kommt und wieder weggeht mit Ihrem Schauen. Esse est percipi: Sein ist Wahrgenommenwerden. Und ein anderes Sein als das Wahrgenommenwerden in den umliegenden Welt gibt es nicht. Daher ist, wie Sie sich jetzt vorstellen können, für Berkeley alles das, was Sinnenwelt ist, überhaupt nun im Wenden. Sie

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gucken hin, da ist es da; Sie gucken weg, da ist es weg, da ist es nicht mehr da. Das alles ist also nur in Ihren Anschauungen da. Wie gesagt:

Esse est percipi, es gibt nichts außer dem Wahrnehmen, außer dem Wahrnehmungspnozeß. Aber hinter diesem Wahrnehmungsprozeß, der also gar nichts anderes ist als der Wahnnehmungspnozeß, da ist das gött­lich-geistige Sein. Außer Ihrem Wahrnehmen hat es mit dem Herrn Bauer noch der Gott zu tun, der ihn hinsetzt, so wie er will. Und dieser Gott, wenn Sie hereingehen, erzeugt aus dem, was nur in ihm ist, in Ihnen das Bild des Herrn Bauer. Dann, wenn Sie weggehen, läßt er es wieder verschwinden. Diese Sinnenwelt gibt es also nicht, nur Geistig­Seelisches gibt es. Sie alle, so wie Sie hier vor mir stehen, sind nur das Geschöpf meiner Augen. Außer dem, Was das Geschöpf meiner Augen ist, gibt es noch die göttlich-geistige, seelisch-geistige Welt, die aber Sie ganz anders erhält und trägt, als Sie da als Geschöpf meiner Augen existieren.

Ich habe diese Anschauung nur charakterisiert. Sie ist wirklich philo­sophisch streng beweisbar. Aber sie ist dasjenige, was, man möchte sagen, von dem Baconismus die andere Hälfte der Welt gibt. Und in diesen zwei Richtungen, in der roten und blauen, pendelt alle Weltanschauung des fünften nachatlantischen Zeitraums. Entweder es verstrickt sich diese Weltanschauung in die bloße Anerkennung des Sinnlich -Wirklichen und erklärt sich dadurch selber ohnmächtig, in dem Sinnlich -Wirklichen ein reales Geistiges zu schauen, oder sie erschöpft sich in der bloßen An­erkennung des Geistig-Seelischen, sieht überall nur Gott und göttliche Gedanken und erklärt sich ohnmächtig, von dem Leben in Gott und in göttlichen Gedanken herunterzusteigen zur sinnlichen Wirklichkeit. Diese zwei Abirrungen gibt es durchaus im fünften nachatlantischen Zeitraum. Und wer das geistige Leben betrachtet, wie es sich außerhalb der Esoterik entwickelt, wird es laufend finden entweder auf der einen oder auf der andern, auf der roten oder auf der blauen Linie. Das äußere Exoterische liegt nicht auf dem, was ich hier gezeichnet habe als die weiße Linie.

Man kann sagen, daß der Mensch des fünften nachatlantischen Zeit­raumes in eine gewisse Spannung hineinkommt zwischen diesen zwei Anschauungen der Welt. Und intensiv hat Goethe diese Spannung gefühlt.

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Ich habe Ihnen hier, ich möchte sagen die theoretischen, die mehr philosophischen Impulse vorgeführt, aber bei denen ist es nicht geblie­ben. Alles Leben irrt ebenso zwischen dem bloß Geistig-Seelischen und dem bloß Sinnlich-Materiellen hin. Goethe empfand diese Spannung in eminentester Weise. Daß er das alles empfand, was in der Außenwelt lebt, ich möchte sagen unter dem Einfluß der Strömung der blauen Linie, wenden Sie nicht wunderbar finden, denn so geht unsere wesent­liche Entwickelung im fünften nachatlantischen Zeitraum überhaupt, möglichst zum Materiellen hin und zur bloßen Anerkennung des Mate­riellen.

Aber auch die andere Linie empfand Goethe schon. Er empfand sie tief, nur war es zu Goethes Zeiten wirklich noch nicht so, ich möchte sagen, bedenklich, den Materialismus materialistisch zu nennen wie heute. Es war damals noch nicht so bedenklich, auf das Abirrende den blauen Linie hinzuweisen, als es heute ist. Heute muß Geisteswissen­schaft auf das Abirrende der blauen Linie hinweisen, und sie wird daher aushalten müssen alle Anpralle, alle furchtbaren Anpralle, die da kom­men müssen, weil man immer nun zunächst mit Vorurteilen, ja mit Haß sich dem entgegenstemmt, was als Erkenntnis sich in die Welt begeben will. Und immer mehr und mehr wird der Materialismus heiliggespro­chen werden, allerdings auf eine weltliche Art. Aber man kann doch sagen, heiliggesprochen werden wird der Materialismus. Wie nahe ist heute schon die materialistische Medizin daran, sakrosankt sich zu er­klären, wie viele andere Bestrebungen sind heute daran, sich sakrosankt zu erklären im Sinne des Materialismus, im Sinne der Abinrung, die die blaue Linie anzeigt, den Abirrung von dem Geistig-Seelischen, das zu gleichen Zeit aber als seine Offenbarung das Sinnlich-Materielle enthält, das dann dazugehört, das eins ist mit ihm, und das geltend gemacht wer­den muß von dem, was wir Geisteswissenschaft nennen. Jene Verfol­gungen, welche man die inquisitorischen Verfolgungen nennen könnte, die auf andern Gebieten früher schon waren, werden im Gebiete des Ma­terialismus erst kommen, beginnen eigentlich erst jetzt so recht, beginnen jetzt, fangen jetzt erst an, sich geltend zu machen, wenn auch die Formen andere werden. Die Auflehnung gegen die materialistische Färbung der Erkenntnis wird nicht minder der Inquisition verfallen, der Inquisition

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der Zukunft, die in etwas andern Formen auftreten wird als die In­quisition der Vergangenheit, als frühere Bestrebungen den entsprechen­den Inquisitionen verfallen sind. Man glaube nun nicht, daß alles das, was nach der blauen Linie abirrt, nicht ebensogut intolerant werden wird, wie Bestrebungen auf andern Gebieten intolerant wurden.

Nicht so deutlich trat die rote Linie früher schon hervor. Sie sonderte sich gleichsam erst in der fünften nachatlantischen Zeit und sogar etwas später ab als die blaue Linie, aber sie war in früheren Bestrebungen schon darinnen enthalten. In einer besonderen Form trat sie eigentlich erst auf und hat ihren bedeutendsten, ihren größten philosophischen Vertreter gerade in Berkeley Doch hat sie genügend andere Vertreter. Sie trat in der fünften nachatlantischen Zeit hervor, aber gewisse Dinge blieben ihr aus den Formen, die sie schon hatte, und deshalb war es, daß es zu Goethes Zeiten schon bedenklich war, über die rote Linie ordent­lich zu reden, während Goethe noch durchaus unbedenklich reden konnte üben die blaue Linie. Über die rote Linie war es bedenklich zu reden. Denn was strebt denn eigentlich auf der Bahn dieser roten Linie? Da streben alle diejenigen Weltanschauungen, welche vermeiden, den Blick über die Welt, über die ganze Breite der Welt auszudehnen, und welche schwelgen möchten in einem allgemein Geistig-Seelischen, in einem Gei­stig-Seelischen, das ohnmächtig sein will gegenüber der sinnlichen Offen­barung; eine Weltanschauung, die zwar sprechen will über das Über­sinnliche, aber die eigentlich nichts erkennen will. Da haben wir ein weites Gebiet, zu dem sich nach und nach fast alle Religionsbekenntnisse und alle Sekten gewendet haben, denn das ist das Eigentümliche, daß diese Weltanschauungen eigentlich verzichten darauf, die Welt zu be­greifen, und nur über irgend etwas Übersinnliches im allgemeinen reden und redend schwelgen wollen. Sie wollen sich nicht die positive konkrete Erkenntniskraft aneignen, mit dem, was sie erlangen, mit dem, wovon sie reden, wirklich unterzutauchen in die Welt der Wirklichkeit.

Sie werden mich vielleicht besser verstehen, wenn ich versuche, in der folgenden Weise mich auszudrücken. Denken Sie einmal, wie heute das Leben für einen Durchschnittsmenschen verlaufen kann. Der steht, sagen wir, sechs Tage in der Woche in der Fabrik oder im Kontor oder wo immer. Da steht er innerhalb eines rein materiellen Getriebes, das

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aufgeht in den bloßen Sinnesbetrachtung, da mischt sich nichts Geistiges hinein heute, und immer weniger und weniger Geistiges mischt sich da hinein. Da betrachtet man im Gegenteil denjenigen, der etwas Geistiges hineinmischen will, als einen ganz tollen Kerl. Aber auf diesem Gebiete funktionieren alle die Kräfte, welche die heutige Wissenschaft erkennen will. Da funktionieren alle die menschlichen Zusammenhänge, über die sich die Erkenntnis hermachen will, kurz, da ist alles das an Gedanken und Begriffen entwickelt, was üben die sich vor unseren Augen aus­breitende Wirklichkeit sich ergeht. Und dann nehmen wir an, nehmen wir zu seinem Besten an, daß dieser Mensch, den also die Woche über im Büro oder in der Fabrik mit dem rein materiell Erkennbaren sich be­schäftigt hat oder den das rein materiell Erkennbare gelehrt hat - schließ­lich wird in den gewöhnlichen Schulen auch nichts anderes gelehrt als das materiell Erkennbare -, daß der Mensch - nehmen wir zu seinem Besten an aus gewisser Aufrichtigkeit - am Sonntag in die Kirche geht, und da hört er nun reden von dem, von dem heute in den Kirche geredet wird, geredet wird nach den Evolution, die sich seit Jahrhunderten ergeben hat. Versuchen Sie einmal, wenn Sie es können, ich meine, wenn Sie dazu ge­nügend oft in der Kirche gewesen sind und Predigten angehört haben mit offenem Ohne, wenn Sie mit offenem Auge gesehen haben, was da vorgeht, fragen Sie sich einmal, ob in dem, was da gesprochen wird, etwas steckt, was geeignet ist, üben die Welt aufzuklären, die sich um uns herum ausbreitet. Man gibt zwar vor, daß der Gott, von dem da geredet wird, der Welt zugrunde liegt, aber man spricht nicht, nirgends, von der Art und Weise, wie er durch seine Kräfte, durch seine Impulse in die Welt eingreift. Man hat eine eigene Weltanschauung für die Wochen­tage: blaue Linie; eine eigene Weltanschauung für die Sonntage: rote Linie. Nirgends, nirgends haben wir einen Zusammenhang zwischen beidem, wenn wir wirklich die Dinge durchschauen. Fragen Sie ein­mal: Was hat denn dasjenige, was gelehrt wird von den Kanzel her­unter, für eine Beziehung zu der Chemie, zu den Physik, zu den Bio­logie? - Es wird gar keine Beziehung gesucht, sie wird sogar perhonres­ziert.

Nehmen Sie dagegen die Geisteswissenschaft, so werden Sie gleich sehen, worauf es ankommt. Geisteswissenschaft spricht nicht so von der

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sinnlich-materiellen Welt wie die gewöhnliche Physik, die gewöhnliche Chemie, sondern sie spricht so von der physisch-sinnlichen Welt, daß in das, was sie von der physisch-sinnlichen Welt spricht, heneinfließen kann in allen Einzelheiten das, was sie nun üben die geistige Welt sagt. Sie hat nicht eine Wochentagsansicht und eine Sonntagsansicht, sondern eine Ansicht, die über die geistige Welt sich ergeht und wie hinunterfließt in die Einzelheiten der physisch-sinnlichen Welt. Sie erklärt sich nicht ohnmächtig, wie der Berkeleyismus, vom Geistigen aus die Sinnenwelt zu erfassen, sie erklärt sich nicht ohnmächtig, wie der Baconismus, den Geist zu finden in der Sinnenwelt, sondern nur Idole zu finden. Woher kommt denn das? Nun, das haben wir schon begriffen. Es ist natur­gemäß dem fünften nachatlantischen Zeitraum, daß die Evolution, die durch die blaue Linie schematisiert wird, entstand. Bacon konnten wir gewissermaßen den Inaugurator nennen. Es mußte der Mensch einmal untertauchen in die Materie, ich habe das oft auseinandergesetzt und auseinandergesetzt, daß die Geisteswissenschaft durchaus nicht Gegner des Materialismus ist, sondern versteht, warum die materielle Entwicke­lung erkannt wird in der fünften nachatlantischen Zeit. Aber sie kann nicht erkannt werden, ohne daß man sich inspirieren läßt durch einen solchen Geist wie Ahriman. Und lassen Sie diesen Materialismus der fünften nachatlantischen Periode noch so lange sich entwickeln in seinem ahrimanischen Sinne, er wird glauben müssen seinerseits - das können Sie versichert sein, und Sie werden es nicht sein, weil ich es Ihnen sage, sondern weil Sie es verstehen werden aus dem ganzen Geiste der Geistes­wissenschaft heraus -, er wird festhalten müssen, dieser materialistisch­ahrimanische Sinn, an dem, was sich Ahriman-Mephistopheles in tief verruchten Stunden gelobt hat, nichts zu tun haben zu wollen mit dem regelmäßigen Fortgang des Menschengeschlechtes auf der Erde. Daher wird diese Wissenschaft, die aus diesem Materialismus herausgewachsen ist, niemals zu einem Durchschauen kommen des Geheimnisses der Menschwerdung, des Rätsels der Embryologie und so weiten - niemals! Sie würde kommen können zu einem Verständnis der Entstehung solcher Wesenheiten, die auf dem Wege des Homunkulus sich bilden können. Aber niemals wird diese Wissenschaft dazu kommen. Nun ist das nur eine Evolutionsströmung. Aber vieles, vieles hängt mit diesem Ahrimanismus

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zusammen. Das Wissen ist nur ein Teil. Aber es läuft in der gan­zen Kultur dieser Ahrimanismus.

Die andere Strömung, die durch die rote Linie schematisiert wird, empfand Goethe auch tief, nur war es ihm nicht möglich, ich möchte sagen, so deutlich, so ganz deutlich die Gestalten hinzustellen für diese rote Linie, wie er sie hingestellt hat für die blaue Linie. Für die blaue Linie hat er den Mephistopheles und seine Dick- und Dürrteufel und die Lemunen hingestellt. Da stehen sie vor uns. Das hat er gewagt. Denn verleumdet werden diejenigen, die über die Lemuren und die Dick- und Dürrteufel sprechen, erst vom jetzigen Zeitalter ab, werden immer mehr verleumdet, wenn sie in dem Sinne der Geisteswissenschaft sprechen. Zu Goethes Zeiten war das noch gewissermaßen weniger bedenklich. Aber bedenklich war das andere, das Goethe auch durchschaute und recht gut durchschaute, war das, daß er wohl wußte, wenn diese rote Linie sich heneinstellt in unsere Gegenwart, wenn wirklich da eine Anschauung ist, die sich ohnmächtig erklärt und immer mehr und mehr ohnmächtig er­klären wird, von der Anerkennung des Geistig-Seelischen zur Durch­dringung der wirklichen Welt zu kommen, so beruht es darauf, daß gewisse luziferische Geister verhindern, daß Strömungen, die früher berechtigt waren, fortschreiten. Luziferische Wesenschaft verhindert gewisse Strömungen, religiöse und sektiererische Strömungen, fortzu­schreiten. Und so können diese nicht durchdringen die Welt, bleiben in der bloßen Anerkennung des Geistig-Seelischen stecken. Der Benkeleyis­mus ist nur ein besonderer Ausdruck dafür. Das beruht auf einem luzi­ferischen Zurückgehaltenwerden. Wie drückt es sich aus für Goethe zum Beispiel? Mephistopheles erinnert sich an sich und seine Geschwister, an diejenigen, die einstmals in tiefvenruchten Stunden - das bedeutet in der Sprache des Mephistopheles etwas anderes - Vernichtung geschworen haben dem menschlichen Geschlecht, das heißt, nichts wissen zu wollen von der Art und Weise, wie die Menschheit die Erde bevölkert. Mephi­stopheles erinnert sich daran, daß eigentlich zu seinem Wesentlichen gehört, daß er in der ahrimanischen Zeit, bildlich gesprochen, in der bedeutsamen Sitzung seiner Geister war, die damals beschlossen haben, es solle niemals ein Mensch auf der Erde auf natürliche Art geboren wer­den, sondern die Kräfte, die als geschlechtliche auf den Ende existieren,

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sollen zu etwas ganz anderem benützt wenden. Das haben diese ahrima­nischen Wesenheiten beschlossen in der alten Zeit, ja nicht die Liebe der Geschlechter aufkommen zu lassen. Aber nun sagt Goethe, indem er sich selbstverständlich nicht identifiziert, aber hineindenkt in den Mephisto­pheles: Es gibt andere, die nicht von Mephistopheles inspiriert sind, aber auch inspiriert sind, nun, die sagen zwar nichts darüber, daß das Men­schengeschlecht auf den Ende sich nicht auf gewöhnlich menschliche Weise fortpflanzen soll, aber sie fangen an zu beten, finden, daß diejenigen erst das wahrhaft heilige Leben führen, die nichts tun in dem Sinne den gewöhnlichen Fortpflanzung der Menschheit, die davon absehen, die nichts wissen wollen davon: die Asketen, die Heiligen, die gegenüber der Liebe der Geschlechter die bekannten langen Gesichter machen, von denen wir schon öfter gesprochen haben. - Solche vermutet, sieht, schaut Mephistopheles auf der andern Seite inder Engeischar darinnen. Da sieht er die Inspinatoren diesen andern, die anbeten im Grunde genommen dasjenige, was Mephistopheles und seine Geschwister beschlossen haben:

. . . wie wir in tiefverruchten Stunden

Vernichtung sannen menschlichem Geschlecht:

Das Schändlichste, was wir erfunden,

Ist ihrer Andacht eben recht.

Daran heftet sich ja die Andacht. Die luziferisierten Inspiratoren der zurückgebliebenen Kirchengemeinschaften, Mönchsgemeinschaften, sek­tiererischen Richtungen, die luziferisierten Inspiratoren, stehen doch unter den andern Scharen darinnen. Nicht umsonst sagt der Mephisto­pheles zu dem einen langen Burschen, der ihm besonders gefällt:

Die Pfaffenmiene will dich gar nicht kleiden.

Da hat Goethe vieles von dem hineingeheimnißt, was er auf der Seele hatte gegenüber der Weltanschauung, die mit der Pfaffenmiene einhergeht, gegenüber der Sonntagsweltanschauung, die er als luzife­risch gedacht hat gegenüber der ahrimanischen. Mephistopheles fühlt sich verwandt denjenigen, die in ihre Andacht aufgenommen haben das, was Mephistopheles in seine Wissenschaft aufgenommen hat und in seinen Willen.

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Wie wir zu denken haben üben all diese Sachen rein geisteswissen­schaftlich, davon können wir ja noch sprechen. Jetzt wollen wir aber im Goetheschen Sinne über diese Dinge sprechen. Und eine - wenn ich so sagen darf - Un-Goethesche Empfindung ist das schon, was ich eben ausgesprochen habe. So stehen zunächst die ahrimanische Welt - Lemu­ren, Dickteufel, Dürrteufel - und etwas luzifenisch zunächst Angehauch­tes sich gegenüber. Das drückt Goethe ganz klar aus. Luzifenisch Ange­hauchtes steht gegenüber dem Mephistophelischen, wie gesagt, so ka­schiert, als es nun möglich ist, daß diejenige Persönlichkeit es ausdrückt, na, den man so manches gestattet: den Teufel. Der darf von der «Pfaf­fenmiene» sprechen, von den «allerliebsten» Jungen und so weiten. In den Tatsachen steht sich also das gegenüber. Auf der einen Seite Mephi­stopheles, der gewissermaßen verpfändet hat Faustens Seele. Wodurch verpfändet? Dadurch, daß er den Faust durch alles Indische getrieben hat, was unter die Sphäre hinuntergeht, die im Erdenwenden herein­gekommen ist, und unter die Menschwerdung durch geschlechtliche Liebe heruntergeht. Dadurch hat er Anspruch auf die Seele des Faust, daß er ihn eingeführt hat in alles Ahrimanische. Was durch den Faust noch in die Gretchen-Liebe hineingekommen ist, dafür kann Mephistopheles wahrhaftig nichts, und das hat er genügend in sein Gegenteil verkehrt. Und nachher geht es recht ahrimanisch zu. Da werden nur ahnimanische Künste angewendet, um gewisse äußere Erscheinungen den Griechen-welt hervorzurufen. Was man durch ahrimanische Künste erreichen kann, wird erreicht zuerst im staatlichen Zusammenhange - sagen wir es ganz leise. Dann wird es gesucht im Werden des Menschen, im Zu­sammenhang mit der Evolution, aber mit der untenmenschlichen und untertierischen Evolution, im Zusammenhange mit dem mechanisierten Homunkulus, historisch mechanisierten Homunkulus. Helena wird her-aufgebracht auf eine Weise, wie es nicht im Erdensein den Menschheit liegt. Dann wenden einige Erdenhandlungen hervorgebracht, na, das sind ja schließlich auch keine Erdengestalten, die da mithelfen, helfen als Eilebeute und Habebald. All das ist unter dem Einfluß ahrimanischer Künste schon sehr verpfändet, und verpfändet durch das einzige, was er haben kann von dem eigentlichen Erdensegen des Menschen. Also dadurch, daß er ihn durch die flache Unbedeutendheit führt - für das

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Erdendasein ist es nur flache Unbedeutendheit, aber es ist deshalb nicht etwas, wozu nicht ungeheure Vernunft und Wissenschaft gehört, wenn es auch flache Unbedeutendheit ist -, durch das ist die Seele ihm verpfän­det. Dann verpfändet durch das andere, daß er von dem eigentlichen Erdensegen - nun, was denn hat? Der Mensch hat sein Ich auf der Erde bekommen, also erst sein Blut. Knochen, Sehnen, Bänden, was die ge­flickte Halbnatur macht, kann der Mephistopheles haben, aber den eigentlichen Erdensegen, das Blut, den Repräsentanten, den physisch-materiellen Repräsentanten des Erdenmenschen, den möchte er zwar haben, aber den kann er ja nicht haben. Er ist auf dem Monde stehen­geblieben. Von dem kann er nur haben den blutgeschriebenen Titel, nur dasjenige, was gewissermaßen in den abstrakten Vertrag hereinzubrin­gen ist, was nicht zusammenhängt mit den Impulsen, die in der Realität sind, sondern was in der Abstraktheit, der Vertragsmäßigkeit bleibt. Das kann er nur herausziehen aus dem Blut, nicht den Impuls selber, sondern nur das kann Mephistopheles herausziehen.

Die Seele ist ihm verpfändet. Nun, in seiner Sprache sieht es so aus, als ob die andere Schar sie ihm einfach weggeschmuggelt hätte, listig weggenommen. Aber so ohne weiteres ist das nicht. Bis zu dem Tod, den wir gestern geschildert haben, hat schon der Mephisto den Faust noch immer ziemlich in seinen Krallen. Wenn Sie aber den Tod so anerken­nen, wie wir ihn gestern gezeigt haben, nicht erst, wenn der Faust hin-fällt, sondern wie der Tod so allmählich eintritt, dann ist dasjenige, was Faust da erlebt, und insbesondere als das wonnige Gefühl erlebt, das ich gestern am Schlusse beschrieben habe, nachdem sich die Seele vom Leibe gelockert hat, schon etwas in der geistigen Welt darinnen Erlebtes. Da gleitet Faustens Seele oder, wie Goethe zuerst geschrieben hat, Faustens Entelechie - wir werden morgen von dieser Entelechie spre­chen - hinüber in die luziferische Sphäre und würde in der luziferischen Sphäre sich auflösen. Da hätte Faust ebensowenig davon, wie wenn er dem Mephistopheles verfallen würde. Denken Sie doch nur, was ihm da droht!

Wendet zur Klarheit

Euch, liebende Flammen!

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Die sich verdammen,

Heile die Wahrheit;

Daß sie vom Bösen

Froh sich erlösen,

Um in dem Allverein

Selig zu sein.

Aber diese Seligkeit würde zur Auflösung im All führen, zum Über­gehen in die achte Sphäre! Faust hätte eben dies davon: er hätte die Auflösung in das All, was identisch wäre mit der Vernichtung. Und nun schlagen Sie die letzte Szene auf, von der ich gesagt habe, daß sie notwendig mit der vorhergehenden Szene verbunden ist, daß sie dazu­gehört, daß sie da sein muß. Da sehen wir in einem ganz andern Gebiete die Handlung fortgehen. Da kommen die Engel wiederum und bringen Faustens Entelechie, Faustens Unsterbliches. Aber indem sie diese En­telechie, dieses Unsterbliche bringen, sagen sie, wodurch sie diese Entele­chie hierherbringen können. Die jüngeren Engel, so heißt es in der letz­ten Szene:

Jene Rosen, aus den Händen

Liebend-heiliger Büßerinnen,

Halfen uns den Sieg gewinnen

Und das hohe Werk vollenden,

Diesen Seelenschatz erbeuten.

Die Engel haben also die Entelechie, die Seele des Faust nicht durch ihre eigene Natur, sondern dadurch, daß sie die Rosen der liebend-heiligen Büßerinnen haben, aus der menschlichen Sphäre heraus, be­ziehungsweise aus dem heraus, wo Menschen hineingewachsen sind, die das menschliche Erdenleben durchgemacht haben, die wirklich aus dem Erdenleben heraus sich entwickelt haben. Goethe leitet die ganze Evolu­tion von dem Mephisto, von den Engeln ab auf die menschliche Evolu­tion, indem die Engel die Entelechie nicht durch ihre eigene Kraft nur retten, sondern sie dadurch retten, daß sie die Rosen empfangen haben aus den Händen liebend-heiliger Büßerinnen. Das ist den unendlich tiefe Gedanke. Da bringt Goethe seine Überzeugung hinein von der Bedeutung der fortlaufenden menschlichen Entwickelung, von den Be­deutung

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den Erdenentwickelung. Und daher muß er aus dem Menschen-wesen heraus etwas finden, was das bloße Ahrimanisch-Mephistopheli­sche überwindet. Mephistopheles steht da, die Lemunen befehligt er -aus Knochen, Sehnen und Bändern zusammengeflickte Halbnatunen -, die Dickteufel, die Dürrteufel befehligt er. Ich habe auseinandergesetzt, was dies bedeutet: die untenmenschliche Natur, die nie den Menschen hervorbringen könnte, liegt in alldem nur, die Natur in einer Basis, aus der der Mensch nicht herauswachsen kann, liegt dadrinnen. Alles liegt dadrinnen, was die Weltanschauung begreifen kann, die auf der blauen Linie läuft, aber so darf dasjenige, was uns umgibt, nicht gefaßt werden. Dem Mephistopheles stehen von seiner Mondenzeit her nun zur Ver­fügung die Kräfte, welche befehligen Lemuren, Dick- und Dürrteufel, aber was die aus der Natur herausziehen, aus den Endennatur, ist nur das Mephistophelische, und da kann noch anderes herausgezogen wer­den, was Mephistopheles nicht wissen kann, weil er nicht die Erdenent­wickelung in seiner Art mitgemacht hat. Das wird herausgezogen, indem aus der nun wirklichen Heiligung der physischen Natur, der Veredelung den physischen Natur die Verwandtschaft mit den irdischen Kräften und Elementen gesucht wird.

Ewigen Wonnebrand,

Glühendes Liebeband,

Siedender Schmerz der Brust,

Schäumende Gottes-Lust.

Pfeile, durchdringet mich,

Lanzen, bezwinget mich,

Keulen, zerschmettert mich,

Blitze, durchwettert mich; .

- und so weiter. Da haben Sie das Durchbrausen den Natur, die zum Menschen gehört, die auch verbunden ist mit dem Luziferischen, mit dem Teuflischen, aber höher hinaufgeht. Da haben Sie diese Natur. Und die Engel haben auf der Erde die Aufgabe oder für die Ende die Aufgabe, mitzunehmen die Pflege des Menschengeschlechtes. Die Engel, die nicht zurückbleiben, sondern fortschreiten bis zu der Pflege des Men­schengeschlechtes, wie es auf der Erde sein soll, betrachtet Goethe als die

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eigentlichen Erlösen. Erinnern Sie sich, welchen Auftrag den Herr den eigentlichen Engeln gibt:

Doch ihn, die echten Göttensöhne,

Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!

Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,

Umfaß' euch mit der Liebe holden Schranken

- da sollen sie Hilfe leisten, da sollen sie eingreifen, und sie tun es. Die­jenigen Engel schreiten in der Engelschar wirklich vorwärts, die sich beschäftigen mit den liebend-heiligen Büßeninnen und von ihnen die Rosen nehmen. So wie den Mensch das ihm in der Erdenevolution Zu-geteilte aufnimmt, so nehmen diese Engel, die nicht zurückbleiben auf der Mondenentwickelung, sondern mit der Endenentwickelung mitge­hen, die Kräfte entgegen, die da kommen von solchen Naturen, wie sie dargestellt sind in dem letzten Akt in den liebend-heiligen Büßerinnen. Das bringt sie weiten. Das ist Goethes Überzeugung, daß sich die Engel entwickeln über das Luzifenische hinaus. Wie gesagt, ich wollte mit all-dem das andeuten, was Goethes Gedanke ist, wie Goethe verbunden war mit all den großen Evolutionsgedanken in seiner Art.

Nun wollen wir morgen weitensprechen. Ich hoffe, daß Sie aus dem heute Auseinandengesetzten gesehen haben, wie Goethe Tiefen des Wer­dens und der Weltengeheimnisse aufsucht, um seinen «Faust» zu schaf­fen, und wie er sein Urteil abgeben wollte über die sich fortentwickeln­den Weltanschauungsströmungen. Ja wahrhaftig, es liegt viel in diesem «Faust», sehr, sehr viel liegt in diesem Faust! Und man muß schon sagen: Unendliches könnte die Menschheit gewinnen, wenn sie ver­suchen würde, sich an alldem zurechtzufinden, was in diesen Goethe­schen «Faust», um Goethes eigenen Ausdruck zu gebrauchen, hinein­geheimnißt ist. Doch von alldem wollen wir dann morgen weiter reden und von einigen Zusammenhängen dieser Faust-Ideen mit den Ideen der Geisteswissenschaft.

GOETHES AUFSUCHEN DER TIEFEN DES WERDENS UND DER WELTGEHEIMNISSE IN SEINEM «FAUST». DIE LUZIFERISCHE UND DIE AHRIMANISCHE VERFÜHRUNG Dornach, 11. September 1916

#G272-1967-SE298 Faust I: Faust, der strebende Mensch

#TI

GOETHES AUFSUCHEN DER TIEFEN DES WERDENS

UND DER WELTGEHEIMNISSE IN SEINEM DIE LUZIFERISCHE UND DIE AHRIMANISCHE

VERFÜHRUNG

Dornach, 11. September 1916

#TX

nach einer eurythmischen Darstellung der Szenen «Mitternacht> und

Es wäre natürlich sehr viel zu sagen, wenn man alles ausschöpfen möchte, was gerade in diesen Schlußszenen des Goetheschen «Faust» liegt, wenn man in diesem Zusammenhang auf alle Perspektiven hinweisen wollte, die sich für die Geisteswissenschaft ganz naturgemäß ergeben aus den Gedanken, die da fließen aus diesen Schlußszenen. Von der Fülle dessen, was zu sagen wäre, will ich heute noch einiges herausholen. Ich möchte aber durchaus nicht die Vorstellung hervorrufen, als ob es sich dabei um eine völlige Erschöpfung dieser Dinge handeln könnte.

An zwei Tatsachen der Erdenentwickelung müssen wir besonders an­knüpfen, wenn wir diese Schlußszenen verstehen wollen, an zwei wich­tigste Tatsachen den Erdenentwickelung. Wir haben schon auf sie hin-gewiesen. Die erste Tatsache liegt in der lemurischen Zeit, die zweite liegt in der atlantischen Zeit. Wir wollen sie heute nur, soweit wir sie brauchen, charakterisieren. Die Tatsache der lemurischen Zeit, von einem gewissen Gesichtspunkte aus gekennzeichnet, besteht darin, daß durch all die Ereignisse, die nachgelesen werden können in der « Ge­heimwissenschaft im Umriß» oder in unseren Zyklen, die Menschen ge­wissermaßen tiefer in die Materie herein sich organisiert haben, als es vorausbestimmt war. Das ist geschehen durch den luziferischen Impuls. Durch diesen Impuls ist gewissermaßen die eine der Absichten erfüllt worden, auf die Mephistopheles hinweist mit dem, wovon er sagt, daß er es mit den andern zusammen unternommen habe in tiefverruchten Stunden, als Vernichtung ersonnen wurde dem menschlichen Geschlecht. Damit, daß die Menschheit sich tiefer in die Materie hereinorganisierte, als es ihr eigentlich vorbestimmt war, verband sich das menschliche Bewußtsein mit alldem, was das Dasein des Menschen in den Erden-entwickelung bedeutet, in anderer Weise, als es hätte sein sollen. Wir

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haben öfter darauf hingewiesen, daß dadurch, daß dieser luziferische Impuls gegeben worden ist, der Mensch ein ganz anderes Bewußtsein verbindet mit der Generation, mit der geschlechtlichen Fortpflanzung. Es wurde dazumal sozusagen die geschlechtliche Fortpflanzung in das Bewußtsein hereingeholt, und dadurch wurde sie in gewissem Sinne, man kann schon sagen aus einer übersinnlichen Tatsache zu einer sinn­lichen Tatsache gemacht. Das ist das erste.

Die Tatsache, die dann in der atlantischen Zeit vorliegt, besteht darin, daß, indem der Mensch nun schon in der Sinnlichkeit tiefen organisiert war, als es ihm vorbestimmt war, er seinen ganzen Organismus so aus-bildete, daß die Venahrimanisienung, könnte man sagen, so stattfinden konnte, wie wir es oftmals beschrieben haben, daß der Mensch seine geistigen Kräfte mit den sinnlich-physischen Naturkräften und Natur-tatsachen verband. Sie wissen, daß in der Bibel die erste Tatsache aus­gedrückt wird durch das Bild, das gegeben wird über die luziferische Verführung, das in den Worten hauptsächlich charakterisiert ist, die Lu­zifer spricht mit Bezug auf das Menschengeschlecht: Eure Augen werden aufgetan sein, und ihn werdet unterscheiden das Gute und das Böse. -Eure Augen werden aufgetan sein - in diesem Hereinnehmen der Sinn­lichkeit in das Bewußtsein mit dem Aufgetanwerden der Augen liegt eben der Fall der Menschheit in die Materie. Also jetzt war die Mensch­heit tiefer in die Materie hineingefallen, als es ihr vorbestimmt war. Es war der Menschheit vorbestimmt, zu schauen die materielle Welt von außerhalb der materiellen Welt. Durch die luzifenische Verführung ist die Menschheit gesunken in die materielle Welt, und durch das Ahrima-nische der atlantischen Zeit ist dann innerhalb des Materiellen eine Ver­wandtschaft des Menschen mit dem Materiellen eingetreten, die nur gewissermaßen im geistigen Gegenbild oben hätte stattfinden sollen. Was sich oben hätte vollziehen sollen, gewissermaßen schwebend über dem Materiellen, hat sich in dem Materiellen vollzogen.

Das erste also ist dadurch ausgedrückt, daß über dem Menschen die Worte gesprochen worden sind: Eure Augen werden aufgetan sein, und ihr werdet unterscheiden - äußerlich - in der sinnlichen Anschauung das Gute und das Böse. - Das zweite wird ausgedrückt in der Bibel, wie Sie wissen, dadurch, daß gesagt wird: Und die Söhne der Götter fanden,

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daß die Töchten der Menschen schön seien, und sie venbanden sich mit ihnen in der Materie. - Das ist das biblische Wort, welches, ich möchte sagen mit Anlehnung an den Menschen und das, was im Menschen wohnt, eine breite Tatsache ausdrückt. Denn in diesen bneiten Tatsache ist alles ahnimanische Winken im Menschengeschlecht zugleich mit in-begriffen. Durch dieselbe Kraft, mit den die himmlische Liebe hinein-gesunken, -gezogen ist in die Materie und zur irdischen Liebe geworden ist, durch die Kraft, die den Tatsache den Verwandlung der himmlischen Liebe zur irdischen Liebe zugrunde liegt, durch diese Impulse, diese Tatsache wurde zugleich das bewirkt, daß in einer irdischen Weise der Intellekt des Menschen sich verbindet mit der Materie und die materia­listische Form der Wissenschaft schafft. Ohne daß die ahrimanischen Im­pulse im Menschen Platz gegriffen hätten, die ausgedrückt werden durch ihre gewissermaßen menschlichste Tatsache: Und die Söhne der Götter fanden, daß die Töchter der Menschen schön seien, und sie verbanden sich mit ihnen im Fleische -, ohne daß die Impulse in das Menschen­geschlecht eingezogen wären, wären auch die Impulse nicht eingezogen, die den menschlichen Intellekt dazu verwenden, alle möglichen Instru­mente zu erzeugen, die nur Zusammenfügungen von materiellen Kräften sind, und die darin bestehen, daß man bloß maschinenmäßig alles mög­liche erzeugt zu jedem beliebigen Zwecke, wenn auch dieser Zweck die Vernichtung des menschlichen Geschlechtes ist. Es würde, wenn diese ahrimanische Verführung nicht geschehen wäre, nicht möglich geworden sein auf den Erde, daß Mordinstrumente und dergleichen ersonnen wor­den wären, weil, wenn die Menschen die Verwandtschaft behalten hät­ten zwischen dem Intellekt und dem Schaffen da oben, nicht da unten in der Materie, sie auch nicht den Intellekt in die Materie hineingießen würden, um solche Gebilde zu schaffen, wie sie in unseren bloß dämo­nischen Mechanismen geschaffen werden, die eine immer größere Rolle in der Vermaterialisierung der menschlichen Kultur spielen. So wie alles, was Verwirrungen und Verirrungen des menschlichen Affekt-, Leiden­schaftslebens ist, des menschlichen emotionellen Lebens, ausgedrückt ist durch die Tatsache: Und Eure Augen werden aufgetan sein, und ihr wer­det unterscheiden - äußerlich, sinnlich unterscheiden - das Gute und das Böse -, so sind alle die Tatsachen, die gewissermaßen aus dem Hochmut

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der Menschen heraus und aus den ahrimanischen Natur den Menschen heraus wie große Fortschritte der Menschheit angestaunt werden, die rein mechanische Kultur, aus demselben Prinzip, aus dem heraus ist, was angedeutet ist in den Bibel: Und die Söhne den Götter fanden, daß die Töchter der Menschen schön seien, und sie verbanden sich mit ihnen im Fleische. - Die Urkunden drücken diese Dinge in ihren Art aus. Auf einem gewissen Gebiete leuchten sie dahin, wo diese Impulse liegen, aber diese Impulse sind im weiten Umkneise geltend. Im jetzigen Zeitalter, wo die Menschheit Luziferisches und Ahnimanisches überwinden soll -und dieses muß voll erkannt werden -, in unserer Zeit muß eine klare Einsicht immer mehr und mehr Platz greifen über das, was da geworden ist durch das Auftun den Augen, durch das Verbinden der Göttersöhne mit den Töchtern den Menschen, das heißt, durch das Heruntersteigen der himmlischen Liebe zur irdischen Liebe. Ein klares Verständnis muß sich darüber verbreiten.

Und an die Notwendigkeit dieses klaren Verständnisses reichte Goethes Empfinden heran. Gerade als er die letzten Szenen des «Faust» dichtete, reichte sein instinktiv-empfindungsgemäßes Erkennen heran. Das ist so unendlich bedeutsam. Um was kann es sich also handeln? Sie wissen, damit erreicht man nichts, daß man sagt: Oh, ich fliehe das Luzi­ferische, ich fliehe das Ahrimanische. - Das ist törichtes Gerede, denn das kann man nicht, man kann nur das Gleichgewicht herstellen zwi­schen beiden. Man muß also das Luziferische durch das Ahrimanische allmählich paralysieren im weiteren Fortschreiten den Menschheitsent­wickelung, und umgekehrt das Ahnimanische durch das Luziferische paralysieren. Das empfand Goethe und das geheimnißte er hinein in die letzten Szenen seines «Faust».

Erinnern wir uns noch einmal an die ergreifend erschütternde Szene mit der Sorge. Erinnern Sie sich, wie einmal ausgeführt worden ist in einem früheren Zyklus, daß das dem Ahriman-Mephistopheles recht­mäßig zugehörige Reich das Reich des Todes ist. Also in einer gewissen Weise gehört Vernichtung, Sterben schon zum Reiche des Ahniman; er darf nur nicht in deplacierter Weise seine Impulse anwenden. Wenn er sie anwendet auf Orte, wo sie nicht hingehören, dann entsteht das Schlimme. Nun läßt Goethe Mangel, Not, Schuld in dem Augenblicke

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abgehen, wo den physische Leib sich beginnt zu lockern von dem Geistig-Seelischen. Damit zeigt er an, daß en die Verbindungen kennt, die ge­rade für das im Leib verbrachte physische Erdenleben bestehen zwischen dem Menschen und Mangel, Not und Schuld. Aber als die Seele schon gelockert ist, als schon gesagt ist von den dreien, daß den Tod heranzieht, da bleibt noch die Sorge, die aber doch wiederum verschwistert ist mit den andern. Sie bleibt gewissermaßen in der Zeit, in welcher der Tod schon wirkt. Sie ist aus dem berechtigten Reich des Ahriman herein-gesendet, die Sorge. Ahriman könnte nichts Schlimmeres für den Faust tun, als die Sorge venhindern, über den beginnenden Tod des Faust mit dem Faust zu bleiben, denn darin liegt das Hereinspielen ganz geheim­nisvoller Kräfte. Hier wird an ein tiefes Mysterium gerührt. Was tut die Sorge? Die Sorge, die auch von Mephistopheles-Ahriman, wie alle grauen Weiber, herangebracht ist, denn bis dahin dauert die Magie des Mephistopheles noch, was tut die Sorge? Sie macht an Faust zunichte, was Luzifer bewirkt hat, sie macht ihm die Augen wieder zu. Denken Sie, welche Tiefe der Weltanschauung hier liegt! Das, was durch Luzifers Impuls an den Menschen herangekommen ist, wird nun durch einen Im­puls Ahrimans auf dem Umwege durch die Sorge paralysiert. Der Mensch ist sehend geworden auf physischem Gebiete durch Luzifer. Jetzt wird er durch die aus dem ahrimanischen Reich hereingeholte, herein-geschickte Gestalt wiederum blind gemacht, das heißt innerlich sehend gemacht.

Allein im Innern leuchtet helles Licht.

Eine ungeheure Tiefe ruht in dieser Sache. Und so sucht Goethe wirk­lich in diesem sterbenden Faust an einem Menschen nicht ungeschehen zu machen, aber so zu gestalten das Luziferische, daß es im Gleich­gewicht mit dem Ahrimanischen ins Leben hereintritt. Und jetzt spricht die Sorge gewissermaßen ein tiefes Wort aus, um das zu interpretieren, was sie tut. Luzifer hat einst gesagt: Ihr Menschen werdet sehend sein dadurch, daß eure Augen aufgetan werden. - Was sagt die Sorge? Die Sorge stellt dem Luziferischen das Ahrimanische entgegen. Die Menschen sind zwar äußerlich-physisch sehend geworden, aber in geistiger Bezie­hung blind, und das sind sie das ganze Leben hindurch. Wodurch kann

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es überwunden werden, dieses Blindsein? Dadurch, daß man mit Be­wußtsein hineintaucht, daß man es faßt, daß man es erkennt, dadurch tritt wiederum geistiges Sehen, geistiges Schauen ein. Nun spricht die Sorge ein Wort aus, von dem man schon mit einem gewissen Rechte sagen könnte, es klingt zunächst gleich geheimnisvoll für Kluge und für

Toren:

Die Menschen sind im ganzen Leben blind,

Nun, Fauste, werde du's am Ende!

So scheint die Sorge zu sprechen:

Die Menschen sind im ganzen Leben blind,

Nun, Fauste, werde du's am Ende!

Man kann nichts Rechtes zunächst daraus machen aus diesen zwei Sät­zen. Man frägt sich: Was soll es eigentlich heißen? - Also physisch sind die Menschen das ganze Leben sehend, aber das nennt die Sorge blind.

Nun, Fauste, werde du's am Ende!

Er wird nun wirklich blind. Sie wendet das Wort in einer ganz andern Weise an, aber sie meint eigentlich, daß er sehend wird innerlich. Es kommt darauf an, daß man nun diese Sätze in der richtigen Weise zu lesen lernt. Und das besteht darinnen:

Die Menschen sind im ganzen Leben blind,

Nun, Fauste, werde du's am Ende!

In dem Werden liegt das Erleben. Die Menschen, für die ist es eine gegebene Tatsache: sie sind blind. Aber Faust soll nicht blind sein, son­dern erleben das Hineingehen in die Blindheit. Werde blind, erlebe werdend diesen Zusammenhang zwischen Sehend-sein und Blind-sein. Nehmen Sie dieses Wort und knüpfen Sie es an ein anderes Wort:

Doch ihr, die echten Göttersöhne,

Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!

Das Werdende

- auf das wird hingewiesen! -

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Das Wendende, das ewig winkt und lebt,

Umfaß' euch mit der Liebe holden Schranken.

Das Werdende, das ewig winkt und lebt, das wind als das Geistige, als den Widerschein des Geistigen gefaßt im «Prolog im Himmel», dieses Werdende, das wird jetzt über Faust ausgegossen durch die Sorge:

Die Menschen sind im ganzen Leben blind,

Nun, Fauste, werde du's am Ende!

Das ist etwas anderes, wenn man werdend erlebt den Zusammen­hang zwischen sehend und blind, als wenn man ihn nicht erlebt, sondern in der sehenden Blindheit nur darinnen ist.

Man kann, wenn man mit Goethe gut bekannt ist, seine eigentüm­lichen Empfindungen gegenüber Sein und Werden wohl nachfühlen, und dann hat man gerade an dieser Auffassung dieses Spruches hier ein Tiefes, Tiefes an Goethe. Also sehen wir, wie Goethe an tiefste mensch­liche Geheimnisse dringt. Dieses Erblinden durch die Sorge ist wirk­lich das Gegenstück zum Sehendwerden des Menschen durch Luzifer im Paradiese.

Und nun gehen wir weiter. Schauen wir uns Mephistopheles an, wie er da steht, den Göttersöhnen gegenüber, die empfangen haben, damit sie wirklich den Seelenschatz haben können, die Rosen aus den Händen liebend-heiliger Büßerinnen. Was ist denn da geschehen? Diese Büßerin­nen waren einmal auf der Erde, sind durch die irdische Liebe durch­gegangen, durchgegangen durch das, was durch die ahrimanische Ver­führung in der atlantischen Zeit geworden ist. Was ist aber erreicht durch die menschlichen Erlebnisse, die diese Büßerinnen durchzumachen hatten? Die irdische Liebe ist wieder himmlisch geworden! Gretchen selber, sehen wir am Schluß, hat in die geistigen Regionen die hier ver­lebte irdische Liebe hinaufgetragen. Und ins Geistige, Himmlische ist das verwandelt, was hier auf der Erde vorgegangen ist. Gretchen ist da oben unter den Büßerinnen, sie ist unter den Rosen streuenden Büßerin­nen. Die irdisch gewordene Liebe tritt uns da wiederum himmlisch ent­gegen. Sie ist zurückgeführt durch den Menschheitsprozeß, durch das, was Menschen erleben können, wieder in den himmlischen Bereich. Und wenn die Bibel es ausdrückt an der Stelle, wo sie die himmlische Verführung

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meint, daß die himmlische Liebe irdisch geworden ist, so deutet Goethe auf den Menschheitsprozeß, wo die irdische Liebe wieder himm­lisch wird, und Mephistopheles steht unten als auch ein Göttersohn, der sich aber jetzt verbindet mit den wiederum geistig gewordenen Töchtern der Menschen durch die Rosen, die sie gestreut haben. Es ist der um­gekehrte Prozeß von dem, den uns die Bibel andeutet: Und die Söhne der Götter verbanden sich mit den Töchtern den Menschen. - Wiederum mit den von den Göttern aufgenommenen Töchtern der Menschen ver­bindet sich der mit den Töchtern der Menschen verirrte Mephistopheles. Also der umgekehrte Prozeß. Sowohl der Paradiesesprozeß der luziferi­schen Verführung wie der spätere Prozeß, der angedeutet wurde durch die Worte: Die Söhne der Götter verbanden sich mit den Töchtern der Menschen im Fleische -, wird in den Umkehrung angewandt. Der Göttersohn Ahriman-Mephistopheles verbindet sich mit den wiederum in die Götternatur aufgenommenen Töchtern der Menschen, aber jetzt in himmlischen Liebe, nicht in irdischer Liebe, im Geiste, in der Seele, nicht im Fleische. Der umgekehrte Prozeß. Wiederum ein wunderbares Mysterium, durch das die Vorgänge des «Faust» unmittelbar angeknüpft werden an die höchsten Traditionen der Menschheit.

Und jetzt erst verstehen wir, wenn wir die Dinge so nehmen, was Goethe eigentlich meint, denn jetzt erst sind wir imstande, real den Pro­zeß zu fassen, der sich da abspielt. Es ist höchst interessant, zu verfolgen, wie Goethe durch die Notwendigkeit der Sache, ich möchte sagen, ge­führt worden ist, den Schluß seines «Faust» gerade so zu gestalten, wie er ihn gestaltet hat. Er hat sich wirklich von den Sache führen lassen, nicht von irgendeiner bloßen inneren Willkür, von den Sache hat er sich führen lassen. Bedenken Sie nur, er hat sich einmal aufgeschrieben, als die Sache noch nicht fertig war, als sie so reif war, daß er sie dichten konnte, in einem Schema, wie er diese Szene gestalten will. Da schreibt er sich auf:

«Vier graue Weiber». - Nun, das hat er so ausgeführt.

«Faust und Sorge» - ausgeführt.

«Mephistopheles und Lemuren» - ausgeführt.

«Faust Zufriedenheit» - ausgeführt.

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«Vorbei. Leiche. Lemuren begrabend. Entfernt. Satane und Höllen­nachen» - gut.

«Verwesung erwartend» - das hat er gebildet.

«Weil die Seele späten als sonst entflieht» - das ist wieder ausgeführt.

«Satanische Posituren, sie zu erhaschen» - nun, das haben wir heute hier darzustellen versucht!

«Engel, Himmelsglorie, schweben heran. Mephistopheles. Widerset­zen. Engel streuen Rosen. Die verwelken auf den Hauch der Satane. Verwandelt in Liebesflammen. Satane fliehen. Mephistopheles' Liebes-pein. Engel entschweben. Mephistopheles zur Appellation.»

An diese Appellation, wo Mephistopheles gewissermaßen dem Him­mel gegenüber appelliert um die Seele des Faust, will Goethe anschließen ursprünglich. Also das hat er sich aufgeschrieben: Mephistopheles ab zur Appellation. - Dazu schreibt er sich: «Himmel, Christus, Mutter» -also die Mater dolorosa - «Evangelisten und alle Heiligen. Gericht über Faust». Also nicht lange, bevor Goethe seinen «Faust» vollendet hat, hat er ihn so vollenden wollen, daß er den Mephistopheles appellieren läßt in bezug auf Fausts Seele dem Himmel gegenüber, und gedacht hat, eine Art Gericht halten zu lassen, wo man hätte sehen sollen eine Art himmlische Szene, bei der sich versammelt haben Christus, die Mutter Gottes, die Evangelisten und alle Heiligen. Goethe hatte also daran ge­dacht, diese Szene etwa so vorzuführen, wie wir den oberen Teil auf dem bekannten Raphaelischen Bilde finden, wo das Sakrament in der Mitte ist. Wir kennen dieses Bild. Da hätte Gericht gehalten werden sollen über Faust. So hat Goethe das nicht ausgeführt, weil er in der Zeit, in der er sich das aufgeschrieben hat, mehr noch seiner inneren Willkür folgen wollte. Er ist getrieben worden durch die Sache, es anders aus­zuführen. Das erste hätte ja recht schön sein können, aber, man möchte sagen, das hätte auch in früheren Zeiten so geschrieben werden können. In die Goethe-Zeit paßt das nicht mehr herein. Nur diejenigen, die nichts verstehen von der Entwickelungsgeschichte der Menschheit, glau­ben, daß man alles zu allen Zeiten schreiben kann, und daß man in jeder Zeit über alle Sachen in der gleichen Weise schreiben kann. Das tun diejenigen nicht, die lebendig im Menschheits-Entwickelungsprozesse darinnenstehen. Also das hat Goethe nicht ausgeführt. Dagegen hat er

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das ausgeführt, was wir jetzt kennen, und was vor einiger Zeit hier vor­geführt worden ist, die Szene, wo es hinaufgeht durch die heiligen Anachoreten, wo wir dann geführt werden in das Gebiet, wo die Engel kommen, in das Gebiet der seligen Knaben, wo die Büßerinnen auftre­ten, wo Gretchen selber auftritt. Das heißt, Goethe hat ganz im Sinne der Zeitforderung, die an ihn gestellt war, vermenschlicht die letzte Szene, hat das Menschheitliche in seiner Bedeutung für die geistige Realität hereingenommen. Goethe hat es selbst einmal ausgedrückt, daß gewissermaßen das Hauptsächlichste für die Lösung seines Faust-Pro­blems in den Worten liegt, die in der Schlußszene enthalten sind:

Wer immer strebend sich bemüht,

Den können wir erlösen;

Und hat an ihm die Liebe gar

Von oben teilgenommen,

Begegnet ihm die selige Schar

Mit herzlichem Willkommen.

Man muß solch ein Goethe-Wort nicht leicht nehmen. Die Faust­Kommentatoren haben es sehr leicht genommen. Goethe wollte, indem er auf dieses hinwies, zeigen, wie tief er das Geheimnis des gnadenvollen Wirkens des göttlich-geistigen Prinzipes in bezug auf den Menschen zu fassen imstande war. Und tief bedeutungsvoll verfuhr er darnach. Aber er nahm es lebendig. Dadurch, daß Gretchen an Faustens Seite gewisse Erlebnisse hatte während ihrer Erdenzeit und dann hinaufversetzt ist in die geistigen Welten, ist ein Band geschaffen zwischen Faust und Gretchen, und Goethe will zeigen, daß ihm so etwas eine Realität ist, daß, wenn der Tod hingeht über diese Dinge, sie eine Realität bleiben. Der Mensch ist hineingestellt in die Verbindungen, die sich bilden wäh­rend seines physischen Daseins, nur nehmen sie, wenn der Tod über sie hingegangen ist, eine geistige Form an.

Und hat an ihm die Liebe gar

Von oben teilgenommen,

- das heißt, er ist eingegangen Wahlverwandtschaft mit dem Geisti­gen, das aus dem Sinnlichen geworden ist. Dann begegnet ihm das, was

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seelisch geworden ist, mit herzlichem Willkommen, dann ist er nicht nur der freie Mensch, dann ist er der in die Gnadenwinkungen eingespon­nene Mensch. Da weist Goethe darauf hin, wie tief bedeutungsvoll alles das für den Menschen wird, was der Mensch an Wahlverwandtschaft eingeht, und wie real das ist, was aus dem Physischen ins Geistige auf­genommen ist, für den Menschen, der da in irgendeinen Weise hinein­verwoben ist. Und wie Realitäten sind dasjenige, was die Menschen auf moralischem, auf geistigem Gebiete tun, wie das nicht bloß, wie der Materialismus glaubt, etwas Vorübergehendes ist, sondern etwas Fort­wirkendes ist, was Bedeutung hat für die sich entwickelnde Menschheit. Das zeigt Goethe in dieser Schlußszene. Dadurch ist diese Schlußszene so grandios.

Was kann der Materialismus anders sagen als: Nun, da ist den Paten ecstaticus, der macht sich so etwas vor; aber wenn der Paten ecstaticus tot sein wird, dann ist es mit alldem aus. Ebenso der Paten profundus, ebenso der Paten Seraphicus und so weiter. - Für Goethe sind das ebenso reale Vorgänge, was diese erleben, diese Anachoreten, wie ihm reale Vorgänge sind das Auf- und Untergehen der Sonne. Und so wie durch das Auf- und Untergehen der Sonne hier für den Menschen der physi­schen Welt etwas bewirkt wird, so wird für Goethe in Faustens Seele ein realer Prozeß bewirkt durch dasjenige, was die Welt durchströmt aus den Verzückungen und Gebeten und mystischen Verschwebungen der Anachoreten. Die Realität der geistigen Welt, insofern diese geistige Welt wurzelt im menschlichen Fühlen und im menschlichen inneren Er­leben, das wird von Goethe nun hingestellt. Nicht bloß die gewisser­maßen vom Menschen losgelösten überirdischen Vorstellungen, sondern die mit dem Menschen tief innerlich zusammenhängenden überirdischen Vorstellungen werden von Goethe hingestellt. Und dadurch ist seine Faust-Dichtung so recht die Dichtung geworden vom Ausgang, von der ersten Zeit der fünften nachatlantischen Periode.

Nur muß eines denjenigen auffallen, welche verschiedene Notizen verfolgen, die sich Goethe gemacht hat, bevor er die einzelnen Szenen geschrieben hat. Ich habe von einigen Notizen schon gesprochen in an­derem Zusammenhang. So in der Zeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts, als Goethe neuerdings heranging, seinen «Faust» zu bearbeiten, da

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schrieb er sich mit einigen Sätzen diese Skizze auf, wie er da arbeiten will, wie er das schon Bearbeitete in das Folgende hinübenleiten will. Da schreibt er sich auf:

«Ideales Streben nach Einwirken und Einfühlen in die ganze Natur. Erscheinung des Geists als Welt- und Tatengenius.»

- Das ist alles da.

«Streit zwischen Form und Formlosem.

Vorzug dem formlosen Gehalt

Von der leeren Form.

Gehalt bringt die Form mit.

Form ist nie ohne Gehalt.

Diese Widersprüche, statt sie zu vereinigen, disparater zu machen.

Helles, kaltes wissenschaftliches Streben. Wagner.

Dumpfes, warmes wissenschaftliches Streben. Schüler.

Lebensgenuß der Person von außen gesehen, I. Teil.

In der Dumpfheit, Leidenschaft.

Tatengenuß nach außen, II. Teil, und Genuß mit Bewußtsein.

Schönheit.

Schöpfungsgenuß von innen.»

Da deutet er schon hin auf die Richtung, die er gegen den Schluß zu nehmen will. Und dann schreibt er sich auf, was nicht zur Ausführung gekommen ist: «Epilog im Chaos auf dem Weg zur Hölle».

Ich habe schon gesagt, wie mißverstanden worden ist, daß dieser Epilog hätte gehalten werden sollen im Chaos auf dem Weg zur Hölle. Die Leute haben sich den Kopf darüber zerbrochen, wie denn den Faust noch hätte schließen sollen mit einem Epilog im Chaos, auf dem Weg zur Hölle. Also hätte doch Goethe in einem verhältnismäßig vorgerückten Stadium den Faust nicht erlöst werden lassen wollen, sondern ihn zur Hölle fahren lassen wollen. Die Leute haben durchaus nicht daran ge­dacht, daß diesen Epilog der Mephistopheles sprechen solle und dunchaus nicht Faust. Der zieht ab zur Hölle, nachdem er die Wette verloren hat, und spricht seinen Epilog. Aber den konnte Goethe nicht ausführen, den ist wirklich nicht da. Warum ist er nicht da? Weil er in diesen Zeit noch

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nicht geschrieben werden konnte aus dem tiefen Mysterium, und zu­gleich aus dem Mysterium seiner Zeit heraus. Denn was würde denn in diesem Epilog im Chaos auf dem Weg zu Hölle enthalten sein? Stellen wir uns einmal vor, was da enthalten sein würde. Was ist geschehen? Wir haben die verschiedenen Wechselwirkungen betrachtet, die zwischen dem Ahrimanischen und dem Luziferischen eingetreten sind, die dar­gestellt sind am Schlusse des Goetheschen «Faust». Dadurch ist Faustens Seele wirklich nicht von Ahriman-Mephistopheles erbeutet worden, son­dern sie geht in der entsprechenden Weise in die geistige Welt hinein, um sich zu verbinden mit den Kräften, die von der seligen Schar kom­men in der Weise, wie wir das dargestellt haben. Es ist dadurch bewirkt, daß zunächst das luziferische Element ein wenig Übergewicht gewonnen hat, daß eine Art Vergeistigung für Faust eingetreten ist, daß die Ver­materialisierung, die durch Ahriman hätte eintreten sollen, wodurch Faustens Seele gewissermaßen durch Erdenschwere mit der Materie ver­einigt geblieben und Faust in einen Abgrund versunken wäre - der flerrscher über die Materie ist Ahriman-Mephistopheles! -, daß das nicht eingetreten ist Das ist nicht eingetreten. Es ist gewissermaßen die Waagschale mehr nach der luziferischen Seite ausgeschlagen. Dadurch ist es möglich geworden, daß Faustens Seele in die Region kommt, in die sie dann hineinkommt da, wo mit Überwindung des Ahrimanischen in der entsprechenden Weise die menschlichen Wirkungen der Büßerinnen und Gretchens selber in der geistigen Sphäre sind.

Nun steht Mephistopheles da. Er hat diese Seele erbeuten wollen, er hat sie nicht erbeuten können. Es ist ihm nicht gelungen, sie mit der Erdenschwere zu verbinden, sonst würde sie entweder schon am Leich­nam geblieben sein und in dem Kreis der Lemuren erhascht worden sein, oder es würden sie die Dickteufel erbeutet haben oder die Dünnteufel. Das alles ist nicht gelungen. Es ist eine solche Gleichgewichtslage zwi­schen dem Ahrimanischen und dem Luziferischen eingetreten, daß Faust himmelwärts gekommen ist. Aber Mephistopheles ist nun stehengeblie­ben. Die Seele ist ihm entgangen. Aber er könnte sich jetzt sagen: Ja, hier stehe ich; diese Seele ist mir entgangen, aber sie wird wieder in mei­nen Bereich ziehen, sie wird wiederkommen auf die Erde. Dann werde ich sie erkennen, dann werde ich wiederum in ihre Nähe kommen können,

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denn dann wird sie neue ahrimanische Prüfungen durchzumachen haben. - Das ungefähr ausgeführt, würde den «Epilog im Chaos auf dem Weg zur Hölle» geben. Denn das ist das Eigentümliche von Mephi­stopheles-Ahriman, daß er immer glaubt, in jeder Inkarnation zu siegen. Und in jeder Inkarnation kann er, wenn die entsprechende Gleichge­wichtslage eintritt gegenüber Luzifer, wiederum seinen Sieg verlieren. Das ist das Eigentümliche. Aber dieses Hin- und Herpendeln des Men­schen zwischen Ahriman und Luzifer muß schon stattfinden, sonst könnte sich die menschliche Persönlichkeit nicht entwickeln. Würde der Mensch nicht den Geist haben, der wirkt und schafft durch den Wider­stand, so würde sich die menschliche Persönlichkeit nicht entwickeln kön­nen. Nur am Widerstand entwickelt sich die menschliche Persönlichkeit. Selbst an unserem Leibe entwickelt sich die Persönlichkeit am Wider-stand. Denken Sie, wenn wir nicht zwei Augen hatten und sie so aufdie Dinge richten würden, daß sich ihre Achsen schneiden, wenn wir nicht zwei Hände hätten, die sich gegenseitig berühren, und von denen eine die andere wäscht, es würde sich nicht das Persönlichkeitsbewußtsein leiblich entwickeln können. Der Herr der Widerstände, der Herr der Hindernisse ist auch Ahriman-Mephistopheles Daher mußte schon in der fünften nachatlantischen Periode Ahriman einen großen Einfluß gewinnen, weil die Persönlichkeit gerade in diesem fünften nachatlanti­schen Zeitraum ausgebildet werden soll. In früheren Zeiträumen hatte der Mensch weit weniger Persönlichkeit, in der ägyptisch-chaldäischen Zeit fast noch gar nicht, da war der Mensch noch fast ganz eingeschlossen in einem Gemeinsamkeitsbewußtsein. Ich habe das öfter auseinander­gesetzt. Es beginnt eigentlich erst die Persönlichkeit bewußt zu werden im griechisch-lateinischen Zeitraum, und auch da langsam, es ist noch viel Gemeinsamkeitsbewußtsein da. Dann in unserem fünften nach-atlantischen Zeitraum ist die Zeit, wo die Persönlichkeit ihrer selbst vollbewußt werden muß, so daß sie das, was für diesen fünften nach-atlantischen Zeitraum zu erringen ist, voll aus sich heraus schafft. Stärk­ste Anforderungen an die Schaffens- und Lebensimpulse der Persönlich­keit ist das Charakteristikon des fünften nachatlantischen Zeitraums.

Geisteswissenschaft muß hereinkommen in diesem fünften nachatlan­tischen Zeitraum in die menschliche Entwickelung. Aber diese Geisteswissenschaft

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fordert eben, damit sie verstanden, begriffen, erfaßt werden kann, eine stärkere Anspannung der intellektuellen, der Empfindungs-, auch der Willenskräfte, eine stärkere Anspannung aller Persönlichkeits-kräfte, als sie in früheren Zeiten eben da waren. Und es ist aus einem tief empfindungsgemäßen Erkennen seiner Zeitimpulse bei Goethe er-flossen, daß er Ahriman-Mephistopheles an die Seite des Faust gestellt hat, der Persönlichkeitsbewußtsein in seinen Prüfungen entwickeln soll. Er muß sich an den Widerständen der mephistophelischen Einflüsse ent-wickeln, dieser Faust; er muß erkennen, was in der einseitigen Ausbil­dung von Vernunft und Wissenschaft bei Ahriman-Mephistopheles lebt, aber er muß sich erhalten darin. Bei einer Persönlichkeit, die so durch alle Wissenschaft durchgegangen ist - «Habe nun, ach, Philosophie, Juriste­rei und Medizin, und leider auch Theologie! durchaus studiert», die sich auch an die Magie gemacht hat, an die magischen Überlieferungen, da war es nur möglich, entweder zu verfallen in mystische Schwärmerei, dem Erdgeiste gegenüber:

In Lebensfluten, im Tatensturm

Wall' ich auf und ab,

Webe hin und her!

Geburt und Grab,

Ein ewiges Meer . . .

- da mitzuweben! Aber das ist ein Aufgehen, ein selber Nebuloswerden in diesem Weben und Leben im Tatensturm... da hinein mögen sich verwaschene Mystiker sehnen, welche die Persönlichkeit verlieren wol­len! Der fünfte nachatlantische Zeitraum fordert gerade Anspannung der stärksten Persönlichkeitskräfte, und daraus soll Wissen und Wille im Menschen entstehen im fünften nachatlantischen Zeitraum. Daher ist aber in diesem fünften nachatlantischen Zeitraum der Menschheit vorgesetzt, die Persönlichkeit voll einzusetzen. Und dieses wird immer mehr und mehr eine Forderung werden dieses fünften nachatlantischen Zeitraums: Erstarkung, Erkraftung der Persönlichkeit durch volles Ein­setzen der Persönlichkeit. Es wird notwendig werden, auch in bezug auf moralische Lebensauffasung, für die Menschen, die nicht hin­ter der Entwickelung zurückbleiben wollen, die Persönlichkeit immer

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stärker und stärker einzusetzen. Dieses Erstarken der Persönlichkeit wird eine Forderung der Zeit sein. Und dieses Erstarken der Persönlich­keit liegt im Sinne der normalen, der guten, der regelrechten Fort­entwickelung. Das Verschwächen, Verschwefeln der Persönlichkeit liegt nicht in den Impulsen des Restes der fünften nachatlantischen Zeit. Dieses Aufgehen der Persönlichkeit im Nebulosen, das ist ein Rückfall, ein atavistischer Rückfall in alte Zeiten. Aber, wenn sie sich selbst über­lassen sind, die den Menschen gegnerischen luziferischen und ahrimani­schen Kräfte, wirken sie dem Menschen entgegen, untergraben seine Aufgaben. Weil der Mensch dann mit Geisteswissenschaft, die aus den starken Kräften der Persönlichkeit für den fünften nachatlantischen Zeitraum wird hervorgehen sollen, die Persönlichkeit voll einsetzen muß, wirken gerade ahrimanische Gegenkräfte gegen die Persönlichkeit. Das muß man nur verstehen, und von diesem Gesichtspunkte muß man unsere Zeit betrachten.

Wenn man auf frühere Zeiten zurücksieht, wird man wirklich trotz allem Persönlichen, was schon waltet, viel mehr sachlichen Kampf fin­den. In unserer Zeit wirken die ahrimanischen Kräfte so, daß sie den sachlichen Kampf nach und nach ganz in die Sphäre der Persönlichkeit hereinziehen wollen bei den Individualitäten, die sich dazu finden las­sen. Denken Sie, wie nach und nach alles abgeleitet wird von dem Sach­lichen auf die Persönlichkeit. Das ist nicht bloß etwas Zufälliges, son­dern das ist etwas, was im Charakter unserer Zeit liegt. Irgend jemand wirkt im Dienste der regelrecht fortwirkenden Evolution. Statt an die Sache sich heranzumachen, wird immer mehr und mehr der Kampf gegen seine Persönlichkeit losgehen, persönliche Verleumdungen, per­sönliche Entstellungen, das wird an die Stelle des Sachlichen treten. Und heute schon sehen wir, wie in unserem Zeitalter das fortgeschritten ist, wie die Menschen gar nicht mehr wissen zu unterscheiden, was rein per­sönliche Verdächtigung ist, und was sachlich angegriffen ist. Und gerade da, wo in einer ungehörigen Weise versucht wird, Geisteswissenschaft zu betreiben, da drückt sich das auch am groteskesten, am stärksten aus.

Erinnern Sie sich nur an unsere eigenen Kämpfe. Erinnern Sie sich, wie sachlich etwas vorgebracht werden mußte gegen jene Bewegung, welche in neuerer Zeit an den Namen von Mrs. Besant geheftet ist. Ist

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bei der Entgegnung von jener Seite ein einziges sachliches Argument ein-gewendet worden? Nichts! Aber lauter persönliche Verdächtigungen von der stärksten Art. Alles persönliche Verdächtigungen! Das ist nur die karikierte Vorausnahme desjenigen, was ein Charakteristikon un­serer Zeit ist und immer mehr und mehr Platz greifen wird, und das man mit vollem Bewußtsein durchschauen muß. Weil die Persönlichkeit in die Bresche geschoben werden muß - denn nur durch die Persönlich­keit wird immer mehr und mehr das kommen können, was früher mehr durch den Gemeinsinn gegeben worden ist-, geht auch der Kampf gegen die Persönlichkeit los. Und weil Stärke der Persönlichkeit gefordert wird, und der Bequemlichkeitssinn die Stärke nicht suchen will aus der Sache heraus, die erstrebt wird, wird die schwache Persönlichkeit, die unfähige Persönlichkeit durch eigenen Machtspruch heute so geleitet, hinaufexerziert in das Starke. Ohne etwas gelernt zu haben, ohne sich mit etwas ernsthaftig beschäftigt zu haben, ohne tiefer eingegangen zu sein in etwas, wird heute, rein aus Willkür der Persönlichkeit heraus, dies oder jenes getan. Und man versteht gar nicht, mit diesen Dingen zu rechnen.

Auf unserem Gebiete können Sie wiederum schöne Studien machen. Wie oft war es notwendig, die sich aufblähende Torheit zurückzuweisen, die gerade im Laufe der Jahre in unserer Bewegung sich ausgebildet hat, die sich aufblähende Nichtigkeit zurückzuweisen. Aber die Nichtigkeit versteht nicht, daß sie zurückgewiesen werden muß. Ein Beispiel: In Frankfurt, als ich einmal da war, wurde ich telephonisch angerufen von einem Menschen, der sagte, er müsse gleich mit mir sprechen. Dann kam er, hatte riesig lange Haare, die bis über die Schultern herunterwallten, und entsprechenden Patriarchenbart, erklärte, daß er mir schon seit län­gerer Zeit nachgereist sei, und daß er so gewissermaßen eine Art Kom­promiß schließen wolle zwischen dem, was er der Welt zu geben hat, und demjenigen, was durch mich vertreten wird. - Nun, man kann schon nicht anders, als gegen jenes Prinzip der Brüderlichkeit verstoßen, das gleichwertig betrachtet die dilettantenhafte Dummheit und dasjenige, was in ehrlicher Weise erstrebt wird. Man muß sich schon anmaßen, da zu unterscheiden. Also natürlich, solche Leute muß man abfahren lassen, man muß sich nicht weiter um sie kümmern. Man braucht ihnen nicht

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gerade Grobheiten zu sagen, aber zeigen, daß man sie für das hält, was sie sind, und daß man nicht auf dem Standpunkt des verwaschenen Gleichheitsprinzips steht, daß jede sich aufblähende Idiotie als gleich­bedeutend angesehen werden muß mit dem andern. Nun, nach einiger Zeit trat der Betreffende hier in der Schweiz auf und kündigte sogar in den einzelnen Städten Vorträge an gegen mich. Er hat auch in anderer Weise Unfug getrieben, das wissen einige von denen, die hier sitzen. So bilden sich die Feindschaften heraus, indem sich die Persönlichkeit, die sich allenthalben heute in die Bresche schieben muß, durchdringen muß mit etwas, aber wenn sie das nicht kann, so will sie stark sein, ohne daß sie sich erst stark macht durch die Kräfte, die sie durchdringen. Man muß durchschauen, wodurch die Konflikte herbeigeführt werden. Das ist das Notwendige. Man muß seine Zeit wirklich verstehen, nicht aus der Willkür heraus irgend etwas treiben. Also stärkste Einsetzung der Per­sönlichkeit fordert unsere Zeit, kämpft daher den ahrimanischen Kampf gegen die Persönlichkeit.

Das zweite, das unsere Zeit fordert, und zwar ganz energisch fordert, ist Eingewöhnung in Tatsachensinn. Angewiesen wird die Menschheit sein darauf, die geistige Welt zu verstehen. In dieser geistigen Welt hat man es nicht so, daß man verfolgen kann, wie man korrigiert wird. Ich habe das im Schlußkapital meiner «Theosophie» zum Ausdruck ge­bracht, daß man nicht korrigiert wird, wenn man etwas falsch gemacht hat. Lesen Sie das nach. Tatsachensinn, Sinn für wirkliche Tatsachen. Aber der stärkste luziferische Kampf wird entwickelt gegen diesen Tat-sachensinn in unserer Zeit. In keiner Zeit, trotz allem und allem, was geschehen ist, wurden Tatsachen so gefälscht wie in unserer Zeit! Die luziferischen Instinkte rufen ahrimanische Kräfte auf, welche Tatsachen verlogen darstellen. Dieser Hang, Tatsachen verlogen darzustellen, ist im Beginn und wird immer mehr und mehr überhandnehmen. Das ist wichtig wiederum, daß man es durchschaut. Gewöhnung an Tatsachen-sinn und Gewöhnung an die Tatsache, daß man immer mehr und mehr wird mit seiner Persönlichkeit wirklich eintreten müssen für dasjenige, wofür in der Welt eingetreten werden muß, das gehört einmal zum fünften nachatlantischen Zeitraum.

Man versuche zu verstehen, wie gerade auf unserem Gebiete heute

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schon der ahrimanische und luziferische Kampf zu bemerken ist, wie bis in die jüngsten Ereignisse herein wir den mangelnden Tatsachensinn gegen uns aufgeführt finden. Er werden heute schon Dinge geschrieben und gesagt, an denen überhaupt nichts mehr wahr ist.

Alles das hat Goethe empfunden, tief empfunden. Wenn Sie seinen «Faust» durchgehen, so werden Sie sehen, daß er die luziferischen und die ahrimanischen Kräfte zur Faust-Natur in eine solche Verbindung bringt, wie es vom Menschen angesehen werden muß, wenn sich der Mensch richtig mit Bewußtsein in die Impulse des fünften nachatlanti­schen Zeitraumes hineinstellen will. Im Einzelnen und im Großen wir­ken die ahrimanischen und luziferischen Kräfte dem Menschen entgegen. Würde man Ahriman nicht erkennen, würde man Luzifer nicht erken­nen, so würde man gar nicht in entsprechender Weise weiterleben kön­nen. Und das alles muß durch die Geisteswissenschaft bewirkt werden. Man möchte sagen, es kann heute gar nicht stark genug besprochen wer­den, denn man wird heute noch wenig verstanden nach dem Gewichte desjenigen, was da aus der Geisteswissenschaft herausgeholt werden muß. Die Dinge werden zu leicht genommen, zu leicht vergessen. Dem, was unsere Zeit erfordert, Vertiefung, Erkraftung der Persönlichkeit, Tatsachensinn, Sinn für wahre Tatsachen, dem wirken entgegen im Großen, man könnte sagen heute geradezu die äußeren Weltereignisse. Zweierlei wirkt entgegen dem, was notwendig ist zum Fortschritt der Menschheit: ein widersinniges, weil atavistisch gewordenes Nationalitä­tenprinzip. Das ist das erste. Ein widersinniges Nationalitätenprinzip, wie es insbesondere im 19. Jahrhundert durch die Napoleons in die Welt gebracht worden ist, ein Nationalitätenprinzip, in dessen Namen heute viele Impulse aufgerufen werden gegen den wahren Sinn der mensch­lichen Entwickelung. Ein benebelndes Nationalitätenprinzip, welches die Begriffe umnebelt und verwirrt, die Begriffe in falsche Sphären hin-einsetzt. Ich will mich in der folgenden Weise klarmachen.

Wir reden in einer gewissen Weise mit Recht, wenn wir die Sache richtig verstehen, von einer grünen Wiese. Aber wir verstehen die Sache nur dann richtig, wenn wir von der grünen Wiese so reden, daß wir wissen, die einzelnen Pflanzen sind grün, und die Grünheit der Wiese besteht in der Grünheit der einzelnen Pflanzen; das konkrete Grün

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haben die einzelnen Pflanzen. Würde ich wollen die Grünheit der Wiese konkret haben, ohne die konkrete Grüne der einzelnen Pflanzen, da müßte ich die Wiese grün anstreichen, dann wäre sie aber wahrhaftig nicht eine grüne Wiese. Ich darf von der Grünheit der Wiese nur spre­chen, wenn ich mir bewußt bin, daß ich konkret nur die Grünheit der einzelnen Pflanzen meinen kann. Ich muß wissen, daß die Grünheit in diesem Falle nur angewendet werde auf die einzelnen Pflanzen, und daß ich nicht verworren denken darf so, als ob die Grünheit der Wiese dem Ganzen zukommen könnte. Wenn ich abstrakt das Wort die Grün­heit der Wiese gebrauche, so muß ich mir darüber klar sein, daß ich nur ein Abstraktum forme, welches zusammenfaßt die einzelnen Konkreta, die grünen Pflanzen. Das ist im eminentesten Sinne notwendig, daß solche Klarheit herrscht in bezug auf Begriffsbildungen, daß zum Bei­spiel die Menschen lernen, daß die Worte «Freiheit» und «Recht» kon­kret nur anzuwenden sind in bezug auf den einzelnen Menschen, wie die Grünheit konkret auf die einzelnen Pflanzen, und daß, wenn ich von Recht und Freiheit der Völker spreche, ich nur meinen kann ein Abstrak­tum, so wie die Grünheit der Wiese. Heute aber wird die verlogenste Devise, die es geben kann, fast über die halbe Welt hin gestreut, indem geredet wird von etwas, was man erkämpfen will im Namen von Recht und Freiheit der Völker, was solch ein Unsinn, eine solche Torheit ist, wie die Grünheit der Wiese eine Torheit ist, wenn man meint, man könne die ganzen Pflanzen der Wiese anstreichen, statt daß die Wiese grün ist durch die einzelnen Pflanzenindividuen. Dennoch wird durch die heutige Benebelung der Völker mit dem falschen Nationalitätsprin­zip geredet von dieser törichten Devise: Recht und Freiheit der Völker. Und man wird ganz sicher selber für einen Toren, für einen Wahnsinni­gen gehalten, wenn man das ausspricht, was schon einmal, gerade in Anknüpfung an den «Faust», der da sagt: «Auf freiem Grund mit freiem Volke stehen», nicht mit einer freien Nation, wovon gar keine Rede sein könnte, - was schon in Anlehnung an den «Faust» ausgespro­chen werden muß. Ganz gewiß wird man heute für einen Narren gehal­ten oder für einen Böswilligen, der sich auflehnt gegen etwas, was so schön und so groß und so ideal ist, was so gut gewollt ist, was aber unge­nau gedacht ist, schlampig gedacht ist, böswillig denkend gedacht ist,

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weil es etwas Atavistisches hereinbringt, was nicht hereingehört in un­sere Zeit, weil es dem einzelnen ein Bewußtsein beibringt, das aus der Schwäche stammt und nicht aus der Stärke der Persönlichkeit.

Und das andere, das in unserer Zeit wirkt gegen die fortschreitenden Prinzipien außer dem widersinnigen Nationalitätenprinzip, das ist die Politisierung des Gedankenlebens. Wichtig ist es, daß man diese zwei Dinge versteht, daß man auch versteht die Politisierung des Gedanken-lebens. Ich habe in einem andern Zusammenhange schon auf den Sinn der «Policy» aufmerksam darauf gemacht, wo fortwährend von Policy gesprochen wird, von dem In-Szene-Setzen von gewissen Gedanken, um dieses oder jenes zu erreichen. Aber wie ist dieses überhaupt verbreitet in der Welt! Aus dieser Politisierung des Gedankenlebens geht in unserem fünften nachatlantischen Zeitraum geradezu das Schlimmste hervor. Eine Zeit, die noch glauben konnte in einer gewissen Weise, wenn sie Gedanken bildete, inspiriert zu sein, konnte auf ihren Konzilien mei­netwillen dieses oder jenes Dogma, das dann verwendet wurde, um das oder jenes in der Welt zu erreichen, beschließen. Unsere Zeit, die aber wahrhaftig in ihrem materialistischen Gefüge inspirationslos ist, wird, wenn sie den Gedanken nicht so knüpft, daß er in Verantwortung ge­genüber der unpersönlichen Wahrheit geknüpft ist, den Gedanken nur aus der persönlich-willkürlichen oder aus der vereinsmäßig-willkür­lichen oder sonst irgendwie gemeinsamkeits-willkürlichen Aspiration heraus fassen. Und da wird der Gedanke nicht in die Welt gestellt, weil man seine Richtigkeit einsieht, sondern weil man mit ihm politisieren will. Diese Politisierung des Gedankenlebens geht immer weiter und weiter. Und man erzieht sich nicht so, daß man zu dem richtigen, zu dem wahren Gedanken kommt, sondern man erzieht sich so, daß man zu einem Gedanken kommt, mit dem man politisieren kann, zum Beispiel mit dem Gedanken des Nichtvivisezierens der Tiere. Aber man faßt den Gedanken nicht in seinem Wahrheitsgehalt, sondern durch seine politi­sche Agitationskraft. Man agitiert mit dem Gedanken, man politisiert mit dem Gedanken in Abstinenzvereinen, in Anti-Vivisektionsvereinen. Man faßt einen Gedanken nicht in seiner Realität - Abstinenz, Vivi­sektion oder dergleichen-, sondern man politisiert ihm gegenüber. Über­all wird mit den Gedanken politisiert. Sie werden in politische Getriebe

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hineinversenkt. Falsches Nationalitätenprinzip, falsches Politisieren mit den Gedanken, wie es namentlich in unserer Vereinsmeierei der Gegen­wart lebt, das ist es, was entgegen den gegenwärtig fortschreitenden richtigen Evolutionen der Menschheit ist. Vereine werden gegründet, nicht um die Wahrheit zu vertreten, sondern um dies oder jenes zu er­reichen. Dadurch kann auch der richtige Gedanke fanatisiert, einseitig gemacht werden, während der fünfte nachatlantische Zeitraum in seinem Grundcharakter das hat, durch die Wahrheit wirken zu sollen.

Mit Recht hat Herman Grimm, der sich in das Goethesche Leben ein­gelebt hat, gesagt: Der Goethesche «Faust» stellt eine Dichtung dar, die wirklich ganz aus der Organisation der menschlichen Persönlichkeit her­aus gedacht ist. Ein Universitätsprofessor mittleren Ranges wird irre an seinem wissenschaftlichen Streben, macht allerlei durch. Aber das, was er durchmacht, ist im höchsten Sinne repräsentativ für alles mensch­liche Streben und enthält wirklich, wenn man tief genug eingeht, alles dasjenige, was in unserer heutigen Zeit dem Menschen an philosophi­schen Fragen auftauchen kann, enthält auch alles dasjenige, was an Herzensfragen auftauchen kann, enthält auch alles dasjenige, was an politischen Kräften auftauchen kann. - Und man könnte aus den Tiefen der Geisteswissenschaft heraus hinzufügen: Gerade dasjenige, was rein menschlich ist, was Inhalt der Humanität ist, ist in diesem «Faust» ent­halten. Welcher Nation gehört er denn an? Keiner, selbstverständlich. Und er ist der lebendigste Protest gegen das falsche Nationalitäten-prinzip unserer Tage, das mit einem Worte Grill parzers, mit einem hart klingenden, aber doch tief wahren Worte Grillparzers gründlich ge­troffen ist. Grillparzer sprach das Wort aus: Von Humanität durch Nationalität zur Bestialität. - Das ist schon der Weg! Die Nationalität führt ab, wenn auf sie gepocht wird, wenn aus ihr die Aspirationen her-ausgeschöpft werden, von der Humanität und sie führt bald in die Bestialität hinein. Und selbstverständlich ist Politik in der Welt not­wendig, aber nicht die Politisierung der Gedanken. Und man sehe, wie von Goethe die Gedanken entpolitisiert werden! Man versuche, von diesem Gesichtspunkte aus den zweiten Teil von Goethes «Faust» zu verstehen; er ist schon aus ungeheuren Tiefen heraus geschrieben. Er ist ein größtes Dokument nicht bloß unserer Zeit, sondern aller Menschheitszeiten,

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denn er berührt die Fragen, die wir gesehen haben, die un­mittelbar sich neben die großen biblischen Fragen hinstellen. Die Sorge-szene steht neben der Paradiesesszene; die Szene, wo Mephistopheles den Geistern des Himmels gegenübersteht, steht neben dem Bilde, wel­ches die Bibel gibt, daß die Söhne der Götter Gefallen fanden an den Töchtern der Menschen und sich mit ihnen im Fleische verbanden.

Man möchte viel, viel bessere Worte haben, um auf dasjenige hinzu­weisen, was recht tief eingeschrieben werden sollte in menschlichen Geist und menschliche Herzen, und was nicht vergessen werden sollte, was nur leider viel zu schnell immer vergessen wird, nachdem es einmal gehört ist. Denn die Heilung von den großen Übeln der Zeit kann nur vom Verständnis derjenigen Dinge kommen, die da berührt worden sind.

Wenn ich versucht habe, gerade heute im Zusammenhang mit dem Goetheschen «Faust» einiges über die Impulse des fünften nachatlan-tischen Zeitraumes anzuführen, wie sie geistgemäß sind, so möchte ich vor allen Dingen, daß ein Verständnis kommen möchte dafür, wie sich überall in der Welt die Sünden zeigen gegen diese Impulse des fünften nachatlantischen Zeitraumes, wie überall in der Welt Unverständnis auftritt gerade gegenüber dem, was verstanden werden soll. - Oh, ich möchte die Worte haben, mit denen ich gerne reden wollte von diesen Dingen! Aber vielleicht werden in Zeiten, die da kommen werden, an­dere Menschen bessere Worte finden, um die Dinge zu besprechen, die heute so wenig verstanden werden, weil doch so viele ihre Persönlichkeit gerne untertauchen lassen möchten in irgendeine bequeme Anlehnung an dieses oder jenes, suchen möchten, da oder dort durch diese oder jene Bewegung dieses oder jenes zu werden, und dann nicht mehr heraus­kommen aus dem falschen Gemeinsamkeits- oder falschen Nationa­litätenprinzip, nicht mehr herauskommen aus der Politisierung der Ge­danken. Und doch - verfallen dem Luzifer und Ahriman wird alles, was auf dieser falschen Fährte geht. Fortgedeihen wird nur dasjenige, was da wissen wird, daß auf dieser Fährte nichts zu erreichen ist! Mag man bequem sitzen in all den verschiedenen Agitationen und Vereinsmeie­reien unserer Tage, - der Weg, der gefunden werden muß, wird doch nur gefunden werden im Dienste derjenigen Menschenwirksamkeit, die da sucht die Weisheit in der Wahrheit, und die da überzeugt ist, daß nur

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durch die Inkorporierung der Wahrheit in der Menschheit das Men­schenziel unserer Epoche erreicht werden kann, und die da weiß, daß alle Politisierung des Gedankens aufhören muß, alles Agitieren mit den Gedanken als wie mit Dogmen, daß sie erfaßt werden müssen mit dem vollen Verantwortungsgefühl für die Wahrheit, nicht für ihren Agita­tionswert, nicht für das Gefallen, das wir ihnen entgegenbringen. Nicht dafür, daß sie uns gefallen, die Gedanken, dürfen sie in unsere Sphäre treten, sondern daß wir wirklich das volle Verantwortungsgefühl gegen­über Wahrheit und Wahrheitswert haben.

Ich möchte viel mehr gesagt haben, als in den Worten liegen kann, mit dem, was da im Anhang an den Goetheschen «Faust» gesagt ist. Ich möchte, daß es in den Herzen und in den Seelen fortwirkt, denn ich weiß, wie viel darinnen steckt von dem, was seelisch-geistige Heilmittel sein müssen für unsere Epoche und für die in unserer Epoche auf solchen Irrpfaden wandelnde Menschheit. Kann man sich nicht gestehen die Irrpfade, will man in ihnen weiterwandeln, so kann man auch nicht mit dem rechten Ziel, das die Menschheit verfolgen muß, in rechter Weise weiterkommen.

HINWEISE

#G272-1967-SE323 Faust I: Faust, der strebende Mensch

#TI

HINWEISE

#TX

Diese dritte Auflage der Im zweiten Band findet sich eine Zeittafel von den zwischen 1915-1919 statt-gefundenen eurythmisch-dramatischen Aufführungen in Dornach und eine Chronik, welche die Entstehung der Goetheschen Faust-Dichtung zeigt.

Auf den besonderen Charakter auch dieser Darstellungen Rudolf Steiners weist das Vorwort von Marie Steiner nachdrüdtlich hin, wenn es unter anderem dort heißt:

Die Zitate der Faust-Dichtung wurden nach der durch K. J. Schröer besorgten, mit Einleitung und fortlaufender Erklärung versehenen Ausgabe angeführt.

Zu Seite:

13 In der kleineren Kuppel: Auf die Wiedergabe der photographischen Aufnah­men jener Bilder wurde verzichtet.

15 in früheren Vorträgen: Diese Vortragstätigkeit begann im Winter 1905.

16 daß vorausgesetzt wird: s. Manuskriptvermerk auf Seite 5.

Um mit Goethe zu sprechen: es gibt geistige Augen und Ohren: Goethes Natur­wissenschaftliche Schriften. Herausgegeben von Rudolf Steiner. Band I.1883. Erster Entwurf einer allgemeinen Einleining in die vergleichende Anatomie, ausgehend von der Osteologie. (Seite 262) #SE272-324

Zu Seite:

ihrer eigenen Form (intuitiv) erfassen können. Jede empirische Form zeigt dann eine Abweichung davon, aber jene gibt uns die Norm und den Anhalts­punkt, wie eine solche besondere Form zu erklären ist.» Ferner (Seite 107) über Kaspar Friedrich Wolff in

17 Francesco Redi: 1626-1697.

18 ganz wissenschafilich gezeigt: Bereits 1903 verfaßte Rudolf Steiner den Auf­satz

21 in dem schönen Prosahymnus zum Ausdruok kommt: Die Natur, aphoristisch von Goethe (1780) mit Anmerkungen von Rudolf Steiner (5887).

23 weil man nicht weiß, was man mit diesen Zeichen anfangen soll: Als

Ein Abgrund den andern ruft heraus,

Sie machen zusammen einen harten Strauß:

Das Flüchtige ganz fix soll werden,

Wasser und Dampf sich kehren in Erden.

Der Himmel selbst muß irdisch sein,

Sonst kommt ins Erdreich kein Leben ein.

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Zu Seite:

Das Oberste soll das Unterste sein,

Das Unterste wird das Oberste fein.

Das Fixe soll ganz flüchtig werden,

Ein Wasser und Dampf soll sein die Erden.

Die Erde muß höchst zum Himmel aufiliegen,

Der Himmel ins Zentrum der Erde einkriechen.

So muß verkehrt sein Himmel und Erden,

Soll das Unterste zum Obersten werden.

Der flüchtige Drach den fixeren tötet,

Der fixe zum Tode den flüchtigen nötet.

Also muß offenbar kommen an Tag,

Die Quint-Essenz, und was sie vermag.

26 Er (Goethe) sagte: Rom, 18. August 1787 an Knebel: Neapel, in Sizilien, von Pflanzen und Fischen gesehen habe, würde ich, wenn

ich zehn Jahre jünger wäre, sehr versucht sein, eine Reise nach Indien zu

machen, nicht, um Neues zu entdeoken, sondern um das Entdeckte nach meiner

Art anzusehen.>

in einem Briefe: Rom, 6. September 1787.

29 Das freut sie sehr: in

33 Dann wird ihm (Homunkulus) gesagt: In der Schlußszene der

Hier weht gar eine weiche Luft,

Es grunelt so, und mir behagt der Duft.

Gib nach dem löblichen Verlangen,

Von vorn die Schöpfung anzufangen!

Zu raschem Wirken sei bereit!

Da regst du dich nach ewigen Normen,

Durch tausend abertausend Formen,

Und bis zum Menschen hast du Zeit.

Deshalb konnte er zu Eckermann sagen: Am 29.Januar 1827:

36 die Schlußworte: #SE272-326

Zu Seite:

39 Frau Wandrey: Camilla Wandrey, 1859-1941. Mitglied der Anthroposophi­schen Gesellschaft in Berlin; lebte später in Dornach.

in einer kleineren Schrifl: 1918 erschien . Gesamtausgabe Dornach 1956, Bibl.-Nr. 22.

41 Das freut sie sehr: s. Hinweis zu S. 29.

42 der vierten nachatlantischen Kulturperiode: s. Rudolf Steiner

42/43 schrieb er von italien aus: Rom, 28. Januar 1787. Wörtlich:

43 als er sagte: Rom, 6. September 1787.

46 an den «Hüter der Schwelle>: s. Rudolf Steiner Blavatsky: H. P. Blavatsky, Begründerin der Theosophischen Gesellschaft,

1831-1891.

55 Die Schlußworte wurden nicht übernommen; sie beziehen sich - ähnlich wie auf Seite 36/37 - auf die Schreibweise von Ereignis = Erreichnis.

56 was gestern gewissermaßen v o r der Verwandlung von mir gesagt worden ist.

3.April 1915, zweiter Vortrag in 57 ahrimanisches Wesen: Vgl. S. 70/71.

60 von dem wir gesagt haben: Im Vortrag vom 3.April 1915.

63 da sagte Goethe: Goethe an Schiller, 6. Dezember 1797:

64 Vortragszyklus, der in Den Haag gehalten worden ist: 20.-29. März 1913,

Dr. Georg Faust: Die nachfolgenden Ausführungen fußen auf der Darstellung, die Herman Grimm in seinem Aufsatz «Die Entstehung des Volksbuches von Dr. Faust» in

70 in dem Marloweschen Faust: Christopher Marlowe, englischer Dramatiker,

1564-1593, #SE272-327

Zu Seite:

72 um unseren dem geistigen Forschen gewidmeten Bau: Das 1915 in der Ent­stehung begriffene und in der Silvesternacht 1922/23 niedergebrannte erste Goetheanum.

77 In dem Wiener Zyklus vom April 1914: 9.-14.April 1914, 82 in der Zeit: Siehe Chronik. Erdgeist» hat Goethe schon in den siebziger Jahren verfaßt.

84 Lesen Sie die Haager Vorträge: s. Hinweis zu S. 64.

85 wenn man einmal den «Faust> so inszenieren würde: In der Dornacher In­

szenierung im Goetheanum tritt Wagner in einem ähnlichen Kostüm auf wie

Faust, so daß die hier charakterisierte Gegenüberstellung deutlich hervortritt.

94 vor acht Monaten: Ausbruch des ersten Weltkrieges.

97 über das Mysterium von Golgatha: s. und die Mysterien des Altertums», Gesamtausgabe Dornach 1959, Bibl.-Nr. 8,

und die Vortragszyklen über die Evangelien.

104 Und er (Goethe) nannte seinen : Goethe an Schiller, 27.Juni 1797:

natürlich war, mit meinen Vorsätzen und Plänen recht gut zusammen, nur

daß ich mir's bei dieser barbarischen Komposition bequemer mache und die

höchsten Forderungen mehr zu berühren als zu erfüllen denke.» Siehe auch die

Bemerkungen zu Seite 63.

105 Rieger: Maximilian Rieger, Germanist, 1828-1909.

106 Eine bedeutsame Briefstelle: Goethe an Zelter, 15. Februar 1830: denke, daß mit jedem Atemzug ein ätherischer Lethestrom unser ganzes Wesen

durchdringt, so daß wir uns der Freuden nur mäßig, der Leiden kaum er­

innern. Diese hohe Gottesgabe habe ich von jeher zu schätzen, zu nützen und

zu steigern gewußt.»

111 Lesen Sie den letzten Haager Zyklus: s. Hinweis zu S. 64.

119 die ich gestern hier angestellt habe, mit den andern Vorträgen: s. Bibl.-Nr. 161.

132 barbarische Komposition: s. Hinweis zu S. 104.

139/40 Goethe hat nicht umsonst zu Eckermann gesagt: Wir führen hier die Worte aus den Gesprächen vom 13. Februar 1831 an: <... auch kommt es bei einer solchen Komposition bloß darauf an, daß die einzelnen Massen bedeutend und klar seien, während es als Ganzes immer inkommensurabel bleibt, aber ebendeiwegen, gleich einem unaufgelösten Problem, die Menschen zu wieder­holter Betrachtung immer wieder anlockt.»

140 Herman Grimm: Liseratur- und Kunsthistoriker, Sohn von Wilhelm Grimm,

1828-1901. Professor der Kunstgeschichte in Berlin. Vorlesungen über Goethe,

328

Zu Seite:

1877. Rudolf Steiner weist in seinen Schriften und in vielen Vorträgen auf ihn hin. S. vor allem auch

141 seit dem Jahre 1884: Goethes Naturwissenschaftliche Schriften. Erster Band. Herausgegeben von Rudolf Steiner. Mit einem Vorwort von Karl Julius Schröer. Neuauflage Bern 1949. - Rudolf Steiner «Goethes Recht in der Natur­wissenschaft. Eine Rettung.» (Betr. Hauptgesichtspunkte für die Einleitung zu Goethes Naturwissenschaftliche Schriften, s. Band.) In: «Methodische Grund­lagen der Anthroposophie», Gesammelte Aufsätze 1884-1901. Gesamtausgabe Dornach 1961, Bibl.-Nr. 30.

151 Geister der Form / Geister der Bewegung: s. Hinweis zu S. 42.

156 am Feste von Mariä Himmelfahrt: Am 15. August 1910 fand in München die Uraufführung des ersten Mysteriendramas von Rudolf Steiner «Die Pforte der Einweihung» statt.

160 wenn unser Bau fertig ist: In der im zweiten Goetheanum von Marie Steiner inszenierten ungekürzten Gesamtaufführung der Faust-Dichtung wird die Darstellung in der hier skizzierten Weise durchgeführt.

Filippo Neri: Heiliger, 1515-1595. s. Goethe

161 Goethe sagte dann zu Eckermann einmal: 12. Februar 1829. <. . . Übrigens werden Sie zugeben, daß der Schluß, wo es mit der geretteten Seele nach oben geht, sehr schwer zu machen war, und daß ich, bei so übersinnlichen, kaum zu ahnenden Dingen, mich sehr leicht im Vagen hätte verlieren können, wenn ich nicht meinen poetischen Intentionen durch die scharf umrissenen christlich-kirchlichen Figuren und Vorstellungen eine wohltätig beschränkende Form und Festigkeit gegeben hätte.»

165 die folgenden Worte: Das Blatt schließt mit den folgenden Versen, die in dem Vortrag indessen nicht mehr zitiert werden:

Ich aber bin nichts nütze mehr an diesem Platz.

Gespenstig spinnt der Dichtung Faden sich immer fort

Und reißt am Ende tragisch! Alle seid gegrüßt,

Wo ihr mich wieder findet, werd' es euch zur Lust.

329

Zu Seite:

170 Kasseler Zyklus: 24. Juni-7. Juli 1909, hältnis zu den drei anderen Evangelien, besonders zu dem Lukas-Evange­

lium». Gesamtausgabe Dornach 5959, Bibl.-Nr. 112.

Architektur unseres Baues: s. Stuttgart 1957. gart 1958.

173 Erdenentwickelung: s. Hinweis zu S. 42.

180 Nun wissen wir: s. zum Beispiel «Die Geheimnisse der biblischen Schöpfungs­

geschichte», München, 16.- 26. August 1910. Gesamtausgabe Dornach 1961,

Bibl.-Nr. 122.

181 in München: 24-31. August 1913, ausgabe Dornach 1960, Bibl.-Nr. 147.

191 Hier erhält man das Schauen der Aura-Strahlung sonnenhafl: s. heimnisse>, ein Weihnachts- und Ostergedicht». Dornach 1963.

194 Wir haben in den letzten Wochen von den drei großen höchsten Idealen der Menschheit gesprochen: 29. Juli bis 15. August 1916. drei Kritiken: Kant 195 Franz Brentano: Philosoph, 1838-1917. s. dessen Franz Brentano, ein Nachruf. Berlin 1917. Gesamtausgabe Dornach 1960,

Bibl.-Nr. 21.

196 bei Hume und bei Berkeley: David Hume, 1711-1776, schottischer Geschichts­schreiber und Philosoph; Georg Berkeley, 1684-1753, englischer Philosoph.

197 Diejenigen, die daher Psychologie in den siebziger, achtziger Jahren bei Bren­

tano hörten: s. Rudolf Steiner gabe Dornach 196 I, Bibl.-Nr. 28.

207 an den ersten Vortrag: 29. Juli 1916. s. Hinweis zu S. 194.

209 Wir hätten zunächst einen roten Luzifer heute gesehen: In der eurythmisch­dramatischen Aufführung. .

213 das ich erst kürzlich hier angeführt habe: Dornach, 6. August 19 I 6, in 218 In Miltons «Verlorenem Paradies>: John Milton, 1608-1674, #SE272-330

Zu Seite:

219 drei Sätze aufgestellt: s. Rudolf Steiner

220 der gute Christian von Ehrenfels: Christian von Ehrenfels I. Kapitel

222 Das ist eine Zukunfisperspektive: s. dazu den Vortragszyklus

Oskar Hertwig: 1849-1922, Anatom.

223 mauthnerisch: Fritz Mauthner, 1849-1923, Schriftsteller. Kritik der Sprache», 3 Bände, Stuttgart und Berlin 1913. Philosophie. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache», i Bände, München

1911.

Die Astronomen... die Biologen. s. Hinweis zu S. 219.

224 Einleitung zu Goethes morphologischen Schriflen: s. Hinweis zu S. 142.

227 in seiner Fledermausgestalt: Bei der Bühnendarstellung im Goetheanum: Me­phistophelei aus dem Abgrund hervortauchend.

die Evolution: s. Rudolf Steiner

228 schematisch nur angedeutet: Skizzenhafte Zeichnung des Motives der plasti­schen Gruppe im Goetheanum.

230 Da hat die Bibel nur eine Andeutung: I. Mos., 6, I. Im Moses:

233 vor vielen Jahren: i. Hinweis zu S. 39.

243 das muß natürlich geübt und ein gelernt werden: Die Dick- und Dürrteufel wurden durch Eurythmistinnen dargestellt.

249 «kristallisiertes Menschenvolk«: Faust II, zweiter Akt, Laboratorium, Zwie­gespräch mit Wagner.

Mephistopheles: »Wer lange lebt, hat viel erfahren,

Nichts Neues kann für ihn auf dieser Welt geschehn;

Ich habe schon in meinen Wanderjahren

Kristallisiertes Menschenvolk gesehn.»

331

Zu Seite:

249 in dieser aufgewühlten Zeit: Die Vorgänge unmittelbar nach Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914.

252 Faust-Kommentar: Goethes Faust, erster und zweiter Teil, erklärt von Oswald Marbach. Stuttgart 1881.

255 das ebenfalls auf eine Faust-Dichtung gesprochene Wort: D. Faust. Ein Frag­ment von Lessing. IV. An den Herausgeber des theatralischen Nachlasses. «

258 ein schönes Wort: Vergl. Zweiter Aufenthalt in Rom. 1. März 1788.

277 Vdrträge, die wir gerade in diesen Wochen gehalten haben: s. Hinweise zu

S. 194.

183 die Tiefe eines solchen Spruches: s. Hinweis zu S. 194: Vortrag vom 3. Septem­ber 1916.

Francis Bacon: Englischer Philosoph und Staatsmann, 1561-1626.

285 Herr Bauer: Michael Bauer, der Freund von Christian Morgenstern, I 871 bis 1929.

295 die achte Sphäre: Dornach, 18. Oktober 1915, okkulte Bewegung im 19. Jahrhundert und ihre Beziehung zur Weltkultur>,

Gesamtausgabe Dornach 1968, Bibl.-Nr. 164; ferner Dornach, 23. November

1919, in und 27. November 1916 in Gesamtausgabe Dornach 1964, Bibl.-Nr. 172.

298 in unseren Zyklen: s. Eine bibliographische Übersicht». Dornach 1961.

301 in einem früheren Zyklus: s. Hinweis zu S. 181.

306 auf dem bekannten Raphaelischen Bilde: . s. auch Vortrag vom s. Oktober 1917, in

313 Erinnern Sie sich nur an unsere eigenen Kämpfe: Die Auseinandersetzungen mit der Theosophischen Gesellschaft, die 1913 zum Ausschluß der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft führten. 319 Herman Grimm: s. Hinweis zu S. 140.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.