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Davon wollen wir dann morgen weitersprechen.  
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Version vom 19. Oktober 2023, 08:02 Uhr

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VIERZEHNTER VORTRAG Dornach, 22. Juli 1921

#G206-1991-SE009 Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist

#TI

VIERZEHNTER VORTRAG

Dornach, 22. Juli 1921

#TX

Wir fahren fort in der Betrachtung des Verhältnisses des Menschen zur Welt, und um die Betrachtungen der nächsten Tage an dasjenige anschließen zu können, was ich vorgebracht habe in der letzten Zeit, möchte ich heute zunächst an ein Kapitel unserer anthroposophischen Anschauung anknüpfen, das ich vor längerer Zeit behandelt habe, nämlich an die im anthroposophischen Sinne gehaltene Sinneslehre. Ich sagte vor längerer Zeit und immer wieder, daß ja die äußere Wissenschaft von unseren Sinnen nur diejenigen betrachtet, für die im gröberen Sinne Organe vorhanden sind, wie der Sehsinn, der Gehörsinn und so weiter. Diese Betrachtungsweise kann in einem tieferen Sinne deshalb nicht befriedigen, weil das Gebiet, das zum Beispiel das Sehen von unserer Erfahrung, von unserer Gesamterfahrung umfaßt, ein ebenso abgegrenztes ist innerhalb der Gesamtsumme unserer Erlebnisse, wie, sagen wir die Wahrnehmung des fremden Ich oder die Wahrnehmung der Bedeutung von Worten. Es ist ja heute, wo in einem gewissen Sinne alle Dinge auf den Kopf gestellt werden, durchaus auch üblich geworden, zu sagen: Wenn wir dem fremden Ich gegenüberstehen, dann sehen wir zunächst die menschliche Gestalt. Wir wissen, daß wir diese menschliche Gestalt selber haben, daß bei uns diese menschliche Gestalt ein Ich beherbergt, und so schließen wir, daß auch in der uns ähnlich schauenden fremden menschlichen Gestalt ein Ich enthalten sei. - Es ist nicht das geringste wirkliche Bewußtsein von dem vorhanden, was in der ganzen Unmittelbarkeit der Wahrnehmung des andern Ich liegt, wenn man einen solchen Schluß zugrunde legt. Er ist völlig sinnlos. Denn genau in derselben Weise, wie wir unmittelbar der Außenwelt gegenüberstehen und ein gewisses Gebiet von ihr umfassen durch unseren Sehsinn, ebenso dringt in unser Erlebnisgebiet in unmittelbarer Weise hinein das fremde Ich. Wir müssen, wenn wir uns einen Sehsinn zuschreiben, uns so auch einen Ichsinn zuschreiben.

Es ist dabei vor allen Dingen das festzuhalten, daß dieser Ichsinn

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durchaus etwas anderes ist als die Entwickelung des Bewußtseins des eigenen Ich. Es ist ein völlig anderer Vorgang, dieses Bewußtwerden des eigenen Ich, was ja eigentlich kein Wahrnehmen ist, und der Vorgang, der sich abspielt, wenn wir ein fremdes Ich als solches wahrnehmen. Ebenso liegt ein ganz anderes zugrunde, wenn wir Worten zuhören und in den Worten eine Bedeutung vernehmen, als dann, wenn wir den bloßen Ton, den bloßen Klang vernehmen. Wenn es auch zunächst schwieriger ist, für den Wortesinn ein menschliches Organ nachzuweisen als für den Tonsinn das Gehörorgan, so muß doch derjenige, der nun wirklich unser gesamtes Erfahrungsfeld analysieren kann, gewahr werden, daß wir innerhalb dieses Erfahrungsfeldes begrenzen müssen auf der einen Seite den Ton- und Lautsinn, den Klangsinn, und auf der andern Seite den Wortesinn. Und wiederum ein anderes ist es, innerhalb der Worte, innerhalb der Wortgestaltungen und innerhalb der Wortzusammenhänge namentlich, den Gedanken des andern wahrzunehmen. Und wiederum müssen wir unterscheiden zwischen dem Wahrnehmen des Gedankens des andern und dem eigentlichen Denken. Nur eben die grobe Art, wie heute Seelenerscheinungen betrachtet werden, die kommt nicht dazu, in dieser feineren Weise zu analysieren zwischen dem Denken, das wir als eine innere Tätigkeit unseres Seelenlebens entfalten, und der nach außen gerichteten Tätigkeit, die im Gedankenwahrnehmen des andern liegt. Gewiß, wir müssen, wenn der Gedanke des andern wahrgenommen wird, um diesen Gedanken zu verstehen, um diesen Gedanken mit andern Gedanken, die wir auch schon gehegt haben, in Beziehung zu bringen, dann denken. Aber dieses Denken ist etwas völlig anderes als das Wahrnehmen des Gedankens des andern.

Dann aber, wenn wir alles das, was nun im Umkreise unserer Gesamterfahrung vorhanden ist, gliedern, analysieren in die Gebiete, die wirklich spezifisch voneinander verschieden sind und die doch wiederum eine gewisse innerliche Verwandtschaft so haben, daß wir sie als Sinne bezeichnen können, dann kommen wir zu den zwölf Sinnen des Menschen, die ich öfter angegeben habe. Heute ist ja eines der schwächsten Kapitel unserer gegenwärtigen Wissenschaft dasjenige, das vom physiologischen oder vom psychologischen Standpunkte die Sinne behandelt,

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denn im Grunde genommen wird von den Sinnen im Allgemeinen gesprochen.

Nun ist natürlich innerhalb des Sinnesgebietes der Gehörsinn zum Beispiel, sagen wir, radikal verschieden vom Gesichtssinn oder vom Geschmackssinn. Und wiederum, wenn man zu einem deutlichen Begreifen vom Gehörsinn oder vom Gesichtssinn kommt, dann muß man auch einen Wortesinn, einen Gedankensinn und einen Ichsinn unterscheiden. Die meisten Begriffe, die heute gangbar sind, wenn die Wissenschaft von den Sinnen spricht, sind eigentlich von dem Tastsinn genommen. Und unsere Philosophie hat es sich schon einmal angewöhnt, darauf eine ganze Erkenntnistheorie zu gründen, die eigentlich in nichts anderem besteht als in der Übertragung einiger Wahrnehmungen, die auf den Tastsinn bezüglich sind, auf das ganze Gebiet der Wahrnehmungsfähigkeit.

Wenn wir nun in Wirklichkeit analysieren das Gesamtgebiet, den Umkreis unserer äußeren Erlebnisse, die wir in ähnlicher Weise wahrnehmen, sagen wir, wie die Seherlebnisse oder wie die Tasterlebnisse oder wie die Wärmeerlebnisse, dann kommen wir zu zwölf deutlich voneinander unterscheidbaren Sinnen, die ich ja früher öfter in folgender Weise aufgezählt habe: erstens der Ichsinn, der, wie gesagt, zu unterscheiden ist von dem Bewußtsein des eigenen Ich; mit Ichsinn wird nichts anderes bezeichnet als die Fähigkeit, das Ich des andern wahrzunehmen. Das zweite ist der Gedankensinn, das dritte ist der Wortesinn, das vierte ist der Gehörsinn, das fünfte ist der Wärmesinn, das sechste der Sehsinn, das siebente der Geschmackssinn, das achte der Geruchssinn, das neunte der Gleichgewichtssinn. Wer auf diesem Gebiete wirklich analysieren kann, der weiß, daß es ein ganz begrenztes Gebiet des Wahrnehmens gibt, ebenso wie das Gebiet des Sehens, ein begrenztes Gebiet, das uns einfach eine Empfindung davon vermittelt, daß wir als Mensch in einem gewissen Gleichgewichte stehen. Ohne daß ein Sinn uns vermitteln würde dieses Stehen im Gleichgewichte oder dieses Schweben und Tanzen im Gleichgewichte, ohne dies würden wir durchaus nicht unser Bewußtsein vollständig aufbauen können.

Dann ist der Bewegungssinn das nächste. Der Bewegungssinn ist die Wahrnehmung dessen, ob wir in Ruhe oder in Bewegung sind. Diese

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Wahrnehmung müssen wir genau ebenso in uns erleben, wie wir erleben unsere Gesichtswahrnehmung. Elftens der Lebenssinn, zwölftens der Tastsinn (siehe Zeichnung Seite 25).

Ichsinn

Gedankensinn

Wortesinn

Gehörsinn

Wärmesinn

Sehsinn

Geschmackssinn

Geruchssinn

Gleichgewichtssinn

Bewegungssinn

Lebenssinn

Tastsinn

Diese Gebiete, die ich Ihnen hier als Sinnesgebiete aufgeschrieben habe, man kann sie deutlich voneinander unterscheiden, und man kann zugleich in ihnen das Verwandte finden, daß wir uns wahrnehmend durch diese Sinne verhalten. Es ist unser Verkehr mit der Außenwelt, unser erkennender Verkehr mit der Außenwelt, den uns diese Sinne vermitteln; allerdings in einer sehr verschiedenen Weise mit Bezug auf die Außenwelt. Wir haben zunächst vier Sinne, die uns in zweifelloser Weise mit der Außenwelt verbinden, wenn ich das Wort zweifellos in diesem Falle gebrauchen darf; das sind: der Ichsinn, der Gedankensinn, der Wortesinn und der Gehörsinn. Es wird Ihnen ohne weiteres klar sein, daß wir mit unserem ganzen Erleben gewissermaßen in der Außenwelt sind, wenn wir das Ich eines andern wahrnehmen, ebenso wenn wir die Gedanken oder die Worte eines andern wahrnehmen. Nicht so einleuchtend könnte das sein in bezug auf den Gehörsinn; aber das kommt ja nur davon her, weil man in einer Art abstrakter Anschauung über alle Sinne so eine gemeinsame Begriffsnuance ausgegossen hat, die eben ein gemeinsamer Begriff, eine gemeinsame Idee eines Sinneslebens sein soll, und man nicht eigentlich das Spezifische

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der einzelnen Sinne ins Auge faßt. Natürlich kann man diese Dinge nicht, ich möchte sagen, im äußeren Experimente auf ihre Begriffe bringen, sondern dazu ist schon notwendig, daß man eben die Fähigkeit des Anfühlens der Erlebnisse hat.

Das gewöhnliche Denken befaßt sich ja zum Beispiel gar nicht damit, wie das Hören dadurch, daß der Vermittler des Hörens die bewegte Luft, also ein Physisches ist, im Grunde genommen uns unmittelbar in die Außenwelt hinausbringt. Und wenn Sie einfach ins Auge fassen, wie sehr äußerlich der Gehörsinn eigentlich gegenüber unserem ganzen organischen inneren Erleben ist, so werden Sie bald darauf kommen, daß Sie den Gehörsinn in dieser Weise anders fassen müssen als zum Beispiel den Sehsinn. Beim Sehsinn wird man einfach aus der Betrachtung des Organs, des Auges, bald ersehen können, wie dasjenige, was da vermittelt wird, doch in einem hohen Maße ein innerer Vorgang, wenigstens relativ ein innerer Vorgang ist. Wir schließen das Auge, wenn wir schlafen, wir schließen das Ohr nicht, wenn wir schlafen. In solchen Dingen, die scheinbar triviale, einfache Tatsachen sind, drückt sich aber tief Bedeutsames für das ganze Leben des Menschen aus. Und wenn wir beim Schlafen genötigt sind, unser Inneres abzuschließen, weil wir nicht wahrnehmen sollen durch das Sehen, so sind wir eben nicht genötigt, unser Ohr abzuschließen, weil das in einer ganz andern Weise in der Außenwelt drinnen lebt als das Auge. Das Auge ist viel mehr Bestandteil unseres Inneren. Die Sehwahrnehmung ist viel mehr nach innen gerichtet als die Gehörwahrnehmung. Nicht die Empfindung des Gehörten, das ist ja etwas anderes. Die Empfindung des Gehörten, die dem Musikalischen zugrunde liegt, das ist etwas anderes als der eigentliche Gehörvorgang.

Diese Sinne nun, die im wesentlichen, ich möchte sagen, das Außere und das Innere vermitteln, das sind ausgesprochen äußere Sinne (siehe Zeichnung Seite 25). Diejenigen Sinne, die sozusagen auf der Kippe stehen zwischen Außerem und Innerem, die ebenso äußeres wie inneres Erleben sind, das sind die vier nächsten Sinne: der Wärmesinn, der Sehsinn, der Geschmackssinn, der Geruchssinn. Versuchen Sie nur einmal die ganze Summe der Erlebnisse, die durch einen dieser Sinne gegeben ist, sich vor Augen zu führen, und Sie werden sehen, wie da auf

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der einen Seite bei all diesen Sinnen ein Miterleben mit der Außenwelt vorhanden ist, aber zu gleicher Zeit ein Erleben im eigenen Inneren. Wenn Sie Essig trinken, also Ihr Geschmackssinn in Betracht kommt, haben Sie ganz gewiß auf der einen Seite ein inneres Erlebnis mit dem Essig und auf der andern Seite ein Erlebnis, das nach außen gerichtet ist, das man vergleichen kann mit dem Erleben eines äußeren Ich zum Beispiel oder der Worte. Aber es würde sehr schlimm sein, wenn man in demselben Sinne ein subjektives, ein inneres Erlebnis, sagen wir, dem Anhören der Worte beimischen würde. Denken Sie sich einmal, wenn Sie Essig trinken, Sie verziehen das Gesicht; das deutet Ihnen ganz klar an, daß Sie da ein inneres Erlebnis mit dem äußeren Erlebnis haben, daß äußeres Erlebnis und inneres Erlebnis ineinanderschwimmen. Würde dasselbe bei den Worten der Fall sein, wenn Ihnen zum Beispiel einer eine Rede hielte und Sie in derselben Weise innerlich miterleben müßten wie beim Essigtrinken oder beim Moselweintrinken oder dergleichen, dann würden Sie ja niemals in einer objektiven Weise sich über die Worte klar sein, die der andere Ihnen sagt. In demselben Maße, wie Sie beim Essig ein unangenehmes und beim Moselwein ein angenehmes inneres Erlebnis haben, in demselben Maße tingieren Sie ein äußeres Erlebnis. Dieses äußere Erlebnis dürfen Sie nicht tingieren, wenn Sie wahrnehmen, sagen wir, die Worte des andern. Man kann sagen: Hier sieht man das Hereinragen des Moralischen in dem Augenblicke, wo man die Dinge im rechten Lichte sieht. - Denn es gibt allerdings Menschen, die namentlich in bezug auf den Ichsinn, aber auch in bezug auf den Gedankensinn sich so verhalten, daß man sagen kann, die Menschen stecken so stark in ihren mittleren Sinnen, im Wärmesinn, Sehsinn, Geschmackssinn und Geruchssinn drinnen, daß sie auch die andern Menschen oder deren Gedanken so beurteilen. Dann hören sie aber gar nicht die Gedanken oder die Worte des andern, sondern sie nehmen sie so wahr, wie zum Beispiel eben, sagen wir, Moselwein oder Essig oder irgendein anderes Getränk oder eine Speise wahrgenommen wird.

Hier sehen wir, wie etwas Moralisches einfach aus einer sonst ganz amoralischen Betrachtungsweise sich ergibt. Nehmen Sie zum Beispiel einen Menschen, bei dem der Gehörsinn, namentlich aber der Worte

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sinn, der Gedankensinn und der Ichsinn schlecht ausgebildet sind. Ein solcher Mensch lebt gewissermaßen, sagen wir, ohne Kopf, das heißt, er gebraucht seine Kopfsinne auch in einer ähnlichen Weise, wie die mehr schon dem Animalischen zugeneigten Sinne. Das Tier kann nicht in dieser Weise objektiv wahrnehmen, wie es objektiv-subjektiv wahrnehmen kann durch Wärmesinn, Sehsinn, Geschmackssinn, Geruchssinn. Das Tier riecht: Sie können sich vorstellen, daß das Tier in sehr geringem Maße objektiv dasjenige sich vergegenständlichen kann, was ihm entgegentritt, sagen wir zum Beispiel beim Geruchssinn. Es ist in hohem Grade ein subjektives Erlebnis. Nun, natürlich haben ja alle Menschen auch Gehörsinn, Wortesinn, Gedankensinn, Ichsinn; aber diejenigen, die mehr sich hineinlegen mit ihrer ganzen Organisation in den Wärmesinn und Sehsinn, namentlich aber in den Geschmacks- oder gar Geruchssinn, die verändern alles nach ihrem subjektiven Geschmack oder nach ihrem subjektiven Riechen der Umgebung. Nicht wahr, solche Dinge kann man ja täglich im Leben wahrnehmen. Wenn Sie ein Beispiel haben wollen, so können Sie ja nur beachten, wie es Menschen gibt, die gar nichts objektiv wahrnehmen können, sondern alles so wahrnehmen, wie man sonst nur durch Geschmacks- und Geruchssinn wahrnimmt. Das können Sie in der neuesten Broschüre des Pfarrers Kully wahrnehmen. Der ist gar nicht imstande, Worte oder Gedanken des andern aufzufassen, er faßt alles so auf, wie man Wein trinkt, oder Essig trinkt, oder irgendeine Speise ißt. Da wird alles subjektives Erlebnis. In demselben Sinne wird es unmoralisch, indem man die höheren Sinne hinunterrückt zum Charakter der niederen Sinne. Es gibt eben durchaus die Möglichkeit, die Moral in Zusammenhang zu bringen mit der ganzen Weltanschauung, während in der Gegenwart das Zerstörerische, das unsere ganze Zivilisation Untergrabende darin liegt, daß man keine Brücke zu schlagen weiß zwischen dem, was man Naturgesetzlichkeit nennt und was man moralisch nennt.

Wenn wir nun zu den nächsten vier Sinnen kommen, zu dem Gleichgewichtssinn, Bewegungssinn, Lebenssinn und Tastsinn, so kommen wir zu ausgesprochen inneren Sinnen. Wir haben es da zunächst mit ausgesprochen inneren Sinnen zu tun. Denn das, was uns der Gleichgewichtssinn übermittelt, ist unser eigenes Gleichgewicht, was uns der

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Bewegungssinn übermittelt, ist der Zustand der Bewegung, in dem wir sind. Unser Lebenszustand ist dieses allgemeine Wahrnehmen, wie unsere Organe funktionieren, ob sie unserem Leben förderlich sind oder abträglich sind und so weiter. Beim Tastsinn könnte es täuschen; dennoch aber, wenn Sie irgend etwas betasten, so ist das, was Sie da als Erlebnis haben, ein inneres Erlebnis. Sie fühlen gewissermaßen nicht die Kreide, sondern Sie fühlen die zurückgedrängte Haut, wenn ich mich grob ausdrücken darf; der Vorgang ist natürlich viel feiner zu charakterisieren. Es ist die Reaktion Ihres eigenen Inneren auf einen äußeren Vorgang, der da im Erlebnis vorliegt, der in keinem andern Sinneserlebnis in derselben Weise vorliegt wie im Tasterlebnis.

Nun aber wird allerdings diese letztere Gruppe der Sinne durch etwas anderes modifiziert. Da müssen Sie sich erinnern an etwas, das ich vor einigen Wochen hier gesagt habe. Nehmen Sie den Menschen in bezug auf das, was durch diese letzten vier Sinne wahrgenommen wird; es sind, trotzdem wir die Dinge wahrnehmen - unsere eigene Bewegung, unser eigenes Gleichgewicht -, es sind, trotzdem wir das, was wir wahrnehmen, auf entschieden subjektive Weise nach innen hin wahrnehmen, dennoch aber Vorgänge, die ganz objektiv sind. Das ist das Interessante an der Sache. Wir nehmen diese Dinge nach innen hin wahr, aber was wir da wahrnehmen, sind ganz objektive Dinge, denn es ist im Grunde genommen physikalisch gleichgültig, ob, sagen wir, ein Holzklotz sich bewegt oder ein Mensch, ob ein Holzklotz im Gleichgewicht ist oder ein Mensch. Für die äußere physische Welt in ihrer Bewegung ist der sich bewegende Mensch ganz genau ebenso zu betrachten wie ein Holzklotz; ebenso mit Bezug auf das Gleichgewicht. Und wenn Sie den Lebenssinn nehmen, so ist es zunächst allerdings nicht in bezug auf die äußere Welt - scheinbar allerdings nur -, aber es ist so, daß das, was unser Lebenssinn übermittelt, ganz objektive Vorgänge sind. Stellen Sie sich vor einen Vorgang in einer Retorte: er verläuft nach gewissen Gesetzen, kann objektiv beschrieben werden. Das, was der Lebenssinn wahrnimmt, ist ein solcher Vorgang, der nach innen gelegen ist. Ist er in Ordnung, dieser Vorgang, ganz als objektiver Vorgang, so übermittelt Ihnen dieses der Lebenssinn, oder ist er nicht in Ordnung, so überliefert Ihnen der Lebenssinn auch das. Wenn auch der

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Vorgang in Ihrer Haut eingeschlossen ist, der Lebenssinn übermittelt es. Ein objektiver Vorgang ist schließlich gar nichts, was zunächst mit dem Inhalt Ihres Seelenlebens einen besonderen Zusammenhang hat. Und ebenso beim Tastsinn; es ist immer eine Veränderung in der ganzen organischen Struktur, wenn wir wirklich tasten. Unsere Reaktion ist eine organische Veränderung in unserem Inneren. Wir haben also durchaus in dem, was wir mit diesen vier Sinnen gegeben haben, eigentlich ein Objektives gegeben, ein solches, was uns als Menschen so in die Welt hineinstellt, wie wir im Grunde genommen als objektive Wesen sind, die auch in der Sinneswelt äußerlich gesehen werden können.

So daß wir sagen können, es sind ausgesprochen innere Sinne, aber dasjenige, was wir durch sie wahrnehmen, ist an uns genauso wie das, was wir äußerlich in der Welt wahrnehmen. Ob wir schließlich einen Holzklotz in Bewegung setzen, oder ob der Mensch in äußerer Bewegung ist, darauf kommt es nicht an für den physikalischen Fortgang der Ereignisse. Der Bewegungssinn ist nur da, damit das, was in der Außenwelt geschieht, auch zu unserem subjektiven Bewußtsein kommt, wahrgenommen wird.

Sie sehen also, richtig subjektiv sind gerade die ausgesprochen äußeren Sinne. Die müssen dasjenige, was durch sie wahrgenommen wird, im ausgesprochenen Sinne in unsere Menschlichkeit hereinbefördern. Ich möchte sagen, ein Hin- und Herpendeln zwischen Außen- und Innenwelt stellt die mittlere Gruppe der Sinne dar, und ein ausgesprochenes Miterleben von etwas, was wir sind, indem wir der Welt angehören, nicht uns, ist uns durch die letzte Gruppe der Sinne übermittelt.

Diese Betrachtung könnte man sehr ausdehnen. Man würde vieles finden, was charakteristisch ist für den einen oder für den andern Sinn. Man muß sich eben nur bekanntmachen mit dem Gedanken, daß die Sinneslehre nicht so behandelt werden darf, daß man nur die Sinne beschreibt nach den gröberen Sinnesorganen, sondern nach der Analyse des Erlebnisfeldes. Es ist nämlich gar nicht richtig, daß zum Beispiel für den Wortesinn ein abgetrenntes Organ nicht vorhanden ist; es ist nur von der gewöhnlichen materialistischen Physiologie heute nicht in demselben Sinne in seiner Abgrenzung erforscht wie, sagen wir, das Gehörorgan. Oder der Gedankensinn, er ist auch da, aber er ist

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nicht in demselben Stil erforscht wie, sagen wir, der Sehsinn oder dergleichen.

Wenn wir so den Menschen übersehen, dann wird es uns stark auffallen müssen, wie eigentlich dasjenige Leben, das wir im gewöhnlichen Wortsinn Seelenleben nennen, gebunden ist an, sagen wir also, die höheren Sinne. Wir können fast nicht weiter gehen, als vom Ichsinn bis zum Sehsinn, wenn wir den Inhalt dessen, was im gewöhnlichen Wortsinn Seelenleben genannt ist, umfassen wollen. Vergegenwärtigen Sie sich alles das, was Sie durch Ichsinn, Gedankensinn, Wortesinn, Lautsinn, Wärmesinn, Sehsinn haben, dann werden Sie ungefähr den Umfang dessen haben, was Sie seelisches Leben nennen. Es ragt eben aus diesen ausgesprochen äußeren Sinnen, von den Eigenschaften dieser ausgesprochen äußeren Sinne noch etwas hinein in den Wärmesinn, von dem wir im Seelenleben viel mehr abhängig sind, als wir gewöhnlich denken. Der Sehsinn hat ja eine ungeheuer weite Bedeutung für das gesamte Seelen leben. Aber wir dringen schon in das Animalische hinunter mit dem Geschmackssinn, mit dem Geruchssinn, und dringen völlig in unsere Körperlichkeit hinunter mit dem Gleichgewichtssinn, Bewegungssinn, Lebenssinn und so weiter. Die nehmen gewissermaßen schon ganz nach innen hin wahr, als dasjenige, was nicht mehr unserem Seelenleben angehört.

Wollten wir schematisch unser menschliches Wesen zeichnen, so müßten wir so zeichnen: Wir müßten sagen, wir umfassen das obere Gebiet, und darinnen, in diesem oberen Gebiete, da ruht unser eigentliches Innenleben (gelb). Dieses Innenleben kann ja gar nicht da sein, wenn wir nicht gerade diese äußeren Sinne haben. Was wären wir als ein Mensch, der keine andern Iche neben sich hätte? Was wären wir als ein Mensch, der niemals Worte, Gedanken und so weiter vernommen hätte? Malen Sie sich das nur aus. Dagegen dasjenige, was dann vom Geschmackssinn nach abwärts liegt, das nimmt nach innen hin wahr, das vermittelt zunächst Vorgänge nach innen (rot). Aber die werden ja immer unklarer und unklarer. Gewiß, der Mensch muß ein ganz deutliches Wahrnehmen haben seines eigenen Gleichgewichtes, sonst würde er ohnmächtig und umfallen. Ohnmächtig umfallen bedeutet für den Gleichgewichtssinn nichts anderes, als blind werden für die Augen.

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Nun aber, es wird undeutlich, was diese Sinne vermitteln. Der Geschmackssinn, der entwickelt sich, ich möchte sagen, noch gewissermaßen an der Oberfläche, da ist ein deutliches Bewußtsein von diesem Geschmackssinn vorhanden. Aber obwohl unser ganzer Körper, wenigstens mit Ausnahme des Gliedmaßenorganismus - aber auch eigentlich der -, obwohl unser ganzer Körper s`chmeckt, sind ja die wenigsten Menschen in der Lage, die verschiedenen Speisen noch im Magen zu schmecken, weil nach dieser Richtung heute doch, ja, wie soll ich jetzt sagen, Zivilisation oder Kultur, oder soll ich auch sagen Feinschmeckerei, nicht so weit ausgebildet ist. Die wenigsten Menschen können noch im Magen die verschiedenen Speisen schmecken. Sie schmecken sie gerade noch in den übrigen Organen. Aber wenn sie einmal im Magen sind, dann ist es den meisten Menschen ganz einerlei, wie sie sind, trotzdem unterbewußt der Geschmackssinn sich durch den ganzen Verdauungstrakt in sehr deutlicher Weise fortsetzt. Der ganze Mensch schmeckt im Grunde genommen dasjenige, was er zu sich nimmt, aber es stumpft sehr bald ab, wenn sich das Gegessene dem Körper mitteilt. Der ganze Mensch entwickelt durch seinen Organismus hindurch den Geruchssinn, das passive Verhalten zu den riechenden Körpern. Dieses konzentriert sich wiederum nur, ich möchte sagen, auf das allerober

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flächlichste, während eigentlich der ganze Mensch ergriffen wird von einer riechenden Blume oder von irgendeinem andern riechenden Stoff und so weiter. Gerade wenn man dieses weiß, wie der Geschmackssinn und der Geruchssinn den ganzen Menschen durchdringen, dann weiß man auch, was in diesem Erlebnis des Riechens, des Schmeckens enthalten ist, wie sich das fortsetzt nach dem Inneren des Menschen, und man kommt ganz ab von jeder Art materialistischer Auffassung, wenn man weiß, was Schmecken zum Beispiel heißt. Und ist man sich klar darüber, daß dieser Schmeckensvorgang durch den ganzen Organismus geht, dann ist man nicht mehr imstande, so bloß chemiehaft den weiteren Verdauungsvorgang zu schildern, wie er von der heutigen materialistischen Wissenschaft geschildert wird.

Aber auf der andern Seite läßt sich ja nicht leugnen, daß ein gewaltiger Unterschied ist zwischen dem, was ich hier gelb bezeichnet habe, und dem, was ich hier schematisch rot bezeichnet habe: ein gewaltiger Unterschied zwischen dem Inhalt, den wir haben in unserem Seelen- leben durch den Ichsinn, Wortesinn und so weiter, und den Erlebnissen, die wir durch Geschmacks-, Geruchs-, Bewegungs-, Lebenssinn und so weiter haben. Es ist ein gewaltiger, ein radikaler Unterschied. Und zwar werden Sie diesen Unterschied am besten einsehen, wenn Sie sich klarmachen, wie Sie aufnehmen, was Sie in sich selbst erleben, wenn Sie, sagen wir, die Worte eines andern Menschen anhören, oder wenn Sie einem Klang zuhören; was Sie da in sich selbst erleben, hat doch zunächst gar keine Bedeutung, also für sich, für den äußeren Vorgang gar keine Bedeutung. Was schert sich die Glocke darum, daß Sie sie hören! Da ist nur eben eine Verbindung zwischen Ihrem inneren Erlebnis und dem Vorgang, der sich in der Glocke abspielt, insofern Sie zuhören.

Dasselbe können Sie nicht sagen, wenn Sie den objektiven Vorgang beim Schmecken ins Auge fassen oder beim Riechen oder gar, sagen wir, beim Tasten. Da liegt durchaus ein Weltenvorgang vor. Was da in Ihrem Organismus vorgeht, das können Sie nicht trennen von demjenigen, was sich in Ihrer Seele abspielt. Sie können nicht sagen in diesem Falle wie bei der Glocke: Was schert sich die Glocke, die da klingt, darum, ob Sie ihr zuhören! - So können Sie nicht sagen: Was schert

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sich dasjenige, was auf der Zunge vorgeht, wenn Sie Essig trinken, um dasjenige, was Sie erleben! - Das können Sie nicht so sagen, da herrscht ein inniger Zusammenhang. Da ist das, was objektiver V6rgang ist, eins mit dem subjektiven Vorgang.

Die Sünden, die auf diesem Gebiete von der modernen Physiologie gemacht werden, streifen geradezu ans Unerhörte aus dem Grunde, weil man wirklich solch einen Vorgang, wie zum Beispiel das Schmekken, in einer ähnlichen Weise der Seele gegenüberstellt wie, sagen wir, das Sehen oder das Hören. Und es gibt philosophische Abhandlungen, die einfach ganz im allgemeinen von sinnlichen Qualitäten und ihrem Verhältnis zur Seele sprechen. Locke, selbst Kant, sie sprechen im allgemeinen von einem Verhältnis der sinnlichen Außenwelt zu der menschlichen Subjektivität, während etwas ganz anderes vorliegt für alles das, was vom Sehsinn nach aufwärts verzeichnet ist, und in dem, was vom Geschmackssinn nach abwärts verzeichnet ist. Es ist unmöglich, diese beiden Gebiete mit einer einzigen Lehre zu umfassen. Und da man es getan hat, ist diese ungeheure Verwirrung in der Erkenntnistheorie heraufgezogen, die etwa seit Hume oder Locke oder noch früher die modernen Begriffe geradezu verwüstet hat bis herauf in die moderne Physiologie. Denn man kann auf die Natur und das Wesen der Vorgänge nicht kommen, und damit auch nicht auf das Wesen des Menschen, wenn man in dieser Weise nach vorgefaßten Begriffen, ohne eine unbefangene Beobachtung, die Dinge verfolgt.

Wir müssen uns also klar sein, daß, indem wir so den Menschen vor uns hinstellen, wir auf der einen Seite deutlich ein nach innen gerichtetes Leben haben, das der Mensch für sich lebt, indem er einfach wahr- nehmend sich zur Außenwelt verhält. Auf der andern Seite nimmt er allerdings auch wahr, aber mit dem, was er wahrnimmt, stellt er sich in die Welt hinein. Es ist, wenn ich mich etwas radikal ausdrücke, zum Schluß wiederum so, daß man sagen muß: Dasjenige, was auf meiner Zunge vorgeht, indem ich schmecke, das ist ganz als objektiver Vorgang in mir; indem er sich in mir abspielt, ist das ein Weltenvorgang. Während ich nicht sagen kann, daß dasjenige, was als Bild in mir ersteht durch das Sehen, zunächst ein Weltenvorgang ist. Es könnte wegbleiben, und die ganze Welt wäre so, wie sie ist. Dieser Unterschied

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zwischen dem oberen Menschen und dem unteren Menschen, der muß durchaus festgehalten werden. Wenn man ihn nicht festhält, dann wird man auf gewisse Richtungen gar nicht kommen können.

Wir haben mathematische Wahrheiten, geometrische Wahrheiten. Ein oberflächliches Menschenbetrachten denkt: Nun ja, der Mensch nimmt aus seinem Kopfe oder irgendwo heraus - nicht wahr, so bestimmt sind ja die Vorstellungen nicht, die man sich da macht - die Mathematik. - Aber das ist ja nicht so. Diese Mathematik kommt aus ganz andern Gebieten. Und wenn Sie den Menschen betrachten, so haben Sie ja die Gebiete gegeben, aus denen das Mathematische kommt: Es ist der Gleichgewichtssinn, es ist der Bewegungssinn. Aus solchen Tiefen herauf kommt das mathematische Denken, bis zu denen wir nicht mehr hinreichen, hinuntergehen mit unserem gewöhnlichen Seelenleben. Unter unserem gewöhnlichen Seelenleben lebt dasjenige, was uns heraufbefördert, was wir in mathematischen Gebilden entfalten. Und so sehen wir, daß das Mathematische eigentlich wurzelt in dem, was in uns zugleich kosmisch ist. Wir sind ja wirklich subjektiv nur mit dem, was vom Sehsinn hier nach aufwärts liegt; mit dem, was da hinunter liegt, wurzeln wir in der Welt. Wir sind darinnen in der Welt; mit dem, was aber darunter liegt, sind wir wie ein Holzklotz, ebenso wie die ganze übrige Außenwelt. Wir können daher niemals sagen, daß zum Beispiel die Raumlehre irgend etwas Subjektives haben könnte, denn sie entspringt aus dem in uns, worinnen wir selber objektiv sind. Es ist genau derselbe Raum, den wir durchmessen, wenn wir gehen und den uns unsere Bewegungen vermitteln, genau derselbe Raum, den wir dann, wenn wir ihn im Bilde aus uns herausgebracht haben, auf das Angeschaute verwenden. Vom Raume kann auch nicht die Rede sein, daß er irgendwie etwas Subjektives sein könnte, denn er entspringt nicht jenem Gebiete, aus dem das Subjektive entspringt.

Eine solche Betrachtungsweise, wie ich sie jetzt angestellt habe, liegt einfach allem Kantianismus ganz fern, weil der Kantianismus diese radikale Unterscheidung nicht kennt zwischen diesen zwei Gebieten im menschlichen Leben. Er weiß nicht, daß der Raum nichts Subjektives sein kann, weil der Raum aus dem Gebiete im Menschen entspringt, das an sich objektiv ist, demgegenüber wir uns objektiv

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verhalten. Wir sind nur anders mit ihm verbunden als mit der Außenwelt, aber es ist Außenwelt, richtige Außenwelt, und wird vor allen Dingen jede Nacht Außenwelt, indem wir uns mit unserer Subjektivität, dem Ich und astralischen Leib, schlafend zurückziehen.

Es ist notwendig, daß man einsieht: Es nützt nichts, möglichst viele äußere Tatsachen zusammenzutragen zu einer angeblichen Wissenschaft, die dann die Kultur weiter fördern soll, wenn innerhalb des Vorstellens und des Begreifens der Welt ganz konfuse Begriffe existieren, wenn über die wichtigsten Dinge keine klaren Begriffe existieren. Und das ist dasjenige, was wir als eine unbedingte Aufgabe jetzt vor uns haben, wenn den Niedergangskräften entgegengearbeitet und zu Aufgangskräften hingearbeitet werden soll: daß wir einsehen, wie es vor allen Dingen notwendig ist, zu klaren, nicht verschwommenen, sondern zu klaren Begriffen zu kommen. Man muß schon durchaus einsehen, daß das Ausgehen von Begriffen, das Ausgehen von Definitionen gar nichts bedeutet, sondern das vorurteilsfreie Anschauen der Tatsachengebiete.

Kein Mensch hat das Recht, zum Beispiel das Sehgebiet als etwas zu begrenzen, das er dann als ein Sinnesgebiet charakterisiert, wenn er nicht zugleich, sagen wir, das Gebiet der Wortewahrnehmung als ein ebensolches Gebiet absondert. Versuchen Sie es nur einmal, sich das Gebiet der gesamten Erfahrung so zu gliedern, wie ich das nun schon öfters gemacht habe, und Sie werden sehen, daß Sie sich nicht sagen dürfen: Wir haben Augen, also haben wir einen Sehsinn, und wir betrachten den Sehsinn. - Sondern Sie werden sich sagen müssen: Gewiß, das hängt mit irgend etwas zusammen, daß das Sehen so ausgesprochen physisch-sinnliche Organe hat; aber das berechtigt nicht, das Gebiet der Sinne auf dasjenige zu beschränken, in dem deutlich wahrnehmbare physische Organe vorhanden sind. - Dabei kommen wir noch lange nicht auf irgendeine höhere Anschauung, sondern wir kommen nur auf das, was im gewöhnlichen Menschenleben spielt. Auf das Wichtige kommen wir, daß wir wirklich unterscheiden müssen zwischen dem, was im Menschen subjektiv ist, was im Menschen inneres Seelenleben ist, und worinnen der Mensch eigentlich schläft. Ein kosmisches Wesen ist der Mensch zum Beispiel in bezug auf alles das, was seine

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Sinne vermitteln; da ist er ein kosmisches Wesen. Sie wissen nichts davon in Ihrem gewöhnlichen Seelenleben, was da vorgeht, wenigstens nicht ohne höhere Anschauung, wenn Sie Ihren Arm bewegen. Das ist Willensentwickelung. Es ist ein Vorgang, der ebenso außer Ihnen liegt wie irgendein anderer äußerer Vorgang. Trotzdem ist er mit Ihnen innig verbunden. Aber er liegt außer Ihrem Seelenleben. Dagegen kann keine Vorstellung da sein, ohne daß wir mit unserem Bewußtsein dabei sind. Sie bekommen daher, wenn Sie diese drei Gebiete gliedern, auch noch ein anderes.

Bei allem, was Ihr Ichsinn, Ihr Gedankensinn, Ihr Wortesinn und Ihr Gehörsinn Ihnen vermitteln, indem diese Vermittelungen zum Seelenleben werden, bekommen Sie ja im eminentesten Sinne alles dasjenige, was vorstellungsverwandt ist. In eben demselben Sinne ist alles, was Wärmesinn, Sehsinn, Geschmacks-, Geruchssinn betrifft, gefühlsverwandt. Bei einigem ist es nicht ganz auffällig, wie beim Sehsinn. Beim Geschmacks-, Geruchs- und Wärmesinn ist es auffällig, aber beim Sehsinn wird derjenige, der genauer darauf eingeht, das auch finden. Dagegen alles das, was mit Gleichgewichtssinn, Bewegungssinn, Lebenssinn zusammenhängt und auch mit dem Tastsinn, obwohl es da schwerer zu bemerken ist, weil der Tastsinn sich ins Innere zurückzieht, alles das ist willensverwandt. Im menschlichen Leben ist eben alles miteinander verwandt und doch alles wiederum metamorphosiert.

So habe ich versucht, Ihnen heute zusammenfassend dasjenige, was ich bei den verschiedensten Gelegenheiten ausgeführt habe, noch einmal zu sagen, damit wir dann die morgige und übermorgige Betrachtung daranschließen können.

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FÜNFZEHNTER VORTRAG Dornach, 23. Juli 1921

#G206-1991-SE026 Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist

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FÜNFZEHNTER VORTRAG

Dornach, 23.Juli 1921

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Ich habe gestern versucht, gewissermaßen den Schnitt zu ziehen zwischen jenen Sinneserlebnissen, die dem oberen Menschen, wenn ich so sagen darf, angehören, die das eigentliche Seelenleben des Menschen konstituieren, und denjenigen Sinneserlebnissen, die mehr einem unteren Menschen angehören, deren Inhalt gewissen-aßen der menschlichen Bewußtheit in ähnlicher Weise gegenübersteht wie eigentlich äußere Erlebnisse, nur daß sie eben sich im Inneren des Menschen abspielen. Wir haben gesehen, daß zu den Sinneserlebnissen der ersteren Art diejenigen des Ichsinnes, des Gedankensinnes, des Wortesinnes, des Gehörsinnes, des Wärmesinnes und des Sehsinnes gehören, und wir haben gesehen, daß wir in zwei Regionen eintauchen, in denen der Mensch im wesentlichen seine inneren Erlebnisse gleichartig den äußeren Erlebnissen im Bewußtsein hat, indem wir den Geschmackssinn, Geruchssinn und die andern, die eigentlich inneren Sinne haben. Sie sehen schon, indem man über ein solches Thema redet, wie schwierig es ist, mit jenen gröberen Ausdrücken zu hantieren, die für die Charakteristik der Außenwelt ja ganz gut anwendbar sind, die aber natürlich sofort versagen, wenn man die menschliche Wesenheit selbst und das Innere des Weltengefüges in Betracht zieht.

Jedenfalls aber kann demjenigen, der sich ganz klarmacht diesen Unterschied des oberen und des unteren Menschen, die ja beide in einer gewissen Weise das Weltgeschehen repräsentieren, auch klarwerden, wie durch unser Erleben ein Schnitt geht, wie wir in einer ganz verschiedenen Art gewissermaßen den einen Pol unseres Erlebens gegenüberstellen dem andern Pol. Ohne daß man sich gewissenhaft befaßt mit dieser Gliederung der menschlichen Wesenheit, wird man doch nicht in einer hinlänglichen Weise über das allerwichtigste Problem der Gegenwart und der nächsten Zukunft zur Klarheit kommen können, nämlich über das Problem: Wie steht es eigentlich mit dem Verhältnisse der moralischen Welt, innerhalb welcher wir mit unserer höheren menschlichen Natur doch leben, innerhalb welcher unsere menschliche

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und Weltverantwortlichkeit vorhanden ist, zu jener Welt, in die wir nun auch eingespannt sind, der Welt der Naturnotwendigkeit?

Wir wissen ja, daß in den letzten Jahrhunderten, seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, der menschliche Fortschritt namentlich darauf beruhte, daß die Vorstellungen ausgebildet worden sind, die sich auf die Naturnotwendigkeit beziehen. Weniger Aufmerksamkeit hat die Menschheit in diesen Jahrhunderten auf das andere Gebiet des menschlichen Erlebens verwendet, auf das Gebiet der moralischen Weltenordnung. Heute ist für jeden, der nur ein wenig die Zeichen der Zeit zu deuten versteht, der sich bekanntzumachen weiß mit den großen Aufgaben der Zeit, ohne weiteres klar, daß ein tiefer Spalt besteht zwischen dem, was moralische Notwendigkeit genannt wird und demjenigen, was natürliche Notwendigkeit genannt wird.

Dieser Spalt hat sich ja namentlich in der Weise aufgetan, daß eine große Anzahl von Menschen, die da glauben, im heutigen Geistesleben ganz drinnenzustehen, den Unterschied machen zwischen einem gewissen Gebiete des Erlebens, das vom Wissen, vom Erkennen umfaßt werden kann, und dem andern Gebiete des Erlebens, das nur vom Glauben umfaßt werden soll. Und Sie wissen ja, daß man auf gewissen Seiten als eigentlich wissenschaftlich nur gelten läßt, was man in strenge, wie man es so nennt, Naturgesetze bringen kann, daß man geradezu eine andere Art von Gewißheit statuieren will für alles das, was das Leben des Moralischen ist, und daß man für diese Gewißheit bloß eine Art von Glaubensgewißheit in Anspruch nimmt. Es gibt ausführliche Theorien über die notwendige Unterscheidung, die man machen müßte zwischen der eigentlich wissenschaftlichen Gewißheit und der Glaubensgewißheit.

Alle diese Unterscheidungen, alle diese Theorien beruhen ja im Grunde genommen darauf, daß man heute ein sehr geringes historisches Bewußtsein hat, daß man die Bedingungen, unter denen unsere gegenwärtigen Seeleninhalte zustande gekommen sind, sehr wenig berücksichtigt. Ich habe ja das klassische Beispiel dafür öfter angegeben. Ich habe Ihnen gesagt, wie heute zum Beispiel die Philosophen meinen, mit der Unterscheidung des Menschen in Leib und Seele etwas zu sagen, was auf irgendeiner ursprünglichen Beobachtung oder dergleichen be- ruht,

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während dasjenige, was die Menschen über die beiden Gebiete Leib und Seele denken, lediglich ein Ergebnis eines Konzilsbeschlusses ist, des Konzilsbeschlusses von 869, des achten Konzils, das zum Dogma erhoben hat den Lehrsatz: der Mensch dürfe nicht angesehen werden als bestehend aus Leib, Seele und Geist, sondern nur aus Leib und Seele, und der Seele dürften eben einige geistige Eigenschaften zugeschrieben werden.

Dieses Dogma ist in den folgenden Jahrhunderten immer mehr und mehr befestigt worden. In diesem Dogma haben namentlich die Philosophen des Mittelalters gelebt. Und als sich aus der mittelalterlichen Philosophie die neuere Philosophie herausgebildet hat, da glaubten die Leute aus ihren Erfahrungen heraus zu urteilen. Aber sie urteilten nur nach der Gewohnheit, die sie sich angeeignet haben in Gemäßheit dessen, was eben eine jahrhundertealte Gewohnheit geworden war: den Menschen als nur bestehend aus Leib und Seele anzunehmen.

Es ist dies das klassische Beispiel für manches, worinnen die heutige Menschheit steht, indem sie glaubt, ein unbefangenes Urteil zu haben, während das Urteil, das geäußert wird, nichts anderes ist als das Ergebnis eines historischen Vorganges. Man kommt auch nicht leicht zu einem wirklich maßgeblichen Urteil als lediglich durch das Überschauen von immer größeren und größeren historischen Zeiträumen.

Wer zum Beispiel nur das wissenschaftliche Denken der Gegenwart kennt, bei dem ist es ganz selbstverständlich, daß er nur dieses für maßgebend hält, daß er sich gar nicht denken kann, daß man auch irgendeine andere Art von Erkenntnis haben könne. Wer, sagen wir, zu diesem wissenschaftlichen Urteil der Gegenwart hinzu, das sich seit der Mitte des 15.Jahrhunderts etwa befestigt hat, noch ein wenig dasjenige kennt, was im früheren Mittelalter geltend war bis ins 4. nach- christliche Jahrhundert zurück, der wird etwa so urteilen, wie die besseren Neuscholastiker der Gegenwart über die Beziehungen des Menschen zur intellektuellen Welt urteilen; aber er wird keineswegs ein Urteil gewinnen können über etwas anderes als höchstens über das Verhältnis des Menschen zur Intellektualität, nicht aber ein Urteil über das Verhältnis des Menschen zur Geistigkeit. Denn er weiß nicht, daß, wenn man zurückgeht, sagen wir hinter Aristoteles, der ja 322 vor

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Christi Geburt gestorben ist, man, um überhaupt ein Verständnis zu gewinnen für die Art und Weise, wie die Menschen damals gedacht haben, sich selbst in eine ganz andere Geisteskonfiguration hinein- finden muß, als diejenige ist, die man etwa in der Gegenwart hat. Plato oder gar Heraklit oder Thales mit einer solchen Geistesverfassung verstehen zu wollen, wie man sie in der Gegenwart hat, ist eine Unmöglichkeit. Man versteht schon nicht einmal Aristoteles. Und wer etwas genauer die Diskussionen kennt, welche über die aristotelische Philosophie in der neueren Zeit gepflogen worden sind, der weiß, wie durch das Hin- und Herschreiben der Begriffe und Vorstellungen, die sich noch bei Aristoteles finden, unzählige Ungeklärtheiten entstanden sind, einfach weil man nicht berücksichtigt hat, daß in dem Augenblicke, wo man sich zum Beispiel zu Plato, der der Lehrer des Aristoteles war, zurückwendet, man schon eine ganz andere Geisteskonfiguration haben muß. Dann, wenn man von Plato vorwärtsschreitend an Aristoteles herantritt, dann wird man auch sehen, wie man die Logik des Aristoteles anders beurteilt, als wenn man sie gewissermaßen nur im Rückblick mit demjenigen anschaut, was man heute als Geistesverfassung aus der Kultur der Gegenwart heraus gewinnen kann.

Aristoteles hatte im wesentlichen, auch als er seine Logik aufstellte, die ja schon abstrakt genug ist, die schon genug intellektualisiert ist, Aristoteles hatte noch durchaus wenigstens ein äußeres Wissen, wenn auch nicht eine selbsteigene Anschauung - die wird ja bei Aristoteles wohl sehr spärlich gewesen sein -, aber er hatte noch ein deutliches Wissen, daß man einmal, wenn auch in instinktiver Art, in die geistige Welt hat hineinschauen können. Und für ihn waren die logischen Regeln die letzte Außerung, wenn ich so sagen darf, von oben, von der geistigenWelt aus.Also fürAristoteles war dasjenige, was er als logische Regeln oder als logische Grundbegriffe festsetzte, gewissermaßen der Schatten, der heruntergeworfen wird aus der geistigen Welt, die für Plato zum Beispiel noch eine gegebene Welt war, eine zu erlebende Welt, eine faktische Welt, eine bewußtseinsfaktische Welt.

Gewöhnlich wird eines nicht gesehen. Es werden nicht gesehen die großen, die gewaltigen Unterschiede, die für die einzelnen Menschheitsepochen bestehen. Wenn Sie die Jahre nehmen, sagen wir, etwa vom

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Tode des Aristoteles, 322 vor Christo, bis zum Konzil von Nicäa, 325 nach Christi Geburt, so haben Sie einen Zeitraum, dessen Erkenntnis äußerlich allerdings sehr schwierig ist, weil sich die Kirche ja hat an- gelegen sein lassen, alle Dokumente auszutilgen, die äußerlich ein einigermaßen entsprechendes Bild geben würden von der Seelenverfassung dieser drei vorchristlichen und drei nachchristlichen Jahrhunderte.

Man muß nur bedenken, daß zum Beispiel heute eine große Anzahl von Menschen eben einfach über die Gnosis sprechen. Wie kennen sie die Gnosis? Sie kennen sie aus den Schriften der Gegner. Mit Ausnahme ganz weniger und außerordentlich wenig charakteristischer gnostischer Schriften ist ja alles Gnostische ausgetilgt worden, und man hat nur dasjenige, was als Zitate eingefügt worden ist in gegnerische Schriften, in Schriften, die dazu bestimmt waren, die Gnosis zu widerlegen. Man hat ungefähr die Gnosis so, wie man die Anthroposophie haben würde, wenn man sie aus den Schriften des Pfarrers Kully kennenlernen würde; so hat man da die Gnosis. Und dennoch reden die Menschen aus dieser äußerlichen Erkenntnis über die Gnosis.

Nun war aber diese Gnosis ein wesentliches Element alles dessen, was das reale Geistesleben gerade der Jahrhunderte war, von denen ich gesprochen habe. Wir können heute selbstverständlich uns nicht etwa wiederum zur Gnosis zurückwenden. Aber diese Gnosis bildete namentlich für die europäische Entwickelung in dem genannten Zeitraume etwas außerordentlich Wichtiges.

Wie könnte man diese Gnosis eigentlich charakterisieren? So etwa, wie man im 4. nachchristlichen Jahrhundert von der Gnosis hat sprechen können, so hätte man natürlich, sagen wir, ein halbes Jahrtausend vorher nicht sprechen können. Denn ein halbes Jahrtausend vorher waren noch instinktive alte Schauungen da, Erkenntnisse der übersinnlichen Welt, und man mußte von diesen Erkenntnissen der übersinnlichen Welt so sprechen, daß man sie beschrieb. Man hatte gewissermaßen immer im Hintergrunde einer solchen Beschreibung die reale geistige Welt, die bewußtseinspräsent war. Das hörte auf.

Aristoteles zum Beispiel ist gerade dadurch charakterisiert, daß für ihn diese Welt völlig nur noch eine Tradition war. Vielleicht hat er, wie ich schon sagte, einiges davon gewußt, aber im wesentlichen war

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sie für ihn Tradition. Aber das, was aus diesen geistigen Welten heraus an Timbre die Begriffe gehabt haben, das war noch vorhanden, und das ging eigentlich erst zugrunde im 3., 4. nachchristlichen Jahrhundert.

Augustinus hatte nichts mehr von der Gnosis. Da war sie bereits verschwunden. Die Gnosis ist also wesentlich, sagen wir, der abstrakte Bodensatz einer früher spirituellen Erkenntnis, der abstrakte Bodensatz, die bloßen Begriffe. Es waren Abstraktionen, die da lebten. Man kann sie schon bei Pbilo als Abstraktionen erkennen. Man kann sie auch bei den eigentlichen Gnostikern als Abstraktionen erkennen. Aber es waren Abstraktionen von einer einmal geschauten geistigen Welt. Für die Leute des 4. nachchristlichen Jahrhunderts lag die Sache schon so, daß sie überhaupt nichts mehr anzufangen wußten mit den Begriffen, die der Inhalt der Gnosis waren. Daher jener im Grunde genommen ganz und gar nicht auf eine Formel zu bringende Streit zwischen dem Arianismus und Athanasianismus. Nicht wahr, wie da gestritten, diskutiert worden ist, ob der Sohn gleicher Natur und Wesenheit mit dem Vater oder verschiedener Natur und Wesenheit mit dem Vater ist, das bewegt sich auf einem Gebiete, wo man schon den eigentlichen Inhalt der alten Begriffe verloren hatte. Man diskutierte gewissermaßen nur mehr mit Worten, nicht mehr mit den Vorstellungen.

Das war der Übergang dazu, den reinen Intellektualismus immer mehr und mehr auszubilden, der dann eben in der Mitte des 15.Jahr- hunderts an die abendländische Menschheit herankam. Als dann dieser Intellektualismus auftauchte, da war die Logik etwas ganz anderes, als sie bei Aristoteles war. Bei Aristoteles war Logik gewissermaßen der Bodensatz spiritueller Erkenntnisse. Er hatte dasjenige gesammelt, was die Leute früher erfahren hatten aus der geistigen Welt heraus. Davon war nun jedes Bewußtsein verschwunden, und es war nur noch vorhanden das intellektuelle Element selber, das intellektuelle Element, das jetzt aber nicht sich als ein Bodensatz spiritueller Welten ausnahm, sondern als eine Abstraktion aus der Sinneswelt. Man nahm gewissermaßen dasjenige, was bei Aristoteles ein Ergebnis der Welten von oben war (rot), als Abstraktion der Welten von unten (blau). Und mit dieser Intellektualität gingen jetzt im wesentlichen die Menschen wie Kopernikus, Galilei, Kepler heran - Kepler hatte allerdings noch einige

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Intuitionen - und versuchten dasjenige anzuwenden, dessen spiritueller Ursprung verlorengegangen war; sie versuchten es anzuwenden auf die äußere natürliche Welt, auf die bloß natürliche Welt. So daß man sagen kann: Die Entwickelung vom 4. nachchristlichen Jahrhundert bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts ist im wesentlichen eine Art Schwangergehen der zivilisierten Menschheit mit dem nur von unten kommenden Intellektualismus,der dann voll herauskommt im 15.Jahr- hundert und sich dann immer mehr und mehr in der Anwendung des Verstandes auf die äußere Naturbeobachtung festlegt, bis er im 19. Jahrhundert seinen Höhepunkt in dieser Beziehung erlangt hat.

Nun, wenn Sie alles das nehmen, was ich gestern gesagt habe über Ichsinn, Gedankensinn, Wortesinn und so weiter, so werden Sie sich sagen: So, wie wir diese Sinne jetzt haben, wie wir das Ergebnis dieser Sinne jetzt erleben im gewöhnlichen menschlichen Bewußtsein, haben 'wir es ja im Grunde genommen nur mit Bildern zu tun, sonst könnten ja gar nicht fortwährend jene Diskussionen sich ergeben, die aus den Eigentümlichkeiten der gegenwärtigen Zeit heraus sich ergeben müssen. Ein wirkliches Verstehen des eigentlichen Seelenlebens ist ja im Grunde genommen zunächst verlorengegangen. Ein empirischer Beweis dafür ist, wie ich Ihnen öfter vorgeführt habe, die Art und Weise, wie Brentano gescheitert ist in dem Abfassen einer Psychologie, einer Seelenlehre, was er redlich vorgehabt hat. Die andern verfassen natürlich Seelenlehren, weil sie weniger redlich sind, weniger ehrlich sind; aber

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er wollte ganz ehrlich eine Seelenlehre mit Gehalt verfassen, und er kam zu keinem Gehalt, weil der Inhalt nur aus Geisteswissenschaft hätte kommen können, die er ablehnte. Daher blieb es bei dem Torso, indem er weniger von dem brachte, als er eigentlich bringen wollte. Es ist dieses ein tief bedeutsames historisches Faktum, dieses Scheitern des Brentano mit seiner Psychologie. Denn all das Jonglieren mit allerlei Begriffen und Vorstellungen, das heute unsere psychologische Wissenschaft ausführt, war natürlich für Brentano etwas Leeres.

Nun, dasjenige aber, was da Seelenleben ist als Ergebnis der sechs oberen Sinne, des Ichsinnes bis zum Sehsinn, alles das war einmal mit spirituellem Leben erfüllt. Und wir blicken zurück in alte Zeiten in Europa bis zu Plato; da war mit Spiritualität erfüllt, was nun immer leerer und leerer an Spiritualität wurde, was immer intellektualistischer und immer intellektualistischer wurde. Und wir kommen da auf der einen Seite zu alldem, was der Menschheit gewissermaßen in ihrer Entwickelung in der älteren Zeit gegeben war, in der Zeit, in der das Morgenland in bezug auf die menschliche Zivilisation der Erde tonangebend war. Da hatte man eine Zivilisation, die gegeben war diesem Seelenleben, diesem eigentlichen Seelenleben. So daß wir sagen können:

Ichsinn

Gedankensinn

Wortesinn

Lautsinn oder Tonsinn orientalische Kultur

Wärmesinn (oberer Mensch)

Sehsinn

Alle diese Sinne liefern Ergebnisse, die, wenn im Inneren der Seele spirituelles Leben ist, diesem spirituellen Leben Nahrung geben. Und was da die Menschheit entwickelt hat, das hat sie entwickelt in der alten orientalischen Kultur. Und Sie verstehen sie am besten, diese orientalische Kultur in ihrer Gesamtheit, wenn Sie sie so verstehen, wie ich es eben jetzt dargelegt habe.

Aber das ist gewissermaßen in dem Untergrund der Entwickelung der Zivilisation herangezogen. Das Seelenleben wurde zunächst - und das begann eben, wie gesagt, im 4. vorchristlichen Jahrhundert - entspiritualisiert,

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intellektualisiert. Die Abfassung der abstrakten Logik des Aristoteles war der erste Merkstein dieser Entspiritualisierung des menschlichen Seelenlebens, das Ausbilden der Gnosis das vollständige Hinunterdrängen dieses Seelenlebens. Nun bleibt der andere Mensch:

Geschmackssinn

Geruchssinn

Gleichgewichtssinn

Bewegungssinn okzidentalische Kultur

Lebenssinn (unterer Mensch)

Tastsinn

Und es begann nun eine Zivilisation, die sich im wesentlichen auf diese Sinne stützte. Wenn sie das auch zunächst nicht zugibt, sie stützt sich auf diese Sinne. Denn nehmen Sie jenen Wissenschaftsgeist, der herauf- kam, der überall Mathematik anwenden will. Mathematik kommt, wie ich gestern charakterisierte, aber aus Bewegungs- und Gleichgewichtssinn. Also selbst dasjenige, das am geistigsten vorbringt unsere moderne Wissenschaftlichkeit, das kommt vom unteren Menschen. Insbesondere aber wird mit dem Tastsinn gearbeitet, denn es werden ja sogar die andern Sinne dadurch charakterisiert, daß man ihnen überall eigentlich die Eigenschaften des Tastsinnes zugrunde legt. Sie können da heute interessante Studien machen, wenn Sie in das physiologische Gebiet eindringen.

Gewiß, die Leute reden zum Beispiel vom Sehen oder vom Auge oder vom Sehsinn; aber für denjenigen, der die Dinge durchschaut, sind alle die Begriffe, die angewendet werden, eigentlich aus dem Tastsinn in den Sehsinn hereingeschwindelt. Es wird mit Dingen, die dem Tastsinn entlehnt sind, gearbeitet. Die werden hineingeschwindelt. Die Leute bemerken das nicht; aber sie charakterisieren den Sehsinn, indem sie die Kategorien, die Vorstellungen, mit denen man den Tastsinn begreifen kann, auf das Sehen anwenden. Was man heute in der Wissenschaft Sehen nennt, ist eigentlich nur ein etwas komplizierteres Tasten. Zuweilen werden dann Kategorien, Begriffe wie Schmecken, Riechen, zu Hilfe genommen und so weiter. Auf dasjenige, was unseren heutigen Vorstellungen besonders zugrunde liegt, die Art und Weise,

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wie wir äußere Erscheinungen zusammenfassen, auf das können wir durchaus auch in demselben Sinne hindeuten; denn das ist heute schon ein Ergebnis der äußeren Anatomie und Physiologie, wenigstens eine gut begründete Hypothese, daß eigentlich unser heutiges Denken in einer Metamorphose des Geruchssinnes wurzelt, insofern das Denken gebunden ist an das Gehirn, also gar nicht an die höheren Sinne, sondern an eine Metamorphose des Geruchssinnes. Diese eigentümliche Art, wie wir uns im Begreifen zu der Außenwelt verhalten, die ganz verschieden ist von dem, wie sich etwa Plato zu der Außenwelt verhalten hat, das ist nicht etwa ein Ergebnis der höheren Sinne, das ist ein Ergebnis des Geruchssinnes, wenn ich mich etwas trivial ausdrücken darf. Ich möchte sagen, wir haben unsere Vollendung als Menschen heute nicht dadurch, daß wir die höheren Sinne ausgebildet haben, sondern eben dadurch, daß wir uns eine etwas umgestaltete, eine metamorphosierte, verfeinerte Hundeschnauze angeschafft haben. Die besondere Art, zur Außenwelt sich zu verhalten, ist eben eine ganz andere als diejenige, die einem spirituellen Zeitalter entspricht.

Nun, wenn das, was sich zunächst in alten Zeiten durch die höheren Sinne der Menschheit geoffenbart hat, als orientalische Kultur bezeichnet werden muß, so muß dasjenige, in dem wir drinnen leben und das ich eben charakterisiert habe, als das Wesentliche der okzidentalischen Kultur angesehen werden. Diese okzidentalische Kultur ist im wesentlichen aus dem unteren Menschen herausgeholt.

Bei solchen Dingen, wie ich sie jetzt ausspreche, muß ich immer wieder und wiederum betonen: Es handelt sich dabei wirklich nicht um Wertungen, sondern um historische Verläufe. Ich will durchaus nicht andeuten mit dem oberen und unteren, daß das eine wertvoll, das andere weniger wertvoll wäre. Das eine ist eben ein Versenken in die Welt, das andere ist ein Nichtversenken in die Welt. Und es hilft nichts, wenn man da irgendwelche Sympathien und Antipathien einmischt. Man kommt eben dann nicht zu einer objektiven Erkenntnis. Wer festhalten will, was in der Vedenkultur, in der Vedantakultur, in der Jogakultur enthalten ist, der muß von einem Verständnis dieser Dinge auf diesem Wege ausgehen (siehe Aufstellung Seite 33, oberer Mensch). Und wer verstehen will, was sich eigentlich erst im An fange befindet, was

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immer mehr und mehr ausgebildet werden muß für gewisse Arten des menschlichen Verhaltens, was allerdings im 19. Jahrhundert schon einen gewissen Höhepunkt erlangt hat, der muß wissen, daß da der untere Mensch besonders heraus will, und daß dieses Herauskommen des unteren Menschen ganz besonders der anglo-amerikanischen Natur eigen ist, der okzidentalischen, der westländischen Kultur.

Ein besonders charakteristischer Geist für das Heraufkommen dieser Kultur ist ja Bacon, Baco von Verulam, der deshalb ganz besonders charakteristisch ist, weil er in dem, sagen wir, was er in seinem «Novum organon» behauptet, eigentlich sehr leichtgeschürzte Behauptungen aufstellt, Dinge sagt, die im Grunde genommen nur für Oberflächlinge irgend etwas Wesentliches bedeuten können. Und dennoch sind sie außerordentlich charakteristisch. Bacon ist ja sowohl unwissend wie töricht in gewisser Beziehung und oberflächlich, außerordentlich oberflächlich. Unwissend ist er, denn sobald er über ältere Kulturen spricht, redet er Unsinn, weiß nichts davon. Oberflächlich ist er, weil man ihm das aus seinen Schriften nachweisen kann. Da, wo er zum Beispiel über die Wärme spricht - er ist ein Empiriker -, da stellt er alles das zusammen, was man über Wärme sagen kann; aber man sieht, er hat alle diese Notizen aus den Experimentenbüchern. Was er sich über die Wärme zusammengestellt hat, hat er nicht selber zusammengestellt, sondern von einem Schreiber zusammenklauben lassen, denn es ist eine ungeheuer gehudelte Arbeit. Trotzdem, er ist ein Markstein in der neueren Entwickelung. Man möchte sagen, es kann einem seine Persönlichkeit ganz gleichgültig sein, aber durch all das Gehudle und durch all den Nonsens, den er vielfach sagt, drückt sich immer etwas durch, was besonders charakteristisch ist für das Heraufkommen eben einer solchen Kultur, die dem entspricht, was ich hier charakterisiert habe (Seite 34). Und es ist unmöglich, daß die Menschheit aus der Misere, in der sie gegenwärtig lebt, herauskommen kann, wenn sie nicht begreift, daß zwar, aus Gründen, die ja aus den bisherigen Vorträgen genugsam ersichtlich sein können, sich leben ließ mit der Kultur des oberen Menschen, daß sich aber nicht wird leben lassen mit der Kultur des unteren Menschen. Denn schließlich bringt der Mensch sich dennoch bei jeder neuen Inkarnation seine Seele mit, die unbewußte

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Reminiszenzen hat aus früheren Erdenleben. Der Mensch wird immer wiederum zu dem Abgelebten hingedrängt. Heute weiß er es vielfach nicht, wozu er da hingedrängt wird. Es besteht dieses Hindrängen in einer ganz unbestimmten Sehnsucht, in etwas Undefinierbarem vielfach, aber es ist da. Und es ist vor allen Dingen dadurch da, daß man langsam dasjenige, was diesem Gebiete angehört (Seite 34, unterer Mensch), indem es in Gesetzmäßigkeiten gefaßt wird, als etwas Objektives gelten läßt. Alles das, was eigentlich mehr traditionell vorhanden ist und diesem Gebiete angehört (Seite 33, oberer Mensch), das hat sich verflüchtigt in bezug auf seinen Seinscharakter in den Glauben, und man versucht es noch festzuhalten, indem man sich geniert, diesem, was da der Seele angehört mit dem moralischen Inhalt, Seinscharakter beizulegen und ihm eigentlich in bezug auf seine Erkenntnis nur eine Glaubensgewißheit zugesteht.

Aber es ist nicht möglich für die Menschheit, mit diesem Zwiespalt in der Seele weiterzuleben in der Gegenwart. Man kann sich noch ein- reden, es müsse der evangelische Gegensatz von Glauben und Wissen, der insbesondere in den evangelischen Konfessionen konstruiert ist, theoretisch vertreten werden. Theoretisch vertreten kann man es, aber man kann es nicht für das Leben anwenden, man kann nicht leben damit. Das menschliche Leben selber widerspricht dem Aufrichten eines solchen Gegensatzes. Es muß der Weg gefunden werden, das Moralische anzugleichen demjenigen, dem man ein Sein zugesteht, sonst wird man immer dahin kommen, sich zu sagen: Aus den bloßen Naturnotwendigkeiten macht man sich Vorstellungen über den Erdenanfang und über das Erdenende; aber was dann werden soll, wenn dieses naturwissenschaftlich beurteilte Erdenende da ist, mit dem, weswegen wir uns eigentlich einen menschlichen Wert beilegen, mit dem, was der Mensch innerlich moralisch sich als Wert aneignet, was da werden soll, wie das gerettet werden soll aus der untergehenden Erde hinaus in andere Welten, darüber will man sich nur einer Glaubensgewißheit hingeben.

Und interessant ist es, wie gerade von diesem Gesichtspunkte aus zum Beispiel Anthroposophie bekämpft wird. Dieses Bekämpfen darf ich schon aus dem Grunde erwähnen, weil es typisch ist, weil es nicht

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von einem ausgeht, sondern von einer ganzen Anzahl von Leuten. Sie finden, daß Anthroposophie Anspruch darauf macht, Inhalt zu haben, der Erkenntnisinhalt ist, also behandelt werden kann so, wie zum Beispiel der naturwissenschaftliche Erkenntnisinhalt. Tröpfe sagen natürlich, er entspricht nicht dem naturwissenschaftlichen Erkenntnisinhalt, er ist etwas anderes - nun, das ist eine Selbstverständlichkeit, die man nicht besonders zu erwähnen braucht -, aber er kann so behandelt werden, wie der naturwissenschaftliche Erkenntnisinhalt. Manche sagen auch, man kann ihn nicht beweisen. Die haben sich eben niemals mit der logischen Natur des Beweisens bekanntgemacht. Aber um was es sich handelt, ist, daß gesagt wird: Diejenigen Dinge, von denen Anthroposophie handelt, die dürfen überhaupt nicht Gegenstand einer Erkenntnis werden, denn es würde ihnen ihr wesentlicher Charakter genommen, wenn sie Gegenstand einer Erkenntnis werden würden; sie müssen Gegenstand einer Glaubensgewißheit sein. Denn nur dadurch, daß man nichts weiß von Gott, von einem unsterblichen Leben, sondern nur glaubt an diese Dinge, darauf beruht der Wert dieser Dinge. Und es wird geradezu zum Vorwurf gemacht, daß in der Anthroposophie ein Wissen von diesen Dingen angestrebt wird, ja, es wird dieses Wissen sogar von dem Gesichtspunkte aus angefochten, daß man sagt: Es wird ja da der religiöse Charakter dieser Wahrheiten untergraben, denn der religiöse Charakter beruht darauf, daß man eben irgend etwas glaubt, worüber man nichts weiß. Das Vertrauen drücke sich gerade dadurch aus, daß man nichts davon wisse. - Ich möchte zwar wissen, wie die Menschen im gewöhnlichen Leben mit einem solchen Vertrauensbegriff auskommen würden! Man müßte also das gleiche Vertrauen haben zu denjenigen, von denen man gar nichts weiß, wie zu denen, von denen man etwas weiß. Man dürfte also zu den göttlich- geistigen Wesen kein Vertrauen haben, wenn man sie kennenlernt. Also es müßte gerade der religiöse Charakter darin bestehen, daß man sie nicht kennt, denn es ist die Heiligkeit der religiösen Dinge angetastet, wenn man sie zur Erkenntnis macht.

Ja, die Sache ist schon so: Läßt man sich ein wenig ein auf die Begriffsschwätzereien, die da vorkommen, dann wird man sehen, daß in dem, was von Woche zu Woche gedruckt wird, im Grunde genommen

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solche Dinge sich darinnen finden, die einfach in Unsinn ausarten, wenn man sie auf ihre ursprünglichen, elementaren Bestandteile bringt. Man darf heute über solche Dinge nicht hinwegschauen - es muß das immer wieder erwähnt werden, und wenn ich mich auch mit solchen Dingen wiederhole, ich scheue solche Wiederholungen nicht -, man muß auf solche Dinge sehen. Man muß zum Beispiel sich sagen können: Wenn sich heute eine angesehene Zeitung in Württemberg von einem Universitätsprofessor einen Aufsatz über Anthroposophie schreiben läßt, und der schreibt dann: Ja, diese Anthroposophie, die behauptet, daß es eine geistige Welt gäbe, in der sich die geistigen Wesenheiten bewegen wie Tische und Stühle im physischen Raum - ja, wenn ein Universitätsdozent heute in der Lage ist, einen solchen Satz hinzu- schreiben, so ist er unmöglich, so müßte eigentlich alles angewendet werden, um ihn unschädlich zu machen, denn Unsinn darf nicht an verantwortlicher Stelle geschrieben werden. Nur wenn jemand betrunken ist, bewegen sich für ihn - aber auch nur subjektiv - Tische und Stühle. Und da der Professor Traub weder die Hypothese zulassen wird, daß er seinen maßgeblich autoritativen Artikel in betrunkenem Zustand geschrieben hat, noch auch, daß er Spiritist ist - denn für Spiritisten bewegen sich ja auch Tische und Stühle, wenn auch nicht ganz von selber -, so hat man das volle Recht zu sagen: Hier wird in gedankenlosester Weise Unsinn hingeschrieben. Und wer imstande ist, einmal solchen Unsinn hinzuschreiben, dessen ganze Wissenschaft verdient keinen Glauben.

Heute ist es notwendig, in diesen Dingen sich absoluteste Strenge zur Pflicht zu machen. Und wir kommen immer tiefer hinein in die Niedergangskräfte, wenn diese absoluteste Strenge nicht zur Pflicht gemacht wird. In dieser Beziehung wird eben heute das Unglaublichste erlebt, und das Unglaublichste geht durch, indem man immer wieder Entschuldigungsgründe über Entschuldigungsgründe hat für das, was von angeblich autoritativer Seite an Abgefeimtheiten in solchen Dingen verbrochen wird. Es ist eben durchaus heute notwendig, daß darauf gehalten werde, zu klaren, inhaltsvollen Begriffen zu kommen auf allen Gebieten. Und kommt man zu klaren, inhaltsvollen Begriffen, dann ist die Theorie von der Trennung von Wissen und Glauben eben

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nicht zu halten. Denn dann müßte sie zurückgeführt werden auf dasjenige, worauf ich sie eben jetzt zurückgeführt habe.

Aber auch diese Trennung zwischen Wissen und Glauben ist nur historisch bedingt. Sie ist zum Teil historisch bedingt aus dem, was ich schon angeführt habe, oder aber historisch bedingt noch aus anderem. Vor allen Dingen kommt für diese Sache folgendes in Betracht. Wir haben zum Beispiel innerhalb des abendländischen Christentums zunächst dasjenige, was in den ersten Jahrhunderten des Christentums durch die Verschmelzung der Gnosis mit der monotheistischen Evangelienlehre zustande gekommen ist, und wir haben Verschmelzung des Christentums mit dem, was auf diese Weise zustande gekommen ist in der Zeit der Scholastik - allerdings auf eine sehr geistvolle Weise, aber doch eben als eine bloße historische Reminiszenz - mit dem Aristotelismus. Und es ist eine durchaus aristotelische Lehre die Lehre von der gleichmäßigen Entstehung des menschlichen Leibes und der menschlichen Seele durch die Geburt oder sagen wir Konzeption eines Menschen. Mit dem Abstreifen der alten Spiritualität, mit dem Herauf- dringen der bloßen Intellektualität wurde schon von Aristoteles ab- gestreift die Präexistenzanschauung, die Anschauung von dem Leben der Menschenseele vor der Geburt, vor der Konzeption. Dieses Leugnen der Präexistenzlehre ist nicht christlich, sondern es ist aristotelisch. Zur dogmatischen Fessel wurde im Grunde genommen diese Bekämpfung der Präexistenzlehre erst durch die Aufnahme des Aristotelismus in die christliche Theologie.

Nun aber entsteht hier eine bedeutungsvolle Frage, eine Frage, für deren Beantwortung ein wenig schon die Elemente in den Vorträgen, die ich hier in den letzten Wochen gehalten habe, vorhanden sind. Wenn Sie sich an manches erinnern, was ich da in den letzten Wochen gesagt habe, so werden Sie sich sagen: In einem gewissen Sinne - so habe ich es immer betont - ist ja der Materialismus des 19. Jahrhunderts nicht ganz unbegründet gewesen. Warum? Weil dasjenige, was uns im Menschen zum Beispiel entgegentritt, insofern der Mensch ein physisch-materiell organisiertes Wesen ist, Abbild ist der geistigen Entwickelung seit dem letzten Tode. Das ist in der Tat nicht das rein Geistig-Seelische, es ist das Physisch-Seelische, es ist Äbbild, was sich

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da entwickelt zwischen Geburt und Tod. Aus dem, was da der Mensch durchlebt zwischen Geburt und Tod, ist in der Tat niemals eine Möglichkeit zu gewinnen für eine wissenschaftliche Anschauung eines Postmortem-Lebens. Es gibt nichts, was einen möglichen Unsterblichkeitsbeweis liefert, wenn man bloß das Leben des Menschen zwischen der Geburt und dem Tode ins Auge faßt.

Nun faßt aber zunächst das traditionelle Christentum vom Menschen nur dieses Leben zwischen der Geburt und dem Tod ins Auge, denn es läßt ja auch die Seele geschaffen werden mit der Geburt oder Konzeption. Daraus ist kein Wissen zu gewinnen über das Postmortem-Leben. Wili man nicht gelten lassen das präexistente Leben, über das, wie Sie wissen, ein Wissen zu gewinnen ist, dann kann man niemals ein Wissen gewinnen über das Leben nach dem Tode. Daher also die Spaltung zwischen Wissen und Glauben mit Bezug auf die Unsterblichkeitsfrage, zum Beispiel aus dem Dogma von der Bekämpfung des vorgeburtlichen Lebens. Weil man fallenlassen wollte die Erkenntnis von dem vorgeburtlichen Leben, ergab sich die Notwendigkeit, eine besondere Glaubensgewißheit zu statuieren. Denn will man dann, wenn man das vorgeburtliche Leben bekämpft, noch von einem Leben nach dem Tode sprechen, dann kann man nicht von einer wissenschaftlichen Erkenntnis darüber sprechen.

Sie sehen, wie systematisch geordnet, möchte ich sagen, dieses Dogmengefüge ist. Es handelt sich darum, innerhalb der Menschheit Finsternis zu verbreiten über die geistige Wissenschaft. Wie kann man das? Man bekämpft auf der einen Seite die Präexistenzlehre; dann gibt es kein Wissen über das nachtodliche Leben, dann muß das nachtodliche Leben von dem Menschen auf Grundlage der Dogmatik geglaubt werden. Man erkämpft sich den Glauben an die Dogmatik, indem man bekämpft die Erkenntnis des vorgeburtlichen Lebens.

Oh, es ist außerordentlich viel Systematik darinnen, wie die Dogmatik seit dem 4. nachchristlichen Jahrhundert sich entwickelt hat, wie sich aus dieser Dogmatik restlos die modernen wissenschaftlichen Anschauungen herausentwickelt haben. Denn sie sind alle ihrem Ursprunge nach darinnen nachzuweisen, nur angewendet auf die äußere Naturbeobachtung, und es ist nachzuweisen, wie dadurch vorbereitet

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worden ist des Menschen Sich-Anhängen an ein bloßes Glauben. Weil der Mensch natürlich etwas über die Unsterblichkeit will, nimmt man ihm das Wissen, und das hat man ihm genommen: dann ist er für den dogmatischen Glauben zugänglich, dann kann der dogmatische Glaube sich seine Herrschaftsbereiche aussuchen.

Das ist zugleich eine soziale Frage, das ist eine Frage der menschheitlichen Entwickelung, das ist eine Frage, der heute mit voller Klarheit ins Auge geschaut werden muß. Und diese Frage entscheidet erstens über den Wert der gegenwärtigen Kultur, namentlich aber auch über den Wert des gegenwärtigen Wissenschaftsgeistes, und dann über die Aussichten der Menschheit, wiederum zu Aufgangskräften, zu Aufsteigekräften zu kommen.

Davon wollen wir dann morgen weitersprechen.

SECHZEHNTER VORTRAG Dornach, 24. Juli 1921

#G206-1991-SE043 Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist

#TI

SECHZEHNTER VORTRAG

Dornach, 24.Juli 1921

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Jenen Schnitt durch das Wesen des Menschen, von dem ich gesprochen habe, Sie finden ihn auch im alltäglichen menschlichen Gesamtleben zum Ausdruck kommend. Sie finden ihn vor allen Dingen, wenn Sie sachgemäß das Verhältnis zweier menschlicher Fähigkeiten untersuchen, die durch ihre eigene Beschaffenheit auch bei oberflächlicher Betrachtung sich als sowohl dem seelischen Leben wie auch dem körperlich-leiblichen Leben angehörig erweisen. Sie finden auf der einen Seite als eine wichtige, sagen wir, Tatsache des Seelenlebens im menschlichen Leben eben mit dem körperlichen Leben verbunden die Fähigkeit des Gedächtnisses, der Erinnerung, und Sie finden auf der andern Seite, sagen wir, eine Kraft im menschlichen Leben, deren Wesenheit weniger ins Auge gefaßt wird, weil sie mehr eine Fähigkeit ist, der man sich naiv hingibt, ohne sie näher zu prüfen oder gar zu analysieren: das ist die Kraft der menschlichen Liebe. Es muß von vornherein gesagt werden, daß, wenn man über solche Dinge erstens mit Bezug auf die Wesenheit des Menschen, dann aber auch mit Bezug auf das Verhältnis des Menschen zur Welt spricht, man sich darüber klar sein muß, daß man von der Wirklichkeit, nicht von irgendeiner Vorstellung auszugehen hat. Ich habe öfter den zwar banalen Vergleich für das Ausgehen von Vorstellungen statt von der Wirklichkeit gebraucht: Jemand sieht ein Rasiermesser, und er sagt, das sei ein Messer, ein Messer gehöre zum Schneiden der Speisen; also nimmt er das Rasiermesser zum Schneiden der Speisen, weil es ein Messer ist.

So ungefähr, obwohl man es gewöhnlich nicht glaubt, weil man die Sache für sehr gelehrt hält, sind die Auffassungen, die, sagen wir, zum Beispiel wissenschaftlich denkende Menschen über den Tod oder über die Geburt haben mit Bezug auf Menschen und Tiere. Manchmal dehnt man sogar dann solche Vorstellungen auch auf Pflanzen aus. Man macht sich eine Vorstellung darüber, wie man sich eine Vorstellung darüber macht, was ein Messer ist, und geht dann von dieser Vorstellung, die natürlich der Repräsentant einer gewissen Tatsachenreihe ist,

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aus und untersucht in gleicher Weise, sagen wir, den Tod beim Menschen, bei Tieren und eventuell sogar bei den Pflanzen, ohne zu berücksichtigen, daß vielleicht dasjenige, was man im allgemeinen in der Vorstellung des Todes zusammenfaßt, etwas ganz anderes sein könnte bei den Menschen und bei den Tieren. Man hat von der Wirklichkeit des Tieres und von der Wirklichkeit des Menschen auszugehen, nicht von der Erscheinung des Todes, die man repräsentiert sein läßt durch irgendeine Vorstellung.

In einer ähnlichen Weise sind dann die Vorstellungen geschmiedet, die man zum Beispiel mit Bezug auf das Gedächtnis hat. Mit Bezug auf das Gedächtnis zeigt sich das ganz besonders dort, wo in der Absicht, ein Gleiches bei Menschen und bei Tieren zu finden, der Gedächtnis- begriff in einer undifferenzierten Weise auf beide angewendet wird. Man macht darauf aufmerksam - es ist das sogar sehr berühmten Professoren passiert wie Otto Liebmann -, daß zum Beispiel ein Elefant, der auf seinem Wege zur Schwemme ist, wo er Wasser zu trinken hat, irgend etwas von einem Insult durch einen vorübergehenden Menschen bekommt; der tut ihm etwas. Der Elefant geht vorüber. Aber als er wieder zurückgeht und der Mensch dann wieder dasteht, da spritzt ihn der Elefant aus seinem Rüssel mit Wasser an. Weil der Elefant - so sagt der Erkenntnistheoretiker - sich selbstverständlich gemerkt hat, in seinem Gedächtnis aufbewahrt hat dasjenige, was ihm der Mensch getan hat.

Das äußere Aussehen der Sache ist natürlich durchaus für eine solche erkenntnistheoretische Betrachtung, man möchte sagen, sehr verführerisch, aber eben nicht verführerischer als das Unterfangen, mit einem Rasiermesser das Fleisch bei Tisch zu zerschneiden. Es handelt sich eben durchaus darum, daß man überall von der Wirklichkeit ausgeht und nicht von Vorstellungen, die man an irgendeiner Erscheinungsreihe gewonnen hat und die man dann in beliebiger Weise wesenhaft auf eine andere Erscheinungsreihe überträgt. Man macht sich gewöhnlich gar nicht klar, wie weitverbreitet der eben angeführte methodologische Fehler in unseren heutigen wissenschaftlichen Untersuchungen eigentlich ist.

Dasjenige, was als Gedächtnis, als Erinnerungsvermögen beim Menschen

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vorliegt, muß durchaus aus der menschlichen Natur heraus selbst begriffen werden. Und da handelt es sich darum, daß man sich zunächst eine Möglichkeit schafft, zu beobachten, wie das Gedächtnis im Verlauf der menschlichen Entwickelung selber wird. Derjenige, der so etwas beobachten kann, der wird bemerken können, daß sich das Gedächtnis bei dem Kinde noch in einer ganz andern Weise äußert als beim Menschen etwa vom sechsten, siebenten, achten Jahre an. Das Gedächtnis bekommt in den letztangeführten Jahren vielmehr einen seelischen Charakter, während man deutlich merken kann, wie sehr in den ersten Kinderjahren dieses Gedächtnis gebunden ist an die organischen Zustände, wie es sich herauswindet aus diesen organischen Zuständen. Und derjenige, der das Verhältnis der Erinnerungen zu der kindlichen Begriffsbildung ins Auge faßt, der wird merken, wie sich die Begriffsbildung in der Tat stark anlehnt an dasjenige, was das Kind aus seiner Umgebung durch seine Sinneswahrnehmung, durch alle die zwölf angeführten Sinneswahrnehmungen erlebt. Es ist außerordentlich reizvoll, aber auch außerordentlich bedeutsam, zu sehen, wie die Begriffe, die sich das Kind bildet, ganz und gar abhängen von der Erfahrung, der das Kind unterworfen wird, namentlich von dem Verhalten der Umgebung. Das Kind ist ja in den Jahren, die hier in Betracht kommen, ein Nachahmer, und auch in bezug auf seine Begriffsbildung ein Nachahmer. Dagegen wird man leicht bemerken können, wie die Fähigkeit der Erinnerung mehr aus dem Inneren der kindlichen Entwickelung aufsteigt, wie sie mehr zusammenhängt mit der ganzen körperlichen Konstitution, sogar sehr wenig mit der Konstitution der Sinne und dadurch der Konstitution des menschlichen Hauptes. Dagegen wird man einen innigen Zusammenhang verspüren können zwischen der Art, wie das Kind mehr oder weniger, wenn man so sagen könnte, normal oder unnormal zum Beispiel in bezug auf seine Blutbildung, in bezug auf seine Bluternährung beschaffen ist. Man wird leicht bemerken, daß bei Kindern, die nach dem Anämischen hinneigen, die Gedächtnisbildung Schwierigkeiten hat. Dagegen wird man bemerken, daß in einem solchen Falle die Begriffsbildung, die Vorstellungsbildung weniger Schwierigkeiten hat.

Ich kann auf diese Dinge nur hindeuten, denn im Grunde genommen

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muß jeder, wenn er die Richtlinien zu einer solchen Beobachtung empfangen hat, aus dem Leben heraus sich die Daten suchen, und er wird sie finden. Er wird dann finden, daß in der Tat beim Kinde von der Hauptesorganisation, das heißt von der Nerven-Sinnesorganisation, also von den Erlebnissen, von der Wahrnehmung aus die Begriffsbildung erfolgt; daß aber dasjenige, was, ich möchte sagen, die Begriffsbildung durchwebt als Erinnerungsvermögen, sich herausentwickelt aus dem übrigen Organismus außer dem Hauptesorganismus. Und setzt man diese Beobachtung fort, versucht man, namentlich dahinterzukommen, wie eigentümlich sich verhält die Art, namentlich der Gedächtnisbildung bei Kindern, welche etwa neigen zu einer kurzen, kleinen, gedrungenen Gestalt und bei Kindern, die dazu neigen, hoch aufzuschießen, so wird man finden, daß da tatsächlich sich deutlich ausspricht ein Zusammenhang zwischen den Wachstumserscheinungen im ganzen und zwischen dem, was als Gedächtniskraft sich im Menschen ausbildet.

Nun habe ich bei früheren Gelegenheiten gesagt Die menschliche Hauptesbildung als solche stellt sich ja dar als eine Metamorphose der organischen Bildung des Menschen des früheren Erdenlebens, aber abgesehen von der Hauptesbildung. Also was wir in einem gewissen Erdenleben als unser Haupt an uns tragen, das ist der umgestaltete Körper außer dem Haupte, namentlich aber der Gliedmaßen-Stoffwechselmensch des früheren Erdenlebens. Man darf sich das natürlich nicht materialistisch vorstellen. Mit der materiellen Ausfüllung hat das nichts zu tun, sondern mit der Form und mit dem Kräftezusammenhang. Dasjenige, was heute der Gliedmaßen-Stoffwechselorganismus ist bei einem Menschen, das ist im nächsten Erdenleben, metamorphosisch umgewandelt durch das Leben zwischen Tod und neuer Geburt, die Hauptesbildung.

So können wir uns ja auch sagen, wenn wir sehen, wie beim Kinde abhängt sein Begriffsvermögen, sein Vorstellungsvermögen von dieser Hauptesbildung, daß gewissermaßen die Vorstellungsfähigkeit zusammenhängt mit dem früheren Erdenleben (siehe Zeichnung, rot). Dagegen das, was sich uns als Erinnerungsvermögen eingliedert, steigt auf aus demjenigen, was wir zunächst in diesem Erdenleben als unseren

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Stoffwechsel-Gliedmaßenmenschen eben anorganisiert erhalten (blau). Es schließen sich da zwei Dinge zusammen: das eine, was der Mensch sich mitbringt aus früheren Erdenleben, und das andere, die Erinnerungsfähigkeit, was er sich dadurch erwirbt, daß er einen neuen Organismus angegliedert erhält.

Sie werden daher begreifen, daß dasjenige Gedächtnis, das man zunächst für den Gebrauch zwischen Geburt und Tod hat und das man ja angegliedert erhält in diesem Erdenleben, zunächst nicht ausreicht, um zurückzuschauen in das vorgeburtliche Leben, in das präexistente Leben. Da ist notwendig, was ich immer betone, wenn ich das Methodologische der Sache auseinandersetze, daß man hinter dieses Gedächtnis mit seinen Fähigkeiten kommt und daß man deutlich einsehen lernt, daß das Gedächtnis etwas ist, was uns dient zwischen Geburt und Tod, daß man aber eine höhere Fähigkeit entwickeln muß, die ganz nach Gedächtnisweise zurückverfolgt das, was sich in uns als Begriffsvermögen ausgestaltet. Der abstrakte Erkenntnistheoretiker, der setzt an die Stelle einer Tatsache ein Wort. Er sagt zum Beispiel: Mathematische

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Begriffe, weil sie nicht durch Erfahrung erworben zu werden brauchen, beziehungsweise weil ihre Gewißheit nicht aus der Erfahrung belegt zu werden braucht, seien a priori. - Das ist ein Wort: sie sind vor der Erfahrung gelegen, a priori. Und man kann ja dieses Wort bei Kantianern heute immer wieder und wiederum hören. Aber dieses a priori bedeutet eben nichts anderes, als daß wir diese Begriffe in den früheren Erden- leben erfahren haben; aber sie sind nicht minder eben Erfahrungen, von der Menschheit angeeignet im Laufe ihrer Entwickelung. Nur ist die Menschheit gegenwärtig in einem Stadium ihrer Entwickelung, wo sich eben die meisten Menschen, wenigstens die zivilisierten Menschen, diese mathematischen Begriffe schon mitbringen und man sie nur aufzuwecken braucht.

Es ist natürlich ein bedeutsamer pädagogisch-didaktischer Unterschied im Aufwecken der mathematischen Begriffe und im Beibringen von solchen Vorstellungen und Begriffen, die aus der äußeren Erfahrung gewonnen werden müssen und bei denen das Erinnerungsvermögen eine wesentliche Rolle spielt. Man kann auch, namentlich wenn man sich ein gewisses Anschauungsvermögen aneignet für die menschliche Entwickelung in ihren Besonderheiten, deutlich zwei Typen von aufwachsenden Kindern unterscheiden: solche, die sich viel mitbringen aus früheren Erdenleben und denen daher leicht Begriffe beizubringen sind; dagegen kann man andere finden, die weniger sicher sind in ihren Begriffsbildungen, die sich aber leicht die Eigenschaften äußerer Dinge merken und daher leicht dasjenige aufnehmen, was sie durch eigene Beobachtung aufnehmen können. Da hinein spielt aber das Erinnerungsverrnögen, denn man kann äußere Dinge nicht leicht in der Weise lernen, wie es dann schulmäßig gelehrt werden muß. Man kann dann natürlich einen Begriff bilden, aber man kann sie nicht so lernen, daß man an ihnen das Gelernte wiederzugeben vermag, wenn nicht ein deutliches Erinnerungsvermögen vorliegt. Kurz, man kann da das Zusammenfließen zweier Strömungen in der menschlichen Entwickelung sehr genau wahrnehmen.

Nun, was liegt denn da eigentlich zugrunde? Bedenken Sie, auf der einen Seite ist der Mensch aus seiner Hauptesorganisation heraus das Begriffsbildungsvermögen gestaltend. Warum tut er das? Sie brauchen

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nur mit Verständnis die menschliche Hauptesorganisation zu betrachten, so werden Sie sich sagen können, warum. Diese menschliche Hauptesorganisation, sie tritt schon im embryonalen Leben verhältnismäßig früh auf, bevor die andere Organisation, gerade ihrem Wesentlichen nach, angegliedert ist. Die Embryologie ist ja durchaus ein Beleg für das, was Anthroposophie in bezug auf die Menschheitsentwickelung zu sagen hat. Aber Sie brauchen nicht so weit zu gehen, Sie brauchen bloß gewissermaßen den ausgewachsenen Menschen ins Auge zu fassen. Sehen Sie sich diese Hauptesorganisation an. Sie ist erstens darauf angelegt, daß man im Haupte relativ das Vollkommenste der ganzen menschlichen Organisation hat. Nun, diese Vorstellung könnte man anfechten. Dagegen eine andere ist nicht anzufechten, wenn sie nur in der richtigen Weise angeschaut wird. Das ist diese, daß wir in unserem Erleben uns ja ganz anders zu unserem Haupte stellen als zu unserem übrigen Organismus. Unseren übrigen Organismus verspüren wir in einer ganz andern Weise als unser Haupt. Unser Haupt löscht sich ja in unserem eigenen Seelenleben im Grunde genommen aus. Wir haben viel mehr organisches Bewußtsein von unserem gesamten übrigen Organismus als von unserem Haupte. Unser Haupt ist eigentlich dasjenige, was sich innerhalb unserer Organisation auslöscht.

Dieses Haupt hebt sich auch heraus aus unserem übrigen Zusammenhange mit der Welt, erstens innerlich schon durch unsere Gehirnorganisation. Ich habe die Tatsache oftmals hervorgehoben: das Gehirn hat eine so große Schwere, daß es alles, was darunterliegt, zerdrücken würde, wenn es nicht im Gehirnwasser schwimmen würde und dadurch das ganze Gewicht verliert, das ein Körper haben würde, der aus Gehirnwasser besteht und ebenso groß wäre wie das Gehirn; so daß das Gehirn, sagen wir etwa in dem Verhältnis von eintausenddreihundert bis eintausendvierhundert Gramm zu zwanzig Gramm an Gewicht verliert. Das heißt aber, da der Mensch, insofern er auf der Erde steht, durchaus sein natürliches Gewicht hat, ist das Gehirn herausgehoben aus diesen Schwereverhältnissen, in denen es im Menschen natürlich sitzt, nicht in seiner Absolutheit, aber indem es im Menschen sitzt. Aber selbst wenn Sie nicht auf dieses Innerliche gehen, wenn Sie auf das Außerliche gehen, man möchte sagen, die ganze Art, wie Sie Ihre

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Köpfe tragen, ist ja eigentlich so, daß dieser Kopf, indem man ihn durch die Welt trägt, sich verhält wie ein Herr oder eine Dame, die in einer Droschke sitzen. Die Droschke, die muß sich weiterbewegen, aber indem sich die Droschke weiterbewegt, strengt sich der Herr oder die Dame in der Droschke gar nicht an, um weiterzukommen. Ungefähr in demselben Verhältnis ist auch unser Haupt zu unserem Organismus. Dazu ließen sich viele Dinge noch anführen. Auch unser Haupt ist in einem gewissen Sinne herausgehoben aus unserem übrigen Verhältnis zur Welt. Das ist eben aus dem Grunde, weil wir in unserem Haupte gewissermaßen in physischer Umgestaltung dasjenige haben, was unsere Seele zusammen mit unserem übrigen Organismus erlebte in einem früheren Erdenleben.

Wenn Sie beim Haupte die vier Hauptglieder der menschlichen Organisation betrachten, physischen Leib, Atherleib, astralischen Leib und Ich, so ist für das Haupt eigentlich nur das Ich dasjenige, was eine gewisse Selbständigkeit hat. Die andern Glieder haben sich eigentlich ihr Abbild geschaffen in diesem menschlichen Haupte, in der physischen Gestaltung des menschlichen Hauptes. Ich habe auch dafür einmal einen ganz schlagenden Beleg angeführt, ich will ihn hier anführen mehr durch das Wiedergeben einer Geschichte als rein theoretisch. Aber ich habe schon einmal die Sache angeführt.

Ich sagte Ihnen: Ich nahm einmal teil - viele Jahre sind es jetzt her -, als man aus gewissen Voraussetzungen heraus die Giordano Bruno-Gesellschaft gegründet hatte, an einem Vortrage, den ein richtiger, waschechter Materialist gehalten hat über das menschliche Gehirn. Er hat als waschechter Materialist selbstverständlich die Struktur des Gehirnes gezeichnet und nachgewiesen, wie diese Struktur des Gehirnes im Grunde genommen das Seelenleben ausdrückt. Man kann das auch sehr gut.

Vorsitzender jenes Vereines war nun ein Gymnasialdirektor, der nicht Material ist war, aber dafür ein waschechter philosophischer Herbartianer. Für den gab es nur Herbartsche Philosophie. Der sagte: Eigentlich könne er als Herbartianer ganz zufrieden sein mit den Darstellungen; nur sagte er, dasjenige, was der andere aufgezeichnet hat aus seinem waschechten Materialismus heraus, nehme er nicht als die

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Materie des Gehirnes. Wenn der also, nicht wahr, aufgezeichnet hat Gehirnpartien, Verbindungsfasern und so weiter, so nahm der Herbartianer die Zeichnung ganz willig hin. Die Zeichnung, die gefiel ihm ganz gut, dem Herbartianer, der kein Materialist war, denn er sagte, er brauche ja nur dafür, wofür der andere Gehirnpartien hinzeichnete, Vorstellungskomplexe hinzuzeichnen, und statt der Gehirnfasern zeichne er Assoziationsfasern; dann zeichne er etwas Seelisches, Vorstellungskomplexe, wo der andere Gehirnpartien zeichne. Und wo der andere Gehirnfasern gezeichnet hat, da zeichne er Assoziationsfasern; zum Beispiel diejenigen Gebilde, die John Stuart Mill so wunderbar herausphantasiert hat, die von Vorstellung zu Vorstellung gehen. - Nicht wahr, ganz willenlos, automatisch spinnt da die Seele allerlei Dinge zwischen den Vorstellungskomplexen. Man findet das ja auch bei Herbart ganz schön.

Aber in der Zeichnung konnten beide ganz gut zusammentreffen. Warum? Aus dem einfachen Grunde, weil in der Tat in bezug darauf das menschliche Gehirn ein außerordentlich guter Abdruck ist des Seelisch-Geistigen. Das Seelisch-Geistige drückt sich einfach im Gehirn sehr gut ab. Es hat ja auch Zeit gehabt, dieses Seelisch-Geistige, durch die ganze Zeit zwischen dem Tod und der neuen Geburt diese Konfiguration hervorzurufen, die dann in der äußeren Plastik des Gehirnes das Seelenleben wunderbar ausdrückt.

Gehen wir von dieser Geschichte nun etwa zu der Darstellung der Psychologie, wie sie Theodor Ziehen gibt, da finden wir, daß Theodor Ziehen auch so materialistisch die Gehirnpartien und so weiter beschreibt, und das Ganze macht einen außerordentlich glaubwürdigen Eindruck. Es ist auch außerordentlich gewissenhaft. Man kann in der Tat das tun. Man kann, wenn man das menschliche intellektualistische Leben, das Vorstellungsleben ins Auge faßt, einen sehr genauen Abdruck im Gehirn finden. Aber man kommt mit einer solchen Psychologie nur nicht bis zum Fühlen, und am wenigsten bis zum Wollen. Schauen Sie sich an solch eine Psychologie, wie die von Ziehen ist, so werden Sie finden: das Fühlen ist für ihn überhaupt nichts als eine Gefühlsbetonung der Vorstellung, und das eigentliche Wollen fällt ganz heraus aus der psychologischen Betrachtungsweise. Das ist gar

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nicht drinnen, weil in der Tat das Fühlen und das Wollen nicht in derselben Weise zusammenhängen mit demjenigen, was schon gestaltet ist. Das Fühlen hängt zusammen mit dem rhythmischen System des Menschen; das ist noch in voller Bewegung. Das hat seine Bildlichkeit in Bewegungen. Und das Wollen, das überhaupt mit plastisch Entstehen- dem und Vergehendem im Stoffwechsel zusammenhängt, das kann nicht eine solche Abbildlichkeit aufweisen, wie das für das Vorstellen möglich ist. Kurz, wir haben im Vorstellungsleben beziehungsweise in der Vorstellungsfähigkeit etwas in bezug auf Seelisches, was sich plastisch-bildhaft im Haupte ausdrückt da stehen wir aber innerhalb des menschlichen astralischen Leibes. Denn indem wir vorstellen, gehört diese ganze Tätigkeit des Vorstellens dem menschlichen astralischen Leibe an. So daß also schon der menschliche astralische Leib sein Abbild sich schafft im menschlichen Haupte. Nur das Ich, das bleibt noch etwas Bewegliches. Der ätherische Leib hat nun sein ganz genaues Abbild im menschlichen Haupte, und der physische Leib erst` recht. Dagegen ist in dem übrigen Organismus, zum Beispiel im rhythmischen Organismus, der astralische Leib als solcher durchaus nicht abgebildet, sondern nur der ätherische Leib und der physische Leib. Und im Stoffwechselorganismus ist gar nur der physische Leib abgebildet.

Zusammengefaßt können Sie sich die Sache so vorstellen: Wenn Sie das Haupt haben, so haben Sie im Haupte physischen Leib, ätherischen Leib, astralischen Leib, so daß diese im Physischen ihre Abbildung haben, daß Sie tatsächlich in den physischen Formen die Abbildungen nachweisen können. Sie verstehen das menschliche Haupt gar nicht anders, als daß Sie tatsächlich diese drei Formen in dem menschlichen Haupte sehen. Noch in einem freien Verhältnis ist dasjenige, was das Ich ist (siehe Zeichnung).

Gehen wir über zu der übrigen Organisation des Menschen, also zu der Atmungsorganisation zum Beispiel, dann haben wir den physischen Leib und den ätherischen Leib, die ihre Abbilder darinnen haben. Aber der astralische Leib und das Ich haben nicht ihre Abbilder, die sind gewissermaßen frei. Und im menschlichen Stoffwechsel-Gliedmaßenmenschen haben wir den physischen Leib als solchen, und frei

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haben wir Ich, astralischen Leib und ätherischen Leib. Sie müssen unterscheiden zwischen dem Vorhandensein und dem Frei- oder Gebundensein. Natürlich ist es nicht so, als ob dem menschlichen Haupte nicht auch ein astralischer Leib und ein Atherleib zugrunde läge. Die durchsetzen natürlich auch das menschliche Haupt; aber sie sind nicht frei dadrinnen, sondern sie haben in der Organisation ihr Abbild. Dagegen ist der astralische Leib zum Beispiel in der ganzen rhythmischen, namentlich in der Atmungsorganisation frei. Er betätigt sich als solcher. Er füllt das nicht bloß aus, sondern er ist gegenwärtig drinnen tätig.

Nun, nehmen wir zwei Dinge zusammen. Das eine ist dieses, daß wir konstatieren können eine Beziehung des menschlichen Erinnerungsvermdgens zu der Organisation außerhalb des Hauptes, und daß wir die menschliche Gefühls- und Willensorganisation auch außerhalb des Hauptes suchen müssen. Sie sehen, jetzt gliedern sich zusammen die Gefühlswelt der Seele und die Gedächtniswelt. Und wenn Sie nun empirisch, wirklich erfahrungsgemäß den Zusammenhang zwischen Gefühlsleben und Erinnerungsvermögen ins Auge fassen, so werden Sie diesen Zusammenhang als einen sehr engen konstatieren können.

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Die Art und Weise, wie wir uns erinnern können, hängt im wesentlichen davon ab, wie wir vermöge unserer außerhauptlichen Organisation teilnehmen können an den Dingen, wie weit wir drinnenstehen können in den Dingen. Wenn wir starke Kopfmenschen sind, werden wir vieles begreifen, aber an weniges uns so erinnern, daß wir mit ihm zusammengewachsen sind. Es gibt, ich möchte sagen, einen bedeutsamen Bezug zwischen dem Gefühlsvermögen und dem Erinnerungsvermögen. Aber zugleich sehen wir, daß die menschliche außerhauptliche Organisation sich ja im Beginne der Entwickelung der hauptlichen nähert. Wenn Sie das Embryonalleben nehmen, so ist der Mensch ganz im An fange fast nur Haupt. Das andere sind Ansätze. Wenn das Kind geboren ist: denken Sie nur, wie unvollkommen im Verhältnis zum Haupte eigentlich die übrige Organisation ist! Aber sie gliedert sich ihm an. Die übrige Organisation, sie wird schon im Leben zwischen Geburt und Tod der Hauptesorganisation immer ähnlicher, und namentlich prägt sich dieses Ahnlichwerden aus in dem Hervorschießen der zweiten Zähne. Dasjenige, was der Mensch als erste Zahnung hat, die sogenannten Milchzähne - und das wird, wenn nur die entsprechenden Methoden angewendet werden, sich leicht auch anatomisch- physiologisch nachweisen lassen, geisteswissenschaftlich ist es ohne Frage -, die ersten Zähne, die Milchzähne sind in der Tat mehr aus der Hauptesorganisation heraus. An der andern Zahnung beteiligt sich der volle Mensch. Diejenigen Zähne, die mehr aus der Hauptesorganisation heraus sind, werden ausgestoßen. Der übrige Mensch betätigt sich an der zweiten Zahnung.

Man hat in der Tat mit Bezug auf das Physische eine Art Abbild in den ersten Zähnen und in den zweiten Zähnen mit Bezug auf Begriffsbildung und Gedächtnis. Man möchte sagen, die Milchzähne werden mehr aus der Hauptesorganisation heraus gebildet, so wie die Begriffe, bloß daß die Begriffe natürlich ins Intellektualistisch-Geistige heraufgesetzt sind; und die zweiten Zähne, die sind mehr 50 aus der ganzen menschlichen Organisation herausgeholt wie das Erinnerungsvermögen. Man muß nur auf solche feinen Unterschiede in der menschlichen Organisation eingehen können.

Wenn Sie solch eine Sache ins Auge fassen, dann werden Sie ja einsehen,

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wie man eigentlich das Materielle in seiner Formung, in seiner Gestaltung - namentlich, wenn man ins Organische heraufkommt - nur erfassen kann, wenn man es erfaßt aus der geistigen Gestaltung heraus. Nicht wahr, der waschechte Materialist sieht sich den materiellen Menschen an, studiert den materiellen Menschen. Und derjenige, der auf die Wirklichkeit geht, nicht auf seine materialistischen Vorurteile, der sieht zunächst einmal dieses menschliche Haupt beim Kinde aus dem Übersinnlichen herausgestaltet, allerdings durch Metamorphose des früheren Erdenlebens herausgestaltet, und er sieht dann angegliedert aus der Welt, in die dieses Kind jetzt in diesem Erdenleben versetzt ist, das andere, aber auch aus dem Geistigen, aus dem Über- sinnlichen dieser Welt herausgestaltet.

Es ist wichtig, gerade auf solch eine Anschauung seine Aufmerksamkeit zu wenden; denn darauf kommt es an, daß jemand nicht in einer abstrakten Weise spricht von materieller Welt und von geistiger Welt, sondern daß er eine Anschauung gewinnt von dem Hervorgehen der materiellen Welt aus der geistigen Welt, gewissermaßen von der Abbildlichkeit der geistigen Welt in der materiellen Welt. Nur darf man dabei nicht im Abstrakten stehenbleiben, sondern muß in das Konkrete gehen. Man muß eine Anschauung sich verschaffen können von dem Unterschiede des menschlichen Hauptes vom übrigen Organismus. Dann sieht man in den Formen des menschlichen Hauptes eben etwas anderes, auch in seinem Hervorgehen aus der geistigen Welt, als man im übrigen Organismus sieht. Denn der übrige Organismus ist eben durchaus uns angegliedert in einem entsprechenden Erdenleben, während wir die Hauptesbildung bis in seine Formung hinein als Ergebnis früherer Erdenleben mitnehmen. Wer das bedenkt, wird sehen, wie töricht zum Beispiel solch ein Einwand gegen Anthroposophie ist, wie er neulich wiederum - Sie können das in einem Bericht der gegenwärtigen Nummer der Dreigliederungszeitung nachlesen - in einer Münchner Diskussion, die hervorgerufen worden ist über Anthroposophie von dem, von so vielen Leuten trotz seiner feuilletonistischen Philisterei hochgeehrten Eucken, gemacht worden ist. Eucken erhob den Einwand gegen Anthroposophie, daß sie materialistisch sei, indem er hinpfahlte den törichten Begriff: Dasjenige, was man wahrnehmen kann, das ist

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materiell. - Selbstverständlich, wann man solch eine Definition macht, dann kann man beweisen, was man mag; nur ist man eben schlecht bekannt mit der Methode des Beweisens überhaupt. Es handelt sich durchaus darum, das zu fassen, wie das Materielle in seinem Hervorgehen aus dem Geistigen gerade als ein Zeuge für die geistige Welt angeschaut werden kann. Wenn Sie aber wiederum - und nur bis zu diesem Punkte möchte ich zunächst heute gehen - ins Auge fassen, wie man dieses Werden des Gedächtnisses erschauen kann in seiner Verwandtschaft mit den übrigen Wachstumskräften des Menschen, so werden Sie ein Ineinanderspielen bemerken desjenigen, was man sonst materiell nennt und desjenigen, was da namentlich im späteren Leben, vom siebenten, achten Jahre an, sich als geistig-seelisches Leben entwickelt.

Es ist wirklich so, daß dasjenige, was später mehr in der abstraktintellektualistischen Form in der Erinnerungskraft zutage tritt, zuerst sich mitbeteiligt an dem Wachstum. Es ist wirklich dieselbe Kraft. Es muß da dieselbe Betrachtungsweise angewendet werden, die angewendet wird, sagen wir, wenn von gebundener und freier Wärme gesprochen wird. Wärme, die frei wird, die aus ihrem latenten Zustand in Freiheit übergeht, verhält sich äußerlich in der physischen Welt wie jene Kraft, die dann anschaulich für das innere Leben als Erinnerungskraft zutage tritt und in den ersten Kindheitsjahren den Wachstumserscheinungen zugrunde liegt. Es ist dasselbe, was den Wachstumserscheinungen zugrunde liegt in den ersten Kindheitsjahren und was dann als die Kraft der Erinnerungsfähigkeit mehr in seiner ureigenen Gestalt erscheint.

Ich habe das im Herbstkurse hier im Goetheanum noch des genaueren entwickelt. Aber Sie sehen daraus, wie man gerade auf diesem Wege einen intimen Bezug zwischen dem Seelisch-Geistigen und Leiblich-Physischen finden kann, wie wir also in der Gedächtniskraft etwas haben, was auf der einen Seite uns seelisch-geistig erscheint, auf der andern Seite uns erscheint, indem es in anderem Weltenzusammenhange auftritt, als Wachstumskraft.

Genau den entgegengesetzten Fall haben Sie, wenn Sie die Liebefähigkeit des Menschen ins Auge fassen. Die Liebefähigkeit, die auf der

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einen Seite durchaus sich erweist als an die Körperlichkeit gebunden, die können Sie wiederum als die seelischeste Funktion ins Auge fassen, genauso wie die Gedächtniskraft. So daß Sie in der Tat - das letztere werde ich in späteren Vorträgen noch genauer ausführen - in Gedächtnis und Liebe etwas haben, wo Sie, ich möchte sagen, das Zusammenspiel des Geistigen und des Leiblichen ganz erfahrungsgemäß sehen können und es auch beziehen können auf das ganze Verhältnis des Menschen zur Welt.

Beim Gedächtnis haben wir das schon getan, indem wir zurück- bezogen haben das Vorstellungsbild auf frühere Erdenleben, die Kraft des Gedächtnisses aber auf das gegenwärtige Erdenleben. Wir werden sehen in späteren Vorträgen, daß man mit der Liebekraft ebenso verfahren kann. Man kann zeigen, wie sie sich entwickelt in dem gegenwärtigen Erdenleben, aber durchgeht durch das Leben zwischen Tod und neuer Geburt in das nächste Erdenleben hinüber, wie sie es gerade ist, die an der Metamorphosierung des übrigen außerhauptlichen menschlichen Organismus in das nächste Erdenleben hinüberarbeitet.

Warum stellen wir diese ganze Betrachtung an? Wir stellen sie an, weil man heute eine Möglichkeit braucht, von dem Geistig-Seelischen hinüberzukommen zu dem Leiblich-Physischen. Innerhalb des GeistigSeelischen erleben wir das Moralische, innerhalb des Physisch-Leiblichen erleben wir die Naturnotwendigkeit. Zwischen beiden besteht für die heutige Anschauung, wenn man ehrlich auf beiden Gebieten ist, eben keine Brücke. Und ich habe gestern darauf aufmerksam gemacht, daß, weil eine solche Brücke nicht besteht, die Leute ja sogar unterscheiden zwischen dem sogenannten echten Wissen, das sich auf die Naturkausalität bezieht, und dem bloßen Glaubensinhalt, der sich auf die moralische Welt beziehen soll, weil unzusammenhängend nebeneinanderstehen auf der einen Seite die Naturkausalität, auf der andern Seite das seelisch-geistige Leben. Aber es handelt sich durchaus darum, daß wir, um zu einem vollen Menschenbewußtsein wiederum zu kommen, dieses Brückenschlagen zwischen dem einen und dem andern brauchen.

Da ist vor allen Dingen notwendig zu berücksichtigen, daß die moralische Welt ohne die Statuierung der Freiheit nicht bestehen kann,

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die natürliche Welt nicht bestehen kann ohne die Notwendigkeit, nach welcher das eine aus dem andern hervorgeht. Es könnte im Grunde gar keine Wissenschaft geben, wenn es diese Notwendigkeit nicht geben würde. Würde nicht notwendig eine Erscheinung aus der andern hervorgehen im Naturzusammenhang, würde da alles willkürlich sein, so könnte es ja keine Wissenschaft geben. Es könnte nun ja alles dasjenige, was man eben nicht wissen kann, aus dem andern hervorgehen, nicht wahr! Also es ist klar: Wissenschaft ist zunächst da, wenn man in ihr nur sehen will, wie eines aus dem andern hervorgeht, daß eines aus dem andern hervorgeht. Aber wenn diese Naturkausalität ganz allgemein ist, dann ist eine moralische Freiheit unmöglich, dann kann sie nicht da sein. Aber das Bewußtsein dieser moralischen Freiheit innerhalb des Seelisch-Geistigen, das ist als eine unmittelbar erfahrbare Tatsache in jedem Menschen vorhanden.

Der Widerspruch zwischen dem, was der Mensch erlebt in seiner moralischen Seelenkonstitution und in der Naturkausalität, ist nicht ein logischer, sondern ein Lebenswiderspruch. Wir gehen fortwährend mit diesem Widerspruch durch die Welt. Er gehört zum Leben. Es ist in der Tat so, daß, wenn wir uns ehrlich gestehen, was da vorliegt, wir uns sagen müssen: Naturkausalität, Notwendigkeit, sie muß es geben, und wir gehen selber als Menschen durch diese Notwendigkeit. Aber unser inneres, seelisch-geistiges Leben widerspricht dem. Wir sind uns bewußt: Wir können Entschlüsse fassen, wir können moralischen Idealen folgen, die uns nicht innerhalb der Naturkausalität gegeben sind. Es ist dieses ein Widerspruch, der ein Lebenswiderspruch ist. Und derjenige, der nicht zugeben kann, daß solche Widersprüche im Leben drinnenstehen, der faßt einfach das Leben nicht in seiner Allseitigkeit. Aber wenn wir das so ausdrücken, ist es recht abstrakt. Es ist eigentlich im Grunde genommen stets nur eine Art von Auffassung, die wir dem Leben entgegenbringen. Wir gehen durch das Leben und fühlen uns eigentlich fortwährend mit der äußeren Natur im Widerspruch. Es scheint, als ob wir machtlos wären, als ob wir uns eben im Widerspruch fühlen müßten.

Man kann diese Widersprüche zum Beispiel heute bei manchen Menschen gerade in einer recht tragischen Weise erleben. Ich habe zum

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Beispiel einen Menschen gekannt, der tatsächlich ganz erfüllt war davon, daß es eine Notwendigkeit in der Welt gibt, der auch der Mensch eingegliedert ist. Man kann natürlich theoretisch eine solche Notwendigkeit zugeben und sich mit seinem ganzen Menschen nicht viel darum kümmern; dann geht man eben als Trivialling durch die Welt und wird nicht von einer inneren Tragik erfüllt. Aber wie gesagt, ich kannte immerhin einen Menschen, der sagte: Es ist ja überall Notwendigkeit, und wir Menschen sind hineingestellt in diese Notwendigkeit. Es ist nicht anders, denn die Wissenschaft zwingt uns zur Anerkennung dieser Notwendigkeit. Aber diese Notwendigkeit läßt zu gleicher Zeit Blasen in uns aufsteigen, Blasen, die Schaum sind und die uns vorgaukeln ein freies Seelenleben. Das müssen wir durchschauen, als Blasen ansehen. Das ist auch eine Notwendigkeit.

Das ist die furchtbare Illusion des Menschen. Das ist die Begründung des Pessimismus in der menschlichen Natur. Wer wenig Idee davon hat, wie tief so etwas in der Seele eines Menschen wirken kann, der wird nicht nachfühlen können, wie hier der durchaus reale Lebenswiderspruch die ganze menschliche Seele durchwühlen kann und selbst zu der Anschauung führen kann, daß zu leben durch seine eigene Wesenheit ein Unglück ist. Es ist nur die Gedankenlosigkeit und die Empfindungslosigkeit gegenüber demjenigen, was uns heute auf der einen Seite wissenschaftliche Gewißheit und auf der andern Seite Glaubensgewißheit geben wollen, die die Menschen nicht kommen lassen zu solcher inneren Lebenstragik. Denn eigentlich wäre gegenüber der heutigen möglichen Seelenverfassung der Menschheit diese Lebenstragik die gegebene Seelenverfassung.

Aber woher rührt denn das Unvermögen, das zu solcher Lebenstragik führt? Es rührt daher, daß wir uns seit Jahrhunderten eben eingesponnen haben als zivilisierte Menschheit in gewisse Abstraktionen, in einen Intellektualismus. Dieser Intellektualismus kann sich höchstens sagen: Es gaukelt uns die Naturnotwendigkeit durch merkwürdige Richtungen ein Freiheitsgefühl vor. Das ist aber nicht vorhanden. Es ist nur in unseren Ideen vorhanden. Wir sind ohnmächtig gegenüber der Naturnotwendigkeit.

Die große Frage entsteht: Sind wir das nun wirklich? - Und nun

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merken Sie, wie die Vorträge, die ich nun seit Wochen hier gehalten habe, eigentlich alle auf die Frage hintendieren: Sind wir es in Wirklichkeit? Sind wir in Wirklichkeit so ohnmächtig mit diesem Widerspruch? - Erinnern Sie sich, wie ich gesagt habe, daß wir im menschlichen Leben nicht nur eine aufsteigende, sondern auch eine absteigende Entwickelung haben, daß unser intellektuelles Leben nicht gebunden ist an die Wachstums-, sondern an die Absterbekräfte, an die absterbende Entwickelung, daß wir das Sterben brauchen, gerade um die Intelligenz zu entwickeln. Erinnern Sie sich daran, wie ich vor einigen Wochen hier gezeigt habe, was es für eine Bedeutung hat, daß mit bestimmten Affinitäten und Wertigkeitskräften in der Welt bestehende Elemente, meinetwillen Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Schwefel sich verbinden zu dem Eiweißstoff; wie ich Ihnen gezeigt habe, worauf dieses Verbinden beruht, wie es gerade nicht auf dem Chemisieren, sondern auf dem Chaotischwerden beruht, und Sie werden sehen, alle diese Betrachtungen tendieren dahin, das, was ich angedeutet habe, nicht nur als einen theoretischen Widerspruch aufzudecken, sondern als einen Prozeß in der menschlichen Natur. Wir sind nicht nur, indem wir als Menschen leben, dazu da, einen solchen Widerspruch zu empfinden, sondern unser inneres Leben ist ein fortwährender Zerstörungsprozeß desjenigen, was außen in der Natur als Naturkausalität sich entwickelt. Wir lösen in uns Menschen die Naturkausalität in Wirklichkeit auf. Dasjenige, was außen die physikalischen Vorgänge, die chemischen Vorgänge vorstellen, in uns wird es rückgängig entwickelt, wird es nach der andern Seite entwickelt. Natürlich wird uns das nur dann klar, wenn wir den unteren und den oberen Menschen ins Auge fassen, wenn wir dasjenige, was im unteren Menschen vom Stoffwechsel heraufkommt, in seiner Entmechanisierung, Entphysizierung, Entchemisierung durch den oberen Menschen ins Auge fassen. Wenn wir die Entstofflichung im Menschen ins Auge zu fassen suchen, dann haben wir nicht nur einen logischen, theoretischen Widerspruch in uns, sondern wir haben den realen Prozeß: wir haben den Menschenwerde- und Menschenentwickelungsprozeß als denjenigen in uns, der selber kämpft gegen die Naturkausalität, und das Menschenleben als ein solches, welches darinnen besteht, daß es ein Kampf ist gegen die

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Naturkausalität. Und der Ausdruck dieses Kampfes, der Ausdruck desjenigen, was in uns fortwährend die physische Synthese, die chemische Synthese löst, wiederum analysiert, der Ausdruck des analytischen Lebens in uns faßt sich zusammen in der Empfindung: Ich bin frei.

Dasjenige, was ich Ihnen jetzt in ein paar Worten hingestellt habe, also die Betrachtung des Menschen in seinem Werdeprozesse als einem Kampfprozesse gegen die Naturkausalität, als eine umgekehrte Naturkausalität, das wollen wir in den nächsten Vorträgen nun hier betrachten.

SIEBZEHNTER VORTRAG Dornach, 5. August 1921

#G206-1991-SE062 Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist

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SIEBZEHNTER VORTRAG

Dornach, 5. August 1921

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Um unser neuzeitliches Geistesleben und seine Entwickelungsmöglichkeiten für die Zukunft zu verstehen, habe ich in den letzten Betrachtungen hier einiges vorgebracht, und im Verlaufe dieser Betrachtungen sagte ich, daß es notwendig scheint, den Hergang zu beachten, der sich abgespielt hat im Laufe der Menschheitsentwickelung und der dann zu der Seelenverfassung geführt hat, in welcher dieses neuzeitliche Geistesleben sich befindet.

Fassen wir noch einmal einiges ins Auge, das dieses neuzeitliche Geistesleben charakterisiert. Aus den verschiedensten Untergründen heraus haben wir uns ja wohl zu der Überzeugung durchgerungen, daß der Grundton dieses Geisteslebens der Intellektualismus ist, das intellektuelle, verstandesmäßige Sich-Verhalten zur Welt und zum Menschen selbst. Es widerspricht dem nicht, daß in der neuesten Zeit das Wesentliche der gegenwärtigen Weltanschauung in der Beobachtung und in der Verarbeitung der äußeren, mit den Sinnen zu beobachtenden Erscheinungen gesucht wird. Das insbesondere soll sich uns noch in diesen Tagen zeigen. Der Intellektualismus als solcher ist zunächst im Verlaufe der Menschheitsentwickelung hervorgetreten, man kann sagen, in dem Zeitraume, der dreihundert Jahre umfaßt vor dem Mysterium von Golgatha, und er hat sich dann allmählich heraufentwickelt zu einer Höhe, über die er eigentlich nicht mehr weiter fortgeschritten ist in den drei Jahrhunderten nach dem Mysterium von Golgatha. Im Laufe der sechs Jahrhunderte etwa, kann man sagen, ist die Menschheit in diesem Intellektualismus erzogen worden. Und er hat sich heraus- entwickelt aus einer spirituellen Weltanschauung, aus jener spirituellen Weltanschauung, die in diesem Zeitalter, in diesen sechs Jahrhunderten zum Abfluten kommt. Man kann mit äußeren Dokumenten - darauf machte ich ja schon aufmerksam - das Abfluten dieser Weltanschauung kaum studieren, da die spätere Ausbreitung des Christentums es sich hat angelegen sein lassen, mit wenigen Ausnahmen die gnostischen Urkunden zu vernichten.

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Diese gnostischen Urkunden, sie sind dasjenige in der menschlichen Weltanschauungsentwickelung, das auf der einen Seite etwas aufgenommen hat aus älteren Traditionen, aus dem, was an alter Weisheit vorhanden war in Asien, in Afrika, in Südeuropa; aus dem, was eben in diesen späteren Zeiten nach den Fähigkeiten der Menschen, die ins übersinnliche Schauen nicht mehr weit hinaufgingen, da noch erreichbar war. Jene ältere Weisheit, die noch ihre letzten Nachklänge hat in den vorsokratischen griechischen Philosophen und die noch etwas hereinscheint in den Ausführungen des Plato, diese Weltanschauung, sie hat nicht mit Intellektualismus gearbeitet. Sie hat ihren Inhalt im wesentlichen, wenn auch auf instinktive Art, so doch durch übersinnliches Schauen gewonnen. Dieses übersinnliche Schauen gibt ja zu gleicher Zeit dasjenige mit, was man nennen könnte eine innere logische Systematik. Man braucht nicht die intellektualistische Verarbeitung, wenn man den Inhalt des übe~innlichen Schauens in sich trägt, denn er hat die logische Struktur durch seine eigene Wesenheit in sich.

Aber eben die Fähigkeit, zu diesem übersinnlichen Inhalte zu kommen, die ging allmählich der Menschheit verloren. Und die letzte Phase war dasjenige, was in der Gnostik erhalten ist. Aber die Gnostik ist nun schon durchsetzt von Intellektualismus. So daß man sagen kann, daß für die Menschheitsentwickelung in gewisser Beziehung der Intellektualismus aus der Gnostik herausgeboren wird. Er wird geboren aus übersinnlichem, aus spirituellem Inhalte. Der spirituelle Inhalt versiegt und das Intellektuelle bleibt zurück.

Der in erster Linie tonangebende Geist, der nun schon ganz mit Intellektualismus arbeitet und bei dem man schon klar sieht - bei Plato tritt das noch nicht hervor -, wie die ältere Spiritualität aufgehört hat und der Mensch versucht, zu einer Weltanschauung zu kommen durch intellektuelle innere Arbeit, das ist Aristoteles. Aristoteles ist gewissermaßen der erste wirklich intellektualistisch arbeitende Mensch in der Menschheitsentwickelung selber. Uberall treten einem noch bei ihm solche Aufstellungen entgegen, die zeigen, wie traditionell lebendig noch die Erinnerung war an alte, auf übersinnliche Weise gewonnene Erkenntnisse. Aristoteles weiß von diesen Erkenntnissen. Er führt sie an da, wo er von seinen Vorgängern spricht; aber er ist nicht mehr in

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der Lage, mit dem, was er da anführt, einen wirklichen, innerlich erlebten Inhalt zu verbinden. Man sieht schon in einem hohen Grade bei ihm zum bloßen Worte werden dasjenige, was vorher intensives Erlebnis war. Dagegen arbeitet er im eminenten Sinne intellektualistisch.

Durch die besondere Konfiguration der griechischen Kultur ist Aristoteles nicht Gnostiker. Aber in der damals noch reichlich vorhandenen Gnostik, die sich ja bis in die nachchristlichen Jahrhunderte hinein fortgepflanzt hat, ist ein intellektualistisches Erfassen des alten spirituellen, aber nicht mehr erlebten Inhaltes vorhanden. Man hat gewissermaßen ein Schattenbild der alten spirituellen Weisheit in demjenigen, was die Gnostiker darstellen. Und im Grunde kann man sehen, wie nach und nach der Menschheit überhaupt die Möglichkeit verloren- geht, noch einen Sinn zu verbinden mit dem, was einmal übersinnlich gegeben war. Vollständig ist dieser Punkt, daß man mit dem alten Spirituellen keinen Sinn mehr verbinden kann, eben im 4. nachchristlichen Jahrhunderte erreicht. Und gerade bei einem solchen Geiste wie Augustinus zeigt sich im eminentesten Sinne klar, wie er aus allen Tiefen der menschlichen Seele heraus nach einer Weltanschauung ringt, wie er aber unmöglich zu einer solchen kommen kann aus irgendeiner Spiritualität heraus, und wie er daher zuletzt landet bei der Annahme desjenigen, was ihm dogmatisch von der katholischen Kirche dargeboten wird.

Inhalt hat nun dieses abendländische Geistesleben - von dem wollen wir zunächst sprechen - namentlich in denjenigen Jahrhunderten bekommen, die auf die ersten vier nach dem Mysterium von Golgatha folgen; Inhalt hat es bekommen durch dasjenige, was von christlicher Seite her überliefert wurde, was allmählich in Dogmen, das heißt, in intellektualistische Gedankenformen geprägt worden ist, was aber bezogen wurde auf einen Inhalt, der einmal im übersinnlichen Schauen erlebt worden war, der aber eben nur noch als Erinnerung vorhanden war. Aber es war nicht mehr die Möglichkeit vorhanden, die Verbindung des Menschen mit diesem übersinnlichen Inhalte zu durchschauen, das heißt, den Sinn dieses übersinnlichen Inhaltes irgendwie an den Menschen heranzubringen. Und so gestaltete sich denn in den folgenden

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Jahrhunderten, bis ins 15. herein, wesentlich die Erziehung der Menschheit zum Intellektualismus aus.

Wer das Geistesleben vom 4., 5. nachchristlichen Jahrhundert bis ins 15. hinein verfolgt mit alldem, was da durchgemacht war zunächst unter den ersten Kirchenlehrern bis herauf zu Scotus Erigena> bis zu Thomas von Aquino und Albertus Magnus, mit dem, was da durchlebt worden ist, ihn kann es ja wirklich weniger interessieren durch den Inhalt, der vermittelt wird, als durch die durch und durch bedeutungsvolle Erziehung, welche da durchgemacht worden ist zu jenem Intellektualistischen in der Seelenverfassung. In bezug auf die Intellektualität, auf dieVerarbeitung des Begrifflichen haben es ja die christlichen Philosophen aufs höchste gebracht. Und wenn man sagen kann auf der einen Seite: Die Geburt des Intellektualismus war vollendet im 4. nachchristlichen Jahrhundert -, so kann man sagen: Dieser Intellektualismus als Technik, als Denktechnik,wurde ausgebildet bis in das 15.Jahrhundert hinein. - Daß überhaupt das Element des Intellektualismus vom Menschen erfaßt werden konnte, das spielte sich ab im 4.Jahrhundert. Aber der Intellektualismus mußte zunächst innerlich durchgearbeitet werden. Und es ist ja wirklich bewundernswert, was nach dieser Richtung hin geleistet worden ist bis in die Zeit der Hochscholastik hinein.

In dieser Beziehung könnten ja moderne Denker außerordentlich viel lernen, wenn sie ihre Begriffsbildungsfähigkeit wiederum heran- schulen würden an demjenigen, was da an Begriffstechnik die Scholastiker der katholischen Kirche entwickelt haben. Wenn man an das verlotterte Denken, das innerhalb der heutigen Wissenschaft gang und gäbe ist, denkt, wenn man daran denkt, wie gewisse Begriffe, ohne die man zu einer Weltanschauung überhaupt nicht kommen kann - zum Beispiel der Begriff der Subsistenz gegenüber der Existenz -, geradezu ihrem innerlichen Gehalte nach verlorengegangen sind, daß Begriffe wie Hypothese einen Charakter angenommen haben, der ganz verschwommen ist, während er bei den Scholastikern ein streng umrissenes Gedankengebilde darstellte, und wenn man vieles andere in dieser Richtung anführen wollte, so würde man eben sehen, wie heute eigentlich eine Beherrschung der Gedankentechnik gar nicht vorhanden ist im üblichen Geistesleben, und wieviel gelernt werden könnte dadurch,

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daß sich die Menschen wiederum bekanntmachten mit dem, was bis ins 15.Jahrhundert hinein an Denktechnik, das heißt, an Technik des Intellektualismus ausgebildet worden ist. Der Grund, warum auf diesem Gebiete geschulte Denker so voraus sind auch den modernen Philosophen, ist ja, daß diese Denker eben das scholastische Element in sich aufgenommen haben.

Es ist geradezu ein Wohltuendes, möchte ich sagen, wenn man aus dem verlotterten Denken der neueren Wissenschaftsliteratur zu einem solchen Buche greift, wie die «Geschichte des Idealismus» von willmann ist, mit dem man selbstverständlich dem Inhalte nach heute nicht einverstanden sein kann, der einem seinem Inhalte nach völlig wider- strebt; aber es zeigt sich darinnen eine Denktätigkeit, in der man sich eben als solcher gegenüber dem eben Charakterisierten außerordentlich wohlbefinden kann. Diese «Geschichte des Idealismus» von Otto Will- mann sollte auch von denjenigen gelesen werden, die auf einem ganz andern Gesichtspunkte stehen. Denn wie da die Probleme seit Plato behandelt werden mit einer völligen Beherrschung der scholastischen Denktätigkeit, das kann zum mindesten nur außerordentlich disziplinierend für einen modernen Menschen wirken.

Es war also im wesentlichen dem 4.Jahrhunderte bis zum 15.Jahr- hunderte gegeben, diese Denktechnik auszubilden. Nun ist zunächst diese Denktätigkeit eingelaufen in ein ganz bestimmtes Verhalten der menschlichen Erkenntnisfähigkeit zu dem Weltinhalte. Man kann sagen: Solche Geister wie Albertus Magnus, Thomas Aquinas, sie haben die Stellung der Denktätigkeit zu dem Weltinhalte in dem Punkte, bis zu dem sie damals ausgebildet war, in einer für die damalige Zeit durchaus einwandfreien Weise klar dargestellt.

Wie tritt uns diese Darstellung entgegen? Diese Denker hatten zunächst dasjenige, was ich auf diese Weise eben charakterisiert habe, herrührend aus alten Traditionen, aus alten Überlieferungen, aber seinem Sinne nach nicht mehr verstanden, als Dogmatik erhalten. Das hatten sie zunächst zu schützen als den Inhalt einer übernatürlichen, einer - was dazumal ziemlich gleichbedeutend war - übersinnlichen Offenbarung. Diese Offenbarung bewahrte die Kirche durch ihr Lehramt. Dasjenige, was zu sagen war über die übersinnlichen Welten, das

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glaubte man enthalten in der Dogmatik der Kirche. Und das, was man in dieser Dogmatik hatte, das sollte hingenommen werden als Offenbarung, an die menschliche Vernunft, also menschliche Intellektualität nicht heran kann.

Auf der einen Seite also war es für diese Zeit des Mittelalters ganz selbstverständlich, daß man die im hohen Grade ausgebildete intellektuelle Technik anwandte; auf der andern Seite war es klar, daß diese Intellektualität nicht irgendwie etwas ausmachen durfte über den Inhalt der Dogmatik. Es wurden die höchsten Wahrheiten, deren der Mensch bedurfte, in dieser Dogmatik gesucht. Sie mußten aus der übernatürlichen Theologie entnommen werden, und es war drinnen im wesentlichen alles enthalten,was sich eigentlich auf die höheren Schicksale des menschlichen Seelenlebens bezieht. Dagegen waren diese Anschauungen durchdrungen davon, daß mit Hilfe der ausgebildeten Intellektualität die Natur begriffen und erklärt werden könne, daß man auch noch aus der Ratio, also der Intellektualität heraus dazu kommen könne, mit einer gewissen Abstraktion Weltenanfang und Weltenende zu begreifen, daß man auch noch das Dasein Gottes begreifen kann und so weiter. Diese Dinge wurden durchaus, aber in einer gewissen abstrakten Form, zu denjenigen gerechnet, die sich noch erreichen lassen durch die intellektualistische Technik. Es war also im Grunde genommen die menschliche Erkenntnis gespalten in die zwei Gebiete: in das Gebiet des \)bersinnlichen, das nur durch Offenbarung an die Menschheit hat herankommen können und das bewahrt worden ist in der christlichen Dogmatik, und das andere Gebiet, das Naturerkenntnis enthielt, soweit man sie dazumal hatte, das aber erreicht werden sollte seinem ganzen Umfange nach durch intellektualistische Technik.

Diese Zweiheit des Erkenntniswesens für das Mittelalter muß man durchaus durchdringen, wenn man die neuzeitliche Geistesentwickelung verstehen will; denn mit dem 15.Jahrhundert kamen langsam und dann immer schneller die Gebiete herauf, die dann den Inhalt der modernen naturwissenschaftlichen Weltanschauung bildeten. Der Intellekt hatte sich für sich selbst in seiner Technik bis ins 15. Jahrhundert ausgebildet, aber er hatte in dieser Zeit wesentlich sich bereichert durch

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inhaltliches Naturwissen. Was an Naturwissen vorhanden war, war bis zu dieser Zeit Altüberliefertes, wenig mehr Verstandenes. Der Intellekt hatte sich gewissermaßen nicht erprobt an einem unmittelbaren elementaren Inhalt.

Das geschah erst, als die Taten Kopernikus, Galileis und so weiter in die neuzeitliche Wissensentwickelung eintraten. Da kam die Zeit, wo nun der Intellekt nicht mehr bloß seine Technik ausbildete, sondern wo dieser Intellekt sich zu schaffen machte mit der äußeren Welt. Man kann ja insbesondere sehen, wie solch ein Geist wie Galilei mit der ausgebildeten Gedankentechnik zuerst herangeht an den äußeren sinnenfälligen Weltinhalt. Das ist nun dasjenige, was dann im Laufe der nächsten Jahrhunderte bis ins 19. Jahrhundert herauf vorzugsweise die Beschäftigung der nach Wissen strebenden Menschheit geworden ist: die Auseinandersetzung des Intellektes mit dem Naturwissen.

Was aber lebte fort in dieser Auseinandersetzung des Intellektes mit dem Naturwissen? Man muß da nur nicht nach vorgefaßten Begriffen, sondern nach psychologischen, historischen Tatsachen gehen. Man muß sich völlig klarwerden darüber, daß ja die Menschheit nicht nur Theorien von einem Zeitalter in das andere hineinträgt, sondern daß sich in einer ganz außerordentlich starken Weise festgesetzt hatte durch die christliche Philosophenentwickelung hindurch der Drang, das intellektuelle Element nur auf die Sinneswelt anzuwenden und das Übersinnliche nicht davon berührt werden zu lassen. Als Sünde hätte es gegolten für einen nach Erkenntnis Strebenden,wenn er das übersinnliche Gebiet hätte berühren wollen mit der Intellektualität.

Das gibt eine gewisse Gewohnheit. Solche Gewohnheiten leben fort. Die Menschen werden sich ihrer nicht voll bewußt, aber sie handeln unter dem Einflusse dieser Gewohnheiten. Und aus dieser Gewohnheit - also aus einer durch den Einfluß der christlichen Dogmatik erzeugten Gewohnheit - ist der Trieb entstanden in den dem 19. vorangehenden Jahrhunderten, sich mit der Intellektualität nur an die äußere sinnliche Beobachtung zu halten. Geradeso wie die Hochschulen im allgemeinen Fortsetzungen waren der von der Kirche eingerichteten Schulen, so war die Wissenschaft, die an diesen Hochschulen getrieben wurde, in bezug auf das Naturwissen durchaus eine Fortsetzung desjenigen,

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was als das Richtige auf dem Gebiete des Naturwissens von der Kirche anerkannt worden ist. Das Streben, nur äußere sinnliche Empirie hereinzunehmen in das Wissen, ist durchaus ein Nachklang einer aus der christlichen Dogmatik hervorgehenden Seelengewohnheit.

Parallel mit diesem Hinlenken des Intellektes auf die äußerliche sinnliche Welt ging immer mehr und mehr das Abblassen desjenigen, was von der Seele aus nach dem Inhalte der übersinnlichen Dogmatik hin gerichtet war. Man hatte eben wiederum eine Möglichkeit, selbst zu forschen; wenn auch nur einen sinnlichen Inhalt zu bekommen für die Intellektualität, so doch eben einen Wissensinhalt zu bekommen.

Unter dem Einflusse, ich möchte sagen, des immer positiver und positiver werdenden Wissensinhaltes aus der Sinnenwelt, verblaßte der dogmatische Inhalt. Man konnte nun nicht einmal mehr diejenige Beziehung der Menschenseele zu diesem übersinnlichen Inhalt gewinnen, die eben nach dem 4. nachchristlichen Jahrhunderte noch da war wie eine Erinnerung an etwas,was einmal in uralten Zeiten von der Menschheit erlebt worden war. Das was sich auf die übersinnlichen Welten bezog, verblaßte eben allmählich ganz und gar, und es ist ja nur ein künstliches Forterhalten des übersinnlichen Inhaltes, was wir erleben in den Geistesentwickelungen der letzten drei, vier Jahrhunderte. Der aus der Sinneswelt entlehnte und mit dem Intellekt bearbeitete Inhalt wird immer reichlicher und reichlicher. Die Menschenseele durchdringt sich damit; das Hinweisen zu dem übersinnlichen Inhalte verblaßt immer mehr und mehr. Auch das ist durchaus ein Ergebnis der christlich-dogmatischen Entwickelung.

Dann kam das 19. Jahrhundert, für das eine elementare Beziehung der Menschenseele zum übersinnlichen Inhalt völlig verblaßt war, und für das es immer mehr und mehr notwendig wurde, künstlich, man möchte sagen, sich einzureden, daß die Annahme einer übersinnlichen Welt dennoch eine Bedeutung habe. Und so bildete sich namentlich im 19. Jahrhundert die allerdings schon vorher gut vorbereitete Lehre heraus von den zwei Erkenntniswegen: dem Wege des Wissens und dem Wege des Glaubens. Eine ganz und gar auf bloße subjektive Überzeugung gebaute Glaubenserkenntnis sollte noch dasjenige stützen, was sich traditionell von der alten Dogmatik erhalten hatte. Daneben war

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man immer mehr und mehr, ich möchte sagen, überwältigt von demjenigen, was die Sinneswelt an Erkenntnissen dargeboten hat. So war im Grunde genommen die Lage der Entwickelung der europäischen Geisteswelt gerade um die Mitte des 19. Jahrhunderts: reich fließende Erkenntnis der Sinneswelt, problematische Stellung zu der übersinnlichen Welt. Während man beim Forschen in der Sinneswelt überall Grund und Boden unter den Füßen hatte, während man überall hinweisen konnte auf die Tatsachen, die sich eben aus der äußeren Beobachtung ergaben und die man zusammenfassen konnte zu einer Art von Weltbild, das allerdings nur sinnliche Inhalte enthielt, das aber doch sich immer mehr und mehr vervollständigte mit Bezug auf diese sinnlichen Inhalte, war es eine Art krampfhaften Bestrebens, eine Glaubensübersicht festzuhalten von dem Übersinnlichen. Und besonders bemerkenswert in dieser Beziehung ist die Entwickelung der Theologie im 19. Jahrhundert, namentlich der Christologie, bei der man sieht, wie nach und nach eigentlich aller übersinnlicher Inhalt des ChristusBegriffes verlorengeht und zuletzt nichts anderes übrig bleibt als der in der Sinneswelt anwesende Jesus von Nazareth, dasjenige, was also im gewöhnlichen Sinnes- und im intellektualistischen Sinnenleben als ein Mitglied der Menschheitsentwickelung betrachtet werden konnte. Und es entstanden diejenigen Bestrebungen, die nun versuchten, das Christentum auch gegenüber der modernen Aufklärung und Wissenschaftlichkeit zu halten, indem sie es ja durchkritisierten, bei dieser Durchkritisierung auflösten, den Evangelieninhalt siebten und dadurch in gewisser Weise wenigstens eine Berechtigung herausdefinierten für den Glaubenshinweis auf eine übersinnliche Welt.

Es ist nun merkwürdig, welche Gestalt diese Entwickelung gerade in der Mitte des 19. Jahrhunderts angenommen hat. Gerade derjenige, der sich mit moderner Geisteswissenschaft beschäftigt, darf dieses Entwickelungsstadium menschlicher Erkenntnis nicht übersehen. Bei denen, die in der neueren Zeit vielfach über Geist und Geistesleben sprachen, wird in dilettantischer Weise abgefertigt, was in der Mitte des 19.Jahr- hunderts in der Menschheitsentwickelung heraufgekommen ist als Materialismus. Gewiß, bei diesem Materialismus stehenzubleiben, ist eine Oberflächlichkeit; aber eine noch größere Oberflächlichkeit ist, sich zu

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diesem Materialismus dilettantisch zu verhalten. Es ist ja verhältnismäßig leicht, sich einige Begriffe von Geist und Geistesleben anzueignen und dann abzusprechen über dasjenige, was im Materialismus des 19. Jahrhunderts heraufgezogen ist; aber man muß die Sache von einem andern Gesichtspunkte aus betrachten.

Wahr ist es, daß zum Beispiel ein solcher Denker - und er ist in der Reihe der materialistischen Denker vielleicht einer der allerhervorragendsten - wie Heinrich Czolbe 1855 in seinem Buch «Neue Darstellung des Sensualismus. Ein Entwurf» diesen Sensualismus geradezu dadurch definiert hat, daß er sagte: Dieser Sensualismus bedeutet ein Erkenntnisstreben, das von vorneherein das Übersinnliche ausschließt. - So daß man also in dem Czolbeschen System des Sensualismus etwas vor sich hat, was aus dem rein in der sinnlichen Beobachtung Gegebenen die Welt und auch die Menschen erklären will. Gerade dieses System des Sensualismus ist, man möchte sagen, auf der einen Seite oberflächlich, auf der andern Seite außerordentlich scharfsinnig. Es wird wirklich da der Versuch gemacht, von der Wahrnehmung angefangen bis herauf in die Politik, alles in das Zeichen des Sensualismus zu rücken, alles so darzustellen, als wenn man es eben erklären könnte aus dem, was Sinne beobachten können und was der Intellekt aus diesen Sinnesbeobachtungen sich erkombinieren kann. 1855 ist dieses Buch erschienen, also in der Zeit, in der es noch nicht einen ausgesprochenen Darwinismus gegeben hat, denn Da rw ins erstes epochemachendesWerk ist ja erst 1859 erschienen.

Dieses Jahr 1859 war überhaupt, wie ich schon öfter angedeutet habe, außerordentlich einschneidend in der neueren Geistesentwickelung. Wir haben um diese Zeit erscheinend Darwins «Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl». Wir haben in dieser Zeit herauf- kommend in der Menschheitsentwickelung die Spektralanalyse, von der ja die Anschauung ausgegangen ist, daß aus denselben Materialsubstanzen, aus denen das irdische Dasein besteht, das Weltenall auch besteht. Wir haben dann den Versuch, dasjenige zu erfassen, was früher immer auf geistig-intellektuelle Weise behandelt worden ist, das ästhetische Gebiet, durch äußerliche, sinnliche Empirie. Gustav Theodor Fechners «Vorschule der Asthetik» erschien 1876. Und endlich, wir

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haben den Versuch, diese Denkweise, die in all dem Angeführten liegt, zu übertragen auf das soziale Leben. Karl Marxens erstes größeres ökonomisches Werk erschien ebenfalls in diesem Jahre 1859. Diese vierte Erscheinung des neuzeitlichen materialistischen Geisteslebens, sie fällt bis auf das Jahr in dieselbe Zeit. Aber wie gesagt, vorangegangen ist schon so etwas, wie Czolbes System des Sensualismus war.

Wenn dann versucht worden ist, alles dasjenige, was seit jener Zeit reichlich an Tatsachen des äußeren Sinneslebens erkundet worden ist, mit materialistischen Weltanschauungen zu durchdringen, so darf man sagen: Diese materialistische Weltanschauung ist nicht geschaffen worden etwa durch den Darwinismus oder durch die Spektralanalyse, sondern dasjenige, was Darwin so sorgfältig zusammengetragen hat, das, was durchschaut werden konnte bis zu einem gewissen Grade in der Spektralanalyse, das, was erforscht werden konnte von Dingen selbst, die man früher nur auf ganz anderem Wege erforschen wollte, wie es durch Fechners «Vorschule der Asthetik» geschehen ist, das ist getaucht worden in die schon vorhandene Anschauung des Sensualismus. Und der Materialismus, er war im Grunde genommen schon da; aber er ist hervorgegangen aus der Fortpflanzung jener Denkgewohnheit, die eigentlich ein Kind der scholastischen Denkweise ist. Man versteht diese neuzeitliche Geistesentwickelung und man versteht auch den Materialismus nicht, wenn man sich nicht klar darüber ist, daß er nichts anderes ist als eine Fortsetzung mittelalterlichen Denkens, nur mit Weglassung der Anschauung, daß man aufsteigen müsse vom Denken zu dem, was übersinnlich ist, eben nicht durch menschliche Vernunft und menschliche Beobachtung, sondern durch Offenbarung, die in der Dogmatik gegeben ist.

Dieses Zweite hat man einfach weggelassen. Aber die Grundüberzeugung für den einen Teil des Erkennens, für den auf die Sinneswelt bezüglichen, hat man beibehalten. Und im Verlaufe des 19. Jahrhunderts verwandelte sich dasjenige, was sich da herausgebildet hatte, dann so, daß es erschien zum Beispiel in dem berühmten «Ignorabimus» von DuBois-Reymond aus dem Anfang der siebziger Jahre. Der Scholastiker sagte: Die menschliche Erkenntnis, von Intellekt durchdrungen, bezieht sich nur auf die äußere Sinneswelt. Alles dasjenige,

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was der Mensch über das Übersinnliche erkennen soll, muß ihm gegeben werden durch Offenbarung, die in der Dogmatik bewahrt ist. - Diese Offenbarung, die in der Dogmatik bewahrt ist, verblaßt; aber die andere Grundüberzeugung wird beibehalten. Sie spricht Du BoisReymond, allerdings in neuzeitlichem Gewande, scharf aus. Und er wendet dann dasjenige, was in der Scholastik so geklungen hat, wie ich es eben jetzt gesagt habe, in der Art an, daß er sagt Man kann nur das Sinnliche erkennen, soll nur das Sinnliche erkennen, denn ein Erkennen des Übersinnlichen gibt es nicht.

Im Grunde genommen ist kein Unterschied zwischen dem einen Gebiete des Erkennens der Scholastik und demjenigen, was da, allerdings in neuzeitlichem Gewande, bei den modernen Naturforschern - und DuBois-Reymond war gewiß einer der modernsten - hervorgetreten ist. Es ist wirklich ganz besonders wichtig, dieses Hervorgehen der neueren Naturanschauung aus der Scholastik ernsthaft anzuschauen, weil man immer glaubt, diese neuere Naturwissenschaft hätte sich im Gegensatze zur Scholastik gebildet. Wirklich, ebensowenig wie die neueren Universitäten in ihrer Struktur verleugnen können ihr Hervorgehen aus christlichen Unterrichtsanstalten des Mittelalters, ebensowenig kann die Struktur des neueren wissenschaftlichen Denkens ihr Hervorgehen aus der Scholastik verleugnen, von der sie nur etwas abgestreift hat, wie ich vorhin sagte, eine bis ins höchst Anerkennenswerte gehende Ausarbeitung der Begriffe und der Denktechnik.

Diese Denktechnik ist auch verlorengegangen; daher werden gewisse Dinge, die sich da ergeben und die für den wirklichen Denker unbefriedigend sind, in der modernen naturwissenschaftlichen Erwägungsweise mit Eleganz übergangen. Aber dasjenige, was als Geist, als Sinn lebt in dieser modernen Naturerkenntnis, ist Kind der Scholastik.

Nun war eben die Gewohnheit, sich auf das Sinnliche zu beschränken, da. Aber diese Gewohnheit hat ja auch durchaus Gutes gestiftet, denn sie brachte die Neigung hervor, sich nun eingehend mit den Tatsachen der sinnlichen Welt zu beschäftigen. Man braucht nur zu bedenken, daß ja für die neuere Geisteswissenschaft, für die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft die sinnliche Welt ein Abbild ist der übersinnlichen, daß wirklich in demjenigen, was einem in der

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sinnlichen Welt entgegentritt, die Bilder des Übersinnlichen enthalten sind, dann wird man die Tragweite des Eindringens in die sinnlich- materielle Welt durchaus würdigen können. Während man immer wieder betonen muß, daß jene andere Art des Materialismus, die als Spiritismus hervorgetreten ist und die auf materielle Art den Geist erkennen möchte, etwas Unfruchtbares ist, weil der Geist natürlich niemals sinnlich anschaulich werden kann und daher die ganze Methodik schon ein Humbug ist, muß man sich klar sein darüber, daß dasjenige, was mit den gewöhnlichen normalen Sinnen des Menschen beobachtet und mit dem in der Menschheitsentwickelung herangebildeten Intellekt er- kombiniert worden ist aus dem sinnlichen Beobachten, durchaus eben Abbild der übersinnlichen Welt ist, und daß daher ein Studium dieses Abbildes in einer gewissen Beziehung durchaus besser in die übersinnliche Welt hineinführt als zum Beispiel der Spiritismus. Ich habe das in früheren Zeiten oftmals so ausgedrückt, daß ich sagte: Da setzen sich die Menschen um einen Tisch herum und zitieren Geister und sehen ganz ab davon, daß so und so viel Geister ja um den Tisch herum- sitzen! Sie sollen sich bewußt sein ihres eigenen Geistes: der stellt ganz gewiß dasjenige dar, was sie suchen sollen. Aber weil sie diesen eigenen Geist vergessen, weil sie nicht diesen eigenen Geist erfassen mögen, suchen sie den Geist auf eine äußerlich materielle Weise durch allerlei den Laboratoriumsversuchen nachgeäffte spiritistische Experimente. - Dieser Materialismus, der also arbeitet in den Bildern des Übersinnlichen, ohne daß er sich dessen bewußt ist, daß er es mit Bildern des Übersinnlichen zu tun hat, dieser Materialismus hat mit Bezug auf seine Forschungsmethodik eben doch Großes geleistet, Großes und Gewaltiges geleistet.

Gewiß, es war niemals bei den eigentlichen Sensualisten oder Materialisten das Bestreben vorhanden - und bei Czolbe sieht man das schon ganz genau -, das Sinnenfällig-Gegebene auf ein Übersinnliches irgendwie zu beziehen; aber es war das Bestreben vorhanden, das Sinnliche als solches in seiner Struktur, in seiner Gesetzmäßigkeit zu erkennen. Wenn man vergleicht, was noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorhanden ist an Zusammenfassung von sinnlichen Tatsachen, so muß man sagen, es ist noch Stückwerk gegen die Arbeit,

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die etwa von den vierziger Jahren im 19. Jahrhundert ab geleistet wird. Und als dann gar mit einem großen Gesichtspunkt der Darwinismus auftrat, der Darwinismus, der jedenfalls in der Person Darwins selbst das gebracht hat, daß eine Fülle von Tatsachen unter gewissen Gesichtspunkten zusammengegliedert worden ist, da zeigte sich, daß zunächst ein Prinzip des Suchens, eine Methode des Suchens dadurch gegeben war.

Es hat vorsichtige Naturforscher im 19. Jahrhundert gegeben, wie zum Beispiel den Naturforscher Gegenbaur. Gegenbaur ist niemals vollständig zum Darwinisten etwa im Haeckelschen Sinne geworden. Aber was Gegenbaur, der ja auch die Arbeit Goethes mit Bezug auf die Umwandelung der Wirbelknochen, Schädelknochen, fortgesetzt hat, ganz besonders betont hat, das ist, daß, wie es auch stehen mag um die Wahrheit, um die absolute Wahrheit des Darwinismus, er eine Methode heraufgebracht hat, durch die man dazu gelangt ist, die Erscheinungen so aneinanderzureihen und miteinander zu vergleichen, daß man tatsächlich bemerkt hat, was man ohne diese Methode, ohne einen Darwinismus eben, nicht bemerkt hätte.

Gegenbaur meinte etwa: Wenn auch alles dasjenige, was an Darwinistischer Theorie vorhanden ist, einmal verschwindet, diese Darwinistische Theorie hat eine gewisse Art, die Forschung zu handhaben, hervorgebracht, so daß man Tatsachen gefunden hat, die man ohne diese Handhabung nicht gefunden hätte. Es war allerdings eine gewisse praktische Anwendung des «Als-Ob-Prinzips». Allein diese praktische Anwendung des Als-Ob-Prinzips ist ja nicht so töricht wie die philosophische Festsetzung des Als-Ob-Prinzips, wie sie dann in der späteren Zeit aufgetreten ist.

Undso konnte es kommen, daß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eigentlich eine merkwürdige Struktur des Geisteslebens sich ergab. Die Philosophie hatte sich ja in der letzteren Zeit - und diese letztere Zeit geht gar nicht weit zurück - im Grunde immer aus dem Theologischen heraus ergeben. Wer in Hume und Kant nicht mehr das theologische Element sieht, der kann eben so etwas nicht durchschauen. Das Philosophische ist durchaus aus dem Theologischen hervorgegangen, hat in einer gewissen Weise in intellektuellen Begriffen dasjenige verarbeitet, was so halb ins Übersinnliche hinaufschillerte. Und

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weil es noch immer ein ins Übersinnliche Hinaufschillerndes war, was die Philosophie behandelt hat, so machte ihr die Naturwissenschaft von der Mitte des 19. Jahrhunderts an immer mehr und mehr den Krieg. Es war ja einmal verblaßt die Hinneigung zu diesem übersinnlichen Gehalte der menschlichen Erkenntnis. Die Naturwissenschaft hatte Gehalt. Zu ihr mußte man Vertrauen haben. In ihr hatte man etwas Substantielles. Und demgegenüber, was da immer reichlicher in der Naturwissenschaft quoll und was sich allerdings bis zu manchmal skeptisch erfaßten philosophischen Problemen hin entwickelte, demgegenüber stand eigentlich die philosophische Entwickelung machtlos da. Und es ist ja interessant, daß die eindringlichste Philosophie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf das Unbewußte, nicht mehr auf das Bewußte, hinweisen mußte. Also aus dem Intellekt herausgeworfen wurde die Philosophie Eduard von Hartmanns, weil sie überhaupt noch bestehen wollte als Philosophie. Und so haben wir denn das merkwürdige Schauspiel - je mehr das 19. Jahrhundert sich zum Ende neigt, haben wir das merkwürdige Schauspiel -, daß die Philosophie immer inhaltsloser und inhaltsloser wurde, daß sie immer mehr und mehr in das Bestreben verfiel, eigentlich ihr Dasein noch zu rechtfertigen. Denn die scharfsinnigsten Philosophen wie etwa Otto Lieb- mann, die sind ja vorzugsweise bestrebt, das Dasein der Philosophie noch etwas zu rechtfertigen.

Aber es ist gar keine so geringe Verwandtschaft zwischen einem solchen Philosophen wie Otto Liebmann, der noch das Dasein der Philosophie rechtfertigen will, und einem solchen Philosophen, der das Buch schrieb: «Das Ganze der Philosophie und ihr Ende», Richard Wahle, der in durchaus scharfsinniger Weise sich zur Aufgabe setzte, zu beweisen, daß es eine Philosophie gar nicht geben konnte, und der deshalb auch eine Lehrkanzel für Philosophie an einer österreichischen Universität erhielt für eine Wissenschaft, die es also, nach seinem Beweise, gar nicht geben kann!

In den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts haben wir dann ein merkwürdiges Entwickelungsstadium dieses Ergebnisses neuzeitlicher Gedankenerkenntnisentwickelung. Wir haben auf der einen Seite das Bestreben in der Naturwissenschaft, zu einer umfassenden Welt-

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anschauung vorzurücken, alles Offenbarungsmäßige, Übersinnliche abzuweisen, und auf der andern Seite eine ohnmächtige Philosophie.

Das trat, man möchte sagen, ganz besonders bedeutsam in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts hervor, ergibt sich aber durchaus als ein notwendiges Resultat der vorangehenden Entwickelung. Wir werden diese Entwickelung dann morgen weiterverfolgen. Ich möchte nur, daß Sie besonders dieses festhalten, daß man ja den neuzeitlichen Materialismus von dem Gesichtspunkte aus betrachten muß, daß dasjenige, was im materiellen Dasein sich zunächst darlebt, ein Abbild des Übersinnlichen ist. Der Mensch selbst, so wie er sich darstellt zwischen Geburt und Tod, ist ein Abbild desjenigen, was er übersinnlich durchgemacht hat zwischen dem letzten Tode und dieser Geburt. Und wer die Seele im Materiellen sucht, sucht eben am falschen Orte.

Das ist die Grundfrage, die aufgeworfen werden muß gegenüber dem Materialismus des 19. Jahrhunderts, wenn man ihn historisch begreifen will: Inwiefern war er berechtigt? - Denn nicht dadurch, daß man ihn bekämpft, versteht man ihn in seinem historischen Werden, sondern dadurch, daß man erfaßt, was ihm allerdings fehlte, was ihm aber in einer gewissen Weise fehlen mußte, weil eine unmittelbar vorhergehende Zeit das Geistig-Seelische am falschen Orte gesucht hat. Man hat geglaubt, man könne das Geistig-Seelische finden, wenn man es im gewöhnlichen Sinne im Sinnlichen drinnen sucht, durch irgendwelche Erwägungen oder dergleichen. Das kann man nicht. Man kann es nur finden, wenn man über das Sinnliche hinausgeht. Über das Sinnliche hinausgehen wollten und konnten der Sensualismus und der Materialismus nicht. Er blieb beim Bilde, und er nahm das Bild für die Wirklichkeit. Das ist sein eigentliches Wesen. Von diesem Wesen wollen wir dann morgen mehr sprechen.

ACHTZEHNTER VORTRAG Dornach, 6. August 1921

#G206-1991-SE078 Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist

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ACHTZEHNTER VORTRAG

Dornach, 6. August 1921

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Gestern versuchte ich darzulegen, wie von der Mitte des 19. Jahrhunderts ab ein gewisser Höhepunkt in der sensualistischen oder materialistischen Weltanschauung sich allmählich heranbildete und wie gegen das Ende des 19.Jahrhunderts,wenigstens von einem gewissen Gesichtspunkte aus, dieser Höhepunkt erreicht war. Sehen wir uns zunächst einmal an, wie die äußeren Tatsachen der Menschheitsentwickelung sich dargestellt haben unter dem Einflusse der materialistischen Weltanschauung. Diese materialistische Weltanschauung kann ja nicht etwa so angesprochen werden, als ob sie bloß hervorgegangen sei aus der Willkür einer Anzahl von führenden Persönlichkeiten. Denn, auch wenn man das auf verschiedenen Seiten ableugnet, diese materialistische Anschauung fußt gerade auf demjenigen, wodurch die wissenschaftlichen Überzeugungen und wissenschaftlichen Forschungsergebnisse des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts groß geworden sind. Die Menschheit hat zu diesen wissenschaftlichen Ergebnissen kommen müssen. Sie haben sich vorbereitet im 15. Jahrhundert und haben einen gewissen Höhepunkt, wenigstens insofern sie menschheitserziehend sind, eben im 19. Jahrhundert erreicht. Wiederum konnte sich auf Grundlage dieser Wissenschaftsgesinnung nichts anderes ausbilden als eine gewisse materialistische Weltanschauung.

Ich bin gestern dabei stehengeblieben, zu sagen: Geradezu radikal hervorgetreten ist das, um was es sich da eigentlich handelte - wenigstens in den Symptomen nach außen hin -, in dem, was man charakterisieren kann als die Stellung Haeckels etwa zu denjenigen, die dann im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts und im Beginne des 20. Jahrhunderts gegen ihn aufgetreten sind. Man kann das, was sich da abgespielt hat und was doch außerordentlich tief eingegriffen hat in die allgemeine Bildung der Menschheit, gewissermaßen betrachten, ganz ohne Rücksicht zu nehmen auf die besondere Formulierung, die Haeckel seiner Weltanschauung gegeben hat und auch schließlich auf die besondere Formulierung, welche die Gegner ihren sogenannten Wider

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legungen gegeben haben. Man kann einfach darauf sehen, daß auf der einen Seite dasjenige stand, was man glaubte, aus einer sorgfältigen Betrachtung des materiellen Geschehens bis herauf zum Menschen heraus gewinnen zu können. Nur das sollte zunächst in einerWeltanschauung sein, nur da glaubte man, auf sicherem Boden zu stehen. Es war das durchaus etwas Neues gegenüber dem, was etwa mittelalterlicher Inhalt der Weltanschauung war.

In bezug auf das Naturwissen hatte man seit drei, vier, fünf Jahrhunderten etwas entschieden Neues gewonnen, in bezug auf die geistige Welt nichts. In bezug auf die geistige Welt war man endlich zu einer Philosophie gekommen, welche sozusagen ihre Hauptaufgabe, wie ich es gestern ausgedrückt habe, darin gesehen hat, wenigstens noch ihr Dasein in einer gewissen Weise zu rechtfertigen. Erkenntnistheorien wurden geschrieben in der Absicht, zu sagen, daß man doch noch in bezug auf einen abgelegenen Punkt irgend etwas philosophisch zu sagen habe; daß man vielleicht sich getrauen dürfe zu sagen, daß es eine übersinnliche Welt gibt, aber man könne sie nicht erkennen, man könne höchstens eben die Annahme einer übersinnlichen Welt machen. So sprachen die Sensualisten, als deren geistreichen Vertreter ich Ihnen gestern Czolbe angeführt habe, von etwas, was positiv war, worauf man als auf etwas Greifbares hinweisen konnte. Und so sprachen die Philosophen und diejenigen, die ihre Schüler in der Popularisierung geworden waren, von etwas, das eigentlich sofort zerflatterte, wenn man es irgendwie anfassen wollte.

Nun stellte sich das eigentümliche kulturhistorische Phänomen ein, daß Haeckel auftrat mit einer Zusammenstellung der rein naturalistischen Konstruktion der Welt, und daß nun Stellung genommen werden sollte von seiten der philosophischen Welt gegen diesen, sagen wir, Haeckelismus. Man könnte ja das ganze Problem, ich möchte sagen, einmal ästhetisch betrachten. Man könnte hinschauen auf das Monumentale, das - ob es nun wahr oder falsch ist - in Haeckel hervorgetreten ist in der Zusammenfassung von Tatsachen, die eben in ihrer Zusammenfassung durchaus schon ein Weltbild gaben. Mir erschien recht charakteristisch für die Art und Weise, wie Haeckel in seinem Zeitalter drinnenstand, alles das, was sich abspielte bei der Feier etwa

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des sechzigsten Geburtstages Haeckels in den neunziger Jahren in Jena, wo ich dabei war. Von Haeckel selbst brauchte man dazumal ja nichts Neues mehr zu erwarten. Er hatte im wesentlichen ausgesprochen, was er von seinem Gesichtspunkte aussprechen konnte und wiederholte sich eigentlich.

Da sprach dann bei dieser Haeckel-Feier ein Physiologe von der medizinischen Fakultät. Es war außerordentlich interessant, dem Mann zuzuhören und ihn ein wenig vom geistigen Gesichtspunkte aus zu betrachten. Es waren bei dieser Haeckel-Feier eine ganze Anzahl von Menschen da, die in Haeckel eine bedeutende Persönlichkeit sahen, sozusagen einen überragenden Menschen. Aber jener Physiologe war ein durchaus tüchtiger Universitätsprofessor, von jener Sorte unter den Tüchtigen, von denen man sagen konnte: Nun, hätte man einen andern von der Sorte hingestellt, so wäre es dasselbe gewesen; man könnte nicht gut den A vom B oder vom C unterscheiden. Haeckel konnte man von allen andern unterscheiden, aber ihn, den Universitätsprofessor, konnte man nicht unterscheiden von den andern. Das ist etwas, was ich bitte, mehr als eine Charakteristik des Zeitalters aufzufassen als gerade dieser einzelnen Angelegenheit.

Nun handelte es sich darum, daß ja derjenige, der nun so dastand als der A - der ebensogut der B oder C hätte sein können -, sprechen sollte bei einer Haeckel-Feier. Ich möchte sagen, in jedem einzelnen Worte sah man, was da eigentlich vorlag! Während einige jüngere Leute mit einer gewissen Emphase sprachen, mit dem Bewußtsein, daß in Haeckel eine Persönlichkeit da wäre - sie waren höchstens Privatdozenten, die dann aber in Jena immer schon außerordentliche Professoren waren, denn diese waren unhonoriert und man gab ihnen nur den Titel; es waren aber eigentlich Privatdozenten -, gab es so etwas für den betreffenden Physiologen nicht; denn gäbe es das, so könnte man ja nicht von A und B und C in derjenigen Weise reden, wie ich jetzt geredet habe; daher feierte er, wie er ausdrücklich betonte, den «Kollegen» Haeckel. Nach jedem dritten Satze sprach er von dem Kollegen Haeckel, damit andeutend, daß es eben der sechzigste Geburtstag irgendeines Kollegen ist, wie jedes andern auch. Nun handelte es sich aber darum, auch etwas zu sagen. Ja, nicht wahr, er gehörte als

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solcher Repräsentant in die Reihe derjenigen, die überhaupt eben nur wissenschaftliche Daten sammeln - jene Daten, aus denen Haeckel eine Weltanschauung gemacht hatte -, aber die sich mit diesem Daten- sammeln begnügten, weil sie eben überhaupt von der Möglichkeit einer Weltanschauung gar nichts wissen wollten. Also über die Weltanschauung Haeckels sprach dieser Kollege nicht.

Nun rühmte er aber eigentlich Haeckel gerade von seinem Standpunkte aus in einer außerordentlichen Weise, indem er andeutete: Man könne, ganz abgesehen davon, was Haeckel über Welt und Leben behauptet hat, durchaus hinsehen auf dasjenige, was der Kollege Haeckel auf dem Gebiete dieses Spezialgebietes erforscht hat. Es liegen im Kabinett so und so viele Tausend mikroskopische Präparate von Haeckel, es liegen auf diesem und jenem Gebiete so und so viele Tausende Präparate vor und so weiter, und man könnte schon sagen, wenn man nun zusammen rechnete, was alles dieser Haeckel an einzelnen, rein empirischen Dingen gesammelt, zusammengestellt, verarbeitet hatte, es sei schon eine ganze Akademie. - Also dieser Kollege hatte schon implizite eine ganze Anzahl solcher «Kollegen» im Leibe drinnen, für die er seinen Mann gestanden hatte. Nun, das war gewissermaßen ein Kollege von der medizinischen Fakultät.

Dann sprach beim eigentlichen Festmahl Eucken, also der Philosoph. Nun, der hatte das, was er zu sagen hatte, oder was er nicht zu sagen hatte, dadurch geoffenbart - man könnte auch sagen kaschiert -, daß er von den Schlipsen, von den unordentlich gebundenen Schlipsen sprach und von den Klagen, welche namentlich die Familie Haeckels vorzubringen hatte, wenn sie im intimen Kreise über Papa oder über den Mann sich unterhielten. Über die unsorgfältig gebundenen Schlipse hat der Philosoph ziemlich lange gesprochen, gar nicht ungeistreich, aber wie gesagt, es war dasjenige, was dazumal die Philosophie zu sagen hatte. Es war schon recht charakteristisch, denn viel mehr hatte die Philosophie auch sonst nicht zu sagen. Es war alles abstraktes Gestrüppe, was vorgebracht wurde. Damit ist gar nichts über Wertungen und dergleichen gesagt; man kann ja die ganze Sache auch ästhetisch auf sich wirken lassen und aus dem, was sich symptomatisch darlebt, ersehen, wie heraufgestrebt hat in der neueren Zeit der Materialismus,

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der etwas gab. Die Philosophie hatte wirklich nichts mehr zu sagen, da sie eben eine D6pendence war desjenigen, was sich im Laufe der Zeit heraufgebildet hatte. Man darf ja auch nicht glauben, daß die Philosophie zur Geisteswissenschaft etwas zu sagen hat. Das hat ja neulich Eucken wohl bewiesen in jener Diskussion, die in einer sehr anregenden Weise in der letzten oder vorletzten Nummer der Dreigliederungszeitung erzählt ist, wo sich die ganze Euckensche Rederei in ihrer absoluten Inhaltslosigkeit enthüllte.

Nehmen wir aber nun die Tatsache, welche die positive Tatsache ist in alldem, was ich gesagt habe, und nehmen wir sie einmal eben kultur- geschichtlich. Wir haben auf der einen Seite - das geht ja wohl aus den gestrigen Darlegungen hervor - innerlich im Menschen entwickelt den Intellektualismus, wie ihn vor dem naturwissenschaftlichen Zeitalter als Gedankentechnik die Scholastik bis zur höchsten Blüte gebracht hat. Wir haben dann angewendet den Intellektualismus auf das äußere Naturwissen. Wir haben dadurch dasjenige zustande gebracht, was im 19. Jahrhundert, namentlich gegen das Ende hin, mit einer großen historischen Bedeutung dasteht: Intellektualismus und Materialismus gehören zusammen.

Wenn man diese Erscheinung in ihrer Beziehung zum Menschen selbst ins Auge faßt, so muß man sagen: Von demjenigen, was am Menschen ist, von dem dreigliedrigen Menschen, der da der Nerven-Sinnesmensch mit dem Vorstellungsleben ist, der rhythmische Mensch mit dem Gefühlsleben, der Stoffwechselmensch mit dem Willensleben, von diesem dreigliedrigen Menschen wird ja durch eine solcheWeltanschauung vor allen Dingen erfaßt der Kopfmensch, der Nerven-Sinnesmensch. Dieser Nerven-Sinnesmensch ist daher auch am stärksten ausgebildet worden im 19. Jahrhundert. Ich habe es Ihnen ja neulich von einem gewissen andern Gesichtspunkte geschildert, wie es Leuten, die so etwas gefühlt haben, daß dieser Kopfmensch, dieser Nerven-Sinnesmensch eigentlich durch die Geisteskultur des 19. Jahrhunderts besonders ausgebildet wird, angst und bange für die Zukunft der Menschheit geworden ist. Ich habe es Ihnen geschildert an einem Gespräch, das ich einmal vor Jahrzehnten mit dem österreichischen Dichter Hermann Rollett hatte. Hermann Rollett war eigentlich, seiner Weltanschauung

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nach - weil ja derjenige, der auf Wissenschaft fußt und bei dem die alten traditionellen Vorstellungen verblaßt waren, im Grunde gar nicht anders konnte -, durch und durch materialistisch gesinnt. Aber er fühlte zu gleicher Zeit - denn er war eine Dichternatur, eine Künstler- natur, er hat ja das schöne Werk «Goethe-Bildnisse» herausgegeben , wie ja der Mensch nur wächst in bezug auf seine Nerven-Sinnesorganisation, mit Bezug auf sein Vorstellungsleben. Er wollte das anschaulich darstellen. Daher sagte er: Eigentlich wird es nach und nach so werden, daß Arme und Füße und Beine vom Menschen immer kleiner und kleiner werden und der Kopf immer größer. - Er wollte sich räumlich dasjenige vorstellen, was da eigentlich im Anzuge war. Dann wird, wenn die Erde noch eine Weile in dieser Entwickelung so fortgeht, der Mensch - er stellte das anschaulich dar - nur noch eine Kopfkugel sein, die sich so fortkugelt, die so fortrollt über die Erdoberfläche hin.Man kann fühlen, welche Kulturbangigkeit sich in einem solchen Dinge verbirgt. Nun aber sieht derjenige, der nicht mit geisteswissenschaftlichen Forschungsmethoden an diese Dinge herangeht, nur die Außenseite der Sache. Man muß, wenn man das Chaos der Anschauungen, das in der Gegenwart zu solchem Unheil führt, durchdringen will, eben die Sache auch von der andern Seite ansehen. Denn es könnte einem ja einfallen zu sagen: Dasjenige, was da als materialistische Weltanschauung aufgetreten ist, das umfaßt doch nur eine kleine Minorität; die große Majorität lebt noch in bezug auf Weltanschauungsempfinden in den traditionellen Bekenntnissen. - Ja, mit Bezug auf eine, ich möchte sagen, gewisse Oberfläche, ja. Aber mit Bezug auf alle Gedankenformen, mit Bezug auf das, was der Mensch in seinem Innersten über seine Umgebung und über die Welt denkt, ist das doch nicht der Fali. Unsere Gegenwartskultur ist so, daß dasjenige, was in Haeckels «Welträtsel» lebt, durchaus nicht etwa bloß bei denen lebt - vielleicht bei denen am wenigsten -, die direkt einen Gefallen gefunden haben an Haeckels ~Welträtsel». Haeckels «Welträtsel» sind ja nur ein Symptom für das, was im Grunde genommen durch die ganze zivilisierte Welt international heute die maßgebenden Empfindungsimpulse darstellt.

Man möchte sagen, am charakteristischesten sind diese Empfindungsimpulse bei den äußerlich frommen Christen, besonders bei den

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äußerlich frommen Katholiken. Gewiß, die bekennen sich am Sonntag zu dem, was die Dogmatik überliefert hat; aber die Art und Weise, wie sie das nächste Leben, die übrigen Wochentage auffassen, das hat ja eine Art zusammenfassenden Ausdrucks gefunden in der materialistischen Weltanschauung des 19. Jahrhunderts. Bis in die entferntesten Dörfer auf dem Lande draußen ist ja das durchaus die populäre Weltanschauung. Daher darf man nicht sagen, es sei nur bei einer verschwindend geringen Minorität vorhanden. Gewiß, formulierte Begriffe sind bei ihr so vorhanden, aber das sind ja nur die Symptome. Dasjenige, worauf es ankommt, die Realität, die ist durchaus das Charakteristikon des gegenwärtigen Zeitalters. An den Symptomen kann man die Dinge studieren, aber man muß sich bewußt sein, daß, geradeso wie wenn man von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von Kant spricht, man nur von einem Symptom spricht für etwas, was in der ganzen Zeit enthalten war, man auch nur von einem Symptom spricht, wenn man von diesen Dingen spricht, die ich gestern angeschlagen habe und heute in diesen Betrachtungen fortführe. Daher kommt das schon sehr stark in Betracht, was ich jetzt sagen will.

Sehen Sie, der Mensch kann ja intellektualistisch tätig sein und hingegeben sein den materiellen Dingen und Erscheinungen, die durchaus im Inneren das Gegenstück sind zum Intellektualismus, nur während des Tagwachens, vom Aufwachen bis zum Einschlafen, und da nicht einmal ganz. Wir wissen ja, der Mensch hat nicht nur ein Vorstellungsleben, der Mensch hat ein Gefühlsleben. Das Gefühlsleben ist innerlich gleichwertig mit dem Traumleben. Das Traumesleben läuft in Bildern ab, das Gefühlsleben läuft in Gefühlen ab. Aber die innere substantielle Seite ist dasjenige, was im Menschen die Traumbilder erlebt, ist dasjenige, was im menschlichen Gefühlsleben die Gefühle durchmacht. So daß wir sagen können, während des Wachens, vom Aufwachen bis zum Einschlafen träumt der Mensch wachend in seinem Gefühl. Was wir an Gefühlen erleben, das ist ganz genau von demselben Bewußtseinsgrad durchzogen wie die Traumvorstellungen, und was wir in unseren Willensimpulsen erleben, das schläft, das schläft, auch wenn wir sonst wach sind. Wir sind in Wahrheit nur wach in unserem Vorstellungsleben. Sie schlafen des Abends ein, Sie wachen des Morgens

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auf. Wenn Ihnen dasjenige, was vom Einschlafen bis zum Aufwachen vorgeht, nicht erhellt wird durch eine gewisse geisteswissenschaftliche Erkenntnis, so entzieht es sich Ihrem Bewußtsein, so wissen Sie in Ihrem Bewußtsein nichts davon. Traumbilder drängen sich höchstens hinein. Die werden Sie aber ebensowenig anerkennen als bedeutsam für eine Weltanschauung, wie Sie anerkennen die Gefühle als bedeutsam für eine Weltanschauung. Gewissermaßen wird immer das menschliche Leben durchbrochen durch das Schlafesleben.

Aber geradeso, wie sich der Zeit nach dieses Schlafesleben hinein- stellt in das volle menschliche Seelen leben, so stellt sich die Welt der Gefühle, und namentlich die Welt der Willensimpulse in dieses Menschenleben hinein.Wir träumen, indem wir fühlen; wir schlafen, indem wir wollen. Sowenig wie Sie wissen, was mit Ihnen vorgeht während des Schlafes, so wenig wissen Sie, was da vorgeht, wenn Sie durch Ihren Willen den Arm erheben. Die eigentlichen inneren Kräfte, die da walten, die sind genau ebenso im Dunkel des Bewußtseins, wie der Schlafeszustand im Dunkel des Bewußtseins ist.

So daß wir sagen können: Von diesem dreigliedrigen Menschen wurde durch die neuere Kultur, die eingeleitet wird im 15. Jahrhundert und ihren Höhepunkt erlangt im 19. Jahrhundert, nur ein Drittel in Anspruch genommen, der Vorstellungsmensch, der Kopfmensch. Und man muß fragen: Was ging denn nun vor in dem träumenden, fühlen- den Menschen, in dem schlafenden, wollenden Menschen, und was ging vor zwischen dem Einschlafen und Aufwachen?

Ja, wir können als Menschen gut materialistisch sein in unserem Vorstellungsleben. Das können wir schon, das 19. Jahrhundert hat es gezeigt. Das 19. Jahrhundert hat auch gezeigt die Berechtigung dieses Materialismus; er hat ja zu positiven Erkenntnissen der materiellen Welt, die ein Abbild ist der geistigen Welt, geführt. Wir können Materialisten sein mit dem Kopfe, aber wir haben dann nicht in unserer Gewalt unser träumendes Gefühlsleben, nicht in unserer Gewalt unser schlafendes Willensleben. Die werden nun, insbesondere das Willensleben, in derselben Zeit spiritualistisch gesinnt.

Es ist interessant, vom geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkte aus zu betrachten, was da eigentlich vorgeht. Stellen Sie sich einen Moleschott,

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einen Czolbe vor, die mit ihrem Kopfe einzig und allein den Sensualismus, den Materialismus anerkennen: da unten haben sie ihren Willensmenschen, der ist ganz spiritualistisch gesinnt - nur weiß der Kopf nichts davon -, der rechnet mit Geistigem und Geisteswelten. Sie haben ihren Gefühlsmenschen: der rechnet mit Gespenstererscheinungen. Und wir haben, wenn wir richtig beobachten, das Schauspiel, daß der materialistische Schriftsteller sitzt und furchtbar auf alles dasjenige schimpft, was da als spirituelle Natur in seinem Gefühlsmenschen und Willensmenschen steckt; der nun wütend wird, weil er auch Spiritualist ist, der in ihm rumort, der ein völliger Gegner ist.

So ist es gewesen. Der Idealismus, der Spiritualismus war da. Er war im Willensunterbewußtsein der Menschen namentlich da, und die stärksten Spiritualisten waren die Materialisten, waren die Sensualisten!

Aber was lebt denn in dem Gefühlsmenschen leiblich? Es lebt der Rhythmus, die Blutzirkulation, der Atmungsrhythmus und so weiter. Was lebt in dem Willensmenschen? Der Stoffwechsel. Betrachten wir zunächst diesen Stoffwechsel. Während der Kopf sich beschäftigt mit geistvoller Verarbeitung materieller Dinge und materieller Erscheinungen zu einer materialistischen Wissenschaft, arbeitet der Stoffwechselmensch, der nun auch durchaus die volle menschliche Struktur hat, das entgegengesetzte Weltbild aus. Der arbeitet ein durch und durch spiritualistisches Weltbild aus, das nun gerade die Materialisten unbewußt in sich tragen. Aber das wirkt im Stoffwechselmenschen auf die Instinkte, auf die Triebe: da wirkt es das Gegenteil von dem, was es bringen würde, wenn es den ganzen Menschen in Anspruch nehmen würde. Da durchsetzt es die Instinkte, da wird es erfaßt von ahrimanischen Gewalten, da wirkt es nun nicht im göttlich-geistigen Sinne, sondern da wirkt es im ahrimanisch-geistigen Sinne. Da bringt es die Instinkte zum höchsten Grade des Egoismus. Da bring es die Instinkte so zur Entwickelung, daß der Mensch nur zu Forderungen des Lebens kommt, nicht gewiesen wird auf soziale Triebe, auf soziales Mitgefühl und dergleichen. Da wird namentlich das Individuelle herausgestaltet bis zum Egoistischen der Instinkte. Und das bildete sich, wenn ich so sagen darf, unter der Oberfläche dieser materialistischen Zivilisation

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heraus, und das erschien in den welthistorischen Ereignissen, das erscheint jetzt. Dasjenige, was sich unter der Oberfläche, in den Tiefen der Willensmenschen, wo sich die Spiritualität der Instinkte bemächtigt hat, dazumal im Keime ausbildete, das erscheint jetzt in den weIt- historischen Ereignissen. Und würde die Entwickelung nur fortfahren, diese Konsequenzen auszubilden, wir würden am Ende des 20. Jahrhunderts angekommen sein in dem Kriege aller gegen alle, gerade in demjenigen Gebiete der Erdenentwickelung, in dem sich die sogenannte neuere Zivilisation entwickelt hat. Und wir sehen dasjenige, was da sich ausgebildet hat, schon von Osten ausstrahlend über einen großen Teil der Erde sich geltend machen. Da ist ein innerer Zusammenhang. Man muß ihn aber nur sehen.

Außerlich symptomatisch spiegelt er sich in dem, was ich auch schon betont habe, was ja auch von andern bemerkt worden ist. Ich sagte, solche Philosophen, wie Avenarius, wie Mach, sie sind gewiß mit ihren Anschauungen, insofern die Anschauungen den Kopf durchsetzen, wurzelnd in den liberalistischen besten bürgerlichen Anschauungen des 19. Jahrhunderts, saubere Leute, denen man nichts vorwerfen kann, wenn man die Moralanschauungen des 19.Jahrhunderts ins Auge faßt - und dennoch, Sie können es bei russischen Schriftstellern, die verstanden haben, ihre Zeit zu schildern, nachlesen, wie Avenariussche, wie Machsche Philosophie die bolschewistische Staatsphilosophie geworden ist. Das ist nicht bloß aus dem Grunde, weil hervorragende bolschewistische Agitatoren eben Avenarius zum Beispiel in Zürich gehört haben, oder den Mach-Schüler Adler gehört haben, sondern da wirken durchaw innere Impulse. Dasjenige, was Avenarius einmal vorgetragen hat, es konnte natürlich dem Kopf nach durchaus saubere bürgerliche Gesinnung, lobenswerte bürgerliche Gesinnung sein; real war es die Grundlage für dasjenige, was in den Untergründen der Menschheit die Instinkte spirituell entflammte, und was dann praktisch die entsprechenden Früchte trug, weil es diese Früchte durchaus zeitigt. Sie sehen hier - ich muß immer wieder darauf aufmerksam machen - den Unterschied zwischen realer Logik, Wirklichkeitslogik und der bloß abstrakten Verstandeslogik. Niemand wird aus Avenariusscher oder Machscher Philosophie herausschälen können, mit dem besten oder, ich

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könnte auch sagen, mit dem allerschlechtesten Willen nicht heraus- schälen können die Ethik der Bolschewisten, wenn man das Ethik nennen kann. Das folgt nicht abstrakt logisch. Da folgt etwas ganz anderes. Aber die lebendige Logik ist eine ganz andere als die abstrakte Logik. Dasjenige, was man aus irgend etwas logisch ableiten kann, das muß sich in Wirklichkeit nicht ergeben, es kann sich das Gegenteil davon ergeben. Deshalb ist ein so großer Unterschied zwischen dem, auf das man immer mehr und mehr im materialistischen Zeitalter schwören lernte, der abstrakten Gedankenlogik, die nur den Kopf ergreift, und dem Wirklichkeitssinn, der allein in unserer Zeit zum Heile führen kann.

In unserer Zeit ist man zufrieden, wenn für eine Weltanschauung die widerspruchslose Logik aufgewiesen werden kann. Daran liegt aber nämlich in Wirklichkeit gar nichts. Es kommt gar nicht allein darauf an, ob eine Anschauung logisch festgelegt werden kann, denn im Grunde genommen ist ebensogut der radikale Materialismus logisch festzulegen, wie der radikale Spiritualismus logisch festzulegen ist, und alles, was dazwischen ist. Es kommt heute darauf an, daß man einsehe, daß etwas nicht bloß logisch zu sein habe, sondern wirklichkeitsgemäß neben logisch sein müsse, wirklichkeitsgemäß sein müsse. Und die Wirklichkeitsgemäßheit wird eben nur erreicht durch ein Zusammenleben mit der Wirklichkeit. Dieses Zusammenleben mit der Wirklichkeit wird durch Geisteswissenschaft heranerzogen.

Um was handelt es sich in bezug auf das, was ich heute gesagt habe? Es handelt sich ja bei Geisteswissenschaft um sehr vieles, aber mit Bezug auf dasjenige, was ich heute gesagt habe, um was handelt es sich da? Ja, da handelt es sich darum, daß wirklich nun ein Wissen hervor- geholt wird aus denjenigen Untergründen, die nicht bloß aus dem Kopfe kommen, die aus dem ganzen Menschen kommen. Man könnte sagen: Wenn derjenige Mensch, der sich selbst einmal im Laufe der neueren Zeit erkennend heranerzogen hat, die Welt betrachtet, dann betrachtet er sie so, daß er innerhalb seiner Haut lebt und dasjenige um sich herum betrachtet, was außerhalb seiner Haut ist. Schematisch möchte ich das so zeichnen: Da ist der Mensch. Außer dem Menschen ist alles dasjenige, worüber der Mensch sinnt (siehe Zeichnung, rot).

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Und nun erstrebt er, über dasjenige etwas zu wissen, in sich etwas zu wissen, was da außerhalb seiner ist. Er rechnet gewissermaßen mit dem Wechselverhältnis zwischen dem, was außerhalb seiner Haut ist. Und ganz charakteristisch für das Rechnen mit einem solchen Wechselverhältnis sind die logischen Untersuchungen wie die von John Stuart Mill; charakteristisch sind philosophische Gedankengebäude wie das von Herbert Spencer und so weiter.

Steigt man auf zur höheren Erkenntnis, dann ist es nicht mehr der Mensch, der innerhalb seiner Haut lebt - denn alles dasjenige, was innerhalb seiner Haut lebt, wird im Kopfe gespiegelt, es ist doch nur Kopfwissen -, sondern da ist es der ganze Mensch. Aber der ganze Mensch ist verbunden mit der ganzen Erde. Im Grunde genommen ist die Erkenntnis, die man übersinnliche Erkenntnis nennt, nicht eine Auseinandersetzung zwischen dem, was innerhalb der menschlichen Haut liegt, mit dem, was außerhalb der menschlichen Haut liegt, sondern sie ist eine Auseinandersetzung zwischen dem, was innerhalb der Erde ist, mit demjenigen, was außerhalb der Erde ist. Der Mensch identifiziert sich mit der Erde. Daher streift er auch alles dasjenige ab, was gebunden ist an einen Fleck der Erde, Nationalität und so weiter. Der Mensch nimmt den Standpunkt des Erdenwesens ein und redet

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vom Standpunkte des Erdenwesens über das Weltenall. Versuchen Sie es zu fühlen, wie von diesem Standpunkte aus gesprochen wird, sagen wir in einer solchen Vortragsreihe, wie ich sie gehalten habe im Haag, wo gesprochen wird über den Zusammenhang der einzelnen Glieder der menschlichen Wesenheit mit der Umgebung, wo aber eigentlich gemeint war dieses Zusammengewachsensein des Menschen mit seiner Umgebung, wo der Mensch betrachtet wurde, nicht bloß wie er, sagen wir, am 13. Mai ist in dem einen Augenblicke, sondern wie er das ganze Jahr hindurch in den Jahreszeiten lebt, mit den einzelnen Lokalitäten lebt und so weiter. Dadurch aber gerade wird der Mensch Erdenwesen; dadurch gewinnt er dann auch gewisse Kenntnisse, die eine Auseinandersetzung des Menschen sind mit dem, was über dem Irdischen ist, mit dem, was unter dem Irdischen ist, wodurch die Erdenverhältnisse erst klar werden.

Geisteswissenschaft geht also nicht hervor aus diesem engbegrenzten Menschen, aus dem die intellektualistische, materialistische Wissenschaft des 19.Jahrhunderts hervorgeht mit ihrer Form der Entfesselung der unsozialen Instinkte, sondern Geisteswissenschaft geht aus dem ganzen Menschen hervor, bringt dasjenige, was den einzelnen Menschen in zweiter Linie erst berührt, in den Vordergrund. Dadurch ist

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es ihr gegeben, indem sie scheinbar auch nur intellektualistische Begriffe entwickelt, in diesen Begriffen zugleich reale Dinge zu geben, die aber an der Stelle des Antisozialen das Soziale geben.

Man muß die Welt vielfach von einem andern Gesichtspunkte betrachten, als man es gewöhnlich im 19. Jahrhundert und im Beginn des 20. Jahrhunderts getan hat. Man hat es ja lobenswert gefunden, daß man so viel von sozialen Forderungen, von sozialem Wesen gesprochen hat. Für den, der die Welt durchschaut, ist das ja nur ein Zeichen, daß man so viel Unsoziales in sich hat. Geradeso wie derjenige, der sehr viel von Liebe redet, in der Regel ein liebeloses Wesen ist, und derjenige, der viel von Liebe in sich hat, wenig von Liebe redet, so ist derjenige in der Regel eigentlich ganz durchwühlt von unsozialen Trieben und Instinkten, der immerzu von sozialen Dingen redet, so wie man das gerade im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gewohnt worden ist.

Das soziale System, das im Osten Europas sich geltend macht, ist ja nichts anderes als die Probe aufs Exempel alles un- und widersozialen Lebens. Ich darf hier vielleicht einflechten, daß immer wieder und wiederum an anthroposophische Geisteswissenschaft herangetragen wird der Vorwurf - ich habe ihn auch neulich erst wieder gehört -, sie spreche so wenig von Gott. Insbesondere diejenigen, die fortwährend von Gott sprechen, machen es der anthroposophischen Geisteswissenschaft zum Vorwurf, daß sie so wenig von Gott spreche. Ich habe ja oftmals gesagt, mir kommt vor, daß diejenigen, die immer von Gott sprechen, nicht berücksichtigen, daß es ja eines der Zehn Gebote gibt, das heißt: Du sollst den Namen des Gottes nicht eitel aussprechen - und daß die Bewahrung dieses Gebotes viel wichtiger ist im christlichen Sinne, als fortwährend von Gott zu sprechen. Man kann vielleicht demjenigen, was als geisteswissenschaftliche Ideen gegeben wird aus geistiger Beobachtung heraus, zunächst gar nicht anmerken, was es in Wirklichkeit ist. Man kann sagen: Nun ja, auch eben eine Wissenschaft, die nur von andern Welten spricht, als die materialistischen Welten sind. - Aber so ist es nicht. Dasjenige, was da aufgenommen wird mit diesem Begriff, ganz ohne daß man selber okkulte Schauungen hat, das erzieht ja den Menschen. Vor allen Dingen erzieht es nicht den Kopfmenschen, sondern es erzieht den ganzen Menschen und

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es wirkt nun im regelrechten Sinne auf diesen ganzen Menschen. Es korrigiert gerade dasjenige, was angerichtet worden ist durch den spirituellen Gegner des Sensualisten und Materialisten, der ja immer in denen war.

So sind die geheimen Zusammenhänge im Leben. Wer mit bluten- dem Herzen sieht, wie in den Materialisten des 19. Jahrhunderts, das heißt in der großen Mehrzahl der Menschen, der Gegner gesteckt hat, der weiß auch, wie sehr die Notwendigkeit besteht, daß jetzt aus dem Unterbewußten ins Bewußtsein heraufziehe dieser Spiritualist. Dann wird er nicht in seiner ahrimanischen Gestalt die Instinkte aufrütteln, dann wird er tatsächlich eine sozial mögliche Struktur der Menschen auf der Erde begründen können. In andern Worten: Wenn man die Dinge so laufen läßt, wie ich sie unter dem Einflusse der in begreiflicher Weise heraufgekommenen Weltanschauung im 19. Jahrhundert für das 20. Jahrhundert entwickelt habe, so werden wir am Ende des 20. Jahrhunderts stehen vor dem Kriege aller gegen alle! Da mögen die Menschen noch so schöne Reden halten, noch so viele wissenschaftliche Fortschritte gemacht werden, wir würden stehen vor diesem Krieg aller gegen alle. Wir würden eine Menschheit heranzüchten sehen, welche keine sozialen Instinkte mehr hat, um so mehr aber reden würde von sozialen Dingen.

Es braucht die Menschheitsentwickelung den spirituellen, den bewußt spirituellen Impuls zum Leben. Denn man muß immer unterscheiden zwischen der Wertschätzung, die irgendeine Weisheit oder sonst etwas im Leben an sich hat, und dem, was es hat für die Entwickelung der Menschheit. Der Intellektualismus, der mit dem Materialismus zusammengehört, er hat die Menschheit so entwickelt, daß er das Vorstellungsleben zu der höchsten Höhe gebracht hat: zunächst in der Scholastik, im Scholastizismus die Denktechnik, die die erste Befreiungstat war, dann in dem Naturwissen in der neueren Zeit, der zweiten Befreiungstat. Aber dasjenige, was im Unterbewußten mittlerweile wütete, war das, was den Menschen in seinen Instinkten versklavt hat. Diese müssen wiederum befreit werden. Die können nur befreit werden, wenn wir eine Wissenschaft, eine Erkenntnis, wenn wir eine bis ebenso weithin popularisierte spirituelle Weltanschauung haben,

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wie wir die materialistische popularisiert haben; wenn wir eine spirituelle Weltanschauung haben, die nun den Gegenpol bildet für dasjenige, was sich unter der reinen Kopfwissenschaft herausgebildet hat. Von diesem Gesichtspunkte muß man die Sache immer wieder und wieder betrachten; denn, wie gesagt, die Menschen mögen noch so viel davon reden, daß von der Ethik, von der Belebung der Religiosität und so weiter ein neues Zeitalter heraufkommen müsse - damit kann man ja nichts in Wirklichkeit erreichen; damit frönt man ja selber nur den Lügenanforderungen des Zeitalters. Man muß tatsächlich sich klar sein, daß so etwas, wie es in die menschliche Seele einziehen muß - trotzdem es scheinbar so theoretisch davon spricht, wie die Erde aus Mond, Sonne und Saturn heraus sich entwickelt hat -, wenn es richtig aufgefaßt wird, bis in die moralischen Impulse, in die religiösen Impulse herein den Menschen spiritualisiert. Geradesowenig wie man irgend etwas in der äußeren Welt mit den bloßen Wünschen aufbauen kann, wenn diese Wünsche auch noch so gut sind, ebensowenig kann man in der sozialen Welt etwas aufbauen mit den bloßen frommen Predigten, mit den bloßen Ermahnungen der Menschen zum Gutsein, mit dem bloßen Sprechen davon, man soll so oder so sein. Dasjenige, was heute weltzerstörerisch da ist, ist auch nicht entstanden durch den Willkürwillen der Menschen, sondern es ist entstanden als eine Folge dessen, was als Weltanschauung seit dem Beginne des 15. Jahrhunderts heraufgekommen ist. Dasjenige, was den Gegenpol darstellen wird, das, was heilen wird die Wunden, die geschlagen sind, das wird wiederum und muß wiederum eine Weltanschauung sein. Und man sollte nicht feig zurückschrecken vor dem Vertreten einer Weltanschauung mit ihrer das Moralische, das Religiöse durchsetzenden Kraft, denn dies allein kann heilen.Derjenige, der diesen ganzen Zusammenhang durchschaut, der bekommt wiederum eine Empfindung von dem, was man im Grunde genommen immer gehabt hat da, wo man von wirklicher Weisheit etwas wußte. Ich habe ja auch schon gesprochen von den alten Mysterienstätten. Sie finden es auch im Sinne der Geisteswissenschaft dargestellt in der anthroposophischen Literatur. Da kann man ersehen, wie sich eine ältere instinktiveWeisheit entwickelt, wie sie sich dann umwandelt

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in das Intellektualistische, Materialistische der neueren Zeit. Aber selbst wenn man zurückgeht zu den mehr exoterischen Wissenschaften der älteren Zeiten, sagen wir, wenn man zurückgeht im Medizinischen bis zu Hippokrates, gar nicht zu sprechen von älterer ägyptischer medizinischer Anschauung, so ist überall der Arzt zu gleicher Zeit der Philosoph. Man kann sich eigentlich gar nicht denken, wie der Arzt nicht zu gleicher Zeit der Philosoph und der Philosoph nicht zu gleicher Zeit der Arzt sein sollte, und der Priester nicht beides und alle drei sein sollte. Man konnte sich das nicht denken. Warum nicht? Nehmen Sie eine Wahrheit, die ich öfters ausgesprochen habe.

Der Mensch kennt ja eigentlich, nicht wahr, den Moment des Todes, diesen einen Moment, wo man nun wirklich den physischen Leib ablegt und wo das Geistige mit der geistigen Welt zusammenhängt, besonders stark zusammenhängt. Aber das ist ja nur in einem Moment. Ich möchte sagen, es sind unendlich viele Differentiale integriert da, wo der Moment des Todes eintritt, die als Differentiale immer in uns enthalten sind während unseres ganzen Lebens. Wir sterben ja fortwährend. Wenn wir geboren werden, fangen wir schon an zu sterben, und in jedem Moment ist ein minutiöses Sterben in uns. Und wir könnten nicht denken, wir könnten einen großen Teil unseres seelischen Lebens, vor allem aber das geistige Leben gar nicht ausdenken, wenn wir nicht fortwährend den Tod in uns hätten. Wir haben ja fortwährend den Tod in uns, und wenn wir nicht mehr können, sterben wir in einem Augenblick. So sterben wir aber kontinuierlich zwischen Geburt und Tod.

Eine ältere, instinktive Weisheit hat nun gefühlt: Das menschliche Leben ist eigentlich ein Sterben. Heraklit, als ein Nachzügler uralter Weisheit, hat es ja auch ausgesprochen: Das menschliche Leben ist ein Sterben. Das menschliche Fühlen ist ein fortwährendes Kranksein. Man hat die Neigung zum Sterben und zum Kranksein. Und was man lernt, wozu muß es denn da sein? Es muß sein wie eine Arzenei. Es muß das Lernen ein Heilungsprozeß sein. Eine Weltanschauung haben, muß ein Heilprozeß sein.

Dieses Gefühl hatten durchaus die Ärzte, da sie nur da, wo es notwendig war, auf materiellem Gebiete heilten, wenn die Krankheit akut war. Aber das menschliche Leben sahen sie nur an wie eine chronische

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Krankheit. Und derjenige, der ein Philosoph oder Arzt war, fühlte sich mit dem, was Erdenmenschheit war, auch als der Heiler, er fühlte sich nur als der Heiler für das, was man gewöhnlich für das Normale ansieht, was aber auch eigentlich krank ist, die Anlage zum Sterben ist. Diese Gefühle müssen wir für die Weltanschauung wieder bekommen, daß sie nicht nur ein formales Anfüllen ist des Kopfes, des Geistes, ein Anfüllen mit Erkenntnissen, sondern ein realer Prozeß im Leben; daß die Weltanschauung dazu dient, die Menschheit zu heilen.

Nun leben wir tatsächlich in bezug auf unsere kulturhistorische Entwickelung nicht bloß in einer langsamen Krankheit, sondern wir leben gegenwärtig in einer akuten Kulturkrankheit. Dasjenige, was als Weltanschauung auftritt, muß eine wirkliche Arzenei sein, muß eine wirkliche medizinische Wissenschaft sein, eine Kur. Von der realen Bedeutung einer solchen Weltanschauung, wie sie hier gemeint ist, für das gegenwärtige Zivilisations- und Kulturergebnis muß man durchdrungen werden. Durchdrungen sein davon, daß tatsächlich mit Weltanschauung etwas Reales gemeint ist, nicht bloß dieses Formale: Man will etwas wissen, man will gewissermaßen die Begriffe für dasjenige, was draußen als Sache ist, in sich haben, man will Naturgesetze kennenlernen und sie technisch anwenden. - Nein, dieses Innerliche, dieses mit dem Menschen Verknüpfte muß da sein, wo eine wahre Weltanschauung ist, auf daß gewonnen werden können aus dieser wahren Weltanschauung die für Krankheiten, ja für einen Sterbeprozeß wirksamen Heilmittel, die fortwährend da sein müssen. Solange man nicht so redet und solange man nicht solches versteht, wird man immer nur obenhin reden über die Übel unserer Zeit und nicht reden über dasjenige, was notwendig ist.

Von diesen Dingen wollen wir dann morgen weiter sprechen.

NEUNZEHNTER VORTRAG Dornach, 7. August 1921

#G206-1991-SE096 Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist

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NEUNZEHNTER VORTRAG

Dornach, 7. August 1921

#TX

Wenn man durchschauen will die Bedeutung des materialistischen Zeitalters, so muß man eingehen auf die Entwickelung des Menschen, insofern bei dieser Entwickelung die sämtlichen wesentlichen Grundkräfte dieses Menschen in Betracht kommen. Wir wollen zunächst einmal heute von einem gewissen Gesichtspunkte aus diese menschliche Entwickelung ins Auge fassen. Ich werde anknüpfen an manches, was ich bereits im Laufe der letzten Zeit vorgebracht habe, um zu einem bestimmten Ziele zu kommen.

Ich habe ja öfter hingewiesen auf die große Bedeutung desjenigen Zeitabschnittes in der individuellen menschlichen Entwickelung, die zusammenfällt mit dem Zahnwechsel etwa um das siebente Lebensjahr herum. Dieser Zahnwechsel bedeutet ja, daß gewisse Kräfte, die im menschlichen Organismus bis zu diesem Zeitpunkt vorhanden waren und an diesem Organismus tätig waren, in einer gewissen Weise frei werden, nicht mehr jene Tätigkeit ausüben, die sie bis zu diesem Zahnwechsel ausübten. Der Mensch ist tatsächlich in dem Augenblick, in dem dieser Zahnwechsel beginnt, und in der Zeit oder durch die Zeit, in der er sich abspielt, im Grunde ein umgewandeltes, ein metamorphosiertes Wesen. Was in dem Erscheinen der zweiten Zähne, in diesem Ausstoßen der zweiten Zähne zum Vorschein kommt, das hat bisher gearbeitet im menschlichen Organismus. Und dann, wenn es zum Vorschein kommt, wenn es gewissermaßen aus dem Organismus heraus sich befreit, dann erscheint es im Gegensatz zu früher als eine mehr seelische Kraft. Wir kommen, indem wir das verfolgen, zu der Anschauung, daß bis zu diesen sieben Jahren hin im Menschen eine seelische Kraft arbeitet, die gewissermaßen den Schlußpunkt ihrer Arbeit am Organismus macht mit dem Zahnwechsel. Wenn wir uns eine gewisse Neigung und Fähigkeit, solche Dinge zu beobachten, angeeignet haben, so können wir sehen, wie die ganze Seelenkonstitution des Kindes in diesem Lebensabschnitt verwandelt wird, wie namentlich von diesem Lebensabschnitt an die Fähigkeit auftritt, konturierte Begriffe

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zu bilden, wie andere seelische Fähigkeiten auftreten. Diese seelischen Fähigkeiten, wo waren sie denn bis zum Zahnwechsel? Sie waren im Organismus, sie haben am Organismus gearbeitet. Dasjenige,was später Seelisches wird, das arbeitet vorher am Organismus.

Wir kommen da zu einer ganz andern Anschauung über das Zusammenwirken des Seelischen mit dem Leiblichen, als es etwa geschildert wird in all den abstrakten psychologischen Darstellungen, die von einem psycho-physischen Parallelismus oder von einer abstrakten Wechselwirkung zwischen Seele und Leib und dergleichen reden. Wir kommen zu einer wirklichen Anschauung dessen, was in einer wichtigen Weise in den ersten sieben Lebensjahren des Menschen im Organismus arbeitet. Wir sehen gewissermaßen das, was da verborgen ist bis zu diesem Zeitpunkte, dann frei ist, nun als seelische Kraft auftreten. Wir müssen uns nur für solche Dinge eine Beobachtungsgabe aneignen, dann werden wir in diesem Zeitabschnitte des Menschen, eben in den ersten sieben Lebensjahren, ein gewisses Kraftsystem gewissermaßen leiblich arbeiten sehen, und nach diesem Lebenseinschnitt werden wir es hervortreten sehen als Seelisches. Wir wissen also dann, was eigentlich arbeitet im menschlichen Organismus, wenigstens zum Teil, für diese Substantialität; wir wissen dann, was da arbeitet am menschlichen Organismus in den ersten sieben Lebensjahren.

Nun, wenn der Mensch sich in dem Zustande seines Lebens befindet, der da abläuft zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen, dann spielt das, was ich eben beschrieben habe, in zwei aufeinanderfolgenden Zuständen eine bedeutsame Rolle. Man kann auch beobachten, wie das Kind in einer gewissen Weise noch anders schläft als der Mensch, der dann aus dem Kinde wird nach dem Zahnwechsel. Zwar ist der Unterschied nicht so augenfällig, aber er ist da. Das Kind kann nämlich bis zu seinem siebenten Jahre in seinen Schlafzustand - in den Zustand, der da der Seele eigen ist zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen - noch nicht mit derselben Kraft dasjenige hineinsenden, was es später als seelische Kräfte hineinsendet; denn diese Kräfte haben noch zu tun mit Körperlichem, eben mit dem leiblichen Organismus. Daher sendet das Kind noch nicht die scharf konturierten Begriffe in den Schlafzustand hinein. Es sendet in den Schlafzustand hinein noch

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wenig scharf umrissene Begriffe, noch wenig scharf umrissene Vorstellungen; aber diese weniger scharf umrissenen Vorstellungen haben die Eigentümlichkeit, daß sie das seelisch-geistig Reale in einer besseren Weise umfassen können als die scharf umrissenen Vorstellungen.

Das ist etwas Wichtiges, je schärfer konturiert für das wache Tages- leben unsere Begriffe werden, desto weniger senden wir in den Schlafzustand hinein, um da die Realitäten zu erfassen. Daher ist es, daß das Kind in sehr vielen Fällen tatsächlich sich aus seinem Schlafzustande heraus ein gewisses Wissen bringt von geistiger Realität. Das hört dann auf in demselben Maße, in dem mit dem Zahnwechsel die geschilderten Kräfte frei werden, scharf umrissene Begriffe auftreten und diese dann das Schlafleben beeinflussen. Diese scharf umrissenen Begriffe dämpfen gewissermaßen den Hinblick auf die geistigen Realitäten ab, innerhalb derer wir leben zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen.

Das, was ich jetzt ausgesprochen habe, kann geprüft werden durch das übersinnliche Schauen,wenn dieses übersinnliche Schauen die Kraft entwickelt, die ich öfter beschrieben habe, die Sie auch beschrieben finden in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß», in meiner Schrift «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?». Wenn das über- sinnliche Schauen zur Kraft der Imagination kommt, wenn also jene Bilder auftreten, von denen wir wissen, daß ihnen geistige Realitäten unterliegen, dann kommen wir ja dazu, allmählich diejenigen geistigen Realitäten zu schauen, in deren Mitte wir sind zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen, und dann können wir auch beurteilen, wie der Unterschied ist zwischen dem schlafenden Kinde vor dem siebenten Jahre und dem schlafenden Kinde nach dem siebenten Jahre. Dann können wir sehen, wie gewissermaßen abgedämpft wird das Hin- schauen auf dasjenige, was uns ja in der Imagination bis zu einem gewissen Grade wiederum ganz klar wird, das Hinschauen auf diese geistigen Realitäten, in deren Mitte wir sind zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen.

Wenn der Zahnwechsel eingetreten ist, so bildet sich bis zur Geschlechtsreife im Seelischen aus, was durch die Imagination in einer gewissen Weise erfaßt werden kann. Man erlangt einfach durch die Imagination Erfahrungen über das, was sich da in der menschlichen

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Seele ausbildet. Die Erfahrung, die ich eben geschildert habe bezüglich des Zustandes zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen, ist ja nur eine der Erfahrungen, die man durch das imaginative Erkennen macht. In jenen interessanten Zuständen, die sich abspielen beim Kinde vom Zahnwechsel bis zur Geschlechtsreife, da sehen wir, wie eigentlich in dem werdenden Menschen in starkem Maße ein Kampf vorhanden ist. Es kämpft gewissermaßen in diesem Lebensabschnitte der ätherische Leib, der ja seine besonderen Organisationen durchmacht bis zur Geschlechtsreife, gegen den astralischen Leib. Es ist ein wirklicher Kampfzustand, der in dem Kinde stattfindet. Und wenn wir das physische Korrelat ins Auge fassen, das diesem Kampfzustande entspricht, so können wir sagen: Es ist in diesem Lebensabschnitte des Kindes in ausgesprochenem Maße vorhanden ein Kampf zwischen den Wachstumskräften und denjenigen Kräften, die in uns hereinspielen durch die physische Inspiration, durch die Atmung. - Das ist ein sehr bedeutsamer Prozeß im menschlichen Inneren, ein Prozeß, der, um den Menschen zu kennen, immer mehr und mehr wird studiert werden müssen. Denn das, was zum Teil seelisch frei wird durch den Zahnwechsel, das sind ja die Wachstumskräfte. Es bleibt natürlich ein beträchtlicher Teil dieser Wachstumskräfte noch im Leiblichen zurück und besorgt da das Wachstum; es wird ein Teil frei beim Zahnwechsel, und der tritt als seelische Kräfte auf.

Dasjenige aber, was da als Wachstumskräfte weiter funktioniert im Kinde, das stemmt sich gegen etwas, was in dem Kinde nun im wesentlichen durch den Atmungsprozeß auftritt. Was da durch den Atmungsprozeß auftritt, das konnte früher nicht auftreten. Der Atmungsprozeß ist gewiß beim Kinde auch vorhanden, aber solange das Kind in seinem leiblichen Wachsen und leiblichen Organisieren überhaupt die Kräfte hat, die dann beim Zahnwechsel herauskommen, so lange findet im Organismus des Kindes nichts statt von dem, was eigentlich der Atmungsprozeß im menschlichen Leibe so auffällig, so bedeutsam später bewirkt. Denn ein großer Teil dessen, was wir an Entwickelung durchmachen, hängt ja an diesem Atmungsprozesse. Daher jene orientalischen Übungen, die sich besonders an den Atmungsprozeß halten, weil man mit diesem Einleben in den Atmungsprozeß, das gegeben ist durch

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diese Übungen, tatsächlich mit etwas in Berührung kommt, was den Menschen durchorganisiert, was den Menschen leiblich in eine innere Beweglichkeit bringt, die etwas zu tun hat mit dem Durchschauen der Geheimnisse der Welt.

Wie gesagt, bevor der Zahnwechsel eingetreten ist, kann das, was eigentlich das Atmen mit uns will, nicht zur Tätigkeit kommen im menschlichen Organismus. Dann aber tritt ein Kampf ein der noch Wachstumskräfte gebliebenen Kräfte gegen das Eindringen dessen, was aus dem Atmungsprozesse heraus in den Menschen eindringt. Denn das erste große Bedeutsame, das in leiblicher Beziehung als eine Folge des Atmungsprozesses auftritt, das ist die Geschlechtsreife.

Diesen Zusammenhang zwischen dem Atmen und der Geschlechts- reife durchschaut ja die Naturwissenschaft noch nicht. Er ist aber durchaus vorhanden. Wir atmen eigentlich dasjenige ein, was uns geschlechtsreif macht, was uns aber auch im weiteren Sinne die Möglichkeit gibt, mit der Welt in ein Verhältnis des liebenden Umfangens zu treten. Das atmen wir eigentlich ein. In jedem Naturprozeß liegt ja auch ein Geistiges. Im Atmungsprozesse liegt eben ein Geistiges und ein Geistig-Seelisches. Dieses Geistig-Seelische dringt in uns ein durch den Atmungsprozeß. Es kann erst herein, wenn die Kräfte seelisch geworden sind, die vorher im Organismus gewirkt haben und die mit dem Zahnwechsel aufhören im Organismus zu wirken. Da strömt dann dasjenige in den Menschen herein, was aus dem Atmungsprozeß kommen will.

Dem aber wirkt entgegen - und daher kommt der Kampf - dasjenige, was aus den Wachstumsprozessen kommt, die eben noch Wachstumsprozesse geblieben sind, was aus den Atherkräften mit andern Worten kommt. Und dieser Kampf ist vorhanden zwischen den Atherkräften, zwischen den Kräften, die aus unserem Atherleib aufsteigen und die ihr physisches Korrelat finden in dem Stoffsystem, in dem Stoffwechselsystem, in der Blutzirkulation, und den astralischen Kräften. Da spielt der Stoffwechsel in das Zirkulations-, in das rhythmische System hinein. So daß wir schematisch sagen können: Wir haben unser Stoffwechselsystem, das aber in unseren Blutrhythmus, in das Blutrhythmussystem hineinspielt; das Stoffwechselsystem, das ich hier

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schematisch weiß zeichne, das spielt in das Zirkulationssystem hinein (siehe Zeichnung, rot). Das ist dasjenige, was von seiten des Atherleibes gewissermaßen im Menschen nach oben stürmt in dieser Zeit zwischen dem siebenten und vierzehnten Jahre.

#Bild S.101

Der astralische Leib wirkt dem entgegen. Wir haben dann einströmend dasjenige Rhythmische im körperlichen Korrelat, was vom Atmen herkommt, und es findet dieser Kampf statt zwischen dem Blutzirkulationsrhythmus und dem Atmungsrhythmus (blau). Das ist das, was sich innerlich im Menschen in diesem Lebensabschnitte abspielt.

Und man kann sagen, wenn man ein wenig bildhaft spricht, in einem vielleicht radikal erscheinenden Bilde: Es ist ungefähr zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahre, da wird bei jedem Kinde dasjenige, was vorher, ich möchte sagen, im Vortreffen sich abgespielt hat, was in den Scharmützeln vor dem eigentlichen Hauptkampf sich abgespielt hat, übergeführt in den Hauptkampf. Astralischer Leib und Atherleib führen ihre hauptsächlichste Attacke aus zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahre.

Daher ist dieser Zeitabschnitt, dieser Zeitpunkt für den Pädagogen so wichtig zu beobachten. Es ist einmal so, daß man als Lehrer, Erzieher, Unterrichter sorgfältig achtgeben muß auf irgend etwas - bei fast jedem Menschen spielt es sich ja anders ab -, was sich etwa zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahre abspielt. Da sieht man bei jedem

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Kinde etwas ganz Besonderes. Es kommen gewisse Temperamentseigenschaften zu einer gewissen Metamorphose. Es treten gewisse Ideen auf. Aber vor allen Dingen ist es in diesem Zeitpunkte, wo man anfangen soll - während man vorher gut tut, das Kind nichts merken zu lassen von dem Unterschied zwischen dem Ich und der Außenwelt -, diesen Unterschied zwischen dem Ich und der Außenwelt hervortreten zu lassen. Während es vorher gut ist, dem Kinde in Märchendarstellungen und so weiter zu reden, wie wenn die Vorgänge der Natur so wären wie menschliche Vorgänge, indem man sie personifiziert und erläutert, kann man dann anfangen, in mehr lehrhafter Weise das Kind über die Natur zu unterrichten.

Naturgeschichte, auch in ihrer elementarsten Form, sollte man eigentlich erst von diesem Zeitpunkte an an das Kind heranbringen. Denn das Kind hat da, wo es im ersten Lebensabschnitte anfängt, sein Ich deutlich zu erfühlen, das Ich eben erst erfühlt. Daß es einen scharf umrissenen Begriff, mehr oder weniger natürlich scharf umrissenen Begriff mit diesem Ich verbindet, das tritt in diesem Zeitpunkte ein. Das Kind lernt sich erst in diesem Zeitpunkte so recht von der Außenwelt unterscheiden. Und dem entspricht ein ganz bestimmtes Gegeneinanderstürmen des Atmungsrhythmus und des Zirkulationsrhythmus, des astralischen Leibes und des ätherischen Leibes.

Diese Dinge haben ja im Menschen immer zwei Seiten. Die eine Seite stellt sich dar in dem Zustande zwischen dem Aufwachen und Einschlafen. Für diesen Zustand habe ich eben jetzt die Sache geschildert. In dem Zustande zwischen dem Einschlafen und Aufwachen stellt sich die Sache etwas anders dar. Wenn wir eben zur Imagination vorgeschritten sind und dann etwas von Inspiration entwickelt haben, so daß wir beurteilen können, was da durch Inspiration geschieht durch den Atmungsprozeß, der das physische Korrelat ist, so finden wir, daß eigentlich erst in diesem Zeitpunkte - der für das eine Kind etwas früher, für das andere etwas später eintritt, aber im Durchschnitte zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahre - so recht eine wirkliche Loslösung des Ich und des astralischen Leibes vom ätherischen Leib und vom physischen Leib im Schlafe stattfindet. Das Kind ist, namentlich mit seinem Ich, sehr innig verbunden mit seinem physischen

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und mit seinem ätherischen Leib, auch wenn es schläft. Aber von diesem Zeitpunkte an beginnt das Ich wie ein selbständiges Wesen aufzuleuchten, wenn eben Ich und astralischer Leib nicht an den Funktionen des Atherleibes und des physischen Leibes teilnehmen.

Daher ist es auch so, daß Kinder, die vor diesem Zeitpunkte sterben, im Grunde genommen in dem Leben, das sie da bis zum fünften, sechsten, siebenten, selbst noch bis zum achten, neunten Lebensjahre durchmachen, etwas haben, was sie noch wenig getrennt hat von jener geistseelischen Welt, die zwischen dem Tod und einer neuen Geburt durchgemacht wird; so daß die Kinder verhältnismäßig leicht wiederum zurückgerissen werden in diese geistig-seelische Welt, daß sie gewissermaßen nur etwas anstückeln an das Leben, das sie vollendet haben mit der Empfängnis oder mit der Geburt, daß ein eigentliches Abschnüren eines neuen Lebens, wenn wir dieses Sterben in Betracht ziehen, eigentlich erst da ist, wenn die Kinder nach diesem Zeitpunkte sterben. Da bindet sich gewissermaßen das neue Leben nicht in so intensiver Weise an das alte Leben. Da erst werden deutlich durchgemacht jene Zustände, die ich in meiner «Theosophie» beschrieben habe, während es bei Kindern, die früher sterben, so ist, daß sie gewissermaßen wiederum zurückgeworfen werden und anstückeln das Leben, das sie auf der Erde durchgemacht haben, an das Leben, das sie geführt haben bis zur Konzeption oder bis zur Geburt. Man muß eben sagen: Dasjenige, was man in dem Kinde vor sich hat bis zu diesem Zeitpunkte zwischen dem neunten und zehnten Lebensjahre, das ist eigentlich so, daß es viel ungetrennter das Leiblich-Seelische und das Geistig-Seelische enthält, als der spätere Mensch es enthält. Der spätere Mensch ist viel mehr ein dualistisches Wesen als das Kind. Das Kind hat in seinem Leibe drinnenstecken das Geistig-Seelische, und es arbeitet das Seelisch-Geistige am Leibe. Als eine Zweiheit erscheint das Geistig-Seelische gegenüber dem Leiblich-Seelischen erst nach diesem geschilderten Zeitpunkte. So daß man sagen muß: Von diesem Zeitpunkt ab bekümmert sich das Geistig-Seelische im Menschen weniger um das Leibliche, als es sich vorher bekümmert hat. Das Kind ist als leibliches Wesen ein viel seelischeres Wesen als der spätere Mensch. Der Leib des Kindes ist eben durchaus noch in seinem Wachstum von den Seelenkräften durchsetzt,

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denn es bleiben noch immer seelische Kräfte zurück, auch wenn sich ein großer Teil mit dem Zahnwechsel eben verwandelt hat.

Dann können wir sagen: Es beruhigt sich in einer gewissen Weise nach und nach so vom zwölften Lebensjahre ab dieser Kampf, den ich geschildert habe, und mit der Geschlechtsreife tritt ja dann der astralische Leib in seine volle Berechtigung in der menschlichen Konstitution ein. Das aber, was sich da loslöst vom Menschen, was sich später gewissermaßen um das Leibliche weniger kümmert, das ist dann auch dasjenige, was den Menschen wieder durch die Pforte des Todes in die geistig-seelische Welt hineinträgt, wenn er stirbt. Wie gesagt, das Kind in seinem früheren Lebensalter wird mehr zurückgeworfen zu seinem vorigen Leben, der Mensch nach diesem Zeitabschnitte ist getrennt von seinem vorigen Leben. Und was sich da loslöst, das enthält in sich die Keime, um durchzugehen durch die Pforte des Todes. Man kann mit imaginativer Erkenntnis sehr genau diese Dinge durchschauen, und man kann auf die Einzelheiten sehr genau hindeuten. Man kann hindeuten darauf, wie die Kräfte, die da auftreten, zu scharf konturierten Begriffen führen - die aber abdämpfen die geistigen Realitäten, in deren Mitte wir im Schlafzustande leben - und die den Menschen eben zu einem selbständigen Wesen machen.

Dadurch daß er sich abschnürt, daß er abdämpft die geistigen Realitäten, wird ja der Mensch neuerdings der Geist unter Geistern, der er sein muß, wenn er durch die Pforte des Todes geht. Das Kind schlüpft, ich möchte sagen, in die geistigen Realitäten immer hinein; der spätere Mensch löst sich los von diesen geistigen Realitäten, wird in sich selber konsistent. Allerdings, das was da konsistent wird, man kann es erst durchschauen mit imaginativer und inspirierter Erkenntnis, aber vorhanden ist es ja beim Menschen. Es findet der Prozeß doch statt, auf den ich gestern hingedeutet habe. Wenn der Mensch nicht Geisteswissenschaft auf sich wirken läßt, dann ist es schon so: Was sich da loslöst - insbesondere in dem Zeitalter, wo der Mensch nur materialistische Begriffe und intellektualistische Begriffe empfängt, wo also in die Schule schon, und gerade in die Schule hineingetragen wird dasjenige, was Intellektualismus und Materialismus ist, denn unsere einzelnen Schulfächer sind ja materialistisch gestaltet -, was sich da los

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löst, das wird nach der ahrimanischen Richtung hin organisiert. Weil wir eben in bezug auf unseren Willen, also auch in bezug auf unsere Instinkte auch bei Tag schlafend sind, so nimmt das, was sich da los- löst, die Instinkte gefangen. Wir erziehen uns zur Überwindung dieses instinktiven Lebens, indem wir gerade die geisteswissenschaftlichen Begriffe aufnehmen.

Wer ein bloßer Intellektualist und Materialist oder Sensualist ist, der sagt ja von diesen geisteswissenschaftlichen Begriffen: Ja, diese geisteswissenschaftlichen Begriffe sind Phantasien, sie bezeichnen ja nichts von dem, was wirklich ist! - Er nennt nämlich «wirklich» nur, was die Sinne überschauen können. Das wollen aber diese Begriffe gar nicht bezeichnen. Alles, was Sie in meiner «Geheimwissenschaft» an Begriffen vorgeführt finden, das will ja gar nicht die äußere Sinnes- weIt bezeichnen, das will ja eine Beschreibung einer übersinnlichen Welt sein. Nimmt man diese Begriffe auf, so nimmt man eben Begriffe über diese übersinnliche Welt auf, auch wenn man noch nicht hinein- schauen kann. Man nimmt Begriffe auf, die geeignet sind für die über- sinnliche Welt, die nicht anwendbar sind für die sinnliche, physische Welt, und man reißt sich los auch von demjenigen, was an sich vom Menschen in der physisch-sinnlichen Welt lebt, das heißt von den Instinkten.

Diese Erziehung braucht aber das Menschengeschlecht, sonst würde die Menschheit immer mehr und mehr in das soziale Chaos einlaufen. Denn die wirkliche Folge - das ist so, wie ich es gestern gesagt habe -, die wirkliche Folge des Intellektualismus und Materialismus in der Wissenschaft, die wirkliche Folge überhaupt unserer gegenwärtigen Wissenschaftlichkeit ist ein sozialer Zustand, der chaotisch ist und der jetzt im Osten von Europa in einer so furchtbaren Weise aufgeht.

Wie gesagt, mit Logik kann man nicht aus Machscher, Avenariusscher Philosophie oder aus Bergsons Philosophie Bolschewismus ableiten; aber die reale Logik, die bringt einen dazu, die leitet das ab. Das ist etwas, was die gegenwärtige Menschheit schon einmal ins Auge fassen muß, daß durch die Entwickelung der letzten Jahrhunderte heraufgezogen ist ein Dualismus zwischen der Naturanschauung und der moralischen Ideenwelt des Menschen. Wir haben auf der einen

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Seite eine Naturanschauung, die nur mit der Naturnotwendigkeit arbeitet, wie ich öfter auseinandergesetzt habe, die streng, die exakt sein will, die alles zurückführen will auf gewisse ursächliche Zusammenhänge, Kausalitäten, wie man sagt. Diese Naturanschauung setzt zusammen ein Weltengebäude, bildet Hypothesen über Erdenanfang und Erdenende.

Ihr steht gegenüber dasjenige, was der Mensch an moralischen und religiösen Idealen erlebt. Das ist aber gänzlich losgerissen von dem, was in der Naturanschauung lebt. Deshalb hat man ja so sehr das Bestreben, diesen moralisch-religiösen Inhalt durch eine bloße Glaubensgewißheit zu rechtfertigen. Man hat es geradezu zu einem System erhoben, diesen moralisch-religiösen Inhalt allein für sich stehen zu lassen, ihn gewissermaßen nicht berührt werden zu lassen von dem Inhalte, den man hat, wenn man die äußere Natur beschreibt, denn man fühlt, wie das eine das andere zerstört, neben sich nicht bestehen läßt. Und unsere heutige Naturanschauung, wie sie gerade in ihrer neuesten Phase ist, wo sie Optik und Elektrodynamik vereinigt hat, diese Naturanschauung, die da in der neuesten Phase lebt, zieht notwendigerweise die Vorstellung des Wärinetodes nach sich. Aber dann stirbt die Erde mit all ihren Menschen am Erdenende, und dann entwickelt sich keine Menschenseele trotz aller moralischen Ideale. Über dieses Erdenende hinaus gilt das Gesetz von der Erhaltung der Kraft, von der Erhaltung der Energie; dann ist durch dieses Gesetz von der Erhaltung der Energie der Erdentod gegeben, dann stirbt die Erde mit allen Menschenseelen, so wie nach der Ansicht des Materialisten sterben muß die Menschenseele mit dem menschlichen Leib. Einzig und allein wenn wir uns klar sind darüber, daß dasjenige, was moralisch in uns lebt, was von religiösen Idealen durchsetzt ist, in uns lebt wie ein Keim, der eine Realität in sich enthält, so wie der Keim in einer Pflanze, der im folgenden Jahre in der nächsten Gestalt der Pflanze aufgeht; nur wenn wir uns klar darüber sind, daß dasjenige, was moralisch in uns lebt, Anfang und Keim eines künftigen natürlichen Daseins ist, und daß die Erde mit allem, was sie in sich enthält, für unsere Augen schaubar, für unsere Ohren hörbar, für unsere übrigen Sinne vernehmbar, nicht dem Gesetze der Erhaltung der Kraft unterliegt,

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sondern abstirbt, abfällt von allen Menschenseelen, die dann die moralischen Ideale hinaustragen als ein neues Naturgeschehen, als das Jupiter-, Venus-, Vulkandasein; nur wenn wir uns darüber klar sind: Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte, das heißt der Logos, der sich in den Menschenseelen ausbildet, wird nicht vergehen -, wenn wir uns klar sind, wörtlich klar sind über dieses Wort, dann erst können wir mit Ehrlichkeit sprechen von einer moralischen und einer religiösen Inhaltlichkeit unserer Menschenseele. Sonst ist es unehrlich. Sonst setzen wir gewissermaßen das Moralische hinein in die Welt und halten uns an eine andere Gewißheit als diejenige, die die Naturgewißheit ist. Sind wir uns aber klar, daß, wenn die Worte des Christus wahr sind, mit dem Moralischen ein Kosmos anfängt, der sich den toten Hüllen entringen wird, wenn dieser Kosmos in Staub zerfällt, dann haben wir eine Weltanschauung, die das Moralische und das Natürliche in ihren Metamorphosen zeigt.

Das ist es, was die gegenwärtige Menschheit durchdringen muß. Denn mit jener Anwendung des Naturdenkens, die sich herausgebildet hat in den letzten Jahrhunderten, ist es unmöglich, auch nur zu dem einfachsten Sozialbegriff zu kommen, den wir gebrauchen. Denn in diesen Sozialbegriffen muß etwas leben von dem, was die Moralität zu gleicher Zeit erkennt in ihrer kosmischen Bedeutung. Der Mensch muß wiederum lernen, wie er ein kosmisches Wesen ist. Nicht früher wird er die sozialen Angelegenheiten hier auf dem Erdenrund zu ordnen verstehen, bevor er erkannt hat, wie er als Menschenwesen zusammenhängt mit kosmischen Absichten, mit kosmischen Entitäten.

Das ist dasjenige, was gespürt wird von denjenigen Menschen unseres Zeitalters, die diese ganze Tragik in ihrer Seele empfinden können, die gekommen ist durch den Abgrund zwischen der Naturanschauung und der moralischen Anschauung, die wir haben. Vielleicht fühlen erst wenige die ganze Bedeutung dieses Abgrundes, aber er muß überbrückt werden, dieser Abgrund. Es muß wiederum die Möglichkeit kommen, ein solches Wort wörtlich zu nehmen: «Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.» Das heißt: Was in der Menschenseele erkeimt, das wird sich entfalten, gerade wenn die Erde zugrunde gegangen sein wird.

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Man kann aber nicht ein ehrlicher Anhänger des Gesetzes der Erhaltung der Energie sein und zu gleicher Zeit glauben, daß die moralische Welt eine ewige Bedeutung hat. Nur insofern man den Mut finden wird, gerade aus diesem Zentrum das Wesen unserer Naturanschauung zu durchblicken, wird man einen Ausweg finden aus dem Chaos der Gegenwart. Dieser Ausweg kann nur gefunden werden, wenn sich die Menschen entschließen, wiederum, und jetzt bewußt, zu jener Weisheit zurückzukehren, die die Menschheit einmal in jenen alten Mysterien gehabt hat auf instinktive Weise. Würde die Menschheit sich entschließen, bewußt zu der geistigen Welt vorzudringen, die objektive Möglichkeit ist dazu vorhanden, meine lieben Freunde. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts will eine Welle geistiger Welt in unsere physische Welt herein. Ich möchte sagen, sie stürmt herein, sie ist da. Die Menschen brauchen bloß ihr Herz und ihren Sinn zu öffnen, und sie wird zu den Menschenherzen und zu den Menschenseelen sprechen. Die über- sinnliche Welt meint es gut, aber die Menschheit stemmt sich noch dagegen. Und dasjenige, was das zweite Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts in so furchtbarer Weise erlebt hat, letzten Endes ist es das Stemmen der Menschheit gegen die hereinbrechenwollende Welle der geistigen Welt. Aber man möchte sagen, am schlimmsten ist es da, wo gerade der wissenschaftliche Geist sich wendet gegen dieses Hereinströmen der geistigen Welt. Man will ja, nachdem einmal die materialistischen, intellektualistischen Denkgewohnheiten heraufgezogen sind, nicht in irgendeiner Form dasjenige zur Handhabung bringen, was aus der geistigen Welt heraus gewonnen werden kann.

In dieser Beziehung hat eben doch die intellektualistisch-materialistische Welle ihren Höhepunkt, ihren Höhenschlag gehabt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Natürlich hat sich der Materialismus lange vorbereitet. Ich habe immer hingewiesen auf seinen eigentlichen weltgeschichtlichen Anfang; denn was im Griechentum gelebt hat als Materialismus, ist ja nur ein Vorspiel gewesen, etwa in Demokrit und in andern. Seine weltgeschichtliche Bedeutung hat der Materialismus erst nach und nach entwickelt seit der Mitte des 15. Jahrhunderts. Gewiß hat er sich ja langsam entwickelt, aber es waren, wenn auch die dogmatische, wenn auch die wirkliche Tradition erloschen war, immer

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noch, ich möchte sagen, Empfindungen davon vorhanden, daß eine geistige Welt da ist wie eine physische Welt, daß diese geistige Welt erfaßt werden kann, aber nicht erfaßt werden kann durch das bloße intellektualistische menschliche Gebaren.

Heute weisen manche Menschen, die das Wesentliche davon noch nicht sehen, mit einer gewissen Wehmut selbst auf noch nicht lange hinter uns liegende Zeiten zurück, wo auch die positivistisch und materialistisch gearteten Denker eigentlich noch immer sich geschämt hätten, dasjenige, was Mensch ist, so ganz und gar unmenschlich zu betrachten. Darnach hat man im Grunde genommen erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gestrebt, ist darauf verfallen, ganz und gar unmenschlich den Menschen zu betrachten, auszulöschen das spezifisch Menschliche. Es hat sich das dann dadurch gerä~cht, daß der Mensch nach und nach ausgebildet hat ein verhältnismäßig ganz abstraktes Denken, wie es etwa hervorgetreten ist in der neueren Gestalt der Relativitätstheorie. Daher ist es immerhin interessant, und man sollte sich daran halten, daß es noch immer einige Geister gibt, die zurückverweisen auf die Zeiten, wo selbst noch materialistisch orientierte Geister dasjenige, was in bezug auf den Menschen unternommen werden sollte, vom Geiste aus behandelt wissen wollten.

Gewiß, ein durch und durch intellektualistischer, positivistischer Geist war Auguste Comte> aber er lebte eben noch nicht in dem Zeitalter vom Ende des 19. Jahrhunderts, wo der Mensch schon ganz und gar herausgeworfen war aus der menschlichen Anschauung, wo man - weil ja durch Intellektualismus und Materialismus nur die äußere Natur begriffen wird - nur noch die äußere Natur begriff, wo man das eigene Menschliche nicht mehr ins Auge faßte beziehungsweise nur so, daß man auch sein eigenes Menschliches in den Bildern der bloß außermenschlichen Natur dachte. Und so ist es interessant, wenn wir jetzt lesen können, daß ein englischer Denker, Frederick Harrison, vor kurzem eine Außerung getan hat über Auguste Comte. Er sagt: Ich denke an eine prägnante Bemerkung Auguste Comtes, die er vor mehr als siebzig Jahren gemacht hat. - Auguste Comte, der Positivist, der Intellektualist, der aber noch etwas berührt war von der Geistigkeit der alten Zeit, er sieht schon heraufkommen die Zeit, wo der Mensch

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vollständig ausgeschaltet ist. Aber trotz seines Positivismus, trotz seines Intellektualismus mißfällt ihm das, was da heraufzieht und was er in der Ausprägung, die es dann bekommen hat im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, gar noch nicht gesehen hat: Unsere modernen Arzte, sagte Comte, scheinen mir im wesentlichen Tierärzte zu sein. - Er meinte - so sagt Harrison dann weiter -, daß sie den Menschen zu oft und besonders die Frauen so behandeln, als ob sie Pferde oder Kühe wären.

Comte betonte, daß Krankheiten gewöhnlich von mehr als einer Seite betrachtet werden müssen, daß sie ein geistiges Element in sich haben, zuweilen sogar in hervorstechender Art ein geistiges Element, so daß ein Arzt für Menschen ebensogut ein Philosoph der Seele sein sollte wie ein Anatom des Körpers. Er behauptete, das wahre Heilmittel habe zwei Seiten. Aus diesem Grunde - so sagt jetzt Harrison dazu - würde er die Freudsche Einseitigkeit abweisen. Und dann sagt Harrison weiter, wie diese Comtesche Anschauungsweise in einer gewissen Art weitergebildet worden ist, aber wie man doch immer mehr und mehr verfallen ist in diejenige Anschauungsweise, die eben die Menschen behandelt wie Pferde und Kühe und die die Menschheitsärzte allmählich zu Tierärzten gemacht hat. Und er sagt, man sehe nirgends die Hauptlehre des Auguste Comte: Alles ist relativ - was schon den berechtigten Kern der Relativitätslehre in sich enthielt. Diese Hauptlehre des Auguste Comte hat eine bessere Grundlage und eine gründlichere Tiefe in Philosophie und Leben als Einstein. - Es ist immerhin erfrischend, wenn man heute noch einen solchen Ausspruch hört, denn wir leben einmal in dem Zeitalter, in dem sich gerade der Wissenschaftsgeist stemmt gegen alles, was von geistiger Seite her- kommt, und namentlich was den Geist überführen will in das menschliche Leben, in das menschliche Handeln, insbesondere in so wichtige Gebiete wie das medizinische Handeln.

Wenn wir uns nun fragen: Was ist es denn, was den Materialismus und den Intellektualismus gerade für die gegenwärtige Wissenschaftlichkeit so anziehend macht? Nun, sehen Sie sich an, wie da die Dinge vor sich gehen. So wie nun einmal unser Schulwesen eingerichtet ist, möchte man, daß der Lehrer möglichst wenig an die ganze Konfiguration

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des Kindes herangeht. Der Lehrer ist viel zu bequem, und er wird schon selber viel zu bequem erzogen, um an die Feinheiten der kindlichen Entwickelung, wie ich sie auch heute wieder geschildert habe, wirklich heranzugehen. Mit solchen Dingen will man sich ja nicht beschäftigen. Denn was fordern solche Dinge? Solche Dinge fordern, daß man jenen Übergang nicht scheut von dem gewöhnlichen Leben, wo man in einer Täuschung lebt, zu einem ganz andern Leben, wo uns erst Erkenntnis der Wirklichkeit wird.

Dieses Umwandeln des Menschen, dieses Anderswerden des Menschen behufs Erkenntnis, das ist es, was man heute gerade scheut, was man nicht will. Man will möglichst bequem zu den höchsten Wahrheiten aufsteigen, die dann aber nur höchste Abstraktionen sein können, denn allerdings zu Abstraktionen kommt man mit einer gewissen Bequemlichkeit. Da braucht man sich nicht zu etwas anderem zu machen. Aber zu einem wirklichen Lebensgehalt, wie er zugrunde liegt unserem äußeren sinnlichen Inhalt, kann man nicht kommen, wenn man nicht wenigstens sich zu Begriffen aufschwingt, die für dieses gewöhnliche Sinnesleben eben keinen Sinn haben, deren Sinn man erst durchdringen muß aus der Kraft des eigenen Inneren heraus. Der Mensch ist schon einmal hineingestellt in das Leben, das auch hinauf- reicht in diese übersinnliche Welt, und er ist in unserem Zeitalter darauf angewiesen, daß ihm in gesunder Weise hineingeleuchtet wird in diese übersinnliche Welt. Und wenn ich gestern gesagt habe, daß die materialistisch-intellektualistische Weltanschauung nicht etwa nur die paar wissenschaftlich gebildeten Leute umfaßt, die eben durch eine wissenschaftliche Bildung hindurchgehen, sondern daß sie populär ist, daß sie in populären Begriffen auch bei den einfachsten Leuten lebt, die heute glauben, noch den alten Bekenntnissen anzugehören, so muß gesagt werden: Es ist eben dringend notwendig, daß einfließe in unser Gesamtleben wiederum in populärer Art auch dasjenige, was Kunde von der geistigen Welt gibt.

Aber es treten einem überall da die charakteristischen Eigenschaften der Gegenwart entgegen, wo der Versuch gemacht wird, hineinzutragen in die Lebensgebiete, was aus anthroposophischer Geisteswissenschaft kommen kann. In Medizin, in Religion, in das soziale Leben, überall

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muß hineingetragen werden dasjenige, was gewiß nicht sektiererisch gemeint ist: anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft, dasjenige, was auftritt mit demselben wissenschaftlichen Ernste, der in der Menschheit heranerzogen worden ist seit der Mitte des 15.Jahrhunderts an der Naturwissenschaft, die ja voll anerkannt wird.

Und wenn dann das Kind herangewachsen ist, wenn es das Glück hat, durch irgendeine höhere Bildung hindurchzugehen - nun, sehen Sie, wie das heute ist: Diese jungen Leute, die Mediziner, Theologen, Philologen, Juristen, sie sollen ja dadurch nichts anderes werden, sie sollen sich ja nicht umwandeln, sie sollen ja so bleiben, wie sie sind, und nur in Abstraktionen aufnehmen, was eben ihre Wissenschaft ist. Wird der Versuch gemacht, irgend etwas von Erkenntnis der Welt zu geben, dann wird er gleich von denen, die dieses Leben so bequem in Abstraktionen weiterleben wollen - was aber in das Chaos hinein- führen würde -, insbesondere da zurückgewiesen. Und so sehen wir denn ein interessantes Symptom uns entgegentreten, das ich als einzelnes Symptom doch anführen will. Bei der Gelegenheit von jetzt schon ziemlich vielen Vorträgen, die der Nürnberger Hauptprediger Geyer in verschiedenen Orten gehalten hat, zeigte es sich: Da witterten die Menschen, namentlich witterten das auch die Wissenschafter, daß der Versuch gemacht wird, in ihr Lebensgebiet anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft hineinzutragen. Das wollen die Leute nicht. Und selbst Gutmeinende wollen das nicht. Sie verspüren: Da müssen sie ja umlernen in bezug auf ihre ganze Wissenschaftlichkeit, da müssen sie ja über ihre eigenen Grundbegriffe ganz anders denken. Daher ziehen sie es vor, wo so etwas auftritt, nach ihren eigenen Grund- begriffen, nach den bequemen Abstraktionen die Dinge zu beurteilen. Und so sehen wir denn gerade in Anknüpfung an die Geyerschen Vor- träge einen Aufsatz von einem Obermedizinalrat Kolb hervortreten, Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen, Psychiater, also ein Mensch, der es eigentlich gerade mit innigster Befriedigung und freudig begrüßen müßte, wenn in diejenigen Gebiete, in die nur durch Geistes- wissenschaft fruchtbar hineingeleuchtet werden kann, in die psychiatrischen Gebiete, da fruchtbar hineingeleuchtet würde.

Geisteswissenschaft verfolgt in gesunder Weise die Wege, die der

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Psychiater in krankhafter Art durchlaufen muß, und Psychiatrie kann selber nur gesund werden, wenn sie beleuchtet wird auf allen ihren Gebieten, in allen ihren Einzelheiten von dem, was in gesunder Weise durch anthroposophische Geisteswissenschaft gefunden wird. Daher sollte ein Psychiater sich aufschwingen, seine Psychiatrie zunächst durchdringen zu lassen von Geisteswissenschaft; denn diese Psychiatrie ist ja im Grunde genommen endlich nichts anderes geworden als eine Psychopathographie. Sie ist ja etwas Furchtbares in der Gegenwart, diese Psychiatrie. Was tut denn der Psychiater? Er verspürt nicht, wie die Lichtstrahlen, die ihm von anthroposophischer Geisteswissenschaft kommen können, in die Psychiatrie hineinleuchten, sondern er stellt die Geisteswissenschaft so dar, wie sie ihm nach der bisherigen Psychiatrie erscheint, das heißt, er legt den psychiatrischen Maßstab an die Geisteswissenschaft an. Und wenn er noch dazu gutmeinend ist, dann wird das ganz besonders interessant, denn dann sehen wir, wie eben, wenn Sie sich in einer Gartenkugel spiegeln und Ihr Gesicht sehen: wenn es ein schönes Gesicht ist, so wird man ja die Schönheit noch immer sehen, aber sie ist karikiert. So muß natürlich Geistes- wissenschaft karikiert erscheinen, wenn sie von jemandem, der sich mit allen Kräften dagegen stemmt und der doch gutmeinend ist, dargestellt wird. Es ist immerhin interessant, einige der Worte zu lesen, die dieser Dr. Kolb, Obermedizinalpsychiater, immerhin von guter Meinung aus, sagt:

«Den bekannten Anthroposophen Rudolf Steiner halte ich für eine» - verzeihen Sie, ich muß das vorlesen - «geniale, aber außerordentlich ungleich veranlagte Persönlichkeit mit manchen auffallenden, nur an Hand psychiatrischer Kenntnisse verständlichen Zügen. Auf dem Boden der Steinerschen Lehren scheint Herr Hauptprediger Geyer, Nürnberg, zu stehen. Ich habe zweimal einen öffentlichen Vortrag dieses von vielen hochgeschätzten Geistlichen gehört. Der Vortrag war als Kunstwerk entzückend. Ich würde es für eine Barbarei halten, die blaue Blume der Poesie, die uns in so anmutiger Weise gereicht wurde, zu zerpflücken, und den blauen Duft» - das Blaue scheint also nicht kritisch zu sein an dem Duft -, «in dem er uns das Herannahen des Steinerschen Zeitalters malte, durch kritische Farben zu trüben.

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Nur eins muß ich als Psychiater sagen: Das Steiners ist nichts anderes als gewöhnliches Denken, das durch eine Art von AutoHypnose beeinflußt wird; wenn eine geniale und, wie ich zunächst annehmen möchte» - nachher wird es schon anders kommen! - «sittlich hochstehende Persönlichkeit mit glänzender naturwissenschaftlicher und allgemeiner Bildung, genau unterrichtet über die bisherigen religions-philosophischen Lehren, wie Steiner es ist, gewissermaßen in ihr Gehirn hineinsieht und uns den Inhalt ihres Gehirns als darbietet, so werden neben zahlreichen phantastischen Zügen doch auch viele gute, edle und sittlich hochstehende, vereinzelt sogar vielleicht wissenschaftlich wertvolle Gedanken sich finden.»

Nun also bitte ich Sie, hören Sie sich das an: Das gewöhnliche Denken, durch Autohypnose beeinflußt, sieht in das Gehirn hinein, und was man dann im Gehirn sieht, das stellt man als Anthroposophie dar! Bitte, nehmen Sie nur diesen genialen Satz dieses Psychiaters: also alles beim Hineinschauen in das Gehirn, ein wenig von Autosuggestion beeinflußt!

«Wenn aber seine bisher nur den Gebildeten zugängliche Lehre von der Kanzel unters Volk geworfen würde, dann würden auch minder geniale Menschen, ohne Vorbildung, den staunenden Menschen die Produkte ihres verkünden.»

Die haben es nämlich schon genug getan, diese weniger Gebildeten! Es ist tatsächlich, als ob dieser Psychiater, der in der Anthroposophie ein von Autohypnose beeinflußtes Denken, das in das Gehirn hinein- sieht, erblickt, überhaupt außerhalb der wirklichen Welt lebte.

«Da der Okkultismus ähnlich dem Kommunismus eine verhängnisvolle Anziehungskraft besitzt auf Geistesschwache, auf die noch unreife Jugend, auf das vorzeitig gealterte Alter, auf Phantasten, auf Hysterische, vor allem auf die Psychopathen, die Haltlosen, die krankhaften Lügner und Schwindler, so würden wir erleben, daß in unserem durch Krieg, Tod und Not und Sorge um die Zukunft zermürbten und empfänglich gemachten Volk aufstehen, ähnlich denen, von deren Taten wir in der Geschichte der Münsterschen Wiedertäufer mit Schaudern lesen. Es ist ein hohes Verdienst der katholischen Kirche, daß sie mit vollster Klarheit und Schärfe Steiner abgelehnt hat» - diese

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«Klarheit und Schärfe» lesen Sie ja bei hier recht nahe Lebenden! - «und ich möchte als Protestant jeden einzelnen protestantischen Geistlichen recht herzlich bitten, doch jene Gefahr und die Gefahr des Verfalls unserer Kirche in eine öde und gefährliche Sektiererei recht genau zu prüfen, bevor er die gerade für ideal gerichtete Christen vielfach gefährlich verlockende, aber mit pathologischen Zügen schwer durch- setzte Lehre Steiners empfiehlt.»

Diese Lektion hat also von einem Psychiater, Obermedizinalrat Dr. Gustav Kolb, Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen, Hauptprediger Geyer empfangen.

Sie sehen, wie die Seelenverfassung eines Menschen beschaffen ist, der ganz und gar die Denkgewohnheiten des modernen Wissenschaftsgeiste5 in sich aufgenommen hat. Und bitte, bedenken Sie jetzt einmal ein bißchen, meinetwillen meditieren Sie sogar darüber, was herauskommen würde, wenn man, statt den Blick in die Außenwelt zu richten, statt ihn geistig durch Imagination, Inspiration, Intuition zu schärfen und dann dasjenige hervorzubringen, was etwa in meiner «Geheim- wissenschaft» steht, diesen Blick nach innen richten würde und nun das menschliche Gehirn schildern würde, etwas durch Autohypnose beeinflußt. Nicht wahr, es ist schon Wahnsinn, was da der Psychiater schildert! Es ist tatsächlich in Psychiatrie getaucht die Schilderung, die da auftaucht! Aber man muß sagen, solch ein Mensch, wie dieser Gustav Kolb, ist ja sogar gutmeinend, denn er findet, daß er den blauen Duft nicht durch andere kritische Farben zerpflücken soll, er findet es sogar eine Barbarei, gegen die blaue Blume, die der Pastor Geyer heranträgt, aufzutreten. Also er ist von der einen Seite sogar gutmütig; aber er ist ein wirklich typischer Repräsentant der modernen Wissenschaftlichkeit.

Das ist dasjenige, was von der modernen Wissenschaftlichkeit durchaus zu hoffen und zu erwarten ist für anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft! Deshalb muß immer erwähnt werden: Es brauchte schon diese anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft aktive Mitarbeiter, die in jedem Winkel, in jeder Ecke aufspüren, was in dieser Weise vorgebracht wird, und die es nun wirklich in das rechte Licht rücken, in das es gerückt wird dann, wenn man darauf hinweist, erstens,

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daß es aus der gegenwärtigen Wissenschaftlichkeit heraus nicht anders sein kann, und zweitens, wie es ist: Gehirn statt Anthroposophie.

Wirklich, man muß sich von dem Vorurteile frei machen, daß es heute möglich ist, da oder dort irgend jemanden von denjenigen überzeugen zu können, die ganz durchdrungen sind von diesem modern wissenschaftlich Gewohnten. Die Freude, die einige kurzdenkende Anhänger von uns immer wieder haben, daß man den oder jenen herüber- ziehen kann, diese Freude ist schlecht am Platze. Um was es sich handelt, ist, daß die unbefangene Menschheit durchdrungen werde von dem, was anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft geben kann, und daß dann mit Unerbittlichkeit charakterisiert wird gerade diese moderne Wissenschaftlichkeit da, wo sie zum Nonsens wird, selbst wenn sie gutartig ist. Wir stehen heute vor einem ungeheuren Ernst. Deshalb muß es immer wieder betont werden, daß unter uns möglichst viele aufstehen müssen, die diesen Ernst verspüren, die nicht bloß sich hinsetzen wollen und ein wenig zuhören wollen, um ein Wohlgefallen an den anthroposophischen Wahrheiten zu empfinden, sondern die in alles Leben aktiv einführen wollen dasjenige, was anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft dem Leben sein will, und die auch den Mut und die Kraft haben aufzutreten da, wo es nötig ist. Immer wieder mache ich aufmerksam: Der Kampf, der gegen Geisteswissenschaft geführt wird, er hat alle möglichen grotesken, lächerlichen, lügenhaften und gutmütigen, aber impotenten Formen angenommen. Der Kampf, der gegen diesen Kampf geführt wird, der ist noch ein sehr spärlicher. Er muß aber wegen des Heiles der Fortentwickelung der Menschheit geführt werden. Gesunden muß dasjenige wieder, was gerade durch den modernen Wissenschaftsgeist - der, wie Sie ja wissen, da wo er berechtigt ist, auch von der Geisteswissenschaft voll geschätzt wird -, weil er sich auch aufspielen will auf denjenigen Gebieten, von denen er nichts versteht, krank gemacht wird.

ZWANZIGSTER VORTRAG Dornach, 12. August 1921

#G206-1991-SE117 Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist

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ZWANZIGSTER VORTRAG

Dornach, 12. August 1921

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Es ist nun schon einmal so, daß in die anthroposophische Geisteswissenschaft nicht so ohne weiteres die Methoden des Beobachtens, des Erwägens, des Beurteilens hereingetragen werden können, die sonst heute üblich sind nach den Gewohnheiten des Denkens, welche sich herauf- entwickelt haben in den letzten drei bis vier Jahrhunderten. Das, worauf zunächst durch intellektuelle Begriffe hingewiesen wird, das ist eigentlich in der Anthroposophie nur eine Art Richtlinie, um die Lebensbeobachtung, die Weltbeobachtung in diejenige Richtung zu bringen, in der man die Wirklichkeit, die vollständige Wirklichkeit überschauen kann. Daher hat man in den anfänglichen Begriffen der Geisteswissenschaft kaum mehr als eine Art Schema, das einen auf gewisse Beobachtungsmethoden aufmerksam macht. Diese Schemata sind hergenommen von der bis zu einem gewissen Grade fertigen Geistewissenschaft, so daß derjenige, der sich auf Geisteswissenschaft einläßt, allerdings etwas bekommt, was dem gesunden Menschenverstand zunächst zwar ein leuchten kann, was aber vollständig doch erst verstanden werden kann, wenn man das, was Wissenschaft und Leben sonst geben, an diese Schemata heranbringt.

Ein solches Schema erhält man ja verhältnismäßig früh, wenn man sich darauf einläßt, die anthroposophische Geisteswissenschaft kennenzulernen. Und ein solches Schema ist es, was uns anleitet, den Menschen so zu betrachten, daß wir zugrunde legen dieser Betrachtungsweise physischen Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich. Ich habe ja in meinem Buche «Theosophie» sogleich versucht, mit diesen vier Gliedern der Menschennatur nicht ein bloßes Schema zu geben, sondern durch die Art, wie das` dort dargestellt ist, diese abstrakten vier Begriffe mit einem gewissen konkreten Inhalt auszufüllen. So daß man bis zu einem gewissen Grade - mehr kann ja niemals getan werden - einsieht, wie berechtigt es ist, den Menschen nach diesen vier Einteilungsgliedern zu betrachten.

Aber recht gegenständlich lebendig werden einem diese Dinge dann,

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wenn man eingeht auf das, was sich im Menschenleben, was sich in den Beziehungen des Menschen zur Welt, was sich in der Welt überhaupt offenbart und was dann die zunächst schematisch hingepfahlten Begriffe mit einem ganz bestimmten Inhalte erfüllt. Nach einem gewissen Gesichtspunkte wollen wir das auch heute wiederum versuchen.

Wir wollen zunächst einmal beginnen bei dem, was wir unser Ich nennen, insofern wir dieses Ich bewußt erleben, was dieses unser Ich eigentlich darstellt. Sie wissen ja, dieses Ich als Bewußtsein ist im Verlaufe des Lebens unterbrochen durch alle die Zustände, die da verlaufen zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen. Mit Ausnahme des Träumens, und eigentlich bis zu einem gewissen Grade auch im Träumen ist dieses Ich-Bewußtsein für die Zeit zwischen dem Einschlafen und Aufwachen dahin. Wir können sagen: Dieses Ich-Bewußt sein entzündet sich immer im Augenblicke des Aufwachens - wobei natürlich Entzünden nur ein bildhaft gebrauchter Ausdruck ist - und es dämpft sich ab im Momente des Einschlafens.

Wenn wir uns Beobachtungsvermögen für solche Dinge aneignen, dann merken wir, daß dieses Ich-Bewußtsein im engsten Sinne gebunden ist an den ganzen Umfang der Sinneswahrnehmungen, aber eigentlich nur an diesen. Sie brauchen nur einmal eine Art Seelenexperiment auszuführen, das darinnen besteht, im Wachzustand zu versuchen, allen Sinnesinhalt zu tilgen, gewissermaßen von allem Sinnesinhalt abzusehen. Wir kommen später noch einmal von einem andern Gesichtspunkte auf die Sache zurück. Aber Sie werden schon bemerken, wenn Sie versuchen, von allem Sinnesinhalt abzusehen, daß in den weitaus meisten Fällen und bei den weitaus meisten Menschen eine gewisse Tendenz vorhanden ist, dann in eine Art Schlafzustand zu versinken; das heißt aber eben, das Ich abdämpfen. Man kann schon bemerken, daß das Ich-Bewußtsein, so wie es im Tagwachen waltet, wesentlich geknüpft ist an die Anwesenheit von Sinnesinhalt. So daß wir sagen können: Wir erleben zu gleicher Zeit mit dem Sinnesinhalt unser Ich. Wir erleben eigentlich für das alltägliche Bewußtsein nicht anders unser Ich als mit dem Sinnesinhalt. So weit der Sinnesinhalt reicht, ist Ich-Bewußtsein vorhanden, und so weit - wenigstens eben für das gewöhnliche Leben - Ich-Bewußtsein vorhanden ist, so weit

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reicht der Sinnesinhalt. Es ist durchaus zunächst gerechtfertigt, wenn man vom Standpunkte dieses alltäglichen Bewußtseins ausgeht, das Ich nicht zu trennen von dem Sinnesinhalt, sondern sich zu sagen: Indem Rot, indem dieser oder jener Ton, indem diese oder jene Wärmeempfindung, Tastempfindung, diese oder jene Geschmacks-, Geruchsempfindung vorhanden ist, ist auch das Ich vorhanden, und insofern diese Empfindungen nicht vorhanden sind, ist auch das Ich, wie es im gewöhnlichen Wachzustand erlebt wird, nicht vorhanden.

Ich habe das öfter als einen Befund der Seelenbeobachtung hingestellt. Insbesondere deutlich habe ich es einmal hingestellt in einem Vortrage, den ich gehalten habe beim Philosophenkongreß in Bologna 1911, wo ich versuchte zu zeigen, wie eigentlich das, was als Ich erlebt wird, nicht abgetrennt werden sollte von dem ganzen Umfang der Sinneserlebnisse. Wir müssen daher sagen: Das Ich ist im wesentlichen zunächst gebunden - ich rede immer vom Erleben - an die Sinneswahrnehmungen. Nicht wahr, wir betrachten jetzt nicht das Ich als Realität; wir wollen im Gegenteil erst im Verlauf dieser drei Vorträge, heute, morgen und übermorgen, auf das Ich als Realität hinweisen. Wir wollen jetzt zunächst allein auf das eingehen, was wir im Bereiche unseres Lebens das Ich-Erlebnis nennen.

Sie wissen, wie schwierig es wird, in abstrakten Vorstellungen zu leben, in Vorstellungen, die nicht getränkt sind von dem Inhalte der Sinneserlebnisse. Das geht so weit, daß es viele Philosophen gibt, die überhaupt behaupten, daß ein solches sinnlichkeitsfreies Denken, ein Vorstellen, ohne daß zugleich anwesend wären irgendwelche Sinneswahrnehmungen, wenn es auch nur von innen heraus reflektierte Sinneswahrnehmungen sind, gar nicht mögich sei. Nun aber,bei wirklicher Seelenbeobachtung wird es ja bald klar, daß allerdings das innere Erleben sich nicht in den Sinneswahrnehmungen erschöpft, daß wir eben einfach vordringen von den Sinneswahrnehmungen zu dem, was wir Vorstellungen nennen. Das reine Bild des Vorstellens bekommen wir ja allerdings nur dann, wenn wir klar darauf sehen, was da wird aus einem Komplex von Sinneswahrnehmungen, von denen wir uns abgewendet haben und die wir hinterher doch noch vorstellen, allerdings jetzt mit Zuhilfenahme derselben Kräfte, die uns

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sonst bei der Erinnerung dienen. Nicht darf natürlich behauptet werden, daß nicht der Inhalt der Sinneswahrnehmungen in diese Vorstellungen hineingeht. Aber die Aktivität, die zu beobachten ist im menschlichen Seelenleben, ist eine andere, wenn wir im Zusammenhange mit der Außenwelt eine Sinneswahrnehmung erleben, oder wenn wir diese Sinneswahrnehmung bloß vorstellen.

Aber dieses Vorstellungsleben, es führt uns in hohem Grade ab von dem, was gerade das Wesentliche unseres Ich-Erlebnisses im Sinnes- wahrnehmen ist. Wir können nicht sagen, daß wir in demselben Sinne ein starkes Ich-Bewußtsein haben, wenn wir bloß vorstellen; im Gegenteil, es spielt beim bloßen Vorstellen immerfort das herein, daß dieses Ich-Erlebnis sich verdunkeln will, was eben in dem Übergang in einen träumerischen Zustand oder sogar in eine Art schlaftrunkenen Zustand beim bloßen Vorstellen sich äußert. Wir tauchen tiefer in unser Inneres hinein, wenn wir bloß vorstellen, als wenn wir im Zusammenhange mit der Außenwelt in der Sinneswahrnehmung leben. Es muß da verwiesen werden auf die Selbstbeobachtung jedes einzelnen. Man wird bemerken können, wie die Tendenz vorliegt, das Ich abzudämpfen, wenn die Sinneswahrnehmung abgedämpft ist. Wir dringen dann eben vor, wenn wir an das Sinneserlebnis die Vorstellung anknüpfen, von unserem Ich in unseren astralischen Leib hinein.

So daß wir sagen können: Ebenso wie das Leben in der Sinneswahrnehmung zusammengehört mit dem Ich-Erlebnis, so gehört das Vorstellungserleben zusammen mit dem astralischen Leibe. Vor allen Dingen drückt sich dieses Abdämpfen des Ich dadurch aus - und das ist eigentlich das Bedeutsamste, an das man anknüpfen muß, wenn man einsehen will, was ich eigentlich jetzt ausführe -, daß wir, indem wir beim Sinneswahrnehmen bleiben, etwas ganz Individuelles haben. Der Komplex von Sinneswahrnehmungen, den wir gerade vor uns haben, ihn kann kein zweiter genau so vor sich haben. Er ist eben etwas ganz Individuelles, und an diesem ganz Individuellen haben wir zugleich unser Ich-Erlebnis. Insofern wir aufsteigen zum Vorstellungserleben, haben wir ja zugleich die Macht, zu etwas Allgemeinerem zu kommen, zum Beispiel Abstraktionen zu bilden, die dann in derselben Gestalt sich mitteilen lassen an andere, für die andere das gleiche Verständnis haben

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wie wir. Für das, was wir individuell während unseres ganzen Lebens an Sinneswahrnehmungen haben, können wir sogar nur selbst Verständnis haben; für das aber, was wir daran an Vorstellungen anknüpfen, ergibt sich uns eine solche Gestalt, daß sie allgemeiner gilt, daß sie gewissermaßen einer größeren Anzahl von Menschen mitgeteilt werden kann.

Das bezeugt aber schon, daß das Ich sich abdämpft, indem wir von dem Sinneserleben zu dem Vorstellungserleben aufrücken. Doch wir gehen zu gleicher Zeit tiefer in uns hinein; das ist ja auch ein unmittelbares Erlebnis. Nun, indem sich aber die Vorstellungen, oder besser gesagt das, was sich zu ihrer Entstehung in uns abspielt und was wir zunächst für heute unbestimmt lassen wollen, indem sich das fortentwickelt, werden aus den Vorstellungen Erinnerungen. Vorstellungen verschwinden eigentlich zunächst aus unserem Bewußtsein. Aus irgendwelchen Untergründen herauf - wir wollen sie heute unbestimmt sein lassen - ergeben sich Tatsachen, in deren Folge wir dieselben Vorstellungen hervorrufen können.

Das ist einzig und allein das, was wir behaupten können. Nicht wahr, man kann, wenn man beim Tatbestand bleibt, nicht mit denjenigen Psychologen gehen, die etwa sagen: Die Vorstellungen gehen dann ins Unterbewußtsein hinunter, da gehen sie spazieren, ohne daß das Bewußtsein etwas davon weiß, und wenn man sich erinnert, dann spazieren sie wiederum herauf. - Das ist ja nicht der Tatbestand. Nichts spricht zunächst dafür, daß eine Vorstellung, die ich mir vor drei Jahren gebildet habe, fortexistiert hat bis zum heutigen Tage und irgendwo spazierengegangen ist in den Untergründen der Seele, dann heute wiederum, wenn ich mich erinnere, heraufkommt. Sondern das einzige, was gesagt werden darf, wenn man genau sprechen will, ist dieses: Damals habe ich mir die Vorstellungen gebildet; diejenigen Fähigkeiten, die sich angeschlossen haben an dieses Vorstellungsbilden, diese Fähigkeiten sind in ihrem weiteren Verlauf dazu geeignet, daß heute diese Vorstellung wiederum bewußt in mir hervortreten kann. Das ist einzig und allein der Tatbestand. Und würde man überall geneigt sein, die genauen Tatbestände anzufassen, so würde es ganz gewiß viel weniger Theorien und Hypothesen in der Welt geben, als es gibt. Denn gerade mit Bezug auf das, was ich jetzt hier ausführe, glauben ja

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die meisten Menschen, daß das, was sie einmal als Vorstellung sich gebildet haben, irgendwo im Unbestimmten herumlebt und dann wiederum heraufspaziert.

Aber wir wissen auch, daß die Vorstellung, die man in Anknüpfung an ein Sinneserlebnis bildet, eben vorübergehend ist, und daß, wenn das auch bisweilen sich kaschiert, doch eine innere Kraft entfaltet werden muß, die erlebt werden kann, wenn ein vergangenes Erlebnis in der Erinnerung wiederum Vorstellung wird. Es sitzt eben dasjenige tiefer in uns, was da die Veranlassung zu Erinnerungsvorstellungen wird, als die gewöhnliche an eine Sinnesempfindung angeknüpfte Vorstellung. Sie ist in unserer Organisation begründete Erinnerungsvorstellung. Sie hängt ja auch mit demjenigen zusammen, was wir als zeitliches Wesen sind. Wir wissen, daß Vorstellungen in verschiedener Weise erinnerbar sind, je nachdem sie mehr oder weniger weit in der Zeit zurückliegen. Wenn wir alle die Tatsachen, die da in Betracht kommen, zusammenfassen, so müssen wir uns sagen: Jedenfalls ist das, was in einer an eine Sinneswahrnehmung angeknüpften Vorstellung gelebt hat, in den Zeitenstrom eingezogen, in dem wir selbst leben. Gewisse Empfindungen, die wir durchaus haben, während eine Erinnerung herauftaucht, sagen uns, wie eigentlich mit unserer ganzen Organisation zusammenhängt das Erinnern. Wir wissen ja auch, wie in den verschiedenen Lebensaltern, also in der Zeiten folge unseres Lebens zwischen Geburt und Tod, die Kraft des Erinnerns eine größere oder geringere ist.

Wenn wir alle diese Tatsachen verfolgen, dann werden wir uns sagen können, daß, ebenso wie die Kraft des Vorstellens in dem astralischen Leibe, die Kraft des Erinnerns in dem Ätherleibe liegt. So daß wir etwa, wenn wir das Erinnern in dem Worte Gedächtnis zusammenfassen, sagen können: Das Gedächtnis ist ebenso mit dem Ätherleib eins, wie das Vorstellungsleben mit dem Astralleib, das Sinneswahrnehmen mit dem Ich eins ist. Jedenfalls wird das, was dem Vorstellen zugrunde liegt, in den Zeitverlauf unseres Daseins aufgenommen. Geradeso wie unser Wachstum, unsere Fortentwickelung zwischen Geburt und Tod in einem gewissen Zeitenstrome drinnen ist, so ist das, was als Erinnerung sich da erlebt, das, was als Gedächtnis sich darlebt, in diesem selben Strom drinnen und wir fühlen die Zusammengehörigkeit.

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Nun tritt allerdings dann etwas zu denjenigen Dingen hinzu, die ich bis jetzt besprochen habe, und die schon bei einiger subtiler Aufmerksamkeit in treuer Selbstbeobachtung von jedem gefunden werden können. Daß das Ich mit dem Sinneswahrnehmen zusammenhängt, das ist eine ganz offenkundige Tatsache, und derjenige, der sie nicht zugibt,der will eben einfach eine ganz offenkundige Tatsache nicht beobachten. Daß das Vorstellungserleben mit dem astralischen Leibe zusammenhängt, das ist etwas, worauf man auch noch durchaus mit dem gewöhnlichen Beobachten kommen kann. Ein feineres Beobachten gehört allerdings schon dazu, wenn man gewissermaßen die Zusammen gehörigkeit von Ätherleib und Gedächtnis prüfen will. Aber man kann auch da noch sogar, ich möchte sagen, naturwissenschaftlich zurecht- kommen, namentlich wenn man pathologische Fälle, Gedächtnisstörungen und dergleichen beobachtet und sieht, wie sie zusammen- hängen mit Wachstums-, mit Ernährungsstörungen namentlich. Und die Ernährungskräfte müssen wir ja durchaus in derselben Richtung liegend betrachten wie die Wachstumskräfte oder wie die Reproduktionskräfte. Man kann schon durchaus eine Beobachtungsreihe zusammenstellen, die dieses Gebundensein des Gedächtnisses an den Ätherleib noch ins Auge fassen läßt.

Dagegen ergibt sich das, was ich jetzt hinzuzufügen habe, allerdings erst der imaginativen Beobachtung, und es kann, ich möchte sagen, höchstens noch geahnt werden von der gewöhnlichen Beobachtung. Aber wenn es durch imaginative Beobachtung gefunden ist, so ergibt der ganze Zusammenhang, in den man diese Dinge hineinstellen kann, für den gesunden Menschenverstand durchaus die Richtigkeit der Sache. Wir dringen gewissermaßen von außen gehend nach innen immer weiter in unser eigenes Wesen hinein, wenn wir ausgehen von Sinneswahrnehm`ing und Ich, Vorstellungserleben und Astralleib, Erinnerungserleben und Ätherleib, und dann in den physischen Leib hinuntertauchen.

Im physischen Leibe, da haben wir es allerdings zu tun mit etwas, was noch mit der Erinnerung zusammenhängt, aber doch nicht so wie der Ätherleib. Man kann zu Hilfe nehmen, um das besser einzusehen, was der imaginativen Beobachtung vorliegt und was ich gleich charakterisieren will, man kann zu Hilfe nehmen das Ergebnis, das ja bei

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manchen krankhaften Störungen vorliegt. Es erhält dann der Mensch in seinen physischen Leib hinein gewisse Neigungen, ich möchte sagen, Tendenzen; sie brauchen nicht so weit zu gehen, daß unwillkürliche Bewegungen, Zuckungen entstehen, sie könnten natürlich so weit gehen, daß es bis zum Tode kommt, aber das gehört eigentlich schon auf ein anderes Feld. Wenn unwillkürliche Bewegungen eintreten, ich möchte sagen, unschuldigerer Art, dann kann derjenige, der überhaupt eingehen will auf solche Sachen, schon sehen, daß in einer gewissen Kategorie von unwillkürlichen Bewegungen Nachwirkungen liegen von Erlebnissen. Wenn jemand die Neigung zeigt, mit seinen Fingern dieses oder jenes gewohnheitsmäßig, aber unwillkürlich auszuführen, so kann man immer hinweisen, wenn man nur genügend Untersuchungsunterlagen hat, wie dieser oder jener Erlebniskomplex gerade zu diesen Dingen führt. Es dürfen nicht über einen gewissen Grad der Unwillkürlichkeit hinausgehende Bewegungen sein, sondern, ich möchte sagen, halb unwillkürliche Bewegungen.

Sehen Sie, da ist es so, daß dasjenige, was erlebt worden ist, zu stark sich im physischen Leibe abdrückt; es darf sich noch abdrücken im ätherischen Leibe, aber nicht zu stark im physischen Leibe. Wenn es sich zu stark im physischen Leibe abdrückt, dann kommt dieser physische Leib unter den Einfluß der Erinnerungen. Das darf er nicht. Die imaginative Beobachtung zeigt uns, daß, was im Gedächtnis wirkt, im Ätherleib noch Bewegung ist, im Ätherleib gewissermaßen noch Bewegungsentwickelung ist. Im physischen Leibe staut es sich. Es darf nicht den physischen Leib völlig durchdringen; es muß vom physischen Leib zurückgestoßen werden.

Wenn ich ein Schema aufzeichnen wollte, so würde es so sein: Nehmen wir einmal an, wir haben hier den physischen Leib (siehe Zeichnung, rot), wir haben hier den Ätherleib (orange), wir haben hier den astralischen Leib (grün), und wir haben endlich hier das Ich (weiß). Jetzt wirkt ein Sinneserlebnis. Dieses Sinneserlebnis wird zunächst aufgenommen in das Ich. Es wird die Vorstellung daran geknüpft, indem es sich einlebt in den astralischen Leib; es wirkt die Kraft, die dann die Erinnerung möglich macht, indem es sich einlebt als Bewegung in den Ätherleib. Nun muß es sich aber stauen. Es darf nicht weitergehen, es

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darf nicht den physischen Leib ganz durchdringen, sondern muß sich hier stauen. Im physischen Leib entsteht nämlich, natürlich zunächst ganz unbewußt, von dem, was in der Erinnerung lebt, ein Bild. Das Bild ist gar nicht ähnlich dem, was das Erlebnis war, es ist eine Metamorphose; aber es entsteht ein Bild. So daß gesagt werden muß: Ebenso wie mit dem Ätherleib das Gedächtnis verbunden ist, so ist mit dem physischen Leib ein wirkliches inneres Bild verbunden. - Wir haben immer im physischen Leib, wenn sich solch eine Bewegung staut, die vom Ätherleib ausgeht, eine Imprägnierung, ein Bild; dieses Bild kann natürlich erst erreicht werden mit imaginativem Vorstellen. Da sieht man, wie in der Tat der physische Leib der Träger wird von all diesen Bildern. Sie können sagen: Aber ich kann ja unmöglich zum Beispiel in meinem physischen Leibe das Bild eines Kirchturms haben! - Ich will Ihnen zunächst eine Vorstellung davon geben, wie Sie doch in

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Ihrem physischen Leib das Bild eines Kirchturms haben können, indem ich Ihnen die Sache bildhaft nahe bringe.

Nehmen Sie an, Sie haben meinetwillen vor sich ein Gesicht, und dieses Gesicht, das lassen Sie sich abspiegeln in irgendeinem Spiegel,der das Gesicht ganz entstellt (es wird gezeichnet). Nehmen wir an, da entsteht etwas Furchtbares drinnen, etwas Schreckliches. Nun meine ich nicht, daß von dem äußeren Erlebnis, sagen wir eines Kirchturmes, so etwas Schreckliches als Imprägnierung im physischen Leibe entsteht, aber jedenfalls muß natürlich etwas Unähnliches entstehen. Nun denken Sie einmal, wenn Sie hier von dieser schönen Stirn so ein Ungetüm bekommen, so ist das hervorgerufen durch die Krümmung des Spiegels.

Wenn nun hier die Möglichkeit besteht, mit dieser Krümmung des Spiegels zu rechnen, so können Sie - wenn Sie auch gar nicht jetzt dieses Gesicht vor sich haben - aus der Karikatur in Verbindung mit der Krümmung des Spiegels sich das Gesicht rekonstruieren. Sie können also, wenn Sie die Natur des karikierenden Spiegels verstehen, durch den Sie die Karikatur bekommen, sich das schöne Gesicht rekonstruieren. So muß auch gar nicht im Inneren des Menschen irgend etwas einem Kirchturm oder einem Drama Ähnliches vorhanden sein, das man erlebt hat oder dergleichen, sondern was da entsteht in Verbindung mit der Natur des ganzen Menschen, macht natürlich dann möglich, die Sache in derselben Weise zu rekonstruieren.

Also davon kann kein Einwand hergenommen werden, daß ja natürlich, weil die Welt groß ist und anders gestaltet als das Menschen- innere, im Menscheninneren nicht eben das Bild da sein kann. Das Bild ist da, und Bild ist gewissermaßen im Menschen das letzte, wobei das äußere Erlebnis ankommt. Das andere, Vorstellen, Erinnern, sind Durchgangsmomente. Es darf nicht, was wir an der Außenwelt erleben, einfach durch uns durchgehen. Wir müssen ein Isolator sein; wir mussen es zurückhalten, und das tut zuletzt unser physischer Leib. Unser astralischer Leib verändert es, macht es blaß in der Vorstellung; unser Ätherleib nimmt ihm allen Inhalt und enthält nur die Möglichkeit, es wiederum hervorzurufen. Aber das, was in uns eigentlich bewirkt wird, das drückt sich bildhaft in uns ein. Mit dem leben wir weiter. Aber wir dürfen es nicht durch uns durchlassen. Nehmen wir an, wir würden die

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Vorstellung gleich durchlassen, so würde sie nicht gewissermaßen elastisch zurückgeworfen durch den Ätherleib; sie würde durch den Ätherleib durchgehen, durch den physischen Leib durchgehen, wir würden in der Welt immer so herumzappeln, wie die Ereignisse uns das gebieten. Bei Komplizierterem läßt sich das gar nicht gut beschreiben, aber wenn ich zum Beispiel sehen würde, wie ein Mensch von rechts nach links sich bewegt, so würde ich gleich von links nach rechts tanzen, gleich alles nachmachen wollen, was ich sehe. Ich würde in mir, in meiner Gestalt alles dasjenige nachahmen wollen, was ich äußerlich erlebe. Es ist eben dieses angekommen zuerst im astralischen Leib, der gewissermaßen schon lähmend wirkt, dann in dem elastisch zurück werfenden Ätherleib, dann namentlich in dem die ganze Sache stauen den physischen Leibe. In diesem ist eine Isolierung desjenigen da, was ich von außen wahrnehme. Und auf diese Weise wirkt das in mir, was ich an der Außenwelt erlebe.

Daran, daß man weiß, der Mensch besteht aus physischem Leib, Ätherleib, astralischem Leib und Ich, kennt man ein Schema; aber darauf kommt es an, daß man dann in dieses Schema hineinfüllt die konkreten Ergebnisse, also hier Sinneswahrnehmen, Vorstellen, Gedächtnis und dann das ganz konkrete Bild. Das gibt erst diesen schematischen Begriffen Inhalt. Und immer mehr und mehr muß man zu einem solchen Inhalt kommen, wenn man zum Verständnis dessen auf- rücken will, was in der Welt Wirklichkeit ist. Man kann zum Beispiel nicht sagen: Ja, da gliedert man den Menschen in physischen Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich, als ob es da Grenzen gäbe! - Man behauptet zunächst ja gar nicht, wenn man ein vernünftiger Mensch ist, daß es andere Grenzen gibt als die, die sich ergeben, wenn man die Bildentstehung nimmt, das Gedächtniserleben, das Vorstellungserleben und das Sinneswahrnehmungserleben. Aber man muß für die Unterschiede dieser vier Erlebnisarten ein unbefangenes Auffassungsvermögen haben.

Das ist zunächst die eine Art, wie man sich an diese Dinge heranmachen kann. Nun aber wollen wir uns dem Menschen und seinem Verhalten zur Welt von einer andern Seite nähern. Nehmen Sie an, wir gehen herum. Indem wir herumgehen - ich habe das schon einmal hier in einem andern Zusammenhange berührt -, können wir in der

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äußeren Beobachtung keinen Unterschied machen zwischen unserem Herumgehen und zwischen der Bewegung, in der sich ein unbelebter Gegenstand befindet. Ob ich schließlich einen geworfenen Stein in seiner Bahn äußerlich betrachte bloß in bezug auf die Bewegung, oder ob ich einen Menschen, der läuft, beobachte - wenn beide die gleiche Geschwindigkeit haben, so ist zunächst für das äußere Bild dasselbe Faktum vorliegend. Wenn ich von allem andern absehe, nur den in Bewegung befindlichen Körper ansehe, so habe ich es zu tun bei dem Stein sowohl wie beim Menschen mit Ortsveränderung. Ich beobachte diese Ortsveränderung, diese Geschwindigkeit. Und dies ist letzten Endes im Grunde genommen das, was wir im Bewußtsein haben von unserer Bewegung im gewöhnlichen Leben; denn wir müssen unterscheiden zwischen der Absicht, eine Bewegung auszuführen und der wirklichen Bewegung. Wenn ich eine Bewegung denke, so kann ich ganz ruhig bleiben. Ich kann mich in Bewegung denken, und wenn ich einigermaßen Phantasie habe, so kann ich mich bewegt vorstellen. Die Vorstellung, die ich dann habe, wenn ich mich wirklich bewege, die braucht sich ja gar nicht zu unterscheiden von der Phantasievorstellung, die ich habe, wenn ich ruhig bin und mich bloß bewegt denke.

Also wir müssen sehr sorgfältig unterscheiden zwischen dem Denken von unseren Bewegungen und unseren wirklichen Bewegungen. Aber diese wirklichen Bewegungen, sie stellen wir uns ja auch nur äußerlich vor, gar nicht anders als wir unbewegte Gegenstände vorstellen. Wir sehen, wie wir dadurch andere Entfernungen bekommen von diesen oder jenen Gegenständen. Wir konstatieren unsere Bewegungen ganz äußerlich; das kommt dazu. Und wenn wir von Bewegungen sprechen - ich will mich jetzt nicht einlassen darauf, ob nun hier eine hypothetische Vorstellung oder eine mehr oder weniger begründete Vorstellung vorliegt, das ist Sache eines andern Kapitels -, aber wenn wir Bewegungen vorliegend haben, so haben wir auch Kraft vorliegen.

Ich will also zunächst mich nur ganz an den gewöhnlichen Tatbestand halten: Wo Bewegung vorliegt, liegt natürlich die Entfaltung einer gewissen Kraft vor. So daß wir sagen können: Der bewegte Mensch entfaltet eine gewisse Kraft. - Wir können nicht von mehr

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sprechen als von Kraft, und müssen diese Kraft, die er entfaltet, auch identifizieren mit irgendeinem, selbst unorganischen Gegenstande. Betrachten wir also nur den physischen Leib, entweder als Ganzes oder in seinen einzelnen Teilen; indem er sich bewegt, bewegt er sich wie irgendein anderer lebloser Gegenstand. Also indem wir uns in Bewegung denken und auf den physischen Leib sehen, können wir hier nur von Kraft sprechen.

Anders schon wird die Sache, wenn wir nun beginnen, ins Innere der Wesenheit hineinzuschauen. Wir müssen uns ja klar sein darüber: Während wir eine Bewegung ausführen, gehen in uns innere Vorgänge vor. Es werden Stoffe verbraucht. Es geht etwas vor, was einen Zusammenhang hat mit den Wachstums-, mit den Ernährungs-, Reproduktionskräften. Das sind Kräfte, die wir nicht in derselben Weise ansprechen können, wie wir ansprechen die Kräfte, die wir wahrnehmen bei einer äußeren Bewegung eines unbelebten Körpers. Wenn wir eine Pflanze in ihrem Wachstum betrachten, so müssen wir über dasjenige, was da vorliegt, indem die Pflanze immer größer und größer wird - und für das Tier und den Menschen ist ja zunächst in bezug auf die Wachstumskräfte dasselbe vorliegend -, uns klar sein, daß die Kraftentfaltung eine andere ist als diejenige, die zugrunde liegt, wenn wir einen bloß äußerlich beobachtbaren bewegten Körper haben, sei es den äußerlich beobachtbaren bewegten eigenen Körper oder überhaupt einen menschlichen Körper. Was da vorliegt, wenn Wachstumsvorgänge stattfinden - und Wachstumsvorgänge im weiteren Sinne nenne ich auch diejenigen nun, die eben vor sich gehen, wenn wir zum Beispiel in Bewegung sind -, was da vorgeht, das müssen wir durchaus im Ätherischen, im Ätherleibe suchen. Dasjenige, was wir an der äußeren Bewegung beobachten, an dem Verhältnis des Menschen, der in äußerer Bewegung ist, zu dieser äußeren Welt, das veranlaßt uns nicht, auf den Ätherleib hinzuschauen. In dem Augenblicke, wo wir das beobachten, was innerlich vorgeht, müssen wir auf den Ätherleib hinschauen. Und wir können, wenn wir den Wachstumsbegriff so weit fassen wie ich es jetzt eben getan habe, sagen: Die spezifische Wachstumskraft, in der also auch Ernährung, Stoffverbrauch und so weiter enthalten ist, diese spezifische Kraft drängt uns dazu, nun eben schon

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zum Ätherleib hinaufzukommen. - Wir sehen in der Pflanzenwelt diese Wachstumskraft.

Damit Sie sehen, daß die Dinge nun nicht etwa bloß erklügelt sind, sondern zugleich erhärtet werden können durch die geisteswissenschaftlichen Beobachtungen, möchte ich doch ausdrücklich sagen, daß das, was wir am wachsenden oder überhaupt sich innerlich verändern- den Organismus sehen, namentlich also am Pflanzenorganismus, wo es rein hervortritt, durchaus darauf beruht, daß die Kraft, die sich sonst nur in der äußeren Bewegung äußert, zu dem, was man Äther in Wirklichkeit nennen kann, in ein gewisses Verhältnis kommt. Auch das möchte ich Ihnen bildlich nahebringen.

Sie kennen das oft Erwähnte, daß ein fester Körper in einer Flüssigkeit so viel von seinem Gewichte verliert, einen Auftrieb erhält, als das Gewicht des verdrängten Wasserkörpers beträgt. Nun, die Kräfte, die zugrunde liegen den äußeren Bewegungen der physischen Körper, sind in einer gewissen Weise starr. Sie haben eine innere Starrheit, geradeso wie ein fester Körper ein gewisses Gewicht hat. Wenn Sie einen festen Körper ins Wasser geben, so verliert er von seinem Gewichte. Wenn Sie die Kräfte, die sonst die äußere Bewegung verursachen, innerlich durchdringen mit den Kräften des Äthers, so verlieren sie ihre Starrheit; sie werden innerlich beweglich. Also eine Kraft, die als bewegende Kraft des Unorganischen so groß ist und gar nicht größer werden kann, wenn sie nur eine äußere Bewegungskraft ist, die verliert, wenn sie sich nun verbindet mit dem Äther, ihre Starrheit, sie kann sich ausdehnen oder auch zusammenziehen. Und als solche Kraft ist sie dann im Wachstum, überhaupt in den innerlichen Vorgängen tätig.

Dieses Archimedische Prinzip kann man nämlich so aussprechen, daß man sagt: Jeder feste Körper verliert in einer Flüssigkeit so viel von seinem Gewichte, als das Gewicht des verdrängten Flüssigkeitskörpers ist. Jede Kraft, so kann man weiterhin sagen, verliert, wenn sie sich mit den Ätherkräften verbindet, von ihrer Starrheit so viel, als die Ätherkräfte an ihr Saugkräfte sind, als die Ätherkräfte ihr an Saugkräften entgegenbringen. Sie wird Bewegung, und damit wird sie das, als was sie tätig wird, sagen wir, im Pflanzenorganismus, aber auch tätig bleibt im Tierorganismus und im Menschenorganismus.

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Wenn wir nun weiter heraufgehen vom Ätherleib zum astralischen Leib, also in der äußeren Anschauung von der Pflanze zum Tier, so wird das, was zunächst in der Wachstumskraft eine innerlich bewegliche Kraft gewesen ist, jetzt frei - ähnlich wie ich das geschildert habe beim Freiwerden der Kräfte, die im siebenten Jahre mit dem Zahnwechsel frei werden -, innerlich frei, so daß jetzt das, was da vorgeht, nicht mehr gebunden ist an die Kräfte des festen Körpers. Was sich da als freie Kräfte äußert, sind die Instinktkräfte beim Tier und beim Menschen. So daß wir also heraufdringen zum Astralleib und das, was unten noch Kraft ist, als Instinkt bekommen. Und dringen wir herauf bis zum Ich, so wird der Instinkt Wille.

Ich : Sinneswahrnehmungen Wille Tafel

Astralleib : Vorstellungsleben Instinkt

Ätherleib : Gedächtnis Wachstumskraft

Physischer Leib : Bild Kraft

Diese Beziehung des Willens zu den Instinkten, die ergibt sich bei einer unbefangenen Beobachtung des gewöhnlichen Seelenlebens schon wiederum für eine vernünftige Selbstschau. Wir haben von einer andern Seite das, was hier nur ein bloßes Schema ist, mit dem erfüllt, was Erlebnisinhalt ist.

Wir können sagen, wenn wir den physischen Leib betrachten, von innen stellt er sich uns dar als das, was fortwährend sich entgegenstaut den Erlebnissen und Bild wird; von außen angesehen ist er eine Kraftorganisation. Und es ist auch beim physischen Leibe richtig beobachtet so, daß er tatsächlich besteht in einem Ineinanderwirken von Kräften mit Bildern. Wenn Sie sich nämlich ein gemaltes Bild vorstellen - allerdings müßte man es sich dann räumlich vorstellen, derart, daß es jetzt nicht starres Bild, sondern innerlich bewegtes Bild ist, daß Kraft wirkt in jedem Punkt -, dann bekommen Sie etwa das, was in Wirklichkeit vorgestellt werden muß unter dem physischen Leib.

Wenn Sie sich die Wachstumskräfte vorstellen von der Innenseite und sie durchtränkt denken auf der andern Seite von dem, was der Erinnerung zugrunde liegt - aber jetzt nicht als sich untereinander kaschierende Vorstellungen, sondern eben als das, was der Erinnerung

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zugrunde liegt -, also Ätherbewegungen auf der einen Seite, die da heraufwellen, heraufstauen durch die innere Bearbeitung der aufgenommenen Nahrungsstoffe, die da heraufstauen durch die Bewegungen des Menschen, im Konflikt mit dem, was hinunterwellt aus alldem, was sinnlich wahrgenommen und Vorstellung geworden ist und dann abgeschwungen hat im Ätherleib zur Bewahrung der Erinnerung, wenn Sie sich dieses Ineinanderwirken von oben und unten denken, also desjenigen, was von der Vorstellung hinunterschwingt, und desjenigen, was von unten hinauf, aus dem Ernährungs-, Wachstums- und Eßprozeß heraufkommt, beides ineinanderspielend: dann bekommen Sie ein lebendiges Bild des Ätherleibes. Und wiederum, wenn Sie sich alles das denken, was Sie selbst erleben, wenn Instinkte tätig sind, wobei Sie ja doch gut begreifen können, wie in den Instinkten wirkt Blutzirkulation, Atmung, wie das ganze rhythmische System ja dadrinnen wirkt in den Instinkten, und wie diese Instinkte abhängig sind von unserer Erziehung, von demjenigen, was wir aufgenommen haben: dann haben Sie das lebendige Ineinanderspielen desjenigen, was Astralleib ist. Und wenn Sie sich endlich denken ein Ineinanderspielen der Willensakte - da sei angefacht alles das, was Wollungen bei Ihnen sind - mit dem, was die Sinneswahrnehmungen sind, so haben Sie ein lebendiges Bild desjenigen, was da als Ich ins Bewußtsein sich hereinlebt.

Allein, das ist ein bloßes Schema. Man muß die Erlebnisse, wobei wir ja jetzt nur einen sehr kleinen Ausschnitt von Erlebnissen hatten, in ein Schema hineinpassen. Man muß zunächst den Schrank haben, bevor man die Gegenstände hineintun kann. Nicht wahr, der gewöhnliche Psychologe oder Physiologe, der beobachtet zunächst diese Dinge. Und wenn es jemandem passiert, daß er nun alle möglichen Wäsche- und Kleidungsstücke hat, aber keinen Schrank, daß er sie alle aufeinanderlegt, nicht wahr, dann wird ja doch mit der Zeit ein Chaos daraus! Das ist ja unsere gegenwärtige Psychologie und Physiologie. Man braucht schon einen Schrank. So wie derjenige, der den Schrank macht, in einer gewissen Weise wissen soll, wie der Schrank eingeteilt sein muß, damit man da nun wirklich das hineinkriegt, was man hineintun will, so muß nun auch das, was da gegliedert wird, trotzdem es nur noch abstrakt sein kann - wie der Schrank auch, wenn er noch leer

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ist, abstrakt ist im Verhältnis zu dem, wenn er dann voll ist -, in einer gewissen Weise noch unerklärlich sein. Wenn irgendwo ein leerer Schrank steht, so ist er auch unerklärlich.

Also Sie sehen, es gibt natürlich furchtbar viele Angriffspunkte auf Anthroposophie, je nachdem man da oder dort einsetzt. Aber man kann ja auch, und ich habe das in meiner «Theosophie» versucht, schon merken lassen, daß während man genötigt ist, zunächst den Schrank hinzustellen, da schon etwas Konkretes dazu drängt. Aber man muß dann die Geduld haben, eben aufzusteigen zu demjenigen, was Fülle hineinbringt in das Schema. Und das ist das, was immer wiederum insbesondere den Anthroposophen gesagt werden muß, man sollte nicht vor der Welt die Vorstellung hervorrufen, als ob schon alles gesagt wäre, wenn man solche abstrakten Begriffe hinpfahlt, wie physischer Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich. Wenn man bloß sagt: Der Mensch besteht aus physischem Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich -, so hat man gar nichts gesagt als vier Worte. Denn es ist natürlich ein großer Unterschied, ob dieses selbe aus der Fülle der Erkenntnis heraus zunächst gesagt wird als eine Gliederung, die man zur Hilfe nehmen kann, um etwas daran aufzureihen, oder ob dann damit so verfahren wird, daß man es dogmatisiert und als Dogmen mitteilt.

Daher macht es einen so abstoßenden Eindruck, wenn einfach tradiert wird: Der Mensch besteht aus physischem Leib, Ätherleib, astralischem Leib und Ich. Es kommt überall dabei darauf an, wie man solche Sachen sagt. Man braucht nicht so weit zu gehen, wie einmal in einem anthroposophischen Vortrage gesagt worden sein soll: Der Einfachheit halber teilen wir den Menschen in sieben Glieder ein. - Der Unfug ist schon groß, wenn man glaubt, irgend etwas Reales zu treffen, indem man nur irgendein Schema hinstellt. Es ist zunächst dazu da, damit man Richtungslinien hat, innerhalb derer die Beobachtungen gemacht werden können.

Nachdem ich Ihnen gezeigt habe, wie man gewisse gangbare Begriffe, wie Wille, Gedächtnis und so weiter in das anthroposophische Begriffsschema hineinbringen kann, werden wir morgen zu einer weiteren Betrachtung des Menschen aufsteigen.

EINUNDZWANZIGSTER VORTRAG Dornach, 13.August 1921

#G206-1991-SE134 Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist

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EINUNDZWANZIGSTER VORTRAG

Dornach, 13.August 1921

#TX

Wir haben uns gestern damit beschäftigt, die Wirkungsweise des Menschen in seinen verschiedenen Gliedern - physischem Leib, Atherleib, astralischem Leib und Ich-Träger - zu betrachten, indem wir dabei Rücksicht genommen haben auf das, was eigentlich aus der Seele des Menschen heraus in diesen Gliedern eben vor sich geht. Sie haben gesehen, daß wir dabei insbesondere Wert legen mußten einerseits auf die Betrachtung der Sinneswahrnehmung und wie der Mensch seinem Ich nach in dieser Sinneswahrnehmung lebt, und auf der andern Seite hat uns das Erinnern mehr in das Innere des Menschen selbst hineingeführt. Hier liegt etwas vor, was genau betrachtet werden muß, und ich muß schon heute den Anspruch stellen, daß Sie mir in vielleicht schwieriger zu begreifende Gebiete folgen, weil ja nur durch ein solches Begreifen ein ernstes Verständnis dessen möglich ist, was eigentlich mit dem Wesen des Menschen zusammenhängt. Stellen wir noch einmal vor unsere Seele einiges von dem, was gestern gesagt worden ist.

Für das gewöhnliche Bewußtsein lebt das Ich in der Sinneswahrnehmung. So weit unsere Sinneswahrnehmungen reichen, so weit reicht zunächst dieses gewöhnliche Ich-Bewußtsein. Ich sage nicht das Ich, ich sage das Ich-Bewußtsein.Und anknüpfen tun wir an das,was wir erleben als Ich und Sinneswahrnehmung, unsereVorstellungserlebnisse. Mit diesen Vorstellungserlebnissen leben wir in unserem astralischen Leibe.

Stellen wir noch einmal die Sache schematisch vor uns hin. Wir haben im Ich-Bewußtseinsgebiet die Sinneswahrnehmung, haben also unser Ich in dieser Sinneswahrnehmung betätigt, gewissermaßen dann diese Tätigkeit über unseren astralischen Leib ausgedehnt und erleben da die Vorstellungen. Wir haben dann gesehen, durch die Tätigkeit unseres Atherleibes werden uns die Erinnerungen. Und im physischen Leibe bilden sich - das habe ich gestern gesagt - alle Bilder. Nun handelt es sich darum, daß wir versuchen, etwas zum Bewußtsein zu bringen, was eben schon zum Bewußtsein gebracht werden kann bei subtiler Innenbetrachtung.

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Wenn Sie gewissermaßen den geistigen Blick hinwerfen auf das Feld der Sinneswahrnehmungen und sich durchdringen damit, wie das IchBewußtsein sich darinnen entfaltet, dann werden Sie sich sagen: Für die Sinneswahrnehmungen werden wir von außen angeregt. - Also wenn ich schematisch das Verhältnis des Menschen zu seinen Sinneswahrnehmungen zeichnen will, so muß ich eigentlich so zeichnen, daß

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ich sage: Wenn hier Außenwelt ist, so werden von der Außenwelt die Sinneswahrnehmungen angeregt (siehe Zeichnung, blau), aber in diesen Sinneswahrnehmungen drinnen, die da angeregt werden, lebt das Ich (orange). Es ist also durchaus damit schon gegeben, daß wir eigentlich nicht sagen sollten: Unser Ich ist, insofern wir seiner bewußt werden, in uns drinnen -, sondern: wir erfahren es von außen herein. - Geradeso wie wir die Sinneserlebnisse von außen herein erfahren, so erfahren wir unser Ich selber von außen herein. Es ist also eigentlich eine Illusion, davon zu sprechen, daß unser Ich in uns drinnen ist. Wir atmen gewissermaßen, wenn ich mich so ausdrücken darf, das Ich mit den Sinneswahrnehmungen ein, wenn wir uns das Ergreifen der Sinneswahrnehmungen als ein feineres Atmen denken. So daß wir uns schon sagen müssen: Dieses Ich, das lebt eigentlich in der Außenwelt und

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erfüllt uns durch die Sinneswahrnehmungen, erfüllt uns dann weiter, indem sich an die Sinneswahrnehmungen (orange), vordringend bis zum astralischen Leibe, nun angliedern die Vorstellungen (gelb).

Sie sehen also: Wollen Sie sich in der richtigen Weise dieses Verhältnis des Ich zu dem vorstellen, was man gewöhnlich Mensch nennt und was man sich innerhalb der Haut begrenzt denkt, so müssen Sie sich eigentlich - wenn ich zunächst das Auge als Repräsentanten der Sinneswahrnehmungen hier zeichne - hier vorstellen, daß das Ich nicht im

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Inneren ist, sondern daß das Ich hier außen lebt und vordringt durch die Sinne nach innen. Wir geben uns gewöhnlich der Illusion hin, daß unser Ich innerhalb desjenigen liegt, was wir unseren physischen Organismus nennen. Aber das Ich ist eigentlich im Verhältnis zu diesem physischen Organismus in der Außenwelt gelegen und streckt gewissermaßen seine Fangarme nach unserem Inneren vor, zunächst im Vorstellen, nach dem astralischen Leibe oder bis zum astralischen Leibe.

Fassen wir nun etwas genauer die Welt der Erinnerungen ins Auge. Die Erinnerungen werden von dem, was wir unser Inneres nennen, emporgetrieben. Indem sie emporgetrieben werden, stellen sie zunächst eine Betätigung im Atherleibe dar und die regt wiederum Vorsteilungen

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an im astralischen Leibe; doch kommen die jetzt umgekehrt (siehe Zeichnung Seite 135, Pfeile). Aber sie müssen zuletzt stammen aus dem, was im physischen Leibe die Bilder sind.

Nun merken Sie also, daß, ausgehend vom physischen Leibe, zum Atherleib die Erregung strömt, welche der Erinnerung zugrunde liegt, und indem das Ich darinnen ist, ist das Ich auch hier. Ich muß also die Sache so zeichnen, daß ich schematisch nicht nur das Ich hier außen denke, sondern daß das Ich allerdings auch im physischen Leibe ist (rötlich) und vom physischen Leibe aus die Erinnerungen (grün) anregt, die dann zu Vorstellungen werden (gelb).

Sie sehen also, ich kann eigentlich mit dem Schema, das ich da gezeichnet habe, gar nicht auskommen. Ich müßte anders zeichnen. Ich müßte sagen: Ich, astralischer Leib, Atherleib, physischer Leib. Wenn ich aber die Erinnerung ins Auge fasse, dann müßte ich dasjenige, was da oben als Ich ist, auch noch in den physischen Leib hineinlegen. Es

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ist zu gleicher Zeit abgesondert für sich, und es erfüllt auf der andern Seite auch noch den physischen Leib. Sie sehen, durch die sorgfältige Erkenntnis desjenigen, was im Menschen vorgeht, ist es möglich, sich eine Vorstellung zu verschaffen von der Eingliederung dieses Ich, wie es auf der einen Seite in der Außenwelt ist, auf der andern Seite im Inneren.

Und jetzt fassen Sie folgenden Vorgang ins Auge. Denken Sie sich einmal, Sie treffen einen Menschen auf der Straße, da haben Sie die Sinneswahrnehmung des Menschen. Ihr Ich ist darinnen, aber gleichzeitig

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tritt die Erinnerung auf von innen heraus: Sie erkennen den Menschen wieder. Die Erinnerung ist da von innen kommend, und von außen kommen die Sinneswahrnehmungen. Die greifen ineinander.

Dieses Phänomen des Ineinandergreifens, das haben nun schon die alten instinktiv befähigten Geistesforscher gekannt. Wir holen es wiederum aus der Summe der Tatsachen hervor. Es ist das, was ich Ihnen jetzt wiederum aus der Summe der Tatsachen hervorhole` den alten Geistesforschern bekannt gewesen, und sie waren gewöhnt, solche Dinge in Bildern aufzuzeichnen und haben dieses, was ich Ihnen jetzt eben sagte, dieses Vorhandensein des Ich, hier das Zusammenkommen mit dem, was von außen kommt, gezeichnet als die Schlange, die sich in den

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Schwanz beißt. Wie der Mensch mit der Außenwelt in Beziehung steht, das wurde also dargestellt als die Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Man kann, wenn man ältere Darstellungen, die aus instinktiven Schauungen hervorgegangen sind, vor sich hat, oftmals erkennen, wie in solchen Schauungen tiefe Erkenntnisse verborgen sind. Abstraktlinge kommen dann und deuten allerlei aus. Auf diese Weise kommt zuweilen furchtbar Geistvolles zustande; es hat nur keinen Wert, wenn man das aussymbolisiert und ausdeutet, weil man ja die Tatbestände dennoch nicht mit dem Verstande deutelnd erfassen

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kann, sondern was vorliegt, eigentlich nur finden kann, wenn man wiederum zu den Quellen selber vordringt.

Wir wollen aber auch noch in einem andern Bilde uns vergegenwärtigen, was da eigentlich vorliegt. Denken wir an dieses menschliche Ich, wie es ist im Sinneswahrnehmen und im daran sich knüpfenden Vorstellen. Da ist es so, daß wir wirklich in einer Illusion leben, die auf folgende Art zustande gekommen ist. Denken Sie sich einmal, Sie hätten einen Spiegel und Sie sehen sich darinnen in diesem Spiegel,

#Bild S.139

und Sie hätten, hypothetisch darf ich das voraussetzen, niemals Gelegenheit gehabt, irgendwie ein anderes Wissen zu erringen als ein solches, in welchem Sie sich immer im Spiegel gesehen haben, und das hätte Sie dazu geführt - denken Sie nur, wie das möglich sein könnte -, daß Sie sich selber verwechseln mit dem Spiegelbilde. Das Spiegelbild geht hin und her. Nun, sagen wir, Sie empfinden sich nicht innerhalb Ihrer Haut, Sie sehen aber das hin und her wandelnde Spiegelbild, und so meinen Sie: Das bin ich - und immer sagen Sie: Das bin ich. - Sie schauen eigentlich Ihr Spiegelbild an, verwechseln das aber mit sich selber. Das tut der Mensch nämlich in Wirklichkeit. Tatsächlich ist das Ich wie ein Strom, der den Sinnesreiz an den Körper heranträgt. Der Körper strahlt ihn zurück, zuerst dasjenige, worin das eigentliche Ich selber sitzt. Das Ich ist eben hier, es ist aber auch in der Außenwelt. Und es ist sogar im physischen Leibe, aber es wird Ihnen zurückgestrahlt. Der Mensch nimmt nicht sein wirkliches Ich wahr, sondern die

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Rückstrahlung. Er nimmt schon die Rückstrahlung wahr, indem er die Sinnesempfindung hat. Dies sind Spiegelbilder.

Ich habe das genauer ausgeführt in meinem Buche «Von Seelenrätseln». Auch die Vorstellungen sind nun Spiegelbilder, sind die Zurückstrahlungen der Erlebnisse in der Außenwelt. Das Ich lebt eigentlich in der Außenwelt und erlebt sich im Bewußtsein, indem dasjenige, was es als unbewußtes Ich hineinerregt in den Leib, ihm zurückgestrahlt wird. Das ist, wenn wir die Sinneswahrnehmungen und die Vorstellung berücksichtigen.

Anders steht allerdings die Sache, wenn die Erinnerung zustande kommt. Da sind wir ja wirklich hier unten in den zustande gekommenen Bildern mit unserem Ich darinnen. Da wirkt allerdings in hohem Grade einUnbewußtes. Bedenken Sie nur,wie schwer Sie Erinnerungen heraufbringen, wie wenig Sie da mit Ihrem vollen Verstandesbewußtsein machen können. Da wirkt ein Unbewußtes. Da wirkt in der Tat und Sie können das fühlen - eine Realität. Da ist es anders. Da verwechseln Sie allerdings nicht mehr dasjenige, was Sie sehen, mit Ihrem Ich, denn Sie fühlen sich in dieser Tätigkeit darinnen. Aber es bleibt auch sehr dunkel; es bleibt dieses Ich, wie ich ja öfter schon erwähnt habe, in einer inneren Betätigung wie ein Traum oder gar wie etwas Schlafendes, denn es wirkt der Wille dadrinnen. Und im Erinnern wirkt ja im wesentlichen der Wille. Ein Wille, der merkwürdig schwankend und wechselnd ist, wirkt dadrinnen. Und wenn wir ein Bild gebrauchen wollen, so können wir sagen: Stellen wir uns vor, daß wir mit unserem Ich geistig so hinschauen. Wenn wir dieses Wahrnehmen und Vorstellen haben, so schauen wir so her. Wenn wir Erinnerungen bilden und all dasjenige, was zu ihnen gehört, dann drehen wir uns gewissermaßen seelisch um. Es ist in der Tat, wenn wir vorschreiten von der Sinneswahrnehmung zur Erinnerung, dieser Begriff des seelischen Umdrehens ein wichtiger Begriff: seelisches Umwenden. Denn wenn Sie sich solch ein seelisches Umwenden vorstellen, so bekommen Sie ja einen inneren Begriff von Beweglichkeit.

Sie können nicht mehr so einfach nebeneinander lagern Ich, astralischen Leib, Atherleib und physischen Leib. Das ist bequem, wenn man Anthroposophie vor Gruppen von Anthroposophen vorträgt, und

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diese recht ruhige, sanfte Vorstellungen bekommen wollen, bei denen sich gut auf Fauteuils sitzen läßt, wenn man sie aufnehmen soll. Aber so ist es nicht in Wirklichkeit. In Wirklichkeit handelt es sich darum, daß, wenn wir herangehen an die menschliche Wesenheit, indem wir das seelische Leben erfassen wollen, wir ein fortdauerndes Umwenden und Umdrehen des ganzen inneren Menschen, also des wahren Menschen ins Auge fassen müssen. Das Ich ist so, und indem es so ist, strahlt es durch die Sinneswahrnehmungen herein; indem es so ist (umgedreht), strahlt es herauf vom physischen Leib. Da müssen die Begriffe in Beweglichkeit gebracht werden.

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Das ist etwas, was Ihnen nun allerdings zeigt, wie wir zu Beweglichkeit, zu innerlich lebendigen Begriffen übergehen müssen, wenn wir den Menschen erfassen wollen. Denn bedenken Sie nur, wie wir in unserem gewöhnlichen Seelenleben sind! Sie brauchen sich ja nur ein ganz kleines Stück des alltäglichen Seelenlebens zu denken, da sehen Sie dies, jener das in der Außenwelt. Das ist alles Sinneswelt. Das dringt herein als Vorstellungswelt. Dabei tauchen alle möglichen Erinnerungen auf. Und Sie können sich nur vorstellen, daß, indem da Sinneswahrnehmungen stehen, Sie gewissermaßen nach der einen Seite seelisch schauen und Sie, wenn die Erinnerungen entstehen, von der andern Seite schauen. Da aber das fortwährend durcheinandergeht, so müssen Sie fortwährend die Seele in innerer wirbelnder Bewegung denken.

Und das ist auch dasjenige, was als Bild zu denken ist: die Seele in innerlich wirbelnder Bewegung. Das ist es auch, was sich dem Schauen darbietet. Deshalb habe ich in meinen Büchern angedeutet und auch

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immer wieder und wiederum betont: Wer Zeichnungen machen will, die adäquat sind dem, was eigentlich vorliegt als die höheren Glieder der menschlichen Natur, der ist in demselben Falle wie ein Maler, der den Blitz malen will. Sowenig wie der Blitz in Wirklichkeit gemalt werden kann, so wenig kann gemalt werden,was die höhere Gliederung ist. Schon der ätherische Leib kann nicht gemalt werden in Wirklichkeit. Man kann die Sache schematisch machen, aber man kann es nicht in Wirklichkeit malen, denn es ist tatsächlich ein Ruhiges da eigentlich nicht vorhanden.

Erinnerung und Eindrücke der Außenwelt, sie begegnen sich, so sagte ich. Wir haben es da mit etwas zu tun, was wirklich ganz genau erfaßt werden sollte. Wenn Sie den menschlichen physischen Leib als solchen betrachten, so ist für das Erinnern das Ich in ihm. Aber das Ich ist auch in der Außenwelt. In alldem also, was da den Sinneswahrnehmungen zugrunde liegt, ist eigentlich das Ich darinnen. Aber es ist auch im physischen Leib des Menschen. Wenn Sie allerlei Philosophien der neueren Zeit durchgehen - und diese neuere Zeit dauert schon lange -,so wird Ihnen viel gesprochen von Subjektiv und Objektiv. Man kann das auch, insofern man beim Vorstellen stehenbleibt, denn man kann ja unterscheiden dasjenige, was in einem lebt und dasjenige,was außer einem lebt.Aber wenn man tiefer in die Sache hineindringt, verlieren diese Begriffe ihre Bedeutung. Denn wodurch ist denn das, was da hinter den Sinneswahrnehmungen lebt und aus dem das Ich die Sinneswahrnehmungen hereinträgt, wodurch ist es objektiv? Genau durch dasselbe ist es objektiv, wodurch hier der physische Leib objektiv ist. Da ist kein Unterschied zwischen Subjektiv und Objektiv. Das Ich lebt ebenso in der Außenwelt, wie es im eigenen physischen Leibe lebt. Da hört der Unterschied zwischen Subjektiv und Objektiv ganz auf.

Dieser Unterschied zwischen Subjektiv und Objektiv tritt erst ein, wenn wir hier oben im Vorstellen sind. Und warum tritt er hier ein? Auch nicht aus dem Grunde, aus dem man sich es gewöhnlich vorstellt, sondern hier oben tritt er ein, weil wir es nur mit Bildern zu tun haben. Wir erleben hier oben nur Bilder. Bilder sind aber an sich nichts Wirkliches. Das fühlen wir, indem wir Bilder erleben. Wir reden daher von

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den Bildern als etwas Subjektivem, von den Vorgängen, die den Bildern zugrunde liegen, als etwas Objektivem. Aber das können wir bei den Eindrücken der Außenwelt nicht, denn die Vorgänge, in denen das Ich lebt, sind natürlich hier objektiv, ebenso die Vorgänge, durch die das Ich wirkt, indem es die Erinnerungsbilder im physischen Leibe abgibt. Das ist alles objektiv, und wenn Sie wollen, alles subjektiv. Da fallen Subjektiv und Objektiv gänzlich durcheinander und ineinander und sind nicht mehr zu unterscheiden. Und das ist das Wichtige, denn dieser Begriff von Subjektiv und Objektiv, der beschäftigt die Leute, mit dem jongliert manche Philosophie.

Nun liegt aber allerdings dem doch noch wiederum etwas Tieferes zugrunde. Der Mensch lebt zunächst in seinen Alltagserlebnissen. Da bringt er es zu einem solchen Seelenleben, wie es ja sattsam überall bekannt ist. Aber hinter alldem lebt ja natürlich eine ganz andere Welt. Ich habe geschildert in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß», wie in diese Welt eingedrungen werden kann. Dasjenige aber, in das die Geistesforschung eindringt, ist ja natürlich eine Wirklichkeit für jeden Menschen. Es ist ja immer da, ob man es weiß oder nicht. Also wenn man von der Wirklichkeit spricht, muß man damit rechnen. Wenn man nun also jene Erkenntnisse entwickelt, die sich ergeben in Imagination, Inspiration, Intuition, dann gelangt man zu dem, was in jedem Menschen vorhanden ist, was jeder Mensch fortwährend mit sich herum- trägt. Steigt man, wie ich es dargestellt habe, zur Imagination empor, so hat man zunächst eine andere Seelenwelt als diejenige, die im alltäglichen Leben vorliegt. Man erhält durch die Imagination statt der gewöhnlichen abstrakten Vorstellungen Bilder - daher ist ja der Ausdruck Imagination, imaginatives Vorstellen gewählt worden -, Bilder, die deutlich bewußt werden als Bilder. Man hat gegenüber den Imaginationen durchaus das klare Bewußtsein, man habe es mit Bildern zu tun. Das ist ja der Unterschied zwischen dem, was dem Geistesforscher wirklich vorliegt, und dem, was in Träumen oder in Halluzinationen lebt: Wer in Träumen oder Halluzinationen lebt, hält seine Bilder für Wirklichkeit. Der Geistesforscher tut das niemals. Bloß diejenigen, die törichte Widerlegungen schreiben wollen, reden davon, daß das, was

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dem Geistesforscher vorliegt, auch Halluzination oder Traum sein könne. Der Geistesforscher verwechselt das, was ihm in Bildern vorliegt, niemals mit einer Wirklichkeit. Allein er ist sich auch klar aus der Natur dieser Bilder, daß sie nicht erfundene Bilder sind, nicht von der Phantasie aufgeworfene Bilder sind, sondern daß sie Bilder sind, die auf geistige Wirklichkeit hinweisen.

Also erstens verwechselt er seine Bilder niemals mit Wirklichkeiten, sondern er ist sich klar darüber, daß diese Bilder auf geistige Wirklichkeiten hinweisen. Es gibt mancherlei, was den Menschen dazu führen kann, sich dieser Bildhaftigkeit auf der einen Seite und dieses Hinweisens der Bilder auf eine geistige Welt auf der andern Seite voll bewußt zu werden. Man hat, wenn man ein voll besonnener Mensch ist, ein klares Bewußtsein davon, daß man seine Vorstellungen selber verknüpft, selber trennt. Man muß sich nur einmal über so etwas eine genaue Besinnung verschaffen. Denken Sie sich nur, wie es anders wäre in Ihrem Seelenleben, wenn Sie nicht Vorstellungen, die Sie haben, willkürlich verbinden könnten, sondern wenn sich Ihnen diese Vorstellungen zwangsmäßig miteinander verbinden würden: Sie wären wie ein Automat. Dieses innere Fähigsein, Vorstellungen zu verbinden, zu trennen, das hört allerdings in einem gewissen Sinne auf, wenn man in die imaginative Welt eintritt. Und das muß man wissen, daß es aufhört, denn dadurch bekommt man ein klares Bewußtsein davon, daß Freiheit, so wie der Mensch sie schätzt, eben eigentlich nur in dieser physischen Welt zwischen Geburt und Tod erlebt und erworben werden kann. Dann bekommt man auch ein deutliches Gefühl davon, daß wir nicht unnötig aus geistigen Welten heruntersteigen in diese physische Welt. Lebten wir nur in den geistigen Welten, die uns sonst zugänglich sind zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, die Freiheit würden wir uns da nie erringen können. Diese Freiheit erringen wir uns innerhalb der physischen Welt. Nur Menschen, die auf die Freiheit nichts geben, die hassen oder schätzen gering diese Welt, die der Mensch zwischen Geburt und Tod durchlebt.

Diese Freiheit wissen wir insbesondere dann gut zu schätzen, wenn wir sie als Kraft so entwickeln, sagen wir wie eine Erinnerung, nämlich nach dem Tode. Nur indem wir uns zurückfühlen in das irdische

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Leben, sind wir der Freiheit teilhaftig zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Wir müssen zusammenhängend bleiben mit dem Erden- leben, damit wir der Freiheit teilhaftig werden auch zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Das kann von dem Geistesforscher so recht empfunden werden, wenn er sich in die imaginative Welt einlebt. Würde er nicht, bevor er sich in die imaginative Welt ein lebt, ganz fest stehen auf dem Boden, auf dem wir stehen innerhalb der physischen Wirklichkeit, er würde nicht im gesunden Zustand in die geistige Welt hineinkommen. Daher wird immer wieder und wiederum betont: Man muß sich in der physischen Welt gut vorbereitet haben, wenn man in die geistige Welt eindringen will. Man muß wirklich alles das sich errungen haben, was man sich in der physischen Welt im Prinzip erringen kann, nämlich nicht hingegebensein an die Instinkte, das bedeutet Unfreiheit; nicht hingegebensein an irgendwelche automatische Gewohnheitsregeln, denen sich ja der Mensch so gern unterwirft. Der Mensch muß wirklich zum Bewußtsein seiner Freiheit gekommen sein, ehe er den Eintritt in die geistige Welt haben kann. Solche Vorstellungen, wie ich sie entwickelt habe in meiner «Philosophie der Freiheit» sollte der Mensch schon in sich lebendig gemacht haben, wenn er seinen Aufstieg in die geistige Welt wirklich erreichen will. Das ist ja auch betont worden in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?»

Indem gerade hier bei den Imaginationen von Bildern die Rede ist, so müssen ja diese als etwas durchaus Subjektives aufgefaßt werden. Ich möchte sagen, der Grad des subjektiven Erlebens, er ist im imaginativen Leben noch stärker als im gewöhnlichen alltäglichen Seelenleben. Es ist das Seelenleben reicher in den Imaginationen, aber es ist ein BildErleben. Man weiß, hinter diesem Bild-Erleben ist die wahre Wirklichkeit; aber man hat zunächst das Bild-Erleben.

Nun lebt aber in den Bildern etwas, was sie uns gegenüber nicht so frei erscheinen läßt. Wir können nicht so verbinden und trennen, wir würden auch nicht zu einer Wirklichkeit vordringen können, wenn wir diese Bilder der imaginativen Erkenntnis so verbinden und trennen könnten, wie wir verbinden und trennen können, was wir als gewöhnliche Vorstellungen erleben. Die gewöhnlichen Vorstellungen erleben

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wir so: Hier ist eine Vorstellung, hier ist die zweite, hier ist die dritte Vorstellung. Wir erleben diese, wir bilden uns Verbindungen. Wir haben die Vorstellung «Rose», wir haben die Vorstellung «schön», die Vorstellung «gefällt mir». Ich bilde die Verbindung: Die schöne Rose gefällt mir. - Das, was ich hier als Verbindung bilde, ist durchaus eine innere Tätigkeit; das hängt von mir ab, darin bin ich frei. In dieser Weise ist man nicht frei in der imaginativen Welt. Wenn Sie die Bilder der imaginativen Welt haben, so ist das nicht so, daß Sie nun eine innere Betätigung fühlen, durch die Sie diese Bilder verbinden und trennen. Denken Sie nur einmal, das kann ja auch nicht sein, denn Sie fühlen sich zwar in der physischen Welt frei, Sie können verbinden und trennen, aber Sie trennen und verbinden in der physischen Welt doch so, wie es die äußere physisch-sinnliche Welt fordert. Sie haben also ein Regulativ zum Verbinden und Trennen. Ein solches Regulativ müssen Sie auch in der imaginativen Welt haben. Sie dürfen nur nicht dasjenige, was Ihnen die physische Welt diktiert hat, in diese imaginative Welt hineinnehmen. Das tun diejenigen, die Nebulisten sind, die Phantasten sind oder auch vielleicht im besten Sinne phantasievolle Menschen. Die nehmen irgendwelche Mittel der sinnlich-physischen Welt und verbinden und trennen sie nach irgendeinem Geschmacksurteil. Das mag sehr schön sein, aber kann nicht bei der imaginativen Erkenntnis geschehen. Da muß etwas da sein, was in einer solchen Weise Veranlassung gibt, ein Glied an das andere zu knüpfen, Verbindungen herzustellen.

Wenn Sie nun diese Vorstellung nehmen, so werden Sie sehen: Da kommt man an etwas, was in der imaginativen Welt lebt, was in der imaginativen Welt so wirkt, wie sonst unser eigener Verstand wirkt, indem er die Vorstellungen der gewöhnlichen Welt verbindet und trennt. Da kommt man hinaus ins Objektive. Man kommt hinter die Welten, die als Sinnesempfindungen gegeben sind; aber man kommt in etwas hinein, was da verbindet und trennt.

Was ist denn das? Ich möchte sagen, es erlebt sich so, daß die Imaginationen anfangen, ihr Eigenleben zu entfalten. Ich darf hier einen Vergleich gebrauchen: Wenn Sie einen menschlichen Embryo in einem sehr frühen Stadium betrachten, so hat er den Kopf bis zu einem hohen

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Grade ausgebildet, daran angegliedert nur andeutungsweise die andern Organe; aber die bekommen dann ihre Form. So auch wächst innerlich dasjenige, was in der imaginativen Welt lebt. Man kann da nicht in beliebiger Weise Vorstellungen ansetzen. Es ergibt sich das von selber. Es lebt also etwas darinnen, was sich von selber ergibt. Und das wird allmählich erkannt als die Welt, die wir nennen die Welt der dritten Hierarchie: Angeloi, Archangeloi, Archai.

Es ist ein durchaus realer Vorgang des menschlichen Erlebens, in den man sich da hineinlebt. Ich habe ihn Ihnen jetzt als Erkenntnisvorgang geschildert. Er ist aber nicht ein bloßer Erkenntnisvorgang, denn was da wirksam ist, das ist dasjenige, was im Ich und astralischen Leibe lebt.

Nun bedenken Sie: Wir sind Kind, wir wachsen heran. Erst bekommen wir bis zum siebenten Jahr die Nachahmungswelt im Inneren, dann die Welt, die wir auf Autorität hinnehmen bis zum vierzehnten, fünfzehnten Jahre und so weiter. Wenn wir das Leben beobachten können, so werden wir finden, wieviel - nicht alles natürlich - von dem, was wir auf solche Weise aufnehmen, dadurch daß Sinnesempfindungen an uns herangebracht werden und wir die Sinnesempfindungen und Vorstellungen verarbeiten, da in uns hineingeht von dem, was wir dann später am Gesicht des Menschen ablesen. Vergleichen Sie das stumpfsinnige Gesicht eines Menschen, der nichts aufnehmen konnte, der nichts von Sinnesempfindungen verarbeiten konnte im Vorstellungsleben, mit dem sprechenden Gesicht, der sprechenden Physiognomie desjenigen, der als Kind in der richtigen Weise an die Sinneswelt und an ihre Verarbeitung im Vorstellen herangebracht worden ist. Das ist ja etwas, was vom Seelisch-Geistigen aus in uns lebt. Wir werden ja da gestaltet. Es ist, ich möchte sagen, das Subtilste, was in uns arbeitet, und was nur noch in ganz subtiler Weise auch seine Kräfte hineinerstreckt in das ganze physische Leben des Menschen.

Wer Menschen beobachten kann, der kann noch im späteren Alter ihrem Gang ansehen, ob sie eine fröhliche Kindheit oder eine solche Kindheit gehabt haben, wie es zuweilen unter der Lehrerschaft der Gegenwart der Fall ist. Das ist ja nicht eine Irrealität, die da vom Ich und astralischen Leib in den ganzen Menschen hineinwirkt. Der Gei- stesforscher

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schaut nur hinein in das, was da eigentlich lebt im Ich und astralischen Leib, und er entdeckt es durch seine imaginative Welt. Er entdeckt da die Welt von Angeloi, Archangeloi, Archai. Aber die steckt drinnen in dem, was da im Menschen sich entwickelt, indem das Geistig-Seelische ihn heranbildet, heranbildet so, daß zunächst seine Heranbildung eine individuelle ist. Wir können sie beobachten in der Weise, wie ich es jetzt auseinandergesetzt habe. Aber diese Heranbildung ist auch eine solche, daß sie einer Menschengruppe, einem Volke angehört. Wir unterscheiden ja dasjenige, was heranwächst in dem Menschen, insofern er einer Menschengruppe, einem Volke angehört, und wiederum unterscheiden wir einen modernen Menschen von einem alten Griechen. Kurz, wir unterscheiden die individuelle Entwickelung des Menschen, abhängig von der Hierarchie derAngeloi; die volkstümliche Entwickelung, die Entwickelung in den verschiedenen Volksgruppen drinnen, bewirkt durch die Hierarchie der Archangeloi; und wir unterscheiden die Menschen in verschiedenen Zeitepochen, bewirkt durch die Hierarchie der Archai.

Was da entdeckt wird durch die Geisteswissenschaft, das sind eben Realitäten, die wirksam sind, wirksam in den Zeitgeistern, wirksam in den Volksgeistern, wirksam in denjenigen Geistern, die das Leben des einzelnen Menschen aus dem Bewußtsein hineintragen in das konstitutionelle, in das organische Leben. Wir machen uns ja nicht selbst unser Physiognomisches, so wie der Uhrmacher eine Uhr macht, dadurch, daß wir vielleicht in unserer Jugend zur freudigen Anschauung erzogen worden sind und eine freundliche Physiognomie bekommen haben; da muß schon etwas mithelfen. Da hilft das Wesen aus der Hierarchie der Angeloi mit. Und wir stellen uns erst recht nicht in ein Volk hinein und bilden uns die verschiedenen Volksphysiognomien, wie der Uhrmacher die Uhr macht.

Sie sehen, wir kommen da auf Realitäten, die ja in der Erkenntnis nur aufgezeigt werden, die aber wirksam sind im Menschen drinnen. Wir haben da den Menschen gewissermaßen von der einen Seite, um mit den alten Hellsehern zu sprechen: von der Seite des Kopfes der Schlange. Wollen wir die Sache jetzt von der andern Seite anfassen. Wir kommen nach jener andern Seite, zum Schwanze der Schlange,

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indem wir uns an die Welt der Erinnerungen wenden, die von unten auftauchen, von da auftauchen, wo der Mensch auch diese Welt, wo Subjektiv und Objektiv ihre Bedeutung verlieren, erkennt.

Ja, was da herauftaucht als Erinnerungskraft, das wird zwar vom Ich erfaßt, aber es taucht aus sehr unterirdischen Tiefen des menschlichen Wesens herauf. Wir wissen, oder können es wenigstens wissen, wie sehr wir mit unserem Menschenwesen intim verbunden sind, wenn wir diese Kraft der Erinnerung entfalten. Das weist uns noch viel mehr in solche Tiefen hinunter, die wir im gewöhnlichen Leben nicht er- reichen mit unserem seelischen Erleben. Das weist uns eben in etwas hinunter, was wir zwar sind, aber so sind, wie auch die äußere Natur ist. Es ist etwas in uns, was genau so ist, wie die äußere Natur ist. Mit dem stehen wir nicht in jener intimen Verbindung wie mit der Welt, die wir unter der Hierarchie der Angeloi, Archangeloi, Archai begreifen. Da waltet etwas, was durchaus nicht so nahe steht unserem gegenwärtigen Bewußtsein. Ich möchte sagen, es ist ja nur ein dünner Schleier zwischen unserem gegenwärtigen Bewußtsein und denAngeloi, Archangeloi, Archai. Aber wir tauchen in eine Welt, die tief verborgen ist dem gewöhnlichen Bewußtsein, wenn wir in jenes Innere des Menschen hinuntersteigen, aus dem eben nur heraufleuchtet die Kraft der Erinnerung, die wir noch, ich möchte sagen, eben abfangen können. Aber das, was wir da abfangen, steht in Verbindung mit jenseits des gewöhnlichen Bewußtseins liegenden Inhalten.

Doch können wir - ebenso wie wir die Welt erreichen können, die ich vorhin gerade charakterisiert habe und von der wir in unseren Vorstellungen wie durch ein dünnes Häutchen getrennt sind - nun auch, geisteswissenschaftlich fortschreitend, die Welt erkennen, auf die wir da nach der andern Seite hingewiesen werden: nach der Seite, die wir erreichen, wenn wir uns umdrehen beziehungsweise uns nach der andern Seite der Schlange wenden. Diese Welt erreichen wir aber erst, wenn wir uns zur dritten Stufe der Geist-Erkenntnis erheben, zur Intuition. Und da erreichen wir dann diejenigen Wesenheiten, die angeführt sind in meinen Büchern als Seraphim, Cherubim, Throne. Das Ta ist die Welt der Cherubim, Seraphim, Throne, die ebenso hinter dem steht, was als Tätigkeit in der Erinnerung heraufleuchtet in unser Seelenleben,

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wie hinter den Sinneswahrnehmungen und Vorstellungen die Welt der Angeloi, Archangeloi, Archai lebt.

Von diesen Zusammenhängen der unter den Erinnerungen lebenden menschlichen Welt mit diesen Hierarchien und mit dem, was dann dazwischen steht, Kyriotetes, Dynamis, Exusiai, von diesen Dingen wollen wir dann morgen sprechen.

ZWEIUNDZWANZIGSTER VORTRAG Dornach, 14.August 1921

#G206-1991-SE151 Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist

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ZWEIUNDZWANZIGSTER VORTRAG

Dornach, 14.August 1921

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Wir haben nun einige Bausteine zusammengetragen, die geeignet sein sollen, eine Art Gebäude aufzurichten, um durch dieses Anschauungsgebäude tiefer in das Wesen des Menschen einzudringen. Um nun von den Auseinandersetzungen, die wir gestern und vorgestern gepflogen haben, in entsprechender Weise weiterzuschreiten, ist es notwendig, daß wir heute unsere Betrachtungen ausdehnen auf Gebiete, die wir berührt haben, in der Weise, daß wir gewissermaßen das SeelischGeistige, das ja im Menschen wirkt, und das Leiblich-Materielle, das in ihm ebenso wirkt, im Zusammenhange betrachten. Es ist ja nun einmal in der wissenschaftlichen Entwickelung der neueren Zeit schwer geworden, diese Anschauung über das Zusammenwirken des GeistigSeelischen und des Leiblich-Physischen im Menschen in fruchtbringender Weise zusammenzustellen, denn der moderne Mensch kennt eigentlich auf diesem Gebiete immer nur eine Zweiheit. Er kennt das Materielle mit seinen Wirkungen und mit seinen Konfigurationen und betrachtet dann dieses Materielle auch am Menschen. Er betrachtet es am Menschen, indem er etwa Physiologie, Chemie, Biologie betreibt. Von diesen Dingen gehen dann gewisse Anschauungen aus und werden in das populäre Bewußtsein aufgenommen. Man hält mit einer gewissen Zähigkeit an ihnen fest, und es muß immer wieder betont werden, daß ja eigentlich selbst diejenigen, die mit ihren Sonntagsgefühlen noch in alten traditionellen Religionsvorstellungen leben, durchaus als Autorität anerkennen, was eben die landläufige Wissenschaft sagt über das Leibliche des Menschen, vielleicht diese erst recht. Auf der andern Seite machen sich ja gewisse Menschen Vorstellungen über das GeistigSeelische. Aber diese Vorstellungen über das Geistig-Seelische sind so abstrakt, sind manchmal tatsächlich nurWorthülsen über irgend etwas, das man einmal genauer gekannt hat, dessen Erkenntnis verlorengegangen ist, so daß nicht viel damit anzufangen ist. Die Menschen reden wohl heute vom Denken, vom Fühlen, vom Wollen, sie reden vom Vorstellen. Allein wirklich erlebte Anschauungen über diese Dinge hat

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man ja nicht. Man möchte sagen, es haben sich Worte fortgepflanzt, und an diesen Worten hält die Menschheit fest, ohne daß sie mit ihnen viel Sinn verbindet. Man sieht das auch sein Spiel hineintreiben in die heute erscheinenden Literaturwerke über Seelenkunde und dergleichen, wo über Denken, Fühlen und Wollen durchausWorthülsen oder wenigstens leere Abstraktionen ihr Wesen treiben.

Dann merken die Menschen, daß sie auf der einen Seite die Anschauung des Materiellen haben, die sie nicht ab leugnen können, weil sie ja Augen haben, Hände haben, mit denen sich das Materielle angreifen und sehen läßt, weil sie Waagen haben, mit denen es sich wiegen läßt, weil sie messen können und dergleichen. Also das Materielle wird als solches aus dem unmittelbaren Augenscheine, aus der Sinnesempfindung heraus anerkannt.

Auf der andern Seite reden schon die Menschen von einem GeistigSeelischen, aber in jener Weise, wie ich es eben besprochen habe. Und dann können sie nicht irgendwie eine Beziehung finden zwischen diesem Geistig-Seelischen und dem Leiblich-Physischen, dem MateriellPhysischen. Man ist ja auf allerlei Theorien verfallen, wie das GeistigSeelische zusammenwirken soll mit dem Leiblich-Materiellen. Allein alle diese Theorien sind eben Gedankengespinste. Denn bevor man über diese Dinge Anschauungen gewinnt, ist es durchaus notwendig, daß man einzugehen vermag auf den ganzen Menschen. Im ganzen Menschen ist es ja schließlich so, daß niemals irgendeine geistig- seelische Außerung zwischen Geburt und Tod da ist, ohne daß eine leiblich-physische Außerung da ist. Und wenn wir vom LeiblichPhysischen und vom Geistig-Seelischen als etwas Gegensätzlichem reden, so sind das Abstraktionen, denn es ist das eine und dieselbe Sache von verschiedenen Seiten angesehen. Aber das weiß man nicht, daß das eine und dieselbe Sache ist, und man sieht gerade die Schwierigkeiten darin, eine Theorie aufzustellen, wie nun die beiden zusammenwirken. Aber nur was wir in einer wirklich gesteigerten, herangebildeten Beobachtung erfassen, das ist es, was auf diesem Gebiete hilft. Und dazu ist notwendig, daß eben aufmerksam gemacht wird auf die Dinge, die sich bei einer solchen Beobachtung ergeben. Es ist ja natürlich, daß einer exakten Beobachtung auf diesem Gebiete vorangehen

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muß eine gewisse Schulung in dem Sinne, wie ich sie beschrieben habe in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?». Aber wenn man die Zielpunkte hat, wenn man weiß, was da beobachtet worden ist, so kann man schon nachkommen mit dem gesunden Menschenverstand, wenn man nur überhaupt will, wenn man nur überhaupt sich darauf einläßt, die Ideen, die dann zutage gefördert werden durch die geisteswissenschaftliche Beobachtung, in ihren Inhalten ordentlich zu verfolgen.

Diese Ideen sind natürlich immer derart, daß, wenn man auf sie anwendet, was aus der gewöhnlichen Wissenschaft einem vertraut ist, dann kommt man nicht nach. Man muß schon sich einlassen auf die Ideen, die da gegeben werden. Aber auf Ideen kann man sich immer einlassen mit dem gesunden Menschenverstand. Ideen könnten her- gekommen sein von den allerunbekanntesten Welten; wenn sie da sind, kann man sich auf sie einlassen. Wenn nur wirklich die Erfahrungen aus den entsprechenden Welten in solche erfaßbaren Ideen gebracht sind, dann kann man sich schon auf sie einlassen. Aber man muß sich zu dem aufschwingen, zu dem man ja keine okkulte Schulung braucht: zu dem Erfassen von Ideen.

Das können natürlich gerade die meisten Menschen heute nicht, und am wenigsten dieWissenschafter des heutigen Tages. Die sind gewöhnt, Ideen nur zu haben, wenn diese Ideen entlehnt sind der äußeren Sinnes- weIt. Und sie lassen sich höchstens in der Mathematik darauf ein, sonst lassen sie sich aber gar nicht ein auf das Erfassen von Ideen, die dann aus sich selbst heraus verfolgt werden, wie die mathematischen Gebilde aus sich selbst heraus verfolgt werden. Alles, was der Geisteswissenschafter bringt, kann man verfolgen, wenn man den Willen entwickelt, sich auf solche Ideen einzulassen, und man kann eigentlich ideell alles nachprüfen. Aber man muß wollen. Dazu gehört eben - das muß immer wieder betont werden - gar keine okkulte Schulung, aber dazu gehört eine Uberwindung dessen, was man gerade heute aufnimmt als anerkannt wissenschaftliche Denkmethoden, die durchaus nicht zusammenfallen mit dem gesunden Menschenverstand, weil sie eben die Denkgewohnheiten erzeugt haben, nur das gelten zu lassen, was ein Korrelat in der sinnlichen Welt hat.

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Wir müssen heute eine Anzahl von Ideen entwickeln, welche uns weiterführen können in den Betrachtungen, die wir gewonnen haben. Wenn unser Vorstellungsleben abläuft, wenn wir also vorstellen, so geht ja in uns etwas vor. Und was da vorgeht, das ist nicht der abstrakte Prozeß, der heute vielfach beschrieben wird, sondern es ist ein Prozeß, in dem durchaus auch etwas lebt, was man materielle Vorgänge nennt. Man ist nicht dadurch Materialist, daß man das Geistige bis in seine materiellen Wirkungen hinein verfolgt, man ist nur dadurch Materialist, daß man das Geistige aus einem Vorurteile heraus ablehnt.

Sobald man sich völlig klar darüber wird, was da eigentlich in der Seele vorgeht, wenn man denkt, wenn man vorstellt, dann wird man allmählich doch auch schon ohne okkulte Schulung zu einem inneren Erfassen des seelisch-leiblichen Prozesses kommen können, der vorliegt. Und dieser seelisch-leibliche Prozeß beim Denken, beim Vorstellen, er ist ein solcher, der schon seinen seelischen Eigenschaften nach zeigt, daß er das Gegenteil eines andern Prozesses ist. Versuchen Sie nur einmal aufzufinden in dem Umfange des gewöhnlichen Bewußtseins, welches der gegenteilige Prozeß des Denkens ist. Es ist derjenige, wo uns die Gedanken schwinden, wo wir unfähig werden, die Gedanken in heller, klarer Weise zu verfolgen, wo also das, was wir im gewöhnlichen Leben bewußt nennen, aufhört, wenigstens wo unsere Gewalt aufhört über das, was wir im gewöhnlichen Leben bewußt nennen. Nun können Sie gerade bei diesem Gegenbild des Denkens verfolgen, wie es ein leibliches Korrelat hat: Überall da, wo der eigentliche Wachstumsprozeß, der Werdeprozeß in uns, der Prozeß des Nährens, des Wachsens, besonders stark auftritt, da tritt das Gedankenelement, das Vorstellungselement zurück. Sie brauchen nur verständig hinzuschauen auf die rege organischeWachstumstätigkeit in den ersten Kinderjahren. Da ist diese Wachstumstätigkeit ganz besonders lebendig. Aber das Denken, das ist doch nur im Keime vorhanden, wenigstens die Gewalt des Menschen über das Denken. Oder verfolgen Sie Krankheitsprozesse, durch die wie in Fiebererscheinungen, die organische Tätigkeit eine besonders vehemente wird, wo sie eine gesteigerte wird, da schwindet die bewußte Gewalt über das Vorstellungsleben dahin.

Wir sehen also einen Gegensatz, den wir immer genauer beschreiben

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könnten, aber ich möchte nur auf die Richtlinien hinweisen. Das eine ist das Vorstellungsleben; wir fassen es zunächst seelisch. Das andere ist das Wachstumsleben. Ich werde, um Sie genauer darauf hinzuweisen, was eigentlich vorliegt, schreiben die «Wachstumswucherung», da ist jetzt der Gegensatz mehr leiblich erfaßt.

Aber versuchen Sie einmal, von diesem Ausgangspunkt weiterzugehen. Erinnern Sie sich, daß ich oftmals darauf hingewiesen habe, wie der Mensch eigentlich in seinem gewöhnlichen Bewußtsein dies helle, klare Tagesbewußtsein, das er vom Aufwachen bis zum Einschlafen trägt, nur über sein Vorstellungsleben hat, während dasjenige, was in uns vorgeht, wenn wir den Willen entwickeln, in ein Finsteres hinunter- taucht wie das Leben zwischen dem Einschlafen und Aufwachen. Wir schlafen, so sagte ich oftmals, nicht nur vom Einschlafen bis zum Auf- wachen ganz, sondern wir schlafen auch im wachenden Zustande partiell für unsere Willenstätigkeit. Alles was in uns als wollende Betätigung lebt, ist eigentlich in einen Schlafzustand eingehüllt. Wir wissen, wenn wir die Hand heben wollen, von unseren Absichten, von unseren Willensmotiven, aber wir verhalten uns zu dem, was da eigentlich in uns vorgeht, indem die Hand wirklich gehoben wird, indem also der Wille entfaltet wird, gerade so, wie wir uns zu uns selbst verhalten, wenn wir schlafen. Was geschieht da eigentlich? Was liegt da eigentlich vor?

Was da vorliegt, ist dieses: Was in uns organisch dem Willen zugrunde liegt, das ist unten zu suchen, in den Wachstumsprozessen, die uns unbewußt bleiben. Der Wille ist hinuntergetaucht in die Wachstumsprozesse. Alles das, was als Wachstum in uns wuchert, das ist zu gleicher Zeit willensverwandt, ist äußerlich leiblich betrachtet Wachstumsprozeß, ist innerlich seelisch betrachtet Wille. So daß wir schon darauf kommen können, wie die Wachstumswucherung, wie alles, was innerhalb derjenigen Kräfteströme liegt, die im Wachstum, in der Ernährung, im Leben überhaupt sich äußern, willensverwandt ist. Wenn wir es also seelisch betrachten, so können wir sagen, das hängt mit dem Willen zusammen.

Nun ist es durchaus so, wenn wir den Menschen zwischen Geburt und Tod betrachten: Was wir unseren Willen nennen, das ist in jeder

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einzelnen Tätigkeit eine Abstraktion. Dieser Wille verläuft ja gar nicht abgesondert für sich. Es ist immer in uns ein Stoffwechselprozeß, ein Wachstums-, ein Ernährungsprozeß oder ein Ent-Ernährungsprozeß vorhanden, indem der Wille sich entfaltet. Es ist in einer geringeren Art dasselbe vorhanden, was eben, sagen wir, bei besonders gesteigertem Wachstums- oder Lebensprozeß das Bewußtsein auslöscht. Daher wird auch unser Bewußtsein in der eigentlichen Willensregion ausgelöscht. Diese Willensregion, die ist da, wo die Wachstumswucherung ist; daher ist sie im Unbewußten. Wir müssen also als Mensch in uns unterscheiden ein Gebiet-ich zeichne es natürlich schematisch -, wo die Wachstumswucherung ist, und in dieser Wachstumswucherung, die nun nicht ins gewöhnliche Bewußtsein hereinfällt, wurzelt der Wille. Aber das ist eigentlich eines beim konkreten Menschen. Nur im Denken sondern wir den Willen ab von dieser Wachstumswucherung.

Ein anderes Gebiet, das wir zunächst nur seelisch betrachtet haben, ist dasjenige, was unser Denken umfaßt. Dieses Denken, das Vorstellen, entwickelt sich entweder in Anknüpfung an äußere Vorstellungen oder dadurch, daß der Erinnerungsprozeß sich in Vorstellungen umsetzt, wenn eben Erlebnisse wiedererinnert werden.

Nun, seelisch kann man im Grunde ganz genau sehen, daß dieses Vorstellungsleben der Gegenpol ist des Willenslebens und auch der Gegenpol ist des Wachstumslebens, des Lebens im Organismus überhaupt. Dieses Denkleben, dieses Vorstellungsleben ist ja gerade da, wo wir uns voll in der Gewalt haben, wo wir die Vorstellungen aneinanderreihen, wo wir analysieren und synthetisieren innerhalb des Vorstellungslebens. Wir können das Denken dem Willen entgegensetzen. Der Wille ist, seiner Wesenheit nach, uns ganz unbewußt. Wir wissen jetzt, daß er uns unbewußt ist, weil er im Wachstum, in den Lebensvorgängen, in den Stoffwechselvorgängen wurzelt. Das Denken steht dem Willen entgegen. Wir haben es in der Gewalt.

In dem Augenblicke allerdings, wo der Geistesforscher vordringt zur Imagination, wird es ihm sogleich klar, was da eigentlich im Denken vorliegt. Denn stellen Sie sich nur einmal genau diesen Prozeß vor, den der Mensch durchmacht, der vom gewöhnlichen Denken zur Imagination vorschreitet.

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Das gewöhnliche Denken ist abstrakt. Der Mensch, indem er denkt, ist sich nur des Gedankenlebens bewußt (gelb). Wenn nun dieses Denken durch die Methoden, die ich geschildert habe in «Wie erlangte man Erkenntnisse der höheren Welten?» sich verdichtet zu dem imaginativen Leben, dann treten die Bilder des imaginativen Lebens auf. Aber es ist ja begreiflich, daß nichts, was in der Seele vorgeht, das heißt, erlebt wird, nicht auch irgendein leibliches Korrelat im gewöhnlichen Leben zwischen Geburt und Tod hat. Man nimmt etwas an sich selbst wahr, wenn man zur Imagination aufsteigt. Und was man wahrnimmt, das ist ja eben gerade derjenige Prozeß, der sich beim Denken überhaupt abspielt, denn es ist ja nur eine Weiterbildung des Denkens, dieses imaginative Erkennen. Ich habe schon gesagt, die Tatsachen am Menschen werden keine andern dadurch, daß man zu dem höheren, zu dem über- sinnlichen Erkennen aufsteigt. Man lernt nur das, was ja immer am Menschen vorhanden ist, erkennen. Es geschieht das, was man da erkennen lernt, immer, aber man weiß es nicht mit dem gewöhnlichen Bewußtsein. Hat man nun im vorgerückten Bewußtsein die Bilder, dann weiß man, daß diesen Bildern in der menschlichen Organisation entsprechen gewisse figurale Ablagerungen, richtige stoffliche Ablagerungen (rot). Diese richtigen stofflichen Ablagerungen sind immer im Menschen vorhanden; sie werden nur nicht bemerkt. Denn das, was man in der Imagination erlebt, sind keine neuen Ablagerungen, sondern die Imagination befähigt einen nur, die immer vorhandenen Ablagerungen zu sehen. Man würde keine Imaginationen haben können, wenn man nicht in einer gewissen Weise sehen würde - man kann es übrigens kaum «sehen> nennen -, wenn man nicht gewahr werden würde diese Ablagerungen, denn an diesen Ablagerungen spiegeln sich die Imaginationen. Man merkt dann, daß eben schon im gewöhnlichen Denken diese Ablagerungen durchaus vorhanden sind. Sie hängen zusammen mit der feinen Organisation unseres Nervensystems und desjenigen, was zum Nervensystem gehört. Sie konstituieren das Nervensystem. Das Leben unseres Nervensystems hängt von diesen Ablagerungen ab. Sie bleiben, wie gesagt, unbekannt für das gewöhnliche Bewußtsein. Mit dem imaginativen Bewußtsein werden sie erkannt.

Damit schließt sich eine Erwägungsreihe, die man so anstellen kann:

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Das Vorstellungsleben ist gegensätzlich zum Willen. Der Wille ist aber gebunden - was man durch solche Erwägungen erfahren kann, wie ich sie Ihnen vorgeführt habe - an die Wachstumswucherung. Nun kann man erwägen: Also wird das Vorstellungsleben an das Gegenteil der Wachstumswucherung gebunden sein, an das Absterben. Und in der Tat, dasjenige, was da in uns sich abspielt und was bei der imaginativen Erkenntnis gewissermaßen nach innen wahrnehmend geschaut wird, das ist das Heraus fallen des Materiellen als organische Materie aus dem Wachstumswucherungsprozeß.

Seelisch: Vorstellungsleben Wille

Leiblich: Absterben Wachstumswucherung

Es ist schon so, daß wir in uns den Wachstumswucherungsprozeß, also den Stoffwechselprozeß haben, und fortwährend fällt sterbende Materie heraus. Wir werden fortwährend, indem wir denken, mit solcher sterbender Materie angefüllt. Dieses Sterben der Materie nehmen wir eben wahr, wenn wir zur Imagination aufsteigen. Und unser Denken, unser Vorstellen ist an diese sterbende Materie gebunden.

Es ist wirklich so, daß wir Menschen den Stoffwechselprozeß an uns tragen, die Auflösung und die Zusammensetzung der Stoffe und so weiter, daß darinnen lebt das Willensleben, und daß fortwährend in sich selbst stirbt die Materie, das heißt, daß sie Teile ausscheidet, die nicht weiter innerhalb ihrer Organisationskräfte einbezogen sind. Es fällt fortwährend Unorganisches aus dem Organischen heraus, und an dieses Herausfallen ist gebunden das Vorstellungsleben. Überwuchert also derWachstumsprozeß, der Stoffwechselprozeß, so schwindet unser Vorstellungsleben. Überwiegt dieser Absterbeprozeß, dann werden unsere Vorstellungen immer steifer, pedantischer. Es kann kaum verlangt werden, daß der Mensch ohne okkulte Schulung leicht zu solcher Selbstschau kommt; aber er könnte dazukommen, er kann zu einer Selbstschau kommen, durch die ihm klar wird: Geradeso wie wenn ihm in irgendeiner Weise, sei es auch nur beim Einschlafen, das Bewußtsein entschwindet, so ist da ein Sieg der Wachstums-, der Stoffwechselkräfte über diejenigen Kräfte, die jener inneren Aktivität zugrunde liegen, die die Gedanken beherrscht. Aber man kann ebenso wahrnehmen,

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wenn man nur unbefangen genug ist, sich solche innere Selbstschau anzueignen, wie ein inneres Ermüden, ein Sich-Absenken von Materie im Inneren stattfindet, indem die Gedanken entwickelt werden, indem man gerade immer bewußter und bewußter in seinem Vorstellungsleben lebt.

Wir tragen in der Tat fortwährend in uns Geburt und Tod. Und was im Beginn des Lebens als Geburt steht, wo zunächst noch am regsten sind die Wachstumskräfte, wo das Bewußtsein noch ganz zurück- getreten ist, das lebt fortwährend mit uns bis zum Tode und ist im Grunde genommen der Träger unseres Willens, unseres unbewußten Willens, der nur bewußt wird dadurch, daß das Gedankenlicht hinein- geworfen wird. Aber durchdrungen ist dasjenige, was da wuchert, von fortwährenden Auflöseprozessen, von einem fortwährenden, kontinuierlichen Sich-Vollziehen desjenigen, was dann in eines zusammengedrängt ist im Momente des Todes, von einem Absterbeprozeß. Und wie der Wachstumswucherungsprozeß das Willenselement nach außen hin offenbart, so der innerliche Absterbeprozeß das Gedanken-, das Vorstellungselement. Wir kommen zum Schluß dazu, wenn wir diese Erkenntnis in uns pflegen, zu wissen, daß wir eigentlich fortwährend geboren werden und fortwährend sterben, und daß das einmalige Geborenwerden im Beginn eines irdischen Lebens nichts anderes ist als eine Summierung desjenigen, was unser ganzes Leben bis zum Tode hin im kleinen durchzieht.

Für Mathematiker könnte man sagen, die wirkliche Geburt ist ein Integral all der Geburtsdifferentiale, die durch das Leben hindurch wirksam sind. Ebenso sind aber auch die Todesdifferentiale wirksam, und der wirkliche Tod, er ist nur das Integral davon. Das heißt, wenn wir innerlich so fortwährend sterben, daß das Sterben beständig aufgehoben wird, daß es schon aufgehoben wird im Momente seines Entstehens, so ist das die materielle Grundlage des Vorstellungslebens. Wenn das Sterben einmal eintritt, wenn also einfach in unbegrenzter Weise das intensiver wird, was fortwährend in uns tätig ist, dann ist der Moment des Todes da, wie bei der wirklichen Geburt dasjenige in unermeßlicher Weise in uns intensiver ist, was fortwährend in uns Wachstumsprozeß ist. So sieht man den geistig-seelischen, den leiblichmateriellen

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Prozeß in einem. Und ohne das kann man überhaupt nicht wirklich zu einer geistigen Erkenntnis kommen.

Nun, wir sind in einem gewissen Momente unseres Lebens immer sehr nahe demjenigen Punkte, wo wir einen Übergang vollziehen zwischen dem Denken, das ja unser gesundes Bewußtsein vom Aufwachen bis zum Einschlafen ausfüllen muß, und zwischen dem, was da wuchert und was das Denken fortwährend auslöschen will. Das ist der Moment des Einschlafens. Wir können sagen, wir kommen da zu einem für das Leben zunächst zu rechnenden Maximum der Wachstumswucherung. Die lernt derjenige, der zum imaginativen Erkennen vorrückt, sehr gut kennen. Denn in dem Augenblicke, wo sich die imaginative Erkenntnis ergibt, ist er auch in der Lage, solche Erlebnisse zu haben, die im gewöhnlichen Bewußtsein verschlafen werden, wo das gewöhnliche Bewußtsein sich auslöscht, weil es von der Willenswachstumsentwickelung eben überwuchert wird.

Es sind das solche Zustände, in welche das gewöhnliche Bewußtsein nicht hineinkommen darf. Wenn das gewöhnliche Bewußtsein hinein- kommt, so ergreift gewissermaßen die Wachstumswucherung dasjenige, was im Sterbevorstellungsleben liegt; es treibt auf - ich muß mich jetzt in Bildern ausdrücken, aber man redet ja auch in der Imagination oder aus der Imagination heraus - die Wachstumswucherung das, was in dem Vorstellungssterbeleben liegt. Es läßt gewissermaßen das Vorstellungssterbeleben nicht bis zu seiner höheren Entwickelung kommen.

Das ist der Prozeß, der im halluzinatorischen Leben und in einer gewissen Beziehung auch im Leben in Illusionen, in Visionen auftritt. Visionen sind krankhafte Gebilde, Halluzinationen sind auch krankhafte Gebilde. Man begreift sie, ich möchte sagen, seelisch-leiblich, wenn man eben in einem gewissen Einklang sieht den Willen mit der Wachstumswucherung, die dann ergreift und gewissermaßen auseinanderreißt, was sich im Sterbeprozeß des Denkens konsolidieren sollte. Es wird gewissermaßen das innerliche fortwährende Leichnamwerden aufgehoben. Es wird aus dem Menschen etwas herausgerissen und wuchert, was in ihm sterben sollte, wenn er gesund wäre. Es sind aufgetriebene Gedankenmassen, und wir begreifen sie als aufgetriebene Gedankenmassen nur, wenn wir eben im Einklang sehen das, was leiblich

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materiell ist, mit demjenigen, was geistig-seelisch ist. Es wuchert immer etwas von Wachstumsprozessen im Menschen, wenn er zu Halluzinationen oder zu Visionen kommt. Sie lernen gewisse vorbereitende Schulungen für das Imaginative erkennen; werden diese vorbereitenden Schulungen in entsprechender Weise gemacht, dann ist der Mensch in der Lage, sich bewußt hineinzuleben in das, was ja fortwährend im Lebenstageswechsel sich vollzieht, nämlich, daß wir wirklich durch die Traumvorstellungen in den vollständigen Schlafzustand hineinleben.

In diesen Zustand, wo uns das gewöhnliche Bewußtsein genommen wird, lernt man sich hineinleben beim Vorrücken in die Imagination. Man gelangt also dahin, wo der Sterbeprozeß in einer gewissen Weise wirklich überwunden wird. Er wird überwunden im alltäglichen Leben im Schlafzustande. Aber in einen solchen Zustand, der ja dann ein bewußter Zustand ist, wird der Mensch in der höheren Erkenntnis eingeführt. Und wenn der Mensch in dieser Weise über sein gewöhnliches Bewußtsein hinauskommt, dann lernt er erkennen, daß dieses gewöhnliche Bewußtsein eben in diesen Zustand nicht hinein kann. Der Mensch im gewöhnlichen Bewußtseinszustande geht schlafend aus seinem physischen und aus seinem Atherleib heraus; der Mensch mit imaginativer Erkenntnis geht wachend heraus. Aber das Gebiet, das man zunächst betritt, ich möchte sagen, das erste Gebiet, das man betritt, wenn man eintritt in diese geistige Welt, die sich dann in der Imagination erschließt, das empfindet man zunächst so wie den absolut leeren, finsteren Raum, und man kann eigentlich nicht in die geistige Welt hineinkommen, ohne diesen Umweg durch diese leere Finsternis zu machen.

Aber das ist es, was jenseits der Grenze unserer Sinneswahrnehmung liegt. Wenn Sie sich an die schematische Zeichnung erinnern, die ich gestern auf die Tafel gezeichnet habe - Sinnesempfindungen, die gewissermaßen in uns hineingeschickt werden und die die Wogen sind, auf denen das Ich sich bewegt -, so werden Sie aus dieser Zeichnung gewinnen, wie das Ich herausgeht in die Umwelt, in der es ja sonst auch ist. Aber es streckt im Wachen seine Fühlhörner in den Leib hinein. Nun aber zieht es sich aus dem Leib zurück und kommt auch mit denjenigen Teilen, die sich gewöhnt haben, das Leibesleben mitzumachen, außen in die Welt, die jenseits unserer Sinne liegt. Es lernt das geistige

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Gebiet kennen. Es lernt nicht Atome kennen, es lernt die geistige Welt kennen jenseits der Sinne. Aber es muß durch die absolute finstere Leere durchgehen, denn erst aus dieser finsteren Leere heraus wird ihm das Geistige geboren.

Sie haben da die eine Grenze, möchte ich sagen, an die das menschliche Erleben angrenzt, oder die das menschliche Erleben hat gegen die Welt hin. Da haben Sie die eine Grenze. Diese Grenze, die muß da sein. Wäre sie nicht da, würden wir gewissermaßen nicht wie durch einen leeren Abgrund geschieden sein von unserer Umgebung, wir könnten niemals dasjenige entwickeln, was wirkliche Liebe ist, denn die erfordert, daß der Mensch um sich herum das Leere kennenlernen kann. Denn würde er alles um sich herum erfüllen, er würde ja niemals mit seinem Wesen hinüberfließen können in das andere. Das ist aber dasjenige, was sich im Wesen der Liebe entwickelt.

Will man das Wesen der Liebe kennen in einem wirklichen Erkenntnisprozesse, dann muß man eben wissen, wie der Mensch gerade dann auch, wenn sich in ihm Empfindungen der Liebe entwickeln, sich ausdehnt gewissermaßen dahin, wo sein Bewußtsein die Leere hat. Daher kann er sich mit etwas anderem erfüllen. Entwickelung der Liebe ist gerade das Entgegensetzen der Leerheit des Bewußtseins dem andern, das dann das Bewußtsein erfüllt.

Wenn aber nicht die richtige Harmonie besteht zwischen dem Geistig-Seelischen und dem Leiblich-Physischen - Sie merken, daß das nur ein Ausdruck ist, der nicht vollständig die Tatsache trifft, denn es wird ja von der Harmonie als von einer Harmonie für die andern Vorgänge gesprochen, aber doch versteht man in dieser Ausdrucksweise, um was es sich handelt -, wenn nicht die richtige Harmonie besteht, wenn das einseitig Geistig-Seelische oder Leiblich-Physische zu sehr nach der einen oder andern Seite sich entwickelt, so daß die beiden Seiten nicht völlig zum Ausdrucke kommen, so tritt ein Krankhaftes ein. Nach der einen Seite tritt ein Krankhaftes ein, wenn der Mensch eben in dasjenige, wo die Leere sein soll für ihn, sein eigenes Wesen hineingießt. Dann lebt er in dieses leere Wesen eben die Welt seiner Visionen und Halluzinationen hinein. Das ist gerade das, was durch eine wirkliche okkulte Schulung überwunden wird: Halluzinieren und Visionen

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haben. Denn nicht oft genug kann betont werden: Dies ist eben krankhaft. - Und was die okkulte Schulung entwickelt, ist die Entwickelung von Kräften, die entgegengesetzt den Kräften sind, die dann auftreten, wenn Halluzinationen oder Visionen auftreten.

Der Mensch entwickelt im Halluzinieren, im Visionenhaben Kräfte in sich, denen entgegengesetzt ist das, was angeraten werden muß für das imaginative Leben. Man wird es daher immer wieder erleben: Es gibt Menschen, die deshalb nicht gleich im höchsten Grade krank sein müssen, sondern die, ich will nicht sagen Halluzinationen, denn da muß man dann schon von Kranksein sprechen, aber die Visionen haben. Es gehen ja sogar sehr viele Leute mit Visionen durch das Leben und sind sehr stolz darauf und leben in diesen Visionen, indem sie glauben, in ihnen enthülle sich eine wirkliche geistige Welt, während es nur die Wucherung ihrer Lebenskräfte ist, die in das Leere hinein sich ergießt. Es gibt auch solche, die so hochmütig sind, größenwahnsinnig dann werden, daß sie sagen, sie erleben eine Einweihung, während das, was sie erleben, lediglich eben ein abnormes Wachstum ist, das ihr Denken überwuchert. Und wenn solche Menschen dann herankommen an das, was im ernsten Sinne als Übungen empfohlen werden muß zur Imagination, dann ergibt sich manchmal etwas ganz Besonderes. Denn wenn diese dann sagen: Ja, ich habe jetzt mein geistiges Schauen verloren -, so haben sie nämlich ihre visionären Schauungen verloren; und das ist aus dem Grunde, weil diese Übungen zur wahren Imagination, die sie da auf sich anwenden, ihrer krankhaften Visionskraft gerade entgegenwirken. Solche Menschen, die in dieser Weise glauben, in der geistigen Welt durch Naturgewalten zu leben, die leben krankhaft darin, und sie verlieren in der Regel das, was sie in einer ziemlich hochmütigen Eigenliebe so lieb gewonnen haben. Das kann ja immer wiederum erlebt werden, und das beweist eben nur, wenn es erlebt wird, wie die visionären Kräfte krankhafte Kräfte sind, und wie das, was für imaginatives Schauen angestrebt wird, die entgegengesetzten, gesundmachenden Kräfte sind.

Man sieht daraus, daß also nach innen hin jenseits der Sinneswahrnehmung an das menschliche Erleben ein Gebiet sich anschließt, das nur im imaginativen Leben objektiv zu erfassen ist. Im visionären Leben

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strahlen wir nur unser eigenes Leben in die Leerheit hinein. Erleben wir aber die Leerheit, dann kommt in diese Leerheit hinein - geradeso wie durch unsere Sinne die Außenwelt wirkt - dasjenige, was ich schon bezeichnet habe als die webende, wirkende Welt der AngeloiHierarchie. Um uns herum wirkt die webende, wirkende Welt der Angeloi-Hierarchie.

Nun können wir aber auch nach der andern Seite das an das menschliche Erleben angrenzende Gebiet finden, und das ist dasjenige, das jenseits des Denkens mehr nach dem Inneren liegt.Wir können ja sagen: Diese Wahrnehmung hängt mit dem Ich zusammen (siehe Zeichnung Seite 135). Jetzt gehen wir nach dem astralischen Leibe herein: Wir haben das Vorstellen. Nun gehen wir in den ätherischen Leib hinunter: Wir haben die Erinnerungstätigkeit. Und im physischen Leibe Bilder. Hier hinunter in den Atherleib kommt ja das gewöhnliche Bewußtsein nicht; hier hinaus kommt es auch nicht. Dadraußen liegt die Welt, von der gesagt werden muß, sie ist die Welt der lebenden, webenden Angeloi. Sie ist also eine geistige Welt, die über unserer Bewußtseinswelt vorhanden ist. Sie liegt nicht außerhalb des Gebietes des menschlichen Lebens, aber sie liegt außerhalb des Gebietes des gewöhnlichen Bewußtseins. Denn unser Ich, von dem wurde ja ausdrücklich gesagt, daß es außerhalb der Sinneswahrnehmungen liegt und diese hereinträgt, also unser Ich ist durchaus mit dieser Welt verbunden. Es ist die Welt, die wir nur mit gestärktem Bewußtsein betreten können, weil wir sonst eben das Bewußtsein herabgemindert erhalten, also in Bewußtlosigkeit verfallen. Wir verfallen ja jedesmal beim Einschlafen in diese Bewußtlosigkeit und wir steigen dann in diese Welt hinein. Das ist also, wenn wir über die Sinneswahrnehmung hinausdringen in dieses Gebiet hinein.

Nun können wir aber auch nach der andern Seite hinunter in unser eigentliches Wesen steigen. Das geschieht dann, wenn die in uns selbst liegenden, zerstörenden Sterbekräfte uns mehr erfassen, als sie das gewöhnlich tun; besser gesagt, wenn sie bewußt werden. Geradeso wie wir herausdringen können jenseits der Grenze des Sinneslebens, so können wir auch durch dasjenige, was ich okkulte Schulung nenne, hinunterdringen.

Was aber da erlebt wird, das muß nun, wenn es nicht in einer gewissen

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Weise krankhaft auftreten soll, durchaus im Inneren des Menschen bleiben. Der Mensch darf es nicht in sein gewöhnliches Bewußt sein herauflassen. Er muß dieses Gebiet unten lassen, da, wo es sonst unbewußt ist. Das heißt, der Mensch darf dieses Gebiet, das ja im Atherleib liegt, nicht heraufströmen lassen in sein gewöhnliches Bewußtsein, sondern er muß sein gewöhnliches Bewußtsein hinunterleiten in den Atherleib. Es darf also nicht dasjenige, was da unten ist, etwa hereindringen in das gewöhnliche Vorstellen, sondern es muß das gewöhnliche Vorstellen da hinunterdringen.

Daraus ersehen Sie aber, daß es sich um ein Gebiet handelt, das geradeso wie das andere, das ich beschrieben habe, gewissermaßen um den physischen Leib des Menschen ist, so daß innerhalb des physischen Leibes des Menschen immer vorhanden ist dieses Gebiet. Das gehört zu den inneren menschlichen Entitäten, auf die oftmals in geisteswissenschaftlichen Zusammenhängen hingewiesen worden ist, und es wird immer auf dieses Gebiet so hingewiesen, daß diejenigen, die es erkannt haben, die etwas davon geschaut haben, sagen: Es ist unmöglich, in menschlichen Worten das auszusprechen, was da unten ist. - Sie können das verfolgen von den Beschreibungen der älteren ägyptischen Einweihungen an bis herauf zu Bulwer.

Aber in einer gewissen Weise, andeutend, kann heute schon und muß eigentlich doch gesprochen werden über dieses Gebiet. In diesem Gebiete wurzelt nämlich all dasjenige vom menschlichen Seelen-Leibes- leben, was im gewöhnlichen Sinne sich eigentlich nicht in dem äußeren Gebaren des Menschen entwickeln darf. Es wurzelt da das menschliche Böse.

Sie sehen daraus eine sehr bemerkenswerte Tatsache. Dieser Quell des Bösen, er ist eigentlich fortwährend in uns. Wir dürfen uns keinen Augenblick der Illusion hingeben, daß der Quell des Bösen nicht in uns ware. Er ist, wenn ich so sagen darf, unterhalb des Vorstellungslebens gelegen. Er darf nur nicht das Vorstellungsleben infizieren, sonst werden die Vorstellungen Motive zum Bösen; er muß unten bleiben. Und derjenige, der ihn da beschauen will, muß moralisch so stark sein, daß er ihn nicht heraufläßt, daß er wirklich nur das Bewußtsein hinunter- schickt.

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Nun können Sie sagen: Wozu ist denn aber das im Menschen? - Ja, diese Frage kann nur derjenige aufwerfen, der etwa sagen würde: Warum hört denn die Pflanze nicht auf zu wachsen, wenn sie grüne Blätter bekommen hat? - Sie wächst eben durch ihre eigene Kraft weiter. Wir tragen in uns den Absterbeprozeß, der unser Denken entwickelt. Dieser Prozeß ist noch bewußt, aber er muß in das Unbewußte hinunter. Denn würde dieser Prozeß nicht weitergehen, dann würden niemals unsere Gedanken sich so konsolidieren, daß in uns Erinnerung zustande kommen kann, daß in uns später wiederum die Gedanken auftauchen können an die Erlebnisse, die wir denkend gehabt haben. Es muß also der Absterbeprozeß sich noch weiter fortsetzen, damit wir eine Erinnerung haben. Und die Wesenheit, der wir als Menschen das Erinnern verdanken, ist dieselbe Wesenheit, die, wenn sie in unrichtiger Weise hervortritt, dann hervortritt, wenn die Motive des Bösen im Menschen auftreten. Gewissermaßen ist der Hang, der in gewissen Menschen zum Bösen vorhanden ist, ein geistig-seelisches Aufstoßen - verzeihen Sie, daß ich diesen Ausdruck gebrauche -, ein geistigseelisches Aufstoßen dessen, was unten bleiben und die Erinnerung besorgen sollte.

Im Menschenwesen wurzelt diese Kraft der Erinnerung. Und so wie es ein leibliches Aufstoßen gibt, so gibt es dieses geistig-seelische Auf- stoßen. Wenn das, was in göttlicher Weisheit uns in den Tiefen unseres Wesens als die Kraft der Erinnerung zuerteilt ist, wenn das aufstößt herauf ins Bewußtsein, so wie irgend etwas - verzeihen Sie den unappetitlichen Ausdruck - leiblich heraufrülpst, dann haben Sie den verbrecherischen Hang.

Nichts gibt es in der Welt, was nicht an seinem Orte seine Berechtigung hätte, und was nicht zum Unheil ausschlagen kann, wenn es deplaciert wird. Wenn irgend etwas in der Welt uns erscheint, als sollte es nicht sein, so müssen wir die Frage aufwerfen: Wo muß es sein, damit es dort seine Aufgabe erfüllt? - Und hier, indem wir da hinuntertauchen, kommen wir dann in das andere Gebiet, in das Gebiet der Hierarchie der Seraphim, Cherubim, Throne, geradeso wie wir über das Sinnesgebiet hinaus in das webende Gebiet der Angeloi, Archangeloi und Archai kommen. Wir kommen da hinunter in ein Gebiet,

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wo wir jetzt in deutlicher Weise sehen, wie jene Naturkraft, die mit unseren Erinnerungen zusammenhängt, eine moralische Seite hat.

Bedenken Sie nur, was das heißt: Geisteswissenschaft entdeckt so etwas, wo ein Naturvorgang eine moralische Seite hat, das heißt, wo etwas, das deplaciert wirkt, einen moralischen Charakter annimmt! Das ist ja gerade das, woran unsere Zeit krankt, daß das moralisch- religiöse Leben auf der einen Seite ein abstraktes ist, und das Naturhafte, das Kausalistische auf der andern Seite ist. Die Methode findet man nicht, wie die beiden zusammenkommen können. Hier haben Sie elnen ganz konkreten Vorgang, wo ein Naturhaftes in sich das trägt, was eben jetzt, im Gegenteil vom Moralischen, unmoralisch werden kann.

Aber erscheint Ihnen hier jetzt nicht ein Merkwürdiges? Wenn wir die Sache so betrachten, wie sie nach der einen Seite in der Ausartung ist, so kommen wir gewissermaßen unter unserem Bewußtsein in das Antimoralische. Wir brauchen es um der Erinnerung willen. Wir kommen aber, wenn wir über die Sinnesempfindungen hinübergehen, in das Gebiet der Liebe, sagte ich Ihnen. Das ist ja im Grunde genommen die Kraft des Moralischen. Wir kommen in das Moralische. Wir sind auf dem Wege, die Brücke immer besser und besser schlagen zu können zwischen der moralisch-religiösen Welt auf der einen Seite und der physisch-leiblichen Welt, der Welt der Naturkausalität auf der andern Seite. Diese Brücke muß geschlagen werden. Und wir kommen ja tatsächlich, wenn wir hinausgehen, ins Geistige, wenn wir hinuntergehen, ins Geistige, und kommen in die Welt der Hierarchien. Wir haben gewissermaßen anschlagen können von zwei Seiten das Gebiet der Hierarchien.

Diese Betrachtung kann natürlich nur so verlaufen, daß wir uns gewissermaßen im Kreise dem Ziel nähern. Es kann nicht so sein, wie man es in der Mathematik macht, daß man von elementaren Begriffen ausgeht und aufbaut, sondern man muß sich im Kreise demjenigen nähern, das zuletzt verstanden werden soll.

DREIUNDZWANZIGSTER VORTRAG Dornach, 19. August 1921

#G206-1991-SE168 Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist

#TI

DREIUNDZWANZIGSTER VORTRAG

Dornach, 19. August 1921

#TX

Es führt leichter zum Verständnis der Anschauungen, die man innerhalb der anthroposophischen Geisteswissenschaft entwickeln muß zur Erkenntnis des Menschen und der Welt, wenn man sich vertieft in den geschichtlichen Wandel der menschlichen Anschauung. Derjenige, der heute hört, es müsse, um wirklich etwas über das Wesen des Menschen zu wissen, im Menschen selbst eine ganz andere Anschauungsweise auftreten als die gewöhnliche, der wird zunächst überrascht sein und eigentlich für den ersten Augenblick jede solche andere Erkenntnis aus der Überraschung heraus ablehnen. Der Mensch hat gewissermaßen das Gefühl, eines müsse wenigstens unwandelbar bleiben: das ist die Art und Weise, wie man sich selbst im Geiste in der Auffassung der Dinge verhält. Wir können dies ganz besonders aus der Auffassung gewisser Geschichtslehrer, Historiker der Gegenwart ersehen. Diese Historiker sagen ohne weiteres, der Mensch müsse im wesentlichen in seiner Seelenverfassung während der geschichtlichen Zeit so gewesen sein, wie er heute ist, denn wenn er nicht so gewesen wäre in seiner SeelenverfasSung, so könnte es ja eigentlich, meinen diese Leute, keine Geschichte geben. Denn will man Geschichte ausbilden, so muß man von der heutigen Seelenverfassung ausgehen. Müsse man nun als Geschichtsbetrachter auf Menschen zurückblicken, die in ihrer Seele ganz anders sind, so könne man sie nicht verstehen. Man würde nicht verstehen, wie sie gesprochen, was sie getan haben, und man würde also mit dem geschichtlichen Denken nicht zurückreichen können bis in die Zeit solcher Menschen mit anderer Seelenverfassung. Also, meinen die Leute, damit es eine Geschichtsauffassung geben könne, müßten die Menschen im wesentlichen mit ihrer Seelenverfassung immer so gewesen sein, wie sie jetzt sind.

Nun aber wird es leicht begreiflich sein, daß eine solche Auffassung eben eine Auffassung ist zum bequemen menschlichen Gebrauch. Denn wenn die Menschen im Laufe der geschichtlichen Entwickelung ihre Seelenverfassung geändert haben, dann müssen wir auch unsere Begriffe

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beweglich machen und müssen uns eben bemühen, andere, frühere Epochen der Geschichte anders aufzufassen, als man heute gewöhnt ist, die Dinge der Welt aufzufassen.

Es gibt ein sehr bedeutsames Beispiel eines Menschen, der zu einer solchen Umänderung der ganzen menschlichen Seelenverfassung gezwungen war aus einer gewissen inneren geistigen Unmöglichkeit, sich ohne weiteres in die Seelenverfassung seiner Zeitgenossen hineinzufinden. Und dieses bedeutsame Beispiel - ich führe die Sache heute wirklich nur als Beispiel an - ist Goethe.

Goethe hat als junger Mensch hineinwachsen müssen in die Art und Weise, wie man zu seiner Zeit die Dinge der Welt und die Angelegenheiten der Menschen um sich herum ansah. Man kann sagen, ganz heimisch hat er sich in dieser Seelenverfassung eigentlich nicht gefühlt. In dem jungen Goethe ist etwas Stürmisches. Aber dieses Stürmische ist von besonderer Art. Man braucht bloß auf seine Jugendgedichte zu sehen und man wird finden, daß bei Goethe auf der einen Seite eine Art innerer Opposition ist gegen das, was eigentlich seine Zeitgenossen über Welt und Leben denken.

Aber es ist zu gleicher Zeit noch etwas anderes in ihm. Es ist in ihm etwas wie ein Appell an dasjenige, was in der Natur lebt, was mehr sagt, Unvergänglicheres sagt, als ihm die Meinungen der Menschen sagen können, die um ihn herum eben solche Meinungen entwickeln. Goethe appelliert an die Offenbarungen der Natur gegenüber den Offenbarungen der Menschen. Und das gibt eigentlich die Stimmung der Goetheschen Seele ab während der ganzen Zeit, schon während er als Kind heranwächst, während er in Leipzig, in Straßburg studiert, sich dann in Frankfurt herumtut, und auch für die erste Zeit seines weimarischen Aufenthaltes.

Man braucht ihn nur als Kind schon zu betrachten, wie er um sich herum die religiösen Überzeugungen seiner menschlichen Genossen hat. Aber er erzählt ja doch selbst, ich habe dieses schöne Bild aus Goethes Leben öfter hervorgehoben, wie er als siebenjähriger Knabe sich einen Altar aufrichtet, indem er ein Notenpult nimmt, sich Mineralien darauflegt aus der Gesteinssammlung seines Vaters, wie er oben ein Räucherkerzchen anbringt, durch ein Brennglas die Strahlen der Sonne

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auffängt und das Räucherkerzchen durch das Brennglas anzündet, um - wie er später sagt, natürlich hätte er als siebenjähriger Knabe nicht so gesprochen - dem großen Gotte der Natur ein Opfer darzubringen.

Wir sehen, er wächst heraus aus demjenigen, was ihm die Umgebung seiner Zeit sagen kann, und er wächst der Natur zu, in der er zunächst seine Zuflucht sucht. Es lebt - sehen Sie sich um in Goethes Jugendwerken - gerade diese Seelenverfassung in ihm. Dann ergreift ihn eine große Sehnsucht, die Sehnsucht nach Italien. Und wir sehen ja merkwürdigerweise, wie die ganze Seelenstimmung Goethes sich umändert. Eigentlich versteht Goethe nur der, welcher diesen gewaltigen Umschwung ins Seelenauge faßt, der sich vollzieht mit Goethe, als er Italien betritt. Man braucht nur einen solchen Ausspruch zu nehmen wie den, der sich in seinen Briefen an die weimarischen Freunde findet bei Betrachtung der Kunstwerke, die er da sieht und die ihm das griechische Kunstschaffen vor die Seele zaubern. Da sagt er: Ich habe die Vermutung, daß die Griechen bei der Schöpfung ihrer Kunstwerke nach denselben Gesetzen verfuhren, nach denen die Natur selbst verfährt, und denen ich auf der Spur bin. - Goethe ist einmal mit seiner Umgebung zufrieden, und er ist deshalb zufrieden, weil in diese - er meint in die Umgebung der Kunst - Anschauungen eingeflossen sind, die der Natur näherstehen als diejenigen Anschauungen, die er in seiner Jugend um sich herum hat wahrnehmen können. Und wir sehen, wie nun im Verlaufe der italienischen Reise aus dieser Seelenstimmung heraus der Metamorphosegedanke entsteht, wie Goethe gerade da anfängt, die Umwandelung des Laubblattes in das Blütenblatt so anzuschauen, daß ihm der Metamorphosegedanke, der Gedanke der Umwandelung in aller Natur aufgeht.

Goethe fühlt sich mit seiner Seele in der Welt eigentlich erst jetzt richtig heimisch. Und wenn man alles das nimmt, was nun Goethe seit jener Zeit als Dichter, als Wissenschafter produziert, wenn man das ansieht, kann man nicht anders, als sich sagen: Goethe lebt jetzt wiederum in Ideen und Begriffen, die nicht so ohne weiteres wiederum für die Zeitgenossen, namentlich nicht so ohne weiteres für den modernen Menschen begreifbar sind. Wer mit dem, was er sich angeeignet

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hat aus dem ganzen modernen Lernen heraus, von der Volksschule bis herauf zu den höchsten Bildungsanstalten, wer mit dem, was da Denkgewohnheiten, Empfindungsgewohnheiten geworden sind, an Goethe herantritt, der versteht eigentlich Goethe doch nicht. Man muß sich erst in einer gewissen Weise innerlich umschaffen, wenn man nach- kommen will mit der eigenen Auffassung dem, was Goethe eigentlich meint, wenn er die «Iphigenie», die er zunächst verfaßt hat aus der Stimmung des germanischen Nordens, in Italien umschreibt in das Metrum des griechischen Volkes. Man begreift Goethe erst nach dieser eigenen Umschaffung der Seele in seiner ganzen Stellung zu seinem «Faust».

Goethe hat ja im Grunde genommen das, was er bis zu seiner italienischen Reise an seinem «Faust» gedichtet hat, innerlich gehaßt nach der italienischen Reise. Er hätte niemals wiederum nach der italienischen Reise etwa Verse hinschreiben können wie denjenigen, der da steht, wo Faust sich abwendet von den auf- und niedersteigenden Himmelskräften, die sich die goldnen Eimer reichen, wo Faust sich abwendet vom Makrokosmos und sagt: «Du, Geist der Erde, bist mir näher.» Das ist jugendlicher Goethe. Das hätte Goethe nach 1790 nicht mehr geschrieben. Nach 1790, als Goethe Ende der neunziger Jahre seinen «Faust» wiederum aufnimmt, da ist ihm dieser Geist der Erde nicht mehr näher, da schildert er im Prolog im Himmel den Makrokosmos. Da wendet er sich gerade zu dem, wovon sich Faust für den jugendlichen Goethe abgewendet hat. Da wird allerdings in einer gemäßen Sprache geschildert, wie Himmelskräfte auf- und niedersteigen und sich die goldenen Eimer reichen. Da sagte Goethe gewissermaßen im Inneren nicht: «Du, Geist der Erde, bist mir näher», sondern er sagt: Ich begreife den Menschen erst, wenn ich nicht bloß auf den Geist der Erde sehe, sondern wenn ich mich erhebe über das Irdische in das Himmlische hinein. - Und so könnten wir vieles durchblicken. Wir könnten zum Beispiel auch auf diese wunderbar geschriebene Abhandlung aus 1790 «Versuch, die Metamorphose der Pflanzen zu erklären» sehen und würden zugeben müssen, nimmermehr hätte Goethe diese Sprache, die mit den Dingen selbst, nämlich mit dem Wachsenden und Werdenden der Pflanzen redet, schreiben können vor seiner italienischen

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Reise. Und das weist uns bedeutsam hinein in einen Zusammenhang der Goethe-Seele mit der ganzen Menschheitsentwickelung. Goethe fühlte sich fremd gegenüber dem, was seine Zeit dachte, in dem Momente, wo er genötigt war, die eigentliche Bildung, die wissenschaftliche Bildung seiner Zeit innerlich zu verdauen. Er strebte nach einer andern Art des Denkens, nach einer andern Art, sich zur Welt zu stellen, und fand diese andere Art, als er vermeinte, die Art der Griechen, das Verhalten der Griechen zur Natur und zur W~t, zum Menschen, in sich selber lebendig gemacht zu haben.

Der moderne Physiker lehnt Goethe ab, weil er in demjenigen lebt, was Goethe gerade fremd war in seiner Jugend. Und die Ablehnung ist schließlich ehrlicher als die geleimte Zustimmung. Was seit der Mitte des 15. Jahrhunderts in der Weltbetrachtung die Menschen sich erobert haben, das war etwas, wo hinein sich Goethe nicht ganz finden konnte, nie ganz finden konnte. In seiner Jugend opponierte er dagegen, und nach seiner italienischen Reise ließ er es gelten, weil er für sich aus seiner Griechennähe heraus etwas anderes gewonnen hatte.

Was war es denn, was in der Weltanschauung, in der Lebensauffassung seit der Mitte des 15.Jahrhunderts lebte? Was ist eigentlich der Galileismus? Der Galileismus, wenn man ihn studiert, ist etwas, was sich die Welt begreiflich machen will durch Maß, Zahl und Gewicht, in der Betrachtung, in der Beobachtung der äußeren Dinge. Goethe lag es nie nahe, sich eine Weltauffassung aufzubauen, deren Grundlage in Maß, Zahl und Gewicht liegt.

Aber so ist die Sache nur von einer Seite angesehen. Es gibt ein gewisses Korrelat zu dem, was im Menschen aufsteigt, wenn er die Welt nach Maß, Zahl und Gewicht betrachtet, und das ist der abstrakte Begriff, das ist der bloße Intellektualismus. Wir können es genau sehen: In demselben Maße, in dem für die Betrachtung der äußeren Natur seit dem ersten Drittel oder der Mitte des 15.Jahrhunderts Maß, Zahl und Gewicht angewendet wird, in demselben Maße entwickelt sich im Menschenleben innerlich für die Seelenverfassung der Intellektualismus, das Hinneigen zum abstrakten Denken, zu demjenigen Denken, das vorzugsweise sich des Verstandes bedient. So wie wir heute Begriffe entwickeln mit unserer großen Vorliebe für die Mathematik, für die

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Geometrie, für die Mechanik, so tun wir das als Menschen im Grunde genommen erst seit dem 15.Jahrhundert. In dieser Welt, auf der einen Seite des Maßes, der Zahl, des Gewichtes, auf der andern Seite des Intellektualismus, fühlte sich Goethe nicht heimisch.

Die Weit, zu der er sich wandte, wußte im Grunde genommen noch wenig von Maß, Zahl und Gewicht. Wer den Pythagoräismus studiert, wird ja leicht dazu verführt werden, zu glauben, da sei alles in der Welt so angesehen, wie wir es ansehen, nach Maß, Zahl und Gewicht. Aber gerade der charakteristische Unterschied, wie im Pythagoräismus bildhaft Maß, Zahl und Gewicht verwendet werden, und wie sie universell verwendet werden, wie gewissen-aßen ganz menschlich, noch nicht abgesondert vom Menschen gefühlt wird, was in Maß, Zahl und Gewicht lebt, das kann uns schon darauf hinweisen, daß der Pythagoräismus nicht so arbeitete mit Maß, Zahl und Gewicht, wie später, seit der Mitte des 15.Jahrhunderts, damit gearbeitet worden ist, wie der Galileismus mit Maß, Zahl und Gewicht arbeitet. Und wer sich zum Beispiel vertieft in einen Geist des 9. Jahrhunderts - ich habe ihn vor kurzem einmal hier in einigen Vorträgen charakterisiert -, wer sich vertieft in Johannes Scotus Erigena, wer sich hineinliest in Scotus, der wird finden: so wie wir heute gewöhnt sind, aus chemischen, physikalischen Grundlagen heraus uns ein Weltengebäude aufzubauen und Anfang und Ende der Welt uns hypothetisch zu konstruieren aus dem, was wir im Messen, Zählen, Wägen gelernt haben, so ist das bei Scotus Erigena nicht. Es sondert der Mensch die Außenwelt bei Scotus Erigena nicht so weit von sich ab, und sich nicht von der Außenwelt. Er lebt mehr mit der Außenwelt zusammen, strebt noch nicht so nach Objektivität, wie man heute nach Objektivität strebt. Und so kann man sehen, wie das, was in all den Jahrhunderten seit der pythagoräischen Zeit im Griechentum sich entfaltete - und gerade an einem solchen Geist wie Scotus Erigena kann man es sehen -, sich dann in späteren Jahrhunderten ausgelebt hat. In dieser Zeit lebte im Grunde genommen die menschliche Seele in ganz andern Vorstellungen. Nach diesen Vorstellungen strebte Goethe aus den verschiedenen Untergründlichkeiten seines Seelenlebens wieder hin.

Nun aber bekommen wir eine verständnisvolle Vorstellung von

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dem, was da eigentlich vorliegt, erst dann, wenn wir eine andere, heute wenig beachtete historische Tatsache uns vor Augen stellen. Von der einen Seite habe ich diese historische Tatsache in meinem Buche «Die Rätsel der Philosophie» schon dargestellt; ich möchte sie heute von einer andern Seite darstellen.

Wir modernen Menschen müssen genau unterscheiden zwischen dem Begriff und dem Worte. Es würde nur zum Unheil in der menschlichen Besonnenheit führen, wenn wir nicht genau unterscheiden würden zwischen dem, was im abstrakten Verstande innerlich lebt, und dem, was im Worte lebt. Der abstrakte Verstand ist ja auch universell, allgemein menschlich. Das Wort lebt in den einzelnen Volkssprachen. Wir können schon unterscheiden zwischen dem, was da lebt im Begriffe, in der Idee und im Worte.

Will man das, was uns von den Griechen rein historisch vorliegt, richtig verstehen, so kommt man nicht zurecht, wenn man den Griechen diesen selben Unterschied zuschreibt, wie wir ihn entwickeln im Unterscheiden zwischen Begriff und Wort. Die Griechen unterschieden nicht mit derselben Stärke Begriff, Idee und Wort. Wenn sie sprachen, lebte für sie das, was in der Idee lebt, auf den Flügeln des Wortes. Sie glaubten in das Wort hineinzulegen den Begriff. Wenn sie dachten, dachten sie nicht in einer abstrakten, intellektualistischen Weise wie wir. Es ging durch ihre Seele etwas wie der allerdings unhörbare, aber doch Laut des Wortes. Es klang unhörbar in ihnen. Das Wort lebte, nicht der abstrakte Begriff. In der Zeit, in der man es als unnatürlich empfunden hätte, einen gewissen Teil der Jugend seelisch so heranzubilden, wie wir unsere Jugend heranbilden, konnte das eben anders sein. Es ist ja außerordentlich charakteristisch für unsere Kultur und Zivilisation, obwohl wir es gewöhnlich nicht beachten, daß ein großer Teil unserer Jugend vom zehnten bis zum achtzehnten Lebensjahr sich damit beschäftigt, sich einzuleben in das Lateinische, in das Griechische, in abgelebte Sprachen. Man stelle sich vor, daß ein Grieche in seiner Jugend so hätte gebildet werden sollen, daß er meinetwillen sich in dieser Weise ins Agyptische und Chaldäische eingelebt hätte. Undenkbar, nicht wahr, ganz undenkbar! Der Grieche lebte eben in seiner Sprache nicht nur mit seinem Denken, sondern die Sprache war ihm

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das Denken. In der Sprache selber verkörperte sich das Denken. Das mag man eine Beschränktheit des griechischen Wesens nennen, aber es ist eben eine Tatsache. Und ein richtiges Verständnis dessen, was uns vom Griechentum vorliegt, kann nur das sein, was uns dieses enge Gebundensein des Begriffes, der Idee an das Wort vergegenwärtigt und was uns zeigt, wie das Wort wie ein innerlicher, unhörbarer Klang in der Seele des Griechen lebte.

Ja, mit einer solchen Seelenverfassung kann man nicht die Außenwelt galileisch verfolgen, wie wir sie betrachten nach Maß, Zahl und Gewicht. Maß, Zahl und Gewicht fallen einem gewissermaßen heraus. Ich möchte sagen, nur äußerlich symptomatisch bedeutsam ist es, wie das, was wir heute als Physikalisches an jedes Kind heranbringen, in der Griechenwelt eigentlich als ein Wunder empfunden worden ist. Mancherlei Experimente, die wir heute machen, die wir uns nach Maß, Zahl und Gewicht erklären, die hat man empfunden als Zauberei. Sie können ja darüber in jeder Geschichte der Physik nachlesen. Auf das, was wir heute die unorganische Natur nennen, ist der Grieche überhaupt nicht in derselben Weise eingegangen wie wir. Er hatte gar nicht die Möglichkeit, in dieser Weise darauf einzugehen aus seiner Seelenverfassung heraus, und das aus dem Grunde, weil er nicht zu abstrakten Begriffen in der Weise vorschritt, wie wir das tun in der Galilei-Zeit.

Wenn man so im Worte lebt wie der Grieche, dann kann man nicht die Ergebnisse von Experimenten so berechnen, wie wir das heute tun, aber man beobachtet die Verwandlungen in der Natur. Man beobachtet dasjenige, was sich nun nicht in der mineralischen, sondern was sich vorzugsweise in der pflanzlichen Welt vollzieht. Ebenso wie zwischen dem abstrakten Begriff und dem Auffassen der mineralischen Welt eine Art Affinität besteht, so besteht zwischen der griechischen Stellung zum Worte und dem Auffassen des Wachsens, Lebens, des Sich-Verwandelns im Lebendigen eine Affinität. Wenn wir heute aus unserem mineralischen Begriffe heraus über Anfang und Ende der Erde nachdenken und uns Hypothesen bilden, dann sind diese Hypothesen ein Abbild von dem, was wir gemessen, gezählt, gewogen haben. Und wir bilden eine Kant-Laplacesche Theorie aus, oder wir bilden die Vorstellung von dem Wärmetod der Erde, von der Entropie und ihrem

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Maximum aus. Das sind alles Abstraktionen, die wir herausschälen aus dem, was wir gemessen, gezählt, gewogen haben. Sehen Sie sich dagegen die Kosmogonien der Griechen an. Sie fühlen in diesen Kosmogonien, daß ihre Vorstellungen genährt werden aus der Art und Weise, wie die Vegetation im Frühling hervorkommt, wie sie im Herbste abstirbt, wie sie sich entwickelt, wie sie verschwindet. Geradeso wie wir aus unseren materiellen Begriffen und materiellen Beobachtungen uns ein Weltensystem aufbauen, so bauten sich die Griechen aus der Beobachtung desjenigen, was in der Vegetation sich offenbart, ein Weltensystem auf. Das Lebendige war für sie dasjenige, aus dem ihre Mythen und aus dem ihre Kosmogonien entsprangen.

Der hochmütige, an der Wissenschaft heranerzogene Mensch der Gegenwart wird sagen: Nun ja, das war eben kindlich, das haben wir glücklich überwunden. Wir haben es so herrlich weit gebracht! - Und er wird das, was man durch Messen, Zählen und Wägen gewinnen kann, als ein Absolutes ansehen. Wer nicht in dieser Weise borniert ist, der wird sich sagen: Aus der griechischen Weltanschauung heraus, die aus dem Lebendigen sich ein Weltenbild formte, hat sich unsere Art entwickelt, die uns den Intellektualismus gebracht hat, der ja auch ein Erziehungsmittel der Menschheit ist. Aber aus dieser unserer Anschauung, die da lebt vom Messen, Wägen und Zählen, wird sich wiederum ein anderes entwickeln müssen.

Es ist merkwürdig, als Schiller seine frühere Abneigung zu Goethe überwunden und sich ihm genähert hatte, da schrieb er ihm einen charakteristischen Brief. Ich habe ihn oft zitiert, diesen Brief. Er schrieb ihm: Wären Sie als ein Grieche geboren, ja nur als ein Italiener, so wäre diejenige Welt, nach der Sie eigentlich suchen, von früher Jugend um Sie herum ausgebreitet gewesen. - Ich zitiere nicht wörtlich, aber dem Sinne nach. Schiller empfand, wie Goethes Seele nach dem Griechentum hintendierte. Nun, man kann an Goethe eben studieren, wie ein Geist anders geworden ist, indem er sich ins Griechentum eingelebt hatte. Uns interessiert heute viel mehr diese ganz andere Art, sich zur Welt des Griechentums zu stellen als zu der Zeit seit dem 15. Jahrhundert. So kann man sagen: Unserer Zeit, die im Intellekt lebt und die durch den Intellekt am meisten von der Welt erfährt, insofern diese

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Welt gemessen, gezählt und gewogen werden kann, ging eine andere voran, welche weniger im Intellekt lebte als vielmehr in jenem lebendigen Seelenleben, das das Wort noch innerlich hatte, das als tonlosen Ton den Ton innerlich hörte, das so, wie wir heute einen Begriff aufnehmen, den Ton innerlich lebte, den Laut innerlich lebte. Und diese Zeit erkannte durch dieses Lebendige des Seeleninhaltes äußerlich vorzugsweise das Lebendige.Aber man kann weiter zurückgehen; dann allerdings muß man Geisteswissenschaft zur Hilfe nehmen, dann kann man nicht mehr an der Hand der gebräuchlichen Historie zurückgehen. Man kann durchaus innerhalb einer geistig-psychologisch aufgefaßten Geschichte bleiben, wenn man den radikalen Unterschied der griechischen Seelenverfassung von der unsrigen verstehen will; aber wenn man weiter zurückgehen will, etwa hinter das 8. vorchristliche Jahrhundert, und sich vergegenwärtigen will, wie da die Seelenverfassung der Menschen war, dann kann uns die äußerliche Geschichte nichts mehr sagen. Wir haben ja äußerlich dann nur noch spärliche Dokumente, und die Dokumente, die wir haben, werden nicht in der richtigen Weise gewürdigt. Eigentlich haben wir schon auch äußerlich gewisse Dokumente, und richtig gesehen, sind sogar die Ilias und die Odyssee solche Dokumente, aber man sieht sie gewöhnlich nicht von diesem Gesichtspunkte an. Geht man noch weiter zurück, dann kommt man darauf, daß eine Anschauung Bedeutung für einen gewinnt, die verschiedene Leute gehabt haben, die ganz besonders kräftig Herder> wie in einer bedeutsamen Ahnung, geäußert, aber durchaus nicht irgendwie wissenschaftlich durchgeführt hat. Es ist die Anschauung, daß jener Zeit, in der die Kulturmenschheit im Worte lebte, eine andere voranging, in der sie im Bilde lebte. Aber wie lebt man mit der Sprache zum Beispiel und mit dem innerlichen Seelenleben, das sich in der Sprache offenbart, im Bilde? Dann lebt man im Bilde, wenn es einem nicht mehr so stark auf den Inhalt des Lautes ankommt, auf dasjenige, womit gewissermaßen der Laut tingiert ist, sondern wenn es einem ankommt auf den Rhythmus des Lautes, wenn es einem ankommt auf das, was ich nennen möchte die Gestaltung des Lautes, auf das, was wir heute eigentlich wie ein selbständiges Element empfinden gegenüber der Sprache, auf das Poetische der

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Sprache. Heute muß der Dichter die Sprache erst künstlerisch gestalten, wenn Kunst, wenn Dichtung entstehen soll. Aber wir blicken zurück auf eine Zeit, wo es der Menschennatur elementar selbstverständlich war, die Sprache poetisch zu gestalten, wo gewissermaßen Sprache und Theorieentwickeln noch nicht so getrennt waren wie später, wo die Menschen noch etwas darin sahen, folgen zu lassen eine kurze Silbe einer langen, zwei kurze Silben einer langen, wo sie etwas darin sahen, Reihen von kurzen Silben hintereinander zu sagen. In dieser Gestaltung der Sprache offenbarte sich für sie etwas von den Weltengeheimnissen, was sich nicht offenbart, wenn wir das Tingierte, das Inhaltliche des Lautes nehmen.

Einzelne Menschen fühlen heute, wie die Sprache von einem solchen Zustande ausgegangen ist, und man sollte darauf hinschauen, wie solche Menschen aus der Fülle dessen, was heute verwirrend aus unserer Wissenschaftlichkeit an den Menschen herantritt, so etwas herausempfunden haben, wie ich es jetzt versuche, geisteswissenschaftlich anschaulich zu machen. ßenedetto Croce hat in einer außerordentlich liebenswürdigen Weise hingewiesen auf dieses einstmalige poetische, künstlerische Element der Sprache, das sich beim Menschen in einer vorhistorischen Zeit ausbildete oder wenigstens in einer annähernd vorhistorischen Zeit, bevor die Sprache ihren Prosacharakter angenommen hat. So daß wir gewissermaßen drei Epochen vor unserer Seele hätten: die Epoche, die etwa im 15.Jahrhundert beginnt, die ich den Galileismus nennen möchte, die innerlich intellektuell lebt, äußerlich die Welt nach Maß, Zahl und Gewicht anschaut. Und eine frühere Epoche, nach der sich Goethe gesehnt hat, nach der er sein ganzes nachitalienisches Leben innerlich seelisch eingerichtet hat, wo der Mensch lebte im ungetrennten Einessein von Wort und Begriff, wo er nicht einen Intellektualismus, sondern ein beseeltes Innenleben entwickelte, und wo er äußerlich dasjenige beobachtete, was Lebendiges ist, was sich verwandelt, was in der Metamorphose lebt. Und nun blicken wir zurück auf eine dritte Epoche, wo die menschliche Seelenverfassung in etwas Ubersprachlichem lebte, in etwas, was bildhaft die Laute gestaltete. Das aber, was so noch hinter dem Laute mit der Seele wie durch einen beseelten Instinkt lebt, das nimmt auch im Außeren etwas anderes wahr. Wie

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gesagt, Historisches weist uns durchaus nicht darauf hin; der Historiker kann das nur ahnen. Anthroposophische Geisteswissenschaft kann das durchaus durchschauen. Es ist das, was das imaginative Element der Sprache ist, das instinktiv Imaginative, was dem Worteerleben vorangeht. Und durch dieses imaginative Erleben wird nun tatsächlich ein noch Höheres in der äußeren Natur erlebt, als erlebt werden kann durch das Wort oder durch den Begriff.

Wir wissen ja, daß uns die orientalische Zivilisation auch heute noch, wo sie in einer vollen Dekadenz ist, in ihren dekadenten Erscheinungen hinweist auf frühere Verhältnisse, Verhältnisse, die in einem noch vollen Leben waren, wenn man zum Beispiel die Veden oder die Vedantaphilosophie studiert, was aber wiederum hinweist auf noch ältere vorhistorische Zeiten. Da ist etwas geblieben, was, ich möchte sagen, wie ein Atherisches durchzieht diese ganze orientalische Seelenverfassung, etwas, was der abendländischen Seelenverfassung ziemlich ferne liegt, was, wenn wir es im Worte aussprechen, nicht mehr dasselbe ist. Es ist etwas geblieben, was mit unserem Worte Mitleid, so tief Schopenhauer das auch empfunden haben mag, nur höchst spärlich ausgedrückt werden kann. Dieses Mitleid, diese Liebe in allen Wesen, so wie sie noch heute vorhanden ist im Oriente, weist auf ältere Zeiten hin, wo sie noch intensiver vorhanden gewesen ist, wo sie in der Seele ausdrückte ein Sich-Hineinleben der Seele in dasjenige, was empfindet. Es ist durchaus begründet, wenn man sich sagt: Das orientalische Mitleid drückt ein verflossenes Urphänomen des Seelenlebens aus, das sich bekundet im innerlichen Miterleben desjenigen, was empfindet, was selber innerlich lebt, was nicht nur wie die Pflanze in der Verwandlung lebt, was nicht nur entsteht und vergeht, was das Entstehen und Vergehen in der innerlichen Empfindung miterlebt.

Dieses Miterleben der objektiv lebendigen Empfindung des andern, das ist eigentlich nur möglich, wenn man jenseits von Begriff und jenseits von Laut oder inhaltlichem Worte sich erhebt zu dem, was in der imaginativen Sprachgestaltung lebt. Man lebt nach das äußere Leben der Pflanze, wenn einem das Wort so lebendig ist, wie es dem Griechen lebendig war. Man lebt nach die andere Empfindung, man lebt nach das, was in dem nicht nur Lebendigen, sondern in dem Empfindenden

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liegt, wenn man eine innere Empfänglichkeit hat nicht nur für die Sprache, sondern für die künstlerische Sprachgestaltung.

Daher ist es ein so Großes, wenn einmal mythisch dichtend hin- gewiesen wird auf dieses Urphänomen des Seelenlebens, wenn uns zum Beispiel von Siegfried erzählt wird, daß es einen Moment für ihn gab, wo er die Stimme der Vögel verstand, die es nicht bis zum menschlichen Worte bringen, die es nur bringen bis zu der Gestaltung von Laut- zusammenhängen. Aber was uns wie eine Quelle des inneren Lebens an die Oberfläche plätschert in dem Gesang der Vögel, der Stimme der Vögel, das lebt ja in allem Lebendigen. Das ist es aber gerade in allem Lebendigen, was wir nicht nachleben können, wenn wir bloß dem Worte zuhören, was das Lebendige einsperrt in sein innerliches Seelenkämmerchen. Denn wenn wir dem Worte zuhören, dann hören wir, was der Kopf des andern erlebt. Wenn wir aber das innerlich erfassen, was von Silbe zu Silbe, von Wort zu Wort, von Satz zu Satz in der imaginativen Sprachgestaltung lebt, dann erfassen wir nicht bloß das, was im Kopfe, sondern das, was namentlich im Gemüte des andern Menschen lebt. Wenn wir hören auf das, was uns der Mensch in Worten vorspricht, hören wir, wie fähig er ist; wenn wir aber hören können auf seinen Wortklang, auf seinen Wortrhythmus, auf seine Wortgestaltung, dann hören wir den ganzen Menschen. Und wie wir den ganzen Menschen hören, so gelangen wir - wenn wir uns aufschwingen zu dem Erfassen des begrifflosen, wortlosen Lautgestaltens, das nun auch nicht selber gehört wird, das innerlich erlebt wird - zum Erfassen desjenigen, was die Empfindung objektiv innerlich erlebt. Und indem wir wie- derum uns so hineinfinden in eine ganz andere Seelenverfassung, wo das Lautesprechen nebenherging, wo aber die Seele lebte im Rhythmus, im Takt, in dem melodiösen Thema, wo das ein Lebendiges im Seelenerleben war, da kommen wir in eine Zeitepoche zurück, die jenseits des Griechischen nach dem Altertum zu liegt; da kommen wir zurück in jene Epoche, wo die Menschen aufstiegen vom Erfassen der bloßen Metamorphose im Lebendigen zu dem Erfassen von dem, was in der Tierheit, was in der empfindenden Welt lebt, zu dem unmittelbaren Anschauen dessen, was in der empfindenden Welt lebt.

Wenn wir die zivilisierte Menschheit betrachten, das heißt diejenige

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Menschheit, die für die damalige Zeit so in Betracht kommt, wie die zivilisierten Völker für die Gegenwart in Betracht kommen, wenn wir diese Menschheit vom 8. vorchristlichen Jahrhundert zurück bis etwa in den Anfang des vorchristlichen Jahrtausends anschauen, so haben wir auf dem Grunde der Seelen dieser Völker schon eine solche, im Bildhaften der Seele liegende Seelenverfassung, ein solches Hinneigen, alles als ein Empfindendes aufzufassen.

Unsere beschränkte Wissenschaft redet davon, daß man eben in früheren Zeiten personifiziert hat. Ein ungeheuer Intellektuelles in der Seele vindiziert man da dem, was eigentlich vorgelegen hat, und man vergleicht es dann mit so etwas wie: Na ja, das Kind, wenn es sich an einer Ecke stößt, dann schlägt es auch die Ecke, weil es den Tisch personifiziert als ein Lebendes. - Niemals hat derjenige in eine kindliche Seele hineingesehen, der da glaubt, daß das Kind den Tisch personifiziert, ihn etwa als etwas Lebendiges vorstellt, das es schlägt. Das Kind schaut den Tisch nicht anders als wir, nur trennt es noch nicht das, was der Tisch ist, von dem Lebendigen. Und jene alten Völker personifizierten nicht, sondern erlebten tatsächlich, indem sie die Sprachgestaltung erlebten, nicht nur das Lebendige, sondern das Empfindende.

Nur wenn man sich in dieser Weise klarmacht, wie die Seelen der Menschen sich entwickelt haben, sagen wir - wir wollen zunächst nur dieses vor uns hinstellen - vom 3. vorchristlichen Jahrtausend bis in unsere Zeit, aus der Zeit der übersprachlichen Entwickelung durch die sprachliche Entwickelung in die intellektualistische Zeit hinein, aus der Zeit des Erlebens der objektiven Empfindung durch das Erleben des objektiven Wachsens und Werdens zu dem Empfinden dessen, was in Maß, Gewicht und Zahl lebt, nur dann, wenn wir uns dies vergegenwärtigen, werden wir uns leichter sagen können, daß es heute, wo das Bewußtsein alles ergreift, notwendig ist, um in das Wesen der Dinge einzudringen, auch bewußt uns einzuleben in eine neue Art, die Dinge um uns herum anzuschauen. Wer da glaubt, die menschliche Seelenverfassung habe sich nie geändert, sondern wäre in den Zeiten, die vorzugsweise in Betracht kommen, immer gleich geblieben, der denkt, diese menschliche Seelenverfassung sei etwas Absolutes, und der Mensch

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verliere überhaupt ganz sich selber, wenn er diese Seelenverfassung in eine andere verwandelt. Wer aber sieht, wie es im naturgemäßen Gang der Menschheitsentwickelung liegt, daß die Seelenverfassung Verwandlungen durchmacht, der wird sich leichter aufschwingen können zu dem Begreifen der Notwendigkeit, daß wir uns erst in unserer Seelenverfassung verwandeln müssen, um in einer unserer heutigen Zeit gemäßen Art hineinzudringen in das Wesen der Dinge, in das Wesen des Menschen, in das Wesen des Verhältnisses von Mensch und Welt.

VIERUNDZWANZIGSTER VORTRAG Dornach, 20. August 1921

#G206-1991-SE183 Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist

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VIERUNDZWANZIGSTER VORTRAG

Dornach, 20. August 1921

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Es war gestern mein Bestreben, zu zeigen, wie sich die Seelenverfassung beziehungsweise der Bewußtseinszustand der Menschheit im Laufe geschichtlicher Zeiten und auch vorgeschichtlicher Zeiten geändert hat, und ich wollte dies zeigen aus dem Grunde, damit man leichter den Weg finden könne zur Anerkennung der Notwendigkeit, daß man sich, um wirkliche, wesentliche Erkenntnis zu gewinnen, nun wieder zu einem andern Seelenzustande erheben müsse. Und zwar zu einem Seelenzustande, der abweicht von dem, in den man sich eingewöhnt hat, den man heute im alltäglichen und im wissenschaftlichen Leben pflegt und den man als etwas Absolutes anerkennt, das es gegeben habe, solange es Menschen gibt, und das es geben werde, solange man eine Berechtigung haben wird, von auf der Erde wandelnden Menschen zu sprechen. Wenn man nämlich sieht, wie schon durch den geschichtlichen Verlauf der Menschheitsentwickelung hindurch die Seele eine andere innere Verfassung angenommen hat, dann wird man sich leichter zu einer Verwandlung auch der gegenwärtigen Seelenverfassung bekennen.

Ich möchte nun, damit ich anknüpfen kann an das gestern Gesagte, mit ein paar Worten noch einmal zusammenfassend wiederholen, was sich aus den letzten Betrachtungen ergeben kann. Ich sagte, die Menschheit, insofern sie als die zivilisierte Menschheit betrachtet werden kann, ist zu der gegenwärtigen Seelenverfassung in Wirklichkeit eigentlich erst gekommen vom 15. Jahrhundert ab, und diese Seelenverfassung ist charakterisiert auf der einen Seite innerlich dadurch, daß wir nach einer intellektualistischen Interpretation der Welt streben, daß wir uns des Verstandes bedienen, um das, was wir Welt nennen, zu begreifen.

Dieser intellektualistischen Hinordnung auf die Welt entspricht nun auch ein ganz bestimmtes Gebiet der Welt, das dadurch ergriffen, verstanden werden kann. Es ist die Welt des mineralischen Geschehens und der mineralischen Formen, der Welt, die noch nicht sich erhoben

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hat zum Lebendigen. Man glaubt ja heute vielfach, daß auch innerhalb des rein intellektualistischen Strebens vielleicht einmal das Lebendige ergriffen werden könne; allein das geschieht nur deshalb, weil man nicht die Zusammengehörigkeit des Intellekts im Inneren und des Unlebendigen in der äußeren Welt erkennt. Wenn wir hinter das 15. Jahrhundert zurückgehen und den Zeitraum betreten, der, zurück- gerechnet, etwa vom 15.Jahrhundert bis ins 8. vorchristliche Jahrhundert dauert, dann finden wir eine andere Hinordnung des menschlichen Seelenwesens. Und am charakteristischesten tritt diese Hinordnung uns im griechischen Wesen entgegen.

Da haben wir es nicht mit einer intellektualistischen Seelenverfassung zu tun, da werden Begriffe von den Worten noch nicht im strengen Sinne des Wortes abgesondert. Der Grieche gelangte zu seinem Seelen- leben im wesentlichen dadurch, daß er innerlich nicht so mit einer gewissen Abstraktion die Begriffe sich vergegenwärtigte, wie wir das tun, sondern er hörte gewissermaßen klanghaft, wenn auch nicht äußerlich hörbar, er verspürte innerlich den Klang der Worte. Es tingierte sich dasjenige, was für uns in der Abstraktheit der Begriffe lebt, bei ihm durch den geistig erfaßten Laut, wenn ich das Paradoxon bilden darf: durch den tonlos, rein innerlich erlebten Laut. Ebenso wie wir in abstrakten Begriffen leben, so lebte der Grieche in dem äußerlich tonlosen Klanglaut. Dadurch aber war ihm möglich, lebendig aufzufassen als äußere Welt auch das Lebendige. Und wir sehen daher, daß der Grieche überall da, wo er aus seinen Voraussetzungen sich, sagen wir, Vorstellungen über das Universum, über den Kosmos bilden will, er nicht, wie wir heute, die aus der Geologie, aus der Physik, aus der Chemie hergenommenen Vorstellungen verwendet, sondern daß er verwendet dasjenige, was sich in seiner Seele eingelebt hat durch das Wachsen, Werden, Gedeihen, Entstehen, Vergehen desjenigen, was vegetabilisch lebt.

Wenn wir noch weiter zurückgehen, dann kommen wir allerdings in Zeiten, die wir nicht mehr im strengen Sinne des Wortes zu den historischen rechnen können, dann kommen wir hinter das 8. vorchristliche Jahrhundert, in einen Zeitraum etwa bis zum Beginn des 3. vorchristlichen Jahrtausends. Und wenn wir Umschau halten bei denjenigen

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Völkern, die dazumal als die zivilisierten haben gelten können, so finden wir, daß nicht mehr in den innerlich erlebten Worten das Wesentliche des Seelenlebens gesucht wurde, sondern in der imaginativen Gestaltung des Wortgefüges, des Sprachgefüges. Rhythmus und Thematisches - also das, was Ton an Ton reiht, was in die Tonwelt und auch in die Lautwelt eindringt, so daß wir es nur noch in unserer Seele lebendig machen, wenn wir aufsteigen zur poetischen Gestaltung des Sprachlichen -, das war das eigentliche Lebenselement der, wenn ich das Wort gebrauchen darf, gebildeten Völker dieser Zeit. Und nicht indem sie wie die Griechen durch das Wort irgendein äußerliches Ding oder Geschehen ausdrückten, fanden sie sich befriedigt, sondern indem sie gewissermaßen innerlich nach fühlten das, wovon sie glaubten, daß es überall in der Welt lebt als Rhythmus, als Harmonien.

So war innerlicher Rhythmus, innerliche Harmonie dasjenige, was die Seelenverfassung ausmachte in dem charakterisierten Zeitraume. Und wenn wir fragen, welches Gebiet denn äußerlich durchdrungen werden konnte durch eine solche innerliche Seelenverfassung, so kommen wir darauf, daß es das Gebiet desjenigen Wesenhaften ist, das in sich die Empfindung erleben kann. Also was tierische Welt ist, was empfindende Welt ist, was in der Empfindung des Objektiven lebt, das verlebendigte sich innerlich für die Menschen jener alten Zeit in der Seelenverfassung, von der ich gesprochen habe.

Und kommen wir in noch ältere Zeiten zurück, so werden Sie ahnen können, daß dann in einer gewissen Beziehung vorhanden gewesen sein muß ein Erkennen des Menschen selbst. Wir haben in unserem Zeitalter ein Erkennen der toten Natur; ihr ging voran ein Erkennen der lebendigen Natur. Und wenn wir zurückgehen hinter diese Epoche, dann kommen wir zu jenen Zeiten, von denen eigentlich heute aus gewissen Untergründen heraus nur noch sprechen jene Weltanschauungsdarstellungen, die aus dem mehr oder weniger aufgeklärten Katholizismus hervorgegangen sind. Gerade diejenigen Denkernaturen, welche sich eingelebt haben, selbstverständlich nicht in den Dekadenzzustand des Katholizismus, sondern in das, was in älteren Zeiten katholische Philosophie war, die reden von einer Uroffenbarung der Menschheit. Man muß ja da überhaupt manches im richtigen Lichte sehen, wenn

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man diese Dinge angemessen beurteilen will. Die katholische Kirche ist ja etwas anderes geworden, als sie zum Beispiel war in den Zeiten der katholischen Kirchenväter.

Man braucht nur einmal den Blick auf Origenes zu werfen und man wird finden, wie schon durch Origenes versucht wird, alles, was zu seiner Zeit an philosophischer Vertiefung hat gewonnen werden können, hereinzutragen in das christliche Denken. Und so finden wir denn auch bei den älteren Kirchenvätern durchaus ein Bewußtsein davon, daß es einstmals in der Menschheit eine Uroffenbarung gegeben hat. Und diejenigen katholischen Schriftsteller, die sich noch die besseren Kräfte des Katholizismus erhalten haben, reden auch heute noch von den Uroffenbarungen, die nur später in dem mehr und mehr der Dekadenz entgegengehenden Heidentum verschwinden, so daß sich das Wissen verlor. So daß sich in diesen Uroffenbarungen einer instinktiven Menschheit dasjenige gezeigt hat, was dann später durch das Christentum in seiner entwickelten Gestalt entgegengebracht worden ist.

Es ist interessant, wenn von Schriftstellern wie zum Beispiel Otto willmann über die Uroffenbarung gesprochen wird, wenn da zurückgegangen wird bis zu den Mysterien und hinter die Mysterien und auf eine solche Uroffenbarung verwiesen wird, durch welche die Menschen eben in jenen Zeiten im 3. und hinter dem 3.Jahrtausend der vorchristlichen Zeitrechnung inspiriert wurden, wenn da eine solche Uroffenbarung gesucht wird. Es ist nicht nötig, daß wir uns auf eine genauere Beschreibung dessen einlassen, was da von der Uroffenbarung gesagt wird. Aber wir wollen in einem geisteswissenschaftlichen Sinne charakterisieren, was man finden kann, wenn man in diese vorhistorischen Zeiten der Menschheitszivilisation zurückgeht, da wo durch eine, ich will sie zunächst nennen instinktive Seelenverfassung, erkundet werden kann jetzt nicht nur das Empfindende, sondern das Menschliche selber, dasjenige also, was über dem Tierischen im Menschen lebt, das eigentliche, das spezifisch Menschliche. Ja, es hat eine solche Zeit gegeben, wo die entsprechende Erkenntnis zwar instinktiv war, gar nicht einmal etwas war, was man heute als Erkenntnis gelten lassen würde, wo sie eine Art unmittelbaren Erlebens, dumpf traumhaften Erlebens

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war, aber eines Erlebens, das durchaus in sich enthielt etwas von dem Wesen des Menschen, so daß man wie durch ein innerliches Hinein- leben in dieses Menschenwesen sich vergegenständlichen konnte, was der Mensch eigentlich ist. Geschichtlich kann ja diese Epoche nicht betrachtet werden, obwohl durchaus geschichtliche Überreste aus ihr geblieben sind. Wie man auf diese geschichtlichen Überreste hinzusehen hat, das wird Ihnen hervorgehen aus dem, was ich nun als Charakteristik dieser Epoche selber geben möchte.

Wenn wir sprechen von jener Seelenverfassung, die wir jetzt als die in der Menschheit maßgebende haben, die intellektualistische, so sprechen wir von etwas, was für die gewöhnliche Erfahrung, für das gewöhnliche Erleben im Seelischen liegt, so wie wir das Seelische mehr oder weniger klar oder mehr oder weniger trivial heute bezeichnen. Auch wenn wir es in jener Zeitepoche betrachten, für die typisch das griechische Anschauen ist, sprechen wir von einem innerlichen Erleben des Wortes, also wiederum von etwas, was innerhalb des Seelischen ist. Und auch wenn wir zurückgehen in das 9., 10. vorchristliche Jahrhundert, in das 2.Jahrtausend, in die Endzeiten des 3.Jahrtausends, so sprechen wir, indem wir hinschauen auf den Rhythmus, auf die thematischen Vorgänge und Erlebnisse des seelischen Daseins, von etwas, was sich in der Seele abspielt, obwohl zugestanden werden muß von dem, der diese Dinge aus eigener Anschauung genau kennt, daß in dem Augenblicke, wo das seelische Erleben aus dem Wort heraustritt und hineintritt in dieses rhythmische Erleben, in dieses Erleben von Harmonien und, ich möchte sagen, musikalisch-imaginativen Themen, dann schon immer mit demjenigen, was seelisch erlebt wird, leise mitschwingt das Körperliche. So wie empfunden werden kann, daß jedesmal, wenn der Mensch einen lebhaften Traum hat, in seinem Körperlichen etwas vorgeht, das zu der Konstitution des Träumens führt, so wußte der Mensch des charakterisierten Zeitraumes, daß, wenn er in sich lebendig machte Harmonisches, Rhythmisches, Thematisches, das für ihn so war, wie wenn es ihm die Weltengeheimnisse enthüllte oder offenbarte, da sich leise etwas von dem Körperlichen mitbewegte. Wenn wir sprechen von unserem abstrakten, intellektualistischen Auffassen der Welt, haben wir in unserem Bewußtsein nichts von einem

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körperlichen Mitschwingen. Theorien können wir ersinnen darüber, was etwa geschehen könnte im menschlichen Nervensystem, wenn sich das logisch~intellektualistische Denken abspielt. Aber solche Theorien sind eben auch nur gedacht, sie sind nichts Lebendiges, nichts, was erlebt wird.

In ebensolcher Weise müssen wir noch von der griechischen Seele sprechen, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie das Wort in dieser Seele lebte. Aber wie gesagt, wir kommen schon aus dem rein Seelischen heraus zu einem leisen Mittun des Leiblichen, wenn wir bis zu dem vorangehenden Zeitraum aufsteigen. Und noch mehr kommen wir aus dem, was wir heute das Seelische nennen, in das Leibliche hinein, wenn wir zu dem alten instinktiven Erkennen aufsteigen, das in den früheren Jahrhunderten des 3. vorchristlichen Jahrtausends und noch früher vorhanden war. Da war ein unmittelbar seelisches Erleben durchaus mit dem Charakter eines leiblichen Erlebens vorhanden. Da erlebte man in jenen älteren Zeiten eigentlich einen Vorgang, den wir heute durchaus als leiblich bezeichnen - ich will jetzt nicht auseinandersetzen, ob mit völligem Rechte oder mit teilweisem Unrechte -, einen körperlich bezeichneten Vorgang da, wo später Seelisches, wie wir es nennen, erlebt worden ist.

Ich bemerke ausdrücklich, daß wenn man in solche, von den unseren so verschiedenen Erlebnisse der Menschheit kommt, man es auch schwer hat mit dem Gebrauch der Worte. Die Dinge selbst werden ja anders, werden sehr unähnlich dem, was man heute in der Erfahrung hat. Unsere Sprachen sind für unsere heutigen Erfahrungen gebildet, und man muß versuchen, die Sprachen so zu benützen, daß man zurückkommen kann in etwas, was ja heute nicht mehr unmittelbar gegenwärtige Erfahrung ist, was daher nur schwach noch anzutasten ist mit den Wortgebräuchen, die wir heute haben. Daher muß ich sagen, was wir heute als Seelisches bezeichnen, das lebte nicht eigentlich in der inneren Seelenverfassung dieser alten Menschen. Es lebte eigentlich etwas in ihnen, was wir heute als leiblich, sogar als körperlich unmittelbar bezeichnen, wie heute das Denken oder das innerliche Hören des Wortes im Menschen ist. So erlebte dieser alte Mensch Einatmen, Atemhalten, Ausatmen nicht so wie wir, die wir hinausgewachsen sind aus

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dem Miterleben mit dem Atmungsprozesse. Er erlebte dieses Atmen so mit, wie wir es nur noch in abnormen Zuständen erleben, wenn wir etwa Angstzustände durchmachen im Traume und dann aufwachen und merken, daß unser Atem gestört ist. Da merken wir im Pathologischen etwas von diesem Zusammenwirken des Atmungsprozesses mit dem Auftreten von Bildern vor dem Bewußtsein. Aus den Bildern, die vor dem Bewußtsein auftreten, wenn der normale Atmungsprozeß abläuft, sind wir herausgewachsen, weil wir heraufgewachsen sind zum Wahrnehmen des Rhythmischen in der Sprache, des Harmonischen in der Sprache, des Thematischen in der Sprache, zu der innerlichen Tingierung des Wortes, weil wir ganz heraufgewachsen sind in unserer Zeit zu dem abstrakten Vorstellen, zu dem intellektualistischen Vorstellen über die Welt.

Aber es ging eben diesen drei Zeiträumen der andere voran, wo der Mensch noch, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, unten in dem lebte, was wir heute seine Leiblichkeit nennen, in dem lebte mit seinem Erkenntnisprozeß, was Einatmen, Atemhalten, Ausatmen war. Und was erlebte der Mensch mit dem Einatmen? Das kann heute nur die imaginative Erkenntnis lehren, von der ich in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» und in meiner «Geheimwissenschaft im Umriß» gesprochen habe. Denn was in jener alten Epoche erlebt worden ist beim Einatmen, das war im wesentlichen eine Imagination; die Imagination des Menschen selber, die Imagination des Menschen als Gestalt wurde erlebt im Einatmen. Der Mensch fühlte das im Einatmen - natürlich mußte er die Aufmerksamkeit darauf richten, im Alltäglichen richtete er nicht immer die Aufmerksamkeit darauf -, aber er konnte gewissermaßen das alltägliche Seelenleben anhalten und dann konnte er das erleben. Er erlebte es insbesondere in Augenblicken,wo das alltägliche Bewußtsein etwas herabgestimmt war. Das war dazu notwendig. Wir würden heute sagen, in Zuständen, die sich dem Einschlafen oder Aufwachen nähern, da erlebte er mit dem Einziehen des Atmungsprozesses die Gestalt des Menschen; mit dem Anhalten des Atmens erlebte er das Zusammengehen dieser Gestalt mit dem inneren Seelenhaften. Er hatte gewissermaßen die Möglichkeit vor sich, im Einatmen zu erleben die menschliche Gestalt, in dem Atemhalten

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zu erleben das Nebelhaftwerden dieser Gestalt und das Verbinden dieses aurisch Nebelhaftwerdens der Gestalt mit dem Seelischen. Dann, im Ausatmen, erlebte er das Sich-Hingeben des Seelischen an die Außenwelt, den Zusammenklang des Menschen mit der Außenwelt.

Ich sagte ausdrücklich, daß der Mensch dieses in besonderen Augenblicken erleben konnte. Er konnte gewissermaßen seine Aufmerksamkeit richten auf den Atmungsprozeß und nahm solches dann wahr. Er erlangte also wirklich eine instinktive Erkenntnis - wenn man das Erkenntnis nennen will - durch die Beobachtung seines Atmungsprozesses, insbesondere dann, wenn er diesen Atmungsprozeß noch etwas innerlich lenkte, was sich ihm durch Üben ergab, er erlangte Erkenntnis des menschlichen Wesens. Es war also gewissermaßen ein Hinuntersteigen in die Leiblichkeit, durch die das menschliche Wesen zur Erkenntnis gebracht werden konnte.

Natürlich darf man sich nicht vorstellen, daß in jenen alten Zeiten der Mensch den ganzen Tag vom Morgen bis zum Abend nur sich selber erkannte. Ich sagte deshalb: wenn er die Aufmerksamkeit darauf richtete. Aber diese Aufmerksamkeit war eben leicht herauszuholen aus der Gesamtkonstitution des Menschen.

Nun, ich sagte, das geht allerdings in weit zurückliegende Zeiten zurück; aber historisch hat sich aus jenen Zeiten dasjenige erhalten, was in gewissen Schulen Indiens die Erkenntnismethode ist, die Atmungsmethode, das Jogaatmen, das sich durchaus dadurch auf eine spätere Zeit übertragen hat, daß es in einer früheren Zeit elementar und natürlich war. Für eine spätere Zeit waren gewisse Vorbereitungen, gewisse Handhabungen des Atmungsprozesses notwendig. In einer früheren Zeit ergaben sich diese Handhabungen wie etwas, was der Mensch eben lernte im Laufe seines Lebens, so wie man heute sprechen lernt.

Was man das Jogaatmen nennt, das ist eine Erbschaft aus einer früheren Zeit, in der eben die ganze Seelenkonstitution anders war als später, und in der der Mensch durch diese andere Seelenkonstitution in einer instinktiven Art der Welt gegenüberstand. Denn natürlich war es sehr instinktiv, wenn man im Atmen, nicht im Denken und innerlichen Sprechen, sondern im Atmen dasjenige erfaßte, was das Wesen, das Geheimnis der Dinge ist. Wo wir heute denkerisch nachgrübeln,

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um einzelne Tatsachen zu Gesamtphänomenen zusammenzustellen und um Naturgesetze zu finden durch den rechnenden Verstand und so weiter, da atmete man dasjenige ein, was als das Wesen des Menschen selber als instinktive Erkenntnis innerhalb der menschlichen Natur auftreten sollte.

Es ist von großer Bedeutung, sich bekanntzumachen damit, daß nicht jedes jeder menschlichen Epoche in der gleichen Weise entspricht. Wie sich die Seelenkonstitution der Menschen geändert hat, so hat sich auch geändert, wenn auch im feineren, die leibliche Konstitution. Und man muß schon sagen, diejenigen, die heute glauben, etwa durch einen Atmungsprozeß wieder erwecken zu können das Eindringen in die Geheimnisse der Welt, so wie ein solcher Atmungsprozeß in alten Zeiten vollzogen wurde und wie er sich bei Naturen erhalten hat, die eben doch anders konstituiert sind als die modernen europäischen Naturen, die sind auf einem falschen Wege. Es ist eben durchaus notwendig, daß man außer dem Verfolgen der äußeren Entwickelungsgeschichte der Menschheit, das ja insbesondere zu einer Angelegenheit des 19. Jahrhunderts geworden ist, sich nun eingewöhnt in ein innerliches Verfolgen desjenigen, was sich als Entwickelung des Seelischen parallel mit dieser äußerlichen physischen Entwickelung vollzogen hat. Man wird viel mehr gerecht der Darstellung der äußerlich-physischen Entwickelung, wenn man auf der andern Seite hinschauen kann auf die geistig- seelische Entwickelung.

Sie werden erfühlen können, wie derjenige, dem nun völlig gegenständlich sind diese vier Arten der menschlichen Seelenverfassung, die Seele in einer besonderen Weise anschaut. Wir haben zuerst eine Seelenverfassung, die eigentlich kaum mehr eine Seelenverfassung, sondern eine Leibesverfassung ist, die im Atmungsprozesse lebt, dann diejenige, die im rhythmisch-harmonischen, im imaginativ-thematischen Prozesse lebt, dann diejenige des lautlosen Erlebens des Wortes, und zuletzt diejenige, die im intellektualistischen Prozesse lebt; und wenn man das alles gegenständlich hat, dann sieht man eben hin auf die Seele so, daß man ihr zuschreiben muß die verschiedensten Möglichkeiten, sich zur Welt zu stellen. Und das ist der Gegenwart notwendig, zu wissen, daß es solche verschiedene Möglichkeiten, sagen wir, solche verschiedene

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Bewußtseinsarten gibt, und daß für jeden Bewußtseinszustand andere Stufen des kosmischen Lebens und kosmischen Daseins zum Vorschein kommen.

Man glaubt heute vielfach, es gebe nur den einen Bewußtseinszustand, den man sich dann zu schildern bemüht wie etwas, was absolut nur allein genommen werden könne. Aber indem man sich beschränken will auf diesen einen Bewußtseinszustand, beschränkt man sich zu gleicher Zeit auf eine einzige Stufe des kosmischen Daseins und des kosmischen Erlebens. Und wir dürfen ja wirklich sagen von dem heutigen Bewußtseinszustand, daß er der Erkenntnis des eigentlichen Menschenwesens fern steht. Er klammert sich daran, aus Physiologie, aus Biologie heraus ein Menschenwesen zu konstruieren. Denn was wir heute Psychologie nennen, das ist ja im Grunde genommen eine Zusammenfassung von abgebrauchten Worten für etwas, wofür keine wirklichen Seeleninhalte mehr vorhanden sind.

Die Menschheit muß erst wiederum aufrücken dazu, das Lebendige neben dem Toten, das Empfindende neben dem Lebendigen, das Menschliche neben dem bloß empfindenden Erkennen zu erfassen. Wie gesagt, ich habe diese Ausführungen gemacht, um eine Vorstellung zu erleichtern, die hinführt zu dem, was heute notwendig ist, wenn wir uns wieder einer Erkenntnis des Menschlichen nähern wollen, wenn wir das Menschliche wiederum kennenlernen wollen. Denn dieses Menschliche enthüllt sich nicht dem Bewußtseinszustande, der vorzugsweise für das Tote, für das Mineralische eingerichtet ist.

Wir sprechen vom Ich, wir meinen, vom Ich sprechen zu können. Daß wir ein Wort haben für dieses Ich, das ist ja kein Beweis, daß wir bei diesem Worte auch einen Seeleninhalt haben. Es gibt heute Philosophen, die fassen das Ich überhaupt nur als eine Zusammenfassung desjenigen auf, was als Vorstellung, als Gefühl erlebt wird. Gewissermaßen nur dasjenige, was von einer Vorstellung zu der andern, von einer Empfindung zu der andern, von der Empfindung zur Vorstellung hin als Verbindungsstriche gezogen wird, was also selber ganz abstrakt ist, das wird oftmals heute als das Ich aufgefaßt. Aber man kann sagen, in gewissem Sinne hat sogar diese Auffassung eine eingeschränkte Berechtigung. Denn was in der Seele erlebt wird, wenn man von solchem

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Bewußtsein des Ich spricht, das ist im Grunde genommen gar nicht einmal ein Inhalt.

Sehen Sie, wir können eine weiße Fläche haben, können sprechen Ta: von Weiß - ich habe das Bild schon öfter gebraucht -, wir sehen das Weiß, aber wir sehen hier in der Mitte auch das Schwarz. Da ist kein Weiß, da fehlt das Weiß, und doch sehen wir durch das Weiß das Schwarze (es wird gezeichnet).

Wer wirklich das Seelenleben analysieren kann, der kann einsehen, daß wir heute in der Seele etwas erleben, was sich vergleichen läßt mit diesem Weiß. Wir erleben Schmerz und Lust, wir erleben diese und jene Empfindung, Liebe, Haß und so weiter. Wir erleben Vorstellungen, obwohl die schon für das gewöhnliche Bewußtsein etwas recht Graues sind, wenn sie rückerlebt werden wollen in der Reflexion; aber wir erleben mit diesem Bewußtsein das Ich so, wie hier das Schwarze im Weißen. Da, wo wir nichts erleben, wo wir gewissermaßen ein Loch erleben in unserem Bewußtsein, da setzen wir das Ich hin für das gewöhnliche Bewußtsein. Kein Wunder, daß wir vom Ich sprechen; wir sprechen auch hier vom schwarzen Loch. In dem, was der Mensch vom Aufwachen bis zum Einschlafen erlebt, ist das Ich nicht enthalten. Die Frage kann sich uns vor die Seele stellen: Wie kommen wir denn überhaupt zu einer Möglichkeit, für das Ich Vorstellungen zu gewinnen? - Ja, da wird derjenige, der nun ernsthaft nach Erkenntnis frägt, auf etwas anderes geführt. Er findet überall in dem, was uns umgibt in der Welt, keinen Anhaltspunkt, für das Ich Vorstellungen zu gewinnen. In der Regel ist ja das, was uns umgibt, das eine Mal draußen, das andere Mal drinnen in der Seele. Es ist ja im Grunde genommen dasselbe. Und wenn wir innerlich für das Ich nur ein Loch finden, so können wir auch unter den gewöhnlichen Verhältnissen nicht äußerlich einen Anhaltspunkt finden, wohin wir unser Ich gewissermaßen stellen können.

Wer ernsthaft nach Erkenntnis strebt, findet in dem Geschehen der Welt eine Möglichkeit, an das Ich heranzukommen, nur bei einer Erscheinung: das ist die des Todes. Gerade dann, wenn mit dem Tode das Menschenwesen aufhört, wenn gewissermaßen der menschliche Leib den äußeren Kräften übergeben wird, denen er entzogen war von der

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Geburt oder von der Empfängnis bis zum Tode, dann, wenn wir nun in der Lage sind, uns nunmehr noch eine Vorstellung vom Menschen zu bilden, jetzt, wo wir keine Möglichkeit mehr haben, vom Leibe aus auf den Menschen zu schließen, dann beginnt für uns erst die Möglichkeit, an das Ich heranzutreten. Wir müssen bei derjenigen Erscheinung beginnen, die gewissermaßen am unerklärlichsten ist unter den äußeren Erscheinungen, am unerklärlichsten deshalb, weil sie mit dem gewöhnlichen Bewußtsein nicht mehr zu erfassen, am wenigsten hereinzubringen ist in das Bewußtsein.

Aber wenn wir uns entschließen können, den Tod so zu betrachten, wenn wir mit der Erscheinung des Todes es ähnlich machen, wie ich es beschrieben habe für das Ringen mit Begriffen überhaupt, wo das bloße abstrakte Erkennen zu einem innerlichen Erleben wird, wenn wir so an die Erscheinung des Todes herantreten, dann lernen wir allmählich durchschauen, daß der Tod, wenn er uns entgegentritt beim Aufhören des Lebens, eigentlich nur etwas ist wie eine Summe, wie ein Integral, möchte ich sagen, von einzelnen Vorgängen, die sich von der Geburt an im Menschen immer vollziehen. Wir sterben im Grunde genommen immer, aber wir sterben sozusagen in ganz kleinen Portionen. Wenn wir unser Leben auf der Erde beginnen, beginnen wir auch zu sterben. Aber immer wieder und wiederum überwindet dasjenige, was uns als Vitalität durch die Geburt übergeben wird, den Tod. Der Tod will immer in uns wirken. Er bringt es immer nur zu einer ganz kleinen Portion seines Wirkens und wird dann überwunden. Aber das, was uns wie anschaulich in dem einen Momente summarisch zusammengedrängt scheint im Tode, das geht wie Differentiale immerfort im Leben vor sich, das ist ein kontinuierlicher, fortdauernder Prozeß.

Wenn wir also dem nachgehen, dann sehen wir, wie im menschlichen inneren organischen Wirken nicht bloß Aufbauprozesse vorhanden sind. Wären bloß Aufbauprozesse vorhanden, wir würden niemals ein denkendes Bewußtsein erreichen können, denn das, was bloß lebt, was bloß vital ist, das nimmt uns das Bewußtsein, das macht uns bewußtlos. Die Todesprozesse in uns, die Sterbeprozesse, die Vernichtungsprozesse des Vitalen, die sich immer differential in uns vollziehen, die sind es, die uns das Bewußtsein bringen, die uns zum denkenden,

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besonnenen Wesen machen. Wir würden immer in eine Art Unbesonnenheit, in eine Art Bewußtlosigkeit kommen, wenn wir nur leben würden. Wenn es wahr wäre, daß in der Pflanze das Leben auf einer gewissen Stufe ist, im Tiere auf einer höheren Stufe, im Menschen auf einer noch höheren Stufe, wenn es sich also nur immer handeln würde um eine Erhöhung, um eine Potenzierung des Lebens, wir würden niemals denkerisches Bewußtsein entwickein.

Wir haben in der Pflanze das Leben. Aber indem das Leben bis zum Tier heraufgeht, dämpft es sich im Tier auch schon ab. Im Menschen aber existiert ein fortwährender Sterbeprozeß. Dieser fortwährende Sterbeprozeß, der das Leben nicht nur dämpft, sondern es untergräbt - es wird nur wiederum aufgebaut -, das ist der organische Prozeß, der dem bewußten Denken zugrunde liegt. In dem Maße, in dem wir den kontinuierlichen Sterbeprozeß in uns haben, in dem Maße haben wir ja die Möglichkeit, im physischen Leben zu denken.

Wenn man aber das beobachten lernt, daß es den Aufbauprozeß gibt (siehe Zeichnung, rot), den vitalen Aufbauprozeß des Vegetabilischen, der auch in uns wirkt, und wenn man dann zu beobachten versteht, wie durch das Tierische dieser Aufbauprozeß herabgedämpft wird (grün), wie aber ein fortwährender Herausfall stattfindet (schwarz), ein innerer Zerfall, und wenn man sich dann endlich dazu

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aufschwingt, eine Erkenntnis zu haben dieses inneren Zerfalls, dann hat man auch dasjenige, was sich nun immer aufrechterhält gegenüber diesem Zerfall. Man hat den Sterbeprozeß, man hat aber auch einen immerwährenden Kämpfer gegen den Sterbeprozeß; man hat den Prozeß, der das Leben des Ich darstellt.

Da lebt das Ich. Indem man in höherer Erkenntnis, in höherer Anschauung sieht, wie durch den nervösen Prozeß des Menschen ein fortwährendes Ablagern stattfindet, gewissermaßen ein inneres Sediment sich bildet, schaut man auch, wie sich fortwährend herausringt aus dieser Sedimentbildung, aus dieser inneren Sedimentbildung das Ich. Nicht früher kann man eine Anschauung des wahren Ich gewinnen, ehe man nicht diese innere Sedimentbildung zu beobachten vermag. Das Ich lebt natürlich im Menschen, aber der Mensch nimmt dieses Ich dadurch wahr, daß er den Sterbeprozeß erlebt, den Prozeß des innerlichen Zersetzens. Und derjenige, der nun erfaßt hat, wie das Ich ein fortwährender Kämpfer gegen diesen Sterbeprozeß ist, der hat erfaßt, wie das Ich etwas ist, was als solches mit dem Tode gar nichts zu tun hat; der hat anschaulich erfaßt, was man sonst dialektisch oder logisch als die Unsterblichkeit bezeichnet.

Aber dies ist der Weg, die Unsterblichkeit zu schauen, denn man gelangt dadurch zu Entitäten, welche einer andern Daseinsordnung angehören als dasjenige, was da als Sediment herausfällt. Man gelangt in eine Region, wo Tod keine Bedeutung hat, wo Tod die Möglichkeit verliert, als irdische Empfindung gebildet zu werden. So kommen wir an das Ich heran, wenn wir den Tod studieren. Ich habe das zunächst nur angedeutet, denn dieses Studium des Todes ist ein sehr ausführliches, und denen, welche einen gewissen Wert darauf legen, kann auch gesagt werden, daß das Verfolgen dieses fortwährenden Sedimentierens, dieses Sedimentbildens, in der Anschauung sich so ausnimmt, als ob ein fortwährendes inneres Aufflackern von Finsternisfunken da wäre - also im Gegensatz zu Lichtfunken: Finsternisfunken - in einer gleichmäßigen Leuchteaura.

Aber wir müssen noch andere Begriffe uns bilden, wenn wir an das herantreten wollen, was uns wiederum zu einer Art Erkenntnis des Menschen führen kann. Ich muß von etwas anderem ausgehen, wenn

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ich diesen andern Begriff bilden will. Ich mußte Sie auf den Tod verweisen und seine Überwindung, da es sich darum handelte, an das Ich heranzukommen. Ich möchte Sie nun auf folgendes verweisen: Betrachten Sie das Leben des Pflanzlichen, aber zunächst des eigentlich Pflanzlichen. Das ist das einjährig Pflanzliche, denn in der mehrjährigen Pflanze und im Baum tritt uns schon eine Komplikation entgegen, die eine eigene Betrachtung notwendig machen würde. In der einjährigen Pflanze finden Sie das Aufgehen des Wachstums vom Keim, das Schießen in die Blätter, das Heraufkommen des Wachsens bis zur Blüte, bis zur Befruchtung, das Entwickeln der Frucht, die den Keim enthält für die folgende Pflanze. Wir sehen gewissermaßen das Ergebnis der Frucht, das sich wiederum bis zur Pflanze hin entwickelt.

Sie werden leicht sich die Vorstellung bilden können, daß die Pflanze, indem sie sich aus jenen Vorstadien heranentwickelt, wo das Blatt entsteht, bis zur Befruchtung, in sich Kräfte entfaltet, die ihre Kulmination erreichen eben im Momente der Befruchtung. Dann aber beginnt der absteigende Weg, dann zerfällt die Pflanze wiederum. Und indem Sie diesen Kreislauf des Pflanzlichen betrachten, werden Sie das eigentliche Wesen der Pflanze sehen. Wie gesagt, die mehrjährige Pflanze und solche Pflanzen, die einen Stamm zurücklassen wie der Baum, die sollen uns jetzt nicht beschäftigen. Es würde dasjenige, was ich bei der einjährigen Pflanze sagte, die "bei der einmaligen Befruchtung ihrem Ende entgegengeht, nur komplizierter sein; aber das eigentliche Wesen erfassen wir an dem Wesen derjenigen Pflanze, die in der Befruchtung zugleich ihrem Ende entgegengeht. Richtig betrachtet liegt das Pflanzliche gerade in dem Leben, das in der Befruchtung kulminiert und, indem es in der Befruchtung kulminiert, nach der andern Seite absteigt. Darinnen liegt das Pflanzliche. Suchen wir das Wesen der Pflanze, so müssen wir ähnlich suchen, wie wir beim Menschen sein Ich-Wesen suchen müssen in dem kontinuierlichen Sterben. Wir sagen beim Menschen, der Tod, mit dem er zunächst sein physisches Wesen endet, der ist eigentlich als Kraft immer in ihm. Wenn er geboren wird, fängt er an zu sterben, fängt er an, ich möchte sagen, Differentiale des Sterbens zu entwickeln, er stirbt fortwährend. Es ist der Sterbeprozeß in ihm.Bei der Pflanze ist dasjenige fortwährend da,was zuletzt

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kulminiert. So wie wir im Tode kulminieren, so kulminiert sie in der Befruchtung. Wie wir unser inneres Wesen, unser Ich im Tode gerade erfassen, so erfaßt man das Wesen der Pflanze in der Befruchtung. Die Pflanze lebt in der Befruchtung auf; was sich im Blatt entwickelt, ist nur eine Metamorphose, ist nur eine Vorstufe der Befruchtung.

Wenn Sie zum Tiere heraufkommen, so ist die Sache so: das Tier wird befruchtet, aber es bedeutet zunächst die Befruchtung nicht das Hinwelken, sondern es kann wieder befruchtet werden. Wir kommen natürlich da immer zu Grenzfragen, aber wir wollen das Lebendige und Empfindende in gewissen charakteristischen Hauptpunkten erfassen. Geradeso wie das Pflanzenwesen, das eigentliche Pflanzen- wesen mit der Befruchtung seine Kulmination hat - es kann natürlich jeder bezweifeln, daß dies das eigentliche Pflanzenwesen ist, aber wir erfassen eben das Pflanzenwesen da, wo es sich äußert -, so hat das Tier ja seine Kulmination nicht mit der Befruchtung, sondern es überwindet die Befruchtung. Dasjenige, was das höhere Tier ist, trägt noch etwas anderes in sich. Würde es nur das, was in der Befruchtung lebt, in sich tragen, so würde es dasselbe durchmachen müssen wie die charakteristische Pflanze: es müßte absterben. Aber es trägt etwas heraus über die Befruchtung. Und wenn wir zum Menschen heraufkommen, so überwindet er nicht nur das, was das Tier überwindet, sondern er überwindet den Tod selber.

Diese Dinge, von denen ich jetzt gesprochen habe, sollen nur nicht dogmatisch genommen werden; sie sollen auch nicht so genommen werden, daß man aus ihnen Definitionen formuliert, denn dann kommt man gleich auf den Holzweg, sondern sie sollen so genommen werden, daß man in ihnen sich Begriffe erringt. Wer nun wiederum sagt: Eine Pflanze ist das, was in der Befruchtung zugrunde geht, ein Tier ist das, was über die Befruchtung hinaus sich etwas behält -, der formt Definitionen, statt sich Begriffe zu erringen. Man kann nur zu einer Erkenntnis kommen, wenn man sich für gewisse Stufen des Lebens und Daseins Begriffe erringt. Und so wie man sich den Ich-Begriff durch das Heranbringen des Ich an den Tod erringen muß, so muß man den Begriff des Tieres erringen, indem man beobachtet, wie die Befruchtung überwunden wird in etwas, was über die Befruchtung hinaus in dem Tiere

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lebt. Man muß die Pflanze betrachten, indem man die Befruchtung beziehungsweise das, was in der Befruchtung vor sich geht, als einen kontinuierlichen Vorgang betrachtet.

Dann aber, wenn man sich zu solchen Begriffen aufgeschwungen hat, dann werden diese Begriffe selber zu etwas Lebendigem im Seelenleben. Und diese Begriffe, einmal gefaßt, befruchten selbst das Seelenleben. So daß wir in die Lage kommen, nun nicht nur das Ich des Menschen zu erfassen, sondern dadurch, daß wir uns das aneignen, was beim Tiere bleibend ist über die Befruchtung hinaus, gelangen wir allmählich heran zu einem Begriff von dem astralischen Leib des Menschen. Und wenn wir uns dasjenige aneignen, was in der Befruchtung fortwährend kontinuierlich lebt, gelangen wir auch zu einem Begriff von dem ätherischen Leib des Menschen. Erfassen wir das eigentliche Ich als das, was sich dieser Sedimentbildung entringt, dann müssen wir den astralischen Leib in einer andern Weise fassen. Wir müssen diesen astralischen Leib in der folgenden Art fassen. Betrachten wir das, was wächst, sich ernährt, was sich fortpflanzt, zunächst nicht als absterbend. Ersterbend betrachten wir hier das ganze physische Wesen, wenn wir auf das Ich kommen wollen. Also betrachten wir jetzt dasjenige, was wächst, was reproduziert, nicht als ersterbend, sondern nur als abgelähmt, fortwährend abgelähmt, so daß jetzt nicht etwas da ist, was über den Tod siegt, sondern etwas, was über die Herunterlähmung der Vitalität siegt, was also immer wiederum, wenn die Vitalität heruntersinkt, diese Vitalität aufpeitscht.

Dann haben wir, geradeso wie hier (siehe Zeichnung Seite 195) aus dem Lichte die dunklen Funken heraussprühen, hier (siehe Zeichnung Seite 200, rot) fortwährend ein aus einem in hellen Farben Erglänzendem herauswolkendes, wenn ich so sagen darf, wolkendes Dunkles (blau). Man muß diese Ausdrücke gebrauchen, um in diesen Partien des Seins eben Vorstellungen zu haben. Ich möchte sagen, es funkt dunkel aus dem Hellen heraus das Ich, es wolkt dunkel heraus, tingierend, wolkig tingierend ein hell Tingiertes, wenn das Astralische aus dem Atherischen siegt über das Ablähmen der Vitalität. Ich versuche möglichst genau zu sprechen, aber Sie begreifen, daß diese Dinge, die ja nicht mehr dem intellektualistischen Erkennen zugänglich sind, son

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dern nur dem imaginativen, auch nicht ausgedrückt werden können durch intellektualistische Begriffe, sondern daß sie ausgedrückt werden müssen durch Imaginationen.

Es kann ja auch vorkommen, nicht wahr, daß Leute solche Imaginationen für die Sache nehmen und sich dann nicht auskennen, wie es gewisse Kritiker der Anthroposophie machen. Aber diese Leute begehen den Fehler, den etwa derjenige begehen würde - so paradox es ist, aber es ist so-, der glaubt, wenn ihm jemand das Wort Igel sagt, er hätte einen wirklichen stacheligen Igel. Das Wort Igel ist ja natürlich nicht der Igel. Ebensowenig sind diese Bilder das entsprechende Sein, aber wir können nur durch diese Bilder durchdringen zu dem, was wirklich da ist im übersinnlichen Sein. Es ist ja schließlich ein Versinnlichen.

Derjenige, der den ganzen Prozeß kennt, der braucht sich natürlich nicht sagen zu lassen, was etwa Bruhn in seinem Büchelchen über die Anthroposophie sagt: daß die Anthroposophie das Übersinnliche mit dem Sinnlichen verwechselt. Das ist ungefähr ebenso gescheit, wie wenn man einem Mathematiker vorwerfen würde, daß er das, was er auf die Tafel schreibt, mit der Mathematik verwechsle. Aber so werden ja in der Regel Kritiken über das geschrieben, was man nicht verstehen will, weil man nicht die Wege dazu wählen will, die eben schon einmal notwendig sind. Also um was es sich handelt, das ist, daß zurückgefunden werden muß der Weg zu dem, was den Menschen vor unsere

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Seele wiederum hinstellen kann. Es sind Imaginationen einmal im Verlauf des Atmungsprozesses aufgetreten; es müssen wiederum Imaginationen werden, durch die wir an das wahre Wesen des Menschen herankommen. Nur können wir sie nicht durch einen Atmungsprozeß erreichen, sondern durch diejenigen Vorgänge, die ich versuchte zu beschreiben in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» und in meiner «Geheimwissenschaft».

Ich wollte Ihnen damit heute einige Andeutungen darüber geben, wie aus der heutigen intellektualistischen Seelenverfassung heraus wiederum eine andere gesucht werden muß. Diese andere Seelenverfassung ist nicht etwa schon das schauende Bewußtsein. Es ist gar nicht nötig, daß man das schau ende Bewußtsein erhält, aber diese andere Seelenverfassung kann man haben. Sie entwickelt sich bei einer wirklich intellektualistischen Innenbildung dann, wenn man es nur ernst und ehrlich meint mit dieser intellektualistischen Innenbildung und weiß, wo ihre Grenzen sind. Dann entwickelt sie sich unbedingt. Und derjenige wird am allerehesten zu einer solchen Anschauung von einer inneren metamorphosierten Seelenverfassung kommen, der sich gerade in die naturwissenschaftlichen Begriffe der neueren Zeit einlebt. Denn lebt er sich in sie so ein, wie man mit ihnen leben kann, nimmt er sie nicht bloß demütig auf, sondern lebt er sich in sie so ein, wie man sie wirklich innerlich durchleben kann, dann wird er durch sie nicht geführt zu einem Ignorabimus, sondern er wird gerade an der Grenze, wo sonst das Ignorabimus hingesetzt, hingepfahlt wird, zu einem besonderen Erleben, zu einem wirklichen Ringen geführt. Da entzündet sich dann eben diese andere Seelenverfassung. Aber alles hängt davon ab, daß man in ehrlicher und innerlich durch und durch wahrhaftiger Weise an die naturwissenschaftlichen Begriffe selbst herantrete. Dann befriedigt man sich nicht bei ihnen, dann werden sie zu Keimen, aus denen etwas anderes herauswächst; dann bleibt man nicht dabei stehen, diese naturwissenschaftlichen Begriffe wie Bohnen nebeneinander hinzulegen und sie anzuschauen, sondern dann versenkt man diese Bohnenkeime in die Erde, das heißt die intellektualistischen Naturbegriffe in das Innere der Seele. Da gehen sie auf in einer neuen Seelenverfassung. Was die letzten Jahrhunderte selbst entwickelt haben, das trägt in sich

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die Möglichkeit, neue Keime der Erkenntnis aufgehen zu lassen. Wir müssen hinschauen auf ein Zeitalter, welches wiederum eine andere Seelenverfassung zeigt als diejenige, die die Galilei-Zeit, die Zeit des 15. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Wir müssen vorrücken zu einer tieferen Erkenntnis der Welt dadurch, daß wir zu einem intensiveren Erleben in dem eigenen menschlichen Inneren kommen.

HINWEISE

#G206-1991-SE203 Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist

#TI

HINWEISE

#TX

Zu dieser Ausgabe

Textunterlagen: Die Vorträge wurden von der Berufsstenographin Helene Finckh (1883 - 1960) mitgeschrieben und von ihr in Klartext übertragen. Dieser diente für die durch Marie Steiner besorgten Einzelausgaben (siehe unten). Die 1. Auflage 1967 in der Gesamtausgabe, herausgegeben von Johann Waeger und Hendrik Knobel, basiert auf diesen Ausgaben. Für die 2. Auflage 1991 wurde von Konrad Donat der Text durchgesehen, ausführliche inhaltsangaben und ein Namenregister erstellt und die Hinweise ergänzt.

Der Titel des Bandes wurde von Marie Steiner gegeben.

Die Zeichnungen im Text wurden nach den Wandtafelzeichnungen Rudolf Steiners ausgeführt von Assja Turgenieff und Hedwig Frey (S. 125).

Zu den Tafelzeichnungen: Die Original-Wandtafelzeichnungen und -anschriften Rudolf Steiners bei diesen Vorträgen sind erhalten geblieben, da die Tafeln damals mit schwarzem Papier bespannt wurden. Sie werden als Ergänzung zu den Vorträgen in einem separaten Band der Reihe «Rudolf Steiner, Wandtafelzeichnungen zum Vortragswerk» verkleinert wiedergegeben. Die in den früheren Auflagen in den Text eingefügten zeichnerischen Übertragungen sind auch für diese Auflage beibehalten worden. Auf die entsprechenden Originaltafeln wird jeweils an den betreffenden Textstellen durch Randvermerke aufmerksam gemacht.

Einzelausgaben:

Dornach 22. - 24. Juli 1921: «Der Mensch als Siiineswesen und Wahrnehmungswesen. Befunde der Seelenbeobachtung> in «Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist>, 111. Dornach (1940); im Sammelband «Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist> 1-5, Dornach oJ. (1940).

Dornach 5. - 7. August 1921: in Dornach, 12. -20. August 1921: «Das Ich als Bewußtseinserlebnis» in «Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist», V. Dornach 1940; im Sammelband «Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist> 1-5, Dornach oJ. (1940).

Dornach, 19. August 1921: in «Goethe und Rudolf Steiner. Auferstehungskräfte in Kunst und Wissenschaft>, Bühnenkunst am Goetheanum. Heft IV, Dornach 1937; «Goethes Seelenartung in ihrem Zusammenhang mit der Menschheitsentwikkelung», Dornach 1952 (Sonderdruck aus Auflage 1937).

#SE206-204

Hinweise zum Text

Werke Rudolf Steiners innerhalb der Gesamtausgabe (GA) werden in den Hinweisen mit der Bibliographie-Nummer angegeben. Siehe auch die Übersicht am Schluß des Bandes.

zu Seite

9 ein Kapitel, das ich vor lüngerer Zeit behandelt habe: Rudolf Steiner spricht in diesen Vorträgen zum letzten Male über die Sinneslehre als solche. Frühere Behandlungen dieses Themas finden sich in folgenden Bänden der Gesamtausgabe:

1909 - «Anthroposophie, Psychosophie, Pneumatosophie». 12 Vorträge in Berlin 19091 1910/1911, GA115.

1910 - «Anthroposophie. Ein Fragment aus dem Jahre 1910», GA 45.

1916 - «Weltwesen und Ichheit». 7 Vorträge in Berlin, 6. Juni bis 18. Juli, CA 169.

1916 - «Das Rätsel des Menschen - Die geistigen Hintergründe der menschlichen Geschichte«. Kosmische und menschliche Geschichte Band 1. 13 Vorträge in Dorn- ach, 29. Juli bis 3. September, CA 170.

1917 - «Von Seelenräiseln», CA 21.

1918 - «Die Geheimnisse der Sonne und des dreigeteilten Menschen«. 3 Vorträge in Dornach vom 24. - 26. August. In «Die Wissenschaft vom Werden des Menschen«. 9 Vorträge in Dornach, 17. August bis 2. September, CA 183.

1919 - «Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik». 14 Vorträge in Stuttgart, 21. August bis 5. September, CA 293.

1920 - «Die zwölf Sinne des Menschen in ihrer Beziehung zu Imagination, Inspiration und Intuition». Vortrag in Dornach am 8. August, enthalten in «Geisteswissenschaft als Erkenntnis der Grundimpulse sozialer Gestaltungen», 17 Vorträge in Dornach und Berlin, 6. August bis 18. September, CA 199.

Vergleiche auch «Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe» Heft 14 (Über die Sinnes- lehre Rudolf Steiners), und Nr. 34 (Aufzeichnungen Rudolf Steiners zur Sinneslehre).

10 begrenzen müssen auf der einen Seite den Ton- und Lautsinn: Die Bezeichnung des Ton-, Klang- oder Gehörsinns als «Laut-« oder «Laute»sinn muß an dieser, wie an einigen anderen Stellen in diesen Vorträgen (Seite 18 und 33) in dem Sinne verstanden werden, daß Rudolf Steiner hier den Ausdruck «Laut» oder «Laute» im Gegensatz zu

11 die ich ja früher öfter in folgender Weise aufgezaihlt habe: in «Von Seelenrätseln» und in

15 neueste Broschüre des Pfarrers Kully: «Die Geheimnisse des Tempels von Dornach». Mazimilian Kully war Pfarrer in Arlesheim und schrieb in verschiedenen Zeitungen Hetzartikel gegen die Anthroposophie, teilweise unter dem Pseudonym «Spectator».

16 das ich vor einigen Wochen hier gesagt habe: 1m Vortrag vom 3. Juli 1921, in «Menschenwerden, Weltenseele, Weltengeist» Erster Teil, CA 205.

18 was sie durch Ichsinn, Cedankensinn, Wortesinn, Lautsinn: Siehe Hinweis zu Seite 10. 33 zum Schema in bezug auf »Lautsinn oder Tonsinn»: Siehe Hinweis zu Seite 10.

#SE206-205

56 im Herbstkurse: Siehe «Grenzen der Naturerkenntnis und ihre Überwindung», 27. September bis 3. Oktober 1920, GA 322.

75 die philosophische Festsetzung des Als-Ob-Prinzipes: Durch Hans Vaihinger, «Die Philosophie des Als-Ob» erschien 1911.

80 ein Physiologe von der medizinischen Fakultüt: Dem «Bericht über die Feier des sechzigsten Geburtstages von Ernst Haeckel am 17. Februar 1894 in Jena» zufolge handelt es sich hier nicht um einen Physiologen, sondern um den Hygieniker und Bakteriologen Prof. August Gärtner, der von 1886 - 1918 in Jena wirkte.

90 Vortragsreihe, wie ich sie gehalten habe im Haag: In den Vorträgen vom 23. und 27.Februar 1921, enthalten im Band »Erziehungs- und Unterrichtsmethoden auf anthroposophischer Grundlage», GA 304.

112 Hauptprediger Geyer: Chiistian Geyer, Nürnberg.

Aufsatz von einem Obermedizinalrat Kolb: Der Aufsatz konnte bis jetzt nicht aufgefunden werden.

119 in einem Vortrage... in Bologna 1911: Siehe »Die psychologischen Grundlagen und die erkenntnistheoretische Stellung der Theosophie», 8. April 1911, in «Philosophie und Aiithroposophie. Gesammelte Aufsätze 1904-1918» GA 35.

140 « Von Seelentr1tseln», GA 21. Siehe auch »Vom Menschenrätsel», GA 20.

170 da sagt er (Goethe): Ich habe die Vermutung: Wörtlich: »Die zweite Betrachtung beschäftigt sich ausschließlich mit der Kunst der Griechen und sucht zu erforschen, wie jene unvergleichlichen Künstler verfuhren, um aus der menschlichen Gestalt den Kreis göttlicher Bildung zu entwickeln, welcher vollkommen abgeschlossen ist und worin kein Hauptcharakter so wenig als die Übergänge und Vermittlungen fehlen. Ich habe eine Vermutung, daß sie nach eben den Gesetzen verfuhren, nach welchen die Natur verfährt und denen ich auf der Spur bin. Nur ist noch etwas anderes dabei, das ich nicht auszusprechen wüßte>. Italienische Reise; aus Rom am 28. Januar 1787.

173 ich habe ihn vor kurzem... charakterisiert ... Johannes Scotus Erigena: In den Vorträgen vom 2. und 3. Jusii 1921, enthalten im Band «Perspektiven der MenschheitsentwikkeIung>, GA 204.

177 Johann Gotfned Herder: « Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit» 1784- 1791.

178 Benedetto Croce: «Grundriß einer Ästhetik», übersetzt v. Th. Poppe, Leipzig 1913.

179 Arthur Schopenhauer: »Preisschrift über die Grundlage der Moral», § 16.

186 Otto Willmann: «Geschichte des Idealismus», Braunschweig 1894.

197 Zeile 3 von unten: Änderung: »Differentiale» (fiühere Auflage: Differenzierungen). Vgl. hierzu die Ausführungen auf Seite 159.

200 Wilhelm Bruhn, »Theosophie und Anthroposophie», Leipzig-Berlin 1921.

NAMENREGISTER

#G206-1991-SE207 Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist

#TI

NAMENREGISTER

#TX

Adler, Friedrich 87

Albertus Magnus 65, 66

Archimedes 130

Aristoteles 28-31, 40, 63, 64

Augustinus, Aureljus 31, 64

Avenarjus, Richard 87, 105

Baco von Verulam 36

Bergson, Henri 105

Brentano, Franz 32, 33

Bruhn, Wilhelm 200

Bruno, Giordano 50

Bulwer, Lord Lytton 165

Comte, Auguste 109, 110

Croce, Benedetto 178

Czolbe, Heinrich 71, 72, 74, 79, 86

Darwin, Charles 71, 72, 75

Demokrit 108

Du Bois-Reymond, Emil 72, 73

Einstein, Albert 110

Eucken, Rudolf 55, 81, 82

Fechner, Gustav Theodor 71, 72

Freud, Sigmund 110

Gärtner, August, o. N. 80

Galilei, Galileo 31, 68, 172, 175, 202

Gegenbaur, Carl 75

Geyer, Christian 112, 113, 115

Goethe, Johann Wolfgang 75, 83, 169 173, 176, 178

Haeckel, Ernst 75, 78-81, 83

Harrison, Frederick 109, 110

Hartmann, Eduard von 76

Heraklit 29, 94

Herbart, Johann Friedrich 50, 51

Herder, Johann Gottfried 177

Hippokrates 94

Hume, David 21, 75

Kant, Immanuel 21, 75, 84, 175

Kepler, Johannes 31

Kalb, Gustav 112, 113, 115

Kopernikus, Nikolaus 31, 68

Kully, Maximilian 15, 30

Laplace, Pierre Simon 175

Liebmann, Otto 44, 76

Locke,John 21

Mach, Ernst 87, 105

Marx, Karl 72

Molleschott, Jakob 85

Mill, John Stuart 51, 89

Origenes 186

Philo Judaeus 31

Plato 29, 33, 35, 63, 66

Rollett, Hermann 82

Schiller, Friedrich 176

Schopenhauer, Arthur 179

Scorus Erigens, Johannes 65, 173

Spencer, Herbert 89

Steiner, Rudolf

namentliche Nennung im Text

113 115

Werke:

Die Philosophie der Freiheit (GA 4)

145

Theosophie (GA 9) 103, 117, 133

Wie erlangt man Erkenntnisse der höhe­ren Welten? (GA 10) 98, 143, 145, 153, 189, 201

Die Geheimwissenschaft im Umriß

(GA 13) 98, 105, 115, 143, 189, 201

Die Rätsel der Philosophie (GA 18)

174

Von Seelenratseln (GA 21) 140

Vortrag auf dem IV. Internationalen

Kongreß für Philosophie in Bologna,

8. April 1911 (in GA 35) 119

Thales von Milet 29

Thomas von Aquino 65, 66

Traub, Prof. Dr. Friedrich 39

Vaihinger, Hans, o.N. 75

Wahle, Richard 76

Willmann, Otto 66, 186 Ziehen, Theodor 51

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.