GA 342: Unterschied zwischen den Versionen

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Ich glaube, daß wir vielleicht unsere Zeit ausnützen sollten, und weil wir jetzt gerade auch unmittelbar auf die praktischen Fragen gekommen sind, die doch präliminarisch verhandelt werden sollten, würde ich Sie bitten, zur Fortsetzung heute abend um halb sieben Uhr zu kommen.
Ich glaube, daß wir vielleicht unsere Zeit ausnützen sollten, und weil wir jetzt gerade auch unmittelbar auf die praktischen Fragen gekommen sind, die doch präliminarisch verhandelt werden sollten, würde ich Sie bitten, zur Fortsetzung heute abend um halb sieben Uhr zu kommen.
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= BESPRECHUNG Stuttgart, 13. Juni 1921 =
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BESPRECHUNG
Stuttgart, 13. Juni 1921
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Rudo/f Steiner: Ich denke, es ist zunächst am besten, die verehrten Anwesenden sprechen sich ihrerseits aus über die Dinge, die wir heute begonnen haben zu verhandeln, und wir können dann auf diese Weise noch gegenseitig die Wünsche und Absichten kennenlernen. Sie haben gewiß das eine oder andere zu fragen aufgrund dessen, was ich vorgebracht habe.
Rudolf Steiner: Ich denke, es ist zunächst am besten, die verehrten Anwesenden sprechen sich ihrerseits aus über die Dinge, die wir heute begonnen haben zu verhandeln, und wir können dann auf diese Weise noch gegenseitig die Wünsche und Absichten kennenlernen. Sie haben gewiß das eine oder andere zu fragen aufgrund dessen, was ich vorgebracht habe.


Emil Bock: Die Teilnehmer haben mich heute nachmittag beauftragt, das Ergebnis zu berichten. Wir haben uns zunächst noch Gedanken gemacht über die verschiedenen Wege und haben uns schließlich darin gefunden, daß die Wege alle in Betracht kommen und dann uns klargemacht: Es handelt sich auf jeden Fall um die Sammlung der Personen und die Sammlung des Geldes und in welcher Richtung wir uns organisieren wollen und ob wir nur einen losen Zusammenschluß anstreben wollen. Wir haben verabredet, jeder solle die Initia­tive ergreifen, da wo es ihm ratsam erschiene und haben dann eine Stelle gewählt, an die Briefe regelmäßig, sobald Bedürfnis vorhanden ist, geschickt werden sollen, so daß wir uns in eine Rundbrieforganisation hineinbegeben wollen. Das, was wir religiös öffentlich tun können, kann nur in der Kirche geschehen. Was wir dann hinterher machen, müssen wir abwarten, bis wir die Leute haben. In der Frage des Beitrittes haben wir uns klarmachen können, daß ein Beitritt nur möglich sein kann, wenn einer derjenigen, die jetzt am Kurs teilnehmen, Bürge ist. Die Zentralstelle für diese Briefe wäre an Berliner zu übertragen, so daß von Berlin aus die Initiative zu allem möglichen gesammelt und gegeben werden muß. Die Sammlung der Menschen könnte sofort in Angriff genommen werden. Dann Vorbereitung einer administrativen Stelle: Da handelt es sich nur darum, wer da in Frage kommen soll. Wir wollen aber nun eben das Geld in der Form nicht sammeln, daß es etwa unter dem Namen unseres Zusammenschlusses geht, weil uns das auch wiederum in die Öffentlichkeit hineinbrächte. Es wurde der Gedanke erwogen, ob wir unsere zu schaffende Administrativstelle dem «Kom­menden Tag» angliedern könnten, oder welche andere Möglichkeit sich bieten könnte.
Emil Bock: Die Teilnehmer haben mich heute nachmittag beauftragt, das Ergebnis zu berichten. Wir haben uns zunächst noch Gedanken gemacht über die verschiedenen Wege und haben uns schließlich darin gefunden, daß die Wege alle in Betracht kommen und dann uns klargemacht: Es handelt sich auf jeden Fall um die Sammlung der Personen und die Sammlung des Geldes und in welcher Richtung wir uns organisieren wollen und ob wir nur einen losen Zusammenschluß anstreben wollen. Wir haben verabredet, jeder solle die Initia­tive ergreifen, da wo es ihm ratsam erschiene und haben dann eine Stelle gewählt, an die Briefe regelmäßig, sobald Bedürfnis vorhanden ist, geschickt werden sollen, so daß wir uns in eine Rundbrieforganisation hineinbegeben wollen. Das, was wir religiös öffentlich tun können, kann nur in der Kirche geschehen. Was wir dann hinterher machen, müssen wir abwarten, bis wir die Leute haben. In der Frage des Beitrittes haben wir uns klarmachen können, daß ein Beitritt nur möglich sein kann, wenn einer derjenigen, die jetzt am Kurs teilnehmen, Bürge ist. Die Zentralstelle für diese Briefe wäre an Berliner zu übertragen, so daß von Berlin aus die Initiative zu allem möglichen gesammelt und gegeben werden muß. Die Sammlung der Menschen könnte sofort in Angriff genommen werden. Dann Vorbereitung einer administrativen Stelle: Da handelt es sich nur darum, wer da in Frage kommen soll. Wir wollen aber nun eben das Geld in der Form nicht sammeln, daß es etwa unter dem Namen unseres Zusammenschlusses geht, weil uns das auch wiederum in die Öffentlichkeit hineinbrächte. Es wurde der Gedanke erwogen, ob wir unsere zu schaffende Administrativstelle dem «Kom­menden Tag» angliedern könnten, oder welche andere Möglichkeit sich bieten könnte.
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Ein Teilnehmer: Ich möchte gerne noch fragen, ob wir uns jetzt schlüssig werden könnten über die Persönlichkeit der Stelle.
Ein Teilnehmer: Ich möchte gerne noch fragen, ob wir uns jetzt schlüssig werden könnten über die Persönlichkeit der Stelle.


Rudolf Steiner: Da will ich nur dieses sagen: Ich gehe immer von realen, praktischen Gesichtspunkten aus, und da gibt es Gründe, die wahrscheinlich die Realisierung sehr rasch machen ließen, wenn eben gerade Dr. Heisler in Betracht kommen könnte. Mit ihm würde sich die Sache wahrscheinlich rascher machen lassen, als wenn es sich um die Wahl einer beliebigen anderen Persönlichkeit handeln würde.  
Rudolf Steiner: Da will ich nur dieses sagen: Ich gehe immer von realen, praktischen Gesichtspunkten aus, und da gibt es Gründe, die wahrscheinlich die Realisierung sehr rasch machen ließen, wenn eben gerade Dr. Heisler in Betracht kommen könnte. Mit ihm würde sich die Sache wahrscheinlich rascher machen lassen, als wenn es sich um die Wahl einer beliebigen anderen Persönlichkeit handeln würde.


= DRITTER VORTRAG Stuttgart, 14. Juni 1921, vormittags =
= DRITTER VORTRAG Stuttgart, 14. Juni 1921, vormittags =

Version vom 4. Oktober 2023, 14:18 Uhr

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RUDOLF STEINER

VORTRÄGE

VORTRÄGE UND KURSE ÜBER
CHRISTLICH-RELIGIÖSES WIRKEN

I

Anthroposophische Grundlagen
für ein erneuertes
christlich-religiöses Wirken

Sechs Vorträge und zwei Besprechungen
gehalten in Stuttgart
vom 12. bis 16. Juni 192

GA 342
1993

Inhaltsverzeichnis


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ZU DIESER AUSGABE

In den Jahren 1920 und 1921, kurz nach der Beendigung des Weltkrieges von 19141918, hatten sich junge Menschen mit ihren Fragen an Rudolf Steiner gewandt. Es waren Studenten, vornehmlich der protestantischen Theologie, die in dieser Zeit des Zusammenbrechens alter Strukturen, die den Menschen bislang äußeren und inneren Halt gegeben hatten, nach neuen und zeitgemäßen Wegen für ein religiöses Leben und Wirken suchten. «Sie hatten die Anthroposophie kennengelernt. Sie waren überzeugt, daß ihnen Anthroposophie vermitteln könne, was sie suchten.»

Wie es zu den hier vorliegenden Vorträgen über christlich-religiöses Wirken gekommen ist, hat Rudolf Steiner am 2. August 1922 vor Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft folgendermaßen ausgesprochen:

«Es ist nun einige Zeit verflossen, da kamen einige jüngere Studierende der Theologie zu mir, um von ihren inneren Nöten zu sprechen; und die Art und Weise, wie sie sprachen, machte den Eindruck des ungeheuer­sten Ernstes. Das war aus dem Grunde, weil aus diesem Sprechen heraus ein ganz bestimmter Seelenunterklang ertönte, der im Grunde dazumal nicht deutlich ausgesprochen wurde, der aber außerordentlich stark in diesen jüngeren Seelen lebte. Wenn ich charakterisieren soll, was als dieser Seelenunterklang sich eigentlich kundgab, so ist es dieses: Es handelte sich um junge Theologen, die daran waren, ihr Studium zu vollenden und die hinaussahen in ihre Zukunft mit einer gewissen Ver­antwortlichkeit, die aber zurückschauten auf dasjenige, was sie während ihres Studiums der Theologie durchlebt hatten, mit einer gewissen Trostlosigkeit, jedenfalls so darauf zurückschauten, daß sie zeigten: Sie fühlen sich nicht in der Lage, der Verantwortlichkeit, die sie gegenüber ihrer Aufgabe empfanden, wirklich gerecht zu werden.

Es liegt ja nahe, daran zu denken, woher dieser Seelenunterklang kam, der im Grunde genommen eine Art von innerer Disharmonie war. Er kam daher, daß in der Gegenwart gerade die ernstesten Seelen, diejeni­gen Seelen, die eben ihre Lebensaufgabe auf dem Boden des religiösen Wirkens mit Ernst auffassen wollen, nicht jene innere Kraft mitnehmen können aus ihren Studien, die nötig ist, um diese Mission auszuführen.»

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Der Vortragskurs wurde für 18 junge Menschen gehalten. Noch während des Kurses baten die Teilnehmer um weitere Vorträge. In den folgenden Wochen suchten und fanden sie weitere Interessierte, die eine Erneuerung des religiösen Lebens anstrebten. Im Herbst desselben Jah­res (1921) hielt Rudolf Steiner vor einem nun wesentlich erweiterten Kreis einen umfassenden Kurs von 29 Vorträgen bzw. Diskussionsstunden. Über 100 interessierte Persönlichkeiten nahmen daran teil, darunter eine größere Anzahl von Pfarrern der verschiedenen Konfessionen.

Die Begründung der «Christengemeinschaft» erfolgte durch 45 aus dem Teilnehmerkreis dieses Herbstkurses hervorgegangene Persönlich­keiten unter der Leitung von Pfarrer Dr. Friedrich Rittelmeyer im September 1922 im Zusammenhang mit einem weiteren Vortragskurs Rudolf Steiners.

Rudolf Steiner hat oftmals betont, daß es nicht die Aufgabe der anthroposophischen Bewegung sei, neue religiöse Gemeinschaften zu gründen, «denn diese anthroposophische Bewegung kann heute durch ihre innere Natur nichts anderes sein als eine ganz universelle Bewegung. Sie muß sich gewissermaßen auf alle Gebiete des Lebens verlegen».3 Rudolf Steiner erkannte aber die Bedeutung des an ihn herangetragenen Anliegens und hat darauf mit seinem persönlichen Rat geantwortet. So konnte die religiöse Erneuerungsbewegung ihre Verwirklichung finden. Aus der Veröffentlichung dieser und der folgenden Vorträge werden Art und Umfang der von ihm geleisteten Ratschläge und Hilfen ersicht­lich.

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1 «An die Mitglieder», 5. Oktober 1924, in GA 260a.

2 Das Zitat ist einer kurzen Ansprache Rudolf Steiners vom 2. August 1922 entnom­men, mit der er eine Orientierungsstunde abschloß, in welcher Pfarrer Dr. Fried­rich Rittelmeyer, Pfarrer Dr. Christian Geyer und Lizentiat Emil Bock die in Dornach anwesenden Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft orientiert hatten über die für den folgenden Monat vorgesehene Begründung der Bewegung für religiöse Erneuerung. Die bei dieser Gelegenheit gehaltenen Ansprachen sind leider nicht mitgeschrieben worden, mit Ausnahme des Schlußwortes von Rudolf Steiner. Vollständiger Abdruck des Schlußwortes in Heft Nr. 110 der «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe».

3 Vortrag vom 13. Juni 1921 in diesem Band.

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ERSTER VORTRAG Stuttgart, 12. Juni 1921

Meine lieben Freunde! Sie haben gewünscht, daß wir uns hier zusam­menfinden, um Dinge zu besprechen, die innig mit Ihrem Berufe zusammenhängen, und ich darf annehmen, daß dieser Ihr Wunsch hervorgegangen ist aus der Erkenntnis des Ernstes unserer Zeitlage, jenes Ernstes, der ja ganz besonders zutage tritt, wenn man versucht, von religiösen Gesichtspunkten aus in das zivilisatorische Leben unserer Zeit zu wirken. Und ich darf fernerhin annehmen, daß es Ihnen in erster Linie nicht zu tun ist um etwas, das man eine Theolo­gie-Angelegenheit nennen könnte, sondern um eine Religionsangele­genheit. Es ist ja zweifellos die eigentlich brennende Frage unserer Zeit nicht die theologische allein. Man könnte glauben, daß sogar bei einigem guten Willen einige Menschen sich über die theologische Frage klar werden könnten in verhältnismäßig kurzer Zeit. Aber dasjenige, was jedem, der unbefangen in unsere Zeit hineinsieht, verständlich sein muß, das ist gerade nicht die Frage des Dogmas, nicht die Frage der Theologie, es ist die Frage der Predigt und alles desjenigen, was damit zusammenhängt, es ist die Frage des Religiösen und namentlich des religiösen Wirkens als solchem. Damit aber deuten wir auf eine viel weitere und umfassendere Frage hin, als es die theologische jemals sein könnte.

Wenn man sich von vornherein auf den religiösen Standpunkt stellt, so handelt es sich ja darum, daß man die Möglichkeit wiederum findet, die geistigen Welten mit ihren verschiedenen Wirkenskräften den Menschen zugänglich zu machen, zugänglich zu machen zunächst wenn wir eben uns auf das Religiöse beschränken durch das Wort. Und da müssen wir uns schon klar sein darüber, daß die ganze neuere Entwickelung in dieser Beziehung uns vor eine Frage allertiefsten Ernstes stellt. Derjenige übersieht eigentlich die Frage nicht, der da meint, daß von dem Ausgangspunkte aus, auf den sich die älteren Leute unter uns heute noch stellen, etwas anderes sich ergeben könnte, als eigentlich die völlige Zersetzung des religiösen

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Lebens innerhalb unserer modernen Zivilisation. Wer glaubt, daß man aus den alten Voraussetzungen heraus das religiöse Leben wird noch retten können, der stellt sich eigentlich auf einen unmöglichen Standpunkt. Ich sage dies einleitungsweise nicht deshalb, weil ich etwa von vornherein von irgendeinem geisteswissenschaftlichen Dogma ausgehen möchte das soll nicht der Fall sein , sondern das, was ich sage, zeigt sich einfach der unbefangenen Beobachtung des Lebens in unserer Zeit.

Man müßte sich darüber klar sein, ob man mit der Predigt heute Widerhall finden kann in den Herzen unserer Zeitgenossen, wenn man von denjenigen Dingen spricht, von denen einmal innerhalb des wirklichen Christentums gesprochen werden muß. Und ich setze voraus, daß diese Tage hier so verlaufen werden, daß wir uns in Frage und Antwort und in Disputationen über die Angelegenheiten unter­halten werden, die Ihnen eigentlich auf dem Herzen liegen, heute aber möchte ich einleitungsweise einiges andeuten von dem, was eigentlich vorliegt.

Wir müssen uns klar darüber sein, daß dasjenige, was in den letzten drei bis vier Jahrhunderten als wissenschaftliche Bildung in der Menschheit heraufgezogen ist, einen weiten Umkreis bereits um sich gezogen hat. Wer älter geworden ist, kann den Unterschied noch bemerken, der in dieser Richtung besteht zwischen dem, was etwa in den 70 er oder 80 er Jahren des vorigen Jahrhunderts vorhanden war, und dem, was uns heute umgibt. In den 70er, 80 er Jahren des vorigen Jahrhunderts konnte man immerhin zu einer großen Bevöl­kerung sprechen von Fragen des geistigen Lebens, wie sie sich aus den Traditionen der verschiedenen Bekenntnisse und auch der Sekten ergeben haben, und man konnte Herzen und Seelen finden, in denen solches Sprechen Widerhall fand. Heute stehen wir im Grunde genommen einer anderen Zeit gegenüber. Gewiß, es sind noch viele Menschen vorhanden, die nicht viel von dem aufgenommen haben, was an neuerer Bildung in unsere Zivilisation seinen Einzug gehalten hat; und wir könnten immerhin zu diesen Menschen noch sprechen über solche Begriffe wie Christus, wie Gnadenwirkung, wie Erlö­sung und so weiter, ohne daß sich sogleich in diesen Herzen etwas

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geltend machen würde wie Widerstand. Aber auch dies wird nicht mehr lange dauern. Denn mit einer rasenden Eile verbreitet sich eine gewisse populäre Bildungsanschauung, die auf dem Wege namentlich der Zeitungs- und der populären Zeitschriftenliteratur, im Grunde genommen auch auf dem Wege unserer Schulbildung, in die breite­sten Massen hineindringt. Und wenn auch innerhalb dieser Bildungs-anschauung nicht direkt Vorstellungen entwickelt werden, Empfin­dungen gedeihen, welche sich auflehnen gegen solche Begriffe wie Christus, Erlösung, Gnade und so weiter, so dürfen wir doch nicht vergessen, daß diese Vorstellungen, die da aufgenommen werden, in Formen gegossen sind, durch die in den weitesten Kreisen eben einfach ein innerer Widerstand erwächst gegen das eigentliche reli­giöse Leben, wenn ihm nicht ein neuer Ausgangspunkt gesucht wird. Wir sollten uns eben in dieser Beziehung gar keiner Täuschung hingeben.

Sehen Sie, wenn jene Bildungsanschauung sich immer weiter und weiter verbreitet, welche aus scheinbar feststehenden naturwissen­schaftlichen Voraussetzungen heraus das Weltenall so beschreibt, daß es in einer gewissen Weise mechanisch begonnen hat, daß aus mecha­nischen Verknäuelungen heraus sich das organische Leben entwickelt hat, und dann weiter herauf meinetwillen auch das Äußerlich-Körperlich-Leibliche des Menschen sich entwickelt hat, wenn dann verfolgt werden die Tatsachen, die zu solchen Hypothesen geführt haben, so daß man aus ihnen sich Vorstellungen bildet über ein entsprechendes Erdenende oder Ende unseres Planetensystems, dann haben bei all denjenigen, die ernsthaft und ehrlich diese Vorstellun­gen aufnehmen, die religiösen Vorstellungen, namentlich des Chri­stentums, keine Möglichkeit mehr, zu gedeihen.

Daß dies heute nicht schon in einem verhältnismäßig sehr hohen Grade bemerkt wird, das rührt nur davon her, daß eben so wenig innerliche Ehrlichkeit in den Menschen ist. Sie lassen einfach neben­einander bestehen auf der einen Seite die mechanisch-physikalische Naturordnung und auf der anderen Seite das Christentum und versu­chen sogar theoretisch zu beweisen, daß die beiden Dinge nebenein­ander gehen können. Allein, damit wird nur dasjenige, was in jeder

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unbefangenen Seele empfindungsgemäß sich geltend macht, verdeckt. Und wenn auch der Verstand alle möglichen Harmonien sucht zwi­schen Christentum und neuerer Naturwissenschaft, das Gemüt wird alle diese Vermittlungsversuche auslöschen, und die Folge kann nur diese sein, daß für Religion immer weniger und weniger Platz in den Herzen und Gemütern unserer Mitmenschen sein wird.

Wenn man die Frage nicht von diesen tieferen Gesichtspunkten aus betrachtet, so würdigt man eigentlich den Ernst der Lage nicht, in der wir gegenwärtig sind. Denn den angedeuteten Schwierigkeiten begegnet man eben nicht bloß in der Theologie, sondern gerade am meisten da, wo sie sich nicht deutlich aussprechen, wo sie im Unter­bewußtsein unserer Mitmenschen verborgen bleiben; man begegnet ihnen gerade dann, wenn man nicht Theologie, sondern Religion treiben will. Und das ist das Wichtige, das vor allen Dingen eingese­hen werden muß.

Sehen Sie, besonders charakteristisch für dasjenige, was in der neueren Zeit auf diesem Gebiete geschehen ist, ist ja die Ritschlsche Schule mit allen ihren Ausläufern. Diese Ritschlsche Schule, sie wird

wie Ihnen ja wohl bekannt ist heute noch von sehr vielen im Religionsgebiete Wirkenden als etwas außerordentlich Großes ange­sehen. Aber was ist denn eigentlich diese Ritschlsche Schule? Nicht wahr, diese Ritschlsche Schule steht auf dem Standpunkt: Die letzten Jahrhunderte, insbesondere das 19. Jahrhundert, haben uns eine große Summe wissenschaftlicher Erkenntnisse gebracht. Diese wis­senschaftlichen Erkenntnisse sind dem religiösen Leben gefährlich. So weit ist sich die Ritschlsche Schule klar: Lassen wir die wissen­schaftlichen Erkenntnisse, sei es zur Kritik, sei es zur Dogmenbil­dung, in das religiöse Leben herein, dann wird uns das religiöse Leben dadurch zersetzt. Wir müssen also für das religiöse Leben einen anderen Ausgangspunkt suchen, den Ausgangspunkt des Glaubens. Ja nun, damit hätten wir gewissermaßen die Seele doch entzweige­spalten. Wir hätten auf der einen Seite die theoretischen Erkenntnis-kräfte der Seele, die sich mit der Wissenschaft abgeben, und wir hätten die Statuierung eines Seelengebietes, das etwas ganz anderes an

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Fähigkeiten aus sich heraus entwickelt, als das Erkenntnisgebiet ist: das Glaubensgebiet. Und nun wird gekämpft, gekämpft keineswegs um eine Harmonie zwischen Wissenschaft und Religion, sondern gekämpft wird um den Ausschluß der Wissenschaft von der Religion, gekämpft wird um ein Gebiet, in dem sich die Seele bewegen kann, ohne irgendwie das wissenschaftliche Denken hereinzulassen. So wenig wie möglich wenn möglich gar nichts von irgendwelchen wissenschaftlichen Erkenntnissen in das religiöse Leben hereinspie­len zu lassen, das ist das Ideal der Ritschlianer.

Nun aber: Abgesehen davon, daß man so etwas theoretisch fest­stellen kann, daß man sich auch einreden kann, so etwas wie diese Zweiteilung der Seele könnte bestehen, gilt es trotzdem, daß für das eigentliche Leben der Seele aus dem Unterbewußten herauf soviel aufrührerische Kräfte gegen diese Zweiteilung der Seele kommen, daß eben dadurch gerade das religiöse Leben untergraben wird. Aber man könnte selbst davon absehen. Man braucht nur auf das Positive des Ritschlianismus selber zu gehen, dann wird man sehen, wie diese Anschauung eigentlich für das religiöse Empfinden selber zuletzt allen Inhalt verlieren muß.

Nehmen wir die wichtigsten Kräfte, die ja doch im religiösen Leben spielen. Es ist zuerst das Gebiet des Glaubens ob das nun ins Wissen hineinmündet oder nicht, darüber wollen wir uns später unterhalten , es ist zweitens das Gebiet der eigentlichen religiösen Erfahrung auch dieses Gebiet der religiösen Erfahrung wollen wir späterhin etwas genauer betrachten , und es ist drittens das Gebiet der religiösen Autorität. Nun, am Autoritätsbegriff hat ja das evange­lische Leben, man möchte sagen, seit Luther außerordentlich viel zur Berichtigung, zur Ergründung und so weiter getan. Und im Kampfe gegen die katholische Kirche hat das evangelische Leben in bezug auf den Autoritätsbegriff, man möchte sagen, eine reinliche Empfindung herausgelöst. Man ist sich klar darüber innerhalb des evangelischen Lebens, daß von einer äußeren Autorität in der Religion nicht gesprochen werden sollte, daß als Autorität für die einzelnen Seelen nur der Christus Jesus selber zu gelten habe. Aber sobald man gerade vom Gesichtspunkt der Ritschlschen Schule aus zu dem Inhalte des

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religiösen Lebens, also zu dem zweiten Punkte kommt, dann ergibt sich ja sogleich eine ungeheure Schwierigkeit, die ja, wie Sie wissen, all den neueren Ritschlianern sehr, sehr bedeutsam entgegengetreten ist. Ritschl selbst will ja nicht ein nebuloses, dunkles, mystisches Glaubenserlebnis haben, sondern Ritschl will den Inhalt der Evange­lien zum Seeleninhalte des religiösen Lebens machen. Es soll von dem religiösen Menschen erlebt werden können der Inhalt des Evange­liums, das heißt mit anderen Worten, man soll auch für die Predigt den Inhalt des Evangeliums benützen können. Nun aber fanden sich da gleich die neueren Ritschlianer in einer schwierigen Lage. Nehmen wir zum Beispiel die Paulusbriefe: In den Paulusbriefen steckt selbstverständlich eine ganze Summe von religiöser Erfahrung des Paulus selber, von einer solchen religiösen Erfahrung, die von einem gewissen Gesichtspunkt aus ganz subjektiv ist, die nicht ohne weiteres eine allgemeinmenschliche religiöse Erfahrung ist, zu der man sich nur so verhalten kann, daß man sich sagt: Paulus hatte diese Erfahrung, er hat sie hineingelegt in seine Briefe, und man kann eigentlich nur den Bezug dazu haben, daß man sich sagt: Ich blicke hin zu Paulus, ich versuche mich hineinzufinden in dasjenige, was sein religiöses Erleben ist, und ich gewinne dazu ein Verhältnis. Aber das möchten die neueren Ritschlianer ja gerade ausschließen. Sie sagen: Dasjenige, was in dieser Weise subjektives religiöses Erle­ben ist, das kann nicht eigentlich Inhalt des allgemeinen evangeli­schen Glaubens sein, denn es führt dazu, eben eine äußere Autorität, wenn auch eine geschichtliche Autorität, einfach anzuerkennen, aber man soll ja appellieren an dasjenige, was in jeder einzelnen Men­schenseele erlebt werden kann. Dadurch würden vom Inhalte des Evangeliums die Paulusbriefe also schon wegfallen. Man würde zum Beispiel die Paulusbriefe nicht ohne weiteres aufnehmen können in den Inhalt der allgemeinen Predigt.

Nun werden Sie, wenn Sie die Sache unbefangen ansehen, auch kaum daran zweifeln, daß dasjenige, was nun die Ritschlsche Schule heute, ich möchte sagen, als den Rest hinstellt, der da bleiben soll als objektive Erlebnisse, für eine unbefangene Betrachtung auch nur als ein subjektives Erlebnis gelten kann. Man sagt zum Beispiel, die

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Darstellung des Lebens des Christus Jesus könne so, wie sie in den Evangelien erzählt wird, im Grunde genommen von jedem nacher­lebt werden, nicht aber zum Beispiel die Lehre von der stellvertreten­den Sündensühnung. Man müsse also aufnehmen in die allgemeine Predigt dasjenige, was sich auf die Erlebnisse des Christus Jesus bezieht, nicht aber so etwas wie die Lehre von der stellvertretenden Sündensühnung und anderem, was damit zusammenhängt. Aber bei unbefangener Betrachtung werden Sie auch kaum in der Lage sein zuzugeben, daß es einen solchen Kern von allgemeinem Erleben gegenüber dem Christus Jesus gibt, an den man appellieren könnte bei der ganz allgemeinen Predigt. Die Ritschlianer werden eben zum Schluß, wenn sie nur unbefangen genug sind, sich doch genötigt sehen, Stück für Stück fallen zu lassen, um zuletzt vom Inhalte des Evangeliums im Grunde genommen kaum mehr viel übrig zu behalten.

Wenn aber der Inhalt des Evangeliums überhaupt wegfällt als Inhalt der Predigt, als Inhalt der religiösen Unterweisung überhaupt, dann bleibt uns ja gar nichts zurück von einem konkreten, von einem auszugestaltenden Inhalte; dann bleibt uns lediglich dasjenige zurück, was man bezeichnen könnte als das allgemeine und als solches wird es immer nebulos , als das allgemeine nebulos-mysti­sche Gotteserlebnis. Und das tritt uns ja auch immer mehr und mehr entgegen bei einzelnen Leuten der neueren Zeit, die damit aber trotzdem glauben, gut christlich sein zu können. Das tritt uns immer mehr entgegen, daß jeder Inhalt, der zur Gestaltung führt obwohl er aus den Tiefen des ganzen Menschen herausgeholt ist, muß er doch zu einer gewissen Formulierung führen , daß jeder solche Inhalt abgelehnt wird und eigentlich nur auf eine bestimmte Gefühlsrich­tung gesehen wird, auf eine Gefühlsrichtung nach einem Allgemein­Göttlichen hin, so daß schon in der Tat vielfach gerade das ehrliche religiös-christliche Bestreben heute auf dem Wege ist zu einem sol­chen verschwommenen Gefühlsinhalt.

Nun, sehen Sie, damit ist aber gerade das Evangelische an einem außerordentlich bedeutsamen Wendepunkt angekommen und sogar an demjenigen Wendepunkte angekommen, wo die allerstärkste

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Gefahr droht, daß das evangelische gegenüber dem katholischen Prinzip in eine außerordentlich schlimme Lage kommen könnte. Denn, sehen Sie, das katholische Prinzip hat nie außerordentlich viel gegeben auf den Evangelien-Inhalt, das katholische Prinzip hat immer, auch in der Predigt, gearbeitet mit der Symbolik. Und bei denjenigen katholischen Predigern, die ihrer Aufgabe wirklich gewachsen sind, werden Sie es bis zum heutigen Tage ja, man möchte sagen, heute, wo der Katholizismus wirklich nach einer Re­generierung strebt, erst recht bemerken, wie stark wiederum die Symbolik auflebt, wie gewissermaßen dogmatische Inhalte, gewisse Inhalte über Tatsachen und Wesenheiten des übersinnlichen Lebens, in Symbole gekleidet werden. Und es ist ein volles Bewußtsein vor­handen schon bei den verhältnismäßig noch niederen Klerikern, daß das Symbolum ausgesprochen sich außerordentlich tief in die Seele hineinlebt, viel tiefer als der dogmatische Inhalt, als der Lehrinhalt, und daß man zur Verbreitung des religiösen Lebens eben viel mehr beitragen kann, wenn man die Heilswahrheiten in symbolischer Form ausspricht, den Symbolen einen durch und durch bildlichen Charakter gibt und nicht sich einläßt auf den eigentlichen Lehrgehalt. Sie wissen ja, daß der Inhalt des Evangeliums selbst nur den Gegen­stand einer Vorlesung bildet innerhalb des Meßopfers in der katholi­schen Kirche, daß gerade die Predigt innerhalb der katholischen Kirche vermeidet, den Evangelieninhalt als einen Lehrgegenstand an die Gläubigen heranzubringen.

Wer ermessen kann, welche Kraft in einer Neubildung des symbo­lischen Predigtgehaltes liegt, der wird schon verstehen, daß wir in der Tat heute an diesem wichtigen Wendepunkt stehen, daß die Haupter­gebnisse des evangelischen Lebens der letzten Jahrhunderte sehr, sehr stark gegenüber den sich ausbreitenden Kräften des Katholizismus in eine Zwangslage, in eine außerordentlich schwierige Lage kommen konnten.

Nun, wenn man daneben eben sieht, wie das evangelische Leben selbst den Zusammenhang mit dem Evangelieninhalt verliert, und auf der anderen Seite wiederum sieht, wie dann als Inhalt eine nebulose Mystik bleibt, dann kann man ja auch sagen: Die Glaubenskraft

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selber steht eigentlich auf sehr schwankendem Boden. Und auch darüber muß man sich klar sein, daß die Glaubenskraft heute auf einem sehr schwankenden Boden steht. Außerdem kommt man wirklich nicht darüber hinweg, sich sagen zu müssen: Wenn man auch noch so sehr Barrieren aufrichtet um das Glaubensgebiet herum, die man in irgendeiner Weise zimmert, noch so sehr Barrieren aufrichtet gegen das Eindringen von wissenschaftlichen Erkenntnis­sen, diese wissenschaftlichen Erkenntnisse werden schließlich doch die Barrieren niederreißen, aber von ihnen kann dann nur irreligiöses Leben, nicht religiöses Leben ausgehen. Was die neuere Denkweise in der Wissenschaft leisten kann, soweit sie heute offiziell vertreten wird, das ist doch so Sie mögen es zunächst vielleicht nicht so annehmen, aber wenn Sie die Sache historisch studieren, so werden Sie es erkennen müssen , daß es zuletzt doch solche Auseinander­setzungen gäbe, wie in David Friedrich Strauß «Alter und neuer Glaube». Gewiß ist das Buch banal und oberflächlich; aber nur solches Banale und Oberflächliche kommt heraus, wenn man wirk­lich das heute geltende wissenschaftliche Leben nimmt und daraus irgendwelchen Glaubensinhalt formen will.

Nun habe ich schon vorhin angedeutet, daß wir solche Begriffe wie Christus, Gnadenwirkung, Erlösung und so weiter auf dem Gebiete des religiösen Lebens doch unbedingt brauchen. Aber wie sollte die einzigartige Wirkung des Mysteriums von Golgatha möglich sein in einer Welt, die sich so entwickelt hat, wie sie von der heutigen Naturwissenschaft angesehen werden muß in ihrer Entwickelung? Wie kann man in eine solche Welt einen einzigartigen Christus hineinstellen?

Man kann hinstellen einen hervorragenden Menschen; aber Sie werden dann immer sehen, wenn versucht wird, das Leben dieses hervorragenden Menschen zu schildern, daß man dann nicht mehr ehrlich sein kann, wenn man der Frage nicht ausweichen will: Wie unterscheidet sich das Leben dieses vorzüglichsten Menschen von dem eines Plato, eines Sokrates oder irgendeines anderen vorzügli­chen Menschen? Man kommt dann mit dieser Frage nicht mehr zurecht. Ist man außerstande, irgendwelche anderen Geschehensim­pulse

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in der Erdenmenschheitsentwickelung zu sehen als diejenigen, die die Wissenschaft heute, wenn sie ehrlich ist, annehmen kann, dann ist man auch nicht imstande, das Mysterium von Golgatha irgendwie in die Geschichte hineinzustellen. Wir haben ja erlebt das bedeutsame Ignorabimus Rankes in Bezug auf die Christus-Frage, und mir scheint, daß hier das Ignorabimus Rankes eine viel bedeutsa­mere Rolle für uns spielen sollte als alle Versuche, die von Ritschl­ianern oder anderen ausgehen, um ein besonderes Gebiet als ein religiöses Gebiet zu erobern, auf dem dann der Christus gelten kann deshalb, weil man Barrieren gegen das wissenschaftliche Leben auf­richtet.

Sehen Sie, ich möchte in diesen einleitenden Worten geradezu auf die Kardinalf rage losgehen; ich möchte Sie veranlassen, darüber nachzudenken: Wie kann man denn in einer Welt, die sich nach denjenigen Gesetzen vollzieht, die der Naturwissenschaftler heute annehmen muß, wie kann man in einer solchen Welt davon sprechen, daß sich irgendwie ethische Impulse realisieren? Wo sollten denn ethische Impulse eingreifen, wenn wir eine universelle Naturkausali­tät haben? Man kann höchstens noch annehmen, daß in einer Welt mechanischer Naturkausalität ein Ethisches beim Ausgangspunkte einmal eingegriffen habe und gewissermaßen die mechanische Grundrichtung gegeben hat, die sich jetzt automatisch fortsetzt, aber ein Durchsetztsein dieses Naturmechanismus mit irgendwelchen ethischen Impulsen können wir nicht denken, wenn wir ehrlich sind.

Und so können wir auch nicht daran denken, wenn wir den universellen Naturmechanismus und die universelle Naturkausalität annehmen, daß unsere eigenen ethischen Impulse irgendetwas aus­lösen in der Welt der Naturkausalität. Man ist eben heute nur nicht ehrlich genug, sonst würde man sich sagen: Nimmt man die allge­meine Naturkausalität an, dann sind unsere ethischen Impulse eben schöne menschliche Impulse, aber die schönen menschlichen Impulse bleiben doch nur Illusionen. Wir können sagen, in uns leben ethische Ideale, wir können sogar sagen, auf diese ethischen Ideale strahle der Glanz einer von uns verehrten und angebeteten Göttlich­keit, aber eine positive Realität diesem Göttlichen zuzuschreiben und

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gar irgendeinen Bezug zu konstatieren zwischen unserem Gebet und dem Göttlichen und seinen Willensimpulsen, das bleibt eine Illusion.

Gewiß sind der Fleiß und der gute Wille anzuerkennen, welche von den verschiedensten Seiten aufgewendet worden sind, um auf der einen Seite, auf der Seite der Naturkausalität bestehen zu können, und auf der anderen Seite dem religiösen Leben ein besonderes Gebiet zu erobern. Das ist anzuerkennen. Aber es ist darin trotzdem eine innere Unehrlichkeit, es ist nicht möglich bei innerlicher Ehr­lichkeit, diesen Zwiespalt gelten zu lassen.

Nun wird uns wahrscheinlich im weiteren Fortgange unserer Ver­handlungen nicht allzusehr beschäftigen müssen, gerade das Ergebnis geisteswissenschaftlicher Untersuchungen; wir werden für die reli­giösen Fragen schon Inhalt bekommen gewissermaßen aus dem ganz rein Menschlichen heraus. Aber ich möchte Sie, um eben auf den Kardinalpunkt hinzuweisen, aufmerksam darauf machen, daß Gei­steswissenschaft, die ja mit positiven, wirklichen Ergebnissen da-steht, die ebenso Ergebnisse sind wie die naturwissenschaftlichen Ergebnisse, daß die Geisteswissenschaft nicht in der Lage ist, sich auf den Boden einer allgemeinen Naturkausalität zu stellen. Verstehen wir uns gerade in diesem Punkte recht, meine lieben Freunde.

Sehen Sie, das äußerste, was uns die Naturbetrachtung gebracht hat, ist das Gesetz von der Erhaltung des Stoffes und der Erhaltung der Kraft im Universum. Sie wissen, daß in die neuere Seelenkunde, in die Psychologie, dieses Gesetz von der Erhaltung der Kraft verhee­rend eingegriffen hat. Man kommt mit dem Seelenleben und seiner Freiheit nicht zurecht, wenn man dieses Gesetz von der Erhaltung des Stoffes und der Erhaltung der Kraft ernst nimmt. Und die Grundlagen, die uns die heutige Wissenschaft gibt, um den Menschen zu begreifen, sind eben doch solche, daß wir gar nicht anders können, als in den gesamten Menschen herein scheinbar auch wirksam zu denken dieses Gesetz von der Erhaltung des Stoffes und der Erhal­tung der Kraft.

Nun wissen Sie, daß Geisteswissenschaft nicht als ein Vorurteils­dogma, sondern als ein Ergebnis [der Geistesforschung] die Erkenntnis von den wiederholten Erdenleben hat. Im Sinne dieser

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Erkenntnis leben wir zum Beispiel jetzt in diesem Leben zwischen der Geburt und dem Tode so, daß wir auf der einen Seite in uns haben die Impulse der physischen Vererbung auf diese Impulse der physischen Vererbung wollen wir noch genauer zurückkommen , daß wir außerdem in uns haben die Impulse, welche den früheren Lebensläufen angehören und dem Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Die Welt, in der wir leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, schließt nun Fakten ein, die nicht unter dem Gesetze von der Erhaltung des Stoffes und der Erhaltung der Kraft stehen. Wenn wir also gewissermaßen die geistige Verbindung suchen zwischen unserem jetzigen Leben und unserem nächsten Erdenleben und auch weiter in die Leben hinein, die dann nicht mehr physisch verlaufen, sondern die, nach dem Untergange des Erden-seins, geistig verlaufen, wenn wir diese Verbindungslinie ziehen, so treffen wir auf Weltinhalte, die nicht unter unseren Naturgesetzen stehen, folglich auch nicht unter dem Gesetz von der Erhaltung des Stoffes und der Erhaltung der Kraft gedacht werden dürfen. Wie also ist der Zusammenhang zwischen demjenigen, was aus einem früheren Erdenleben in ein späteres spielt, und demjenigen, was der Mensch dann in seinen Taten auslebt unter dem Einfluß früherer Erdenleben? Dieser Zusammenhang ist ein solcher, daß er von Naturgesetzen, auch wenn sie sich bis ins innerste Gefüge der menschlichen Leiblich­keit hinein erstrecken, nicht erfaßt werden kann.

Jedes Wirken desjenigen, was schon in den früheren Erdenleben in mir veranlagt ist, in das jetzige Erdenleben hinein, jede solche Wir­kung ist eine solche, daß ihre Gesetzmäßigkeit nichts zu tun hat mit den universalen Naturgesetzen. Das heißt, haben wir im jetzigen Erdenleben ethische Impulse, so können wir ruhig sagen: Zuletzt können sich diese ethischen Impulse in ihrem Vollgehalte nicht ausle­ben im Physischen, sie haben aber eine Möglichkeit, sich auszuleben von dem jetzigen Erdenleben in die folgenden hinüber, denn wir gehen [dazwischen] durch eine Sphäre, die der Naturgesetzlichkeit enthoben ist, hindurch.

Wir kommen dabei zu einem, allerdings umgestalteten, aber durchaus auch erkenntnismäßig festzuhaltenden Wunderbegriff. Der

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Wunderbegriff bekommt wiederum einen Sinn. Der Wunderbegriff kann ja nur den Sinn haben, daß sich in etwas nicht bloß Natur­gesetze auswirken, sondern ethische Impulse. Aber wenn wir ganz eingesponnen sind in den Naturzusammenhang, so fließen unsere ethischen Impulse nicht in die Naturordnung hinein. Werden wir aber herausgehoben [aus diesem Naturzusammenhang], setzen wir gewissermaßen zwischen Ursache und Wirkung die Zeit, dann bekommt der Wunderbegriff wiederum einen ganz erkenntnisge­mäßen Inhalt; ja, er bekommt in einem noch tieferen Sinne einen Inhalt.

Sehen wir vom geisteswissenschaftlichen Standpunkt aus, sagen wir, auf den Erdenursprung, so sehen wir in diesem Erdenursprung nicht diejenigen Kräfte wirken, die heute im universellen Naturzu­sammenhang wirken, sondern wir sehen beim Herübergehen der der Erde vorangehenden Metamorphose dieser Erde in die jetzige Erden­metamorphose die Naturgesetze ausgeschaltet. Und wenn wir ans Erdenende gehen, wenn gewissermaßen die Clausiussche Formel erfüllt ist und die Entropie so weit gestiegen ist, daß sie an ihrem Maximum angekommen ist, wenn also der Wärmetod für die Erde eingetreten ist, dann tritt dasselbe ein: Wir sehen, wie sowohl am Erdenanfang wie am Erdenende die Naturkausalität ausgeschaltet und eine andere Wirkungsweise da ist. Wir sehen also gerade in solchen Ausschaltungszeiten, wie sie für uns Menschen liegen zwi­schen dem Tode und einer neuen Geburt, wie sie für die Erde selber vor und nach ihrer jetzigen Metamorphose liegen, die Möglichkeit des Eingreifens desjenigen, was heute einfach zurückgestoßen wird von der Naturkausalität, die Möglichkeit des Eingreifens von ethi­schen Impulsen.

Sehen Sie, die Menschheit hat, ich möchte sagen, den einen Schritt von zwei notwendigen Schritten bereits getan. Der eine Schritt ist der, daß von allen vernünftigen Menschen, auch von den religiösen Menschen, aufgegeben worden ist der alte abergläubische Magiebe­griff, jener Magiebegriff, der eine Möglichkeit voraussetzt, daß man durch diese oder jene Machinationen eingreifen könne in das Natur­wirken. An die Stelle eines solchen Magiebegriffes ist heute die

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Anschauung getreten, daß man eben dem Naturwirken seinen Lauf lassen müsse, daß man nicht mit geistigen Kräften die Naturkausalität meistern könne. Die Naturkausalität geht ihren Gang, wir haben auf sie keinen Einfluß, so sagt man, daher ist die Magie im alten abergläu­bischen Sinne von unseren Erkenntnisgebieten auszuschalten.

Aber, so richtig dies auch ist für gewisse Zeiträume, so unrichtig ist es, wenn wir auf größere Zeiträume hinschauen. Wenn wir hin­schauen auf den Zeitraum, der für uns Menschen liegt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, da gehen wir eben einfach durch durch ein Gebiet, welches vor der geisteswissenschaftlichen Erkenntnis in der folgenden Weise sich ausnimmt: Denken Sie einmal, wir sterben am Ende unseres gegenwärtigen Lebens; da treten wir zunächst hinaus aus der Welt, in der wir wahrgenommen haben durch unsere Sinne und unseren Intellekt die universelle Naturkausalität. Diese universelle Naturkausalität herrscht weiter auf der Erde, die wir dann durch den Tod verlassen haben, und wir können zunächst nach dem Tode, wenn wir von dem jenseitigen Leben herunterschauen auf das diesseitige, nichts anderes konstatieren, als daß aus den Ursachen, die tätig waren während unseres Lebens, Wirkungen herauswachsen; aus diesen Wirkungen, die dann wieder Ursachen werden, werden wie­derum Wirkungen. Wir sehen nach unserem Tode fortlaufen, fort-währen diese Naturkausalität.

Wenn wir ein einigermaßen seelisch normales Leben geführt haben, so setzt sich ja dieses Leben nach dem Tode solange fort, bis die sämtlichen Impulse, die während unseres irdischen Lebens tätig waren, im Erdenwirken selber ihr Ende erfahren haben und ein neuer geistiger Einschlag stattfindet, bis also die letzten Kausalitäten aufhö­ren und ein neuer Einschlag da ist. Dann erst verkörpern wir uns wieder, wenn das Geistige einen neuen Einschlag gibt, so daß der Strom der früheren Kausalitäten aufhört. Wir steigen herunter zu einem neuen Leben, nicht indem wir die Wirkungen der alten Ur­sachen unseres früheren Lebens wiederfinden die finden wir dann nicht , sondern wir finden eine neue Phase des Rhythmus, einen neuen Einschlag. Hier haben wir gewissermaßen über einen Knoten­punkt der rhythmischen Entwickelung hinüber geistig gelebt. Wir

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können im nächsten Leben nicht sagen, da wirken sich die Ursachen aus, die schon im früheren Leben vorhanden waren, sondern die sind für unser menschliches Leben an einen Knotenpunkt angekommen, wo sie sich alle erschöpft haben, noch nicht die Wirkungen des tierischen, pflanzlichen, mineralischen Reiches, die erst am Ende der Erdenzeit ~erschöpft sein werden]. Aber alles dasjenige, was uns Menschen angeht an ethischem Leben, für das ist eine Null eingetre­ten und ein neuer Ansatz notwendig. Und die Impulse für diesen neuen Ansatz nehmen wir aus dem geistigen Leben heraus mit, das wir durchmachen zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, so daß wir uns verbinden können mit jenen Impulsen, die aus dem Ethisch-Göttlichen heraus die Erde formen. Mit denen können wir uns verbinden, wenn wir selber in der Welt sind, aus der dann der neue Impuls strömt. So daß wir sagen müssen: Sehen wir jetzt auf unser Leben hin zwischen Geburt und Tod, so ist gewiß das Abergläu­bisch-Magische nicht drinnen, aber zum nächsten Leben hinüber vollzieht sich der Zusammenhang so, daß man da wirklich von Magie reden kann, unmöglich aber von einem unmittelbaren Einflusse des Geistigen in das Physische. Das ist das Wichtige, daß man durch Geisteswissenschaft kennenlernt, daß nicht von Anfang bis zu Ende einfach ein zusammenhängender Strom von Kausalitäten geht, son­dern es gehen durch gewisse Zeiträume, die gar nicht einmal im Verhältnis zu der gesamten Entwickelung der Erde so furchtbar lang sind, Kausalitätsrhythmen; die kommen am Nullpunkte an, dann kommt ein neuer Kausalitätsrhythmus. Wir finden nicht, wenn wir in einen nächsten Kausalitätsrhythmus hineinkommen, die Wirkungen des früheren Kausalitätsrhythmus, wir müssen sie im Gegenteil erst herübertragen in unsere eigene Seele in den Nachwirkungen, die wir durch das Karma hinüberzutragen haben.

Sehen Sie, ich wollte Ihnen nur andeuten, daß es tatsächlich die Geisteswissenschaft gar nicht nötig hat, etwas anzunehmen von den­jenigen, die heute die Religion regenerieren wollen das würde für viele die Annahme eines neuen Dogmatismus bedeuten ; ich wollte nur andeuten, daß es der Geisteswissenschaft möglich ist, der Wis­senschaft von der äußeren Welt, unbeschadet der scheinbar notwen­digen

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Geltung der Naturgesetze, eine solche Konfiguration zu geben, daß der Mensch wiederum hineinpaßt, und zwar so hineinpaßt, daß er wirklich seine ethischen Impulse wiederum Weltimpulse nennen kann, daß er nicht zurückgestoßen wird mit seinen ethischen Impul­sen auf einen bloß machtlosen Glauben. Das wenigstens muß man als eine Möglichkeit in sein Bewußtsein aufnehmen, denn ohne diese Möglichkeit im eigenen Bewußtsein zu tragen, wird man nicht ver­standen von denjenigen, zu denen man predigen soll.

Ich möchte da auch für Sie etwas hinstellen, was ich oftmals für die Lehrer der Waldorfschule hinstellte, was einen wichtigen pädagogi­schen Grundsatz bildet. Sehen Sie, wenn man Kinder lehren will, daß irgend etwas gilt, so darf man nicht glauben, daß dieses Geltende aufgenommen wird von dem Kinde, wenn man selbst nicht daran glaubt, wenn man selbst nicht davon überzeugt ist. Ich nehme gewöhnlich das Beispiel, daß man kleinere Kinder von der Unsterb­lichkeit der Seele gut so unterrichten kann, daß man zu einem Sym­bolum greift. Man redet dem Kinde von dem aus der Puppe auskrie­chenden Schmetterling und führt den Vergleich, daß man sagt: So wie der Schmetterling in der Puppe lebt, lebt unsere Seele in uns, nur sieht man sie nicht, sie fliegt fort, wenn der Tod eintritt. Nun ist ein Zweifaches möglich, wenn man einen solchen Unterricht geben will. Einmal, wenn man sich einbildet: Ich bin ein furchtbar gescheiter Kerl, der ja nicht glaubt, daß damit irgend etwas über die Unsterb­lichkeit gesagt ist, wenn ich diesen Vergleich gebrauche, aber ich brauche ihn für das Kind, das dumm ist, dem bringt man das bei. Man wird, wenn man unbefangen ist, bald erkennen, daß diese Erha­benheit über die kindliche Auffassung nicht zu einem fruchtbaren Unterricht führen kann. Was man nicht selber in sich als Überzeu­gung hat, überzeugt am Schlusse auch das Kind nicht. So wirken die Imponderabilien. Erst wenn ich selber glauben kann, daß mein Sym­bolum in jedem einzelnen Wort einer Realität entspricht, dann ist mein Unterricht für das Kind fruchtbar. Und dazu gibt ja natürlich Geisteswissenschaft den genügenden Anlaß, denn vor der Geistes­wissenschaft ist der Schmetterling, der aus der Puppe kriecht, nicht bloß ein erdachtes Symbolum, sondern es ist tatsächlich so, daß auf

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einer niederen Stufe dasselbe erscheint, was auf einer höheren Stufe als Unsterblichkeit erscheint. Es ist von den Weltenmächten selbst so angeordnet, daß dasjenige, was Übergang der Seele in das Unsterb­liche ist, im Bilde erscheint in dem auskriechenden Schmetterling.

Also, sieht man auf das Bild als auf eine Realität hin, dann ist der Unterricht fruchtbar, nicht aber, wenn man sich einbildet, man sei ein gescheiter Kerl, der das Bild formt, sondern wenn man weiß, die Welt selbst gibt einem das Bild. So wirken die imponderablen Kräfte zwischen der Seele des Lehrers und der Seele des Kindes; und so ist es auch in der religiösen Unterweisung, in der Predigt. Man muß in seiner Seele selbst die vollinhaltlichen Grundlagen haben für dasje­nige, wovon man voraussetzt, daß es verstanden wird von denjeni­gen, zu denen man spricht. Ja, man darf nicht einmal solche Begriffe haben, die dieser Sache widersprechen. Ich möchte mich folgender­maßen ausdrücken, ich möchte sagen: Nehmen Sie an, Sie seien ein Mensch im Sinne der heutigen Ritschlianer oder so etwas, der durch­aus gläubig ist in bezug auf Seelenunsterblichkeit, Gottesdasein und so weiter, aber Sie sind zu gleicher Zeit schwach genug, die Kant-La­placesche Theorie anzunehmen, und zwar so, wie sie aus der heutigen Naturwissenschaft heraus gelehrt wird. Schon daß in Ihrem Gemüt diese Kant-Laplacesche Theorie sitzt und ein objektiver Widerspruch ist gegenüber dem, was Sie als den Inhalt Ihres christlichen Bekennt­nisses zu vertreten haben, schon das beeinträchtigt Ihre überzeu­gende Kraft, die Sie als Prediger haben müssen. Selbst wenn Sie gar nicht wissen, daß ein Widerspruch da ist, der Widerspruch wirkt; das heißt derjenige, der predigen will, muß in sich selber alle die Ele­mente tragen, die seine Weltanschauung zu einer widerspruchslosen machen. Gewiß wird uns Theologie bei der Predigt nicht viel dienen; aber wir müssen sie selber in uns haben als eine widerspruchslose, nicht als eine solche, die neben der äußeren Wissenschaft existiert, sondern die die äußere Wissenschaft in sich umspannen, das heißt verständnisvoll zu dieser sich verhalten kann.

Wir können die Sache von einer anderen Seite noch ansehen. Sehen Sie, in der Philosophie, in der Wissenschaft redet man heute von allen möglichen Verhältnissen des Menschen zu der ihn umgebenden

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Welt; aber die Dinge, von denen man da redet, die trifft man eigent­lich kaum bei den Menschen, die ja als einfache, primitive Menschen, auch der Stadtbevölkerung, ungelehrt uns heute zuhören. Die Bezie­hungen, die zum Beispiel unsere Psychologen zwischen dem Men­schen, der die Natur beobachtet, und dem Menschen selber hinstel­len, sind gar nicht real, sie sind eigentlich nur künstlich ausgedacht. Dasjenige aber, was in dem einfachsten Bauern lebt, in dem primitiv­sten Menschen unserer Welt lebt, ist das, daß er tief in seinem Inneren sucht ich sage sucht , tief in seinem Inneren etwas sucht, was da draußen in der Natur nicht ist. Er sucht nach einem anderen Weltinhalt [als dem] aus der Natur heraus, und von diesem Weltin­halt muß man ihm sprechen, wenn überhaupt diejenige Empfindung, die er als religiöse Empfindung hat, heraufkommen soll. Der pri­mitive Mensch sagt einfach, wie es lebt in seinem Unterbewußtsein:

Ich bin nicht aus diesem Stoff, aus dem die Welt ist, die ich mit meinen Sinnen überschaue; sage mir etwas von dem, was ich nicht mit meinen Sinnen überschaue! Das ist der direkte Appell, der an uns gestellt wird, wenn der Mensch uns zu seinen religiösen Führern machen soll: man soll ihm von dem positiven Inhalt der übersinnli­chen Welt etwas sagen.

Alle unsere Erkenntnistheorie, die sagt, daß die Sinneswahrneh­mungen und die Sinnesempfindungen subjektiv oder mehr oder weniger objektiv seien und so weiter, das kümmert im Grunde genommen eine große Mehrzahl der Menschen wenig. Daß aber etwas in der Welt leben muß, das seinem Leben nach nicht der Sinneswelt angehört, darüber will der Mensch von uns etwas erfah­ren. Und da handelt es sich wirklich schon darum: Wie kommen wir diesem Bedürfnis des Menschen entgegen? Wir kommen ihm nicht anders entgegen, als wenn wir den rechten Weg finden vom Lehrgut zum Kultus; und über diese Frage werde ich Ihnen dann morgen noch Einleitendes sagen. Heute wäre es mir schon sehr lieb, wenn Sie sich noch aussprechen würden, damit ich Ihre Bedürfnisse kennen-lerne.

Vielleicht werden wir mehr zur Formulierung von Fragen kom­men als schon zu Antworten, aber es wäre doch ganz gut, wenn wir

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zur Formulierung der hauptsächlichsten Fragen kommen würden. Von meiner Seite aus möchte ich Ihnen während meines Hierseins vorzugsweise dasjenige geben, was Sie zu einer solchen Handhabung des Religiösen bringen kann, die, ich möchte sagen, im Beruf des religiösen Führers liegt, nicht in der Theologie. Also auf Religions­übung soll das abzielen, auf Einrichtung der religiösen Institution, nicht so sehr auf theologische Fragen. Wenn Ihnen aber solche Fra­gen auf der Seele sitzen, so können wir uns auch darüber unterhalten. Ich würde Sie bitten, wenn wir gerade heute über dasjenige, was Ihnen ganz besonders auf der Seele liegt, zunächst wenigstens die Fragen formulierten.

Ein Teilnehmer schlägt vor, Herr Bock aus Berlin möge die Fragen formulieren.

Emil Bock: Ich habe gestern abend über das berichtet, was wir uns in Berlin zur inneren Vorbereitung versucht haben Idarzumachen, und da haben wir verschie­dene Fragenkomplexe zu unterscheiden versucht. Und im Anschluß an das, was wir gehört haben, können wir wohl die eine Frage jetzt zunächst formulieren, die drei von den Gebieten, die wir unterschieden hatten, zusammenfaßt, die Fragen des Kultus und der Predigt und die Frage nach der Berechtigung des Gemein­schaftselementes in der Gemeinde. Ich habe das gestern abend zu verdeutlichen gesucht in einem Hinweis auf die kirchengeschichtliche Strömung der Gemein­schaftsbewegung. Und da haben wir eigentlich gefunden, daß es sich für uns handelt um eine Klarheit über das Verhältnis zwischen anthroposophischer Aufklärungsarbeit über religiöse Fragen und der rein religiösen Übung, also entweder im Kultus das Verhältnis zwischen Ritual und Predigt oder mit Umspannung dessen, was außerhalb des Kultus geschehen muß, das Verhältnis des Gottesdienstes als Ganzes zur religiösen Vortragsarbeit oder des religiösen Rituals zum Unterricht bei Kindern, denn was schließlich durch Symbolik gewonnen wird, das ist damit ja doch noch nicht dem Menschen zum Bewußt­sein gekommen. Nun ist es für uns die Frage: Bis zu welchem Grade muß es denn überhaupt zum Bewußtsein kommen, und wenn es zum Bewußtsein kom­men muß, wie muß es dann gemacht werden und ausbalanciert werden zwischen dem symbolischen Wirken auf den Teil des Menschen, der Impulse aufnimmt, und den Teil des Menschen, der sich darüber gleichzeitig ein Bewußtsein zu erarbeiten versucht, was ja auch wiederum in mehrere Probleme sich teilen wird, wenn wir die Verschiedenartigkeiten derjenigen ins Auge fassen, vor denen wir später stehen werden? Denn viele Menschen werden vielleicht das Bedürfnis nicht haben, die Impulse in das Bewußtsein zu heben, während viele Menschen zunächst überhaupt das Bewußtseinsproblem haben.

Und damit hing uns zusammen die Frage: Wie haben wir denn eigentlich da das Streben nach einem gemeinschaftlichen religiösen Leben in Einklang zu

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bringen mit dem Streben nach einer Verlebendigung des Ich-Impulses? Denn wir haben bei vielen Menschen, die dem bürgerlichen Leben angehören, damit zu rechnen, daB da zunächst, soweit wir es überschauen können, in Betracht käme eine richtige Verselbständigung des einzelnen Menschen gerade durch die reli­giöse Übung, ein Anschluß an die Ich-Kräfte, während wir bei vielen anderen Menschen eine Regulierung eines verirrten Ich-Strebens zu bewirken haben. Das wäre, was wir empfunden haben bei der Frage der Gemeinschaftskräfte, etwa wie wir sie uns kirchengeschichtlich an der Brüdergemeine klarmachen konnten.

Damit habe ich jetzt den einen Fragenkomplex umschrieben, der uns gestern abend wichtig war. Wir hatten aber noch drei andere Gebiete, die uns auch mancherlei Fragen brachten, und da war zunächst das rein Organisatorische. Wenn wir uns darauf einstellen, uns fähig zu machen und die Konsequenzen zu ziehen für unser persönliches Arbeitsfeld, die dann entstehen, wenn wir uns klarmachen, es handelt sich schließlich einmal darum, Gemeinden nach einem neuen Grundsatz zu gründen, dann steht uns die Frage vor Augen, und das ist in jedem Falle praktisch natürlich differenziert, je nach der Situation, in der die einzelnen stehen: Welche Vorarbeit müssen wir tun? Können wir durch Vor­tragsarbeit Vorarbeiten tun? Wie können wir uns praktisch verteilen auf die Punkte, wo etwas gearbeitet werden muß, und wie können wir über diese Dinge etwas Gemeinsames ausmachen? Wobei uns klar war, daß natürlich wir nicht erwarten, daß uns jetzt die Sache leicht gemacht wird und wir einen Platz bekommen. Wir sind schon bereit, solche Arbeitsfelder zu schaffen. Aber viel­leicht ist doch etwas dazu zu erfahren, wie uns das in gewissem Sinne erleichtert werden kann. Dann gehört sehr vieles, was vielleicht rein organisatorisch ist, zu dem, worüber wir gerne fragen möchten im Laufe unserer Besprechung.

Dann war das zweite neben dem rein Organisatorischen unser Verhältnis zur theologischen Wissenschaft. Das waren vor allen Dingen die beiden Fragen: Erstens der theologischen Vorbildung derer, die später in solchen Gemeinden arbeiten müssen, insoferne solche Vorbildung mit den Universitätsbetrieben in Berührung stehen kann und wir daraus lernen können. Dann die Frage des neuen Bibelverständnisses, das ja doch ohne weiteres eine theologische Vorbildung voraussetzt, die auch in einem gewissen Sinne über eine Kenntnis der anthropo­sophischen Weltanschauung hinausgeht, als technische Bildung. Es ist vielleicht doch manche praktische Frage auf diesem oder jenem Herzen; vielleicht hat der eine oder andere mehr Neigung zur wissenschaftlichen Betätigung, und es wäre fur uns alle interessant, einmal zu sehen, wie diese theologisch-wissenschaftliche Betätigung vielleicht doch für das religiöse Leben der Gegenwart fruchtbar gemacht werden kann.

Und dann als letztes der sechs Gebiete, die wir sehen das ist wohl dasjenige, was am wenigsten direkt in Fragen formuliert werden kann , das ist eben die Frage der Priesterqualität, die wir von uns selbst erwarten müssen, wenn wir so etwas uns zu arbeiten vornehmen. Damit gehört dann aber etwas Praktisches wieder sehr eng zusammen, worüber man schon fragen müßte, das wäre die Frage der Auswahl der Persönlichkeiten, die dann schließlich in diese Arbeit hinein sollen, denn irgendwie müssen wir uns ja auch orientieren, wie wir uns

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selbst dazu auswählen sollen, ganz abgesehen davon, wo schließlich die Ent­scheidung darüber zunächst liegen wird zur Richtung für die Selbstbeurteilung. Ich glaube, damit ungefähr das gesagt zu haben, worum es sich gestern abend handelte.

Rudolf Steiner: Es sind das ja schon diejenigen Fragen, die an diesem Wendepunkte, auf den ich hingedeutet habe, gestellt werden mussen, und es wird ja eigentlich der Inhalt unseres Zusammenseins sein müssen, gerade uns über diese Fragen klar zu werden und auch über einiges, das, ich möchte sagen, die Voraussetzung davon bildet. Ich möchte nur, nachdem die Fragen formuliert sind, bevor wir sie besprechen, auf einiges hindeuten: Es ist schon einmal so, daß wir heute in einer Zeit leben, in der gerade solche Fragen von einem höchsten Gesichtspunkte aus, auch von einem höchsten historischen Gesichtspunkte aus, beurteilt werden müssen. Es ist durchaus nicht in der Richtung des Geisteswissenschaftlers, immer die Phrase zu gebrauchen: «Wir leben in einer Übergangszeit.» Natürlich, jede Zeit ist eine Übergangszeit vom Früheren zum Späteren, aber es handelt sich doch darum, über das hinauszusehen, was man als Übergangs­zeit betrachtet, zu dem, was eben übergeht. Und da zeigt sich in unserer Zeit doch etwas sehr stark im Übergang Begriffenes, das ist das menschliche Bewußtsein selber, und wir irren sehr leicht, wenn wir glauben, daß das Bewußtsein, wie es sich heute noch in vieler Beziehung zeigt, gewissermaßen ein unveränderliches sei.

Wir sagen uns heute sehr leicht: Ja, da gibt es Menschen, die werden durch ihre höhere Bildung sich bewußt werden wollen über den Inhalt des Kultus; andere Menschen werden kein Bedürfnis danach haben, die werden gar nicht danach streben, die Sache ins bewußte Leben überzuführen. Sehen Sie, wir leben gerade in einem Zeitpunkte der weltgeschichtlichen Menschheitsentwickelung, wo dies das Charakteristische ist, daß sehr schnell die Zahl derjenigen Menschen zunimmt, die in einer geeigneten Form aufgeklärt sein wollen über dasjenige, was auch bei ihnen Kultus ist. Und darauf müssen wir Rücksicht nehmen. Wir dürfen uns heute nicht das dogmatische Vorurteil bilden, den kannst du aufklären, den nicht. Denn wenn wir heute voraussetzen, daß auf einer gewissen Bildungs-

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stufe lebende Menschen nicht aufgeklärt sein wollen, dann werden wir uns hier meist auf die Dauer irren. Die Zahl der Menschen, die einen gewissen Grad von Bewußtheit erringen wollen über das Sym­bolische und über das im Kultus Lebende, die wird tatsächlich mit jedem Tag größer, und die Hauptfrage ist eine ganz andere, nämlich diese: Wie kommen wir zu einem Kultus und symbolischen Inhalte, wenn wir zugleich die Forderung stellen, daß, sobald man sich bewußterweise aufklärt über diesen symbolischen Inhalt, dieser nicht abstrakt und gemütsfremd wird, sondern seinen vollen Wert, seine volle Geltung erhält? Das ist das, was uns heute als Frage ganz besonders interessant ist.

Sie können, wenn es nicht gerade auf das Religiöse ankommt, hinweisen auf Goethes Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie, das hervorgegangen ist aus einem Menschen, von dem man sprechen kann, wenn man will, wenn man die Begriffe pressen will, wie von einem Menschen, der immer geträumt hat über solche Dinge. Man redet ja auch davon, daß Schiller Goethes Träume ausge­deutet habe. In gewisser Beziehung war Goethe aber dasjenige viel bewußter, was in seinem Märchen lebte, als es Schiller geworden ist. Aber sein Bewußtsein ist ein solches, das im Bilde selbst leben kann, es ist nicht jenes abstrakte Bewußtsein, das man heute einzig und allein als Bewußtsein erlebt. Heute verwechselt man den Verstand mit dem Bewußtsein überhaupt. Von demjenigen, der bildlich vor­stellt, glaubt man, er ist dem Grade nach nicht so bewußt wie der andere, der verstandesmäßig vorstellt. Verstandesmäßiges Vorstellen verwechselt man heute mit Bewußtheit.

Wir werden uns über die Frage von Bewußtheit und Unbewußt­heit und Überbewußtheit eines Kultus und einer Symbolik zu unter­halten haben, die allerdings in allertiefstem Sinne unsere Gegenwart beschäftigen muß. Denn wir haben auf der einen Seite die katholische Kirche mit ihrem ja ganz mächtigen Kultus und ihrer ungeheuer mächtigen und zielbewußten Symbolik. Was liegt allein für eine ungeheure Kraft in dem Meßopfer, wenn es so vollzogen wird, wie es eben in den katholischen Kirchengemeinschaften vollzogen wird, das heißt, bei dem Bewußtsein der Gläubigen vollzogen wird, das da

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vorhanden ist. Und auch die Predigt hat beim katholischen Pfarrer durchaus den Inhalt, der auf die Symbolik bezüglich ist, und nament­lich ist sie sehr durchsetzt vom Willen. [Auf der anderen Seite] wurde durch die evangelische Entwickelung der letzten Jahrhunderte die Entwickelung vom Kultus herübergeleitet zu dem eigentlichen Lehr-inhalt, zum Lehrgehalt. Der Lehrgehalt ist nun dasjenige, was die Tendenz hat, immer mehr nur dann zu wirken, wenn er auf das Verständnis des Zuhörenden oder Lesenden abgestimmt ist. Deshalb stehen die evangelischen Kirchen vor der Gefahr der Atomisierung, vor der Gefahr, daß jeder seine eigene Kirche in seinem Herzen ausbildet, und gerade dadurch keine Gemeinschaftsbildung möglich ist. Und diese Gefahr ist schon eine solche, der begegnet werden muß.

Wir müssen die Möglichkeit einer Gemeinschaftsbildung haben, und zwar einer solchen, die nicht bloß auf äußere Einrichtungen, sondern auf das Seelisch-Innere gebaut ist, das heißt, wir müssen die Brücke schlagen können zwischen einem solchen Kultus, einem sol­chen Ritual, das vor dem modernen Bewußtsein bestehen kann und das doch, wie das evangelische Bekenntnis, wiederum in den vertief­teren Lehrgehalt hinüberführt.

Der Lehrgehalt individualisiert, analysiert die Gemeinschaft, bis man zuletzt beim einzelnen Menschen angelangt ist, analysiert sogar durch seine Tendenzen noch den einzelnen Menschen. Wer Psycho­loge ist, sieht die zerrissenen Naturen der Gegenwart; sie sind bis in die Individuen hinein individualisiert. Wir können tatsächlich heute die Menschen sehen, die nicht nur streben, ihr individuelles Bekennt­nis zu haben, sondern die zwei und noch mehr Bekeni-itnisse haben, die sich in ihrer eigenen Seele bekämpfen. Die zahlreichen zerrisse­nen Naturen der Gegenwart sind nur die Fortsetzung der Tendenz, die die Gemeinschaft individualisiert, analysiert. Der Kultus, das Symbol, das Ritual ist das Synthetische, das führt wiederum zusam­men; das kann man überall wahrnehmen, wo man auf diese Dinge praktisch eingeht. Daher ist diese Frage zu gleicher Zeit diejenige, die real der Frage der Gemeinschaftsbewegung zugrunde gelegt werden muß.

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Die Frage nach der anthroposophischen Aufklärung und der rein religiösen Übung muß wiederum aus unserem heutigen wichtigen Zeitpunkte heraus gelöst werden. Wir erleben da allerdings heute etwas Tragisches; und da wäre es gerade bedeutsam, daß von Ihrer Gemeinschaft hier gewissermaßen eine Kraft ausgehen könnte, die zunächst über dieses Tragische etwas hinwegführen könnte. Wenn man eine solche Aufklärung hat, wie sie, ich möchte sagen, als religiöse Aufklärung sich ergibt in Konsequenz der gesamten anthro­posophischen Aufklärung, die ja neben den religiösen auch histori­sche Aufklärungen, naturwissenschaftliche Aufidärungen und so weiter hat, wenn man diese religiösen Aufklärungen der Anthropo­sophie betrachtet, so sind die Vorstellungen, die man bekommt, und in der Konsequenz dieser Vorstellungen die Empfindungen, die man bekommt, solche, die gar nicht anders können, als zu der Sehnsucht nach dem äußeren Symbol, nach dem Bilde, sich umzugestalten. Das wird eben so häufig verkannt, daß die anthroposophischen Vorstel­lungen schon andere sind als diejenigen Vorstellungen, die man heute sonst bekommt. Wenn man heute sonst Vorstellungen bekommt, sei es aus der Wissenschaft, sei es aus dem sozialen Leben heraus, so wirken diese in dem Sinne, den man schlechthin aufidärerisch nennt, und in dem Sinne, alles zu kritisieren, alles zu zersetzen. Wenn man die anthroposophischen Vorstellungen bekommt, so führen sie zu einer gewissen Hingabe des Menschen, sie verwandeln sich in eine gewisse Liebe. So wie das rote Blut nicht anders kann, als den Menschen aufbauen, so können die anthroposophischen Vorstellun­gen nicht anders, als den Menschen gefühls-, empfindungsgemäß, sogar willensgemäß anzuregen, so daß er die tiefste Sehnsucht emp­fängt nach einem Ausdruck desjenigen, was er zu sagen hat, im Symbolischen, überhaupt im Bildhaften. Es ist kein künstlich Heran-geführtes, wenn Sie zum Beispiel in meiner «Geheimwissenschaft» so viel Bildhaftes finden; es kommt eben zuletzt dahin, daß man sich bildhaft ausdrückt.

In Dornach diejenigen, die dort waren, haben es gesenen, später wird man es natürlich in Vollendung sehen haben wir im Mittel­punkt des Baues eine Christus-Gruppe: Christus mit Luzifer und

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Ahriman, die sich beide durch ihn besiegt finden. Da ist in dem Christus eine Synthese alles Sinnlichen und Übersinnlichen dem Menschen vor das Auge hingestellt. Ja, sehen Sie, solche eine Gestalt plastisch auszubilden, das kommt nicht davon her, daß man sich einmal vorgenommen hat, man will dort eine Figur hinstellen, damit soll einmal der Ort geschmückt sein. Es ist ganz und gar nicht so, sondern, wenn man die anthroposophischen Begriffe ausbildet, so kommt man zuletzt mit den Begriffen an ein Ende. Es ist so, wie wenn man zu emem Teich kommt; jetzt kann man nicht weitergehen, sondern wenn man weiterkommen will, muß man schwimmen. So kann man, wenn man mit der Anthroposophie weitergehen will, an einem gewissen Punkt nicht weiter abstrakte Begriffe, nicht weiter Ideen bilden, sondern man muß in Bilder hineingehen. Die Ideen selber verlangen, daß man anfängt, in Bildern sich auszudrücken.

Ich habe oftmals zu meinen Zuhörern folgendes gesagt: Da gibt es gewisse Erkenntnistheorien. Besonders unter den evangelischen Theologen gibt es solche, die sagen: Ja, das, was man erkennt, muß in rein logische Formen gekleidet sein, man muß mit reiner Logik die Dinge ansehen, sonst hat man einen Mythus. Nicht wahr, [so spre­chen] besonders solche Leute wie Bruhn. Er arbeitet sehr viel gegen die Anthroposophie, indem er sagt, sie bilde Mythen aus, eine neue Mythologie. Ja, was aber, wenn einmal die Gegenfrage aufgestellt wird: Versucht nur einmal, das Weltenall mit eurer Logik zu ergrün­den, ohne ins Bildhafte überzugehen. Wenn das Weltenall selber nicht bloß logisch, sondern auch künstlerisch wirkt, dann müßt ihr es ja auch künstlerisch ansehen; wenn sich das Weltenall eurer logischen Betrachtung entzieht, was dann? So entzieht sich auch die äußere menschliche Gestalt einer bloß logischen Spintisiererei. Man kommt eben, wenn man die wahren anthroposophischen Begriffe nimmt, ins Bild hinein, weil die Natur nicht nach bloßen Naturgesetzen, son­dern nach Formen schafft.

Und so kann man sagen, indem heute sich Anthroposophie aus­lebt, nimmt sie Rücksicht auf das, was in den Herzen unserer Zeitge­nossen doch spielt, [auf das Bedürfnis,] über den Intellektualismus hinwegzukommen. Das gibt eigentlich jeder verständige, die Entwik­kelung

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mitmachende Zeitgenosse zu. Er sieht das ein, daß wir über den Intellektualismus hinauskommen müssen, auch in der Theologie selbstverständlich. Aber die meisten sehen noch nicht ein, daß dieses Einmünden ins Bildhafte, das dann zum ritualen Kultus wird auf dem Gebiete der religiösen Übung, eine ebensolche Berechtigung und eine ebensolche Ursprünglichkeit hat wie das Logische.

Die meisten stellen sich ja vor: Bilder macht man, indem man Begriffe hat, und dann kleidet man diese in Symbolik ein. Dies ist immer eine stroherne Symbolik. Das ist [in Dornach] nicht der Fall. In Dornach ist kein Symbol, dem man einen Begriff zugrundegelegt hat, sondern da ist eben auf einer bestimmten Stufe von der Idee abgegangen, und jetzt lebt sich das Bild als ein Ursprüngliches aus. Es ist als Bild da. Und man kann nicht sagen, daß man einen Begriff übergeführt hat ins Bild. Das wäre eine stroherne Symbolik.

Dieses Streben, den Intellektualismus zu überwinden, das ist heute da, dieses Streben nach einem Seelenleben, das wegen der Objektivi­tät ins Bildhafte übergeht. Auf der anderen Seite ist heute gar kein Glaube ans Bild da. Dadurch wird es tragisch. Man glaubt, man müsse das Bild überwinden, wenn man recht gescheit ist; man glaubt, man würde erst bewußt, wenn man das Bild überwunden hat. Solche Bilder wie in Goethes Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie werden immer ihrer Realität entkleidet, wenn man versucht, sie gedanklich spintisierend zu erklären, zu interpretieren. Man kann nur dazu führen, daß der Betreffende diese Bilder aufneh­men kann, daß sie für ihn gegenständlich werden können, aber nicht gedanklich kommentieren. Dadurch unterscheidet sich alles das, was ich beigetragen habe zur Interpretation von Goethes Märchen, von dem, was die anderen Kommentatoren machen. Die machen Anmer­kungen und erklären die Bilder gedanklich.

Für das, was der wirklichen Imagination zugrundeliegt, ist das gedankliche Erklären ebenso fremd wie das, was ich zum Beispiel über die chinesische Sprache in deutscher Sprache sage. Ich muß, wenn ich jemandem Chinesisch beibringen will, ihn dazu führen, daß der aus dem Nichtchinesischen so weit kommt, das Chinesische in der Gänze so zu erfassen, daß er in dasselbe übergeht. Und so muß

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man auch vorbereiten zur wirklichen Bildhaftigkeit; so muß man vorgehen, damit der Betreffende die Bilder dann in sich präsent machen kann und nicht eine Erklärung daranfügen muß.

Das ist das Tragische, daß auf der einen Seite das tiefste Bedürfnis zum Bilde vorhanden ist, und auf der anderen Seite jeder Glaube an das Bild eigentlich verglommen ist. Wir glauben nicht daran, daß wir in Bildern etwas haben, das eben im Verstand, in den intellektuellen Begriffen nicht gegeben werden kann. Das müssen wir erst verstehen, wenn wir uns nächstens über die Frage unterhalten werden von Symbolum und Bewußtheit. Namentlich die Frage nach dem Balan­cieren zwischen Unterbewußtem und Bewußtem, die ja heute so viele Leute quält, werden wir erst fruchtbar beantworten können, wenn wir uns über diese Sache klar sind.

Ich möchte Sie also vielleicht bitten, sich dieses bis morgen zu überlegen, was ich jetzt nach dieser Richtung hin über die Beziehung der Verstandesbegriffe zu den Realbildern angedeutet habe. Von diesem Gesichtspunkt aus werden wir auch finden, daß wir in die Gemeinschaftsbildung hineinkommen können, denn die Gemein­schaftsbildung hängt sehr an der Möglichkeit eines Kultus. Auch die praktischen Erfolge der Gemeinschaftsbildung hängen eigentlich an der Möglichkeit eines Kultus.

Sehen Sie, von Leuten, die Indien kennenlernen und die indischen Religionen, von denen wird eines immer mit großem Recht hervorge­hoben: In Indien gibt es natürlich ja sehr viele Sekten; diese haben ein sehr starkes, bis in die Seelen hineinwirkendes Gemeinschaftsleben, das schon durchaus auch sich zeigen kann als praktisches Gemeinschaftsle­ben, und das es aufnehmen kann in gewisser Beziehung natürlich, mit der Version, die nach dem Orient hinüber stattfinden muß mit manchem, was den Brüdergemeinen zugrundeliegt. Das ist vielfach innerlich darin begründet, daß der Orientale im individuellen Leben eigentlich gar nicht dasjenige kennt, was wir subjektive, persönliche Überzeugung nennen in ihrem Verhältnis zu der ihn umgebenden Gemeinschaft. Der Orientale, wenn er überhaupt teilnimmt am geisti­gen Leben, der versteht das gar nicht, daß man nicht über alles bei sich selber seine eigene Meinung haben kann, zum Beispiel über eine

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Gemeinschaft und ein Lehrgut; das ist etwas, was er gar nicht ver­steht. Dem Begriff nach kann jeder seine eigene Meinung haben; das Gemeinsame ist dort überhaupt nur das Bild, und man hat nur das Bewußtsein, daß das Gemeinsame das Bild ist. Es ist das Eigentüm­liche, daß im Abendlande die Tendenz besteht, den Wert zu legen auf die Überzeugung, und daß dadurch das Atomisieren kommt. Wenn man die Überzeugung sucht und darauf in erster Linie den Wert legt, dann kommt man zum Atomisieren. Das tritt dann nicht ein, wenn man die Gemeinsamkeit in etwas anderem sucht als in der Überzeu­gung. Die Überzeugung muß ganz individuell sein können.

Wir müssen uns die Frage aufwerfen: Das Ich auf der einen Seite steht da als der Gipfelpunkt des individuellen Lebens, Christus steht da als diejenige Kraft und Wesenheit, die nicht nur den Christen gemeinschaftlich ist bis ins Innerste des Ich hinein, sondern von der der Anspruch erhoben werden muß, daß er allen Menschen gemeinsam werden kann. Und wir müssen die Möglichkeit finden, von dem ganz individuellen Ich, das gewissermaßen glauben möchte, was es kann, bis zu der Gemeinsamkeit des Christus hin die Brücke zu finden.

Ganz besonders soll uns dann beschäftigen die Frage nach der Gemeindebildung, und wie der Herr sehr richtig sagte, nach den Vorarbeiten dazu. Denn das sind natürlich Dinge, die ganz andere Schwierigkeiten finden werden. Auf der einen Seite sind wir heute fast angewiesen darauf, Vorarbeiten durch Unterweisung zunächst so zu führen, daß wir eine genügend große Anzahl von Menschen finden, in deren Seelen zunächst Verständnis ist für das, was eigent­lich gewollt werden kann, und auf der anderen Seite stehen wir eben der ganz und gar zersplitterten Menschheit gegenüber. Schon die einfache Tatsache, daß wir mit der Prätention auftreten, über irgend etwas etwas zu wissen, was ein anderer vielleicht, um es zu beurtei­len, sich einen Tag überlegen sollte, schon das ist heute fast genü­gend, daß wir gleich im Augenblick abgekanzelt werden. Die Wir­kung von Mensch zu Mensch ist heute ungeheuer schwer. Und das erschwert natürlich auch die Gemeindebildung.

Dennoch aber, wenn Sie etwas in dem erreichen wollen, was Sie einzig und allein angestrebt haben können, indem Sie hier erschienen

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sind, dann werden wir gerade über diese Frage der Gemeindebildung uns in ausgiebigstem Maße unterhalten müssen und vor allen Dingen auch über die Vorarbeiten dazu, die im wesentlichen eigentlich darin bestehen müßten, daß wir uns fühlen, schon spirituell, geistig, als Gemeindebildner. Und das können wir kaum anders, als indem wir vielleicht wird es auf den ersten Anhub nicht gleich verständlich sein, was ich sagen will, denn es berührt eine der tiefsten Fragen der Gegenwart zunächst versuchen, möglichst darauf zu verzichten, die anderen Leute zu belehren. Die Leute lassen sich einfach nicht beleh­ren heute; dies soll nicht unsere Hauptaufgabe sein.

Sehen Sie, immerhin, so klein auch der Erfolg. der anthroposophi­schen Arbeit ist, die ich mir zu meiner Aufgabe setzen mußte, in einem gewissen Sinne ist doch dieser Erfolg da, wenn auch in kleinem Kreise; er ist da. Und das, was da ist, beruht darauf, daß ich eigentlich

in dem Sinne, wie man das auffaßt an unseren Bildungsanstalten nie habe in erster Linie gewaltmäßig jemanden belehren wollen. Ich bin nach einem Naturgesetze eigentlich immer vorgegangen, ich sagte mir immer: Die Heringe legen unendlich viele Eier ins Meer ab, die allerwenigsten davon werden zu Heringen, sondern da muß eine gewisse Selektion stattfinden. Und wer weiß, daß dasjenige, was über das Materialistische hinausgeht, weiter wirkt, der weiß, daß auch die unbefruchteten Heringseier schon ihre Aufgabe in der Gesamtwelt haben die haben ihre große Wirkung in der Ätherwelt, die Selektio­nen finden nur statt für die physische Welt , der kommt dann über diese Frage hinweg: Warum bleiben solche Heringseier unbefruch­tet? Dasjenige, was unbefruchtet bleibt, das hat seine große Aufgabe in einer anderen Welt. Diese unbefruchteten Heringseier sind nicht ganz ohne Bedeutung. Und so steht es im Grunde genommen mit der Unterweisung der Menschen. Ich habe nie geglaubt, wenn ich zu einem Auditorium von fünfzig Menschen gesprochen habe oder zu einem Auditorium von fünfhundert ich habe auch schon zu größe­ren Auditorien gesprochen , daß man etwa die Hälfte oder ein Viertel davon belehren kann, sondern ich habe angenommen, unter fünfhundert werden vielleicht fünf sein zunächst auf den ersten Anhub, deren Herzen man anspricht mit dem, was man zu sagen hat,

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die gewissermaßen zunächst prädestiniert sind dazu. Unter fünfzig einer und unter fünf Menschen ein Zehntel von einem Menschen. Das ist nicht anders, und darauf muß man sich einstellen. Dann geschieht dasjenige, was durch Belehrung in der heutigen Zeit nicht geschehen kann, durch Selektion. Die Menschen finden sich zusam­men, bei denen man einen Widerhall erregt hat. Selektion ist das, was wir heute zunächst suchen müssen; dann werden wir doch vorwärts kommen.

Es gehört eine gewisse Resignation dazu, nicht in diesem Machtge­fühl zu leben: man will belehren, man will den anderen überzeugen. Aber diese Resignation muß man unbedingt haben. Und warum man diese so vielfach nicht hat, das hängt gerade ich habe ja hier nur von Religionsausübenden zu sprechen , das hängt gerade mit der theolo­gischen Vorbildung zusammen. Diese theologische Vorbildung fußt ja im Grunde genommen ganz darauf, daß man jeden belehren kann, daß man nicht eigentlich auf Selektionen ausgehen soll. Daher müs­sen Mittel und Wege gefunden werden, wie man in die theologische Vorbildung aufnehmen kann vor allen Dingen das Gemütsverhältnis zum Inhalt des Geistigen.

Sehen Sie, auch die Theologie ist ja leider bei dem Standpunkt angekommen, daß man das Wissen von Gott immer höher stellt als das Leben in Gott, das Erleben des Göttlichen in der Seele. Das Erleben des Göttlichen in der Seele, das ist dasjenige, was einem die Kraft gibt, gerade auf den einfachsten, unverbildetsten Menschen zu wirken, und das müßte eigentlich ausgebildet werden. Die neuere Zeit hat dem ganz entgegengearbeitet. Man wird dem umso mehr entgegenarbeiten, je mehr man anstrebt, abstrakte Begriffe von irgendeinem übersinnlichen Sein zu suchen, und weniger dieses über­sinnliche Sein in der Seele selber aufzunehmen. Wir brauchen wirk­lich eine lebensvolle Vorbereitung und Vorbildung für die theolo­gische Wissenschaft. Und da tritt ja allerdings etwas Esoterisches ein, sehen Sie, wo man hinweisen muß auf ein Gesetz, das schon einmal existiert. Sie müssen erstens das in sich haben, was ich vorhin erwähnt habe, daß Sie nicht nur als gescheiter Mensch nachdenken, wie sollen Sie ein Bild oder irgend etwas einem anderen beibringen

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das müssen Sie in vollem Maße haben , aber Sie müssen auch das andere haben, daß Sie jederzeit noch mehr wissen müssen als das, was Sie sagen. Ich meine das gar nicht in üblem Sinne. Aber wenn Sie auf den Standpunkt sich stellen, auf dem heute eigentlich die professorale Welt steht, daß man sich selber nur das aneignen soll, was man dann den anderen mitteilen will, dann werden Sie ganz gewiß mit der religiösen Mitteilung nicht viel erreichen können. Sie müssen zum Beispiel, wenn Sie über die Bibel sprechen, neben dem Exoterischen das ja nichts anderes ist als ein ausgesprochenes Esoterisches, es gibt keine absolute Grenze zwischen exoterisch und esoterisch, das eine fließt in das andere über und das Esoterische wird exoterisch, wenn man es ausspricht , Sie müssen immer noch einen eigenen Inhalt haben, in dem Sie leben.

Darauf beruht im Grunde genommen das Wirkungsvolle der katholischen Pfarrer. Das ist das, was in dem Brevierbeten besteht. Er sucht sich in einer über das Laienhafte hinausgehenden Weise dem Göttlichen zu nähern durch dieses Brevierbeten. Und der besondere Inhalt des Breviers, der über das hinausgeht, was man lehrt, der gibt zu gleicher Zeit eine Kraft, in der Predigt und sonst zu wirken. Es ist mir immer interessant gewesen das ist nicht etwa einmal geschehen, sondern das habe ich ganz besonders häufig erlebt, daß evangelische Pastoren, die lange schon im Amt waren, zu mir gekommen sind und gesagt haben, es müsse für sie doch etwas ähnliches geben [wie das katholische Brevier]. Bitte, mißverstehen Sie mich nicht, ich rede dem Katholizismus nicht das Wort, am wenigsten dem römischen. Es sind eben Pastoren zu mir gekommen, die, wie gesagt, lange im Amt standen, die gesagt haben: Worauf beruht denn das, daß wir nicht in dieser Weise mit den Seelen in Kontakt kommen können wie der katholische Priester, der das natürlich mißbraucht? Das beruht im wesentlichen darauf, daß der [katholische Priester] ein esoterisches Verhältnis zu der geistigen Welt sucht.

Das ist wirklich auch das, was wir anstreben in der Dreigliederung des sozialen Organismus. Dieses geistige Leben, das wir heute haben als allgemeines von dem anderen reden wir ja nicht , das geistige Leben, das wir haben, ist ja kein wirkliches geistiges Leben, es ist ein

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bloßes intellektuelles Leben. Man redet vom Geiste, man hat Begriffe, aber Begriffe sind doch kein lebendiger Geist. Wir müssen nicht nur den Geist haben irgendwie in Form von Begriffen, die in unseren Köpfen sitzen, sondern wir müssen den Geist herunterbrin­gen auf die Erde, er muß in den Institutionen sein, er muß zwischen den Menschen walten. Das können wir aber nur, wenn wir ein selbständiges Geistesleben haben, wo wir nicht nur aus Begriffen über den Geist heraus wirken, sondern aus dem Geiste selbst heraus wirken.

Nun, natürlich hat sich die Kirche lange bemüht, diesen lebendigen Geist zu erhalten. Aus den Schulen ist er längst herausgewichen; aber wir müssen ihn dort wieder hereinbringen und auch in die übrigen Institutionen. Der Staat kann ihn nicht hereinbringen. Das kann nur dasjenige hereinbringen, was zu gleicher Zeit individuelles Priester-wirken ist und Gemeinschaftswirken. Aber ein Priesterwirken muß das sein, daß der Priester vor allen Dingen in sich das Bewußtsein hat eines esoterischen Zusammenhanges mit der geistigen Welt selbst, nicht bloß mit Begriffen über die geistige Welt. Und da kommt man natürlich dann auf die große Selektionsfrage, auf die Beurteilung der Priesterqualität. Nun, diese Beurteilung der Priesterqualität ist eine solche, daß sie im Grunde genommen sehr leicht mißverstanden werden kann, denn erstens tragen diese Qualität viel mehr Menschen in sich, als man glaubt, sie wird nur nicht in der richtigen Weise ausgebildet, in der richtigen Weise gepflegt; und zweitens ist diese Frage vielfach eine Frage des Schicksals. Wenn wir dazu kommen, überhaupt ein lebendiges Geistesleben zu haben und die Fragen des Schicksals für uns wieder lebendig werden, dann werden die Priester mehr aus der Gemeinschaft der Menschen heraus an ihren Platz gerückt werden, als aus einer Selbstprufung, die doch immer einen stark egoistischen Charakter trägt. Es ist schon das so, daß man sich aneignen muß einen gewissen Blick für dasjenige, was objektiv einen auffordert, dies oder jenes zu tun.

Da darf ich vielleicht auch Ihnen das erzählen, was ich an verschie­denen Orten erzählt habe als ein Beispiel. Ich könnte auch andere Beispiele erzählen. Ich habe in Colmar vorgetragen über Bibel und

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Weisheit. Da kamen zwei katholische Pfarrer nach dem Vortrag zu mir. Sie können sich denken, katholische Pfarrer haben nichts von mir gelesen, denn es ist ihnen ja eigentlich verboten, und es ist ja im Grunde genommen so, daß man es schon als eine Abnormität betrachtet, wenn der katholische Pfarrer in einen anthroposophi­schen Vortrag geht. Aber die sind wahrscheinlich dazumal harmlos gewesen; sie kamen ganz treuherzig heran, da ich gerade in diesem Vortrag nichts gesagt habe, was ihnen widerstrebt hätte, kamen sogar nach dem Vortrag zu mir und sagten: Ja, eigentlich können wir nichts sagen [gegen das, was Sie vorgebracht haben, auch] wir haben das Purgatorium, auch wir haben den Hinweis auf ubersinnliches Leben nach dem Purgatorium. Nun habe ich gerade in diesem Falle es für gut befunden, zwei Vorträge zu halten. «Bibel und Weisheit» 1 und II, und im ersten Vortrag kam nichts vor von wiederholten Erdenle­ben, so daß sie nicht bemerkt haben, daß da ein Widerspruch wider die römisch-katholische Ansicht ist. Nun kamen sie und sagten also, gegen den Inhalt hätten sie gar nichts, aber es wäre doch sehr anders das «Wie», wie ich die Sache sagte, und da glaubten sie doch, mit diesem Wie nicht einverstanden sein zu können. Denn das Wie wäre bei ihnen richtig, denn sie redeten für alle Menschen und ich redete doch nur für gewisse vorbereitete Menschen, für Menschen, die also eine gewisse Vorbereitung dazu haben. Da sagte ich nun nach einigem Hin und Her das Folgende: Sehen Sie, es kommt nicht darauf an, daß ich oder Sie Sie oder ich, sagte ich die Überzeugung haben: wir reden für alle Menschen. Diese Überzeugung ist ja sehr begreiflich. Wir würden ja vielleicht überhaupt nicht reden, wenn wir nicht die Überzeugung hätten, wir formulieren unsere Dinge so und durchdringen sie so mit dem Gehalt, daß wir für alle Menschen reden. Aber darauf kommt es nicht an, daß wir die Überzeugung haben, für alle Menschen zu sprechen, sondern es kommt auf die objektive Tatsache an, ob alle Menschen zu Ihnen in die Kirche kommen. Und da frage ich Sie: Kommen noch alle Leute zu Ihnen in die Kirche, wenn Sie reden? Da konnten sie natürlich nicht sagen, alle kommen noch, sondern sie mußten zugeben, es kommen eben manche nicht. Das ist die Objektivität. Für diejenigen, die nun nicht

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zu Ihnen gehen und die auch das Recht haben, sich einen Weg zu Christus zu suchen, für die habe ich geredet. Das ist von den Tatsachen abgelesen, was man für eine Aufgabe hat.

Ich wollte nur eine Wegleitung zeigen, wie man sich daran gewöh­nen soll, sich durch die Schicksalsfrage und auch durch die große Frage der Objektivität die persönliche Aufgabe setzen zu lassen. Ich wollte zeigen, wie man nicht so sehr, wie es heute der Fall ist, brüten soll über die eigene Persönlichkeit die ist doch im Grunde genom­men nur dazu da, daß wir den Platz ausfüllen, den uns die göttliche Weltregierung anweist , sondern wir sollen versuchen, Zeichen zu beobachten, aus denen wir erkennen können, an welchen Platz wir gestellt sein sollen. Und das können wir auch.

Immer wieder kommen heute Menschen, wenn sie aus ihrer Seele heraus sprechen, mit der Frage: Was entspricht meinen besonderen Fähigkeiten, wie kann ich meine Fähigkeiten zur Geltung bringen? Diese Frage ist viel, viel weniger wichtig als die objektive Frage, die sich dadurch beantwortet, daß wir uns umsehen, wo etwas zu tun ist. Und wenn wir uns dann wirklich ernst einlassen auf das, was wir da bemerken, dann werden wir sehen, daß wir zu viel mehr die Fähig­keiten haben als wir glauben. Diese Fähigkeiten sind gar nicht so sehr spezifisch; wir können als Menschen ungeheuer viel, wir haben sehr universelle Seelenqualitäten, nicht so sehr spezifische. Dieses Hin­brüten auf das eigene Selbst, und zu stark zu glauben, daß wir jeder unsere spezifischen Fähigkeiten haben, die besonders kultiviert wer­den sollen, das ist im Grunde genommen ein innerlicher, sehr raffi­nierter Egoismus, der gerade von dem, der solche Qualitäten erringen will, wie sie hier gemeint sind, überwunden werden muß.

Nun glaube ich, habe ich Ihnen auch meinerseits gesagt, wie ich die Fragen auffasse. Nun können wir uns bis morgen die Sache überle­gen; und wenn es Ihnen recht ist, möchte ich den Vorschlag machen, daß wir uns morgen etwa um 11 Uhr wieder treffen. Und ich bitte Sie, ja nicht bei irgendeiner Angelegenheit zurückzuhalten, sondern wir wollen die Dinge, die Sie auf dem Herzen haben, möglichst erschöpfend behandeln.

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ZWEITER VORTRAG Stuttgart, 13. Juni 1921

Meine lieben Freunde! Von den zwei Gebieten, von denen Sie selbst auch gestern gesprochen haben, erscheint es mir notwendig, daß wir dasjenige zuerst behandeln, was gewissermaßen die Grundlage für das ganze Wirken wird abgeben müssen. Man muß natürlich zuerst den realen Boden zubereiten, und das kann heute in unserer Zeit doch nichts anderes sein als die Gemeinschaftsbildung. Wir werden mit dem, was sich dann auf diesem realen Boden entwickeln soll, umso besser zurechtkommen können in unseren Auseinanderset­zungen, wenn wir zuerst uns unterhalten über diese Gemeinschafts-bildung.

Einerseits ist sie zweifellos, trotzdem man das leicht unterschätzen kann, die schwierigste Ihrer Aufgaben, und andererseits ist sie aber auch die brennendste. Sie können das sehen an der Gestalt, welche die Jugendbewegung angenommen hat. Diese Jugendbewegung, wie sie heute lebt in ihren verschiedensten Formen, hat ja einen deutli­chen religiösen Untergrund, und dieser religiöse Untergrund wird auch von den verständigen Angehörigen der Jugendbewegung immer betont. Und wenn man nun ganz unbefangen hineinsieht in diese Jugendbewegung, so fällt einem gerade an ihr das auf, was mit der Gemeinschaftsbildung innig zusammenhängt.

Bedenken Sie nur einmal folgende Erscheinung dieser Jugendbe­wegung: Nicht wahr, sie trat vor einiger Zeit, vorjahren auf. Womit trat sie auf? Zunächst mit dem ausdrücklichen Bestreben des Anschlusses des einen an den anderen. Sie trat ausdrücklich auf unter der Devise des Zusammenschlusses, der Gruppenbildung; und das Bedeutsame ist, daß in weiten Kreisen diese Jugendbewegung in den letzten Jahren die Metamorphose in ihr Gegenteil durchgemacht hat. Gerade diejenigen, die es vielleicht mit dieser Jugendbewegung am ernstesten genommen haben, stehen heute auf dem Standpunkt der Vereinzelung, des Eremitentums. Sie betonen die Unmöglichkeit des Zusammenschlusses mit anderen. Und warum ist das so?

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Es ist vielleicht gerade, wenn man die Dinge symptomatisch betrachtet, etwas, was zu den bedeutsamsten sozialen Erscheinungen unserer Zeit insbesondere im mittleren, südlichen und östlichen Europa gehört, daß sich so ungeheuer schnell aus dem Bestreben der Gemeinschaftsbildung in der Jugendbewegung herausgebildet hat das Bestreben, ein seelischer Eremit zu sein und eigentlich eine gewisse Furcht zu empfinden vor dem Zusammenschluß. Sie mögen ja, wenn Sie selbst mit dieser Jugendbewegung bekannt sind, da oder dort etwas anderes finden, aber wenn Sie unbefangen die Sache betrach­ten, so werden Sie sehen, daß diese Jugendbewegung in den maßge­benden Impulsen wird so charakterisiert werden müssen, wie ich es jetzt getan habe.

Nun, was liegt alledem zugrunde? Alledem liegt zugrunde - es ist ja durchaus ersichtlich, daß diese Jugendbewegung einen deutlichen religiösen Impuls doch enthält -, alledem liegt zugrunde, daß es die religiösen Gemeinschaften nicht verstanden haben, diese Jugend in sich zu halten. Ursprünglich war es ja, wenn wir so sagen können, eine Auflehnung gegen das Prinzip des autoritativen Lebens, des väterlichen Lebens, des Hinaufschauens zu der Erfahrung der Älte­ren, was diese Jugendbewegung hervorgerufen hat; es war eine Erschütterung des menschheitlichen, väterlichen Autoritätsprinzipes. Die Zeit hat sich so entwickelt, daß man einfach an die Väter nicht mehr glaubte, daß man einfach zu den Vätern innerlich tief unterbe­wußt kein Vertrauen mehr hatte. Aber der Mensch braucht den Menschen, insbesondere dann, wenn es aufs Handeln, aufs Wirken abgesehen ist. Man suchte Zusammenschlüsse, aber man konnte diese Zusammenschlüsse nur mit dem Geistesleben suchen, das eben heute in den Herzen der Menschen verankert wird, wenn sie leben und aufgezogen werden in unseren gewöhnlichen Schulen, unter unseren religiösen Impulsen und so weiter. Natürlich regt sich die religiöse Sehnsucht in der Jugend gerade dann, wenn äußerlich in dem religiö­sen Leben etwas nicht in Ordnung ist, aber sie regt sich als unbe­stimmtes, abstraktes Gefühl; als irgend etwas Nebuloses regt sie sich. Auf der anderen Seite regt sich gerade im Zusammenhange mit die­sem religiösen Trieb die Sehnsucht nach dem Gemeinschaftsleben.

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Aber aus alle dem, was nun die Jugend empfangen konnte, aus alle dem, was vorhanden ist, entsteht nicht die Möglichkeit einer wirk­lichen Gemeinschaftsbildung, sondern - wenn ich mich etwas radikal ausdrücken darf - bloß die Möglichkeit einer Cliquenbildung. Das ist ja das Charakteristikum unserer Zeit, daß da, wo [der Wunsch nach] Gemeinschaftsbildung auftritt, überall eigentlich dann nicht eine wirkliche innere Gemeinschaftsbildung, ein wirklicher innerer Gemeinschaftsbildungs-Sinn auftritt, sondern der Sinn, Cliquen zu bilden, das heißt, sich zusammenzuschließen durch die zufällige Gemeinschaft und Gemeinschaftsgefühle für das Nächstliegende. Dasjenige, was den einen zum anderen führt durch den Zufall des Ortes, den Zufall der Verhältnisse und so weiter, das führt zu Cli­quenbildungen. Aber diese Cliquenbildungen haben alle, weil sie eben nicht auf einem gediegenen geistigen Grunde ruhen, den Keim der Auflösung in sich. Cliquen lösen sich auf. Cliquen sind keine dauernden Gemeinschaften.

Dauernde Gemeinschaften gibt es nicht unter einer anderen Vor­aussetzung als der, daß sie sich begründen auf ein gediegenes gemein­sames Bekenntnis im gemeinschaftlichen Leben. Und für den, der die Geschichte des sozialen Lebens kennt, war es daher nichts Wunder­bares, daß sich dasjenige, was nur die Ansätze der Cliquenbildung in sich trug, nicht zum Gemeinschaftsleben herausbilden konnte, und daß daher diese Jugendseelen eremitisch wurden, den Trieb in sich empfingen, sich nicht anzuschließen, ja sogar eine gewisse Furcht entwickelten vor dem Sichanschließen. Jeder geht mehr oder weniger für sich, der die Jugendbewegung, ich möchte sagen, voll mitgemacht hat. Da aber diese Jugendbewegung hervorgegangen ist aus einer Erschütterung des väterlichen Autoritätsprinzipes, so muß man sagen, daß dieses geschichtliche Leben der neueren Zeit eben nicht die Keime zu einer wirklichen Gemeinschaftsbildung enthält.

Was Sie also in erster Linie werden suchen müssen, das ist schon die Gemeinschaftsbildung. Und da werden Sie nicht anders können, wenn Sie zu einem wahrhaftigen, zu einem wirklichkeitsgetränkten Ziel kommen wollen, als praktisch Dreigliederung zu treiben, sich wirklich bewußt zu sein, wie man praktisch Dreigliederung treiben

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kann. Sie brauchen dazu gerade in Ihrem Berufe absolut nicht in abstrakter Weise für die Dreigliederung zu agitieren. Es ist gerade in Ihrem Beruf gut [möglich], für die Dreigliederung ganz praktisch zu arbeiten. Aber das geht nicht anders, als daß Sie den Weg suchen zu denjenigen, zu denen Sie sprechen wollen. Es muß ein wirklicher Weg gefunden werden, Gemeinden zu gründen.

Nun braucht man nicht zu glauben, daß man, indem man so etwas tut, in einem gewissen radikalen Sinn ein Revolutionär werden muß. Das braucht man gar nicht. Es kann sich in dem einen Fall ergeben, daß Sie auf dem ganz regulären Wege in irgendein Pfarramt, in ein Predigeramt kommen. Es kann sich auch ergeben, daß es Ihnen gelingt, die äußeren materiellen Verhältnisse da oder dort so zu dirigieren, daß Sie eine völlig freie Gemeinde begründen. Aber solche freie Gemeinden und solche, in die man das Bestreben hat, Freiheit des religiösen Lebens hineinzutragen, sie müssen zusammengehören; und das kann nur sein, wenn in einer gewissen Weise dasjenige, was Sie anstreben - ich bitte das nicht mißzuverstehen, es soll nicht das Predigen des reinen Machtprinzips sein, aber des berechtigten Machtprinzips -, wenn dasjenige, was Sie anstreben, eine Macht wird, das heißt, wenn Sie eine bestimmte Zahl von Gesinnungsgenos­sen haben. Etwas anderes wird auf die Welt keinen Eindruck machen. Sie müssen tatsächlich die Möglichkeit haben, über ein großes Terri­torium hin Leute als Prediger zu haben, die aus Ihren ganz konkreten Kreisen sind. Dazu wird es schon einmal notwendig sein, daß Sie diesen Kreis, den Sie jetzt haben, mindestens noch zehnmal größer machen. Das wird gewissermaßen Ihre erste Aufgabe sein, daß Sie sich einen so großen Kreis von Gesinnungsgenossen zunächst auf dem Wege, auf dem der kleinere Kreis zustande gekommen ist, eben suchen. Nur dann, wenn in den entferntesten Orten - relativ natür­lich entferntesten Orten - gesehen wird, wie die gleiche Bestre­bung auftritt, wenn ein Zusammenhalt mit Ihnen über ein größeres Territorium ist, dann werden Sie praktisch zu einer solchen Ge­meindebildung schreiten können, gleichgültig, ob Sie auf einem heute anerkannten Wege ins Predigeramt gekommen sind oder sonstwie.

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Sie werden so wirken können, daß Sie nun wirklich Ihre Gemein­dekinder innerlich, gemüthaft an sich ketten können. Wenn ich sage «ketten», so bedeutet das nicht, Sklavenketten anzulegen. Dazu gehört allerdings, daß die Gemeindemitglieder durch Sie das Bewußt­sein bekommen, in einer gewissen Brüderlichkeit zu leben. Die Gemeinden müssen konkrete brüderliche Gefühle in sich haben und sie müssen ihren Prediger-Leiter als eine selbstverständliche Autori­tät anerkennen, an die sie sich auch wenden in konkreten Fragen. Das heißt, Sie müssen zuerst in diesen Gemeinden, die Sie nicht in agi­tatorischer Weise Brüdergemeinschaften oder dergleichen zu nennen brauchen, eine selbstverständliche Autorität vor allen Dingen sich verschaffen - so sonderbar es zunächst erscheint - in bezug auf das Wirtschaftsleben. Es muß möglich sein, daß bei Ihnen Rat gesucht wird in wirtschaftlichen Angelegenheiten und in alle dem, was mit wirtschaftlichen Angelegenheiten zusammenhängt, aus der persön­lichen Erkenntnis der Gemeindemitglieder heraus. Es muß möglich werden, daß man das Gefühl hat, man bekommt eine Art Direktive aus der geistigen Welt heraus, wenn man den Prediger fragt.

Sehen Sie, wenn man das Leben betrachten kann, dann tritt einem in scheinbar kleinen Symptomen dasjenige entgegen, was eigentlich richtunggebend sein soll. Ich ging einmal in Berlin durch eine Straße und begegnete einem mir seit langer Zeit bekannten Prediger. Der trug eine Reisetasche. Ich wollte höflich sein und irgendeine Frage an ihn richten. Das nächste war natürlich, daß ich die Frage an ihn richtete, die sich aus der Situation heraus ergab: «Treten Sie eine Reise an?» - «Nein», antwortete er mir, «ich gehe eben zu einer Amtshandlung». - Nun mögen Sie darin etwas außerordentlich Unbedeutsames sehen; aus dem ganzen Zusammenhang erschien mir aber die Sache außerordentlich bedeutsam. Der betreffende Prediger war allerdings mehr Theologe als Prediger in seinem Wirken, aber er war durchaus ein innerlich tiefernster Mensch; er hatte in seiner Reisetasche die Dinge, die er brauchte zu einer Taufe und sprach dennoch so, fühlte so, daß er auch einem Menschen gegenüber, von dem er die Voraussetzung haben konnte, daß er eine andere Rede­wendung verstehen würde, aussprechen konnte: «Ich gehe zu einer

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Amtshandlung». - Das ist so ungefähr wie bei einem Polizeimann, wenn ein Dieb gesucht werden soll, der geht auch zu einer Amts-handlung.

Das müßte überhaupt ganz aus dem Wirken des Predigers ver­schwinden, daß irgendwie bei ihm der Zusammenhang mit dem äußeren staatlichen oder sonstigen Leben im Bewußtsein hervortritt. Es muß schon in der ganzen Gefühlsweise, wie sie sich dann in die Rede ergießt, das enthalten sein, daß dasjenige, was da vollzogen wird, durch eine solche Persönlichkeit vollzogen wird, die aus der sich ihres Gottes bewußten menschlichen Persönlichkeit, aus dem freien Antrieb der menschlichen Persönlichkeit heraus handelt. Es muß das Bewußtsein vorhanden sein: Ich tue das nicht als Amtshand­lung, ich tue es selbstverständlich aus meinem Innersten heraus, weil die göttliche Kraft mich dahin führt.

Sie mögen das als eine Nebensache ansehen. Gerade die Tatsache, daß man solche Tatsachen als Nebensachen ansieht, die ist vielleicht das Allerwichtigste in den Schäden des heutigen religiösen Wirkens. Wenn solche Dinge wiederum einmal als Hauptsache angesehen wer­den, daß bis in die kleinste Empfindung hinein der Mensch sich als durchdrungen weiß von dem unmittelbaren Dasein des Göttlichen im Physischen, und wenn sich der Prediger als solche Autorität fühlt, daß er weiß, ich trage das göttliche Leben da hinein, ich vollbrin­ge nicht eine Amtshandlung im heutigen Sinne, sondern ich führe einen Auftrag des Gottes aus -, dann erst wird er auf seine Gemeinde-kinder dasjenige übertragen. was an Imponderabilien übertragen werden muß.

Dies ist scheinbar recht weit weg von dem Wirtschaftsleben. Und dennoch, man darf nicht so, wie die Sachen heute liegen, die Dinge, die wir hier in Stuttgart anstreben auf dem Gebiete der Dreigliede­rung, etwa auch für maßgebend halten für andere Gebiete des Lebens. Wir arbeiten die Dreigliederung aus dem Gesamten des sozialen Organismus heraus. Für Ihren Beruf handelt es sich aber um etwas anderes. Für Ihren Beruf handelt es sich darum, jedes der drei Glieder - die ja, auch wenn sie nicht richtig organisiert sind, eben in Wirklichkeit doch da sind -, jedes dieser drei Glieder mit religiösgeistlichem

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Leben zu durchdringen; so daß - obwohl völlige Freiheit des Ratholens herrscht innerhalb der Gemeinden, innerhalb derer sich ja natürlich auch das Wirtschaftsleben abspielt - gewissermaßen die selbstverständliche Voraussetzung sein muß, daß man in den wirtschaftlichen Dingen, bei denen es sich darum handelt, daß geisti­ges Leben hineinfließt in die Gemeinde, die Entscheidung bei dem Prediger, bei dem Pfarrer holt. Es muß ein solcher Einklang sein, und vor allen Dingen muß der Pfarrer in innigem Zusammenhang leben mit dem gesamten Wohltätigkeitsleben seiner Gemeinde. Gewisser­maßen mit dem Ausgleiche der sozialen Ungleichheiten muß er in einem wissenden Zusammenhang stehen. Das muß in der Gemeinde angestrebt werden. Man muß tatsächlich der Berater der Männer sein, und man muß in gewisser Beziehung auch der helfende Berater der Frauen sein, man muß der Wohltätigkeit der Frauen eine Hilfe sein und so weiter.

Sowohl die Männer als auch die Frauen müssen da, wenn es sich darum handelt, ihre Angelegenheiten des wirtschaftlichen Lebens, wirtschaftlicher Hilfe, wirtschaftlichen Zusammenarbeitens in einem höheren Sinne einzurichten, unbedingt das selbstverständliche Gefühl haben, da hat der Prediger mitzusprechen. Ohne ein Inter­esse, ein mittuendes Interesse im Wirtschaftsleben, lassen sich reli­giöse Gemeinschaften nicht begründen, insbesondere nicht in der heutigen schwierigen Zeit des Wirtschaftslebens.

Nicht wahr, solche Dinge können wir zunächst als ein Ideal hin-stellen, aber auf dem einen oder anderen Gebiet wird man die Mög­lichkeit haben, sich dem Ideal mehr oder weniger zu nähern. Sie werden natürlich unendlich viel Widerstände finden, wenn Sie so etwas anstreben. Sie werden Zurückweisungen finden, aber Sie müs­sen es dazu bringen, daß Ihre Gemeindemitglieder dieses Bewußtsein empfangen, das ich eben charakterisiert habe, und daß durch ihr Verlangen die Notwendigkeit sich herausstellt, dieses richtung-gebende Hineinsprechen des Predigers in das Wirtschaftsleben zu erzielen.

Ich muß an dieser Stelle sagen, daß vieles Ideal bleiben muß, vor allen Dingen muß heute noch vielfach Ideal bleiben das, was vom

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Rechtsleben, vom Staatsleben der Anteil desjenigen sein muß, der als Prediger in einer Gemeinde lebt. Ich will ein konkretes Beispiel anführen. Dadurch, daß das religiöse Leben immer mehr den realen Boden verloren hat, sind solche Dinge zustande gekommen, wie sie den heutigen Menschen außerordentlich aufgeklärt erscheinen, wie sie aber aus dem sozialen Leben heraus das religiöse Leben gründlich untergraben. Da ist zum Beispiel die Ansicht, die man heute über die Ehegesetzgebung hat. Es ist ganz zweifellos notwendig, daß die Ehegesetzgebung - mag man sie nun sonst aus anderen Verhältnissen heraus straff oder weniger straff denken -, es ist unter allen Umstän­den notwendig, daß diese Ehegesetzgebung gewissermaßen sich hin-einfügt in die Dreigliederung des sozialen Organismus. Dazu ist aber natürlich notwendig, daß deutlich gefühlt wird gegenüber der Ehe, daß sie in ihrer eigenen Institution durchaus ein Bild des dreigliedri­gen sozialen Organismus darstellt. Sie ist erstens eine Wirtschaftsge­meinschaft und muß sich hineingliedern in den sozialen Organismus, insofern er seinen wirtschaftlichen Teil hat. Es muß also ein Zusam­menhang gesucht werden zwischen jener Wirtschaftsgemeinschaft, die die Ehe darstellt und den Assoziationen. An das kann heute kaum mehr als gedacht werden, aber aus den Gemeinschaften heraus muß dieses Bewußtsein entstehen, daß vor allen Dingen die wirtschaftliche Seite der Ehe mitgetragen werden muß durch die Maßnahmen der Assoziationen, durch die Maßnahmen des wirtschaftlichen Lebens.

Das zweite ist, daß das Rechtsverhältnis deutlich empfunden wird als ein Verhältnis für sich, und daß der Staat nur in das Rechtsverhält­nis der Ehe hineinzureden hat, daß also die Eheschließung zwischen Mann und Weib den Staat nur insofern angeht, als sie eine Angele­genheit des Rechts ist, das vom Staate ausgeht.

Dagegen werden Sie als Ihre ureigene Angelegenheit innerhalb der religiösen Gemeinschaft den geistigen Segen der Ehe beanspruchen müssen in einer völlig freien Weise aus Ihrer Entscheidung heraus. Sie werden also anstreben müssen als ein Ideal, daß in die Freiheit der religiösen Entscheidung hineingestellt wird der religiöse Segen der Ehe und daß diese Entscheidung durchaus respektiert wird, so daß sie als Grundlage angeschaut wird für das andere, daß also tatsächlich

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durch das Vertrauen, das in der Gemeinschaft existiert, gesucht wird zunächst für die Ehe die Entscheidung des Pfarrers oder des Predi­gers. Ich weiß natürlich, daß solch eine Sache heute vielleicht sogar von vielen evangelischen Leuten als etwas ganz Unzeitgemäßes an­gesehen wird, aber wieder kann ich nur sagen: Daß man solche Dinge als unzeitgemäß ansieht, darin zeigen sich ja die Schäden des Zivilisationslebens, die das religiöse Leben ganz unweigerlich untergraben.

Also, Sie werden Ihren Gemeindemitgliedern das Bewußtsein bei­bringen müssen, daß der eigentliche innere geistige Kern der Ehe mit dem religiösen Leben zu tun hat und daß durchaus auf diesem Gebiete Dreigliederung praktisch werden muß, das heißt, daß alle drei Teile der Ehe allmählich im sozialen Leben ihre Ausgestaltung finden müssen, daß also alle diese drei Dinge drinnen sein müssen. Man soll sich Dreigliederung nicht so vorstellen, daß man ein Pro­gramm utopistischer Art aufstellt und sagt, man soll die Dinge drei-gliedern. Man gliedert sie in bester Art in diese drei Glieder, wenn man erfaßt, daß in jeder Institution des Lebens die Dreigliederung implizit enthalten ist, und wie man die einzelnen Dinge so gestalten kann, daß die Dreigliederung zugrunde liegt. Man braucht vielleicht gerade innerhalb Ihres Berufes nicht zu starkes Gewicht darauf zu legen, die Dreigliederung in abstracto zu vertreten; aber man muß verstehen, wie das Leben fordert, daß diese Dreigliederung kommt, das heißt, daß jedes der einzelnen Glieder des sozialen Organismus eine wirklich konkrete, daseiende Realität ist.

Natürlich werden Sie heute großen Widerstand dagegen erfahren, aber Sie können gerade in einem solchen Punkte, wenn Sie zunächst aufklärerisch in Ihrer Gemeinde wirken, das Verhältnis, in dem das freie Geistesleben - in dem ja vor allen Dingen das religiöse Element enthalten sein muß - mit dem steht, welches werden soll, am allerbe­sten entfalten, nicht in, ich möchte sagen, wohlwollenden gegenseiti­gen Beanredungen, daß man sich gegenseitig duldet, sondern da­durch, daß man tatsächlich das von der Sache Geforderte wirklich auch als sein Ideal hinstellt. Natürlich müssen Sie gewärtig sein, daß man Ihnen da den allergrößten Widerstand entgegenbringt.

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Und drittens: Sie müssen die Möglichkeit haben, nun wirklich das zu entwickeln, was im dreigliederigen sozialen Organismus das freie Geistesleben bedeuten soll. Wir haben heute in dem allgemeinen sozialen Organismus überhaupt kein Geistesleben mehr, wir haben ein intellektuelles Leben, wir haben aber kein Geistesleben. Wir haben, ich möchte sagen, keinen Umgang der Götter mit den Men­schen. Wir haben nicht das Bewußtsein, daß in allem, was äußerlich in der physischen Welt vorgeht, das göttliche Wirken durch uns selber da sein soll, und daß der wirkliche reale Geist in die Welt getragen werde, daß also sowohl die Handlungen, die sich innerhalb des Wirtschaftslebens abspielen, als auch die rechtlichen Festsetzun­gen, die sich innerhalb des Staatslebens abspielen, und namentlich, daß der Jugendunterricht und auch die Unterweisung des Alters die freie Tat der an diesem Geistesleben teilnehmenden Menschen sein muß. - Das ist dasjenige, was eben eingesehen werden muß.

Daher werden Sie nicht anders können, als sich Ihre völlige indivi­duelle Autorität zu erkämpfen für das freie Wollen. Das ist natürlich etwas, was unsere Zeit fordert, daß der einzelne, der predigt, unter seiner eigenen Autorität predigt. Sehen Sie, auf diesem Gebiet muß man schon einfach hinsehen auf diesen gewaltigen Zusammenstoß der Gegensätze, der in unserer Zeit herrscht.

Wenn ich heute in eine katholische Kirche gehe und gerade zur Predigt komme, dann weiß ich: der Prediger trägt die Stola. Ich weiß, wenn er die Stola trägt, kommt der Mensch, der da auf der Kanzel steht und predigt, als Mensch für mich überhaupt nicht in Betracht. Das liegt ja auch wirklich im Bewußtsein [des katholischen Priesters]. Er fühlt sich als Mensch für keines seiner Worte in Wirklichkeit verantwortlich, denn in dem Augenblick, wo er die Stola auf der Brust gekreuzt hat, in dem Augenblick spricht die Kirche. Und seit der Infallibilitätserklärung spricht ex cathedra für alle durch die katholische Kirche zu verkündenden Dinge der römische Papst. Also ich habe Lim katholischen Prediger] einen Menschen vor mir, der sich im Moment [der Predigt] ganz aushöhlt und auch gar nicht daran denkt, irgendwie seine Meinung zu vertreten, der durchaus der Ansicht ist, er könne eine persönliche Meinung haben, die er ganz für

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sich behält, die gar nicht übereinzustimmen braucht mit dem, was er von der Kanzel herunter spricht, denn eine persönliche Meinung kommt da nicht in Betracht. In dem Augenblick, in dem er die Stola auf der Brust gekreuzt hat, in dem Augenblick ist er der Vertreter der Kirche.

Sehen Sie, das ist das eine Extrem. Es ist aber da, und es wird eine große Rolle spielen in der unmittelbar vor den Toren stehenden Kulturbewegung. Denn so verderblich wir diese Macht ansehen müs­sen, es ist eine Macht, eine ungeheure Macht; und man kommt ihr nicht anders nahe, als daß man sich ihrer voll bewußt wird. Sie werden nicht anders kämpfen können. Sie werden auf Schritt und Tritt in Ihrem Leben begegnen der Macht, die heute in unermeßlicher Weise sich ausbreitet, während die Menschheit schläft und es nicht bemerkt.

Auf der anderen Seite ist nun die Zeitaufgabe, daß vertraut wird auf - wenn ich es so nennen darf - die göttliche Harmonie. Und das, meine lieben Freunde, hat man absolut nicht verstanden in meiner «Philosophie der Freiheit». Aber es ist etwas, was im allereminente­sten Sinne verstanden werden sollte in der Gegenwart. In meiner «Philosophie der Freiheit» baut auch das Rechtsleben auf den völlig aus sich heraus wirkenden individuellen Menschen. Einer der ersten, und zwar der geistvollsten Kritiker, die über meine «Philosophie der Freiheit» geschrieben haben - im englischen «Athenaeum» -, schrieb einfach, diese ganze Anschauung führe hinein in einen theoretischen Anarchismus. - Dieses ist selbstverständlich der Glaube der heutigen Menschen. Warum? Weil dem heutigen Menschen jedes wirkliche durchgöttlichte soziale Vertrauen eigentlich fehlt, weil die Menschen das Folgende, für unsere Zeit Allerwichtigste nicht begreifen können, und das ist das: Wenn man den Menschen wirklich dazu bringt, daß er aus seinem Innersten heraus spricht, dann kommt nicht durch seinen Willen, sondern durch die göttliche Welteinrichtung die Har­monie unter die Menschen. Die Disharmonie rührt davon her, daß eben die Menschen nicht aus ihrem Inneren heraus sprechen. Man kann die Harmonie nicht erzeugen auf direkte Weise, sondern nur durch diese indirekte Weise, daß man die Menschen wirklich bis zu

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ihrem Innersten bringt. Dann tut der eine ganz von selber dasjenige, was dem anderen frommt, spricht auch dasjenige, was dem anderen frommt. Die Menschen reden und handeln nur aneinander vorbei, solange sie sich nicht selbst gefunden haben.

Begreift man das als ein Mysterium des Lebens, dann sagt man sich: Ich suche den Quell meines Handelns in mir selber und habe das Vertrauen, daß der Weg, der mich da ins Innere führt, auch in die göttliche Weltordnung im Äußeren mich einschaltet und ich dadurch in Harmonie mit den anderen wirke. - Dadurch wird erstens das Vertrauen in das menschliche Innere gebracht, zweitens aber auch das Vertrauen in die äußere soziale Harmonie. Einen anderen Weg als diesen gibt es nicht, um die Menschen zusammenzubringen. Was daher von Ihnen errungen werden muß, wenn Sie durch Ihren Beruf tatsächlich auch sozial wirken wollen, göttlich sozial wirken wollen, geistig sozial wirken wollen, das ist die Möglichkeit, wirklich aus Ihrem Inneren heraus zu wirken, das heißt, daß jeder für sich, weil er sich gefunden hat, die Möglichkeit hat, eine Autorität sein zu dürfen.

Der katholische Prediger macht sich individualitätslos, kreuzt die Stola und ist nicht mehr er selbst, er ist die Kirche. Die katholische Kirche hat das magische Mittel, ohne Vertrauen [auf die Individual­kraft], durch das äußere symbolische Seelenwirken machtvoll in das soziale Leben hineinzuwirken. Das war dasjenige, was notwendig war, um soziale Gemeinschaften zu begründen ungefähr gegen das Ende des 2. Jahrtausends vor dem Mysterium von Golgatha und ist am idealsten im alten Ägypten ausgebildet worden, und auf Umwe­gen, die genau historisch zu verfolgen sind, ist das die innere Essenz der katholischen Kirche geworden. Das Wesen der katholischen Kir­che besteht darin, daß sie heute noch auf dem Standpunkt steht, auf dem die innere Konstitution des ägyptischen Priesterlebens und sozialen Lebens ungefähr im 2. vorchristlichen Jahrtausend stand. Das Katholische ist ein Hineinwirken des Alten in unsere Zeit.

Demgegenüber besteht heute die Notwendigkeit, sich wirklich auf den Standpunkt unserer Zeit zu stellen, gar nicht sich als etwas anderes zu fühlen denn als Träger des zum Intellekt gewordenen göttlichen Lebens in sich selber. [Sie müssen] sich das freie Wort

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erkämpfen, so daß Ihnen in den Inhalt der Predigt niemand hereinzu­reden hat, daß es keine Norm gibt für den Inhalt der Predigt. Das ist dasjenige, was Sie sich erkämpfen müssen. Anders werden Sie nicht Gemeinschaften begründen, als wenn Sie sich zum Prinzip machen, sich die Freiheit für das Predigeramt zu erkämpfen.

Damit habe ich zunächst in einigem fadengezeichnet dasjenige, was gewissermaßen aus dem Inneren heraus zur Gemeinschaftsbildung führen muß. Sind Sie imstande, diese Dinge zu verwirklichen, dann werden Sie auch wiederum die Jugend heranbekommen zu einer wirklichen Gemeinschaftsbildung, während die Jugend es aus sich selbst heraus nur zur Cliquenbildung gebracht hat. Ich habe die Überzeugung und auch das Vertrauen, daß, wenn solche Gemein­schaften zustande kommen können, dann vor allen Dingen sich die Jugend in solchen Gemeinschaften zusammenfinden wird und daraus etwas Ersprießliches werden kann, während eben vor vielleicht 15 bis 20 Jahren die Jugend in der sogenannten Jugendbewegung Zusam­menschluß gesucht hat, aber führerlos war, weil man an die Väter nicht mehr geglaubt hat und dadurch ohne eigentlichen inneren Impuls zur Gemeinschaftsbildung hingestrebt hat. Es ist nur eine Cliquenbildung daraus geworden. Heute sind die Seelen Eremiten. Sie würden aber, wenn es eine Möglichkeit des Zusammenschlusses gäbe, sich sofort zusammenschließen, und da, wo wirklich freie Gemeinden auftreten, das heißt Gemeinden mit innerer Freiheit, würde vor allen Dingen die Jugend sich einfinden.

Sehen Sie, in solchen Dingen haben wir es mit unserer anthroposo­phischen Bewegung ja natürlich schwer. Denn diese anthroposophi­sche Bewegung kann heute durch ihre innere Natur nichts anderes sein als eine ganz universelle Bewegung. Sie muß sich gewissermaßen auf alle Gebiete des Lebens verlegen, und wir stehen in bezug auf die anthroposophische Bewegung in einer außerordentlich schwierigen Situation drinnen. Wir stehen in der schwierigen Situation, daß auf der einen Seite ein gewisses anthroposophisches Gut heute der Welt mitgeteilt werden muß - das muß in die Welt, denn es fehlt der Welt an der Möglichkeit, geistige Inhalte zu bekommen -, auf der anderen Seite tritt überall das Bestreben auf, Gemeinden zu bilden, gewissermaßen

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anthroposophische Gemeinden zu bilden. Nennen Sie es Zweige, nennen Sie es, wie Sie wollen, es tritt das Bestreben auf, anthroposophische Zweige zu begründen. Und weil die anthroposo­phische Bewegung heute noch so etwas Universelles sein muß, kön­nen diese anthroposophischen Zweige nicht eigentlich zu einem wirklichen Leben kommen, denn sie pendeln hin und her zwischen dem religiösen Element und dem mehr auf alle Zweige des Lebens gerichteten geistigen Element. Sie kommen dadurch natürlich auch nicht zu einer wirklichen Brudergesinnung; sie kommen dadurch überhaupt nicht zu einem Erfassen der sozialen Aufgabe, die darin besteht, daß man in kleinen Gemeinden vorbildlich dasjenige konkret begründet, was dann in der Menschheit sich ausbreiten soll; sondern entweder arten sie aus in eine bloße Übertragung des Lehrgutes, oder aber sie fühlen in sich das menschliche Widerstreben gegen den Zusammenschluß und zersplittern sich in Meinungen, zanken sich und dergleichen. Aber wenn man fragt: Worin liegt der Fehler? -dann liegt er eben nicht in diesen Gemeinschaften, sondern darin, daß man ja eigentlich einen wirklichen Anschluß an ein religiöses Leben heute nicht findet, wenn man auf der anderen Seite erkennend die geistige Welt durchdringt. Bei all den Bekenntnissen, die heute exi­stieren, finden die Anthroposophen ein religiöses Leben nicht. Diese Gemeinschaften müssen eben erst da sein. Sie können nicht anders da sein, als daß man in ganz ernster Weise sich alles das vorlegt, was zur Begründung solcher Gemeinschaften führen kann. Ich glaube, die äußeren Möglichkeiten, die Institutionsmöglichkeiten, die wer­den sich, wenn die Gesinnung, die ich versuchte Ihnen heute zu kennzeichnen, wirklich durchdringt, dann gar nicht so schwer finden, wenn Sie nur eine genügende Anzahl sind. Wenn Sie etwa zehnmal soviel Leute haben, die sich vorbereiten, den Prediger-beruf über Deutschland hin, über ein größeres Territorium hin zu erfüllen, dann werden Sie auch die Möglichkeit haben, aus dieser Ge­sinnung heraus zur Gemeinschaftsbildung zu kommen. Aber die Gemeinschaftsbildung ist die Grundlage. Erst wenn wir über diese uns klar geworden sind, können wir über Kultus und Predigt weitersprechen.

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Nun möchte ich Sie bitten, daß Sie von sich aus sagen und in Fragen formulieren, was Ihre speziellen Gedanken, Wünsche und so weiter sind. Es werden Ihnen vielleicht auch Bedenken aufgestiegen sein bei den einzelnen Dingen, die ich erwähnt habe, oder es wird in Ihnen das Gefühl sein, daß die eine oder andere Frage nicht erschöpft ist, daß Sie noch praktischere Dinge brauchen.

Ein Teilnehmer: Wenn auch vielleicht das Praktische sich leicht ergeben wird, so ist vielleicht doch dies oder das Praktische für uns von größter Bedeutung jetzt, zumal einige von uns in gewissen praktischen Situationen schon stehen. Deshalb würde ich bitten, uns vielleicht noch etwas zu sagen über die Anschlußmöglich­keiten. Es sind ja zunächst zwei Anknüpfungsmöglichkeiten vorhanden, entwe­der vielleicht von der Kirche aus oder die Anknüpfung an die bisherigen anthro­posophischen Gemeinden. Ist überhaupt eine Anknüpfung von kirchlicher Arbeit aus dann hinterher zu finden? Diese Befürchtung, daß sie nicht zu finden ist, hält noch manche von uns zurück, obwohl sie schon in den Kirchendienst eintreten könnten. Was soll denn nun geschehen? Es ist vielleicht die Frage nach praktischen Dingen schon enthalten, aber es liegt die prinzipielle Frage nach der Anknüpfungsmöglichkeit schon darin, es besteht eben nicht Klarheit bei uns darüber, wo wir nun gleich praktisch anknüpfen können. Verscherzen wir uns eine Möglichkeit, wenn wir jetzt in den Kirchendienst eintreten in der Hoffnung, später da anknüpfen zu können? Sollen wir nicht lieber etwas anderes tun, denn irgendwo müssen wir anknüpfen.

Rudolf Steiner: Die Sache liegt ja so, daß die Antwort darauf eine mannigfaltige sein muß. Sie ist nicht gleichartig zu geben, weil es in der

Tat trotz der Schwierigkeiten, die heute die Kirche darbietet, doch noch immer Möglichkeiten gibt, aus der Kirche selbst heraus zu arbeiten, die man vielleicht nicht ungenützt lassen soll. Denn wenn Sie die besonderen Verhältnisse da oder dort berücksichtigen, werden Sie sich sagen können, nach der ganzen Art der Gemeinde ist es möglich, daß Sie Ihre Gemeinde selber begründen können, wenn Sie aus den bestehenden Formen heraus das Amt suchen, aber dann die Gemeinde gewissermaßen nach und nach aus den heutigen kirchlichen Verhält­nissen herausführen, während Sie die Gemeindeglieder nicht zusam­menbekommen würden, wenn Sie sich außerhalb der Kirche stellen und eben sie einfach sammeln wollten. Dagegen wird auf gewissen Gebieten ein Herausarbeiten aus der Kirche überhaupt nicht mehr möglich sein. Da ist es dann natürlich durchaus geboten, den Versuch

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zu machen, freie Gemeinden zu gründen. Nur würde ich unter allen Umständen empfehlen, die Sache nicht so zu versuchen, daß mit Bezug auf die anthroposophischen Zweige und so weiter ein Sichzu­sammenschließen angestrebt wird, daß nicht angestrebt wird ein Herausarbeiten aus der Anthroposophie selber, denn da würde Ihnen der Faden abreißen, bevor Sie zu irgend etwas kommen. Anthropo­sophie als solche wird einfach in der unerhörtesten Weise in der nächsten Zeit bekämpft werden von allen möglichen Seiten; und um innerhalb dieses Kampfes zu ruhiger Gemeindebildung zu kommen, dazu, sehen Sie, dazu reicht eigentlich die Kraft, die Sie heute haben, durch Ihre Zahl - selbst wenn sie zehnmal größer ist - noch nicht aus. Wir leben noch nicht in den sozialen Verhältnissen, die es möglich machen würden, aus der Anthroposophie selbst heraus zur religiösen Gemeindebildung zu kommen. Sie müssen die religiöse Gemeinde-bildung für sich vornehmen und dann den Zusammenschluß mit der anthroposophischen Bewegung suchen. Die anthroposophische Bewegung - das kann ich ja durchaus sagen - wird niemals erman­geln, diesen Zusammenschluß zu fördern, selbstverständlich; aber es würde nicht gut sein, gewissermaßen aus den anthroposophischen «Gemeinden» heraus kirchliche Gemeinden zu bilden.

Sehen Sie, als wir die Waldorfschule gegründet haben - es ist nicht ein Beispiel, aber es ist wenigstens eine Ähnlichkeit vorhanden -, gingen wir darauf aus, keine Weltanschauungsschule, keine Anthro­posophenschule zu gründen, sondern lediglich in Pädagogik und Didaktik das hineinzubringen, was hineingebracht werden kann durch Anthroposophie. Ich habe durchaus darauf gehalten, daß die katholischen Kinder von den katholischen Pfarrern, evangelische Kinder von den evangelischen Pfarrern unterrichtet werden. Nun hat sich allerdings herausgestellt, dadurch, daß der erste Grundstock der Waldorfschule Arbeiterkinder waren, daß dann sehr viele Kinder überhaupt keine religiöse Unterweisung gehabt hätten. Und gleich­sam ergab sich dann die Notwendigkeit, auch einen freien anthropo­sophischen Religionsunterricht zu erteilen. Aber ich halte in allen Einzelheiten, namentlich in meinem eigenen Verhalten zu der Sache, streng darauf, daß dieser anthroposophische Religionsunterricht

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nicht in die Konstitution dieser Schule hineinfällt, sondern daß er ebenso von außen hineinkommt wie der katholische, wie der evange­lische Religionsunterricht, so daß nicht die Schule als solche aus sich heraus diesen Religionsunterricht gibt, sondern daß sie eben einfach der anthroposophischen Gemeinschaft gestattet, denjenigen Kindern, bei denen es die Eltern wollen, diesen anthroposophischen Religions­unterricht zu geben, wie den evangelischen Kindern der evangelische und den katholischen Kindern der katholische Religionsunterricht gegeben wird. Auf diesem Gebiet muß man schon Ernst damit machen, daß das Geistige nur durch das Geistige wirkt. Sobald man eine Schulverfassung treffen würde, um den Religionsunterricht ein­zufügen in den Lehrplan der Schule, würde man ja zunächst wahr­scheinlich mehr erreichen, als wir jetzt erreichen, aber langsam wie­der abbauen. Man muß das Vertrauen zum Geiste haben, daß er durch sich selber wirkt. Und deshalb stehen wir eben in der anthro­posophischen Bewegung vor der großen Schwierigkeit, daß wir, sobald wir einen Zweig begründen, das äußerlich in der physischen Welt machen; und da haben die Menschen natürlich immer das Bestreben, nun durch äußere Mittel zu wirken. Aber Anthroposo­phie kann heute nicht durch äußere Mittel wirken, sie kann nur durch dasjenige wirken, was in ihr als geistiger Gehalt auf die Menschen wirkt. Diese zwei Dinge stehen immer miteinander im Kampf:

äußerliche Zweigbildung - innerliche Wirksamkeit. Das kämpft ganz furchtbar durcheinander. Und das würde selbst in dem Momente in ein Gesundes übergehen, wenn wirklich aus dem religiösen Geiste heraus eine Gemeinschaftsbildung möglich wäre. Nun, da handelt es sich natürlich darum, daß man wirklich, ich möchte sagen, gewisser­maßen höhere Unbequemlichkeiten überwindet.

Sehen Sie, wenn ich zu den schweizerischen Lehrern rede über die Befreiung des Geisteslebens, Befreiung des Unterrichtswesens, da erwidern in der Regel sogar die besten: Ja, wir sind in der Schweiz eigentlich ganz frei, wir können in der Schule machen, was wir wollen. - Keiner aber macht etwas anderes, als was der Staat will. Aus Freiheit sind sie im Grunde genommen so unfrei als möglich; sie fühlen nur ihre Unfreiheit nicht, sie fühlen die Unfreiheit als Freiheit,

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weil sie innerlich so damit zusammengewachsen sind. Wir müssen wiederum erst lernen, die Unfreiheit zu fühlen. Ich konnte es einmal bei einer Dreigliederungsversammlung, die ich in der Schweiz abge-halten hatte, in einer ganz merkwürdigen Weise empfinden; ich möchte sagen, es war da mehr auf ein humoristisches Gebiet gebracht. In der Diskussion hatte sich ein Mensch in einer gewissen fanatischen Weise darüber ungeheuer erhitzt, daß in Deutschland durch Gesetze, Polizeimaßregeln allen geboten wäre, sich loyal zu verhalten, das Monarchische loyal zu verehren und so weiter, das alles sei Gebot. Daran erhitzte er sich so furchtbar. Ich sagte ihm: Das mag ja nun natürlich alles ganz schön sein, daß sich Republika­ner in einer solchen Weise gegen das Gebot der Monarchie erhitzen, aber ich erinnere mich, daß, als vor einigen Jahren der deutsche Kaiser in der Schweiz war, sich die Leute in einer ungeheuer devotio­nellen Weise benommen haben, so daß dazumal in der Tat das Bild des Devotionellen in Zürich dasjenige weit übertroffen hat, was man gewohnt war innerhalb Deutschlands. - Daraufhin sagte er: Ja, das ist gerade der Unterschied zwischen Deutschland und der Schweiz: in Deutschland ist das alles geboten, da müssen es die Leute tun, wir tun's aber freiwillig. - Das ist der Unterschied zwischen freien Menschen und denjenigen, die unfrei sind.

Nun, nicht wahr, wir müssen, und zwar alle Menschen - ganz international ist das in unserer Zeit -, wir müssen eigentlich erst lernen, was es heißt, ein freier Mensch zu sein. Und deshalb glaube ich, daß es tatsächlich möglich sein muß, anzuknüpfen da, wo einige Freiheit noch möglich ist innerhalb der Kirche, aus der Kirche selbst heraus diese freien Gemeinden zu gründen.

Ich verkenne nicht die Schwierigkeit, aber nicht wahr, Sie müssen nur bedenken, wie die wirklichen Kulturverhältnisse, namentlich in Mitteleuropa, sind. Eine gewisse Gemeindebildung hat sich vollzo­gen damals - und man muß ja auch aus der Geschichte wirklich lernen -, als nach Verkündung des Infallibilitätsdogmas der Alt-katholizismus entstanden war. Nun, wenn Sie den Altkatholizismus nehmen in bezug auf seinen Inhalt, so kann man sagen, er hat eigentlich in bezug auf Lehrgut und Priesterverhalten dasselbe, wie es

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das evangelische Pfarrertum hat. Er hat das schon in sich, der Alt-katholizismus, und er hat nur bewahrt auf eine volkstümliche Weise einen Kultus, von dem wir noch zu sprechen haben werden. Man kann sagen: Im Altkatholizismus ist gerade dadurch, daß er als eine Reaktionserscheinung entstanden ist, schon dasjenige enthalten gewesen, was aus sich selbst heraus zur freien Gemeindebildung wirklich hätte führen können außerhalb der Kirche. Nun werden Sie ja wissen, der Altkatholizismus in Deutschland ist mit großem Enthusiasmus aufgenommen worden. Gemeinden wurden da oder dort gebildet, aber sie konnten nicht leben, nicht sterben. Natürlich mußten sie sich dazumal, weil man innerhalb der katholischen Kirche solche Gemeinden nicht bilden konnte, aus sich selbst heraus bilden. Das wäre gar nicht anders gegangen. In der Schweiz, wo sich viel mehr der Altkatholizismus erhalten hat - denn dort gibt es viele altkatholische Gemeinden -, tritt neuerdings ziemlich kraß hervor, daß diese Gemeinden ein konservatives Leben fortführen, aber sich nicht mehr vergrößern, sondern bleiben, sich eher verkleinern, daß sie also auch schon auf dem Boden einer absteigenden Entwicke­lung sind. Das ist heute die Schwierigkeit der Bildung der freien Gemeinden.

Daher wird es notwendig sein, soviele Menschen, wie Sie können -nicht von der Kirche, aber von denjenigen Menschen, die noch nicht dazu sich entschließen können, aus der Kirche auszutreten, um mit Ihnen freie Gemeinden zu gründen -, herauszuretten aus der Kirche, also sie wirklich in der Kirche zu erfassen und herauszubringen. Wenn sich die Sache so gestaltet, dann können Sie ganz sicher sein, dann wird der Anschluß an die anthroposophische Bewegung erreicht werden. Denn die anthroposophische Bewegung wird, obwohl sie furchtbare Kämpfe wird auszufechten haben, trotzdem sich ihre Geltung verschaffen, wenn es auch vielleicht nur mit man­chen Opfern der in ihr Wirkenden möglich ist, mit starken Opfern, sie wird sich doch Geltung verschaffen, aber sie wird kaum heute in der Lage sein, aus sich heraus einen Zweig des religiösen Lebens zu begründen - deshalb sprach ich auch heute immer von der Besonder­heit Ihres Berufes -, sie wird kaum in der Lage sein. etwa Gemeinden

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in einem besonderen religiösen Sinne zu gestalten. Es wird notwen­dig sein, daß dasjenige, was ich immer betone, zur Wahrheit wird: Die anthroposophische Bewegung als solche kann keine Begründerin von neuen religiösen Gemeinschaften und so weiter sein, sondern man muß irgendwie die religiöse Gemeinschaft aus sich heraus bil­den, oder - soweit man kann - sie mit dem Menschenmaterial bilden, das heute rein aus Vorurteilen noch innerhalb der alten Kirche steht. Vielleicht aber können Sie die Frage noch weiter formulieren, so daß wir noch genauer darüber sprechen können.

Dr. Rittelmeyer - er ist nur krank geworden - hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, bei der Art, wie er sich verhalten hatte zu seinen Gemeindemitgliedern, eine ganz freie Gemeinde zu begründen mit­ten in Berlin. Und hat sie einmal eine bestimmte Macht, eine Gel­tung, ist sie groß, dann wagt man es nicht, an den Pfarrer irgendwie heranzukommen. Ist es eigentlich Ihre Meinung, daß man diesen letzten Rest des Berücksichtigens der Kirche nicht haben soll?

Ein Teilnehmer: Ich glaube, daß es besonders schwer sein wird, in der Kirche zu arbeiten, und ich sehe auch noch nicht klar darüber, inwieweit wir das auch jetzt schon tun könnten. Wir müssen ja mit der eigentlichen Arbeit doch noch warten, bis wir gemeinsam losgehen können. Wäre es vielleicht möglich, in der Kirche schon jetzt Anknüpfungspunkte zu suchen? Aber wir würden dann eben bereits versandet sein, bis wir in der Gesamtheit so weit sind.

Rudolf Steiner: Sie können jetzt, solange Sie nicht ein Predigeramt haben, solche Verbindungen nicht suchen. Sie müssen dasjenige, was die Vorbereitung ist zum religiösen Wirken, natürlich unabhängig von der Kirche suchen, wenigstens innerlich unabhängig. Solange Sie gewissermaßen Studierende sind, können Sie einen Zusammenschluß mit der Kirche nicht suchen. Sie können nur erst Umschau halten, wo es möglich wäre, solche Gemeinden herauszuziehen aus der Kirche. Und wenn Sie dann finden sollten, daß das überhaupt unmöglich ist in Mitteleuropa, dann müßte dennoch zur freien Gemeindebildung geschritten werden, und es müßten die Mittel und Wege gesucht werden, zu dieser freien Gemeindebildung zu schreiten.

Nun würde ich natürlich nur zwei Dinge haben gegen eine absolut freie Gemeindebegründung, das heißt also, daß der eine von Ihnen

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nach dem Orte X, der andere nach Y geht und einfach, indem er meinetwillen zuerst für fünf, dann für zehn, zwanzig Leute predigt, sich allmählich eine freie Gemeinde schafft. Was ich als Schwierigkeit bezeichnen möchte, ist nur das, daß dieser Weg erstens ein langsamer ist - Sie werden sehen, es ist ein langsamer -, es ist der sicherste, aber ein langsamer. Und das zweite ist die materielle Frage. Denn, nicht wahr, wenn die Sache sich so vollzöge, dann wäre es notwendig, daß im umfassendsten Sinne diese Sache finanziert wird, richtig finanziert wird, daß also einfach zunächst eine Gemeinschaft von Ihnen selber [begründet] würde, und daß gesucht würde die Finanzierung dieser Gemeinschaft.

Nun muß ich sagen, daß das ja natürlich der schönste Weg wäre; wenn er auch mit äußeren materiellen Dingen erkämpft werden muß, es wäre dieses natürlich der schönste Weg. Aber von all den Wegen gehört dazu - das sage ich Ihnen ganz offen - auf Ihrer Seite auch der größte Mut. Dazu gehört der größte Mut, dazu gehört natürlich, daß Sie selbst mittun an dem Kampf, der sich natürlich ergibt, daß Sie an den Schwierigkeiten, an dem Erkämpfen mittun, eben auch für die finanzielle Fundierung. Es wäre natürlich das Beste, wenn man umfassende Mittel gewinnen könnte, um Sie ganz unabhängig zu stellen, so daß Sie einfach dann wählen könnten: da oder dort sammle ich, und wenn es aus dem kleinsten Kreis heraus ist, meine Gemeinde. Sie kommt dann schon zustande. Dazu gehört Mut, daran zu glauben, daß sie zustande kommt. Sie kommt zustande, aber natürlich, man braucht die finanzielle Grundlage, und dem stellen sich heute wirklich außerordentliche Schwierigkeiten entgegen. Es wird ja sogleich die Gemeinschaft aller heute positiven Bekenntnisse da sein, die dem in der ausgiebigsten Weise widerstrebt, daß so etwas gemacht werde. Und man kann es nicht im einzelnen tun, man muß es als große Bewegung organisieren. Man muß tatsächlich eine Gemeinschaft begründen aus Ihnen allen, die sich also dieses Lebens­ziel setzen und für die dann eine finanzielle Fundierung gesucht wird.

Nun, man kann sich das ja ausrechnen. Es würde ja genügen bei diesem Wege, weil er gewissermaßen ein ganz sicherer ist und nicht auf solche Schnelligkeit angewiesen ist, wenn Sie, sagen wir, zweihundert

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wären. Nun können Sie sich selber ausrechnen, was das jährlich braucht. Sobald man die Mittel dazu hat, sobald kann man es machen. Dann ist es der sicherste Weg. Dann ist es aber auch der sichtbarste Weg, und der wäre eigentlich der natürlichere. Aber bei den heutigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen diese Mittel in Mitteleuropa aufzubringen - und nur um das könnte es sich ja handeln -, das ist eben ungeheuer schwierig. Denn Sie werden keine Möglichkeit finden, in einem anderen Reiche, in einem anderen Lande so etwas zu machen. Also sowohl in Ost- wie in Westeuropa ist es absolut ausgeschlossen; in Mitteleuropa könnte man es machen aus inneren Gründen heraus, und man würde ein Großes gerade damit machen.

Werner Klein: Ich muß sagen hierzu, daß ich bisher nur diesen Weg gesehen habe, den letzteren, und ihn auch jetzt eigentlich noch als den einzig gangbaren betrachte. Wir haben mit der Finanzierung natürlich große Schwierigkeiten, aber wir könnten daran gehen, sie zu beseitigen. Ich glaube auch, daß man aus eigener Kraft heraus sich über Wasser halten kann, wenn man sich selbst ein Wirkungs­feld schafft in einer Stadt, vielleicht versucht, aus Vorträgen heraus Gelder zu bekommen. Man wird Freunde sich erwerben können, die einem helfen. Aber man kann auch in einen Beruf sich hineinstellen - wir leben doch heute in der Zeit der abgekürzten Arbeitszeit -, man wird also einen weniger bedeutsamen Beruf ausfüllen können auf dem Rathaus oder irgendwo, wo man sich zur Not erhalten kann, um daneben die Zeit zu gewinnen, das zu betreiben, was einem vorschwebt. Ich glaube, daß man da doch sich wird halten können. Aber dane­ben müßte eben eine großzügige Organisation gehen und es müßte versucht werden, doch wenigstens Gelder zu bekommen. Und nach dem, was in uns allen lebt in Deutschland, dieses allgemeine Sehnen nach etwas Neuem, Kräftigem, glaube ich, daß sich manches finden wird. Das wird von uns abhängen. - Aber nun sehe ich heute zum ersten Mal den zweiten Weg in Verbindung mit der Kirche und ich glaube, daß man da Hand in Hand gehen kann. Der Weg der freien Gemeinde verlangt eine ganz andere Taktik, ein gemeinsames Hingehen auf das Ziel, und ein gemeinsames Vorgehen zu einem gemeinsamen Zeitpunkt, aber doch jeder für sich, wenn man heivortritt als eine größere Bewegung; während die andere Taktik die ist, daß jeder für sich anfängt zu wirken und versucht, von der Kirche aus eine neue Gemeinde zu schaffen. Das eine wird das andere nicht stören. Tn dem Augenblick, wo wir auf diesem sicheren, aber auch schwereren Weg vielleicht soweit sind, um, kraß gesagt, loslegen zu können, dann werden diejenigen, die bisher den anderen Weg gegangen sind, in ihrer Arbeit sich uns anschließen und dann mit Früchten, die sich schon real und positiv gezeigt haben, uns unterstützen können. während. wenn es hie und da

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gelingt, Erfolge auf dem einen oder anderen Gebiete im Anschluß an die Kirche zu gewinnen, das nur zu begrüßen und als Faktor für sich zu betrachten wäre. Wenn wir wirklich in Anbetracht der sozialen religiösen Not heute sozial etwas schaffen wollen, so scheint mir immer noch nur dieser erste, der sichere Weg, gegeben zu sein. Wir müssen ihn auf jeden Fall versuchen. Wenn wir scheitern, dann gehen wir noch immer den anderen und zwar, wenn der andere gleichzeitig beschritten wird von denen, die schon wirken wollen, um die Zwischenzeit auszufüllen, ist es zu begrüßen. Wenn wir Großes wollen, müssen wir auch das Große anstreben und versuchen.

Rudolf Steiner: Es ist ja so, daß wir gerade hier in Stuttgart einige Erfahrungen mit den Schwierigkeiten haben, die so etwas gegenüber­stehen wie dem sichersten Weg, der hier gekennzeichnet worden ist. Natürlich bin ich durchaus der Meinung, daß dieser Weg gegangen werden kann, wenn die Kräfte dafür genügend eingesetzt werden. Aber seien Sie sich auch der Schwierigkeiten bewußt, die man heute auf allen Gebieten trifft. Es ist ein außerordentlich guter Wille darin, sich zu sagen, man kann auch irgendeine Stellung annehmen und daneben in der Sache so wirken, wie es wünschenswert ist. Aber es ist ja so ziemlich ein offenes Geheimnis, daß die Studierenden an den deutschen Hochschulen in den nächsten Jahren in die furchtbarsten materiellen Schwierigkeiten kommen werden, nicht wahr. Man hat an allerlei unpraktische Dinge gedacht; sogar ein Professor ist zu mir gekommen, der mir sagte, daß man daran denken müßte, Drucke­reien einzurichten, weil die Studierenden ihre Dissertationen nicht mehr bezahlen können, und sie sollten dort sich das selber drucken. -Ich habe natürlich nicht das geringste Verständnis für eine solche materielle Inzucht; denn ich weiß nicht, auf welche Weise die Stu­denten etwas verdienen sollten, wenn sie ihre eigenen Dissertationen drucken. Ich fand als den rationelleren Weg, auf den ich hinwies, wenn man überhaupt - für die Zeit der Not - den Zwangsdruck der Dissertationen abschaffen würde. - Also, man denkt an alles mögliche Unpraktische, aber die Sache ist schon eine sehr ernste.

Mir wäre es zum Beispiel eine außerordentlich liebe Idee, wenn der «Kommende Tag» seinerseits eine gewisse materielle Grundlage wenigstens einer Anzahl von Studierenden geben könnte, das heißt, er müßte, sagen wir, abwechselnd drei Monate eine Gruppe von

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Studierenden beschäftigen in seinen Unternehmungen, während man in den nächsten drei Monaten andere beschäftigt. Dann könnten die letzteren an die Universitäten zurückgehen und studieren. Also, das wäre eine schöne zu verwirklichende Idee, wenn man es könnte. Aber in unserem eigenen Betriebe würden wir - in dem Momente, wo wir so etwas realisieren wollten, also eine Anzahl Studenten anstellen wollten - sofort die Revolution der Gewerkschaftsarbeiter haben, die uns erklären würden: das gibt es nicht. Sie würden uns hinauswerfen. Und, nicht wahr, etwas ähnlichem, wenn es auch nicht gerade so in Form eines Hinauswurfes einem entgegentreten würde, aber wahrscheinlich in der Art eines Nichthineinlassens, dem würde man schon begegnen. Außerdem sehe ich keine rechte Möglichkeit, daß man neben einem Beruf, selbst bei der heute verkürzten Arbeits­zeit, noch einen solchen ausüben kann, wo man sich völlig hingibt, denn es erfordert eine ganze Hingabe, um einen solchen Beruf, zu dem Sie sich entschließen wollen, auch wirklich auszufüllen. Ich sehe da keine rechte Möglichkeit.

Sehen Sie, wir stehen doch einfach vor der Tatsache, daß durch die schweren Lebensverhältnisse die Menschen eigentlich heute alle nicht so stark sind, wie sie eigentlich sein sollten. Also ich fürchte, es würde ein solcher Weg, wo der Betreffende auf sich selber angewie­sen ware in finanzieller Beziehung, mindestens in eine leise Neur­asthenie hineinmünden. Daß es unter heutigen Umständen möglich ist, durch Vortragstätigkeit, durch eine freie Betätigung in dieser Weise einen Lebensunterhalt zu verschaffen, das scheint mir auch ziemlich unwahrscheinlich zu sein. Denn, sehen Sie, geistige Leistun­gen - wir haben das gerade auf besonderem Gebiete erfahren -werden nach der alten Geldwährung bezahlt, und essen muß man nach der neuen Geldwährung. Wenn man die Bezahlung für geistige Leistung nimmt, so bekommt man in der alten Währung 30 Mark, und ausgeben müßte man nach der neuen Währung 300 Mark. Also diese Sache wäre natürlich schwierig. Dagegen wäre es wirklich wert, sich einzusetzen für eine Finanzierung in umfassendstem Sinne.

Ich halte auch das Zusammenwirken mit der Kirche, das also Herrn Klein sympathischer zu sein scheint als manchem anderen von

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Ihnen, nicht für aussichtslos. Denn die Zusammenkoppelung dieser Arbeit mit der Kirche, das hätte, glaube ich, Vorteile. [Es folgen einige vom Stenographen nur unvollständig und unklar festgehaltene Sätze, die sich auf die Finanzierung beziehen.]

Man kann beides machen. Ich meine doch, die Erfahrung spricht heute dafür, daß, wenn es Ihnen gelingt, sich erst aus der Kirche heraus freie Gemeinden zu schaffen, Sie Nachfolge finden werden einfach durch Ihr Vorgehen. Sie werden Nachfolge finden. Denn man geht wohl nicht fehl damit, wenn man sagt, es sitzen heute viele Pastoren und Pfarrer in den evangelischen religiösen Gemeinschaften drinnen, die gerne heraus möchten aus ihrem Amt und nur einen Anstoß brauchen. Wenn es Ihnen gelingt, diese Leute aus ihren Gemeinden herauszuziehen, dann finden Sie schon bei heute im Amt sitzenden Pfarrern solche, die Ihnen nachfolgen. Das wäre doch ein guter Zuzug. Das würde die Bewegung rasch vergrößern können. Da fänden Sie nämlich dann Zuzug, während die Betreffenden aus sich selbst heraus eben einfach nicht die Initiative aufbringen können. Wenn der Anstoß von außen gegeben würde, da fänden Sie Zuzug.

Das wäre natürlich ja außerordentlich wünschenswert, wenn es gelingen könnte, die Finanzierungsfrage irgendwie wenigstens in Angriff zu nehmen. Ich sage absichtlich «irgendwie in Angriff zu nehmen», denn wenn diese Finanzierungsfrage ordentlich in Angriff genommen wird, dann hat sie die Wahrscheinlichkeit des Gelingens. Das Inangriffnehmen, das ist viel schwieriger als, wenn es einmal ordentlich in Angriff genommen ist, das Gelingen. Denn, was heute fehlt in umfassendstem Sinne, das ist das tüchtige Mitarbeiten der Menschen an den großen Aufgaben des Lebens. Die Menschen haben sich überall so in Routinen hineingewöhnt, daß man für die wichtig­sten Aufgaben eigentlich doch nicht hinreichend tatkräftige Mitarbei­ter gewinnt.

Ich glaube, daß wir vielleicht unsere Zeit ausnützen sollten, und weil wir jetzt gerade auch unmittelbar auf die praktischen Fragen gekommen sind, die doch präliminarisch verhandelt werden sollten, würde ich Sie bitten, zur Fortsetzung heute abend um halb sieben Uhr zu kommen.

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BESPRECHUNG Stuttgart, 13. Juni 1921

Rudolf Steiner: Ich denke, es ist zunächst am besten, die verehrten Anwesenden sprechen sich ihrerseits aus über die Dinge, die wir heute begonnen haben zu verhandeln, und wir können dann auf diese Weise noch gegenseitig die Wünsche und Absichten kennenlernen. Sie haben gewiß das eine oder andere zu fragen aufgrund dessen, was ich vorgebracht habe.

Emil Bock: Die Teilnehmer haben mich heute nachmittag beauftragt, das Ergebnis zu berichten. Wir haben uns zunächst noch Gedanken gemacht über die verschiedenen Wege und haben uns schließlich darin gefunden, daß die Wege alle in Betracht kommen und dann uns klargemacht: Es handelt sich auf jeden Fall um die Sammlung der Personen und die Sammlung des Geldes und in welcher Richtung wir uns organisieren wollen und ob wir nur einen losen Zusammenschluß anstreben wollen. Wir haben verabredet, jeder solle die Initia­tive ergreifen, da wo es ihm ratsam erschiene und haben dann eine Stelle gewählt, an die Briefe regelmäßig, sobald Bedürfnis vorhanden ist, geschickt werden sollen, so daß wir uns in eine Rundbrieforganisation hineinbegeben wollen. Das, was wir religiös öffentlich tun können, kann nur in der Kirche geschehen. Was wir dann hinterher machen, müssen wir abwarten, bis wir die Leute haben. In der Frage des Beitrittes haben wir uns klarmachen können, daß ein Beitritt nur möglich sein kann, wenn einer derjenigen, die jetzt am Kurs teilnehmen, Bürge ist. Die Zentralstelle für diese Briefe wäre an Berliner zu übertragen, so daß von Berlin aus die Initiative zu allem möglichen gesammelt und gegeben werden muß. Die Sammlung der Menschen könnte sofort in Angriff genommen werden. Dann Vorbereitung einer administrativen Stelle: Da handelt es sich nur darum, wer da in Frage kommen soll. Wir wollen aber nun eben das Geld in der Form nicht sammeln, daß es etwa unter dem Namen unseres Zusammenschlusses geht, weil uns das auch wiederum in die Öffentlichkeit hineinbrächte. Es wurde der Gedanke erwogen, ob wir unsere zu schaffende Administrativstelle dem «Kom­menden Tag» angliedern könnten, oder welche andere Möglichkeit sich bieten könnte.

- - -

* Anmerkung des Herausgebers: Dem Stenographen waren nur wenige der Teilnehmer bekannt. Es fehlen deshalb in seinen Unterlagen zum Teil die Namen der einzelnen Geiprächiteilneh­mer. Wo es also im folgenden heißt ,Ein Teilnehmer», bedeutet dies, daß der Name der beireffenden Persönlichkeit vom Stenographen nicht festgehalten wurde.

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Rudolf Steiner: Ja, also Sie meinten, es würde sich am besten ergeben ein Zusammenschluß loserer Art von denjenigen, die sich eventuell diesem Komitee angliedern wollen, eine Zentralstelle in Berlin für die Sammlung von Briefen, und die Geldsammlung in einer Form, daß das zunächst der «Kommende Tag» bewirkt. Die letztere Sache ist natürlich etwas, was wir auch noch greifbarer machen müßten. Nun, nicht wahr, der losere Zusammenschluß, der ist natürlich auch zu erörtern unter dem Gesichtspunkt, wie schnell sich die Anwesenden vorstellen, daß die Sache vor sich gehen soll. Sie sind ja doch wohl zumeist ältere Semester, die sehr bald in das Leben hinauskommen?

Ein Teilnehmer: Verschieden.

Rudolf Steiner: Natürlich verschieden. Aber außerdem liegen ja die Dinge heute so, daß es allerdings nötig ist, nicht Zeit zu verlieren, wenn so etwas gemacht wird. Es ist zweifellos, daß zum Beispiel auch von der Dreigliederungsbewegung viel mehr erreicht worden wäre, wenn nicht immerfort Zeit verloren worden wäre. Und so würde ich auch meinen, daß hier zu raten ist, möglichst zu versuchen, keine Zeit zu verlieren, aber natürlich kann es auch nicht übereilt werden.

Haben Sie sich eine Vorstellung darüber gebildet, wie man unter Umständen vielleicht doch in dem Zeitpunkt, in dem Sie mit der Geldsammlung im großen beginnen wollen, an die Öffentlichkeit kommen kann mit der Sache? Sie wollen die Öffentlichkeit in einem gewissen Sinn vermeiden. Haben Sie dazu besondere Gründe? Wollen wir versuchen, einmal diese Frage zu erörtern.

Ein Teilnehmer: Ich möchte dazu nur sagen, ich habe die Empfindung, nach dem, was ich bisher in den verschiedenen Städten erlebt habe, daß eigentlich wohl kein Grund vorliegt, die Öffentlichkeit zu vermeiden. Die Vorträge haben immer nur geisteswissenschaftlichen Charakter. Ich bin der Überzeugung, daß sich sofort mehr Menschen angliedern würden, wenn das nicht nur geisteswis senschaftliche Vorträge wären, sondern wenn es kultusgestaltend wäre.

Rudolf Steiner: Ich will namentlich gern hören, was Sie gegen die Öffentlichkeit haben. Die Gründe sind vielleicht sehr wichtig.

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Ein Teilnehmer: Wir haben bedacht, daß es sich auf einen Kulturkampf hinaus­spitzen muß, und daß wir mit der Gründung von Gemeinden warten müssen, auch mit der Proklamierung der Idee überhaupt warten müssen. Sobald eine Bitte um Geld öffentlich auftritt, ist Anlaß genug, daß uns die größten Schwie­rigkeiten entgegengebracht werden. Das waren unsere Gründe, die uns veranlas­sen, auch mit der Gemeindegründung selbst zu warten; denn es handelt sich um dieselbe Sache.

Ein anderer Teilnehmer: Wir glauben, daß wir nicht auftreten können als Wir­kende mit der Gemeindegründung...

Rudolf Steiner: Nun ja, warten mit der Gemeindegründung... Ein Teilnehmer: ... mit dem Auftreten in der Öffentlichkeit.

Rudolf Steiner: Aber was tun während des Wartens? Die Aufgabe ist zunächst diese, daß sich gewissermaßen zehnmal soviel Leute finden, als da sind. Das bezwecken Sie ja durch die Briefstelle. Ich glaube, daß es vielleicht, wenn man die Sache geschickt macht, gar nicht so schwierig ist, zehnmal soviel Leute zu bekommen. Insbesondere unter der theologischen Studentenschaft werden sich wahrscheinlich zehnmal soviel Leute finden. Sie selbst haben sich doch verhältnismä­ßig schnell zusammengefunden. Unter der theologischen Studenten­schaft werden sich zweifellos rasch Leute finden. Es kommt alles darauf an, in welcher Gestalt man versucht, die Sache zu finanzieren. Das ist natürlich keine leichte Sache, denn es wird nur gelingen, wenn es verhältnismäßig recht schnell gemacht wird. Und der Gedanke ist natürlich ganz gut, zunächst einen loseren Zusammenschluß zu bil­den und durch Korrespondenz alle diejenigen unter den Studieren­den aufzusuchen, welche einer solchen Sache geneigt sind. Wieviele sind Sie jetzt?

Ein Teilnehmer: Achtzehn.

Rudolf Steiner: Achtzehn Studenten, zehnmal soviel sind dann 180. Sobald man 180 bis 200 hat, dann allerdings würde es sich darum handeln, ans Werk zu gehen; und da fragt es sich, was geschehen könnte, um möglichst rasch handeln zu können. Da ist ja natürlich das Wirken durch einen vorbildlichen Kultus - so gut es an sich ist -nicht dazu angetan, rasch zu wirken. Da fragt es sich doch, ob man

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nicht vorbereiten muß in der Zeit, in der die Sammlung durch Kor­respondenz stattfindet, eine sachgemäße ruhige aber sehr klare Dar­stellung der Hauptsachen, die man drucken ließe, die ja nicht veröf­fentlicht zu werden braucht, die aber benützt werden müßte, um Geld zu sammeln, die von denjenigen Persönlichkeiten, die sich um die Geldsammlung bemühen, den Leuten vorgelegt würde, von denen man glaubt, daß sie für so etwas Geld haben. Wie das getan werden könnte vom «Kommenden Tag», das ist natürlich etwas schwer vorzustellen. Der «Kommende Tag» könnte ja natürlich administrativ dabei tätig sein, aber wie der «Kommende Tag» für eine solche Sache mit seinem Namen eintreten könnte, das ist ein wenig fraglich. Haben Sie gemeint, daß der «Kommende Tag» als «Kom­mender Tag» die Sache in die Hand nimmt?

Ein Teilnehmer: Wir haben darunter nur den Vorteil gesehen, daß man dort schon viele Adressen und administrative Erfahrung hat. Es muß nicht der «Kom­mende Tag» sein. Wir müssen jemanden dafür einsetzen, der dann praktischer-weise beim «Kommenden Tag» arbeitet.

Rudolf Steiner: Ich verstehe die Sache schon. Es ist ja vielleicht gar nicht einmal eine unpraktische Idee, dabei an jemanden zu denken, der viel übrig haben könnte für diese Sache. Man könnte dabei an Heisler denken gerade für diese Aufgabe. Man könnte schon an so etwas denken, daß gerade er oder jemand, der in der gleichen Lage wäre, am besten für diese Stelle in Betracht kommen könnte. Aber wie denken Sie denn über eine Art ruhiger, objektiver, zielbewußter Darstellung, die man doch würde verbreiten müssen, so daß die Leute sich unterrichten könnten, für was sie Geld geben würden.

Ein Teilnehmer: Ich glaube - für meine Person -, in dem Augenblick, wo man sich entscheidet zur großen Finanzierung, wird man jedenfalls die Verborgenheit aufgeben müssen.

Rudolf Steiner: Es ist aber möglich, daß so jemand wie Heisler gewissermaßen mit der Finanzierungsarbeit betraut würde, und daß man nicht davor zurückscheuen würde, die Sache als solche durchaus an die Öffentlichkeit kommen zu lassen. Dagegen würde ich meinen, daß man vermeiden könnte, Ihre Namen und die Namen der anderen,

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die noch dazukommen, bekannt werden zu lassen, so daß kein Mensch zu wissen braucht, wenn es irgendwie da oder dort innerhalb der Kirche sich um eine Pastoren- oder Predigerstelle handelt, daß Sie zu dieser Bewegung gehören. Es braucht gar keine Veranlassung zu sein, daß Sie darum befragt werden. Die Teilnehmer dieses losen Zusammenschlusses braucht man nicht an die Öffentlichkeit zu brin­gen, sondern nur die Idee und die Sache als solche.

Bei Heisler liegt die Sache so, daß es bei ihm nichts schadet, denn er bekommt ja ohnedies keine Pfarrerstelle mehr.

Ein Teilnehmer: Ich reflektiere nicht auf eine Stelle.

Rudolf Steiner: Sie reflektieren nicht auf eine Stelle innerhalb der Kirche?

Ein Teilnehmer: Nein, das würde ich nicht tun.

Rudolf Steiner: Es gibt durchaus solche Predigerkandidaten, die schon so stark kompromittiert sind, daß sie ruhig ihre Namen bekannt werden lassen können. Sonst brauchen die Namen dieses losen Zusammenschlusses nicht bekannt zu werden. Selbstverständ­lich verleugnet niemand die Zugehörigkeit; man braucht es aber erst zu sagen, wenn man gefragt wird. Das scheint mir doch immerhin dasjenige zu sein, was möglich ist. Und die Meinung haben Sie nicht, daß unter den jüngeren schon auf Pastorenstellen befindlichen Leu­ten eine Anzahl von solchen sein wird, die sich Ihrem Kreis anschlie­ßen würden, die also schon [in ein Kirchenamt] hineingegangen sind?

Ein Teilnehmer: Es ist die Frage, wieweit die Leute schon ein Verhältnis haben zur Anthroposophie.

Rudolf Steiner: Ja, notwendig wäre allerdings, daß ein gewisser Kern von Persönlichkeiten da ist, die Anthroposophen sind. Aber das will mir eigentlich nicht notwendig erscheinen, daß alle Anthroposophen sind. Nicht wahr, wenn ein gewisser Kern da ist von energischen Persönlichkeiten, dann kann die ganze Sache einen anthroposophi­schen Charakter erhalten einfach durch die Bedeutung dieser Persön­lichkeiten, ohne daß man diejenigen ausschließt, die nicht Anthroposophen

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sind. Sehen Sie, die besten Anthroposophen sind in der Regel diejenigen geworden, die zuerst Gegner waren; oder wenigstens gehören zu den besten diejenigen, die Gegner gewesen sind und sich langsam durchgerungen haben zur Anthroposophie. Daß man viele von denen, die sich ihren Weg gesucht haben zu einer religiösen Weltauffassung im modernen Sinn, nun gleich im Handumdrehen durch eine kurze Lektüre zur Anthroposophie bringen kann, das, glaube ich, dürfen wir uns nicht einbilden. Es wird bei vielen ein gewisses Widerstreben sein. Vor allen Dingen wird man nicht leicht hinwegkommen über den Glauben, daß gewisse Forschungsergeb­nisse der Anthroposophie durch die Dogmatik ausgeschlossen seien. Daß die wiederholten Erdenleben irreligiös, unchristlich seien, das werden doch noch viele glauben. Und es ist ja nicht eigentlich heute zu wünschen, daß man alle, die das noch nicht einsehen können, ausschließt, denn es ist doch das eigentliche religiöse Verhältnis dabei festzuhalten. Ebenso wie man, ich möchte sagen, zur Zeit der Begründung des Christentums ein guter Christ sein konnte, ohne zu wissen, daß die Erde rund ist oder daß es Amerika gibt, und anderer­seits das Christentum bei der Entdeckung Amerikas nicht erschüttert wurde, so kann jemand ein guter Christ sein, ohne einen Zugang zu haben zur Wahrheit der wiederholten Erdenleben. Denn im Grunde genommen ist ein Wesentliches - davon möchte ich morgen noch sprechen - beim Christen sein Verhältnis zu dem Christus Jesus selber, zu diesem ganz konkreten Wesen; das ist das Wesentliche. Es ist das Wesentliche des Christentums ein persönliches Verhältnis zu dem Christus Jesus. Und eine Lehre als solche, die als Lehre gewiß gesichert ist, die eben eine Lehre über den Weltzusammenhang ist, die kann eigentlich nicht das Kennzeichen für das Christliche in einem Menschen sein. Christ ist man natürlich durch sein Verhältnis zu Christus, wie man Buddhist ist durch sein Verhältnis zu Buddha, nicht eigentlich durch einen Lehrinhalt. Man braucht einen Lehrin­halt, wie wir sehen werden, in der Predigt, aber man ist nicht durch den Lehrinhalt eigentlich Christ. Es kann niemand in dem Sinn heute Christ sein, wie man das doch eben auffassen muß, der nicht ein positives Verhältnis zur übersinnlichen Christus-Wesenheit hat.

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Darum ist für mich Adolf Harnack kein Christ. Ein Mann, der imstande ist zu sagen, der Christus kann aus den Evangelien heraus­genommen werden, es hat nur der Vater darin Platz -, der ist nicht Christ. Bei ihm unterscheidet sich der Christus nicht von Jahve, dem Gott des Alten Testamentes. Wenn Sie in Harnacks Buch «Das Wesen des Christentums» den Christus-Namen ausstreichen und uberall den Jahve-Namen hinsetzen, so werden Sie sehen, daß der Sinn nicht verändert wird. Er setzt einfach den Glauben des Jesus an den Vater an die Stelle der Erkenntnis des Wesens Jesus selber. Er erkennt eigentlich in dem Christus nur einen großen Lehrer über die Religion des Vaters. Das ist aber eigentlich die Negierung des Chri­stentums, nicht das Wesen des Christentums. Und deshalb meine ich, es ist nicht nötig, daß wir gewissermaßen die Leute einschwören auf die Wiederverkörperungslehre oder auf das Karma, denn das ist etwas, wozu sich die Leute schwer durchringen; sie werden sich mit der Zeit dazu durchringen; nur meine ich, da Sie doch selber Anthro­posophen sind und eine größere Anzahl Anthroposophen werden gewinnen können, daß dadurch die Sache schon den nötigen anthro­posophischen Charakter hat. Dafür sorgt schon der Gehalt der Anthroposophie, daß die Sache einen anthroposophischen Charakter hat, wenn sie überhaupt gelingt. Und gelingen muß sie, weil sie sehr viele Bedingungen des Gelingens in sich hat.

Ein Teilnehmer: An der Universität Münster wollten sich die Theologen frei machen. Da würde man schon Theologen, wie es unserem Bedürfnis entspricht, finden. Ob viele Anthroposophen da sein werden, das ist die Frage.

Rudolf Steiner: Ich glaube, daß in Münster der Boden bereitet wurde durch Gideon Spicker; er war ja Philosophieprofessor in Münster. Sie wissen nichts von ihm?

Fin Teilnehmer: Nur, daß die Examen dann anders gestaltet wurden.

Ein anderer Teilnehmer: In Leipzig ist genau dasselbe.

Rudo/fSteiner: Also einen zubereiteten Boden finden Sie sicher unter den jüngeren Theologen.

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Ein Teilnehmer: Die Theologen, die sich frei machen wollen von der Kirche, sind meist Persönlichkeiten, die sich nicht mehr auf den Boden der Trinitätslehre stellen können und den Christus nicht als übersinnliche Wesenheit anerkennen wollen, oder es sind Menschen der Gemeinschaftsbewegung.

Rudolf Steiner: Wenn ein Kern von Anthroposophen da ist, ist es nicht hinderlich, wenn wir auch diese Persönlichkeiten in der losen Zusammenschließung haben. Dafür scheint ein Beweis doch zu sein, daß zum Beispiel Herr Rittelmeyer zur Anthroposophie kam, unmit­telbar nachdem er dieses kleine Werkchen über die Persönlichkeit des Jesus geschrieben hat. Das ist von diesem Gesichtspunkt aus, den Sie eben charakterisiert haben, eigentlich geschrieben. Es ist geschrieben ganz in der Absicht, Jesus Christus zwar als eine kräftige religiöse Persönlichkeit hinzustellen, aber durchaus außerhalb der Diskussion zu lassen die ganze Frage des Übersinnlichen, des Symbols und so weiter. Also es war durchaus dasjenige, was man aufgeklärten Prote­stantismus nennen könnte. Und dann ist er zu uns eingetreten und hat verhältnismäßig sehr rasch die Notwendigkeit erkannt, das Mysterium von Golgatha zu verstehen und sich durchzuringen zu einer übersinnlichen Auffassung dieses Mysteriums von Golgatha.

Also ich glaube, wenn es nur ernst studierende Menschen sind - es müssen nicht Streber sein, aber es müssen ernst studierende Men­schen sein -, dann schadet es nichts, wenn sie vom aufgeklärten Protestantismus herkommen. Sehen Sie, die besten Kandidaten, die Sie sich wünschen könnten, wären eigentlich diejenigen jüngeren Leute - es gibt nur nicht viele solche, es gibt sie höchstens ganz vereinzelt -, die eben ihr katholisches Theologiestudium fertig gekriegt haben und ganz gründlich mit der katholischen Kirche gebrochen haben; das wären die besten Kandidaten, die Sie sich wünschen können. Es ist nicht zu leugnen, daß die katholische Theo­logie als Theologie, als Inhalt außerordentlich viel Gediegenes hat. Die Leute werden gut geschult, und das bleibt. Und dann haben die Leute die Möglichkeit, wenn sie heraußen sind - als katholischer Theologe ist man natürlich mit eisernen Fesseln gehalten -, wenn sie aber heraußen sind, dann ist mit ihnen alles zu machen. Ich führe das nur an - es gibt nicht viele solcher Leute, sondern sie sind nur ganz

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vereinzelt da -, um die Möglichkeit zu betonen. Und dann, nicht zu unterschätzen sind die aufgeklärten Protestanten.

Ein Teilnehmer: ... Menschen, die darnach streben, etwas Sicheres zu haben, in der Wissenschaft so weit kommen, daß sie die übersinnliche Wesenheit Christi nicht mehr anerkennen können und doch irgendwie das Verlangen darnach haben ...

Rudolf Steiner: So war es bei Rittelmeyer. Er konnte unmöglich zu etwas anderem kommen als zu einer, allerdings etwas kräftigeren und auch sehr geistvollen Weinelschen Auffassung des schlichten Mannes aus Nazareth. Das war die Persönlichkeit des Christus von Rittel­meyer. Und sehr rasch hat er sich durchgerungen zu der übersinn­lichen Christus-Auffassung. Also ich glaube, daß Sie das nicht zu scheuen brauchen, die Leute heranzuziehen.

Ein Teilnehmer: Die schwierigste Frage bleibt die Finanzierung.

Rudolf Steiner: Ja, die Finanzierungsfrage bleibt schwierig, aber sie bleibt so lange schwierig, bis wir das Geld haben; das ist tatsächlich so, daß jede neuen zehntausend Mark neue Schwierigkeiten bieten müssen. Das sind Schwierigkeiten, die einfach überwunden werden müssen. Ich glaube ja allerdings, daß da manche bittere Erfahrung überwunden werden muß; manche bittere Erfahrung wird gemacht werden. Ich glaube aber, daß vielleicht so jemand wie Heisler gar keine unrichtige Persönlichkeit wäre, weil er ja natürlich durch seine eigenen Schicksale verbittert ist, auf der anderen Seite aber von der Notwendigkeit überzeugt ist, daß so etwas geschehen muß. Und er hat doch schon ein respektierliches Alter - verzeihen Sie, Sie sind alle jünger als er -, das man haben muß, wenn man alles das mitzuneh­men hat, was eben kommt, wenn man Geld sammelt. Das ist keine angenehme Sache.

Emil Bock: Nun ist noch die Frage, ob nicht Anthroposophen, die nicht Theo­logen sind, für unsere Zwecke herangeholt werden könnten.

Rudolf Steiner: [Meinen Sie mitj dieser Frage, ob in diesem loseren Zusammenschluß Anthroposophen drinnen sein sollten, die nicht eigentlich in Ihrer Lage sind, in den Priesterberuf hineinzukommen?

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Emil Bock: ... die hineinkommen in die Lage, die vorläufig noch in einem anderen Beruf sind.

Rudolf Steiner: Ja, es ist natürlich dann die Frage, was sollen solche Menschen da tun? Sie würden höchstens in Betracht kommen für die Geldbeschaffung. Aber den nötigen Enthusiasmus dafür aufzubrin­gen, wenn man nicht in der Sache drinnensteht, das ist nicht leicht. Es mag natürlich immerhin einzelne geben, aber ich glaube, diese einzel­nen sind schon so überhäuft mit allerlei Arbeiten, daß sie schwerlich anders als höchstens im Nebenamt einer solchen Sache sich widmen könnten. Aber mir ist nicht eigentlich jemand bekannt, der - ohne selbst ein Predigeramt anzustreben, wenn auch in einer noch so freien Form - als Anthroposoph dafür brauchbar wäre. Denn die Anthro­posophen sind im allgemeinen gerade dadurch, daß sie in der Anthro­posophie selber etwas haben wie eine Art Religion - ja, wie soll ich sagen? -, eine Art religiöser Befriedigung, nicht so sehr darauf aus, die religiöse Gemeinschaft selbst zu regenerieren. Es müßten eben theologische Anthroposophen sein, und unter denen müßte man zunächst suchen. Die sind ja ganz gewiß, seit die Betätigung von Rittelmeyer besteht, nicht so selten. Ich glaube, Sie werden viele finden unter den Theologen; und namentlich seit dem Buch, das Rittelmeyer als Sammelwerk herausgegeben hat, werden Sie viele finden unter den Theologen. Ob sie alle brauchbar sind, das ist eine andere Frage. Aber sonst würde es, glaube ich, die Bewegung sehr verbessern.

Emil Bock: Die müßten natürlich umsatteln, wenn sie die Idee kennenlernen.

Rudolf Steiner: Ob viele der Studenten umsatteln möchten? Meinen Sie Studenten vom Bund für anthroposophische Hochschularbeit?

Ein Teilnehmer: Studenten, die deshalb nicht Theologie studieren, weil sie zwar ein starkes religiöses Interesse haben, aber nicht für dasjenige, was heute in der Kirche gegeben wird.

Rudolf Steiner: Sie meinen, daß die auch den aktiven Enthusiasmus aufbringen?

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Ein Teilnehmer: Ja, wenn die Möglichkeit gegeben ist, in diesem Sinn zu wirken.

Rudolf Stein er: Ja, es ist durchaus die Möglichkeit, wenn man sich die Persönlichkeiten angesehen hat, diese Persönlichkeiten mitzuneh­men, an sie heranzutreten. Ich habe gesehen, daß der Bund für anthroposophische Hochschularbeit, vor allen Dingen wenn er sich bemüht, Anthroposophie selbst zu verbreiten in den einzelnen Zwei­gen der anthroposophischen Hochschularbeit, mehr das naturwis­senschaftliche Interesse in den Vordergrund stellt als eigentlich Theo­logie. Dagegen müßte man die Theologen selber interessieren.

Ein Teilnehmer: Ob wir werden so lange warten können, bis ein Teil die speziellen theologischen Examen abgeschlossen hat?

Rudolf Steiner: Sie meinen, daß es zu lange dauern würde?

Ein Teilnehmer: Ich weiß nicht, wie weit es nötig ist.

Ein anderer Teilnehmer: Es sind einige unter uns, die bisher nicht damit gerech­net haben, mit den theologischen Examen abzuschließen, sondern die die Vor­studien benützen wollen, um sich dahinter zu machen, diesem Ziele zuzustreben, das hier angegriffen werden soll.

Rudolf Stein er: Nun fragt es sich, ob diejenigen, die Sie meinen, nicht unter der Erkenntnis, wie notwendig die Sache ist, sich eben doch dem Predigeramt zuwenden, wenn sie bis jetzt auch gedacht haben, sie würden nicht das Examen abschließen, sondern etwas anderes tun. Natürlich, nicht wahr, das ist verbunden mit einer ganz allge­meinen Kulturidee. Sehen Sie, die Ideen, die Spengler in seinem «Untergang des Abendlandes» beschrieben hat, haben wirklich mehr Fundierung als man denkt. Sie sind soweit begründet, daß man sagen kann, wenn nur die Kulturtendenzen wirkten, ohne einen neuen Einschlag, so vollzieht sich dasjenige, was Spengler ausrechnet. Wir stehen im vollen Niedergang, in einer vollen Niedergangsströmung darinnen. Auf der anderen Seite dürfen Sie nicht vergessen die Kor­ruption der Kultur. Die Korruption des allgemeinen Geisteslebens ist nicht nur etwa auf die gebildeteren Stände beschränkt, sondern sie ist sehr verbreitet. Es ist tatsächlich so. daß die Majorität der Bevölkerung

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davon angefressen ist, und die vielleicht in den 70er, 80 er Jahren noch vorhandenen religiösen Impulse sind auch bei den weniger gebildeten Leuten heute schon verflogen. Also wir stehen in der vollständigen Niedergangsströmung drinnen, und es ist kaum möglich, aus ihr herauszukommen, wenn nicht das religiöse Leben als solches neue Impulse schafft. Und so glaube ich allerdings, daß diejenigen, die dadurch, daß sie theologische Studien durchgemacht haben und die Möglichkeit haben, als Priester zu wirken, das auch tun sollten. Es ist schon notwendig, daß gerade derjenige, der Theologie studiert hat, als Priester wirken sollte, weil wir das so notwendig brauchen.

Ein Teilnehmer: ... dann aber auch innerhalb der Kirche?

Rudolf Steiner: Innerhalb der Kirche? Ich möchte doch bei diesem bleiben, was ich gesagt habe. Man kann innerhalb der Kirche bleiben, wenn man die Mitglieder von jetzigen kirchlichen Gemeinschaften allmählich herausführen kann; man kann also sich der Begründung von freien Gemeinden zuwenden. Ich glaube ja nicht, daß die Kirche als solche in irgendeiner Form reformiert, regeneriert werden kann, das ist nicht der Fall. Die Kirchengemeinschaft ist so korrumpiert, daß wir nur darauf rechnen können, daß man die ... [lückeriliafte und unverständliche Wiedergabe des Textes in der Nachschrift] heraus-führt und mit ihnen etwas Neues gründet ... [weitere Lücke]. Dage­gen an eine Reform der Kirche selbst zu denken, da darf ich schon sagen - das ist nicht bloß meine Meinung, sondern das ergibt eine objektive Erkenntnis der Tatsachen -, daß diese Kirchengemein­schaften dem Untergang geweiht sind. Außer der katholischen Kir­che natürlich, die eben weiter so begriffen werden muß, daß sie durchaus nicht dem Untergang geweiht ist, weil sie mit ausgebrei­teten Mitteln arbeitet und daher als etwas ganz anderes angesehen werden muß.

Ein Teilnehmer: Wir sind zum Teil Philosophen, zum Teil Naturwissenschaftler, nachdem wir ein unbefriedigendes Theologiestudium abgebrochen haben. Sollen wir einen Doktor machen und nach dem Doktorexamen uns dem Theologiestu­dium wieder zuwenden? Oder sollte man sagen, daß wir kraft unserer Vorbil­dung dann gleich die religiöse Arbeit beginnen können?

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Rudolf Steiner: Sehen Sie, das ist lediglich eine Frage des Erfolges, den wir haben werden. In dieser Beziehung darf man nicht den Charakter eines Überganges unterschätzen. Ich habe, als die Wal­dorfschule begründet worden ist, bei der Auswahl der Lehrer gar nichts anderes im Sinn gehabt als die rein persönliche Eignung, und was an Pädagogik und Didaktik da sein sollte, wurde in verhältnis-mäßig wenigen Wochen gegeben. So etwas muß einfach im Über­gangszustand möglich sein. Ich glaube nicht, daß jemand von Ihnen, der, sagen wir, innerhalb des Theologiestudiums gescheitert ist, sich irgendeinem anderen Studium zugewandt hat, Philosoph oder Naturwissenschaftler geworden ist, daß der nötig hat, etwas anderes anzustreben, als das Akademische formell abzuschließen. Das ist etwas, was immerhin wünschenswert ist, aber nicht unbedingt sein muß. Es ist schon wünschenswert, daß in irgendeiner Weise das Akademische abgeschlossen ist, sagen wir mit einer Dissertation. Dagegen brauchen wir nicht im geringsten daran zu denken, daß jemand nötig hätte, zum Theologiestudium zurückzukehren. Das müssen wir sogar für die Übergangszeit als absolut richtig ansehen, daß wir uns nicht an das alte Examenwesen und dergleichen halten; das ist ganz ohne Zweifel. Wenn zum Beispiel Herr Husemann sogar Chemie fertig studiert und in der Chemie sein Rigorosum fertig macht, dann hindert ihn nichts - wenn er sonst etwa Lust hätte, Prediger zu werden -, als Chemiker Prediger zu werden.

Wissen Sie, das eingeschachtelte Theologiestudium - Sie müssen das nicht als etwas nehmen, was vielleicht kränkend sein könnte -, das ist sogar dem Wirken des Predigers und des Pfarrers in der Gemeinschaft hinderlich. Es ist ja tatsächlich so, daß der theologische Student zu wenig von der Welt kennenlernt; er ist ja eigentlich zu sehr unbekannt mit dem, was seine Aufgabe ist. Er wird hineinge­stellt und soll solche Agenden, wie ich sie dargestellt habe, im Wirt­schaftsleben verrichten. Dazu ist also ein besonderes Studium wie das heutige Theologiestudium, wo man durchaus ein unpraktischer Mensch wird - ich will Sie damit nicht kränken -, nicht geeignet. Es ist tatsächlich so, ich habe es erfahren, daß zum Beispiel ausgezeich­nete theologische Absolventen wirklich kaum noch wußten, was der

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pythagoreische Lehrsatz sagt. Das sind Ausnahmefälle, aber es kommt vor. Aber ganz abgesehen von dem Drinnenstehen im wirk­lichen praktischen Leben, das man vor allen Dingen braucht, mit dem Diskutieren über die Geltung der Dogmatik, mit dem Diskutieren, was an theologischen Fakultäten getrieben wird, mit dem lösen wir ganz sicher die Weltprobleme nicht. Man könnte sich sogar ganz gut vorstellen, daß Gar-nicht-Studierte mit einem gewissen religiösen Genie auch unter uns sein könnten; das könnte man sich ganz gut vorstellen.

Dasjenige, was wir natürlich brauchen, wäre, daß Sie doch, bevor Sie von hier weggehen, die Persönlichkeit ganz aus sich heraus finden würden, der Sie gewissermaßen das Sekretariat Ihres losen Zusam­menhanges übertragen würden. Es wäre doch gut, wenn man mit dieser Persönlichkeit dann in einem Kontakt bleiben könnte gerade vom «Kommenden Tag» aus. Nun haben Sie aber die Zentralstelle für Briefe in Berlin.

Ein Teilnehmer: Wir hatten an eine andere Stelle in Tübingen gedacht, das doch in der Nähe von Stuttgart liegt.

Rudolf Steiner: Und diese Zentralstelle, was würde die für Aufgaben haben?

Ein Teilnehmer: Damit also diese Dinge, die in Beziehung zu Stuttgart gelöst werden könnten, durch persönlichen Verkehr gelöst werden.

Rudolf Steiner: Was würde die Zentralstelle sonst noch für Aufgaben haben? Das Suchen nach solchen Persönlichkeiten und dann, nicht wahr, denken Sie doch abgesondert davon an eine solche Stelle, wie sie Herr Bock als Anschluß an den «Kommenden Tag» sich vorstellt.

Emil Bock: Zunächst müßte die Finanzierung in Angriff genommen werden, müßte an verschiedenen Stellen gearbeitet werden. Mancherlei muß sich da an

einer Zentralstelle sammeln, so daß die Zentralstelle eine Vollmacht haben müßte. Wir haben Berlin genommen, weil da die meisten von uns zusammen sind.

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Rudolf Steiner: So würden Sie dann denken, in Berlin und Tübingen Zentralstellen zu haben für das Finden von geeigneten Persönlichkei­ten und hier in Stuttgart eine Persönlichkeit zu haben. die die Finan­zierung vorbereiten würde?

Nun, ich kann in diesem Augenblick keine irgendwie bindende Erklärung für den «Kommenden Tag» abgeben, aber es ist doch meine Meinung, daß eine solche Sache, wenn sie überlegt ist, betrie­ben werden könnte. Könnte es nicht so sein - selbstverständlich möchte ich in bezug auf die Wahl der Persönlichkeit nicht einmal irgendwie mit einem Rat verbindlich kommen, ich führe daher Heis­1er nur als Exempel an - Wenn Heisler beauftragt würde, mit der Finanzierungsfrage zu beginnen und das im Zusammenhang mit dem «Kommenden Tag» gemacht würde, so müßte man gleich daran denken, die Stelle richtig zu schaffen für Heisler, und das müßte ich natürlich im «Kommenden Tag» zur Besprechung bringen, damit Sie schon wissen, wenn Sie von hier weggehen, was man von seiten des «Kommenden Tages» tun kann. Also ich meine doch, viel Übergänge von einem zum anderen führen natürlich ein bißchen ins Ungewisse hinein. Es scheint mir schon, daß es nicht schlecht wäre, wenn wir gleich eine solche Zentralstelle schaffen würden, die sozusagen mit der Arbeit beginnen würde. Das kann natürlich nicht verfrüht sein, denn alle die Gründe gegen ein zu schnelles Vorgehen würdige ich. Aber wirklich, was man nach zwei Jahren oder nach einem Jahr von einer solchen Zentralstelle aus tun kann, das kann man auch heute tun. - Ich kann ja heute von seiten des «Kommenden Tages» keine verbindliche Erklärung abgeben, aber mir scheint, wenn überhaupt daran gedacht ist, nicht unter dem Namen des «Kommenden Tages», aber in Verbindung mit ihm [zu arbeiten], dann würde man das eigentlich sogleich machen müssen.

Ein Teilnehmer: Haben wir die materiellen Grundlagen? Wenn man jemand anstellt, muß man das Gehalt für ihn haben.

Rudolf Steiner: Ja nun, es ist natürlich die Frage die, ob sich nach dieser Richtung nicht doch ein Ausweg finden ließe, ob gewisserma­ßen jetzt unmittelbar schon die Sorge vorliegen würde für das Gehalt

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gerade dieser Persönlichkeit. Sind Sie übermorgen noch da? Darüber können wir ja noch morgen oder übermorgen sprechen, wie man das lösen könnte, daß eine solche Persönlichkeit gleich gefunden wird. Es ist selbstverständlich nicht möglich, daß Sie so rasch für die Finanzie­rung der Persönlichkeit sorgen, die ihrerseits die Finanzierung in die Hand nehmen soll. Morgen oder übermorgen können wir noch darüber sprechen. Aber sind Sie prinzipiell nicht abgeneigt, die Sache sofort zu beginnen, wenn es geht?

Ein Teilnehmer: Ich möchte gerne noch fragen, ob wir uns jetzt schlüssig werden könnten über die Persönlichkeit der Stelle.

Rudolf Steiner: Da will ich nur dieses sagen: Ich gehe immer von realen, praktischen Gesichtspunkten aus, und da gibt es Gründe, die wahrscheinlich die Realisierung sehr rasch machen ließen, wenn eben gerade Dr. Heisler in Betracht kommen könnte. Mit ihm würde sich die Sache wahrscheinlich rascher machen lassen, als wenn es sich um die Wahl einer beliebigen anderen Persönlichkeit handeln würde.

DRITTER VORTRAG Stuttgart, 14. Juni 1921, vormittags

#G342-1993-SE088 Priesterkurse I

#TI

DRITTER VORTRAG

Stuttgart, 14. Juni 1921, vormittags

#TX

Meine lieben Freunde! Wir wollen heute zuerst unsere gestrige Betrachtung etwas fortsetzen und dann sehen, wie wir heute zur weiteren Behandlung der gestern berührten Angelegenheiten kom­men. Ich wollte Ihnen gestern namentlich über die innerliche Seite der Gemeinschaftsbildung auf religiösem Gebiet sprechen. Ich möchte jetzt übergehen zu dem zweiten Gebiet, das Sie ja selbst als für Sie besonders wichtig bezeichnet haben, zum Kultus.

Es ist durchaus wohl so, daß ohne die Inaugurierung eines gewis­sen Kultus mit seiner sogenannten Symbolik die religiöse Vertiefung der Menschheit nicht zustande gebracht werden kann, und ich möchte Ihnen dies mit einigen Worten begründen, weil man doch eben nur dann wirken kann innerhalb eines Gebietes, wenn man ein­sieht, um welche Bedingungen und um welche Kräfte es sich handelt.

Sehen Sie, in der neueren Zeit hat im Grunde genommen die ganze Menschheitsbildung des zivilisierten Teiles der Menschheit eine in­tellektualistische Form angenommen, eine Form, die die bloßen Begriffe in ihrer Abstraktheit zum Bewußtseinsinhalt macht. Und es ist ein so, ich möchte sagen, gründliches Gefühl entstanden davon, daß man nur in dieser Abstraktheit wirkliche Erkenntnisse erringen kann, daß dieses Gefühl übergegangen ist dazu, in einer gewissen Weise eigentlich nur den abstrakten Bewußtseinsinhalt zu schätzen. Nun kann man begreifen, daß dieser abstrakte Bewußtseinsinhalt gerade in einer Zeit geschätzt werden mußte, wo die Geltendma­chung des Individuellen aus dem ganzen Menschen heraus immer mehr als eine Menschheitsforderung auftrat. Der abstrakte Bewußt­seinsinhalt stellt uns ja vor etwas ganz Universelles. Man hat das Gefühl, durch das abstrakte Weltbegreifen könne man in das ein­zelne menschliche Individuum alles Verständnis für die Welt her­einbringen.

Wohin sollen unsere Begriffe reichen? Sie sollen zunächst dazu ausreichen, dasjenige, was sich uns in der Sinneswelt darstellt als

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Wahrnehmung, in der verschiedensten Weise zu kommentieren und da Gesetze, die sogenannten Naturgesetze oder die historischen Gesetze, zu finden. Dann aber schickt sich dieser intellektuelle Inhalt auch an, über dasjenige, was nicht wahrgenommen wird, Hypothe­sen zu bilden, teilweise solche Hypothesen, die sich auf das erstrek­ken, was zeitlich und räumlich nicht wahrnehmbar ist, teilweise sich auf solches erstrecken, was aus prinzipiellen Gründen nicht wahr­nehmbar ist. Zeitlich und räumlich nicht wahrnehmbar ist zum Bei­spiel Erdenanfang und Erdenende. Wir haben aus dem Intellektualis­mus der neueren Zeit Hypothesen bekommen über die Erdenentste­hung und über das aus den physikalischen und geologischen Zusam­menhängen hervorgehende Erdenende. Wir haben in bezug auf Räumliches Hypothesen, sagen wir, über die innere Wesenheit der Sonne oder anderer Weltenkörper, etwa der Weltennebel, wie man sie nennt, und so weiter. Man bedenkt gewöhnlich nicht, wenn man sagt, die Sonne sei so oder so beschaffen, daß das nicht mehr ist als eine Hypothese, und man glaubt sogar, man hat in dieser Hypothese ein physikalisches Ergebnis. Die Physiker würden sehr staunen, wenn sie wahrnehmen könnten, schauen könnten, was an derjenigen Stelle des Weltenraumes wirklich ist, wohin sie eine Art von sehr dünnem Gas als Sonnenball ins Weltenall hinausversetzen. Es ist eben an der Stelle in Wirklichkeit durchaus nicht etwas mit unseren Gasen, nicht einmal mit unserem Äther Vergleichbares, es ist an der Stelle nicht nur leerer Raum, sondern etwas, was wir im Vergleich zur Intensität unseres leeren Raumes als negativ bezeichnen, es ist eine Aussparung des Raumes an der Stelle, wo wir von der Sonne sprechen. Es ist nicht nur von der Materie entleerter Raum da, ja es ist nicht einmal jene Intensität der Leere da, welche man als Raum gewöhnlich bezeichnet in abstracto: Es ist weniger an der Stelle vorhanden als Raum, und man kommt auf diese Weise aus dem Physikalischen heraus ins Geistige. Man kann nur in geistiger Bezie­hung in Wirklichkeit von der Sonne sprechen.

Das will ich heute nur anführen, um Sie darauf aufmerksam zu machen, in welcher Weise der Intellektualismus, der auf naturwissen­schaftlichem Gebiet ja durchaus berechtigt ist, in der neueren Zeit

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alle Gebiete ergriffen hat. Er dehnt sich dann auch aus über das prinzipiell Nichtwahrnehmbare, über die Molekül- und Atomwelt, die prinzipiell nicht wahrnehmbar sein darf aus dem einfachen Grunde, weil die Wärme, das Licht, die Töne schon aus Bewegungs­vorgängen dieses molekularistisch und atomistisch Konstituierten hervorgehen sollen, so daß in die Atomwelt nichts Wahrnehmbares hineinversetzt wird. Man hypothetisiert irgend etwas hinein, was vorhanden sein soll.

Also es hat sich der Intellektualismus über das Zeitliche und das Räumliche der äußeren Raum- und Zeitwelt und über das prinzipiell Unwahrnehmbare ergossen; er hat sich aber auch ergossen über alles dasjenige, was historisch ist und über alles, was religionshistorisch ist. Wenn Sie die ganze Evangelien-Literatur und Evangelien­Wissenschaft verfolgen, überhaupt die biblische Wissenschaft des 19.Jahrhunderts, so wird Ihnen dabei aufgehen, wie diese ganze biblische Wissenschaft allmählich übergleitet von einer ganz anderen Art des Seeleninhalts in ein intellektualistisches Ergreifen der Bibel, der Evangelien. Man kann sagen: Am Ende des 19. Jahrhunderts war die Sache so weit, daß eigentlich vom Evangelium durch den Intellek­tualismus selbst für die Theologen nichts mehr übriggeblieben ist. Charakteristisch muß durchaus sein, daß dieser Intellektualismus jene Formen angenommen hat, die er zum Beispiel bei dem Theolo­gen Schmiedel zeigt, wo wir sehen, daß über die Persönlichkeit des Christus nicht mehr geschlossen wird aus dem, was in den Evange­lien steht, sondern es werden aufgesucht eine Anzahl von Stellen im Evangelium, wo etwas Abträgliches über den Christus Jesus gesagt wird, wo zum Beispiel gesagt wird, er kümmerte sich um seine Mutter und seine Geschwister nicht. Und aus dieser geringen Anzahl von Verunglimpfungen, die über die Persönlichkeit des Christus Jesus in den Evangelien zusammengestellt werden, wird geschlossen, daß sie sich auf etwas Wahres beziehen müssen, denn man würde nicht, wenn man etwas erfinden wollte, eine solche Verunglimpfung beifügen, sondern man würde Lobeshymnen erfunden haben.

Nun, Sie sehen, in welche Schlupfwinkel hinein sich dasjenige begeben hat, was aus Intellektualismus heraus sich geltend gemacht

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hat, um an die Evangelien überhaupt noch heranzukommen. Ich führe dies an aus dem Grunde, weil es ja von theologischer Seite hervorgegangen ist, denn dasjenige, was von nicht-theologischer Seite an Verstiegenem geleistet worden ist, das ist ja, nicht wahr, bis ins Ungeheuerliche gekommen. Sie brauchen nur daran zu denken, daß es heute eine ausgebreitete psychiatrische Forschung über die Evangelien gibt, daß wir heute Literaturwerke haben, die deutlich zum Ausdruck bringen, daß man nicht begreifen kann, was in den Evangelien eigentlich steckt und die Mitteilungen [in den Evangelien] als abnorme Dinge bezeichnen, wie man eben Dinge vom psychiatri­schen Standpunkt aus betrachtet. Es ist sogar so, daß man für den Ursprung des Christentums eine Krankheit des Christus Jesus annimmt, die infizierend gewirkt hat auf alle Christen. Man leitet also den Ursprung des Christentums her aus der geistigen Krankheit des Christus Jesus, der er verfallen sei.

Man wird kaum sagen können, daß irgendeine Bezeichnung zu stark ist, wenn man darauf hinweisen will, daß das gesamte soge­nannte Geistesleben der Gegenwart, das in Intellektualismen sich bewegt, eigentlich zum Abgraben gerade des christlich-religiösen Elementes führen muß, und zwar mit der größten Geschwindigkeit. Daß man auf diese Tatsache nicht genügend hinschaut, ist einer der großen Schäden unserer Zeit. Würde man darauf hinschauen, so würde man dazu kommen, sich zu sagen: vor allen Dingen ist von seiten derjenigen, die es mit dem religiösen Leben ernst nehmen, darauf zu sehen, daß dieses religiöse Leben wiederum dem Intellek­tualismus entrissen wird.

Ich will ja nicht etwa kritisch mich ergehen darüber, daß in den letzten vier Jahrhunderten durch den Protestantismus selbst sehr viel getan worden ist, um auch auf religiösem Gebiet zu diesem Intellek­tualismus zu kommen. Man findet immer mehr und mehr, vielleicht sogar unbewußt, ein heidnisches Element in dem Kultus und der Symbolik. Nun, dasjenige, was aber davon abgehalten hat, mehr an den Kultus und an die Symbolik sich zu halten, das liegt nicht in der Empfindung, daß man darin etwas Heidnisches hat, sondern das liegt darin, daß man keinen Sinn mehr hat für jene Ausdrucksformen, die

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im Kultus und in der Symbolik durchaus liegen. Bedenken Sie nur, dem Menschen wird durch das intellektuelle Begreifen der Welt vorgetäuscht, er könne sich mit seinem Seeleninhalt über die ganze Welt klar werden, er bringe in intellektuelle Begriffe alles herein. Daher fühlt sich der intellektuelle Mensch im Besitz der ganzen Welt, wenn er seine intellektuellen Begriffe hat. Gerade dadurch, daß der Mensch sich vortäuscht, daß er den gesamten Weltinhalt erfaßt hat, gerade durch dieses universelle Element fühlt sich der Mensch intel­lektuell befriedigt und glaubt, keines anderen Elementes mehr zu bedürfen zum Weltbegreifen, zum Weltempfinden. Man kann verste­hen, daß gerade in unserer Zeit der Intellektualismus überhand neh­men konnte, weil der Mensch eben glaubt, die Welt in intellektuelle Begriffe hereinzubekommen. Aber weil der Mensch auf diese Weise selbst befriedigt wird, dadurch, daß er in sein Ego scheinbar die ganze Welt hereinbekommt, verliert er den sozialen Zusammenhang mit der übrigen Welt, und dasjenige, was als Soziales leben soll, wird atomisiert, atomisiert bis in die einzelnen Individuen hinein. Wir haben schon durchaus in der Jugendbewegung in der neueren Zeit dieses, daß einfach durch das Überhandnehmen des Intellektualisti­schen die Menschen in einzelne Atome auseinanderfallen, so daß jeder nur sein eigenes Religionsbekenntnis haben will. Man geht auf darin, daß man sagt, Religion ist überhaupt eine Sache, die nicht über die menschliche Haut hinausgehen kann. Das ist es, was die Grün­de anzeigt dafür, daß gerade das universalistische intellektuelle Leben das religiöse Leben zersplittert, atomisiert, daß man also durch die besondere Form der modernen Wissenschaft zur Unter-grabung des religiösen Lebens kommen muß. Und es ist eigent­lich die stärkste Kraft zum Untergang des religiösen Lebens vor­handen in denjenigen Universitäts- und sonstigen Bildungstheo­logen, welche das wissenschaftliche Denken unserer Zeit angenom­men haben, um das Religiöse, die Religionstatsachen als solche zu begreifen.

Es wird nicht einmal so viel getan zur Untergrabung des religiösen Lebens durch das Laienhafte der heutigen Zeit, wie durch die moderne Theologie; und es ist eigentlich schade, daß solche Bestrebungen

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nicht einen kräftigeren Fortgang gefunden haben wie die von Overbeck, die eingeschlagen waren in dem außerordentlich bedeutsa­men Buch «Über die Christlichkeit unserer heutigen Theologie», in dem der Beweis angetreten ist, daß der moderne Theologe unchrist­lich ist. Overbeck, der Basler Kirchenhistoriker, der mit Nietzsche befreundet war und der auf ihn einen sehr tiefen Eindruck gemacht hat, wollte den Beweis erbringen, daß die moderne Theologie das Unchristlichste ist, ganz und gar das Christentum von sich abgewor­fen hat und am meisten zur Untergrabung des Christentums beiträgt, weil sie rein intellektualistisch geworden ist durch die universelle Suggestion, die der Intellektualismus auf die moderne Bildungswelt ausgeübt hat. Ohne daß Sie einsehen, daß die moderne Theologie, wie sie an den modernen Fakultäten getrieben wird, zur Untergra­bung des Christentums führt, werden Sie nicht den richtigen Impuls in Ihre Bestrebungen hineinbekommen.

Nun, dasjenige, um das es sich unbedingt handelt, ist, daß wir wieder lernen fortzuschreiten zu der anderen Form des Welterlebens als es die bloß intellektuelle ist, und die andere Form besteht eben in dem Bildhaften, in demjenigen, was übergehen kann in den Kultus und was übergehen kann in die Symbolik.

Sehen Sie, als wir hier die Waldorfschule errichtet haben - ich möchte Ihnen gewissermaßen aus dem unmittelbar gegenwärtigen Leben heraus die Dinge zeigen -, als wir hier die Waldorfschule errichtet haben, da handelte es sich darum zunächst, daß das mehr aus dem Zeitbewußtsein heraus geschehen mußte und der Welt klar-zumachen, daß wir nicht das Bestreben haben, mit dieser Waldorf­schule eine Weltanschauungsschule zu begründen. Es ist die schlimmste Verleumdung der Waldorfschule, wenn in der Außenwelt immer wieder gesagt wird - und die Dinge pflanzen sich schon bis nach Amerika hinüber fort -, sie sei dazu da, um den Kindern Anthroposophie beizubringen. Dazu ist sie nicht da! Sie ist keine Weltanschauungsschule. In die Pädagogik und Didaktik kann dasje­nige einfließen, was man durch Anthroposophie gewinnen kann. Es soll nur in der pädagogischen Behandlung selber dasjenige liegen, was die Anthroposophie ergründen kann. Daher haben wir von Anfang

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an - weil das noch nicht anders sein kann, solange Sie noch nicht gewirkt haben - den katholischen Kindern den Religionsunterricht von einem katholischen Pfarrer und den evangelischen Kindern den Religionsunterricht von einem evangelischen Pfarrer geben lassen. Nun ist ja die Waldorfschule zunächst entstanden für die Kinder der Waldorf-Astoria-Arbeiter; die waren der Grundstock. Es kamen sehr viele Sozialdemokraten- und Dissidentenkinder heran. Man stand vor der Frage: Sollen diese Kinder nun ganz religionslos auf­wachsen? Nicht war, es war eine gewisse Art Sorge. Aber es haben sich auch Stimmen innerhalb der Eltern erhoben, daß sie ihre Kinder nicht religionslos aufwachsen lassen wollten. So waren wir genötigt, so wie wir den katholischen Kindern katholischen Unterricht erteilen ließen, den evangelischen Kindern evangelischen Unterricht erteilen ließen, auch eine Art anthroposophischen Religionsunterricht zu geben, - und der hat ja wohl die meisten Kinder, ich glaube wenig­stens, nicht wahr, es ist doch so?

Ernst Uehli: Weitaus die meisten.

Rudolf Steiner: Also, weitaus die meisten Kinder. Dagegen sind katholisch unterrichtete Kinder auch relativ viele, und die evangelisch unterrichteten Kinder sind in der Minderzahl. Nun, wir konnten nichts dafür, wir haben durchaus nicht dem evangelischen Religions­lehrer den Rang ablaufen wollen und haben es sogar zunächst noch für unsere Schule bedauerlich gefunden, als einmal der evangelische Religionslehrer sagte, er könne doch nicht recht weiterkommen, weil die Kinder nach und nach in den anthroposophischen Religionsun­terricht hinüberlaufen. Es war doch an ihm gelegen, sie zu halten. Wir konnten ja nichts dafür, daß sie hinüberliefen. Wir haben Anthroposophie nicht als irgendeinen Gegenstand im Lehrplan der Schule, sondern geradeso wie der katholische und der evangelische wird der anthroposophische Religionsunterricht von außen herange­tragen. Wir haben versucht, eine Methodik dafür zu bekommen und so weiter. Das alles ist natürlich im Anfang, denn Dinge, die mit der Realität arbeiten, die können nicht von heute auf morgen entstehen; das ist etwas, was aus dem Praktischen, nur aus reichlicher Erfahrung

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kommen kann, aber es muß damit der Anfang gemacht werden. Es hat sich - und das ist für unsere gestrige Betrachtung wichtig - aus einer unbefangenen Wahrnehmung das Bedürfnis ergeben, zu der religiösen Unterweisung einen Kultus hinzuzufügen, unsere Sonn­tagshandlung nämlich, die zwei Ihrer Kollegen sich angesehen haben am letzten Sonntag. Natürlich ist das auch etwas, was durchaus im Anfange steht. Es sind bis jetzt vorhanden ein Ritual für eine solche Sonntagshandlung - an jedem Sonntag - und ein Ritual für die Kinder, welche das vierzehnte Jahr, die Vollendung der Volksschule erreicht haben und die in diesem Ritual zunächst das erleben, von dem man sich denkt, daß es erlebt werden soll durch die Konfirma­tion oder die Firmung. Sie müssen das aber alles so betrachten, daß es am Anfange steht, aber die Notwendigkeit, überzugehen zu einer Art von Kultus, zu einer Art von Wirken durch das Ritual, die hat sich ganz aus der Sache heraus ergeben. Und Sie werden, wenn Sie Ihre Sache mit wirklicher innerer Teilnahme verfolgen, auch nicht anders können, als sich zu sagen: Der Kultus, das Ritual, die Symbolik müssen dazukommen.

Denn sehen Sie, es ist schon einmal so, daß alles religiöse Leben verschwinden muß, wenn es keine Realität darstellen kann, wenn das religiöse Leben nur etwas sein soll, von dem so gesprochen werden kann, daß alles in Gedanken intellektualistisch ausgedrückt werden kann. Dann kann dieses religiöse Leben so überhaupt nicht gepflegt werden. Es muß durch das religiöse Erleben etwas geschehen kön­nen, es müssen Vorgänge existieren, die gewissermaßen als solche, als Vorgänge, nicht nur [für den Menschen] eine ewige Bedeutung haben, sondern im Weltgeschehen etwas sind.

Und da müssen wir uns eben sagen: Alles dasjenige, was wir intellektualistisch in unsere Seele hereinversetzen, alles dasjenige, was die moderne Wissenschaft als wissenschaftliche Errungenschaft aner­kennt - nicht dasjenige, was wir in unserer Seele als lebendige Begriffe formen, das eignen wir uns allmählich an während unserer Kindeslebenszeit, das verwandelt sich dann im Laufe unserer Lebens­zeit -, aber der intellektualistische Inhalt, auch wenn er sich über die noch so verzweigten Naturgesetze erstreckt, er ist mit uns sterblich.

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Nehmen Sie diesen Satz nicht leicht. Dasjenige, was intellektuali­stischer Seeleninhalt ist, ist im besten Falle nur Bild des Geistigen, es ist sterblich wie der menschliche Leib. Denn gerade das Intellektuali­stische wird restlos durch den Leib vermittelt. Alles Seelenleben, das intellektualistisch vermittelt wird, entsteht nach der Geburt und geht mit dem Tode zugrunde. Dasjenige, was in der Seele ewig ist, ist erst hinter dem Intellektualistischen. Also, kein abstrakter Begriff geht durch die Todespforte mit uns, sondern nur dasjenige, was wir über abstrakte Begriffe hinaus im Leben erlebt haben. Daher ist es auch so, daß aus der jetzigen Bevölkerung heraus viele Seelen nach dem Tode ein langes Schlafleben führen müssen, weil sie nur eingespannt waren in Intellektualität und weil die Intellektualität abdämmert nach dem Tode und der Mensch sich dann erst in langer Zeit einen überintel­lektualistischen Inhalt erobern muß, den er wiederum verarbeiten kann für das nächste Erdenleben. Es ist tatsächlich so, daß vieles von der jetzigen Lebenszeit durch das intellektuelle Leben für die Menschen in ihrer Gesamtentwickelung verlorengeht.

Das wird heute als eine Narretei angesehen bei unseren Zeitgenos­sen, jedenfalls auch von unseren Theologen; es ist aber ein gesichertes geisteswissenschaftliches Resultat. Dadurch, daß unsere gesamte Bil­dung heute nur auf Intellektualismus gebaut ist, dadurch, daß wir so stolz sind auf diesen Intellektualismus, entziehen wir dem Menschen in demselben Maße unsterblichen Inhalt, wie wir ihm diesen sterb­lichen Intellektualismus einimpfen von den verschiedensten Stand-punkten aus. Das müssen Sie durchaus in Ihre Seelen aufnehmen.

Meine lieben Freunde, es ist durchaus richtig, statistisch zu zählen, wieviel von einer Bevölkerung Nichtanalphabeten sind, wieviele lesen und schreiben können in verhältnismäßig früher Kinderzeit. Aber wenn die Erziehung nur gebaut wird auf Intellektualismus, wie es an den heutigen Schulen geschieht, so bedeutet dies das Ertöten des Seelisch-Geistigen und nicht die Erweckung des Seelisch-Geisti­gen. Für die Erde muß es so sein. Aber auf der anderen Seite muß auch für das Gegengewicht gesorgt werden. Daher haben wir in unserer Pädagogik und Didaktik in der Waldorfschule nicht das Intellektualistische in der Anleitung des Lese- und Schreibunterrichtes.

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Das Kind lernt auch hier aus dem Bildlichen, aus dem Künstleri­schen heraus, um eben nicht alles Unsterbliche zu ertöten. Es lernt, indem es aus dem Bildlichen heraus den Buchstaben bekommt, aus dem konkret Bildhaften das Abstrakte, das heute unser Buchstabe ist, um wenigstens dem Kinde das nicht zu nehmen, was noch ein wirk­liches Seelenleben ist. Diese Pädagogik und Didaktik der Waldorf­schule geht immer aus dem anthroposophischen Erfassen des ganzen menschlichen Lebens hervor. Und an dem starken Haß, den man dem entgegenbringt, zeigt sich schon, wie sehr man fühlt, daß hier wiederum an etwas gegangen wird, das in den letzten drei bis vier Jahrhunderten - allerdings zum [Unheil] des Lebens der modernen Menschheit - in der Außenwelt ausgelöscht worden ist. Wir brau­chen uns auch kaum zu wundern, daß das religiöse Leben abge­dämpft worden ist, denn wir haben eine Wissenschaft, die einfach von dem Unsterblichen gar nicht mehr reden kann. Und die weitere Kultur, die heraufgekommen ist, die zeigt das noch viel mehr, daß die Wissenschaft nur ein Flitter geworden ist; ein Flitterschaum vom Denken hat sich in der allgemeinen Menschheitskultur gezeigt.

Wir haben in den neueren Sprachen wohl ein Wort für «unsterb­lich»; das hat der Mensch aber nur aus seinem Egoismus heraus, aus seinem Sich-ewig-haben-Wollen. Wir haben ein Wort für «unsterb­lich», aber wir haben kein Wort für «ungeboren-sein»; ein gangbares Wort für «ungeboren-sein» haben wir nicht. Das müßten wir aber haben, ebenso wie das Wort «unsterblich». Wir sehen nur an das eine Ende des Lebens, wenn wir vom Ewigen in der Seele sprechen. Und mit diesem parallel geht eben die Atomisierung, die Zersplitterung, das Hineinverweben des Intellektuellen in das einzelne Leben, wo es heute sogar aufgesucht wird im Unterbewußten, wie in der James­Schule in Amerika und so weiter. Dem muß gegenübertreten, wenn man es ernst mit der Pflege des Religiösen meint, das Wirken durch das Bild, durch die Handlung, durch das Ritual im besten Sinne des Wortes. Bedenken Sie nur - ich will es an einem Beispiel zeigen -, was eben doch dieses Ritual als solches bedeutet.

Ich will ganz gewiß nicht, wie es Bilderstürmer gegeben hat, die die Bilder ausrotten wollten, und wie es Kultusstürmer gegeben hat, [die

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den Kultus ausrotten wollten,] so will ich nicht etwa das Gegenteil vor Ihnen heute entfalten. Ich möchte aber doch an einem Beispiel zeigen, was der Kultus bedeutet.

Nehmen Sie das Meßopfer. Das Meßopfer kann ja im Grunde genommen nicht als römisch-katholisch betrachtet werden. Das darf es gar nicht, denn das Meßopfer führt zurück auf uralte, vorchristli­che Zeiten. Man kann sagen allerdings, daß das Meßopfer gehüllt war in die Geheimnisse der alten Kulthandlungen in den Mysterien, daß es sehr umgewandelt worden ist im Laufe der Zeit; aber so, wie wir das Meßopfer heute im römischen Katholizismus vor uns haben, so ist es eben doch nur etwas, was zum Teil umgewandelt ist aus den ägyptischen und vorderasiatischen Mysterien.

Und was war es denn da? Was war denn da jene Kulthandlung, die schließlich in das Meßopfer übergegangen ist, dessen Bedeutung im Grunde genommen nur die eingeweihtesten Katholiken noch kennen, wahrend es von der breiten Masse der Katholiken angeschaut wird im Bilde? Was war denn dasjenige, das dem Meßopfer zugrunde liegt?

Das war ein äußeres Bild für das, was man Initiation oder Einwei­hung nennt. Es ist durchaus so. Wenn man das Meßopfer verfolgt und absieht von demjenigen, was - zum Teil voll berechtigt, zum Teil auch durch Mißverständnis - sich an die Grundbestandteile ange­schlossen hat, wenn man nur auf diese Grundbestandteile hinschaut, dann ist das Meßopfer ein äußerer bildhafter Ausdruck für die Initia­tion oder Einweihung.

Die vier Teile sind: Das Evangelien-Vorlesen, das Offertorium, die Wandlung - die Transsubstantiation - und die Kommunion. In diesen vier Grundteilen liegt das Wesen des Meßopfers.

Evangelien-Vorlesen, was bedeutet das? Es bedeutet das Herein-klingen, die Offenbarung des Wortes in die Gemeinde. Dem liegt deutlich das Bewußtsein zugrunde, daß einen wirklichen Inhalt das Wort nur hat, wenn es nicht vom Menschen erkundet wird durch intellektuelle Arbeit, sondern wenn der Mensch das inspirierte Wort, das aus der geistigen Welt hereinklingt, erfährt. Ohne das Bewußt­sein, daß die übersinnliche Welt im Worte sich verkörpert, ohne dieses Bewußtsein wäre das Evangelien-Vorlesen nicht ein wirkliches

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Vorlesen. Wir haben also das göttlich verklärte Verkünden des Lehr­gutes im ersten Teile des Meßopfers vor uns. Dasjenige, was die übersinnliche Welt den in der sinnlichen Welt befindlichen Menschen gibt, das haben wir zunächst in der Evangelien-Vorlesung.

Dasjenige dagegen, was der Mensch von sich aus an die übersinnli­che Welt geben kann, das, was von ihm versucht wird in der Darbrin­gung des Opfers, gewissermaßen als Gegengabe, das reale Gebet, das tritt bildlich vor uns im Offertorium. Däs Offertorium, die Opfe­rung, bringt symbolisch dasjenige zum Ausdruck, was der Mensch in seiner Seele empfinden kann als Weihegefühl zum Übersinnlichen. Das wird durch die symbolische Handlung des Offertoriums gewis­sermaßen als Antwort zur Evangelien-Vorlesung gesagt. Das ist der zweite Teil.

Der dritte Teil, die Transsubstantiation, die Wandlung, besteht darin, daß symbolisch dargestellt wird jenes Bewußtsein, das sich im Menschen entwickelt, wenn in ihm gefühlt wird die göttliche Sub­stanz, wenn er in seiner eigenen Seele erfühlt die göttliche Substanz. Für den Christen ist diese Wandlung nichts anderes als der Ausdruck des paulinischen Wortes: Nicht ich, sondern der Christus in mir. - Er opfert sich nicht nur, er wird sich bewußt, daß das Übersinnliche in ihm selber lebt. Das ist dasjenige, was im Bilde der Transsubstantia­tion einem entgegentritt. Und es bleibt immer eine schöne, eine bedeutsame Begleiterscheinung der Transsubstantiation, daß, wäh­rend das Sanktissimum erhoben wird, über den Kelch hinaufgehoben wird, die Gläubigen eigentlich ihre Augen zu schließen haben, also in sich zu kehren haben das Bewußtsein, so daß sie miterleben die Transsubstantiation nicht durch äußerliches Anschauen, sondern im innersten Bewußtsein. Es ist ja auch bedeutsam, daß das Sanktissi­mum eigentlich besteht aus dem Brot und dem Brothalter, der mond­förmige Gestalt hat, so daß in der Tat im Sakraments-Symbolum, das ja das Sanktissimum umhüllt (siehe Zeichnung S.100), Sonne und Tafel Mond im Bilde vorhanden sind, was ja deutlich darauf hinweist, daß in den Zeiten, in denen das Meßopfer ausgestaltet worden ist in seiner Urform, ein Bewußtsein vorhanden war von dem Zusammenhange des Christus mit der Sonne und des Jahve mit dem Monde. Dasjenige,

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#Bild s. 100

was die Welt empfangen hat in dem Christentum und was sich auferbaut hat auf der Mondreligion des Jahve, das drückt sich in diesem Aufsitzen der Hostie auf der Mondform durchaus aus, und es ist wirklich ein Symbolum für das Zusammenfließen des Sterblichen im Menschen mit dem Unsterblichen.

Und der vierte Teil des Meßopfers ist dann die Kommunion, die ja nichts anderes als dieses ausdrücken soll: Nachdem der Mensch mit diesem Übersinnlichen zusammengewachsen ist, läßt er seine ganze irdische Wesenheit sich hineinergießen in die Vereinigung mit dem Übersinnlichen. Dieser vierte Teil stellt bildhaft dar, was der zu Initiierende, der Einzuweihende, auch in den älteren und neueren Mysterien zu erleben hatte.

Das erste Hauptstück besteht darin, daß man lernt, dasjenige, was man empfängt als Welterkenntnis und Weltempfindung in abstracto, umzuwandeln, so daß man mit innerer Ehrlichkeit sagen kann: Im Urbeginne war das Wort, und aus dem Wort ist alles Entstandene geworden. - Ich bitte Sie, meine lieben Freunde, doch einmal zu betrachten, wie sehr die moderne Christenheit abgekommen ist von dem Verständnis gerade des Johannes-Evangeliums. Bedenken Sie, daß heute allgemein eigentlich nur das Bewußtsein vorhanden ist, man hat in dem Vatergott den Schöpfer der Welt. Der Vatergott, den man noch dazu mit dem Jahve gott - der der jüdische Volks gott ist -verwechselt, wird als der Schöpfergott angesehen, während doch im Evangelium steht: Im Urbeginne war das Wort, und alles ist durch dasselbe geworden, und außer durch dieses Wort ist nichts von dem Entstandenen geworden. - Dasjenige, was wir als Entstandenes in uns haben, ist das Schöpferische, das Wort in ganz rechtgläubigem

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Sinn, und von dem Vatergott müßte man eigentlich die Vorstellung haben, er subsistiert allem, und in dem Gottessohn hat er der Welt dasjenige gegeben, was das Schöpferische der Welt bedeutet.

Ich will das nur deshalb sagen, weil das Verständnis des Einzuwei­henden aufzurücken hat dazu, daß dasjenige Wort, das verkündet wird, durchaus aus dem Übersinnlichen ertönt, während unser heuti­ges gangbares Wort aus dem Intellektuellen, aus dem Vergänglichen heraus tönt. Das ist der erste Akt der Initiation, daß man den Inhalt der Seele sich zum Wort gestaltet als eine übersinnliche Offenbarung, als ein wirkliches Ereignis, ein Ereignis, das hervorgeht aus dem Angelion-All, aus der Summe der geistigen Welt. Was sich heraus-hebt aus der geistigen Welt, in uns die Form des Wortes annimmt, das ist der erste Akt des Meßopfers. In dem bewußten Durchspre­chen selber sollte man sich dessen bewußt werden, daß das eine Verkündigung des Übersinnlichen ist, und daß das nicht eine Ver­kündigung von der Sinneswelt darstellt.

Das zweite ist, daß der Mensch in ein reales Verhältnis zu dem Übersinnlichen tritt durch das Opfer. Finden wir die Möglichkeit, das Opfer anzudeuten, also gewissermaßen die Gegengabe gegenüber dem Göttlichen anzudeuten, dann haben wir eigentlich erst das in der Vielseitigkeit vor uns, was doch da sein muß. Sehen Sie, der Katholi­zismus der neueren Zeit hat ja dieses sich verdunkeln lassen. Der Katholizismus der neueren Zeit möchte eigentlich alles von der Gott­heit haben und nichts der Gottheit wiedergeben.

Nun, wir wollten in unserem Ritual [der Sonntagshandlung in der Waldorfschule] nicht gar zu sehr gegen das Vorurteil der heutigen Zeit verstoßen. Aber wir waren doch genötigt, einfach in der Frage desjenigen, der die Opferhandlung vollbringt, an das Kind, ob es streben will nach dem Gottesgeist, und in der Antwort: «Ja, ich will ihn suchen, ich werde suchen nach dem Gottesgeist», wenigstens im Worte eine Andeutung zu geben von dem realen Verhältnis. Es soll etwas vorgehen, es soll etwas geschehen dadurch, daß jedes Kind gefragt wird, ob es den Gottesgeist suchen will. Wir mußten wenig­stens die Andeutung des Abendmahles [in unserer Sonntagshandlung haben], und das andere muß sich eben später ergeben.

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Nun, sehen Sie, in dem dritten Akte wird dann bewußt, daß das Übersinnliche nicht bloß präsent ist, sondern daß die menschliche Seele sich mit ihm verbinden kann. Und in dem vierten Akt des Meßopfers, in der Kommunion, wird dann der vierte Akt der Initia­tion dargestellt, der darin besteht, daß der Mensch sich ganz durch­dringt mit dem Übersinnlichen, so daß er sich selber nur mehr fühlt als ein äußeres Zeichen, ein äußeres Weltsymbolum, daß er das Wort wahr macht: Der Mensch ist das Ebenbild der Gottheit.

Es ist ja so sehr das Bewußtsein abhanden gekommen von diesen Zusammenhängen, daß man heute eben nur mit gewissen Schwierig­keiten auf sie hinweisen kann. Man kann also sagen, man hat in dem Meß opfer - das natürlich nicht einfach vom Katholizismus übernom­men werden kann, sondern im Sinn unserer heutigen Zeit ausgestaltet werden muß - dasjenige vor sich, was so und so oft dem Menschen im Bilde vorstellt den zutiefst bedeutsamen geistigen Weg des Men­schen. Und so sollte es auch schon sein, daß wir begleiten mit solchen ritualhaften Handlungen wichtige Lebenspunkte, wie zum Beispiel den Hinausgang aus der Schule in das Leben, daß wir aber auch bei den Erwachsenen durch den Kultus, das heißt durch das Bild wirken, denn das Bild wirkt eben nicht nur auf das Intellektuelle, das Bild wirkt auf den ganzen Menschen. Soll ich irgend etwas Intellektuelles begreifen, dann begreife ich es ganz in mir allein. Stehe ich einem Bilde gegenüber, so geht das in viel tiefere Schichten meines Men­schenwesens hinein als das Intellektuelle. Und wenn dasjenige, was durch das Ritual geschieht, in die Mitglieder einer Gemeinde hinein-geht, so erleben sie ein Übersinnliches gemeinsam, und dasjenige, was atomisiert wird durch das Lehrgut, wird ja synthetisiert in der Kultushandlung. Was im Lehrgut, wenn man es abstrakt ausspricht, nachgebildet ist aus intellektualistischen Ideenformen, was da zur Zersplitterung, zur Analyse im einzelnen Menschen führt, das wird wieder vereinigt, wird synthetisiert, wenn man versucht im Bilde zu sprechen.

Sehen Sie, in der neueren Zeit hat eigentlich nur eine Gemeinschaft gelernt im Bilde zu sprechen, doch das ist eine Gemeinschaft, die dieses Symbolische, das imaginativ beseelte Sprechen mißbraucht,

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nämlich das Jesuitentum. Und sehen Sie, ich muß immer wieder und wiederum hinweisen darauf, wie in den Jesuitenbildungsanstalten, aber eben zum Unheil der Menschheit, ganz methodisch gelehrt wird, das auch immer im Bilde zusammenzufassen, wenn man irgend etwas [den Menschen] beigebracht hat.

Ich will Ihnen ein recht anschauliches Beispiel geben, weil ich selbst einmal die ungeheure Bedeutung, theoretisch möchte ich sagen, erlebt habe, da ich mir ansehen wollte, wie die Sache wirkt. Es handelte sich um einen berühmten jesuitischen Kanzelredner - es ist jetzt schon zehn Jahre her -, er predigte über die Einsetzung der österlichen Beichte. Er wollte ad absurdum führen dasjenige, was die Gegner des Katholizismus sagen: die österliche Beichte, die Forde­rung nach der österlichen Beichte wäre eine päpstliche und nicht eine ubersinnliche Institution. Das also wollte er vor seinen Gläubigen ad absurdum führen. Ich habe mir das auch angesehen. Wenn Klin­ckowström, so hieß der Jesuitenprediger, in der abstrakten Form, in der man sonst predigt, das seiner damaligen Zuhörerschar hätte beibringen wollen in dieser Weise, wie man gewöhnlich auf evangeli­schem Gebiet zu predigen gewöhnt ist, hätte er gar nichts erreicht; er hätte nicht das geringste erreicht. Er hat es auf folgende Weise gemacht, indem er zusammenfassend sagte: «Ja, meine lieben Chri­sten, seht ihr, wenn man sagt, der Papst hat die österliche Beichte eingesetzt, so ist das wirklich so, wie wenn man folgendes sagen würde: Denkt euch eine Kanone, und an der Kanone steht der Kanonier; der Kanonier hält die Zündschnur in der Hand, und dann steht der Offizier etwas weiter davon. Was geschieht? Der Kanonier hält die Zündschnur, der Offizier gibt das Kommando; und in dem Augenblick, wo der Offizier das Kommando gibt, wo das Komman­dowort ertönt, da zieht der Kanonier an der Zündschnur, die Kanone geht los, und durch das Pulver, das in der Kanone ist, wird alles hervorgebracht, was durch den Kanonenschuß geschieht.» - Wie eine einzige Seele war diese ganze Gemeinde, als dieses Bild anschaulich vor sie hingestellt wurde. - «Nun», fuhr er fort, «denkt euch, es käme jemand und würde etwa sagen, der Kanonier habe alles gemacht, durch ihn sei eigentlich alles geschehen. Aber er hat doch nur auf den

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Befehl des Offiziers an der Zündschnur gezogen, und der Offizier hätte ohne das Pulver auch nicht den Schuß befehlen können. Dieje­nigen, die sagen, der Papst habe die österliche Beichte eingesetzt, die gehen noch viel weiter, denn das wäre dasselbe, als wenn jemand behaupten würde, der Kanonier, wenn er nur auf den Befehl des Offiziers an der Zündschnur zieht, habe das Pulver erfunden! Ebenso grundfalsch ist es, wenn die Leute sagen, der Papst hätte die österli­che Beichte eingesetzt. Er war nur dabei, er hat als Vertreter der übersinnlichen Welt an der Zündschnur gezogen.»

Alles war selbstverständlich durchdrungen von der Wahrheit des­jenigen, was der Pater Klinckowström da verkündet hat. Es ist nicht so, daß das durch eine besonders glückliche Veranlagung dieses Paters so war. Sie können sich überzeugen, daß es durchaus zum methodischen Unterricht der Jesuiten gehört, alles auszugestalten in solche Bilder. Es gibt heute sogar schon ein Literaturwerk - warum es erschienen ist? Ich habe es nicht geprüft; die katholische Kirche wird auch da irgendeine Absicht haben, denn sie hat ja immer Absichten -, worin bis in die Einzelheiten hinein beschrieben wird, wie man den Zeigefinger zu bewegen hat, wenn man dieses oder jenes Wort spricht, wie man die Hand zu bewegen hat, wenn man dieses oder jenes sagt. Darüber gibt es sogar Zeichnungen, es ist da eine bis ins kleinste Detail hineingehende methodische Arbeit vorhanden, eine Arbeit, die hineinarbeitet in das Bild. Und man muß eben sagen: Warum wird nicht der Versuch gemacht, dasjenige, was zum Unheil der Menschen ausgebildet wird auf der einen Seite, auch zum Heile der Menschen auszubilden? Denn es kann auch zum Heil ausgebildet werden, es kann und muß auch zum Heil ausgebildet werden, es muß aus den ernsten seelischen Absichten heraus die Kraft kommen, das Abstrakte umzuformen in das Bildhafte, und dieses Bildhafte muß erlebt werden mit der Gemeinde. Dadurch wird eine Gemeinde seelisch herangehoben, dadurch wird erst der Gemeindesinn wirklich begründet, und der Kultus ist dasjenige, was Ihnen die Gemeinde zusammenhalten wird; ohne den Kultus können Sie die Gemeinde nur atomisieren. Wenn man dies aus theoretischen Gründen bekämpft, dann geht man von Vorurteilen aus.

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Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß ein Freund unse­rer Sache, ein altkatholischer Pfarrer - als solcher liest er ja die Messe in deutscher Sprache, in der Landessprache überhaupt, bringt auch andere Ritualien in der Landessprache vor -, die Ritualien nicht in der sonderbaren Übersetzung bringen wollte, in der man sie heute vielfach liest. Er hat mich dazu veranlaßt, einiges aus den gangbaren katholischen Ritualien in die Form zu bringen, die eigentlich ursprünglich darin lag. Dadurch sieht man erst, wie die geistige Welt in diesen Dingen vielfach auflebt, und man sieht, was entstellt wor­den ist seit der Hieronymuszeit.

Sie brauchen nun nicht zu glauben, daß ich, wie vielfach gesagt worden ist, irgendwie katholisch angekränkelt wäre, wenn ich so über den Kultus der katholischen Kirche rede. Ich will die Dinge nur aus dem Objektiven heraus sehen und Sie aufmerksam darauf machen, daß es ganz unmöglich ist, ohne den Übergang zu finden zum Kultus, zum Sprechen im Symbolum, wirklich das religiöse Leben zu pflegen. Sie mögen noch so gut zu überzeugen verstehen, zu wirken durch intellektuelle Darstellung - auf religiösem Gebiet erreichen Sie nur etwas, wenn Sie an geeigneten Orten das in Ihrer Rede theoretisch Dargestellte in das Symbolum ausklingen lassen können. Das Symbolum müssen Sie selber als eine Wahrheit erleben, daher sollen Sie auch nur denken an solche symbolische Darstellun­gen, die wirklich zusammenhängen mit demjenigen, was real ist in der Welt.

Aber dem stehen noch mancherlei Schwierigkeiten gegenüber, und ich will Sie durchaus darauf aufmerksam machen. Nehmen Sie zum Beispiel folgenden Fall an: Es soll sich heute jemand vorstellen das Physischwerden des Menschen auf der Erde. Ja, wenn Sie sich heute an die Naturwissenschaft wenden mit all den Dingen, die sie Ihnen gibt über weibliche Eizelle, männliche Befruchtungszelle, die sie Ihnen gibt über das Herauswachsen, das Hereinwachsen der befruch­teten Eizelle und so weiter, so bekommen Sie trotz der naturwissen­schaftlichen Errungenschaften, trotzdem man bewundern muß, was aus rein naturwissenschaftlicher Denkweise über solche Sachen errungen worden ist, nicht etwa Vorstellungen, die Sie auf den Weg

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bringen, die Wesenheit zu erfassen, sondern Sie bekommen solche Vorstellungen, die Ihnen direkt die Wahrheit stückweise zudecken. Sehen Sie, der hauptsächlichste Bestandteil des Menschlichen, des Tierischen, des Organischen überhaupt, ist das Eiweiß. Vergleichen Sie die Konstitution des Eiweißes mit der Konstitution irgendeiner mineralischen Substanz in der Welt. Sie ist so verschieden, daß heute natürlich der Forscher sagt - und das sagt er mit Recht -, die Konstitution des Eiweißes ist eine außerordentlich komplizierte, man kommt dem nicht bei, und man kann keine Brücke finden zwischen irgendeiner kristallisierten, unorganisch konstituierten Materie und dem, was im Eiweiß als Konstitution vorhanden ist. Aber, sehen Sie, das weiß die heutige Wissenschaft nicht, daß, wenn wir irgendeine -ich will es symbolisch zeichnen - unorganische Form haben, die wir gewissermaßen dergestalt einfach verfolgen können (a), und wir vergleichen

#Bild s. 106

sie mit der Eiweißkonstitution (b), so haben wir zunächst scheinbar etwas ungeheuer Kompliziertes; in allen Stoffen unserer Nahrungsmittel, überall im Organischen fügt sich diese scheinbar komplizierte Konstitution ein. Man sagt dann: Das Unorganische wird im Organischen komplizierter konstituiert und dann erst baut sich aus diesem kompliziert Konstituierten zum Beispiel auch der menschliche Leib auf; das geschieht durch Zellteilung, durch eine bestimmte Konfiguration des Gewebes und so weiter. Aber das Ganze ist ja, nicht wahr, weiter nichts als ein Unsinn. Denn das, was wirklich geschieht, ist die völlige Vernichtung aller unorganischen Formen. Die Kompliziertheit des Eiweißes besteht darin, daß alles

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Unorganische ins Chaos kommt. Das Eiweiß ist immer auf dem Weg ins Chaotische, um die dem Unorganischen entsprechende Form aufzulösen und die Materie ins Chaos überzuführen; und am stärk­sten ins Chaos übergeführt ist diejenige Materie, die in der befruch­teten Eizelle vorliegt. Das ist einfach ins Chaotische getriebene Ma­terie. Mit diesem Chaos kann überhaupt die gesamte irdische Natur-gesetzlichkeit nichts mehr anfangen, die ist ausgeschaltet. Eiweiß geworden sein auf irgendeiner Stufe bedeutet: ausgeschaltet sein von der irdischen Naturgesetzlichkeit. Und was ist die Folge? Daß die außerirdische Naturgesetzlichkeit, die Konstellation der Planeten, die ganze außerirdische Welt anfängt, auf dieses Chaos zu wirken, um diesem Chaos nun eine Konstitution erst wiederum zu geben. Dadurch, daß in der Überführung in Eiweiß die Materie ins Chaos kommt, wird die Materie wiederum bereit zu empfangen; nicht nur vom Irdischen zu empfangen, sondern aus dem ganzen Weltall, vom Kosmischen herein ihre Konstitution zu empfangen. Und darin besteht die Nachbildung des menschlichen Hauptes, das ja das Himmelsgewölbe nachbildet.

Eine richtige Naturwissenschaft wird man natürlich erst bekom­men, wenn man aus diesen irdischen Dingen hinausgeht. Die ganze Naturwissenschaft hat sich daran gewöhnt, alles rein aus dem Unor­ganischen herzuleiten. Man hat ja in der Naturwissenschaft heute etwas vor sich, was alles ins Absterben führt, weil die Naturwissen­schaft nur das für den Intellekt als berechtigt gelten läßt, was man in abstracto durchforschen kann. In dem Augenblick, wo Sie zu denken haben den Übergang, wo dasjenige, was nur in intellektueller Form erforscht werden kann, ins Chaos übergeht, da müssen Sie aufhören zu denken, da müssen Sie anfangen zu schauen und müssen überge­hen zu einer andersartigen Erkenntnis. Und da liegt die Schwierig­keit. Denn sehen Sie, der Intellektualismus macht uns nicht nur zu Leuten, die das Bildliche ablehnen, er verhindert uns sogar, aus dem Intellekt herauszukommen und selber Bilder zu formen. Man kriegt es nicht mehr fertig, wenn man einmal ganz intellektualistisch abstrakt geworden ist; man kriegt es einfach nicht fertig!

Es ist so, daß diese intellektualistische Kultur der neueren Zeit

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über die Menschen so große Macht hat, daß sie alle einem erscheinen wie irgend jemand, der als kleines Mädchen oder auch als kleiner Knabe in der Waldorfschule sticken lernen will und es nur dahin bringt, die verschiedenartigen Fäden von oben nach unten und von unten nach oben laufen zu lassen; er kann sticken, aber er bringt nicht wirkliche Bilder zustande. Das kann er nicht. Die ganze See­lentätigkeit unserer modernen Kultur, in welche man sich einge­spannt hat, drückt so, daß keiner den Geist hat, beweglich genug zu sein, um einzusehen, daß im Eiweiß einfach alles ausgelöscht ist von diesen naturwissenschaftlichen Ergebnissen und dadurch die Materie geöffnet wird der Empfängnis von seiten des Kosmos. Das ist dasje­nige, was dann auf die Notwendigkeit hinweist, gerade durch Anthroposophie auch die Religionserneuerung zu suchen. Deshalb betonte ich gestern: Selbstverständlich ist es so, daß wir heranziehen müssen auch diejenigen aus dem heutigen Predigerstand, die mit ehrlichem Herzen als sogenannte Protestanten herankommen, und die daher ablehnen dasjenige, was ich gerade heute besprochen habe. Aber der wirksame Kern, auf den sich alles aufbauen soll, das müssen eigentlich doch Anthroposophen sein. Denn Anthroposophie will eben dasjenige, was man überall vergebens sucht: sie will in ein wirkliches Erfassen der Realitäten hineinführen. Ohne daß wir das durchgemacht haben, dieses Herauskommen aus dem naturwissen­schaftlichen Ergreifen der Welt, das heute schon die Theologen ergriffen hat, kommen wir nicht zu der Fähigkeit, symbolische Bilder zu finden, so daß man sich auch wirklich in solchen Bildern ausspre­chen kann vor der gläubigen Gemeinde. Und kommt man an dieses anthroposophische Erfassen der Welt heran - Sie können es überall in meinen Zyklen verfolgen -, an bestimmten Stellen muß man es einfach auslaufen lassen ins Bild. Und wenn Sie meine «Geheimwis­senschaft» lesen, in der ich ja die Vorstufen der Erde als Sonne und Mond bezeichnet habe, so habe ich damit nur in Bildern gesprochen. Wenn ich sage, es sieht etwas so aus, wie wenn einem eine Geschmacksempfindung entgegenkommt, dann kann es ein ganzes Dutzend von Naturwissenschaftern wie Dessoir, Oesterreich und so weiter nicht verstehen, nichts damit anfangen.

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In der praktischen Ausübung des Predigeramtes, da ist Anthropo­sophie das, was das Inspirierende bedeuten soll, damit man über­haupt erst in die Handhabung des Symbolischen, des Rituellen und des Kultusmäßigen hineinkommt und dadurch tatsächlich die Mög­lichkeit der Gemeindebildung hat. Sonst wird man nur die Möglich­keit haben, zu einzelnen Menschen zu reden. Gemeindebildung wird durch das Abstrakte im Leben eben niemals erreicht werden können.

Soweit möchte ich die Sache jetzt darstellen und werde sie morgen dann weiter darstellen und übergehen zum eigentlichen Predigt-inhalt. Wir werden morgen um 11 Uhr wieder da sein, und ich schlage vor, daß wir unsere heutige Diskussion auch über die anderen Gebiete heute um 7 Uhr [abends] fortsetzen.

Jetzt möchte ich nur noch sagen: Ich habe also gestern den Herren vom «Kommenden Tag» den Vorschlag gemacht, daß durch den «Kommenden Tag» eine Art von Brücke geschaffen werden sollte zu dem, was in dem Kreise von Ihnen hier sich vollziehen will. Nicht wahr, ich habe als das Wichtigste hingestellt, daß diese Sache gewis­sermaßen finanziert wird. Wie wir uns auch diese unsere Sache denken, finanziert werden muß sie ja. Es muß gleich zu freier Gemeindebildung führen, wenn dies auch vorzugsweise aus der gegenwärtigen Kirche gewonnen werden muß. Ich muß schon sagen:

Ich glaube, wenn wirklich sachgemäß gearbeitet wird, daß es möglich sein könnte, in drei Monaten schon so weit zu sein, daß sich dann auch die Finanzierarbeit selber trägt. Also, ich meine, daß dann mindestens so viel da sein wird, daß die Finanzierarbeit sich tragen kann, und daß eine Stelle voll besetzt werden kann mit jemandem, der diese Arbeit beginnt. «Der Kommende Tag» wird sich bereit erklären, für diese drei Monate zu sorgen; und ich glaube ja, Sie sind ubereingekommen, Herrn Dr. Heisler zu ersuchen, diese Finanzier­arbeit zu übernehmen. Zunächst wird ja vielleicht die Sache auf realem Boden stehen, wenn sie Herr Heisler übernimmt. Ich bin durchaus der Meinung, daß wenn man mit einer solchen Sache soweit ist, daß man angefangen hat, soweit eben wie wir jetzt sind, so kann man es sich nicht gestatten, lange zuzuwarten, denn die Verhältnisse drängen, und man bemerkt oftmals nicht, wie stark heute die niederziehenden

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Kräfte sind, und wie leicht es der Fall sein kann, daß man ganz einfach den Anschluß versäumt, wenn man zu lange zuwartet.

Wir würden heute mit der Dreigliederung viel weiter sein, wenn man damals im Frühling 1919 die Sache richtig erfaßt hätte. Es wurde dazumal auf Grundlage meines Kultur-Aufrufes ein Kulturrat begründet. Man hatte sich mit Recht vorgestellt, daß auch Leute in Amt und Würden die Sache zu der ihrigen machen wurden. Man hat sogar Rücksicht genommen auf die Leute in Amt und Würden, man hat die Sache so abgefaßt, daß sie nicht gar zu starke Gänsehaut bekommen haben, weil man real wirken wollte, aber die Leute waren natürlich nicht bei der Stange zu halten. Es ist schon so, daß sie nicht bei der Stange zu halten waren und daß alles nichts nützte. Sie werden darum doch in die Notwendigkeit versetzt werden, sich an die Jugend halten zu müssen, an die jüngeren Leute, die empfunden haben, daß die Alten eben alt geworden sind und nicht mehr können. Man muß versuchen, keine Zeit zu verlieren. Deshalb möchte ich Ihnen auch dieses sagen, daß wir versuchen sollten, die Brücke hin­über zu schlagen, denn ich glaube, es ist ein berechtigtes Gefühl, daß für dieses gerade die Finanzierung, wenn sie richtig betrieben wird, nicht allzuschwer werden kann. Man wird Leute finden, die gerade für dieses Verständnis haben, und ich glaube, die Beredsamkeit des Herrn Dr. Heisler wird schon offene Türen finden, wenn er sich gerade jetzt in den nächsten Monaten darauf beschränkt, die indivi­duellen Menschen zu bereden, daß sie die Börse aufmachen oder die Scheine schreiben. Natürlich, mit Vorträgen kann man die Leute nicht gewinnen. Da rücken die Leute nichts heraus. Man muß zu den einzelnen gehen. Er wird seine Aufgabe darin sehen müssen, die gesamte Zeit dazu zu verwenden, um zu den einzelnen zu gehen. Das einzig Unangenehme ist, daß man mit Worten - doch bloß mit Worten, andere Fälle sind noch nicht passiert - hinauskomplimen­tiert wird. Das geht schon nicht anders, das muß man schon hinneh­men, und die Mehrzahl der Fälle ist es doch nicht, daß man mit Worten hinauskomplimentiert wird. Ich habe zum Beispiel bei der Sammlung der Schweizer «Futurum AG.» von allen Herren gehört, die mit der Sammlung beauftragt waren, daß ein einziges Mal ein

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Hinauswerfen mit Worten stattgefunden hat, sonst beschränkten sich die Leute darauf, außerordentlich freundlich und liebenswürdig zu sein und die Sache außerordentlich interessant zu finden, aber eben die Börse nicht aufzumachen. Manche schreiben dann hinterher einen Brief; den braucht man natürlich nicht zu beantworten. Man muß natürlich wissen, daß man nur in einem geringen Prozentsatz etwas erreicht, aber man muß es eben versuchen. Es ist schön nicht anders, als daß man nur auf Selektionen hinarbeiten muß, daß man viel versuchen muß, um in wenigen Fällen Erfolg zu haben.

Wäre vielleicht noch etwas anderes zu besprechen, oder dieses weiter zu verfolgen? - Vielleicht haben noch einige darüber etwas zu sagen. Wir wollen dann heute abend die Diskussion auf alle drei Hauptstücke ausdehnen, die Sie gestern genannt haben.

Gortfried Husemann: Ich glaube, wir möchten darüber sprechen, wie weit wir uns jetzt vorzubereiten haben auf einen Predigerberuf, auf das Sprechen in bildhafter Weise. Von der Universität können wir diese Vorbereitung nicht erwarten.

Rudolf Steiner: Sind Sie da eben der Meinung, daß nach dieser Richtung etwas getan werden kann? Positives, nicht wahr? In diesen Stunden kann ich nur die Richtlinien angeben; es kann natürlich nicht auf Einzelnes eingegangen werden. Auf Details einzugehen, das erfordert doch mindestens einen vierzehntägigen Kurs. Also man könnte natürlich nach dieser Richtung durchaus daran denken, daß, wenn unser Kreis in den nächsten paar Monaten noch größer gewor­den ist, wir dann einen solchen Kurs veranstalten wollen, der dann in vierzehn Tagen in der Form das gibt, was man an den Lehranstalten zwar unter dem Titel «Symbolik» hat, was aber eigentlich nichts ist. Nur in der katholischen Kirchenfakultät bedeutet Symbolik noch etwas. Sie sehen vielleicht ihr inneres Gefüge noch nicht ganz richtig.

Sehen Sie, dieses innere Gefüge können Sie an den Tatsachen am besten sehen. Ich habe es erlebt, daß eine große Anzahl von katholi­schen Priestern, die eine Stelle als Gymnasiallehrer innehatten - was in Österreich in der damaligen Zeit noch ganz häufig war -, oder die als Universitätslehrer nicht bloß an der theologischen Fakultät, sondern

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auch an der philosophischen und anderen Fakultäten gelesen hatten, daß solche katholischen Priester - es waren zum großen Teil Ordensgeistliche, die man später Modernisten genannt hat - gerüffelt worden sind von Rom. Nun sprach ich einmal mit einem Mann, der in der Exegese ungeheuer bedeutsam war, wie er dazu käme, von Rom aus gerüffelt zu werden wegen des Inhaltes seiner Rede, die eigentlich im Grunde genommen einen Rüffel gar nicht herausfor­derte, während - wenn man von dem Gesichtspunkt ausgeht, von dem aus der Rüffel erteilt wurde - man sagen mußte, daß der Profes­sor Bickell, der den Jesuiten angehörte, ungeheuer viel weiterging als gerade ein extremer Liberalist, in Rom aber persona grata war. Ich sagte ihm das, und er antwortete mir: Ich bin Zisterzienser, und von den Zisterziensern erwartet man [in Rom], daß sie in dem Augen­blick, wo sie nicht mehr das sagen, was der von Rom festgelegte Inhalt ist, dann ihrer Überzeugung folgen und allmählich vom Katholizismus abkommen könnten. - Das setzt man bei Zisterzien­sern voraus. Bei den Jesuiten wie bei dem Professor Bickell weiß man, daß sie, wenn sie noch so liberal sprechen, treue Söhne Roms sind; sie lassen nicht [von Rom] ab; deren ist man ganz gewiß, denen gestattet man Liberalismus, sie dürfen ihre Unterlage auf ganz andere Dinge setzen als auf das Lehrgut.

Diesen Mangel [an Beweglichkeit] hat die katholische Kirche nicht, daher ist sie viel lebensfähiger in ihrer Auffassung. Ich kam zum Beispiel einmal - es ist jetzt ungefähr 40 Jahre her - mit einem katholischen Theologen ins Gespräch, der Professor war an der Wiener theologischen Fakultät und der so gelehrt war, daß man von ihm sagte, er kenne die ganze Welt und noch drei Dörfer dazu. Er war ein grundgelehrter Zisterzienser. Selbst ein Zisterzienser war fähig, in der folgenden Weise über das Lehrgut zu sprechen. Wir kamen im Laufe des Gesprächs darauf, über [das Dogma] der con­ceptio immaculata zu sprechen und ich sagte zu ihm: Ja, sehen Sie, man kann, wenn man innerhalb der katholischen Logik stehenbleibt, die unbefleckte Empfängnis, die conceptio immaculata Mariae zuge­ben. - Das ist nicht das Dogma der conceptio immaculata des Jesus, das ja immer da war in der Kirche. Aber die unbefleckte Empfängnis,

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wie sie von seiten der Katholiken von der heiligen Anna behauptet wird, also das Hinaufsteigen von der conceptio immaculata der Maria zur unbefleckten Empfängnis der heiligen Anna - ? Wenn man da dieselbe Logik benützt, muß man weitergehen über alle folgenden Generationen hinauf. - Ja, sagte er, das gibt es nicht, das können wir nicht, die Logik fordert das nicht. Wir müssen stehenbleiben bei der heiligen Anna; wenn wir da weitergingen, da kämen wir bis zum «Davidl», und beim Davidl ginge es uns schlecht mit der conceptio immaculata. -

Aus solchen Worten spricht gar nicht reiner Wahrheitssinn. Wenn der Mann außerhalb der Kirche spricht, da spricht eine ganz andere Formulierung des Wahrheitsimpulses, und das ist [in der katholi­schen Kirche] überall vorhanden. Es werden die Begriffe so geformt, daß sie sich einleben können in die breite Masse - nicht nach irgend­einer Logik werden sie geformt -, das macht den Katholizismus so groß. Das kann auf keinen Fall irgendwie gutgeheißen werden, aber man muß es kennen. Man muß wissen, mit wem man es zu tun hat.

Es ist zum Beispiel so, daß das reale Drinnenstehen in der Welt -so daß man mit dem Denken, insofern es nicht nur intellektualistisch ist, sondern insofern es reines Denken ist, in der Welt drinnensteht -manchmal bei katholischen Priestern in einer gewissen Weise vorhan­den ist. Ich habe gerade durch mein Lebensschicksal viele katholische Priester kennengelernt. Unter diesen war auch der Kirchenhistoriker an der Wiener Universität. Der Mann war ein außerordentlich inter­essanter Mensch, aber ganz urkatholisch, bis zum äußersten Grad so katholisch, daß er selbst zugab, er gehe nicht mehr auf die Straße, wenn es abends finster geworden ist und die Laternen noch nicht voll brennen. Als ich ihn fragte, warum er nicht mehr auf die Straße gehe, sagte er: Da sieht man die Menschen nur in unbestimmten Umrissen, und in Wien begegnen einem auch Freimaurer, und einen Freimau­rer, den darf man nur in scharfen Umrissen sehen, weil man an ihm nur vorbeigehen kann, wenn man sich scharf von ihm unterscheiden kann. - Sie sehen, man kann absolut gelehrt sein und in der ganzen Theologie drinnenstecken und kann dennoch die Meinung haben, daß es in der realen Welt etwas bedeutet, wenn man an einem

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Freimaurer vorbeigeht, ohne ihn abzuweisen durch die scharfe Kon­tur. Die Auren gehen ineinander über, und es geht nicht, daß man da solch ein Mischmasch von katholischem Priester und Freimaurer bewirken läßt.

Ernst Uehli: Die katholische Kirche hat doch sehr stark mit Legenden gearbeitet; und ich denke, es ist so, daß die katholische Bewegung sehr durch die Legende gestützt worden ist. Es läßt sich wohl denken, daß es in einer künftigen Kirchen­gemeinschaft zu einer neuen Legendenbildung kommen könnte.

Rudolf Steiner: So ist es. Und wenn Sie besonders einzelne meiner Vorträge, die ich in Dornach gehalten habe, lesen, so werden Sie sogar den Versuch finden, gewisse Dinge, die jetzt ausgesprochen werden können, in Legendenform auszusprechen. Ich habe ganze Vorträge in Legendenform gehalten; und ich mache Sie auf eines aufmerksam. Ich versuchte einmal das Wesen der Künste zu charak­terisieren. Man kommt mit Begriffen nicht hinein in das Wesen der Künste, es bleibt alles äußerlich, was man abstrakt aufbaut. Da muß man, wenn man solches darstellen will, zum Bilde greifen. Das Büch­lein «Das Wesen der Künste» ist ganz bildlich dargestellt. Da wird man gleich wieder mißverstanden. Als ich diese Sache ganz aus der Imagination heraus hingesprochen hatte, trat ein ganz alter Theosoph vor mich hin, der nichts anderes zu sagen wußte als: Ja, da haben Sie ja die neun Musen umgewandelt. - Nicht wahr, es lag mir so fern wie nur irgend etwas, an die neun Musen zu denken, es hat sich alles aus der Notwendigkeit der Sache ergeben. Es lag mir fern, alte Geschich­ten aufzuwärmen, aber man konnte sich nichts anderes vorstellen, als daß das ein abstraktes Vorgehen war.

So muß man sagen, die Notwendigkeit, zum Bilde zu greifen, ist durchaus wieder gegeben. Wir haben zum Beispiel noch nicht ein Bild für eine sehr wichtige Sache. Bedenken Sie die Fülle der Stier-Legenden, Stier-Erzählungen im Beginne des 3. Jahrtausends bei dem Übergange des Frühlingspunktes in das Sternbild des Stieres. Beden­ken Sie die Legenden von dem Argonautenzuge, als im vorchristli­chen 8. Jahrhundert die Sonne eingetreten ist in das Sternbild des Lammes. Jetzt ist sie im Sternbild der Fische. Diese Legende muß noch nachgeholt werden. Wir brauchen eine bildhafte Legendenbildung.

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Obwohl die Sache schon lebt, haben wir dafür noch keine Legende. Dieses Imaginative, das muß noch ausgebildet werden. Und so sind zahlreiche andere Dinge, die heute wirklich nur abstrakt leben, die heute aus dem Weltgeschehen heraus in Bildhaftes überge­hen sollen. Daran muß gearbeitet werden. Wir müssen dadurch wie­derum den Anschluß an die Welt finden. Heute ist die Welt eigentlich nur dasjenige, was nur intellektuell erfaßt werden kann. Was ist die Welt für den heutigen Menschen? Man könnte geradezu sagen: Für den intellektuellen Menschen der Gegenwart ist der ganze Kosmos nichts anderes als erstarrte Mathematik und Mechanik. Und wir müssen wiederum dazu kommen, über die bloße Mathematik und Mechanik hinauszugehen, wir müssen zum Imaginativen, zum Bild­haften kommen und auch zur Legende.

Wir müssen uns nur klar werden, daß solche Forschungen, wie sie mein verstorbener Freund Ludwig Laistner über Sagen, Mythen und Legendenbildung in dem Buche «Das Rätsel der Sphinx» dargestellt hat, sehr viel helfen können. Ich betone ausdrücklich, Ludwig Laist­ner hat nichts verstanden von Geisteswissenschaft. Ich möchte nur sagen, daß das Buch bei der Forschung helfen kann, obgleich Laistner alle Mythen und Sagen auf Geträumtes zurückführt. Aber es ist interessant, dem nachzugehen, wie er die Legendenbildung nicht auf dem wahnsinnigen Wege sucht, auf dem sie die heutigen evangeli­schen und katholischen Forscher suchen, indem sie sich sagen: Die Urvölker haben gedichtet, sie haben ins Gewitter hinein die Götter versetzt, ebenso beim Kampf des Winters mit dem Sommer. - Als ob die Leute nie ein Bauerngemüt kennengelernt hätten; das Bauernge-müt dichtet nie. Diese Menschen, denen da das Dichten zugeschrie­ben wird, die sind soweit weg vom Dichten wie die Bauern. Es war alles imaginativ. Ludwig Laistner führt alles auf Träume zurück; dennoch ist es interessant [zu lesen, wie er einen Zusammenhang der inneren Erlebnisse des Menschen sieht in der slawischen Sage von der Mittagsfrau und der Sage von der] Sphinx in Griechenland. Deshalb heißt das Buch «Das Rätsel der Sphinx». Legenden müssen aus dem Leben heraus fließen, jetzt im vollen Bewußtsein. Das ist ungeheuer wichtig.

VIERTER VORTRAG Stuttgart, 14. Juni 1921, abends

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VIERTER VORTRAG

Stuttgart, 14. Juni 1921, abends

#TX

Rudolf Steiner: Ich denke, dieses soll wieder eine Art Diskussionsstunde sein, und ich denke, Sie werden recht viel auf dem Herzen haben. Bitte, sich also ruhig auszusprechen nach allen Richtungen!

Emil Bock: Auf dem Herzen liegt uns die Kultusfrage, weil wir von uns aus die neue Kultusform nicht gestalten können.

Rudolf Steiner: Nun, es wird ja natürlich schon notwendig sein, daß man nach dieser Richtung hin einiges Symbolisches ausbildet, daß heißt einfach, daß wir in dem Kultus, von dem wir gesprochen haben, gewissermaßen einzelne Beispiele von Kultusformen ausarbeiten. Die Gestaltung des Kultus ist ja eigentlich eine solche, daß man dazu kommt, wenn man die Voraussetzungen dazu hat. Natürlich, es handelt sich dabei durchaus darum, sich einzugewöhnen in das bild­hafte Gestalten desjenigen, woran man heute so gewohnt ist, es intellektuell zu betrachten. Und Herr Uehli hat, glaube ich, heute einiges gesagt, nicht wahr, über etwas Kultusartiges, wie es in der Waldorfschule gehandhabt wird. Daß das Kultusartige schwierig zu gestalten ist, das mag Ihnen schon daraus hervorgehen, daß man seit langer Zeit allen Kultus darauf beschränkt hat, das Traditionelle zu übernehmen. Alle Kultusformen, die man heute hat, sind eigentlich uralt, nur in dem einen oder andern etwas umgestaltet. Und in der Zeit, in der der Menschheit abhanden gekommen ist die Fähigkeit, bildhaft zu gestalten, in der Zeit ist ja auch der Kultus in gewissem Sinn bekämpft worden. Vielleicht kann es Ihnen helfen zum Ver­ständnis des Kultus, wenn wir zu dem, was wir heute morgen gesagt haben, noch einiges hinzufügen von einer ganz andersartigen Kultus-gestaltung.

Sie wissen ja, daß eigentlich überall da, wo wirkliche Gemeinschaft gesucht wird, innere Gemeinschaft, daß da der Kultus eine gewisse Rolle spielt. Ich erinnere Sie nur daran, daß, als die etwas bedenkliche Heilsarmeebewegung sich verbreitete, sogar diese Heilsarmeebewegung

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nach einem gewissen Kultus trachtete; und es ist ja auch bekannt, daß sogar die Abstinenzbewegung ganz spärliche Surrogate von Kultus hat. Überall da, wo darauf gesehen wird, daß eine richtige Gemeinschaftsbewegung erzielt werden soll, überall da wird nach irgendeiner Form des Kultus gestrebt.

Nun, eine sehr weitgehende Gemeinschaft ist ja, wie Sie wissen, die Freimaurerbewegung in der neueren Zeit. Nicht wahr, diese Frei­maurerbewegung sucht auch die Pflege der Gemeinschaftsbildung durchaus durch den Kultus zu erreichen, und man kann schon sagen, die Freimaurerbewegung zeigt, wie der Kultus werden muß, wenn er übergeht in eine rein materialistische Bewegung. Denn eigentlich ist ja die Freimaurerbewegung die materialistische Form einer geistigen Bewegung.

Sehen Sie, die Freimaurerbewegung hat im wesentlichen zu ihren Kultushandlungen und Kultussymbolen das Geheimnis der mensch­lichen Wesenheit. Wenn Sie den Menschen betrachten und das eigentliche Wesen des Menschen in seinem Zusammenhang mit der Welt studieren wollen, dann wird Ihnen heute der materialistisch gesinnte Forscher sagen: Der Mensch hat eigentlich nur dieselben Muskelformen, dieselben Knochenformen wie die höheren Tiere, sogar dieselbe Zahl dieser organischen Formen - er ist ein höher ausgebildetes Tier, ein umgestaltetes Tier. Das ist ja doch dasjenige, was mehr oder weniger klar ausgesprochen unserer gegenwärtigen Erkenntnis zugrunde liegt. Diese Erkenntnis wird sogleich [aus dem Felde] geschlagen, wenn man Rücksicht darauf nimmt, wie der Mensch sich ganz anders eingliedert in den gesamten Kosmos [als das Tier]. Das Wesentliche des Tieres - wenn man einzelne Abwei­chungsformen, die ja überall sind, nicht berücksichtigt-, das Wesent­liche des Tieres ist doch, daß seine Rückgratlinie auf die Horizontale hin gebaut ist. Bitte, mißverstehen Sie nicht, was ich damit meine. Es kann natürlich sich ein Tier so aufsetzen wie das Känguruh, und dadurch kann scheinbar seine Rückgratlinie einen Winkel bilden mit der Horizontalen. Das ist aber eigentlich nicht in der organischen Konstitution bedingt. Ebenso können gewisse Vögel, Papageien, eine mehr oder weniger aufrechte Stellung haben: es ist aber nicht der

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plastische Bau des Tieres darauf angelegt, die Rückgratlinie aus der Horizontalen herauszuheben. Dagegen ist das Wesentliche des Men­schen die Bildung seiner Rückgratlinie in vertikaler Richtung. Der Mensch hat also die Rückgratlinie in vertikaler Richtung gebildet. Dies gibt eine von den wesentlichen Charakteristiken zur Unter­scheidung des Menschen von der Tierwelt. Sie müssen eben nur bedenken, daß man ein Wesen in der Welt nicht bloß für sich betrachten kann.

Sehen Sie, wenn jemand eine Magnetnadel betrachtet, so wird es ihm nicht einfallen zu sagen, diese Magnetnadel nimmt eine bestimmte Richtung ein durch dasjenige, was nur in ihr ist, sondern er sagt ganz natürlich, die Erde hat einen magnetischen Nord- und Südpol, die Magnetnadel wird gerichtet durch die ganze Erde. Nur beim Organischen gefällt es dem Menschen, alles dasjenige, was im Organismus ist, nur aus dem Organismus selber erklären zu wollen, den Menschen gar nicht in Beziehung zu bringen zum ganzen Welt­all. Derjenige, der aber die Dinge durchschaut, bringt auch den Organismus in Beziehung zum ganzen Weltall. Da stellt sich die Sache doch so, daß durch das ganze Weltall Systeme von Kräften gehen; [die einen] umkreisen die Erde [horizontal], [die anderen wirkenj so, daß diese Horizontalkräfte von Kräften durchsetzt sind, die in der radialen Richtung gehen, so daß der Mensch seine Rück­gratlinie einstellt in der Richtung der radialen Kräfte. Damit gliedert er sich ganz anders dem Weltall ein, als das Tier eingegliedert ist, das sein Rückgrat, also die wichtigste körperliche Linie, in die Horizon­tale, also in eine Parallele mit der Erdoberfläche eingliedert. Nun, darauf beruht noch manches andere.

Sehen Sie, das menschliche Gehirn, das ja 1300 bis 1400 Gramm schwer ist, es würde, wenn es sein volles Gewicht ausüben würde, sofort alle Blutgefäße, die darunter sind unter dem Gehirn, erdrük­ken. Das Gehirn ist [durch sein Gewicht] durchaus geeignet, die Blutgefäße zu erdrücken. Warum erdrückt das Gehirn sie nicht? Weil das Gehirn eingebettet ist im Gehirnwasser. Das Gehirnwasser oszil­liert durch den Arachnoidalraum, den die Rückenwirbelsäule inner­lich bildet; da strömt das Gehirnwasser unter dem Einfluß des

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Atmens auf und ab. Das ganze Gehirn schwimmt im Gehirnwasser. Aus der Physik wissen Sie vielleicht, daß ein Körper so viel an Gewicht verliert, als das verdrängte Flüssigkeitsvolumen wiegt, so daß das Gehirn statt mit 1300 bis 1400 Gramm zu drücken, höchstens mit 20 Gramm auf die Blutgefäße drückt. Sie sehen also, das mensch­liche Gehirn ist darauf eingerichtet, nicht in seiner Schwere zu behar­ren, sondern einen Auftrieb zu haben, sich zu entreißen der Schwere. Das ist nur möglich, wenn der Mensch die Rückgratlinie vertikal hat. Beim Tier drückt die ganze Schwere des Gehirns, und zwar deshalb, weil der Arachnoidalraum horizontal hineingeht in das Gehirn. Die Zirkulation, die bewirkt wird, geht in ganz anderer Weise vor sich.

Man darf nicht bloß auf den Bau des Menschen schauen, sondern man muß auch auf die Hineinstellung ins Weltall schauen. So daß man sagen kann: Wenn man die hervorragende Stellung des Men­schen im Weltall betrachtet, so ergeben sich vor allen Dingen meh­rere wichtige Linien. (Es wird an die Tafel gezeichnet.)

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Erstens die Linie parallel zu der Erdoberfläche, die Horizontale. Zweitens dasjenige, was den Menschen unterscheidet von dem Tier, daß bei ihm die Rückgratlinie vertikal steht auf der Horizontalen. Damit haben Sie zwei Gebilde hingezeichnet; erstens die Horizon­tale, also die Waagrechte, und zweitens den rechten Winkel. Wenn man sich bewußt ist, welche Bedeutung die Horizontale hat, die die Tierheit schafft im Grunde genommen, und welche Bedeutung der rechte Winkel hat für die Hineinstellung des Menschen in das Welt­all, dann verbindet man gewisse Vorstellungen mit der Horizontalen und mit dem rechten Winkel, die dadurch zu Symbolen werden können.

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Das Freimaurertum, das das Wesen des Menschen charakterisieren will, hat die Wasserwaage und den rechten Winkel unter seinen Symbolen. Auch die anderen Symbole sind durchaus nachgebildet den Kräften des Weltalls. Wie sie nachgebildet sind den Kräften des Weltalls, das kann sich Ihnen ergeben noch aus der folgenden Betrachtung.

Sehen Sie, wenn wir hier uns die Erde denken; der Mensch bewegt sich auf der Erde, sagen wir so, ich will es also radial zeichnen, dann ist es so, daß der Mensch hier in der Vertikalen seine Richtung hat und daß die Art, wie er sich verbindet mit dem Erdmittelpunkt, ein Dreieck ist. Sie haben wiederum das Dreieck als ein Symbolum im

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Kultus der Freimaurer. Alles in dieser Freimaurerei ist - im ersten Grad - von der Konfiguration des Menschen genommen. Da sehen Sie die Herausbildung der Symbolik. Die Symbolik ist da, wo sie auftritt in ihrer Wirklichkeit, nicht willkürlich ausgedacht. Zur Sym­bolik kommt man nur, wenn man sie studiert an der Wirklichkeit. Die Symbolik ist im Weltall begründet, sie ist irgendwo da. So ist es auch mit dem Kultus.

Sehen Sie, der Mensch ist in seinem zeitlichen Leben zwischen Geburt und Tod so konstituiert, daß er die Kräfte in sich hat, die ihn fortwährend töten. Das sind die Kräfte, die ihn verfestigen, die wirksam sind, indem das Knochensystem entsteht, und die in ihrem krankhaften Sichausbilden zur Sklerose, zur Gicht, zur Diabetes und so weiter führen können. Diese Kräfte hat der Mensch in sich, ich möchte sagen, als die Verfestigungskräfte. Das ist das eine Kräftesystem.

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Das andere Kräftesystem, das der Mensch in sich hat, ist dasjenige, was ihn fortwährend verjüngt. Es ist das Kräftesystem, das besonders zum Ausdruck kommt, wenn man in Pleuritis verfällt, in Fieberkrankheiten, in alles dasjenige, was den Menschen innerlich verbrennt. Ich habe in der anthroposophischen Weltanschauung die Verfestigungskräfte ahrimanische Kräfte, und die Kräfte, die ins Fieber führen, die also Wärmekräfte sind, die luziferischen Kräfte genannt. Beide Kräfte müssen im Menschen in fortwährendem Gleichgewicht gehalten werden. Werden sie nicht im Gleichgewicht gehalten, dann führen sie den Menschen leiblich, seelisch und geistig zu irgendeinem verderblichen Extrem. Würden die Fieberkräfte und die Verfestigungskräfte, die Salzbildungskräfte nicht fortwährend physiologisch im Gleichgewicht gehalten, so würde der Mensch not­wendigerweise entweder zur Sklerose oder zum Fieber kommen. Wenn der Mensch nur ausbildet die Verstandeskräfte, wenn er nur zum Intellektualismus hinneigt, verfällt er dem Ahrimanischen; bil­det er nur die feurigen Elemente aus, die Leidenschaft, das Emotio­nelle, dann verfällt er dem Luziferischen. Und so ist immer der Mensch zwischen zwei Polaritäten drinnen und muß das Gleichge­wicht halten. Denken Sie aber, wie schwierig es ist, das Gleichge­wicht zu halten. Das Pendel, das im Gleichgewicht sein soll, tendiert immer nach einem Ausschlag hin. Es sind diese drei Tendenzen: die Gleichgewichtstendenz, die Wärmetendenz und die Verfestigungs­tendenz in dem Menschen. Er muß sich aufrecht erhalten, so daß man den Menschen symbolisch erblicken kann als ein Wesen, das fortwährend sich aufrecht zu erhalten sucht gegen die Kräfte, die fortwährend sein Leben gefährden.

Das stellt der dritte Grad des Freimaurertums dar. Dem Freimau­rer, der in den dritten Grad eingeweiht wird, wird symbolisch darge­stellt, wie der Mensch bedroht wird von drei widerspenstigen Mäch­ten, die an ihn herankommen und sein Leben bedrohen. Es wird das in verschiedener Weise gemacht. Die einfachste Form ist so: Ein Mensch wird in einem Sarge vorgeführt und drei Mörder schleichen sich heran, die ihn töten wollen. Im Anschauen dieser dreifachen Gefahr, in der der Mensch schwebt, wird ihm ein Bewußtsein beigebracht,

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daß er in jedem Augenblick in der Gefahr des Todes stehe und sich erheben muß.

So erlebt der Mensch in dieser symbolischen Einkleidung eine Art wirklicher Kultushandlung, er erlebt zeremoniell etwas wirklich Wichtiges, das mit dem Leben zusammenhängt. Und so ist es ja wirklich, daß man versuchen muß, das Leben kennenzulernen, denn dann ergeben sich aus dem Leben heraus die Symbole. Die Freimau­rerei hat ja ihre Schattenseiten darin, daß zwar diese Symbole gebraucht werden, Kultushandlungen verrichtet werden - in der Blauen Maurerei in den ersten drei Graden, in der Hochgrad-Maure­rei gibt es noch viele andere Dinge - und daß dieses Zeremonielle aus uralten Traditionen geschöpft ist, daß sie aber nicht mehr verstanden werden. Es besteht gar kein Zusammenhang mehr mit den Ursprün­gen, die ich Ihnen jetzt in einer kleinen Skizze darlegen wollte. Die Leute schauen sich nur das Zeremoniell an, und - und das ist das Gefährliche -: sie bleiben am Zeremoniell haften; sie werden nicht so hineingeführt in das Zeremoniell, um durch das Zeremoniell auf das Geistige zu kommen.

Sehen Sie, eine andere Art, wie man noch verhältnismäßig spät, sogar noch im 18. Jahrhundert, eine ganz lebhafte Empfindung gehabt hat von dem bildhaften Vergegenwärtigen der Weltgeheim­nisse, ist zum Beispiel diese: Sie sehen, wenn Sie manche Bücher aufschlagen mit Bildern, die noch im 18. Jahrhundert verbreitet waren - die waren verbreitet, um die Menschen auf dasjenige auf­merksam zu machen, was nicht in Verstandesbegriffen zu fassen ist -, Sie sehen da ein immerwiederkehrendes Bild, das ist das, daß Sie einen Mann dargestellt finden mit einem Stierkopf und eine Frau dargestellt finden mit einem Löwenkopf. Es stehen nebeneinander der Mann mit dem Stierkopf und die Frau mit dem Löwenkopf. Zunächst ist die Sache für denjenigen, der die Sache nicht durch­schaut, schockierend. Aber es ist ja wirklich so, daß wir Menschen eigentlich so konstituiert sind, daß wir formhaft am allervollkom­mensten sind in unserem physischen Leib. Da sind wir eigentlich Menschen. Der physische Leib ist ja, wie Sie in meiner «Geheimwis­senschaft» dargestellt finden, derjenige, der auf die ältesten Anlagen

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zurückgeht; er ist das Vollkommenste. Des Menschen Ätherleib ist so geformt wie der physische Leib. Könnte man den physischen Leib wegnehmen von dem Ätherleib, würde er nur mehr sich anpassen dem Astralleib, dann würde dieser Ätherleib wahrscheinlich zum Verdruß sehr vieler Menschen eine Tierform annehmen, denn dann wird er der Ausdruck des Emotionellen, des Leidenschaftlichen. Er ist in der verschiedensten Weise gestaltet bei verschiedenen Men­schen.

Wenn man den männlichen Kopf, den Ätherkopf, betrachtet als Ausdruck desjenigen, was in der emotionellen Natur lebt, so hat man schon als Typus, als Durchschnitt, etwas Stierhaftes im männlichen Kopf. Im Frauenkopf, sobald man den Ätherkopf betrachtet, hat man etwas Löwenhaftes. Das sind Durchschnittsformen. Man kann das auch moralisch empfinden, wenn man sich einläßt auf das, was die Frauennatur umfaßt, wie sie Typus ist des Löwenhaften. Man kann den Stier beim Mann fühlen und den Löwen bei der Frau fühlen.

Das sind Dinge, die scheinen bloß bildlich gesprochen zu sein, sie sind aber aus der übersinnlichen Natur [des Menschen] herausgeholt. Wenn der astralische Leib [aus dem physischen Leib] herausgenom­men [betrachtet wird], dann nimmt er komplizierte Pflanzenformen an, und das Ich des Menschen ist ein rein mineralisch, kristallhaft geformtes Wesen, es ist ganz geometrisch geformt. So daß man sagen kann: Der Form nach ist der Mensch im physischen Leib Mensch, im Ätherleib ist er eigentlich tierisch, im Astralischen pflanzenhaft und im Ich mineralhaft geformt. Wenn man all diese Dinge kennt, dann kommt man darauf, wie in einem früheren hellsichtigen Zustande die Leute wirklich gewußt haben von höheren Welten und aus diesen höheren Welten heraus sich diese Bilder geformt haben.

Nun, das soll nur darauf hinweisen, wie Symbole entstanden sind und wie sie sich dann traditionell fortgepflanzt haben. In unserer Zeit ist es nur möglich zu Symbolen zu kommen, wenn man sich ganz liebevoll vertieft in die Weltgeheimnisse; und nur aus Anthropo­sophie heraus kann heute eigentlich ein Kultus oder eine Symbolik erwachsen.

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Denn sehen Sie, es ist schon notwendig, daß da von den Elementen ausgegangen wird. Das erste ist, daß man wiederum in einem gewis­sen Sinn hineinwächst in den Genius der Sprache selbst. Unsere Sprache hat ja im Grunde genommen gerade da, wo die Zivilisation am höchsten ist, eine furchtbar äußere abstrakte Form angenommen. Wir reden heute, ohne zu fühlen im Reden. Sehen Sie, unser heutiges Reden ist eigentlich etwas furchtbar Unmenschliches, denn wir leben gar nicht mehr drinnen in unserer Sprache. Nehmen Sie einmal das deutsche Wort «Kopf». Wenn wir es fühlen, so fühlen wir zugleich, wie es durchaus zusammenhängt mit der runden Form, mit dem Abgerundeten. Sagen wir dagegen das romanische Wort «testa», das hängt zusammen mit dem Testieren, Bezeugen, irgend etwas Festset­zen. Es geht also aus einem ganz anderen Untergrund hervor. Und fühlt man, was in den beiden Worten liegt, so fühlt man auch den Unterschied zwischen dem romanischen und dem germanischen Ele­ment. Das germanische Element bildet das Wort aus der Plastik, das romanische, das lateinische Element bildet es aus den seelischen Kundgebungen. Nehmen Sie das Wort «Fuß», das hängt mit «Fur­che» zusammen; «pied» hängt zusammen mit dem Aufstellen. Das geht überall durch die Sprache, und man kann es überall fühlen, wie eigentlich die besondere Weltempfindung im Genius der Sprache zum Vorschein kommt. Bedenken Sie, wie stark man in der Zeit, in der Goethe geschrieben hat, noch gefühlt hat das Bildhafte der Spra­che. Erinnern Sie sich an die Szene, wo der Pudel erscheint auf der Bühne, der da nachläuft dem Faust und dem Wagner, und wo der Wagner vom Pudel spricht und sagt: «er zweifelt» - er meint damit, daß er den Schwanz bewegt; mit dem Wort «zweifeln» drückt er die Bewegung des Schwanzes aus. Wenn Sie das anschauen, was da noch im Bilde lebt, und es vergleichen mit unseren heutigen Abstraktio­nen, wie Sie da in dem Wort «Zweifel» dieses Wedeln, dieses Hin-und Herpendeln drinnen haben, so kann man sich wirklich in die bildhafte Art, wie der Sprachgenius gewirkt hat, allmählich hinein-fühlen.

Das ist das erste Element des bildhaften Seelenlebens, wenn man sich in das Bildhafte der Sprache hineinlebt. Es ist wirklich so, daß

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man in das Bildhafte der Sprache hineinwächst, wenn man es nur will; und das ist schon eine gute Erziehung der Seele, in das Bildhafte der Sprache hineinzuwachsen. Wir reden heute in abstracto, die Worte bedeuten nichts mehr für uns. Sehen Sie, in meiner Heimat heißt ein gewisser Blitz, den man in einer besonderen Art sieht, «Himmlatzer». Ich möchte wissen, wie man das Bild des Blitzes nicht fühlen sollte in «Himmlatzer», das Wort malt ja. Und so ist es auch durchaus möglich, wenn man mehr in das Dialektartige, in die Dia­lekte hinuntergeht, noch mehr in das Bildhafte hineinzuwachsen. Man sollte sich schon dazu erziehen, an der Sprache das Bildhafte zu haben. Es ist heute manchmal fast gar nicht möglich, irgend etwas, was man hat, auszudrücken, weil das Bildhafte der Sprache verloren­gegangen ist. Man muß natürlich absehen von allen künstlich herbei­geführten Dingen. Wer irgendwie spintisiert, dem geht es so, wie es dem Falb gegangen ist. Der ging einmal mit einem Freund und sprach lebhaft - und trat in einen Tümpel hinein, und denkt nach - Tümpel?

- Tempel! - Natürlich, so spintisieren darf man nicht, indem man äußerliche Ähnlichkeiten sucht. Gerade innerlich muß man sich ver­tiefen in das Bildhafte der Sprache. Dann wird man wirklich das Wort «Zwei» verstehen. Es war ursprünglich die «Zwei» nicht so gedacht, daß man eins und eins zusammenlegte, sondern die «Zwei» war so gedacht, daß man die Eins entzwei machte. Das ältere Bilden der Zahlen beruht auf der Analyse, nicht auf der Syn­these. Sie können das noch verfolgen, wenn Sie zum Beispiel die arabische Arithmetik noch im 12. nachchristlichen Jahrhundert nehmen.

Es ist jetzt ein interessantes Büchlein von unserem Freund Ernst Müller erschienen über Abraham Ibn Esra - ich will Ihnen den genauen Titel morgen angeben -, das handelt von den Zahlen und ist außerordentlich interessant für die Erkenntnis der früheren Art, Zah­len zu bilden. [Wenn man das verfolgt,] dann wird man finden, ohne Spintisierereien zu machen, die Ähnlichkeit des Wortes «zwei» wie­derum mit dem Wort «Zweifel»; man wird da geführt auch auf den Auslaut «el». So kann man sich in das Bildhafte der Sprache hinein-finden. Das ist das Abc des bildhaften Vorstellens.

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Das weitere ist das Sichhineinfinden in die ganze komplizierte Art, wie zum Beispiel der Mensch aufgebaut ist. Einiges habe ich als Probe heute angegeben. Wie gesagt, gelangt man auf diese Weise zu wirklicher Erkenntnis, dann ergeben sich die Bilder zunächst für die Symbolik, und wiederum kommt man dazu, das geschichtliche Leben wirklich zu begreifen. Dann kommen Sie auch dazu, Kultus-handlungen imaginativ vor sich haben zu können.

Nehmen Sie zum Beispiel folgendes. Sehen Sie, der Grieche hatte noch nicht die Möglichkeit, die Begriffe ganz abgesondert von den Dingen zu haben. So wie wir die Farben wahrnehmen, so nahm der Grieche die Begriffe an den Dingen wahr, sie waren für ihn Wahr­nehmungen. Wenn wir davon ausgehen, dann kommen wir wirklich dazu, zu begreifen, wie die Menschheit sich seit der Griechenzeit verändert hat. Würde man zum Beispiel eine Art Altar darstellen wollen, der mehr geeignet wäre für den Griechen, so würde man ihn in hellen Farben darstellen. Wollte man einen Altar darstellen, der geeignet ist für einen Menschen, der mehr im Modernen lebt, der nicht hingeordnet ist auf die lebhaften Farben - der Grieche hatte ja keine Farbwahrnehmungen in dem Sinn, wie wir sie haben -, sie müßten ihn heute mehr in blauer Farbe bauen.

Wenn man heute mit dem Kultus vor eine Gemeinde hintreten will, müßte man ihn außerordentlich einfach gestalten. Ein kompli­zierter Kultus würde heute die Menschen nicht befriedigen, so daß man ihn außerordentlich einfach gestalten muß. Vor allen Dingen brauchen wir im Kultus überall einen Ausdruck für die innere Ver­wandlung des Menschen. Diese innerliche Verwandlung des Men­schen, die man nennen könnte die Durchchristung des Menschen -denn der Mensch wird eigentlich durchaus nicht so geboren, daß er schon von vornherein vererbungsgemäß durchchristet ist, er muß den Christus in sich finden -, die ließe sich nun in der mannigfaltigsten Weise symbolisch ausdrücken durch einfache, aber wirkungsvolle Kultushandlungen.

Ich will als ein Beispiel sagen: Würde jemand einen Spruch formen, so würde er diesen Spruch in sieben Zeilen bestehen lassen. In den ersten drei Zeilen würde man im wesentlichen ausdrücken den Menschen,

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wie er noch unter dem Einfluß der Vererbungsverhältnisse dasteht, wie er also aus dem Vaterprinzip der Welt herausgeboren ist. Die vierte Zeile, die mittlere, würde dann darstellen, wie diese Verer­bungsprinzipien durch die seelischen Prinzipien überwunden wer­den. Und die drei letzten Zeilen würden darstellen, wie der Mensch dadurch zu einem Erfasser des Geistigen wird. Nun könnte man einer Gemeinde solche sieben Zeilen so vorlesen, daß man die ersten drei Zeilen mit einer etwas abstrakteren, rauheren Sprache vorbringt, bei der mittleren, vierten, übergeht zu einer etwas wärmeren Sprache, und die letzten drei Zeilen in gehobener Sprache, mit erhobenem Tone vorträgt. Und man würde darin in einfacher Weise eine Kultus-handlung haben, die darstellen würde das Durchchristetwerden und Durchgeistigtwerden des Menschen.

Es kommt gar nicht darauf an, daß man so etwas etwa hinterher erklärt - das sollte man gerade nicht tun -, sondern man sollte es fühlen lassen. Das Bild sollte gefühlt werden, und man sollte sich danach verhalten. So sehen Sie, wie es immerhin möglich ist, zum Kultushaften aufzusteigen. Dann muß man ein Gefühl dafür bekom­men, wie alles dasjenige, was sich auf das Denkerische bezieht, dem Lichte ähnlich ist, und wie alles dasjenige, was sich auf die Liebe bezieht, der Wärme ähnlich ist. Nun denken Sie, was Sie für ein Machtmittel in der Sprache haben, wenn Sie bildhaft überall, wo Sie etwas ausdrücken wollen, was nach dem Denkerischen hinneigt, es mit dem Lichte zusammenbringen. Wenn Sie sagen: «Die Weisheit durchleuchte den Menschen», dann haben Sie etwas Wirkliches gesagt. Sie werden fühlen, wie das Denkerische tatsächlich das aufge­fangene Licht ist, das zum Gedanken wird. Ebenso gebraucht man uberall die Bilder, die von Wärmeverhältnissen hergenommen sind, wenn man von Liebe redet. Wenn man also sagt: «Eine gemeinsame Idee breitet sich wärmend über eine Menschengemeinschaft aus», dann haben Sie das Bild des Wärmens darinnen, aber Sie haben real gesprochen. So kommen Sie, wenn Sie die inneren Weistümer der Sprache fühlen, in das Bildhafte hinein.

Das ist ein solcher Weg, und ich will Ihnen später einmal, wenn wir wieder zusammenkommen, ganz ausführliche Beispiele geben.

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Man kann sogar den modernen Kultus auf Grundlage dieser Dinge ausarbeiten. Ich wollte Ihnen heute nur das Praktische andeuten, wie man in der Tat hineingeführt wird. Es handelt sich aber immer um unsere - verzeihen Sie den harten Ausdruck - ausgemergelten Seelen. Wir sind ja gar nicht Menschen, wir sind so tot geworden durch die materialistische Bildung. Der Mensch fühlt heute alles getrennt. Er fühlt gar nicht, daß seine Nerven auffangen das Licht, daß seine Nerven durchglüht werden vom Licht. Er glaubt, daß Vibrationen vorgehen. Aber am Lichte bildet sich der Gedanke. Es ist nicht nur ein Bild, sondern Realität, wenn man sagt: «Der Mensch wird von Gedanken durchleuchtet».

Man weiß das viel zu wenig, deshalb kann man nicht zum bildhaf­ten Vorstellen kommen. Aber ich glaube, daß, wenn Sie zum Beispiel mein Buch «Die Geheimwissenschaft» durchlesen und sich einmal rein daraufhin hineinvertiefen, wie ich die drei Metamorphosen Mond, Sonne, Saturn darstelle, um sich zu vergegenwärtigen, wie das alles in Bildern verläuft, dann kommen Sie ganz von selber [in das bildhafte Vorstellen] hinein. Wenn Sie nicht bei der Abstraktion stehen bleiben oder gar glauben, ich hätte etwas konstruiert oder ausgedacht, sondern wenn Sie die Notwendigkeit fühlen, daß das so dargestellt werden muß, dann haben Sie schon darin eine Schule für das bildhafte Vorstellen. Und da ist überall Veranlassung, überzuge­hen zu kultischen Handlungen. Man muß aus dem, [was ich darge­stellt habe,] sich ein Gefühl erwerben auch für die innere zahlenhafte Gliederung im Weltenall.

Heute wird man natürlich vielfach ausgelacht, wenn man von der Siebenzahl oder von der Dreizalil spricht. Aber diese Zahlen sind ja doch einfach empirisch aus dem Weltall zu gewinnen. Ich möchte wissen, wie einer nicht an die Zahl Drei denken muß, wenn er an den Menschen denkt. Der Mensch ist einmal ein dreigliedriges Wesen, und man kommt überall zur Dreizahl, wenn man richtig denkt. Wenn man zum Beispiel zu einer Kinderschar, zu einer älteren Kin­derschar spricht: «Das Licht, dein Denken durchleuchte dich», so hat man gar nicht fertig gesprochen, wenn man nicht gleich auch sagt:

«Das Leben, dein Fühlen durchrege dich», oder «durchdringe dich»;

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und «Das Feuer, dein Wille durchkrafte dich». Die Dinge gliedern sich von selber zusammen, das rinnt dann in die Kultusform hinüber. Man muß ein Gefühl dafür kriegen, daß irgend etwas unvollständig ist, wenn man nur sagt: «Das Licht, dein Denken durchleuchte dich», das ist geradeso, wie wenn ich einen menschlichen Kopf allein hin­stelle. Das kann nicht sein, ich kann mir nicht denken, daß einer bloß den menschlichen Kopf hinstellt, das kann es nicht geben, das andere gehört dazu. So muß ich auch das Gefühl haben, wenn ich sage: «Das Licht, dein Denken durchleuchte dich», das ist nichts Vollständiges, ich muß auch sagen: «Das Leben, dein Fühlen durchdringe dich» und «Das Feuer, dein Wille durchkrafte dich». Wenn ich nur eines nehme, habe ich geradesoviel, wie wenn ich nur den menschlichen Kopf habe. So kommt man schon dahin, das andere dazu zu denken. Dann kommt man in dieses Selbstschöpferische der Zahlenorganisa­tion der Welt hinein, und so ergibt sich aus der Sache selbst heraus die kultische Form:

Das Licht, dein Denken durchleuchte dich

Das Leben, dein Fühlen durchdringe dich

Das Feuer, dein Wille durchkrafte dich

Das ist ja dem zugrundliegend, was Herr Uehli Ihnen heute mitge­teilt haben wird [über die Sonntagshandlung in der Waldorfschule]. In der Formel, da liegt das ja drinnen, da ist das überall eigentlich so gebildet. Das versteht man so schwer, wenn es im Leben auftritt.

Sehen Sie, wenn Sie aus meiner «Philosophie der Freiheit» ein Stück herausnehmen würden, ein Kapitel, so ist es fast so, wie wenn Sie dem Menschen ein Glied abschneiden. Sie ist nur als ein Ganzes gedacht, denn das ist eine besondere Form des Denkens, sie ist nicht aus einzelnen Teilen kombiniert, sie ist wachsen gelassen. Und das kann weiter ausgebildet werden.

Paul Baumann: Könnten Sie uns, Herr Doktor, über das Musikalische im Kult etwas sagen?

Rudolf Steiner: Da ist die Sache so: Wir Menschen sind so in die Welt hineingestellt, daß wir - wenn ich es gleich bildhaft mache (es wird an Tafel die Tafel gezeichnet) - auf der einen Seite Kopforganisation sind.

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Diese Kopforganisation ist wesentlich dadurch bedingt, daß das Äußere der Welt hineindringt und überall gehemmt wird. Alles das­jenige, was von der Welt in das Haupt dringt, spiegelt sich eigentlich im Haupte, und das, was wir draußen wahrnehmen, das ist das Gespiegelte, das ist dasjenige, was wir gewöhnlich im wachen Bewußtsein drin haben. Und wenn Sie den Bau des Menschen neh­men, namentlich das, was vom Auge gemacht wird, aber auch von den anderen Sinnesorganen, dann finden Sie, daß das alles dahin tendiert, daß es hinten abgegrenzt wird; es wird etwas gespiegelt.

Auf der anderen Seite bildet der Mensch das Knochensystem aus, das Muskelsystem und so weiter. Beim Kopf hat man eigentlich die runde, abgeschlossene Schädelkapsel. Dann hat man die Röhrenkno­chen, die Muskeln und so weiter (siehe Tafel 2). Der Kopf ist eigent­lich ganz undurchdringlich für das, was in ihn hineinwirkt, so wie der Spiegel undurchdringlich ist für das Licht; darum spiegelt er. Das ist bei dem, was man im weitesten Sinne Gliedmaßen-Stoffwechsel­Organismus nennt, anders; da wird von der Welt hereingefaßt dasje­nige, was da Röhrenknochen und Muskel ist, so daß man sagen kann:

In der Kopforganisation wird alles zurückgestoßen, aber die Glied­maßen nehmen auf, so daß eigentlich die Vorgänge des Gliedmaßen-Stoffwechsel-Organismus bewirkt werden von außen herein durch die Art und Weise, wie ich eingegliedert bin in den Weltorganismus. Da wird nichts zurückgestoßen, es wird gewissermaßen hindurch-organisiert, da wird hereingenommen. Und das staut sich dann, staut sich namentlich in der Lunge. Die Lunge ist so ein Stauorgan, wo das Äußere der Welt sich in Formen gestaltet. Und eine zweite, schon durchgesiebte Stauung ist im Gehörorgan. Das Gehörorgan ist eigentlich eine Lunge auf höherer Stufe. Wer einen Sinn dafür hat, kann selbst noch am Bau des äußeren Gehörorganes sehen, wie das nicht so gebildet ist wie das Auge. Das Auge ist von außen nach innen gebildet. Das Gehörorgan ist abgeschlossen und umschließt dasje­nige, was das eigentliche Sinnesorgan ist. Alles dasjenige also, was sichtbar ist am Gehörorgan, ist so herausgebildet, daß der Mensch gebildet ist von zwei Wirbeln. Der eine Wirbel wird zurückgewor­fen, spiegelt sich, geht in sich eigentlich zurück: und der andere bildet

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einen Organismus, bildet die Form heraus, kommt dem entgegen und sie stoßen dann hier zusammen (siehe Tafel 2), so daß alles dasjenige, was von außen nach innen kommt, hier gespiegelt wird und das gewöhnliche Gedächtnis gibt, zum Beispiel das Gedächtnis für die gesehenen Bilder. Dagegen dasjenige, was den Menschen aufbaut, das ist ja Bewegung, das ist durchaus Bewegung, das sind Vibrationsfor­men, die in ihm verlaufen. Ich habe Ihnen erzählt von dem Gehirn­wasser, nicht wahr, der Mensch ist ja zu 92 % Wasser und nur zu 8 % fest; was fest ist, das gliedert sich nur ein. Das Ganze ist alles Bewegung. Was den Menschen organisiert aus der Bewegung, das organisiert ihn aus dem Wort heraus. Der Mensch ist wirklich ein fleischgewordenes Wort im buchstäblichsten Sinn, und dieses fleisch-gewordene Wort stößt zusammen mit dem, was sich da spiegelt, so daß wir sagen können: Wir sind zunächst auf das Visuelle hin gebaut, das aber ganz organisiert ist auf das Zurückgeworfenwerden; und dann sind wir auf das Auditive gebaut, auf dasjenige, was den Men­schen formt, auf zu Worten geformten Ton, der sich dann staut im Hören, der gehörter Ton wird.

Der Mensch wird. sich bewußt der Außenwelt durch das direkte oder das umgewandelte Sichtbare. Durch dasjenige, was in ihm selber Ton wird, was musikalisch wird, ist der Mensch das Wesen, das aus der Sphäre des Musikalischen aufsteigt und befruchtet wird durch die Sphäre des Optischen, des Sichtbaren, so daß das Musikalische in der Tat dasjenige ist, das in uns aus der Welt heraus weiterwirkt. Wir sind durch Musik aufgebaut, unser Körper ist eine verkörperte Musik. Das ist im vollen Sinn der Fall. Und das Licht wirkt hier (siehe Tafel 2) herein und spiegelt sich. Das gibt auch den großen Unterschied zwischen dem gewöhnlichen Gedächtnis, das wir gegenüber der Außenwelt haben, wo wir das Visuelle behalten, und dem musikali­schen Gedächtnis. Das musikalische Gedächtnis ist etwas ganz ande­res - das wird Ihnen auch wunderbar erscheinen -, das musikalische Gedächtnis entsteht in entgegengesetzter Weise, es entsteht bei der Stauung des durchströmenden Tones: da wirft der Mensch seine eigene Natur in sich zurück. Es ist also dasjenige, was musikalisch in dem Menschen wirkt, seine allerinnerste Natur.

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Nun denken Sie, wir stellen Bilder hin in irgendeiner Weise, sei es, daß wir sie sichtbarlich vor den Menschen hinstellen im Kultus, sei es, daß wir die Bilder hervorrufen, indem wir sprechen, und dann durchdringen wir diese Bilder mit dem Musikalischen, sei es mit dem Instrumental-Musikalischen oder sei es mit dem Gesanglichen. Es ist nichts anderes, als daß im Grunde genommen die beiden Hauptwelt­prinzipien einander gegenübergestellt werden. Was der Mensch ist als Lichtgeschöpf, wird in Zusammenhang gebracht mit dem, was der Mensch ist als Tongeschöpf. Und der Kultus wird dadurch [ii Lücke] zur Polarität. Allerdings ist das schon beim Wort der Fall, und die älteren Kulte haben auch daher nicht das abstrakte Sprechen verwen­det, sondern das Rezitativ, das schon etwas Gesanghaftes hat. Und dieses Rezitativ, das schon im alten Meßopfer eine so große Rolle spielte, weil die Messe gesungen wurde, sollte durchaus darstellen die Durchdringung des Lichthaften mit dem Tonhaften, so daß das Musikalische im Kultus dasjenige ist, was am wesentlichsten den Menschen verinnerlicht, was also das mystische Element fördert, währenddem das übrige dasjenige ist, was das Pantheistische, das Ausgießen des Menschen an das Weltall fördert.

Wir haben dadurch die Möglichkeit, auf der einen Seite den Men­schen in die Expansion zu treiben durch alles Lichthafte, Gedanken­hafte, und auf der anderen Seite ihn ins In-sich-Zusammenziehen, ins Aufnehmen des Übersinnlichen durch das Musikalische zu führen. Und während zum Beispiel das Nichtmusikalische, das Lichthafte im Kultus dazu angetan ist, uns ein Weltgefühl beizubringen, ist das Musikalische dazu angetan, uns das Ichgefühl bis zum Göttlichen zu vertiefen, und das Ideal wäre, bis zu einem gewissen Grad das Licht-hafte zu treiben und es dann in das Musikalische übergehen zu lassen, ganz organisch in das Musikalische übergehen zu lassen. Dadurch hätte man tatsächlich den Menschen in seiner Konstitution durch den Kultus nachgebildet.

Gottfried Husemann fragt, ob die bisherige Kirchenmusik, zum Beispiel Bach, noch zu brauchen sei. Würde der neue Kultus nicht auch eine neue Art Musik brauchen?

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Rudolf Steiner: Nicht wahr, wenn man genötigt ist, heute schnell etwas zu tun, so wird man ja diese älteren musikalischen Dinge wieder beleben. Aber es ist schon durchaus so, daß der Mensch nicht mehr ein ganz innerliches Verhältnis zu diesen älteren Formen gewinnen kann, geradeso wie man als erwachsener Mensch nicht dieselben Lebensformen entwickeln kann wie das Kind. Es ist schon durchaus notwendig, daß aus dem heutigen Empfinden heraus wie­derum auch Musikalisches geformt wird. Man muß natürlich da anfangen, wo man die Möglichkeit dazu hat. Sie werden doch schon bemerkt haben, daß da, wo wir Eurythmie treiben und uns in Musi­kalisches hineinarbeiten, unsere Freunde schon aus dem musikali­schen Empfinden der heutigen Zeit ganz gute musikalische Formen herausgefunden haben. Das wird darauf beruhen, daß immer mehr der Mensch umlernen wird im Musikalischen, geradeso wie auf dem Gebiet des Malerischen. Tapsende Versuche gibt es ja, die man nicht zu verurteilen braucht, sondern man muß wissen, daß das eben tapsende Versuche sind, so auch im Musikalischen, zum Beispiel bei Debussy, der sich in den einzelnen Ton hineinlebt, der im einzelnen Ton lebt. Nur darf es nicht Tonmalerei werden. Es ist so, daß immer mehr das erlebt werden wird, was im einzelnen Ton sich wie ein Geheimnis ergibt, und man wird dann suchen, den einzelnen Ton zu analysieren. Vielleicht wird man die Skala erweitern müssen, einige Töne einfügen, aber hauptsächlich dadurch bereichern, daß man den Charakter des einzelnen Tones erleben wird. Und dadurch werden sich besondere musikalische Möglichkeiten ergeben. [Zu Herrn Baumann:] Das erhoffen Sie doch auch, daß man dann im einzelnen Ton schon Melodien erleben wird? - Es ist tatsächlich so, daß man das kann. Da liegt dann eine Ausbildungsmöglichkeit. Da werden die anthroposophischen Musiker den anderen entgegenkommen müssen. Ich habe ja überhaupt die Überzeugung, daß anthroposophische Musiker noch sehr, sehr viel zu tun haben werden, daß gerade die anthroposophischen Musiker eine große Mission haben werden.

Die alte Musik ist eigentlich in einer Sackgasse gewesen vor Wag­ner. Aber Wagner hat ja nicht eigentlich die Musik weitergebracht. Er hat der Musik Erweiterung dadurch gegeben, daß er sie in eine

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Nebenströmung hineingebracht hat. Das kann man groß und genial finden, aber es ist doch eine Nebenströmung. Man wird die vor­wagnerische Musikentwickelung aufnehmen müssen und gerade da dasjenige finden, was auch dem Kultus viel geben kann. Bis dahin wird es natürlich sehr gut sein, Älteres zu verwenden. Es sind eigent­lich im Grunde ganz wunderbare Dinge da, sowohl in der protestan­tischen wie in der katholischen Kirchenmusik. Für den modernen Menschen wird das Verhältnis kein ganz innerliches mehr sein, man wird da schon versuchen müssen, sich ins Musikalische selbst zu vertiefen.

Emil Bock stellt eine Frage, welche die Quäkerbewegung betrifft.

Rudolf Steiner: Ich habe bei den Quäkern immer das Gefühl gehabt, daß das eigentlich eine Bewegung ist, die spezifisch aus dem anglo­amerikanischen Element herauskommt. Ich konnte nicht finden, daß gerade für diese Art von Gemeinschaftsbildung, die im Quäkertum zutage tritt, in Mitteleuropa irgendwelche bedeutsamere Anlagen vorhanden sind. Ich kenne diese Bestrebung noch nicht aus eigener Anschauung und kann daher natürlich nicht wissen, ob da irgend etwas Fruchttragendes drinnen sein kann oder nicht, aber ich zweifle daran, daß aus dem mitteleuropäischen Geist heraus etwas Quäker-Ähnliches erwachsen kann. Denn sehen Sie, das anglo-amerikanische Element erlebt eigentlich das Religiöse in einer durchaus anderen Form als es der Mitteleuropäer erleben kann. Der Mitteleuropäer erlebt das Religiöse zuerst durchaus im Denken. Das ist das Urphä­nomen. Es ist durchaus ein vom intellektuellen Licht durchleuchtetes Mystisches. Das ist überall drinnen, selbst wo ganz radikale religiöse Formen, sektiererische Bestrebungen auftreten. In Mitteleuropa wer­den Sie überall vom denkerischen Licht durchleuchtetes Mystisches finden, während der Anglo-Amerikaner das religiöse Element einge­taucht sein läßt noch in das Instinktive des Menschen. Natürlich tritt das in verschiedener Weise auf, und es würde interessant sein, irgend­wie zu untersuchen, aus welchen Blutsmischungen sich die Quäker rekrutieren. Man muß auf das Instinktive, Bluthafte gehen, da wird man die Untergründe finden. Sie werden sehen, daß man da sicher so

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etwas finden wird wie eine Instinktanlage, aber auf Instinktanlagen gründet der Mitteleuropäer niemals etwas Gemeinschaftsbildendes.

Das ist wirklich ein deutlicher Unterschied zwischen dem Westen, der Mitte und dem Osten. Der Westen sucht das Höhere mehr oder weniger im Unterbewußtsein, in der Mitte sucht man es im Bewußt­sein, und im Osten sucht man es im Überbewußten, da ist man überhaupt immer hinaufschauend. Der Amerikaner besonders sieht zur Erde und erwartet von der Erde alles, der Russe - noch mehr der Asiate - schaut eigentlich immer hinauf. Der Mitteleuropäer sieht geradeaus. Es ist schon so, daß wir gerade auf religiösem Gebiet in gefährliche Bahnen kommen könnten, wenn wir das eigentlich west­liche Element nachahmen wollten. Das dürfen wir auf keinem Gebiet tun. Es hat uns ja in der Naturwissenschaft den großen Schaden gebracht und führt auf religiösem Gebiet ganz besonders zur Erstar­rung. Wir müssen da schon mehr mit der Seele arbeiten als mit dem Leib.

Emil Bock: Wir haben davon gehört, daß es schon Rituale gibt, die bei Gelegen­heit einmal ausgegeben worden sind, ein Taufritual und ein Beerdigungsritual und ein Stück einer umgearbeiteten Messe. Ich möchte nun einmal fragen, ob es die Möglichkeit gibt, daß wir zum Hineinleben solche Stücke kennenlernen könnten?

Rudolf Steiner: Gewiß, diese Dinge würden als Ausgangspunkte in Betracht kommen. Das Beerdigungsritual ist dadurch entstanden, daß ein Mitglied unserer Bewegung ein solches Beerdigungsritual haben wollte. Natürlich mußte man anknüpfen an die gewöhnlichen Beerdigungsrituale, aber dadurch, daß man das gewöhnliche Ritual übersetzt hat, natürlich nicht lexikographisch, sondern richtig, ist etwas wesentlich anderes herausgekommen. Diese Dinge würde ich einmal zurückerbitten und würde sie sehr gerne zugrundelegen unse­rer Kursbetrachtung. Ich werde einfach unseren Freund bitten, daß er sie abschreibt und dann vielleicht hierher schickt; das ist durchaus möglich. Beim Meßopfer habe ich zunächst auch nur eine Überset­zung des [katholischen] Meßopfers gegeben, aber es ist eigentlich etwas Neues geworden. Aber ich bin mit der Übersetzung nur bis

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zum Offertorium gekommen, sie ist noch nicht fertig. Im altkatho­lischen Gottesdienst wird ja die Messe in der Landessprache gele­sen. Unser Freund ist so weit gegangen, daß er im altkatholischen Gottesdienst die Messe bis zum Offertorjum in dieser Übersetzung gelesen hat.

Die Dinge brauchen Zeit, und wir haben wenig Zeit. Aber das alles kann Ihnen wirklich zur Verfügung gestellt werden. Nur würde es natürlich notwendig sein, daß insbesondere ein Taufritual neu geschaffen werden müßte; denn das alte Taufritual ist ja dadurch nicht ganz entsprechend, daß es überall darauf abgezielt hat, erwach­sene Menschen zu taufen, und dann hat man es auf das Kind über­tragen. Will man heute Kinder taufen, muß erst ein [neues] Ritual gefunden werden. Auch dazu liegen Elemente schon vor, die ich Ihnen auch zugänglich machen kann. Die Taufrituale sind herausge­wachsen aus Taufen für Erwachsene. Wenn man ein Kind tauft, spricht man doch zu einem Unbewußten, und es muß doch auch eine entsprechende Handlung sein. Das Kind weiß nichts davon. Nicht wahr, soweit dürfen wir nicht gehen, daß wir gegen die Kindertaufe an sich uns auflehnen, dabei können wir bleiben. Aber manches muß am Ritual erneuert werden. Wenn Sie die Johannestaufe nehmen, so beruht sie ja darauf, daß der Mensch untergetaucht wurde im Wasser, der erwachsene Mensch wurde untergetaucht. Sie wissen ja, daß der Mensch dabei bis zu dem Punkt [des Bewußtseins] gebracht werden kann, daß sein Erdenleben ihm im bloßen Tableau erscheint. Es erscheint ihm sein Leben in einer Art Tableau, und er erlebt dadurch unbedingt, daß er einer geistigen Welt angehört. Er macht eine Erfah­rung davon, daß er einer geistigen Welt angehört. Das ist eigentlich auch im Taufritual ausgedrückt. So können wir das beim Kind nicht machen. Wir müssen ein Ritual haben beim Kind, das zum Ausdruck bringt, wie das Kind aufgenommen wird in unsere Gemeinschaft, und die gemeinschaftliche religiöse übersinnliche Substanz, die in der Gemeinde lebt, die muß auf das Kind überströmen. Das müssen wir im Taufritus zum Ausdruck bringen, und das kann ja auch geschehen.

Sehen Sie, es ist ja natürlich bisher in der anthroposophischen Bewegung keine Veranlassung gewesen, diese Dinge wirklich konkret

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auszubilden aus dem einfachen Grunde, weil wir das ja vermei­den wollten. Die Fälle sind nicht wenige, wo man solche Dinge einführen wollte. Ich habe es immer abgelehnt aus dem Grund, weil natürlich dadurch die anthroposophische Bewegung von Anfang an totgemacht worden wäre. Man mußte eben bei dem bleiben, was einem halbwegs gestattet war.

Vor 20 Jahren war es noch mehr, heute ist es weniger der Fall, daß die katholische Kirche das Rituelle als ihr Monopol betrachtet hat. Wir würden gleich totgemacht worden sein, und deshalb war auch wenig Veranlassung, das Ritual nach dieser Richtung auszubilden. Das andere, wo allerdings die Form eines Rituals ausgebildet war, das

ist durch den Krieg unterbrochen worden, wo man nicht mehr wei­termachen konnte; denn sobald diese Dinge weitergeführt worden wären, wäre man als geheime Gesellschaft behandelt worden.

Das sind die Dinge, warum die rituelle Seite innerhalb der anthro­posophischen Bewegung nicht ausgebildet worden ist. Aber in Ihrer Bewegung wird sie ausgebildet werden können, denn es wird als etwas ganz Natürliches betrachtet werden können, daß das Rituelle in einer religiösen Bewegung ausgebildet wird. Wenn auch der Prote­stantismus einen gewissen Horror hat vor dem Kultusartigen, so glaube ich doch, daß [die Notwendigkeit des Rituellen] wiederum gefühlt werden könnte.

Ein Teilnehmer: Zunächst haben die Katholiken mehr Sakramente als die Prote­stanten. Was liegt dem zugrunde und welches ist die eigentliche Bedeutung der Kuithandlung des Abendmahles?

Rudolf Steiner: Dasjenige, was im katholischen Dogma liegt, geht ja auf bestimmte Formen älterer Erkenntnis zurück. Man stellt sich vor, daß zwischen Geburt und Tod der Mensch sieben Stadien durch-macht. Erstens die Geburt selber, dann dasjenige, was man das Reif-werden nennt, die Pubertät, dann das, was man das Bewußtwerden der Innerlichkeit nennt um das 20. Jahr herum, dann das Gefühl, der Welt nicht zu entsprechen, nicht ganz Mensch zu sein, das ist das vierte. Und dann, nicht wahr, das allmähliche Hineinwachsen in das

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Geistige. Diese Dinge sind dann etwas schwankend geworden, aber man stellte sich das ganze menschliche Leben einschließlich des sozialen in sieben Etappen vor, und man stellte sich vor, daß der Mensch zwischen Geburt und Tod herauswächst aus dem Geiste. Die katholische Kirche kennt ja in der neueren Zeit keine Präexistenz. Es ist nur ein Gedanke Gottes vorhanden, und dieses Herauswachsen aus dem Gottesgedanken wird in sieben Etappen dargestellt. Diesen sieben Etappen müssen [jeweils] andere Kräfte entgegengehalten werden. Die Geburt ist eine Evolution, das Reifwerden ist eine Evolution, jeder Evolutionsform wird eine Involutionsform entge­gengestellt: der Geburt die Taufe, der Pubertät die Firmung. Jedes Sakrament ist das Inverse zu einer natürlichen Etappe in der Evolu­tion. Man kann sagen, die katholische Lehre stellt sieben Evolutions-stufen dar, denen sie gegenüberstellt sieben Involutionsstufen, und das sind die sieben Sakramente, von denen vier irdisch sind, nämlich Taufe, Firmung, Altarsakrament, Buße. Diese vier sind so allgemein-menschlich wie physischer Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich. Wenn Sie höher hinaufgehen, kommen Sie zum Geistselbst, Lebensgeist und Geistesmenschen. So wie das Hereinscheinen aus der geistigen Welt, so sind die drei letzten Sakramente diejenigen, die in das Soziale gehen: die Ehe, die Priesterweihe, die Letzte Ölung. Das Hereindringen der geistigen Welt kommt in der Priesterweihe zum Ausdruck. Das sind also die sieben Sakramente, von denen die letzten sind die Letzte Ölung, die Priesterweihe und die Ehe. Es sind einfach die Sakramente die inversen Vorgänge für die natürlichen Vorgänge, die sich vollziehen für den Menschen, und danach sind auch die entsprechenden Kulthandlungen eingerichtet.

Der Gedanke der sieben Sakramente ist schon durchaus ein sol­cher, der nicht willkürlich ist. Willkürlich ist es vielmehr, diese sieben Sakramente auf zwei zu beschränken. Das ist geschehen in einer Zeit, wo man kein Gefühl mehr hatte für die innere Zahlenkonstitution der Welt. Diese Dinge sind es natürlich, die wirklich ernst zu neh­mende katholische Priester, namentlich die Ordensgeistlichen, zu solchen Verächtern des Protestantismus machen. Sie halten ihn durch die Bank für einen Rationalismus, für etwas, was nichts mehr weiß.

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Es gibt echte durchgeistigte Naturen unter den Ordensgeistlichen

-die Jesuiten, nicht wahr, die werden ja zubereitet - ich habe einen unter den Ordensgeistlichen von Monte Cassino gefunden, den Pater Storkeman, mit dem ich auch über Dionysios Areopagita gesprochen habe, der mir den Altar gezeigt hat, wo er gewöhnlich Messe liest. Der hat mir über seine Gefühle bei der Messe gesprochen, da sah man, das hat nichts zu tun mit der gewöhnlichen Konfession der katholischen Kirche.

Und ein andermal, in Venedig, da war ein Patriarch, das war ein fürchterlicher Kerl. Ein anderer, ein jüngerer Kleriker predigte, und dem, der gepredigt hatte, dem sah ich es okkult an, daß er wirklich durchgeistigt war. Die Predigt war auch wirklich etwas ganz Feines. Gerade durch das Zeremoniell zeigen sich einzelne, die herausfallen. Ich habe auch einen die Messe lesen sehen im unteren Erdgeschoß [einer Kirche] in Neapel, da konnte ich an der Transsubstantiätion wirklich sehen dasjenige, was der katholischen Wandlung zugrunde­liegt. Es ist tatsächlich so: Wenn die Transsubstantiätion durch einen wirklichen Priester durchgeführt wird, dann bekommt die Hostie eine Aura. Nun, das mögen Sie glauben oder nicht, ich kann es nur erzählen.

Man braucht nicht damit zurückzuhalten [das auszusprechen]: Es liegt schon im Kultus eine innere Realität, das ist zweifellos der Fall. Man sieht gerade dann die Schäden im Katholizismus, wenn man auf der anderen Seite sieht, was er gewesen ist, und was in der rationäli­stischen Zeit verlorengegangen ist. Das ist sinnlos, daß [der Prote­stantismusj aus sieben Sakramenten zwei herausgenommen hat; das hat keine Raison.

Emil Bock: Dürften wir noch dazu fragen, was in der früheren Christenzeit die Handauflegung für eine Bedeutung gehabt hat?

Rudolf Steiner: Da müssen Sie sich klar sein darüber, daß die Menschheit eine Entwickelung durchgemacht hat und daß gewisse geistige Kräfte, die in der Vormenschheit da waren, immer mehr und mehr im Rückgang sind, indem der Mensch intellektueller wurde, die Freiheit ausbildete. Gegenüber dem natürlichen Leben gingen

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gewisse Kräfte durchaus zurück, und deshalb versteht man viele Dinge nicht, die in der biblischen Geschichte erzählt werden und die etwas ganz anderes bedeuten, als was der Mensch heute damit verbin­det. Ich mache Sie da zum Beispiel aufmerksam, wie gemein, wider­lich gemein die moderne Zeit so etwas auffaßt wie das Verhältnis des Sokrates zu seinen Schülern. Man redet da von einer Art Homo­sexualität, während das auf eine Seite der Seelenkräfte hinweist, wo nicht nur durch das Wort, sondern durch das Beisammensein des Sokrates mit seinen Schülern etwas bewirkt wurde. Die Anwesenheit des Menschen bedeutete ihnen etwas. Es ist eine ekelhafte Verleum­dung der Dinge, wenn heute auf diese Sachen im Griechentum die Begriffe der Homosexualität angewendet werden. Und so ist es auch mit der Berührung bei der Handauflegung. Die Hand des Menschen hat im wesentlichen nicht nur eine fühlende Bedeutung, sondern sie hat auch eine Ausströmung, und die Ausströmung war in früherer Zeit stärker, sie kann etwas Gesundendes bekommen. Ich habe das öfter in Vorträgen in eine bestimmte Formel gebracht: Das menschli­che Leben ist ein Ganzes, und die Kindheit gehört zusammen mit dem späteren Lebensalter. Kein Mensch bekommt im späteren Lebens­alter die Gewalt, zu segnen, der nicht in der Kindheit zu beten vermag. Wer niemals in der Jugend betend die Hände gefaltet hat, kann die Hände niemals segnend halten. Das Handauflegen war ein­fach ein Einweihungsvorgang [..Lücke in der Nachschrift], was sich da involviert, das involviert sich in der Handauflegung. Das war etwas, was früher ausgebildet worden ist, und die gesundende Wir­kung des Handauflegens, die sollte man durchaus ins Auge fassen. Nicht wahr, der heutige Mensch ist nicht mehr in derselben Lage, er wird gar nicht in seiner Jugend dazu angehalten, so etwas auszubil­den. Solche Dinge hat man früher ausgebildet, das ist schon eine Realität gewesen einmal. Es ist aber gar nicht ausgeschlossen, daß in einer vergeistigteren Zukunft diese Dinge wieder ausgebildet werden. Würden Sie das nicht für wünschenswert halten? - Das Händefalten ist eine Vorbereitung zum Segnen. Ebenso ist zum Beispiel im älteren Katholizismus durchaus gelehrt worden: Lernst du knien, so lernst du in der richtigen Weise das «dominus vobiscum» sagen. - Das ist

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Ihnen sonderbar? - Sie wissen ja, wie man das «dominus vobiscum» sagt. Das wird erlernt durch das Knien, sonst hat es nicht die Gewalt.

Ein Teilnehmer: Es wurde gesagt, daß die Priester im Ägypteitum eine außeror­dentliche Führerstellung gehabt haben. Wir haben gehört, daß Eingeweihte die Menschheit geführt haben, daß sie durch reale Gedanken gewirkt haben. Die Frage geht dahin, wie das heute modifiziert werden müßte durch das Neue.

Rudolf Steiner: Ja, neu werden muß es insofern, als wir nicht mehr zurückkehren [dürfen] zu diesem stark unbewußten, atavistischen Element, sondern wir müssen durch das viel Bewußtere gehen, mehr Rücksicht darauf nehmen, daß jeder Mensch sich zur Persönlichkeit ausbilden muß. Es ist ja auch heute noch im Katholizismus so, daß die Persönlichkeit des Priesters vollkommen unterdrückt wird. Wenn die Stola gekreuzt wird, dann ist der Priester nur ein Figuränt der Kirche, er ist nicht mehr Mensch. Das dürfen wir nicht pflegen. Gerade im ägyptischen Priestertum beruhte viel darauf, daß eigent­lich, solange der höchste Priester lebte, die anderen nur Figuranten sein durften. Erst wenn er starb, konnte wiederum ein anderer ein­treten. Es war immer nur einer. Das alles müssen wir heute aus­schließen.

Ein Teilnehmer: Wie steht es mit der Gewandung des Priesters?

Rudolf Steiner: Die liturgische Gewandung ist so entstanden, daß man sich die Färbung einer persönlichen Empfindung im Verhältnis zum Realen vorgestellt hat, so zum Beispiel vorgestellt hat den seg­nenden Priester. Das gibt natürlich eine ganz bestimmte Färbung des ästrälischen Leibes, und danach ist das liturgische Gewand gebildet. Nicht wahr, Segnen ergibt ein Aufgehen der eigenen Persönlichkeit in der übersinnlichen Welt und ein Überströmenlassen des Segens auf die Gemeinde; das gibt ein blaues Untergewand und ein rotes Über-gewand. Man bildet einfach den ästrälischen Leib nach. Ebenso ist das für die anderen Handlungen, für das Beten und so weiter. Sie stellen sich zum Beispiel vor, daß man Ausgießung des Geistigen hat. Das kann man ganz genau verfolgen: Färbung des astralischen Leibes

- Priestergewand. Das liturgische Gewand ist einfach die Färbung

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des asträlischen Leibes. Das wäre durchaus nachzubilden, und es wird sich nur fragen, wieweit die Menschheit dazu reif ist, so etwas wiederum gelten zu lassen.

Ich habe einen ausgezeichneten protestantischen Geistlichen alS Freund gehabt, der hatte ein großes Ideal, das heißt, er hatte viele sehr schöne Ideale, aber unter anderen hatte er eines, und das war die Abschaffung des Lutherrockes. Er wollte dahergehen wie ein gewöhnlicher Stutzer. Es genierte ihn, daß er nicht wie ein Stutzer dahergehen konnte, wenn er Pastor wär. Daher war es für ihn sehr schmerzlich, nicht einhergehen zu können in diesem modernen ästhetischen Männergewande, wo man eingespannt ist in zwei Ofen-röhren. Diese Scheußlichkeit wird ja heute als das einzig mögliche Gewand angesehen, und alles andere, was etwa neu aufkommt, wird als etwas angesehen, was eine Narrheit ist. Die größte Narrheit ist unser Männeranzug. Eine Menschheit, die sich einen Frack anzieht und einen Zylinder aufsetzt -, es ist ohne weiteres ersichtlich, daß eine solche Menschheit kein Verständnis haben kann für Kultgewän­der. Das muß in der Menschheit wieder heranerzogen werden. Es wird dann, wenn auch Frauen diesen Beruf ergreifen können, wenn also Predigerinnen kommen, ja vielleicht ein Weg sein, eher zum Kultgewand zu kommen. Denn die Frauen werden schon irgend etwas tun müssen, um auf den Predigerstuhl zu gelangen. Aber die Männer wollen es heute doch so machen wie ein schweizerischer Redner. Der fand es zum Beispiel richtig, allerdings nicht Predigten, aber Reden zu halten, indem er mit der Zigarette im Mund hin und her spazierte auf dem Katheder. So hielt er seine Vorträge.

Nicht wahr, Sie wissen ja auch, daß das Kuitgewand nicht bloß auf die Kirche beschränkt war, denn die Richter hatten auch Kultgewän-der - und wenn Sie heute einem Richter zumuteten, die alten Kultge­wänder anzuziehen, würde er auch dagegen remonstrieren -, ja selbst das Hofzeremoniell ging einher mit einer Art von Kultgewändern. Und schließlich haben Sie an den Universitäten noch die Rektoren­mäntel, die immer von einem Rektor auf den anderen übergehen. In dieser Beziehung brauchen wir nur unsere ästhetischen Vorstellun­gen zu ändern, dann geht es schon.

FÜNFTER VORTRAG Stuttgart, 15. Juni 1921

#G342-1993-SE143 - Priesterkurse I

#TI

FÜNFTER VORTRAG

Stuttgart, 15. Juni 1921

#TX

Meine lieben Freunde! Ich möchte heute über das dritte Gebiet eini­ges Ihnen sagen, das Sie angedeutet haben, nämlich über den eigent­lichen Predigtinhalt. Natürlich sind aber im Grunde genommen doch alle drei Gebiete innig miteinander zusammenhängend. Wir haben über das Kultusartige einige Andeutungen gegeben, die natürlich sehr, sehr vervollständigt, ins Konkrete hineingearbeitet werden müssen, in dasjenige, was man heute braucht. Wir haben über das Kultusartige wenigstens einige Andeutungen geben können, und ich möchte davon ausgehen, Ihnen zu sagen, wie doch dieses Kultusartige wiederum mit dem eigentlichen Predigtinhalt zusammenhängt in der Praxis.

Sehen Sie, das Predigtelement appelliert ja an das vorstellungsmä­ßige Auffassen des Menschen, des Gemeindemitgliedes. Selbstver­ständlich muß die Predigt so gehalten werden, daß möglichst rasch und möglichst intensiv dasjenige, was durch das Vorstellungsmäßige in den Menschen hineinkommt, ins Empfindende, ins Gemüthafte und vor allen Dingen auch in den Willensimpuls übergeht. Aber trotzdem müssen wir auf dem Umwege über das Vorstellungsmäßige auf das Gemeindemitglied durch die Predigt wirken. Wir müssen ja bei allem Unterricht, bei aller Unterweisung durch das Vorstellungs-mäßige auf den Menschen wirken.

Dieses Vorstellungsmäßige hat aber durch seine innere Natur eigentlich etwas der gesamten Menschennatur Widersprechendes. Hier kommt man eben in ein Gebiet hinein, wo sich von vornherein die heutige Wissenschaft als ohnmächtig erweist, die Dinge zu verste­hen. Wenn man so etwas ausspricht: das Vorstellungsmäßige hat etwas der vollen Natur des Menschen Widersprechendes -, so stößt man bei der heutigen naturwissenschaftlichen Weltanschauung auf gar kein Verständnis. Und doch ist es so. Das Vorstellungsmäßige tendiert nämlich darauf hin, einmal aufgenommen zu werden und dann durch das Gedächtnis behalten zu werden. Sie werden es leicht einsehen, das entspricht nicht der Menschennatur.

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Wenn Sie auf das andere Extrem im Menschen sehen, auf die rein leiblichen Vorgänge, da kann man nicht sagen: ich habe heute geges­sen oder getrunken, also bleibt mir das erhalten im Organismus, ich brauche daher morgen nicht wieder zu essen und zu trinken -, sondern es muß Essen und Trinken in rhythmischer Folge wiederholt werden. Es muß dasjenige, was der Mensch in Tätigkeit vollbringt, in rhythmischer Folge auftreten. Und dies ist im Grunde genommen die eigentliche Menschennatur, in den Rhythmus in einer gewissen Weise eingegliedert zu werden, während es schon eine Abweichung von der Menschennatur ist, wenn der Mensch einmal etwas aufnimmt und es dann behält, es ihm bleibend wird. Und dieses Bleibende ist der Charakter des Vorstellungsmäßigen. Im Extrem wird das Vor­stellungsmäßige langweilig, wenn es zu häufig wiederholt wird; und es hängt mit diesem Theoretisch-Vorstellungsmäßigen eine Grund-sünde gegen die Menschennatur zusammen, nämlich die, Wiederho­lungen nicht mehr haben zu wollen. Man kann das rein äußerlich ver­folgen. Lesen Sie gute Übersetzungen der Buddha-Reden; da werden Sie finden, daß diese Buddha-Reden unzählige Wiederholungen haben, man schreitet durch lauter Wiederholungen. Man hat im Abendland die Torheit begangen, nur das Inhaltliche aus den Buddha-Reden heraus­zunehmen und die Wiederholungen wegzulassen, weil man nicht gewußt hat, daß Buddha mit der Menschennatur gerechnet hat.

Da stoßen wir auf dasjenige, wo aus der Menschennatur selbst heraus ganz notwendig das bloß Inhaltliche übergehen muß in ein rhythmisch Aufzunehmendes. Man hat das früher natürlich ganz aus instinktiven Erkenntnissen heraus getan, indem man in die Unterwei­sung das Gebet als das Rhythmische einschob, das Gebet eingescho­ben hat als immer sich wiederholenden Glaubensinhalt, trotzdem das einzelne Gebet vollkommen den gleichen Inhalt hat. Es geht das Vorstellungsmäßige über in das Willensmäßige, wenn das Wiederho­len eintritt. Auf eine andere Weise bekommt man einen [willensmäßi­gen] Inhalt überhaupt nicht. Damit haben wir schon das notwendige Einfließen des lehrhaften Elementes in das Kultuselement. Wir müs­sen den Lehrgehalt in solche Formen bringen, daß wir in einer gewissen Weise Bildvorstellungen an die Gemeindemitglieder heranbringen.

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Wir müssen auslaufen lassen dasjenige, was wir lehren, in emer gewissen Weise in Bildvorstellungen und die Hauptsachen in einer gewissen monumentalen Weise festsetzen und als Formel immer wiederholen lassen. Ohne das bringen wir den Lehrgehalt nicht über das Theoretisch-Vorstellungsmäßige hinaus in das Prak­tisch-Willensmäßige hinein, und das müssen wir. Je mehr wir bei dem bloßen Überliefern des Lehrgehaltes bleiben, desto weniger kommen wir zur praktischen Religionsübung.

Das ist dasjenige, was Ihnen unmittelbar zeigt, wie in so etwas wie in den Buddha-Reden überhaupt schon Kultus drinnen ist. Es ist schon das Herausarbeiten des Willenselementes aus dem bloßen theoretischen Vorstellungselement eigentlich in diesen Reden vor­handen. Während wir an den Menschen appellieren, das Vaterunser zu wiederholen, arbeiten wir aus dem bloß Theoretischen in das Praktisch-Religiöse hinein. Wir werden aber das gar nicht können, wenn wir nicht selber ganz durchdrungen sind von der übersinnli­chen Weltensubstanz. Und da komme ich heute zu gewissen Charak­teristiken des Lehrgutes, die man doch beachten muß, wenn man ein praktischer Prediger werden will oder wenn man überhaupt durch das Lehrgut auf den Menschen wirken will.

Sehen Sie, der größte Schaden im heutigen religiösen Wirken liegt ja darin, daß man eigentlich doch die Evangelien nicht mehr ernst nimmt. Ich meine damit nichts Abträgliches, ich meine damit, daß man nicht das Bewußtsein hat, in den Evangelien ist ein über das sinnliche Verständnis hinausgehender Inhalt zu suchen. Man erwirbt es sich als ein Bedeutungsvollstes, durch die Anthroposophie wieder an die Evangelien herandringen zu können und sich zu sagen: In den Evangelien fließt ein außerirdischer Gehalt. Man muß sie verstehen, man muß alles mögliche tun, um sie wirklich zu verstehen. Heute kritisiert man doch nur die Evangelien, man will sie nicht in Wirk­lichkeit verstehen, und diese Kritik beruht zum größten Teil darauf, daß man den Inhalt der Evangelien überhaupt nicht ernst nimmt, sondern daß man ihn obenhin nimmt.

Da muß ich Sie verweisen auf den dritten Satz des Johannes-Evangeliums. In diesem dritten Satz hört man gewöhnlich das Folgende:

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Alle Dinge sind durch das Wort gemacht und außer durch das Wort ist nichts gemacht, was gemacht ist. - Was alles wird in diesen dritten Satz des Johannes-Evangeliums hineingetragen! In Wirklich­keit müßte man sagen: Alle entstandenen Dinge sind durch das Wort entstanden und außer durch das Wort ist nichts von dem Entstande­nen entstanden. - Damit trifft man, was in diesem Satz gesagt ist. Es wird in diesem dritten Satz mit aller Macht hingewiesen auf das Entstandene in der Welt, auf alles das, was dem Werden unterliegt. Und von dem, was dem Werden unterliegt, wird erstens gesagt, daß es dinghaft ist. Alles, was wir als entstandene Dinge sehen, ist ent­standen und vergeht. Und von diesem Entstandenen und Vergehen-den wird zweitens gesagt, daß es durch das Wort gemacht ist, durch den Logos.

Es würde dieser Satz nicht dastehen, wenn nicht von dem Bewußt­sein eines Gegensatzes ausgegangen würde, wenn nicht diesem Satz unterläge, daß es im Weltensein auch Nichtentstandenes und Nicht­vergehendes, nämlich die ewigen Grundlagen gibt, die sich bloß verwandeln. Wir haben in der neueren Bildung nur verloren diesen Gegensatz zwischen dem an der Oberfläche befindlichen Entstande­nen und den in der Tiefe liegenden Mächten, die zum Beispiel Plato die ewigen Ideen nennt. Diese ewigen Ideen müssen wir voraussetzen als dasjenige, was nicht vergeht und was dem Entstandenen und Vergehenden zugrunde liegt, was nicht im Entstandenen und Verge­henden im gewöhnlichen Sinne existiert, sondern subsistiert.

Wir müssen unterscheiden Existenz und Subsistenz. Dasjenige, was allen Dingen subsistiert, das ist die Grundlage, dasjenige, was sich auf den Vater bezieht. Wir müssen in aller Popularität wirklich so zu der Gemeinde sprechen, daß wir diesen Vatergott als den Inhalt des unbedingt Ewigen zum Bewußtsein unserer Gemeindekinder bringen. Das ist nicht so schwierig wie Sie denken. Es ist nur deshalb schwierig, weil heute die Welt intensiv spart mit den Vorstellungen. Ich kann Ihnen die Versicherung geben, die Leute, die das am leichte­sten verstehen, das sind die Bauern auf dem Lande. Die verstehen die Sache sofort, während es nur die verbildeten Menschen mit der ge­genwärtigen Bildung nicht verstehen. Die verstehen die Sache nicht.

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Da können wir viel lernen, wenn wir hinschauen gerade auf dasje­nige, was an letzten Resten noch vorhanden ist an Elementar-Geisti­gem in dem [unverbildeten] Menschen. Man kann geradezu die höch­sten Dinge verhältnismäßig leicht an die Menschen mit elementarem Seelenleben heranbringen. Zurückgewiesen werden diese Ideen nur von denjenigen, die verbildet sind, zum größten Teil durch unsere Schulen verbildet sind.

Wir müssen schon verstehen, den Leuten in populärer Weise einen Begriff von dem beizubringen, was in allen Dingen das Ewige ist, und von dem, was das Vergängliche ist, das Entstandene und das Verge­hende. Und wir müssen die Vorstellung hervorrufen auf allen mögli­chen Wegen und Umwegen, daß der Vatergott dem Dauernden und der Sohnesgott, der Christus als der schöpferische Logos demjenigen zugrunde liegt, was das Werdende ist, und was das Werden ist. Deshalb muß man auch das Verständnis für den Vatergott suchen vor dem Entstandenen und das Wirken des Christus in dem Ent­standenen.

Solche Dinge müssen wieder herausgearbeitet werden, dann kom­men wir wiederum zu Begriffen, die jenseits der bloßen naturwissen­schaftlichen Begriffe liegen. Aber, meine lieben Freunde, Sie müssen auch in der richtigen Weise darüber sprechen können. Das lernen Sie nicht durch logisches Spintisieren, denn das logische Spintisieren leidet selbst an jener Einseitigkeit, daß es auf das Einmal-aufgenom­men-Werden hinarbeitet. Das logische Spintisieren - wenn es bloß beim Spintisieren bliebt - ist die schlechteste Vorbereitung zur Pre­digt. Wenn Sie predigen wollen, so genügt es nicht, daß Sie sich vorbereiten auf den Lehrgehalt der Predigt; die einzig mögliche Ergänzung zu dieser Vorbereitung auf den Inhalt ist für den Prediger selbst die Meditation.

Derjenige, der eine Predigt halten will, hat vorher eine Meditation zu machen, das heißt, etwas in sein Bewußtsein hereinzurufen, was ihn in die fühlende Innerlichkeit bringt, so daß er den Gott, das Göttliche in sich fühlt. Wer nicht in dieser Weise meditativ sich vorbereitet, der wird das Wort nicht erklingen lassen können in der Nuance, in der es erklingen muß, wenn man Verständnis hervorrufen

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soll für das, was man zu sagen hat. Sie werden sprechen müssen von Unsterblichkeit, sie werden sprechen müssen von Sündenfall, von Schöpfung, von Erlösung und von Gnade. Sie dürfen aber nicht von Unsterblichkeit, von Sündenfall, Schöpfung, Erlösung und Gnade mit demjenigen Bewußtsein sprechen, das Sie sich herausgeholt haben aus der modernen naturwissenschaftlichen Bildung, sondern Sie müssen mit demjenigen Bewußtsein sprechen, das Sie sich heraus-geholt haben aus Ihrem Erfühlen des göttlichen Daseins in Ihrem eigenen Inneren. Dann wird Ihren Worten die nötige Nuance gege­ben werden, die Sie brauchen, um an die Herzen derer heranzudrin­gen, zu denen Sie die Wahrheiten über Unsterblichkeit, Sündenfall, Schöpfung, Erlösung und Gnade bringen sollen. Das ist dasjenige, was eben so tief als nur möglich von Predigern eingesehen werden muß. Sie kommen nicht zu einem tieferen Verständnis des Lehr­gehaltes, wenn Sie sich nicht meditativ vorbereiten.

Jene Sammlung, die Sie sich zuerst erwerben in der Meditation, die Sie dazu bringt, mit Ihrem ganzen Menschen - wenn auch nur für kurze Zeit - allein zu sein, jene Sammlung ist es, die Ihnen die richtige Stimmung auch für das Evangelienlesen zubereitet. Sie müs­sen schon davon ausgehen, daß nur das meditative Leben Sie auf der einen Seite zum Evangelienlesen, auf der anderen Seite für den beson­deren Ton des Predigens vorbereiten kann. Das ist dasjenige, was der Prediger sich zur Gewohnheit machen muß. Man soll eben nicht glauben, daß das Verständnis für Kultus, das Verständnis für die richtige Nuance des Predigens, einem durch verstandesmäßige Erwä­gungen, durch verstandesmäßiges Begreifen des Evangelieninhaltes zukommt, sondern es kommt durch die meditative Vertiefung in das geistige und in das willenshafte Element gleichzeitig, das den Men­schen anregt, also den Vollmenschen anregt, und darauf kommt es eigentlich immer an.

Es ist durchaus gut, wenn der moderne Prediger an hervorragen­den Beispielen sich klarmacht, welche inneren Seelenkämpfe eigent­lich durchgefochten werden müssen, wenn man von dem, was man heute eben durch die äußere Bildung, auch durch die äußere theolo­gische Bildung aufnimmt, und was die ganze Gedankenform bestimmt,

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zu einer wirklichen Erfassung der angedeuteten Vorstellung über das Übersinnliche hindringen will.

Es ist wirklich nützlich für den, der heute ein Wirkender im religiösen Leben werden will, solche Persönlichkeiten zu studieren, wie zum Beispiel Newman, den englischen Kardinal, der vom Angli­kanismus ausgegangen ist und der sich so zur Hälfte bewußt inner­halb einer mehr modernen Weltanschauung bewegt hat und der dann zurückverfallen ist in den Katholizismus, es sogar innerhalb des Katholizismus - weil man auf solche Leute nur wartet - bis zum Kardinal bringen konnte. Es ist interessant, das Ringen gerade einer solchen Persönlichkeit zu beobachten. Sehen Sie, im Grunde genom­men ging dieses Ringen Newmans zunächst davon aus, die christli­chen Wahrheiten verstehen zu wollen. Aber damit konnte er nicht zurechtkommen. Er fand zuletzt keinen Weg, mit den modernen Begriffen die christlichen Wahrheiten zu verstehen. Er war ehrlich genug, nicht kommen zu wollen zu dem bloßen «schlichten Mann von Nazareth» in Weinelscher Manier, sondern es war in ihm der Drang nach dem Übersinnlichen. Er kam nicht früher zurecht, als bis er sich sagte: Ja, am Ausgangspunkt des Christentums stehen nicht hochgebildete, wissenschaftlich gebildete Menschen, sondern es ste­hen da die Fischer von Galiläa, und diese verstanden eigentlich nichts von den Aussprüchen, die sie getan haben; sie haben diese Aussprü­che getan ohne Logik, ohne durchdrungen zu sein von einem logi­schen Verständnis. Und dann hat sich eigentlich alles das, was moderne Theologie ist, was so sehr darauf hinarbeitet, logisch sein zu wollen, was bis zur Negation kommt in der von Logik durchdrunge­nen Kritik, erst ergeben aus den schlichten Worten der Fischer von Galiläa. - Und da kommt Newman dazu, sich zu sagen: Wenn es Logik gibt, so kann sie selbst erst aus der Unlogik herausgeboren werden, aus demjenigen, was sich in so schlichter Weise darlebt wie das Christentum gelebt hat bei den Menschen, die den Christus Jesus umgeben haben in Galiläa. -

Und da kommt er zu einer besonderen Auffassung von der Evolu­tion, von der Entfaltung desjenigen, was [religiös] erlebt wird, in das mehr Ausgesponnene hinein. Aber er ist nun genötigt, die ganze

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katholische Kirche mit [an]zunehmen, denn er bleibt im Tatsächli­chen der Entfaltung [des religiösen Erlebens] stehen. Warum bleibt er stehen? Weil er die Möglichkeit negiert, daß man heute durch das Logische in das Überlogische durch Anschauen kommen kann. So konnte er [- zwischen Skylla und Charybdis stehend -] in die Gefahr kommen, auf der einen Seite durch eine rein rationalistische Ausdeu­tung der Skylla zu verfallen, oder auf der anderen Seite durch Ertöten der rationalistischen Denkweise der Charybdis, nun aber mitanneh­men zu müssen die ganze Tradition und in den Katholizismus zurückzufallen. Jeder eigentlich, [der so denkt,] verfällt dem Katholi­zismus. Sie brauchen nur [daran] zu denken, daß Menschen, die das nicht mitmachen können, was heute das Zeitgemäße ist, um in das Übersinnliche hineinzukommen, wie zum Beispiel Scheler, der innerhalb unserer deutschen Bildung für diese Sache charakteristisch ist, zurückfallen in den Katholizismus. Wenn die Menschen das Übersinnliche suchen und den Weg, den Anthroposophie gehen will, ablehnen, [fallen sie zurück in den Katholizismus].

Heute ist es eben nicht anders möglich, um zwischen Skylla und Charybdis durchzukommen, als den anthroposophischen Weg zu begehen, selbst Anthroposophie auch als ein tragendes Element des religiösen Lebens aufzunehmen, um zu den übersinnlichen Wahrhei­ten hinzugehen. Dann kommt man auch dazu - und für Sie ist das nötig, weil es gemeindebildend auftritt -, die populäre einfache Form zu finden für dasjenige, was wir innerhalb der Anthroposophie noch nicht tun können, weil zunächst einmal etwas anderes da sein muß. Wir mussen uns [für das Darstellen übersinnlicher Wahrheiten] noch zu stark in den modernen Bildungsformen ausdrücken, weil wir zu denen sprechen, die der modernen Bildung angehören. Wenn Sie aber eine Anzahl Leute sind, dann ist es durchaus möglich, auch die einfache Form zu finden, um zu den Leuten so zu sprechen, daß die angedeuteten hohen Begriffe von dem Übersinnlichen wiederum gegenständlich werden.

Ich will nur folgendes andeuten. Sehen Sie, verschmähen Sie es nicht, zu den Leuten so zu sprechen, daß Sie ihnen sagen: Sieh dir einmal den Stein an, sieh dir den Bergkristall an, sieh dir an eine so

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geformte mineralische Sache, und du wirst dir sagen können: Diese mineralische Sache, wie ist sie gebildet? Sie ist aus der Erde heraus gebildet; du hast keine Veranlassung, anders zu denken, als daß sie aus der Erde heraus gebildet ist. Es ist ein Stück der Erde, die Erde kann solche Formen schaffen, das ist ein Stück der Erde. Aber sieh dir jetzt die Pflanzen an; sieh dir an, was du immer um dich sehen kannst. Kannst du dir vorstellen, daß die Erde [allein] die Pflanzen hervorbringt? Nein; das, was die Erde als Samen in sich hat, muß warten bis der Frühling kommt, bis von außen herein die Sonnen­strahlen dringen, und wenn die Sonnenstrahlen ihre Kraft verlieren, verliert auch die Erde die Kräfte, das Pflanzenwachstum hervorzu­bringen. Sieh auf das Pflanzenwachstum hin, dann fällt dir auf, wenn irgendwie das Pflanzenwachstum die Winterzeit überdauern will, so nimmt es das Verholzende, das Mineralische auf; es wird zum Baum, der wiederum verliert in seinem Holz die sprossende, sprießende Kraft, er nimmt selber etwas von dem Mineralischen auf. Das, was das Pflanzenhafte ist, könnte die Erde nie aus sich hervorbringen; dazu ist dasjenige nötig, was die Erde umgibt. - Man muß aufsteigen dazu, den Leuten so recht ein Bewußtsein davon beizubringen, daß die Erde nur ein Gesteinskörper sein könnte, wenn sie bloß ihre eigenen Kräfte hätte, daß sie aber niemals die Vegetation besitzen würde und durchsetzt wäre von ihr, wenn die Erde nicht eine Einheit bilden würde mit dem Kosmos, wenn nicht die kosmischen Kräfte hereinspielen, hereinwirken würden auf die Erde. Ein Pflanzenreich hätte die Erde nicht, ohne daß der räumliche Himmel wäre.

Und wenn es möglich war, in alter Zeit den Sklavenmassen im alten Ägypten solche Wahrheiten beizubringen wie zum Beispiel den Übergang von der Sonnenkraft zur Kraft des Sirius, wenn man das den Menschen damals beibringen konnte, dann brauchen wir nicht zu verzweifeln, daß wir heute zu den einfachsten Menschen werden davon sprechen können, daß die Erde dasjenige, was sie als das Vegetative hat, dem außerirdischen Kosmos mit seinen Kräften ver­dankt. Und so entreißen wir den Menschen dem Hang zu dem bloß Irdischen, wenn wir ihm das Gefühl beibringen, was die Erde [an Kräften] von dem räumlichen Himmel hat.

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Ich meine also, es muß hingearbeitet werden darauf, daß schon durch die Betrachtung desjenigen der Pflanzenwelt, was für jeden verständlich sein kann, der Seelenblick hingelenkt wird auf den gan­zen kosmischen Raum. Dann bekommen wir eine starke Hilfe, wenn wir uns klarmachen, wie die ganze Natur eigentlich unschuldig ist, wie es unmöglich ist, in der Natur des Mineralischen, des Pflanzli­chen von irgend etwas zu reden, was Schuld oder Sünde ist. Und wenn wir diese Begriffe gut durcharbeiten, wenn wir wirklich auch gegenständlich darstellen die Unschuld der Natur und das mögliche Schuldigwerden des Menschen, dann können wir herausarbeiten das­jenige, was nun wiederum die Menschen dazu hinführt, zu begreifen, daß mit dem Menschen in die Welt etwas hereinkommt, was über­haupt im Raum gar nicht zu finden ist. Hat das der Mensch erst verstanden, daß die Pflanzen ihr Dasein dem Raume verdanken und unschuldig sind, dann haben wir einen Weg, uns klarzumachen, daß dasjenige, was den Menschen schuldig machen kann, überhaupt nicht aus dem Raum kommen kann, daß wir alle in die Notwendigkeit versetzt sind, das wesenhafte Seelische des Menschen außer dem Raum zu suchen. Wir müssen diesen Weg suchen, über den Raum nun hinauszukommen. Und sehen Sie, wenn wir den Weg gefunden haben, über den Raum hinausgekommen zu sein, dann finden wir schon weiter.

Wie schwer es dem Menschen der neueren Bildung geworden ist, über den Raum hinauszukommen, das können Sie ja daran sehen, daß die gescheitesten Leute im 19. Jahrhundert die Unsterblichkeit von dem Gesichtspunkt aus bekämpft haben, daß die Seelen ja keinen Platz hätten im Weltall. Sie konnten mit dem Seelenbegriff nicht hinauskommen aus dem Räumlichen. Man muß mit dem Begriff der Seele herauskommen aus dem Räumlichen. Und ist man so weit, dann lenkt man den menschlichen Blick hin auf die Tierwelt und versucht einmal einen Begriff lebendig zu machen, den man da her­ausbekommt, der nicht nur unser Vorstellungsleben, sondern tief unser Gemüt ergreift.

Wir finden, Mineralien und Pflanzen können nicht schuldig wer­den, können dafür aber auch nicht leiden. Der Mensch muß leiden,

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kann aber auch schuldig werden. Und dann lenken wir den Blick auf die Tierwelt; die kann auch nicht schuldig werden, aber sie muß leiden. Und wenn wir lernen, allmählich die wiederholten Erdenle­ben [zu begreifen], namentlich wenn es uns nicht eine Theorie, sondern ein klares Begreifen wird, wenn wir fühlen, daß doch eben, wenn auch nicht trivial praktisch, aber ein weltgesetzmäßiger Zusam­menhang zwischen Schuld und Leiden eben da ist und wir nur diesen Zusammenhang nicht finden, weil wir den Blick auf die unschuldige Natur hinlenken und den Menschen auch in diese Einheit der unschuldigen Natur einspannen möchten, dann geht uns die große Welttragik auf, die darin besteht, daß wir die Tierwelt an uns gekettet haben, daß die Tiere mit uns leiden müssen, trotzdem sie nicht schuldig werden können. Dann bringt man es zu dem tragischen Gedanken, daß die Tierwelt wegen des Menschen da ist, mitmachen muß das Leiden, trotzdem sie nicht fehlen kann. Fühlen Sie diesen Begriff durch, fühlen Sie mit, daß die Tierwelt mitmacht das Übel, trotzdem sie nicht mitgehen kann zum Bösen.

Wenn wir auf diese Art uns lebendige Vorstellungen - die zugleich empfindungsgemäße Vorstellungen sind - vom Übel und vom Bösen machen, dann kommen wir zu einem Zusammenhang mit der Welt. Wir müssen eben nur das Tragische im Weltendasein fühlen, das darin besteht, daß die Tiere, die um uns herum sind, mit uns leiden, und dann kommt man dazu, sich klarmachen zu können, daß es Pflichten gibt, die über die gewöhnlichen Rechtspflichten hinausge­hen. Hier liegt ein Punkt, wo Sie den Menschen ganz hinausführen können aus der unmittelbaren Sinneswelt. Denn in der unmittelbaren Sinneswelt finden Sie nichts anderes als die Rechtsbegriffe, die die sinnlichen, die äußeren Verhältnisse regeln zwischen Mensch und Mensch. Aus einer ganz anderen Welt geht uns hervor die Verpflich­tung, die Tiere zu erlösen. Das können wir überhaupt nicht im gegenwärtigen Dasein. Wir können nichts dazu tun im gegenwärti­gen Dasein, um die Tiere zu erlösen, die um unseretwillen leiden. Wir können sie nur erlösen, wenn wir auf einen Erden-Endzustand hinblicken, der uns nicht mehr durch Naturgesetze hindert, in die Erlösung einzugreifen und von der Tierwelt das Leiden zu nehmen.

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Und so rücken wir auf, einen Erden-Endzustand zu begreifen, in den die Physik hineinzureden kein Recht hat. Wir erweitern dasjenige, was in uns Menschen lebt, zu einem Erfassen des Weltenzusammen­hanges.

So müssen wir zu den Menschen von heute sprechen, denn wenn wir im Sinne der alten religiösen Vorstellungen sprechen, werden uns die Leute einwenden, von naturwissenschaftlicher Seite [gesehen] sei das alles nicht möglich. Wir müssen aber versuchen, einen solchen Weg zu finden, demgegenüber einfach das Naturwissenschaftliche nichts sagen kann. Denn es ist ja da, dieses Leiden der Tierwelt, ohne daß die Tierwelt schuldig werden konnte. Und es ist hier unmittelbar der Übergang, es ist die Möglichkeit vorhanden, von überirdischen Verpflichtungen oder besser von außerirdischen Verpflichtungen etwas zu wissen, von Pflichten, die erfüllt werden können, wenn die Erde ihren Untergang gefunden hat, den Untergang ihres heutigen physischen Zustandes. Wir werden [die Menschen] zum Verstehen dieses Erdenzustandes hinführen können, indem wir auf sachgemäße Weise das rein naturwissenschaftliche Denken überwinden.

Wir können das aber nicht, wenn wir in unserer Predigt bloß an den Egoismus der Menschen appellieren. Und das ist es, was allmäh­lich in der Menschheit heraufgezogen ist und die religiöse Überzeu­gung eigentlich so schwierig gemacht hat, daß wir heute mit den besten Predigten im Grunde genommen an den menschlichen Egois­mus appellieren; und das ist dadurch gekommen, daß wir nur von der Unsterblichkeit reden und nicht von dem Ungeborensein.

Wie es sich verhält mit der Unsterblichkeit - aus Anthroposophie wird es klar. Es wird klar durch Erkenntnis. Wie redet aber der heutige Prediger über die Unsterblichkeit? Er rüttelt auf - sehen Sie sich die Tatsachen an -, er rüttelt auf die egoistischen Bedürfnisse der Menschen, er redet dabei ganz und gar zu den tiefsten Seelenegois­men; und er würde gar nicht an die Herzen herandringen, wenn ihm nicht entgegenschlüge die Begierde: Ich mag doch nicht untergehen mit dem Tode. - Natürlich geht der Mensch mit dem Tode nicht unter. Aber es darf diese Anschauung nicht aus der Begierde hervor­gehen. Der Prediger stachelt doch diese Begierden auf; er redet doch

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zur Begierde und zur Furcht, und wenn er es gleich nicht [bewußt] tut, so tut er es doch, weil er es eben so gewohnt ist. Nicht ebenso können Sie reden vom Leben vor der Empfängnis. Vom Leben vor der Geburt können sie nicht vom egoistischen Standpunkt reden; damit können Sie den Menschen bis zur Gleichgültigkeit bringen, denn daran liegt ihm im tiefsten Inneren doch nichts. Da er das Dasein erlebt, interessiert es ihn nicht, ob er schon früher gelebt hat. Dieses Interesse muß den Menschen eben eingefügt werden, und das kann nur eingefügt werden, wenn man in dem Menschen ein Bewußtsein hervorbringt, daß er eine Mission bekommen hat mit seinem Erdendas ein, daß er Mitarbeiter ist an der göttlichen Weltord­nung, die ihr Ziel nicht erreichen könnte, wenn sie ohne die sinnliche Welt arbeiten müßte. Daß die Gottheit den Menschen entlassen hat, das ist das eine. Durchaus zu erfassen ist es, daß der Mensch die Freiheit erlebt, die er nicht erleben könnte, wenn er nicht in den Leib hinuntergestiegen wäre. Wir müssen den Menschen hinstellen als etwas, was heruntergeschickt ist von Gott. Ohne sich die Präexistenz klarzumachen, kommen Sie nicht zu einer Predigt, die den ganzen Menschen ergreift und nicht nur den begehrenden Menschen. Und das ist ein großer Schaden unserer [heutigen] Predigt, daß an das Begehrende auf der einen Seite und an die Furcht auf der anderen Seite appelliert wird und nicht an dasjenige, was den Menschen darstellt als ein Ebenbild der Gottheit, die den Menschen entlassen hat, um im irdischen Dasein zu wirken.

Sehen Sie, jenes Wort, das aus alten Zeiten uns herübertönt, das ja in der katholischen Kirche eine so große Rolle spielt, das Gloria, es ist eingeschaltet in der Messe zwischen dem Evangelium und dem Offertorium. Gloria in excelsis Deo - Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. - So übersetzt man in der neuesten Zeit. Nun ist diese Übersetzung etwas durchaus Irreführendes, denn dem Gloria-Begriff liegt nicht der Begriff des Verehrtwerdens zugrunde, es liegt ihm vielmehr dasselbe zugrunde wie dem griechischen Exusiai-Begriff: das Nach-außen-Scheinen, das Sich-Offenbaren liegt darinnen. Und eigentlich heißt der Spruch: Es offenbare sich das Göttliche in den Höhen, und auf der Erde ist sein

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Spiegelbild der Friede der Menschen, die eines guten Willens sind. -Wir müssen zu einem neuen Gloria-Begriff kommen, dann kommen wir auch wiederum zum Verständnis dieser Dinge.

Denken Sie nur einmal, wie schrecklich gotteslästerlich es eigent­lich ist, wenn da im Evangelium vom Blindgeborenen übersetzt wird:

Warum ist dieser blind geboren? Hat er gesündigt oder seine Eltern?

- Und die Antwort: Nicht er hat gesündigt, noch seine Eltern, sondern die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden. - Ist das nicht gotteslästerlich, daß der Blindgeborene geheilt worden wäre, damit man die Werke Gottes darin gesehen hätte? Während man immer übersetzt, daß die Werke Gottes durch ihn offenbar werden, liegt die Wahrheit darin, daß er in einem präexistenten Leben sich selber die Erblindung präformierte, damit in ihm der Gott offenbar werde.

Diesen irrigen Begriff, der vielfach so auftritt, müssen wir aus­schalten; dann kommen wir dazu, begreiflich zu machen, daß der Mensch dasteht wie ein Ebenbild Gottes, daß er da ist, um die Gottheit in sich wirken zu lassen. Zu diesem Verstehen kommen wir nicht, wenn wir bloß auf die Hoffnung eines postexistenten Lebens bauen und nicht auf die Präexistenz. Wir müssen radikal erfassen, daß wir hier auf der Erde die Fortsetzung des präexistenten Lebens sind, nicht bloß der Anfang des postexistenten Lebens, und daß die menschlichen Gemüter den Weg zur Selbstlosigkeit nicht finden, wenn man bloß von der Unsterblichkeit redet und nicht von der Praexistenz. Von diesen Dingen muß durchglüht werden die Predigt, dann ergibt sich eine Möglichkeit, das menschliche Bewußtsein wie­derum anzuknüpfen an das Übersinnliche; und dann kommt das andere schon von selber.

Sehen Sie, wenn Sie zu einem solchen Begriff kommen wollen wie dem der Schöpfung, dann müssen Sie eben in den Menschen ein Bewußtsein von folgendem hervorrufen: Sieht man heute die minera­lische Natur an, dann herrscht in ihr das Gesetz der Erhaltung des Stoffes und der Kraft. Und diese Welt, die wir uns da anschauen, scheint ewig zu sein. Aber wenn man sich klarmacht, daß diese Welt nur im Raum ist und dem Raum aus dem Irdischen nur die Minera­lien,

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die Pflanzen aber vom außerirdischen Raum eingefügt sind, daß schon mit dem Tiere etwas hereinkommt aus einem vorirdischen Zustand - denn dasjenige, was heute auf der Erde Naturgesetz ist, kann natürlich das Tier nicht zum Menschen machen -, wenn Sie sich klarmachen, daß die Naturgesetze selber einen Anfang genommen haben, dann werden Sie verstehen können, daß der Begriff der Schöpfung mitenthält das Entstehen der Naturgesetze, während wir heute einfach die Naturgesetze ausdehnen nach vorne und hinten ins Unendliche hinein. So kommen wir zum Begriff der Schöpfung.

Da ist auf etwas aufmerksam zum machen, was Ihnen den Beweis liefern kann, daß, wenn man zum einfachen Gemüt spricht, man für die höchsten Dinge eigentlich immer ein gewisses Verständnis wird finden können. Wenn man in meiner Jugend zu einem österreichi­schen Bauern ging, der nicht schulgebildet war, sondern nur in seiner Dorfschule lesen und schreiben gelernt hatte und zu ihm von der Natur so sprach, wie man es in der Schule gelernt hatte, so starrte er einen an. Er konnte diesen Begriff der Natur mit dem, was er wußte, überhaupt nicht in Einklang bringen. Man konnte nicht zu ihm in der gewöhnlichen Weise sagen, man betrachtet die Natur, sie bringt Pflanzen und Tiere hervor, sie ist schön, die Natur erscheint im Lichte - und so weiter; da hätte man ebenso gut etwas Chinesisches sagen können. Da gab es einen österreichischen Dialektdichter, der gebrauchte das Wort «d'Naduar». Wenn aber der österreichische Bauer, der nur Lesen und Schreiben gelernt hat, der nicht den Sinn hat für den Naturbegriff, wie er figuriert in der neueren Wissen­schaft, von Natur sprach, so hatte er einen anderen Begriff von Natur. Für ihn war «Natur» der männliche Same und ohne diesen Nebenbegriff konnte er das Wort Natur nicht verstehen. Er verstand:

Was in der Natur unschuldig lebt, das hat er in sich, aber es ist in ihm übertönt von dem, was schuldig werden kann. Er sah die Natur als einen Teil von sich an, was sich daran reiht, wenn von der Geburt die Rede sein kann, und er hatte daneben den Begriff, daß bei der Geburt noch etwas anderes in den Menschen hereinzieht als die Natur, deshalb nennt er den männlichen Samen die Natur, das Naturhafte allerdings, was mit dem Geborenwerden zusammenhing. Er hatte

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diesen geheimnisvollen Zusammenhang zwischen unserem Geboren­werden und dem, ein Naturwerk zu sein.

Und wie es bei diesem auffallenden Begriff ist, so findet man, wenn man nur sucht, auch wenn man übergehen will zum Schöpfungsbe-griff, durchaus die Möglichkeit, anzuknüpfen an Begriffe, die dem einfachsten Gemüt verständlich sind. Der Schöpfungsbegriff kann etwas durchaus Verständliches werden, aber man muß eben wirklich versuchen, mit gutem Willen über dasjenige hinauszukommen, was uns die moderne Bildung gibt. Und so kommt man dann auch dazu, allmählich den Menschen begreiflich zu machen, daß die Menschen-schöpfung vor der Naturschöpfung liegt, daß also der Mensch in die Welt eingezogen ist in einer Zeit, wo die Natur noch nicht gewirkt hat, wo es noch nicht Vererbung, Befruchtung und so weiter gab. Man kommt zurück zu einem Zustand, wo noch nicht Vererbung und Befruchtung da waren, wo unsere gegenwärtige Welt noch keine äußere Weltordnung war, wo sich vollziehen konnte der Abfall der geistigen Wesenheiten, die dann den Menschen später mitgerissen haben, man kommt zurück zu einem Zustand in der vornatürlichen Zeit, wo der Fall in die Sünde für den Menschen noch keine Möglich­keit war.

Zu diesen Dingen kann man kommen und man muß zu ihnen kommen, wenn man wiederum einen Inhalt der Predigt finden will. Dazu genügt es nicht, daß Sie in einer theoretischen Weise diese Begriffe vom Sündenfall, Erlösung und so weiter vor die Leute hinstellen, sondern Sie müssen sie in allen möglichen Variationen bringen können und müssen darauf rechnen, daß das nach und nach einzieht in die Gemüter. Sie werden sehen, wenn Sie nur auf formales Verständnis rechnen, wenn Sie auf den bloßen Lehrgehalt rechnen, nicht auf das variierende Wiederholen, dann werden Sie die Gemeinde nicht zusammenhalten können. Wenn Sie auf das variie­rende Wiederholen rechnen, dann können Sie die Gemeinde zusam­menhalten. Dann bringen Sie sie auch zum Begreifen der Gnade, dann bringen Sie sie auch zu der Möglichkeit des Verständnisses eines neuen Freiheitsbewußtseins, und Sie können den Leuten beibringen, daß der Mensch dazu kommen kann, wenigstens in seinem Bewußtsein

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Begriffe vom Unschuldigen und vom Nicht-Bösen zu entwik­keIn .... Lücke], die Freiheit .... Lücke], und davon, daß wir durch alle unsere Bemühungen zwar innerlich gute Menschen werden kön­nen, daß wir aber den Anschluß an die Welt mit dem Guten nur finden, wenn die Gnade wirkt, wenn uns die Gnade entgegenkommt.

Ich kann auch dies nur andeuten, denn es fehlt, um diese Dinge auseinanderzusetzen, die nötige Zeit. Aber kurz gesagt: Es gibt Wege, wenn sie nur gesucht werden, um aus dem Begriffssystem der heutigen Bildung hinauszukommen in ein vollmenschliches Vorstel­lungssystem, das zu der übersinnlichen Welt den Zugang hat; und zu alldem ist eben durchaus notwendig, daß man sich von Anthroposo­phie in einem gewissen Sinn befruchten läßt. Verstehen können die Leute das, was man ihnen sagt, durchaus, wenn man den Ton findet dadurch, daß man sich erst selber in die Meditation versetzt.

Es ist schon einmal in der neueren Zeit zuviel abstrakt, nicht lebendig gepredigt worden. Und sehen Sie, das kann ich Ihnen zu einem weiteren Nachsinnen durchaus sagen - ich will es Ihnen nicht wie ein Dogma aufdrängen-, ich kann Ihnen nur sagen: die schlech­teste Manier der Predigt ist die, bei den Abstraktionen zu bleiben und dann salbungsvoll zu werden. Zu glauben, daß man dadurch zum Gemüt redet, daß man das Abstrakte recht innerlich vorträgt, das ist Gift für die Gemüter. Wenn man von dem «schlichten Mann von Nazareth» redet, wenn man versucht, ohne auf das Übersinnliche Rücksicht zu nehmen, über den Christus zu predigen, gewisserma­ßen auf seiner Menschlichkeit alles Christliche beruhen läßt und das den Menschen beibringen will, indem man einen unwahren Gemüts-ton annimmt, dann vergiftet man die Gemüter, denn dann lebt man in Unwahrheit über dasjenige, was die Predigt durchwärmen soll.

Was durch die Predigt gemütsinnig hindurchgehen soll, ist das Verbundensein des Predigers mit dem übersinnlichen Gehalt und Impuls der Welt selber, und der übersinnliche Gehalt und Impuls wird niemals durch Abstraktes gegeben. Der Prediger muß innig in Demut davon durchdrungen sein, daß die bloße Handhabung der logischen Vernunft selber schon Sünde ist, und daß der Betrieb der Naturwissenschaft eben innerhalb der modernen Zeit das Religiöse

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ertötet, daß wir durch die Religion die Welt von der naturwissen­schaftlichen Auffassung erlösen müssen, daß es zum Religiösen gehört, die Naturwissenschaft zu überwinden, und daß es ein Gebot des Christus Jesus selber ist, die Naturwissenschaft zu überwinden, daß der Christus Jesus eben deshalb unter uns lebt, und daß wir seine Mission ausdrücken, die Naturwissenschaft zu überwinden, wenn wir uns mit ihm verbinden.

Wir müssen uns auf der einen Seite klar sein: Der Mensch muß in der Welt wirken, daher muß er mit dem sinnlichen Ergreifen der Welt schon sündigen. Wir sehen die Sünde, wie sie notwendig ist. Und sehen wir, daß das Pendel - weil Rhythmus in der Welt ist -nach der anderen Seite ausschlagen muß, nach der Seite der Erlösung von der Naturwissenschaft, dann sehen wir ohne Muckertum die Notwendigkeit, daß Naturwissenschaft dasteht. Wir werden sie nicht ausmerzen können, denn wir anerkennen die Notwendigkeit, daß der Mensch mit Ahriman Bekanntschaft machen muß, aber wir müssen uns klar werden, daß das Pendel nach der anderen Seite ausschlagen muß. Aber der Rhythmus muß uns klar werden, daß nur im Gleich­gewichtszustand die beiden Dinge zusammenwirken können. Und dazu, sehen Sie, muß ich Sie aufmerksam machen auf etwas, was Sie vielleicht überraschen wird, was aber doch in Ihr Bewußtsein wird übergehen müssen, wenn Sie den notwendigen Ton für eine zukünf­tige Predigt finden wollen.

Sehen Sie, wir leben eigentlich heute in einem Bewußtsein, das eine Art von Fortsetzung des alten urpersischen Weltenbewußtseins ist, das ja lebte in Ahriman und Ormuzd. Es sieht in Ahriman den bösen Gott, der widerstrebt dem Ormuzd, und in dem Ormuzd den guten Gott, der die Werke des Ahriman zunichte macht. Man weiß nicht, daß der Urperser das Bewußtsein hatte, daß man weder dem Ahri­man noch dem Ormuzd [allein] folgen darf, sondern ihrem Zusam­menwirken. Und ihr Zusammenwirken äußert sich in einer solchen Gestalt, wie es der Mithras war. Ormuzd ist eine luziferartige Gestalt, die uns welt-los macht, wenn wir uns ihr hingeben, die uns der Schwere entreißen und uns im Lichte verbrennen lassen möchte. Der Mensch muß den Weg finden zwischen dem Lichte und der

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Schwere, zwischen Luzifer und Ahriman, und deshalb müssen wir die Möglichkeit haben, nicht in irgendeinem Dualismus zu denken, sondern in der Trinität zu denken. Wir müssen die Möglichkeit haben zu sagen: Die persische Dualität Ormuzd und Ahriman ist heute Luzifer und Ahriman, und der Christus steht in der Mitte drinnen, der Christus ist derjenige, der das Gleichgewicht bewirkt. -Nun hat alle religiöse Entwickelung bisher, insbesondere die theolo­gische, eine sehr verderbliche Gleichung aufgestellt, sie hat die Chri­stus-Figur so nahe als möglich an die Luzifers herangebracht. Es ist fast ein Wiederauferstehen des altpersischen Ormuzd, wenn man erlebt, wie heute von Christus gesprochen wird. Man denkt nur immer die Dualität, also das Böse im Gegensatz zum Guten. Durch keine Dualität wird das Weltproblem gelöst, sondern einzig und allein durch die Trinität. Denn sobald man die Zweiheit hat, hat man nicht nur das Gute und das Böse, sondern man hat den Kampf zwischen dem Licht und der Finsternis, den Kampf, der nicht enden darf mit dem Sieg des einen über das andere, sondern der enden muß mit der Harmonisierung der beiden. Das ist eigentlich dasjenige, was man in den Christus-Begriff hineinbringen muß. Christus setzt sich nicht umsonst zu den Zöllnern und Sündern.

Sehen Sie, meine lieben Freunde, die Welt, in der wir leben, ist ja so entstanden, daß sie ursprünglich gebildet worden ist durch alle die Einflüsse, die da wirkten in die Konfiguration hinein, welche wir erleben als die Nachklänge des Rassentums, als die Nachklänge der einzelnen Völker und dergleichen. Betrachten Sie diese Welt, wie sie aus dem Element der Geburt herauskommt, und betrachten Sie die Mission des Christus. Die Mission des Christus besteht darin, all dieses Naturhafte zu überwinden, gegenüber dem Leben in der Rasse die Liebe zur allgemeinen Menschheit zu pflanzen. Dasjenige, was im Anfange der Erde da war, das Adamitische, soll gerade durch den Christus ausgelöscht werden. Das einzelne Volksgemäße, der Volksegoismus soll durch den Christus, durch das allgemeine Menschentum überwunden werden. Die Erlösung besteht ja nicht darin, daß man in einer ebenso realen Weise wie das Naturhafte selber ist, gegen das Naturhafte arbeitet, sondern daß man das

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Naturhafte aufnimmt und einen Ausgleich zwischen dem rein Gei­stigen und dem Naturhaften hervorbringt.

Der Christus-Begriff ist noch nicht in seiner Reinheit herausgear­beitet zwischen Ormuzd und Ahriman, zwischen Luzifer und Ahri­man. Der Christus-Begriff muß gefaßt werden als dasjenige, was uns dazu bringt, die entgegengesetzten Pole zu harmonisieren. Denn allgemeine Menschheit, Menschenliebe, ist etwas anderes, als was aus Familien, Volkstum, Rassen, Nation und so weiter hervorgeht. Aber nicht das eine soll durch das andere ausgemerzt werden, sondern harmonisiert muß werden Rasse und Individuum. Die Mission des Christus auf der Erde wird man nur begreifen, wenn man weiß: Der Vatergott ist verbunden mit dem Ewigen allein, nicht mit dem Ent­standenen und Vergehenden; der Christus-Impuls ist hereingekom­men in die Zeitlichkeit, weil er verbunden ist mit dem Entstandenen und Vergehenden, und er macht das Zeitliche zu dem Ewigen.

Wir müssen lernen, wiederum wörtlich zu nehmen, was in den Evangelien steht: Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen. - Übersetzen wir es in eine Sprache, die heute gesprochen werden kann. Dasjenige, was die Raumesweiten

- Himmel in äußerlich räumlichem Sinn - hervorrufen durch die Sterne in den Pflanzen der Erde, dasjenige, was die Erde in den Mineralien selber hervorbringt, das heißt, die ganze irdische Welt, sie wird vergehen. Aber wenn sie vergangen sein wird, wenn Pflanzen und Steine vergangen sein werden, dann wird, nachdem diese Erde verschwunden sein wird, dasjenige leben, was in dem Christus zur Erde gekommen ist, was in dem Wort weiterlebt. Und wenn in unser Wort der Christus aufgenommen ist, so lebt eben nach dem Unter-gange der Erde zeitlich weiter dasjenige, was in uns durch den Christus lebendig ist nach dem paulinischen Wort: «Nicht ich, son­dern der Christus in mir.»

Wir müssen uns aufschwingen zu dem Glauben, daß die Naturge­setze nicht ewig sind, sondern daß die Erde ein Ende findet, und daß dasjenige, was ist, nur dadurch sein kann, daß ein schöpferisches Wirken es hinausträgt, wenn unsere Erde untergegangen sein wird. Stein und Pflanze werden vergehen, was aber in uns ist, das darf nicht

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vergehen, das muß hinausgetragen werden, das kann nur hinausge­tragen werden, wenn der Christus in uns ist. Mitkommen werden nur die Tiere, die werden wir dann erlösen müssen. Denn die sind auf der Erde, weil sie in dem Augenblick, wo hereingeschlagen ist in die Welt die Möglichkeit, sündig zu werden, in einem Entwickelungsstadium waren, wo sie ergriffen werden mußten von dem, was nur für den Menschen getaugt hat. Bevor diese Möglichkeit der Sünde in die Welt gekommen war, konnte in der Welt nicht gelitten werden. Mineralien und Pflanzen brauchen als solche nicht zu leiden, aber Mineralien und Pflanzen werden vergehen. Die Tiere waren in einem Entwicke­lungsstadium, wo sie durch die Menschen mitgerissen wurden zum Leiden. Sie müssen davon wieder erlöst werden, wenn dieses Ent­wickelungsstadium wieder vorüber ist, wenn die Erde nicht mehr da ist. So wie heute unsere Naturgesetze walten, werden dann die Gesetze walten, welche wir heute nur in unserem Inneren erleben. Das können wir nicht begreifen, wenn wir nicht auch wissen, daß der Mensch vor der Erde da war.

Zu diesen Dingen müssen wir den Menschen den Zugang des Verständnisses eröffnen. Das muß hineintönen in unsere Predigt. Sie brauchen gar nicht zu glauben, daß sie dasjenige, was ich heute gesprochen habe, mit ähnlichen Worten zu der Gemeinde zu sagen haben. Sie mussen es aber verstehen, dann lebt das schon in Ihrer Predigt drinnen, auch wenn Sie in der allereinfachsten Weise predi­gen. Denn es gibt nicht nur das ponderable Verständnis der Dinge, das darin besteht, daß Ihr Mund spricht und Ihr Ohr zuhört, son­dern es gibt das imponderable Verständnis, das von Mensch zu Mensch wirkt.

Ich konnte Ihnen leider nur diese wenigen Andeutungen geben, meine lieben Freunde, aber ich hoffe ja, daß Sie in meinen Worten noch manches gehört haben werden, was eben aus dem Menschen heraus sprechen will. Ohne diesen Willen kommen wir eben doch nicht vorwärts. Es handelt sich nicht darum, daß wir bloß unseren Intellekt anregen lassen, wir müssen den ganzen Menschen anregen.

BESPRECHUNG Stuttgart, 15. Juni 1921

#G342-1993-SE164 Priesterkurse I

#TI

BESPRECHUNG

Stuttgart, 15. Juni 1921

#TX

Rudolf Steiner: Also, jetzt kommen Sie voller Pläne - ja, dann wollen wir also beginnen.

Emil Bock: Wir haben uns heute nachmittag zusammengesetzt und in einer Kommission festzustellen versucht, was wir zur Klarheit selber beitragen kön­nen, was wir selber tun müssen. Und da lag dem Arbeiten zugrunde eine Stellung der Frage, inwieweit wir öffentlich arbeiten sollen. Jetzt, wo unter uns so weit Klarheit herrscht, sehen wir, daß diese Sache nicht auf einen Leisten gebracht werden kann, sondern daß wir das einfach als eine Frage des Modus betrachten müssen und daß im einzelnen Fall der einzelne wissen muß, was er tun darf. Wir haben ja jetzt ein konkretes Ziel vor Augen, und das ist der uns in Aussicht gestellte Kurs. Wir haben uns vorgenommen, zu diesem Kurs mindestens hun­dert Leute zusammenzubringen. Nach dem Kurs müssen wir dann einen großen Schritt in die Öffentlichkeit hinein tun, und den werden wir tun. Wir haben sogar die ganze Frage des Beitritts zu unserer losen Organisation besprochen und einen Text aufgesetzt für diejenigen, die teilnehmen wollen. Wir haben also nicht einen Beitritt vorbereitet für die einzelnen Menschen, sondern ein Sichan-schließen an die Bitte um einen Kurs. Dadurch würden wir am praktischsten Leute an uns ziehen. Dieser Wortlaut ist der folgende:

Unterzeichneter, der in sich den Trieb fühlt, an der Erweckung neuen religiö­sen Lebens zur Überwindung der heutigen Niedergangskräfte mitzuarbeiten und dieses Ziel in einer neuen Synthese von Kultus und christlichem Lehrgut zu erreichen hofft, meldet sich hiermit an für einen religiösen Lehrkursus unter Leitung von Herrn Dr. Steiner und verpflichtet sich zur streng vertrauli­chen Behandlung der ihm hierfür gemachten Mitteilungen

Vertrauensmann (Name, Anschrift)

RudolfSteiner: In welcher Zeit wollen Sie dann den Kurs in Aussicht nehmen?

Emil Bock: Wir haben uns vorgenommen, möglichst bis in den September hinein. Ich bin beauftragt worden, um eine Angabe des ungefähren Termins zu bitten.

Rudolf Steiner: Nicht wahr, bei meinen Schweizer Abkömmlich­keitsverhältnissen wäre es wünschenswert, wenn das sein könnte zu derselben Zeit, in der die anderen Veranstaltungen hier stattfinden,

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wenn dieses also zusammenfiele. Man zählt mir die Tage, die ich weg sein kann von der Schweiz. Das ist eine verzwickte Geschichte. Es wäre schon wünschenswert, wenn [der Kurs zeitlich mit anderen Veranstaltungen] zusammenfallen könnte. Es wird sich da um den September handeln. [Zu Ernst Uehli:] Wann sind die [Stuttgarter] Veranstaltungen in Aussicht genommen?

Ernst Uehli: Der Beginn ist in Aussicht genommen in den letzten Tagen des August, die Veranstaltungen gehen dann in den September hinein.

Rudolf Steiner: Wieviel Zeit würde Ihr Unternehmen beanspruchen? Ernst Uehli: Zehn Tage.

Rudolf Steiner: Dieser Kurs müßte vierzehn Vorträge haben. Unter Umständen könnten an einem Tage zwei Vorträge stattfinden.

Ernst Uehli: Es ist für jeden Tag eine andere Veranstaltung vorgesehen.

Rudolf Steiner: Aber nicht von mir. Also ich kann mich natürlich durchaus diesem Kurs widmen mit Ausnahme der Zeit, wo es mir obliegt, Vorträge [innerhalb des Kongresses] zu halten. Wenn keine anderen Anforderungen gestellt werden, so kann dies durchaus gehen.

Ernst Uehli: Ja, ich hoffe nicht, daß solche Anforderungen gestellt werden; wie gesagt, Ende August wollen wir anfangen, wenn es den Herren möglich ist, herzukommen. Ob es unmittelbar nachher Veranstaltungen in Dornach gibt?

Rudolf Steiner: Ich habe nachgesehen, der letzte Tag in Dornach ist der 27. August, und eine Eurrthmieveranstaltung am 28. wird nicht möglich sein. Man muß natürlich auch zu Goethes Geburtstag pro­ben, man kann nicht eine probenlose Eurythmieaufführung haben zu Goethes Geburtstag. Am 28. wird also nichts sein können, wenn Sie die Eurythmieveranstaltung haben wollen. Mit der Sache im allge­meinen kann man natürlich anfangen. Aber mir kommt vor, daß es für Sie ein bißchen mit der Zeit knapp ist. Wir haben jetzt den 15. Juni; es wäre also möglich, denn es sind ja noch zweieinhalb Monate bis zum 1. September. Früher als zum 1. September wäre es auch nicht nötig. Glauben Sie, daß Sie bis zum 1. September soweit sind?

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Emil Bock: Wir hoffen bis dahin hundert Leute zu haben.

Rudolf Steiner: Es ist anzunehmen, daß Sie bei einer längeren Zeit als zweieinhalb Monate mehr Leute als in zweieinhalb Monaten zusam­menbekommen.

Emil Bock: Es kommen auch die Leute an den Universitäten in Betracht. Rudolf Steiner: Sie meinen, das ist schwierig?

Emil Bock: Da sind uns gewisse Möglichkeiten gegeben, natürlich ist das nur eine andere Reihe von Möglichkeiten.

Rudolf Steiner: Ja, wenn Sie nicht in der Lage sind, die Sache bis zum 1. September zu schaffen, dann wird es problematisch, im Herbst anzufangen. Wenn Sie erst nach der Eröffnung der Universitäten die Leute bekommen, dann müssen wir wiederum warten, wahrschein­lich bis in die zweite Hälfte Oktober, November denke ich. Nicht?

Emil Bock: Dann ist es schon besser zu warten, denn der Weg, außerhalb des Semesters die Leute zu gewinnen, ist auch zumeist nicht geeignet. Würden wir auch um einen Kurs bitten dürfen, wenn wir weniger sind?

Rudolf Steiner: Ja, gewiß, ich will so sagen: Es wäre natürlich das Allerschönste, wenn wir jenen Kurs in Dornach veranstalten könnten

- wenn es irgendwie ginge -, und wenn es finanziell zu machen wäre. Das wäre ja am besten. Denn, nicht wahr, es ist dort natürlich leichter, Proben zu geben von kultischen Sachen und so weiter. Also in Dornach wäre es eher möglich, den Kurs besser zu gestalten. Nun, wir haben im Herbst vorigen Jahres den Hochschulkurs dadurch zustande gebracht, daß wir versuchten, die Mitglieder aus Entente-Ländern zu engagieren für die Freihaltung [von Teilnehmern], so daß die Zuhörer aus Deutschland Gäste waren. Das müßte natürlich hier auch sein. Es würde sich dann nur noch darum handeln, daß even­tuell auf irgendeine Weise gesucht wird, das Geld für die Fahrt zu bekommen, die aber für viele bis Basel gar nicht viel teurer sein würde als bis hierher. Also ich denke, von Berlin bis Basel würde die Fahrt nicht so viel mehr kosten, als von Berlin nach Stuttgart, und für den Aufenthalt in Dornach müßte dort [gesorgt werden]. Aber das ist eine Frage, die wir jetzt gar nicht zu entscheiden haben; die kann

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später entschieden werden. Ich meine nur, es wäre natürlich schon in manchem recht, wenn wir die Sache in Dornach haben könnten. Sie würden das prinzipiell nicht ausschließen? Die Schwierigkeit, meine lieben Freunde, liegt nur darin, daß man den Mitgliedern aus En­tente-Ländern wohl den Vorschlag machen könnte zur Unterstüt­zung eines allgemeinen Studienkurses, denn das ist eine internatio­nale Sache, aber ob nun viele Leute aus den Entente-Ländern sich bereit erklären, gerade deutsche Theologen zu unterstützen, das ist die Frage. Und wir müssen ja natürlich sagen, wozu wir die Unter­stützung brauchen. Das ist die Frage. Ich glaube es fast, daß sie solch eine Sache machen würden, aber ob sie ein Herz dafür haben, gerade deutsche Theologen zu unterstützen ...?

Denn, nicht wahr, das kann Sie vielleicht interessieren - ich habe es nicht so besonders betont bei meinen Auseinandersetzungen -, das­jenige, was ich Ihnen gesagt habe, würde nur gelten für deutsche Theologen. Spruchreif ist die Frage gar nirgends anders als in den Mittelstaaten. Selbst in der Schweiz wäre sie ganz aussichtslos, in Frankreich, in England erst recht, überall eigentlich in den Entente-Ländern wäre sie ganz aussichtslos, man würde sofort zurückgewie­sen werden; man würde es gar nicht verstehen, daß man so etwas machen kann.

Ein Teilnehmer: Ich habe gedacht, daß vielleicht von Holland finanzielle Hilfe zu erwarten ist. Ich kenne auch holländische Theologen, die sich zu unserer Sache freundlich verhalten, junge Theologen. Würde Holland nicht in Betracht kommen?

Rudolf Steiner: Ja, wenn etwas in Betracht kommen kann, am mei­sten Holland. Daß ein paar dort sind unter den Theologen selber, das glaube ich schon, aber das werden nicht gerade diejenigen sein, die die Börse haben. Daß unter den holländischen Theologen auch ein­zelne sind, die in Betracht kommen, das will ich nicht bezweifeln; aber im großen und ganzen hat doch niemand ein Herz dafür, wäh­rend ich glaube, daß hier die Sache auch finanziert werden kann. Für den Kurs in Dornach das Geld aufzubringen, das würde von hier aus unbezahlbar sein.

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Ein Teilnehmer: Wie liegt die Sache in Schweden und Norwegen?

Rudolf Steiner: Ich glaube schwerlich, daß Sie da auf ein Herz stoßen werden. In Schweden und Norwegen ist so stark das Bewußtsein vorhanden, daß aus der Kirche selbst heraus eine Reform erwachsen kann. In Schweden hat man mir direkt in Aussicht gestellt, mit dem oder jenem zu verhandeln. Die Leute haben dort die Vorstellung, die Kirche tatsächlich neu reformieren zu können, und wo diese Vorstel­lung noch sehr eingewurzelt ist, da wirkt sie sehr stark. Hier in Deutschland ist sie nicht sehr eingewurzelt.

Ein Teilnehmer: Wir treten ja zunächst nicht offiziell auf gegen die Kirche. Die Schweden könnten ruhig annehmen, es handelt sich um eine Bewegung, die mit der Kirche auf neutraler Basis steht.

Rudolf Steiner: Man würde Sie aber fragen: Was wollen Sie eigent­lich? Wollen Sie freie Gemeinden gründen oder aus der Kirche heraus wirken? - Sobald Sie sagen: freie Gemeinden gründen -, so wird das sehr bedenklich werden. Holland kommt dann noch am meisten in Frage. In Frankreich und England versteht man das nicht. In der Schweiz ist es ganz ausgeschlossen. Ich glaube aber, daß aus Deutsch­land so viel herauszuholen ist, als wir hier brauchen. Darüber läßt sich noch nicht verhandeln, wie man gerade diese Finanzierung macht; darüber können wir ja, sobald Sie in Amt und Würden sind, verhandeln. Das wollen wir schon versuchen. Aber im Ausland, wie gesagt, ich zweifle sehr daran.

Sie haben auch gar keine Vorstellung, wie schrecklich konservativ die Schweiz ist. So waren beim Osterkurs fast gar keine Schweizer Studenten anwesend. Und die Theologen sind einfach naiv. Ich glaube doch nicht, daß unter Ihnen das passieren kann, was mir neulich, gerade bevor ich abgereist bin, passiert ist. Da kamen zwei Basler Theologie-Studenten zu mir und fragten, ob ich ein Korreferat halten möchte gegen Heinzelmann. Ich kann mich doch nicht darauf einlassen, ein Korreferat zu halten. Nun, also, sie waren nicht irgend­wie engagiert, es war ihnen gleichgültig. Sie meinten, ich sollte auch selbständige Vorträge halten. Dann haben sie angefangen über die

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Sache selbst zu reden - und das war wirklich sehr naiv. Der eine sagte: Ich habe neulich die Reden von Luther gelesen; wenn es so etwas wieder gäbe, dann wären wir fein heraus; es brauchte nur jemand so zu reden, wie Luther geredet hat. - Ja, es ist sehr viel Naivität unter den Schweizer Theologen. Haben Sie dort nicht Kollegen? Nicht? Die Schweiz ist stark konservativ, sie wird ein starkes Hindernis sein für den Fortschritt Europas.

Trotzdem - das ist ganz unabhängig davon, daß wir den Kurs überhaupt haben - wäre es mir eine sehr schöne Idee, in Dornach den Kurs zu haben. Wir könnten ihn auch verknüpfen mit den anderen Kursen, so daß Sie auch noch andere Vorlesungen hören könnten. Aber Sie müßten schon sehen, daß Sie es zustande bringen, noch einige Leute zu bekommen.

Emil Bock: Mussen wir nun warten, bis wir hundert zusammenbekommen haben?

Rudolf Steiner: Ich habe auch nichts dagegen, wenn es weniger sind. Ich denke überhaupt in dieser Richtung nicht so, wie Sie meinen. Ich denke, daß alle, die man überhaupt kriegen kann, die man ausfindig machen kann in zwei Monaten - wenn nicht gerade Ferien sind, wenn Universitatszeit ist -, vielleicht gar nicht achtzig sind, sondern vielleicht nur sechzig sind.

Dann würden wir den Kurs eben mit sechzig machen. Wir würden dann den Kurs nachschreiben lassen, und diejenigen, die nachher kommen, müßten sich verpflichten, ihn dann zu lesen. Das müßten Sie in Ihre Verpflichtungsformel aufnehmen, daß diejenigen, die kommen, wenn der Kurs vorüber ist, den Kurs lesen. So kann man es schon auch machen. Ich glaube, Sie haben das auch mißverstanden; ich habe nicht behauptet, daß zu dem Kurs eine bestimmte große Anzahl von Leuten kommen muß.

Emil Bock: Das war von uns gedacht, daß wir dazu zweihundert Leute zusam­menzubekommen haben.

Rudolf Steiner: Ich habe eigentlich gemeint, Sie müssen eine solche Anzahl zusammenhaben, wenn Sie etwas praktisch machen wollen.

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Emil Bock: Da müßten zweihundert aktionsbereite Leute sein.

Rudolf Steiner: Den Kurs kann ich unter Umständen halten für diejenigen, die überhaupt heranzukriegen sind in zweieinhalb Monaten.

Emil Bock: Würde dann der Kurs in Dornach mit dem Hochschulkurs zusam­menfallen?

Rudolf Steiner: Es ist noch kein Hochschulkurs projektiert. Wir haben in Dornach eine Art Kurs, eine Reihe von Veranstaltungen vom 20. bis 27. August. Das sind vorzugsweise Engländer, die da kommen, aber wir wollen es nicht beschränken auf die Engländer natürlich. Und danach sollen wir hierher [nach Stuttgart] kommen. Das würde also in den ersten vierzehn Septembertagen sein. Das wäre dann eine Möglichkeit, hier den Kurs zu halten, in denselben Sep­tembertagen.

Emil Bock: Und die zweite Septemberhälfte käme nicht in Betracht?

RudolfSteiner: Hier käme sie aus dem Grunde nicht in Betracht, weil ich wieder in die Schweiz zurück muß. Wenn es sich allerdings in Dornach arrangieren läßt, dann wäre die zweite Septemberhälfte sehr gut in Betracht zu ziehen. Das kann ich heute noch nicht sagen. Es ist außerordentlich schwer, die finanziellen Mittel herbeizuschaffen für das, was notwendig ist.

Emil Bock: Vielleicht sind [dann schon] die ersten Erfolge von Herrn Dr. Heisler zu verzeichnen.

Rudolf Steiner: Bedenken Sie, wenn Sie der Kurs hier kosten würde meinetwillen 10000 Mark, das ist sehr wenig, dann kostet er Sie in Dornach, wenn Sie es bezahlen müßten, 100000 Mark, nicht wahr? Wir können ihn natürlich drüben machen, wenn wir dort 10000 Schweizerfranken kriegen. Wir kriegen viel leichter drüben 10000 Schweizerfranken zusammen, als daß Sie hier 100000 Mark aufbrin­gen können.

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Emil Bock: Aber es würde sich nicht darum handeln, alles für uns zu bezahlen. Viele von uns könnten vielleicht die Sache selbst bezahlen. Wenn wir in Baracken wohnen könnten, wäre das vollkommen genug.

Rudolf Steiner: Unterkunft haben wir ja. Aber Sie müssen für jeden Teilnehmer pro Tag 4 Schweizerfranken rechnen. Das sind für 100 Leute 400 Schweizerfranken. Für 14 Tage sind das 5600 Schweizer­franken. Es werden also vielleicht 6000 Schweizerfranken nötig sein. 6000 Schweizerfranken, das wären für hier 60000 Mark. Es ist schon möglich, daß wir das dort kriegen.

Ein Teilnehmer: Was die Zeit anbelangt, so wäre Ende September viel günstiger; da sind viele auf dem Weg nach der Hochschule.

Rudolf Steiner: Das ist eine Frage, die wir jetzt nicht entscheiden können. Ich finde, daß es sich drüben in Dornach leichter machen ließe. Es ließe sich auch hier machen, nur müßte es dann in der ersten Hälfte September sein, da ich wieder zurück in die Schweiz muß; und es müßte dann ein Zwischenraum von sechs Wochen sein, bis ich wieder kommen kann.

Emil Bock: Es ist sehr wertvoll, wenn wir wissen, für welchen Zeitpunkt wir uns einrichten sollen. Dann haben wir alle Möglichkeiten duchgesprochen, Leute heranzuholen, und wir haben nach den bisherigen Besprechungen den Plan gefaßt, Pastoren, die der Anthroposophie nahestehen, mit in Betracht zu ziehen, um Theologen heranzuholen. Wir würden das durch Rundschreiben an alle möglichen Stellen bewirken. Es sind alle Möglichkeiten auch an Universitäten durchgesprochen worden, in ähnliche Bewegungen hineinzugehen, die eine Sehnsucht haben, kultisch zu reformieren, in gewisse Jugendbewegungen. Es haben sich auch schon Leute bereit erklärt, bestimmte Dinge zu tun.

Dann haben wir versucht, die deutschen Universitäten unter uns zu verteilen und haben gesehen, daß einige Universitäten dann nicht von uns erreicht werden, und wir haben ins Auge gefaßt, da eine gewisse kleine Reiseorganisation so vorzubereiten, daß eine geringe Anzahl von uns in irgendeine solche Universi­tätsstadt fahren soll.

Dann wollen wir die Erfahrungen, die wir bei der Werbearbeit machen, austauschen; dazu soll der Rundbrief dienen.

Dann haben wir vor, wenigstens hier vorzuschlagen, daß wir eine Broschüre zusammenstellen, die kurz orientieren soll, worum es sich handelt, gerade für diejenigen, die Mitarbeiter werden sollen. Und da ist es für praktisch gehalten worden, daß diese Broschüre drei Artikel enthalten soll: Erstens ein Orientieren über die allgemeine kulturelle Lage, etwa unter dem Titel «Intellektualismus und

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religiöses Leben»; der zweite Artikel über den Kultus und der dritte Artikel über die Mitteilung des religiösen Lehrgutes, die Vermittlung des religiösen Lehrgu­tes. - Da haben wir wenigstens zunächst in unserem Kreis Mitarbeiter unter dreifacher Besetzung für jeden Artikel festgesetzt, so daß das Wertvollste aus den eingeschickten Beiträgen dann zusammengestellt werden kann.

Es sollen sich dann überall Studienkreise bilden, in denen das Studium der Nachschriften der hier angehörten Vorträge betrieben werden soll. Allerdings haben wir es für gut befunden, damit wir sicher gehen können, daß für solche Nachschriften Herrn Uehli eine Unterschrift zu leisten ist dafür, daß wir sie richtig und nur für uns verwenden, und daß man sich bei einer Erweiterung des Kreises an mich wenden soll, so daß ich gewissermaßen zunächst persönlich die Verantwortung übernehmen soll. Wenn die Unterschriften beisammen sind, könnten diese dann Herrn Uehli vorgelegt werden. Ebenfalls würde dieser Kreis dann sehr begünstigt werden, wenn wir von Herrn Dr. Steiner den Wortlaut der bisher schon ausgearbeiteten Rituale bekommen könnten, den wir auch von unserer Zentrale an die verschiedenen Teilnehmer verschicken würden.

Dann ist uns als wertvoll erschienen etwas, was nicht direkt auf unsere Sache, sondern indirekt dahin zielt, daß man natürlich nebenbei, um die Gründung vorzubereiten und die Werbetätigkeit bis zu einem gewissen Grad zu unterstüt­zen, Vorträge halten soll, die nicht werben, sondem Verständnis bringen sollen dafür, daß aus der Anthroposophie eine Religionserneuerung möglich ist, und da sind alle möglichen Vorschläge gekommen, zum Beispiel, daß vielleicht einer von uns mit der Haass-Berkow-Truppe reist und hinterher Vorträge im Anschluß an die Stücke halten könnte über das Verhältnis von Anthroposophie zur Religions-erneuerung, daß wir da, wo wir sind, solche Vorträge halten könnten.

Und dann habe ich noch eine Bitte, die auszusprechen vielleicht etwas viel zugemutet ist, in der Richtung, daß ein gewisses allgemeines Mißverständnis aus dem Weg geschafft werden könnte, daß man nämlich diesem Mißverständnis entgegenarbeitet: die Anthroposophie stehe in einem nicht so positiven Verhält­nis zur Religionsübung, wie wir es jetzt hier gefunden haben. Wir haben immer wieder gefunden, daß man gerade in anthroposophischen Kreisen und auch sonst meint, die Anthroposophie stünde in einem ziemlich negativen Verhältnis zur Religionsübung, und da würde ein Bekanntwerden dessen, was in den Hauptli­nien gesagt worden ist, für manche Leute sehr erstaunlich sein. Deshalb haben wir uns vorgenommen, Herrn Dr. Steiner zu bitten, wenn möglich in nächster Zeit einen öffentlichen Vortrag über Anthroposophie und Religionserneuerung zu halten, so daß, wenn es möglich ist, dieser Vortrag gleich gedruckt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden könnte. Dadurch würde die positive Stellung der Anthroposophie zur Religion in der Öffentlichkeit erkannt werden und würde unserer Arbeit in jeder Beziehung den Boden bereiten.

Rudolf Steiner: Halten Sie es für besonders gut, wenn ich diesen Vortrag halte? Sehen Sie, es ist ja da natürlich nur zu bedenken, wie die Sache am allerbesten wirkt. Also, wenn ein solcher Vortrag

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gehalten würde und gut gehalten würde von jemandem, der nun auch wirklich drinnensteht in der religiösen Tätigkeit, so wäre das ohne Zweifel viel besser, als wenn ich ihn halte. Ich habe persönlich nichts dagegen, diesen Vortrag zu halten; ich würde dasjenige sagen, was ich zu sagen habe, aber es wäre ein großer Unterschied, würde ich sagen, wenn heute Rittelmeyer einen solchen Vortrag halten würde. Ich würde sehr gern mit ihm darüber sprechen, und ich glaube, er würde sehr für die Sache dienlich sein.

Ernst Uehli: Das trifft zusammen mit einem Gedanken bezüglich des Kongres­ses. Ich hatte die Absicht, wenn möglich in das Programm einen Vortrag von Herrn Dr. Rittelmeyer einzufügen; er ist aber nicht gesund.

Rudolf Steiner: Dr. Rittelmeyer ist nicht gesund, und es ist kaum leicht ein Zweiter zu finden - augenblicklich wenigstens finde ich nicht einen Zweiten. Es würde tatsächlich sehr gut sein, wenn ein Kirchenmann den Vortrag halten würde.

Emil Bock: Wir haben das auch besprochen und gefunden, daß das nur die bisherigen Meinungen um eine vermehren würde. Es ist tatsächlich von naheste­henden Theologen bisher keine einheitliche Meinung vorhanden, und es ist -soweit mir bekannt - immer eine Antithese Heisler/Geyer da.

Rudolf Steiner: Ich kenne sie gar nicht.

Emil Bock: Pastor Geyer sagt: Die Anthroposophie ist überhaupt keine Reli­gion, sie ist nur Wissenschaft und kann insofern wie jedes Weltbild die Religion befruchten, während auf der anderen Seite wenigstens eine Schrift von Herm Dr. Heisler so verstanden worden ist, die Anthroposophie soll die Religionsübung ablösen; und in den Diskussionen, die man kennt, war immer die Antithese da. Wenn jetzt Rittelmeyer als Dritter dazukommt, glaubt man es erst recht nicht. Wir hatten die Meinung, es müsse kein Vortrag, sondern ein Itleines Büchlein sein. Die Bitte um den Vortrag sollte nur unsere anmaßende Bitte [um ein Büchlein] etwas abschwächen.

Rudolf Steiner: Sehen Sie, es muß durchaus festgehalten werden: Das ist im allgemeinen Kulturgang notwendig, daß der Ursprung und die Quelle der Anthroposophie in naturwissenschaftlichen Erwägungen liegt. Das ist das erste, das muß festgehalten werden. So daß man also nicht vertreten könnte, daß Anthroposophie etwa direkt an die Stelle der Religion treten kann oder daß Anthroposophie als solche nur

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eine Religionserneuerung ist. Das, was von mir Ihnen gegenüber betont worden ist, ist, daß man Anthroposophie braucht zur Reli­gionserneuerung und daß eine besondere religiöse Strömung gesucht werden muß, die Anthroposophie brauchen kann. Das muß scharf hervorgehoben werden.

Hermann Heisler: Die Antithese kam dadurch zustande, daß Geyer sagte, wenn ich alles das annehme, was Dr. Steiner sagt, hätte das für mein religiöses Leben gar keine Bedeutung. - Und daraufhin sagte ich: Das ist falsch, denn Anthropo­sophie ist gewiß keine Religion, aber sie wird notwendig Religion, wenn sie richtig erfaßt wird, und bildet die Religion. - Wenn die Theologie richtig ist, so strebt sie nach Religion; es ist ganz gleichgültig, was ich für eine Theologie habe; und ebenso ist es mit der Anthroposophie.

Rudolf Steiner: Sehen Sie, bei Geyer ist zu berücksichtigen, daß er vor allen Dingen mit seiner Kirchenbehörde nicht in Widerspruch kommen will. Geyer ist durchaus nicht auf dem Standpunkt, daß er für sich nicht auch wesentlich religiöse Impulse von der Anthroposo­phie erwartet. Im Gegenteil, er hat sehr viele religiöse Impulse von der Anthroposophie bekommen und zweifellos auch für die Predigt Impulse bekommen. Aber das, was er da sagt, muß er heute sagen, weil man eben, wenn man nicht diesen Trennungsstrich zieht, hin­ausgeworfen wird [aus der Kirche]. Man will nicht eigentlich einen Inhalt aufkommen lassen für das religiöse Wirken und deshalb sagt er, er kümmert sich nur um Gott und nicht um die Welt. Aber das ist, verzeihen Sie, in Wirklichkeit nur töricht - es ist gar nichts weiter. Gott hat sich um die Welt sehr gekümmert, er hat sie eben erschaf­fen. Ich weiß nicht, wie man es machen soll - verzeihen Sie den Ver­gleich -, sich um den Drechsler zu kümmern, ohne sich um die Drechslerei zu kümmern. Es ist einfach töricht, aber Torheiten muß man begehen, wenn man nicht herausgeworfen werden will aus der Kirche.

Ein Teilnehmer: Pastor Geyer hat einen Vortrag gehalten und es war eine ganz deutliche Polemik gegen Pfarrer Heisler bemerkbar, und wenn nun wieder ein Pfarrer mit so etwas herausrückt, so wird das weiter nur den Eindruck machen:

Das ist halt wieder eine neue Meinung. - Und es käme eben darauf an, daß wirklich etwas gesagt würde, was dann dasteht.

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Rudolf Steiner: Nehmen Sie nur den Tenor von dem, wie diese Dinge gesagt werden. Wenn eine echte Schwierigkeit vorliegt, dann will ich es schon selber machen. Aber nehmen Sie den Tenor. Der Tenor ist der folgende: Man sagt, Anthroposophie trete auf mit dem An­spruch, religionsbegründend zu sein. - Das kann sie nicht sein, weil niemals solch ein Inhalt religionsbegründend sein kann, wie die Anthroposophie ihn gibt. Gogarten zum Beispiel sagt ja, Anthropo­sophie wolle religionsbegründend sein. In den Kreisen würde man sich nicht wundern, wenn ich selber auseinandersetzen würde, daß Anthroposophie Religionserneuerung bringen kann. Es ist dadurch nichts abgeschwächt, sondern nur neuerlich die ganze Diskussion eingeleitet. Wenn aber Rittelmeyer diesen Vortrag liefert, ganz objektiv - der also im Grunde genommen aus der Kirche herausge-drängt ist - daß er noch drinnen ist, ist eine Folge seiner Beliebtheit bei seiner großen Gemeinde -, wenn Rittelmeyer die ganze Sache machen würde und es von seinem Standpunkt als Vertreter des evangelischen Kirchentums tun würde - als solcher fühlt er sich ja -, so finde ich doch, daß es vielleicht wirken könnte.

Man könnte sogar noch etwas Gewagteres versuchen. Nicht wahr, ich glaube schon, daß Rittelmeyer mitarbeiten würde, wenn es sich um eine Broschüre handelt; schreiben kann er ja. Man könnte ja auch denken, daß man beides vereinigt, daß ich die eine Hälfte liefere und jemand von der anderen Seite die andere Hälfte. Vielleicht wäre das nicht einmal so schrecklich. Nun ist die Frage, ob nicht jemand anderer als Rittelmeyer schreiben könnte. In dem «Lebenswerk» hat sonst niemand [von theologischer Seite] geschrieben?

Ernst Uehli: Außer Geyer niemand.

Rudolf Steiner: Geyer hat geschrieben, und wir haben nicht eigent­lich einen protestantischen Theologen außer Rittelmeyer und Geyer.

Ein Teilnehmer: Es sind noch einige da, aber die stehen nicht mehr in dem Maße in der Öffentlichkeit; Schairer zum Beispiel.

Rudolf Steiner: Ja, ja, der hat eine großartige Geschichte gemacht. Schairer hat einen Vortrag gehalten voller Wärme für die Anthroposophie,

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und hat darauf am selben Abend, an dem er mit seinem Vortrag nicht ganz fertig geworden ist, einen Rüffel gekriegt. Am nächsten Tag war dann die Fortsetzung und die war gegen die Anthroposophie. Das ist ja das Glanzbeispiel.

Hermann Heisler: Ich habe die Liste nicht da, es wäre noch einer zu berücksich­tigen, Pastor Klein, und dann der alte Pastor drüben in der Pfalz ...

Rudolf Steiner: Sauter meinen Sie, so ein alter Herr, der kann das nicht machen.

Hermann Heisler: Jundt in Mannheim ...

Rudolf Steiner: Machen könnten Sie es. Haben Sie nicht den Mut, um damit hervorzutreten? Mißverstehen Sie mich nicht, ich habe nichts dagegen, daß ich eine solche Broschüre schreibe, aber ich glaube, daß sie nicht so stark wirken würde, wie wenn sie von einem Menschen hervorgeht, der die Religionserneuerung will, die Religionserneue­rung vom religiösen Standpunkt. «Nun ja, der will die Anthroposo­phie, und alle Gebiete des Lebens will er halt erneuern» -, das wird man bei mir sagen. Denn solche Vorträge über Religionserneuerung gibt es sehr viele, sie sind nur nicht gedruckt. Ich habe in Berlin solche gehalten: «Bibel und Weisheit», die enthalten das. Ich brauche ja nur das zu erneuern, was ich vielfach gesprochen habe über diese Dinge. Ich weiß nicht, Sie scheinen zu meinen, daß die Leute glau­ben, Anthroposophie will nicht Religion sein. Das glaubt aber weder der Bruhn noch Gogarten nach Laun. Alle diejenigen, die von prote­stantischer Seite geschrieben haben, gehen nicht von der Voraus­setzung aus, Anthroposophie will die Religion nicht erneuern. Sie bekämpfen sie ja gerade deshalb, weil sie der Meinung sind, sie will es tun.

Ein Teilnehmer: Die Broschüre könnte ja Rittelmeyer machen. Rudolf Steiner: Schreiben würde er ja können.

Emil Bock: Wir dachten auch an die Vorurteile, die unter den anthroposophi­schen Mitgliedern vorhanden sind gerade gegenüber religiösen Fragen.

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Rudolf Steiner: Unter den Mitgliedern?

Emil Bock: Es sind gewisse Vorurteile vorhanden.

Rudolf Steiner: Woran konstatieren Sie diese Vorurteile?

Emil Bock: Man findet allgemein nie recht die Einstellung zu denen, die Theo­logen sind.

Rudolf Steiner: Das rührt lediglich davon her, daß die Sorte von Theologen, die Sie darstellen, bis jetzt nicht hervortritt. Sie werden ja nicht verlangen, daß die Anthroposophen viel andere Urteile haben über das Gros der Theologen, als Sie selber haben. Die Anthroposo­phen stellen sich so, wie Sie sich gestellt haben, das ist ganz begrün­det. Wir werden immer mehr genötigt sein, um Anthroposophie zu schützen, noch mehr als das [bisher] der Fall war, die Lüge auf jedem Gebiet aufzusuchen und die Torheit auf jedem Gebiet aufzusuchen und unnachsichtlich zu sein dagegen.

Und ich kann Ihnen die Versicherung geben, sowohl in bezug auf die Torheit leisten sich die protestantischen Theologen soviel wie in bezug auf die Lüge. Für die Torheit ist ein Beispiel der Professor Traub, der sagt, ich behaupte in meiner «Geheimwissenschaft», die geistigen Wesen bewegten sich wie Tische und Stühle. Das hat er geschrieben. Als er zu einem autoritativen Urteil aufgefordert wurde, da schrieb der Professor Traub, ich behauptete, die geistigen Wesen­heiten bewegten sich im Devachan wie Tische und StüMe in der physischen Welt. Da er nicht zugeben wird, daß er das in einem Zustand geschrieben hat, in dem sich für ihn Tische und Stühle bewegen, kann ich nicht anders annehmen, als daß das eine Tor­heit ist. Diese Torheiten finden Sie auf Schritt und Tritt. Lesen Sie Gogarten und so weiter auf das hin, was logische Torheiten sind!

Und dann lügen sie, diese Leute; so furchtbar sind sie in bezug auf Unwahrhaftigkeit, das ist ganz ungeheuer. Es ist wirklich wahr. Lesen Sie, in welcher ganz verschmitzten Manier eine evangelische Kirchenzeitung - [«Stuttgarter Evangelisches Sonntagsblatt»] heißt sie -, die diese Geschichte von dem Bernhard von Clairvaux erfunden hat, die Erwiderung Rittelmeyers aufgenommen hat und ausnützt.

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Das muß man schon ausstudieren, zu welcher Verlogenheit sie da kommen. Sie sind imstande, folgendes zu tun; ich glaube ich führe richtig an: Dr. Rittelmeyer hat in seiner Erwiderung gegen die Behauptung [im Sonntagsblatt], daß ich ihn zum Dank dafür, daß er das Buch «Vom Lebenswerk Rudolf Steiners» geschrieben hat, zum [wiedergekommenen] Bernhard von Clairvaux ernannt hätte, sein Erstaunen darüber ausgedrückt, daß jemand [im Sonntagsblatt] so etwas [Unwahres] behauptet. Jetzt steht [in dem Blatt] drinnen, daß Rittelmeyer erstaunt wäre, daß ich ihn zum Bernhard von Clairvaux ernannt hätte. Nicht wahr, die drehen das so, daß er erstaunt gewesen wäre, daß ich das getan habe. So raffiniert verlogen sind die Leute. Es ist so raffiniert das alles, was die Leute treiben, und man kann nicht verlangen, daß man diese Dinge goutiert, weil die moderne Theologie so unklar ist, daß sie als unwahr empfunden wird. Es handelt sich nicht darum, daß man irgendwie gegen die Religion als solche ableh­nend sich verhält. Es sind unter uns manche Leute, die manches tun, aber jedenfalls ist das nicht irgendwie maßgeblich. Uns ist nur unmöglich gemacht worden durch verschiedenen Ereignisse, das Kultusartige weiter zu pflegen. Vor dem Kriege ist es ja bis zu einem gewissen Grade gepflegt worden. In der Broschüre von Seiling, die auch ganz verlogen ist, da finden Sie es sogar angeführt. Wir haben da schon die Sachen gemacht, wir können da sogar von einer Erfahrung reden, es ist schon so.

In anthroposophischen Kreisen sind seit meiner Wirksamkeit viel­leicht höchstens acht bis zehn Leute aus der Kirche ausgetreten. Das sind sehr wenige. Wir haben heute 8000 Mitglieder - nicht Anhän­ger -, da sind acht oder zehn Leute natürlich sehr wenig; auf diese Zahl beschränken sich diejenigen, die ausgetreten sind aus der Kir­che. Sie sind ausgetreten aus verschiedenen Gründen. Neulich hat wiederum jemand geschrieben, ob ich ihm raten könnte, aus der Kirche auszutreten. Ich rate niemandem auszutreten aus der Kirche, auch Katholiken nicht. Ich rate es den Katholiken deshalb nicht auszutreten, weil sie nach der jetzigen Kirchenverfassung kein Recht haben auszutreten. Ganz im Ernst genommen. Der Katholik hat kein Recht, aus der Kirche auszutreten, weil durch das Infallibilitätsdogma

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eine solche Entscheidung ex cathedra gefällt worden ist, daß der Katholik aus der Kirche nicht austreten kann; er ist einfach noch drin, wenn er auch selber erklärt, daß er austritt. Seit der Festlegung des Infallibilitätsdogmas sind solche Dinge möglich. Es scheint ja eine sonderbare Theorie, aber sie ist absolut richtig im Sinn des Ka­tholizismus. Als Katholik kann man nicht aus der Kirche austreten.

Hermann Heisler: Wird der Katholik nicht von selber ausgeschlossen, wenn er das Gebot der österlichen Beichte nicht befolgt?

Rudolf Steiner: Das steht nirgends, das ist auch [von der katholischen Kirche] nie geltend gemacht worden.

Hermann Heisler: Es ist mir von Katholiken gesagt worden. Katholiken sagen, daß das gelehrt werde im Unterricht.

Rudolf Steiner: Ja, daß es gelehrt wird, das ist schon möglich. Aber wissen Sie, es werden viele Dinge gelehrt und gesagt. Ich erinnere nur an das Gespräch zwischen einem Weltpriester und einem Priester vom Jesuitenorden. Der Jesuit sagte: «Es darf unter keinen Umstän­den ein katholischer Priester Zeitungen lesen, denn die sind heute gottlos.» Da sagte der Weltpriester, der in seiner Auffassung freier ist: «Ja, wie sollen wir denn predigen? Wir müssen doch von der Welt etwas wissen, wenn wir predigen, und das können wir nur, wenn wir Zeitungen lesen; und Sie predigen doch auch über alle Angelegenhei­ten.» - «Ich lese keine Zeitung.» - «Ja, aber Sie wissen doch, was in der Welt vorgeht.» - «Ich lese keine Zeitung.» - «Ja, wie machen Sie das dann?» - «Ich lasse sie mir vorlesen.» - Der Jesuit beobachtet ganz strikt das Gebot. - Aber sehen Sie, Herr Doktor [Heisler], ich weiß nicht wie man exkommuniziert werden soll. Nehmen Sie an, ein Katholik hat sich jahrelang nicht um die Kirche gekümmert. Wenn ich morgen beichten gehen wollte - glauben Sie, daß ich zurückge­wiesen würde? Ich weiß nicht, worin es sich äußern sollte, daß man ausgeschlossen ist.

Also, nicht wahr, das Kurioseste ist ja bei dem Philosophen Bren­tano passiert. Der ist nicht nur ausgetreten - er war Priester, geweih­ter Priester -, er ist nicht nur ausgetreten, sondern zum Protestantismus

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übergetreten und hat geheiratet; aber die katholische Kirche hat erklärt, er kann nicht zu einer Professur an die Universität berufen werden, weil er noch Priester ist. Er wurde zwar nicht als Katholik angesehen, er war sogar exkommuniziert und ist zum Protestantis­mus übergetreten, aber er wurde nicht zugelassen zur Wiener Profes­sur, die er früher schon gehabt hatte. Brentano war Professor für Philosophie an der Wiener Universität, im Jahre 1873 war er berufen worden. Dann wollte er heiraten; das konnte er nicht, weil das österreichische Gesetz die Priesterehe gesetzlich verboten hat und ein österreichischer Staatsbürger, der Priester ist, also nicht heiraten darf. Brentano wurde sächsischer Staatsbürger, Protestant und heiratete eine Jüdin. Also mußte er seine Professur aufgeben. Man versprach ihm, man würde ihn später wieder berufen. Das hat man nicht getan, weil die Kirche protestiert hat. Sie hat erklärt: Er ist Protestant, aber die Folge der [katholischen] Priesterweihe wird ihm nicht wegge­nommen, und ein Priester, der sich so verhält, darf in Österreich nicht Professor werden. - Dann hat der Minister Conrad sich ein Herz gefaßt, ging zum Kaiser Franz Joseph und wollte es auf diese Weise durchsetzen. Der Kaiser schaute sich die Geschichte an und sagte: «Ja, das ist des Teufels, ist die Jüdin wenigstens sauber?» -Sauber, nicht wahr, das heißt hübsch. Das war sie nun nicht und Conrad konnte der Wahrheit gemäß nicht sagen, daß sie «sauber» wäre. «Dann wird nichts daraus», sagte der Kaiser. -

Also, nicht wahr, wenn Sie glauben, daß ich eine solche Broschüre schreiben soll - es hindert ja nichts, daß ich es mache, aber es wäre vielleicht gut, wenn von anderer Seite auch noch geschrieben würde.

Emil Bock: Rittelmeyer hat jetzt genau über die Anthroposophie und Religions-erneuerung geschrieben, aber ich weiß nicht, ob das maßgebend ist, da Rittel-meyer nicht weiß, was wir hier gehört haben.

RudolfSteiner: Aber sagen Sie mir, glauben Sie denn nicht, daß es gar nicht notwendig ist, daß das ein renommierter Religionsübender ist? Glauben Sie denn nicht, daß zum Beispiel aus Ihrem Kreise selbst, aus dem Kreise jüngerer Leute auch so etwas geschrieben werden könnte? Etwas, was rein durch seine innere Güte und Gediegenheit

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wirkt? Daß gerade einer, der auf Religionserneuerung ausgeht, das selbst macht, und nicht jemand so etwas macht, der bekannt dafür ist, daß er vom anthroposophischen Standpunkt aus schreibt? Selbst wenn es jemand macht, der gar nicht Priester werden will, würde es gehen. Ich weiß nicht, warum das nicht auch ein jüngerer Herr machen könnte. Es muß nur gut gemacht werden. Überlegen Sie sich die Frage. Nun, ich werde mich nie weigern, es zu tun; ich würde es schon tun.

Emil Bock: Ich habe meinen Bericht beendet damit, daß dann eine Zentralstelle in Berlin gemacht wird und von Berlin aus auch wenigstens vorläufig das Wertvolle geschehen könnte, zunächst daß, wenn es geht, wir dauernd im

Kontakt mit Herrn Dr. Steiner bleiben dürfen.

Rudolf Steiner: Das wird sehr gut gehen.

Emil Bock: Dann haben wir etwas, das greift in den Bereich des Herrn Dr. Heisler. Wir haben uns bemüht um Abfassung des Werbeflugblattes für die Geldmittel, sind aber noch nicht zu einem ganz klaren Abschluß gekommen.

Nun würde ich Herrn Dr. Heisler bitten, den Bericht über die Geldpläne vorzutragen.

Hermann Heisler: Wir waren uns klar darüber, daß man zunächst wohl ganz planmäßig anfangen muß, und zwar so, daß man an einem Platz anfängt, wo man Bekannte hat, daß man dort hinfährt. Die Bekannten werden zu gewinnen sein aus den Kreisen der Anthroposophen. Es ist nicht gut, daß man sich offiziell an die Zweige wendet, sondern daß man sich aus den Anthroposophen einige Leute heraussucht, die geeignet erscheinen und daß diese Leute einem Adressen an die Hand geben und man dann diese Adressen aufsucht, um Gelder herauszubekom­men. Wir sind überzeugt, daß unsere Mitglieder in der größten Anzahl zeichnen würden, doch besser wäre es, sich zuerst an andere zu wenden. Die Mitglieder sind uns sicher, die brauchen wir jetzt nicht zu bearbeiten. Der Betreffende soll nun die Leute, die er gesammelt hat, zusammenschließen zu einem Ausschuß von Vertrauensleuten, die dann die Weisungen bekommen und weiterarbeiten.

Rudolf Steiner: Ich würde schon raten, die Sache ja nicht durch die Zweige offiziell zu machen, sondern persönlich zu machen und viel darauf zu sehen, daß die Mitglieder sich herbeilassen, dann weitere Adressen in Nichtmitglieder-Kreisen zu geben. Das würde ich schon sehr raten. Sie werden dabei auch die Erfahrung machen, daß gerade für diese Seite der Sache Sie sehr viele Leute finden werden. die sich

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nicht offiziell als Mitglieder anschließen wollen, aber sehr viel übrig haben, nach dieser Richtung etwas zu tun. Es ist leider für ein ganz fruchtbares Sammeln ein klein wenig zu spät. Das wird natürlich nicht hindern, trotzdem sehr viel zu erreichen. Es ist ganz merkwür­dig, wie stark vor zwei Jahren, vor zweieinhalb Jahren gerade in Deutschland überall das Streben war, das Geld, das dazumal die Leute zur Verfügung hatten, für solche Dinge zu geben. Es hatte sich eine große Anzahl reicher Leute dazumal gesagt: Wir wollen unbe­dingt uns nicht das Geld vom Staat abnehmen lassen. Die Keyserling­Sache lebt nur von solchen Geldern und solche Leute gab es damals sehr viele.

Hermann Heisler: Ist der Gesichtspunkt nicht auch jetzt noch maßgebend?

Rudolf Steiner: Es ist nicht mehr so gut wie vor zwei Jahren, aber es ist immer noch zu bekommen.

Hermann Heisler: Die Kaufleute haben sehr viel Geld in der Schublade. Es ist doch für die Geschäftsleute die reinste Kunst jetzt, das Geld wegzubringen, und das Geld geben sie vielleicht ganz leicht her.

Rudolf Steiner: Die Steuergeschichte war dazumal noch nicht so, jetzt kommt die dumme Steuergeschichte dazu. Ich zweifle nicht, daß etwas für diese Sache zu kriegen sein wird. Es ist etwas anderes, für den «Kommenden Tag» Gelder zu kriegen. Aber für eine solche Sache kriegt man eher Gelder.

Hermann Heisler: Ich habe dann auch Österreich ins Auge gefaßt. Ich habe den Plan, zunächst in Baden zu beginnen. Ich würde zuerst nach Freiburg gehen -ich habe dort eine bestimmte Sache im Auge - und möchte dann den Rhein herunter bis Köln. Ich glaube, daß das einen guten Monat brauchen würde. Wenn die Sache fruchtbar werden soll, muß es rasch gehen. Und da hatte ich den weiteren Plan, daß einige von unseren Freunden helfen könnten. Die Sache drängt und ich kann unmöglich alles allein machen. Wenn der Kurs schon Anfang September sein soll, habe ich ja kaum einen Monat Zeit, denn der August wird sehr schlecht sein; diese Zeit ist sehr unpraktisch. September, Oktober ist wieder besser, vom August verspreche ich mir wenig. Darum dachte ich, wenn die Zeit drängt, Herrn Meyer zu bitten, Hannover zu übernehmen, dann würden die Herren in Berlin für sich arbeiten. Habe ich Zeit genug, was ich bezweifle, so werde ich kurz die süddeutschen Städte besuchen, andernfalls müßte das später geschehen. Und es würde sich dann ergeben, daß man im August eine Pause

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machen würde. Dann würde für mich eine Reise in Betracht kommen nach Sachsen, vielleicht auch an den Bodensee, nach Konstanz. Weitere Pläne zu machen, hat keinen Sinn, weil sich das weitere nur aus der praktischen Erfahrung ergeben muß. Möchten Herr Doktor vielleicht dazu etwas sagen?

Rudolf Steiner: Ich werde mir, solange ich hier bin, die Sache noch überlegen, wir können noch darüber reden.

Hermann Heisler: Ich habe so gedacht, daß man nicht offiziell an die Zweige geht, aber bei Zweigmitgliedern anklopft.

Rudolf Steiner: Gewiß, aber nur bei den Persönlichkeiten, nicht offiziell; da kriegen Sie auch nicht viel, wenn Sie sich an die Zweige wenden. Da wird gesammelt und dann geben die Leute eine Mark jeder. Bei Sammlungen ist es so. Wenn man sich aber an einzelne Leute wendet, dann kann man schon mehr erreichen.

Hermann Heisler: Ich möchte immer an die Vorstände herangehen und bitten, daß sie geeignete Leute zusammenrufen. Nun, dann war die Frage, was man mit dem Geld zunächst tut. Ich war der Meinung, daß man ein Postscheckkonto auf meinen Namen eröffnen sollte, wir würden dann das Geld beim «Kommenden Tag» anlegen, wo wir sehr hohe Zinsen zu bekommen hoffen. Dann herrscht eine gewisse Unklarheit über den Liebesdienst, den der «Kommende Tag» uns erweisen will. Es kämen außer meinem Gehalt noch Reisespesen in Betracht für die Herren, die helfen, also für Herrn Meyer und so weiter, dann Porto und dergleichen und für Drucksachen und alles, was an Auslagen eben ist. Dann kommt auch der Theologenkurs in Frage. Wir hoffen, daß der «Kommende Tag» die ersten drei Monate uns unterstützt.

Rudolf Steiner: Ich habe nur zunächst für Ihre Stellung den «Kom­menden Tag» engagiert, das weitere müßten Sie dann aus Ihren Einnahmen decken. Ich habe gedacht, daß der «Kommende Tag» die Brücke schaffen wird, aber daß er unter Umständen das, was Reise­spesen sind, später wiederum zurückkriegt. Sie müssen mit dem «Kommenden Tag» sich noch viel gründlicher ins Einvernehmen setzen. Ich mußte schon zufrieden sein, daß ich das herausbekam.

Hermann Heisler: Ich hoffe doch ...

Rudolf Steiner: Wer A sagt, sagt manchmal auch B, wenn es richtig angefangen wird.

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Hermann Heisler: Dann dachten wir, das wäre nur die erste Arbeit, überall Leute zu haben, an die man sich wenden kann. Dann ein Rundschreiben aufneh­men und die selbstverständliche Weiterarbeit. Wenn diese ganze Arbeit getan ist, wäre dann der Kurs. Nach dem Kurs ist die Hauptsache die ideelle Arbeit.

Rudolf Steiner: Die geistige Tätigkeit müßte doch, wenn sie eben nicht zum Schaden ausschlagen soll, gleich damit beginnen, daß man ins Amt tritt oder eben Gemeinden gründet. Man dürfte nicht die Sache theoretisch vertreten, es muß praktisch angefaßt werden.

Hermann Heisler: Es wäre vielleicht auch gut, wenn man in Vorträgen das religiöse Element einfließen ließe.

Rudolf Steiner: Ja, ich bin der Meinung, daß es glücken wird dann, wenn es so gemacht wird, daß alle jungen Theologen, die sich jetzt zu diesem losen Verband zusammentun, direkt darauf losarbeiten, ins Amt, in die praktische Religionswirksamkeit zu kommen. Die Idee propagieren, agitatorisch für die Idee zu wirken - ich weiß nicht, ob das eigentlich wirklich Nutzen bringt. Ich glaube eher, daß das die Stoßkraft abschwächt.

Emil Bock: Wir waren darüber noch nicht klar, ob wir gleich einen Kultus hinsetzen sollen oder es vorbereiten sollen dadurch, daß wir arbeiten.

Rudolf Steiner: Sehen Sie, im Augenblick, wo Sie denken können, Gemeinden zu gründen, Ihre richtige Seelsorgetätigkeit anzutreten, in dem Moment müssen Sie anfangen, die wirkliche Seelsorge mit dem Kultus zu tragen.

Ein Teilnehmer: Vielleicht sind einige schon so alt, daß sie sich vorbereiten könnten. Sehr viele jedenfalls noch nicht; die sollen dann hinter denen kommen.

Rudolf Steiner: Ja, auch; aber Sie sind doch zumeist jüngere Theolo­gen. Besonders hier sind doch solche, die auch nicht mehr lange haben, ins Amt zu kommen. Ich weiß nicht, ob man es darauf anlegen sollte, daß man wartet bis zur Studienvollendung. Freie Gemeinden können Sie ja ganz gut gründen, wenn Sie erst drei Semester hinter sich haben; wenn Sie nur versuchen, wirklich einzudringen

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in die Dinge. Durch den Kurs werden Sie ja tiefer hinein­dringen. Sie müssen ja unter allen Umständen doch den Glauben haben, daß Sie es jetzt schon, wenn Sie Seelsorge pflegen, besser machen als die anderen, wenn sie acht Semester haben. Sonst würden Sie zu wenig Stoßkraft haben, wenn Sie das nicht glauben. Darauf darf man sich nicht einlassen.

Ein Teilnehmer: Es handelt sich um die Gefahr, daß der akademische Abschluß nicht erreicht wird.

Rudolf Steiner: Da haben es doch auch auf anderen Gebieten viele so gemacht, daß sie irgendwo inskribiert gewesen sind und nachher ein Doktorat zum Beispiel nachgeholt haben als akademischen Ab­schluß. Das würde da doch möglich sein.

Ein Teilnehmer: Man würde uns vielleicht nicht zulassen.

Rudolf Steiner: Das ist die Frage. Natürlich ist es schon notwendig, daß dieser akademische Abschluß erreicht wird, weil sich sonst das Vorurteil bilden würde, daß die gescheiterten Existenzen so etwas machen; das dürfte nicht sein. Wenn Sie sich auch eine Zeitlang so bilden und dann Ihren Abschluß nach ein paar Jahren machen, so kann das trotzdem gemacht werden. Es haben solche Leute es immer wieder so gemacht, daß sie inskribiert geblieben sind und dann, nicht wahr, ihr Rigorosum gemacht haben.

Ein Teilnehmer: Wenn es genügt, Seelsorger zu sein, dann hat es die Bedeutung nicht.

Rudolf Steiner: Ja, glauben Sie, daß es schwierig ist, ein Doktorat zu machen?

Ein Teilnehmer: Es sind dazu sechs Semester notwendig.

Rudolf Steiner: Auf irgendeine Weise ist es immer gegangen. Zum Beispiel vor etwa zwanzig Jahren kam Herr Posadzy zu mir und sagte: Ich will den Philosophie-Doktor machen, könnten Sie mir nicht meine Dissertation durchsehen? Ich möchte über Herder schreiben. - Und er hat eine gute Dissertation gemacht. Er hat nur

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den großen Fehler gemacht, mein «Christentum als mystische Tatsa­che» zum zitieren. Und da wurde ihm gesagt: Nein, wenn Sie Steiner zitieren, nehmen wir die Dissertation nicht an. - Ausstreichen wollte er es nicht, und so kam er wieder zu mir und ich sagte zu ihm, er solle zu Gideon Spicker gehen, und dort hat er den Doktor cum laude gemacht. Irgendwo kann man es schon machen. Bei Gideon Spicker in Münster können Sie es natürlich nicht machen, der lebt ja nicht mehr. Früher konnte man es auch bei dem machen, der Nachfolger von Spicker war, der eigentlich ein Schwadroneur war, aber er ist nicht der schlechteste; Braun heißt er.

Ernst Uehli: Der über Schelling geschrieben hat?

Rudolf Steiner: Ja. Da ist ja auch ein Kollege von Ihnen, der will in Basel sein Doktorat machen, der Altemüller, der gehört doch auch zu Ihnen.

Hermann Heisler: Lauer, Doldinger ...

Rudolf Steiner: Das sind Theologen. Ich bin überzeugt davon, daß unter den anderen Studierenden solche sind (zu Gottfried Huse-mann), die den umgekehrten Weg machen. Sie sind zur Chemie gegangen? Wenn jetzt eine Bewegung da ist, wird es Philosophen geben, die zur Religionsübung übergehen. Diese Frau Plincke, ist die nicht auch interessiert? Es sind zweifellos viele, die zur Theologie herüberkommen werden.

Ein Teilnehmer: Ich möchte doch einmal fragen nach den Vorträgen «Bibel und Weisheit», wie man die bekommen könnte.

Rudolf Steiner: Ich will sehen, wenn ich nach Berlin komme. Es waren noch Nachschriften vorhanden. Frau Dr. Steiner wird das ja wissen. Ich will sehen, ob solche noch da sind.

Ein Teilnehmer: Vielleicht gibt es sonst noch Literatur?

Rudolf Steiner: Ich will die Vorträge nachschauen lassen. Ich habe über die Beziehung zur Religion schon vielfach gesprochen. Es ist ja so sehr schwierig, gerade gegenüber dieser so zahlreich auftretenden

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Literatur von Theologen, mit den Leuten fertig zu werden. Wenn man irgend etwas widerlegt, so drehen sie es wieder etwas anders, man wird nie fertig mit den Leuten. Es ist viel leichter, etwas zu schreiben, als mit den Leuten darüber zu reden. Diese Leute können eigentlich in ihrem Sinn nicht wahrhaftig sein. Das führt dazu, daß sie auch in anderen Dingen die Unwahrheit sagen. Sie finden es ganz angemessen, die Unwahrheit zu sagen. Es ist zum Beispiel der Traub in diesem Artikel, wo er sich das andere geleistet hat, das ich erwähnt habe, so dreist, auch hinzuschreiben, er könne sich nicht mehr erin­nern an den Kultur-Aufruf, er habe ihn auch nicht genau gelesen, aber er könne nur sagen, daß er selten so etwas Schwulstiges kennen­gelernt habe. - Das steht in diesem Aufsatz, den er als Autorität schreiben sollte; da stehen lauter solche Dinge drinnen. Da steht diese schöne Sache drin: Die Anthroposophie nennt sich eine Geheimwissenschaft; was geheim ist, ist aber keine Wissenschaft. Und das nennt er einen in sich geschlossenen Widerspruch. - Vor allem ist die «Geheimwissenschaft» nicht geheim, und wenn auch, so hindert das nicht, daß sie trotzdem eine Wissenschaft ist, denn «geheim» und «Wissenschaft», das sind doch zwei Dinge, die schlechterdings nichts miteinander zu tun haben. Aber von solchen Dingen wimmelt diese Literatur, es ist eine schreckliche Literatur. Ein Mitglied von uns hat sich die Mühe genommen, die objektiven Unwahrheiten in der Broschüre von Frohnmeyer zusammenzustel­len; ich glaube es sind 183. - Dann morgen um 8 Uhr.

SECHSTER VORTRAG Stuttgart, 16. Juni 1921

#G342-1993-SE188 Priesterkurse I

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SECHSTER VORTRAG

Stuttgart, 16. Juni 1921

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Meine lieben Freunde! Ich will zu demjenigen, das wir besprochen haben, zunächst einiges hinzufügen. Es wird für spätere Auseinan­dersetzungen durchaus möglich sein, Konkretes vorzuführen sowohl in bezug auf das Lehrgut, wie auch in bezug auf das Kultische. Heute möchte ich noch einiges nach der Richtung vor Ihnen vorbringen, in der man erstens den Weg finden kann, den inneren Weg, der die Lehre zusammenhält mit dem Kultischen, und dann jenen Weg, der hinüberführt zu unserer heutigen ja ganz unkultgemäß denkenden Wissenschaft. Die Dinge, um die es sich handelt, braucht man nur richtig zu verstehen, aber gerade von diesem Verständnis ist das heutige Zeitbewußtsein sehr weit entfernt. Ich will Ihnen dafür ein Beispiel anführen, und Sie werden gerade aus diesem Beispiel sehen, daß heute ein abstraktes Nebeneinanderstellen vorhanden ist zwi­schen dem Materiellen - das der Mensch durch seine Sinne wahr­nimmt und dann durch den Verstand in seinen einzelnen Erschei­nungen und Wesenheiten kombiniert, um zu sogenannten Natur-und historischen Gesetzen zu kommen - und demjenigen, was das Geistige genannt wird.

Wir müssen ja immer daran festhalten, daß in der abendländischen Entwickelung eine äußere Trübung eingetreten ist - sie war in ande­rer Beziehung im historischen Werdegang der Zivilisation notwen­dig -, eine Trübung in bezug auf das Verhältnis zwischen dem Leib­lich-Physischen einerseits und dem Geistig-Seelischen andererseits dadurch, daß auf dem bekannten achten allgemeinen ökumenischen Konzil im Jahre 869 dogmatisch festgelegt worden ist, daß die bis dahin durchaus auch innerhalb des Christentums geltende Tricho­tomic, die besagt, der Mensch besteht aus Geist, Seele und Leib, ersetzt wurde durch die Dualität, der Mensch bestünde aus Leib und Seele. Das Dogma wurde dazumal so formuliert: Es hat der Christ zu glauben, daß der Mensch nur bestehe aus Leib und Seele und daß die Seele einige geistige Eigenschaften habe. - Also, es wurde

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damit an die Stelle der Trichotomie gesetzt ein Dualismus, und der Seele wurden einige geistige Eigenschaften beigelegt. Die heutige Philosophie, die vorgibt, eine vorurteilslose Wissenschaft zu sein und nur aus der Erfahrung zu schöpfen, sagt dasjenige, was als eine dogmatische Festlegung aus dem Jahre 869 herübergekom­men ist, durchaus nach und redet auch nur von Leib und Seele, und sie weiß nicht, daß sie sich damit nur dem Konzilsbeschluß fügt. Bis in die weltliche Philosophie hinein ist die Wirkung des Konzils gedrungen. Das ist etwas, was man durchaus wissen muß, wenn man hinschauen will auf die Tatsache, daß die eigentliche Trinität im Menschen verhüllt worden ist im 9. Jahrhundert und daß seit jener Zeit überhaupt in der Weltauffassung Schwierigkeiten er­wachsen sind.

Nun, dadurch namentlich ist ja der Zustand herbeigeführt worden, der das Leiblich-Physische allmählich so abgesondert hat vom Geisti­gen, der den Menschen auf das Leiblich-Physische hinschauen läßt, als ob es durchaus geistleer, geistlos wäre und der eigentlich spricht von dem Geistig-Seelischen wie von etwas ganz Abstraktem. Man versuche nur einmal, sich heute klarzumachen, was sich die Men­schen vorstellen, wenn die drei Aspekte der Trinität, nämlich die Seelenkräfte, vor sie hingestellt werden: Denken, Fühlen, Wollen. Nehmen Sie die heutigen Lehrbücher der Psychologie in die Hand, und sehen Sie den Unsinn an, der da geschrieben wird, wenn Vorstel­lungen gegeben werden von Denken, Fühlen, Wollen. Und sehen Sie sich an, was in dieser Beziehung geleistet wurde durch den - wie man mit Recht gesagt hat - «Philosophen von seines Verlegers Gnaden», Wilhelm Wundt, der zwar von einer Willenspsychologie ausgegan­gen ist, aber über das Wesentliche des Willens nirgends eine Ahnung verraten hat.

Es ist durchaus so, daß derjenige, der das Seelische wirklich zu studieren vermag, in der Gliederung Denken, Fühlen, Wollen eine Gliederung sieht, wie sie ja vorhanden ist, wenn man den Menschen unterscheidet in bezug auf Jugend, reifes Alter und Greisenhaftigkeit. Die drei Bezeichnungen beziehen sich auf drei verschiedene Zustände des einen Geistigen.

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Dasjenige, was im Denken oder im Vorstellen vorhanden ist, ist so, wie es vorhanden ist, ein Erbgut unseres präexistenten Lebens, unse­res Lebens vor der Empfängnis. Dasjenige, was wir seelisch denken können, ist als das Greisenhafte zu bezeichnen, als das Altgewor­dene, das zu seiner Entwickelung gebraucht hat die Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, in der das jetzige Erdenleben begann. Das älteste unseres Geistes ist das Denken. Das Fühlen ist das mittlere, und das Wollen unterscheidet sich vom Denken dadurch, daß es erst im Kindesalter befindlicher Geist ist. Und wenn wir den Menschen geistig nehmen, wenn wir den Menschen seelisch beschreiben, dann müssen wir sagen, er bringt sich das Greisenhafte mit, das sich einfach involviert, er entwickelt sich allmählich zu dem mittleren, zu dem Fühlen, und er entwickelt den Willen, der dann erst so stark wird am Ende des Lebens, daß er zur Auflösung des Leibes führen kann. Denn der Wille ist es im wesentlichen, der zuletzt, wenn er ganz kraftvoll geworden ist, die Auflösung des Leibes herbeiführt. Der Wille ist auch dasjenige im Menschen, was fortwährend nach der Auflösung hindrängt, was abbaut, was geistig nichts anderes ist als eine Jugendform des Denkens, die sich, wenn wir physisch altern, anschickt, sich weiter zu entwickeln. Sie kann sich weiter entwickeln, wenn der Mensch hinausgeht aus dem physi­schen Dasein, zwischen dem Tod und einer neuen Geburt.

Auf diese Weise kommt man allmählich zu einem Ineinander-schauen des Seelischen und des Leiblichen. Ebenso kann man es mit dem Geistigen machen, so daß man zu einem Ineinanderschauen des Geistigen, Seelischen und Leiblichen kommt. Derjenige, der die Dinge studiert, weiß, daß im Momente des Aufwachens, wenn wir aus dem Schlafe heraus aufwachen, der Geist am meisten darin tätig ist, den Leib zu durchdringen; da manifestiert sich, offenbart sich am Äußerlichen am meisten der Geist, denn er durchdringt den Leib. Da zeigt der Mensch die stärkste geistige Tätigkeit in bezug auf das Physische, die stärkste Überwindung des Physischen beim Aufwa­chen. Er zeigt die stärkste Flucht vom physischen Einwirken beim Einschlafen. Und niemand begreift die Menschennatur, der nicht diese Tätigkeit des Geistigen ins Auge faßt.

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Das, was angestrebt werden muß, ist, daß das Geistige, Seelische, Leibliche wieder einander durchdringend geschaut wird. Man soll ineinanderwirkend sehen Geistiges, Seelisches, Leibliches, und nicht Materie, ohne in ihr den Geist zu sehen, und den Geist ohne Materie. Man soll sehen das Schöpferische, das, was hervorbringend ist, was eben die Materie aus sich heraus gestaltet. Man soll eigentlich überall sehen die einheitliche Wirkung von Geist und Materie. Wenn wir auf unser präexistentes Leben sehen, auf unser Leben vor der Empfäng­nis, so wirkt unser Geistiges im Weltenall. Und Anthroposophie lehrt, die Erscheinungen, die draußen in der Natur sind, allmählich so zu deuten, daß sie zu gleicher Zeit Offenbarungen sind des menschlichen Daseins, wie es jenseits des irdischen, physischen Daseins ist.

Das alles sage ich Ihnen nur, um auf eine Erscheinung hinzuwei­sen, die Sie heute überall wahrnehmen können, wo man von kirch-lich-dogmatischer Seite aus versucht, Anthroposophie, wie man sagt «wissenschaftlich» zu bekämpfen.

Denn sehen Sie, als das Mysterium von Golgatha sich abspielte, war in Vorderasien, in Griechenland, bis an den Norden Afrikas hinunter und bis nach Italien, überall in dem, was man damals Wissenschaft - Mathesis - nannte, ein Zusammenwirken von Materie und Geist vorhanden. Eine abgesonderte Materie kannte man nicht; überall sah man Geistiges wirken, das hat Augustinus noch kennen­gelernt und nicht mehr verstanden, und seinen großen Kampf verste­hen wir nur dadurch, daß wir wissen lernen, daß Augustinus durch das dekadente Manichäertum hindurchgegangen ist. Diese Anschau­ung, von der Augustinus nichts mehr verstanden hat, dasjenige, was damals vorhanden war in Vorderasien, im Norden Afrikas, in Grie­chenland, Italien, Sizilien, ja auch weiter herüber, das ist das, was man dann später gewöhnlich als die Gnosis zu bezeichnen pflegte.

Anthroposophie will durchaus keine Erneuerung dessen, was man als Gnosis bezeichnet, sein. Die Gnosis ist die letzte Phase der alten atavistischen Wissenschaft, während die Anthroposophie die erste Phase einer vollbewußten Wissenschaft darstellt. Es ist eine Verleum­dung, wenn man beide zusammenwirft. Da ich das vorausgeschickt

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habe, darf ich doch sagen, daß jene Gnosis es zuerst war, welche versucht hat, das Mysterium von Golgatha zu verstehen. Und es war eine tiefe geistige Wissenschaft - wenn auch instinktiver, atavistischer Art -, welche dazumal versuchte, das Mysterium von Golgatha zu verstehen. Diese Gnosis, die dazumal ausgebreitet war, ist ja dann vollständig ausgerottet worden. Sie ist so vollständig ausgerottet worden, daß nur weniges in positiver Weise übrig geblieben ist, nur wenige Schriften, die noch dazu wenig besagen. Die allmählich ganz römisch gewordene Form des Christentums, die das Christentum durchsetzt hat mit den römischen Staatsbegriffen, hat dafür gesorgt, daß alles, was von der ersten Auffassung des durchgeistigten Chri­stentums in der Gnosis vorhanden war, mit Stumpf und Stiel ausge­rottet worden ist. Und wenn heute die Theologen von der Gnosis sprechen, kennen sie sie nur von den Gegnern. Harnack und andere gaben ihren Zweifeln Ausdruck gegenüber dem, was Hilgenfeld und andere Gegner der Gnosis bringen.

Stellen Sie sich vor, es würde alles mit Stumpf und Stiel vernichtet, was an anthroposophischer Literatur vorhanden ist; dann kämen auf die Nachwelt nur die Schriften [des Generals] von Gleich und so weiter und die Schriften der [gegnerischen] Theologen. Wenn dann die Nachwelt aus den Zitaten dieser Leute die Sache nachkonstruieren würde, dann würde man von der Anthroposophie dasselbe haben, was heute die Theologen von der Gnosis haben. Das müssen Sie sich absolut klarmachen, welche Verlogenheiten von Theologen in die Welt hineingesetzt worden sind. Und ebenso gründlich verlogen ist, was da heute geschieht. Die Verlogenheit wird aus dem Grunde nicht gesehen, weil sich die Leute fortwährend sagen, die heiligen Leute könnten so etwas nicht machen, so etwas gäbe es einfach nicht. - Es ist aber da, obschon man glaubt, das könne gar nicht da sein. Man stellt sich gar nicht vor, daß solche Unmoralität vorhanden sein kann.

Nur dann werden Sie den nötigen Enthusiasmus aufbringen, wenn Sie die moralische Entrüstung aufbringen gegenüber dem, was in dieser Geschichtsforschung vorhanden ist. Dasjenige aber, was für die Weltentwickelung geschehen ist, das ist das, daß überhaupt das Verständnis für das Ineinanderweben, Ineinanderarbeiten von Geist

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und Materie vollständig verlorengegangen ist, und dadurch ist von vielem, das vorhanden war, eben nichts weiter geblieben als ein äußeres, ganz abstraktes Wortverständnis.

Heute, meine lieben Freunde, wird in den Gemeinden gelehrt die Form des Vaterunser, wie sie im Matthäus-Evangelium vorhanden ist. Man schließt: .... und erlöse uns von dem Übel; denn Dein ist das Reich, die Macht und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.» -Kein Mensch, der [in der heutigen Theologie] über das Vaterunser lehrt, versteht diesen Schlußsatz des Vaterunser. Durch die Behand­lung der Gnosis, des durchgeistigten Christentums [durch die Theo­logen], ist Schutt geworfen über das Verständnis dieses letzten Satzes. Was heißt er?

Dieser Schluß war in denjenigen Mysterien, aus denen er entnom­men war, verknüpft mit einem bestimmten Symbolum, mit einer Hinüberleitung des ganzen Sinnes in die symbolische Anschauung. Man sagte so: Wenn man für das «Reich» das Symbolum aufstellt, so

ist es dieses (siehe Tafel 3). Die Begrenzung, das ist das Symbolum Tafel 3 für das Reich. Dasjenige, was das Reich ist, umfaßt ein bestimmtes

Gebiet. Aber es hat nur einen Sinn, vom «Reich» zu sprechen, wenn man dieses Gebiet in seiner Begrenzung darstellt, wenn man das darstellt, wohin das Reich, das Gebiet, reicht.

Ein solches «Reich» hat aber nur eine Bedeutung, wenn es durch­kraftet ist, wenn es nicht nur ein begrenztes Gebiet ist, sondern wenn dieses Gebiet von Kraft durchstrahlt ist. Kraft muß im Mittelpunkt sitzen und das Reich muß durchstrahlt sein von der Kraft. So daß Sie ein Sichausbreitendes haben im Gebiet des «Reiches». Die Kraft, die vom Mittelpunkt ausstrahlt, das ist die «Macht». Die ausstrahlende Kraft, die das Reich beherrscht, ist die «Macht». - Das alles würde sich aber im Inneren abspielen. Wenn nur dieses vorhanden wäre, so würde dieses «Reich» mit der «Macht» in sich abgeschlossen daste­hen, und es würde nur für sich da sein. Es ist für anderes in der Welt, für andere Wesen erst da, wenn dasjenige, was da ausstrahlt, an die Oberfläche dringt und von da in die Umgebung hinüberstrahlt, so daß dasjenige, was in die Welt hinausstrahlt, ein an der Oberfläche befindlicher Glanz ist, eine «Herrlichkeit». Das Ausstrahlen von

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innen ist die «Macht», das Festsitzen der Macht an der Oberfläche und von da nach außen glänzend, das ist die «Herrlichkeit». Wenn Sie sich das Gebilde ansehen, das durchaus hinüberführt in Mathesis, in anschauliche Vorstellung desjenigen, was in den Ideen Reich, Macht, Herrlichkeit gedacht werden kann, so haben Sie dieses Hin­uberleiten in die Mathesis, in die anschauliche Vorstellung. Dann sucht man dasjenige, was man geistig-seelisch in der Anschauung hatte, auch äußerlich in der realen Wirklichkeit. Man schaut an, was man mathesisch erfaßt hatte; das sucht man in der Außenwelt und findet es in der Sonne, denn das ist das Bild. Und statt, daß Sie schließen mit den Worten des evangelischen Vaterunsers: .... denn Dein ist das Reich, die Macht und die Herrlichkeit», können Sie auch schließen das Vaterunser: .... denn Dein ist die Sonne».

Jedes Wesen wurde im Sinne der Trinität angesehen; und derje­nige, der noch etwas weiß von der wirklichen gnostischen Erkennt­nis, der weiß, daß eben einfach am Schlusse des Vaterunsers gebetet worden ist so, daß man vorgebracht hat in Worten die Glieder der Sonnentrinität, und daß man das Bewußtsein hatte, man spricht damit eigentlich aus, indem man das Vaterunser geschlossen hat, die sieben Bitten vorgebracht hat und auf sich hingewiesen hat: .... er-löse uns von dem Übel»: denn Du, der Du in der Sonne wohnst, Du bist derjenige, welcher das vermag. Es ist überall ein Bewußtsein vorhanden gewesen, daß die Natur draußen nicht ungeistig ist, daß die Natur überall durchgeistigt ist, und das Mittel, diese Durchgeisti­gung wirklich sich zu vergegenwärtigen, man fand es, indem man uberall das Trinitätswirken hatte.

Sehen Sie sich die objektiven Tatbestände an und lesen Sie alle die Vorwürfe, die vorgebracht werden - wenn sie auch unwahr sind -, wenn man beweisen will, daß Anthroposophie eine Erneuerung der Gnosis sei. Überall ist man bemüht, die Gnosis anzuschwärzen und dann zu sagen: Wer heute Gnostiker ist, der führt die Menschheit in den Nebel zurück. Welches Bestreben besteht bei der Theologie? Das Gemüt der Menschen abzulenken von demjenigen, was vorhanden war vor dem Konzil von Konstantinopel, was besonders stark vor­handen war, bevor der Kaiser Justinian im 6. Jahrhundert die letzten

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griechischen Philosophenschulen geschlossen hat, so daß die letzten Philosophen unter der Führung von Damaskios und Simplikios mit fünf anderen geflohen sind nach Asien hinüber und eine nächste Zufluchtsstätte gefunden haben in Gondhishapur, wo die Leute ge­wirkt haben, deren Wirken auch vollständig ausgelöscht worden ist.

Es ist das durchaus notwendig, daß heute überwunden wird jener Gegensatz, der besteht zwischen einer bloß abstrakten Wortwissen­schaft, die durchaus heute als Wissenschaft gilt, und der Anschauung des Wirklichen als eines Durchgeistigten. Zu dieser Anschauung des Wirklichen als eines Durchgeistigten muß man eben wiederum kom­men. Ohne diese Anschauung ist eine Religionsgrundlegung, eine Grundlegung des religiösen Wirkens absolut unmöglich.

Und wenn Sie kultisch sprechen wollen, dann müssen Sie auch allmählich aufrücken zum Begreifen des Äußeren. Sie müssen in der Sonne sehen können dasjenige, was die Objektivierung ist desjenigen, was Macht, Reich und Herrlichkeit ist. Sie haben vielfach das, was so ausgedrückt ist, fast durch das ganze Evangelium hindurch, nur so aufzufassen, daß es in einer Sprache ausgedrückt ist, wo durchaus das Wort bewußt hinüberfließt in das Gestalten, in das vom Geist aus in die Welt hinaus Geschaffene. Nur dann verstehen Sie das Evange­lium wirklich, wenn Sie mit diesem Bewußtsein sich durchdringen können.

Nun, wenn wir dieses ins Auge fassen, dann werden wir sehen, wie weit die gegenwärtige Wissenschaft, trotzdem sie glaubt ganz reali­stisch zu sein, von der wahren Wirklichkeit entfernt ist. Denn, sehen Sie, es kam dann, nachdem man Schutt geworfen hatte über das Verständnis der Wirklichkeit - über solche Auffassungen wie dieje­nige, daß in den Schlußworten des Vaterunser die Sonne enthalten ist -, nachdem man es so weit gebracht hat, daß heute jeder als ein Unchrist hingestellt wird, der den Sonnenbegriff zusammenbringt mit dem Christus-Begriff, kam dann die Zeit, wo man überhaupt nicht mehr verstanden hat, wie sich dasjenige, was die menschliche Seele erlebt, zur Wirklichkeit verhält.

Sehen Sie, in der Zeit, als im 9. nachchristlichen Jahrhundert noch gewisse Reste des früheren Wissens bewahrt hatte eine solche Gestalt

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wie die des Scotus Eriugena, in dieser Zeit, wo Eriugena noch gewußt hat einen Zusammenklang zu finden zwischen dem, was die Seele erlebt und dem, was außen in der physisch-sinnlichen Welt ist, - in dieser Zeit entstanden dann [nach und nach] die anderen [Anschau­ungsweisen], in denen sich der Mensch gedachte Tatsachenbegriffe gemacht hat und angefangen hat zu grübeln, ob seine Begriffe über­haupt etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben. Dann kam die Zeit der Scholastiker, des Albertus Magnus, des Thomas von Aquin, die noch in ihrem letzten Anklang von altem Bewußtsein etwas fühlten davon, daß Begriffe und Ideen nur einen Sinn haben, wenn sie außen in der Welt als Wirklichkeit zu finden sind; bei denen lebte sich aus der Realismus der [frühen] Scholastik. Die anderen aber, die das Bewußtsein verloren hatten von dem Zusammenklang der Ideen mit der Wirklichkeit, die die Vorläufer der heutigen Theologie waren, die es als ketzerisch hinstellten, wenn man von dem Zusammenklang der Sonne mit Reich, Macht und Herrlichkeit sprach, bei denen entwik­kelte sich der Nominalismus. Der große Streit zwischen Nominalis­mus und Realismus ist hervorgegangen aus dem Konzilsbeschluß vom Jahre 869, wodurch man Dunkel gebreitet hat über die Anschauungsweise, [daß der Mensch aus Leib, Seele und Geist besteht]. Und heute sind wir ja so weit, daß wir auf der einen Seite eine Polemik sich entspinnen sehen, wenn darauf hingewiesen wird, daß im Vaterunser bei «Dein ist das Reich, die Macht und die Herrlichkeit in Äonen, Amen» eigentlich innerlich geistig-seelisch der Christus gemeint ist und äußerlich dasjenige [gemeint ist], was ihm in der Umgebung entspricht: die Sonne. Gemeint ist, wenn man die Trinität - das Reich, die Macht und die Herrlichkeit - äußerlich zusammenfaßt: .... denn Dein ist die Sonne», wenn man das Innere, Geistig-Seelische anschauen will, und - den Vater ansprechend, den der Welt Subsistierenden -: «denn Dein ist der Sohn, Christus-Jesus, er ist bei Dir».

Die evangelische Kirche ist über diese Dinge heute bei der völligen Bewußtlosigkeit angelangt, sie weiß nichts von diesen Dingen und weiß nicht einmal, warum sie nichts weiß, weil sie sich nicht aufklärt über das Wesen solcher Dinge. Die katholische Kirche, die die

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Tradition bewahrt hat, weiß sehr viel davon, und insbesondere im Schoß des Jesuitismus weiß man von diesen Dingen sehr viel. Aber man hält ja folgende Religionspolitik ein: Man sagt, wenn die Leute wiederum daraufkommen, daß neben Leib und Seele auch der Geist waltet, dann sind sie nicht weit vom Weg nach dem Übersinn­lichen hin. Wir müssen verhindern, daß die Menschen vom Geist etwas erkennen. -

Daher sehen Sie, daß gerade im Jesuitismus, wo eine hervorragende wissenschaftliche Befähigung herangezogen wird, eine wissenschaft­liche Politik eingehalten wird und zwar in der folgenden Weise. Man sagt sich, heute fordert die Welt Wissenschaft, sie fordert sie in dem Sinn, in dem man sie seit der Galilei-Kopernikus-Zeit Wissenschaft nennt. Die katholische Kirche hat sich gewehrt gegen diese Wissen­schaft bis zum Jahre 1829; erst da ist den Katholiken ex cathedra erlaubt worden, an die Umdrehung der Erde um die Sonne zu glauben. Aber seither wird die andere Politik verfolgt, die Politik, die Galilei-Kopernikanische Naturwissenschaft bis in den äußersten Materialismus hineinzutragen. Daher werden Sie überall in der von Jesuiten inspirierten Literatur finden, Wissenschaft solle sich nur mit dem sinnlich Wahrnehmbaren beschäftigen. Wissenschaft soll ste­henbleiben bei dem, was räumlich-zeitlich ist, und Wissenschaft kann nicht aufrücken zu demjenigen, was über Räumlich-Zeitliches hin­ausgeht. - Dadurch will man die Menschheit halten dabei, nur eine solche Wissenschaft zu haben, die über das Räumlich-Zeitliche sich ergeht, und das andere in das Gebiet des Glaubens verweisen und mit dem Glauben dasjenige umfassen, was von dem unfehlbaren Papste zu glauben vorgeschrieben wird, beziehungsweise von dem ihn bera­tenden Kollegium. Eine strenge Trennung zwischen demjenigen, was Gegenstand der Wissenschaft sein soll und demjenigen, was geglaubt werden soll, wird in der extremsten Weise gerade vom Jesuitismus getrieben. Die Jesuiten glänzen auf dem Gebiet, wo es eine materiali­stische Wissenschaft gibt, ja, niemand hat es so weit getrieben in der Erfassung des Materialismus als die jesuitische Wissenschaft, die die Zöglinge erzieht zu ganz besonders klugen Forschern auf materiali­stisch-wissenschaftlichem Gebiet damit sie leuchten und glänzen auf

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diesem Gebiet, um nur um so mehr Eindruck zu machen, wenn sie sagen: Wissenschaft hat sich nie über das zu ergehen, was Christus übergeben hat dem römischen Stuhl als dessen Recht, Vertreter des geistigen Lehrgutes zu sein, oder, wie man es dogmatisch ausdrückt:

Der Christ hat in dem Vorsteher der Kirche zu sehen den Inhaber des göttlichen Lehramtes. - Nun, damit soll immer mehr und mehr die Wissenschaft in dem äußerlich Materiellen befestigt und ein Durch-geistigen der Wissenschaft verhindert werden.

Sehen Sie, meine lieben Freunde, es hat einen Strauß gegeben, einen Renan, einen Büchner, einen Bölsche; es hat einen Haeckel gegeben, der in seinem Herzen gar nicht Materialist war und nur durch die Fülle seiner Schriften einem so erscheinen kann. Es hat viele Materialisten gegeben, aber sie waren Waisenknaben gegen das­jenige, was an Heranbringung des Materialismus geleistet worden ist auf die Art, wie ich es Ihnen eben auseinandergesetzt habe. Die eigentlichen Schöpfer des Materialismus auf wissenschaftlichem Gebiet, das sind die Theologen der letzten vier Jahrhunderte gewe­sen. Und es war in der Kirche immer sehr schwierig, sich gegen die­sen hereinbrechenden wissenschaftlichen Materialismus zu wehren.

Denken Sie nur einmal, wie wenig verstanden wurde eine solche Gestalt wie Oetinger, der noch den Satz geprägt hat: Alle materiellen Erscheinungen sind des Geistes Enderscheinungen -, worin er aus­drücken wollte, daß dasjenige, was äußerlich in der Schöpfung vor­handen ist, ursprünglich vom Geiste stammt, daß der Geist, indem er schafft, an das Ende kommt, zu seiner äußersten Ausprägung kommt und dadurch die materiellen Erscheinungen schafft. Diese schöne Darstellung, Sie finden sie nur durchmischt mit nebuloser Mystik, aber es ragen noch solche erratischen Blöcke einer durchgeistigten Weltanschauung herein, und Sie müssen, wenn Sie solche Leute wie Oetinger lesen, sich darüber klarwerden, daß Sie nicht das Ganze annehmen dürfen, aber Sie müssen sich von vielem anregen lassen, was Sie darin finden. Sie müssen die Begriffe sehen, die wie ein Blitzesleuchten aus einer durchgeistigten Weltanschauung auftreten.

Das ist schon dasjenige, was ich Ihnen noch sagen wollte, um Ihnen das Verhältnis der Entwickelung der Theologie und der Wis­senschaft

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ein wenig zu charakterisieren. Geradeso wie die Universitä­ten aus Theologen-Gründungen hervorgegangen sind, so ist dasje­nige, was heute unsere Wissenschaft ist, auch wenn sie weltlich auftritt, noch immer das Ergebnis des Entwickelungsganges der Theologie. Und es muß eben durchaus festgehalten werden, daß Leute wie Strauß, Büchner und so weiter Waisenknaben sind in der Begründung des Materialismus gegenüber dem, was geleistet worden ist von Theologen.

Auf der anderen Seite hat ein anderes Element in die wissenschaft­liche Bewegung der neueren Zeit hereingearbeitet, und das ist dasje­nige, was herübergekommen ist vom Orient. Sehen Sie, in den südli­chen Gegenden Europas hat man sich ja [von der früheren Strömung des geistigen Lebens abgewendet] seit der Mitte des 4. nachchristli­chen Jahrhunderts bis zu der Zeit, wo Justinian den letzten Akt vollzog, in dem er [die Athener Philosophenschule auflöste und] die sieben hauptsächlichsten Athener Philosophen vertrieben hat, die wirklich eine Art von internationaler Gesellschaft waren. Da war ein Damaskios, da war ein Simplikios, da waren Philosophen aus allen Gegenden, und es war in diesen Sieben wirklich eine Art internatio­nale Gesellschaft vorhanden, und die hat mitgenommen die letzten Reste der aristotelischen Erkenntnis, die ja selbst gegenüber der Gnosis schon in einer Art von Dekadenz war. Diese aristotelische Erkenntnis ist eingepflanzt worden der geistigen Welle, die sich dann über Arabien herüber verpflanzt hat nach Spanien, und wir sehen, wie im 11., 12., 13. Jahrhundert sich eine geistige Welle von dort [nach dem Westen] herüberwälzt. Da kommt herüber dasjenige, was ja dann einen starken Einfluß genommen hat auf solche Geister wie Roger Bacon, und - was noch deutlich wahrnehmbar ist - in der Philosophie des Spinoza, die auf Goethe einen so großen Einfluß genommen hat.

Und durch den Zusammenfluß dessen, was als Gefühlschristen­tum, Gemütschristentum, als wahres Christentum fortgelebt hat gegenüber dem theologischen Christentum, aus dem Zusammenfluß des Gemütschristentums mit der Kraft, die aus den Völkern der Völkerwanderung gekommen ist, pflanzt sich die eine Welle des

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Christentums fort; sie liefert nicht die äußere Weltwissenschaft wie die andere Welle, die dadurch entstanden ist, daß aristotelische Erkenntnis gebracht worden ist durch die Araber nach Spanien und von dort einen so großen Einfluß genommen hat auf Spinoza. Darin war dasjenige enthalten, was auf Jahrhunderte hinaus die neuere Naturwissenschaft beeinflußt hat. Die neuere Naturwissenschaft ist von Anfang an ausgegangen von einer Art von Protest ... [Lücke in der Nachschrift], der immer berufen ist, den Gott zu verlieren. Sie kann ihn nur verlieren, nie halten, und es ist entstanden die neue gottesleere Wissenschaft, die aber in bezug auf die Natur eine wahre Wissenschaft ist, nur eben über gewisse Grenzen als solche nicht hinauskann, die aber zu gleicher Zeit die Erziehung des Menschen zur Freiheit wesentlich gefördert hat. Heute sind wir an dem Punkt angekommen, wo aus dieser Wissenschaft heraus selbst die Durch­geistigung wiederum gesucht werden muß, wo die Wissenschaft hin-aufgeführt werden muß aus einer bloß anthropologischen [Wissen­schaft], aus einer solchen Erkenntnis, die nichts weiß vom Menschen als das Leibliche, die bloß letzte Worthülsen hat über das Seelische und vom Geist gar nichts mehr weiß, daß von einer solchen anthro­pologischen Wissenschaft der Weg hinauf gemacht werden muß zu einer anthroposophischen Wissenschaft, durch die erkannt wird das Materielle in seiner Durchdringung mit dem Geistigen namentlich beim Menschen.

Und auf diese Weise kann der Moment herbeigeführt werden, in dem sich begegnen Wissenschaft und religiöses Leben, aber auf kei­nem anderen Weg als dadurch, daß wiederum gefunden wird der Geist in allem Materiellen, daß überwunden wird die Anschauung, als ob es irgendwo ein Materielles gäbe, ohne daß es auch zum Geist führt. Wenn Sie sich selber durchdringen mit diesem Bewußtsein, wenn dieses Bewußtsein so Kraft in Ihnen gewinnt, daß Sie, wenn Sie predigen, aus diesem Bewußtsein heraus sprechen, dann werden Sie die Möglichkeit gerade auf Ihrem Gebiete des Wirkens finden, den Zugang zu den Menschenherzen, nicht zu dem Menschenverstande bloß, zu suchen. Sie werden allmählich - selbst wenn es anfangs nicht so aussehen würde - den Weg finden müssen zu den Herzen der

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Menschen, indem Sie sprechen aus der Kraft heraus, die Ihnen kommt, wenn Sie das Bewußtsein erheben bis zum Durchschauen des Durchgeistigtseins aller Materie. Denn ohne daß Sie zu diesem Bewußtsein kommen vom Durchgeistigtsein aller Materie, kommen Sie nicht zu einer wirklichen lebendigen Gottesauffassung.

Wenn Sie aber sprechen wollen in dem Sinn, wie Sie es sich vorgenommen haben, dann muß das, was Sie sprechen, ein äußerer Ausdruck sein von dem, was gemeint ist im Beginne des Johannes-Evangeliums: «Im Urbeginne war das Wort .. .», denn es wird hinge­wiesen, indem auf das Wort, auf den Logos gedeutet wird, daß dieser Logos v6rhanden war, bevor die Materie entstanden war, und daß die Materie aus dem Logos hervorgegangen ist. Sie müssen verbinden diese Erkenntnis mit der anderen, daß es Ihnen möglich ist, indem Sie sprechen, aus Ihren Worten heraus erklingen zu lassen dasjenige, was Sie selbst in Ihrem Gemüt, in Ihrer Seele erleben, wenn Sie durch geistige Erkenntnis das Göttliche erfühlen im Inneren und sich in gotterfühlender Meditation vorbereiten für Ihr Predigeramt. In die­sem Hinleben zum Sprechen, nicht nur in dem abstrakten Vorberei­ten in bezug auf den Inhalt des Lehrgutes, in diesem meditativen Einarbeiten zu jeder einzelnen Predigt muß sich Ihnen die Kraft ergeben, durch die Sie eine Gemeindebildung erzielen können.

Das ist dasjenige, was ich Ihnen heute noch ans Herz legen wollte, und was ich Sie bitte so aufzunehmen, daß es mehr gefühlt sein will als gedacht, und ich hoffe, daß es uns dann in der Zeit, wo wir uns wieder zusammenfinden werden, gestattet sein wird, diese Betrach­tungen fortzusetzen.

Nun war ja wohl vielleicht noch gestern der Wunsch aufgetreten, das eine oder das andere an die Debatte anzuknüpfen.

Emil Bock: Ich habe gestern abend gedacht, daß wir heute den Text des Werbe­blattes vorlegen können. Ich weiß aber nicht, ob er in dieser Form bestehen bleiben kann.

Rudolf Steiner: Wir bleiben ja jedenfalls im Zusammenhang, und wenn Sie auch heute abreisen, so werden Sie es mir ja mitteilen, wenn ich selber einen Rat geben soll, damit ich ihn dann geben kann. Sie

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haben aber eine Idee, was in diesem Werbeblatt im wesentlichen enthalten sein wird?

Emil Bock: Wir wollen, soweit wir es uberlegt haben, einfach den Gedankengang so einschlagen, daß wir ausgehen von der Not des religiösen Lebens gegenüber dem Intellektualismus, daß wir dann hinweisen auf die Notwendigkeit einer neuen Weltanschauung, in der die Religion möglich ist, auf die Notwendigkeit, gerade durch Weltanschauungserneuerung zu einer religiösen Erneuerung zu kommen. Wir wollen dann darauf hinweisen, wie das gedacht ist, durch die Belebung des Bildhaften und so weiter, und wir könnten dann ein Wort darüber sagen, daß es sich um eine besondere Erneuerung des Christentums handelt. Wir wollen aber auch sagen, daß wir eine Arbeit vorhaben gerade in bezug auf die kirchliche Arbeit, und dann soll ein Übergang gefunden werden zu dem Appell an die Gebefreudigkeit. Wir können das nur, wenn dem freien Geistesleben die Möglichkeit geboten wird. Das Geistesleben muß durch eine Tat, das heißt durch eine Spende befreit werden. Dadurch soll an einem Punkt das Geistesleben befreit werden, zunächst im Religiösen. Das war der Gedankengang, der, soviel ich gesehen habe, vorläufig im Einklang gefunden wurde. Wir waren aber uns noch nicht klar, ob wir damit das Richtige getroffen haben.

Rudolf Steiner: Es ist eine Summe von Gedanken, die jedenfalls die richtigen sind. Ich will nur, damit Sie den richtigen Tenor finden, auch auf folgendes hinweisen: Alles dasjenige, was heute in solchen Dingen von Anthroposophie kommt, steht durchaus auf dem Boden der Wirklichkeit und ist immer darauf aus, den Boden der Wirklich­keit nicht zu verlassen. Die Dreigliederungsbewegung hat im Früh­ling 1919 begonnen, in der Zeit, als besonders über Mitteleuropa eine erwartungsvolle Stimmung bei großen Teilen der Bevölkerung ausge­gossen war. Diese erwartungsvolle Stimmung war allerdings in ver­schiedener Weise ausgegossen, aber es war eine solche Stimmung da, ich möchte es einfach so ausdrücken, daß eine größere Anzahl von Menschen glaubte, wir sind in das Chaos hineingeworfen und wir müssen durch vernünftige Harmonisierung der sozialen Kräfte wei­terkommen. Diese Stimmung war vielfach verbreitet, als ich im April 1919 mit der Tätigkeit für die Dreigliederung begann.

Nun, ich habe dazumal, aus der Form heraus, die ich meinen Vorträgen über die Dreigliederung gegeben habe, sehr häufig geschlossen damit, daß dasjenige, was da gemeint ist, sehr bald in Wirklichkeit umgesetzt werden soll, denn es könnte sehr bald zu spät

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sein, und diese Formel «Es könnte sehr bald zu spät sein» können Sie in den damals nachgeschriebenen Yorträgen sehr häufig finden. Es war dazumal die Zeit, wo man in der Form, wie ich es formuliert habe, hätte etwas ausrichten können, wenn die Gegner nicht zu stark angewachsen wären, eine zu starke Macht geworden wären. Nun liegt ja die Sache so: Es ist seit jener Zeit in Mitteleuropa eine furchtbare reaktionäre Welle heraufgezogen, viel stärker als man denkt, und man muß das durchaus ernst nehmen. Damit ist die Dreigliederung nicht als Prinzip getroffen - das ist dauernd -, aber so wie man dazumal sie verwirklichen wollte, so kann sie nicht mehr verwirklicht werden. Was aus dem Realen der Zeit gedacht ist, ist für die Zeit gedacht, und man würde zum Abstrakten kommen, wenn man so etwas nicht einsehen wollte. Wir stehen heute auf dem Punkt, wo gesagt werden muß, es müssen neue Formen gesucht werden, um aus dem Chaos herauszukommen. Man hat nicht mehr in denselben Formulierungen vor die Welt hinzutreten, wenn man die Dreigliede­rung selbst vertritt. Insbesondere haben wir heute notwendig als unbedingt Wichtiges, was wiederum zu irgendeinem Licht führen kann, wir haben heute nötig - so unbehaglich es sein mag - ein Hineinleuchten in die ganze Welt der Unwahrhaftigkeit, welche unser geistiges Leben durchzieht. Wir müssen einmal hineinleuchten in diese Unwahrhaftigkeit des geistigen Lebens. Das ist das eine, das Negative. Und das Positive ist: Wir müssen nun, so schnell als das geht, zur Verwirklichung des einen Teiles der Dreigliederung kom­men, zur Befreiung des geistigen Gebietes. Wir müssen weniger abstrakte Dreigliederung treiben, denn Sie können heute nicht in der Form, wie wir 1919 begonnen haben, wiederum die Dreigliederung in die Wege leiten - heute ist das Gegnertum zu stark. Nur in der Erkenntnis dessen, was Zeitmacht ist, liegt dasjenige, was uns noch schützen kann vor der Null, spenglerisch gesprochen, nämlich vor dem Heraufkommen des Unterganges. Sie müssen trachten, daß das Konstituieren des freien Geisteslebens gefordert ist.

Die Wirtschaftswissenschaftler sind in einer solchen Weise ver­sumpft und verdorben in ihren Anschauungen, daß gar keine Rede davon sein kann, die Dreigliederung zu verstehen; dazu sind die

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niemals zu bewegen. Wie wenig die Dreigliederung verstanden wor­den ist auf diesem Gebiet, das tritt einem schrecklich entgegen. Ich will Ihnen ein Beispiel sagen: Hier an diesem Ort, als eine Dreiglie­derungssitzung im Anfang gehalten wurde, da stand ein sehr bekann­ter Vorsitzender einer bekannten Partei vor mir - wir hatten ein großes Komitee zusammengebracht und er war damals darunter -, der sagte zu mir: «Die Sache mit der Dreigliederung, es wäre recht schön, wenn man es haben könnte, aber vorläufig versteht es ja kein Mensch, und verstehen tut man es nur, wenn Sie zu den Leuten reden» - ich sage das nicht aus Unbescheidenheit, sondern nur, um etwas an diesem Beispiel zu zeigen -, «und auf zwei Augen darf das nicht gebaut werden. Wir wissen ja, daß in 15 bis 20 Jahren die letzten Reste von dem, was wir da haben, doch in den Niedergang kommen. Heute könnten wir das noch aufhalten, wenn wir die Dreigliederung durchführen würden. Die kennt aber weiter niemand, und so wenden wir diese 15 bis 20 Jahre noch lieber die alten Gedanken an, als Ihre Dreigliederung.» -

Dies ist ein Beispiel für das Verständnis, das die Politik der Sache entgegengebracht hat. Es ist nur zu hoffen, daß man zunächst noch die letzten Reste der geistigen Impulse sammeln kann, um diese Befreiung des Geisteslebens auf religiösem Gebiet, auf dem Gebiet der Kunst und auf dem wissenschaftlichen Gebiet zu versuchen. Das sind ja die drei Unterformen; jedes der drei Glieder hat ja wieder drei Untergebiete. Das geistige Gebiet hat als Untergebiete Religion, Wis­senschaft und Kunst. Wenn es gelingt, auf diesen Gebieten die Befrei­ung des Geisteslebens zu erreichen, dann werden sich von selber, vielleicht eher als wir glauben, aus dem Vorbild des freien und befreiten Geisteslebens die Leute finden, die auch ein Verständnis haben für die Gleichheit im Staatsleben und für die Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben. Das nächste ist also, mit aller Kraft hinzuarbeiten auf die Verselbständigung des einen Gliedes. Vorläufig ist für Sie das eine wichtig: für die Befreiung des religiösen Gebietes zu arbeiten; das ist dasjenige, was Sie ja tun müssen. Man darf das Wort Dreiglie­derung nicht gebrauchen in der abstrakten, sondern muß es gebrau­chen in der konkreten Form, indem man den größten Wert legt auf

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die Verselbständigung des einen Gebietes, das namentlich durch die Verlogenheit unter die Räder gebracht worden ist. Es wäre eine Illusion, wenn man nicht sehen würde, wie rasend wir in den Nieder­gang hineingehen. Wenn Sie auf die Tatsachen hinblicken, können Sie sich eigentlich nicht vorstellen, daß sehr lange so weiter gewirtschaf­tet werden kann. Die Zinsen für die Schulden des Deutschen Reiches sind 85 Milliarden im letzten Jahre 1920/21 - die Zinsen, nicht die Schulden. Es wird darauf hingewiesen, daß die Steuerleistung der Bewohner Mitteleuropas auf das Dreifache angehoben werden muß. Wie will man da zurechtkommen? Heute gibt es Leute, die zahlen 60 % Steuern von dem, was ihr Einkommen ist; die werden dann, wenn sie das Dreifache zahlen müssen, 180% zu zahlen haben, und ich bitte Sie zu überlegen, wie man 180 % Steuern bezahlen soll und wie die Wirklichkeitslogik aussieht bei den Leuten, die über öffent­liche Angelegenheiten reden. Wir sind am Hineinrutschen in das furchtbarste Chaos. Heute ist es dazu noch so, daß man sagen muß, die Dinge werden noch immer verfälscht dargestellt.

Ich habe vor einiger Zeit in einem Kreise von Industriellen einen Vortrag gehalten und habe hingewiesen auf die wahre Tatsache, daß die Städte vor dem Verkrachen stehen mit ihren Haushalten; sie haben sich noch gehalten, weil von Seiten der Sparkassen eine Kor­rektur gekommen ist, aber mit einer solchen Korrektur kann man nur so weit kommen, bis die Kassen leer sind. Man kann einen Rock noch behalten, wenn man nicht die nötigen Mittel hat, einen neuen zu kaufen; dann trägt man eben die alten Kleider weiter - so wie man eben heute die alten Wirtschaftspraktiken weiterträgt -, einmal wer­den sie eben vom Leibe fallen. Das ist nur eine Täuschung, wenn sich die Leute behaglich fühlen und von Aufstieg reden. Wir sind durch­aus in einem Niedergang.

Wenn es möglich ist, das Geistesleben zu retten, dann ist auch die Zivilisation gerettet. Aber es ist notwendig, heute sich wiederum des Wandels der Zeit bewußt zu sein. Mißverstehen Sie mich nicht, ich rede nicht davon, daß die Dreigliederung abgesetzt werden muß, aber so wie man es dazumal betrieben hat, wie es möglich gewesen wäre durch ein Konstituieren der drei nebeneinander bestehenden Glieder,

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so ist es heute nicht mehr möglich. Heute muß man retten, was noch zu retten ist, und das ist dasjenige, was in den Menschenseelen vorhanden ist. Zur Befreiung des Geisteslebens zu kommen, das ist dasjenige, was man heute natürlich versuchen muß.

Dann sind wir wohl jetzt am Ende.

Emil Bock: Da wir jetzt am Ende sind, darf ich wohl im Namen der Kursteilneh­mer Herrn Dr. Steiner unseren aufrichtigen, herzlichen Dank aussprechen. Wir können das ja in Worten nicht zum Ausdruck bringen, aber wir glauben den Anfang versucht zu haben, es durch Arbeit zu beweisen, daß wir tatsächlich dankbar sind und daß der Dank in Taten nur geleistet werden kann. Und ich glaube, durchaus aus den Herzen der Teilnehmer sprechen zu können, wenn ich hier gewissermaßen in einer kleinen Aufraffung unserer Kräfte ein gewisses Versprechen dafür ablege, daß wir das tun werden, was eben in unseren Kräften steht.

Rudolf Steiner: Ich brauche nichts anderes mehr zu sagen, als daß es mir eine tiefe innere Befriedigung gewährt, daß Sie sich zu dieser Arbeit eingefunden haben. Möge besonders aus dieser Arbeit etwas erwachsen, das innerhalb des anthroposophischen Lebens von Wert ist. Es wird etwas sehr Bedeutsames sein, wenn gerade der Teil des Geisteslebens, der Ihr Teil ist, durch dieses anthroposophische Leben angeregt wird. Ich hoffe, daß wir uns innerlich verstehen und in der Arbeit weiter zusammenhalten und uns zusammenfinden. - Auf Wiedersehen!

Tafelzeichnungen / Notizbucheintragungen / Werbeblart

Chronologische Übersicht / Teilnehmerliste

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NOTIZBUCHEINTRAGUNGEN

Seiten 212 - 217 aus Notizbuch Archiv-Nr. NB 91

Seiten 218 + 219 aus Notizbuch Archiv-Nr. NB 192

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WERBEBLATT «EIN WEG ZUR RELIGIÖSEN ERNEUERUNG»

#G342-1993-SE221 Priesterkurse I

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WERBEBLATT

«EIN WEG ZUR RELIGIÖSEN ERNEUERUNG»

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- Entwurf in der Handschrift von Gottfried Husemann mit Ergänzungen von Rudolf Steiner

- Das gedruckte Werbehlatt (verkleinert). Die Ergänzungen Rudolf Steiners sind hier durch Unterstreichung kenntlich gemacht.

(Das Blatt ist nicht datiert, es ist entstanden etwa in der Zeit zwischen Mitte Juni und Mitte Juli 1921.)

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CHRONOLOGISCHE ÜBERSICHT

über das Zustandekommen dieses Kurses sowie über weitere Vorträge,

die Rudolf Steiner für die Bewegung für religiöse Erneuerung gehalten hat.

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7. Februar 1920

Der 2ljährige Student der Philosophie Werner Klein kommt mit seinen Freunden Martin und Elisabeth Borchart nach Dornach. Die drei Freunde hören den Abendvortrag Rudolf Steiners in der Schreinerei (siehe GA 196). Danach findet Klein Gelegenheit, Rudolf Steiner um eine persönliche Unter­redung zu bitten. Diese fand am folgenden Tag statt.

8. Februar 1920

Unterredung Werner Kleins mit Rudolf Steiner. Im Verlauf des Gesprächs stellt Klein die Frage: «Ist die Zeit gekommen, einem dritten Christentum, dem johanneischen, die Bahn zu bereiten?» - Uber seine Begegnung mit Rudolf Steiner berichtete Klein in seinem Buch «Leben ... wofür?» (Ham­burg 1979):

«Am Abend noch hörten wir seinen Vortrag. Innerhalb der Schreinerei des Baues war ein großer Raum für diese Veranstaltung ausgespart. Die Rede bestand zu einem erstaunlich großen Teil aus einer Philippika gegen seine Anhänger [am Schluß des Vortrages vom 8. Februar 1920, siehe GA 196]. Die Ansprache, so überraschend sie war, tat mir gut, wie sich leicht denken läßt. Nach dem Vortrag nahm ich mir ein Herz und ging auf den fast grazil aussehenden Mann mit seinen dunklen Augen zu. Er hatte mich schon gesehen. Ich machte eine kurze, militärische Verbeugung. Gleichzeitig bat ich um eine Unterredung. Sie wurde mir für den nächsten Tag gewährt.

Sie fand statt. Wir saßen vor einer mächtigen Holzplastik in der Werk­statt. Es war jene Gestalt, an der Rudolf Steiner bis in die letzten Tage seines Lebens meißelte. - Das Gespräch begann in einem allgemeinen Rahmen. Wir sprachen über das Mittelalter, die Kreuzzüge. Dann fühlte ich den Zeitpunkt gekommen, wo ich mein Anliegen vortragen mußte. Ich begann, ich hätte auf einem Gebiet Fragen, das er von seiner Blickrichtung her wahrscheinlich ablehnen müsse, dennoch wollte ich sie stellen, um sein Urteil zu hören.

In meinen philosophischen Bemühungen sei ich dem deutsch-idealisti­schen Denker Schelling begegnet. Er habe die Unterscheidung zwischen einem petrinischen, paulinischen und johanneischen Christentum gemacht. Er sähe darin Stufen und Wanderwege des einen sich bewegenden Geistes innerhalb der christlichen Räume. Das petrinische Christentum sei offenbar in Rom hervorgetreten; nicht zuletzt durch die Schlüsselgewalt und das richtende Schwert dieser Kirche. Das paulinische Christentum in seiner Ablehnung einer Werkgerechtigkeit, wonach uns allein der Glaube der

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erbarmenden Gnade Gottes versichern kann, sei ebenso durchsichtig das Stigma der protestantischen Kirche. Auch sie - als die zweite Gestalt eines möglichen Christentums - scheine mir heute überholt und von der Geschichte beiseite getan. Frage: Ist die Zeit gekommen, einem dritten Christentum, dem johanneischen, die Bahn zu bereiten? Ich sähe dieses Christentum wesentlich als Ruf zur Mündigkeit des menschlichen Geistes und seiner substantiellen Identität mit dem Ewigen. Wir sind zu der Kraft des in uns quellenden Geistes gerufen. Nicht mehr in Jerusalem oder an einem sonstigen bevorzugten Ort und nicht mehr in den gegrabenen Formen der Väter. Daraus erstelle sich die Aufgabe, das Chri­stentum nicht etwa auszulöschen, sondern im Gegenteil es zu steigern und in seinen Dokumenten neu zu lesen. In einem gewissen Sinne begänne damit das Christentum zum ersten Mal.

Er hörte aufmerksam zu. Dann richtete er sich auf und sprach mit bedäch­tiger, klarer Stimme: - Das war es. Es war ausgesprochen. Nach einer Pause fügte er etwas lebhafter, wie in den Alltag zurückkehrend, hinzu: -

Die Worte durchfuhren mich wie ein Schlag der Freude. Er sah die geschichtlich-religiöse Aufgabe und bejahte sie. Es war das Äußerste, das ich erwarten konnte, obgleich schon hier ein Keim möglicher Mißverständnisse liegen mochte.

Es wurde an diesem Februarmorgen eine Art Gentlemen's Agreement zwischen dem Führer seiner Geisteswissenschaft und mir geschlossen. Ich hatte die Zustimmung des Mannes gefunden. Auch über den Namen hatte es keinen Zweifel gegeben. Es wird sich der eine oder der andere darüber wundern, warum ich dies mit solchem Nachdruck betone. - Es geht aber genau hier um den Inhalt meines von mir selbst gesetzten Lebensauftrages. Es ging um Johannes und das Johanneische. Es ging um eine dritte Stufe der Christenheit. Es wurde mir überlassen, weil es nicht im Aufgabenkreis Rudolf Steiners lag.

Ich sah die Linien meines weiteren Lebens vor mir. Es gab genug zu studieren und zu besinnen. Vieles war den Einfällen des Geistes in seiner weiteren Entwicklung anzuvertrauen. Etwa in den vierziger Jahren meines Lebens - so wollte es mir damals erscheinen - würde es soweit sein, mit den Gedanken und Vorschlägen vor die Öffentlichkeit zu treten.»

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April 1920

Die Basler Theologiestudentin Gertrud Spörri richtet an Rudolf Steiner folgende Frage: «Gibt es eine Möglichkeit, innerhalb kirchlicher Zusam­menhänge für Anthroposophie zu wirken?» (Zitiert aus einem Brief von Gertrud Spörri an Marie Steiner vom 3. Januar 1930). - Über ihr Gespräch mit Rudolf Steiner berichtet Gertrud Spörri

«Im April desselben Jahres [1920] bat ich Dr. Steiner um eine Besprechung. Ich hatte das Abitur bestanden, war in der theologischen Fakultät immatri­kuliert. Im Atelier vor dem Christusbild empfing mich Dr. Steiner. Ich stellte meine Ziele vor ihn hin: daß ich Theologie studiere, um später in irgendwelcher Art der Anthroposophie zu dienen, wenn es möglich ist, innerhalb der Kirche, wenn nicht, außerhalb derselben. sagte damals Dr. Steiner. In jenen Tagen war der erste Ärztekurs (21. März - 9. April). Dr. Steiner sprach von der Möglichkeit eines ähnlichen Kursus für junge Theologen: »

April 1920 bis März 1921

Sowohl Werner Klein wie auch Gertrud Spörri betrachteten offenbar ihre Gespräche mit Rudolf Steiner so sehr als Privatangelegenheit, daß sie noch nicht einmal mit ihren engeren Freunden darüber sprachen. Dies änderte sich erst im folgenden Jahr.

3. bis 10. April 1921

In Dornach findet der zweite Hochschulkurs statt (Die befruchtende Wir­kung der Anthroposophie auf die Fachwissenschaften, GA 76). Hier lernen Gertrud Spörri und Werner Klein sich kennen.

Bericht von Werner Klein, zitiert nach Hans-Werner Schroeder «Die Christengemeinschaft - Entstehung, Entwicklung, Zielsetzung», Stuttgart

1990:

«Im Hochschulkurs Ostern 1921 am Goetheanum traf ich mit Fräulein Spörri zusammen. Sie war Theologin. Meine ganze angestaute Ironie in puncto dieses Studiums ergoß sich über sie. Was sie denn eigentlich wolle und noch erhoffe? Sie kam sehr ins Gedränge und mußte schließlich als letztes Bollwerk ihrer Stellung einen Ausspruch Dr. Steiners anführen. Er habe ihr gesagt, über religiöse Zukunftsfragen ließe sich ein Kursus veran­stalten mit noch intimerem Charakter als z. B. bei den Medizinern.»

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April bis Mai 1921

Gertrud Spörri und Werner Klein haben beschlossen, sich nach weiteren

Gesinnungsgenossen umzuschauen, um dann, wenn ein Kreis Gleichge­stimmter beisammen wäre, an Rudolf Steiner heranzutreten und um einen

Kurs zu bitten.

Pfingstwoche 1921

In Stuttgart treffen interessierte Studenten aus Marburg, Berlin und Tübin­gen zusammen und beraten den Wortlaut für ein gemeinsames Schreiben an Rudolf Steiner.

22. Mai 1921

Ein Brief mit nachstehendem Wortlaut wird aufgesetzt und Rudolf Steiner übergeben (das in dem Brief verwendete Zitat ist Rudolf Steiners Vortrag vom 20. Februar 1917, in «Bausteine zu einer Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha», GA 175, entnommen):

«Da nach unserer Überzeugung die Entfaltung des Geistbewußtieins dasjenige ist, was die gegenwärtige Menschheit zunächst erwerben will, und da außerdem , sehen die unterzeichneten Studenten aus diesen Tatsachen eine Richtung sich ergeben für die Tätigkeit, die sie aus der anthroposophischen Bewegung heraus vielleicht auszuüben haben.

Da wir heute an den mit der Ausübung der Religion verbundenen Begriff des Priester­tums nur mit einer gewissen Scheu herangehen können, solange einerseits derselbe nur abgeleitet wird von dem, was bis heute als priesterliche oder Itirchliche Institutionen dagewesen ist, und da wir andererseits nicht wissen, ob überhaupt etwas Ähnliches oder wie etwas anderes an dessen Stelle treten muß, da wir schließlich glauben, daß alle weiteren Fragen nach dem, was mit religiöser Übung und religiöser Betätigung umschrieben wurde und nach dem, was als religiöses Milieu das menschliche Leben von der Geburt bis zum Tode zu umgeben habe, erst richtig gestellt werden können, nachdem auf diese erste Frage eingegangen worden ist, bitten wir Herrn Dr. Steiner, uns über diese Frage Auskunft zu

geben.

Aus einer Antwort kann sich für den einzelnen ergeben, ob er in diesem Zusaminenhang Aufgaben zu erfüllen imstande ist.

Stuttgart, den 22. Mai 1921 Werner Klein, stud. philos.

Gertrssd Spörri, stud. theol.

Ludwig Köhler, stud. theol.

Gottfried Huiemann, stud. chem., früher theol.

In demselben Sinn haben eine Erklärung abgegeben:

Robert Spörri cand. theol. Zürich

Wilhelm Clormann cand. theol. Mannheim

Ludwig Nonnenmacher stud. theol. Mannheim

Walter Gradenwitz stud. theol. Wiesbaden

Martin Borchart stud. phil. et theol. Marburg

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Rudolf Meyer Hamburg

Richard Gitzke stud. theol. Berlin

Otto Franke stud. theol. Berlin

Horst Münzer stud. phil. et theol. Berlin

Emil Bock cand. theol. Charlottenburg

Eberhard Kurras cand. theol. Saaleck (Thüring.)

Ernst Umlauff stud. phil. Breslau

Otto Becher Hauslehrer Holzminden.

Es fehlen noch einige Unterschriften.»

24. Mai 1921

Rudolf Steiner sagt in einem Gespräch mit Werner Klein und Gertrud Spörri einen Kurs für Mitte Juni zu.

12. bis 16. Juni 1921

Der vorliegende Kurs findet statt. Teilnehmer: Achtzehn Studenten und

fünf Lehrer, die in der Waldorfschule den freien Religionsunterricht geben

(Teilnehmerliste Seite 238).

Juni bis September 1921

Der Kreis vergrößert sich. Interessenten für einen zweiten Kurs über Fragen der religiösen Erneuerung werden gesucht und gefunden.

2. August 1922

In Dornach findet eine Zusammenkunft statt, bei welcher Pfarrer Dr. Fried­rich Rittelmeyer, Pfarrer Dr. Christian Geyer und Lizentiat Emil bock die anwesenden Mitglieder orientieren über die für den folgenden Monat vorge­sehene Begründung der Bewegung für religiöse Erneuerung. Rudolf Steiner hält eine kurze Ansprache. Siehe «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtaus­gabe» Heft 110.

26. September bis 10. Oktober 1921

In Dornach findet ein Theologenkurs für über hundert Teilnehmer statt. In

29 Vorträgen bzw. Diskussionsstunden spricht Rudolf Steiner über den

Weg, wie Geist-Erkenntnis in das religiöse Wirken hineingeführt werden

kann und gibt erste Wortlaute für die Gestaltung einer neuen Kulthandlung.

September 1922

45 Persönlichkeiten, darunter der namhafte protestantische Pfarrer Dr. Friedrich Rittelmeyer, kommen nach Dornach, um die Bewegung für reli­giöse Erneuerung zu begründen. Rittelmeyer hatte sich entschlossen mitzu­wirken und die ihm angetragene Leitung zu übernehmen. Die Bewegung erhält - nach einem früheren Vorschlag von Rudolf Steiner - den Namen

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«Die Christengemeinschaft». Rudolf Steiner begleitet diese Begründung durch Vorträge, Fragenbeantwortungen und durch Anleitung zu einem neuen Kultus.

11. bis 14. Juli 1923

Rudolf Steiner hält in Stuttgart vier Vorträge für die Priester der im Vorjahr begründeten Christengemeinschaft.

September 1924

Zu den letzten Vorträgen, die Rudolf Steiner überhaupt gehalten hat, gehört ein Kurs für die Priester der Christengemeinschaft über die Apokalypse des Johannes (18 Vorträge in Dornach, 5. bis 22. September 1924) und ein Kurs für Ärzte und Priester über Pastoralmedizin (11 Vorträge, 8. bis 18. Septem­ber 1924).

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TEILNEHMERLISTE

Teilnehmer am Kurs Stuttgart 12. bis 16. Juni 1921

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(nach Unterlagen des Archivs der Rudolf Steiner Nachlaßverwaltung)

* Otto Becher (1891-1954> Hauslehrer

* Emil Bock (1895-1959) cand. theol.

* Martin Borchart (1894-1971) stud. phil. et theol.

Wilhelm Clormann (1889-1976) cand. theol.

* Otto Franke (1897-1956) stud. theol.

* Rudolf Frieling (1901-1986) stud. theol.

Fritz Gawandtka (1900-?)

* Richard Gitzke (1896-1989) stud. theol.

* Walter Gradenwitz (1898-1960) stud. theol.

* Gottfried Husemann (1900-1972) stud. chem.

* Thomas Kändler (1901-1957) stud. theol.

* Werner Klein (1898-1984) stud. phil.

* Ludwig Köhler (1900-1985) stud. theol.

* Eberhard Kurras (1897-1981) cand. theol.

* Rudolf Meyer (1896-1985) cand. theol.

Ludwig Nonnenmacher (1897-?) stud. theol.

* Gertrud Spörri (1894-1968) stud. theol.

Ernst Umlauff (1896-?) stud. philos.

Auf Wunsch Rudolf Steiners:

Marie Steiner

und die Waldorflehrer, die den freien Religionsunterricht in der Waldorfschule erteilten:

Ernst Uehli (1875-1959) für die 7. Klasse

Herbert Hahn (1890-1970) für die Klassen 3 a, 3 b, 4 a, 4 b,

6, 9, 10

Leonie von Mirbach (1890-1973) für die Klassen 1 a, 1 b, 2 a, 2 b

* Wilhelm Ruhtenberg (1888-1954) für die Klassen 5a, Sb und 8

Paul Baumann (1887-1964) verantwortlich für die musika­

lische Gestaltung der Handlun­

gen, gab in späteren Jahren auch

freien Religionsunterricht

und gegen Ende des Kurses:

** Hermann Heisler (1876-1962) protestantischer Pfarrer

* Diese Persönlichkeiten wurden später Priester der «Christengemeinichaft»

HINWEISE

#G342-1993-SE239 Priesterkurse I

#TI

HINWEISE

Zu dieser Ausgabe

#TX

Zu den Textgrundlagen: Dem Druck liegt die stenographische Mitschrift von Karl Lehofer zugrunde. Da Lehofers Übertragung seines Stenogramms eine Anzahl von Mängeln aufweist, war ein gewisses Maß an Bearbeitung des Textes notwendig. Hierüber sollen die nachstehenden Bemerkungen orientieren.

Notwendige Bemerkungen zur Qualität der Nachschnften

Zwischen dem lebendig gesprochenen Wort Rudolf Steiners und dem gedruckten Text stehen Menschen, Menschen, die mit aktivem Interesse den Vorträgen zuhörten, und die mit sehr unterschiedlichen Fertigkeiten und auch mit unter­schiedlichem Verständnis das Gehörte mitgeschrieben haben. Bei der Vorberei­tung eines Vortragstextes zum Druck muß auf diese Unterschiede Rücksicht genommen werden. Die Herausgeber müssen, bevor sie sich zu einem, sei es noch so kleinen Eingriff in den vom Stenographen überlieferten Text entschlie­ßen, versuchen, sich in subtiler Weise in die Fehlermöglichkeiten hineinzuden­ken, die beim Stenographieren oder beim Übertragen aus dem Stenogramm vorkommen können. Dazu gehören Kenntnisse der verschiedenen Stenographie-Systeme und Erfahrungen im Umgang mit den Eigenarten der verschiedenen Stenographen.

Stenographie - und das gilt für alle Systeme - ist eine überwiegend symboli­sche Schrift, in welcher es nur Schriftzeichen für die Konsonanten gibt, während die Vokale sinnbildlich dargestellt werden, zum Beispiel durch Hoch- oder Tiefstellen der Konsonantenzeichen, durch enge oder weite Verbindungen usw. Geschrieben wird rein phonetisch, ohne Rücksicht auf Orthographie und auf Groß- oder Kleinschreibung. Gleichklingende Worte sehen also gleich aus (Bei­spiel: Meer - mehr; Mal - Mahl). Ein Stenogramm kann man deshalb nicht einfach lesen, es muß vielmehr interpretierend übertragen werden. Zum Mit-schreiben von Vorträgen genügt es nicht, ein Stenographie-System zu kennen, hinzu kommen muß vielmehr die Beherrschung eines umfangreichen Kürzungs­systems (Debattenschrift), ein großes Maß an manueller Übung, Kenntnis der Materie, über die gesprochen wird und deren Terminologie, und nicht zuletzt eine gute Konstitution, um ohne Ermüdungserscheinungen längere Zeit konzen­triert mitschreiben zu können. Wie eine gewöhnliche Handschrift beim Schnell-schreiben flüchtiger und damit schwerer lesbar wird, so ist es auch beim Steno­graphieren; beim schnellen Schreiben können sich die einzelnen stenographi­schen Zeichen verformen: Ecken runden sich, enge Verbindungen werden zu weiten usw., und das kann beim Übertragen zu Mißdeutungen führen. Die verschiedenen Stenographie-Systeme (Gabelsberger, Stolze-Schrey), die auch von den Hörern von Rudolf Steiners Vorträgen verwendet wurden, unterschei­den sich nicht grundsätzlich voneinander, sondern nur durch die verschiedenartige

240

Bedeutung der Konsonantenzeichen, der symbolischen Vokaldarstellungen oder der Kürzungen. Es gibt kein besseres oder schlechteres System; jedes hat seine Vorzüge oder Schwächen. Was in dem einen System durch Verformung der Zeichen leicht zu einem Übertragungsfehler führen kann, kann unter Umständen in einem anderen System klar erkennbare Schriftbilder liefern, und umgekehrt.

Im Nachfolgenden soll versucht werden, den Leser ein wenig an der Arbeit des Herausgebers teilnehmen zu lassen. Die Arbeit beginnt mit der Prüfung, welche Textunterlagen zu einem Vortrag vorliegen. Gibt es keine Originalsteno-gramme, so ist die wichtigste Unterlage die allererste, noch unkorrigierte Roh-übertragung des Stenographen selbst. Oft läßt sich dem Stenogramm oder der Erstübertragung noch ansehen, an welchen Stellen der Stenograph nicht nachge­kommen ist oder seine Schrift nicht mehr lesen konnte, welche Spezialausdrücke (z.B. ungewohnte Fremdworte) ihm Schwierigkeiten gemacht haben, wo Zitate beim Mitschreiben nur flüchtig notiert wurden, in der Absicht, sie beim Übertra­gen einzufügen, u. am. Auch die Interpunktion, die ja nicht mitstenographiert, sondern erst beim Übertragen zugefügt wird, läßt sich so besser beurteilen. In so manchen Text haben sich erst beim späteren «Korrigieren» Fehler eingeschli­chen, die dann oft nicht mehr als solche zu erkennen sind. Beispiel:

falsche Stenogrammübertragung: ... ein Buch über Zahlen von Ibn Resch

spätere « Korrektur»: Ibn Roschd

richtig: Ibn Esra

Die Vorträge und Besprechungen des hier vorliegenden Kurses wurden mitste­nographiert von Karl Lehofer - damals 24jährig -, einem Mitarbeiter im Wissen­schaftlichen Forschungsinstitut des «Kommenden Tag». Lehofer war ein guter und gewissenhafter Stenograph, allerdings war er mit den ihm hier gestellten Aufgaben zum Teil überfordert. Einerseits reichten seine stenographischen Fer­tigkeiten nur aus, solange der Redner langsam sprach, andererseits ließ man ihm für die Übertragung seines Stenogrammes nicht genügend Zeit und Ruhe. Ernst Uehli hatte für die Übertragung eigens mehrere Schreibkräfte engagiert, denen Lehofer in die Maschine diktieren mußte. Unmittelbar nach Erstellung dieses Rohtextes wurden die Ausschriften an einige Teilnehmer des Kurses versandt, ohne daß Lehofer die Möglichkeit gehabt hätte, die Rohübertragung nochmals anhand des Stenogrammes durchzuarbeiten und unklare Stellen zu prüfen.

Der vorliegenden Herausgabe liegt diese unkorrigierte Erstübertragung Leho­fers zugrunde. Der Privatdruck der Christengemeinschaft aus dem Jahr 1978 wurde nur zum Vergleich mit herangezogen. Bei der Vorbereitung des Textes zum Druck wurden vor allem die speziellen Schwächen der stenographischen Fertigkeiten Lehofers berücksichtigt, soweit diese bekannt oder rekonstruierbar sind. Originalstenogramme haben sich leider nicht erhalten, was diese Arbeit sehr erschwerte.

Fehler können schon beim Mitschreiben auftreten (Auslassungen, undeutliche Schriftzeichen, Hörfehler), andere treten erst beim Ubertragen auf (unleserliche Stellen, Falschübertragung ähnlich aussehender Zeichen, falsches Einfügen der Interpunktion usw.). Folgende Mängel oder Unzulänglichkeiten treten speziell bei Texten, die von Lehofer mitgeschrieben wurden, relativ häufig auf:

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- Auslassungen einzelner Worte oder Satz-Teile

- zu starkes Kürzen ganzer Worte oder der Wort-Endungen, was zu Unklarhei­ten beim Übertragen führt. Beispiele:

anschau - -en, -ung, -ungen

kul - -t, -tur, -tus, -tisch

Pf - Pfarrer oder Professor

- Nichtausichreiben der Verbformen. Beispiel:

ha - habe, hatte, hätte, haben, hatten, häuen

- Durcheinanderschreiben der gehörten Worte in falscher oder in willkürlicher Reihenfolge (= Wortialat; triu auf, wenn der Schreiber nicht unmittelbar während des Sprechens schreibt, sondern um Sekunden danach schematisch nach Gehör). Beispiel:

Stenogramm:

Die Pädagogik und Didaktik der Waldorfichule geht immer aus dem ganzen Erfassen des anthroposophischen Lebens hervor.

Umgestellt:

Die Pädagogik und Didaktik der Waldorfichule geht immer aus dem anthro­posophischen Erfassen des ganzen Lebens hervor.

Bei der Bearbeitung des Textes für den Druck wurden geringfügige Fehler, die stenographiebedingt sind, behutsam korrigiert. Kleinere Auslassungen, die eben­falls stenographiebedingt sind, zum Beispiel weggefallene Artikel und Binde-worte, wurden ergänzt, durcheinandergeratene Satz-Teile in die richtige Reihen­folge gebracht. Vom Stenographen aus Unkenntnis falsch wiedergegebene Namen oder Zitate wurden berichtigt. An einigen Stellen, wo infolge Auslassun­gen des Stenographen unverständliche Sätze stehengeblieben sind, waren Ergän­zungen durch die Herausgeber notwendig; diese Ergänzungen sind jeweils durch [eckige Klammern] gekennzeichnet. Soweit notwendig, sind Erläuterungen zu den entsprechenden Textstellen in die Hinweise aufgenommen.

Eine redaktionelle Bearbeitung im Sinne einer stilistischen Glättung des Textes wurde nicht vorgenommen, auch wurde nicht versucht, den besonderen Charak­ter des gesprochenen Wortes zu ändern. Nur dort, wo es für das Verständnis des Inhaltes notwendig war, wurden Satzumstellungen vorgenommen.

Die Interpunktion und die Absätze, die beim Diktieren aus dem Stenogramm in die Schreibmaschine zum Teil offenbar willkürlich eingefügt worden waren, wie das bei einer Rohübertragung verständlich ist, wurden sinngemäß korrigiert.

242

Hinweise zum Text

Werke Rudolf Steiners innerhalb der Gesamtausgabe (GA) werden in den Hinweisen mit der Bibliographie-Nummer angegeben. Siehe auch die Übersicht am Schluß des Bandes.

Zu Seite

10 »Es ist nun einige Zeit verflossen ... «: Das Zitat ist einer kurzen Ansprache Rudolf Steiners vom 2. August 1922 entnommen, mit derer eine Orientierungs­stunde abschloß, in welcher Pfarrer Dr. Friedrich Rittelmeyer, Pfarrer Dr. Christian Geyer und Lizentiat Emil Bock die in Dornach anwesenden Mitglie­der der Anthroposophischen Gesellschaft orientiert hatten über die für den folgenden Monat vorgesehene Begründung der Bewegung für religiöse Erneue­rung. Die bei dieser Gelegenheit gehaltenen Ansprachen sind leider nicht mitge­schrieben worden, mit Ausnahme des Schlußwortes von Rudolf Steiner. Vollständiger Abdruck des Schlußwortes ist vorgesehen für Heft Nr.110 der «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe».

16 Rirschlsche Schule: Siehe Gustav Ecke, »Die theologische Schule Albrecht Ritschls und die evangelische Kirche der Gegenwart», Berlin 1897/1903, 2 Bde. Über Albrecht Ritschl (1822-1889) selbst vergleiche Otto Ritschl, »Albrecht Ritschls Leben», Bonn 1892/96, 2 Bde. Ritschl lehrte in Bonn Kirchenge­schichte, seit 1864 in Göttingen systematische Theologie; Hauptwerk: »Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung», Bonn 1870-74, 3 Bde., 4. Aufl. 1895-1902.

21 Strauß' »Alter und neuer Glaube»: David Friedrich Strauß, »Der alte und der neue Glaube. Ein Bekenntnis«, Bonn 1872.

22 Ignorabimus Rankes in bezug auf die Christus-Frage: »Indem ich diesen Namen Jesus Christus nenne, muß ich, obwohl ich glaube, ein guter evangeli­scher Christ zu sein, mich dennoch gegen die Vermutung verwahren, als könnte ich hier von dem religiösen Geheimnis zu reden unternehmen, das doch, unbegreiflich wie es ist, von der geschichtlichen Auffassung nicht erreicht werden kann. So wenig wie von Gott dem Vater, kann ich von Gott dem Sohne handeln. Die Begriffe der Verschuldung, Genugtuung, Erlösung gehören in das Reich der Theologie und der die Seele mit der Gottheit verknüpfenden Konfession. Dem Geschichtsschreiber kann es nur darauf ankommen, die große Kombination der welthistorischen Momente, in welchen das Christentum erschienen ist und wodurch dann auch seine Einwirkung bedingt wurde, zur Anschauung zu bringen.« (Leopold von Ranke, «Weltgeschichte», 3. Aufl., 3. Teil: Das altrömische Kaisertum, 1. Abt.; Leipzig 1883, S.161)

Naturkausalität: Über das menschliche Leben als Kampf gegen die Naturkau­salität und das Durchbrechen der Naturkausalität durch die moralische Welt spricht Rudolf Steiner in zwei Vorträgen, die er bald nach dem hier vorliegen­den Kurs gehalten hat: Vortrag vom 24. Juli 1921, 3. bzw. 16. Vortrag in

243

»Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist - Zweiter Teil», GA 206, und vom 5. September 1921, 7. Vortrag in »Anthroposophie, ihre Erkenntniswur­zeln und Lebensfrüchte», GA 78.

23 die Erkenntnis von den wiederholten Erdenleben: Siehe z.B. die Vorträge über «Wiederverkörperung und Karma und ihre Bedeutung für die Kultur der Gegenwart», GA 135.

24 Leben zwischen Tod und neuer Geburt: Siehe hierzu den Berliner Vortragszy­klus »Das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt im Verhältnis zu den kosmischen Tatsachen», GA 141, und den Wiener Vortragszyklus »Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt», GA 153.

25 die Clausiussche Formel... und die Entropie: Betrifft den von dem deutschen Physiker Rudolf Clausius (1822-1888) formulierten zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Vergleiche hierzu R. Clausius, »Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie», 1867, ders., «Die mechanische Wärmetheorie», 1876-91, 3 Bde., und W. Ostwald, »Die Energetik», 1908, 2. Aufl. 1912, sowie E. Hegel-mann, «Thermodynamik», in H. v. Baravelle, »Physik als reine Phänomen­ologie», 2. Bd., Bern 1955.

29 Kant-Laplacesche Theorie: Hervorgegangen aus Kants «Naturgeschichte und Theorie des Himmels» (1755), bzw. der darin begründeten »Nebularhypo-these» und aus der «Exposition du systeme du monde» (1796) von Laplace.

34 Goethes »Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie»: Siehe Goethes Novellendichtung »Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten», erst­mals veröffentlicht 1795 in Schillers Zeitschrift »Die Horen», und die Separat-ausgabe der Vorträge Rudolf Steiners über das «Märchen», veröffentlicht unter dem Titel «Goethes geheime Offenbarung in seinem

36 in meiner »Geheimwissenschaft»: »Die Geheimwissenschaft im Umriß», GA 13.

Christus-Gruppe: Siehe hierzu den Berliner Vortrag vom 10. Juni 1915: »Über die plastische Gruppe für den Bau in Dornach», in »Menschenschicksale und Völkerschicksale», GA 157.

37 Leute wie Bruhn: Wilhelm Bruhn, Privatdozent und Studienrat in Kiel, hatte Vorlesungen über «Theosophie und Anthroposophie« gehalten, die 1921 unter gleichem Titel im Druck erschienen.

38 was ieh beigetragen habe zur Inte'pretation von Goethes Märchen: Siehe Hin­weis zu Seite 34.

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43 was wir anstreben in der Leeigliederung des sozialen Organismus: Siehe «Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft», GA 23, »Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organis­mus und zur Zeitlage 1915-1921», GA24, und die Vorträge über Dreigliede­rung vor Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft, GA 185 a bis 193, 196-200, sowie die Vorträge über das soziale Leben und die Dreigliederung des sozialen Organismus, GA 328-341.

45 Ich habe in Colmar vorgetragen über Bibel und Weisheit: Die beiden Colmarer Vorträge, von denen keine Nachschriften vorliegen, hielt Rudolf Steiner am 19. und 21. November 1905. Der erste trug den Titel: «Die Botschaft der Theoso­phie in der Gegenwart», der zweite: «Die Weisheitsiehren des Christentums im Lichte der Theosophie». Siehe auch die Ausführungen Rudolf Steiners in dem Stuttgarter Vortrag vom 5. März 1920, in »Gegensätze in der Menschheitsent­wicklung», GA 197, Dornach 1986, S.17 u. 18.

49 Und da werden Sie nicht anders können ... als praktisch Dreigliederung zu treiben: Siehe Hinweis zu S.43, besonders die Vorträge über das soziale Leben und die Dreigliederung des sozialen Organismus, GA 328-341.

54 f. Als ein Beispiel für die Aufgaben, die dem Prediger im Sinne einer Gemein­schaftsbildung zufallen, wird hier von Rudolf Steiner die Ehe behandelt, und zwar von Gesichtspunkten aus, die sich aus den verschiedenen Bereichen der sozialen Dreigliederung ergeben.

Ob Rudolf Steiner sich an dieser Stelle wirklich in so lapidarer Kürze geäu­ßert hat, oder ob die Kürze der Ausführungen auf Mängel des Stenogramms zurückzuführen ist, läßt sich nicht mehr feststellen, da das Originalstenogramm sich nicht erhalten hat. Die Möglichkeit kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Stenograph eine lückenhafte Stelle seines Stenogramms hier zu einem Kurz­text zusammengefaßt hat.

Zur inhaltlichen Aussage sei verwiesen auf:

- Rudolf Steiners Brief vom Februar 1913 an Ferdinand Freiherrn von Paun­garten, in welchem er begründet, warum die Ehe nicht nur Sache der «indivi­duellen Interessen der Eheschließenden» sei, sondern daß es bei der Ehe um «das Ganze des sozialen Zusammenhanges» gehe. (Siehe Brief Nr.618 in »Briefe II», GA 39; erstmals veröffentlicht in »Das Eheproblem im Spiegel unserer Zeit. Äußerungen bekannter Persönlichkeiten zu dieser Frage», her­ausgegeben von Ferdinand Freiherr von Paungarten, München 1913.

- Rudolf Steiners Vortrag in Berlin vom 16. November 1908: «Wesen und Bedeutung der zehn Gebote«, in GA 107.

- Rudolf Steiners Vortrag in Stuttgart vom 14. Dezember 1908: »Die zehn Gebote«, in GA 108.

56 seit der Infallibilitätserklärung: Siehe den Hinweis zu Seite 64.

57 in meiner «Philosophie der Freiheit»: »Die Philosophie der Freiheit. Grundzüge einer modernen Weltanschauung - Seelische Beobachtungsresultate nach natur-wissenschaftlicher Methode«, GA 4. Siehe auch «Rudolf Steiner über seine «, zusammengestellt von Otto Palmer, 3. Aufl. Stutt­gart 1984, und Heft 85/86 (Michaeli 1984) der «Beiträge zur Rudolf-Steiner-Gesamtausgabe«: »Zur #SE342-245

Einer der ersten... Kritiker, die über meine «Philosophie der Freiheit» geschrie­ben haben ... , schrieb: Robert Zimmermann in «The Athenaeum», London, No. 4380 vom 7. Juli 1894: »The tendency of the day is to run into extremes. For example, Rudolf Steiner in his book entitled and Bruno Wille in his >Philosophie der Befreiung> start from Nietzsche's stand­point, but go far beyond him, and end in a theoretical anarchy, which, even in the domain of pratice, allows of no moral prescriptions.»

62 Anthroposophie als solche wird einfach in der unerhörtesten Weise in der näch­sten Zeit bekämpft werden: Siehe z.B. Louis MI. Werbeck, «Eine Gegner­schaft als Kulturverfallserscheinung», 2 Bde., Stuttgart 1924, und Karl Heyer, »Wie man gegen Rudolf Steiner kämpft», Stuttgart 1932.

als wir die Waldo'fschule gegründet haben: Die Freie Waldorfschule Stuttgart wurde 1919 durch Kommerzienrat Dr. h. c. Emil Molt im Zusammenhang mit der Bewegung für soziale Dreigliederung begründet.

freier anthroposophischer Religionsunterricht: Vgl. »Zur religiösen Erziehung. Wortlaute Rudolf Steiners als Arbeitsmaterial für Waldorfpädagogen», Manu­skriptdruck Stuttgart 1985.

64 der deutsche Kaiser: Wilhelm II. besuchte die Schweiz im September 1912.

als nach Verkündigung des Infallibilitätsdogmas der Altkatholizismus entstan­den war: Die Dogmatisierung der Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes erfolgte auf dem Vatikanischen Konzil 1869-1870:

»Nach langen, erregten Debatten wurde, nachdem der Papst der Minderheit die Abreise gestattet hatte, am 18. Juli 1870 die mit 533 gegen 2 Stimmen angenommen. Seitdem ist es Dogma, daß der Papst die unmittelbare Jurisdiktionsgewalt über die gesamte Kirche hat und daß die vom Papst erlassenen Lehrentscheidungen über Glauben und Sitte unfehlbar sind. Die Unfehlbarkeit ruht auf dem göttlichen Beistand, der dem Papst im hl. Petrus verheißen ist. ... Nachdem das Konzil gesprochen hatte, unterwarfen sich die katholischen Bischöfe sämdich dem neuen Dogma. Dage­gen entstand unter den gebildeten Katholiken Deutschlands, ausgehend von den Kreisen der katholischen Universitätsprofessoren, der Altkatholizismus, eine die Fortbildung der alten Kirche zur Papstkirche ablehnende katholische Reformkirche. Sie gewann aber nur eine verschwindende Minderheit und war ganz außerstande, die Papstkirche von der eingeschlagenen Bahn wieder abzu­bringen.» (Karl Heussi, »Kompendium der Kirchengeschichte», 16. Aufl., Tübingen 1981, S.445 u. 446)

Vgl. August Bernhard Hasler, «Wie der Papst unfehlbar wurde. Macht und

Ohnmacht eines Dogmas», München/Zürich 1979, und Johann Friedrich von

Schulte (einer der Führer der Altkatholiken), »Der Altkatholizismus», Gießen

1887.

65 in der Schweiz, wo sich viel mehr der Altkatholizismus erhalten hat: In der Schweiz erfolgte am 1. Dez. 1872 auf einer Koriferenz in Olten die Gründung romfreier Gemeinden durch die Gegner der vatikanischen Beschlüsse und 1875 deren Zusammenschluß zur Christkatholischen Kirche. 1876 war der Höchst-stand mit 73380 Mitgliedern in 55 Pfarreien. Vgl. Eduard Herzog (Bischof der Schweizer Altkatholiken), »Beiträge zur Vorgeschichte der christkatholischen

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Kirche der Schweiz», Bern 1896, und P Gschwind, »Geschichte der Entste­hung der Christkatholischen Kirche der Schweiz», 2 Bde., 1904/10.

66 Dr. Rittelmeyer: Friedrich Rittelmeyer (Dillingen 1872-1938 Hamburg), von

1902-1916 bekannter Prediger in Nürnberg, dann an der «Neuen Kirche» Berlin; seit 1911 persönliche Verbindung zu Rudolf Steiner und Herausgeber des Sammelwerkes »Vom Lebenswerk Rudolf Steiners» (1921). Mitbegründer und erster Erzoberlenker der im Herbst 1922 begründeten »Christengemein­schaft». Siehe Friedrich Rittelmeyer, »Aus meinem Leben», Stuttgart 1937, und «Meine Lebensbegegnung mit Rudolf Steiner», Stuttgart 1928, 10. Aufl. 1983, sowie Erwin Schühle, «Entscheidung für das Christentum der Zukunft. Fried­rich Rittelmeyer, Leben und Werk», Stuttgart 1969, und Gerhard Wehr, «Friedrich Rittelmeyer Religiöse Erneuerung als geistiger Brückenschlag zwi­schen den Zeiten«, Wies/Südschwarzwald 1985.

68 Werner Klein (Düsseldorf 1898 - 1984 Hamburg) legte mit 16 Jahren das Abitur ab und wurde danach sofort Soldat. Nach Kriegs- und Krankheitserlebnissen studierte er in Marburg Philosophie. Im Herbst 1919 wurde er Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft. Seine im Februar 1920 an Rudolf Steiner gerichtete Frage (siehe Seite 230 f.) muß als der erste Anstoß zum Zustande­kommen des vorliegenden Vortragskurses angesehen werden. Klein war wesentlicher Mitbegründer der Christengemeinschaft im Herbst 1922 und als Oberlenker in Bremen und Hamburg tätig. Während der Zeit seines Wirkens in der Christengemeinschaft führte er den zusätzlichen Vornamen »Johannes«. 1929 trennte sich Klein aus privaten Gründen von der Christengemeinschaft und lebte in den folgenden Jahren als Privatgelehrter in Hamburg.

69 Der »Kommende Tag», Aktiengesellschaft zur Förderung wirtschaftlicher und geistiger Werte, Stuttgart, 1920-1925. Ein assoziatives Unternehmen im Sinne der Dreigliederung, begründet 13. März 1920. Vorsitzender des Aufsichtsrates bis 1923 Rudolf Steiner. Das Unternehmen, dem laut Geschäftsbericht von 1921 die Absicht zugrunde lag, »einen Keim zu einem neuen, auf assoziativer Grundlage sich entwickelnden Wirtschaftsleben zu bilden», mußte infolge der allgemeinen Wirtschaftskrise (Inflation) vom Beginn des Jahres 1925 an allmäh­lich liquidiert werden.

75 man könnte dabei an Heisler denken: Hermann Heisler (Mannheim 1876-1962 Hamburg), protestantischer Theologe, gab 1912 nach l2jähriger Tätigkeit als Pfarrer sein kirchliches Amt auf und studierte in Tübingen Philosophie und Naturwissenschaften. Während des 1. Weltkrieges war er in Konstanz in ver­waisten Pfarrstellen eingesetzt und predigte damals schon über Reinkarnation und Karma. 1917 promovierte er mit einer Arbeit über »Das Ewige im Zeitli­chen. Grundriß einer geistgemaßen Weltauffassung. Eine Untersuchung über das Substanzproblem« (Brief Heislers an Rudolf Steiner vom 25.3.1917). Nach mehrjähriger Beschäftigung mit theosophischem Gedankengut trat er 1917 der Anthroposophischen Gesellschaft bei und setzte sich fortan mit Wort und Schrift für Anthroposophie ein. Im Vorwort zur 2. Auflage seiner Predigt-sammlung »Lebensfragen» (Erstauflage 1917) schrieb er im Jahr 1919:.... der Geist der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft, wie sie unserer Zeit durch Rudolf Steiner gegeben wird, ist nach des Verfassers tiefster Über-zeugung das einzige Mittel, um das erstorbene religiöse Empfinden unserer Zeit

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neu zu beleben .. .» Nach dem 1. Weltkrieg war Heisler aktiv in der Dreigliede­rungsbewegung tätig und hielt viele Vorträge über Anthroposophie. 1919 ver­öffentlichte er die Schrift »Anthroposophie und Christentum». Von Rudolf Steiner am 13./14. Juni1921 zu dem für junge Theologiestudenten gehaltenen Kurs berufen, setzte er sich unermüdlich für die entstehende Bewegung für religiöse Erneuerung ein, zunächst durch Sammlung von Geldern, um so der Bewegung eine materielle Existenzgrundlage zu schaffen. Im November 1922 wurde er Priester der Christengemeinschaft.

78 AdolfHarnack (Dorpat 1851-1930 Heidelberg), deutscher evangelischer Theo­loge, führender Vertreter der liberalen Richtung, Professor der Kirchenge­schichte in Leipzig, Gießen, Marburg und besonders in Berlin (1888-1921). Hauptwerke: »Lehrbuch der Dogmengeschichte», Freiburg 1886-1890, 3 Bde. (Nachdruck d. 4. Aufl. 1909-1910, Darmstadt 1983), «Geschichte der altchrist­lichen Literatur», Leipzig 1893-1904, 3 Bde., 2.Aufl. 1958, und »Das Wesen des Christentums«, Leipzig 1900 (mehrere Auflagen). Vgl. Agnes v. Zahn­Harnack (Tochter), »Adolf von Harnack», Berlin 1936, 2. Aufl. 1951.

Ein Mann, der imstande ist zu sagen, der Christus kann aus den Evangelien herausgenommen werden, es bat nur der Vater darin Platz: Wörtlich: «Es ist keine Paradoxie und wiederum auch nicht ,Rationalismus>, sondern der ein­fache Ausdruck des Tatbestandes, wie er in den Evangelien vorliegt: Nicht der Sohn, sondern allein der Vater gehört in das Evangelium, wie es Jesus verkün­digt hat, herein.» (»Das Wesen des Christentums», 8. Vorlesung)

Gideon Spicker (Insel Reichenau 1840-1912 Münster in Westf.), ehemaliger Kapuzinermönch, Professor fur Philosophie in Munster in Wesif., schrieb u. a.:

«Kant, Hume und Berkeley. Eine Kritik der Erkenntnistheorie», Berlin 1875; «Lessings Weltanschauung», Leipzig 1883; »Die Ursachen des Verfalls der Philosophie in alter und neuer Zeit», Leipzig 1892; «Der Kampf zweierWeltan­schauungen. Eine Kritik der alten und neuesten Philosophie mit Einschluß der christlichen Offenbarung», Stuttgart 1898; »Versuch eines neuen Gottesbegrif­fes», Stuttgart 1902, und «Vom Kloster ins akademische Lehramt. Schickiale eines ehemaligen Kapuziners», Stuttgart 1908.

79 Werkchen über die Persönlichkeit Jesu: Friedrich Rittelmeyer, «Jesus. Ein Bild in vier Vorträgen», Ulm 1912.

80 Weinelsche Auffassung des schlichten Mannes aus Nazareth: Heinrich Weinel (Vonhausen, Hessen 1874-1936 Jena) in seiner Schrift «Jesus im neunzehnten Jahrhundert», Tübingen u. Leipzig 1903: «Freilich, nicht der Christus der Vergangenheit, der Gottmensch des alten Dogmas, sondern Jesus von Nazareth ist es, zu dem die Männer unserer Zeit wieder kommen mit Fragen nach seinen Antworten auf ihre Sorgen. Lang, lang war dieser schlichte und tapfere Mann in der strahlenden Glorie des Himmelskönigs verborgen .. .» (S.6)

81 seit dem Buch, das Rittelmeyer als Sammelwerk herausgegeben hat: «Vom Lebenswerk Rudolf Steiners Eine Hoffnung neuer Kultur»; mit Beiträgen von verschiedenen Autoren herausgegeben von Lic. Friedrich Rittelmeyer, Berlin 1921(3. Aufl. im gleichen Jahr).

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81 Bund für antbroposopbische Hochsebularbeit: Im Juli 1920 in Stuttgart zustan­degekommener Zusammenschluß verschiedener studentischer Arbeitsgruppen Deutschlands und der Schweiz auf der Grundlage der anthroposophisch orien­tierten Geisteswissenschaft. Siehe auch die Flugschrift «Bestrebungen und Ziele des Bundes für Anthroposophische Hochschularbeit«, Stuttgart o.J.

82 die Ideen, die Spengler in seinem < Untergang des Abendlandes« beschrieben hat: Oswald Spengler (Blankenburg am Harz 1880 - 1936 München), Geschichts- und Kulturphilosoph, 1908-1911 Mathematihlehrer, seitdem freier Schriftsteller, war schlagartig berühmt geworden mit dem ersten Band seines Hauptwerkes »Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte» (Bd. 1: »Gestalt und Wirklichkeit«, München 1918), dem 1922 ein weiterer Band folgte (Bd. II: «Welthistorische Perspektiven»). Siehe hierzu die Aufsätze Rudolf Steiners über Spenglers «Untergang des Abendlan­des» in «Der Goetheanumgedanke inmitten der Kulturkrisis der Gegenwart. Gesammelte Aufsätze 1921-1925 aus der Wochenschrift (GA 36) und die Vorträge zum selben Thema in «Heilfaktoren für den sozialen Organismus« (GA 198), «Perspektiven der Menschheitsentwicklung» (GA204) und «Das Geheimnis der Trinität. Der Mensch und sein Verhältnis zur Geist-welt im Wandel der Zeiten» (GA 214).

83 die eben weiter so begriffen werden muß, daß sie durchaus nicht dem Untergang geweiht ist: In der Vervielfältigung der Christengemeinschaft stand hier irrtüm­lich ... die weiter bekämpft werden muß«.

84 Herr Husemann: Gottfried Husemann (Blasheim bei Lübbecke/Westf.

1900-1972 Arlesheim) wurde l9jährig durch seinen älteren Bruder Friedrich mit der Anthroposophie bekannt. Er studierte in Tübingen Chemie und war im Mai 1921 beteiligt an der Abfassung des' gemeinschafdichen Briefes an Rudolf Steiner (siehe Seite 233ff.). Gottfried Husemann zählt zu den Mitbegründern der Christengemeinschaft im Herbst 1922, wurde 1930 Leiter des Priestersemi­nars und 1933 Oberlenker. Weiteres zu seiner Biographie siehe «Die Christen-gemeinschaft«, 44. Jahrg., Nr.7 vom Juli 1972, S.210-214.

Agenden: Österreichisch für Aufgaben.

90 bei dem Theologen Schmiedel: Otto Schmiedel (geb. 1858) in seiner Schrift: »Die Hauptprobleme der Leben-Jesu-Forschung», Tübingen 1902:

»Wir haben es als ein wesentliches Merkmal der Lebensdarstellungen der Reli­gionsstifter und Erlöserpersönlichkeiten erkannt, daß sie mit frommem Eifer diese Persönlichkeit verherrlichen, ja vergöttliehen. Je mehr diese Tendenz sich steigert, desto mehr verliert der Bericht den geschichtlichen Charakter und wird legendarisch. Kehren wir nun die Sache um! Finden wir in den Evangelien Stellen, welche von Jesus etwas im Gegensatz zu diesem Verherrlichungsstre­ben stehendes aussagen, welche aber von späteren Evangelien umgebogen oder beseitigt worden sind, weil diese an jenen Menschlichkeiten, an jenem Mangel an Verherrlichung Anstoß nehmen, so kann man mit Sicherheit darauf rechnen, daß diese Jesum nicht verherrlichenden Stellen alt und echt sind.»

Siehe auch den Stuttgarter Vortrag vom 28.Dez.1919 in «Weltsilvester und Neujahrsgedanken», GA 195, und den Dornacher Vortrag vom 30.Okt.1920 in »Die neue Geistigkeit und das Christus-Erlebnis des zwanzigsten Jahrhun­derts». GA 200.

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91 daß es heute eine ausgebreitete psychiatrische Forschung über die Evangelien gibt: Zum Beispiel de Loosten, «Jesus Christus vom Standpunkt des Psychia­ters», Bamberg 1905; Binet-Sanglé, »La folie de Jesus», 4Bde., Paris 1910f.; E. Rasmussen, «Jesus. Eine vergleichende psychopathologische Studie», Leipzig 1905 und H. Schaefer, «Jesus in psychiatrischer Beleuchtung», Berlin 1910.

93 solche Bestrebungen ... wie die von Overbeck: Franz Overbeck (Petersburg

1837-1905 Basel), protestantischer Theologe, 1864 Privatdozent in Jena,

1870-1897 Professor der Theologie in Basel, «Über die Christlichkeit unserer

heutigen Theologie», Leipzig 1873, 2.Aufl. 1903; «Vorgeschichte und Jugend

der mittelalterlichen Scholastik», ... 1917, und «Selbstbekenntnisse», hg. v. E.

Fischer, 1941.

daß wir nicht das Bestreben haben, mit dieser Waldo'fscbule eine Weltanschau­ungsschule zu begründen: Siehe auch den Dornacher Vortrag vom 30. Dez. 1921 in »Die gesunde Entwickelung des Menschenwesens. Eine Einführung in die anthroposophische Pädagogik und Didaktik», GA 303, S.143-147 (der Auf­lagen seit 1969).

94 Ernst Uehli: Siehe Hinweis zu Seite 129

95 unsere Sonntagshandlung... und ein Ritual für Kinder, welche das vierzehnte Jahr ... erreicht haben: Die Texte dieser Handlungen, wie sie von Rudolf Steiner gegeben wurden, sind bisher ungedruckt. Es ist vorgesehen, die Hand­lungstexte bei einer Neuauflage der «Konferenzen mit den Lehrern der freien Waldorfschule in Stuttgart 1919 bis 1924», GA 300 c, in einem Anhang mit aufzunehmen.

97 James-Schule in Amerika: Die Schüler des amerikanischen Pragmatikers Wil­liam James (New York 1842-1910 Chocorna, New Hampshire).

103 Klinckowström: Siehe hierzu auch die Ausführungen in dem Berliner Vortrag vom 4. April 1916, in »Gegenwärtiges und Vergangenes im Menschengeiste», GA 167, S.102 u. 103, und in dem Dornacher Vortrag vom 24. Dez. 1916, in »Zeitgeschichtliche Betrachtungen. Das Karma der Unwahrhaftigkeit«, 1. Teil, GA173, S.257 u. 258.

104 Es gibt heute sogar schon ein Literaturwerk: Christian Kunz, «Die liturgischen Verrichtungen des Zelebranten», 2. Aufl., Regensburg u. Rom 1914 (=4. Buch des «Handbuches der priesterlichen Liturgie nach dem römischen Ritus« von Ch. Kunz).

105 ein Freund unserer Sache, ein altkatboliscber Pfarrer... bat mich dazu veran­laßt, einiges aus den gangbaren katholischen Ritualien in die Form zu bringen, die eigentlich ursprünglich darin liegt: Hugo Schuster (St. Gallen 1876-1925 Davos) war als junger Kaufmann in St. Gallen 1903/1904 initiativ am Aufbau der anthroposophischen Arbeit in der Schweiz beteiligt, z.B. an den Zwei­ggründungen in St. Gallen, Bern und Basel. Er war Mitglied der Theosophi­schen Gesellschaft seit 1905 und persönlicher Schüler Rudolf Steiners. Durch die Christus-Darstellungen Rudolf Steiners fühlte er sich zum Priesterberuf gedrängt und studierte seit 1913 Theologie. Er war befreundet mit dem alt-katholischen Pfarrer Constantin Neuhaus, der Rudolf Steiner am 30.Jan.1914

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schrieb: »Wie mir heute Herr Schuster aus Binningen mitteilte, kommen Sie demnächst auf etwa 4 Wochen nach Basel. Ich würde Ihnen von Herzen dankbar sein, wenn Sie Herrn Schuster und mir eine gemeinsame Audienz gewähren würden. Wir beide möchten gerne etwas mehr Klarheit über die hl. Eucharistie und über eschatologische Fragen haben. Die Theologie versagt da, während wir überzeugt sind, daß der Okkultismus befriedigende Lösungen gibt. ...» Über dieses Gespräch ist nichts Näheres bekannt, auch nicht über weitere Gespräche, die mit Sicherheit in den nächsten Jahren stattgefunden haben. Sowohl Schuster wie auch Neuhaus hielten sich häufig in Dornach auf. Beide waren langjährige Mitglieder der Anthroposophischen bzw. Theosophi­schen Gesellschaft und mit Rudolf Steiner seit langem persönlich bekannt. Mitte 1918 wurde Hugo Schuster zum Priester der altkatholischen Kirche geweiht und übte seine erste Amtsstelle in Basel aus. Damals erhielt er auch von Rudolf Steiner das Begräbnisritual. Rudolf Steiner hatte schon des öfteren bei Bestattungen von Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft Gedächt­nisworte gesprochen, aber nie rituell gehandelt, weil er, wie Marie Steiner es einmal formulierte, den Beruf des Priesters ebensowenig ausüben wollte wie den des Arztes. Nachdem aber ein Mitglied der Gesellschaft als Priester amtierte, ergab sich ein Zusammenwirken. Anläßlich eines solchen Todesfalles vollzog Pfarrer Schuster das von Rudolf Steiner gegebene Begräbnisritual erst­mals am 14. Januar 1919 am Grabe von Marie Leyh und Rudolf Steiner sprach anschließend Gedächtnisworte (siehe GA 261, S.225). Dieser ersten gemeinsam durchgeführten Totenfeier folgten weitere nach. Nach einer brieflichen Äuße­rung Marie Steiners sprach Rudolf Steiner bei Begräbnissen und Kremationen von Mitgliedern dann, »wenn ihn die Angehörigen darum baten. Anfänglich waren es ja vereinzelte Fälle. Da sie allmählich immer zahlreicher wurden und unterdessen den Priestern, die sich an ihn gewandt hatten, der Kult gegeben worden war, wünschte er, daß die Sache in dieser Weise gehandhabt werde, da er den Beruf des Priesters ebensowenig ausüben wollte wie den des Arztes.»

Für Pfarrer Schuster hatte Rudolf Steiner im Jahre 1919 begonnen, das Messeritual neu zu übertragen. Am 20. April 1919, unmittelbar vor der Abreise nach Stuttgart, wo anderntags mit einer Sitzung der Unterzeichner des »Auf­rufes an das deutsche Volk und die Kulturwelt» die Volksbewegung für eine Dreigliedetung des sozialen Organismus ihren Auftakt nahm, schickte Rudolf Steiner die ersten Teile - bis zum Offertorium - der Messe. Der Begleitbrief lautet: »Dornach, 20. April 1919. Mein lieber Herr Pfarrer Schuster! Beifolgend erhalten Sie zunächst von der Messe alles, was schon so weit fertig ist, daß ich es aus der Hand geben kann. Aber ich will die Sache auch auf die Reise mitneh­men, und es ist meine Meinung, daß jetzt, da mein Buch («Die Kernpunkte der sozialen Frage ...») fertig ist, bald alles in Ihre Hände gelangt. Seien Sie mir nicht böse, daß Sie vorläufig nur so wenig erhalten; allein die Sache geht weiter. Herzlichst Rudolf Steiner.» Die weiteren Teile folgten erst zwischen Juni und Oktober 1921 (siehe auch die Bemerkungen Rudolf Steiners in der Diskus-sionsstunde vom 14. Juni 1921, S. 13Sf. dieses Kurses). Hugo Schuster und sein alterer Freund Constantin Neuhaus nahmen am Theologenkurs im Herbst 1921 teil und an Vorbesprechungen zur Begründung der Christengemeinschaft. Beide konnten sich jedoch zu einer Mitwirkung nicht entschließen, was sie Anfang September 1922 Friedrich Rittelmeyer mitteilten. Schuster erkrankte

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bald darauf und starb im Januar 1925 in Davos. Wie sehr Rudolf Steiner Hugo Schuster schätzte, zeigt der nachfolgende Brief: »Goetheanum, 14. Januar 1925. Meine liebe Frau Geering-Christ! Vielen herzlichen Dank für Ihren Brief. Tief erschüttert hat mich das Verlassen des phys. Planes durch unseren lieben Freund Hugo Schuster. Ich werde, das können Sie sicher sein, im Gedanken mit ihm sein. Er war ein treuer Anthroposoph. Und gerade die Anfänge der Bewegung in der Schweiz verdanken ihm viel, sehr viel. Bitte sagen Sie dies, was ich hier schreibe, mit meinen besten Grüßen auch Herrn Geering-Christ. Allerherzlichst Rudolf Steiner.»

107 Das Eiweiß ist immer auf dem Weg ins Cbaotiscbe: Siehe hierzu den Vortrag vom 1. Juli 1921 in »Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist, Erster Teil», GA205, sowie den Vortrag vom 17. Mai 1923, in »Menschenwesen, Menschenschicksal und Welt-Entwickelung», GA 226

110 Es wurde dazumal auf Grundlage meines Kultur-Aufrufes ein Kulturrat begründet: Siehe die Ansprachen und Diskussionsvoten Rudolf Steiners bei den Beratungen über den zu begründenden Kulturrat (Stuttgart, 29. Mai, 7. u. 21 , Juni, 10. u. 25. Juli, 25.Sept.1919; vorgesehen für GA 332).

112 Nun sprach ich einmal einen Mann, der in der Exegese ungeheuer bedei'tsam war: Welche Persönlichkeit hier gemeint ist, läßt sich nicht feststellen. Mögli­cherweise handelt es sich um den Exegeten Franz Xaver Pölzl (St. Florian, Steiermark 1840-1914 Klamm am Semmering, Niederösterr.), der 1882 Nach­folger Carl Werners auf dessen Lehrkanzel für neutestamentliches Bibelstu­dium an der Wiener Universität wurde. Sein vielbeachtetes Hauptwerk «Kurz-gefaßter Kommentar zu den vier hl. Evangelien», 4 Bde., Graz 1880-1893, erschien bis 1948 in mehreren Auflagen (Mt. 4. Aufl. 1932, Lk. 3. Aufl. 1922, Joh. 4. Aufl. 1928, Leidens- und Verltlär'ingsgeschichte Jesu Christi 4. Aufl. 1948 u. Mk. 3. Aufl. 1935).

Professor Bickell: Gustav Bickell (Kassel 1838 1906 Wien) der Sohn des Kir chenrechtslehrers und Staatsmannes Johann Wilhelm Bickell (1799 1848) stu dierte an der Universitat Marburg evangelische Theologie und Sprachwissen schaft, trat 1865 zur katholischen Kirche uber und wurde nach dem Studium der katholischen Theologie in Fulda 1867 zum Priester geweiht 1871 berief ihn die philosophische Fakultat Munster als ao Professor fur orientalische Spra chen und indogermanische Sprachvergleichung. 1874 wurde Bickell zum 0 Professor für christliche Archäologie und semitische Sprachen an der theolo­gischen Fakultät zu Innsbruck ernannt, wo er Mitbegründer der «Zeitschrift für katholische Theologie» und 1876 Doktor der Theologie wurde. Bei der Beru­fung nach Innsbruck war der Wiener Theologie- und Philosophiegeschichtsfor­scher Carl Werner vermittelnd tätig. 1891 erhielt er die Lehrkanzel für verglei­chende Sprachforschung und orientalische Philologie und Altertumskunde an der philosophischen Fakultät der Wiener Universität, und dort wirkte er bis zu seinem Tode 1906 als Orientalist.

Ich kam ... einmal... mit einem katbolischen Tbeologen ins Gespräcb: Mit dem Wiener Alttestamentler Wilhelm Neumann (Wien 1837-1919 Mödling bei Wien), dem gelehrten Forscher aus dem Zisterzienserorden. Wilhelm Neumann trat 1855 in Stift Lilienfeld ein und trat 1858 in das Stift Heiligenkreuz über, wo er von 1861-1874 Professor des alttestamentlichen Bibelstudiums war. 1874

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wurde er zum ao. Professor der semitischen Sprachen und der höheren Exegese des Alten Testaments an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien ernannt, 1882 erhielt er den Titel des ordentlichen Professors, und 1887 wurde er Ordinarius für dieses Fach. 1899/1900 bekleidete er die Würde des Rector magnificus der Wiener Universität. Von ihm stammen zahlreiche Pub­likationen über das Gebiet der Orientalistik, der Archäologie und der christ­lichen Kunst. Seine Gelehrsamkeit und Belesenheit war verblüffend. Der befreundete Philosoph und Theologe Laurenz Müllner sagte von ihm: «Neu­mann kennt die ganze Welt und noch drei Dörfer dazu.» Vgl. FI. Watzl, »Die Cisterzienser von Heiligenltreuz», Graz 1898. Siehe auch Rudolf Steiner, «Mein Lebensgang», VII. Kap.

112 die conceptio immaculata Mariae: Das Dogma von der Unbefleckten Empfäng­nis Mariens wurde in der päpstlichen Bulle «Ineffabilis Deus» v. S. Dez. 1854 verkündet, die besagt, daß Maria keinen Augenblick ihres Daseins unter der Herrschaft der Sünde gestanden ist, und daß sie durch die zuvorkommende Erlösung Christi die einzige Ausnahme vom Gesetz der Erbsünde darstellt.

Wörtlich:

«Zur Ehre der Heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit, zur Zierde und Verherr­lichung der jungfräulichen Gottesgebärerin, zur Erhöhung des katholischen Glaubens und zum Wachstum der christlichen Religion erklären und bestim­men Wir in Vollmacht unseres Herrn Jesus Christus, der seligen Apostel Petrus und Paulus und in Unserer eigenen:

Die Lehre, daß die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Emp­fängnis durch einzigartiges Gnadengeschenk und Vorrecht des allmächtigen Gottes, im Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des Men­schengeschlechts, von jedem Fehl der Erbsünde rein bewahrt blieb, ist von Gott geoffenbart und deshalb von allen Gläubigen fest und standhaft zu glauben.

Wenn sich deshalb jemand, was Gott verhüte, anmaßt, anders zu denken, als es von Uns bestimmt wurde, so soll er klar wissen, daß er durch eigenen Urteilsspruch verurteilt ist, daß er an seinem Glauben Schiffbruch litt und von der Einheit der Kirche abfiel, ferner, daß er sich ohne weiteres die rechtlich festgesetzten Strafen zuzieht, wenn er in Wort und Schrift oder sonstwie seine Auffassung äußerlich kundzugeben wagt.»

113 der Kirchenhistoriker an der Wiener Universität: Josef Kopallik (Wien

1849 - 1897 bei einem Schiffsunglück bei Fiume), der ehemalige Schüler und spätere Freund Carl Werners. Vgl. über ihn F Loidl, «Beiträge zur Wiener Diözesangeschichte» 1(1960) Nr.2, und den Nachruf seines Kollegen Wilhelm Neumann («Wiener Diözesanblatt» 1897, S. 280 ff., 1898, S. 9-12; »Vaterland» 1897, Nr.283).

114 Ich habe ganze Vorträge in Legendenform gehalten: Zum Beispiel den Vortrag vom 6. Januar 1918 über »Die neue Isis-Legende», in «Mysterienwahrheiten und Weihnachtsimpulse. Alte Mythen und ihre Bedeutung», GA 180.

Das Büchlein #SE342-253

115 Ludwig Laistner (Esslingen 1845 - 1896 Stuttgart), Schriftsteller; zuerst Vikar, dann Hauslehrer, seit 1881 freier Schriftsteller, 1889 literarischer Beirat des Hauses Cotta in Stuttgart. Sein zweibändiges Werk «Das Rätsel der Sphinx. Grundzüge einer Mythengeschichte» erschien Berlin 1889. - Der Schluß des vorliegenden Vortrages wurde vom Stenographen nur lückenhaft festgehalten und mußte von den Herausgebern ergänzt werden. Als Unterlage hierzu dien­ten Rudolf Steiners Ausführungen über Ludwig Laistner in «Mein Lebens-gang», GA28, sowie die folgenden Vorträge: S. März 1906, enthalten im Band »Die Welträtsel und die Anthroposophie», GA 54; 9. März 1911 (»Moses»), in «Antworten der Geisteswissenschaft auf die großen Fragen des Daseins», GA 60; 14. Januar 1915, in «Aus schicksaltragender Zeit», GA64.

118 daß durch das ganze Weltall Systeme von Kräften gehen: Siehe hierzu den Berliner Vortrag vom 26.Okt.1909 in «Anthroposophie, Psychosophie, Pneu­matosophie», GA 115, und den Stuttgarter Vortrag vom 12. Januar 1921 in »Das Verhältnis der verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebiete zur Astro­nomie», GA323.

121 drei Mörder: Vgl. die Ausführungen Rudolf Steiners über die drei verräteri­schen Gesellen in einer handschriftlich vorliegenden Niederschrift der Tempel-legende, veröffentlicht in «Zur Geschichte und aus den Inhalten der erkenntnis­kultischen Abteilung der Esoterischen Schule 1904-1914», GA 265, S. 367 und 368.

123 Man kann den Stier beim Mann fühlen und den Löwen bei der Frau fühlen:

Vergleiche den Dornacher Vortrag vom 10. Oktober 1915 in »Die ol,tkulte Bewegung im neunzehnten Jahrhundert und ihre Beziehung zur Weltkultur», GA 254.

Der Form nach ist der Mensch im physischen Leib Mensch, im Ätherleih ist er eigentlich tierisch, im Astralischen pfanzenhaft und im Ich mineralisch geformt:

Über die verschiedenen Entwickiungsstufen der mensclilichen Wesensglieder spricht Rudolf Steiner ausführlicher im Kölner Vortrag vom 27. Dezember 1907, enthalten in »Mythen und Sagen. Okkulte Zeichen und Symbole», GA 101, sowie in dem Münchner Vortrag vom 20. März 1916, enthalten in »Mitteleuropa zwischen Ost und West», GA 174a.

124 die Szene, ... wo der Wagner vom Pudel spricht und sagt: «er zweifelt»: «Faust»

1, 1164 (Vor dem Tor).

125 Himmlatzer, auch Himmlitzer und Himmliatzer: In Österreich gebräuchlicher Dialektausdruck für Wetterleuchten, Blitzen ohne Donner.

Falb: Die Herkunft dieser Geschichte war nicht festzustellen.

Ernst Müller ... über Abraham Ihn Esra: Ernst Müller (Misslitz, Österreich 1880-1954 London) war Mathematiker, Schriftsteller und Gelehrter des Hebräischen und der Kabbala. Er verbrachte in seiner Jugend einige Jahre im damaligen Palästina, war viele Jahre als Bibliothekar der Jüdischen Bibliothek in Wien tätig und emigrierte später nach England. Siehe auch den Brief Emil Bocks an Frieda Müller zum Tode von Dr. Ernst Müller, in: Emil Bock, Briefe, Stuttgart 1968. Das «interessante Büchlein» heißt: «Abraham Ibn Esra, Buch der Einheit. Aus dem Hebräischen übersetzt nebst Parallelstellen und Erläute­rungen zur Mathematik Ibn Esras, von Ernst Müller», Berlin 1921.

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126 der Grieche hatte ja keine Farbwahmehmungen in dem Sinn, wie wir sie haben:

Siehe das Kapitel «Die geschichtliche Entwicklung der Farbwahrnehmung» in »Farbenerkenntnis. Ergänzungen zu dem Band , GA 291 a. Vgl. auch W Schultz, »Das Farbenempfindungssystem der Helle­nen», Leipzig 1904.

129 was Herr Uehli Ihnen heute mitgeteilt haben wird: Ernst Uebli (Andelfingen/ Thurgau 1875-1959 Küsnacht/Zürich) war zu dieser Zeit Schriftleiter der Wochenschrift »Dreigliederung des sozialen Organismus» und Religionslehrer an der Freien Waldorfschule in Stuttgart. Bei der erwähnten Mitteilung dürfte es sich um eine Orientierung über die Sonntagshandlung in der Waldorfschule handeln. Vergleiche »Der Lebrerkreis um Rudolf Steiner in der ersten Waldorf­schule 1919-1925. Lebensbilder und Erinnerungen», Stuttgart 1977.

Paul Baumann (Oberrotweil am Kaiserstuhl 1887-1964 Féchy/Waadtland) gehörte zum Ur- Kollegium der Freien Waldorfschule in Stuttgart. Er gab in der Hauptsache Musikunterricht und war für die musikalische Gestaltung der Schulveranstaltungen verantwortlich. In späteren Jahren gab er auch freien Religionsunterricht. Siehe auch »Der Lehrerltreis um Rudolf Steiner in der ersten Waldorfschule 1919-1925», Stuttgart 1977.

130 Und eine zweite ... Stauung ist im Gehörorgan: Über die Bildung des Gehöror­gans vergleiche Rudolf Steiners Vortrag vom 9. Dezember 1922, enthalten in «Geistige Zusammenhänge in der Gestaltung des menschlichen Organismus«,

GA218.

132 Bach: Johann Sebastian Bach (Eisenach 1685-1750 Leipzig).

133 Debussy: Claude' Achille Debussy (St. Germain-en-Laye 1862-1918 Paris).

Wagner: Richard Wagner (Leipzig 1813 - 1883 Venedig).

134 Quäkerbewegung: Quäker, Society of Friends, Gesellschaft der Freunde, eine

1649 von George Fox im Gegensatz zur Staatskirche begründete christliche Laiengemeinschaft. Vgl. George Fox, »Aufzeichnungen und Briefe des ersten Quäkers« (1694), deutsch v. M. Stähelin; 1908; J. St. Rowntree, »The Society of Friends, its Faith and Practice» (1908), deutsch v. M. Stähelin, 1913, und H. Loukes, »Die Quäker«, deutsch, Stuttgart 1965.

135 Emil Bock: Wir haben davon gehört, daß es schon Rituale gibt ... Das Begräb­nisritual hatte Rudolf Steiner im September 1918 an den Schweizer altkatholi­schen Pfarrer Hugo Schuster gegeben anläßlich des Todes von Marie Hahn (vgl. Rudolf Steiners Ansprache vom 22. September 1918, enthalten im Band «Unsere Toten», GA 261). Ebenfalls für Hugo Schuster hatte er einen Teil der katholischen Messe aus dem Lateinischen übertragen; die ersten Abschnitte entstanden 1919, die letzten in der Zeit zwischen Juni und September 1921 (Veröffentlichung vorgesehen im Zusammenhang mit GA 343). - Einen Tauf­text hatte Rudolf Steiner im August 1920 dem protestantischen Pfarrer Johan­nes Geyer gegeben, der als Lehrer an der Waldorfschule in Stuttgart tätig war (veröffentlicht im Heft 110, Ostern 1993, der «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe«); und noch im Jahr 1921 gab er das Tauf- und das Trauritual an Pastor Wilhelm Ruhtenherg, Lehrer an der Waldorfschule in Stuttgart (siehe

255

»Der Lehrerkreis um Rudolf Steiner in der ersten Waldorfschule 1919-1925»).

- Ferner gab es zu dieser Zeit drei Handlungstexte für die Kinder der Waldorf­schule: Sonntagshandlung (1920), Weihnachtshandlung (1920) und Jugendfeier (Konfirmation, 1921).

ein Mitglied unserer Bewegung: Hugo Schuster. Siehe Hinweis zu Seite 105.

137 Das andere, wo allerdings die Form eines Rituals ausgeschlossen war, das ist durch den Krieg unterbrochen worden: Siehe Rudolf Steiner, »Zur Geschichte und aus den Inhalten der erkenntniskultischen Abteilung der Esoterischen Schule 1904-1914», GA265.

140 Sokrates (470-399 v.Chr.).

142 Ich habe einen ausgezeichneten protestantischen Geistlichen als Freund gehabt:

Vermutlich Max Christlieb. Siehe über ihn die Ausführungen Rudolf Steiners im «Lebensgang», Schluß des XX. Kapitels und den Hinweis in Rudolf Steiner, «Briefe. Band II: 1890-1925», GA39, S. 514.

144 Lesen Sie gute Übersetzungen der Buddha-Reden: Zum Beispiel »Die Reden Gotamo Buddhos. ... übersetzt von Karl Eugen Neumann», München 1896-1902, 3 Bde., 3. Aufl. München 1922 (und öfter).

149 wie zum Beispiel Newman: John Henry Newman (London 1801-1890 Edgeba­ston, Birmingham).

in Weinelscher Manier: Siehe den Hinweis zu Seite 80

Er kam nicht früher zurecht, als bis er sich sagte: In seinem «Essay in Aid of a Grammar of Assent», 1870, schreibt Newman:

«Diese Gedankenwelt (des christlichen Glaubens) ist die Ausdehnung und das Ergebnis einiger, wie gelegentlich von galiläischen Fischern ausgesprochener Worte ... Die Vernunft hat sich dem Glauben nicht nur unterworfen, sie hat ihm gedient und ihn unterstützt; sie hat seine Dokumente erläutett; sie hat ungelehrte Bauern in Philosophen und Theologen verwandelt und aus den Worten Schlußfolgerungen oder Deutungen gezogen, die ihre unmittelbaren Hörer nicht ahnten. Es ist viel befremdender, daß der hl. Johannes ein Theo­loge, als daß der hl. Petrus ein Fürst sein sollte. Dieses ist ein dem Evangelium eigentümliches Phänomen und ein Zeichen seiner Göttlichkeit.«

Das Zitat ist einem Buch entnommen, das sich in Rudolf Steiners Bibliothek befindet: Charlotte Lady Blennerhassett, «John Henry Kardinal Newman. Ein Beitrag zur religiösen Entwicklungsgeschichte der Gegenwart», Berlin 1904.

Und da kommt er zu einer besonderen Auffassung von der Evolution: Dies bezieht sich wohl auf Newmans «Essay on Development of Christian Doc­trine», 1845.

150 Scheler: Max Scheler (München 1874-1928 Frankfurt a. M.) wurde 1919 als Professor für Philosophie und Soziologie an die neueröffnete Kölner Universi­tät berufen. Rudolf Steiner hatte Scheler 1904 oder 1905 in Jena persönlich kennengelernt und mit ihm über die erkenntnistheoretische Rechtfertigung des Geist-Erkennens diskutiert (siehe »Mein Lebensgang», GA 28). Daß er die weiteren Wege Schelers, den er «zu den scharfsinnigsten Denkern der Gegenwart«

256

zählte, mit Aufmerksamkeit verfolgte, insbesondere auch dessen Hin­wendung zum Katholizismus, geht aus vielen Äußerungen in Vorträgen hervor:

1. Mai 1917, in GA 175; 13. Oktober 1918, in GA 184; 13. Juli 1919, in GA 192;

2. Oktober 1920 abds., in GA322.

152 daß die gescheitesten Leute im 19. Jahrhundert die Unsterblichkeit von dem Gesichtspunkt aus bekämpft haben, daß die Seelen ja keinen Platz hätten im Weltall: Vgl. hierzu die Ausführungen von David Friedrich Strauß über das »Local für die abgeschiedenen Menschenseelen« in «Der alte und der neue Glaube», Par.41.

156 Wenn da im Evangelium vom Blindgeborenen übersetzt wird: Joh. 9, 1-3. Siehe hierzu Rudolf Steiner, »Das Johannes-Evangelium im Verhältnis zu den drei anderen Evangelien. besonders zu dem Lukas-Evangelium», GA 112, 9. Vor­trag.

157 3. Zeile. «Naturgesetz»: In der Nachschrift hieß es hier ursprünglich «einge­setzt«, was wohl auf einen Lesefehler beim Übertragen des Stenogramms zurückzuführen ist.

Da gab es einen österreichischen Dialektdichter: Ignaz Franz Castelli (Wien 1781-1862 ebd.). Siehe Brief 24 in RudolfSteiner, «Briefe. Band 1:1881-1890», GA 38, S. 64, 65 u. 290 Anm.

158/159 Die Ausführungen über den Begriff der Gnade sind vom Stenographen offensichtlich nur lückenhaft festgehalten worden. Zum besseren Verständnis sei verwiesen auf Rudolf Steiners Vortrag «Erbsünde und Gnade» vom 3. Mai 1911, enthalten im Band «Die Mission der neuen Geistesoffenbarung», GA 127, sowie auf den Schluß des Vortrages vom 29. Mai 1905, enthalten im Band «Die Tempellegende«, CA 93.

162 Himmel und Erde werden vergehen: Matth. 24, 35; Mk. 13, 31; Luk. 21, 33. Nicht ich, sondern der Christus in mir: Gal. 2, 20

165 Stuttgarter Veranstaltungen: Für die Zeit vom 28. August bis zum 7. September war in Stuttgart ein allgemeiner öffentlicher Kongreß vorgesehen. Rudolf Stei­ner hielt bei dieser Veranstaltung die Vortragsreihe «Anthroposophie. ihre Erkenntniswurzeln und ihre Lebensfrüchte«, CA 78.

166 wir haben im Herbst vorigen Jahres den Hochschulkurs dadurch zustande gebracht: Erster Anthroposophischer Hochschulkurs in Dornach, 26. Septem­ber bis 16. Oktober 1920.

168 Osterkurs: Zweiter anthroposophischer Hochschulkurs (Dornach, 3. bis 10. April 1921).

Heinzelmann: Professor der Theologie in Basel.

169 Die Schweiz ist stark konser'vativ: Siehe «Rudolf Steiner, Über die Schweiz. Äußerungen über die Schweiz aus dem Vortragswerk zusammengestellt ... von Hans Hasler«. Dornach 1988.

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170 Veranstlltungen vorn 20.-27. August: Sommerkurs (Summer Art Course) vom

21.-27. August 1921.

171 Broschüre: «Ein Weg zur notwendigen religiösen Erneuerung«.

172 Haass-Berkow-Truppe: Die von dem Schauspieler Gottfried Haass-Berkow (Stuttgart 1888-1957 Winterthur) geleitete Schauspieltruppe war seinerzeit weithin bekannt. Sie reiste durch Deutschland, die Schweiz, war auch in Schwe­den und in Holland tätig und trat auch für die Anthroposophie ein. Die Mitglieder dieser Truppe nahmen im September 1924 am Dramatischen Kurs teil, und sie gliederten sich größtenteils dem Goetheanum-Ensemble ein.

173 bezüglich des Kongresses: Es handelt sich um die Planung für den öffentlichen Kongreß «Kultur-Ausblicke der anthroposophischen Bewegung», der vom 28. August bis 7. September 1921 in Stuttgart stattfand.

Pastor Geyer: D. Dr. Christian Geyer: (1862-1929), Hauptprediger an der Sebalduskirche in Nürnberg, Freund und Kampfgenosse Rittelmeyers; schrieb «Theosophie und Religion», Nürnberg 1918. Vgl. Emil Bock, «Zeitgenossen -Weggenossen - Wegbereiter», Stuttgart 1959, S. 109-121, und Wilhelm Kelber, «Zu Christian Geyers 100. Geburtstag», in «Die Christengemeinschaft», 34. Jahrg., Heft 10, Okt.1962, S. 308-311.

eine Schrift von Herrn Dr. Heisler: Hermann Heisler, «Anthroposophie und Christentum. Ein Versuch zur Verständigung», Konstanz/Leipzig 1919.

175 Gogarten zum Beispiel sagt ja, Anthroposophie wolle religionsbegründend sein:

Vgl. Friedrich Gogarten, «Rudolf Steiners und das Chri­stentum», Stuttgart 1920.

Außer Geyer niemand: Christian Geyer schrieb den Beitrag: «Rudolf Steiner und die Religion» («Lebenswerk», S. 81-112).

Schairer: Dr. Immanuel Schairer, Pfarrer in Nagold.

176 Pastor Klein: Paul Klein (1871-1957), Pfarrer in Mannheim, langjähriges Mit­glied und zeitweise Zweigleiter der Anthroposophischen Gesellschaft in Mann­heim. Nicht er, aber sein Sohn Gerhard Klein nahm an der Begründung der Christengemeinschaft teil. Siehe Gerhard Klein, «Pfarrer Paul Klein und Rudolf Steiner», in «Mitteilungen aus der Anthroposophischen Arbeit in Deutsch­land», 21.Jahrg., Heft 2 (= Nr.80), Johanni 1967, S. 118-123.

Sauter: Ludwig Sauter, Pfarrer in Lachen/Pfalz, Mitglied der Theosophischen bzw. Anthroposophischen Cesellschaft seit 1909.

Jundt in Mannheim: E. B. Jundt, Pfarrer in Mannheim/Neckarau.

Ich habe in Berlin solche Vorträge gehalten: #SE342-258

176 Das glaubt weder der Bruhn nocb Gogarten noch Laun: Wilhelm Btu'hn, »Theosophie und Anthroposophie», 1921; Friedrich Gogarten, s. Hinweis zu S. 175; Friedrich Laun, »Moderne Theosophie und katholisches Christentum», Rottenburg 1920.

177 Professor Traub: Friedrich Traub in dem Artikel: »Die Lehre Rudolf Steiners», Sonntagsbeilage des »Schwäbischen Merkur» vom 30. April 1921.

«Stuttgarter Evangelisches Sonntagsblatt»: Nr.19 v. 8. Mai 1921 (Bericht über die Jahresversammlung der Evangelisch-Kirchlichen Vereinigung, auf der Pfar­rer Jehle einen Vortrag über «die kirchenfeindlichen Strömungen der Gegen-wart« gehalten hat).

diese Geschichte von dem Bernbard von Clairvaux: Ausführlicher dargestellt im Vortrag vom 16. Juni 1921, veröffentlicht in »Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist - Erster Teil», GA 205.

178 Uns ist nur unmöglich gemacht worden durch verschiedene Ereignisse, das Kultusartige weiter zu pflegen: Siehe «Zur Geschichte und aus den Inhalten der erkenntniskultischen Abteilung der Esoterischen Schule 1904-1914», GA265.

In der Broschüre von Seiling: Max Seiling, »Die anthroposophische Bewegung und ihr Prophet«, Leipzig 1918.

179 bei dem Philosophen Brentano: Franz Brentlno (Marienberg bei Boppard

1838-1917 Zürich); 1864 Priesterweihe, 1872 Professor der Philosophie in Würzburg, trat 1873 aus Glaubensgründen (Gutachten gegen das Dogma von der Infallibilität 1869) aus dem Priesterstand aus und verzichtete auf die Profes­sur in Würzburg, 1874 Berufung als Ordinarius für Philosophie in Wien, 1879 Austritt aus der katholischen Kirche, 1880 Eheschließung mit Ida von Lieben und Verlust der Professur in Wien, lehrte jedoch bis 1895 dort als Privatdozent noch weiter. Vgl. Rudolf Steiners Nachruf »Franz Brentano», in »Von Seelen-rätseln«, GA 21, und die vier Aufsätze über Franz Brentano in »Der Goethe­anumgedanke inmitten der Kulturkrisis der Gegenwart», GA 36, Dornach

1961, S. 153-169.

180 Rittelmeyer hat jetzt genau über die Anthroposophie und Religionserneuerung geschrieben: Dieser Aufsatz mit dem Titel »Anthroposophie und religiöse Erneuerung« wurde im September 1921 in der Monatsschrift »Die Tat», Jena (XIII. Jahrg., Heft 6, S. 445-459) veröffentlicht.

181 Werbeflugblatt für die Geldmittel: «Ein Weg zur notwendigen religiösen Erneuerung», siehe Seite 221ff.

182 die Keyserling-Sache: Die 1919 begründete Darmstädter «Gesellschaft für freie Philosophie« oder «Schule der Weisheit« des Grafen Hermann von Keyserling

(1880-1946).

Herrn Meyer: Rudolf Meyer (Hannover 1896 - 1985 Göppingen) studierte Theologie und Philosophie in Kiel und Göttingen, lernte 1916 die Anthroposophie

259

kennen und wirkte ab 1919 als anthroposophischer Redner in Nord­deutschland. Nach seinen eigenen Worten suchte er »in ihrem Rahmen den Weg, sich speziell für ein neues Christentum einzusetzen». Meyer nahm an allen Vorbereitungsschritten zur Begründung der Christengemeinschaft teil und wurde Ende Oktober 1922 in Hamburg geweiht. Auf den Rat Rudolf Steiners hin ging er mit Rudolf von Koschützki und Kurt von Wistinghausen nach Breslau. Biographische Einzelheiten siehe im Nachruf von Michael Hei­denreich in »Die Christengemeinschaft», 57. Jahrg., Nr.9 vom September 1985.

185 Herr Posadzy: Ludwig Posadzy, geb. 1878 in Szymborze, Kreis Inowrazlaw (Hohensalza), damalige Provinz Posen, gebürtiger Pole, studierte in Berlin Philosophie, lernte Rudolf Steiner im Jahr 1905 kennen.

Dissertation über Herder: Ludwig Posadzy, »Der entwicklungsgeschichtliche Gedanke bei Herder» (Diss. Münster i. W), Posen 1906.

186 er hat nur den großen Fehler gemacht, mein < Christentum als mystische Tatsa­che» zu zitieren: In der gedruckten Fassung der Dissertation ist »Das Christen­tum als mystische Tatsache» nicht zitiert, wohl aber »Friedrich Nietzsche, ein Kämpfer gegen seine Zeit». Des weiteren weist Ludwig Posadzy im «Lebens­lauf» seiner Dissertation auf seine Abhandlung «L. Cl. Saint Martin, F Baader und A. Mickiewicz im Kampfe gegen die moderne Philosophie» hin, wo er schreibt: «Diese Arbeit ist erschienen in Rudolf Steiners theosophischer Zeit­schrift: Lucifer-Gnosis (1905, No. 25-28).» und hat sich mit dieser Äußerung möglicherweise die Ablehnung seiner Dissertation eingehandelt.

Braun: Otto Braun (Dorpat 1885-1922 Basel), Privatdozent in Münster i. W., Philosophieprofessor in Basel; er knüpfte an Schelling an und schrieb u. a.:

»Schellings geistige Wandlungen in den Jahren 1800-10», Leipzig 1906, und »Hinauf zum Idealismus! Schellingstudien», Leipzig 1908.

Otto Altemüller (Lebensdaten nicht bekannt), damals stud. phil., nahm am Theologenkurs im Herbst 1921 teil. Er schrieb eine Examensarbeit, deren Thema von Rudolf Steiner angeregt wurde: «Klarstellung und Kritik der Wil­lenstheorie Theodor Ziehens». 1924 ging er als Klassenlehrer an die Waldorf­schule in Hamburg-Wandsbek und gab dort auch den freien Religionsunter­richt.

Frau Plincke: Violetta Plincke, 1883-1968, wurde ab Sommer 1921 Lehrerin an der Stuttgarter Waldorfschule, ging 1924 nach England. Siehe »Der Lehrerkreis um Rudolf Steiner in der ersten Waldorfschule 1919-1925», Stuttgart 1977.

«Bibel und Weisheit»: Siehe Hinweis zu Seite 176.

187 der Traub in diesem Artikel: Siehe Hinweis zu Seite 177.

Ein Mitglied von uns: Möglicherweise handelt es sich hier um Roman Boos. Broschüre von Frohnmeyer: D. Johannes Frohnmeyer, »Die theosophische Bewegung«, Stuttgart 1920.

188 auf dem bekannten 8. allgemeinen ökumenischen Konzil im Jahre 869: Das achte ökumenische Konzil von Konstantinopel 869 dekietierte unter Papst Hadrian II. gegen Photius, daß der Mensch eine vernünftige und erkennende Seele habe, unam animam rationabilem et intellectualem, so daß von einem

260

besonderen Geistprinzip im Menschen nicht mehr gesprochen werden durfte. Das Geistige wurde fortan nur mehr als Eigenschaft der Seele angesehen. Über die »Abschaffung des Geistes» bat Rudolf Steiner in den verschiedensten Zusammenhängen gesprochen, zum Beispiel am 15. Mai 1917 (GA 174 b), 20. Mai 1917 (GA 174 a), 16. Oktober 1918 (GA 182), s. Oktober 1919 (GA 191), am 21. November 1919 (GA 194) etc. Vgl. auch Johannes Geyer, «Ein Konzil-beschluß und seine kulturgeschichtlichen Folgen», in «Die Drei», i. Jahrg., 10. Heft, Januar 1922, S. 1014-1030.

189 Wilhelm Wundt (Neckarau bei Mannheim 1832 - 1920 Großbothen bei Leip­zig), Psychologe und Philosoph. 1851-1856 Studium der Medizin in Tübingen, Heidelberg und Berlin. 1857 Habilitation für Physiologie in Heidelberg, 1864 dort a. o. Professor. 1874 Professor für induktive Philosophie in Zürich. 1875 ord. Professor der Philosophie in Leipzig, wo er das erste Institut für experi­mentelle Psychologie gründete. Schrieb u. a.: «Grundzüge der physiologischen Psychologie», Leipzig 1874, 6. Aufl. 1908-1911, 3 Bde., und «Grundriß der Psychologie«, Leipzig 1896, 15. Aufl. 1922.

191 was man damals Wissenschaft - Mathesis - nannte: «Die großen Lehrer dei Gnosis betonen mit Plato und Pythagoras ausdrücklich, daß die Gnosis nichts ist, als die in ihrer Wahrheit begriffene Matbesis, das in der Selbsterkenntnis des Erkennenden geoffenbarte Geheimnis der geformten, der geometrisch anschau­lich erfaßten Zahl und Größe.» (Eugen Heinrich Schmitt, «Die Gnosis. Grund­lagen der Weltanschauung einer edleren Kultur», I. Bd., Leipzig 1903, S. 214). Siehe auch Rudolf Steiner, «Mathematik und Okkultismus» (Autorreferat vom Vortrag beim Kongreß der Föderation europäischer Sektionen der Theosophi­schen Gesellschaft, Amsterdam, 21. Juni 1904), veröffentlicht in »Philosophie und Anthroposophie. Gesammelte Aufsätze 1904-1923», GA 35, S. 7-18.

daß Augustinus durch das dekadente Manichäertum hindurch gegan gen ist: Vgl.

Aurelius Augustinus, «Bekenntnisse», bes. das 3. Buch, und Rudolf Steiners

Berliner Vortrag vom iI. November 1904, in «Die Tempellegende und die

Goldene Legende . , . «, GA 93.

192 Harnack und andere gaben ihren Zweifeln Ausdruck: Vgl. Adolf von Harnack, «Zur Quellenkritik der Geschichte des Gnosticismus», Tübingen 1873.

Hilgenfeld: Adolf Hilgenfeld (Stappenbeck bei Salzwedel 1823-1907 Jena), protestantischer Theologe. 1847 Privatdozent in Jena, 1850 a. o., 1869 Hono­rar-, 1890 Professor der neutestamentlichen Exegese ebd.; neben Otto Pfleide­rer der letzte bedeutende Vertreter der Tübinger Schule (Ferdinand Christian Baur). Vgl. seine folgenden Schriften: «Kritische Untersuchungen über die Evangelien Justins, der Clementinischen Homilien und Marcions», 1850; «Urchristentum«, Jena 1855, und »Ketzergeschichte des Urchristentums», Leipzig 1884.

die Schriften des Generals von Gleich: Die gegnerische Schrift des Generalma­jors z. D. Gerold von Gleich: «Rudolf Steiner als Prophet», Ludwigsburg 1921.

193f. Vaterunser: <...und erlöse uns von dem Übel»: Mt. 6, 13. Ausführlich spricht Rudolf Steiner über das Vaterunser in folgenden Vorträgen: Berlin, 28. Januar

261

und 18. Februar 1907, enthalten im Band «Ursprungsimpulse der Geisteswis­senschaft», GA 96, sowie Karlsruhe, 4. Februar und Köln 6. März 1907, enthalten im Band «Das christliche Mysterium», GA 97.

Der Waldorflehrer Rudolf Treichler berichtet in seinem Büchlein «Wege und Umwege zu Rudolf Steiner» folgendes:

«Eines Besuches Dr. Steiners in meiner Klasse muß ich besonders gedenken, er ist mir tief ins Herz geschrieben. Es war in einer Englisch-Stunde, und ich hatte wie später immer wieder das Vater-Unser auf englisch durchgenommen und mit den Kindern angefangen zu lernen.

Dr. Steiner kam gerade herein, als wir die Schlußworte sprachen: «For this is the kingdom, the power and the glory - for ever and ever.» Als wir fertig waren, stand Dr. Steiner auf, trat zur Tafel, nahm eine Kreide in,die Hand und sagte zu den Kindern: «Ihr habt jetzt die schönen Schlußworte des Vater-Unsers auf englisch gesprochen und wißt narürlich auch die deutschen Worte dazu. Nun, jedes Königreich hat einen gewissen Umfang, eine bestimmte Größe» - dabei zeichnete er einen Kreis - «und die Kraft dieses Reiches, die sitzt wohl wo?» -In der Mitte, war die Antwort. «Ja, in der Mitte«. - Er setzte den Mittelpunkt in den Kreis - «und die Herrlichkeit, der Glanz, den dieses Reich ausstrahlt, der leuchtet weit hinaus!» Dabei zeichnete er etwas wie Glanz- und Lichtstrahlen darum herum. Und nun fuhr er fort: «Ja, wie sieht denn das nun aus, das Ganze?» Nach kurzem Zögern kam von allen Seiten der Ruf: «Wie die Sonne!«

- «Ja, das ist die Sonne», sagte sichtlich befriedigt Rudolf Steiner und ging hinaus. Seine Zeichnung ließen wir noch lange an der Tafel stehen wie einen lebendigen Gedenkgruß von ihm an die Klasse.«

194 bevor der Kaiser Justinian im 6. Jahrhundert die letzten griechischen Philosoph­enschulen geschlossen hat: Der oströmische Kaiser Justinian I. schloß 529 die athenischen Philosophenschulen. Vgl. Ernst v. Lasaulx, «Der Untergang des Hellenismus und die Einziehung seiner Tempelgüter durch die christlichen Kaiser», München 1854; auch in: Ernst v. Lasaul:':, Verschüttetes deutsches Schrifttum. Ausgewählte Werke 1841-1860, neu herausg. u. eingel. von H. E. Lauer, Stuttgart 1925.

195 Zufluchtsstatte , . , in Gondishapur: In der Akademie von Gondishapur in Mesopotamien. Vgl. hierzu den Dornacher Vortrag vom 12. Oktober 1918 in «Die Polarität von Dauer und Entwickelung im Menschenleben. Die kosmische Vorgeschichte der Menschheit«, GA 184.

196 Scotus Eriugena (geb. um 810 in Irland, gest. nach 877 in Frankreich oder

England) belileidete weder ein weltliches noch ein geistliches Amt; er wurde um

850 an die Hofschule Karls des Kahlen nach Paris berufen, wo er die »artes

liberales« unterrichtete. Seine Hauptschrift ist »De divisione naturae» (Über die

Einteilung der Natur), die 862 bis 866 entstand.

Dann kam die Zeit der Scholastiker, des Albertus Magnus, des Thomas von

Aquin: Vergleiche hierzu Rudolf Steiner, «Die Philosophie des Thomas von

Aquino», GA 74.

262

196 Der große Streit zwischen Nominalismus und Realismus: Vgl. hierzu das Kapi­tel «Die Weltanschauungen im Mittelalter» in Rudolf Steiner, «Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt», GA 18, und den Dor­nacher Vortrag vom 27. Januar 1923, in «Lebendiges Naturerkennen. Intellek­tueller Sündenfall und spirituelle Sündenerhebung», GA 220.

198 eine solche Gestalt wie Oetinger: Friedrich Christopb Oetinger (Göppingen

1702 - 1782 Murrhardt), schwäbischer Pfarrer, Philosoph und Theosoph.

Oetinger, der noch den Satz geprägt hat: Alle materiellen Erscbeinungen sind des Geistes Enderscheinungen: Dieser Satz ist auch in der Form bekannt: Die Materie ist das Ende der Wege Gottes. Obwohl bei Oetinger in seinem »Bibli­schen und emblematischen Wörterbuch» (1776) unter «Leib» auf S. 407 steht:

»Die Leiblichkeit ist das Ende der Werke Gottes», wurde dieser Satz schon zu seinen Lebzeiten in der oben genannten Form zitiert. Vgl. hierüber auch die beiden Berliner Vorträge Rudolf Steiners vom 14. Dezember 1915 in »Schick­salsbildung und Leben nach dem Tode», GA 157a, und vom 20. März 1917 in «Bausteine zu einer Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha», GA 175.

199 alsjustinian den letzten Akt vollzog: Siehe Hinweis zu Seite 194.

Roger Bacon (Ilchester, um l214-um 1294 Oxford), Franziskaner, lehrte an der Universität Oxford,

in der Philosophie des Spinoza, die auf Goethe einen so großen Einfluß genom­men hat: Vgl. Rudolf Steiner, «Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaft­lichen Schriften«, CA 1, bes. S. 76-78.

200 von einer Art von Protest . . . : Der Stenograph ist hier nicht mitgekommen und hat in der Nachschrift eine Lücke gekennzeichnet. Das Wort «Protest» war zunächst irrtümlich mit »Prozeß« übertragen worden.

201 Text des Werbeblattes: Siehe Seite 221ff.

202 Dreigliederungsbewegung: Siehe Hinweis zu Seite 43.

205 Ich habe vor einiger Zeit in einem Kreis von Industriellen einen Vortrag gehalten: Eine Vortragsstelle, die das hier Behandelte wiedergibt, konnte bisher nicht nachgewiesen werden.

NAMENREGISTER

#G342-1993-SE263 Priesterkurse I

#TI

NAMENREGISTER

#TX

* = ohne Namensnennung

Albertus Magnus 196

Alteinüller, Otto 186

Aristoteles 199 f.

Augustinus 191

Bach, Johann Sebastian 132

Bacon, Roger 199

Baumann, Paul 129, 133

Bernhard von Clairvaux 177 f.

Bickell, Gustav 112

Bock, Emil 31, 72, 80, 81, 85, 86, 116, 134, 135, 139, 164, 166, 169, 170, 171, 173, 176, 177, 180, 181, 184, 191, 202, 206

Braun, Otto 186

Brentano, Franz 179 f.

Bruhn, Wilhelm 37, 176

Buddha 144

Castelli, Ignaz 157*

Christlieb, Max 142*

Conrad, Minister 180

Damaskios 195, 199

Debussy, Claude 133

Dionysios Areopagita 139

Doldinger, Friedrich 186

Franz Joseph, Kaiser 180 Frohnmeyer, L. J. 187

Geyer, Christian 173-175

Geyer, Johannes 135*, 254

Gleich, Gerold von 192

Goethe, Johann Wolfgang von 34, 38, 124,165, 199

Gogarten, Friedrich 175-177

Haass-Berkow-Truppe 172

Harnack, Adolf 78, 192

Heinzelmann, Prof. 168

Heisler, Hermann 75, 76, 86, 87, 109, 110, 170, 173, 174, 179, 181, 182-184, 186

Herder, Johann Gottfried 185

Hilgenfeld, Adolf 192

Husemann, Gottfried 84, 111, 132, 186

Jundt, E. B. 176

Justinian 194, 199

Klein, Paul 176

Klein, Werner 68, 70

Klinckowström, Pater 103, 104

Kopallik, Josef 113*

Laistuer, Ludwig 115

Laun, Friedrich 176

Luther, Martin 169

Meyer, Rudolf 183

Müller, Ernst 125

Neumann, Wilhelm 112*

Newman, John Henry 149

Nietzsche, Friedrich 93

Oetinger, Friedrich Christoph 198

Overbeck, Franz 93

Plato 146

Plincke, Violetta 186

Posadzy, Ludwig 18Sf.

Ranke, Leopold von 22

Ritschl, Albrecht 16-19

Rittelmeyer, Friedrich 66, 79, 80, 173,

175-178, 180

Ruhtenberg, Wilhelm 135

Sauter, Ludwig 176

Schairer, Immanuel 175

Scheler, Max 150

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 186

Schiller, Friedrich 34

264

Schmiedel, Otto 90

Schuster, Hugo 105, 135

Scotus Eriugena 196

Seiling, Max 178

Simplikios 195, 199

Sokrates 140

Spengler, Oswald 82

Spicker, Gideon 78, 186

Spinoza, Baruch 199 f.

Steiner, Marie 186

Steiner, Rudolf (Werke):

Die Philosophie der Freiheit 57, 129

Das Christentum als mystische Tat­sache 186

Die Geheimwissenschaft im Umriß 36, 108, 123,128, 177, 187

Bibel und Weisheit (in GA 57) 176, 187

Wesen der Künste (in GA271) 114

Kultur-Aufruf 110

Storkemann, Pater 139

Thomas von Aquin 196

Traub, Friedrich 177, 187

Uehli, Ernst 94, 114, 116, 129, 164, 165, 172, 173, 175, 186

Wagner, Richard 133

Wilhelm II., Kaiser 64*

Wundt, Wilhelm 189

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.