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Zuschauerraum 196,211,218,228,296, 334,349,363-366,368
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* [[Rudolf Steiner]], [[Marie Steiner-von Sivers]]: ''Sprachgestaltung und Dramatische Kunst'', [[GA 282]] (1981), ISBN 3-7274-2820-1 {{Vorträge|282}}
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Version vom 9. August 2023, 06:15 Uhr

APHORISTISCHES ÜBER SCHAUSPIELKUNST Eine Fragenbeantwortung Dornach, 10. April 1921

#G282-1969-SE013 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

APHORISTISCHES ÜBER SCHAUSPIELKUNST

Eine Fragenbeantwortung

Dornach, 10. April 1921

#TX

Der heutige Abend soll einer Auseinandersetzung über Fragen ge­widmet sein, die mir aus einem Kreise von Künstlern, schauspieleri­schen Künstlern gestellt worden sind, und deren Beantwortung am heutigen Abend ich aus dem Grunde gebe, weil innerhalb unserer Kursveranstaltung eine andere Zeit nicht dafür vorhanden war; es war alle Zeit besetzt. Das ist der eine Grund. Der andere ist der, daß ich allerdings annehmen darf, daß wenigstens einiges von dem, was in bezug auf diese Fragen zu sagen sein wird, auch ein Interesse für alle Teilnehmer haben kann.

Die erste Frage, die gestellt ist, ist diese:

Wie stellt sich dem Geistesforscher die Bewußtscinsentwickclung auf dem Gebiete der Bühnenkunst dar, und welche Aufgaben ergeben sich daraus im Sinne zukünftiger Ent­wickelungsnotwendigkeit für die Schauspielkunst und die darinnen Stehenden?

Manches, was vielleicht schon bei der Beantwortung dieser Frage erwartet werden könnte, wird sich im Zusammenhange bei späteren Fragen besser ergeben. Ich will Sie also bitten, dasjenige, was ich in Anknüpfung an die Frage zu sagen habe, mehr als ein Ganzes zu neh­men. Hier möchte ich zunächst sagen, daß erstens in der Tat die Schauspielkunst ganz besonders wird teilnehmen müssen an jeder Ent­wickelung zu stärkerer Bewußtheit, der wir einmal in unserer Zeit entgegengehen müssen. Nicht wahr, es wird von den verschiedensten Seiten her immer wieder und wiederum betont, daß man durch diese Bewußtseinsentwickelung dem künstlerischen Menschen etwas von seiner Naivität, von seinem Instinktiven nehmen wolle, daß man ihn unsicher machen werde und dergleichen. Aber wenn man diesen Din­gen gerade von dem Gesichtspunkte aus nähertritt, welcher hier auf geisteswissenschaftlichem Boden geltend gemacht wird, so muß man einsehen, daß diese Befürchtungen durchaus ungerechtfertigt sind.

#SE282-014

Von dem, was anschauliches Vermögen ist, auch anschauliches Ver­mögen in bezug auf das, was man selber tut, wo man also in Selbst­anschauung begriffen ist, geht zwar durch das, was man heute gewöhn­lich Bewußtheit, Besonnenheit nennt, und was alles in der bloßen verstandesmäßigen Tätigkeit verläuft, vieles verloren; es geht auch durch die gedankliche Verstandestätigkeit einfach das verloren, was man Künstlerisches überhaupt nennen kann. Man kann nicht mit dem Verstande das Künstlerische in irgendeiner Weise regulieren.

Aber so wahr dieses ist, so wahr ist es auf der anderen Seite, daß durch eine Erkenntnis, wie sie hier angestrebt wird, wenn diese Er­kenntnis dann Bewußtseinskraft wird, die Anschauungskraft, das volle Darinnenstehen in der Realität durchaus nicht verlorengeht. Man braucht also keine Angst davor zu haben, daß man unkünstierisch werden könne durch das, was an Bewußtheit, an bewußter Beherr­schung der Mittel und dergleichen angeeignet werden kann. Indem anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft ja immer hinzielt auf Menschenerkenntnis, erweitert sich auch das, was sonst nur in Ge­setzen, in abstrakten Formen erfaßt wird, zu einer Anschauung. Man bekommt zuletzt von dem körperlichen, seelischen, geistigen Wesen des Menschen eine wirkliche Anschauung. Und so wenig es einen hin­dern kann, in naiver Anschauung etwas künstlerisch auszuführen, ebensowenig kann es einen hindern, mit dieser Anschauung etwas künstlerisch auszuführen. Der Irrtum, der hier zutage tritt, beruht eigentlich auf folgendem.

Auf dem Boden der Anthroposophischen Gesellschaft, die sich eigentlich aus den Gründen, die Sie auseinandergesetzt finden zum Beispiel auch jetzt wiederum in der kleinen Schrift «Die Hetze gegen das Goetheanum», aus einer Mitgliedschaft entwickelt hat, die früher vielfach Mitglieder der Theosophischen Gesellschaft umfaßte, auf dem Boden dieser Gesellschaft hat man ja allerlei getan. Und namentlich wurzelte bei denen, die aus der alten Theosophie herausgewachsen sind, das, was ich nennen möchte eine wüste Symbolik, ein wüstes Symbolisieren. Ich muß noch mit Schrecken denken an das Jahr 1909, wo wir Schurés Drama «Die Kinder des Lucifer» aufführten - in der nächsten Nummer «Die Drei» wird ja mein Vortrag wieder abgedruckt,

#SE282-015

der sich dann angeschiossen hat an diese Aufführung -, wie dazumal ein Mitglied der Theosophischen Gesellschaft, das es auch dann geblieben ist, gefragt hat: Ja, Kleonis, das ist wohi, ich glaube, die Empfindungsseele? - Und andere Gestalten waren die Bewußt­selnsseele, Manas und so weiter. So wurde das alles hübsch eingeteilt. Die einzelnen Bezeichnungen, die man in der Theosophie hatte, wur­den hingeschrieben zu den einzelnen Persönlichkeiten. Ich habe dann einmal eine Hamlet-Interpretation gelesen, da waren diese Personen des « Hamlet» auch belegt mit all den Termini der einzelnen Glieder der menschlichen Natur. Nun, ich habe ja an meinen eigenen Myste­riendramen - ich habe es schon erwähnt - in dieser symbolischen Aus-deutung wirklich recht viel erfahren, und ich kann gar nicht sagen, wie froh ich war, als gestern hier unser Freund, Herr Uehli, einmal eine wirklich künstlerische Betrachtung des ersten Dramas, die vielleicht zu schmeichelhaft gewesen ist, wenn wir die Sache persönlich neh­men, aber eine wirklich künstlerische Betrachtung angelegt hat, das heißt, dasjenige gesagt hat, was man sagen muß, wenn man eben irgend etwas, was künstlerisch sein will, betrachten will. Da darf man nicht symbolisieren, da muß man ausgehen von dem, was der unmittelbare Eindruck ist. Um das handelt es sich dabei. Und diese wüste Sym­bolisiererei ist natürlich etwas, was recht abschreckend werden müßte, wenn man von dem Bewußtwerden sprechen will. Denn dieses Sym­bolisieren bedeutet nicht etwa ein Bewußtwerden, sondern ein höchit unbewußtes Herumreden in der Sache. Es bedeutet nämlich ein Sich-völlig-Entfernen von dem Inhalt und ein Aufkleben äußerer Vignet­ten an den Inhalt. Also man muß schon auf das eingehen, was geistes-wissenschaftlich lebensvoll wirklich sein kann, dann wird man finden, daß dieses Bewußtwerden ganz notwendig ist für jede einzelne Kunst­richtung, wenn sie mit der Evolution mitgehen will. Sie würde ein­fach hinter der Menschheitsentwickelung zurückbleiben, wenn sie nicht in diesem Prozeß des Bewußtwerdens mitgehen wollte. Das ist eine Notwendigkeit.

Auf der anderen Seite hat man sich durchaus nicht zu hüten vor dem Bewußtwerden, so wie es hier gemeint ist, wie vor einem Mehitau, was allerdings berechtigt ist beim gewöhnlichen verstandesmäßigen

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Ästhetisieren und auch Symbolisieren. Dagegen kann man beobach­ten, wie die Schauspielkunst selber im Grunde schon hineingespielt hat in ein gewisses Bewußtwerden. Ich darf da vielleicht doch etwas weiter ausholen. Sehen Sie, wir können sagen: Es ist außerordentlich viel Unfug getrieben worden von Goethe-Interpreten und Goethe-Biographen in bezug auf das, was über Goethes Künstierschaft ge­sprochen worden ist. Goethes Künstlerschaft ist wirklich etwas, was, ich möchte sagen, wie vorausnehmend für das Spätere dastand. Und man kann eigentlich immer nur sagen: Diejenigen Menschen, Literaturhistoriker, Ästhetiker und so weiter, die immer von Goethes Unbewußtheit, von Goethes Naivität sprechen, bezeugen im Grunde genommen nur, daß sie selber höchst unbewußt sind über das, was eigentlich in Goethes Seele vorging. Sie legen ihre eigene Unbewußt­heit in Goethe hinein.

Wie sind eigentlich Goethes wunderbarste lyrische Produkte ent­standen? Sie sind unmittelbar aus dem Leben heraus entstanden. Es hat ja etwas Ge£ährliches, über Goethes Liebesverhaltnisse zu spre­chen, weil man leicht mißverstanden werden kann, allein der Psycho­loge darf nicht vor solchen Mißverständnissen zurückscheuen. Goethes Verhältnis zu denjenigen Frauengestalten, die er namentlich in seiner Jugend, aber auch im späteren Alter liebte, war ein solches, daß eigentlich die schönsten Schöpfungen der Lyrik aus diesem Verhält­nisse hervorgegangen sind. Wodurch ist das möglich? Es ist dadurch möglich gewesen, daß Goethe eigentlich immer in einer Art von Spal­tung seines eigenen Wesens darinnenstand. Indem er äußerlich erlebte, selbst in den intimsten, ihm tiefst zu Herzen gehenden Erlebnissen, war Goethe immer in solcher Art Persönlichkeitsspaltung. Er war der Goethe, der wahrhaftig nicht schwächer liebte als irgendein anderer, aber er war zugleich der Goethe, der wiederum in anderen Momenten darüberstehen konnte, der gewissermaßen als ein Dritter zuschaute, wie der sich neben ihm objektivierende Goethe das Liebesverhältnis zu irgendeiner weiblichen Gestalt entwickelte. Goethe konnte sich in einem gewissen Sinne - das ist psychologisch durchaus real gespro­chen - immer aus sich und von sich selbst zurückziehen, konnte in einer gewissen Weise empfindend-kontemplativ zu dem eigenen Erlebnis

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stehen. Dadurch bildete sich etwas ganz Bestimmtes in Goethes Seele aus. Man muß ja intim in seine Seele hineinschauen, wenn man das überschauen will. Es bildete sich das aus, daß er erstens nicht durch die Realität so in Anspruch genommen wurde wie Menschen, die bloß instinktiv in solch einem Erlebnisse darinnenstehen, die mit ihren Trieben und Instinkten darinnenstehen, die mit ihrer Seele eigentlich sich daher auch nicht zurückziehen können, sondern blind drauflos leben. In der Außenwelt kam es natürlich dazu, daß das Ver­hältnis oftmals nicht zu den gewöhnlichen Abschlüssen zu führen brauchte, zu denen sonst Liebesverhältnisse führen müssen. Nach der Art der Fragestellung, die man da anwendet - ich will ja nichts Böses sagen, aber auch unter manchem, was in dieser Beziehung gefragt wird, steht ja zuweilen: «Borowsky, Heck!» Es sollte damit durchaus nichts gesagt werden, was etwa Mißverständnissen ausgesetzt sein könnte, sondern es ist das, was ich sage, gerade nur als Interpretation Goethes gemeint. Aber auf der anderen Seite führte es dazu, daß das, was bei Goethe so zurückblieb - manchmal sogar gleichzeitig mit den äußeren Lebensverhältnissen eintreten konnte -, nicht bloße Erinne­rung war, sondern Bild war, wirkliches Bild, gestaltetes Bild. Und so entstanden in Goethes Seele die wunderbaren Bilder des Frankfurter Gretchens, der Sesenheimer Friederike, über die der Froitzheim sein Friederikenwerk geschrieben hat, was sich die deutsche Literatur­geschichte hat gefallen lassen. Es entstand dann jene bezaubernde Gestalt der Frankfurter Lili, die wunderbare Gestalt, die wir dann in «Werther» sehen. Es gehört zu diesen Gestalten auch schon das Leip­ziger Käthchen, es gehören selbst im hohen Alter Goethes solche Gestalten dazu wie Marianne Willemer, sogar Ulrike Levetzow und so weiter. Man kann sagen, einzig und allein die Gestalt der Frau von Stein ist nicht in dieser Weise geschiossenes Bild. Das lag in der gan­zen Kompliziertheit dieser Lebensbeziehung. Aber gerade dadurch, daß diese Verhältnisse zu solchen Gestalten führten, daß mehr zu­rückblieb als eine Erinnerung, daß ein Plus gegenüber der bloßen Er­innerung vorhanden war, das führte dann zu der wunderbaren lyri­schen Umgestaltung der Bilder, die da in Goethe lebten. Das kann dann selbst die Folge haben, daß solch eine Lyrik dramatisch wird.

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Und dramatisch ist ja dieses lyrische Gestalten des Bildes in einem besonderen Fall ganz großartig geworden.

Ich mache Sie aufmerksam auf den ersten Teil des «Faust». Sie werden darin finden, daß abwechselnd die personenbezeichnung im ersten Teil des «Faust» Gretchen und Margarete ist. Und das ist in etwas hineinführend, was mit der ganzen seelischen Entstehungs­geschichte des « Faust» tief zusammenhängt. Sie werden überall « Gret­chen» beigeschrieben finden als Personenbezeichnung für diejenige Gestalt, die aus dem Frankfurter Gretchen in den «Faust» übergegan­gen ist. Sie werden überall beigeschrieben finden den Namen Gretchen da, wo Sie ein gerundetes Bild haben: Gretchen am Brunnen; Gret­chen am Spinnrad und so weiter, wo das Lyrische in das Dramatische langsam hineingegangen ist. Dagegen werden Sie überall « Margarete» finden, wo die Gestalt einfach im gewöhnlichen Fortlauf des Dramas aus der dramatischen Handiung heraus mitgestaltet worden ist. Alles dasjenige, was den Namen Gretchen trägt, ist ein in sich gescHossenes Bild, das lyrisch entstanden ist und sich zusammengestaltet hat zu dramatischem Aufbau. Das weist darauf hin, wie selbst in intimer Weise das Lyrische ganz sich verobjektivieren kann, so daß es für die dramatische Kombination brauchbar werden kann. Nun, in dieser Art wird überhaupt dramatisch geschaffen, daß der dramatische Künstler immer die Möglichkeit hat, über seinen Gestalten zu stehen. Sobald man anfängt, persönlich für irgendeine Gestalt sich einzusetzen, kann man sie nicht mehr dramatisch gestalten. Goethe hat sich, namentlich als er den ersten Teil seines « Faust» geschaffen hatte, ganz eingesetzt für die Persönlichkeit des Faust. Daher ist die Persönlichkeit des Faust auch verschwimmend, nicht abgescHossen, nicht gerundet. In Goethe ist sie nicht ganz abgesondert objektiv gegenständlich geworden. Die anderen Gestalten sind es.

Nun, dieses Gegenständlichwerden hat aber auch zur Folge, daß man sich wiederum ganz in die Gestalten hineinversetzen kann, daß man sie wirklich schauen kann, daß man identisch in einer gewissen Weise mit ihnen werden kann. Das ist eine Gabe, die ganz bestimmt demjenigen zugekommen ist, der Shakespeares Dramen verfaßt hat, diese Möglichkeit, die Gestalt ganz wie etwas bildhaft objektiv Erlebtes

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hinzustellen, um dann dadurch gerade in die Gestalt unterkrie­chen zu können. Diese Kunst, diese Fähigkeit des Dramatikers, das herauszuheben aus der Gestalt, um sie gerade dadurch wiederum so zu machen, daß er hineindringen kann, muß in einem gewissen Sinne übergehen auf den Schauspieler, und sie wird in ihrer Ausbildung das­jenige sein, was die Bewußtheit des Schauspielerischen ausmacht. Es war die besondere Goethesche Form des Bewußtseins, daß er so et­was konnte, wie die bildgewordenen Gestalten lyrisch und dramatisch verkörpern, was er am schönsten eben bei dem Frankfurter Gretchen gab.

Aber der Schauspieler muß etwas Ähnliches entwickeln, und auch dafür gibt es Beispiele. Ich will ein solches Beispiel anführen. Ich weiß nicht, wie viele von Ihnen noch den Schauspieler Lewinski vom Wiener Burgtheater kennengelernt haben. Der Schauspieler Lewinski war seiner äußeren Gestalt und seiner Stimme nach eigentlich möglichst wenig zum Schauspieler geeignet, und wenn er sein Verhältnis zu seiner eigenen Schauspielkunst schilderte, dann schilderte er das etwa folgendermaßen. Er sagte: Ja, ich würde natürlich gar nichts schau-spielerisch können - und er war einer der ersten Schauspieler durch lange Zeit im Wiener Burgtheater, vielleicht einer der bedeutsamsten sogenannten Charakterspieler -, ich würde gar nichts können, sagte er, wenn ich mich darauf verlassen würde, wie ich mich eben auf die Bühne hinstelle: der kleine Bucklige mit der kratzenden Stimme, mit dem urhäßlichen Gesicht. Der könnte natürlich nicht irgend etwas sein. Aber da - sagte er - habe ich mir geholfen. Ich bin eigentlich auf der Bühne immer drei Menschen: das eine ist der kleine bucklige, krächzende Mensch, der urhäßlich ist; das zweite, das ist einer, der ist ganz heraußen aus dem Buckligen und Krächzenden, der ist ein rein Ideeller, eine ganz geistige Wesenheit, und den muß ich immer vor mir haben; und dann, dann bin ich erst noch der dritte: ich krieche aus allen beiden heraus und bin der dritte, und mit dem zweiten spiele ich auf dem ersten, auf dem krächzenden Buckligen.

Das muß natürlich bewußt sein, das muß etwas sein, was einem, ich möchte sagen, Handhabung geworden ist! Es ist in der Tat diese Dreiteilung etwas, was für die Handhabung der schauspielerischen

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Kunst etwas außerordentlich Wichtiges ist. Es ist eben nötig - man kann es auch anders sagen -, daß der Schauspieler seinen eigenen Kör­per gut kennenlernt, denn diese eigene Körperlichkeit ist im Grunde genommen für den wirklichen Menschen, der zu spielen hat, das In­strument, auf dem er spielt. Er muß seinen eigenen Körper so kennen­lernen wie der Violinspieler seine Geige; die muß er kennen. Er muß gewissermaßen in der Lage sein, seiner eigenen Stimme zuzuhören. Man kann das. Man kann es allmählich dahin bringen, daß man seine eigene Stimme immer so, wie wenn sie einen umwellte, hört. Das muß man aber üben, indem man etwa dramatische, es können auch lyrische sein, aber sehr stark in Form, Rhythmus und Takt lebende Verse ver­sucht zu sprechen, indem man sich möglichst der Versform anpaßt. Dann wird man das Gefühl haben, daß man allmählich das, was ge­sprochen wird, vom Kehlkopf ganz loslöst, daß es wie in der Luft herumschwirrt, und man wird eine sinnlich-übersinnliche Anschau­ung von der eigenen Sprache bekommen.

In einer ähnlichen Weise kann man dann eine sinnlich-übersinnliche Anschauung von der eigenen Persönlichkeit bekommen. Man muß sich nur nicht gar zu sehr vor sich selber zieren. Sie sehen, Lewinski hat sich nicht geziert. Er nannte sich einen kleinen buckligen, ur­häßlichen Menschen. Man muß sich also durchaus nicht Illusionen hingeben. Derjenige, der immer nur schön sein will - es mag ja auch solche geben, die es dann sind -, aber derjenige, der immer nur schön sein will, der sich gar nichts irgendwie hinsichtlich dieser Körperlich­keit zugestehen will, der wird zu einer körperlichen Selbsterkenntnis nicht so leicht kommen können. Die ist aber für den Schauspieler durchaus notwendig. Der Schauspieler muß wissen, wie er auftritt mit der Sohle, mit den Beinen, mit den Fersen und dergleichen. Der Schauspieler muß wissen, ob er sanft oder scharf auftritt im gewöhn­lichen Leben, der Schauspieler muß wissen, wie er seine Knie beugt, wie er die Hände bewegt und so weiter. Er muß in der Tat den Ver­such machen, während er seine Rolle studiert, sich selber anzu­schauen. Das ist dasjenige, was ich nennen möchte das Darinnen-stehen. Und dazu wird eben der Umweg durch die Sprache ganz be­sonders viel beitragen können, weil ja in dem Zuhören der eigenen

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Stimme, des eigenen Gesprochenen, sich schon ganz instinktiv dann auch das Anschauen der übrigen menschlichen Gestalt angliedert.

Nun wurde mir die Frage gestellt:

Auf welche Art könnten wir auch auf unserem Gebiet uns fruchtbar einfügen in die Mheit, auf Grund vorliegender äußerer Dokumente (zum Beispiel Dramaturgien, Theatergeschichte, Schauspielerbiographien) geschichtliche Belege für die Ergebnisse der Geistesforschung aufzusuchen und zusa'nmenzufassen, wie es für die Spezialwissen­schaften durch die Seminare in konkreter Form schon angeregt worden ist?

In dieser Beziehung kann allerdings namentlich eine Schauspieler-gesellschaft außerordentlich viel leisten, nur muß man es in richtiger Weise machen. Durch dramaturgische Theoriegeschichte, Schauspie­lerbiographien wird es nicht gehen, denn ich glaube allerdings, daß sich dagegen einige sehr erhebliche Einwendungen machen lassen. Der Schauspieler, wenigstens wenn er in voller Tätigkeit ist, sollte eigent­lich für Theatergeschichten, Dramaturgie oder gar Schauspielerbio­graphien keine Zeit haben! Dagegen kann außerordentlich viel ge­leistet werden in bezug auf unmittelbare Menschenanschauung, in bezug auf unmittelbare Charakteristik des Menschen. Und da empfehle ich Ihnen etwas, was gerade für den Schauspieler außerordentlich fruchtbar sein kann.

Es gibt eine «Physiognomik» des Aristoteles - Sie werden sie schon leicht auffinden -, wo bis auf eine rote Nase oder eine spitzige Nase oder mehr oder weniger behaarte Handflächen oder mehr oder weni­ger großen Speckansatz und dergleichen, wo alle Eigentümlichkeiten, wie sich das Geistig-Seelische im Menschen ausdrückt, zunächst skiz­zenhaft angegeben sind, wie man es anzuschauen hat und so weiter. Eine außerordentlich nützliche Sache, die nur eben veraltet ist. Man kann nicht in derselben Weise jetzt beobachten, wie Aristoteles seine Griechen beobachtet hat; man würde da zu ganz falschen Resultaten kommen. Aber gerade der Schauspieler hat dadurch, daß er Menschen darstellen muß, Gelegenheit, solches beim Menschen zu sehen. Und wenn er die Klugheitsregel beobachtet, daß er niemals den Namen desjenigen nennt, über den er in bezug auf solche Sachen spricht, dann wird es seiner Karriere und seinem persönlichen Umgang, seinen sozialen Verhältnissen nicht schaden, wenn er nach dieser Richtung hin ein guter Menschenbeobachter wird. Es soll nur immer nicht Herr

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oder Frau oder Fräulein so und so irgendwie eine Rolle spielen, wenn er seine interessanten, bedeutsamen Mitteilungen macht über seine Be­obachtungen, sondern immer nur der X, die Y und das Z und so weiter; es soll selbstverständlich dasjenige, was sich auf die äußere Wirklichkeit bezieht, möglichst kascHert werden. Dann aber, wenn man in dieser Richtung das Leben wirklich kennenlernt, wenn man wirklich weiß, was die Menschen für kuriose Nasenlöcher machen, wenn sie diesen oder jenen Witz machen, und wie es bedeutungsvoll ist, achtzugeben auf solche kuriosen Nasenlöcher - es ist das natürlich nur andeutend gesprochen -, dann darf man schon sagen, daß man auf diesem Wege außerordentlich viel erreichen kann. Nicht dadurch, daß man diese Dinge weiß - das ist noch gar nicht das Wichtige -, sondern daß man in dieser Richtung denkt und anschaut, darauf kommt es an. Denn wenn man in dieser Richtung denkt und anschaut, dann geht man vom gewöhnlichen heutigen Beobachten ab. Heute beobachtet man ja die Welt so, daß eigentlich ein Mensch, der - was weiß ich - einen anderen dreißigmal gesehen haben kann, noch nicht einmal weiß, was der für einen Knopf vorn an seiner Weste hat. Das ist heute wirklich durchaus möglich! Ich habe schon Menschen ken­nengelernt, die haben den ganzen Nachmittag mit einer Dame ge­sprochen und wußten nicht, wie die Farbe ihres Kleides war. Also eine ganz unbegreifliche Tatsache, aber das kommt vor. Natürlich, solche Menschen, die nicht einmal die Farbe des Kleides der Dame kennen, mit der sie gesprochen haben, sind nicht sehr geeignet, ihr Anschau­ungsvermögen in solche Richtung zu bringen, welche dieses An­schauungsvermögen haben muß, wenn es übergehen soll in die Tat und in das Tun. Ich habe sogar schon das Niedliche erlebt, daß mir Leute versichert haben, sie wüßten nichts über die Kleider der Dame, ob sie rot oder blau waren, mit der sie den ganzen Nachmittag verkehrt haben. Wenn ich da etwas Persönliches einfügen darf, so habe ich sogar schon erlebt, daß Leute mir zumuteten, daß ich in einem sol­chen Fall die Farbe des Kleides der Dame nicht weiß, mit der ich längere Zeit gesprochen habe! Man sieht daraus, wie manche Seelen-veranlagungen gewertet werden. Dasjenige, was man vor sich hat, muß man in seiner vollen Körperhaftigkeit vor sich haben. Und hat

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man es in seiner vollen Körperhaftigkeit vor sich, nicht bloß, ich möchte sagen, also eine äußere nebulose Urnhüllung des Namens, dann geht ein solches Anschauen auch schon über in die Möglichkeit des Bildens, des Gestaltens.

Also vor allen Dingen muß der Schauspieler ein scharfer Beobach­ter sein, und es muß ihn in dieser Beziehung ein gewisser Humor aus­zeichnen. Humoristisch muß er diese Dinge nehmen. Denn, sehen Sie, sonst könnte ihm das passieren, was jenem Professor passierte, der eine Zeitlang immer aus dem Konzept kam, weil gerade in der Bank vor ihm ein Student saß, dem der Knopf oben an der Weste abgerissen war. Nun war der betreffende Professor darauf angewiesen, sich zu sammeln, indem er auf diesen fehlenden Knopf hinguckte. Da war es nicht der Beobachtungswille, sondern der Konzentrations­wille. Aber nun hatte der Student eines Tages seinen abgerissenen Knopf wieder angenäht, und siehe da, der Professor verlor alle Augen­blicke den Faden der Konzentrierung! Das ist ohne Humor die An­schauung der Welt in sich auftiehmen, das darf der Schauspieler auch nicht haben; er muß eben humorvoll die Sache ansehen, immer dar-überstehen, dann wird er auch die Sache gestalten.

Das ist also etwas, was durchaus beQbachtet werden muß, und wenn man sich dann daran gewöhnt, solche Dinge formulieren zu lernen, wenn man wirklich sich gewöhnt, gewisse innere Zusammenhänge zu sehen in dem, was körperhafte Anschauung ist, und wenn man sich durch einen gewissen Humor darüberstellt, so daß man es wirk­lich gestalten kann, nicht sentimental gestaltet - sentimental darf man nämlich nicht gestalten -, dann wird man auch bei dem Handhaben einer solchen Sache jene Leichtigkeit entwickeln, die man immer haben muß, wenn man in der Welt des Scheines charakterisieren will. Aber charakterisieren soll man in der Welt des Scheines, sonst bleibt man immer ein nachahmender Stümper in dieser Beziehung. Also in­dem tatsächlich untereinander jene, die in der Schauspielkunst tätig sind, sich in dieser Weise, ich möchte sagen, über soziale Phy­siognomik unterhalten, werden sie ungeheuer viel zusammentragen, was mehr wert ist als Dramaturgie, und namentlich Schauspielerbio­graphien und Theatergeschichten. Das ist etwas, was man immerhin

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anderen Leuten überlassen kann. Und für dasjenige, was da gerade durch den Schauspieler wiederum aus seiner Kunst heraus beobachtet und gebracht werden kann, müßten eigentlich alle Menschen Inter­esse haben, denn das würde ein sehr interessantes Kapitel auch der Menschenbeobachtungskunst sein, und aus einer solchen würde sich gerade dasjenige, was - ich möchte das Paradoxon gebrauchen - naiv bewußte Handhabung der Schauspielerkunst ist, was in ganz beson­derer Art Schauspielerkunst ist, entwickeln können.

3. Frage: Welchen Wert hat für unsere Zeit die Aufführung dcr Dramcn vergangener Epochen, zum Beispiel der griechischen Dramen, dcr Dramen Shakespcares sowie der Dramen der letztvergangenen Zeit über Ibsen, Strindberg bis zu den Modernen?

Nun, nicht wahr, in bezug auf die schauspielerische Auffassung wird sich natürlich der heutige Mensch anderer Formen bedienen müssen, als diejenigen waren, deren sich die griechische Schauspiel­kunst zum Beispiel bedient hat. Aber das hindert nicht, ja es wäre so­gar eine Sünde, wenn wir es nicht täten, daß wir griechische Dramen heute auf die Bühne bringen. Nur müssen wir bessere Übersetzungen haben, wenn wir sie in die moderne Sprache übersetzen, als etwa die­jenigen des philiströsen Wilamowitz, der gerade durch die lexikalisch wortgetreue Übersetzung das, was an Geist in diesen Dramen ist, gar nicht trifft. Wir müssen uns aber auch klar sein, daß wir dem modernen Menschen eine solche Kunst vorführen müssen, die für sein Auge, für sein Auffassungsvermögen geeignet ist. Dazu ist natürlich für die griechischen Dramen notwendig, daß man sich etwas tiefer in sie hin­einlebt. Und ich glaube nicht - nehmen Sie das für eine paradoxe An­schauung -, daß man sich in das griechische Drama des Äschylos oder des Sophokles, bei Euripides mag es leichter gehen, hineinleben kann, ohne daß man sich auf geisteswissenschaftliche Art der Sache nähert. Geisteswissenschaftlich müssen diese Gestalten in den Äschylos- und Sophokles-Dramen eigentlich lebendig werden, denn in dieser Geistes­wissenschaft liegen erst die Elemente, die unser Empfinden, unsere Willensimpulse so wiedergeben können, daß wir aus den Gestalten dieser Dramen etwas machen können. Sobald man sich aber einlebt in diese Dramen durch das, was einem Geisteswissenschaft vermitteln kann - Sie finden ja die verschiedensten Andeutungen darüber in unseren

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Zyklen und so weiter -, sobald man sich einlebt durch das, was einem Geisteswissenschaft dadurch vermitteln kann, daß sie den Ur­sprung dieser Dramen im Lichte der Mysterien in einer besonderen Weise aufdeckt - darauf hat gestern Herr Uehli hingewiesen-, ist es dann möglich, die Gestaltung dieser Dramen zu verlebendigen. Natür­lich wäre es ein Anachronismus, wenn man sie so aufführen wollte, wie die Griechen sie aufgeführt haben. Man könnte das natürlich einmal tun, um ein historisches Experiment zu machen, aber man müßte sich auch bewußt sein, daß das nichts weiter ist als ein historisches Ex­periment. Doch sind die griechischen Dramen eigentlich zu gut dazu. Sie können durchaus noch verlebendigt werden im heutigen Men­schen, und es wäre sogar ein großes Verdienst, sie durch geistes-wissenschaftliche Art zu verlebendigen im geisteswissenschaftlichen Sinne, und sie dann erst in Darstellungen umzusetzen.

Dagegen ist es für den heutigen Menschen möglich, sich ohne besondere Schwierigkeit in die besondere Gestaltung Shakespeares hin­einzuversetzen. Dazu braucht man nur heutiges menschliches Emp­finden und Vorurteilslosigkeit. Und die Gestalten des Shakespeare sollten eigentlich wirklich so angesehen werden, wie sie zum Beispiel Herman Grimm angesehen hat, der das Paradoxon sagte, das aber sehr wahr ist, wahrer als manche historische Behauptung: Es ist eigentlich viel gescheiter, wenn man den Jullus Cäsar bei Shakespeare studiert, als wenn man ihn aus einem Geschichtswerk studiert. - Tatsächlich liegt in Shakespeares Phantasie die Möglichkeit, so hinüberzukriechen in die Gestalt, daß sie in ihm lebendig wirkt, daß sie wahrer ist als jede historische Darstellung. Deshalb wäre es natürlich auch schade, etwa die Shakespeareschen Dramen heute nicht aufführen zu wollen, und es handelt sich darum, wirklich der Sache so nahe zu sein, daß man einfach die allgemeine Hilfe, die man sich aneignet, die Technik und so weiter auf diese Gestalten anwenden kann.

Nun liegt ja allerdings zwischen Shakespeare und den französischen Dramatikern, denen dann Schiller und Goethe noch nachgestrebt haben, und den neuesten, den modernen Dramatikern, ein Abgrund. Bei Ibsen haben wir es eigentlich mit Problemdramen zu tun, und Ibsen sollte eigentlich so dargestellt werden, daß man sich bewußt

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wird, seine Gestalten sind eigentlich keine Gestalten. Wollte man seine Gestalten als Gestalten in der Phantasie lebendig machen, so würden sie fortwährend herumhüpfen, sich selber auf die Füße treten, denn Menschen sind sie nicht. Aber die Dramen sind Problemdramen, große Problemdramen, und die Probleme sind so, daß sie immerhin erlebt werden sollten von dem modernen Menschen. Und da ist es außerordentlich interessant, wenn der Schauspieler gerade heute sich an Ibsen-Dramen heranzubilden versucht, denn bei Ibsen-Dramen ist es so, daß, wenn er versuchen wird, die Rolle zu studieten, er dann sich wird sagen müssen: Das ist ja kein Mensch, aus dem muß ich erst einen Menschen machen. - Und da wird er individuell vorgehen müssen, da wird er sich bewußt sein müssen, daß wenn er irgendeine Gestalt Ibsens darstellt, daß das ganz anders wird werden können, als wenn irgendein anderer sie darstellt. Da kann man sehr viel von der eigenen Individualität hineinbringen, denn die vertragen es, daß man das Individuelle erst hinzubringt, daß man sie auf ganz verschiedene Art darstellt, während man bei Shakespeare und auch beim griechi­schen Drama im Grunde genommen immer das Gefühl haben sollte, es gibt nur eine mögliche Darstellung, und der muß man zustreben. Man wird sie gewiß nicht immer gleich finden, aber man muß das Gefühi haben, es gibt nur eine Möglichkeit. Das ist bei Ibsen oder erst bei Strindberg ganz und gar nicht der Fall. Die muß man so be­handeln, daß man das Individuelle erst hineinträgt. Es ist schwer, sich über solche Sachen auszudrücken, aber ich möchte mich bildlich aus­drücken. Sehen Sie, bei Shakespeare ist es so, daß man durchaus das Gefühl hat, er ist Künstler, der auf allen Seiten sieht, der auch hinten sehen kann, er sieht wirklich als ganzer Mensch und kann den anderen Menschen mit seinem ganzen Menschen sehen. Ibsen konnte das nicht, er konnte nur flächenhaft sehen. Und so sind auch die Welt-geschichten, die Menschen, die er sieht, flächenhaft gesehen. Man muß ihnen erst Dicke geben; und das ist eben auf individuelle Art mög­lich. Das ist hei Strindberg in ganz besonderem Maße der Fall. Ich habe nichts gegen seine Dramatik, ich schätze sie, aber man muß jedes Ding auf seine eigene Art sehen. So etwas wie das Damaskus-Drama ist etwas ganz Außerordentliches' aber man muß sich sagen: Das sind

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eigentlich niemals Menschen. Es ist immer nur die Haut da, und die ist ganz vollgepfropft mit Problemen. - Ja, da kann man viel machen, denn da kann man erst recht seinen ganzen Menschen hineinlegen, da muß man das individuelle Gestalten gerade als Schauspieler erst recht dazugeben.

4. Frage: Wie nimmt sich ein wahres Kunstwerk, speziell das Schauspielkunstwerk, von der geistigen Welt aus gesehen in seiner Wirkung aus im Gegensatz zu sonstigen Betitigungen des Menschen?

Vor allen Dingen sind die sonstigen Betätigungen des Menschen so, daß, man sie eigentlich niemals als abgeschlossene Totalität vor sich hat. Es ist wirklich so, daß die Menschen besonders in unserer Gegenwart in einer gewissen Weise aus ihrer Umgebung, aus ihrem Milieu herausgestaltet sind. Hermann Bahr hat das einmal recht tref­fend in einem Berliner Vortrag charakterisiert. Er sagte: So in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde es mit den Menschen etwas ganz Eigentümliches. Wenn man da in eine Stadt kam, in eine fremde Stadt, und man begegnete den Leuten, die abends aus der Fabrik kamen - ja, es sah immer einer ganz so aus wie der andere, und man bekam förmlich einen Zustand, der einem Angst machen konnte, denn man glaubte zuletzt nicht mehr, daß man es mit so vie­len Menschen, von denen der eine dem anderen gleicht, zu tun hat, sondern daß es ein und derselbe ist, der sich nur soundso oft ver­mannigfaltigt. - Er sagte dann: Nun kam man von den neunziger Jahren in das 20. Jahrhundert hinein - er spielte dabei etwas kokett an, daß er, wenn er irgendwo in eine Stadt kam, recht oft eingeladen wurde -, wenn man irgendwo eingeladen war, dann hatte man immer eine Tischdame rechts und links; am anderen Tag wieder eine Tisch-dame rechts und links, und am nächsten Tag eine ganz andere wieder rechts und links. Aber man konnte nicht unterscheiden, wenn man eine ganz andere hatte, so daß man nicht wußte, ist das nun die von gestern oder von heute! - So sind die Menschen durchaus eine Art Abklatsch ihres Milieus. Es ist das besonders in der Gegenwart so geworden.

Nun, man braucht es ja nicht so grotesk zu erleben, aber es ist etwas daran, daß man auch im allgemeinen den Menschen in seiner sonstigen

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Betätigung so hat, daß man ihn aus seiner ganzen Umgebung heraus verstehen muß. Hat man es mit der Schauspielkunst zu tun, dann kommt es darauf an, daß man wirklich dasjenige, was man sieht, als Abgeschlossenes anschaut, als in sich Gerundetes anschaut. Dazu müs­sen natürlich manche Vorurteile, die namentlich in unserer unkünst­lerischen Zeit so stark spielen, überwunden werden, und ich werde jetzt einiges sagen müssen, weil ich ehrlich auf diese Frage antworten will, was in den jetzigen Ästhetizierern und Kritikastern und so weiter geradezu eine Art von Horror hervorrufen kann.

Es ist so, daß, wenn es sich um künstlerische Menschendarstellung handelt, man allmählich durch das Studium merken muß: Sagst du einen Satz, der in der Richtung der Leidenschaft geht, der in der Richtung der Betrübnis geht, der in der Richtung der Heiterkeit geht, womit du einen anderen überzeugen und überreden willst, wodurch du einen anderen beschimpfen willst, so kannst du immer fühlen, es hängt eine ganz bestimmte Art der Bewegung der Glieder, nament­lich in bezug auf das Zeitmaß, damit zusammen. Da kommt man noch lange nicht auf Eurythmie, aber eine ganz bestimmte Bewegung der Glieder, eine bestimmte Art der Langsamkeit oder Schnelligkeit des Sprechens kommt heraus, wenn man das studiert. Man bekommt das Gefühl, daß die Sprache oder die Bewegung etwas Selbständiges wird, daß man ebensogut, ohne daß die Worte einen Sinn haben, den­selben Tonfall, dasselbe Zeitmaß in den Worten haben könnte, daß das eine Sache für sich ist, daß das für sich läuft. Man muß das Gefühl bekommen, daß die Sprache auch laufen könnte, wenn man ganz sinnlose Worte zusammenstellt in einem bestimmten Tonfall, in einem bestimmten Zeitmaße. Man muß auch ein Gefühl bekommen, du kannst dabei ganz bestimmte Bewegungen machen. Man muß sich gewissermaßen mit sich selber hineinstellen können, muß eine gewisse Freude haben, gewisse Bewegungen mit den Beinen und Armen zu machen, die zunächst gar nicht wegen irgend etwas gemacht werden, sondern nur um einer Richtung, eines Zieles willen, zum Beispiel mit der rechten Hand oder dem rechten Arm den linken zu übergreifen und so weiter. Und an diesen Dingen muß man eine gewisse ästhe­tische Freude, Wohlgefallen haben. Und dann muß man das Gefühl

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haben, wenn man studiert: Jetzt sagst du dieses - ach ja, das schnappt auf den Ton ein, auf einen Tonfall, den du schon kennst; diese Be­wegung auf den Tonfall -, das müssen zweierlei sein! - Man muß nicht glauben, daß das eigentlich Künstlerische darin bestünde, daß man nun mühevoll herausklaubt aus dem dichterischen Inhalte, wie man es machen oder sagen muß, sondern man muß das Gefühl haben:

Was du da für einen Tonfall, für ein Tempo anschlägst, das hast du ja längst, und die Bewegung der Arme und Beine auch, du mußt nur ins Richtige, was du hast, einschnappen! - Vielleicht hat man es gar nicht, aber man muß das Gefühl haben, objektiv, wie man ein-schnappen muß in dies oder jenes.

Sehen Sie, wenn ich sage: Vielleicht hat man es nicht, so beruht das darauf, daß man allerdings finden kann, daß man für das, was man jetzt gerade übt, noch nicht das hat, was man gerade braucht. -Aber man muß das Gefühl haben, es muß zusammengestellt werden aus dem, was man schon hat. Oder auf eine sonstige Weise muß man in ein Objektives übergehen können. Das ist es, worauf es ankommt.

5. Frage: Welcne Aufgabe bat die Musik innerhalb der Schauspielkunst?

Nun, ich glaube, da haben wir ja die praktische Antwort gegeben durch die Art und Weise, wie wir Musik in der Eurythmie verwenden. Ich glaube allerdings, daß namentlich das doch nicht als etwas Ab­zuweisendes anzusehen ist, wenn Stimmungen auch im reinen Drama vorher und nachher durch Musikalisches angeschlagen werden, und wenn die Möglichkeit geboten ist - natürlich muß die Möglichkeit schon durch den Dichter gegeben sein -, das Musikalische anzuwen­den, daß es dann auch angewendet werde. Es ist natürlich diese Frage, wenn sie so allgemein gestellt wird, nicht so leicht zu beantworten, und da handelt es sich darum, daß man im rechten Momente das Richtige macht.

6. Frage: Ist das Talent für den Sebauspieler nötig als Voraussetzung, oder kann es in gleichwertiger Weise durch geisteswissenschaftliche Metbode geweckt und entwickelt werden in jedem Menschen, der Liebe und künstlerisches Gefübl hat für Schauspiel­kunst, aber nicht das spezielle, althergebrachte Talent? Können spezielle Übungen ge­geben werden für die Entwickelung des Eigenbewegungssinnes?

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Ja, die Sache mit dem Talent! Ich hatte einen Freund einmal an der Weimarer Bühne. Da traten ja allerlei Leute auf, die so sich er­proben ließen. Man ließ manchmal nicht gerne solche Aspiranten auf­treten. Wenn man mit diesem Freund, der selber dort Schauspieler war, sprach und zu ihm sagte: Glauben Sie, daß aus dem was werden kann? - dann sagte er sehr häufig: Nun ja, wenn er Talent bekommt! -Das ist etwas, was schon eine gewisse Wahrheit hat. Es ist durchaus zuzugeben, ja, es ist sogar eine tiefe Wahrheit, daß man wirklich alles lernen kann, wenn man dasjenige auf sich anwendet, was aus dem Geisteswissenschaftlichen bis in die Impulse des Menschen hinein-fließt. Und was da gelernt werden kann, das ist schon etwas, was zu­weilen auftritt wie Talent. Es läßt sich nicht leugnen, es ist so. Aber es hat einen kleinen Haken, und der besteht darin, daß man erstens lange genug leben muß, um eine solche Entwickelung durchzumachen, und daß, wenn in dieser Weise durch allerlei Mittel wirklich so etwas wie das Schaffen einer Talentkraft bewirkt wird, daß dann zum Bei­spiel das Folgende geschehen kann. Man hat nun jemandem beige­bracht das Talent, sagen wir, für einen «jugendlichen Helden», man hat aber so lange dazu gebraucht, daß er nun eine große Glatze und graue Haare hat. Das sind die Dinge, wo einem das Leben manchmal das, was prinzipiell durchaus möglich ist, außerordentlich schwer macht. Aus diesem Grunde ist es schon notwendig, daß man in bezug auf die Auswahl der Persönlichkeiten für die Schauspielkunst Ver­antwortlichkeitsgefühl haben muß. Man kann etwa so sagen: Es sind immer zwei; das eine ist der, der Schauspieler werden will; das andere ist der, der in irgendeiner Weise darüber zu entscheiden hat. Dieser letztere müßte ein ungeheuer starkes Verantwortlichkeitsgefühl haben. Er muß zum Beispiel sich bewußt sein, daß ein oberflächliches Urteil in dieser Beziehung außerordentlich schlimm sein kann. Denn man kann oftma]s leicht glauben, der oder jener habe zu etwas kein Talent; aber es sitzt oft nur zu tief. Und wenn man dann die Möglich­keit hat, an irgend etwas das Talent zu erkennen, dann kann allerdings manchmal das, was da war und von dem man nur nicht geglaubt hat, daß es da ist, verhältnismäßig schnell aus dem Menschen herausgeholt werden. Aber es wird schon trotzdem, weil das praktische Leben

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eben doch praktlsch bleiben muß, viel darauf ankommen, daß man sich eine gewisse Fähigkeit aneignet, Talent in dem Menschen zu ent­decken, und man wird zunächst nur darauf sich beschränken müssen, das, was aus der Geisteswissenschaft kommen kann - das kann sehr vieles sein -, dazu zu benützen, um das Talent lebendiger zu machen, um es schneller herauszuentwickeln. Das alles kann geschehen. Aber bei Menschen, die sich manchmal für ungeheuer große schauspiele­rische Genies halten, da wird man doch oftmals sagen müssen, daß Gott sie in seinem Zorn hat zu Schauspielern werden lassen. Und dann muß man auch wirklich die Gewissenhaftigkeit haben - mit gutmüti­ger Rede selbstverständlich, indem man sie nicht vor den Kopf stößt-, sie nicht gerade hineinzudrängen in den schauspielerischen Beruf, der nun doch nicht für alle ist, sondern der eben erfordert, daß vor allen Dingen die Fähigkeit vorhanden ist, die innere seelisch-geistlge Be­weglichkeit leicht in das Körperliche, Leibliche hineingehen zu lassen. Das ist es, was dabei besonders zu berücksichtigen ist.

Mit Bezug auf Übungen für die Entwickelung des Eigenbewegungs-sinnes - ja, die können so schnell nicht gegeben werden. Ich werde mich aber mit der Sache befassen und sehen, daß es auch möglich sein wird, nach dieser Richtung denjenigen, die darüber etwas wissen wollen, nach und nach entgegenzukommen. Diese Dinge müssen natürlich, wenn sie etwas taugen sollen, langsam und sachlich auch aus geisteswissen­schaftlichen Untergründen herausgearbeitet werden. In dieser Richtung werde ich mir diese Frage notieren für eine spätere Beantwortung.

7. Frage: Können für das Erfassen und die Art des Eindringens in neue Rollen prin­zipielle und tiefer führende Richtlinien gegeben werden, als wfr sie uns aus der Pratis und aus schon vorliegenden Schriften erarbeiten könnten? Dürfen wir auch um Hin-weis bitten auf solche vorhandene Literatur, aus der wir uns Antwort auf diese und ähnliche Fragen holen können?

Nun, in bezug auf die Literatur, auch mit Bezug auf die vorhandene Literatur möchte ich nicht allzustark zulangen und möchte hervor­heben, was ich vorhin schon auseinandersetzte über Menschenbeob­achtung - wissen Sie, das mit den Knöpfen und den Kleidern der Dame. Dieses körperhafte Beobachten ist etwas, was eine gute Vor­bereitung ist. Dann aber muß man sagen - nun, ich glaube, für die Fragesteller ist das nicht notwendig zu sagen, aber für schauspielermäßige

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Darstellung ist es wohl doch noch ziemlich notwendig -: Die Leute, die heute auf der Bühne auftreten, wollen überhaupt zumeist nicht in ihre Rollen eindringen, denn sie nehmen sich eigentlich meist ihre Rolle und lernen sie einfach, wenn sie noch gar nicht wissen, was der Inhalt des ganzen Dramas ist; sie lernen ihre Rolle. - Es ist das eigentlich etwas Furchtbares. Als ich in der ehemaligen Dramatischen Gesellschaft im Vorstand war und wir Dramen zu inszenieren hatten wie zum Beispiel Maeterlincks «Der Ungebetene», «L'Intruse», da haben wir, weil bei den Proben sonst keiner gewußt hätte, was der andere kann, nur was er selber kann, die Leute förmlich herangebän­digt, daß sie zuerst einer Vorlesung des Dramas und auch einer Inter­pretation des Dramas in einer solchen Leseprobe zugehört haben. Und dann bei verschiedenen anderen Stücken, bei der «Bürgermeister-wahl» von Max Burckhard und bei einem Drama von Juliana Déry, es hieß, ich glaube, «Die sieben mageren oder fetten Kühe», habe ich mich dazumal bei der Dramatischen Gesellschaft in Berlin bemüht, das einzuführen, was ich eben nannte eine Interpretation des Dramas, aber eine künstlerische Interpretation, wo die Gestalten lebendig wur­den. Man setzte sich zuerst zu einer Regiesitzung zusammen, wo man versuchte, rein vor der Phantasie die Darstellung der Gestalten durch alle möglichen Mittel lebendig zu machen. Und da hören die Leute dann schon zu, wenn man durch den Menschen vordringt; das geht viel leichter, als wenn man für sich selber studieren soll, und da bildet sich von Anfang an gerade das heraus, was wirken muß in einer Truppe: nämlich das Ensemble. Das ist etwas, wovon ich insbeson­dere glaube, daß es empfohlen werden muß beim Studium einer jeden dramatischen, künstlerischen Sache, daß wirklich vorerst vor den Mit-spielenden die Sache nicht nur gelesen, sondern interpretiert wird, aber dramatisch-künstlerisch interpretiert wird. Es ist durchaus not­wendig, daß man in solchen Dingen einen gewissen Humor und eine gewisse Leichtigkeit entwickelt. Kunst muß eigentlich immer Humor haben, Kunst darf nicht sentimental werden. Das Sentimentale, wenn es dargestellt werden muß - selbstverständlich kommt man auch vielfach in die Lage, sentimentale Menschen darstellen zu müssen -, das muß der Schauspieler erst recht mit Humor auffassen, immer darüberstehen mit

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vollem Bewußtsein, nicht sich gestatten, selber m das Sentimentale hin­einzuschlüpfen. In dieser Richtung kann man, wenn man die ersten Re­giesitzungen eigentlich interpretlerend macht, sehr bald den Leuten ab-gewöhnen, daß sie das lehrhaft finden. Wenn man es mit einem gewissen Humor macht, so werden sie es nicht lehrhaft finden, und rnan wird schon sehen, daß man die Zeit, die man auf so etwas verwendet, gut an-wendet, daß dann die Leute ein merkwürdiges Irnitatlonstalent für ihre eigenen Phantasiegestalten bei solchen Regiesitzungen entwickeln wer­den. Das ist es, was ich über solche Sachen zu sagen habe.

Natürlich, es nimmt sich schon, wenn man über solche Dinge spricht, die Sache etwas, ich möchte sagen plump aus, aber sehen Sie, das Schlimmste eigentlich bei der schauspielerischen Darstellungs­kunst ist der Drang nach Naturalismus. Bedenken Sie doch nur ein­mal, wie hätten es die Schauspieler früherer Zeiten zuwege bringen können, wenn sie Naturalisten hätten sein wollen, sagen wir, einen Hofmarschall, den sie ja niemals in seiner vollen Hofmarschaliswürde haben sehen können, richtig darzustellen? Dazu fehlte ihnen ja die soziale Stellung. Aber auch jene Vorsichtsmaßregel, welche bei Hof-bühnen, bei solchen Bühnen, die genügend zugeschnitten waren, dann immer getroffen wurde, auch diese Vorsichtsmaßregel verfing eigent­lich nicht. Nicht wahr, die verschiedenen Fürsten, Großherzöge, Könige, die haben ja zur obersten Leitung der Bühne, wenn sie Hof-bühnen waren, einen General etwa gesetzt, weil sie sich denken muß­ten: Nun ja, das Schauspielervolk, das weiß natürlich nicht, wie es bei Hof zugeht, da muß man zum Intendanten natürlich irgendeinen Gene­ral machen! - Der selbstverständlich nicht das mindeste von irgend-einer Kunst verstand! Manchmal ist es auch bloß ein Hauptmann gewesen. Also diese Leute sind aus Vorsicht dann in die Intendantur der Hofbühnen hineingesetzt worden und sollten den Schauspielern beibringen, was eine Art naturalistlscher Handhabung der Dinge war, zum Beispiel bei Hofgesellschaften, damit man sich zu benehmen weiß. Aber mit alledem ist es nicht getan, sondern auf das Einschnap­pen kommt es an, auf das Empfinden der Körperbewegung, des Ton-falles. Man findet aus der Sache selbst heraus, um was es sich handelt. Und das ist es, was man namentlich üben kann, dieses Beobachten

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dessen, was aus innerem Erfühlen der künstlerischen Form folgt, ohne daß man das Äußere nachahmen will. Das ist es, was bei diesen Din­gen zu berücksichtigen ist.

Ich hoffe meinerseits nut, daß diese Andeutungen, die ich gegeben habe, nach keiner Richtung hin mißverstanden werden. Es ist schon einmal nötig, wenn man auf dieses Gebiet zu sprechen kommt, es so zu behandeln, daß man der Tatsache gerecht wird, man hat es da mit etwas zu tun, was dem Reich der Schwere entrückt sein muß. Ich muß sagen, ich erinnere mich noch immer wieder an den großen Ein­druck, den ich bei der ersten Vorlesung meines verehrten alten Leh­rers und Freundes, Karljulius Schröer, hatte, der einmal in dieser ersten Vorlesung vom «ästhetischen Gewissen» sprach. Dieses ästhetische Gewissen ist etwas Bedeutsames. Dieses ästhetische Gewissen bringt einen zu der Anerkennung des Prinzips, daß die Kunst nicht bloß ein Luxus ist, sondern eine notwendige Beigabe jedes menschenwürdigen Daseins. Aber dann, wenn man das als den Grundton hat, dann darf man auch, auf diesen Grundton bauend, Humor, Leichtigkeit ent­falten, dann darf man nachsinnen darüber, wie man humorvoll die Sentimentalität behandelt, wie man die Traurigkeit bei vollem Dar­überstehen behandelt und dergleichen. Das ist es, was sein muß, sonst wird die Schauspielkunst sich nicht in gedeihlicher Weise in die An­forderungen, welche schon einmal das gegenwärtige Zeitalter an den Menschen stellen muß, hineinfinden können.

Nun sagen Sie aber nicht, ich hätte heute eine Predigt über den künstlerischen Leichtsinn gehalten. Davon bin ich weit entfernt. Ich bin weit entfernt davon, etwa heute eine Predigt zum Leichtsinn ge­halten haben zu wollen, nicht einmal zum künstlerischen Leichtsinn, aber ich möchte immer wieder und wiederum betonen: Humorvolle, leichte Behandlungsweise desjenigen, was man vor sich hat, das ist doch etwas, was in der Kunst, und namentlich in der Handhabung der Technik der Kunst, eine große Rolle spielen muß.

SPRACHKURS für die Teilnehmer des Dramatischen Kurses I. Dornach, 2. September 1924, nachmittags

#G282-1969-SE035 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

MARJE STEINER

SPRACHKURS

für die Teilnehmer des Dramatischen Kurses

I.

Dornach, 2. September 1924, nachmittags

#TX

Die verschiedenen Völker haben es mehr oder weniger leicht durch den Sitz ihrer Sprache, was das « vorn »-Sprechen anbelangt: der Ro­mane, besonders der Franzose, dann der Deutsche oder der Russe. Speziell beim Deutschen ist zu unterscheiden zwischen den mehr west­lich oder mehr östlich orientierten Deutschen.

Dieser allgemein gehaltene Kursus wird aus fünf Stunden bestehen. Es werden die heutigen verschiedenen Sprech- und Gesangsmethoden erwähnt, Kopf-, Nasen- und Brustresonanzen. «Ja, und das Neue unserer Methode besteht darin, daß wir in der Luft den Resonanz-boden erblicken.» Es wird an die Schöpfungsgeschichte erinnert, wie dem Menschen der lebendige Odem eingeblasen wurde. Der leben­dige Odem weht außerhalb von uns.

Bei dem nun beginnenden Üben wird es sich darum handeln, zum Laut, zum Wesen des jeweiligen Lautes ein Verhältnis zu gewinnen. Zu den Vokalen, urständend heimathaft in den Planeten, zu den Kon­sonanten, urständend heimathaft in den Tierkreiszeichen. Es wird noch das Besondere der finnischen Sprache gestreift.

Einfache Artikulationsübungen

Daß er dir log uns darf es nicht loben

Mit der Luft in uns die Luft außer uns ergreifen. Die Luft als solche ist der Resonanzboden, sonst nichts. In den Konsonanten liegt «das Ei des Kolumbus».

Nimm nicht Nonnen in nimmermüde Mühlen

Rate mir mehrere Rätsel nur richtig

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Redlich ratsam

Rüstet rühmiich

Riesig rächend

Ruhig rollend

Reuige Rosse

Protzig preist

Bäder brünstig

Polternd putzig

Bieder bastelnd

Puder patzend

Bergig brüstend

Übungen> die den Atemstrom bewältigen können

Erfüllung geht

Durch Hoffnung

Geht durch Sehnen

Durch Wollen

Wollen weht

Im Wehenden

Weht im Bebenden

Webt bebend

Webend bindend

Im Finden

Findend windend

Kündend

Erfüllung geht

f= wisse, daß ich etwas weiß, zum Beispiel: Aus dem if etwas wissen, ll-solch mehrmaliges ll= der Geist, der die Materie ergreift und formt.

Durch Hoffnung

Empfindungsnuance; Lautverständnis notwendig.

Geht durch Sehnen

vorn nur den Ton ansetzen; h = schönster Laut zum Plastizieren; s= etwas Furcht in uns erregend.

#SE282-037

Durch Wollen

w= unser Innerstes an die Außenwelt heranbringen; dies wird um­gemodelt durch 0 und ll= wollen; zum Beispiel geht bei dem Worte «warum» alles aus dem Inneren heraus.

Wollen weht

Im Wehenden

Weht im Bebenden

Webt bebend

Webend bindend

Im Finden

Findend windend

Kündend

Jede Zeile mit vollem Atemstrom; Atmen nach jeder Zeile; den gan­zen Atemstrom auf einmal frei herauslassen. An dem e kann man lernen, den Nervenstrom zu packen; ü= vorn packen: kündend

Umzukehrende, gute Übung

Wollen nellow

Sehnen nenhes

Mit der aus uns herausströmenden Luft ergreifen wir die Luft drau­ßen. Atemübung, die uns die Möglichkeit gibt, den Atem durch den rhythmischen Fluß auszuströmen, zu verteilen.

In den unermeßlich weiten Räumen,

In den endenlosen Zeiten,

In der Menschenseele Tiefen,

In der Weltenoffenbarung:

Suche des großen Rätsels Lösung.

Die ersten vier Zeilen flutenhaft aus dem Kosmos heraus empfindend; die letzte Zeile als Gedanke aus dem Kopf.

#SE282-038

II.

Dornach, 3. September 1924, mittags

Zuerst Übung: Dialog zwischen einem Blutsmenschen und einem Nervenmenschen. Der Blutsmensch bringt seine Meinung in mehr ruhiger Weise hier zum Ausdruck und wird sich in Lauten wie a, o, u und au bewegen. Der Nervöse wird erregter und hitziger sein und e und i bevorzugen.

Der Ruhige: Sahst du das Blaß an Wang und Mund?

Der Nervöse: Nichts im Gesicht bemerkte ich.

Der Ruhige: Du kannst nur schauen, was kraß.

Der Nervöse: Nimm mir nicht mich selbst.

Der Ruhige: Allzustark wachst du kaum.

Der Nervöse: Eben deswegen will ich dies nicht.

Ausführungen über die Umlaute. Aufhellung des Umlautes ä= Kraft-Kräfte, Macht-Mächte.

Durch das Lauterieben sich vertiefen in einzelne Worte und Wort-bedeutungen:

Weinen - Wein - fühlen das sch eurythmisch

= Sch-wein

Nacht - Mahr = Mar-sch

E-Übung. Das sich In-sich-Befestigen. Dann i= zwei korrespondie­rende Übungen, ein Hauptmoment am Ende (a), das andere Haupt-moment in der Mitte (b).

Lebendige Wesen treten wesendes Leben

(a) Wirklich findig wird Ich im irdischen Lebenswesen

(b) Im irdischen Lebenswesen wird Ich wirklich findig

Wechselwirkung von i und e:

Die Liehestriehe werte nicht gering

Eine Übung, um in ausweitender Weise zu sprechen:

Breite weise Wiesen über das Land

#SE282-039

Lebendige Wesen treten wesendes Leben

Fühlen, wie e konsolidierend wirkt; bewirkt das Hineintreten der Nervenkraft in sich; fühlen, wie man sich dabei beruhigt. Es tritt etwas heran, man fühlt sich fest: der Nervenstrom erstarkt in einem; eignet sich daher am besten zum Monolog: in sich Hineinbrüten des Menschen.

Wirklich findig wird Ich im irdischen Lebenswesen

i= aus dem Inneren nach außen. Überzeugen den anderen, der Ner­venkraft nach außen folgend; dagegen zum e hin, hier verspüren die nach innen gehende Nervenkraft des e.

Im irdischen Lebenswesen wird Ich wirklich findig

e= in der Mitte: Weg erst nach innen zu, dann nach außen.

Die Liebestriebe werte nicht gering

ie =Verdichtung der Nervenkraft; «nicht gering » frei herausströmen lassen.

Breite weise Wiesen über das Land

ei= Hineintreiben der Nervenkraft in die umliegenden Gebiete der Nerven, daher Konsolidierung bewirkend, Stützen suchen in anderen Organen. Erhebt uns zur Harmonisierung des Sprachstromes. Alles dies zur Festigung der Stimme.

Abschließende Vokalübungen

a = offen, couragiert den Atem herauslassen

e = verengt sich

i = ganz spitz

o = Arbeit mit Lippen beginnt

u = Lippen angestrengt formend

Lalle im Oststurm

das l wirklich Wellen schlagen lassend!

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gä - nö - bü

Umiaute: oft nicht rein genug heraus.

- uff!

zu Hilfe: die naturgemäß aufgebauten Konsonanten, um ganz aus sich herauszukommen.

Übergang zu den Konsonanten

Mäuse messen mein Essen

Deutlichkeit: jeder gesprochene Laut ganz und voll gestaltet. m, s= gut und ordentlich aussprechen.

Lämmer leisten leises Läuten

Flüssigkeit: der Atemstrom fließt beim Sprechen, so daß man nicht abgehackt ein Wort neben das andere stellt. l findet man sich hinein in 4 wird man allmählich flüssiger sprechen.

Bei biedern Bauern bleib brav

Umhüllend: Geschlossenheit, den Laut rund und voll, nicht spitz, nackt. Die Vokale mit Haut umgeben, damit sie nicht bloßstehen. b= gut aussprechen, dabei Gefühl haben, daß man dadurch die Laute in eine Hülle schließt.

Komm kurzer kräftiger Kerl

Gliederung: Beobachtung der Abschnitte eines Satzes, die durch Bau und Inhalt gegeben sind. Man darf nicht fortreden wie ein Wasser-fall. Der Zuhörer muß mit dem Verstehen des Gesagten immer ge­rade bei dem Ausgesprochenen sein, das erreicht man durch Pausen. k = deutlich aussprechen: verlangt Pausen!

Am Schluß dieser Stunde: Wenn man sich vertieft in das Bilden eines Konsonanten, wie er entsteht, kann man empfinden bei d die Kugelform, bei k die Würfelform. Dieses kann man zum Inhalt einer Meditation machen.

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III.

Dornach, 3. September 1924, nachmittags

Lippenlaute: p m w* b

Zahnlaute: f* V* s sch st c z

Zungenlaute: n d t l

Gaumenlaute: g k ch ng j h

Den Unterschied zwischen diesen Lauten ganz bewußt erfühlen und erlernen. Der Zusammenhang des Mechanisch-Dynamischen und des Lebensvollen darf nur von der Sprache gelernt werden. Die Stimme springt im gewöhnlichen Leben hin und her; zum exakten Sprechen muß man erst Übungen machen, bei denen die Stimme nicht zu springen braucht.

Die folgenden Übungen sich erst zum Bewußtsein bringen, dann aber den Sprachstrom laufen lassen, damit nicht der Verstand die Dinge erklügelt.

Bei meiner Waffe,

Sie Vieh schieden,

Nur erlag Inger ich

Die Stimme geht im Verlaufe des Satz:es nach hinten, ohne eine Stellc zu überspringen: spricht sich angenehm leicht.

Ich ringe Groll,

Rind war beim Baum

Ich ringe groß Schaf,

Voll Rind nieder beim Weih

da springt die Stimme schon. - Diese Übungen und die folgende be­sonders mit Fülle, Deutlichkeit, Rundung.

Verschiedene zusammengestellte Sätze mehr oder weniger primi­tiver Art:

Bei seiner Gartentüre saß er

Er hat dir geraten

Befolge nur aufs beste

* Zusammenwirken von Unterlippe und oberer Zahnreihe, Vergleiche die neue Gliede­rung in Vortrag 18, Seite 356ff.

#SE282-042

Recht vom Herzen gut

So wie du nur gerade vermagst

Rechten Rat

der Gang der Stimme mehrmals tun und her, aber immer ohne zu springen. Dies wirklich schön sprechend.

Und es wallet und siedet und brauset und zischt,

Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt.

Gut, um scharfe, komplizierte Kurve zu bekommen: immer zur Zunge zurück; das ist nicht mehr primitiv, schon dramatisch. Das Konsonan-tische dominiert, daher: aus den Elementen, nicht aus der Seele heraus.

Von anderem Gesichtswinkel aus:

Blaselaute

Stoßlaute

Zitterlaut

Wellenlaut

das heißt, das, was in der Luft draußen geschieht, wenn wir mit ihnen arbeiten: wir müssen fühlen, was der Konsonant in der Luft macht, nicht in unserer Kehle!

Tritt dort die Tür durch

Beim Rezitieren müssen alle die Affekte im Worte in der Lautgestal­tung mitempfunden werden. Dazu gut, wenn sich die Zunge zum Tastorgan ausbildet: den Laut befühlt. Hier: fühien den Unterschied zwischen hart t, sanft d.

Horch!

h= hinausgehen, hinausgleiten mit dem Atemstrom, ch- das Ein­tauchen, das Eingehen: sich assimilieren.

ich

drückt das Wesen des Deutschen aus: freundlich, häßlich, oder auch g am Ende.

Halt! Hebe hurtig hohe Humpen!

Hole Heinrich hierher hohe Halme

#SE282-043

Das Won wird durch h kräftiger, bekommt Wucht. Manche Men­schen sprechen zu nahe an den Lippen, dadurch verlien ihre Sprache an Kraft und Eindringlichkeit. Bei «Halt!» Atem heraus! Ausruf-zeichen! Der, den man anruft, muß auch wirklich halten.

Pfeife pfiffige Pfeiferpfiffe

im pf liegt hartes Zurückweisen: Vergleiche «pfui !», hier: aus Ruhe in Tätigkeit heraus.

Empfange empfindend Pfunde Pfeffer

gemildert: pf weich und hart; man wird höflicher, fast sentimental.

Schwinge schwere Schwalbe

Schnell im Schwunge

schmerzlos

= etwas vertraulich mitteilen. Wenn man vom Sinn absieht, offenbart sich der Laut! Das ist anzustreben.

Ach forsche rasch;

Es schoß so scharf auf Schußweise

man wird von den Lauten fortgerissen, gepackt! Blaselaute.

Drück die Dinge, die beiden Narrenkappen Tag um Tag stoßen!

Sturm-Wort rumort um Tor und Turm

zu nuancieren in den Konsonanten; die ersten: mehr schwimmen im Sprachstrom, die letzten: stoßen.

Molch-Wurm bohrt durch Tor und Turm

möglichst dunkel und dröhnend sprechen, um eine etwas zu hellc Färbung der Stimme zu beseitigen.

Dumm tobt Wurm-Molch durch Tor und Turm

zu achten auf die drei verschiedenen Stimmungen, die in den drei Zeilen allein durch das Lautliche entstehen.

#SE282-044

Abracadabra

Rabadacabra = aggressiv!

Bradacaraba = wenig nobel!

Cadarabraba

Man könnte dieses Wort wie ein Mantram empfinden. Vergleiche den französischen Dichter Mallarmé, «mot magique». Es bezeugt, daß es kein ausgeklügeltes Wort ist.

A = der ganze Mensch

b = Umhüllung, Haus des Menschen

Ab = Mensch mit seinem Haus

Abr = läuft

Abra = kommt heraus

Abrac = stellt sich kräftig hin

Abraca = fühlt sich Mensch

Abracad = zeigt auf den anderen Menschen

Abracadabra = fühlt dann in ihm auch einen Menschen L


IV.

Dornach, 4. September 1924, mittags

Beim künstlerischen Sprechen muß der ganze Organismus - Nerven­Sinnesorganismus, Blutzirkulationsorganismus und Stoffwechsel-Organismus - beteiligt sein. Atem und Puls stehen in einem Verhältnis von 1:4; 18 Atemzüge und 72 Pulsschläge in der Minute. Der Grieche, welcher noch wirklich das Übersinnliche empfunden und es auch zum Ausdruck gebracht hat, weil er noch nicht wie der heutige Mensch im Ich stand, hat diese Gesetze im Hexameter ausgedrückt. Drei Dakty­len, Zäsur auf einem Atemzug; dann wiederum drei Daktylen, Pause, Zeilenende.

- u u - u u - u u / - u u - u u - u u/

Die griechische Epik muß mehr rezitiert werden, in der nordischen Epik ist schon ein starker Einschlag zum Deklamatorischen durch den Hoch- und Tiefton.

Rezitation = mehr für epische Dichtung

Deklamation = mehr für lyrische Dichtung.

#SE282-045

Singe o Muse vom Zorn mir des Peleiden Achlieus

-u u - u u - -/ - u u - uu - -/

Zäsur für Atem Pause

Im Rhythmus zwei Systeme: Normal Atem 18 - Blut, Puls 72=1:4. Wenn Zäsur nicht gebracht wird, fehlt etwas. Hierbei ist nicht nur auf den flüssigen Rhythmus, sondern auch auf die richtige, sinngemäße Färbung der Vokale zu sehen. Den Ton durchsichtig machen: innere Modulation bei Muse: u; dagegen Empuse: u hart. Anpacken, aus­drücken: Zorn! In den Puls hinein spielt schon der Wille.

Bei Homer: das Unsterbliche klingt durch die Dichtung - bei Klopstock: als Seele angesprochen. Heute: ist es ganz weg.

Uns ist in alten maeren wunders vil geseit

von heleden lobebaeren von grözer arebeit

Im Altgermanischen: Hoch- und Tiefton. Diese Dichtung hatte zum Inhalt Geschehnisse übersinnlicher Welten, die sich wie ein Alpdruck auf die Seele legten: mar= Nachtmar! Aber: noch mit der ganzen menschlichen Organisation verbunden. Vergleiche das Kind, wie es wächst. Volk, wenn noch jung - aus Wachstumskräften ersteht die Dichtung: Das Epische ist die ursprüngliche Dichtform. Wollen wir wieder Stil finden, müssen wir uns an diese Dinge halten.

Unterschied: Rezitation - Deklamation

Episch: Epik:

Was mit Ebenmaß gebildet wird: Laute zurücknehmen in dumpfere

das - bildhaft-plastisch - gestaltet Region, Gaumenlaute. Äther-

das Einatmen, arbeitet mit Pausen, leib: Wachstumskräfte.

besonders notwendig vorberei­

tend das Gestalten des neuen

Momentes. Griechisch: rezitiert.

Nordisch: durch Hoch- und Tief-

ton schon Einschlag des Willens. -

Die Deutschen waren lyrisch ge­

stimmt, ihnen lag das Deklama­

torische.

#SE282-046

Lyrisch: Lyrik:

Musikalisch-deklamatorisch. Aus- Tiefstes Inneres teilen wir der

atmung arbeitet: auf deren Wo- Außenwelt mit. Nur erträglich,

gen wird das Musikalische zum wenn mit Lippenlauten gespro-

Ausdruck gebracht. chen. Das Innerste gerade ver­bunden mit dem Willen. Ich.

Dramatisch: Dramatik:

Bedient sich beider Mittel, beides Lebt in Sympathie - Antipathie.

durchdringt sich; musikalisch- Astralleib; dafür Ausdrucksorgan

deklamatorisch - die lyrische =Zunge, das heißt, man schmeckt

Note: wenn der Spieler Eigenes das Bittere, Saure, Süße. Der

ausspricht; rezitatorisch: das Epi- Dichter wird Zungenlaute an­-

sche: wenn er erzählt oder Urteil häufen.

abgibt; aufgeregtes Erzählen:

stark Konsonantieren; Repliken:

vokalisch zunächst, solange lang­sam.

Rezitation Es stand in alten Zeiten

Ein Schloß, so hoch und hehr,

Weit glänzt' es über die Lande

Bis an das blaue Meer.

Hinstellen das alles, so daß die Leute es sehen! Zum Beispiel: a in «es stand»: muß uns schon fesseln. Das a benützen, das uns die Ge­schehnisse herausprojiziert, in alte Zeiten hinein. «in alten Zeiten»:

abrücken. o in «Schloß»: voll, Rundung. «hoch und hehr»: um pom­pös zu wirken, macht man es plastisch. «über die Lande»: in sich gliedern, aber nicht verschwommen. «blaue Meer»: abrücken.

Allgemeine Bemerkungen. Das Musikalische webt in sich. Das Sprechen braucht die Bewegungsgebärde, die nie aufgehalten werden darf. Hier die größte Gefahr für einige, die das Gesangliche viel mehr empfinden als das Plastische. - Das bewußte Willenselement, das sich erst später im Gedicht ausleben muß, wenn das Dramatische in das Gedicht einschlägt, darf nicht zu stark sein. - Wenn die dramatische Kraft überwiegt, wird das Epische zurückgedrängt; sie wird zu stark.

#SE282-047

Deklamation Über allen Gipfeln

Ist Ruh.

In allen Wipfeln

Spürest du

Kaum einen Hauch;

Die Vögelein schweigen im Walde.

Warte nur, balde

Ruhest du auch.

Erster Teil: Man muß den Willen etwas in den ganz ausströmenden Atem hineinbringen; aus dem Kopfbewußtsein heraus, nicht Kopf-resonanz; mit Lippenlauten, sonst greulich; objektive, fast epische Schilderung. Man geht mehr mit dem Gefühl mit, wenn man mit dem frei ausströmenden Atem spricht.

Im zweiten Teil besonders von sich selbst lösen. Die objektive Schilderung ist vorbei, zu Ende. Der Dichter geht in sein Inneres her­ein. Bei «warte nur» kommt sein Brustsystem in Aktion. Das muß sich durch eine Pause auf dem Hintergrund des anderen abheben. Nach «balde» ist Zeit zu atmen, neu den Atem herauszubringen. Auf «ruhest» etwas verweilen. - Es ist kein besonderer Schmerz in dem Gedicht, sondern eine ganz abgeklärte Bereitwilligkeit, sogar der Wunsch, zu ruhen. - Aber es tritt zum Kopfsystem, aus dem das erste gesprochen war, noch das rhythmische System hinzu, welches das Gefühlsleben ist.

V.

Dornach, 4. September 1924, nachmittags

Nachdem die grundiegenden Unterschiede von Deklamation und Re­zitation praktisch in der vorangegangenen Stunde dargestellt wurden, kann auf die früher berechtigten Fachbezeichnungen der Schauspieler hingewiesen werden.

Naive: mehr rezitieren, höher sprechen

Sentimentale: mehr deklamieren, tiefer sprechen

Charakterspieler: rezitieren, aber tief

Heldenspieler: deklamieren, aber hoch.

#SE282-048

Solche Typen waren in alten Zeiten nicht willkürlich, fußten im Theaterwesen der früheren Epochen auf guter alter Tradition, die ihre volle Berechtigung hatte. Nur gingen die Schlüssel dazu verloren.

Da morgen Herr Dr. Steiner seinen Kurs beginnen wird, wird heute alles auf das praktische Üben verlegt.

Hoch klingt das Lied vom braven Mann,

Wie Orgelton und Glockenklang.

Wer hohen Muts sich rühmen kann,

Den lohnt nicht Gold, den lohnt Gesang.

Gottlob, daß ich singen und preisen kann,

Zu singen und preisen den braven Mann.

Rein lyrisch; Lippenlaute.

Der Tauwind kam vom Mittagsmeer

Und schnob durch Weischland trüb und feucht;

Die Wolken flogen vor ihm her,

Wie wenn der Wolf die Herde scheucht.

Er fegte die Felder, zerbrach den Forst;

Auf Seen und Strömen das Grundeis borst.

Schildernd; Gaumenlaute. Der Zuhörer muß Worte, die in ihn hin­eingehen sollen, länger gesprochen bekommen; zum Beispiel «Wol­ken», «Grundeis» und so weiter. Dagegen mehr nebenbei wird ge­sprochen, etwas schneller, der Nebensatz: «Wie wenn der Wolf die Herde scheucht.» «Wolf»: böse; Wortgebärde.

Als Abschluß vier Sprach-Meditationsübungen:

Weiße Helligkeit scheinet in die schwarze Finsternis

Die schwarze Finsternis ergreift die fühlende Seele

Die fühlende Seele ersehnet die weiße Helligkeit

Die weiße Helligkeit ist der wollende Seelentrieb

Der wollende Seelentrieh findet die weiße Helligkeit

In der weißen Helligkeit wehet die sehnende Seele -

Rein Geistiges ausdrücken: durchschimmern lassen die Verschieden-heit von Licht und Finsternis. Mehr im reinen Gefühl, weniger mit Willenseinschlag: «Die fühlende Seele ersehnet die weiße Helligkeit.» Ebenso das Finden der Helligkeit. Das «webet» mehr im reinen Ge­fühlsstrom, das andere mehr mit Willenseinschlag.

#SE282-049

Richtlinie für das, was wir in unserer Kunst ausdrücken sollen. Die folgende Übung ist im Aufbau eine Umkehrung dessen, was auf­gebaut ist in der Übung: « In den unermeßlich weiten Räumen.»

Du findest dich selbst:

Suchend in Weltenfernen,

Strebend nach Weltenhöhen,

Kämpfend in Weltentiefen.

Zuerst das Vorstellungsgemäße, dann die drei Nuancierungen:

suchend, strebend, kämpfend.

Sende aufwärts sehnend Verlangen -

Sende vorwärts bedachtes Streben -

Sende rückwärts gewissenhaft Bedenken

Trotzdem es rückwärts geht, Steigerung in der Intensität.

Solche mantrischen Sprüche sind in mehrfacher Hinsicht nützlich. Es wird auch lehren, die Stimme zu einem Kahn zu machen, der einen anderen trägt. Für die Rezitation zur Eurythmie ist es sehr wichtig, daß die Stimme tragender Kahn wird!

Wäge dein Wollen klar,

Richte dein Fühlen wahr,

Stähle dein Denken starr:

Starres Denken trägt,

Rechtes Fühlen wahrt,

Klarem Wollen folgt

Die Tat.

Erstens: Erwartung. Wie ein Gebot aus geistigen Welten, von geisti­gen Wesenheiten, nicht bloß wie von einem alten, wohlwollenden Lehrer.

Der zweite Teil faßt zusammen, was schon vorbereitet ist, die Er­füllung. Bei «wahrt » in das t hinübergehen, das etwas Herunter­senkendes hat. Falls Pause nötig, nach «folgt».

Alles Lehrhaft-Abstrakte muß weg, das Geistig-Erlebte muß hin­ein. Nicht lehrhaft-rellgiös. Die Möglichkeit, das Naturhafte mit Bild­haftem oder Musikalischem zu füllen. Beides durchdringt sich hier. Es muß sich lösen, vergeistigen, was innerhalb der Sinnesanschauung bildhaft ist.

#SE282-050

Wenn man an die Szene im Geistgebiet «Die Pforte der Einwei­hung», Devachan, 7. Bild, denkt, kann man sehen, was damit ge­meint ist.

Im zweiten Teil ist ein starker Willenseinschiag notwendig.

SPRACHGESTALTUNG UND DRAMATISCHE KUNST Dornach, 5. September 1924 Die Sprachgestaltung als Kunst

#G282-1969-SE053 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

SPRACHGESTALTUNG

UND DRAMATISCHE KUNST

ERSTER TEIL

Über die eigentliche Sprachgestaltung

ERSTER VORTRAG

Dornach, 5. September 1924

Die Sprachgestaltung als Kunst

#TX

Dieser Kursus hat eine kleine Geschichte, und es ist vielleicht notwendig, daß ich diese kleine Geschichte in die Einleitung, die ich zu sprechen gedenke, hineinverwebe, schon aus dem Grunde, weil heute nur eine allgemeine Einleitung von mir gegeben werden soll. Es wird dann mit der eigentlichen Gliederung des Kursus morgen begonnen werden. Diese Gliederung des Kursus wird so sein, daß die Ausein­andersetzungen über Sprachgestaltung und dramatische Kunst von mir gegeben werden, und der Teil, der sich mit der eigentlichen Sprach­gestaltung zu befassen hat, von Frau Dr. Steiner gegeben wird, so daß also der Kursus von uns beiden in Gemeinsamkeit zu halten sein wird.

Die Gliederung des Kursus soll ungefähr so sein, daß er in seinem ersten Teil die eigentliche Sprachgestaltung umfassen wird, in seinem zweiten Teil die Bühnenkunst, also das Dramatisch-Bühnenmäßige, Regiekunst und Bühnenkunst überhaupt. In seinem dritten Teil soll er auf das Thema kommen: Die Schauspielkunst und alles dasjenige, was vor der Schauspielkunst, sei es bloß genießend, sei es kritisierend und dergleichen, steht, ich möchte sagen: die Schauspielkunst und die übrige Menschheit. Das soll dann der dritte Teil sein.

Es wird sich dann besprechen lassen, wie unsere Zeit gewisse For­derungen enthält für die Schauspielkunst, und wie die Schauspielkunst hineingestellt werden soll in die Zeit gegenüber der Art und Weise, wie überhaupt heute die Menschheit lebt.

Ich sagte, der Kursus hat eine kleine Geschichte. Er ging davon aus, daß zu Frau Dr. Steiner und mir zunächst einzelne Persönlich­keiten kamen, welche das Bedürfnis hatten, aus ihrem Drinnenstehen im Bühnenmäßigen an die Anthroposophie heranzukommen in dem Glauben, daß, weil ja Anthroposophie heute dasjenige sein soll, das nach allen Seiten hin Anregungen gibt, nach der religiösen, der künst­lerischen, wissenschaftlichen und so weiter - auch nach der künst­lerisch-dramatischen

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Seite Anregungen gegeben werden sollen oder können.

Das kann ja durchaus der Fall sein, denn es gingen die verschiedenen Kurse voraus, die Frau Dr. Steiner für Sprachgestaltung gegeben hat. Es ging auch jetzt ein Kursus von Frau Dr. Steiner über Sprachgestal­tung voraus, dem ich dazumal schon einiges hinzufügen durfte, was sich auf die Bühne selbst bezieht, der hier stattfand. Es ging voraus, daß von diesem Kursus dann allerlei Anregungen ausgegangen sind, und daß wiederum auf der anderen Seite Persönlichkeiten, die im Bühnenleben drinnenstanden, das oder jenes, was bisher als Anregung gegeben worden ist von unserer Seite her, schon vor die Öffentlich­keit hingestellt haben. Einzelne Gruppen von Persönlichkeiten traten ja in der Welt bühnenmäßig auf mit der Anerkennung zunächst für sie selbst, daß von hier aus gewisse Anregungen ausgehen können.

Dazu kommt, daß diejenige Kunst, die unter uns steht seit 1912, die eurythmische Kunst, nahe, möglichst nahe an das heutige Bühnen­mäßige angrenzt. Und daß diese eurythmische Kunst in der Zukunft ganz mit dem Bühnenmäßigen eins werden muß, das geht schon aus der äußerlichen Art, wie sie vorgebracht werden muß , so hervor, daß einfach die Schauspielkunst das Eurythmische als etwas zu ihr Ge­höriges in der Zukunft wird zu betrachten haben. Dieses Euryth-mische war ja zunachst, als es von mir gegeben worden ist, im aller-kleinsten Rahmen gedacht, vielleicht überhaupt nicht gedacht, könnte ich sagen, denn es lag die Sache 1912 so, wie immer die Dinge liegen, wenn in der richtigen Art innerhalb der anthroposophischen Bewe­gung gearbeitet wird: man nimmt dasjenige, was Karma fordert, auf, und gibt so viel, als gerade die Gelegenheit dazu da ist. Das ist in der anthroposophischen Bewegung nicht anders möglich. In der anthro­posophischen Bewegung hat man nicht eine Tendenz, Reformgedan­ken zu haben, man hat nicht die Tendenz, eine Idee in die Welt zu setzen, sondern man hat das Karma vor sich. Und dazumal war es so, daß im allerengsten Kreise das Bedürfnis entstand, sozusagen eine Art Beruf zu bilden. Es war auf die naturgemäßeste, aber auch karma­gemäßeste Weise. Und da tat ich zunächst so viel, als gerade notwendig war, um diesem Karma entgegenzukommen.

#SE282-055

Dann wiederum war es ebenso karmisch, daß etwa zwei Jahre da­nach Frau Dr. Steiner, deren Domäne das selbstverständlich innig berührte, sich der eurythmischen Kunst annahm. Und alles, was dann daraus geworden ist, ist ja durch sie eigentlich erst geworden. So daß es also ganz selbstverständlich ist, daß auch dieser Kursus jetzt, der unmittelbar in diesen Anregungen auf das Jahr 1913, 1914 zurückgeht, sich hineinstellt in die Sektion für redende Künste, deren Leiter Frau Dr. Steiner ist.

Nun hat sich also aus all jenen Vorbedingungen heraus diese Idee gebildet, hier etwas zu tun für Sprachgestaltung und dramatische Kunst. Ich kann nur sagen, zunächst etwas zu tun. Ihren vollen Sinn hätte sie natürlich nur dann bekommen, wenn ausschließlich Berufs-schauspieler oder solche, die aus genügenden Vorbedingungen heraus das werden wollen, hier zusammengekommen wären, wahrscheinlich in einem nicht sehr großen Kreise, und so weit gearbeitet worden wäre auch nach dieser dreifachen Gliederung, die ich ja für den Kursus beibehalten möchte, aber eben gearbeitet worden wäre so weit, daß dann die Teilnehmer eine Gruppe gebildet hätten, die nun als Schau­spieler hinauszögen, eine Wandertruppe, und die an verschiedenen Orten dasjenige verwerteten, was hier gepflegt worden ist. Denn sol­che Dinge wie diejenigen, die vorgebracht werden sollen, haben eben ihren tieferen Sinn erst dann, wenn sie auch wirklich vor die Welt hingestellt werden. Also das war im Grunde genommen der durch die Sache selbst gegebene Sinn.

Nun, daß Sie alle das nicht wollen, und daß es nicht möglich ist, mit diesem Auditorium das auszuführen, ist auch woM wieder ohne weiteres klar. Ich glaube nicht, daß sich das tun ließe, obwohi es viel­leicht nicht einmal so furchtbar schlimm wäre für die Welt, wenn die bestehenden Theaterpersonalien ersetzt würden in dieser Weise; aber einige wenige von denen, die ich hier sitzen sehe, von denen weiß ich, daß sie diese Absicht nicht haben!

Es ist aber so gekommen, daß aus zwei Gründen die Sache nicht diese ins Praktische gerichtete Orientierung annehmen konnte: er­stens, weil weder diejenigen, die es tun sollten, noch wir, die eine An­regung dazu geben sollten, Geld hatten; das ist ja dasjenige, was bei

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uns am allermeisten immer fehlt. An sich wäre die Sache schon ge­gangen, aber es ist kein Geld dazu da, denn mit etwas, was nicht ordentlich fundiert ist, kann ja die Sache natürlich nicht gemacht wer­den; da kann es nur dann auf eigenes Risiko derjenigen gemacht wer­den, welche die Anregung bekommen.

Dann erhob sich auf der anderen Seite ein so lebhaftes Interesse gerade für diesen Kursus, daß man nun anfangen mußte, die Frage zu stellen: Wer kann nun außer den Berufsschauspielern oder auf die Schauspielkunst hin arbeitenden Persönlichkeiten noch dazu kommen? Da war man zunächst etwas rigoros; aber der Kreis war einmal durch­brochen, und dann hat es kein Ende mehr. Diese Erfahrung haben wir insbesondere diesmal gemacht.

So also wird der Kursus im wesentlichen dasjenige sein, was den Inhalt der Bühnenkunst darzustellen hat, insoferne diese Bühnenkunst wirklich allseitig nach ihren Hilfsmitteln und nach ihrer Orientierung ausschaut. Und so, meine sehr verehrten Anwesenden, möchte ich heute einieitungsweise im allgemeinen über dasjenige sprechen, was eigentlich Inhalt des Kursus werden soli.

Es handelt sich zunächst darum, daß Sprechen sehr häufig nichtso j wendig ist für denjenigen, der das Sprechen in irgendeiner not-weit in bezug auf das Künstlerische durchschaut wird, wie es den Dienst des Künstlerischen zu stellen hat. Man kann, wenn es sich um Sprechen handelt, fast dieselbe Erfahrung machen, die man in bezug auf das Dichten und noch einige andere Dinge macht. Es wird kaum leicht einem Menschen einfallen, ohne irgendwie die Vorbedin­gungen dazu überwunden zu haben, sich ans Klavier setzen zu wollen und zu spielen. Aber es besteht schon die allgemeine Tendenz, daß Dichten jeder kann, und daß auch Sprechen jeder kann. Dennoch wer­den die Unzulänglichkeiten, die auf diesem Gebiete herrschen, nicht eher behoben werden, und die allgemeine Unbefriedigtheit, die heute bei den Ausführenden besteht, wird ebensowenig behoben werden, wenn nicht die allgemeine Anschauung durchgreift, daß Vorbedin­gungen zum Sprechen ebenso notwendig sind wie Vorbedingungen zum musikalisch-künstlerischen Wirken.

Ich kam einmal zu einer anthroposophlschen Versammlung, die

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gelegentlich eines Kursus veranstaltet wurde, einer Art Nachmittags­tee; da sollten auch künstlerische Produktionen stattfinden. Ich wlll über die übrigen nicht sprechen, aber über eine doch. Ich hatte gar keinen Anteil am Programm; das hatte das Ortskomitee. Und da trat mir der hauptsächlichste Veranstalter eigentlich entgegen, und ich er­kundigte mich nach dem Programm. Da sagte er, daß er nun selber rezitieren werde. Ich habe da die Technik anwenden müssen, die ja überhaupt in solchen Dingen manchmal notwendig ist, bis ins Inner­ste zu erschrecken und es nicht zu zeigen. Das muß man auch erst lernen, aber ich glaube, es ist mir dazumal zunächst gelungen, dieses Stückchen. Dann aber fragte ich, was er denn nun rezitieren wollte. Da sagte er mir, zuerst ein Gedicht, das herrührt von dem Erzieher Friedrich Wilhelms IV., das auf Kepler ist. Ich kannte das Gedicht zufällig, es ist ein wunderschönes Gedicht, aber furchtbar lang, meh­rere Druckseiten lang. Ich sagte: Das wird aber etwas lang sein. -Da sagte er, er wollte das nicht allein rezitieren, sondern er wollte gleich darauf folgen lassen noch das Goethesche «Märchen von der grünen Schlange und der schönen Lilie», und dann, wenn es noch geht, meinte er, Goethes «Geheimnisse». Und nun konnte ich tat­sächlich den Schreck mit aller Technik nicht mehr so leicht zurück­halten!

Nun begann er zunächst mit dem Gedichte. Es war allerdings ein mäßig großer Raum, aber immerhin, es war eine Anzahl von Men­schen darinnen. - Der erste ging heraus, der zweite ging heraus, der dritte wurde eine Gruppe, und zuletzt stand eine sehr gutmütige Dame mitten drinnen allein als Zuhörerin. Der Rezitator sagte nun: Es wird vielleicht etwas zu lang sein. - Damit endete die Szene.

Es bestehen solche Anschauungen nicht bloß außerhalb der Anthro­posophischen Gesellschaft, sondern auch zuweilen innerhalb der Anthroposophlschen Gesellschaft. Nun, diese Dinge, die man da charakterisieren kann, wenn man solche Grotesken erzählt, die aber in ihren leisen Gestaltungen doch vielfach vorliegen, müssen natürlich, wenn Befriedigung eintreten soll auf diesem Gebiete für denjenigen, der künstlerische Auffassung und künstlerischen Impetus hat, gründ­lich überwunden werden. Und vor allen Dingen muß gründlich verstanden

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werden, wie die Sprachgestaltung wirklich bis zu dem Laut hin Kunst sein muß für den Sprecher, geradeso wie das Musikalische bis zu dem Ton hin Kunst sein muß.

Erst wenn dieses wirklich durchschaut wird, dann wird einige Be­friedigung, vor allen Dingen auch einiges von dem eintreten, was bewirken kann, daß wiederum Stil in die redenden Künste hinein-kommt, in die redenden Künste, die ja den Stil gründlich beseitigt haben. Keine Kunst ist möglich ohne Stil.

Nun, hier, möchte ich sagen, geziemt es sich, wenn diese Dinge besprochen werden, zu gleicher Zeit immer darauf aufmerksam zu machen, wie sie sich verhalten mit Bezug auf das okkult hinter den Dingen Steckende. Und da entsteht denn die Frage: Wovon im Men­schen geht eigentlich das Sprechen aus?

Das Sprechen geht nämlich nicht unmittelbar vom Ich aus, sondern das Sprechen geht eigentlich vom astralischen Organismus aus. Das Tier hat auch den astralischen Organismus, bringt es aber normaler­weise nicht zum Sprechen. Das ist aus dem Grunde, weil alle Glieder der menschlichen Wesenheit, der tierischen Wesenheit, nicht nur für sich da sind, sondern jedes einzelne von allen anderen durchdrungen und dadurch in seiner Wesenheit modifiziert wird.

Es ist niemals in vollem Sinne des Wortes richtig, zu sagen, der Mensch besteht aus physischem Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich, denn man bekommt da leicht den Gedanken, diese Glieder der menschlichen Natur seien nebeneinander, und es sei eine Auffassung möglich, welche diese Glieder nebeneinander stellt. Sie stehen nicht nebeneinander. Sie durchdringen sich im wachen Bewußtsein. Und so muß man sagen: Der Mensch hat nicht nur einen physischen Leib -der würde ganz anders aussehen, wenn er nur seinen eigenen Gesetzen folgte -, sondern der Mensch hat einen physischen Leib, der vom Ätherleib, vom astralischen Leib, vom Ich modifiziert wird. - In jedem einzelnen Gliede der menschlichen Natur stecken auch die drei übri­gen darin. So steckt auch im astralischen Leib jedes andere Glied der menschlichen Natur.

Nun, das hat ja auch das Tier: der physische Leib steckt im astra-lischen Leib des Tierischen, der Ätherleib steckt im astralischen Leib

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des Tierischen, aber das Ich modifiziert lediglich beim Menschen den astralischen Leib. Und von diesem astralischen Leib, der von dem Ich modifiziert wird, geht der Impuls des Sprechens aus.

Das ist es gerade, was berücksichtigt werden muß, wenn man künst­lerisch in der Sprachgestaltung bis zum Laut kommen will, denn der Laut wird im gewöhnlichen alltäglichen Sprechen vollständig im Un­bewußten geformt. Aber dieses Unbewußte muß in einer gewissen Weise ins Bewußtsein heraufgehoben werden, wenn das Sprechen von dem Nichtkünstlerischen in das Künstlerische gehoben werden soll.

Bedenken wir dabei nur das eine. Von demjenigen Sprechen, das wir heute im gewöhnlichen Leben pflegen, ist das Sprechen überhaupt nicht ausgegangen, gerade so wenig wie von unserer Schrift das Schreiben der Menschen ausgegangen ist. Vergleichen Sie die alte ägyptische Bilderschrift, so haben Sie noch eine Vorstellung, wovon das Schreiben ausgegangen ist. Und ebenso ist das Reden nicht von dem heutigen Reden ausgegangen, das alles mögliche in sich enthält, Konventionelles, Erkenntnismäßjges und so weiter, sondern es ist das Sprechen von dem ausgegangen, was_künstlerisch im Menschen lebt. Will man daher das Künstlerische durchschauen, dann muß man schon wenigstens eine Empfindung dafür haben, daß die Sprache von menschlicher Künstlerschaft, nicht von menschlicher Zweckmäßig­keit, Wissenschaftlichkeit ausgegangen ist.

Es gab Zeiten in der Erdenentwickelung, in welchen die Menschen unrhythmisch überhaupt nicht haben sprechen können, sondern das Bedürfnis hatten, wenn sie überhaupt sprachen, immer im Rhythmus zu sprechen. Es gab Zeiten, in denen man zum Beispiel gar nicht anders konnte, als, wenn man etwas sagte, was einem pointiert er­schien, es durch Sprachgestaltung zu sagen. Nehmen wir zum Bei­spiel in ganz einfacher Weise, jemand wollte aus den Impulsen des ursprünglichen Sprechens heraus sagen, ein Mensch stolpert dahin. Es würde genügt haben, wenn er gesagt hätte, er stolpert über Stock, denn Stöcke, die liegen überall in der Urkultur, oder auch, weil Steine überall liegen, er stolpert über Stein. Aber das sagte er nicht, sondern er sagte, er stolpert über Stock und Stein, weil in dem «Stock und Stein», ganz gleichgültig, ob man exakt die

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Außenwelt damit bezeichnet oder nicht, ein inneres künstlerisches Gestalten der Sprache liegt. Will man etwas pointiert andeuten, so sagt man, ein Schiff geht nicht bloß unter mit Mann, sondern auch mit demjenigen, das man vielleicht gar nicht gern auf dem Schiffe hat, mit Maus. Man sagt, das Schiff geht unter mit «Mann und Maus», wenn man aus dem ursprünglichen Impuls des Sprechens heraus gestaltet.

Dieser Impuls des Sprechens lebt eigentlich heute am allerwenig­sten in der Menschheit. Dafür gibt es Gründe, daß er nicht waltet. Die Gründe bestehen darinnen, daß er schon leider in der Schule nicht waltet, weil unsere Schulen, und zwar im ganzen internationalen Leben, das Künstlerische verloren haben. Deshalb müssen wir ja so stark in der Waldorfschule wiederum für das Künstlerische eintreten, weil unsere Schule das Künstlerische verloren hat und auf die Wissen­schaft gestellt ist. Die Wissenschaft ist aber unkünstlerisch. Und so ist eben die Wissenschaft in die Schule hinuntergesickert. Nach und nach, im Laufe der letzten vier bis fünf Jahrhunderte, ist unsere Schule für denjenigen, der mit künstlerischem Gefühl in eine Klasse hinein-kommt, das Barbarischeste geworden, das man sich denken kann.

Aber wenn in der Erziehung schon nicht das Künstlerische da ist -und gesprochen wird ja in der Klasse, denn Sprechen ist ein Teil des Unterrichtes -, wenn in der Schule schon das Künstlerische nicht da ist, es also nicht in die Erziehung fließt, so ist es ganz selbstverständ­lich, daß die Menschen es im späteren Leben nicht haben. Und daher hat heute eigentlich die Menschheit am allerwenigsten im allgemeinen künstlerisches Gefühl, und deshalb auch nicht viel künstlerisches Be­dürfnis, die Sprache zu gestalten.

Es wird einem auch sehr wenig oft gesagt, das ist nicht schön ge­sprochen; aber sehr häufig, das ist nicht richtig gesprochen. Der pedantische Grammatiker bessert einen aus, aber der künstlerisch empfindende Mensch bessert einem heute sehr wenig die Sprache aus. Es ist so allgemeine Umgangsform, daß dies nicht so nötig ist.

Der astralische Leib ist zum großen Teil im Unbewußten der Men­schen gelegen. Aber der Sprachkünstler muß dasjenige, was im astra­lischen Leib für das gewöhnliche Sprechen unbewußt abläuft, beherrschen

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lernen. Das hat man auch allinählich gefühlt in der neueren Zeit. Daher sind die verschiedenen Methoden nicht nur für das Singen, sondern auch für das Rezitieren, Deklamieren und so weiter aufgetre­ten. Aber dabei verfährt man zumeist in einer eigentümlichen Weise.

Man verfährt so, wie man etwa verfahren würde, wenn man, sagen wir, jemandem das Pflügen lehren wollte und keine Rücksicht darauf nehmen würde, wie der Pflug ausschaut, wie der Acker ausschaut, auf dem man pflügt, was durch das Pflügen erreicht werden soll, son­dern fragen würde: Ja, da ist der menschliche Oberarm, der mensch­liche Unterarm; welchen Winkel soll naturgemäß - dieses Wort ge­braucht man ja sehr häufig -Ober-und Unterarm haben?Wiesoll,» sich der Unterschenkel bewegen, wenn sich Ober- und Unterarm in

einem bestimmten Winkel bewegen, einstellen? Und so weiter. - Wie wenn man gar nicht Rücksicht darauf nehmen würde, was der Pflug auf dem Felde erreichen soll, und bloß fragen würde, welche Methode bringt den Menschen in eine bestimmte Form von Bewegungen. -So sind diese Methoden für das Sprechen eingerichtet. Sie werden mit Ausschluß des objektiven Bestandes der Sprache gepflogen. Pflü­gen lehrt man einen Menschen dadurch, daß man vor allen Dingen den Pflug zu behandeln weiß, daß man weiß, wie richtig gepflügt wird, und daß man dann achtgibt, daß der Mensch das nicht falsch macht. Und so handelt es sich auch bei der Sprachgestaltung darum, daß alle diese heute in der dilettantischesten Weise aufgestellten Methoden, weil sie das nicht berücksichtigen, was ich gesagt habe, daß diese Methoden von Atemtechnik, Zwerchfelltechnik, Nasen-resonanz und so weiter, alle so unterrichten, als ob die Sprache eigent­lich gar nicht da wäre, daß sie nicht ausgehen von der Sprache, son­dern im Grunde genommen von der Anatomie. Dasjenige, um was es sich handelt, ist, daß man vor allen Dingen den Organismus der Sprache selber kennenlernt. Der Organismus der Sprache ist im Laufe der Menschheitsentwickelung aus dem Menschen heraus gekommen. Da­her wird er im wesentlichen, wenn er richtig erfaßt wird, der mensch­lichen Organisation nicht widersprechen, und wo er ihr widerspricht, muß es in den Einzelheiten gefunden werden, kann nicht eine Kor­rektur erfahren durch Methoden, die eigentlich mit der Sprache im

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Grunde so viel zu tun haben wie das Turnen mit dem Pflügen, wenn nicht gerade ein Pflug unter die Turngeräte aufgenommen würde, was ich bisher in keiner Turnanstalt gefunden habe. Ich würde es nicht als eine Torheit betrachten, einen Pflug unter die Turngeräte aufzu­nehmen; es wäre vielleicht sogar ganz gescheit, aber es ist eben noch nicht geschehen.

Darum handelt es sich also, daß vor allen Dingen erkannt wird der Sprachorganismus als solcher. Dieser Sprachorganismus, der ist im Grunde genommen so, daß er unmittelbar im Laufe der Menschheits­entwickelung erflossen ist aus der durch das Ich modifizierten Ge­staltung des astralischen Menschenleibes. Da kommt die Sprache her­aus. Nur so, daß man dabei berücksichtigen muß: der Astralleib stößt nach unten an den Ätherleib, nach oben an das Ich, so wie der Mensch im Wachen ist. Und im Schlafen reden wir ja nicht im normalen Zu­stande.

Der astralische Leib stößt zunächst an den Ätherleib. Was tut er dabei? Er wendet sich an dasjenige, wovon der Mensch eigentlich im gewöhnlichen Leben sehr wenig weiß; denn mit was hat es der Äther-leib zu tun? DerÄtherleib hat es zunächst damit zu tun, daß er in Emp­fang nimmt schon dann, wenn wir im Munde das Nahrungsmittel auf­genommen haben, dieses Nahrungsmittel und es allmählich umwan­delt, so wie es der menschliche Organismus braucht, besser gesagt, so wie der menschliche Organismus seine Kraft braucht.

Der ätherische Organismus ist derjenige, welcher das Wachstum besorgt hat von der Kindheit bis in den erwachsenen Zustand. Der Ätherleib ist aber auch seelisch beteiligt, er ist dasjenige, was das Ge­dächtnis besorgt und so weiter. Aber dieser Ätherleib hat Verrichtun­gen, von denen der Mensch im Grunde genommen sehr wenig weiß. Daher weiß der Mensch kaum, wenn er auch weiß von den Ergeb­nissen, weiß, ob er satt ist oder Hunger hat, so doch nicht, wie der Ätherleib diese Zustände macht. Die Tätigkeit des Ätherleibes bleibt für den Menschen eigentlich ziemlich unbewußt.

Nun aber spielt sich im Sprechen zwischen dem astralischen Leib und dem Ätherleib alles dasjenige ab, was für die Sprache das Vokali­sieren ist. Der Vokal entsteht dadurch, daß der Impuls des Sprechens

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beim Menschen vom astralischen Leib, wo er urständet, übergeht an den Ätherleib. Der Vokal ist daher etwas, was sich tief im Inneren der Menschennatur abspielt. Unbewußter wird der Vokal gestaltet, als die Sprache im allgemeinen gestaltet wird. Daher handelt es sich gerade bei der Vokalisierung um außerordentlich starke Intimitäten des Spre­chens, um dasjenige, was im tiefsten Inneren des Menschen mit der ganzen menschlichen Wesenheit zusammenhängt. So daß wir es also zu tun haben bei der Wirkung des Sprachlmpetus auf den Ätherleib rnit dem Vokalisieren (siehe Schema).

Nach der anderen Seite stößt der astralische Leib an das Ich. Das Ich ist dasjenige, das in der Form, wie es schon einmal im Erden-menschen ist, jeder Mensch kennt. Denn das Ich ist es, wodurch wir unsere Sinneswahrnehmungen haben. Das Ich ist es, wodurch wir im wesentlichen auch denken. Dasjenige, was wir als bewußte Tätigkeit ausführen, spielt sich im Ich ab. Weil der astralische Leib daran be­teiligt ist, kann das, was sich in der Sprache abspielt, nicht ganz be­wußt sich so abspielen wie irgendeine bewußte Willenstätigkeit, aber ein Stück Bewußtsein kommt im gewöhnlichen Sprechen durchaus in das Konsonantisieren hlnein, denn das Konsonantisieren spielt sich ab zwischen dem astralischen Leib und dem Ich (siehe Schema).

#Bild s. 63

Da ist zunächst einmal auf die menschliche Natur verwiesen in bezug auf die Konsonanten- und Vokalbildung. Wir können aber weiter­gehen. Wir können uns jetzt fragen: Was stellt denn die Sprache in der Gesamtheit der menschlichen Wesenheit überhaupt dar? - Diese Frage beantwortet man richtig eigentlich nur dann, wenn man dazu

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sich frägt: Wie war es denn eigentlich in der menschlichen Ursprache, in der Sprache, wie sie zuerst unter die Menschheit getreten ist?

Diese Sprache war eigentlich etwas Wunderbares. Abgesehen da­von, daß der Mensch von vornherein veranlaßt sich gesehen hat, im Rhythmus, im Takt zu sprechen, sogar in Assonanz und Alliteration zu sprechen, abgesehen davon war es in dieser Ursprache so, daß der Mensch in der Sprache fühlte und in der Sprache dachte. Das Gefühls­leben der Urmenschheit war so, daß man nicht solche abstrakten Ge­fühle hatte wie heute, sondern daß in dem Augenblick, wo man ein Gefühl hatte, und sei es auch das intimste Gefühl, man sogleich zu irgendeiner Sprachgestaltung kam. Man konnte in alten Zeiten nicht zärtliche Gefühle, sagen wir, für ein Kind entwickeln, ohne diese zärt­lichen Gefühle durch den eigenen seelischen Impetus in der Sprache zu gestalten. Es würde keinen Sinn gehabt haben, von einem Kinde bloß zu sagen: Ich liebe das Kind zärtlich -, sondern es hätte vielleicht einen Sinn gehabt, wenn man gesagt hätte: Ich liebe das Kind so ei-ei-ei. - Es war immer das Bedürfnis, das ganze Gefühl zu durchdrin­gen mit Sprachgestaltung

Ebensowenig hatte man in alten Zeiten abstrakte Gedanken, wie wir sie heute haben. Abstrakte Gedanken ohne Sprache gab es in alten Zeiten nicht, sondern, wenn der Mensch etwas dachte, wurde es in ihm zum Worte und zum Satze. Er sprach innerlich. Daher ist es selbstverständlich, daß man im Beginne des Johannes-Evangeliums nicht sagte: Im Urbeginne war der Gedanke -, sondern: Im Ur­beginne war das Wort - das Verbum. - Das Wort, weil man innerlich redete, und nicht abstrakt dachte wie heute. Man redete innerlich. Und es war die Ursprache so, daß sie Gefühle und Gedanken enthielt. Sie war gewissermaßen das Schatzkästlein in der menschlichen Wesenheit für Gefühl und Gedanke.

Nun ist der Gedanke mehr in das Ich hinaufgerutscht, die Sprache im astralischen Leib verblieben, und das Gefühl in den Ätherleib hin­untergerutscht, so daß wir sagen können (siehe Schema Seite 67):

Mensch, innerlich; nach außen, wo das Ich mehr beteiligt ist; nach innen, noch mehr verinnerlicht, wo der Ätherleib beteiligt ist, also wo es ganz in das Innere hineingeht.

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Die Urpoesie war eine Einheit, sie drückte in der Sprache Gefühl und Gedanke, die man über die Dinge haben konnte, aus. Die Urpoesie war eine Einheit. Dadurch, daß die Sprache nach dem Inneren des Men­schen das Gefühl abgeladen hat, das nach dem Ätherleib rutscht, ent­steht die lyrische Stimmung der Sprache. Dasjenige, dem die Urpoesie am ähnlichsten geblieben ist, das also auch am meisten in der Sprache selber liegt, das ohne etwas zu erneuern von dem Urgefühl gegenüber der Sprache gar nicht gepflegt werden kann, das ist die Epik, die un­mittelbar aus dem astralischen Leibe kommt. Dasjenige aber, was die Sprache. nach außen hin treibt, zum Ich hin, das mit der Außenwe]t zunächst beim Erdenmenschen in Verbindung steht, das ist die Dra­matik.

Der für die Dramatik tätige Künstler steht in der Regel, wenn er nicht monologisch spricht, einem anderen gegenüber. Und daß er dem anderen gegenübersteht, das gehört geradeso zu seinem Sprechen wie dasjenige, was er in sich selber erlebt.

Der Lyriker steht keinem anderen gegenüber. Er steht nur sich selbst gegenüber. Sein Sprechen muß so gestaltet werden, daß dieses Sprechen der reine Ausdruck des menschlichen Inneren wird. Die heu­tige Lyrik kann daher nicht anders gesprochen werden, als daß - wir werden das später alles deutlicher ausführen - selbst das Konsonanti­sieren etwas nach dem Vokalisieren hinüberneigt. Lyrik zu sprechen macht notwendig, daß man weiß, daß jeder Konsonant auch eine ge­wisse vokalische Nuance in sich trägt, zum Beispiel das l ein i> was Sie daran sehen können, daß in manchen Sprachen zu einer bestimm­ten Zeit eine l-Entwickelung in einem Worte stattfindet, in anderen Formen aber noch ein i dasteht. So hat aber jeder Konsonant etwas Vokalisches in sich. Und für den Lyriker ist es vor allen Dingen not­wendig, daß er das Vokalische eines jeden Konsonanten empfinden lernt.

Der Epiker muß vor allen Dingen ein Gefühl dafür entwickeln -ich meine jetzt immer den Deklamator oder Rezitator, also denjenigen, der die Epik an das Publikum heranbringt -: Sobald du an den Vokal herankommst, kommst du an den Menschen heran; sobald du an den Konsonanten herankommst, schnappst du in die Dinge ein. Dadurch

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wird gerade die Epik möglich. Sie hat es nicht nur mit dem mensch-lichen Inneren zu tun, sondern mit diesem menschlichen Inneren und mit einem gedachten Äußeren. Denn dasjenige, wovon der Epiker erzählt, ist nicht da, sondern es wird nur gedacht. Es gehört der Ver­gangenheit an, oder es wird überhaupt von einer Sache nur erzählt, wenn sie nicht da ist, sonst ist keine Veranlassung, daß von einer Sache erzählt wird. Der Epiker also hat es mit dem Menschen und der gedachten Sache zu tun.

Der Dramatiker hat es mit dem wirklichen Objekte zu tun. Der­jenige, an den er sich wendet, steht vor ihm. Das gibt auch die Unter­schiede, die wir strenge beachten müssen. Es wird gefühlt werden müssen dasjenige, was ich schon, wenn ich von verschiedenen Ge­sichtspunkten aus da oder dort eine Anregung gegeben habe, nach einer gewissen Terminologie suchend, auch schon gesagt habe; es wird das tatsächlich genau durchfühlt werden müssen. So wird man durchfühlen müssen: lyrisch sprechen bedeutet, aus dem mensch­lichen Inneren heraus sprechen. Das Innere offenbart sich selbst. Wenn sein Inneres sich von ihm losringen will, wenn das Innere von irgend etwas so stark impulsiert ist, daß es aus sich heraus muß - und das ist bei der Lyrik der Fall -, dann geht das bloße Fühlen in das Rufen, elamare über, und dann entsteht, wenn es sich um das Sprechen handelt, die Deklamation. So daß ein Teil der Sprechkunst die Dekla­mation ist, die vorzugsweise auf das Lyrische hinzugehen hat.

Natürlich ist aber das Lyrische wieder enthalten in jeder Form der Dichtung, daher handelt es sich darum, daß in gewissen Stellen auch beim Epiker, auch beim Dramatiker der Übergang ins Lyrische not­wendig ist. Bei dem Epiker handelt es sich darum, daß er ein ge­dachtes Objekt hat, das er durch seine eigene sprachliche Zauberkunst zitiert und immer wiederum zitiert. Der Epiker rezitiert vorzugsweise.

Der Lyriker drückt sieh aus, offenbart sieh, ist ein Deklamator. Derjenige, der sein Objekt zitiert, durch die Zauberkunst der Sprache es gegenwärtig macht vor dem Publikum, der ist ein Rezitator. Wei­terzugehen habe ich ja erst da Veranlassung, wo eine vollständige Entwickelung der Sache gegeben werden soll.

Derjenige, der dann nicht nur sein gedachtes Objekt vor sieh hat,

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das er zitiert, sondern der dieses Objekt, gegenüber dem er spricht, leibhaftig vor sich hat, der konversiert. Das ist die dritte Form: Kon­versation.

In diesen drei Arten der Sprachgestaltung besteht eigentlich die Kunst des Sprechens. Das letztere wird am meisten verkannt, weil die Konversation am meisten aus dem Künstlerischen herausgeholt worden ist, und weil Konversation zu beurteilen eigentlich heute mehr die Menschen berufen sind, die weniger der Kunst, als, sagen wir, dem Diplomatischen oder dem Five-o'elock-tea-mäßigen oder sonst solchen Dingen nahestehen. So ist gar nicht mehr gefühlt, daß Konversation etwas hoch Künstlerisches in sich schließen kann. In­dem aber die Schauspielkunst selbstverständlich monologisierend wird, greift sie wiederum hinüber in die anderen Gebiete, in die De­klamation und die Rezitation.

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Daraus schon, indem ich dieses in einer etwas pedantischen Form noch vor Sie hinstelle, ersehen Sie, daß darauf hingearbeitet werden muß, wirklich für die Sprachgestaltung so etwas zu schaffen, wie es für den Musikunterricht zum Beispiel da ist. Denn es wird zum Beispiel

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durchaus notwendig sein, irgendeinen Dialog, der auf der Bühne auf-tritt, wirklich in konversationsmäßigem Sinne zu gestalten.

Nun handelt es sieh darum, daß innerhalb der Sprache selbst, wenn man sie richtig betrachtet, die Notwendigkeit der Gestaltung wieder­um hervorgeht. Denn bedenken Sie, wir haben so etwa zweiunddreißig Laute. Denken Sie, wenn Sie Goethes «Faust» in die Hand nehmen, und wenn einer gerade so weit wäre, die Laute zu kennen, aber noch nicht die Laute verbinden zu können, so würde der ganze «Faust» aus zweiunddreißig Lauten bestehen. Es ist nämlich gar nichts anderes darinnen im ganzen «Faust» als diese zweiunddreißig Laute, und doch werden sie in ihrer Kombination zum Goethesehen «Faust».

Daraus folgt sehr vieles. Wir haben nun einmal etwa diese zwei­unddreißig Laute. Aber alles dasjenige, was den ganz unermeßlichen Reichtum des Sprachlichen hervorruft, besteht in der Gestaltung von Laut auf Laut. Das wird aber auch schon innerhalb des Lautsystems selbst gestaltet. So denken Sie sieh zum Beispiel, wir sprechen ein­fach den Laut a. Was ist er? Der Laut a löst sieh aus der Seele ur­sprünglich heraus, wenn diese Seele in Bewunderung erfließt. Be­wunderung, Erstaunen vor etwas, über etwas, sondert aus der Seele den a-Laut los. Jedes Wort, in dem der a-Laut steht, ist dadurch ent­standen, daß der Mensch die Verwunderung an der Sache hat aus­drücken wollen. Und Sie werden niemals ganz fehlen und ganz dilet­tantisch gehen, wenn Sie ein beliebiges Wort nehmen, zum Beispiel Band = ein a ist darinnen. Irgendwie geht das darauf zurück, daß der Mensch über etwas, was im Bande sich darstellt, verwundert war und daher den a-Laut hineinbrachte.

Daß es in einer anderen Sprache anders heißt, macht nichts aus; da hat man sieh eben anders zu der Sache gestellt. Und wenn der Mensch über etwas ganz besonders verwundert ist und noch etwas versteht, darüber verwundert zu sein, wie das bei der Bildung der Sprachen der Fall war, dann drückt er das ganz besonders durch den a-Laut aus. Man muß nur verstehen, Verwunderung an der richtigen Steile zu haben. Man kann verwundert sein über den üppigen Haarwuehs, den irgendein menschliches Wesen an sich trägt. Man kann verwundert sein über den Kahlkopf, dem die Haare wieder ausgefallen sind. Man kann

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verwundert sein darüber, was ein Haarwasser bewirkt hat, wenn es mangelnden Haarwuchs wieder ersetzt hat. Alles, was mit Haaren zu­sammenhängt, kann die tiefste Bewunderung hervorrufen. Man schreibt daher nicht «Har», sondern sogar zweimal das a: «Haar» hin.

Sie werden nicht sehr weit weg sein von dem, was im Beginne der Menschheitsentwickelung ein solches Wort war, eine viel stärkere Wirklichkeit war als diejenige, von der unsere heutige Erkenntnis oftmals spricht, wenn Sie überall da, wo Sie a haben, den Ausgangs­punkt für die Bildung des Wortes bei der Verwunderung suchen.

Was bedeutet das aber? Das bedeutet, daß der Mensch, indem er sich verwundert, indem er erstaunt ist über eine Sache, in dieser Sache aufgeht. Worin besteht der a-Laut? In dem absoluten Öilnen des gan­zen Sprachorganismus. a bedeutet, vom Mund angefangen, das voll-ständige Öfinen des Sprachorganismus. Der Mensch läßt seinen astra­lischen Leib nach außen fließen. Der Mensch beginnt, indem er a sagt, zu schlafen; er hindert es nur gleich wiederum. Aber wie oft ist die Müdigkeit, wenn sie sich ausdrücken wili, verbunden mit dem a­Laut! a-sagen bedeutet immer ein Heraustreteniassen, wenigstens den Beginn eines Heraustreteniassens des astralischen Leibes. Das a ist das Öfinen nach außen.

Der völlige Gegensatz des a ist das u. Indem Sie das u aussprechen, schließen Sie vom Munde ab alles, was nur zu schließen ist, und lassen den Laut durchgehen: u. Am meisten wird beim u geschlossen. Das ist der Gegensatz: a u. Zwischen a und u liegt das o. Das o enthält in der Sprachgestaltung eigentlich die Vorgänge des a, die Vorgänge des u, die Vorgänge des Sich-Öfinens, die Vorgänge des Sich-Schließens in harmonischer Verbindung.

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Das u bedeutet, daß wir eigentlich immer aufwachen, mehr auf­wachen, als wir aufgewacht sind. Wer u ausspricht, deutet darauf hin, daß er aufwachen möchte in bezug auf den Gegenstand, den er wahrnimmt.

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Man kann nicht stärker ausdrücken, daß man aufwachen möchte, als wenn die Eule sich geltend macht. Dann sagt man «Uhu». Die Eule veranlaßt, daß man so recht wachen möchte der Eule gegen-über.

Und wenn einer einen, sagen wir, mit Streusand bewirft - aber das gibt es heute nicht mehr -, dann wird man «uff» sagen, wenn man sich unbefangen seiner Empfindung überläßt, wenn einen etwas aufweckt, oder wenn man aufwachen will. Das u löst sich los. Der astralische Leib verbindet sich intensiver mit dem Ätherleib und dem physischen Leib. Das a ist daher am meisten konsonantisch, und das u ist am meisten vokalisch.

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Bei manchen Menschen kann man in den deutschen Dialekten gar nicht mehr unterscheiden, ob sie ein a oder ein r sagen, denn es wird das r bei ihnen vokalisch und das a konsonantisch. Im steirischen Dia­lekt kann man nicht unterscheiden, ob man sagen soll Bur oder Bua, r oder a.

Aber alle anderen Vokale liegen zwischen a und u. Das 0 ist gewis­sermaßen rnitten darinnen, nicht ganz mitten darinnen, sondern so darinnen in der Mitte, wie die Quart in der Oktave in der Mitte dar­innen liegt in der Skala. Das 0 liegt zwischen beiden.

Aber jetzt nehmen wir folgendes. Jemand will dasjenige, was im 0 liegt, ausdrücken. Das 0 ist der Zusammenfluß von a und u, ist der Zusammenfiuß von Einschlafen und Aufwachen. Gerade der Moment entweder des Einschlafens oder des Erwachens ist das o. Wenn der Orientale seine Schüler anwies, weder zu schlafen noch zu wachen, sondern an jene Grenze zwischen Wachen und Schlafen zu gehen, wo man so viel erfahren kann, was man weder im Schlafen noch im

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Wachen erfahren kann, dann wies er sie an, die Silbe om zu sprechen. Damit verwies er sie auf das Leben zwischen Wachen und Schlafen.

Und wer oft wiederholt die Silbe om, kommt in das Erleben zwi­schen Wachen und Schlafen hinein. Es rührt diese Maßnahme aus einer Zeit her, wo man den Sprachorganismus eben noch verstand. Aber nun bedenken Sie, wenn man noch weiter geht in Mysterien-überlegung, dann sagt man sich: Ja, aber das 0 entsteht dadurch, daß auf der einen Seite das u hln will zum a und auf der anderen Seite das a hin will zum u. Wenn ich also jemanden weiterkommen lassen will, den ich gelehrt habe das Stehen zwischen Wachen und Schlafen im on, so lasse ich ihn nicht das 0 direkt sprechen, sondern ich lasse es entstehen, indem ich ihn a 0 u m sprechen lasse; nicht o m sagen lasse, sondern a 0 u m Er erzeugt es. Er steht dann auf der höheren Stufe. on gespalten in a und u gibt die Stille für den höheren Schüler, weil das darinnen liegt, und man den niederen Schüler direkt hln­weist auf das Aufwachen und Einschlafen. Dem höheren Schüler sagt man: gehe über, bilde den Übergang selbst: a = Einschlafen, u = Auf-wachen. Dazwischen ist er schon. Wenn er zwischen Einschlafen und Aufwachen ist, hat er eben schon den Moment zwischen beiden darinnen.

#Bild s. 71

Fühlen, wie solche Dinge gebildet waren in der alten Zeit, heißt, überhaupt einen Begriff davon bekommen, was es heißt, daß in der alten Zeit aus der Kunst das Sprechen heraus gefühlt und empfunden worden ist, wie alles bis in das Griechentum hinein durchaus noch empfunden worden ist so, daß man wußte, wie ein Ding sich in die Welt hineinstellt.

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Denken Sie nur einmal, woraus bestand denn die griechische Gym­nastik, diese wunderbare Gymnastik, die eigentlich eine Totalsprache innerhalb des Griechentums war? Sie bestand darinnen, daß man zu­erst gewahr wurde: der menschliche Wille liegt in den Gliedmaßen. Er beginnt, indem er den Menschen in Beziehung zur Erde stellt, in­dem die Gliedmaßen und die Erde ein Kraftverhältnis entwickeln:

Laufen. Im Laufen ist der Mensch in Beziehung zur Erde. Geht er jetzt etwas in sieh hinein, fügt er zu der Dynamik, in die er kommt, und zu der Mechanik, die ein Gleichgewicht bildet zwischen ihm und der Anziehungskraft der Erde im Laufen, eine innere Dynamik hin­zu, dann geht es über zu dem Springen. Da muß man schon in den Beinen selber eine Mechanik entwickeln.

Fügt man hinzu zu der Mechanik, die man in den Beinen selber ent­wickelt, eine Mechanik, die dadurch hervorgerufen wird, daß man nun nicht nur die Erde tätig sein läßt, mit ihr ein Gleichgewicht braucht, sondern etwas hinzufügt, wobei man ein Gleichgewicht in der Horizontalen braucht, während es sonst ein Gleichgewicht ist in der Vertikalen, dann entsteht das Ringen.

Laufen

Springen

Ringen.

Da haben Sie: Laufen = Mensch und Erde; Springen = modifizier­ter Mensch und Erde; Ringen = Mensch und das andere Objekt.

Bringen Sie das Objekt noch mehr an den Menschen heran als beim Ringen, geben Sie es ihm in die Hand, so entsteht das Diskuswerfen. Sie sehen, die Dynamik geht ihren bestimmten Weg.

Und fügen Sie zum Diskus, in dem Sie bloß die Dynamik des schweren Körpers haben, auch noch hinzu die Dynamik der Richtung, dann haben Sie das Speerwerfen.

Laufen

Springen

Ringen

Diskuswerfen

Speerwerfen.

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Und nun bedenken Sie, das waren die fünf Glieder der griechischen Gymnastik, so gut als es nur irgend geht, den Verhältnissen des Kos­mos angepaßt. Solch ein Gefühl entwickelte man für das Gymnasti­sehe, das den Menschen ganz offenbart.

Solch ein Gefühl entwickelte man aber auch, wenn es sich um die Offenbarung des Menschen in die Sprache hinein handelte. Die Menschheit hat sich verändert, deshalb mußte die Sprachbehandiung eine andere werden.

Ich habe zuerst versucht, eine solche Sprachbehandiung, wie sie aus unserer Zivilisation heraus folgen muß, ich möchte sagen, reinlich zu geben zum ersten Mal in dem siebenten Bild meines ersten Myste­riums in der Szene zwischen Maria und Philia, Astrid und Luna. Da handelt es sich darum, den Gedanken, der sonst abstrahiert ist, wieder­um hinunterzubringen zu der Sprache.

Daher werden wir morgen den praktischen Teil dadurch beginnen, daß Frau Dr. Steiner aus diesem siebenten Bilde etwas zur sprach­lichen Darstellung bringen wird. Und wir werden dann von den heu­tigen einleitenden Bemerkungen ausgehend zunächst unser erstes Kapitel, die Sprachgestaltung, in Angriff nehmen.

ZWEITER VORTRAG Dornach, 6. September 1924 Die sechs Offenbarungen der Sprache

#G282-1969-SE074 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

ZWEITER VORTRAG

Dornach, 6. September 1924

Die sechs Offenbarungen der Sprache

#TX

Zunächst werden Sie gesehen haben, daß aus den gestrigen Darstel­lungen hervorgeht, wie Lyrisches, Episches und Dramatisches in be­zug auf die Rezitationskunst, auf die Sprachgestaltung durchaus dif­ferenziert werden muß. Denn wir konnten sogar darauf aufmerksam gemacht werden, wie das Vokalische nach dem Lyrischen hin orien­tiert ist, wie das Konsonantische nach der Erzählung und dem Drama­tischen hin orientiert ist.

Nun muß man sich aber das, was ich gesagt habe, ganz besonders klarmachen, daß in jedem Konsonanten etwas Vokalisches liegt. Ein Konsonant für sich kann ja überhaupt nicht ausgesprochen werden, sondern es muß, damit ein Konsonant intoniert werden kann, etwas Vokalisches mitkllngen, und die einzelnen Konsonanten haben ver­schiedene Neigungen zu dem Vokal. Außerdem klingt in jedem Voka­lischen ein Konsonantisehes mit. Das alles ist etwas, worauf ich bereits aufmerksam gemacht habe.

Etwas anderes, was wir berücksichtigen müssen und worauf wir gleich unsere Aufmerksamkeit richten müssen, wenn wir die prak­tische Probe, die Frau Dr. Steiner geben wird, wirklich werden frucht­bar machen wollen für dasjenige, was über Sprachgestaltung zu sagen Ist, etwas anderes ist dieses: Wir leben innerhalb der zivilisierten Menschheit in sehr vorgerückten Zivilisationsepochen. Das sind aber solche, in denen namentlich die Sprache ihren Zusammenhang mit ihren Anfängen, ihren eigentlichen Urgründen verloren hat. Die heu­tigen Sprachen Europas, vielleicht mit einer geringen Ausnahme -ich meine nicht, daß die Ausnahme in bezug auf die Quantität gering ist, sondern in bezug auf die Qualität -, mit der geringen Ausnahme des Russischen und kleinerer Sprachen, sind sämtlich weit weg von ihren Ursprüngen, und sie reden eigentlich so, daß die Worte, aber auch die Intonierung des Lautlichen nur noch ein äußerliches Zeichen

#SE282-075

ist für dasjenige, was eigentlich zugrunde liegt; ein äußerliches Zei­chen sage ich aus dem Grunde, weil man sich der Zeiehennatur gar nicht mehr bewußt ist, weil man nicht einmal annimmt, daß die Sprache noch etwas anderes sein kann, als sie im gewöhnlichen Spre­chen der heutigen europäischen Sprachen ist.

Daher muß, wenn das Künstlerische der Sprache nun wiederum verstanden, erfaßt, wirksam gemacht werden soll, etwas da sein, was ein Bewußtsein davon hat, wie die Sprache wiederum ihrer Wesenheit zurückgegeben werden muß.

Und das ist versucht worden, wenigstens in gewissen Partien mei­ner Mysteriendramen, dadurch, daß das heute vom Menschen Erlebte, das er durch die Sprache ausdrückt, und das eigentlich im Grunde genommen im gewöhnlichen Sprechen heute gar nichts mehr zu tun hat mit dem, worauf es sich bezieht, wiederum zurückgeführt worden ist zum Laut. So daß also in gewissen Partien meiner Mysteriendramen der Versuch gemacht worden ist, den heute ja nur noch bestehenden Ge4ankenrhythmus, das Gedankenmusikalische, das Gedankenbild­liehe zum Laut wiederum zurückzuführen.

Das kann man nun in der verschiedensten Weise, je nach den Auf­gaben, die einem gesetzt sind. Und ich möchte als erstes eben hin-gestellt haben dasjenige, was versucht worden ist in einer Szene im Geistgebiet im siebenten Bilde meines ersten Mysteriendramas. Da ist versucht worden so weit dasjenige, was ausgesprochen werden soll, in den Laut hineinzubringen, daß der Laut selber, ohne daß man über ihn hinausgeht, eine Hinweisung, eine Offenbarung des Geistigen sein kann, wie das in den Ursprachen der Fall war. Und es ist in dieser Szene im siebenten Bilde erstens beachtet, daß man es zu tun hat mit etwas von der physischen Welt Abliegendem, also mit etwas, was gegen das geistige Reich hingeht. Daher ist der Grundton in diesem Bilde einer, der auf Innerlichkeit weist, auf Spirituelles weist, der dar­auf hinweist, daß vokalisiert werden muß. Aber auf der anderen Seite ist bei jenem Übergang, der deutlich hervortritt in den drei Seelen-kräften, Philia, Astrid und Luna, der Gang der Handiung so, daß Philla noch rein lebt im vokalisch-spirituellen Elemente, wo das Kon­sonantische nur gewissermaßen dadurch hervortritt, daß man es mit

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Sprache und nicht mit Gesang zu tun haben muß; Astrid bildet dann den Übergang, und Luna, die schon zu tun hat mit der Schwere, also mit demjenigen, was nach dem physischen Plane hingeht, gerät im Vokalisieren bereits zum Konsonantisieren.

So kann man gerade an dieser Szene sehen, wie ein solches zu be­handeln ist mit konsonantischer Andeutung und einem Leben vor­zugsweise im Vokalischen, was von der physischen Welt abführt nach dem Geistigen hin. Und solche Dinge sind fundamental für denjeni­gen, der in eine wirkliche Sprachgestaltung hinüberkommen will.

Es wird durch Frau Dr. Steiner rezitiert das siebente Bild aus der «Pforte der Einweihung»

Das Gebiet des Geistes

MARIA: Ihr, meine Schwestern, die ihr

So oft mir Helferinnen wart,

Seid mir es auch in dieser Stunde,

Daß ich den Weltenäther

In sich erbeben lasse.

Er soll harmonisch klingen

Und klingend eine Seele

Durchdringen mit Erkenntnis.

Ich kann die Zeichen schauen,

Die uns zur Arbeit lenken.

Es soll sich euer Werk

Mit meinem Werke einen.

Johannes, der Strebende,

Er soll durch unser Schaffen

Zum wahren Sein erhoben werden.

Die Brüder in dem Tempel

Sie hielten Rat,

Wie sie ihn aus den Tiefen

In lichte Höhen führen sollen.

Von uns erwarten sie,

Daß wir in seiner Seele heben

Die Kraft zum Höhenfluge.

Du, meine Philia, so sauge

Des Lichtes klares Wesen

Aus Raumesweiten,

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Erfülle dich mit Klangesreiz

Aus schaffender Seelenmacht,

Daß du mir reichen kannst

Die Gaben, die du sammelst

Aus Geistesgründen.

Ich kann sie weben dann

In den erregenden Sphärenreigen.

Und du auch, Astrid, meines Geistes

Geliebtes Spiegelbild,

Erzeuge Dunkelkraft

Im fließenden Licht,

Daß es in Farben scheine.

Und gliedre Klangeswesenheit;

Daß webender Weltenstoff

Ertönend lebe.

So kann ich Geistesfühien

Vertrauen suchendem Menschensinn.

Und du, o starke Luna,

Die du gefestigt im Innern bist,

Dem Lebensmarke gleich,

Das in des Baumes Mitte wächst,

Vereine mit der Schwestern Gaben

Das Abbild deiner Eigenheit,

Daß Wissens Sicherheit

Dem Seelensucher werde.

PHILIA: Ich will erfüllen mich

Mit klarstem Lichtessein

Aus Weltenweiten,

Ich will eratmen mir

Belebenden Klangesstoff

Aus Ätherfernen,

Daß dir, geliebte Schwester,

Das Werk gelingen kann.

ASTRID: Ich will verwehen

Erstrahiend Licht

Mit dämpfender Finsternis,

Ich will verdichten

Das Klangesleben.

Es soll erglitzernd klingen,

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Es soll erklingend glitzern,

Daß du, geliebte Schwester,

Die Seelenstrahlen lenken kannst.

LUNA: Ich will erwärmen Seelenstoff

Und will erhärten Lebensäther.

Sie sollen sieh verdichten,

Sie sollen sieh erfühlen,

Und in sieh selber seiend

Sieb schaffend halten,

Daß du, geliebte Schwester,

Der suchenden Menschenseele

Des Wissens Sicherheit erzeugen kannst.

MARIA: Aus Philias Bereichen

Soll strömen Freudesinn;

Und Nixen-Wechselkräfte,

Sie mögen öffnen

Der Seele Reizbarkeit,

Daß der Erweckte

Erleben kann

Der Welten Lust,

Der Welten Weh. -Aus Astrids Weben

Soll werden Liebelust;

Der Sylphen webend Leben,

Es soll erregen

Der Seele Opfertrieb,

Daß der Geweihte

Erquicken kann

Die Leidbeladenen,

Die Glück Erflehenden. -

Aus Lunas Kraft

Soll strömen Festigkeit.

Der Feuerwesen Macht,

Sie kann erschaffen

Der Seele Sicherheit;

Auf daß der Wissende

Sieh finden kann

Im Seelenweben,

Im Weltenleben.

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PHJLIA: Ich will erbitten von Weltengeistern,

Daß ihres Wesens Licht

Entzücke Seelensinn,

Und ihrer Worte Klang

Beglücke Geistgehör;

Auf daß sich hebe

Der zu Erweckende

Auf Seelenwegen

In Himmelshöhen,

ASTRID: Ich will die Liebes ströme,

Die Welt erwarmenden,

Zu Herzen leiten

Dem Geweihten;

Auf daß er bringen kann

Des Himmels Güte

Dem Erdenwirken,

Und Weihestimmung

Den Menschenkindern.

LUNA: Ich will von Urgewalten

Erflehen Mut und Kraft,

Und sie dem Suchenden

In Herzenstiefen legen;

Auf daß Vertrauen

Zum eignen Selbst

Ihn durch das Leben

Geleiten kann.

Er soll sich sicher

In sich dann selber fühlen.

Er soli von Augenblicken

Die reifen Früchte pflücken,

Und Saaten ihnen entlocken

Für Ewigkeiten.

MARIA: Mit euch, ihr Schwestern,

Vereint zu edlem Werk,

Wird mir gelingen,

Was ich ersehne.

Es dringt der Ruf

Des schwer Geprüften

In unsre Lichteswelt.

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Will man die Sprache so gestalten, daß sie plastisch sein kann auf der einen Seite und musikalisch auf der anderen Seite, so handelt es sieh zunächst darum, daß man Gebärde in die Sprache bringen kann. Nun ist in der Sprache selbst die Gebärde zwar angedeutet durch das Stimmliche, aber als solche verschwunden. Im Dramatischen, oder höchstens andeutend auch in der übrigen Rede, bringen wir die Ge­bärde wieder hervor. Aber es besteht heute eine vollständig ehaotische Unsicherheit mit Bezug auf das Verhältnis des Wortes zur Gebärde. Das wird uns namentlich auffallen, wenn wir von der Sprachgestal­tung übergehen zur eigentlichen Bühnenkunst.

Um das zu durchdringen, bitte ich Sie, sich zu erinnern, daß ich gestern am Ende der Stunde vorgebracht habe, wie innerlich begrün­det die fünf gymnastischen Tätigkeiten der Griechen waren, indem sie tatsächlich aus der Beziehung des Menschen zum Kosmos folgten:

Laufen, Springen, Ringen, Diskuswerfen, Speerwerfen.

Der Mensch bildet sozusagen aus seinem Verhältnis zum Kosmos heraus immer ein anderes Gebärdenverhältnis, wobei in der Gebärde zugleich das Dynamische, die menschliche Kraft liegt. Wir werden sehen, daß die wesentlichsten mimischen Bewegungen der Bühne Ab­schattungen desjenigen sind, was in dieser Weise in den fünf Tätig­keiten in der Gymnastik der Griechen zutage trat. Und wir werden dadurch, daß wir die Abschwächungen, Abschattungen dieser fünf Tätigkeiten studieren werden, dasjenige gewinnen, was in derBühnen­kunst dem Worte durch die faktische Gebärde zu Hilfe kommen muß. Jn Wahrheit gibt es eigentlich auf der Bühne keine berechtigte Ge­bärde, die nicht eine Abschwächung dieser fünf Tätigkeiten des grie­chischen gymnastischen Stiles ist. Aber das ist der andere Pol.

Der eine Pol ist der der Sprachgestaltung selber. Spricht man von Gestaltung, so wird man schon auf das Plastische verwiesen. Aber die eigentliche sichtbare Gestalt ist ja in dem Worte verschwunden. Jnstinktiv muß sie aber doch darinnen sein. Und so müssen wir zu­nächst die Sache beim anderen Pol, bei dem Worte anfassen. Wir müssen uns zunächst fragen: Was alles kann denn die Sprache, und was soll sie, ins Künstlerische erhoben, in der Sprachgestaltung können?

#SE282-081

Nun, sehen Sie, es gibt im wesentlichen folgendes, was die Sprache kann und können soll. Das erste ist, wenn wir, ich möchte sagen, von dem Äußerlichsten ausgehen, daß die Sprache wirksam ist. Natürlich, wir sprechen nicht in der Regel dazu, daß wir nur den Mund aufmachen und einen Laut durch ihn schießen lassen, son­dem wir sprechen dazu, daß die Sprache wirksam sei. Also erstens:

wirksam.

Wirksam sein kann die Sprache zunächst; aber wenn wir auch nie­mals bloß sprechen, um den Mund aufzumachen und einen Laut durch ihn schießen zu lassen, so ist es doch wiederum so, daß im Laute, im Worte und im Satze dasjenige sich offenbaren kann, was auf die inne­ren Seelenvorgänge hinweist, die sich offenbaren wollen durch die Sprache. Das ist dasjenige, was ich nennen möchte das Bedächtige. Die Sprache kann außer dem, daß sie wirksam ist, bedächtig sein.

1. Wirksam

2. Bedächtig

Wirksamkeit der Sprache zu studieren, ist heute leicht. Man braucht nur in eine politische oder sonstige Versammlung zu gehen, in irgend­einen Reforniverein, da wird instinktiv mit der Wirksamkeit der Sprache gearbeitet. Bedächtigkeit der Sprache ist heute etwas, was sich schwer studieren läßt, denn die meisten Menschen reden heute, um zu reden, nicht um Gedanken auszudrücken; nun ja, weil es kon­ventionell schicklich ist selbstverständlich: man muß reden, nicht wahr. Und so hat man vielem Reden gegenüber das Gefühl, es wird geredet, um zu reden. Man wird auch dazu sogar erzogen. Aber ein Wesentliches in der Sprachgestaltung ist doch auch, daß sie bedächtig sein kann, beziehungsweise das Bedächtige offenbaren kann.

Ein weiteres in der Sprache ist das, was ich nennen möchte das pro­bierende, tastende Sich-in-Beziehung-Setzen zur Außenwelt, was zurn Ausdrucke kommt in der Frage, zuweilen auch im Wunsch. Dieses, was in der Sprache leben kann, die Seele in die Außenwelt zu führen, aber nicht ganz sicher sein, wie man in diese Außenwelt hineinkommt, das ist dasjenige, was man nennen könnte das Vorwärtstasten der Sprache gegen Widerstände. Man kann es schon fühlen, daß so etwas da ist:

#SE282-082

3. Vorwärtstasten der Sprache gegen Widerstände

Das vierte, was in der Sprache in Betracht kommt, das ist, daß sie in ihrer Offenbarung zum Ausdruck der Antipathie wird für dasjenige, was an einen herantritt. Man hat als Seelenbeziehung Antipathie gegen dasjenige, was an einen herantritt, und man spricht dasjenige, was aus dieser Antipathie kommt, entweder mit Absicht oder ohne, um zu kritisieren, oder um etwas Furchtbares zu machen; man spricht es aus. Aber in der Sprache ist das eine ganz besondere Nuance für ihre Ge­staltung. Also ich werde das nennen: Antipathie abfertigend.

4. Antipathie abfertigend

Fünftens kann die Sprache Sympathie bekräftigend sein, also das Gegenteil von dieser Vier.

5. Sympathie bekräftigend

Und noch ein sechstes ist möglich; das ist das, daß die Sprache ein Zurückziehen des Menschen in sieh selber bedeutet, ein Sieh-Heraus­ziehen aus der Umgebung.

6. Zurückziehen des Menschen auf sich selber

Außer diesen sechs Offenbarungen der Sprache, die schon in den griechischen Mysterien als die sechs Nuancen der Sprachgestaltung genannt wurden, in deren Sinn gelehrt wurde, außer diesen sechs Nuancen der Sprachoffenbarung gibt es keine weiteren. Man kann alles, was in Sprachoffenbarung gebracht wird, unter eine dieser Nuan­cen fassen. Und derjenige, der das Sprechen zum Bewußtsein herauf-heben will, muß versuchen, diese Nuancen mit Bezug auf die Sprach­gestaltung zu studieren.

Nun ist es zweckmäßig, zunächst das Studium nicht zu beginnen mit dem Worte, sondern das Studium zunächst vorzubereiten durch die Gebärde, und dann erst das Wort an die Gebärde anzuknüpfen.

Geht man so vor, dann bekommt man durch solches Vorgehen den Sinn für Sprachgestaltung, während umgekehrt immer etwas Will­kürliches herauskommt, wenn man vom Worte ausgeht, wo schon die Gebärde verschwunden ist, und dann erst zur Gebärde übergehen will.

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Ist man sich aber klar, daß der Sprachgenlus durch diese sechs Tätigkei­ten wirkt, und studiert diesen Sprachgenius an der Gebärde, dann kann man von der Gebärde in eindeutiger Weise zum Worte zurückgehen.

Wenn wir das wirksame Wort in seiner Nuance fühlen wollen, so können wir dieses Gefühl am besten an der deutenden Gebärde aus­bilden. Die deutende Gebärde, die also in ihren Andeutungen etwas ausdrücken soll.

1. Wirksam: deutend

Man kann an dem Volksidiom diese deutende Gebärde studieren. In England wird kein Ort sein für ein solches Studium, denn da liebt man die Gebärde, die deutende Gebärde überhaupt nicht, sondern man spricht mit den Händen in der Hosentasche oder in der Rock­tasche. Dagegen ist Italien der beste Ort von Europa, gerade die deu­tende Gebärde im Zusammenhang mit dem Worte zu studieren.

Das Bedächtige wird sich immer offenbaren in dem, was in irgend­einer Weise an sich hält; also beim direkten Nachdenken, so zum Bei­spiel: Finger an der Stirn; so vielleicht sogar, wenn's spaßig werden soll: Finger an der Nase. Aber jedes An-sich-Halten hängt zusammen mit der bedächtigen Art der Sprachoffenbarung. Selbst dieses ist noch bedächtig: Hände in die Seiten gestemmt; und wenn sich in manchen Gegenden - ich habe das erfahren - jemand dazu entschließen will, sich zu fassen, weil er dem anderen eine Ohrfeige geben will, dann hält er auch an sich: Arme in die Seiten gestemmt. Wir können also sagen: an sich halten und die entsprechende Gebärde.

2. Bedächtig: an sich halten

Das Vorwärtstasten gegen Hindernisse, das ist dasjenige, was in der Gebärde unmittelbar empfunden werden kann. Man frägt sich nur:

Wann ist man in der Stimmung, sich gegen Hindernisse vorwärts tasten zu wollen? Ich kann also sagen, mit den Armen und Händen nach vorwärts in rollender Bewegung sein.

3. Vorwärtstasten der Sprache gegen Widerstände: mit Armen und Händen nach vorwärts in rollender Bewegung sein

Antipathie abfertigend - die Gebärde können Sie leicht fühlen:

wegweisend, irgend etwas von den menschlichen Gliedern wegschleudernd.

#SE282-084

Ist man halbwegs ein zivilisierter Mensch, so macht man so: leichte abweisende Bewegung mit der Hand; wird man unzivili­siert, so macht man so: starke Bewegung mit Hand und Fuß.

4. Antipathie abfrrtigend: von sich Glieder absehleudern

Sympathie ausdrücken - jene Gebärde machen, welche wenigstens andeutet, daß man den Gegenstand der Sympathie in irgendeiner Weise berühren oder streicheln will; also wenigstens die Andeutung muß darinnen liegen. Sympathie bekräftigen bedeutet, die Glieder ausholen zum Berühren des Objektes.

5. Sympathie bekräftigend: Glieder ausholen zum Berühren des Objektes

Nun: das Zurückziehen des Menschen in sieh selber, welches in der Gebärde so ausgedrückt wird, daß der Mensch in irgendeiner Weise hart am Körper das Glied ansetzt und dann nicht unmittelbar hori­zontal, aber etwas schief nach vorn von dem eigenen Körper in der Gebärde die Glieder entfernt.

6. Zurückziehen des Menschen auf sieh selber:

abstoßen der Glieder vom eigenen Körper

Es ist nun gut, weil es ganz natürlich und elementar selbstverständ­lich ist, das, was ich hier im Schema (siehe Seite 87) in der ersten Kolonne geschrieben habe, richtig zu erfühlen an den Gebärden, die ich in der zweiten Kolonne geschrieben habe. Das ist viel wichtiger für die Sprachgestaltung als alles Studieren der Atemhaltung, alles Studieren der Zwerebfellstellung, der Nasenresonanz und so weiter; denn das alles folgt von selber, wenn man in der Sprache lebt und die Sprache zunächst an der Gebärde in ihren Nuancen studiert. Hat man ein deutliches Gefühl davon, daß in einer dieser Gebärden dasjenige liegt, was in der ersten Kolonne ist, dann ist man in der richtigen Weise vorbereitet, den Übergang zu finden zur Wort- respektive zur Satzgestaltung. Und wir werden jetzt darauf aufmerksam zu machen haben, wie, nachdem man die innerliche Seelennuance des Erlebens studiert hat an der Gebärde, nun die Gebärde zurückgeführt werden kann zum Worte.

#SE282-085

Hat man also heraus, wie die deutende Gebärde das Wirksame in der Seele darstellt, dann kommt man dazu, den Zusammenhang zu finden zwischen dieser deutenden Gebärde und demjenigen, was ich jetzt nennen möchte - ich werde dann die Ausdrücke im einzelnen im Laufe der Zeit genauer erklären - das schneidende Wort, die schnei­dende Rede. Schneidend so, daß die Rede gesetzt wird in der Art, daß man weiß, es wird mit aller Kraft in das Ausatmen hinein nach-geholfen; daß also der inneren menschlichen Kraft in dem Durch­dringen des Wortes mit etwas Metailenem nachgeholfen wird.

1. schneidend

Dagegen dasjenige, was in der an sich haltenden Gebärde liegt, welche das Bedächtige offenbart, das wird man auszudrücken haben in dem Worte, das voll gesprochen wird. So daß tatsächlich es jetzt nicht darauf ankommt, Metailenes in das Ausstoßen des Wortes zu legen, sondern daß es darauf ankommt, in den Vokal und in den Konsonanten voll hineinklingen zu lassen, hinein zu intonieren das­jenige, was der Konsonant aufnehmen kann an Intonation:

Und es wallet und woget und brauset und zischt.

2. voll

So liegt in jedem Vokal und in jedem Konsonanten dasjenige, was er aufnehmen kann. In dieser Weise voll gesprochen, liefert immer bedächtige Nuancen, die man studieren kann an dem An-sich-Halten.

Das Vorwärtstasten gegen Hindernisse, das darinnen liegt, daß man mit Armen und Händen rollt, namentlich in dieser Weise mit der Hand oben, mit der Innenhandfläche der nach oben gehaltenen Hand, das kommt dann zum Ausdruck, wenn die Stimme zitternd wird, wo­bei einem derjenige, der das Wort bildet, zu Hilfe kommen kann durch Worte, die möglichst viele r enthalten, wenn die Stimme zit­

ternd wird. 3. zitternd

So haben wir schneidende Gestaltung, volle Gestaltung, zitternde Gestaltung.

Du sagst mir, dies Ziel soll ich erreichen.

Kann ich denn das?

#SE282-086

Kann= etwas zitternd. Kann ich denn das?

Sie werden fühlen, der Zusammenhang ist da.

Nun handelt es sich darum, Antipathie abfrrtigend, die Glieder von sich wegstoßen, daß das Wort hart werden muß. Man muß die Härte des Wortes fühlen.

4. hart

Ich habe zu tun. Du bist mir überflüssig. Geh! Geh!

Hier haben Sie die Härte des Wortes: Geh!, aber auch mit dem Abstoßen der Glieder in unmittelbarer Verbindung.

Es ist daher sehr gut für jemanden, der sieh zu einer Rezitation oder zum dramatischen Sprechen vorbereiten will, daß er sieh vorerst völlig in den typischen Gebärden die ganze Szene stumm einstudiert.

Nun die Gebärde: die Glieder ausholen zum Berühren des Objek­tes. Auch dann, wenn man etwas ganz genau beschreiben will, so daß man am liebsten das Objekt an den Menschen heranbringen will, macht man diese Gebärde - entsprechende Geste - im dramatischen Sprechen; also wenn man jemandem etwas zu beschreiben hat. Dann aber wird, selbst wenn es sieh nicht um menschliche Verhältnisse han­delt, dann aber ganz besonders, die Stimme sanft.

5. sanft

Sie bringen mir das Kind, das ich immer gern sehe: Komm!

Komm, sanft gesprochen.

Dieses «Komm» studieren an der Bewegung, an der Gebärde.

Zurückziehen des Menschen auf sieh selber; abstoßen der Glieder vom eigenen Körper. Da haben wir, wenn wir diese Gebärde uns ver­gegenwärtigen, das entsprechende Wort, das kurz abgesetzt wird.

6. Kurz abgesetzt

Du machst mir den Vorschlag, jetzt das Geschäft

zu besorgen; ich möchte jetzt spazieren gehen!

In kurz abgesetzten Worten: «ich möchte jetzt spazieren gehen.»

In der Zeit der älteren Mysterien, als man auf die Hauptsache gesehen hat, hat man diese Einteilung in diese sechs Glieder gehabt. Später, wo man bei allem mehr auf Äußerlichkeiten gesehen hat, hat

#SE282-087

man aber mit einer gewissen Willkür, weil das keine durchaus neue Nuance ist, sondern in der zweiten schon enthalten ist, hier noch ein­geschaltet das, was nicht nur bedächtig ist, sondern was in einer ge­wissen Weise die Entschlußunfähigkeit darstellt. Es ist eine Nuance der Bedächtigkeit: die Entschlußunfähigkeit. Die Gebärde ist das Stillhalten der Glieder. Und das entsprechende Gestalten des Wortes sind die langsam gezogenen Worte. Zum Beispiel:

Jetzt sind wir in einer schlimmen Lage. Was soll ich tun?

Langsam gezogen «Was soll ich tun?» Das wäre eine siebente Nuance.

1. Wirksam deutend schneidend

2. Bedächtig an sich halten voll

Entschlußunfähigkeit Stillhalten der Glieder langsam gezogen

3. Vorwärtstasten der mit Armen und Händen zitternd

Sprache gegen Wider- nach vorwärts in rollen-

stände der Bewegung sein

4. Antipathie ab- von sich Glieder hart

fertigend absehleudern

5. Sympathie bekräf- Glieder ausholen zum sanft

tigend Berühren des Objekts

6. Zurückziehen des Abstoßen der Glieder kurz abgesetzt

Menschen auf sich vom eigenen Körper

selber

Worauf ich jetzt besonders aufmerksam machen möchte, das ist die­ses, daß studiert werden sollte die Gestaltung des Wortes und des Satzes an der Gebärde, und daß man von der Gebärde zurückgehen sollte zu dem, was man dann finden kann als Volles, Zitterndes und so weiter in Sprache und Satz.

Sehen Sie, man hat nötig, das Objektive der Sprache, ich möchte sagen, die Tätigkeit des Sprachgenius wirklich kennenzulernen. Und man lernt die Sprache eigentlich nur dadurch kennen, daß man die Gebärde nun wiederum verfolgt bis hinein in das Intonieren der Laute.

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Hat man sieh einmal gewöhnt, in dieser Weise die Gebärde hinein zu verfolgen in das Intonieren der Worte, dann hat man es leichter, die Gebärde hinein zu verfolgen in das Jntonieren der Laute. Das In­tonieren der Worte muß etwas Augenblickliches sein; das Intonieren der Laute aber muß beim Menschen etwas Habituelles werden, etwas, worauf er sieh im einzelnen Studium nicht mehr, wenigstens im wesentlichen nicht mehr einzulassen hat, was er aber an sieh selber zu lernen hat. Und man kann tatsächlich verfolgen, wie die Gebärde ge­wissermaßen in den Laut hineinsehlüpft und darinnen verschwindet.

Nehmen Sie zunächst das musikalische Intonieren von Tönen da­durch, daß wir uns der Blasinstrumente bedienen. Wir blasen. Sie werden an der Bewegung der Luft, wenn Sie eine Trompete oder irgend etwas anderes blasen, doch ein deutliches Gefühl haben: da steckt die Gebärde darin. Sie brauchten nur einmal die Hypothese an­zunehmen, diese in der Trompete oder Pfeife bewegte Luft, wenn sie drin gefröre, ginge durch das Flüssige zum Festen über, so hätten Sie ja eine wunderschöne Gebärde angedeutet in der gefrorenen Luft. Es wären sogar das die wunderbarsten Gebärden, die da herauskommen. Und so hören wir, wenn die Blasinstrumente ertönen, ganz deutlich eigentlich Gebärde. Wir sehen, wie in das Blasen hineinsehlüpft die Gebärde.

Nun haben wir aber unter unseren Konsonanten ausgesprochene Blaselaute, solche Laute, die eigentlich bekräftigen, daß in gewissem Sinn das menschliche Stimmorgan eine Trompete ist, wenn auch selbst­verständlich in anständige Form von der Natur abgeschwächt. Denn wenn grob brutal das menschliche Organ als Trompete erklingt, so wird es unangenehm. Aber wir haben ausgesprochene Blaselaute, welche auf die Trompetennatur, überhaupt die Blasinstrumentennatur des menschlichen Stimmorgans hinweisen. Blaselaute, das sind: h> cb> j, sch> s, f, w. Das sind durchaus Töne, welche sich anhören so, daß man im Hören das Gebärdenhafte in ihnen noch vernimmt.

Dagegen gibt es Laute, bei denen die Gebärde so in den Ton hin­ein verschwindet, daß man immer das Bedürfnis hat, die Geschichte zu sehen, nicht bloß zu hören. Beispielsweise d: da möchte man immer sehen, wie der Finger auch da ist. Das sind die Stoßlaute. Die Stoßlaute

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sind etwas, wo man vom Hören abgehen möchte und immer die Phantasie, daß man den Laut sieht, haben möchte. Ausgesprochene Stoßlaute sind: d> t, b, p, g, k, m, n.

Dann haben wir einen Laut, in dem wirklich die Gebärde nur so ver-schwindet, daß sie deutlich noch da ist. Das ist das r, der Zitterlaut r.

Dann haben wir einen Laut, bei dem man empfindet, es ginge einem gut, wenn man er selber würde, der Laut. Das ist das 4 der Wellen-laut. Man schwimmt in dem Elemente des Lebens, wenn man das l richtig empfindet.

Man kann in diese Laute hinein das Verschwinden der Gebärde durchaus empfinden. Und so empfindet man die Blaselaute als eigent­liches Tönen. Man hört hin auf diese Laute. Die Gebärde ist in ihnen stark verschwunden, aber man hört eigentlich die Gebärde. Dagegen bei den Stoßlauten möchte man das Phantasiebild haben, das gesehen werden kann bei allen Stoßlauten. Gewissermaßen sieht man die Stoß-laute in der Phantasie. Stoßlaute= Sehen.

Den Zitterlaut r fühlt man, und zwar wer feines Gefühl hat, fühlt ihn in den Armen und Händen. Wenn man eben Arme und Hände, wenn einer r ordentlich ausspricht, ruhig halten soll, dann muß es einen jucken. Man soll das nicht gleich als eine Krankheit ansehen. Dieses Jucken soll durchaus so angesehen werden, daß es die normale Reaktion eines empfindenden Menschen ist auf den Gebrauch, nament­lich den häufigen Gebrauch des r. Also r = Fühlen in Armen und Händen.

Dagegen das l fühlt der Mensch, der normal empfindet, in den Bei­nen. Das l ist etwas, das tatsächlich in den Beinen gefühlt werden kann, wenn es der andere ausspricht. Also l auch ein Fühlen, aber mit den Beinen und Füßen.

Blaselaute: h, ch,j, sch, s,f, w: Tönen

Stoßlaute: d, t, b, p, g, k, in, n: Sehen

Zitterlaut: r: Fühlen in Armen und Händen

Wellenlaut: l: Fühlen in Beinen und Füßen.

Daraus sehen Sie schon: bei den Blaselauten, die am ajiermeisten objektiv werden für den Menschen, ist die Gebärde so stark verschwunden,

#SE282-090

daß man die Laute nur noch hören will. Prüfen Sie ein­mal einen fein empfindenden Dichter daraufhin, ob er dasjenige zum Ausdrucke bringen will, was sieh ganz absondert von dem Menschen, dann werden Sie bei ihm sehr häufig rein instinktiv die Blaselaute finden. Prüfen Sie aber einen Dichter daraufhin, ob er ausdrücken will, daß der Mensch beteiligt ist an den Dingen, sich stößt, sich wehrt, schlägt, fuehtelt, dann werden Sie bei ihm sehr häufig die Stoßlaute finden.

Und wenn Sie fühlen sollen, was in der Dichtung liegt, daß im Hören deutlich das Gefühl angedeutet werden soll, dann werden Sie an der richtigen Stelle das r oder l finden. Man ist also genötigt, auf den Menschen und seine Gebärden bei allem, was nicht Blaselaut ist, hinzuweisen.

Bei den Blaselauten ist es deshalb nicht der Fall, hinzudeuten auf den in Gebärde begriffenen Menschen, weil in die Blaselaute hinein die Gebärde schon ganz verschwunden ist. Daraus sehen Sie wieder, daß in die Sprache hinein die Gebärde verschwindet. Damit aber ist dasjenige gegeben, was wir uns, ich möchte sagen, nicht wie eine Tra­dition, denn es wurde niemals deutlich ausgesprochen, aber wie ein Vermächtnis der Mysterienzeit in bezug auf die Sprache in die Seele schreiben sollen, und über das wir, wenn wir die Kunst der Sprach­gestaltung üben wollen, viel meditieren sollten, auch über alles das, was dann aus dem Meditieren darüber wird. In der Gebärde lebt der Mensch. Der Mensch selber ist da in der Gebärde. Die Gebärde ver­schwindet hinein in die Sprache. Wird das Wort intoniert, dann er­scheint der Mensch wiederum; der gebärdenbildende Mensch er­scheint im Worte wieder. Und in dem, was der Mensch spricht, finden wir den ganzen Menschen. Aber wir müssen die Sprache zu gestalten wissen. Und so haben wir, wie gesagt, etwas wie ein Ver­mächtnis derjenigen Zeiten, in denen die Sprache noch Mysterien-inhalt war:

Im Sprechen ist die Auftrstehung des in der Gebärde verschwundenen Menschen.

Die Bühnenkunst, die sieh der Gebärde bedient, läßt den Menschen aus der Gebärde nicht völlig verschwinden; sie läßt auch den Mensehen

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im Worte nicht völlig entstehen. Darauf beruht gerade das An­ziehende der dramatischen Darstellung, weil dadurch, daß der Mensch in der Gebärde nicht völlig verschwindet, auf der Bühne noch der Darsteller als Mensch steht in der Gebärde, und dadurch, daß der Mensch nicht völlig noch ersteht in dem Worte, das Miterleben des Zuschauers möglich wird, indem er dasjenige hinzuzufügen hat in seiner Phantasie, in seinem Drama genießend, was noch nicht in dem Worte auf der Bühne vollständig ersteht.

Damit haben Sie sozusagen einen Meditations-Stoff für das Wesen der dramatischen Kunst. Morgen werden wir um dieselbe Zeit weiter fortsetzen.

Ich möchte nur um eines bitten, meine lieben Freunde. Die Dinge, die gesagt werden, werden so häufig mißverstanden. Ich habe doch gestern wahrhaftig angedeutet, was den Kursus dadurch variiert hat, daß er erweitert werden mußte. Aber daß gar keine Gründe da waren, um diejenigen Persönlichkeiten, die gestern dagesessen haben, zu dem Kursus zuzulassen, dies daraus zu schließen, das hätte ich nicht ge­dacht. Aber man hat es doch daraus geschlossen aus dem, was ich gestern gesagt habe. Man hat doch daraus geschlossen: Nun haben die also gar keine Gründe gehabt, sondern aus der Willkür heraus den Kursus erweitert.

Daß man das so aufgefaßt hat, als ob ich das zu den Kursteilneh­mern gesagt hätte, das geht daraus hervor, daß nun die Folge war, daß zahlreiche von den hier Sitzenden zu anderen Leuten gesagt haben: Jetzt braucht man nicht mehr irgendwie Bedenken zu haben, zu dem Kursus zu kommen, denn der hat ja gesagt, es können alle kommen. - Aber das ist doch keine Motivierung. So kann man doch die Dinge nicht behandeln. Man kann doch wirklich nicht mit einem solchen Leichtsinn das, was ernst gemeint ist, auffassen, daß Men­schen, die hier gesessen haben, zu anderen sagen: Jetzt überflutet ihr diesen Kursus, es kommt gar nicht darauf an, es kann darinnen sitzen, wer will.

Daher mußte ich außerordentlich sparsam sein in bezug auf die­jenigen, die heute erst angesucht haben um Aufnahme. Ich möchte

#SE282-092

überhaupt bemerken, daß der Kursus als Ganzes genommen werden soll, nicht daß in der Mitte erst Leute hereinkommen, die nicht vom Anfange an da waren, da unsere Kurse nicht zum Spaß, sondern zum Ernst da sind. Und es ist auch so, daß man das Spätere nicht verstehen kann, wenn man das Vorhergehende nicht gehört hat. So daß also tatsächlich in äußerst seltenen Fällen davon abgegangen werden kann; nur wenn ganz zwingende Gründe vorliegen. Nicht nur für das Ab­weisen, sondern auch für das Zulassen ist es notwendig, daß man vom Anfange an an dem Kurse teilnimmt bis zum Ende. Nur dann nicht bis zum Ende, wenn er ihm so ekelhaft und unsympathisch ist, daß er wegreist.

DRITTER VORTRAG Dornach, 7. September 1924 Die Sprache als gestalteter Gestus

#G282-1969-SE093 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

DRITTER VORTRAG

Dornach, 7. September 1924

Die Sprache als gestalteter Gestus

#TX

Wenn wir festhalten an der Erkenntnis, daß das Sprachliche ausgegan­gen ist von dem primitiven, aber deshalb durchaus nicht untergeord­net Künstlerischen, daß in der Sprache von Anfang an etwas gelebt hat vom Musikalischen sowohl wie vom Plastischen, daß in der Sprache im Grunde genommen Gedanken- und Gefühlsleben drinnen war, dann müssen wir, um zum Verständnisse der heutigen Sprachgestal­tung zu kommen, zunächst uns fragen: Wie sprechen wir heute, und woran mißt zunächst derjenige, welcher der gestalteten, der künst­lerisch geformten Sprache gegenübersteht, woran mißt er als Publikum?

Er hat zunächst aus dem Leben heraus heute keinen rechten Maß­stab, wie überhaupt die Maßstäbe für das Künstlerische aus dem Leben heraus fehlen. Wie zahlreich sind heute die Menschen, die überhaupt nicht wissen, was ein Gedicht ist, die aber ihre größte Freude haben an Gedichten. Sie nehmen Gedichte als Prosa, betrachten sie ihrem Inhalte nach, haben gar kein Verständnis für ihre künstlerische Durch-gestaltung, und dabei fällt aus dem ganzen Gedichte all das Künst-lerische heraus.

Daher muß schon in einer gewissen Weise von dem ausgegangen werden, was heute im Grunde genommen doch von dem Laien - und der Laie ist ja derjenige, der zunächst die Kunst hinnimmt - gewußt, empfunden und erlebt werden kann in bezug auf die Sprachgestaltung. Und das ist heute dennoch - gerade in einem so vorgerückten Stadium der Zivilisationsentwickelung ist es heute dennoch die Prosa. Und nach den nicht einmal künstlerisch empfundenen, sondern konven­tionell hingenommenen Voraussetzungen der Prosa, oder sagen wir auch vom Leben gebildeten Voraussetzungen der Prosa, wird auch das Künstlerische der Sprachgestaltung im Grunde heute beurteilt.

Denken Sie nur, wie viele Menschen heute einfach Anstoß daran nehmen, wenn irgend jemand, genötigt durch das Künstlerische, einen

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Satz nach dem Verse und nicht nach der Syntax gestaltet, wenn er also etwas, wovon der Prosagläubige meint, von der einen Verszeile müsse die Sache in die nächste hinübergezogen werden, nicht tut, son­dern einfach dem Vers gehorcht und nicht der Grammatik! Wir haben in dieser Beziehung heute sogar innerhalb unserer Literatur eine starke Anomalie. Die jüngeren Dichter möchten mit aller Gewalt wiederum zu Stil kommen und bringen es dahin, mitten im Satze drinnen, der sich organisch noch in die nächste Zeile hinüberschlingt, den Reim anzubringen, so daß der Reim mitten im Satze steht, im grammati­schen Satze, nicht im versifizierten Satze. Da muß man sagen: Gewiß, es sind Gründe vorhanden, das nicht zu tun. Aber innerhalb eines Geisteslebens, wie das heutige es ist, wo jedes Stilgefühl verloren­gegangen ist, kann man wiederum voll begreifen das Bestreben jünge­rer Dichter, den Reim dahin zu setzen, wo der Grammatik ein Faust­schlag versetzt wird. Dann ist aber auch der Rezitator gehalten, diesen Reim nun tatsächlich nicht zu verschlucken, sondern in seine Rezita­tion hineinzuziehen und ebenso der Grammatik einen Faustschlag zu versetzen. - Es ist heute in einer gewissen Beziehung ein vollent­wickelter Kampf da zwischen Kunst und Geschmack, und man soll sich bewußt in diesen Kampf zwischen Kunst und Geschmack, ins­besondere in der Sprachgestaltung, heute hineinstellen wollen.

Für die Prosa - ich habe öfter darauf aufmerksam gemacht - gab es in der Zeit, in der man noch Stilgefühl hatte, in der man noch künst. lerischen Sinn hatte, durchaus auch dasjenige, was einer Kunst ähn­lich sah, die Rhetorik. Die Eloquenz nannte man es. Das hat sich wie so manches andere von den alten Zöpfen in den Universitäten erhalten, und die Universitäten, wenigstens die älteren, haben immer Professo­ren der Eloquenz angestellt. Und so gab es in Berlin einen Professor der Eloquenz, einen sehr berühmten Mann. Er war nach seinem Lehr­aufrrag Professor der Eloquenz, aber die Öffentlichkeit und daher auch das Universitätsieben hatten keine Verwendung für einen Pro­fessor der Eloquenz beziehungsweise für seine Vorlesungen. Kein Mensch dachte anders als: Jeder Mensch soll reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, also wozu braucht man da eine Unterwei­sung. - Daher bemerkte das Publikum gar nicht, daß da ein berühmter

#SE282-095

Mann war als Professor der Eloquenz; er hatte bloß griechische Archäologie vorzutragen, wofür er sehr gut war, aber er war gar nicht dafür angestellt, sondern er war als Professor der Eloquenz angestellt; dafür war aber kein Bedürfnis vorhanden. So sehr ist dasjenige heute unzeitgemäß, was man überhaupt über Sprachgestaltung vorbringt.

Prosa ist dazu da vor allen Dingen, den Gedanken, der sich schon losgelöst hat von der Sprache, wiederum in die Sprache zurückzu­bringen.

Nun sind alle Gedanken, welche die Menschen heute haben, aus­nahmslos Gedanken, die es nur mit dem menschlichen Kopfe zu tun haben. Denn, sehen Sie, die Gedanken beziehen sich heute nur auf Materialistisches, auf Materielles.

Die Religionen, welche sich nicht auf Materielles beziehen wollen, haben daher theoretisierend seit lange angestrebt, die Gedanken über­haupt auszuschließen und sich nur auf das Gefühl zurückzuziehen, und es gibt insbesondere in den evangelischen Bekenntnissen immer wieder das Bestreben, die Gedanken überhaupt auszuschließen und sich nur auf das Gefühl zurückzuziehen, Erkenntnis nicht zu haben, sondern nur den Glauben, was dasselbe ist.

Nun, dazu ist keine Veranlassung, darauf einzugehen. Aber das muß festgehalten werden: Alle Gedanken, die heute vorhanden sind - auch diejenigen, die glauben, etwas Spirituelles zu erkennen, wenn sie nicht wirklich drinnenstehen im spirituellen Leben, haben nur solchen In­halt - alle Gedanken, die heute vorhanden sind, beziehen sich auf Materielles und sind lediglich Erzeugnisse des menschlichen Kopfes, des menschlichen Hauptes.

Hier darf ich ja auch bildlich sprechen, obwohl das Bildliche durch­aus ernst und sachlich und sogar exakt gemeint ist. In einem natur-wissenschaftlichen Vortrage dürfte ich natürlich die Ausdrücke nicht so wählen, wie ich sie jetzt wählen werde.

Sehen Sie, der menschliche Kopf ist rund, wenigstens im wesent­lichen (siehe Zeichnung). Er bildet in seiner Rundung das Universum ab, das Universum, wie es der Mensch zunächst materiell überschaut. Die Ursprünge von spirituellen Gedanken können niemals aus dem Kopfe kommen, sondern nur aus dem ganzen Menschen. Der ist aber

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nicht rund; bei dem ist die Rundung in ganz andere Formen meta­morphosiert. Und in dem Augenblicke, wo es sich darum handelt, aus dem rein Materiellen auch in der Sprachbildung zum Beispiel her­auszukommen, ist es nötig, daß die Linien gezogen werden zu dem­jenigen, was am Menschen nicht rund ist, das haben wir gestern getan, die Linien nach jenen Gebärden, nach jenen Gesten, die am wenigsten sogar vom Kopfe ausgeführt werden können, denn nur einzelne Men­schen - und deren Gesten kommen dabei nicht in Betracht - haben zum Beispiel die freie Beweglichkeit ihrer Ohren. Der Kopf ist gerade dazu da, gestenlos zu sein, hat nur die letzte Geste im Blicke, im Mienenspiel, also nur Andeutungen der Geste noch.

#Bild s. 96

Ja, alles, was gestern gesprochen worden ist, daß es in die Sprache hineinkommen muß, rührt nicht vom Kopfe her, sondern rührt her von dem ganzen übrigen Menschen. Es muß einfach in den Kopf das­jenige einfließen, was in dem ganzen übrigen Menschen erlebt wird. Das ist ja auch der Sinn dessen, daß ich sage: die Geste muß ein­fließen, oder man müsse zunächst irgend etwas, was man vorbereitet

#SE282-097

für die Deklamation, für die Rezitation, an der Geste studieren und die Geste dann erst heraufheben zu dem gesprochenen Worte. Aber Prosa hat mit der Beschränkung auf den Kopf auch die Geste fast ganz verloren. Und Prosa kann man deklamieren mit Ausschluß der Geste. Man deklamiert dann eben nicht; man redet Prosa im Prosai­schen.

Was kommt dabei in Betracht? Dabei kommt in Betracht, daß die Prosa, wie sie heute besteht, überhaupt darauf hinorientiert ist, den Stil als solchen zu verlieren und an die Stelle des Stiles die Pointierung zu setzen, denn in der Prosa hat man die Aufgabe, präzise einen Inhalt anzugeben. Der Inhalt aber, den der Mensch durch den Kopf, das heißt durch die Rundung bekommt in der Nachahmung des rund er­scheinenden Universums, der ist nicht geformt. Unsere Gedanken lie­gen, insoferne sie sich in Prosa bewegen, chaotisch ungeformt neben­einander. Wäre das nicht der Fall, so würden wir auch nicht die Misere heute haben mit den nebeneinanderliegenden Wissenschaften oder mit der Spezialisierung in dem Nebeneinanderliegen unserer Erkenntnisse, die alle Kunst verloren haben, die eben nebeneinanderliegen. Man kann ein großer Anatom im heutigen Sinne sein und von der mensch­lichen Seele gar nichts verstehen; aber man kann das nicht in Wirk­lichkeit sein. Man kann weder ein Seelenkundiger in Wirklichkeit sein, ohne von Anatomie etwas zu verstehen, noch ein Anatom sein, ohne von Seelenkunde etwas zu verstehen. Aber heute ist das mög­lich. Heute ist es möglich, weil schon die Ausdrucksform in der Prosa auf das präzise Pointierte so gehen muß durch die nebeneinanderlie­genden Gedanken, der Stil aber durch eine Fortführung des Ge­dankens, durch eine Kontinuität hindurch fortgehen kann. Wer im Stile schreibt, muß, wenn er einen Aufsatz zu schreiben beginnt, im ersten Satze den letzten haben. Ja, er muß sogar mehr Aufmerksam­keit dem letzten Satz zuwenden als dem ersten, und wenn er den zweiten Satz schreibt, muß er den vorletzten im Sinne haben. Einen einzigen Satz im Sinne zu haben, ist nur in der Mitte des Aufsatzes gestattet. Man schreibt also, wenn man in der Prosa Stilgefühl hat, seinen Aufsatz aus dem Ganzen heraus.

Bitte, fragen Sie heute einen Botaniker, wenn er über irgend etwas

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schreibt, ob er weiß, wenn er anfängt, welchen Satz er zuletzt schrei­ben wird! Aber dafür ist auch jedes Stilgefühl für Formulierungen dem Menschen verlorengegangen. Unsere Prosa ist auf die Pointie­rung eingestellt, nicht auf das Stilgefühl. Wenn also die Prosa wieder­um als der Ausgangspunkt des Urteils von dem Laien genommen wird, so bedeutet das von vornherein, die Einwände, welche gegen den Stillsten gemacht werden, werden ohne Stilgefühl gemacht, be­wußt sogar ohne Stilgefühl gemacht. Wie häufig kann man es heute erleben, daß die unglaublichsten Empfindungen in der Art sich äußern. Ich habe es wiederholt erlebt, daß zum Beispiel eine schöne Birne, die schön anzuschauen ist, da war, und unter Umständen gebildete Men­schen einem sagten: So schön wie von Wachs!

Ja, meine lieben Freunde, dieser einzige Ausspruch zeigt das ab­solute Fehlen nicht nur des Stilgefühles, sondern jeder Möglichkeit, an das Stilgefühl heranzukommen, denn wer Stilgefühl hat, weiß natürlich, daß die Wachsbirne nur dadurch schön sein kann, daß sie der realen Birne ähnlich sieht, und nicht das Umgekehrte der Fall ist. Und so vergleicht jeder dasjenige, was heute in Versen gesprochen wird, mit dem, was in der Prosa ausgedrückt wird. In unserer Prosa muß man heute sehr häufig unter Schmerzen stillos werden, sonst müßte man sich eben seine eigne Prosa schaffen.

Das sind die Dinge, die ganz tüchtig heute berücksichtigt werden müssen. Die Prosa ist zur Mitteilung da, und es wird sich darum han­deln, nun einzusehen, wie Mitteilung sein kann, indem dasjenige, was in der Prosa dazu neigt, aus allem Stil herauszukommen, bewußt zum Stil zurückgeführt wird.

Was muß eintreten, wenn mitgeteilt wird? Unsere Prosa ist ja des­halb stillos geworden, weil sie nur Mitteilung sein will. Das war aber überhaupt schon von Anfang an die Tendenz, als Prosa noch natürlich entstanden ist. Sie strebte immer aus der Kunst heraus; sie ist Kopf-kultur, das heißt kunstlose Kultur. Was muß also die Mitteilung an­streben, wenn sie Mitteilung sein will, aber dennoch künstlerisch auf­treten will ? Sie muß, da sie Mitteilung sein will, und zum Kopf alles das gehört, wodurch man Mitteilung machen kann, die Sinne, der Verstand, in der Form des Kopfes sich aussprechen, aber immerfort

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das Bestreben haben, mit dem vom Kopf Aufgefaßten gewissermaßen die Arme und namentlich die Beine abzufangen. So daß der bloße pointierte Stil, der durch den Kopf zustande kommt, dadurch modi­fiziert wird, daß versucht wird, im Darstellen und Rezitieren des Epi­schen - und das ist zur Mitteilung da - die Beine wiederum abzu­fangen, ohne daß man das natürlich in brutaler Form tut.

Und das, sehen Sie, ist in der allergelungensten Weise geschehen durch den Hexameter. Denn worinnen besteht das Wesen des Hexa­meters ? Das Wesen des Hexameters besteht darinnen, daß er, weil er der Vers für die Mitteilung, für die Erzählung sein will, weil er die Mitteilung ist, die Beine des Menschen abfängt und den Rhythmus der Beine hineinbringt. Nicht umsonst sagen wir Versfüße. Man muß, wenn man den Hexameter richtig fühlen will, auch fühlen, daß man den Hexameter nicht bloß sprechen kann, sondern daß man ihn gehen kann. Und man kann den Hexameter gehen. Wenn man mitteilt, das heißt das Bedächtige, was ich gestern aufgeschrieben habe, ausspricht, zur Offenbarung bringt, dann handelt es sich darum, daß man zunächst nun wirklich vom Bedächtigen ausgeht. Da stellt man sich zunächst auf das eine Bein, und während man steht, betont man voll, langsam. Man macht zwei Schritte - nach der Seite - und huscht über die Sprache in den zwei Schritten hinweg. Da ist schon wiederum die Zeit eingetreten, wo man, weil die Mitteilung bedacht sein muß, ste­hen muß; und dann macht man wieder zwei Schritte.

-u u - u u

Nun haben Sie die Möglichkeit, dies zu machen, und der Hexameter Ist gegangen, er ist da in seiner Form. Aufstellen mit dem Fuße, 0, zwei Schritte e e; aufstellen o> zwei Schritte e e; o, e e; o, e e; o, e e. Sie haben umgesetzt das Gehen in einer gewissen Form in die Sprache:

Singe, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung.

Oder:

Singe, o Muse, vom Zorn mir des Peleiden Achilleus.

Und so weiter. Sie sehen, der ganze Mensch geht in dasjenige über, was der Kopf produziert.

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Als Goethe in seinem Gefühl auf solche Dinge kam, hatte er das Bedürfnis, den Hexameter wirklich auch wiederum zu behandeln. Er hat es getan in «Hermann und Dorothea», weil er Episches darstellen wollte. Er fühlte aber, daß eigentlich im Modernen der Hexameter an den Stoff nicht mehr heran will; gerade bei der Ausarbeitung von «Hermann und Dorothea» fühlte er es, weil der Stoff schon prosaisch geworden ist. Und so ist es Goethe nicht vollständig gelungen, in «Hermann und Dorothea» ein Philisterepos - ich meine jetzt dem Stoffe nach ein Philisterepos - umzusetzen in so edle Formen, daß es aus der Philistrosität vollständig herausgehoben wäre, aber er hat dann immerhin doch in «Hermann und Dorothea» etwas Bedeuten­des geleistet zur Befriedigung der Philister, die ein richtiges Epos haben; und außerdem noch den Stoff so behandelt zu haben, daß jeder Philister sich noch die Finger ablecken kann; das kann natürlich nur ein großer Dichter machen.

Aber Goethe hat auch versucht, einen Stoff, der in der inneren Ge­staltung seiner Substanz schon Geistiges hat, in griechische Verse, in Hexameter zu bringen. Das hat er versucht in der «Achilleis». Des­halb klingt die «Achilleis», wenn sie auch ein Fragment ist, so inner­lich wahr, künstlerisch wahr, stilistisch wahr, und deshalb wollen wir gerade aus der «Achilleis» von Goethe eine Probe zur Rezitation bringen.

Frau Dr. Steiner: «Achilleis», Erster Gesang. Achilles steht vor seinem Zelt und sieht, wie der Scheiterhaufen, auf dem Hektors Über-reste verbrannt werden, in sich zusammensinkt; er beginnt ein Ge­spräch mit seinem Freunde Antilochos, in dem er seinen nahen Tod vorhersagt:

Hoch zu Flammen entbrannte die mächtige Lohe noch einmal,

Strehend gegen den Himmel, und Ilios Mauern erschienen

Rot durch die finstere Nacht; der aufgeschichteten Waldung

Ungeheures Gerüst, zusammenstürzend, erregte

Mächtige Glut zuletzt. Da senkten sich Hektors Gebeine

Nieder, und Asche lag der edelste Troer am Boden.

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Nun erhob sich Achilleus vom Sitz vor seinem Gezelte,

Wo er die Stunden durchwachte, die nächtlichen, schaute der Flammen

Fernes, schreckliches Spiel und des wechselnden Feuers Bewegung,

Ohne die Augen zu wenden von Pergamos rötlicher Feste.

Tief im Herzen empfand er den Haß noch gegen den Toten,

Der ihm den Freund erschlug und der nun bestattet dahinsank.

Aber als nun die Wut nachließ des fressenden Feuers

Allgemach, und zugleich mit Rosenfingern die Göttin

Schmückete Land und Meer, daß der Flammen SchreclWandte sich, tief bewegt und sanft, der große Pelide

Gegen Antilochos hin und sprach die gewichtigen Worte:

«So wird kommen der Tag, da bald von Ilios Trümmern

Rauch und Qualm sich erhebt, von thrakischen Lüften getrieben,

Idas langes Gebirg und Gargaros Höhe verdunkelt;

Aber ich werd' ihn nicht sehen. Die Völkerweckerin Eos

Fand mich, Patroklos Gebein zusammenlesend, sie findet

Hektors Brüder anjetzt in gleichem frommen Geschäfte,

Und dich mag sie auch bald, mein trauter Antilochos, finden,

Daß du den leichten Rest des Freundes jammernd bestattest.

Soll dies also nun sein, wie mir es die Götter entbieten,

Sei es! Gedenken wir nur des Nötigen, was noch zu tun ist.

Denn mich soll, vereint mit meinem Freunde Patroklos,

Ehren ein herrlicher Hügel, am hohen Gestade des Meeres

Aufgerichtet, den Völkern und künftigen Zeiten ein Denkmal.

Fleißig haben mir schon die rüstigen Myrmidonen

Rings umgraben den Raum, die Erde warfen sie einwärts,

Gleichsam schützenden Wall aufführend gegen des Feindes

Andrang. Also umgrenzten den weiten Raum sie geschäftig.

Aber wachsen soll mir das Werk! Ich eile, die Scharen

Aufzurufen, die mir noch Erde mit Erde zu häufen

Willig sind, und so vielleicht befördr' ich die Hälfte.

Euer sei die Vollendung, wenn bald mich die Urne gefaßt hat.»

Also sprach er und ging und schritt durch die Reihe der Zelte,

Winkend jenem und diesem und rufend andre zusammen.

Alle, sogleich nun erregt, ergriffen das starke Geräte,

Schaufel und Hacke, mit Lust, daß der Klang des Erzes ertönte,

Auch den gewaltigen Pfahl, den steinbewegenden Hebel.

Und so zogen sie fort, gedrängt aus dem Lager ergossen,

Aufwärts den sanften Pfad, und schweigend eilte die Menge.

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Wie wenn, zum Überfall gerüstet, nächtlich die Auswahl

Stille ziehet des Heers, mit leisen Tritten die Reihe

Wandelt und jeder die Schritte mißt und jeder den Atem

Anhalt, in feindliche Stadt, die schlechtbewachte, zu dringen:

Also zogen auch sie, und aller tätige Stille

Ehrte das ernste Geschäft und ihres Königes Schmerzen.

Als sie aber den Rücken des wellenbespületen Hügels

Bald erreichten und nun des Meeres Weite sich auftat,

Blickte freundlich Eos sie an aus der heiligen Frühe

Fernem Nebelgewölk, und jedem erquickte das Herz sie.

Alle stürzten sogleich dem Graben zu, gierig der Arbeit.

Rissen in Schollen auf den lange betretenen Boden,

Warfen schaufelnd ihn fort; ihn trugen andre mit Körben

Aufwärts; in Helm und Schild einfüllen sah man die einen,

Und der Zipfel des Kleids war anderen statt des Gefäßes.

Jetzt eröffneten heftig des Himmels Pforte die Horen,

Und das wilde Gespann des Helios, brausend erhob sich's.

Rasch erleuchtet' er gleich die frommen Äthiopen,

Welche die äußersten wohnen von allen Völkern der Erde.

Schüttelnd bald die glühenden Locken, entstieg er des Ida

Wäldern, um klagenden Troern, um rüst'gen Achaiern zu leuchten.

Aber die Horen indes, zum Äther strebend, erreichten

Zeus Kronions heiliges Haus, das sie ewig begrüßen.

Und sie traten hinein; da begegnete ihnen Hephaistos,

Eilig hinkend, und sprach auffordernde Worte zu ihnen:

«Trügliche! Glücklichen schnelle, den Harrenden langsame, hört mich!

Diesen Saal erbaut' ich, dem Willen des Vaters gehorsam,

Nach dem göttlichen Maß des herrlichsten Musengesanges;

Sparte nicht Gold und Silber, noch Erz, und bleiches Metall nicht.

Und so wie ich's vollendet, vollkommen stehet das Werk noch,

Ungekränkt von der Zeit; denn hier ergreift es der Rost nicht,

Noch erreicht es der Staub, des irdischen Wandrers Gefährte.

Alles hab' ich getan, was irgend schaffende Kunst kann.

Unerschütterlich ruht die hohe Decke des Hauses,

Und zum Schritte ladet der glatte Boden den Fuß ein.

Jedem Herrscher folget sein Thron, wohin er gebietet,

Wie dem Jäger der Hund, und goldene wandelnde Knaben

Schuf ich, welche Kronion, den kommenden, unterstützen,

Wie ich mir eherne Mädchen erschuf. Doch alles ist leblos!

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Euch allein ist gegeben, den Charitinnen und euch nur,

Über das tote Gebild des Lebens Reize zu streuen.

Auf denn! sparet mir nichts und gießt aus dem heiligen Salbhorn

Liebreiz herrlich umher, damit ich mich freue des Werkes,

Und die Götter entzückt so fort mich preisen wie anfangs !»

Und sie lächelten sanft, die beweglichen, nickten dem Alten

Freundlich und gossen umher verschwenderisch Leben und Licht aus,

Daß kein Mensch es ertrüg' und daß es die Götter entzückte.

Wenn wir uns den Hexameter anhören, dann kommen wir zu dem

Gefühle: Mitteilung ist da. Die Mitteilung setzt voraus, daß An­schauung erregt wird. Man hört gewissermaßen der Mitteilung zu:

aufgesetzt den Fuß. Man empfängt durch die Mitteilung alles, was man fühlt, das innerliche Leben: die schreitenden Füße, in denen man sich befreit von der Erdenschwere. Dies mit dem Hexameter fühlen, heißt, den Hexameter verstehen.

Denken wir aber nun an das Umgekehrte. Wir könnten ja vom Ge­fühl, also gerade von dem Inneren des Menschen ausgehen, und wür­den, nachdem wir zuerst in dem Unklaren des Gefühls gelebt haben, uns aufschwingen wollen dazu, so recht zur Besonnenheit zu kom­men, das Gefühl ständig zu machen in uns, stehend zu machen. Wir würden sagen: erst unsichere zwei Schritte - man steht in dem labilen Gleichgewichte des Gefühls; sicheres Auftreten - man befestigt das Gefühl in sich.

u u -

Du beschenkst mich

u u -

Mit den Gaben

u u -

Der Geschwister

Es ist genau das Umgekehrte. Man kann da nicht sprechen, trotzdem es die Form einer Mitteilung hat, daß eine Mitteilung gegeben sei. Wer irgendwie sagt: Du beschenkst mich mit den Gaben der Ge­schwister - will ja dem anderen nichts mitteilen, denn das weiß doch der andere; er hat ihn ja beschenkt. Es kann sich hier nicht um eine Mitteilung handeln, sondern die Sache selbst bedeutet, daß es sich handelt um den Ausdruck eines Gefühles, das sich befestigt.

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Hat man eine Mitteilung, so ist die Festigkeit da; das Gefühl, wo man ins Labile, ins schwankende Gleichgewicht kommen will, folgt

nach: - u u - u u - u u

Handelt es sich um das Gefühl, wo man zur Festigkeit hinansteigt:

uu-uu-uu-

Dies werden Sie in der griechischen Poesie in der Verwendung der Daktylen und Anapäste in der wunderbarsten Weise festgehalten fin­den, weil da eben Stilgefühl vorhanden war. Wir können heute so­zusagen nur lernen, indem wir den ganzen Menschen wiederum be­teiligen an der Entstehung des Stils in der Wortgestaltung bis zum Sprechen. Und es wird daher ganz selbstverständlich sein, daß man lernt an dem Hexametersprechen das erzählende Sprechen. Alles epische Sprechen ist an dem Hexametersprechen zu lernen.

Das lyrische Sprechen lernt sich am besten am anapästischen Spre­chen. So daß ausgegangen werden muß nicht von allerlei Gestaltun­gen im Organismus, sondern von dem, was in der Sprache ist. Der Daktylus ist in der Sprache, der Anapäst ist in der Sprache. Daher lernt man episches Sprechen am Daktylus; man lernt lyrisches Sprechen am Anapäst. Nasenresonanz und das andere kommt dann. Wir wer­den ja sehen, wie es kommt. Aber es handelt sich darum, um was es geht, wenn man zunächst sprechen lernt.

Nun aber kann man sagen: Für unsere heutige Sprache ist fast so­wohl der Daktylus wie der Anapäst nur theoretisch vorhanden, und man muß schon wie Goethe wagen, einen alten Stoff zu nehmen, wenn der Hexameter noch als naturgemäß empfunden werden soll. - Goethe hat das auch sonst bei seinen Dichtungen über moderne Stoffe eben nur unter dem Einfluß der Voßschen Homer-Übersetzung bei «Hermann und Dorothea» versucht. Jch glaube, wenn er in der Mitte des Gesanges bei dem Hexameterschmieden so furchtbar geschwitzt hat, so hat er das manchmal auch ganz kräftig bedauert, daß er sich entschlossen hat, den Hexameter für einen modernen Stoff zu wählen. Aber lernen kann man daran, lernen vor allen Dingen am Anapäste- und Hexametersprechen die Jntonierung des Lautes.

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Sprechen Sie eine Zeitlang Hexameter, Daktylen, so werden Sie einfach dadurch, daß Sie dieses Versmaß sprechen, hineinkommen in die richtige Behandiung von Zunge, Gaumen, Lippen, Zähnen; das heißt, Sie lernen am Hexametersprechen: Konsonantisieren. Und es gibt kein besseres Mittel, seine Sprachwerkzeuge für das Konsonan­tensprechen auszubilden, als Hexameter zu sprechen. Sie bekommen eine wunderbar gelenkige Zunge, Sie bekommen bewegliche Lippen, namentlich den Gaumen lernen Sie beherrschen, den die wenigsten Menschen durch die Sprache zu beherrschen wissen, wenn Sie Hexa­meter sprechen. Nicht durch allerlei Anweisungen, wie man das Inner­liche einstellen soll, lernt man die Konsonanten sprechen, sondern durch das Hexametersprechen.

Sie lernen aber das Vokalisieren, das Ruhen auf dem Vokal, indem Sie Anapäste sprechen, denn Sie werden ganz instinktiv dazu an­geha]ten, indem Sie Anapäste sprechen, die Vokale als dasjenige zu bilden, was zunächst ausgebildet werden soll.

Und so lernt man Kehlkopf und Lunge, Zwerchfell behandeln durch Anapäste-Sprechen; so lernt man Zunge, Gaumen, Lippen, Zähne in der richtigen Weise für die Rezitation behandeln durch Hexa­metersprechen. Und man lernt am Hexameter-Sprechen trochäisch sprechen: - u - u - u. Man lernt am Anapäste- Sprechen jam­bisch sprechen: u - u - u -. Denn, was heißt trochäisch spre­chen ? Trochäisch sprechen heißt, den ganzen Stil so einrichten, daß die Konsonanten zu ihrem Recht kommen. Jambisch sprechen heißt, den ganzen Stil so einrichten, daß die Vokale zu ihrem Recht kommen.

Fragen Sie sich, in welcher Anleitung zum Sprechen Sie heute diesen Fundamental-Satz aller Rezitationskunst finden! Das ist das­jenige, daß wir wieder zurückführen die Rezitationskunst auf die Sprache. Wir haben sie in die Anatomie und Physiologie verlegt, weil für den Sprachgenius kein Verständnis mehr da ist.

Und so können wir sagen: Derjenige, der das Stildrama schaffen will, der wird streben, weil das Stildrama verinnerlicht, nach dem Jambus im Drama. Derjenige, der das Konversationsdrama schaffen will, der wird streben nach dem Trochäus oder nach der vollständigen Prosa. - Denn die Poesie geht rückwärts; sie geht vom Anapäst durch

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den Daktylus in die Prosa. Und sie geht vom Jambus durch den Trochäus in die Prosa. So daß wir sagen können: Folgende Steigerung oder auch folgender Fall ist vorhanden:

Daktylus Trochäus Prosa

oder auch umgekehrt:

Prosa Jambus Anapäst

wenn Sie wollen.

Nun sehen Sie, warum der empfindende Dichter auch das Drama in den Jambus gern hineinführt, wenn er das Stildrama hat. Daher die Goetheschen Jambendramen. Und derjenige, der lernen will, sagen wir Märchenlesen, tut gut, sich vorzubereiten durch Trochäen­lesen. Dann wird er schon das Gefühl bekommen, im Märchen oder in der Legende, kurz, in dem, was in poetischer Prosa geschrieben ist, dasjenige auszubilden, was im Märchen ganz besonders ausgebildet werden soll: nämlich dasjenige, was durch die Konsonantisierung ganz besonders wirken soll. Lesen Sie ein Märchen auf die Vokale hin, so bekommen Sie den Eindruck des Unnatürlichen. Lesen Sie ein Märchen auf fein ausziselierte Konsonantisierung hin, so bekom­men Sie den Eindruck, allerdings nicht des Natürlichen, aber des leise Gespenstischen. Das soll beim Märchen da sein. Denn wenn die Vokal­intonierung herausfällt aus einem Zusammenhang, die Vokale gewis­sermaßen hineinschlüpfen in die Konsonanten, so hebt sich das Ganze von der Wirklichkeit ab, von der unmittelbaren Wirklichkeit, und man bekommt den Eindruck des leise Gespenstischen. Dadurch allein wird aber das Märchen, das ja die sinnliche Substanz so behandelt, wie wenn sie übernatürliche Substanz wäre, ausgesöhnt mit der menschlichen Empfindung.

Wollen Sie aber dazu kommen, gerade die Wirklichkeit, den Re­alismus des Daseins richtig poetisch zu behandeln, dann müssen Sie sich an den Jamhen heranbilden. Denn an den Jamben sich heran-bilden, heißt, aus den Konsonanten nicht vollends herauskommen und dennoch an die Vokale herankommen. Und die Sprache, die so entsteht, ist diejenige, welche allein geeignet ist, auch das realistisch Dargestellte poetisch erscheinen zu lassen. Daher wird auch für den Dramatik Darstellenden, für den Schauspieler, gerade das Studium des

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Jambus dasjenige sein, das ihn am besten in alles hineinbringt, selbst in das Trochäendrama, wenn es da ist, aber vor allen Dingen in das Prosadrama, denn er wird dadurch sich günstig Zunge und Gaumen in der richtigen Weise aneignen, daß sie gelenkig sind wie beim Kon­sonantensprechen, daß sie aber nicht aufdringlich sind und das Vokale-sprechen verhindern.

Sehen Sie, so muß man eigentlich erst denken lernen für die Sprach­gestaltung. Indem Sie dies aber aufnehmen, werden Sie zugleich sehen, daß schon Künstlerisches in der Sprachgestaltung drinnen sein muß, daß Sprechen gelernt werden muß eben doch wie Gesang oder wie Musik oder wie eine andere Kunst. Daß man das stark gefühlt hat, war das Auszeichnende noch der griechischen Stilkunst auf der grie­chischen Bühne.

Aber sehen Sie, auf dieser griechischen Bühne war auch noch etwas anderes. Da war noch ein richtiges Gefühl vorhanden für das eigent­lich Poetische. Ich mußte vor wenigen Tagen wiederum so lebhaft daran denken, wie dieses griechische Stilgefühl bei den Griechen auch vorhanden war noch beim Schauspiel, bei der dramatischen Darstel­lung. Wir waren in London, besuchten die Ausstellung in Wembley; es war ein Theater dort, in dem wurde nun allerdings nicht ein grie­chisches Drama aufgeführt, aber so etwas von einem orientalischen Singdrama, gesungenen Drama. Aber es war gottvoll entzückend, es war wirklich etwas Großartiges. Und ich hoffe nur, daß Fräulein Senft dort gewesen ist, denn ich glaube, es kann daraus, daß Fräu­lein Senft dort gewesen ist und elektrisiert worden ist durch das­jenige, was dort gesehen werden konnte, für die Eurythmie etwas entstehen. Das gottvoll Entzückende war nämlich dieses, daß diese Schauspieler wiederum Masken gehabt haben, zuweilen sogar Tier-masken; sie sind nicht mit ihren menschlichen Gesichtern auf­getreten, aus einer Zivilisation heraus, in der man wußte, daß bei der Geste das Gesicht am wenigsten in Betracht kommt, daß die Geste am besten erstarrt bleibt in der Maske. Die griechischen Schau­spieler haben Masken getragen; die orjentalischen tun es also heute noch. Und das gottvoll Entzückende ist tatsächlich, daß man nun den interessanten Menschen an sich hat, den Menschen, der eine

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Menschen- oder Tiermaske trägt, zum Teil eine solche, die der moderne Zivilisierte ganz unästhetisch findet. Man hat den Men­schen, der eine Maske trägt, aber als Mensch nur dadurch auf einen wirkt, daß er mit dem übrigen Menschen im Gestikulieren ist und man nicht gehindert ist, ihn durch die Maske nach oben in der Schön­heit zu ergänzen. Und man hatte das Gefühl: Gott sei Dank, daß du wiederum einmal etwas vor dir hast, wo auf dem Rumpf und den zwei Beinen und den Gliedern, die so schön dasjenige ausdrücken können, was ausgedrückt werden soll, nicht der fade Menschenkopf drauf sitzt, sondern die künstlerisch ausgeführte Maske, welche aus einer Art von Geistigkeit heraus die Fadheit des menschlichen Ge­sichts etwas verhüllt. - Nun, es ist etwas radikal gesprochen, aber man wird wohl einsehen aus diesem Radikalismus des Ausgesproche­nen, was ich eigentlich damit meine. Es ist nicht so schlimm gemeint, selbstverständlich, daß ich kein einziges Menschengesicht sehen möchte. Aber was damit gemeint ist, wird schon verstanden werden können. Und ich glaube, daß man so etwas verstehen muß, um wieder­um zum Künstlerischen in der Sprachgestaltung zurückzukommen. Denn, was ist das Schlimmste, wenn gesprochen wird ? Das Schlimm­ste, wenn gesprochen wird, ist, wenn man den Mund in seinen Be­wegungen sieht, oder gar, wenn man das menschliche Fadgesicht in seiner Physiognomie, in seinem Mienenspiel sieht. Dagegen ist es schön, wenn man auf der Bühne die Gestikulation des übrigen Men­schen sieht, und nicht durch das Antlitz beirrt wird, und nur das­jenige zum Ausdrucke bringt durch das Antlitz, was das wirkliche Sprechen oder Singen ist, und was die innerliche sachgemäße Ergän­zung desjenigen ist, was nun eigentlich der Gestus des Menschen so großartig offenbaren kann.

Die Sprache als gestalteter Gestus ist daher das Höchste, weil der Gestus hinauf vergeistigt ist. Die Sprache, die nicht gestalteter Gestus ist, ist im Grunde genommen etwas, was keinen Boden unter den Füßen hat.

Da wollen wir dann morgen fortsetzen.

VIERTER VORTRAG Dornach, 8. September 1924 Wege zum Stil aus dem Sprachorganismus heraus

#G282-1969-SE109 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

VIERTER VORTRAG

Dornach, 8. September 1924

Wege zum Stil aus dem Sprachorganismus heraus

#TX

Es handelt sich jetzt vor allen Dingen darum, den Weg zu finden aus dem Sprachorganismus heraus in die Sprachgestaltung und in die dramatische Gestaltung. Dabei wird es vor allen Dingen darauf an­kommen, nicht bloße Betrachtungen zu liefern, sondern durchaus überall die praktischen Wege zur Geltung zu bringen. Und so haben wir gesehen, wie mit Bezug auf die Entwickelung der Sprachgestal­tung das jambische, das trochaische Versmaß eine bestimmte Bedeu­tung hat. Nun soll heute zunächst gezeigt werden, wie man hinüber-kommen kann in den Gebieten des sprachlichen Lebens, in denen nicht auf eine ganz innerliche, sondern auf eine mehr äußerliche Weise der Weg gesucht wird aus der Prosa in die poetische Gestaltung, in das Künstlerische, in das Stilvolle.

Wir kennen schon die Bedeutung des Jambus. Der Jambus ist das­jenige, was im ganzen Sprachorganismus des Menschen den Über­gang hinüber zum Stil herausfordert, ja sogar in gewisser Beziehung zum Lyrischen des Stils, jedenfalls aber den Weg hinüber zum Künst­lerischen, während das trochäische, daktylische Versmaß eigentlich herausarbeitet aus der Prosa, aber auch wiederum denjenigen, der sich mit dem Hexameter oder mit dem Trochäus übt, zum richtigen künst­lerischen Sprechen des Prosaischen bringen kann. Nun, diese Dinge haben wir ja gestern betrachtet.

Heute wird es sich zuerst darum handeln, Ihnen in praxi vorzuführen eine Art der Sprachgestaltung in der Versbehandlung, die erhalten möchte das Poetische in allen Formen, dadurch aber zu einer Schwierig­keit kommt, weil dasjenige, was länger durchhalten will, also zeilen-gemäß länger einen Inhalt durchhalten will, eigentlich einfach schon durch das Wesen der Sprache dazu kommt, nicht völlig einhalten zu können ein Jambisches oder ein Trochäisches. Und dadurch entsteht gewissermaßen die Tendenz, eine Art Kompromiß zu schließen zwi­schen

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der Prosa und der poetischen Gestaltung. Und dieser Kompro­miß liegt eigentlich im Alexandriner vor, im Alexandriner, der in der Regel sechs Jamben hat, aber, weil sechs Jamben in einer Zeile festzu-halten nicht so leicht ist, sie so hat, daß er sie fortwährend vermischt mit dem, worin man nicht genau den Jambus festhalten kann. Dadurch entsteht eben ein Kompromiß. Aber in dem Augenblicke, wo die Sprache anfängt rhetorisch zu werden, ist auch die Tendenz nahe­liegend, das Rhetorische der Sprache, das etwas leicht Dekadentes hat, wiederum durch ein strenges Festhalten am gestalteten Rhythmus zu bändigen.

Das alles liegt beim Alexandriner vor. Daher gibt eigentlich der Alexandriner die Möglichkeit, wenn man ihn sprachlich übt, das Gegenteil von dem herbeizuführen, was ich sagte vom Hexameter­sprechen. Das Hexametersprechen leitet hinüber zum gut Prosaspre­chen; der Alexandriner bereitet gut vor zum eigentlichen poetischen Sprechen.

Das möchten wir dadurch anschaulich machen, daß Frau Dr. Steiner nun eben gerade französische Alexandriner vorbringen wird. Jn der französischen Sprache sind die Alexandriner am besten vorhanden als solche, während sie in der deutschen Sprache immer nachgeahmt er­scheinen, wenn sie gebraucht werden, und immer so erscheinen, als ob sie eigentlich nicht hingehörten. Sie ergeben sich nicht aus den Untergründen der Sprache. Daher wird der Alexandriner sprach­gestaltend schon am besten an einer französischen Probe sich dar­stelien lassen.

Goethe hat ja in seinem «Faust» wiederholt den Übergang ge­sucht von den übrigen Versmaßen, die er gebraucht hat, zum Alexandriner. Man kann überall an den einzelnen Stellen nachwei­sen, warum Goethe den Alexandriner verwendet. Er verwendet ihn da, wo es ihm schwierig wird, durch etwas anderes poetisch zu sein. Wenn es ihm schwierig wird, innerlich poetisch zu sein in seinem «Faust», wenn er solche Szenen hat, so verwendet er ihn, um äußerlich poetisch zu sein. Daher finden wir überall da, wo diese Verlegenheit im «Faust» eingetreten ist, den Übergang zum Alexandriner.

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Frau Dr. Steiner: Ich entnehme das Beispiel einer dramatischenDich-tung von Leconte de Lisle: «Hypatie et Cyrille». Die junge gelehrte Ver­treterin uralter Weisheit wurde, bevor sie von dem aufgehetzten Pöbd in den Straßen Alexandriens zerrissen wurde, von dem Bischof Kyril­lus ermahnt, sich zu bekehren, um auf diese Weise dem gewaltsamen Tode zu entgehen. Doch sie weist hin auf die ewigen Streitigkeiten innerhalb der dogmatisch gewordenen und verrohten Kirche und be­kennt sich zur alten esoterischen Weisheit.

HYPATIE: Ne le crois pas, Cyrille! Ils vivent dans mon coeur,

Non teis que tu les vois, vetus de formes vaines,

Subissant dans le Giel les passions humaines,

Adorés du vulgaire et dignes de mépris;

Mais teis que les ont vus de sublimes esprits:

Dans l'espace étoilé n'ayant point de demeures,

Forces de l'univers, Venus intérieures,

De la terre et du ciel concours harmonieux

Qui charme la pensée et l'oreille et les yeux,

Et qui donne, idéal aux sages accessible,

A la beauté de l'âme une splendeur visible.

Tels sont mes Dieux! Qu'un sie de ingrat s'écarte d'eux,

Je ne les puis trahir puisqu'ils sont malheuteux.

Je le sens, je le sais: voici les heures sombres,

Les jours marqués dans l'ordre impérieux des Nombres.

Aveugle á notre gloire et prodigne d'affronts,

Le temps injurieux découronne nos fronts;

Et, dans l'orgueil récent de sa haute fortune,

L'Avenir n'entend plus la voix qui l'importune.

0 Rois harmorieux, chefs de l'Esprit humain,

Vous qui portiez la lyre et la balance en main,

11 est venu, Cciui qu'annoncaient vos présages,

Celui que contenaient les visions des sages,

L'Expiateur promis dort Eschyle a parlé!

Au sortir du sépulcre et de sang maculé,

L'arbre de son suppllce á l'épaule, il se léve;

11 offre á l'univers ou sa croix ou le glaive,

11 venge le Barbare écarté des autels,

Et jonche vos parvis de membres immortels!

Mais je garantirai des atteintes grossiéres

J usqu'au dernier soupir vos pieuses poussiéres,

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Heureuse si, planant sur les >ours á venir,

Votre immortalité sauve mon souvenir.

Salut, o Rois d'Hellas! - Adieu, noble Cyrille!

CYRILLE: Abj ure tes erreurs, 6 malheureuse fifle,

Le Dieu jaloux t'écoute! 0 triste aveuglement!

Je m'indigne et gémis en un mìme moment.

Mais puisque tu ne veux ni croire ni comprendre

Et refuses la main que je venais te tendre,

Que ton cceur s'endurcit dans un esprit mauvais,

C'en est assez! j'ai fait plus que je ne devais.

Un dernier mot encore: - n'enfreins pas ma défense;

Une ombre de salut te reste: - le silence.

Dieu seul te jugera, s'il ne l'a déjá fait;

Sa colìre est sur toi; n'en häte point l'effet.

HYPATIE: Je ne puis oublier, en un silence läche,

Le soln de mon honneur et ma suprime täche,

Celle de confesser librement sous les cieux

Le beau, le vrai, le bien, qu'ont révélés les Dieux.

Depuis deux jours déjá, comme une écume vile,

Les moines du désert abondent dans la ville,

Pieds nus, la barbe inculte et les cheveux souillés,

Tout maigris par le jeu'ne, et du soleil brülés.

On prétend qu'un projet sinistre et fanatique

Améne parmi nous cette horde extatique.

C'est bien. Je sais mourir, et suis fiére du choix

Dont m'honorent les Dieux une derniére fois.

Cependant je rends gräce á ta sollicitude

Et n'attends plus de toi qu'un peu de solitude.

(Cyrille et l'acolyte sortent.)

LA NOURRICE: Mon enfant, tu le vois, toi-mìme en fais l'aveu:

Tu vas mourir!

HYPATIE: Je vais ìtre immortelle. Adieu!

Jm weiteren, meine lieben Freunde, wird es sich darum handeln, daß die Wege gefunden werden, welche innerhalb der Sprachbehandlung selber, innerhalb der Sprachgestaltung von dem einen Gebiete des künstlerisch poetischen Schaffens zu dem anderen Gebiete führen. Damit wollen wir uns heute ein wenig beschäftigen. Und wir wollen

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versuchen, dasjenige uns praktisch jetzt anzuschauen, was sich da­durch offenbart, daß im trochäischen Versmaß ebenso wie im dakty­lischen sich das Erzählende zum Ausdrucke bringt. Es ist einfach der ursprünglichen Empfindung angemessen, Erzählendes in Trochäen darzustellen, und man empfindet auch, daß man am leichtesten den Ton der erzählenden Darstellung im trochäischen Versmaß finden kann. Damit aber wird zu gleicher Zeit am trochäischen Versmaß die Kunst vorbereitet, Prosa zu sprechen, die mehr instinktiv in die Sprachwerkzeuge, in das Herz eindringen muß.

Nun handelt es sich bei der Erzählung - ich sagte das schon im ersten Vortrag -, bei dem Epischen darum, daß vor die Seele gestellt wird das Objekt, das zunächst gedacht wird. Aber es kann ja so leb­haft gedacht werden, daß man selber sich zum Werkzeug hergibt für dasjenige, was das Objekt spricht und tut. Dann geht gerade das Er-zählende in das Dramatische über. Und man wird daher einen Weg finden vom Erzählen, das in sich das Dramatische enthält, das nicht jede Erzählung, nicht jedes Epos enthält, welches aber das Drama­tische enthalten kann - man wird einen Weg hinüberfinden vom Er­zählen zur dramatischen Darstellungskunst. Und das ist der richtige Weg, meine lieben Freunde.

Wer unmittelbar beginnt zu üben mit dem Dramatischen, der ver­äußerlicht es, der verinnerlicht es nicht. Wer aber damit beginnt, aus dem Erzählenden zu üben, das die Phantasie voll in Anspruch nimmt, es nötig macht, sich in den anderen hinüber zu versetzen, weil er gar nicht da ist, weil man ihn selber darstellen muß, der findet den natur­gemäßen Weg hinüber zum Dramatischen. Denn in einem gewissen Sinne ist es notwendig für eine richtige dramatische Darstellung, daß man nicht nur darstellt dasjenige, was man selber spricht. Das Rollen-verteilen so, daß der betreffende Schauspieler nur dasjenige bekommt, was er selber zu sprechen hat, ist ein Unfug, und über diesen Unfug hi]ft im praktischen Bühnenbetriebe heute auch dasjenige nicht hin­weg, was man gewöhnlich Regieprobe und dergleichen, Leseprobe nennt, sondern es hilft einzig und allein das hinweg, wenn man inner­lich einsieht, daß man voll alles mitzuerleben hat, was der oder die Partner zu sprechen haben. Und während für den gewöhnlichen Menschen

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die Pflege des Zuhörens in möglichster Stille vorliegt, liegt für den Schauspieler dasjenige vor, daß er möglichst dasjenige mit­spricht - natürlich nicht in Wirklichkeit, sondern im Miterleben, im Reflex, im Echo -, was der oder die Partner vorzubringen haben.

Und ich möchte nun zeigen - ich will überall nur Wege angeben -, wie etwa der Weg sein könnte, den ein Zögling der dramatischen Kunst einschlägt, um zu der richtigen Verinnerlichung desjenigen zu kommen, was der dramatische Dialog oder Trialog und so weiter sein kann. Dazu möchte ich ein eminent trochäisches Gedicht vorbringen, das aber zugleich ein stark dramatisches Element enthält, das herauf-holt ein stark dramatisches Element. Es beginnt ganz episch, Herders «Cid»; aber er führt stark ins Dramatische über, und er ist wunderbar trochäisch gebaut, dieser Herdersche «Cid». Ich will in diesem Zu­sammenhang nur das sprechen, was eigentlich derjenige, der die Übung macht, nun zu sich selber sagen müßte.

Machen wir uns nun einmal klar, wie die Situation ist: Das alte Haus des Don Diego hat die Schmach erlebt, seinem Untergange ent­gegengeführt zu werden durch ein anderes Haus. Tief empfindet diese Schmach der Sohn des Don Diego, Rodrigo, der dann der Cid ge­nannt wird. Die Dichtung beginnt damit, uns die Stimmung anzudeu­ten, in welcher der alte Don Diego ist, der vor der Schmach seines Hauses steht:

Trauernd tief saß Don Diego,

Wohl war keiner je so traurig ;

Gramvoll dacht' er Tag und Nächte

Nur an seines Hauses Schmach.

An die Schmach des edlen, alten,

Tapfren Hauses der von Lainez,

Das die Inigos an Ruhme,

Die Abarkos übertraf.

Tief gekränket, schwach vor Alter,

Fühlt' er nahe sich dem Grabe,

Da indes sein Feind Don Gormaz

Ohne Gegner triumphiert.

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Sonder Schlaf und sonder Speise,

Schläget er die Augen nieder,

Tritt nicht über seine Schwelle,

Spricht mit seinen Freunden nicht,

Höret nicht der Freunde Zuspruch,

Wenn sie kommen, ihn zu trösten ;

Denn der Atem des Entehrten,

Glaubt er, schände seinen Freund.

Endlich schüttelt er die Bürde

Los, des grausam stummen Grames,

Lässet kommen seine Söhne,

Aber spricht zu ihnen nicht.

Er läßt nun alle seine Söhne binden. Alle ertragen es ; nur der Jüngste, Don Rodrigo, erträgt es nicht, der später der Cid genannt wird. Der Vater, der selber die Söhne binden läßt, ist traurig, daß die älteren sich binden lassen. Er ist freudig erregt darüber, daß der jüngste Sohn sich nicht binden läßt. Wir übergehen, wie Rodrigo den Entschluß faßt, dasjenige zu tun, wovon er glaubt, daß es ihm obliegt. Wir gehen gleich zu demjenigen Absatz, der uns den Übergang aus dem Epischen ins Dramatische zeigt:

Auf dem Platze des Palastes

Traf Rodrigo auf Don Gormaz.

Einzeln, niemand war zugegen,

Redet er den Grafen an:

«Kanntet Ihr, o edler Gormaz,

Mich, den Sohn des Don Diego,

Als Ihr Eure Hand ausstrecktet

Auf sein ehrenwert Gesicht ?

Wußtet Ihr, daß Don Diego

Ab von Layn Calvo stamme?

Daß nichts reiner und nichts edier

Als sein Blut ist und sein Schild?

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Wußtet Ihr, daß, weil ich lebe,

Ich sein Sohn, kein Mensch auf Erden,

Kaum der mächtge Herr des Himmels

Dies ihm täte ungestraft?» -

«Weißt du», sprach der stolze Gormaz,

«Was wohl sei des Lebens Häffte,

Jüngling?» - «Ja», sprach Don Rodrigo,

«Und ich weiß es sehr genau.

Eine Hälfte ist, dem Edlen

Eht' erzeigen, und die andre,

Den Hochmütigen zu strafen,

Mit dem letzten Tropfen Bluts

Abzutun die angetane

Schande.» Als er dies gesagt,

Sah er an den stolzen Grafen,

Der ihm diese Worte sprach:

«Nun, was willst du, rascher Jüngling?» -

«Deinen Kopf will ich, Graf Gormaz»,

Sprach der Cid, «ich hab's gelobet!» -

«Streiche willst du, gutes Kind»,

Sprach Don Gormaz, «eines Pagen

Streiche hättest du verdient.»

0 ihr Heiligen des Himmels,

Wie ward Cid auf dieses Wort!


Tränen rannen, stille Tränen

Rannen auf des Greises Wangen,

Der, an seiner Tafel sitzend,

Alles um sich her vergaß,

Denkend an die Schmach des Hauses,

Denkend an des Sohnes Jugend,

Denkend an des Sohns Gefahren

Und an seines Feindes Macht.

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Den Entehrten ffieht die Freude,

Flieht die Zuversicht und Hoffnung ;

Alle kehren mit der Ehre

Froh und jugendlich zurück.

Noch versenkt in tiefer Sorge,

Sieht er nicht Rodrigo kommen,

Der, den Degen unterm Arme

Und die Händ' auf seiner Brust,

Lang' ansieht den guten Vater,

Mitleid tief im Herzen fübiend,

Bis er zutritt, ihm die Rechte

Schüttelnd: «IB, o guter Greis !»

Spricht er, weisend auf die Tafel.

Reicher flossen nun Diego

Seine Tränen: «Du, Rodrigo,

Sprachst du, sprichst du mir dies Wort?» -

«Ja, mein Vater! und erhebet

Euer edles, wertes Antlitz.» -

«Ist gerettet unsre Ehre?» -

«Edler Vater, er ist tot.» -

«Setze dich, mein Sohn Rodrigo,

Gerne will ich mit dir speisen.

Wer den Mann erlegen konnte,

Ist der erste seines Stamms.»

Weinend knieete Rodrigo,

Küssend seines Vaters Hände ;

Weinend küßte Don Diego

Seines Sohnes Angesicht.

Wir sehen unmittelbar, wie im Epischen das Dramatische entsteht. Ich wollte diese Kapitel aus dem Herderschen «Cid» aus dem Grunde anführen, weil man daran sehen kann, wie man aus dem Sprachorga-nismus selber heraus nun üben soll. Alle Dinge, die ich sage, sind eigentlich praktisch gemeint.

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Dann, wenn man in dieser Weise, ich möchte sagen, in immerwäh­render Wiederholung suchend, die Dinge immer mehr und mehr zur selbstverständlichen Artikulation zu bringen, wenn man auf diese Weise heran sich erzogen hat zum Dramatischen aus dem Epischen heraus, dann ist es gut, überzugehen zu etwas, was gerade an der scharfen Kante des Dramatischen steht, schon eigentlich im Drama­tischen drinnen ist, aber noch nur einen leisen Anflug von epischem Charakter hat, der aber schon ganz verschwunden ist im Dramatischen, SO wie die Gebärde im Worte verschwunden ist.

Und da würde sich ganz besonders jene Szene eignen, die Lessing versucht hat, um einen «Faust» zu bilden. Lessing wollte ja einen «Faust» dichten, aber er hat ihn nicht fertig bekommen. Er hat nur ganz wenige Szenen gedichtet und einen Plan hinterlassen. Aber man hat es gerade in der Szene, die da ist, schon mit etwas zu tun, das da­durch dem Epischen nahesteht, weil in der Szene sieben Geister auf­treten, zu deren Auffassung der Mensch sich auch etwas hinauf in die Phantasie begeben muß, wie er sich beim Epischen die Wesenheit, die er darstellt, selber in seiner Phantasie erschaffen muß. Und so muß in einem Dialog, den man mit Geistern führt, stärker gegenwärtig sein das Wesen des Geistes, den man ja nur hat, wenn man ihn richtig vorstellt, als gegenwärtig sein muß im Menschen das Wesen eines mit ihm im Dialog sich Befindlichen, der tatsächlich da ist. Versetzt man sich dann ganz in die Stimmung hinein, die entstehen kann in der Seele, wenn man einem Geist gegenübersteht und doch gezwungen ist, die Sache dramatisch zu gestalten, dann findet man den Übergang richtig vom Epischen zum Dramatischen hin.

Wir wollen auslassen, weil ich ja nur auf den Weg hindeuten will, auch nicht irgendwie Rezitationsproben geben will, die wird Frau Dr. Steiner geben, den Dialog mit den anderen Geistern und zunächst nur den sechsten und siebenten Geist ins Auge fassen:

FAUST zum sechsten Geist:

Sage du, wie schneli bist du? -

DER SECHSTE GEIST:

So schnell aTs die Rache des Rächers.

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FAUST:

Des Rächers ? Welches Rächers ?

DER SECHSTE GEIST:

Des Gewaltigen, des Schrecklichen, der sich allein die Rache vorbehielt, weil ihn die Rache vergnügte. -

FAUsT:

Teufel! du lästerst ; denn ich sehe, du zitterst. - Schnell, sagst du, wie die Rache des - bald hätte ich ihn genannt! - Nein, er werde nicht unter uns genannt! - Schnell wäre seine Rache ? Schnell ? - Und ich lebe noch? Und ich sündige noch ? -

DER SECHSTE GEIST:

Daß er dich noch sündigen läßt, ist schon Rache!

FAUST:

Und daß ein Teufel mich dieses lehren muß! - Aber doch erst heute! Nein, seine Rache ist nicht schnell. und wenn du nicht schneller bist als seine Rache, so geh nur! -(Der siebente Geist kommt.)

FAUST zum siebenten Geiste:

Wie schnell bist du ?

DER SIEBENTE GEIST:

Unzuvergnügender Sterblicher, wo auch ich dir nicht schnell genug bin - -

FAUST:

So sage, wie schnell?

DER SIEBENTE GEIST:

Nicht mehr und nicht weniger als der Übergang vom Guten zum Bösen.-

FAUST:

Ha! Du bist mein Teufel! So schnell als der Übergang vom Guten zum Bösen! - Ja, der ist schnell ; schneller ist nichts als der! - Weg von hier, ihr Schrecken des Orkus! Weg! - Als der Übergang vom Guten zum Bösen! Ich habe es erfahren, wie schnell er ist! Ich habe es erfahren... .

Sie sehen auch, wie es Lessing in diesem Falle doch ganz wunder­bar gelungen ist, in die Sprache des «Faust» die ganz lebendige Emp­findung und das ganz lebendige Phantasiebild auch von den entsprechenden

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Geistern hineinzubringen. Man kann das schon durch die Sprachgestaltung selber herausbekommen. Die Sprachgestaltung wird nicht dadurch, daß man sagt, gestalte dieses so, gestalte diesen Laut so, gestalte diese Silbe, gestalte diesen Satz so, sondern Sprachgestaltung wird, indem man die richtigen Übergänge übt vom Epischen herüber durch das Geist-Dramatische zum Materiell-Dramatischen. Da nimmt einen der Sprachgenius selber als Schüler auf, indem man seine Wege geht. Und das ist dasjenige, worauf es ankommt.

Sehen Sie, es ist merkwürdig, daß man gerade bei der Exemplifi­zierung einer solchen Sache auf Lessing kommt. Man kann ja sagen, die Dinge, die Lessing fertiggebracht hat, seine berühmten Dramen, sind gar nicht auf dieser Höhe. Lessing geht da einmal in dieser «Faust»-Szene eigentlich durchaus über sich selbst hinaus. Vielleicht mit Ausnahme der Szenen, wo der Major Tellheim vorkommt, ist nichts in Lessings Dramen von dieser Höhe wie diese «Faust»-Szene.

Daraus aber können Sie ersehen, wie Lessing da durch den Stoff, durch dasjenige, was ihm als Stoff vorliegt, zur Gestaltung gebracht wird. Und man kann schon daraus sehen, wie es auch in der Poesie sein muß, ähnlich wie es zum Beispiel bei einem solchen Bildhauer wie Michelangelo war, der die Steine zu seinen Statuen, zu seinen Marmorstatuen sich selber im Marmorbruche suchte. Er ging herum, er sah sich Stein für Stein an und fand dann den einen nur, aus dem er irgendeine Gestalt herausmeißeln konnte. Er ließ sich von der kon­figurierten Natur die Aufgabe für die konfigurierte Kunst geben. Man muß Stoffgefühl entwickeln, wenn man Künstler sein will. Und das ist hier ganz anschaulich bei Lessing.

Aber auf der anderen Seite fordert es uns auch auf, daß der dar­stellende Künstler, der rezitierende oder schauspielerische Künstler, sich die Empfindung verschaffen muß, inwiefern ein Stoff wirklich seinen entsprechenden künstlerischen Ausdruck gefunden hat. Und ganz besonders gut gelingt es Lessing aus diesem Stoffe heraus, der ihm eigentlich so ans Herz gewachsen war, daß man nur das tiefste Bedauern darüber haben kann, daß Lessing nicht mehr zustande ge­bracht hat von seinem «Faust»; aber es war ihm wiederum, weil es eben herauswuchs über den gewöhnlichen Lessing, zu schwer, es

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ganz zu gestalten. Er konnte nur in Momenten eigentlich diese Künst­lerschaft entwickeln.

Ganz besonders empfindet man das, wenn Lessing eine kleine Szene darstellt, die aus seinem unmittelbaren Erleben heraus stammt, ganz aus seinem Leben, wo Lessing selber, indem er die entsprechende Sache erlebte, trotzdem von ihm mit Recht gesagt wird, daß er so trocken und nüchtern war, daß er nie geträumt hat! Ja, Lessing war ein Mensch, der nie geträumt hat, so trocken und nüchtern war er, seine Poesien sind auch danach, nicht die Prosastücke, ich meine jetzt die Poesien. Aber ich möchte trotzdem, nicht dem poetischen Bilde, sondern der Realität gemäß behaupten: Die Szene, die kleine Szene, die er da noch für seinen «Faust» zustande gebracht hat, stamme den­noch von einem Erlebnis, das bis zu einem hohen Grade wirkliche Wachvision war, Wachvision, die eine gewisse Rolle gespielt hat in Lessings eigenen individuellen Lebenslagen, von der manches aus­gegangen ist.

Und so sehen wir denn, daß Faust, nachdem er gewissermaßen in Reminiszenz die Dinge über sich hat ergehen lassen, die er über sich ergehen lassen mußte, aus seinem Drang an die Geisterwelt heran­zukommen, an diese wirklich herankommt, wir sehen, daß er, nach­dem er sich vertieft hat in den Gang der Geistesgeschichte, wirklich das, was nun bei Lessing künstlerisch gestaltete Wachsuggestion ist, erlebt. Wir stehen vor der Situation: ein Geist mit langem Barte steigt aus dem Boden herauf, in einen Mantel gehüllt.

GEIST:

Wer beunruhiget mich ? Wo bin ich ? Ist das nicht Licht, was ich emp­finde?

FAUST (erschrickt, fas set sich aber und redet den Geist an):

Wer bist du ? Woher kommst du ? auf wessen Befehl erscheinst du ?

GEIST:

Ich lag und schlummerte und träumte, mir wär' nicht wohl, nicht übel ; da rauschte, so träumte ich, von weitem eine Stimme daher ; sie kam näher und näher ; Bahall! Bahall! hörte ich, und mit dem dritten Bahall stehe ich hier!

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FAUST:

Aber wer bist du?

GEIST:

Wer ich bin ? Laß mich besinnen! Ich bin - ich bin nur erst kürzlich, was ich bin. Dieses Körpers, dieser Glieder war ich mir dunkel bewußt ;

jetzt (etc.).

FAUST:

Aber wer warst du ?

GEIST:

Warst du?

FAUST:

Ja, wer warst du sonst, ehedem?

GEIST:

Sonst? Ehedem?

FAUST:

Erinnerst du dich keiner Vorstellungen, die diesem gegenwärtigen und

jenem deinem hinbrütenden Stande vorhergegangen? -

GEIST:

Was sagst du mir? Ja, nun schießt es mir ein. - Ich habe schon einmal

ähnliche Vorstellungen gehabt. Warte, warte, ob ich den Faden zurück-finden kann.

FAUST:

Tch will dir zu helfen suchen. Wie hießest du?

GEIST:

Ich hieß - Aristoteles. Ja, so hieß ich. Wie ist mir?

Bis hierher brachte es Lessing zustande. Aber Sie sehen zugleich, es ist tatsächlich nicht gemacht, es ist geschaut. Es steht in einer kur­zen Szene. Der lebendige Menschengeist stellt sich hier künstlerisch dar.

Und wer sich bemüht, das zur wirklichen Gestaltung zu bringen, der wird dann den Weg zum dramatischen Dialog hinüber finden, Sehen Sie, die Sprachorgane selber - gewiß, man soll im Bewußtsein Aufklärung über sie haben, aber beim eigentlichen Sich-Hinerziehen

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zur Sprachgestaltung soll man eigentlich die Sprachorgane in Ruhe lassen und den Sprachorganismus als solchen, den objektiven, außer­menschlichen Sprachorganismus als solchen wirken lassen.

Dazu wird allerdings notwendig sein, daß wirklich wiederum eine gewisse Empfindung für dasjenige eintritt, was künstlerisch poetisch gut ist. Diese Empfindung muß aber gegen die Zukunft hin aus dem tiefsten Menschenherzen heraus gehen, weil zunächst die richtende Kraft, die früher vorhanden war, in der Gegenwart und in der näch­sten Zukunft gar nicht mehr in demselben Maße vorhanden sein kann.

Man muß sich nur vorstellen, was in abgelebten Kulturepochen es bedeutete, wenn nun nicht in der Landessprache, sondern in der latei­nischen Sprache die Messe zelebriert wurde, wenn zum Beispiel er­klang das

Pater noster, qul es in coelis:

Sanctificetur nomen tuum.

Adveniat regnum tuum.

Fiat voluntas tua,

sicut in coelo, et in terra.

Panem nostrum supersubstantialem da nobis hodie.

Et dimitte nobis debita nostra, sicut et nos

dimittimus debitoribus nostris.

Et ne nos inducas in tentationem.

Sed libera nos a malo.

Amen.

Das gab Empfindung für Sprachgestaltung; das konnte nicht ohne Sprachgestaltung gesprochen werden. Diese Dinge, die in den alten Mysterien selbstverständlich waren, denn die Menschen waren sich bewußt, sie sind im Verkehre mit den Göttern, wenn sie sprachen, diese Empfindungen müssen aus dem Innersten des Menschenherzens wiederum herausgeholt werden. Wir müssen die Möglichkeit finden, nicht bloß zu denken, sondern innerlich zu sprechen.

Ich darf schon sagen, solch eine Szene wie die, welche Frau Dr. Stei­ner im zweiten Vortrag vorgelesen hat, das siebente Bild meines ersten Mysteriendramas, ist nicht aus den Gedanken herausgestaltet, da ist auch niemals irgendeine innerliche Frage gewesen: Wie soll man ein

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Wort wähien ? - Sondern dieses Bild ist gehört, so wie es ist. Es ist einfach gehört, so wie es ist. Es gab gar keine Gedanken, es gab nur Worte, und man schrieb die im Geiste gehörten Worte aufs Papier. Es ist also schon als Wortgestaltung, als Wort erlebt, nicht als Ge­danke.

So ist es bei mancherlei Szenen in diesem Mysterium. Aber man muß für so etwas wiederum ein Gefühi entwickeln. Man muß für das spirituell Lebendige des Wortes die Empfindung erleben, dann wird es wieder möglich sein, das echt Künstierische der poetischen Gestal­tung zu empfinden.

Und das muß sowohl der Rezitator wie der Schauspieler. Er muß sich sagen können, etwas ist poetisch, oder, etwas ist nicht poetisch. Sonst kommt er dazu, Wildenbruchs Dramen für poetisch zu halten. Natürlich müssen wir uns klar sein darüber, daß diese Dinge, die wir aber wissen müssen, nicht gleich in den praktischen Beruf übergehen können. Denn außer den Schauspielern sind ja auch solche Direktoren da, die gar nicht aus dem Schauspielfach so hervorgegangen sind, daß sie irgend etwas wüßten über die Dinge ; und da ist durchaus nicht eine Empfindung für das, was poetisch ist.

Aber wenn überhaupt einmal wiederum sich im allgemeinen Ge­schmack ein richtiges Geschmacksurteil festgesetzt hat, dann wird das der einzige Weg sein, auf dem es nach dieser Richtung besser werden kann. Wir haben heute ein Geschmacksurteil über das poetisch Künst­lerische überhaupt nicht. Daher haben die Diskussionen über die Art und Weise, wie man dies oder jenes spielen soll, in den neunziger Jahren angefangen, geradezu grotesk komisch zu werden, wenn die wichtigste Frage diese war, ob man den Ferdinand in Schillers «Kabale und Liebe» mit den Händen in den Hosentaschen üben soll oder ob man ihn nicht so wie einen Salonhelden spielen muß. Solche Diskus­sionen hat es gegeben. Und damit ist eigentlich vieles von der Schau­spielkunst im Grunde genommen verlorengegangen.

Es haben dazumal die Jntellektualisten eigentlich angefangen, die Schauspielkunst zu reformieren. Es ist ja gut, wenn der Mensch den­ken kann, aber wenn man nichts kann als denken wie zum Beispiel Otto Brahm, der auch an der Reformation der Schauspielkunst beteiligt

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war, dann ist man eben nicht dazu berufen, irgend etwas über Schauspielkunst zu entscheiden.

So sind die Dinge gekommen, gegen die heute mit voller Bewußt­heit das geltend gemacht werden soll, daß der Intellektualismus das letzte ist, was für die Schauspielkunst in Betracht kommt, und künstle­risches Empfinden das erste. Die Wolter war wirklich eine große Schau­spielerin. Die Jüngeren werden sie nicht mehr gesehen haben. Für einen Brahm oder Professorenintellekt die unintelligenteste Person, die sich überhaupt nur erleben läßt. Ich müßte dies aber zu ihrem Ruhme sagen, nicht um etwas Schlimmes von ihr zu sagen. Sie hat dann zu­letzt noch einige Funken von Intellekt aufgenommen, weil der Graf O'Sullivan sich außerordentlich darum bemüht hat. Aber von Haus aus war sie bar jedes Intellektes. Sie ist für ein bestimmtes Zeitalter tat-sächlich für gewisse Dinge, namentlich wenn ihre Koketterien schwei­gen konnten auf der Bühne, wirlllich eine außerordentlich große Künstierin schon gewesen, das ist gar nicht zu leugnen.

Ich sage diese Dinge, um Ihnen zu charakterisieren, aus welcher Gesinnung heraus ein wieder sich Besinnen auf wahre rezitatorische und schauspielerische Kunst gebaut sein muß. Wir wollen dann mor­gen damit weiterfahren.

FÜNFTER VORTRAG Dornach, 9. September 1924 Das Kunstgeheimnis des Meisters: Vertilgung des Stoffes durch die Form

#G282-1969-SE126 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

FÜNFTER VORTRAG

Dornach, 9. September 1924

Das Kunstgeheimnis des Meisters:

Vertilgung des Stoffes durch die Form

#TX

Wir wollen heute damit beginnen, rezitatorisch zu zeigen, wie auf der einen Seite das in einer Dichtung nach der Prosa Hinüberspielende mehr wirken kann, und auf der anderen Seite die durchgebildete Dich­tung. Es gibt dazu eine Möglichkeit dadurch, daß wir bei Goethe wie­derholt Dichtungen zunächst in rhythmischer Prosa durchgeführt fin­den, Dichtungen, in denen Goethe den Stoff von vornherein dichte­risch empfindet ; er rhythmisierte ihn. Aber als er später an diese Dichtungen wieder herantrat und reifer war, hatte er das Bedürfnis, die Dichtungen umzuschreiben, so umzuschreiben, daß sie in bezug auf die Sprachgestaltung innerlich ganz künstlerisch wurden. Und so haben wir von Goethe geradezu eine deutsche und eine römische «Jphigenie » . Die deutsche «Jphigenie», sie ist noch herausgeboren aus dem unmittelbaren Empfinden, in dem noch viel Prosaelement war. Aber Goethe konnte solche Dinge überhaupt nicht bloß prosaisch empfinden, sondern wenn er von solchen inneren Erlebnissen sprach, so wurde das schon durchaus poetisch, wurde rhythmische Prosa. Die Gestaltung gab er dann später, als er in römischen Formen lebend das Bedürfnis bekam, alle Sprachgestaltung, ich möchte sagen, wirk­lich plastisch künstlerisch zu machen.

Und so werden wir denn heute mit dem Iphigenien-Monolog be­ginnen, zunächst so, wie ihn Goethe innerhalb der deutschen «Iphi-genie» in rhythmischer Prosa ausgebildet hat.

Frau Dr. Steiner: Monolog aus «Iphigenie»

Heraus in eure Schatten, ewig rege Wipfel des heiligen Hains, wie in das Heiligtum der Göttin der ich diene, tret' ich mit immer neuem Schauder, und meine Seele gewöhnt sich nicht hierher! So manche Jahre wohn' ich hier unter euch verborgen, und immer bin ich wie im ersten fremd. Denn

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mei Verlangen steht hinüber nach dem schönen Lande der Griechen, und immer möcht' ich übers Meer hinüber, das Schicksal meiner Vielgeliebten teilen. Weh dem, der fern von Eltern und Geschwistern ein einsam Leben führt ; ihn läßt der Gram des schönsten Glückes nicht genießen ; ihm schwär­men abwärts immer die Gedanken nach seines Vaters Wohnung, an jene Stel­len, wo die goldne Sonne zum erstenmal den Himmel vor ihm aufschloß, wo die Spiele der Mitgebornen die sanften, liebsten Erdenbande knüpften.

Der Frauen Zustand ist der schlimmste vor allen Menschen. Will dem Manne das Glück, so herrscht er und erficht im Felde Ruhm ; und haben ihm die Götter Unglück zubereitet, fällt er, der Erstling von den Seinen in den schönen Tod. Allein des Weibes Glück ist eng gebunden: sie dankt ihr Wohl stets andern, öfters Fremden, und wenn Zerstörung ihr Haus er­greift, führt sie aus rauchenden Trümmern, durchs Blut erschlagener Lieb­sten, ein Überwinder fort.

Auch hier an dieser heiligen Stätte hält Thoas mich in ehrenvoller Skia­verei! Wie schwer wird mir's, dir wider Willen dienen, ewig reine Göttin! Retterin! Dir sollte mein Leben zu ewigem Dienste geweiht sein. Auch hab' ich stets auf dich gehofft und hoffe noch, Diana, die du mich, ver­stoßne Tochter des größten Königs, in deinen heiligen, sanften Arm g& nommen! Ja, Tochter Jovis, hast du den Mann, dessen Tochter du forder­test, hast du den göttergleichen Agamemnon, der dir sein Liebstes zum Altare brachte, hast du vom Felde der umgewandten Troja ihn glücklich und mit Ruhm nach seinem Vaterlande zurück begleitet, hast du meine Geschwister, Elektren und Oresten, den Knaben, und unsere Mutter, ihm zu Hause den schönsten Schatz bewahrt, so rette mich, die du vom Tod gerettet, auch von dem Leben hier, dem zweiten Tod!

Das ist das ursprünglich Empfundene. - Nun müssen wir uns vor­stellen, wie Goethe, als er später in Italien seine in Weimar begonne­nen Dichtungen wieder vornahm, sie, wie er ja öfter wohl das aus­sprach, als gotisch empfand, nordisch, gewissermaßen wie aus Holz mit groben Strichen geschnitzt, allerdings ursprünglich, aber nicht in Raliaelische Linien der Malerei oder in Michelangelosche Linien der Plastik gebracht. Dazu hatte er aber das tiefste Bedürfnis. Wir brau­chen nur zu denken, wie in der Anschauung Goethes später Schiller, als er seine «Ästhetischen Briefe» schrieb, in der Idee des Schönen so weit aufging, daß er eine kurze Formel finden konnte, die da heißt:

In der Vernichtung des Stoffes durch die Form liegt das wahre Kunst­geheimnis des Meisters.

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Was heißt das ? Das heißt, man kann etwas aussprechen ; man spricht da aus seinem Gefühl, aus seiner Empfindung heraus. Das ist das eine. Man kann aber nun eine Form finden, durch die der ur­sprüngliche Stoff, Empfindung, Gefühl, wie sie sich prosaisch aus-drücken, gar nicht mehr wirken, in der aber durch die Formung, durch das Bild, durch den Rhythmus dasselbe bewirkt wird wie ur­sprünglich durch den Stoff. Dann ist durch die Formung, durch die Gestaltung der Stoff überwunden. Und in dieser Überwindung des Stoffes durch die Form suchte Schiller später eben, gerade im Auf­schließen der Goetheschen Schülerschaft, das Geheimnis der Kunst, das Geheimnis des Schönen.

So daß man fragen kann, indem wir jetzt die zweite, die römische «Iphigenie»in einer Probe hören: Was ist geschehen durch Goethe ? Goethe versuchte den ursprünglichen Stoff durch die Form so völlig zu überwinden, daß nun die Form wirkt wie ursprünglich der in Prosa vorgebrachte Stoff.

Frau Dr. Steiner: Monolog aus «Jphigenie»

Heraus in eure Schatten, rege Wipfel

Des alten, heil'gen dichtbelaubten Haines,

Wie in der Göttin stilles Heiligtum,

Tret' ich noch jetzt mit schauderndem Gefühi,

Als wenn ich sie zum erstenmal beträte,

Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher.

So manches Jahr bewahrt mich hier verborgen

Ein hoher Wille, dem ich mich ergebe;

Doch immer bin ich, wie im ersten, fremd.

Denn ach, mich trennt das Meer von den Geliebten,

Und an dem Ufer steh' ich lange Tage

Das Land der Griechen mit der Seele suchend ;

Und gegen meine Seufzer bringt die Welle

Nur dumpfe Töne brausend mir herüber.

Weh dem, der fern von Eltern und Geschwistern

Ein einsam Leben führt! Ihm zehrt der Gram

Das nächste Glück vor seinen Lippen weg.

Ihm schwärmen abwärts immer die Gedanken

Nach seines Vaters Hallen, wo die Sonne

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Zuerst den Himmel vor ihm aufschloß, wo

Sich Mitgeborne spielend fest und fester

Mit sanften Banden aneinander knüpften.

Ich rechte mit den Göttern nicht ; allein

Der Frauen Zustand ist beklagenswert.

Zu Haus' und in dem Kriege herrscht der Mann

Und in der Fremde weiß er sich zu helfen.

Ihn freuet der Besitz ; ihn krönt der Sieg!

Ein ehrenvoller Tod ist ihm bereitet.

Wie enggebunden ist des Weibes Glück!

Schon einem rauhen Gatten zu gehorchen,

Ist Pfficht und Trost ; wie elend, wenn sie gar

Ein feindlich Schicksal in die Ferne treibt!

So halt mich Thoas hier, ein edler Mann,

In ernsten, heii'gen Sklavenbanden fest.

0 wie beschämt gesteh' ich, daß ich dir

Mit stillem Widerwillen diene, Göttin,

Dir meiner Retterin! Mein Leben sollte

Zu freiem Dienste dir gewidmet sein.

Auch hab' ich stets auf dich gehofft und hoffe

Noch jetzt auf dich, Diana, die du mich,

Des größten Königes verstoßne Tochter,

In deinen heil'gen, sanften Arm genommen.

Ja, Tochter Zeus, wenn du den hohen Mann,

Den du, die Tochter fordernd, ängstigtest,

Wenn du den göttergleichen Agameranon,

Der dir sein Liebstes zum Altare brachte,

Von Troja's umgewandten Mauern rührn!ich

Nach seinem Vaterland zurück begleitet,

Die Gattin ihm, Elektren und den Sohn,

Die schönsten Schätze, wohl erhalten hast ;

So gib auch mich den Meinen endlich wieder,

Und rette mich, die du vom Tod' errettet,

Auch von dem Leben hier, dem zweiten Tode!

Sie sehen, wie die Dichtung wird. Und an einem solchen Beispiele, wo der Dichter selber das in der Dichtung durch die Sprachgestaltung gezeigt hat, kann man schon lernen, wie man eigentlich dann, wenn man rezitierend oder deklamierend der Dichtung nachgeht, dazu kom­men kann, in der in voller Sprachgestaltung vor uns tretenden Dichtung

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auch die entsprechende Stimmentwickelung, Stimmgestaltung und so weiter zu finden.

Im Grunde genommen ist ja die Sache so: Wenn man eine wirklich

in Sprachgestaltung auftretende Dichtung hat, sagen wir also «Iphi-genie» oder «Tas so», und man bereitet sie vor zum Sprechen oder namentlich zur dramatischen Darstellung auf der Bühne, so ist man von vornherein in eine Schwierigkeit versetzt. Man überspringt so­zusagen zu sehr das Gefühl und gestaltet eben mehr oder weniger so­gar technisch die Sprache. Daher ist es gut, einiges zur Vorbereitung zu tun ; man hat nur nicht immer Zeit dazu, weil namentlich das Bühnen-leben in schnellem Trab geht ; deshalb kann aber immerhin doch dargestellt werden, wie die ideale Zubereitung der Sache wäre. Eigent­lich sollte man in einer vollgestalteten Dichtung das Wesentliche auf­suchen, sollte sich dieses selber - wie Goethe aus der Prosa-Iphigenie die römische, die Vers4phigenie geformt hat - zurückverwandeln:

nämlich die versifizierte Dichtung in Prosadichtung. Das sollte man im Grunde genommen bei jedem Gedichte machen, das man rezitieren will, und dann sich wirklich dem Gefühl und der Empfindung über­lassen, wenn man die Prosa nun spricht. Dann aber, nachdem man möglichst die Empfindung mit der Hauptsache verbunden hat, gehe man über zu der Gestaltung. Dann wird man finden, daß man ganz instinktiv nicht nur in das Wort, sondern in die Gestaltung der Worte die Empfindung hineinbringt, wenn man in der richtigen Weise die Kräfte, die der Mensch zum Gestalten hat, verwenden kann.

Daher müssen wir, anknüpfend an das eben Vorgebrachte, von die­ser richtigen Gestaltung, von den Gestaltungskräften im Menschen sprechen. Sie liegen zum Teil tief in der menschlichen Organisation drinnen, für Vokalisches im Lungenteil selbst, aber vor allen Dingen in den Nachbarorganen des Kehlkopfes. Sie liegen aber auch mehr nach oben ; sie liegen in der Benützung der Organe, die sich in Nase und so weiter finden, in der Gestaltung des Raumes im vorderen Munde und so weiter.

Wir kommen auf diese Art, wenn wir den sprechenden Menschen ins Auge fassen, ganz selbstverständlich von der Sprache zurück zur Anatomie der Sprache, zur Physiologie der Sprache. Und man kann

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dann versucht sein, von der Sprache ganz abzusehen und auf die Ana­tomie, auf die Physiologie der Sprachorgane des Menschen zu gehen. Warum sollte man sich das nicht vorstellen können: Lerne ich richtig Lunge, lerne ich richtig Zwerchfell behandeln, lerne ich richtig meine Nasenorgane behandeln, dann werde ich anknüpfend daran, wenn mir das Sprechen gegeben ist, eben sprechen können in richtiger Weise.

Nun ist zum Unglück noch - verzeihen Sie, daß ich den Ausdruck gebrauche - in der neueren Zeit eine sehr geistvolle, durch und durch wissenschaftliche Sprachphysiologie entstanden. Nach dieser theore­tischen Sprachphysiologie kann man leicht allerlei Andeutungen für die Behandlung der Organe sowohl im Sprechen wie im Singen geben; das ist heute gar nicht besonders schwierig. Höchstens ist zu verwundern, daß, während die Sprachphysiologie doch schon zu ziemlicher Einheitlichkeit gekommen ist, jeder Methodiker des Sin­gens und Sprechens doch wiederum anders die Sache angibt und anders orientiert. Nun ist das aber doch eine Auftälligkeit, deren Gründe wir hier natürlich nicht weiter untersuchen wollen. Aber in dieser Art kommt man weder in die Gesundung der Sprachorgane noch in das gesunde Sprechen hinein. Man muß eben, wie ich oftmals auseinandergesetzt habe, nicht ausgehen vom Sprachorganismus des Menschen, von der Anatomie und Physiologie, wenn das auch noch so sehr kaschiert ist, sondern man muß von der Sprache selbst aus­gehen, die objektive, vom Menschen gesonderte Sprache als einen Organismus auffassen.

Nun hat man zunächst aber das System der Vokale, die durchaus uns so entgegentreten, daß wir sie organisch erfassen können. Gerade­so wie wir bei einem Menschen gut tun, wenn wir beschreiben:

Kopf, Hals, Brust, Beine, und nicht: Kopf, Beine, Brust, Hals, son­dern in irgendeiner Reihenfolge, die dem Organismus entsprechend ist, beschreiben, so können wir auch den Sprachorganismus, der nur beweglich ist und wiederum die Sprachelemente durcheinandermischt, erfassen, so daß uns gewissermaßen der Sprachorganismus wie eine Art Menschengespenst außerhalb des Menschen erscheint. Es ist nicht der Mensch so angeschaut, wie ihn der Anatom oder der Physio­loge anschaut am menschlichen Körper ; sondern es ist dasjenige außen

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angeschaut, abgesondert vom Menschen, was Sprache ist, was ja am Menschen sich gestaltet.

Und nehmen wir das zunächst im System der Vokale, dann können wir folgende Anordnung haben:

a e i / o ä ö ü u

Was haben wir denn, wenn wir zunächst in dieser Aufeinanderfolge die Vokale aussprechen: a e i o ä ö ü u? Wir haben sozusagen alle mögliche Gestaltung der Organe des Menschen, die der Sprache beim Vokalisieren dienen. Wir haben zunächst den Sprachorganismus ganz nach außen geöffnet im a ; voll öffnet sich und gibt sich hin der Sprach-Organismus nach außen.

Es ist das schon weniger der Fall beim e. Der Raum, durch den der Laut geht, wird verengert, aber das e ist noch weit hinten. Das a ent­steht am weitesten hinten, und nichts vorne wirkt mit, um den Vokal a in e zu modifizieren in seiner ursprünglichen Bildung.

Beim i haben wir den Raum, durch den der Laut geht, hier ungefähr am meisten innerlich abgesperrt, geschlossen. Das i geht durch eine schmale Ritze hindurch ; aber wir sind noch immer rückwärts.

Und gehen wir weiter: o. Da sind wir schon vor der Ritze, wenn es um das Wesentlichste sich handelt. Und immer weiter und weiter kom­men wir, wenn wir das Wesentlichste aufsuchen für die Vokalbildung, bis wir bei dem ü und u ankommen, bei denen die Lautgestaltung also ganz vorn im Organismus in Betracht kommt.

Wir haben also den Sprachorganismus abgesondert vom Menschen vor uns, wenn wir diese Vokalfolge in der Art hinstellen: a e io ä ö ü u. Und wenn wir das recht oft machen, genötigt sind, dadurch, daß wir Vokal neben Vokal setzen, damit sie nicht ineinanderffießen, die Stel­lungen aufzusuchen, dann bringt die Vokalisierung die gesündeste Organstellung hervor. Wir gehen also im Üben selber von der Sprache aus. Das würde ein erstes sein.

Aber wir können weitergehen. Wir können Übungen machen - ich will Jhnen Beispiele von solchen Übungen geben, die nicht gerade geistreich zu sein brauchen, weil sie nur für das Vokalisieren dienen

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sollen; aber diejenigen, die schon einmal sich mit solchen Dingen be­faßt haben, wissen, daß man eigentlich nicht gut geistreiche Übungen geben kann, wenn es sich um das Bilden in der Sprache handelt, son­dern solche Übungen, wo der richtige Laut an der richtigen Stelle steht, damit er auftrifft auf das entsprechende Organ.

Denken Sie sich, Sie üben mit besonderer Betonung, mit besonde­rem Sich-Verlegen auf die Vokale die folgende Wortfolge:

A. Aber ich will nicht dir Aale geben

= = - - - - = = = =

und Sie üben es so, daß Sie besonders die Vokale intonieren: «Aber ich will nicht dir Aale geben.» Sie werden es von vornherein ver­spüren können - wenn Sie diese Übung machen, so wirkt alles mit, was sich in Ihnen organgestaltend ergibt -, Sie spüren: die Organ-gestaltung, wenn Sie das so machen, wirkt so, daß es von dem vorde-ren Sprachorgan nach dem hinteren zu liegt. Sie üben Lunge, Kehl-kopf bis zum Zwerchfeli hinunter so, daß diese in eine gesunde Kon­stitution kommen, wenn Sie solch eine Wortfolge üben: «Aber ich will nicht dir Aale geben.» Denn was tun Sie? Sie gehen in dem Vokal bis dahin: a e i / , wo der stärkste Verschluß ist, und sprechen nur Vokale, die hinter diesem stärksten Verschluß liegen. Dadurch drük­ken Sie mit diesem stärksten Verschluß im Sprechen zurück, und zwar nur nach rückwärts. Dadurch üben Sie ganz besonders dasjenige ein, was Lunge, Kehlkopf bis zum Zwerchfell hin ist, indem Sie bis zur Grenze gehen, und die Grenze halten Sie ganz scharf fest. Daher haben Sie in der Mitte i i i i, beginnend mit a e, schließend mit a e, und Sie haben aus dem Sprachorganismus heraus nicht bloß Physio­logie, sondern Physiologisierung der Organe getrieben. Da haben wir Anhaltspunkte für die Methode, zu wirken nach innen. Und ich bilde mir selber die Grenze, indem ich das i da hinstelle.

Nehmen Sie eine andere Wortfolge. Wie gesagt, die Dinge sind nicht geistreich, aber sie sind zum Üben da:

B. 0 schäl und schmor mühevoll mir mit Milch

Nüss' zu Muß - - -

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Es ist nicht geistreich, aber es ist dem Geiste eines ganz bestimmten Vorganges angepaßt. Diese Wortfolge gibt Ihnen wiederum das, daß Sie in der Mitte i i i haben, sich scharf abgrenzen dasjenige, was Sie abgrenzen wollen, und mit der übrigen Vokalfolge immer dasjenige treffen, was von dieser Grenze nach vorn liegt, und Sie werden alle Resonanzen, die Sie brauchen, Nasen-, Kopfresonanzen, alles haben, wenn Sie diesen Satz in der entsprechenden Weise versuchen auszu­sprechen. Er ist, weil alles Vorn-Sprechen, wenn es richtig gemacht wird, schwierig ist, etwas schwieriger zu sprechen als das Rückwärts-Sprechen, was aber manche nicht lernen, aber die sprechen nicht gut vorn, sondern eben schlecht. Er ist etwas schwer zu sprechen, aber er ist ein außerordentlich guter Satz für die Gesundung und Beweglich­keit derjenigen Organe, die nach vorn gelegen sind: «0 schäl und schmor mühevoll mir mit Milch / Nüss' zu Muß.»

Sehen Sie, da ist versucht, aus der Sprache heraus hineinzuwirken in die Gestaltung der Organe, das heißt dahin, daß die Organe die nötige Vibrationsfähigkeit bekommen. Und besonders gut ist es, wenn man den ersten Satz zunächst zehnmal sagt, dann den zweiten Satz zehnmal ; dann den ersten Satz und dann den zweiten Satz und sie miteinander wiederum zehnmal sagt. So daß man in dieser Weise recht modifizierend in die Organgestaltung eingreift. Dies ist nützlich für die Vokalbildung.

Nun will ich Ihnen noch eine andere Übung sagen, die nützlich ist für die Konsonantenbildung, zunächst als Beispiel ; ich werde im Ver­laufe der Vorträge ja manches noch hinzufügen. Nehmen Sie die Wort-folge:« Harte starke» - aber jetzt setzen Sie den Satz nicht gleich fort, sondern sagen, indem Sie anhalten: a a a - «Finger sind», indem Sie anhalten, sagen Sie: i i i - «bei wackren» - a a a - «Leuten schon» -a a a - «leicht» - i i i - «zu finden» - u u u. Also Sie sprechen folgen­des Satzungetüm:

C. Harte starke - a a a - Finger sind - i i i -

bei wackren - a a a - Leuten schon - a a a -

leicht - i i i - zu finden - u u u -.

Was wird durch eine solche Übung erreicht ? Ich habe Ihnen gesagt, es gibt, wenn wir gerade auf das Sprechen hin die Laute einteilen,

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Laute, die wir ansprechen können als Blaselaute, und Laute, die wir ansprechen können als Stoßlaute. Es ist natürlich in der wirklichen Sprache durcheinandergernischt, und wir müssen in eine Geläufigkeit hineinkommen, wenn kunstvoll gesprochen werden soll, daß die Blaselaute und die Stoßlaute richtig ineinanderwirken.

Tun Sie das, dann erreichen wir aber auch dieses, daß nun durch dieses Zusammenwirken der Blaselaute und der Stoßlaute wiederum zurückphysiologisiert wird auf unsere Organe. Wir bringen nun auf konsonantische Art unsere Organe in die richtige Vibration. Und wenn wir dann zur rechten Zeit Zitterlaute und Welleniaute dazwi­schen haben - den Welienlaut l, den Zitterlaut r -, wenn wir also eine richtige Aufeinanderfolge von Blaselaut h, Stoßlaut t, der Zitterlaut r ist dazwischen, dann wieder Blaselaut, Stoßlaut, Zitterlaut, Stoßlaut haben, wenn wir also in dieser Weise Blaselaute, Stoßlaute so durch­einanderbringen, daß sie wesentlich abwechseln und dazwischen Zit­terlaute sind, der Zitterlaut r, und wir dann in dem Entspre­chenden auch darinnen haben den Gleitlaut l, den Wellenlaut 4 wenn wir dies in einer solchen Zusaramenstellung haben, daß wir genötigt sind, im Verlauf der Übung abwechseln zu lassen in entsprechender Weise das Blasen und das Stoßen, dann bringen wir eine richtige Kon­figuration der Organe zustande. Wenn wir blasen und stoßen und hin-eingemischt zuweilen zittern und wellig gehen, wenn wir das aufein­ander folgen lassen und das so abteilen, daß wir nun hier möglichst wie nach rückwärts gehen mit dem Ruhen der Stimme, hier in die Mitte gehen, wiederum zurück gehen, aber dann wiederum nach der Mitte gehen - siehe Übung -, dann ganz nach vorn gehen mit dem Ruhen der Stimme, dann ist eine solche Übung dasjenige, was uns, weil es aus dem Sprachorganismus selber heraus ist, die Geläufigkeit im Spre­chen, die Variabilität im Gestalten hervorruft. Und wenn wir zu glei­cher Zeit immer an verschiedenen Stellen unserer Sprachorgane die Ruhepunkte haben, möglichst in der Mitte auch auf der Mitte ruhen bleiben, sonst nach der Peripherie gehen, nach rückwärts, nach vor­wärts gehen, haben wir die Möglichkeit, wirklich Sprache zu gestal­ten, so Sprache zu gestalten, daß sie als Sprache gesund wird, aber auch gesundend wirkt auf die Organe.

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So daß also so etwas gut geübt werden kann, um gerade durch das Konsonantische, auf konsonantisch möchte ich sagen, die Sprach­organe entsprechend zu bilden:

Harte starke - a a a - Finger sind - i i i -

bei wackren - a a a - Leuten schon - a a a -

leicht - i i i - zu finden - u u u -

Es kommt mir zunächst in diesem ersten Teil des Vortragskurses auf Sprachgestaltung an.

Wiederum ist es gut, wenn man das recht oft hintereinander macht. Sagen wir also, wenn man zunächst so übt - ich will diese erste Übung A nennen, die zweite Übung B, die dritte Übung C -, sagen wir also:

zehnmal A, zehnmal B, zehnmal A B, zehnmal C, zehnmal A B C, dieses hintereinander macht -, wenn dann aber an solches gegangen wird, das imstande ist, diese Dinge gleich anzuwenden.

Nun ist das ja schwierig, weil man in der Dichtung nicht so leicht Dinge findet, in denen rein, möchte ich sagen, aus der Konfiguration des Sprachorganismus Vokale und Konsonanten auch angeordnet sind. Dichter sind nicht so gute Dichter, daß sie instinktiv die Dinge so zustande kriegten, daß der Sprachorganismus richtig gestaltet ist. Aber ich habe mich bemüht, wenigstens einiges von dem zu finden, was in gewissen Dingen am meisten sich demjenigen nähert, was auch sprachorganisch richtig ist ; und daher kann man sagen, es er­scheint als etwas, was immerhin der Sprachgestaltung dienen kann.

Nachdem man diese Prozedur gemacht hat, bemüht man sich dann, nun unmittelbar, nachdem man seine Organe geläufig gemacht hat, das folgende Gedichtchen von Kugler zu sagen:

Und der Wandrer zieht von dannen,

Denn die Trennungsstunde ruft;

Und er singet Abschiedslieder.

Lebewohl! tönt ihm hernieder,

Tücher wehen in der Luft.

Sie werden etwas Wohltätiges, weil in der Natur der Sprachorgane begründet, gerade dann in dieser Strophe finden, wenn Sie vorher diese sprachgestaltende Übung gemacht haben, von der ich gesprochen

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habe. Sie werden dann finden, daß Ihre Organe sich wie von selber - es stimmt nicht ganz, mir wäre es zum Beispiel lieber> wenn hier nicht ein e und ein a wäre, aber es ist ja nur annähernd zu er­reichen -, Sie werden finden, wenn Sie von der reinen Geläufigkeits­übung übergehen zu einem solchen Gedichtchen, daß Sie tatsächlich wie von selbst hineinkommen werden sowohl namentlich in die Vokale wie ein wenig hier auch in die Konsonanten.

Etwas anderes, was nach dieser Richtung sehr gut wirken kann, ist eine Strophe von Freilig rath, nur eine Strophe aus dem «Ausgewan­derten Dichter»:

Ich sonne mich im letzten Abendstrahle

Und leise säuselt über mir die Rüster.

Du jetzt, mein Leben, wandelst wohl im Saale,

Der Teppich rauscht und strahlend flammt der Lüster.

Daß man da in zwei Fällen sehr nahe zu dem Vordersten der Sprach­organe kommt, das gibt dieser Strophe - in dem i ü im Zusammen­hange mit dem anderen, in dem o und o und so weiter - wiederum das Gepräge, das ich auch von der vorigen anführen konnte.

Etwas, was namentlich dadurch nützen kann, daß man die vorderen Sprachorgane, die vor dem i liegen, gut darin übt, habe ich in einer Strophe von Johann Peter Hebel finden können:

Und drüber hebt si d'Sunne still in d'Höh

und luegt in d'Welt und seit: «was muesz i sì

in aller Früei?» - Der Friedli schlingt si Arm

um's Kätterli und ,s wird em wol und warm. -

Druf het em's Kätterli ä Schmüezli gì.

Es ist das eine sehr gute Übung für Nase und so weiter, und es sollte dieses recht oft geübt werden, wobei ich empfehle, daß Sie jedesmal zwischen diesen Übungen das Ganze abolvieren. Also

zehnmal A

zehnmal B

zehnmal A B

zehnmal C

zehnmal A B C

#SE282-138

dann: «Und der Wandrer zieht von dannen» - noch einmal das wie oben A, B, A B, C, A B C ; dann: «Ich sonne mich im letzten Abend­strahle» - noch einmal das wie oben A, B, AB, C, AB C; dann: «Und drüber hebt si d'Sunne still in d'Höh» - also diesen letzten drolligen feinen Spruch sagen, dann werden Sie sehen, wie wunderbar die Organe werden, so daß Sie tatsächlich aus dem bloßen Üben in die Sprachgestaltung hineinkommen.

SECHSTER VORTRAG Dornach, 10. September 1924 Laut- und Wortempfindung im Gegensatze zu Sinn- und Ideenempfindung

#G282-1969-SE139 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

SECHSTER VORTRAG

Dornach, 10. September 1924

Laut- und Wortempfindung im Gegensatze zu Sinn- und Ideenempfindung

#TX

Bevor wir beginnen, möchte ich, damit das nicht vergessen wird, eine Bitte anbringen. Das ist diese, daß die Freunde, welche hier an die­sem Kursus teilnehmen, und die mit einer gewissen Berechtigung die Dinge, von denen hier gesprochen wird, dann auch ins praktische Üben überführen, dieses nicht tun sollen zum Beispiel da oben an der Burg oder sonst irgendwo an den unmöglichsten Orten der Um­gebung. Wir haben durch derlei, wie soll ich es nennen, Freiheiten der Anthroposophen gerade hier seit Jahren solche Schwierigkeiten gehabt, und obwohl man nicht eigentlich denken sollte, daß darüber immer von neuem wiederum viel geredet werden müßte, so ist es doch heute auch wiederum notwendig, Sie zu bitten, die Übungen womöglich im geschlossenen Raum zu halten. Das ist schon durch­aus notwendig.

Wir werden jetzt den Übergang suchen von der Praxis in der Sprachgestaltung überhaupt zu derjenigen Sprachgestaltung, die zum Dialog, zur Handhabung des Dramatischen führt. Es ist tatsächlich in dieser Beziehung ein durchgreifender neuer Zug in die Bühnen­kunst hineinzutragen. Und wenn viele Persönlichkeiten heute gerade der Bühnenkunst gegenüber etwas stark Unbefriedigendes fühien, so rührt es nicht zum wenigsten, sondern zum sehr starken davon her, daß die Bühnenkunst eigentlich die alten Traditionen - aber die sehr alten - völlig verloren hat und nicht den Anschluß gefunden hat, irgendwie neu zu gestalten, weil dieses tatsächlich nur aus einer geisti­gen Auffassung heraus kommen kann. Und inwiefern eine solche geistige Auffassung zu einer Praktizierung des Dialogs, Trialogs und so weiter führen kann, das zu betrachten, wollen wir jetzt übergehen.

Wir wollen unseren Ausgangspunkt von der Rezitation nehmen, die Frau Dr. Steiner geben wird, und zwar, weil ja das Drama, insofern

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Unterredung im Drama schon besonders künstlerisch gestaltet ist, bei Moliére einen Höhepunkt gefunden hat, möchten wir heute gerade von der Rezitation einer Szene bei Moliére den Ausgangs­punkt nehmen. Wir werden selbstverständlich auch versuchen, ein ähnlich schiagendes Beispiel innerhalb der deutschen Literatur zu fin­den, allein man muß schon sagen, daß gerade in den Molié re-Dramen dasjenige, was anschaulich macht, wie Rede und Widerrede einander begegnen sollen auf der Bühne, wie sie ineinander einschlagen sollen, ganz besonders zum Ausdrucke kommt. Daher wollen wir heute da-mit beginnen, eine Szenenreihe aus Moliére zu bringen.

Frau Dr. Steiner: Ich wähie eine Szene aus dem «Misanthrope». Wir haben die Gestalt der jungen koketten Witwe, die viele Verehrer hat und deshalb viel beneidet wird von ihrer etwas falschen Freundin. Sie hat eine sehr spitze Zunge, diese junge Witwe, und hat nun bereits über einige Verehrer ihren Witz ausgegossen. In diesem Augenblicke wird ihr der Besuch ihrer falschen Freundin, eigentlich ihrer Feindin, gemeldet. Der Diener meldet diese Dame an.

Acte III, Scéne IV.

Arsinoé, Céliméne, Clitandre, Acaste.

CE LIME NE: Ah! quel heureux sort en ce lieu vous améne? Madame, sans mentir, j'étais de vous en peine.

ARSINOE: Je viens pour quelque avis que j'ai cru vous devoir.

CELIME NE: Ah! mon Dieu, que je suis contente de vous voir! (Clitandre et Acaste sortent en riant.)

ARSINOE: Leur départ ne pouvait plus á propos se faire.

CELIMENE: Voulons-nous nous asseoir?

ARSINOE: Il n'est pas nécessaire.

Madame, l'amitié doit surtout éclater

Aux choses qui le plus nous peuvent importer;

Et comme il n'en est point de plus grande importance

Que celles de l'honneur et de la bienséance,

Je viens, par un avis qui touche votre honneur,

Témoigner l'amitié que pour vous a mon cceur.

#SE282-141

Hier, j'étais chez des gens de vertu singuliére,

Oü sur vous du discours on tourna la matiére;

Et lá, votre conduite avec ses grands éclats,

Madame, eut le malheur qu'on ne la loua pas.

Cette foule de gens dont vous souffrez visite,

Votre galanterie, et les brults qu'elle excite,

Trouvérent des censeurs plus qu'il n'aurait fallu,

Et bien plus rigoureux que je n'eusse voulu.

Vous pouvez bien penser quel parti je sus prendre;

Je fis ce que je pus pour vous pouvoir défendre;

Je vous excusai fort sur votre intention,

Et voulus de votre âme étre la caution.

Mais vous savez qu'il est des choses dans la vie

Qu'on ne peut excuser, quoiqu'on en alt envie;

Et je me vis contrainte á demeurer d'accord

Que l'air dont vous vivez vous faisait un peu tort;

Qu'il prenait dans le monde une méchante face;

Qu'il n'est conte fâcheux que partout on n'en fasse,

Et que, si vous vouliez, tous vos déportements

Pourraient moins donner prise aux mauvais jugements.

Non que j'y crois, au fond, l'honnéteté blessée;

Me préserve le ciel d'en avoir la pensée!

Mais aux ombres du crime on préte aisément foi,

Et ce n'est pas assez de bien vivre pour soi.

Madame, je vous crois l'âme trop raisonnable

Pour ne pas prendre bien cet avis profitable,

Et pour l'attribuer qu'aux mouvements secrets

D'un zéle qui m'attache á tous vos intéréts.

CELIMENE: Madame, j'ai beaucoup de grâces â vous rendre.

Un tel avis m'oblige; et, loin de le mal prendre,

J'en prétends reconnaltre á l'instant, la faveur

Par un avis aussi qui touche votre honneur;

Et comme je vous vois vous montrer mon amie

En m'apprenant les bruits que de moi l'on publie,

Je veux suivre, á mon tour, un exemple si doux

En vous avertissant de ce qu'on dit de vous.

En un lieu, l'autre jour, oü je faisais visite,

Je trouvai quelques gens d'un trés rare mérite,

Qui, parlant des vrais soins d'une âme q'ai vit bien,

Firent tomber sur vous, madame, l'entretien.

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La' votre pruderie et vos éclats de zéie

Ne furent pas cités comme un fort bon modéle;

Cette affectation d'un grave extérieur,

Vos discours éternels de sagesse et d'honneur,

Vos mines et vos cris aux ombres d'indécence

Que d'un mot ambigu peut avoir l'innocence,

Cette hauteur d'estime oü vous étes de vous,

Et ces yeux de pitié que vous jetez sur tous,

Vos fréquentes leçons et vos aigres censures

Sur des choses qui sont innocentes et pures;

Tout cela, si je puis vous parler franchement,

Madame, fut blämé d'un commun sentiment.

«A quoi bon, disaient4ls, cette mine modeste,

Et ce sage dehors que dément tout le reste?

Elle est a' bien prier exacte au dernier point;

Mais eile bat ses gens et ne les paye point

Dans tous les lieux dévots elle étale un grand zéle;

Mais eile met du blanc, et veut paraitre belle.

Eile fait des tableaux couvrir les nudités;

Mais elle a de l'amour pour les réalités.»

Pour moi, contre chacun je pris votre défense,

Et leur assurai fort que c'était médisance;

Mais tous les sentiments combattirent le mien,

Et leur conciusion fut que vous feriez bien

De prendre moins de soin des actions des autres,

Et de vous mettre un peu plus en peine des vôtres;

Qu'on doit se regarder soi-méme un fort long temps

Avant que de songer a' condamner les gens;

Qu'il faut mettre le poids d'une vie exemplaire

Dans les corrections qu'aux autres on veut faire;

Et qu'encore vaut4l mieux s'en remettre, au besoin,

A ceux i qui le ciel en a commis le soin

Madame, je vous crois aussi trop raisonnable

Pour ne pas prendre bien cet avis prolitable,

Er pour l'attribuer qu'aux mouvements secrets

D'un zéle qui m'attache ä tous vos intéréts.

ARSINOE: A quoi qu'en reprenant on soit assujettie,

Je ne m'attendais pas á cette repartie,

Madame; et je vois bien par ce qu'elle a d'aigreur,

Que mon sincére avis vous a blessée au cceur.

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CELIMENE: Au contraire, madame; et si l'on était sage,

Ces avis mutuels seraient mis en usage.

On détruirait par lá, traitant de bonne foi,

Ce grand aveuglement oü chacun est pour soi.

Il ne tiendra qu'ä vous qu'avec le méme zéle

Nous ne continuions cet ofice fidéle,

Et ne prenions grand soin de nous dire entre nous

Ce que nous entendrons, vous de moi, moi de vous.

ARsINoE: Ah! madame, de vous je ne puis rien entendre;

C'est en moi que l'on peut trouver fort á reprendre.

CELIMENE: Madame, on peut, je crois, louer et blâmer tout;

Et chacun a raison suivant 1'âge ou le goüt.

Il est une saison pour la galanterie,

Il en est une aussi propre á la pruderie

On peut, par politique, en prendre le parti,

Quand de nos jeunes ans l'éclat est amorti;

Cela sert á couvrir de fâcheuses disgrâces.

Je ne dis pas qu'un jour je ne suive vos traces;

L'âge aménera tout; et ce n'est pas le temps,

Madame, comme on sait, d'étre prude á vingt ans.

ARsINoE: Certes, vous vous targuez d'un bien faible avantage,

Et vous faites sonner terriblement votre âge.

Ce que de plus que vous on en pourrait avoir

N'est pas un si grand cas pour s'en tant prévaloir;

Et je ne sais pourquoi votre âme ainsi s'emporte,

Madame, â me pousser de cette étrange sorte.

CELIMENE: Et moi, je ne sais pas, madame, aussi pourquoi

On vous voit en tous lieux vous déchainer sur moi.

Faut-il de vos chagrins sans cesse á moi vous prendre?

Et puis-je mais des soins qu'on ne va pas vous rendre?

Si ma personne aux gens inspire de l'amour,

Et si l'on continue á m'offrir chaque jour

Des vceux que votre cceur peut souhaiter qu'on m'ôte,

Je n'y saurais que faire, et ce n'est pas ma faute:

Vous avez le champ libre, et je n'empéche pas

Que pour les attirer, vous n'ayez des appas.

ARsINoE: Hélas! et croyez-vous que l'on se mette en peine

De ce nombre d'amants dont vous faites la vaine,

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Et qu'il ne nous soit pas fort aiSé de juger

A quel ptix aujourd'hui l'on peut les engager?

Pensez-vous faire croire, á voir comme tout roule,

Que votre seul mérite attire cette fouie?

Qu'ils ne brulent pour vous que d'un honnéte amour,

Et que pour vos vertus jis vous font tous la cour?

On ne s'aveugle point par de vaines défaites;

Le monde n'est point dupe; et j ,en vois qui sont faites

A pouvoir inspirer de tendres Sentiments,

Qui chez eiles pourtant ne fixent point d'amants;

Et de 1á nous pouvons tirer des conséquences,

Qu'on n'acquiert point leurs cceurs sans de grandes avances;

Qu'aucun, pour nos beaux yeux, n'est notre soupirant,

Et qu'il faut acheter tous les soins qu'on nous rend.

Ne vous enflez donc point d'une si grande gloire

Pour les petits brillants d'une faible victoire;

Et corrigez un peu l'orgueil de vos appas,

De traiter pour cela les gens de haut en bas.

Si nos yeux enviaient les conquétes des vôttes,

Je pense qu'on pourrait faire comme les autres,

Ne se point ménager, et vous faire bien voir

Que l'on a des amants quand on en veut avoir.

CELIMENE: Ayez-en donc, madame, et voyons cette affaire;

Par ce rare secret efforcez-vous de plaire; Et .......

ARsINoE: Brisons, madame, un pareil entretien:

Il pousserait trop loin votre esprit et le mien;

Et j'aurais pris déjá le congé qu'il faut prendre,

Si mon carrosse encore ne m'obligeait d'attendre.

CELIMENE: Autant qu'il vous plaira vous pouvez arréter,

Madame, et lá-dessus rien ne doit vous hâter.

Mais, sans vous fatiguer de ma cérémonie,

Je m'en vais vous donner meilleure compagme;

Et monsieur, qu'á propos le hasard fait venir,

Remplira mieux ma place á vous entretenir.

Wenn es sich darum handelt, den Dialog oder die weitere Unter­redung zu gestalten, dann muß man vor allen Dingen davon aus­gehen, einzusehen, daß die Kunst ehrlich sein muß. Aber sie muß

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eben als Kunst ehrlich sein. Der Naturalismus, der im wesentlichen die Nachahmung des äußeren Wirklichen erreichen will, kann als Kunst niemals ehrlich sein. Denn man sehe sich die Verhältnisse ge­rade innerhalb der Bühiienkunst an. Sie zeigen am deutlichsten, daß wir innerhalb der Bülinenkunst eben gerade darstellen und nicht ver­gessen dürfen, daß wir darstellen. Und die sklavische Nachahmung des Wirklichen kann niemals aus der Welt schaffen, daß wir darstellen. Mit der Darstellung als solcher, das heißt mit den Mitteln, welche in der Darstellung selber liegen, muß künstlerisch gereclinet werden.

Wir haben vor allen Dingen zu berücksichtigen, daß im Künstleri­schen alles wahrnehmbar, anschaulich sein muß, daß dasjenige, was Inhalt des Künstlerischen ist, da sein muß in der unmittelbaren Dar­stellung. In dem Augenblicke stehen wir nicht mehr in der Kunst drinnen, wenn der Zuschauer oder Zuhörer aus seinem Eigenen her­aus etwas ergänzen muß, wenn der Zuhörer oder Zuschauer zum Bei-spiel bei der Bühnenkunst genötigt ist, irgend etwas zu konstruieren, damit er die eine oder die andere Person verstehe. Alles, was dem Zuhörer gegeben werden soll, soll in der künstierischen Darstellung selber liegen. Der Bühiienkünstler hat zur Verfügung das Wort, das Wort in seiner Gestaltung, das Mimische, die Geste, Gebärde. Und eine ehrliche Kunst muß suchen, in diesen Mitteln der Bühnenkunst alles zur Offenbarung zu bringen, was an den Zuhörer oder Zu­schauer herangebracht werden soll.

Dem widerspricht in unserer gegenwärtigen Zivilisation gar man­ches. Vor allen Dingen widerspricht ihm, daß wir gegenwärtig eigent­lich im unmittelbaren Leben keine Laut- und Wortempfindung mehr haben, sondern eigentlich eine Ideenempfindung. Wir empfinden durch das Wort durch zum Sinn des Wortes hin, zu der Idee des Wor­tes. Wir haben eigentlich das Verstehen im Hören ganz verlernt und wollen im gewöhnlichen Leben überhaupt nurmehr das Hören irn Verstehen vertragen. Aber es ist ein wesentlicher Unterschied zwi­schen dem Verstehen im Hören und dem Hören im Verstehen.

Verstehen im Hören

Hören im Verstehen

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Diesen Unterschied muß vor allen Dingen der Schauspieler sich klarmachen. Und er kann sich iIIn klarmachen, wenn er manches von dem, was wir in den bisherigen Stunden schon besprochen haben, noch von einem anderen Gesichtspunkte aus sich vor die Seele stellt.

Ich habe schon darauf aufmerksam gemacht, kein Laut ist durch dle menschliche Seele geformt worden, ollne daß er als Vokallaut ein inneres Seelenerlebnis wiedergibt, welches an der Außenwelt erlebt ist, oder daß er als Konsonant versucht, im Lautbild einen äußeren Gegenstand, ein äußeres Wesen oder einen äußeren Vorgang nach-zuahmen.

Intoniere ich den Laut a, so liegt unter allen Umständen, wenn ich die Lautempfindung entwickeln will, und nicht bei einer Sinn- oder Ideenempfindung stehenbleiben will, in dem a4ntonieren das Erleb­nis der Verwunderung oder des Erstaunens.

Daß wir in der gewöhnlichen Sprache des heutigen Umgangs dies verloren haben, daß dies verblaßt ist, ändert nichts an dem Wesen der Sache. Und jedesmal, wenn ich i intoniere, so liegt dem zugrunde das Seelenerlebnis des innerlichen freudig Erregtseins, der Selbst­behauptung.

Intoniere ich u, liegt immer irgend etwas von Furcht- oder Angst-empfindung zugrunde.

Alles Vokalische drückt das Erlebnis der Seele an etwas in der äußeren Welt aus. Und alles konsonantisch Lautende drückt das Be­streben der Seele aus, irgendeinen äußeren Gegenstand oder einen äußeren Vorgang in der Gestaltung des Lautes nachzuahmen. Sage ich den Laut, so muß ich immer, wenn ich die Konsonanten aus­spreche, Vokale zu Hilfe nehmen. Aber wir sehen dann, wenn wir konsonantisieren, eben auf den Konsonanten.

Intoniere ich den Laut b, so liegt dem zugrunde, wenn das auch heute bei den Menschen schon ganz ins Unbewußte, man möchte Sagen, in den Magen hinuntergegangen ist, der zwar die Speisen ver­daut, nicht aber die Laute, das Bestreben der Seele, in dem b eine Umhüllung von etwas nachzuahmen. b-Jntonieren bedeutet: ich be­zeichne die Schale von etwas, die Umhüllung von etwas.

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r bedeutet: ich bestrebe mich, das Lautbild eines Vorganges, der eine innere Erregung, ein Erzittern hat, nachzubilden. Die Konsonan­ten bilden nach, imitieren Formen, Vorgänge von Dingen oder Ge­schehnissen der Außenwelt.

Und so ist in jedem Worte, wo ein a vorkommt, doch zuletzt in das Wort hineingeheimnißt das innere Erlebnis der Verwunderung. Ich kann das zunächst nur an der deutschen Sprache klarmachen, aber es gilt, wie ich gleich nachher erwähnen werde, ebensogut für alle anderen Sprachen. Die Modifikation tritt in bezug auf etwas ganz anderes ein, als in bezug auf dieses Wesentliche.

Nehmen Sie an, Sie sprechen das unschuldige Wort «Band» aus. Da ist ein a darinnen. Was liegt eigentlich in diesem Worte? Das, was ich jetzt sagen werde, ist wirklich exakter als alle philologischen und ähnliche Auseinandersetzungen, die heute in so üblicher, aber auch tiefer Gelehrsamkeit bestehen. Ihre Gelehrsamkeit soll ihnen nicht abgesprochen werden, aber für das praktische Handhaben desjenigen, was künstlerisch im Sprechen liegt, bieten sie eigentlich nicht viel. Aber was liegt in einem Worte wie «Band»? Ganz gewiß liegt darin­nen, daß, als das Wort entstanden ist, die Verwunderung darüber da war, daß man mit einem Band etwas binden kann, was dann hält. Das ist ja auch etwas Wunderbares. Man muß erstaunt sein darüber, daß man mit einem Band etwas zum Halten bringen kann. Es ist schon an dem Vokal eines Wortes immer anzuschauen, aus welchem Seelen-erlebnis das Wort hervorgegangen ist.

Und wenn ich etwas binde, so ist dann dasjenige, was das Band ist, um das andere drüber = Band. b drückt immer eine Umhüllung aus. Ob die Umhüllung ein ganzes Haus für eine Fami]ie ist, oder ob die Umhüllung bloß die leise Umhüllung in der Bandbreite ist; es ist immer eine Umhüllung.

Ein n drückt immer etwas aus von leicht Hinnehmen, etwas, das leicht fließt= Band.

Das d drückt immer aus ein Feststellen, ein Richtiges. Das Band knüpft man. Das ist das Feststellen zuletzt. Erst ist das Band leicht beweglich= n; dann aber macht man es fest, knüpft man es = d. So kann man das ganze Wort durchfühien, durchaus durchfühlen.

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Wenn die Menschen immer nur so dem Worte, dem Laute gegen­über gefühlt hätten wie heute, wo sie nur den Sinn, die Idee fühien, also zum Intellektualismus gegenüber dem Worte übergegangen sind, würden niemals Worte einer Sprache entstanden sein. Denn die Worte einer Sprache müssen ganz herausgeboren sein aus dem seelischen Er­leben. Da aber die Worte etwas Äußerliches bedeuten, müssen sie herausgeboren sein aus dem Miterleben mit anderem, das in der Um­gebung ist.

Die Jnterjektionen sind eigentlich dasjenige, was die ursprünglichste Wortgestaltung darstellt. Und bei den Interjektionen ist es einzig und allein, daß der Mensch heute noch fühlt, wenn auch leise fühlt, was in den Dingen liegt.

Ein u sagte ich, ist eigentlich immer etwas, das mit einem Furcht-, Angsterlebnis etwas zu tun hat.

Ein f ist immer etwas, wo ein Ding aus seiner Ecke, seinem Ur­Sprung herauskommt, herausschlüpft. Daher sagt man, wenn man et­was ganz gescheit weiß: es aus dem if verstehen, aus den Initien ver­stehen. In solchen Dingen liegt viel Empfindung für die Sache dar­innen.

Wenn aber im Deutschen jemand etwas gewahr wird, wo er aus einer ganz bestimmten Ecke die Furcht herankommen sieht, dann sagt er: «uff!» Und spricht sogar dasf hinein statt heraus.

Dasjenige, was bei den Interjektionen heute noch erlebt werden kann, das ist aber bei jedem Worte zu erleben.

Natürlich erhebt sich jetzt der Einwand: Dann müßten ja alle Spra­chen gleich sein! Das heißt, es könnte nur eine Sprache auf der Erde geben.

Nun, meine lieben Freunde, da muß man das Paradoxon ausspre­chen, daß es wirklich nur eine Sprache gibt. Es schaut zwar ganz besonders aus, wenn man das sagt, aber es gibt nur eine Sprache; nur sprechen diese Sprache eben keine Menschen. Warum?

Nehmen wir das deutsche, unschuldige Wort «Kopf». Wenn man vom o ausgeht, so hat man zunächst das innere Seelenerlebnis der Rundung. Das o ist immer etwas, was in Sympathie eine Sache um­faßt. Ebensogut könnten wir an dem k, demp und dem f zeigen, was

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eigentlich « Kopf» sagen will. Kopf drückt aus die runde Form, die das menschliche Haupt hat. Kopf ist das Bestreben der Seele, die plastische Gestaltung des Kopfes im Lautbilde nachzubilden.

Nun ist es eine Eigentümlichkeit des Deutschen, daß er just die plastische Form, die Kugelform des Kopfes nachbildet. Er tut es ja nicht nur beim Menschen, er sagt auch Kohikopf, wenn er die runde Form nachbilden will. Ich meine also, nicht bloß zum Menschenkopf sagt man Kopf, sondern auch zum Kohlkopf sagt man Kopf. Beides auf den Menschenkopf angewendet, KoH und Kopf, das ist ein Ter­minus techmcus der Diebessprache. Die Diebe haben auch eine eigene Sprache, und Kohlkopf ist richtig in der nach dem Deutschen hin-gearteten Diebessprache der Ausdruck für den Menschenkopf. Der Dieb sagt nicht Kopf beim Menschenkopf, sondern der Dieb sagt Kohlkopf. Er drückt ja alles anders aus.

Würden die Italiener, die Franzosen, dasselbe ausdrücken wollen am Menschenkopf, die Rundung, dann würden sie auch sagen Kopf; wenn man dasselbe ausdrückt, kann man kein anderes Wort gebrau­chen a]s Kopf, wenn auch etwas verändert. Im Laufe der Geschichte verschieben sich die Dinge. Es gibt eine Laurverschiebung, aber das kommt nicht an das Wesentliche heran. Der Italiener zum Beispiel bezeichnet gar nicht die plastische Form, sondern er bezeichnet am menschlichen Haupte das Feststellen, also daß irgend etwas ausgesagt, festgestellt wird, wie man im Testament auch etwas feststellt. Er sagt «testa» und bezeichnet damit das Feststellen, dasjenige, was mit dem Bezeugen, mit dem Zeugnisablegen des menschlichen Hauptes zu­sammenhängt.

Würde der Deutsche einen Sinn haben, dasselbe Faktische am menschlichen Haupte auszudrücken wie der Italiener, so würde er auch testa sagen und nicht Kopf. Für ein von demselben Gesichts­punkte aus Gesehenes ist nur ein Wort möglich.

Man könnte daher sagen: Die Nationen unterscheiden sich nicht durch die Worte, sondern die Nationen unterscheiden sich durch das, was sie an den Gegenständen empfinden. Der eine bezeichnet die Kugelform des Kopfes, der andere bezeichnet das, was aus dem Mund kommt. - Und man könnte nun alle Sprachen zu einer zusammenfassen.

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Da ist Kopf, testa und so weiter, alles zusammen, und die ein­zelnen Nationen wählen sich dann je nach ihrer Empfindung diejeni­gen Worte aus dieser gesamten Universalsprache, die eben ihrem Charakter entsprechen. Da sich das, was da als Wortbild zustande kommt, im Laufe der Zeit etwas verschiebt, sind natürlich die Spra­chen scheinbar sehr voneinander verschieden. Aber in dieser Beziehung steckt das Wesentliche noch immer darinnen; selbst im groteskesten Dialektworte steckt noch immer dieses Wesentliche darinnen.

Man kann da ganz interessante Studien machen. Es gibt zum Bei­spiel im deutschen Dialekt in Österreich das Wort «bagschirli». Man wird es so, wie es heute in seinem Lautbestand ist, als österreichischer Deutscher immer fühlen; bagschirli ist irgend etwas, was ein bißchen spaßig ist, aber doch wiederum seriös zu nehmen ist; was man liebt, weil es spaßig ist, aber doch wiederum ganz ernst betrachtet. Bagschirli ist so behaftet mit den einzelnen Nuancen. Ja, was ist dieses Wort? Es ist einfach das in den österreichischen Dialekt übersetzte possierlich. Aber diese Nuance possierlich, die empfindet der österreichische Deutsche nicht, das ist viel zu wenig gemütlich; es ist so theoretisie­rend, etwas als possierlich zu bezeichnen, es ist so, als ob man viel gelernt hätte. Aber der Österreicher ist nicht stolz auf das, was er gelernt hat; das sagt er nur. In Wirklichkeit, seiner inneren Empfin­dung nach ist er stolz auf das, was er nicht gelernt hat. Daher kann er das Wort nicht so lassen, er muß es seinem Leichten, Legeren an­passen, und dafür ist wiederum das Wort bagschirli ein ganz wunder­bares Wortbild. Wenn Sie es nach den Lautempfindungen nebenein­ander analysieren, possierlich und bagschirli, dann werden Sie eine ganze Welt dadrinnen haben.

Sehen Sie, so kann man darauf kommen, daß in der Tat Laut- und Wortempfindung da ist. Sie sind nur ins Unbewußte, ins Halbbewußte, ins Instinktive bei den heutigen Menschen hinuntergedrängt.

Aber derjenige, der zum bühnenmäßigen Sprechen kommen will, muß wiederum von der Sinn-, von der Ideenbedeutung zu der Laut-, zu der Wortbedeutung zurückkommen.

Nun handelt es sich darum, daß das, was damit gemeint ist, in die Schulung übergehen muß, in die Schulung zum Bühnenkünstler. Man

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lernt auch im Musikalischen zunächst dasjenige, was man dann nicht in Konzerten vorbringt; denn es ist nicht üblich, daß man die ersten Klavier-Fingerübungen und ähnliches in Konzerten vorbringen läßt; sondern man lernt etwas und entwickelt es dann weiter, und das­jenige, was man zuerst gelernt hat, geht in den Instinkt, in die Übung, in die Gewohnheit über.

Bei der Bühnenkunst macht man das nicht immer. Denn es gibt eine Bühnenkunst, und die muß wiederum dazu kommen, Laut- und Wortempfindung zu haben, und aus dieser heraus die bühnenmäßige Sprache künstlerisch zu gestalten. Es gibt eine Bühnenkunst, und es gibt eine Reinhardterei; die hat das nicht nötig, weil sie ja keine Kunst ist.

Wenn wir den Dialog vor uns haben - nehmen wir zunächst den Dialog -, dann stehen zwei Menschen in Wechselbeziehung ihrer Seele. Denken Sie, wenn man bloß der Außenwelt gegenübersteht im vollen Leben, so empfindet man vokalisch, ahmt nach konsonantisch. Erwirbt man sich die Lautempfindung, so wird man wiederum etwas sehr Reiches zwischen sich und den Dingen und Wesen entwickeln. Aber wenn man einer Person gegenübersteht, dann hat man nötig, wenn außerdem noch ein Zuschauer oder Zuhörer da ist - und der gehört meiner Erfahrung nach immer zur Bühnenkunst, denn ich habe noch nicht gesehen, daß man große Freude hat, vor ganz leeren Häusern Aufführungen zu veranstalten -, schon immer mit dem Zuhörer und Zuschauer zu rechnen. Der ist also als der Dritte da. Wenn man es also damit zu tun hat, dann muß anschaulich sein in dem, was als Dialog auftritt, das ganze Wechselverhälmis der Seelen zwischen den zwei Unterrednern; das heißt, der eine Unter-redner muß an dem anderen dasjenige in Lautempfindung haben, was der erlebt, der sich mit ihm unterredet. Wir haben einen ersten, einen zweiten Schauspieler, die beiden führen einen Dialog auf. Der zweite Schauspieler muß, während er zuhört, was der erste redet, in der Lautempfindung desjenigen leben können, was jener zum Ausdrucke bringt.

Das wird nicht immer entsprechen der Vokalisierung oder Kon­sonantisierung. Denn so wie unsere heutige Sprache ist, sagen wir

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niemals: Us nuhut Gufuhr - wie wir eigentlich sagen müßten, wenn wir das Wortbild ganz nach dem Erlebnis bilden würden, sondern wir sagen heute schon: Es nahet Gefahr.

Us nuhut Gufuhr.

Es nahet Gefahr.

So ist abgekommen durch allmähliche Verwandelung, durch allmäh­liche Metamorphose das Wortbild von dem ganz Ursprünglichen. Aber die Bühnensprache muß das Ursprüngliche trotzdem wieder hineinbringen. Wie geschieht das?

Hier liegt ein Bedeutsames der Bühnentechmk vor, das wir einmal in Betracht ziehen wollen. Wenn Sie vom Deutschen ins Gotische zurückgehen, das aber auch schon eine abgeleitete Sprache ist, so sind Sie in vielen Fällen erstaunt, wie an Stelle derjenigen Vokale, die schon neutral den Erlebnissen gegenüberstehen in der neueren Sprache, im Gotischen plötzlich die Vokale auftreten, die Furcht, Ver­wunderung und so weiter ganz richtig wiedergeben.

Wenn ich also einen ersten Schauspieler vor mir habe und den ande­ren als zweiten Schauspieler - ich meine jetzt nicht der Qualität nach, sondern nur weil es zwei im Dialog Begriffene sind -, einen Menschen als ersten Schauspieler, der spricht, und den anderen, der zuhört, so handelt es sich jetzt darum, daß der zweite, der zuhört, den Inhalt dessen, was der erste spricht, in der richtigen Lautbedeutung auf­nimmt. Wenn einer auf der Bühne zu mir sagt: Es nahet Gefahr -, so sollte ich ja eigentlich bei dem a in Gefahr Verwunderung haben. Daß wir heute nicht sagen: Us nuhut Gufuhr -, das liegt nur daran, weil allmählich die Metamorphose sich so vollzogen hat, daß anstelle des Furchtausdruckes der Verwunderungsausdruck gekommen ist. Man hat das Erstaunen, die Verwunderung aus einem gewissen Ge­fühl der Tapferkeit heraus in Metamorphose anstelle der Furcht oder des Angsterlebens gesetzt. Die Dinge sind immer zu rechtfertigen. Aber der Schauspieler hat nötig, während der andere sagt: Es nahet Gefahr -, bei sich zu empfinden die Lautempfindung u. Es muß also gewissermaßen hinter den Kulissen des Spielens, hinter den Kulissen der Seele des Spielens dieses vorgehen, daß die Lautempfindung eine

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Rolle spielt. Das muß gewissermaßen das Gehör des Schauspielers werden. Wodurch wird es das?

Es darf natürlich nicht so sein, daß der Schauspieler, wenn der andere redet, sich besinnt, ein u zu empfinden, sondern es muß die Schulung so genau einmal gelebt haben in der Lautempfindung bei jedem Laute konsonantischer oder vokalischer Natur, daß das ganz instinktiv in der Seele auftritt. Wenn einer etwas sagt, in welchem Vokalismus es auch sei, welches das Herannahen einer Furcht bedeu­tet, hört der andere so zu - schon auf der Probe wird das selbstver­ständlich so erlebt -, daß er in sich die entsprechende Lautempfindung erlebt. Drückt der eine etwas Erstauntes aus = a; drückt der andere Freude aus = i drückt der eine eine Überraschung aus, empfindet sein Mitunterredner = au und so weiter. Aber das muß etwas in der Seele des Schauspielers werden, so wie das Vibrieren im Trommelfell etwas ist, was wir auch nicht erst herrichten, was uns die Götter geben, sonst würden wir es nämlich ebenso schlecht machen wie das Spre­chen. Aber es muß so sein, daß die ganze Seelenstimmung, wenn der andere Furcht ausdrückt, in u mitschwingt; wenn der andere etwas ausspricht, das man mit Sympathie bekräftigt, ein ei mitschwingt. Das muß selbstverständlich gehört werden, muß ganz instinktiv sein.

Dahin muß die Schulung gehen. Daher muß von der Laut- und Wortempfindung ausgegangen werden, nicht von der Ideenempfin­dung.

Sehen Sie, Blau ist in Wirklichkeit nicht bloß blau. Nehmen Sie irgendeine blaue Fläche, sie ist etwas ganz anderes neben dem Rot, und sie ist etwas ganz anderes neben dem Violett. Hier [neben dem Rot] -es wurde gezeichnet - ist das Blau, trotzdem es eben blau ist, viel intensiver blau als neben dem Violett; es ist dasselbe, doch Sie sehen nie eine Farbe anders als modifiziert durch die Nachbarfarbe. Überall im Leben handelt es sich darum, daß die Eindrücke durch die Nach­bareindrücke bestimmt werden, ihre eigentliche Nuancierung be­kommen.

Stellen Sie sich jetzt vor, der eine Dialogisierende redet irgend etwas, worin Gefahr ist. Instinktiv empfindet der andere u u u. Und nun beginnt er die Antwort darauf zu formen. Sie wird ganz anders klingen,

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wenn er sie aus der u-Empfindung heraus gibt, als wenn er sie aus der a-Empfindung heraus gibt, so wie das Blau anders ist neben dem Violett als neben dem Rot.

Hat man daher die Möglichkeit gewonnen, neben dem anderen also zu empfinden, dann bekommt die Wechseltede das entsprechende Kolorit. Und dieses Kolorit, das hört der Zuhörer unten im Parterre, auch auf den Galerien! Und er sagt natürlich nicht, daß er es hört, denn er weiß es nicht mit dem Bewußtsein, aber er weiß es um so stärker im Instinkt. Hört er es in der richtigen Weise, so gefällt ihm die Sache, hört er es nicht in der richtigen Weise, so mißfällt ihm die Sache; dadurch drückt sich das einzig und allein aus. Und so deuten wir hier auf eine Art des Übens in der Schulung. Hat man zunächst das geübt, daß man an den einzelnen Lauten - es sind ja nur zwei­unddreißig oder dreiunddreißig - die entsprechenden Empfindungen -sie kommen schon, wenn man sich ihrer nur bewußt werden will -, erlebt und wirklich dann ausgeprüft, was man für Empfindungen hat, wenn einer u, 0, a, i intoniert, dann übt man, indem man probt, da­durch, daß man sich möglichst bewußt wird, wie man ja sonst auch, nicht wahr, beim Klavierüben aus dem Bewußtsein erst in die völlige Geläufigkeit übergeht -, dann übt man dieses in der Empfindung, in der Lautempfindung, in der Wortempfindung. Dann geht man all­mählich im Proben dazu über, das gar nicht mehr zu beachten, sondern es völlig im Instinkt auch für die einzelnen Rollen zu haben; und dann hat man die Sache nach dieser Richtung hin fertig.

Nun handelt es sich natürlich darum, daß man wiederum ein Ideal hinstellt. Denn bei dem heutigen Kulturbetriebe hat man nur oftmals -was weiß ich - zwei bis drei Proben, manchmal noch weniger. Aber, sehen Sie, man muß die Dinge schon im Ideal hinstellen. Davon gibt es verschiedene Auffassungen. Frau Wilbrandt-Baudius empfand immer so - sie war eine ganz gute Sprecherin und hatte instinktiv etwas von dem, was ich eben beschrieben habe -, daß ihr niemals eine Zahl von Proben genügend war. Sie sprach es immer wieder aus, daß man eigentlich erst richtig spielen kann, wenn man fünfzigmal schon ge­spielt hat vor dem Publikum; die anderen neunundvierzigmal müßte man auch als Proben ansehen. Das sprach sie immer wieder aus. Denn

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dann kommt es erst, daß diese Dinge, von denen ich gesprochen habe, instinktiv geworden sind, selbstverständlich geworden sind.

Es gibt auch andere Auffassungen. Eine Truppe hatte einmal ein Stück fünfzigmal gespielt. Der Direktor schiug vor, beim einund­fünfzigsten Mal den Souffleurkasten wegzulassen, weil er glaubte, daß nun nach all dem vorangegangenen Spielen sie die Sache auswendig wüßten, und er sagte zu den Spielern: Kinder, heute werden wir den Souffleurkasten weglassen, Ihr spielt ja heute zum einundfürifzigsten Mal. - Da besann sich einer. Erst konnte er es gar nicht fassen, dann sagte er: Ja, aber Herr Direktor, dann wird man ja den Souffleur sehen? - Daß man den Kasten weglasse, das konnte er begreifen, aber den Souffleur konnte er nicht entbehren!

Sehen Sie, es ist schon im praktischen Bühnenleben manches dar­innen, was überwunden werden muß, auch in der Gesinnung. Aber aus einer wirklichen, sachlichen Praktizierung der Dinge werden sich die Unfuge doch nach und nach überwinden lassen.

Davon morgen weiter.

SIEBENTER VORTRAG Dornach, II. September 1924 Einige Illustrationen zur praktischen Sprachgestaltung

#G282-1969-SE156 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

SIEBENTER VORTRAG

Dornach, II. September 1924

Einige Illustrationen zur praktischen Sprachgestaltung

#TX

Ich möchte heute in unsere Auseinandersetzungen über praktische Sprachgestaltung eine Art Illustration des Besprochenen einfügen. Es ist natürlich ein solcher Kursus, wie dieser hier ist, kurz, und so kann nur wirklich etwas wie eine spärliche Anregung gegeben werden. Den­noch möchte ich die heutige Stunde dazu benützen, illustrierend auf einiges von dem zurückzuleuchten, was ich gerade in bezug auf Laut-und Wortempfindung im Gegensatze zu Sinn- und Ideenempfindung für die Zubereitung des auf der Bühne Wiederzugebenden durch-genommen habe.

Ich möchte heute die Sache so anordnen, daß ich etwa in das, was ich sagen werde, praktisch dasjenige hineinverweben werde, was ich in den letzten Stunden angedeutet habe, so daß in der Art, wie ich es aussprechen werde - wenn auch skizzenhaft und kurz -, etwas von dem liegen soll, was einzugehen hat dann, wenn man irgendein Stück für die Bühne vorbereitet, in das, was als Leseprobe eigentlich in Wirklichkeit so dienen sollte, daß aus dieser Leseprobe fruchtbar dann später das Regiemäßige hervorgehen kann. Wir werden ja an das­jenige, was sich in dieser ersten Zeit auf Sprachgestaltung bezieht, das anschließen, was sich dann auf die Regie bezieht, auf die ganze Gestaltung auch des Bühnenbildes im weitesten Sinne des Wortes.

Natürlich wird dasjenige, was in rein künstlerischer Art und Weise in den letzten Tagen auseinandergesetzt worden ist, mehr im künstlerisch Instinktiven, im Unbewußten zu walten haben. Wenn man es bespricht, bei der vorbereitenden Probe bespricht, wird es sich darum handeln, daß man eigentlich voraussetzt, daß alies, was in der angedeuteten Weise Schulung ist - Schulung auf die Laut- und Wort-empfindung hin -, den Teilnehmern in der Darstellung eines Stückes, eines bübnenmäßigen Stückes instinktiv schon geläufig ist. So daß man also eigentlich im Grunde von etwas ganz anderem spricht und

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nur andeutet dasjenige, was der Schauspieler ebenso kennen muß, wie der Klavierspieler, der sich selber oder einen anderen für ein Konzert vorbereitet, oder der Mitspielende, den man meinetwillen als Kapell­meister für das Konzert vorbereitet, als das selbstverständliche Kön­nen in sich tragen muß.

Ich möchte zu dieser Illustration heute die erste Szene eines Dramas benützen, das von Robert Hamerling herrührt und den Titel trägt «Danton und Robespierre», das also zum Stoff hat die Französische Revolution. Ich wäHe es aus dem Grunde, weil ich glaube, daß da die Stimmungen, die dabei in Betracht kommen - und die müssen ja immer, ich möchte sagen, offen vor der Seele daliegen, wenn es sich urn die Aufführung eines Stückes handelt -, daß die Stimmungen, um die es sich dabei handelt, den meisten Menschengemütern am leich­testen geläufig gemacht werden können, teils weil sie dezidierte Stim­mungen sind, Stimmungen, die also in ihrem Kolorit stark differen­ziert vor die Seele treten können, und die auch, wie wir sehen werden, Gelegenheit dazu geben, technisch-bühnenmäßig umzusetzen das­jenige, was prosaischer Inhalt ist, in die künstlerische Gestaltung der Wort- und Lautempfindungen.

Wir haben es in dieser ersten Szene des Dramas «Danton und Robes­pierre» zu tun mit einer Evolution geradezu der Stimmungen, welche in einem bestimmten Stadium der Französischen Revolution vorhan­den war. In jenem Stadium der Französischen Revolution, können wir sagen, wo die Popularität Dantons allmählich übergeht in die Popularität Robespierres, da handelt es sich darum, daß die Einstel­lung einer großen Anzahl von Leuten von der Verehrung und Hin-neigung zu Danton übergeht auf diejenige zu Robespierre.

Nun müssen wir uns klar sein darüber, daß die Verehrung Dantons bei denjenigen, die ihn entweder aufrichtig, ehrlich verehrten, oder bei denjenigen, die ihn aus agitatorischen Aspirationen heraus ver­ehrten, eine solche war, die stark hinneigte zu einer Art, ich möchte fast sagen brutaler Verwunderung, so daß über der ganzen Szene noch schwebt - ich spreche jetzt bühnentechnisch-künstlerisch - etwas von der Laut- und Wortempfindung, die etwa in dem Zusammen­wirken von a, der Verwunderung über den Mann, und o, einer gewissen

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brutalen Liebe zu diesem Mann zusammengesetzt ist. Über der ganzen Szene schwebt in dem Sinne, wie ich das in den letzten Tagen auseinandergesetzt habe, die a o-Stimmung. Wenn Sie fühlen in den Lauten a, o, so haben Sie die Stimmung, die im Anfang dieser Szene da ist. Sie geht über in die Robespierre-Stimmung.

Die Verehrung Robespierres war eine ganz andere. Die Verehrung Robespierres war eine solche, daß sie, ich möchte sagen, zunächst wie splitterig den Leuten ins Herz ging. Das magere, hagere Männchen mit den äußeren Schulmeisterallüren, das da wirkte, aber wie mit schneidenden Messern, wenn es sprach, das wurde nicht in derselben Weise bewundert wie Danton, sondern das mußte sich erst überall den Zugang zur menschlichen Bewunderung verschaffen. Und es war eigentlich zunächst die Stimmung diese, als Robespierre eintrat in die Popularität, daß es eine Art von Abwehr war, und aus der Abwehr heraus wurde für Robespierre immer im einzelnen Falle und im gan­zen die Bewunderung geboren. So daß wir das umgesetzt in Laut-und Wortempfiridung haben, wenn wir ein Zusammentönen von e und a haben. e und a, e - a. Sie hören es in diesem.

Das macht notwendig, daß wir gerade bei dieser ersten Szene, die übrigens, ich möchte sagen, mit feiner instinktiver Empfindung für Laut und Wort Hamerling gestaltet hat, wirklich auch den Übergang finden in der ganzen Sprachgestaltung von dem a o zu dem e a. Das werden wir, wenn wir uns die Szene anschauen, und ich habe sie des­halb gewählt, weil sie in ihrem Anschauen so lehrreich sein kann.

Ich sage, mit feinem Instinkte hat Hamerling die Szene aufgebaut. Ich spreche dasjenige, was man eigentlich bei den Leseproben merken soll, indem ich diese Szene zur Illustration wähle. Natürlich spreche ich skizzenhaft. Das muß dann ausführlicher getan werden. Hamerling hat die Szene so gemacht, daß man wirklich viel daran lernen kann in dieser Beziehung, denn er beginnt sie damit, daß er in ihrem ersten Teil einen Landmann auftreten läßt, der vor fünfzehn Jahren einmal in Paris war, seitdem nicht in Paris war, und dem es in einem gewis­sen Sinne leicht geworden ist, die Ereignisse, insofern sie hinaus-spielten von Paris in die Provinz, aufs Land, zu verschlafen, denn er war taub, der Landmann. In den letzten sechs Jahren war er taub und

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hat nichts gehört von den Dingen. Er hat sich bis dahin vom Dorf­barbier behandeln lassen, der auch Chirurg war, wie das in diesen Zeiten noch durchaus der Fall war. Das hat nicht gerade außerordent­lich viel zur therapeutischen Behandiung seiner Ohren beigetragen. Man hat ihm dann den Rat gegeben, er solle sich nach Paris wenden. Nun bezweifle ich, daß der Erfolg ein so glatter war. Aber nachdem er wiederum nach sechsjähriger Taubheit, fünfzehnjähriger Abwesen­heit von Paris, gerade in der Revolutionszeit nach Paris zurückkommt, hört er wieder durch die Behandlung in Paris und nimmt jetzt teil als ein eben wieder hörend Gewordener an dem, was sich da abspielt in dem Umlauf der Stimmung, wie ich es Ihnen geschildert habe.

Nun findet man für diesen Mann den Grundton der Sprachgestal­tung sofort, wenn man eine etwas nach dem o hinübergefärbte a­Empfindung walten läßt. Was heißt das aber? Im ersten Teil dieser Szene wird er die Hauptfigur sein. Er wird das ganze Interesse des Publikums in Anspruch nehmen. Das übrige, was etwas schattiert und koloriert dieses Hauptinteresse, das sich auf diesen Landmann heften wird, wird eben zum Kolorieren da sein. Aber wie man ihn spielt in dieser ersten Szene, davon wird ungeheuer viel für die Gesamtgestal­tung des Stückes abhängen.

Nun wissen wir aus den Auseinandersetzungen der letzten Tage, was a-Stimmung ist: Verwunderungss~rnnng. Sie ist allerdings et­was modifiziert, aber sie wird hervorgebracht dadurch, daß sich der Schauspieler bemühen wird, diesen Landruann - ich spreche über die Geste und über die Mimik erst in den folgenden Tagen, ich will heute nur von der Sprachgestaltung sprechen - soviel wie möglich mit geöffnetem Munde zu sprechen. Dadurch wird leise die a-Stimmung, welche die Szene beherrscht, die a-Empfindung etwas dumpf ins o hinübergezogen, und das soll sie ja.

Dadurch, daß dieser Landmann auftritt - und das ist die Feinheit Hamerlings -, dadurch ist künstlerisch, und das ist dasjenige, was man vor allen Dingen berücksichtigen muß, ganz abgesehen vom Prosa-inhalt der Szene, es ist künstlerisch dieser Übergang von der a o-Stim­mung zu der e a-Stimtnung wunderbar dargestellt. Sozusagen ist der Landmann dazu da, daß wir noch nachklingen hören die Stimmung

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für Danton und den allmählichen Übergang erwarten können zu der Stimmung für Robespierre, die wir im zweiten Teil der Szene finden werden, wo, ich möchte sagen, wie messingene Bleche die Unter­redungen der auftretenden Personen durcheinander «messingen».

Das ist ungefähr dasjenige, was man selber als Stimmung aufzu­nehmen hat, wenn man in dieser Szene drinnenstehen und sie sprach-gestalten will.

Wir befinden uns auf einem freien Platz vor der Kirche Notre­Dame.

EIN LANDMANN:

Wenn ich nur erfahren könnte, warum sie den steinernen Bildern über­all rote Mützen aufsetzen... Ich finde mich nicht mehr zurecht in diesem verwünschten Paris, obgleich ich vor fünfzehn Jahren einmal dagewesen. (Zwei Bürger treten au£)

ERSTER BÜRGER:

Auf dem Stadthause wimmelt's bereits wie in einem Ameisenhaufen -

zwEITER BÜRGER :

Mein Nachbar, der Barbier Rabaud, hat soeben die Göttin der Vernunft

frisiert.

Diese Bürger, das sind nun ganz andere Kerle als der Landmann. Die sind eben Pariser, haben sich hineingelebt in die Pariser Stimmung, die zu jener Zeit geherrscht hat, von der ich gesprochen habe, und sie kolorieren dasjenige, was der Landmann zunächst im Beginne der Szene als die Hauptsache entwickelt. Wir haben den ersten Bürger mit einer Art von i-Stimmung, den zweiten Bürger mit einer gesetz­teren ü-Stimmung uns zu denken, im Sinne dessen, was in den letzten Tagen besprochen worden ist. «Zweiter Bürger : Mein Nachbar, der Barbier Rabaud, hat soeben die Göttin der Vernunft frisiert.»

Gewiß, es ist richtig, daß das Publikum lacht, aber beim Sprechen handelt es sich darum, daß der, der das spricht, das mit revolutionärem Ernst tut. Das ist ein anderer Ernst als der gewöhnliche familiäre Ernst. Sie haben sich die Szene so vorzustellen, daß dasjenige, was ich zu­erst von dem Landmann sprechen ließ, er abseits für sich spricht. Die

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Bürger treten auf. Sie sind ein wenig entfernt. Der Landmann tritt zu den beiden.

DER LANDMANN (sich nähernd> :

Auf ein Wort, ihr Herren -

ERSTER BÜRGER:

«Ihr Herren?» - Da seht die ländliche Unschuld! - Es gibt keine Hetrcn mehr, Bauerntölpel!

Das Herr-sein ist ja abgeschafft!

DER LANDMANN :

Um Vergebung, wie komm' ich von hier in die Königstraße?

ERSTER BÜRGER :

Es gibt keine Könige mehr. Die Straße heißt jetzt Sansculottenstraße.

LANDMANN :

Finde mich nicht mehr zurecht hier in Paris, obgleich ich vor fünfzehn Jahren dagewesen. Alle Plätze, alle Straßen anders. - Heut' Morgen komm' ich an einer Kirche vorüber, denke : trittst ein, hörst eine Messe. Da seh' ich ein Gedräng' von Leuten, und auf der Kanzel stebt ein Mann, der predigt. Komme gerade recht zum Worte Gottes, denk' ich und hör' andachtig zu. Da merk' ich aber, daß der Mann auf der Kanzel entsetz-lich fluchte, obgleich ich ihn nicht recht verstand. War so ein schneidi­ges, gelbes, dünnes Mann chen; meinte jeden Augenblick, es werde ihm der Schaum vor den Mund treten. Als er aufhörte zu reden, da fingen die Leute wüst zu schreien an und taten wie besessen und klatschten gar mit den Händen, daß mir die Ohren gellten. - Ich schlug ein Kreuz und ging.

ERSTER BÜRGER (lachend) :

Armer Tropf, du bist unter die Frommen der Jakobinerkirche geraten -

LANDMANN :

Darauf kam ich in eine andere Kirche. Da sah ich einen Heiland auf dem Kreuz : dem war ein großer Schnurrbart angestrichen und eine rote Mütze aufgesetzt, und drunter stand geschrieben : «Jesus Christ von Nazareth, der erste Sansculotte.» Weiß denn die Obrigkeit von solchem Unfug nichts?

BÜRGER :

Mensch, hör' einmal, wie kommt's, daß du so wenig Wind hast vom neuesten Weltlauf? Sitzt ihr Bauern auf den Ohren?

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LANDMANN :

Ich bin sechs volle Jahre taub gewesen. Vorige Woche -BÜRGER :

Dekade sagt man jetzt - Dekade -LANDMANN :

Ei, wie? Dekade muß ich sagen? Also vorige Dekade - doch nein, es war noch Ende April -

BÜRGER:

Floreal, du verwünschter Kerl, Floreal -

LANDMANN:

Floreal? Potztausend! Ihr habt eine verwunderliche Art zu reden in Paris! - Nun also, im Floreal sagte ich zu unserem Dorfbader : «Herr», sagte ich, «ihr versteht den Teufel von der Sache; ich gehe nach Paris und lasse mich dort heilen!» Gesagt, getan. Ich ging, als ich das Reise-geld beisammen hatte, und verwichenen Sonntag -

ERSTER BÜRGER:

Es gibt keinen Sonntag mehr.

LANDMANN :

Was? keinen Sonntag?

Das andere ist etwas weiter weg, das kann et noch begreifen. Jetzt soll er auch begreifen, daß es keinen Sonntag mehr gibt!

BÜRGER:

Quintidi, guter Freund, wenn euch euer Leben lieb ist -

LANDMANN:

Nun meinetwegen! Am Crainte de Dieu also kam ich hier in Paris an, und heute, Gott sei Dank -

BÜRGER:

Gott sei Dank? Mensch, du nennst da ein bankrottes Haus! Die Firma Gott und Sohn mit der Prokuraführung des heiligen Geistes hat falliert -

LANDMANN:

Was? auch keinen Gott? da soll ja doch -

BÜRGER:

Räsonniere nicht, Mensch, und schweig, und laß deine Füße, so ge­schwind sie können, dich wieder nach deinem Dorfe zurücktragen. Du

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könntest Unglück haben auf dem Pflaster von Paris. Du könntest hier deinen Kopf verlieren, unversehens, wie einen Knopf von deinen Hosen. Mach' dich auf die Beine. Mensch - du bist verdächtig -

LANDMANN:

Wieso verdächtig? Was nennt ihr denn verdächtig?

BÜRGER:

Verdächtig? Sieh', das ist zum Beispiel einer, der Lilien in seinem Garten pflanzt - auch einer, dessen Bruder oder Vetter ins Ausland ging mit einem Emigranten als Kammerdiener - oder einer, der im Traum das Wörtlein König flüstert - oder der bleich wird, wenn sie seinen Neben­menschen an die Laterne hängen - Mach', daß du fortkommst, sonst lassen sie dich den Karpfensprung machen auf dem Gré veplatz -

LANDMANN:

Ich verstehe euch nicht.

BÜRGER :

Ich will sagen, sie wer den dich durchs rote Fenster gucken lassen -

LANDMANN:

Ich verstehe euch noch immer nicht.

BÜRGER :

Dummkopf! sie werden dich (macht eine bezeichnende Gebärde) mit

dem großen Nationaltasiermesser rasieren! Verstehst du's noch nicht? -Du wirst das große Los in der Lotterie der heiligen Guillotine gewinnen!

Verstehst du's jetzt?

LANDMANN :

Hol' mich der Geier, wenn ich diese Heilige jemals im Kalender gelesen habe.

BÜRGER :

Das ist eine wundetliche Heilige. - So eine Art von Eisenjungfrau, scharf versehn mit Schneidezähnen - denke dir zwei Galgenhölzer und ein blankes Beil querbalkengleich von oben - nun, du legst den Kopf auf einen Block - das Beil fällt nieder, ein wenig von der Seite - so -und sichelt den Kopf im Hui so glatt und reinlich dir herunter, daß es eine Lust, zu sehn. Der Kopf merkt gar nicht, daß er keinen Rumpf mehr hat, und niest deshalb auch manchmal unbefangen, als wäre nichts geschehn, noch in dem Sack, in welchen ihn der Knecht des Büttels wirft - als hätt' er etwa nur ,ne starke Prise geschnupft. - Guillotinieren heißt man das : ,s ist ,ne schöne, sanfte Todesart.

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LANDMANN :

Guillotiniert man viel?

BÜRGER :

So ein Schock täglich; auch mehr, wenn schönes Wetter ist.

Nun tritt ein Sansculotte auf. Wenn Sie sich den Sansculotte an­schauen, so kommen Sie am besten in ihn hinein, wenn Sie sich den Zusammenhang der a- und i-Stimmung vergegenwärtigen. Der Sans­culotte hat schon ein gewisses Erstaunen, aus dem heraus er seinen Enthusiasmus befeuert hat; aber er hat hinterher seine Freude, sein Selbstbewußtsein.

(Ein Schwarm von zerlumpten Männern und Weibern kommt gezogen, voran ein Sansculotte, der ein Beinkleid auf einer Pike trägt. Wüstes Geschrei: Ça ira! Ça ira!)

DER SANSCULOTTE (zu dem Landmann und den beiden Bürgern) :

Angeschlossen, Patrioten! angeschlossen und eingestimmt! Ça ira! Zu Ehren der Hose da, die wir eben einem Aristokraten abgezogen, weil er auf keine andere Weise ein Sansculotte werden wollte. Ça ira!

WEIBER (den Landmann umringend> :

Komm auf ein Tänzchen, Bäuerlein! Komm, wir tanzen die Carmagnole!

Der Sansculotte hat bemerkt, daß der Landmann schiecht hört.

SANSCULOTTE (zum Landmann, ihm ins Ohr schreiend) :

Ça ira gesungen, du Schelm, Ça ira!

LANDMANN (ängstlich) :

Verzeiht, ich bin gar nicht musikalisch!

SANsCULOTTE :

Höre, Kerl! wenn du nicht dümmer bist als die Rinder in deinem Stall, so mußt du Ça ira brüllen können, so gut als einer -

LANDMANN:

Verzeiht, ihr Herren -

SANSCULOTTE :

«Ihr Herren!» Habt ihr's gehört? An die Laterne mit dem Schuft!

#SE282-165

Wer zu dieser Zeit in Paris «Ihr Herren» sagte, der mußte an die Laterne. Da geht es nicht mehr!

BÜRGER :

Laßt ihn laufen; er ist volle sechs Jahre taub gewesen und erst heute

wieder geheilt worden.

SANSCULOTTE :

Dann hätte das erste, was er hörte, sein sollen, daß es keine Herren mehr gibt. Nicht einmal der Mainzer Nachtwächter singt mehr : «Lobet Gott den Herrn!» sondern : «Lobet Gott den Bürger!» - Schlingel! Kein Franzose benennt jetzt mehr den anderen Herr, sondern -LANDMANN :

Ich begreife, man sagt jetzt Kerl, Tropi, Schlingel, Schelm, und so der-gleichen -

SANSCULOTTE :

Was?

LANDMANN :

Ihr tituliert mich so -

SANSCULOTTE :

Dummkopf! das ist was anderes. Bürger sind jetzt alle Franzosen, hörst du! nicht mehr, noch weniger!

LANDMANN :

So sind wir's draußen auch in der Provinz, so gut als ihr, und können ein Wort mit drein reden?

SANSCULOTTE :

«Dreinreden?» Hört ihr, Leute? Der Kerl ist ein Föderalist! Ein ver­laufener Girondistenknecht! Er faselt von Autonomie der Provinz!

Das ist also schon etwas Überwundenes. Und der Sansculotte meint, der Landmann denke an die autonome Behörde in der Provinz, die noch in der Girondistenzeit eingeführt worden ist.

WEIBER :

Hängt ihn, hängt ihn! er ist ein Föderalist! (Man will ihn ergreifen.)

LANDMANN (ängstlich schreiend) :

Scharwache! Polizei! Zu Hilfe! - Mörder! Räuber! Diebe! Zu Hilfe!

(Einige lachen.)

#SE282-166

WEIBER :

Er nennt Sansculotten Räuber und Mörder! An die Laterne!

ALLGEMEINES GESCHREI :

An die Laterne! (Man ergreift ihn.)

DER SANSCULOTTE (dazwischen tretend) :

Einen Augenblick, Bürger! Keine blinde Wut! - Wenn man Septembet­mann gewesen, wie ich, so weiß man. wie das rechte Verfahren in sol­chen Dingen ist. - Höre, Schlingel!

LANDMANN :

Was hab' ich denn verbrochen?

SANScULOTTE (würdevoll) :

Mit dieser Frage verteidigt sich kein französischer Bürger und Patriot. Ob Föderalist oder nicht - ich will dir beweisen, daß du zehnmal gehängt zu werden verdienst, auch wenn du der republikanischen Freiheit nie ein Haar gekrümmt haben solltest. Ich frage dich bloß : Was hast du getan für die Freiheit? Wie hast du dich kompromittiert für die Freiheit? Was hast du getan, um gehängt zu werden, wenn eine Reaktion einträte und die Gemäßigten ans Ruder kämen?

LANDMANN :

Ich? 0 - wartet nur, ich besinne mich - ja, seht, es fällt mir etwas ein. -Ich fand einmal im Wald einen halbverhungerten Mann unter einem Haufen dürrer Streu versteckt - der machte mir solch jämmerlich fle­hende Zeichen - denn hören konnt' ich nur wenig von wegen der Taub­heit -, daß ich ihn mit nach Hause nahm, ihn labte und in aller Stille beherbergte. Als er abzog, vergaß er in der Dachstube etliche zerknitterte Papiere, aus welchen ich ersah, daß es ein gar gewichtiger Mann gewesen sein mußte, einer von denen, die jetzt hier in Paris regieren, - so einer aus eurem - wie heißt's doch gleich? hab' heute davon gehört - aus eurem Nationalkonvent. - Sah auch aus den Papieren, wie er hieß. Er hieß Bri - ja, es fällt mir schon ein, Brissot. - (Große Sensation im Volke, dann wildes Geschrei : Verräter! Verräter! Schurke!)

SANScULOTTE :

Still! - (Zum Landmann) Unglückseliger! du hast das Haupt der dem Henker verfallenen Girondisten und Föderalisten, der Gemäßigten, der heimlichen Volksverräter bei dir beherbergt! - Mensch, deine Sache ist eme verlorene. Dir ist nicht mehr zu helfen! Hängt ihn!

VOLK :

An die Laterne!

#SE282-167

EIN BÜRGER:

Ach, laßt ihn doch! Ihr seht ja, daß er ein Dummkopf ist, und sechs Jahre lang ist er taub gewesen. -

EINIGE STIMMEN:

Was? der Gewürzkrämer verteidigt ihn? Auch ein Verräter!

BÜRGER:

Bin ich nicht ein guter Patriot? Hab' ich nicht kürzlich bei der großen

Hungersnot meinen Zuckervorrat pfundweise ans Volk verteilt, ohne

Entgelt?

EIN FISCHWEIB :

Du betrogst uns mit dem Gewicht! Als ich mein Pfund zu Hause nach­wog, da fehlte dran ein halbes Lot!

WEIBER:

Hängt sie alle beide !

EINER AUS DEM VOLK:

Hier vor dem Bücherladen des wackeren Patrioten Momoro! (Man zerrt den Bauern gegen den Laternenpfahl, der vor Momoros Laden steht.>

MOMORO (tritt aus der Tür, sein Käppchen, das er auf dem kahlen Kopfe trägt, lüftend) :

Guten Morgen, Sansculotten! Was belieben die freien Männer und edien

Bürger zu treiben hier vor meiner Tür?

Momoro ist selber ein Bürger, aber wie Sie sehen werden, ein wich­tiger Mann, der ganz darinnensteht im gegenwärtigen Moment des revolutionären Lebens. Aber jetzt wird ihm auch der Boden unter den Füßen etwas heiß gemacht. Andere treten schon auf, die das, was ich das Messingene genannt habe, vorbereiten. Hier ist der Übergang von der Danton-Verehrung zur Robespierre-Verehrung, wo wir den Übergang von der a o-Stimmung zu dem e a werden spüren müssen. Die Robespierre-Verehrung tritt hier leise herein und das muß in der ganzen Stimmung zum Ausdruck kommen.

EINER AUS DEM VOLK:

Guten Morgen, Bürger Momoro. Wir hängen einen Föderalisten, einen

Girondistenknecht -

#SE282-168

MOMORO :

Gerade hier vor eines Patrioten Tür? - Laßt das bleiben, ehrenwerte Bürger der Republik ! Wozu haben wir denn das Revolutionstribunal, das ja ohnedies im ganzen wenig zu wünschen und wenig zu hängen übrig laßt? Und überhaupt, tut mir den Gefallen, hängt keinen, bevor er die neuesten Broschüren gelesen hat, die in meinem Buchladen soeben erschienen. Wenn ihr einen solchen Menschen tötet, so verfault der Kerl unnütz unter der Erde und labt höchstens die Würmer. Wenn ihr ihm aber Zeit laßt, die neuesten Broschüren zu lesen, so könnt ihr den wider­haarigsten Aristokraten in einen feuerspeienden Patrioten verwandeln, der hingeht und sich mit Freudentränen in den Augen jeden Augenblick für die Republik totschlagen läßt. Ich frage: was ist besser? - Da seht einmal (er weist einen Pack Flugblätter und Broschüren vor): «Neueste Trauerrede auf den Tod des göttlichen Marat» - «Laternenpfahl und Guillotine; fliegende Blätter für Freiheit, Gleichheit und allgemeine Menschenliebe» - «Neuer und unfehlbarer Plan, royalistische Städte bin­nen drei Tagen mit Nelkenöl in die Luft zu sprengen -».

Momoro redet am allernatürlichsten von allen. Er leitet hinüber zu dem anderen. Er steht im gegenwärtigen Augenblicke im besonderen Ansehen. Das muß man der Stimmung ansehen.

VOLK :

Hoch Momoro, der Patriot !

MOMORO:

Es lebe die Republik ! - Alies für wenige Sous ! - (Viele drängen sich herbei, die Blätter zu kaufen.)

SANSCULOTTE :

Du verkaufst deine Scharteken zu teuer, Bürger Momoro !

MOMORO:

Keinen Sou verdien' ich dran. Ihr kennt mich !

EIN zEITUNGSAUSRUFER :

Der «Vater Duchésne!» Der «Vater Duchésne» von heute ! Zwei Sous das Blatt ! - Er ist verzweifelt wild heute, der «Vater Duchésne» ! - Kauft das Journal des gefeierten Patrioten Hé bert ! - in 30000 Exemplaren ver­breitet ! Er ist verzweifelt wild heute, der «Vater Duchésne» !

Der Zeitungsausrufer führt vollends in die Mitgängerstimmung hinein. - Nichts aber mit den Zeitungen; Seine Broschüren soll man lesen.

#SE282-169

MOMORO (nachspottend) :

« Er ist verzweifelt wild heute, der Vater Duchésne ! » So ruft er alle Tage. 30000 Exemplare? Allen Respekt vor dem Bürger Hébert, aber ich habe mir sagen lassen, daß ganze Stöße seines Journals gratis in die Gasthöfe wandern - «für die Bedürfnisse der Reisenden ! » - hahaha ! für die « Be­dürfnisse» der Reisenden! - Das Gediegenste, was aus den Federn der Patrioten fließt, findet man doch immer noch bei Momoro. In meinem Hinterstübchen haben schon unter dem Königtum die radikalsten Män­ner Klub gehalten und halten da noch Klub heutigentags. -

ZEITUNGSAUSRUFER (spottend) :

Ja, Graukopf, sie halten Klub bei deinem jungen Weibchen.

MOMORO:

Tropf! sie bringen ihr den neuen republikanischen Kalender bei, der den Weihern so schwer in den Kopf will. Und mehr ! noch mehr ! O, die Patrioten wissen den alten Momoro zu schätzen, und um ihn zu ehren, haben sie, müßt ihr wissen, keine andere als eben sein Weibchen zur Göttin der Vernunft erkoren. Schon am frühen Morgen ist sie heut' abgeholt worden auf das Stadthaus, damit man für das Fest sie würdig herausputze. Nun, ihr werdet sehn ! Auf diesem selben Platze wird sie prangen.

ZEITUNGSAUSRUFER :

Und dir werden zur Feier des Tages die Hörner vergoldet?

VOLK:

Es lebe Momoro und sein Weibchen !

MOMORO (zu einem Manne, der ein Plakat an die Mauer klebt) :

Mensch, du klebst ja dein Plakat hier über ein anderes -

DER MANN:

Ach, das alte ist ein gemäßigtes; das da aber ist von der Kommune

VOLK (das sich indes immer zahlreicher gesammelt) :

Von der Kommune? laßt doch sehen !

EINER AUS DEM VOLKE (lesend) :

«Hébert und chaumette laden das souveräne Volk zurn heutigen Feste der Vemunft, das denkwürdig bleiben wird für alle Zeiten!»

VOLK:

Hoch Hébert ! Hoch Chaumette ! Hoch die Republik ! Ca ira! (Die Wei­ber tanzen.)

#SE282-170

EIN STELZFUSS (im Gedränge) :

Heißa ! springt und brüllt, wie ihr wollt, aber tretet einem verdienten Krieger der Republik Sein hölzernes Bein nicht weg !

Um die Stimmung völlig hinüberzuleiten, fast in die Art und Weise, wie der Ton Robespierres geklungen hat, tritt jetzt unter diejenigen Menschen, die da aus der ganz anderen Stimmung sich herauswinden, allmählich hinüberwinden in die andere Stimmung, einer heraus, der in einer gewissen Weise abnorm ist, einer mit einem Stelzfuße. Es tritt die i-Stimmung ein, die ich bei Robespierre genannt habe.

DER SANSCULoTTE (auf ihn zugehend) :

Was seh' ich? Battiste, du wieder in Paris? Verflucht - dein Bein -

STELZFUSS :

Hainbuchenes Kernholz.

SANSCULoTTE :

Brav gefochten für die Republik? Nicht Tod noch Teufel gefürchtet? Nie in Gefangenschaft geraten?

STELZFUss :

Bin ein einziges Mal von feindlichen Reitern allein überfallen worden, und da waren ihrer bloß vier -

SANsCULoTTE :

Viele Strapazen ausgestanden?

STELZFUss :

Donnerwetter ! Ihr habt es leicht, hier im warmen Paris als Ohnehosen herumzulaufen : aber im Feld kampieren und auf Vorposten stehen, ohne Schuh', in einer Kälte, bei welcher die Kinder im Mutterleibe erfrieren, so daß wir Schießpulver in den Branntwein tun mußten, um uns den Magen zu erwärmen? Dann wieder tagelang fechten in der Sonnenglut -

SANSCULOTTE :

Ach, was schadet das dem Krieger im Eifer des Gefechts?

STELZFUSS :

Natürlich, wenn dir eine Kanonenkugel den Kopf wegreißt. so stirbst du nicht am Sonnenstich -

EINER AUS DEM VOLKE:

Bist du nicht der, den sie als jungen Burschen den kleinen Barbier nann­ten - Gehilfe beim Barbier Flatte in der Straße Pompadour?

#SE282-171

STELZFUSS:

Der bin ich und habe mein Handwerk me verlernt. Zu Lille, wenn eine Bombe niederflog und vor mir platzte, griff ich eine Scherbe vom Boden auf, gebrauchte sie als Schüssel mit Seif' und Wasser und rasierte dann so zwanzig Kameraden auf dem Fleck. Ei, das gefiel euch wohl hier in Paris, wenn die Armee mit den geschwungenen Fahnen wegwedelte von Frankreichs Leib des Auslands Schmeißfliegenschwarm, der zahllos um­schwirrt - wenn ihr vernahmt, daß wir so Sieg auf Sieg erfochten, dach­tet ihr da hinterm Ofen wohl auch daran, wie oft wir barfuß liefen und tichts zu beißen hatten als Patronen, und oft nicht einmal die?

sANSCULOTTE :

Was? lassen nicht die Weiber von Paris ihre Männer zerrissen laufen, um Zelttücher und Uniformen für euch zu nähen? Behelfen wir uns nicht statt der klingenden Münze mit lumpigen wertlosen Assignaten? Was? Wfr nicht an euch gedacht? Und sind wir etwa müßig gewesen, indes ihr im Felde standet? In den Septembertagen hättest du hier sein sollen.

sTELZFUsS:

Kann mir's denken - erinnere mich noch recht gut, wie du vor drei Jahren einmal bei einem Volksfeste dem Pferde des Generals Lafayette, ohne daß es der General merkte, den Schweif an einen Laternenpfahl bandest, weil die Stute damit immer dir und anderen, die hinter dir stan­den, ins Gesicht flunkerte -

SANSCULOTTE :

Possen ! Aber in den Septembertagen -

STELZFUSs :

Ist es denn wahr, daß ihr in diesen Septembertagen zuletzt auch die sämtlichen seltenen Tiere in der Menagerie von Versailles habt über die Klinge springen lassen?

SANSCULOTTE :

Was? Die sämtlichen seltenen Tiere? Nein, nur die Löwen und die Adler, weil das die Könige der Tiere sind, und dann, was die sogenann­ten Wappentiere sind, wie sie die Aristokraten in ihren Wappen hatten -

STELZFUSS :

Teufelskerle ! Wie kam euch denn das so auf einmal?

SANSCULOTTE :

Weiß nicht. Auf einmal, sagst du? Gar nicht auf einmal. Es kam so nach und nach, wie der Appetit mit dem Essen -

#SE282-172

STELzFUSs :

Was sagten denn die Gemäßigten?

SANSCULoTTE :

Kein Wort. Hinter den Sansculotten stand die Kommune, und diese sel­ber deckte der breite Rücken Dantons, der sich damals eben zum ersten­mal aufgerichtet hatte als ein brüllender Leu. Gegen den waren die andern nur ein Rudel bissiger Hunde. Jetzt ist er träg geworden und überhaupt, wie alles große Getier, nicht so beständig munter und heiß-lustig wie die kleineren Kläffer.

EINER AUS DEM VOLK:

Ah, diesem Simson haben's auch die Weiber angetan.

SANSCULoTTE :

Ja, ja, doch sag ich euch, steht der noch einmal auf, so lang er ist, stößt er die Decke durch und reißt die Säulen im Tempel um, grad' wie der Simson auch -

EIN ANDERER :

Ach was, der steht nicht wieder auf Den hat der andre unter sich ge­bracht. Und dieser andre ist schlau -STELZFUSs :

Wer?

SANSCULoTTE :

Ei wer? Hast du von Robespierre im Lager nicht gehört?

STELZFUSS :

Robespierre? Robespierre? Ist das das kleine steife Männchen, das man spottweise das «Talglicht von Arras» nannte, weil er von Arras kam und gern glänzen wollte, aber nicht heller flackerte als eine Talgkerze? Sie lachten ihn immer aus, wenn er in der Nationalversammlung spre­chen wollte -

SANSCULOTTE :

Das war damals. Der führt jetzt im Nationalkonvent, im Wohlfahrts-ausschuß, im Jakobinerklub das große Wort.

STELZFUSS :

Ich sah ihn einmal - nur von fern. Trägt er nicht Brillen?

SANSCULOTTE :

Nein.

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sTELZFUSs :

Es kam mir doch so vor.

SANSCULOTTE :

Er hat ein gelbes Gesicht und bläulich-gräuliche Ränder um die Augen -die wirst du in deiner Einfalt aus der Entfernung für Brillen gehalten haben.

STELZFUSS :

Bleich im Gesicht?

ANSCULOTTE :

Gelb - grau - nein, eigentlich - wie soll ich sagen? Graugrün, wenn man's genau nimmt - tiefe Augen und widerhaar'ge Brau'n - ein schlich­tes Männchen; nichts gegen Danton ! Aber wenn vor dir hier Danton steht, der mächtige Koloß, und dort das schneid'ge Männchen Robes­pierre, sprichst du mit dem frei von der Leber weg wie mit dem jovialsten Kameraden, und vor dem andern stockt die Rede dir im Schlund - nicht grad' als ob er dich so dreist ansäh', im Gegenteil, sieht eher etwas schüchtern und unbehliflich aus vor vielem Volk - doch geh' nur einmal auf die Galerie des Nationalkonvents, sobald er spricht : da kennst du ihn nicht mehr. Wenn festen Schritts er steigt zur Rednerbühne, wird's so still, daß du die Mäuschen pfeifen hören kannst in Ihren Löchern. Steht er anfangs dann aufrecht und ruhig droben wie ein Pfahl und spricht gelassen, denkst du : nun, er spricht nur eben wie ein Schulmeister, oder wie ein Pfaff spricht auf der Kanzel - plötzlich aber wirft er ein paar Worte hin mit einer Stimme, so kalt und scharf wie Stahl - in einem Ton, daß dir ein Schauer übern Rücken läuft - und fängt dann gar der Winkel seines Mundes zu zucken an, und ruft er bittersaß in seiner schaffen, schneidigen Manier : «Du armes Volk!» und «Tugendhaftes Volk ! » da packt dich was im Herzen wie ein Krampf: du legst die Hand ans Messer, wenn du eins verbirgst an deiner Brust, und möchtest gern dich vor ihm niederwerfen und ihn fragen, wen du zuerst von den verfluchten Fein­den der Republik damit durchstoßen sollst. - Zuweilen aber schweigt er wochenlang und läßt die andern reden. Es geschehn viel Dinge noch, von welchen man nicht weiß, ob sie ihm lieb sind oder leid. Zuweilen laviert er bloß und wartet auf den Wind. Eben in letzter Zeit ist er wieder sehr schweigsam geworden.

Sie sehen, meine lieben Freunde, es wird in einer so schönen Weise Robespierre eingeführt, daß der Sansculotte gewissermaßen aus seiner Sansculotten-Rolle fällt und charakterisierende Persönlichkeit wird in

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ganz außerordentlicher Weise. Das ist etwas, was, wenn es in der anschaulichen Weise, wie ich es gemeint habe - ich will ja nicht rezi­tieren, ich will nur interpretieren; rezitieren ist ja Frau Dr. Steiners Aufgabe bei diesen Vorträgen; aber ich will nur kolorieren, registrie­ren -, wenn es so hingestellt wird, so koloriert dazu führt, daß man gerade an dieser Ansprache des Sansculotten an das Volk diesen Um­schwung fühlt, den ich angedeutet habe. Und es ist durch dasjenige -wir werden ja solche Dinge andeuten, was man gerade an dieser Stelle durch die Regie zu tun hat -, es ist der Übergang von der ersten Stimmung in die zweite Stimmung eingetreten, die jetzt kommt und die sich ausgießt wie etwas halb Chaotisches, Wüstes; ich sagte : ein ineinander Messingen.

EIN SCHREIBER DER KOMMUNE (erscheint mit Handiangern, die Bretter und Handwerksgeräte mit sich tragen) :

Platz da ! Platz, Sansculotten ! Das Gerüst für die Göttin der Vernunft und für die Redner wird aufgeschlagen ! Der Festzug wird in kurzer Zeit da sein.

Da tritt die ö-Stimmung ein. Es wird vorne gesprochen, an dem vorderen Gaumen ans chlagend mit der Sprache. In der ÖL Stimmung :

VOLK :

Ça ira! Es lebe die Göttin der Vernunft !

SCHREIBER (zu den Handlangern) :

Hierher, ihr Leute ! in der Mitte des Platzes ! Notre-Dame gerade gegen­über ! (Die Handlanger machen sich an die Arbeit.)

Von da ab müssen die Weiber mehr in der ei-Stimmung sprechen, weil eben durch das Auftreten Robespierres etwas wie ein spröder liehender Enthusiasmus in die Revolutionsstimmung hineinkommt.

EIN WEIB:

Seht nur, daß es nicht wieder so geht, wie im Vorigen Jahre bei dem großen Feste, wo sich ein paar Kerle unter den Brettergrund des Ge­rüstes Versteckten - Vermutlich um die Männer und Frauen, die darauf standen, in die Luft zu sprengen, - bis man sie entdeckte, herVorzog und totschlug.

#SE282-175

DER SCHREIBER (schäkernd) :

Ach, das waren bloß ein paar Verehrer eures Geschlechts, die durch die Ritzen heraufblinzelten... Was läge daran, wenn man heute der Ver­nunft ein wenig nach den Waden guckte? Sein Augenmerk auf die Ver­nunft und all ihr Detail zu richten, ist ja fortan Bürgerpflicht !

WEIBER (ihn umringend) :

Du Schelm ! - Werden sie bald da sein?

SCHREIBER :

Sogleich.

WEIBER:

Heißa, gleich werden sie da sein ! Es lebe Hébert und Chaumette ! Es lebe die Kommune ! Es lebe der Konvent ! Es lebe Danton ! Es lebe Robespierre !

Nun, ich habe Ihnen die Szene zunächst illustrierend zeigen wollen, wie sie tatsächlich Zu behandeln ist. Ich habe etwas stärker koloriert, als das dann sein muß, um zu zeigen, wie bei dieser Szene vorzugs­weise differenziert werden muß, wie Stimmungen scharf herausge­hoben werden müssen in der Lautbehandlung. So wie man den Bauern, den Landmann, mit dem offenen Munde der a-Stimmnng durchaus sprechen muß, so daß in jeden Laut etwas von dem a hm.­eintönt, so muß man zum Beispiel diesen Schreiber so sprechen, daß in jedem seiner Laute etwas von dem i hineintönt, daß also vor diesem i-Verschluß, auf den ich Sie aufmerksam gemacht habe, die S~rne stets etwas anschlägt an den vorderen Gaumen. Das sind Dinge, die durchaus herausgearbeitet werden müssen und die dann dazu führen können, in wirklich praktischer Weise die Sprache zu gestalten.

Davon dann morgen weiter.

ZWEITER TEIL Regie- und Bühnenkunst ACHTER VORTRAG Dornach, 12. September 1924 Innere Anpassung an das bildhafte und plastisch gestaltete Sprachliche

#G282-1969-SE177 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

ZWEITER TEIL

Regie- und Bühnenkunst

ACHTER VORTRAG

Dornach, 12. September 1924

Innere Anpassung an das bildhafte und

plastisch gestaltete Sprachliche

#TX

Wir werden nun, um dasjenige, was in den letzten Betrachtangen gesagt worden ist, weitet zu erhärten, heute es zunächst zu tun haben mit dem Anhören einer durch Frau Dr. Steiner vorzubringenden Re­zitation. Wir werden eine dramatische Szene hören, welche durch ihre eigene Gestaltung in einer besonderen Weise veranschaulichen kann, wie derjenige, der Bühnenkunst sucht, in die Sprachgestaltung hin­einkommen kann.

Dieses Hineinkommen in die Sprachgestaltung beruht in vieler Be­ziehung darauf, daß eine gewisse innere Anpassung an das plastisch Gestaltete und Bildhafte des Sprachlichen geschehen kann. Man wird leicht Mühe haben, aus einer gewissen, ich möchte es nennen, Grau-heit der Sprache im Dramatischen oder überhaupt im Rezitieren her­auszukommen. Und Grauheit der Sprache nenne ich das Haftenbleiben bei der Prosagestaltung, wie man es im Leben gewohnt ist.

Daß man nach dieser Richtung eine Art Reformbewegung wird ein­treten lassen müssen, geht wohl schon daraus hervor, daß in der letzten Phase der Entwickelung der schauspielerischen Kunst, welche ins Un­künstlerische hineingeführt hat, hauptsächlich angestrebt worden ist, sozusagen kunstlos zu sprechen, beim Sprechen nur an dasjenige zu apperneren, was in naturalistischer Weise aus dem gewöhnlichen Leben hergenommen werden kann. Man darf sogar sagen : In vieler Bezie­hung ist es nach dieser Richtung dem Naturalismus gelungen, sogar in seiner Art Ausgezeichnetes, aber nicht eigentlich Künstlerisches zu leisten.

Man konnte manchmal in den letzten Jahrzehnten ganz erstaunt sein, diesem oder jenem naturalistischen Versuch auf der Bühne bei­zuwohnen, denn man stand vor der Erscheinung, daß ein Stil, der

#SE282-180

das Dargestellte in eine gewisse künstlerische Sphäre hebt, überhaupt nicht mehr gesucht worden ist; dagegen fühlte man sich oft in die reinste Wirklichkeit, die man ja auch im gewöhnlichen Leben hat, hineinversetzt. Aber man möchte da ganz trivial sagen : Dazu geht man schließlich nicht gerade ins Theater.

Derjenige, der reinen Naturalismus in der künstlerischen Darstel­lung sucht, der gleicht einem Menschen, der nicht ein künstlerisch gemaltes Porträt haben will, dem das gar nicht gefällt, sondern der eigentlich nur eine Photographie haben möchte, vielleicht eine Farben-photographie, weil er diese besser versteht. Aber gerade das Hinauf-heben ins Künstlerische besteht darinnen, daß man mit ganz anderen Mitteln Wahrheit in der Kunst offenbart, als die Natur mit ihren Mitteln unmittelbar Wahrheit offenbart.

Wahrheit muß da sein in der Natur; Wahrheit muß da sein in der Kunst. Aber die Wahrheit in der Natur leuchtet dem Geiste entgegen; aus der Wahrheit in der Kunst leuchtet der Geist heraus. Und wenn man sich an solch eine Sache hält, dann bedeutet das, daß man den Weg zum Stil aus innerem künstlerischen Bedürfnis heraus suchen und auch finden will.

Daher ist es eine gute Übung, auch einmal die Sprachorgane hin­einzubringen in ein Sprechen, das abweichen muß von dem gewöhn­lichen naturalistischen Sprechen, durch seine eigene, individuelle Eigenart abweichen muß. Und wir werden sehen, wie das Sprach­gestaltende von demjenigen abweichen muß, was im gewöhnlichen Leben normal vorhanden ist, indem wir uns die Szene anhören aus Lessings «Minna von Barnhelm», in welcher der Riccaut de la Mar­liniére auftritt, der nicht so sprechen kann, wie man gewöhnlich spricht, weil er Franzose ist und deutsch spricht. Da ist einfach durch die Natur der Sache die Stilisierung notwendigerweise gegeben. Und er schaltet ja immerfort dem Deutschen Französisches ein, spricht das Deutsche mit französischer Intonation.

Wenn man an solchen Dingen die Sprachgestaltung übt, so kommt man schon in jene Geläuügkeit hinein, die Stil hat, und aus diesem Grunde wollen wir uns diese Szene einmal anhören aus «Minna von Barnhelm».

#SE282-181

Frau Dr. Steiner : Riccaut de la Marliniére kommt in das Hotel-Zimmer, wo er glaubt, den Major Teliheim zu finden.

RICCAUT (noch innerhalb der Szene> :

Est4l permis, Monsieur le Major?

FRANZISKA :

Was ist das? Will das zu uns? (Gegen die Türe gehend.)

RICCAUT:

Parbleu ! 1k bin unriktig, - Mais non - 1k bin nit unriktig. - C'est sa chambre -

FRANZISKA :

Ganz gewiß, gnädiges Fräulein, glaubt dieser Herr, den Major von Tell­heim noch hier zu finden.

RICCAUT :

Iß so! - Le Major de Tellheim; juste, ma beile enfant, c'est lui que je cherche. Oü est-il?

FRANZISKA :

Er wohnt nicht mehr hier.

RICCAUT :

Gomment? nok vor vierunswanzik Stund hier logier? Und logier nit mehr hier? Wo logier er denn?

DAS FRAULEIN (die auf ihn zukommt) :

Mein Herr, -

RICCAUT:

Ah, Madame, - Mademoiselle, - Ihro Gnad, verzeih -DAS FRÄULEIN :

Mein Herr, Ihre Irrung ist sehr zu vergeben und Ihre Verwunderung

sehr natürlich. Der Herr Major hat die Güte gehabt, mir, als einer Frem­den, die nicht unterzukommen wußte, sein Zimmer zu überlassen.

RIcCAUT :

Ah voilá de ses politesses ! C'est un trés galant-homme que ce Major !

DAS FRÄULEIN :

Wo er indes hingezogen, - wahrhaftig, ich muß mich schämen, es nicht zu wissen.

#SE282-182

RIccAUT :

Ihro Gnad nit wiß? C'est dommage; j ,en suis fâché.

DAS FRÄULEIN :

Ich hätte mich allerdings darnach erkundigen sollen. Freilich werden ihn seine Freunde noch hler suchen.

RICCAUT:

Ik bin sehr von seine Freund, Ihro Gnad -

DAS FRÄULEIN:

Franziska, weißt du es nicht?

FRANZISKA :

Nein, gnädiges Fräulein.

RIcCAUT:

Ik hatt ihn zu sprek sehr notwendik. Ik komm ihm bringen eine nou­velle, davon er sehr frölik sein wird.

DAS FRÄULEIN :

Ich bedaure um so viel mehr. - Doch hoffe ich, vielleicht bald ihn Zu sprechen. Ist es gleichviel, aus wessen Munde er diese gute Nachricht erfährt, so erbiete ich mich, mein Herr -

RIcCAUT :

Ik versteh. - Mademoiselle parle français? Mais sans doute; telle que je la vois ! - La demande étalt bien impolie; vous me pardonnerez, Made­moiselle. -

DAS FRÄULEIN :

Mein Herr -

RICCAUT:

Nit? Sie sprek nit Französisch, Ihro Gnad?

DAS FRÄULEIN:

Mein Herr, in Frankreich würde ich es zu sprechen suchen. Aber warum hier? Ich höre ja, daß Sie mich verstehen, mein Herr. Und ich, mein Herr, werde Sie gewiß auch verstehen : sprechen Sie, wie es Ihnen beliebt

RIcCAUT:

Gutt, gutt ! Ik kann auk mik auf Deutsch explizier. - Sachez donc, Made. moiselle, - Ihro Gnad soll also wiß, daß ik komm von die Tafel bei der Minister - Minister von - Minister von - wie heiß der Minister da drauß? in der lange Straß? - auf die breite Platz? -

#SE282-183

DAS FRÄULEIN :

Ich bin hier noch völlig unbekannt.

RICCAUT :

Nun, die Minister von der Kriegsdepartement. - Da haben ik Zu Mittag gespeisen; - ik speisen á l'ordlaire bei ihm, - und da iß man gekommen reden auf der Major Telllaeim; et le Ministre m'a dit en confidence, car Son Excellence est dc mcs amis, et il n'y a point dc mystéres entre nous. -Se. Excellenz, will ik sag, haben mir vertrau, daß die Sak von unserm Major sei auf den point zu enden und gurt zu enden. Er habe gemakt ein rapport an den Könik, und der Könik habe darauf resolvier, tout-á­fait en faveur du Major. - Monsieur, m'a dit Son Excellence, Vous comprenez bien, que tout dépend de la maniére, dont on fait envisager les choses au mi, et vous me connaissez. Cela fait un trés-joli garçon que cc Tellheim, et ne sais-je pas que vous l'aimez? Les amis de mcs amis sont aussi les miens. Il coute un peu cher au roi cc Tellheim, mais est-ce que l'on sert les rois pour rien? Il faut s'entr'aider en ce monde; et quand il s'agit de pertes, que cc mit le roi, qui en fasse, et non pas un honnìte­homme de nous autres. Voilá le prineipe, dont je ne me dépars jarmais. -Was sag Ihro Gnad hierzu? Nit wahr, das ill ein brav Mann? Ah ! que Son Excellence a le ceeur bien placé ! Er hat mir au reste versiker, wenn der Major nit schon bekommen habe une lertre de la rniin - eine Könik­liken Handbrief, daß er heut irfailliblement müsse bekommen einen.

DAS FRÄULEIN :

Gewiß, mein Herr, diese Nachricht wird dem Major von Tellheim höchst angenehm sein. Ich wünschte nur, ihm den Freund zugleich mit Namen nennen zu können, der soviel Anteil an seinem Glücke nimmt. -

RICCAUT:

Mein Namen wünscht Ihro Gnad? - Vous voyez en moi - Ihro Gnad seh in mik le Chevalier Riccaut de la Marliniére, Seigneur de Pret-au-val, de la Branche de Prensd'or. - Ihro Gnad steh verwundert, mik aus so ein groß, groß Familie zu hören, qui est véritablement du sang Royal. -Il faut le dire; je snis sans doute le Gadet le plus avantureux, que la maison a jamais eu. - Ik dien von meiner elfte Jahr. Ein Affaire d'honneur makte mik fliehen. Darauf haben ik gedienet Sr. Päpstliken Eilikheit, der Republik St. Marino, der Kron Polen und den Staaten-General, bis ik endlik bin worden gezogen hieher. Ah, Mademoiselle, que je voudrais n'avoir jamais vu ce pays-lá ! Hätte man mik gelaß im Dienst von den Staaten-General, so müßt ik nun sein aufs wenikst Oberst. Aber so hier immer und ewig Gapitaine geblieben und nun gar sein ein abgedankte Capitaine. -

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DAS FRÄULEIN:

Das ist viel Unglück

RICCAUT:

Oui, Mademoiselle, me voilá reformé, er par-lá mis sur le pavé !

DAS FRÄULEIN :

Ich beklage sehr.

RICCAUT :

Vous ìtes bien bonne, Mademoiselle. - Nein, man kenn sik hier nit auf den Verdienst. Einen Mann wie mik su reformir ! Einen Mann, der sik nok dasu in diesem Dienst hat roninir ! - Ik haben dabei sugesetzt mehr als swansik tausend livres. Was hab ik nun? Tranchons le mot, je n'ai pas le sou, et me voilá exactement vis-á-vis du rien. -DAS FRÄULEIN :

Es tut mir ungemein leid.

RICCAUT :

Vous ìtes bien bonne, Mademoiselle. Aber wie man pfleg zu sagen : ein jeder Unglück schlepp nak sik seine Bruder; qu'un mallieur ne vient jamais seul : so mit mir arrivir. Was ein honnite-homme von mein ex­traction kann anders haben für ressource als das Spiel? Nun hab ik immer gespielen mit Glück, so lang ik hatte nit von nöten der Glück.

Nun ik ihr hätte von nöten, Mademoiselle, je joue avec un guignon, qui surpasse toute croyance. Seit funfsehn Tag iß vergangen keine, wo sie mik nit hab gesprenkt. Nok gestern hab sie mik gesprenkt dreimal. Je sais bien, qu'il y avait quelque chose de plus que le jeu. Car parmi mes pontes se trouvaient certaines dames - Ik will niks weiter sag. Man muß sein galant gegen die Damen. Sie haben auk mik heut invitir, mir su geben revanche; mais - Vous m'entendez, Mademoiselle - Man muß erst wiß, wovon leben, ehe man haben kann, wovon su spielen. -DAS FRÄULEIN:

Ich will nicht hoffen, mein Herr -

RICCAUT:

Vous ìtes bien bonne, Mademoiselle -

DAS FRÄULEIN (nimmt die Franziska beiseite) :

Franziska, der Mann dauert mich im Ernste. Ob er mir es wohl übel nehmen würde, wenn ich ihm etwas anböte?

FRANZISKA :

Der sieht mir nicht darnach aus.

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DAS FRÄULEIN :

Gut ! - Mein Herr, ich höre, - daß Sie spielen, daß Sie Bank machen, ohne Zweifel an Orten, wo etwas zu gewinnen ist Ich muß Ihnen be­kennen, daß ich - gleichfalls das Spiel sehr liebe. -

RIcCAUT:

Tant mieux, Mademoiselle, tant mieux ! Tous les gens d'esprit aiment le jeu á la fureur.

DAS FRÄULEIN :

Daß ich sehr gerne gewinne; sehr gern mein Geld mit einem Manne wage, der - zu spielen weiß. - Wären Sie wohl geneigt, mein Herr, mich in Gesellschaft zu nehmen? mir einen Anteil an Ihrer Bank Zu gönnen?

RICCAUT:

Comment, Mademoiselle, vous voulez itre de moitié avec moi? De tout mon cceur.

DAS FRÄULEIN :

Fürs erste nur mit einer Kleinigkeit - (Geht und langt Geld aus ihrer Schatulle.)

RICCAUT:

Ah, Mademoiselle, que vous ìtes charmante ! -DAS FRÄULEIN :

Hier habe ich, was ich unlängst gewonnen, nur zehn Pistolen - ich muß mich zwar schämen, so wenig -

RICCAUT:

Donnez toujours, Mademoiselle, donnez. (Nimmt es.)

DAS FRÄULEIN :

Ohne Zweifel, daß Ihre Bank, mein Herr, sehr ansehnlich ist -

RICCAUT:

Ja wohl, sehr ansehnlik. Sehn Pistol? Ihro Gnad soll sein dafür interessir bei meiner Bank auf ein Dreiteil, pour le tiers. Swar auf ein Dreiteil sollen sein - etwas mehr. Dok mit einer schöne Damen muß man es nehmen nit so genau. Ik gratulier mik, su kommen dadurk in liaison mit Ihro Gnad, et de ce moment je recommence á bien augurer de ma fortune.

DAS FRÄULEIN :

Ich kann aber nicht dabei sein, wenn Sie spielen, mein Herr.

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RICCAUT :

Was btauk Ihro Gnad dabei su sein? Wir andern Spieler sind ehrlike Leut untereinander.

DAS FRÄULEIN:

Wenn wir glücklich sind, mein Herr, so werden Sie mir meinen Anteil schon bringen. Sind wir aber unglücklich -

RICCAUT:

So komm ik holen Rekruten. Nit wahr, Ihro Gnad?

DAS FRÄULEIN:

Auf die Länge dürften die Rekruten fehlen. Verteidigen Sie unser Geld daher ja wohl, mein Herr.

RICCAUT:

Wofür seh mik Ihro Gnad an? Für ein Einfalspinse? für ein dumme Teuf?

DAS FRÄULEIN :

Verzeihen Sie mir -

RICCAUT:

Je suis des bons, Mademoiselle. Savez-Tous ce que cela veut dire? Ik bin von die Ausgelernt -

DAS FRÄULEIN :

Aber doch wohl, mein Herr -

RICCAUT:

Je sais monter un coup -

DAS FRÄULEIN (verwundert) :

Sollten Sie?

RICCAUT :

Je file la carte avec une adresse -

DAS FRÄULEIN:

Nimmermehr !

RICCAUT:

Je fais sauter la coupe avec une dextérité -

DAS FRÄULEIN :

Sie werden doch nicht, mein Herr?

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RICCAUT:

Was nit? Ihro Gnad, was nit? Donnez-moi un pigeonneau á plumer, et -

DAS FRÄULEIN :

Falsch spielen? betrügen?

RICCAUT :

Comment, Mademoiselle? Vous appelez cela betrügen? Corriger la for­tune, l'enchalner sous ses doigts, etre sür de son fait, das nenn die Deutsch betrügen? Betrügen? O, was ist die deutsch Sprak für ein arm Sprak! für ein plump Sprak !

DAS FRÄULEIN :

Nein, mein Herr, wenn Sie so denken -

RICCAUT:

Laissez-moi faire, Mademoiselle, und sein Sie ruhik ! Was gehn Sie an, wie ik spiel? - Gnug, morgen entweder sehn mik wieder Ihro Gnad mit hundert Pistol, oder seh mik wieder gar nit - Votre trés-humble, Ma­demoiselle, votre trés-humble - (Eilends ab.>

DAS FRÄULEIN (das ihm mit Erstaunen und Verdruß nachsieht) :

Ich wünsche das letzte, mein Herr, das letzte !

Nun, meine lieben Freunde, warum brauchen wir eigentlich Sprach-gestaltung als eine besondere Kunst der dramatischen Darstellung?

Wenn man dem Bühnenkünstier gegenübersteht, so hande]t es sich darum, daß von Kunst dann nicht die Rede sein kann, wenn man Ihm 50 gegenübersteht, wie man einem Unterredner im gewöhnlichen Leben gegenübersteht. Einem Unterredner im gewöhnlichen Leben Steht man gegenüber, indem man seine Worte anhört und eigentlich auf den Klang der Worte, auf die Intonierung, auf die Sprachgestal­tung einen möglichst geringen Wert legt. Man hört eigentlich nur SO ZU in bezug auf die Wortgestaltung, auf die Sprachgestaltung, wie man durch eine durchsichtige Scheibe hinschaut auf dasjenige, was hin­ter der durchsichtigen Scheibe ist. Das Wort ist gewissermaßen für das gewöhnliche Leben durchsichtig geworden, sagen wir, durchliörlich geworden. Man achtet nicht auf seine Eigengestaltung. Das muß in der dramatischen Darstellungskunst, der Bühnenkunst, wiederum an­gestrebt werden, daß das Wort selbst gehört wird; daß man nicht bloß durch das Wort wie durch eine durchsichtige Scheibe den Wald, so

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durch das Wort auf dasjenige schaut, was man vom anderen verstehen will, was einem der andere inhaltlich, gedanklich, empfindungsgemäß und so weiter sagen will, sondern daß man das Wort selber hört und im Hören des Wortes einen gewissen Inhalt erlebt. Aber weil das Ge­dankliche eigentlich der Tod der Kunst ist, ist es in dem Augenblicke, wo die Offenbarung eines Wesenhaften ins Gedankliche übergeht, mit der Kunst schon vorbei. Man muß hören, sehen dasjenige, was die Kunst darstellen will.

Nun aber hat man es in der Bühnenkunst mit Menschen zu tun, die ja auch denken, empfinden; und die Darstellung bezieht sich auf Menschen. Das ist die Hauptsache. Es wird einem daher gerade des­halb, weil man das Wort gestalten muß, etwas vom Menschen ver­lorengehen im Worte, das gestaltet ist, das einen künstlerischen Eigen­wert überall aufweist. Das muß von anderer Seite her kommen. Und das kann in der Bühnenkunst nur kommen von dem Mimischen, von der Geste, von der Gebärde.

Damit aber wird schon der Übergang Zu demjenigen gefunden, was die bloße Rezitations- und Deklamationskunst hinüberführt in die eigentliche Bühnenkunst, was notwendig macht, daß es eine richtige Bühnenschulung gäbe, eine richtige Schauspielerschulung gäbe.

Wiederum kann ja nur, ich möchte sagen, das Ideal der Schau­spielerschulung mit Bezug auf das Mimische, das Gebärdenhafte hier dargelegt werden. Denn unter den heutigen Verhältnissen wird nur in mehr oder weniger großer Entfernung sich derjenige, der Bühnen­kunst übt, dem nähern können, was in dieser Beziehung ideal ist. Aber gerade durch das Hinstellen desjenigen, was eigentlich da sein müßte, was angestrebt werden müßte, wird man auch in beschränk­teren Verhältnissen den Weg finden zu der eben durch die Verhält­nisse bedingten Annäherung.

Und so wollen wir denn einmal die Frage aufwerfen : Wie müßte man etwa die schauspielerische Schulung gestalten? - Da aber möchte ich gleich von vornherein etwas sagen, was Mißverständnisse aus dem Wege räumen kann. Mit Bezug auf die Bühnenkunst, gerade deshalb, weil man es mit lebendigen Menschen und ihren Ausdrucksformen zu tun hat, kann man selbst im Schulmäßigen, das was sein muß, eigentlich

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nur immer so vorgehen, daß man Beispiele gibt, das heißt, daß man die Anleitungen so gibt, daß sie als Beispiele aufgefaßt werden kön­nen; gewissermaßen immer einen Fall unter vielen gibt. Denn die Freiheit des Künstlers muß gerade im Bühnenmäßigen in alleräußer­ster Weise respektiert werden.

Es kann sich nicht darum handeln, daß man Anweisungen in der Schule empfängt, die in pedantischer Weise festgehalten werden müs­sen, sondern daß die Anweisungen so gegeben werden, wie man es eben gut machen kann, aber die völlige Freiheit gelassen wird, nun in dem Geiste solcher Anweisungen weiterhin gestaltend Zu wirken. So sind die Dinge gemeint, die ich nun vorbringen werde.

Sehen Sie, ich habe gleich im Beginne dieser Auseinandersetzungen darauf aufmerksam gemacht, wie man zum Beispiel in der griechi­schen Gymnastik etwas hat, was instinktiv der menschlichen Orga­nisation abgenommen ist, indem die fünf Betätigungen, Laufen, Springen, Ringen, Diskuswerfen, Speerwerfen, tatsächlich mit einer gewissen Steigerung aus demjenigen heraus kommen, was die mensch­liche Natur verlangt.

Nun wird man gemäß der Entwickelung ins Moderne herein für heutige gymnastische Bewegungen die alten Formen etwas modifi­zieren müssen; aber im wesentlichen werden wir dennoch eine gute Vorstellung bekommen, wenn wir Laufen, Springen, Ringen und so weiter uns von dem Geist beseelt denken, wie es in der griechischen Gymnastik der Fall war. Denn diese griechische Gymnastik harte et­was Geniales und wirkte in ihrer Art wirklich echt künstlerisch und echt geistig. Natürlich, die Kürze der Zeit hindert uns daran, einzu­gehen darauf, wie die Dinge etwas modifiziert werden können; aber dasjenige, was eigentlich gemeint ist, werden Sie auch ersehen, wenn ich die Auseinandersetzung so gestalte, daß ich einfach die Worte für die griechische Gymnastik gebrauche.

Eine eigentliche Schauspielschule sollte mit einer in diesem grie­chischen Geiste gehaltenen Gymnastikschule beginnen, und es sollte richtig in moderner Gestalt geübt werden : Laufen, Springen, Ringen, Diskuswerfen oder etwas ähnliches, Speerwerfen oder etwas ähnliches. Warum? Nicht, damit der Schauspieler das kann, denn ich will den

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Schauspieler selbstverständlich nicht zum Ausüber solcher Künste machen. Nut dadurch kann die Schauspielkunst sich veredeln, daß sie nicht in das Zirkusmäßige hinein «reinhardtet», sondern daß sie sich ablöst von allem Zirkusmäßigen, daß sie sich tatsächlich annähert an die edle Wiedergabe des Dichterisch-Künstlerischen. Aber es han­delt sich dabei um etwas ganz anderes, wenn die Schauspielschule mit Gymnastik beginnen soll. Es handelt sich darum, daß der Schau­spieler gerade dieses in ihm Selbstverständlichwerden der Wortgestal­tung durch Gymnastik lernen soll. Das muß Instinkt werden.

Aber Instinkt werden muß auch das Mimische, das Gebärdenhafre; das erst recht. Es soll auf der einen Seite nicht naturalistisch sein, es soll stilvoll, künstlerisch sein, es soll sozusagen wie aus der geistigen Welt heraus wirken; aber es soll dem Schauspieler so selbstverständ-lich werden wie dem gewöhnlichen Menschen seine Aufführung im gewöhnlichen Tagesleben, wenn er nicht kokett ist, nicht ein eitler Fatzke ist, sondern sich benimmt, wie man sich eben selbstverständ­lich benimmt. So auch soll das künstlerische Gestalten des Wortes, der Gebärde, der Physiognomie dem Schauspieler selbstverständlich werden.

Er muß also in gewissem Sinne dem bewußten Erlernen ein instink­tives Erleben beimischen, sonst werden dle Dinge nicht selbstver­ständlich, sonst werden sie immer gemacht erscheinen.

Nun lernt man aber, wenn man kunstvoll laufen lernt, auf der Bühne gehen so, daß das Gehen das Wort artikuliert. Laufen : Gehen.

Laufen : Gehen, so, daß das Gehen das Wort artikuliert.

Denn, sehen Sie, alles, was der Verstand des Zuschauers erfassen soll, was nicht gehört werden soll im gestalteten Worte, soll man aus der Gebärde, aus dem Mimischen verstehen.

Was der Schauspieler spricht, soll man anhören. Was der Schau­spieler tut, das soll man mit einem gewissen Instinkt verstehen, die Gebärde, das Mienenspiel. Da darf der Verstand heran, weil er das im gewöhnlichen Leben nicht tut, wenigstens nicht begreifend tut, weil da Künstlerisches eintreten kann.

Beim Springen lernt man jenes modifizierte Gehen auf der Bühne,

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ob man langsam zu gehen hat bei irgendeiner Passage, ob man schnell zu gehen hat, man lernt es instinktiv in der Anpassung an jene Wort-gestaltungen, die ich in diesen Vorträgen als das Schneidende der Worte, das Volle der Worte bezeichnet habe, das langsam Gezogene der Worte, das kurz Abgemessene, das Harte, das Sanfte. Das alles muß in entsprechender Weise auf der Bühne begleitet werden mit modifiziertem Gehen. Weder derjenige, der auf der Bühne spricht, noch derjenige, der zuhört, kann in willkürlicher Weise gehen. In bezug auf dle Schnelligkeit des Gehens muß man richtig Schnellig­keit und Langsamkeit des Gehens lernen, oder jene völlige Langsam­keit, die Stehen bedeutet, nach dem, was am Worte schneidend oder voll ist, langgezogen oder hart oder sanft ist. Das aber lernt man instinktiv am Springen. Da lernt man das modifiZierte Gehen in An­passung an den Charakter des Wortes.

Springen : modifiziertes Gehen in Anpassung an den

Charakter der Worte

Sehen Sie, das ist in gewissem Sinne ein Geheimnis der mensch­lichen Natur, insofern diese menschliche Natur in die Schauspielkunst hineingeraten soll, daß instinktiv im Springen das angeeignet wird. Man kann das natürlich nicht beweisen, sondern man muß es erleben. Und es wird erlebt, wenn es getan wird. Sie können versichert sein, gewisse Dinge im Leben müssen sich eben am Leben praktisch er­lernen, und alles Herumtheoretisieren hat keinen Wert.

Im Ringen lernt man am besten instinktiv, was man für Hand­bewegungen und Armbewegungen während des Sprechens machen soll. Das lernt man im Ringen.

Ringen : Hand- und Armbewegungen

Im Diskuswerfen, bei dem das Gesicht sich übt, nachzuschauen, sich anzupassen an die Zielrichtung und an den ganzen Weg des­jenigen, was man wirft, sich anzupassen auch an die Handbewegung selber, im Diskuswerfen, so paradox es klingt, lernt man das Mienen-spiel; geläufiges Mienenspiel, Beherrschen der Muskeln zum Mienen­spiel, man lernt es im Werfen. Es kann ja auch Ballwerfen oder irgendein

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anderes Werfen sein, aber ich nenne es mit dem griechischen Worte Diskuswerfen.

Diskuswerfen : Mienenspiel.

Und dasjenige, was das Paradoxeste ist, was man natürlich ganz und gar nicht beweisen kann, was aber erlebt werden muß - es kann ja auch mit Stöcken geschehen statt mit Speeren, aber es sollte geschehen - : im Speerwerfen lernt man sprechen. Das heißt, es erfährt die Sprache im Speerwerfen diejenige Selbstverständlichkeit, daß sie als Sprache wirkt, nicht als Ausdruck des Gedankens wirkt, sondern als Sprache wirkt. Daher muß der Schauspieler auch im Wer­fen von solchen Gegenständen erzogen werden, die eben Stock oder Speer sind. Denn wie man da innerlich achtgeben muß, das Zieht die Sprache aus dem bloßen Intellekt heraus in die Sprachorgane und ihre Gestaltung. Speerwerfen ist direkt die Grundlage des Sprechens.

Speerwerfen : Sprache.

Natürlich, das ganz im allgemeinen. Dazu kommen die besonderen Dinge, die wir schon durchgemacht haben. Aber soll wirklich schul­mäßig vorgegangen werden, dann handelt es sich darum, daß man ein instinktives Verständnis für dasjenige hervorruft, was in den letz­ten Stunden gerade in bezug auf die Sprachgestaltung durch das Werfen von länglichen stock- oder speerartigen Gegenständen gesagt worden ist. Und wenn hier lauter solche Menschen sitzen würden, die sich längere Zeit etwas geübt hätten im Speerwerfen, so würde bei den Zuhörern gar kein Zweifel sein, daß das richtig ist, was ich gesagt habe. Man beweist diese Dinge eben nicht theoretisch, sondern man beweist sie durch die Trainierung desjenigen, der sie aufnehmen soll. Es ist schon einmal die richtige okkulte Trainierung für die Auf­fassung des schauspielerischen Sprechens das Speerwerfen.

Sie sehen also, wie diese Vorschule der Bühnenkunst eigentlich gestaltet sein muß. Wenn man in dieser Weise aus dem Geiste des Ganzen an die als künstlerisches Subjekt auftretende menschliche Persönlichkeit herankommt, dann wird man gerade die Details, um die es sich dann weiter handeln wird, nicht in pedantischer Art als An-Weisungen nehmen, sondern als Anregungen. Und eigentlich muß in

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der Schauspielerschulung alles auf Anregungen beruhen, damit der­jenige, der Schauspieler werden will, eine möglichst große Freiheit hat, dasjenige, was er gelernt hat, entweder so zu machen, wie er es gelernt hat, oder aus demselben Geiste heraus auch anders.

Das Wichtigste, was man zunächst in bezug auf die schauspiele­rische Darstellung zu erfassen hat, ist dieses, daß es in keinem Augen­blicke auf der Bühne einen unbeschäftigten Schauspieler geben kann. Es darf keiner auf der Bühne stehen, der unbeschäftigt ist. Es ist ein schlimmer Augenblick, wenn einer redet und ein paar andere, die gleichzeitig, weil es die Szene gebietet, auf der Bühne sind, Maulaffen feilhalten, wie man im Deutschen sagt, das heißt, nichts tun. Der­jenige, der redet, redet eben; die anderen, die zuhören, müssen un­ausgesetZt alles dasjenige mitmachen, was der Betreffende redet. Kei­ner darf unbeschäftigt sein. Sind vier auf der Bühne und einer redet, dann müssen die drei anderen im Mimischen, im Gebärdenhaften mit-spielen.

Und das ist die Aufgabe einer richtigen, wirklichen Regiekunst, die für die Gestaltung des Bühnenbildes zu sorgen hat, daß in diesem Sinne nie ein unbeschäftigter Schauspieler auf der Bühne steht. Wenn ein Schauspieler auf der Bühne stehen und nun wirklich zuhören wollte, nicht nur Zuhören darstellen wollte, so wäre das ein künst­lerischer Fehler. Das Zuhören mit allem inneren Erleben des Zu­hörens darf nicht ein wirkliches Zuhören sein, naturalistisch, sondern es muß ein darstellendes Zuhören sein. Alles muß in die Darstellung einfließen. Dazu ist es notwendig, daß man überhaupt auf dasjenige eingeht, was eine mögliche, richtige Gebärde ist in Begleitung der Wortgestaltung. Naturalismus auf der Bühne wirkt puppenhaft. Und gerade dann, wenn man in den letzten Jahrzehnten den Eindruck hatte, daß die Leute da oben die Illusion der naturalistischen Wirk­lichkeit hervorrufen können, dann hatte man im künstlerischen Er­fassen den Eindruck des Puppenhaften, das dem entgegengesetzt liegt. Daher muß man die innere Empfindung entwickeln für gewisse Zu­sammenhänge Zwischen dem Mimischen, Gebärdenhaften, der Geste und dem gesprochenen Worte als Inhalt.

Wenn ein Mensch auf der Bühne etwas Zu sagen hat, was darauf

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ausgeht, etwas Intimes Zu bedeuten, dann muß der Zuschauer fühlen können, daß in der betreffenden Passage etwas, was auf intime Mit-teilung hin berechnet ist, Zum Ausdrucke kommt. Das würde er nie, wenn Sie auf der Bühne etwas Intimes sagen und dabei nach hinten gehen. Das wird er immer, wenn Sie das Gehen so einrichten, daß Sie von rückwärts nach vorne gehen. Wollen Sie Intimes auf der Bühne aussprechen, so handelt es sich immer darum, daß man die Bewegung von rückwärts nach vorne, vom Bühnenfond nach der Rampe macht.

Diese Dinge werden manchmal aus merkwürdigen Gründen durch­brochen. Ich kannte einen ausgezeichneten Schauspieler, der nun wirklich großartig war in vieler Beziehung, der aber nicht lernen wollte. Das gefiel ihm nicht, ich meine, die Rollen wollte er nicht lernen. Daher machte er dem Regisseur immer rechtes Unbehagen, denn er sagte : Kinder, Ihr mögt euch bewegen und hinstellen, wo Ihr wollt, ich stelle mich da her ! - Da war nämlich der Souffleur-kasten, und da rührte er sich nicht weg. Im übrigen war er ausgezeich­net. Also es handelt sich schon darum, daß man wirklich in dem Künstlerischen darinnen lebt.

Nehmen wir aber an, wir haben auf der Bühne eine kleine Gruppe von Menschen, der wir irgend etwas mitteilen, was nicht auf Intimität berechnet ist, sondern eben auf Mitteilung berechnet ist. Da muß der Zuschauer den Eindruck bekommen : Die Sache geht denen ein, die auf der Bühne zuhören. - Wie die sich verhalten, die Zuhörer, dar­über werde ich noch sprechen; wir müssen es jetzt von der einen Seite betrachten, von der Seite der Sprechenden. Habe ich auf der Bühne eine Gruppe um mich, und soll der Zuschauer den Eindruck bekom­men, der Gruppe geht das ein, zu der ich spreche, dann muß ich mich etwas leise innerhalb der Gruppe zurückbewegen. Dann bekommt in der Perspektive des Zuschauers dieser Zuschauer den Eindruck : die verstehen es genau

Wenn Sie aber die Versammlung, die Sie da vor sich haben, durch-schreiten in der Richtung nach dem Zuschauer hin, dann bekommt der Zuschauer den Eindruck : das geht alles an ihren Ohren vorbei, sie verstehen nichts.

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Hier beginnt wirklich das innerlich Technische im Aufbau des Bühnenmäßigen. Das sind die Elemente, aus denen heraus das Büh­nenbild gestaltet werden muß. Wenn man heute irgendwo ein Drama­tisches aufgeführt sieht, da kann man schon gar nicht recht heran­kommen, denn fortwährend geschieht das, daß sich der eine eine Zigarette anzündet, pafft, der andere zündet sich eine Zigarette an, und das Anzünden von Zigaretten wird als eine besondere Geschick­lichkeit der bühnenmäßigen Darsteller entwickelt.

Ja, ich habe gesehen, daß man Szenen liebt, in denen damit be­gonnen. wird, daß jemand ankommt auf der Bühne, zunächst mög­lichst lang nichts redet, das Wort ganz in den Hintergrund treten läßt. Er setzt sich nieder, eigentlich räkelt sich hin, zieht langsam den einen Stiefel aus, um naturalistisch anzudeuten, daß er ziemlich spät am Abend ankommt, zieht sich den einen Hausschuh an - da hat er noch immer kein Wort geredet -, zieht sich den anderen Stiefel aus, zieht sich den anderen Hausschuh an - hat noch immer kein Wort geredet. Dann zieht er sich den Rock aus, macht Schritte durch das Zimmer, wie es eben ein Mensch macht, der sich abends den Rock auszieht. Dann zieht er sich den Schlafrock an, geht irgendwie zum Alkoven und heizt, damit es ihm nicht kalt wird. Er hat noch immer nichts geredet. Nun bereitet er sich vor, ja - irgend etwas jetzt Zu tun, was halt ein Mensch tut, wenn er den Schlafrock angezogen hat. Zwischen Stiefelausziehen und Schlafengehen kann ja Verschiedenes geschehen-, aber zu diesem Mienenspiel, Gebärdenspiel braucht man natürlich kein besonderes Studium, sondern den Glauben, daß man weiß, wie es die Leute machen, wenn sie zu Hause sind, und ein bißchen Frech­heit dazu, sich in diesen Dingen auch zu zeigen. Weiter ist gar nichts dazu notwendig.

Das führt natürlich nicht zu einer wirklichen Bühnenkunst Das führt unter Umständen zu Schrecklichem. Denn wenn dann die Schau­spieler dasjenige in ihrem Leben nicht gesehen haben, was sie natura­listisch darstellen sollen, dann kommt etwas Schreckliches heraus. Ich habe neulich zum Beispiel eine Darstellung gesehen, in der eine Szene am Hofe dargestellt wurde. Man sah allen Schauspielern an, daß sie niemals einen Hof gesehen hatten !

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Ja, sehen Sie, diese Dinge muß man sich schon vor die Seele stellen, damit man einen Sinn dafür bekommt, wie die Dinge gemacht werden müssen, wenn sie künstlerisch sein sollen. Und es ist wirklich so, daß der echte künstlerische Dichter und der echte Schauspieler sich da in ihren Gesinnungen treffen werden.

Sehen Sie sich Goethes Hauptdramen an, ob da viele szenische Anwei­sungen drinnen sind, wie es der Schauspieler machen soll? Möglichst wenig ! Sehen Sie sich daraufhin den «Tasso» oder die «Iphigenie» an, da ist dem Schauspieler die nötige Freiheit gelassen. Und das ist richtig, Goethe hat natürlich in der Zeit, da er schon mit einigen ganz guten Schauspielern Zu tun hatte, in dieser Beziehung nicht nur durch inneren Impetus, der ja natürlich reichlich vorhanden war, aber auch durch den Umgang mit Schauspielern manches gelernt. Die Gorona Schröter, die hätte, wenn Goethe ihr hätte ins einzelne hineingehende Anweisungen, wie mancher moderne Dichter, geben wollen, gesagt :

Na, Herr Geheimrat, daraus wird doch nichts, das mache ich, wie es mir paßt.

Dagegen sehen wir, wie gerade die modernen Bühnendichter manchmal seitenlange szenische Anweisungen haben. Es ist schrecklich dann, diese Dinge zu lesen, denn derjenige, der geraden Sinn hat, liest doch nicht, wenn er das Buch vor sich hat, die Szenenanweisungen. Die sollen doch folgen für des Lesers Phantasie aus demjenigen, was gesprochen wird.

Nun hat man heute wirklich Dramen, bei denen seitenlange An­weisungen da sind, dann kommt einmal eine Seite mit Text dazwi­schen. Vergleichen Sie damit nur den «Tasso» oder die «Iphlgenie». Gerade an solchen Erscheinungen sieht man den Niedergang der Bühnenkunst auch an den Dichtern.

Dasjenige, was der Schauspieler tun soll, das muß in seinem Instinkt sein. Bekommt er es als eine strikte Anweisung, dann wird es gemacht ausschauen. Aber in den Instinkt des Schauspielers kann eben vieles hineingehen.

Denken Sie sich hier die Bühne und den Zuschauerraum (siehe Zeichnung). Der Zuschauer sitzt da und hat zwei Augen. Hätte er diese zwei Augen nicht, so würde dem Schauspieler das ganze Mienenspiel

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und die ganze Gebärdenkunst nichts helfen. Aber diese zwei Augen sind nichts Totes, das man unberücksichtigt lassen darf, son­dern etwas Lebendes. In diesen Zwei Augen ruht vieles von dem, was oben auf der Bühne vorzugehen hat, weil es verstanden werden soll.

Nun ist das Eigenrümliche unserer zwei Augen, daß sie in bezug auf das Auffassen nicht gleich sind. Auf das achtet man natürlich nicht im gewöhnlichen Leben und in der gewöhnlichen Wissenschaft; aber sie sind nicht gleich. Das rechte Auge ist mehr eingeschult auf Ver­stehen, wenn es etwas anschaut; das linke Auge ist mehr eingestellt auf Interessehaben für dasjenige, das man anschaut.

So sitzt der Zuschauer gegen die Bühne :

#Bild s. 197

Nehmen Sie nun an, Sie haben eine Passage im Stück, und es kommt Ihnen besonders darauf an und muß Ihnen aus der künstlerischen Intention heraus darauf ankommen, daß Sie mit der Passage das künstlerische

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Interesse des Zuschauers in Anspruch nehmen wollen, dann müssen Sie als Schauspieler von rechts nach links [vom Zuschauer aus gesehen] gehen. Dann empfängt das Auge im Anschauen von dem nach dieser Seite hier Gehen den Eindruck des Interessanten. Ist die Passage länger, dann tun Sie gut, weil ja das Interesse etwas nach­lassen darf, den Schauspieler auch zurückgehen zu lassen.

#Bild s. 198

Das ist einfach durch die Augen vorgeschrieben.

Dagegen, habe ich eine Passage, mit der man weniger das Gefühis­interesse erregen will, sondern mit der man vorzugsweise auf den Verstand des Zuschauers wirken will, auf das reine Verstehen, will man etwas erörtern, was ja im Drama sehr häufig vorkommt, dann muß der umgekehrte Weg eingeschlagen werden : der Schauspieler muß so gehen \ : von links nach rechts.

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Diese Dinge müssen eben gekannt sein. Es muß gekannt sein, wie störend es ist, wenn durch irgendeine Passage im Drama etwas das Interesse erregen soll und der Schauspieler bewegt sich so : Gar kein Interesse wird erweckt.

Das Interesse wird erweckt, wenn sich der Schauspieler so be­wegt : /. Die Dinge sind eben so. Diese Dinge müssen gefühlt wer­den, wie überhaupt künstlerische Dinge gefühlt werden müssen.

Und ist man in der Lage, in dieser Art dle Dinge anzuschauen, dann wird man aus diesem Geiste heraus in voller Freiheit dle Gestal­tung des Bühnenbildes bewirken können. Nehmen wir einmal an, es kommt in einem Drama vor, daß einer eine Botschaft bringt. Wenn ich den nun ganz langsam ankommen lasse, mit den Armen nach unten, und dann, wenn er vor denjenigen tritt, den er ansprechen soll, zu sprechen ihn anfangen lasse - ich erzähle das nicht, weil ich etwas erfinden will nach dieser Richtung, sondern weil ich das alles, und zwar sehr häufig gesehen habe -, da wird gar keine Botschaft ge­bracht, nämlich künstlerisch für den Zuschauer ! Sondern eine Bot­schaft wird gebracht, wenn derjenige, der sie bringt, möglichst schon in der Entfernung anfängt Zu reden und ziemlich laut redet, lauter als die übrigen Mitspielenden redet, schon in der Entfernung anfängt zu reden.

Bringt er dann die Botschaft näher, kommt er näher, dann ist es gut, wenn er den Kopf etwas nach rückwärts gewandt bewegt. Damit wird der Eindruck hervorgerufen, er weiß die Botschaft sehr gut.

Ist die Botschaft eine freudige Botschaft, dann kommt dazu, daß die Finger ausgestreckt werden : rechte Hand. Alles das, was ich im Grunde genommen jetzt von einer Botschaft sage, bezieht sich auf freudige Botschaft.

Ist die Botschaft eine traurige, muß man sich anders verhalten. Da handelt es sich darum, daß man zögernd allerdings ankommt, aber dann sichtbarlich stehenbleibt und mit angezogenen Fingern die Bot­schaft vorbringt - Freiheit hat man natürlich genug -, nicht aber so macht : Hände auf der Brust gekreuzt.

Das sind die Dinge, in die man sich allmählich hineinarbeiten muß. Beispiele sind es nur. Als Beispiele sind sie aufzufassen, nicht als Anweisungen.

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Aber alles Schulen in der Schauspielkunst beruht darauf, daß man die ganze Schulung nur als Anregung empfängt, so daß man sozusagen einen Fall durch die Schulung gesehen hat, der in der man-nigfaltigsten Weise variabel ist.

Da wollen wir dann morgen fortsetzen.

NEUNTER VORTRAG Dornach, 13. September 1924 Der Stil in der Gebärde

#G282-1969-SE201 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

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NEUNTER VORTRAG

Dornach, 13. September 1924

Der Stil in der Gebärde

#TX

Wir wollen heute zunächst eine Probe aus Goethe geben, die als solche, als Probe, manches von dem vetanschaulichen kann, was in diesen Auseinandersetzungen vorangegangen ist. Goethe hat ja, wie Sie an der Vorführung der beiden «Iphigenien» gesehen haben, zunächst das dramatische Werk erlebt in der Form, die dann bis zu einem ge­wissen Fertigen gekommen ist im «Götz von Betlichingen» und auch in gewissen Partien des ersten Teiles des «Faust». Da hat Goethe eigentlich aus der Prosa-Empfindung heraus gestaltet, noch nicht aus der eigentlichen künstlerischen Sprachgestaltung.

Er hat namentlich seine erste «Iphigenie», die man als die deutsche «Iphigenie» bezeichhen kann, im Gegensatze zur späteren, zur römi­schen «Iphigenie», so gestaltet, daß in ihr die Prosagestaltung, die sich allerdings durch seinen poetischen Sinn ins Rhythmische hinein verlaufen hat, stark hervortritt.

Ihm ist dasjenige, was Sprachgestaltung ist, eigentlich erst auf seiner Reise nach Italien aufgegangen. Er hat an der italienischen Kunst empfunden, wie die Kräfte des künstlerisch gestaltenden Menschen an einem Stoffe wirken. Er hat sich mit aller inneren Kraft zu diesem rein Künstlerischen herausgearbeitet. Daher fühite er dann denjenigen Stoffen gegenüber, bei denen es möglich war, die Notwendigkeit, sie rein im Sinne der Sprachgestaltung umzuarbeiten.

Das tat er im eminentesten Sinne mit dem Stoffe der «Iphigenie» und mit dem Stoffe des «Tasso». Und es ist ihm im «Tasso» gelungen, mit großer Ursprünglichkeit die ganze Gestaltung des Dramas in der Sprachgestaltung durchzuführen. So daß es vielleicht nichts gibt auf diesem Gebiete, wo in so bewußter Weise angestrebt wird, innerhalb der Sprachgestaltung das Dramatische herauszuarbeiten.

Nun werden Sie aus dem, was ich gestern gesagt habe, ersehen haben, daß dieses doch noch nicht genügt für die Vollendung des

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Dramatischen, daß dazu kommen muß das Mimische, das Gebärden-hafte, weil der Intellekt des Zuschauers, der auch künstlerisch sich entfalten muß im Zuschauen, die Gebärde hinzu haben muß zum An­hören des Wortes.

Das ist etwas, was Goethe in der Zeit, in welcher er seine römische «Iphigenie» und seinen «Tasso» ausarbeitete, noch nicht im vollen Sinne klargeworden war, daß nun die Gebärde, das Mimische, diese andere Seite, diese Ergänzung bilden muß.

Daher ist der «Tasso» so sehr ein Drama, in dem die Sprach-gestaltung sozusagen alles ist. Alles folgt aus der Sprachgestaltung selber heraus.

Aber versetzen Sie sich nur in den Fall, Sie sollen den «Tas so» regissieren. Sie werden, wenn Sie Szene für Szene anfangen ins Büh­nenbild hineinzuarbeiten, die Möglichkeit haben, die Sache so und so zu machen, während Sie nicht gut die Möglichkeit haben, die Sprachgestaltung nach vielen Formen hinüber zu modifizieren. Sie ist innerlich künstlerisch vollendet. Aber das eigentliche Bühnenbild wer­den Sie zunächst in der mannigfaltigsten Weise gestalten können.

Dagegen werden Sie gerade beim «Tas so» im Regissieren auf eine, ich möchte sogar sagen, unüberwindliche Schwierigkeit stoßen; das ist in der Szene, wo Tasso eigentlich sich selber unmöglich macht der Prinzessin gegenüber, wo er etwas tut, wodurch das ganze Drama die Wendung verliert. Da wird, ich möchte sagen, der Regisseur ganz hilflos, was er da eigentlich machen lassen soll. Man kommt nicht über die Stelle hinweg. Versuchen Sie es nur einmal mit all den Din­gen, die für die Bühne notwendig sind künstlerisch, über diese Stelle hinwegzukommen als Regisseur. Sie kommen eben nicht hinweg. Solche Dinge muß man auch wissen, damit man die Bühnenkunst in der richtigen Weise pflegt. Sie kommen dazu, irgend etwas zu machen, damit man die Verlegenheit aus der Welt schafft. Aber dafür, was eigentlich gemacht werden sollte an der Stelle, dieses künstlerisch zu gestalten, dafür finden Sie keine Möglichkeit. Und darinnen zeigt sich eben, daß Goethe den Weg nicht gefunden hat in der Dramatik, von der Sprachgestaltung aus hinüber zum vollen Drama zu kommen, das auf der Bühne lebt und webt.

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Das ist wichtig; das muß man sich sagen. Und das zeigt sich im weiteten Verlauf der Goetheschen Entwickelung. Es zeigt sich. Denn sehen Sie, innerhalb der Sprachgestaltung als Künstler von größter Vollendung zu leben, dazu hat es Goethe in der «Iphigenie» und im «Tasso» gebracht, und darinnen sind auch diese Dramen unver­gleichlich.

Nun wußte Goethe ganz gut natürlich, daß die Sache weitergehen mußte. Für den «Faust» hat er auch allerlei Szenen gedichtet in Ita­lien, sie sind aber nicht römisch geworden. Die «Hexenküche» zum Beispiel ist in Italien gedichtet. Ja, die ist sehr nordisch, die ist sehr gotisch im alten Sinne. Da war er auch genötigt, sich wiederum her-auszureißen, so daß er alle italienische Umgebung vergessen hat und im Dichten ganz nordischer Mensch geworden ist. Das sieht man auch aus seinem Briefwechsel. Der «Faust»-Stoff machte das nicht mög­lich, was die «Iphigenie», was der «Tas so» möglich machte.

Aber nun gehen wir weiter. Goethe hat dann «Die natürliche Toch­ter» begonnen. Da wollte er heraus ins Bühnenbild, heraus aus der bloßen Sprachgestaltung, herein ins Bühnenbild. Von der Trilogie ist der erste Teil da, Goethe brachte es nicht fertig. Alles, was er später angefangen hat, ist ja Torso, Fragment geblieben. Die großartige «Pandora» selber - man sieht etwas Ungeheures von einem Wurf -, es ist Fragment geblieben. Nur den «Faust» hat er vollendet; aber er hat ihn vollendet so, daß er eigentlich glüclllich war nur in der Sprach-gestaltung; das andere hat er aus der Tradition genommen. Das letzte grandiose Bild, er hat geradezu in der Tradition danach gesucht, er hat es aus der katholisierenden Tradition, aus der katholisierenden Imaginztion genommen. Er hat es nicht in sich selber gefunden.

Und darin liegt natürlich eine ungeheure Ehrlichkeit bei Goethe, daß er nur diesen «Faust» - und den also ganz deutlich aus einem gewissen Unvermögen heraus - vollendet hat, und die anderen Dinge, bei denen es nicht so ging, weil er sie vom Fundament aus hätte um­arbeiten müssen, eben liegen ließ. Ein unehrlicher Künstler hätte sie vollendet. Man kriegt natürlich manches fertig, wenn man nicht auf die Fundamente des Schaffens, auf die Archai des Schaffens einzu­gehen vermag. Dann kriegt man natürlich gar manches fertig.

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Es haben sich ja die mannigfaltigsten Persönlichkeiten, sagen wir, gefunden, die zum Beispiel Schillers «Demetrius» vollenden wollten; aber das ist eben durchaus kein künstlerisches Schaffen, keine künst­lerische Entwickelung. Und auf diese muß heute wieder hingesehen werden; die muß im Fundament ergriffen werden. Es muß wieder künstlerisch empfunden werden können. Das konnte man nicht seit langer Zeit. Traditionen sind geblieben, sind fortgepflanzt worden. Aber künstlerisch empfinden, das muß erst wieder in die Zivilisation hineinkommen. Die Bühnenkunst wird da am allermeisten tun kön­nen, weil sie unmittelbar ergreifen kann dieses lebendige Verhältnis desjenigen, was auf der Bühne vorgeht, zum Zuschauer, zur Zu­schauerwelt. Aber ohne daß man das ergreift, wird man nicht weiter­kommen.

Um Ihnen nun zu zeigen, oder wenigstens Ihnen vor die Seele zu führen - Sie kennen ja natürlich alle den «Tas so» -, wie bei Goethe in der Zeit seiner dramatischen Kulminationskraft die Sprachgestal­tung alles Dramatische umfaßte, möchten wir eben die erste Szene aus dem «Tasso» Ihnen vorführen. Frau Dr. Steiner wird nunmehr die erste Szene aus dem «Tas so» zur Rezitation bringen.

Frau Dr. Steiner: Ich möchte die Szenerie in Erinnerung bringen:

Gartenplatz, mit Hermen der epischen Dichter geziert. Vorn an der Szene zur Rechten Virgil, zur Linken Ariost.

Prinzessin. Leonore.

PRINZESSIN: Du siehst mich lächelnd an, Eleonore

Und siehst dich selber an und lächelst wieder.

Was hast du? Laß es eine Freundin wissen!

Du scheinst bedenklich, doch du scheinst vergnügt

LEONO RE: Ja, meine Fürstin, mit Vergnügen seh' ich

Uns beide hier so ländlich ausgeschmückt.

Wir scheinen recht beglückte Schäferinnen

Und sind auch wie die Glücklichen beschäftigt.

Wir winden Kränze. Dieser, bunt von Blumen,

Schwillt immer mehr und mehr in meiner Hand;

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Du hast mit höherm Sinn ufid größerm Herzen

Den zarten schianken Lorbeer dir gewählt.

PRINzESSJN: Die Zweige, die ich in Gedanken flocht,

Sie haben gleich ein würdig Haupt gefunden:

Ich setze sie Virgilen dankbar auf

(Sie kränzt die Herme Virgils)

LEONORE: So drück' ich meinen vollen frohen Kranz

Dem Meister Ludwig auf die hohe Stirne. -

(Sie kränzt Ariostens Herme)

Er, dessen Scherze nie verblühen, habe

Gleich von dem neuen Frühling seinen Teil.

PRINZESSIN: Mein Bruder ist gefällig, daß er uns

In diesen Tagen schon aufs Land gebracht;

Wir können unser sein und stundenlang

Uns in die goldne Zeit der Dichter träumen.

Ich liebe Belrlguardo, denn ich habe

Hier manchen Tag der Jugend froh durchlebt,

Und dieses neue Grün und diese Sonne

Bringt das Gefühl mir jener Zeit zurück.

LEONORE: Ja, es umgibt uns eine neue Welt!

Der Schatten dieser immer grünen Bäume

Wird schon erfreulich. Schon erquickt uns wieder

Das Rauschen dieser Brunnen, schwankend wiegen

Im Morgenwinde sich die jungen Zweige.

Die Blumen von den Beeten schauen uns

Mit ihren Kinderaugen freundlich an.

Der Gärtner deckt getrost das Winterhaus

Schon der Zitronen und Orangen ab.

Der blaue Himmel ruhet über uns,

Und an dem Horizonte löst der Schnee

Der fernen Berge sich in leisen Duft.

PRINZESSIN: Es wäre mir der Frühling sehr willkommen,

Wenn er nicht meine Freundin mir entführte.

LEONORE: Erinnre mich in diesen holden Stunden,

0 Fürstin, nicht, wie bald ich scheiden soll.

PRINZESSIN: Was du verlassen magst, das findest du

In jener großen Stadt gedoppelt wieder.

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LEONORE: Es ruft die Pflicht, es ruft die Liebe mich

Zu dem Gemahl, der mich so lang' entbehrt.

Ich bring' ihm seinen Sohn, der dieses Jahr

So schnell gewachsen, schnell sich ausgebildet,

Und teile seine väterliche Freude.

Groß ist Florenz und herrlich, doch der Wert

Von allen seinen aufgehäuften Schätzen

Reicht an Ferraras Edelsteine nicht.

Das Volk hat jene Stadt zur Stadt gemacht,

Ferrara ward durch seine Fürsten groß.

PRINZESSIN: Mehr durch die guten Menschen, die sich hier

Durch Zufall trafen und zum Glück verbanden.

LEONORE: Sehr leicht zerstreut der Zufall, was er sammelt.

Ein edler Mensch zieht edle Menschen an

Und weiß sie festzuhalten, wie ihr tut.

Um deinen Bruder und um dich verbinden

Gemüter sich, die euer würdig sind,

Und ihr seid eurer großen Väter wert.

Hier zündete sich froh das schöne Licht

Der Wissenschaft, des freien Denkens an,

Als noch die Barbarei mit schwerer Dämmrung

Die Welt umher verbarg. Mir klang als Kind

Der Name Herkules von Este schon,

Schon Hippolyt von Este voll ins Ohr.

Ferrara ward mit Rom und mit Florenz

Von meinem Vater viel gepriesen! Oft

Hab' ich mich hingesehnt; nun bin ich da.

Hier ward Petrarch bewirtet, hier gepflegt,

Und Ariost fand seine Muster hier.

Italien nennt keinen großen Namen,

Den dieses Haus nicht seinen Gast genannt.

Und es ist vorteilhaft, den Genius

Bewirten: gibst du ihm ein Gastgeschenk,

So läßt er dir ein schöneres zurück.

Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,

Ist eingeweiht; nach hundert Jahren klingt

Sein Wort und seine Tat dem Enkel wieder.

PRINZESSIN: Dem Enkel, wenn er lebhaft fühlt wie du.

Gar oft beneid' ich dich um dieses Glück.

LEONORE: Das du, wie wenig andre, still und rein Genießest.

Drängt mich doch das volle Herz,

Sogleich zu sagen, was ich lebhaft fühle;

Du fühlst es besser, fühlst es tief und - schweigst.

Dich blendet nicht der Schein des Augenblicks,

Der Witz besticht dich nicht, die Schmeichelei

Schmiegt sich vergebens künstlich an dein Ohr;

Fest bleibt dein Sinn und richtig dein Geschmack,

Dein Urteil grad, stets ist dein Anteil groß

Am Großen, das du wie dich selbst erkennst.

PRINZESSIN: Du solltest dieser höchsten Schmeichelei

Nicht das Gewand vertrauter Freundschaft leihen.

LEONORE: Die Freundschaft ist gerecht, sie kann allein

Den ganzen Umfang deines Werts erkennen.

Und laß mich der Gelegenheit, dem Glück

Auch ihren Teil an deiner Bildung geben,

Du hast sie doch, und bist's am Ende doch,

Und dich mit deiner Schwester ehrt die Welt

Vor allen großen Frauen eurer Zeit.

PRINZESSIN: Mich kann das, Leonore, wenig rühren,

Wenn ich bedenke, wie man wenig ist,

Und was man ist, das blieb man andern schuldig.

Die Kenntnis alter Sprachen und des Besten,

Was uns die Vorwelt ließ, dank' ich der Mutter;

Doch war an Wissenschaft, an rechtem Sinn

Ihr keine beider Töchter jemals gleich;

Und soll sich eine ja mit ihr vergleichen,

So hat Lucretia gewiß das Recht.

Auch, kann ich dir versichern, hab' ich nie

Als Rang und als Besitz betrachtet, was

Mir die Natur, was mir das Glück verlieh.

Ich freue mich, wenn kluge Männer sprechen,

Daß ich verstehen kann, wie sie es meinen.

Es sei ein Urteil über einen Mann

Der alten Zeit und seiner Taten Wert;

Es sei von einer Wissenschaft die Rede,

Die, durch Erfahrung weiter ausgebreitet,

Dem Menschen nützt, indem sie ihn erhebt;

Wohin sich das Gespräch der Edlen lenkt,

Ich folge gern, denn mir wird leicht, zu folgen.

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Ich höre gern dem Streit der Klugen zu,

Wenn um die Kräfte, die des Menschen Brust

So freundlich und so fürchterlich bewegen,

Mit Grazie die Rednerlippe spielt;

Gern, wenn die fürstliche Begier des Ruhms,

Des ausgebreiteten Besitzes, Stoff

Dem Denker wird, und wenn die feine Klugheit,

Von einem klugen Manne zart entwickelt,

Statt uns zu hintergehen, uns belehrt.

LEONoRE: Und dann, nach dieser ernsten Unterhaltung,

Ruht unser Ohr und unser innter Sinn

Gar freundlich auf des Dichters Reimen aus,

Der uns die letzten lieblichsten Gefühle

Mit holden Tönen in die Seele flößt.

Dein hoher Geist umfaßt ein weites Reich,

Ich halte mich am liebsten auf der Insel

Der Poesie in Lorbeerhainen au£

PRINZESSIN: In diesem schönen Lande hat man mir

Versichern wollen, wächst vor andern Bäumen

Die Myrthe gern. Und wenn der Musen gleich

Gar viele sind, so sucht man unter ihnen

Sich seltner eine Freundin und Gespielin,

Als man dem Dichter gern begegnen mag,

Der uns zu meiden, ja, Zu fliehen scheint,

Etwas Zu suchen scheint, das wir nicht kennen

Und er vielleicht am Ende selbst nicht kennt.

Da wär' es denn ganz artig, wenn er uns

Zur guten Stunde träfe, schnell entzückt

Uns für den Schatz erkennte, den er lang'

Vergebens in der weiten Welt gesucht.

LEONORE: Ich muß mir deinen Scherz gefallen lassen,

Er trifft mich zwar, doch trifft er mich nicht tief.

Ich ehre jeden Mann und sein Verdienst,

Und ich bin gegen Tasso nur gerecht.

Sein Auge weilt auf dieser Erde kaum;

Sein Ohr vernimmt den Einklang der Natur;

Was die Geschichte reicht, das Leben gibt,

Sein Busen nimmt es gleich und willig auf:

Das weit Zerstreute sammelt sein Gemüt,

Und sein Gefühl belebt das Unbelebte.

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Oft adelt er, was uns gemein erschien,

Und das Geschätzte wird yor ihm Zu nichts,

In diesem eignen Zauberkreise wandelt

Der wunderbare Mann und zieht uns an,

Mit ihm zu wandeln, teil an ihm zu nehrnen;

Er scheint sich uns zu nahn, und bleibt uns fern;

Er scheint uns anzusehn, und Geister mögen

An unsrer Stelle seltsam ihm erscheinen.

PRINZESSIN: Du hast den Dichter fein und zart geschildert,

Der in den Reichen süßer Träume schwebt.

Allein, mir scheint auch ihn das Wirkliche

Gewaltsam anzuziehn und festzuhalten.

Die schönen Lieder, die an unsern Bäumen

Wir hin und wieder angeheftet finden,

Die, goldnen Äpfeln gleich, ein neu Hespetien

Uns duftend bilden, erkennst du sie nicht alle

Für holde Früchte einer wahren Liebe?

LEONORE: Ich freue mich der schönen Blätter auch.

Mit mannigfalt'gem Geist verherrlicht er

Ein einzig Bild in allen seinen Reimen.

Bald hebt er es in lichter Glorie

Zum Sternenhimmel auf, beugt sich verehrend

Wie Engel über Wolken vor dem Bilde;

Dann schleicht er ihm durch stille Fluren nach,

Und jede Blume windet er zum Kranz.

Entfernt sich die Verehrte, heiligt er

Den Pfad, den leis' ihr schöner Fuß betrat.

Versteckt im Busche, gleich der Nachtigall,

Füllt er aus einem liebekranken Busen

Mit seiner Klagen Wohliaut Hain und Luft:

Sein reizend Leid, die sel'ge Schwermut lockt

Ein jedes Ohr, und jedes Herz muß nach -

PRINZESSIN: Und wenn er seinen Gegenstznd benennt,

So gibt er ihm den Namen Leonore.

LEONORE: Es ist dein Name, wie es meiner ist.

Ich nähm' es übel, wenn's ein andrer wäre.

Mich freut es, daß er sein Gefühl für dich

In diesem Doppelsinn verbergen kann.

Ich bin zufrieden, daß er meiner auch

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Bei dieses Namens holdem Klang gedenkt.

Hier ist die Frage nicht von einer Liebe,

Die sich des Gegenstands bemeistern will,

Ausschließend ihn besitzen, eifersüchtig

Den Anblick jedem andern wehren möchte.

Wenn er in seliger Betrachtung sich

Mit deinem Wert beschäftigt, mag er auch

An meinem leichtern Wesen sich erfreun.

Uns liebt er nicht, - verzeih, daß ich es sage! -

Aus allen Sphären trägt er, was er liebt,

Auf einen Namen nieder, den wir führen,

Und sein Gefühl teilt er uns mit; wir scheinen

Den Mann zu lieben, und wir lieben nur

Mit ihm das Höchste, was wir lieben können.

PRINZESSIN: Du hast dich sehr in diese Wissenschaft

Vertieft, Eleonore, sagst mir Dinge,

Die mir beinahe nur das Ohr berühren

Und in die Seele kaum noch übergehn.

LEONORE: Du? Schülerin des Plato! nicht begreifen,

Was dir ein Neuling vorzuschwatzen wagt?

Es müßte sein, daß ich zu sehr mich irrte;

Doch irr' ich auch nicht ganz, ich weiß es wohl.

Die Liebe zeigt in dieser holden Schule

Sich nicht, wie sonst, als ein verwöhntes Kind:

Es ist der Jüngling, der mit Psychen sich

Vermählte, der im Rat der Götter Sitz

Und Stimme hat. Er tobt nicht frevelhaft

Von einer Brust Zur andern hin und her;

Er heftet sich an Schönheit und Gestalt

Nicht gleich mit süßem Irrtum fest, und büßet

Nicht schnellen Rausch mit Ekel und Verdruß.

PRINZESSIN: Da kommt mein Bruder; laß uns nicht verraten ,

Wohin sich wieder das Gespräch gelenkt;

Wir würden seinen Scherz zu tragen haben,

Wie unsre Kleidung seinen Spott erfuhr.

Etwas ist gründlich vergessen worden innerhalb der Bühnenkunst der letzten Jahre. Wenn man es ausspricht, so wird man es nicht recht glauben können, daß das vergessen worden ist, aber ich habe kaum

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in der letzten Zeit irgendwo irgendwelche Vorstellungen gesehen, in denen dies nicht vergessen gewesen wäre. Das ist der Satz - er ist eine furchtbare Trivialität, aber er ist eben vergessen worden künst­lerisch, der Satz -, daß man mit den Ohren hört. Die Bühnenkunst der letzten Jahre hat sich nämlich ein eigentümliches Vorurteil an­geeignet, nämlich das Vorurteil in der praktischen Ausführung, daß man mit den Augen hört, und sie hält es daher für notwendig, daß jedesmal, wenn irgend jemand auf der Bühne einem anderen zuhören soll, er dorthin schaut, wo der Betreffende steht. Es ist das eine An­gewohnheit im äußeren Leben, daß man sich sogar dorthin dreht, wo jemand steht, der redet. Das ist vielleicht im Leben deshalb berechtigt, weil es ein Ausdruck der Höflichkeit im Leben ist, und Höflichkeit im Leben ist ja eine sehr gute Tugend, kann sogar unter Umständen Zu den Tugenden gerechnet werden, die schon in den Moralkodex hineinkommen sollen, denn es ist eigentlich unmoralisch, nicht höf­lich zu sein. Ich will also gar nicht sagen, daß man als Spielender auf der Bühne nicht auch höflich sein sollte, im Gegenteil, aber die haupt­sächlichste Höflichkeit auf der Bühne als Spielender hat man gegen­über den Zuschauern, nicht gegenüber dem einz eInen Zuschauer. Ich werde, wenn wir über die Zuschauer sprechen werden in den letzten Vorträgen, schon da auch über die Zuschauer das Nötige zu sagen haben, aber die einzige Höflichkeit, die man als Spielender zu ent­wickeln hat, ist gegenüber dem Zuschauer oder dem Zuschauerraum. Die aber muß eingehalten werden. Dann darf man aber nicht, wirk­lich nicht, im Bühnenbild sich gegenüber das manchmal haben, daß im Hintergrunde der Bühne einer spricht, und im Vordergrund viere stehen und noch mehr, die einem sämtlich nach dem Zuschauerraum hin den Rücken zuwenden. Das ist etwas, was aus dem Dilettantismus, der einfach das Leben nachahmen will, in die nicht mehr vorhandene Bühnenkunst in den letzten Jahren eingezogen ist, und was gründlich herauskommen wird, wenn wiederum Stil in die Bühnenkunst hinein-kommt.

Und dieses Stilgefühl, wie wird es denn wirken? Nun, es wird zum Beispiel so wirken, daß man ganz gut wird so auf der Bühne stehen können, daß man in den seltensten Fällen, in den allerseltensten Fällen,

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nur wenn es gründlich motiviert ist, mit dem Rücken gegen die Zuschauer stehen wird, wie überhaupt auf der Bühne alles gründlich motiviert sein wird.

Ich will auch gar nicht gegen das Zigarettenrauchen auf der Bühne etwas gesagt haben mit dem, was ich gestern ausgeführt habe. Aber sehen Sie, meine lieben Freunde, wo liegt denn eine Motivierung, wenn sich alle möglichen Menschen auf der Bühne, nur um die toten Punkte auszufüllen im Mimischen, fortwährend Zigaretten anzünden, um zu rauchen Zwischen den Worten, oder wenn, was ich auch viel­fach gesehen habe, sie das Nichtverständnis der Sprachgestaltung da­durch kaschieren, daß sie dastehen beim Reden, die Zigarette im Mund behalten und dann in dieser Weise sprechen. Das geschieht ja auch schon. Wir sind auf der Bahn, die größten Unfuge in die Bühnenkunst einzuführen.

Wenn ein kleiner Junge auftritt mit siebzehn, achtzehn Jahren und sich eine Zigarette anzündet, dann ist das auf der Bühne unter Um­ständen sehr motiviert, denn dadurch kann charakterisiert sein, daß er erwachsen sein will; er will es Zeigen dadurch, daß er sich eine Zigarette anzündet. Dann ist es aus dem Inneren heraus motiviert, dann werde ich es sehr schön finden. In der heutigen Zeit, meine ich, finde ich es sogar schön bei siebzehn-, achtzehnjährigen Mädchen oder auch Knaben - ich meine jetzt nicht das absolute Alter der Schauspieler oder Schauspielerinnen -, wenn sie sich auf der Bühne Zigaretten anzünden, natürlich muß das im Drama liegen.

Sie sehen , worauf das hinaus will. Was verlangt werden muß für die Kunst, es muß aus dem innerlichen Gefüge des künstlerisch Ge­stalteten folgen. Und so muß auch wirklich alles übrige gesehen wer-den können, motiviert aus den Untergründen dessen, was gestaltet sein will. Man kann das eigentlich nur als Beispiel sagen. Nehmen wir einmal an, es käme im Drama vor, einer gibt einen Auftrag; einer, zwei oder dreie empfangen diesen Auftrag. Fs ist eine ganz bestimmte Situation. Wie sich derjenige, der den Auftrag gibt, benimmt, dar­über haben wir schon gesprochen, indem ich die Gebärde zu dem schneidenden, harten, sanften Worte und so weiter hinzugefügt habe in den letzten Tagen. Jetzt handelt es sich darum, wie diejenigen, die

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den Auftrag empfangen, wie man sagt, im stummen Spiel sich Zu ver­halten haben.

Leicht ist es natürlich, sich da mit dem Rücken gegen das Publikum Zu stellen, denn da braucht man gar nichts Zu tun. Aber das hat man ja nicht nötig und darf es gar nicht, weil es unkünstlerisch ist. Man muß Zweierlei sehen. Erstens, daß der Betreffende Zuhört; das kann man durchaus sehen, auch wenn er mit dem Gesicht gegen das Publi­kum steht. Denn in der Regel würde der den Auftrag Empfangende, also der Zuhörende, wenn er sich mit dem Rücken Zum Publikum stellt, etwas Besonderes ausdrücken müssen. Er kann sich ebensogut, wenn der Sprechende hinten rechts von ihm steht, mit dem Antlitz Zum Publikum stellen, dann hört er eben mit dem rechten Ohr zu, und indem er die Wendung hinnimmt, sieht man, daß er dorthin zu­hört. Es gibt gar keine Situation, wo man nicht im Zuhören das Antlitz gegen das Publikum zu haben könnte. Dann aber sieht man im Antlitz, wenn man das Mimische in seiner Gewalt hat, was das Zuhören für eine Wirkung macht. Und das muß man sehen. Das ist das Zweite. Darum handelt es sich.

Und so wird derjenige, der zuhört, in einer Art Dreiviertelprofil zum Publikum stehen, wird den Kopf etwas neigen dorthin, wo er zuzuhören hat, und Zwar so, daß der Kopf nach der Richtung des Sprechenden und etwas nach vorn geneigt ist. Dann wird man, wenn man das empfindet - den Kopf nach der Richtung des Sprechenden ge­neigt und etwas nach vorn -, instinktiv die Muskulatur des Gesichtes, wenn die anderen Übungen, die ich gestern genannt habe, voran­gegangen sind, in die richtige Bahn bringen, so daß das Gesicht dem Zuschauer dasjenige ausdrückt, was in diesem Falle das Zuhören ist. Kommt dazu noch, daß die Arme und Hände die Tendenz haben, sich gegen den Körper hin, nicht vom Körper weg Zu bewegen, dann ist die Geste fertig, dann ist die Geste da.

Nun, meine lieben Freunde, Sie können nun eines sagen. Sie kön­nen sagen: Das wird einen stereotypen, einen schematischen Charak­ter annehmen, wenn ich drei oder vier so zuhören lasse. - Sehen Sie, das hätte Baffael nie gesagt. Er hätte nur die Gebärde beim zweiten, dritten und so weiter etwas modifiziert, aber er hätte die Gebärde in

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demselben Geiste gehalten, wenn er gemalt hätte. Er war ja nicht Regisseur; aber als Beurteiler würde er das verlangt haben. Er hätte die Gebärde nur etwas modifiziert. Aber gerade der gleiche Charakter der Gebärde würde auf ihn den ästhetischen Eindruck gemacht haben. Und es ist schon so, daß gegenüber der Willkür des einzelnen gesehen werden muß auf das Ganze des Bühnenbildes.

Das, was ich gesagt habe, gilt für das Empfangen eines Auftrages zum Beispiel. Man kann aber auch sprechen von dem bloßen Zu­hören. Jemand spricht, andere hören ihm zu. Es wird ähnlich sein die Gebärde, das Gebärdenhafte, dem Auftrag-Empfangen; aber es werden dann beim Sprechenden diejenigen Gebärden da sein müssen , die ich angedeutet habe, als ich die Kategorien der Worte, schneidend, sanft und so weiter angegeben habe. Bei dem Zuhörer wird man das Folgende Zu berücksichtigen haben. Man wird sich sagen müssen:

Nehmen wir an, der Sprechende hat nötig, aus dem Inhalt der Sache heraus langsam gezogen zu sprechen; innerhalb der Kategorien, die ich angeführt habe, langsam, gezogen zu sprechen. Seine Gebärde kennen wir. Wie wird der Zuhörende in der Gebärde sich zu verhalten haben?

Der Zuhörende wird sich in der Gebärde so zu verhalten haben, wie jemand sich beim Sprechen verhält, wenn er schneidende Worte spricht. Warum? Wenn jemand schneidende Worte spricht, ist er un­willkürlich dazu veranlaßt, scharfe Gebärden zu machen - wir haben es ja auch angedeutet -, deutende Gebärden. Derjenige, der lang­gezogen erzählt, wird nicht deutende Gebärden machen, sondern die­jenigen, die ich bei den Fingerbewegungen angegeben habe; der Zu-hörende aber wird im Zuhören innerlich stumm die besonderen Worte sich markieren. Er wird innerlich unhörbar in der Lage der schnei­denden Worte sein. Er wird daher gut tun, wenn er andeutende Deu­tungen macht. Dann haben Sie ein vollkommenes harmonisches Zu­sammenstimmen zwischen jenen Fingerbewegungen, die man im Er­zählen macht, und jenen deutenden Fingerbewegungen, die man im Zuhören macht. Das sind Dinge, die durchaus im einzelnen studiert

werden können.

Nehmen Sie einen anderen Fall. Jemand, sagen wir, erzählt so aus

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dem Irthalt der Sache heraus, daß er kurz abgerissene Worte bildet, daß er die Worte kurz abgemessen gestaltet. Da liegt immer dann in der ErzäMung etwas davon darinnen, daß man eigentlich die Ge­schichte in den anderen hineinbringen will, sonst erzählt man nicht so. Wenn der Dichter also jemanden so erzählen läßt, daß man sieht, es handelt sich ihm darum, in den anderen etwas hineinzubringen, dann wird man es kurz abgemessen Zu sprechen haben und die entspre­chende Wegschieuderung der Finger haben, also diese Gebärde, die ich angedeutet habe. Aber der Zuhörende, der wird nur dann ent­gegenkommen und wahr sein, wenn er ihm voll zuhört, wenn er innerlich in dieselbe Stimmung kommt wie einer, der nicht kurz ab­gemessene Worte spricht, sondern volle Worte spricht. Will der andere, daß etwas in mich hineingeht, so muß ich dastehen wie der-j enige, der volle Worte spricht. Denn das, was er spricht, muß ich eigentlich voll empfinden. Da muß ich dann dieselbe Gebärde machen, die ich für das Sprechen der vollen Worte angegeben habe.

Auf diese Weise bekommen Sie das notwendige Verhältnis zwi­schen Sprechendem und Zuhörendem heraus. Es darf nur nicht ver­gessen werden, daß man das, was ich jetzt sage, nie sehen darf, nie merken darf, wenn es auf der Bühne vorgeht, sondern daß das alles ins instinktiv künstlerische Empfinden hineingearbeitet sein muß. In dem Augenblick, wo es gemacht erscheint, ist es auch falsch. Denn alles in der Kunst ist falsch, wo nicht das Künstlerische selber als Stil vor dem Betrachtenden steht.

Sehen Sie sich auf das hin den Unterschied an, der zwischen einer Rede besteht, die überzeugen will, wenn man sie im Drama findet, und einer Rede, die überreden will. Diesen Unterschied muß man ja machen. Es gibt die Möglichkeit, daß man überreden will. Das kann in gutem und bösem Sinne sein und in allen Nuancen dazwischen.

Denken Sie nur einmal, wie Illassisch großartig ist das zweite in dem berühmten Worte des Wallenstein: «Max, bleibe bei mir! »«Max, bleibe bei mir» = das ist ein Überredenwollen, nicht ein Über­zeugenwollen, aus dem ganzen Kodex kann es Ihnen ersichtlich sein. Sie können sich unmöglich vorstellen, daß Wallenstein in diesem Momente vor Max Piccolomini steht und etwa sagt - die Hände ringend -:

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«Max, bleibe bei mir!» Aber Sie können sich vorstellen und müssen sich sogar vorstellen, daß er in diesem Momente dem Max auf die Schulter klopft. Das ist die Gebärde, um die es sich also han­delt. Denn jedesmal, wenn es sich um das Überzeugen handelt, muß sich am Schauspieler selber etwas berühren; also derjenige, der Zu überzeugen hat, hat etwas zu tun, sei es, daß die Hände sich berühren, sei es, daß er mit den Händen einen anderen Körperteil berührt, es muß an dem Schauspieler selber etwas sich berühren. Er muß spüren die Überzeugungskraft.

Will er überreden, so muß er entweder die vollständige Gebärde der Berührung des anderen machen, oder sie so entstehen lassen, daß, wenn er sie fortsetzen würde, sie eine wirkliche berührende Gebärde würde.

Nehmen Sie an, wie fein in dieser Beziehung unterschieden werden können die verschiedenen Arten des Überredens. Nehmen Sie an, das Überreden soll ein Trost sein. Im Troste hängt so viel davon ab, daß wir im guten Sinne des Wortes überreden können; denn zu dem Über­Zeugtsein, Überzeugtwerden hat derjenige, der getröstet werden will, ja nicht die Zeit; er will in der Regel überredet sein, nicht überzeugt. Da wird es sich darum handeln, ob wir Trost spenden wollen, oder ob wir von dem, den wir überreden, etwas haben wollen.

Wenn wir Trost spenden wollen, dann werden wir naturgemäß harmonisch in der Gebärde wirken, wenn wir entweder die Gebärde beginnen oder sie zu Ende führen. Aber sie braucht auch nur begon­nen Zu werden, so daß man entweder die Hände ergreift, oder die Handfläche auf den Unterarm legt. Haben Sie diese Gebärde des die Händeergreifens im Trostspenden, oder des Auflegens der Hand­fläche auf den Unterarm, dann wird der Zuschauer ganz instinktiv das Richtige empfinden.

Dieses werden Sie nicht machen dürfen, wenn Sie etwas haben wollen wie eben in dem berühmten Beispiel. Wenn Sie auch in dem allerbesten Sinne etwas haben wollen: «Max, bleibe bei mir...» Da werden Sie nicht die Handfläche auf den Unterarm legen, sondern die Schulter oder das Haupt berühren müssen, oder die entsprechende Gebärde entstehen lassen, die, wenn sie vollendet würde, das Entsprechende

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erreichen würde. Diese Dinge müssen so ins Auge gefaßt werden, wenn wiederum wirkliche, totale Regiekunst herauskommen will.

Aber nun weiter. Es müssen die Dinge auch weiter studiert wer­den. Und da handelt es sich darum, daß wir Zum Beispiel über so etwas eine künstlerisch geformte Anschauung erhalten. Man kann den Menschen sehen: er steht für den Zuschauer im Profil; man kann ihn sehen im teilweisen Profil; man kann ihn sehen en face. Alle drei Arten des Gesehenwerdens haben einen besonderen Inhalt. Und wer das Leben kennt, weiß, wie die Menschen, wenn sie die Dinge machen - im Leben macht man sie durch Koketterie, in der Kunst macht man sie künstlerisch -, sich instinktiv hineinstellen in diese Dinge. Ich kannte einen deutschen Professor, der trug nie anders vor, als indem er sich im Profil hinstellte. Der wußte sehr gut, was das bedeutet, daß er sich nicht allein vor Damen, vor denen er ja viel vor­getragen hat, sondern auch vor seinen Studenten im Profil hinstellte.

Stellt man sich im Profil, so bedeutet das immer, daß im Zuschauer instinktiv das Gefühl hervorgerufrn wird der intellektuellen Über­legenheit. Man kann einen Menschen nicht anschauen im Profil, ohne daß man das Gefühl seiner intellektuellen Überlegenheit oder Unter­legenheit hat. Im Leben kommt natürlich auch die Unterlegenheit vor. Für denjenigen, der unbefangen empfindet, kann überhaupt der Form nach angesehen niemals herauskommen, ob ein Mensch gescheit oder dumm ist, wenn man ihm ins Gesicht, en face, schaut. Da merkt man, ob er ein guter oder schlechter Mensch ist, ein mitfühlender Mensch oder ein Egoist; wenn man ihm ins Profil schaut, merkt man, ob er gescheit oder dumm ist. Und da derjenige, der sein Profil be­nutzt, natürlich immer glaubt, daß er gescheit ist, so wird er seine Gescheitheit ausdrücken wollen.

Der Schauspieler muß noch einiges hinzufügen. Er muß etwas den Kopf nach rückwärts dabei bewegen, dann wird er aber immer, wenn er im vollen Profil dasteht, die Überlegenheit für seine Mitspieler aus­drücken, so daß der Zuschauer dies fühlt. Daher müssen Sie auf der Bühne, wenn Sie künstlerisch vorgehen wollen, sehen, daß derjenige, der eine Passage auszudrücken hat, in der das darinnen liegt, daß er

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dem anderen überlegen ist, so hinsteht, daß er gegenüber dem Zu­schauer im ganzen Profil erscheint und den Kopf etwas zurückstellt. Es muß eben aller Dilettantismus hinaus aus der Bühnendarstellung. Es muß wiederum diese Möglichkeit geschaffen werden, daß gerade so, wie man die Farben behandeln muß beim Malen, wie man das lernen muß, wie Voraussetzungen dazu da sein müssen, so müssen VoraussetZungen da sein bei der Bühnenkunst; sonst ist man nicht Schauspieler, sonst schauspielert man nicht künstlerisch, sondern man «reinhardtet» höchstens oder «bassermannt»!

Wenn Sie also so dem Zuschauerraum gegenüberstehen im teil­weisen Profil, da handelt es sich darum, daß nun nicht die intellek­tuelle Überlegenheit Zum Ausdrucke kommt, sondern gerade, nament­lich wenn der Kopf etwas geneigt ist - wenn Sie so stehen -, die intel­lektuelle Anteilnahme an demjenigen, was gesprochen wird, die in­tellektuelle Anteilnahme.

Dagegen kann alles dasjenige, was das Gemüt des Zuhörenden ver­anschaulichen soll, auf der Bühne nur so gesprochen werden, daß der Zuschauer möglichst viel dieses Gesicht en face sieht. Es ist etwas ungeheuer Belebendes, wenn nicht auf das Verständnis hin des Zu­hörers - ich meine jetzt des Zuhörers als Schauspieler auf der Bühne -, sondern wenn so gesprochen wird, daß dann, wenn auf seinen Ver­stand gewirkt werden soll durch den Verstand des anderen, die Profil-stellung gewählt wird; wenn auf das Gemüt gewirkt werden soll, die en-face-Stellung gewählt wird.

Dadurch aber, daß solche Dinge nun wirklich durchschaut werden, bekommt die Bühnenkunst wiederum über den Dilettantismus hinaus einen Inhalt. Das Intellektuelle, das Gemütvolle wird so schon durch die Art, wie der Schauspieler steht, oder geht, zum Ausdrucke kom­men. Das Wollen aber wird immer in die Bewegung hineinzubringen sein, wobei durchaus dasjenige respektiert werden muß, was ich über die Bewegungsform schon gesagt habe. Jenes Wollen, hervorgehend aus dem betreffenden Inhalt, das Zugibt dem anderen dasjenige, was er will. Nicht wahr, sprachlich drückt ja einer aus, was er will; wenn man Zuhört, kann man entweder einschnappen in sein Wollen, oder man kann es hindern wollen. Das sind die zwei Situationen, die im

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Extrem möglich sind, und die natürlich wieder Nuancen dazwischen haben.

Alles Wollen, wo man das Wollen des anderen zugibt, muß mit irgendeiner Bewegung entweder des ganzen Körpers oder der Arme von links nach rechts verbunden sein. Probieren Sie einmal: Lassen Sie einen dasjenige sprechen, was über ein Wollen handelt, lassen Sie einen anderen dastehen und die Geste ausführen, die sich von links nach rechts bewegt - Sie haben Zustimmung Zum Wollen, es drückt das aus, daß der andere, der Zuhört, das auch will. Lassen Sie ihn von rechts nach links bewegen, wehrt er ab und nimmt sich vor, Hindernisse in den Weg Zu stellen. Insbesondere kommt das im allerschärfsten Maße Zum Ausdruck, wenn solche Bewegungen namentlich mit dem Kopfe selbst gemacht werden, aber man soll natürlich auch den ande­ren Leib dazu Zu Hilfe nehmen.

Sehen Sie, das sind die Dinge, die eingehen müssen in eine Regie-schule, in eine eigentliche Bühnenkunstschule. Ich habe gestern dieses Paradoxe gesagt, daß Laufen instinktiv das Gehen übt, wie man es auf der Bühne braucht, daß Springen instinktiv das modifizierte Gehen, schneller Gehen oder langsam Gehen übt, Ringen die Hand-und Armbewegungen und so weiter. Und wie wird man denn die Sache praktisch ausführen müssen?

Nun, Zunächst natürlich muß die Schule damit beginnen, daß über-haupt die Teilnehmer Laufen, Springen, Ringen, eine Art von Diskus-werfen und eine Art von Speerwerfen wirklich üben, denn dadurch kommen sie in diese Bewegungen hinein. Namentlich wird dadurch das vermieden werden, daß man bei dem Schauspieler schon von allem Anfang an das Gefühl hat, der hat seinen Körper nicht in der Hand. Es ist heute sogar ein sehr häufiges Gefühl, das man hat, daß eigent­lich alle, die da oben auf der Bühne herumhopsen und herumtänzeln und so weiter, gar nicht ihren Körper in der Hand haben. In ganz anderer Weise würde man den Körper in die Hand kriegen, wenn eben diese Übungen Zunächst vorausgingen.

Dann gehe man über dazu, gerade das eine aus dem anderen her­auszuholen. Man übt eine halbe oder eine Viertelstunde das Laufen, nachher eine halbe oder dreiviertel Stunde das Gehen auf der Bühne

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und so weiter mit dem Springen und Ringen; man verbindet die bei­den. Aber da wird noch etwas gut sein Zu beobachten. Um tatsächlich das Wortgestalten aus dem Leibe hervorzubringen, werden die Übun­gen in der folgenden Weise gemacht werden müssen.

Man wird für die allerersten vier Übungen: Einübung des Gehens, Einübung des modifizierten Gehens, Einübung der Arm- und Hand­bewegungen, Einübung des Mienenspieles, einen Rezitator sprechen lassen müssen, und der lernende Schauspieler muß zunächst stumm die Geste oder die Miene dazu machen. In diesen vier ersten Gliedern des Einlernens sollte sogar die Sache noch später so getrieben werden, daß derjenige, der eigentlich später darstellen will, erst seine Gebärde einübt, indem er noch nicht das Wort dabei hat, und der Sprecher der dramatischen Truppe, des Ensembles, spricht, um diese Dinge Zuerst im stummen Spiel einzuüben. Dann werden Sie zuletzt bei der fünf­ten Übung erst übergehen können in das Sprechen, das die Gebärde begleiten wird, das man früher nur eingeübt hat ohne Gebärde , im Rezitativ.

Aber diese beiden Dinge, Gebärde und Wortgestaltung, sie müssen bewußt ineinander gefügt werden. Dann allein werden Sie auf diese Art den nötigen künstlerischen Stil bekommen.

Dazu ist natürlich notwendig, daß dasjenige, was einzelne Direkto­ren gefühlt haben in früheren Zeiten, beachtet wird. Laube hat solches Zum Beispiel gefühlt, daß zu den notwendigen Requisiten eines Büh­nenensembles auch ein Rezitator gehört. Strakosch zum Beispiel war wiederholt immer Rezitator. Nur war er nicht gerade nach der Rich­tung hin orientiert, von der ich jetzt spreche, sondern er war mehr orientiert darauf, die Dinge gewaltmäßig mit den Schülern einzustu­dieren. Von diesem Gesichtspunkte aus war es interessant, gerade bei dem alten Strakosch zu sehen, wie er die Leute dressierte, aber mit dem allerbesten Willen und mit einer auch im Sinne der damaligen Zeit nicht schlecht gehaltenen Kunst. Wenn er irgend etwas einem Schüler eintrichterte, dann war der Schüler bald aufrechtstehend, bald fühlte er sich, wie wenn ihm der Strakosch alle Glieder ausrenken wollte, vor allen Dingen die Lenden ausbiegen wollte, so daß die Beinkugeln oben rauskommen konnten; bald sah man den Schüler

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auf dem Boden liegen, Strakosch oben drauf, wenn es losgehen sollte, und dazwischen dann die anderen Nuancen. Aber, sehen Sie, Tempe­rament war darinnen. Temperament braucht man zur Bühnenkunst.

Aber damit will ich nicht sagen, daß man nicht auch darinnen durch wirklich künstlerisches Streben etwas erreichen kann. Im alten Indien war eine mehr spirituell geartete Abstammungslehre vorhanden. Da sah man eine gewisse Art von Affen auch schon als Menschen an, aber man war konsequenter in dem Irrtum als heute. Man sagte, die können auch sprechen, sie wollen es nur nicht, teilweise weil sie bocltig sind, teilweise weil sie sich genieren. So hatte man den ganz richtigen Gedanken, daß selbstverständlich, wenn die Affen irgend­wie Menschen wären, auf dem Wege zur Menschwerdung sind, müß­ten sie auch sprechen können. Man hatte diesen Gedanken. An das erinnert mich immer das, wenn ich mich damit befasse, wie tempera­mentlos heute viele gerade sind, die das Temperament brauchten. Da glaube ich aber: in Wahrheit haben sie Temperament, sie wollen es nur nicht Zeigen. Ich meine, es ist wirklich so, die heutigen Menschen sind schon auch temperamentvoller, als sie es Zeigen. Es ist nur Zum Teil, wissen Sie, schon in der Kindheit nicht schicklich, das Tempera­ment Zu zeigen. Wie ungehalten ist man manchmal, wenn Kinder ihr Temperament Zeigen, doch sollte man da auch mit einem gewissen Verständnis folgen können.

Aber wenn eine Schauspieletschule so eingerichtet wird, wie ich es angedeutet habe, wird man nicht zurückscheuen dürfen vor dem Springen und Ringen und Diskuswerfen! Wenn nun der Lehrende das richtige Temperament hat, kein Mensch ist, der fortwährend ein langes Gesicht macht, sondern etwas Humor hat, dann wird dadurch auch noch dazu das Temperament herausgeholt. Die Menschen wer­den sich nicht mehr genieren, ihr Temperament zu entfalten! Man kann schon Zum Herausholen des Temperamentes einiges tun, nur geschieht es heute nicht. Und das ist es, meine lieben Freunde, was zur Kunst, insofern der Mensch diese Kunst ausüben soll, überhaupt gehört, und was man wissen muß, daß es dazu gehört: Temperament. Meinetwillen kann einer mystische Bücher temperamentlos schreiben. Wenn sie jemand gefallen, nun ja, gut; man sieht ja den nicht, der da

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schreibt. Aber an denjenigen Künsten, wo der Mensch sich selber herausstellt, gehört Zur Kunst Temperament, und das gesteigerte Temperament, der Humor. Da können dann die Dinge beginnen, esoterisch Zu werden. Und auch in das Esoterische der Sache wollen wir dann eindringen.

Wir wollen morgen an dieser Stelle, wo wir hier aufgehört haben, fortsetzen.

ZEHNTER VORTRAG Dornach, 14. September 1924 Der Mysteriencharakter der dramatischen Kunst

#G282-1969-SE223 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

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ZEHNTER VORTRAG

Dornach, 14. September 1924

Der Mysteriencharakter der dramatischen Kunst

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Ich möchte heute einiges zu den vorangegangenen Betrachtungen hinzufügen, das hinüberführen wird zu dem, was ich schon gestern angedeutet habe, zu einer gewissen esoterischen Vertiefung der gan­zen Auffassung und des Hineinstellens von seiten der am Schauspiel-wesen Beteiligten in dieses Schauspielwesen. Wir können gar nicht in der rechten Weise als Mitwirkende - beim Publikum werden wir sehen, daß es etwas anders ist - unsere, wenn ich mich in diesem Fall so ausdrücken darf, Aufgabe empfinden, unsere künstlerische und menschliche Aufgabe gegenüber der Schauspielkunst, wenn wir nicht auf der einen Seite in das tief Begründete dieser Schauspielkunst im Menschen, so wie er heute ist, und auf der anderen Seite in die mensch­liche Entwickelung, in deren gegenwärtiger Phase wir leben, hinein-schauen.

Der Schauspieler muß schon einmal die Möglichkeit haben, hinein sich zu fühlen in die Art, wie das künstlerisch gestaltete, gesprochene Wort Wesensoffenbarung für den ganzen Menschen sein kann. Er muß eine in gewissem Sinne geistige Auffassung seines Berufes gerade durch dieses tiefere Hineinschauen bekommen. Dann wird er durch diese geistigere Auffassung seines Berufes auch in der Lage sein, die notige innere Energie aufzuwenden, um immer künstlerischer und künstlerischer auch die einzeinen Obliegenheiten seines Berufes bis in die Details des Bühnenauftrittes hin zu gestalten.

Bedenken wir einmal das Folgende: In einem wesentlichen des kon­sonantischen Sprechens liegt die Beteiligung von Gaumen, Zunge, Lippen und so weiter an der Gestaltung des Wortes. Wir können auf der anderen Seite tief hineinschauen, wie das Wort, um innerlich wesenhaft voll inhaltlich zu werden, gerade in solchen Regionen des Menschen, wie den bezeichneten Organregionen, das Erlebnis ge­wissermaßen abfängt. Man kann das, wenn man sich nicht scheut, die

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Dinge zunächst wirklich so anzusehen, wie sie angesehen werden müs­sen bei dem mehr Faßbaren, um dann überzugehen zu dem mehr Geistigen.

Gehen wir deshalb jetzt von der gewöhnlichen physischen Ge­schmacksempfindung aus, denn es ist nicht unnötig, daß man das Er­fassen eines Künstlerischen beim Menschen als Geschmack bezeich­net. Wenn man heute vom Geschmack im Künstlerischen spricht und vom Geschmack bei der Gurke oder dem Kalbsbraten, so fühlt man nicht mehr die Notwendigkeit, welche die Menschen dazu veranlaßt hat, das eine und das andere mit dem Worte Geschmack zu belegen. Aber nehmen Sie die Tatsache, daß der Mensch, wenn er Bitteres ge­nießt - dasjenige, was man im Speisen- oder Getränkegenuß bitter nennt, das ganz gewöhnliche materiell Bittere -, dann das Geschäft, für ihn die Empfindung des Bitteren zu besorgen, dem rückwärtigen Teil seiner Zunge und dem Gaumen auflegt, so daß also in dem Augenblicke, wo Bitteres von Ihrem Mund in Ihre Speiseröhre geht, und Sie das Erlebnis, das ganz materiell physische Erlebnis des Bitte­ren haben, bei dieser Angelegenheit Ihr Gaumen in Verbindung mit der Zunge und der hintere Teil der Zunge beschaftigt ist.

Nun können Sie auch Saures genießen, dasjenige, was Sie genießend in das Erlebnis des Sauren hineinbringt. Da legen Sie wiederum haupt­sächlich Ihrem Zungenrand die Verpflichtung auf, für Sie die Empfin­dung des Sauren zu vermitteln; der ist beschäftigt, während Sie das Erlebnis des Sauren haben. Und haben Sie die Empfindung des Süßen, dann ist Ihre Zungenspitze vorzugsweise beschäftigt. So sehen wir also, wie das Verhältnis zur Außenwelt sich streng nach den Gesetzen des Organismus regelt. Wir können nicht mit der Zungenspitze irgend-wie die Freundschaft so schließen, daß sie uns das Saure oder Bittere vermittelt; sie bleibt untätig beim Sauren oder Bitteren, sie hat schon einmal die charaktervolle Eigentümlichkeit, nur wenn wir etwas Süßes durch den Mund gehen lassen, tätig zu sein.

Nun übertragen wir wirklich nicht ohne Grund die Ausdrücke sauer, bitter, süß auf moralische Eindrücke. Wir sprechen sogar in sehr dezidierter Weise von dem Sauren, von dem Bitteren, von dem Süßen bei moralischen Eindrücken. Jch sage in dezidierter Weise

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aus dem Grunde, weil wir zum Beispiel beim anderen Menschen nicht durchweg veranlaßt sein werden, in seinen Worten, die er ausspricht, etwas Saures zu sehen. Wir sprechen aber schon bei seinem Mienen­spiel aus einem ganz natürlichen Instinkt heraus von einem sauren Gesichte. Wir werden nicht leicht einen Satz sauer finden, aber ein Gesicht werden wir außerordentlich leicht sauer finden.

Nun, sehen Sie, dasjenige, was da bei einem Gesichte uns veranlaßt, es als sauer zu bezeichnen, das regt genau dieselben Gegenden da­hinten, wo es schon gegen die Kehle zu geht, in der Zunge an, etwas gei­stiger, aber doch tätig zu sein, gerade so, wie wenn wir Essig verschluk­ken. Es ist eine innere Verwandtschaft, die instinktiv durchaus sich im Menschen geltend macht. Und das Unbewußte weiß in diesem Augenblicke ganz genau die Beziehung zwischen dem Essig und dem Gesichte. Der Essig aber hat die Eigentümlichkeit, daß er die mehr passiven kleinen Organe der Zunge für sich in Anspruch nimmt. Das Gesicht der «Tante» bei gewissen Gelegenheiten hat die Eigentüm­lichkeit, daß sie die mehr aktiven Teile derselben Gegend in Anspruch nimmt.

Wir müssen sagen: Wir sehen da hinein in den gehemnisvollen Übergang von Empfindung zur Sprache. Dieser Übergang ist durch­aus da. Das Moralische erregt die Sprache auf demselben Wege, auf dem das Physische die Empfindung erregt. Wenn man das weiß, dann wird man auch die Möglichkeit gewinnen, ich möchte sagen, in die tieferen Regionen des Wirkens untertauchen zu können. Man wird wirklich dahin kommen, zu wissen, daß es gut ist, wenn ich irgend­einen Satz auszusprechen habe, der sich künstlerisch auf das saure Gesicht der Tante bezieht, als aufmerksamer Lebensbeobachter in der Seele eine deutliche Empfindung, eine Nachempfindung, einen Nach-geschmack davon zu haben, wie der Essig schmeckt. Und das hilft. Es führt ein Weg von dem einen zu dem anderen herüber.

Habe ich einen Satz dahingehend auszusprechen, daß jemand mir einen Vorwurf gemacht hat, oder habe ich zuzuhören bei einem Vor-wurf, der mir gemacht wird, dann wird es gut sein, instinktiv in den Untergründen der Seele die Nachempfindung, wie man sagen könnte, den Nachgeschmack des Wermuts in mir zu erregen.

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Habe ich zum Beispiel einen Hofrat darzustellen, zu dem ein Mensch kommt, der eine Stellung haben will - das kann ja auch in einem Stück vorkommen -, der sich demgemäß benimmt, Schmei­cheleien sagt und so weiter, so wird es gut sein, wenn ich dabei zu sprechen habe, zu allem übrigen - das übrige wird dadurch wesent­lich unterstützt -, den Nachgeschmack zu halten, den ich beim Zucker-genuß habe. Auch beim Anhören wird sogar die Gebärde sich instink­tiv in der richtigen Weise gestalten, wenn ich mir den Nachgeschmack des Zuckergenusses vor die Seele stelle.

Man könnte heute sagen, wenn so etwas ausgedrückt wird, fasse man die Sache ziemlich realistisch, materiell, naturalistisch auf. Aber man bekommt eigentlich nur die Anregung, die Dinge so auszu­sprechen, wenn man die andere Seite in Betracht zieht, von der ich auch Andeutungen gemacht habe, die historische Entwickelung des­jenigen, was zu unserem heutigen Schauspiel geführt hat. Denn letz­ten Endes liegt die Entwickelung zu unserem Schauspiel hin dennoch in ihrem Anfang, in ihrem Keime bei alledem, was als Mysterium empfunden wird. Und man bekommt nicht eine würdige Auffassung von der Schauspielkunst, wenn man nicht zurückgehen kann zur Mysterienkunst. Mysterienkunst aber war auf der einen Seite darauf aus, alle Darstellung zu verfolgen bis zu jenen Impulsen, die aus der geistigen Welt in den Menschen eindringen. Sie war aber auf der ande­ren Seite auch darauf aus, diese geistigen Jmpulse bis in solche mate­rielle Details zu verfolgen, daß diejenigen, die in alten Mysterien dar­stellen sollten, durch Essig oder so etwas ähnliches, durch Wermut und so weiter dazu vorbereitet wurden, Wort, Mimisches, Gebärden zu finden. Da beginnt man dann die Sache erst künstlerisch ernst zu neh­men, wenn man sich darauf einläßt, bis in das körperliche Erleben hinein die künstlerische Gestaltung aufzusuchen. Sonst bleibt man dennoch bei einer Darstellung, die notwendigerweise durch ihr eige­nes Wesen bis in die Fingerspitzen gehen muß - ich habe auch schon gesehen, daß man auf der Bühne die Zunge herausstreckt, die also bis zur Zungenspitze geht -, beim Oberflächlichen hängen, wenn man nicht so weit geht.

Nun tritt allerdings in demjenigen, was heute vielfach als primitive

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Schauspielkunst an uns herankommt, als Schauspielkunst, die auf das Gebiet gehört, das ich neulich erwähnt habe und das in Ausstellungen einem zum Beispiel entgegentreten kann, wie die primitive Darstel­lungskunst der Orientalen auf der jetzigen Londoner Ausstellung, etwas uns entgegen, wo die Menschen - wir wissen, das bedeutet noch ursprünglichere Etappen der Schauspielkunst - nicht so recht bis zu der Mysterienart vordringen. Allein, wollen wir das zunächst beiseite lassen und nachher erwähnen, wollen wir zunächst wirklich den Ur­sprung des gewöhnlichen Dramas in der Mysterienkunst suchen, da-mit von dieser Auffassung des Mysteriencharakters des gewöhnlichen Dramas das Seriöse hineinkommen kann in das Handeln des gegen­wärtigen Schauspielers.

Im Grunde sollte im Mysterium zunächst nur dargestellt werden durch Menschen, wie die Götter in das menschliche Leben herein-wirken. Und würde man vieles von dem, was von Äschylos zugrunde gegangen ist, heute noch haben, dann würde man darin zwar nicht unmittelbar sehen, wie die allerälteste Mysterienkunst war, man würde aber Nachklänge dieser alten Mysterienkunst schon haben können. Man würde sehen können, daß da zunächst eigentlich mit einer ge­wissen heiligen Scheu herangegangen worden ist an das Darzustel­lende. Denn dasjenige, was darzustellen war, waren nicht menschliche Vorgänge auf der Erde, Vorgänge unter Menschen auf der Erde, sondern waren eigentlich übersinnliche Vorgänge, die sich mit Be­ziehung auf das menschliche Leben unter Göttern abspielen. Das­jenige gewissermaßen, was im Übersinnlichen geschieht, unter über­sinnlichen Wesenheiten, das sollte in seinem Hereinwirken in das Irdische dargestellt werden.

Aber man hatte in den ältesten Zeiten durchaus Scheu, das unmit­telbar anschaulich darzustellen. Man hatte vielmehr das Gefühl, man muß alles dasjenige tun, wodurch gewissermaßen ein Schema der Göt­ter selber auf der Bühne steht. Man mußte auf der Bühne alles so ein­richten, daß der Zuschauer das Gefühl bekam, die Götter seien selbst mit einem Teil ihres Wesens auf die Bühne heruntergestiegen.

Wie suchte man das zu erreichen? Das suchte man dadurch zu er­reichen, daß man zunächst überhaupt nicht handelnde Personen hatte,

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nicht Schauspieler, die etwas darsteliten, einen Gott oder einen Men­schen, sondern daß man Chöre hatte, Chöre, welche in einer Sprach-gestaltung, die zwischen der gewöhnlichen Sprachgestaltung und dem Singen mitten drinnensteht, eine besondere Art künstlerischen Rezi­tativs darstellten mit Instrumentenbegleitung; daß man dadurch in einer weit über das Gewöhnliche hinausgehenden Stilisierung hervor­brachte in dem Laut, in den Silben, in den Satzbildungen ein wirk­liches Kunstgebilde, das da auf dem Bühnenraum schwebte, rein ge­staltet aus demjenigen, was aus dem musikalischen, aus dem plasti­schen, aus dem malerischen Worte sich hinzauberte vor dem Zu­schauer oder Zuhörer, der da war. Und der Zuhörer hatte nach diesen alten Begriffen nicht bloß die Vorstellung, sondern die reale Anschau­ung: diese Chöre haben alles dasjenige getan, was sie da entwickeln, getan, um den Göttern die Möglichkeit zu geben, in der musikalisch­p]astischen Wortbildung selber da zu sein.

So war die musikalisch-plastisch-malerische Wortbildung bis zu jener Individualisierung gekommen, in der sie ganze Götterwesen be­deuten konnte. Das wurde innerhalb uralter Zeiten in den Mysterien wirklich gepflegt. Und in der Darstellung ergab sich dann dasjenige, was zwischen dem, das auf der Bühne vorgeht, und dem, was im Zuschauerraum erlebt wird, vorhanden war und, ich möchte sagen, wie eine Astralaura den ganzen Raum durchschwebte : dasjenige, was wir heute Furcht vor dem göttlichen Dasein, Ehrfurcht, Scheu nen­nen können. Der Mensch fühlte sich in der Gegenwart einer über­sinnlichen Welt. Diese Empfindung, sie sollte da sein.

Und verbunden mit ihr sollte sein das sich im Menschen regende Gefühl, mit dieser Götterwelt in seinem moralischen, in seinem seeli­schen Verhalten zu leben. Miterleben des Göttlichen war als zweites beabsichtigt in diesen alten Mysterien. Furcht vor den Göttern im besten Sinne des Wortes und Miterleben des Göttlichen.

Und sehen Sie, allmählich sank bei den Menschen hinunter die Fähigkeit, im Gestalteten, das nicht ein Natürliches ist, überhaupt noch etwas zu sehen. Und die Folge davon war, daß dasjenige, was eigent­lich zuerst bloß im Worte lebte, im plastischen, malerischen, musika­lischen Worte lebte, im gestalteten Rezitativ lebte, im Hochstilisierten

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lebte, nötig machte, daß der Mensch sich selber hinstellte, um die Konturen, die man nicht mehr im malerisch-plastisch-musikalischen Worte wahrnahm, die Götterkonturen, durch seine Konturen dar­zustellen.

Aber es durfte nicht vergessen werden, daß er ein Gott ist. Und sehen Sie sich die ägyptischen Götter an. Man hat ihnen in der Regel nicht, wenn es nicht wiederum in anderer Absicht lag, fade Menschen-gesichter gemacht - ich bitte aber, sich zu erinnern aus früheren Vorträ­gen dieses Kursus, wie ich das meine -, man hat ihnen nicht fade Men-schengesichter gemacht. Die ägyptischen Götter, gerade die höheren, das heißt, die mehr ins Geistige hineingehen, hatten Tiergesichter, hielten fest dasjenige, was auf das Ewige deuten sollte, nicht das ewig bewegliche Menschenantlitz. Das sollte zum Ausdrucke kommen durch ihre übrige Gebärde; das Dauernde sollte auch im Dauern der Physiognomie da sein. Ein Menschenantlitz kann man nicht dauernd unbeweglich sein lassen. Da nimmt es den Ausdruck des Toten, des Starrkrampfigen an. Will man das Dauernde, das dem Geistigen eigen ist, gegenüber dem Wechselnden für die sinnliche Welt verkörpern, dann muß man notwendigerweise zum Tiergesicht greifen.

So sehen wir im ägyptischen Kultus auf der einen Seite die eigent­lichen übersinnlichen Götter mit den Tiergesichtern. So sehen wir beim Auftauchen des Menschen auf der Bühne den Menschen mit der ans Tierische erinnernden Maske. Die Dinge haben sich aus dem inne­ren Gang des spirituellen Lebens heraus entwickelt.

Aber der Mensch stellte zunächst nicht den Menschen dar, er stellte den Gott dar, zumeist denjenigen Gott, der den Menschen am näch­sten steht, den Dionysos. Und so war dem Chore zugesellt in der Mitte der Schauspieler; zuerst einer, dann zwei, die zum Dialog über­gingen, und dann immer mehr und mehr. Nur wenn man in der gan­zen dramatischen Darstellungskunst den Zauberhauch dieses ihres Ursprungs verspürt, dann stellt man sie heute als Akteur in der rich­tigen Weise noch vor die Zuschauer hin, denn dann weiß man, wie aus dem Kultus heraus, der auch darstellen wi]l dasjenige, was im Übersinnlichen liegt, in der sinnlichen Welt, die Schauspielkunst her-vorgetreten ist.

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Das ist noch im Mittelalter greifbar, meine lieben Freunde. Gehen wir zurück hinter diejenigen Zeiten, in denen sich dann die Weltlich­keit des Bühnenspieles bemächtigt hat, so finden wir durchaus die bühnenmäßige Darstellung nur im Anhange an den Kultus. Wir sehen, wie der Weihnachtskultus, der sozusagen die Menschen hinaufleiten soll zur Anschauung des Göttlichen, in einer gewissen Situation in oder vor der Kirche fortgesetzt wird, umgestaltet wird zu den Weih­nachtsspielen, wie das Schauspielerische die Erweiterung des in der Kirche gepflogenen Kultus ist, wie der Geistliche, der den Kultus zelebriert, nachher selber erscheint als Schauspieler und bei den Weih­nachtsspielen mitwirkt.

Es ist nicht mehr dieselbe heilige Empfindung dem zugrunde lie­gend, wie das war bei den alten Mysterien, wo das Schauspiel ein­gegliedert war, im Mysterium drinnenstand, unmittelbar dazugehörte, sondern es ist schon etwas Abgesondertes bei den beiden; aber es ist doch so, daß man deutlich die Zusammengehörigkeit noch fühlt. Und so in den anderen Festeszeiten.

Und wenn man diesen sakralen Ursprung des Schauspiels auf der einen Seite sieht, dann wird man schon auch finden, wie das andere Glied, ich möchte sagen, das mehr weltliche Glied, das nicht mehr so nahe dem Kultusmäßigen steht, dazukommt. Es hatte einen ähn­lichen Ursprung. Der Mensch hat zunächst nur gefühlt in der großen Natur draußen das Göttliche, mit dem er zusammenhing, den Gott in den Wolken, den Gott in dem Blitz und Donner, aber vor allen Dingen, den Gott hereinkommend dann, wenn objektiv hin-gestellt wird durch den Chor das gestaltete und musikalisch modu-lierte Wort.

Aber gerade daran hat der Mensch allmählich gelernt, das andere Geheimnis wahrzunehmen, daß dem Göttlichen, das uns aus Welten-weiten entgegenkommt, von innen heraus wie ein Echo das Göttliche entgegenklingt, das in uns selber wohnt. Und daraus erfaßte dann den Menschen etwa eine Empfindung, die in der folgenden Weise charakterisiert werden könnte.

Der Chor bereitete ursprünglich den Boden durch dasjenige, was er hervorbrachte für das künstlerisch gestaltete Wort, in dem der Gott

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sich natürlich nicht inkarnieren, aber inkorporieren sollte. Das war das Mysterienspiel, das ursprüngliche. Nun wurde aus menschlicher Unzulänglichkeit der Schauspieler hingestellt, der durchaus aber den Gott darstellte. Nun empfand man nach und nach im Verlaufe der geschichtlichen Entwickelung, daß der Mensch, auch wenn er sein tiefstes Inneres darstellt, ein Göttliches darstellt. Der Mensch kam darauf, wenn er das Göttliche der Außenwelt darstellt, dann kann er auch dasjenige darstellen, was ein Göttliches in ihm selber ist. Und daraus, aus der Götterdarstellung in der Schauspielkunst, wurde die Darstellung des innersten menschlichen Wesens, die Seelendarstellung. Und das Bedürfnis mußte natürlich entstehen, nun das menschliche innerste Erleben in die Sprachgestaltung hineinzunehmen, dieses selbe menschliche innerste Erleben in die Gebärdendarstellung hineinzu-nehmen.

Daraus entwickelte sich dann in den Zeiten, in denen das instinktiv noch bedeutsam war, alles das, was ich in diesen Tagen dargestellt habe, was wieder erneuert werden muß, was sozusagen mit allem Willen zur dramatischen Technik wieder aufgenommen werden soll, auf der einen Seite selbst bis zum Diskuswerfer, auf der anderen Seite bis zur Nachgeschmacksempfindung des Sauren und Bitteren. Bis da hinein muß gegangen werden, daß wieder aufgenommen werden muß, was der Menschendarstellung zugrunde liegen muß.

Ein Bild, meine lieben Freunde, könnte Ihnen schon, wenn Sic es meditativ betrachten, vergegenwärtigen, wie die Entwickelung der Schauspielkunst war, und Ihnen dann den Impetus geben, in solche Dinge hineinzukommen, wie ich sie ganz im Detail in diesen Tagen angegeben habe, und wie ich sie jetzt von einem allgemeineren Ge­sichtspunkt aus beleuchten möchte.

Zunächst haben wir, wenn wir die Hauptbühnengestaltung festhal­ten - selbstverständlich kann sie nur schematisch gedacht werden, wenn sie für ältere Zeiten gedacht wird -,den Chor, der in der Mitte der Bühne das malerisch-plastische, musikalische Wort gestaltet. Darinnen wird der Gott empfunden. Der Gott erscheint in dem malerisch-musika­lisch-plastischen Worte. Der Gott will dem Zuschauer erscheinen (siehe Zeichnung Seite 232).

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Das nächste Stadium ist, daß gesetzt wird da, wo der Gott nur in­korporiert war in dem gestalteten Worte, zwischen den Chor der wirkliche, reale Mensch, der aber nun den Gott noch darstellte, der vom Chor lernen konnte, der sogar allerlei Instrumente brauchte zur Verstärkung der menschlichen Stimme, um nicht dasjenige von innen herauskommen zu lassen, was eben aus dem Menschen herauskommt, sondern um nachzuahmen dasjenige, was der Chor in der Außenwelt objektiv hinstellte.

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#Bild s. 233

Zunächst sollte der Mensch in seinem Rezitieren nur fortsetzen, was im Chore lag. Und den verständigen Leuten im alten Griechen-land wäre das Sprechen, das wir heute auf der Bühne pflegen, gegen­über demjenigen, was der Schauspieler damals mit mächtiger, selbst durch das Instrument verstärkter Sprachentwickelung - nicht etwa bloß deshalb, weil man im Freien spielte und starke Stimmen brauchte, sondern weil das der Fall war, was ich jetzt auseinandergesetzt habe -, was da wie das Entfalten der Götterstimme auf der Bühne da sein

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sol]te, demgegenüber wäre das, was heute auf unserer Bühne ent­wickelt wird, dem Griechen als ein Mäusleinpiepsen vorgekommen. Es ist schon so. Denn da stürmte die göttliche Welt durch die Dar­stellung herein.

Nun aber wurde der Mensch gewissermaßen gewahr, daß das Gött­liche in ihm selber ist. Aus der Gottesdarstellung wurde eine Men­schendarstellung. Und die notwendige Folge ist, daß der Mensch ler­nen muß, seine Prosa zu stilisieren, seine inneren Erlebnisse in die Außenwelt und ihre Offenbarung hineinzutragen. Aber da genügt wahrhaftig nicht, daß wir uns so benehmen, wie wir uns im Leben benehmen. Das brauchte man nicht darzustellen. Das hat man wirk­lich im Leben genug. Und den künstlerisch empfindenden Menschen kann eigentlich die bloße Nachahmung des Lebens nicht interessieren, weil das Leben dann immer reicher ist als dasjenige, was man heraus-schälen kann.

Betrachten Sie das nur an anderem Künstlerischen als an der Schau­spielkunst. Landschaftsmalerei hat wirklich nicht viel Sinn, wenn einer Bäume abmalt mit der Absicht, Bäume abzumalen, um zu zeigen, ob sie Nadeln oder Blätter haben, um oben solche Wolkenformen ab­zumalen, unten einen Wiesengrund, um die Farben der Blumen wie­derzugeben. Man kann das mit künstlerischem Sinn eigentlich nicht anschauen. Warum? Weil es immer schöner ist, draußen in der Natur das anzuschauen. Solche Landschaftsmalerei hat gar keine Daseins-berechtigung. Es ist wirklich immer schöner in der Natur draußen.

Die Landschaftsmalerei beginnt erst einen Sinn zu haben, wenn man zum Beispiel einer Abendstimmung gegenübersteht, der Baum geht einen gar nichts an, aber das Licht, wie es aufgefangen wird vom Baume, das hat eine bestimmte Stimmung, eine Stimmung, die im Momente entsteht, im Momente vergeht, die nicht auf den trockenen, nüchternen Philisterbeschauer einen großen Eindruck macht, aber die geistesgegenwärtig im besten Sinne des Wortes im Augenblicks-empfinden festgehalten werden kann. Schaut man dann eine solche Landschaft an, dann schaut man eigendich die Blickdurchgeistigung eines Menschen in einem Augenblicke an. Man schaut hinüber durch die gestaltete Landschaft in die Seele eines Temperamentes. Denn je

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nachdem der Mensch sein Temperament hat, schaut die Landschaft aus bis in ihre Farbengebung hinein. Bei einem wirklichen elementa­ren Künstler wird es wirklich so sein, daß, wenn er selber in seiner Seele eine melancholische Grundstimmung hat, er dann die Schatten­seite der Dinge mit ihren schattennuancierten Farbenstimmungen uns entgegenbringen wird. Wenn einer ein innerlich sanguinisches Tem­perament hat, dann wird das Rötllch-Gelbliche auf den Blättern da tanzen, wo der Sonnenschein auf die Blätter auffällt. Und wenn man einmal gewahr wird in der Welt, daß einer solch ein Rotes, Tanzendes malt im Sonnenschein, und man ihn nachher kennenlernt und er eigentlich ein melancholischer Mensch ist, dann ist er kein Maler, dann hat er das Malen gelernt. Und das ist ein großer Unterschied, ob man ein Maler ist, oder ob man das Malen lernt, obwohl der Maler, der es ist, auch das Malen gelernt haben muß!

Die neueste Zeit hat vielfach daraus den Schluß gezogen, also ist derjenige kein Maler, der das Malen gelernt hat, und derjenige ist ein Maler, der nie etwas gelernt hat. Das ist aber nicht richtig. Ich möchte sagen, will man den wirklichen Maler charakterisieren, so muß man sagen : Er muß ein Maler sein. - Dann geniert man sich ein bißchen und sagt noch dazu : Aber er muß Malen dazugelernt haben. - Wenn man aber so einen sieht, wie ich ihn eben beschrieben habe, dann sagt man,um nicht Anstoß zu erregen, denn Höflichkeit ist eine Tugend :

Er hat das Malen gelernt. - Aber im stillen fügt man bei : Aber er ist doch kein Maler.

Ich will nicht gerade mit diesen Dingen vorbildlich wirken, aber ich möchte eben auf Usancen hindeuten, die wirklich bei vielen Men­schen deshalb vorhanden sind, weil sie sich ja sonst nicht retten könn­ten gegenüber den Prätentionen, die an sie herantreten.

Nun also, dasjenige darzustellen, was unmittelbar da ist, dazu ist keine Veranlassung; wohl aber ist alle Veranlassung, daß der Mensch, der auf der Bühne steht als Darsteller, zunächst seinen gewöhnlichen Menschen vergessen läßt und ganz der Mensch wird, der in der Sprachgestaltung lebt, so wie ich es dargestellt habe. So daß man von dieser Sprachgestaltung, wie ich es dargestellt habe, vom schneiden­den, vom langsam gezogenen, kurz abgemessenen, von dem rasch

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hingeworfenen Worte gewissermaßen aurische Konturen um den Schauspieler instinktiv sieht als Zuschauer. Der Schauspieler wird dadurch etwas anderes, als was er im Leben ist.

Bedenken Sie nur einmal, wie bei extremen Fällen Sie da sehen, daß es so gemacht werden muß. Im extremen Falle ist das ja so. Den­ken Sie sich, man hat auf der Bühne einen Blödiing darzustellen. Da­zu darf man wahrhaftig nicht blöde sein; und der Regisseur, der einen Blödling durch einen Blödling darstellen läßt, ist wirklich der denk­bar schlechteste Regisseur, denn, um einen Blödling darzustellen, dazu gehört die höchste Kunst. Da darf man am wenigsten ein Blöd-ling sein. Da handelt es sich darum, daß man nicht etwa einen Men­schen sich aussucht, der sich nur in seiner naturhaften Blödigkeit hin­stellt - das wäre naturalistisch das beste -, aber darum handelt es sich, daß, wenn ein Blödling dargestellt werden soll, seine Blödheit darin besteht, daß jener Kontakt zwischen dem sauer, bitter, süß, wie ich es heute im Anfang des Vortrages gesagt habe von der Sprachgestaltung, nicht zustande kommen kann. Er kriegt es nicht fertig, die Brücke hinüber zu schlagen. Und schon der dramatische Dichter muß darauf Rücksicht nehmen, daß der Blödling bei der Empfindung bleibt, nicht zu der aus dem Moralischen heraus folgenden Sprachgestaltung kommt.

Was wird man daher als guter dramatischer Dichter tun - und der Schauspieler muß das, was an solchen Stellen der gute dramatische Dichter tut, aus dem Vollen einsehen -, was wird man da tun? Man wird den Blödling darstellen lassen durch einen Menschen, der als Bühnenkünstler im eminentesten Sinne die Gabe hat, so die Gebärde zu machen, wie ich es gestern und vorgestern beschrieben habe : aus dem inneren Erlebnis heraus in künstlerischer Stilisierung. Da wird er finden, daß er insbesondere die Kunst des Zuhörens entwickeln muß, des Zuhörens mit der Gebärde, gleichgültig, ob einem als Regisseur der Dichter zu Hilfe kommt oder nicht, denn Dichter sind ja in der neuern Zeit auch nicht gerade große Künstler. Aber man kann da zwar nicht «corriger la fortune», wohl aber corriger das Leben, oder die Kunst in ehrlichem Sinne eintreten lassen, indem man den Blöd-ling hinstellt mit den möglichst vollkommenen Gebärden, wie ich sie

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gestern für den Zuhörer und Zuschauer entwickelt habe, dann aber bei ihm die Gebärde als Grundgebärde hervorrufen lassen, als ob ihm die Umgebung erst sagte, was er, wenn er etwas empfindet, zu sagen hat. Sie kriegen immer den Eindruck des Blödlings auf der Bühne, wenn Sie Gebärden machen lassen, aber er mit offenem Munde mög­lichst in einer karikierten a-Situation der hinteren Mundwerkzeuge fortwährend auf seine umgebenden Menschen hinschaut, als ob die eigentlich sprechen sollten, nicht er.

Hat einem auch der Dichter keine Vorlage dazu geliefert, so sollte man dennoch als Regisseur, wenn der Blödling dargestellt zu sein hat, als die entsprechende Geste das fordern; und wenn auch etwas ganz anderes gesagt wird, der Blödling kann das so machen, als ob er aus der Rede heraushörte, was er sagen soll zu der Empfindung. Wenn der Blödling immer den Eindruck macht, er ist das Echo der Um­stehenden, dazu aber gute Gebärden macht, dann ist die Blödigkeit auf der Bühne fertig. Im Leben geht es nicht so zu.

Und wiederum, wollen Sie den Weisen auf der Bühne darstellen, was die Schauspieler schon lieber tun - ich würde als Schauspieler lieber den Blödling darstellen -, dann müssen Sie in seine Gebärden dasjenige hineinbringen, das ihn womöglich wenig auf die Zuhörer verweist in bezug auf die Auffassung. Er sündigt, wenn er ein Weiser sein soll, dadurch gegen die Lebendigkeit der Gebärde, wie ich gestern und vorgestern vorgeführt habe, daß er diese Gebärde nur immer an-deutet und immer etwas hineingeheininißt von Abweisendem, von derjenigen Gebärde, die ich als die abweisende für das abweisende Wort gezeigt habe. Der Weise geht mit, aber mischt immer in die verstehende Gebärde die abweisende Gebärde. Dann wartet, wenn der Partner ausgesprochen hat, der Weise eine Weile, geht womöglich, nachdem er vorher mit etwas vorgeschobenem Kopf doch sich dem Partner geneigt hat, mit dem Kopf etwas zurück, und mit den Augen-lidern auch etwas zurück. Dadurch erhält der Zuschauer instinktiv immer den Eindruck, er will nicht recht eingehen auf den Partner, er will das Wesentliche aus sich selber holen. Und man bekommt dann als Zuschauer den instinktiven Eindruck, er redet viel mehr aus seiner Erinnerung heraus als aus dem Zugehörten. Diesen Eindruck

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muß man beim Weisen immer bekommen, sonst ist die Sache nicht stilisiert.

Sie werden den entgegengesetzten Gestus haben müssen, wenn Sie auf der Bühne die Tante auftreten haben, die eben vom Kaffeeklatsch kommt und die Usancen des Kaffeeklatsches irgendwie in einer ande­ren Situation fortsetzt. Denn die wird müssen mit einer starken Ab­wehrbewegung dasjenige begleiten, was der Partner spricht, weil ihr nichts recht ist, und sie wird dann mit der ganz echten Begleit-gebärde, wie ich sie dargestellt habe für die einzelne Wortgestaltung, einfallen müssen in dem Momente, wo der Partner noch die letzte Silbe sagt, damit man das Gefühl hat, sie braucht gar nicht nachzu­denken, sie weiß von vornherein, wenn ihr die Situation entgegen­tritt, daß sie irgendwie dies oder jenes zu sagen hat; sie muß schon anfangen mit Gebärde und Wortgestaltung, während die letzte Silbe gesprochen wird. Nur muß man noch leise anklingen lassen das Spre­chen der letzten Silbe, damit die Sache nicht undeutlich wird, aber man muß einen großen Wert darauf legen, daß die Sache in der Weise, wie ich es sagte, stilisiert, denn die Tante, die vom Kaffeeklatsch kommt, ist ja gerade das Gegenbild des Weisen. Es kann auch der «Onkel» erscheinen, der vom Dämmerschoppen kommt, nur muß dann in diesem Falle gegenüber dem Weiblichen das Männliche betont werden. Und während die Tante, die vom Kaffeeklatsch kommt, mehr mit den Fingern vorrückt bei der letzten Silbe, rückt der Onkel, der vom Dämmerschoppen kommt, mehr mit der ganzen Hand oder mit dem Arm vor, aber er wird auch anfangen bei der letzten Silbe. Das wird das Stilisierte sein.

Wir wollen dann morgen diese Betrachtungen fortsetzen.

ELFTER VORTRAG Dornach, 15. September 1924 Gebörde und Mimik aus der 5prachgestaltung heraus

#G282-1969-SE239 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

ELFTER VORTRAG

Dornach, 15. September 1924

Gebörde und Mimik

aus der 5prachgestaltung heraus

#TX

Die Frage werden wir aufwerfen müssen : Wie wird sich, wenn Schau­spielkunst, dramatische Darstellung wirklich in ein künstlerisches Leben einlaufen soll, dasjenige verhalten müssen, was der Schauspieler weiß und übt, beziehungsweise was die Bühne darstellt, zu dem, was durch diese kunstgemäße Gestaltung der Bühne, der Schauspielkunst dann in das Publikum als Verständnis der dramatischen Darstellungs­kunst übergehen kann? Es wird notwendig sein, daß vor allen Dingen jetzt noch einiges über Dinge gesagt wird, welche in die Schauspiel­schule werden aufzunehmen sein. Und das, was da in die Schauspiel-schule wird aufzunehmen sein, wird auch ein eindringliches Verständ­nis des Mimischen und einen Ausbau des Verständnisses für das Ge-bärdenhafte zu umfassen haben, wie wir schon im allgemeinen so etwas angedeutet haben. Erst dann, wenn sich dem Darsteller der Sinn eröffnet dafür, daß das alles sein muß, wird - ich will nicht sagen, um nicht ein philiströses Wort zu gebrauchen - das Publikum erzogen werden, denn eigentlich ist mir dieses Wort vom Erziehen zuwider, weil es keinen realen Inhalt hat, sondern ich will sagen, es wird das Publikum zum Verständnisse des Künstlerischen angeregt werden.

Gehen wir deshalb heute in sach- und fachgemäßer Weise einiges durch, was uns zum Verständnis zunächst des Mimischen und dann des Gebärdenhaften in einer noch eingehenderen Weise führen kann, als wir das schon getan haben.

Ich möchte auch da wiederum exempelhaft vorgehen. Nehmen wir zum Beispiel eine mimische Äußerung, welche eine deutliche Art des Mimischen nach sich ziehen muß, die sich auf die Emotion des Zornes bezieht. Zunächst kann man die Emotion des Zornes im Menschen-wesen zu erfassen suchen. Der Zorn wirkt so, daß er zunächst die Mus­keln anspannt, aber nach einiger Zeit zum Nachlassen zwingt. Man

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kann sagen, im Leben braucht einen nur der erste Teil dieser Zornes-offenbarung zu interessieren; aber wenn es sich um die künstlerische Darstellung handelt, müssen wir diese volle Offenbarung des Zornes haben, Anspannung und nachherige Erschlaffung.

Nun handelt es sich darum, wie man das Mimisch-Gebärdenhafte lernen soll, das sich auf solche Zornesaußerung beziehen kann. Und da wird es sich darum handeln, daß man, wenn man die Lautempfin­dungen entsprechend in sich ausgebildet hat, was das erste sein wird in der Schauspielschule, so wie ich das angedeutet habe, dann dazu überzugehen hat, irgendeine Stelle aus einem Drama, sagen wir also eine Zornpassage, rezitatorisch ablaufen zu lassen, und dabei - ich habe schon angedeutet, daß das für das Lernen am besten ist - mit dem Mimisch-Gebärdenhaften die Worte nicht gleich selbst verbindet, sondern einen Sprecher hat. Der Sprecher spricht schon so, wie zu sprechen ist; derjenige, der nun sich in das Mimisch-Gebärdenhafte hineinfinden soll, wird selbstverständlich genau den Inhalt der Worte verfolgen, aber ihn mit einer fortlaufenden i e-, i e-, i e-Empfindung begleiten, die er innerlich in sich ertönen läßt, während er zuhört. Und dazu wird er sich bemühen, dasjenige, was von selbst dadurch kommt, instinktiv, irgendwie in Armen oder Händen und mit der geballten Faust auszudrücken, die Muskeln anzuziehen, wieder er­schlaffen zu lassen beim : i e' i e, i e. Das bedeutet, niemals anders als in Begleitung mit einer Lautempfindung irgend etwas physiologisch am Körper vorzunehmen, also nicht in bezug auf die Schauspielkunst anders zu üben, als dasjenige, was man am Körper vornimmt, in Be­gleitung einer Lautempfindung vorzunehmen.

Wenn man darstellen soll, daß Affekte : Angst, Gram, Schreck schon ihre Wirkung getan haben, wenn man also schon auftreten soll in dem Wirken von Schreck, Angst und dergleichen, dann wird der physio­logische Tatbestand der sein, daß man von vornherein mit erschlaff­ten Muskeln auftreten soll; aber die Art und Weise, wie man das zu üben hat, besteht darinnen, daß man das Erschlafftsein übt in Ver­bindung mit der e-Stimmung.

Nun handelt es sich darum, daß bei allem Sorgenhaften - ob man ein Sorgenhaftes schon an sich trägt, also damit kommt, oder ob man

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in Sorge verfällt, während einem etwas gesagt wird - immer versucht werden muß, in der Sprachgestaltung leise ein ö anklingen zu lassen. Das heißt, man wird versuchen, bei all demjenigen, was sich auf Sorge bezieht, was sich darauf bezieht, daß man entweder mit der Sorge kommt, oder die Sorge sich auf einen legt, währenddem man die Rede des anderen hört, das Mimische dabei herauszubringen, indem man etwa in der ö-Stimmung die Hände und die Lider langsam sinken läßt. Nicht wahr, die Dinge müssen immer unter dem Aspekt betrachtet werden, daß sie noch freie Bahn für denjenigen lassen, der die Dinge durchnimmt. Ist der Affekt, in den man dadurch kommt, sehr stark, so wird man schließen da vorne - mit der Zunge nach oben, wenn man dann zu sprechen hat; beim weiteren Sprechen, wenn man Ant­wort gibt auf dasjenige, was der Partner sagt, mit womöglich zu­sammengepreßten Lippen das sagen. Und das gibt in der Tat ein wun­derbares Kolorit. Der Zuschauer muß ohne weiteres instinktiv dann -wenn zwei Unterredner auf der Bühne sind, der eine etwas sagt, was dem anderen Sorge oder Kummer macht, und der andere dann so antwortet, daß er selbst das a mit etwas gepreßten Lippen heraus-bringt - den richtig kolorierten Eindruck haben, wie das Gesagte auf den anderen, der antworten soll, hinüberwirkt.

Denn denken Sie nur - wollen wir einen extremen Fall nehmen - der eine sagt : Dein Bruder ist gestorben. - Der andere sagt : Ach, das zerschmettert mich! - Es kommt das Kolorit heraus durch die mög­lichst zusammengepreßten Lippen.

Findet man es nötig, das Mimische so weit auszudehnen, was natür­lich bei einer ausgedehnten Sorge oder Angst der Fall sein wird, daß man sich blaß schminkt, so sollte man niemals ein blasses Geschminkt-sein anders begleiten als mit einer Rede, die durchaus mit mehr zu-sammengehaltenen Lippen, als das Normale ist, gesprochen wird. Nie­mals sollte man auf der Bühne mit blasser Schminke erscheinen, ohne zu gleicher Zeit in dieser Weise das Mimische zu gestalten.

Sehen Sie, besonders bedeutsam wird sein, daß der Schauspieler die richtige Beziehung von gewissen Dingen zum Leben ins Auge faßt. Es kann durchaus zum Mimisch-Gebärdenhaften kommen das Seuf­zen, das Stöhnen, aber es sollte niemals abstrakt für sich Seufzen und

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Stöhnen geübt werden, sondern immer im Anhören einer Stelle aus dem Dramatischen geübt werden, die zum Inhalte hat, daß man über sie hinwegkommen wird. Denn derjenige, der sich ganz vertieft in einen Schmerz, stöhnt nicht und seufzt nicht, sondern derjenige, der sich den Schmerz vom Halse schaffen will, der sich selbst verbessern will, stöhnt und seufzt. Das deckt sich mit dem Leben nicht immer ganz vollkommen; in der Kunst, im Stil, deckt es sich aber vollkom­men. Da sollte Seufzen und Stöhnen nur verwendet werden, wenn es sich darum handelt, den Schmerz so weit zu erleichtern, daß man überhaupt sprechen kann, daß man nicht verstummt. Daher sollte schon, wenn man auf etwas zu antworten hat, was einen nieder­schmetternden Schmerz ausdrückt, ein schön gestaltetes Stöhnen und Seufzen vorangehen, durch das man sich gewissermaßen die Erlaubnis zum Sprechen erst erwirbt.

Dann wird es sich darum handeln, daß man auch im einzelnen übt so, daß der Körper physiologisch mitgeübt wird, aber immer in An­lehnung an das Sprachlich-Gestaltete. Nehmen Sie zum Beispiel an, Sie hören einer traurigen Passage zu, hören dieser traurigen Passage so zu, daß Sie sich bemühen, das Gesicht gar nicht durch ein Mienen­spiel zu ändern, aber Sie bewegen den Kopf dabei. Also : bewegter Kopf bei ruhigbleibendem Antlitze = Zuhören einer traurigen Passage.

Da tritt nämlich von selbst etwas ein, wenn Sie das tun. Da tritt das ein, daß Zwerchfell und auch dasjenige, was sich nach unten an­schließt, in diejenige Bewegung kommen, in die sie kommen als Re­aktion, als Gegenwirkung zu dem, was Sie mit dem Gesichte und mit dem Kopf tun. Und Sie üben Zwerchfrll und Unterleib von selbst in der richtigen Weise. Das macht sich ganz v6n selber. Man sollte gar nicht anders als in Anlehnung an die Sprachgestaltung die Übung an dem Körper vornehmen. Also einer traurigen Passage zuhören :

mit vollem Bewußtsein, mit ruhigem Antlitz und bewegtem Kopfe zuhören.

Hören Sie einer Passage zu, die Sie gleichgültig läßt, bewegen Sie den Kopf gar nicht, sondern starren Sie einfach mit möglichster An­teillosigkeit auf die gleichgültige Passage hin. Es ist nicht zuviel ge­sagt, weil es der Tatsache entspricht, wenn man darauf hinweist, daß

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solches Anhören mit ruhigem Gesichte, aber unbewegtem Kopf, so wie wenn man einschlafen wollte, eine ganz leise Absonderung be­wirkt, die auch bei dem Phlegmatiker vorhanden ist, wenn er seinem Phlegma richtig folgt. Und man findet sich hinein auf die erste Art in die Darstellung des Melancholischen, auf die zweite Art in die Dar­stellung des Phlegmatischen.

Man kann also sagen : Wie bereitet sich der Schauspieler dazu vor, melancholische Charaktere darzustellen? Indem er traurigen Passagen zuhört, das Gesicht ruhig hält und den Kopf bewegt und sich dann dem überläßt, was in seinem Körper von selbst vorgeht.

Wie bereitet sich der Schauspieler dazu vor, phiegmatische Charak­tere darzustellen? Indem er mit ruhigem Gesichte die Physiognomie des Einschlafens annimmt, also die Augenlider sinken läßt, die Nasen­flügel sinken läßt, sich nicht bemüht, die Oberlippe durch den Willen zu bewegen; wenn er so zuhört und dadurch jene feine Absonderung hervorruft, welche die Begleitung des phlegmatischen Temperamen­tes ist. - Sie sehen in dem Ganzen den Geist des Arbeitens.

Wollen Sie die sanguinische Naive im ehemaligen Sinne - ich sage es nur, um es anzudeuten, ich will diese Kategorie nicht wiederum konstruieren -, aber wollen Sie die sanguinische Naive vorbereiten, ja, dann machen Sie das so, daß Sie eine sensationelle Meldung, wie sie in einem Drama vorkommen kann, lesen lassen, und die Schau­spielerin oder den Schauspieler - es kann ja auch ein männlicher sanguinischer Naiver sein - während der Zeit recht starke Gesichts-bewegungen und auch Armbewegungen machen lassen. Das geht instinktiv in jenes sprudelnde Reden hinüber, das die Naiven zu ent­wickeln haben, diejenigen, die ein sanguinisches Temperament dar­stellen sollen.

Wollen Sie den Choleriker vorbereiten, das heißt denjenigen, der auf der Bühne Cholerisches darzustellen hat, dann wählen Sie dazu irgendeine Stelle, wo geschimpft wird. Sie finden da bei £hakespeare zahlreiche Stellen, die Sie gebrauchen können. Lassen Sie denjenigen, der das mimische Spiel einzuüben hat, dabei die Stirne runzeln, mit angezogenen Händen Fäuste bilden, und halten Sie ihn an, mit ge­spannten Muskeln bewußt sich auf den Boden zu stellen. Also : Stirne

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runzeln, mit angehaltenen Händen Fäuste bilden, von den Knien nach abwärts durch die Waden die Muskeln spannen und bewußt in sich haben : Ich stehe mit der ganzen Fläche meines Fußes auf dem Boden auf. - Fr wird dadurch geeignet werden, Cholerisches darzustellen.

Sehen Sie, so wie man Technisches haben muß, um eine andere Kunst zu lernen, so muß man auch bei der Schauspielkunst Tech­nisches haben, das zu dem Richtigen führt. Zwei Dinge gibt es -wenn man in den Büchern, die aus der gegenwärtigen Wissenschaft heraus geboren sind, nachliest, so findet man überall dabei das Wort :

unerklärt -, zwei Dinge gibt es im Leben, welche die Wissenschaft heute auf diesem Gebiete, es gibt natürlich sehr viele, unerklärt läßt. Die Wissenschaft spricht überall von Grenzen des Erkennens, und sie hat mit Bezug auf das Erfassen der Sprache zwei deutliche Gren­zen : es sind die Grenze vor dem Lachen und die Grenze vor dem Weinen. Die Wissenschaft registriert überall dazu : Lachen und Wei­nen, wie sie aus dem Menschen herauskommen, sind unerklärt.

Nun ist das aber nicht so. Nehmen wir zunächst das Weinen. Was bedeutet überhaupt das Weinen im Leben? Das Weinen geht immer daraus hervor, daß der Ätherleib des Menschen irgendwo zu stark den physischen Leib erfaßt. Wenn der Mensch dies in sich schmerz-voll fühlt, so wird er folgenden Prozeß durchmachen : physischer Leib, Ätherleib, Astralleib, Ich - nun, der Ätherleib erfaßt irgendwo zu stark den physischen Leib. Man will die Kraft, die nach unten, nach dem physischen Leib geht, heraufholen nach dem Astralleib, er-gießt in den Astralleib die Gegenkraft; der Ätherleib ist aber ver­bunden im Menschen mit dem flüssigen Elemente, und Sie haben ganz handgreiflich dasjenige, was da geschieht : der Ätherleib stößt nach dem astralischen Leib, und die physische Projektion davon ist das Ausstoßen der Tränen, das Weinen. Daher ist das Weinen auch eine Erleichterung für den Schmerz.

Versuchen Sie ein deutliches ö anzuschlagen, immer mehr hinein-zukommen in das Erleben des ä, dann bekommen Sie allmählich ein Mienenspiel, so daß Sie sich einfach von außen, von einer Tasse, kleine Wassertropfen hierher - an die Augen - zu setzen brauchen, und es ist Weinen. Es ist Weinen! Es braucht gar nicht von innen zu kommen.

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Wenn Sie ganz in das Mienenspiel übergehen, immer mehr bewußt werden, was Ihre Nase, was Ihre Augen tun, wenn Sie ö sagen, neh­men dann aus einer Tasse Wassertropfen, setzen sich sie auf: Sie weinen. Es ist vollständig dargestellt.

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Damit haben Sie aber auch gegeben, was das Wichtige ist. Es han­delt sich auf der Bühne nicht darum, daß sentimentale Zuschauer sagen können, was ich immer wieder und wieder gehört habe von der Duse -aber es war nicht wahr - : Sie hat wirklich geweint. - Sie hat wirklich geweint, das ist dasjenige, was einem die Begeisterung für einen wirk­lichen Erfolg dann immer ausdrücken soll. Wie auch der Duse gegen­über es immer wieder betont worden ist, daß sie auf der Bühne tat­sächlich erröten konnte, sie, die eine ganz blasse Hautfarbe natürlich hatte. Scheinbar konnte sie erröten. Die Leute haben nur nicht be­merkt, daß sie sich dabei umgedreht hat, daß sie auf der einen Seite hell, auf der anderen Seite dunkler geschminkt war. Aber es ist nicht ganz würdig, derlei Dinge, die ja eine starke Illusion schon hervorrufen kön­nen, wirklich auch anzunehmen. Diese Dinge sollten eigentlich - ein­geschult durch solche Schulung, wie sie jetzt ausgearbeitet wird durch ein vollständig Sich-Überlassen dem ä-Laute - herbeigeführt werden.

Nun, sehen Sie, wenn wir in derselben Weise das Lachen betrachten,

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dann bekommen wir die Sache so : Beim Lachen sitzt etwas im astralischen Leibe. Es verirrt sich etwas, was wir mit dem Ich auf­fassen sollen, in den astralischen Leib hinein, weil wir nicht ganz mächtig sind des Eindrucks. Wenn einer eine Karikatur anschaut :

kleine winzige Beine, einen riesigen Kopf - man ist nicht ganz mäch­tig des Eindrucks. Was soll man damit anfangen? Im Leben sieht man das nicht. Es rutscht zum astralischen Leib hinunter, geht vom Ich zum astralischen Leib hinein. Nun versucht man die Reaktion des Ätherleibs und physischen Leibs hervorzurufen. Es ist ein entgegen­gesetzter Gang. Das, was im astralischen Leib ist, will der Ätherleib in den physischen Leib hineinbringen : es ist das Lachen. Das Lachen ist die Bemühung, ein astral Erlebtes, nicht ganz Erfaßtes, dadurch als etwas Törichtes oder dergleichen hinzustellen, daß man es bis in den physischen Leib hinunterbringt. Das erreichen Sie dadurch, daß Sie versuchen, eine solche Stimmung festzuhalten.

Schreiben wir uns noch einmal die Reihenfolge der Vokale auf. Fangen wir beim u an, dem vordersten : u üo a 0 i e a. Nehmen Sie das o, gehen Sie über das i hinüber zum e : 0 e. Oder nehmen Sie das ä und gehen Sie zu dem a hinüber : ö a, das weniger deutlich ist. Besonders deutlich ist das 0 e, 0 e, 0 e, 0 e, 0 e - und versuchen Sie, aus dieser Stimmung herauszubringen dasjenige, was in das Lachen hineingehen soll; das heißt, hören Sie sich von dem Sprecher eine zum Lachen bringende Passage an und begleiten Sie sie zuerst mit 0 e, 0 e und gehen Sie dann in das Lachen über, und Ihr Lachen wird das schönste Bühnenlachen, das Sie haben können. Auf diese Weise wird eben aus der Sprachgestaltung heraus das Mimische geschaffen.

Nehmen Sie an, Sie haben nötig, für irgend etwas im Mienenspiel Aufmerksamkeit zu offenbaren. Sie erreichen das, indem Sie sich irgend etwas vorlesen lassen, was dazu bestimmt ist, daß man aufmerkt. Sie bemühen sich, den Blick zu fixieren, aber die Stimmung des a a a dabei zu haben, so daß Sie allmählich diese Stimmung wie in den Blick hineinleiten, wie wenn Sie mit den Augen sagen wollten : a. Sie drängen das Gefühl, das Sie haben, im a-Aussprechen, etwas hin­auf in den fixierten Blick hinein : a. Sie bekommen das mimische Spiel des Aufmerkens.

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Nehmen Sie an, Sie lassen sich von jemandem vorlesen - nun, sagen wir, es würde ein Lustspieldichter in sein Stück eine kleine Szene hin-einbringen, die sich einmal in Österreich abgespielt hat, wo eine Ge­sellschaft in Reichenau gesessen hat und aus einer gewissen lustigen Stimmung heraus dort den Nachweis bringen wollte, daß der Redak­teur des «Wiener Fremdenblattes», der noch dazu ein Verwandter von Heine war, ein ganz großer Dummkopf sei. Da beschloß diese Gesell­schaft in Reichenau, folgendes Telegramm aufzusetzen, um dann am nächsten Tage zu sehen, ob der Heine so dumm sei, dieses Telegramm aufzunehmen, oder so gescheit noch, daß er es nicht aufnähme. Das könnte man ja ganz gut in ein Lustspiel umarbeiten. Das Telegramm lautete : Die Gemeinde Reichenau hat beschlossen, die Raxalp abzu­tragen, damit der Erzherzog - der immer dort wohnte - einen freien Ausblick in die grüne Steiermark hat. - Am nächsten Tag erschien das Telegramm wörtlich im «Wiener Fremdenblatt». Einige hatten gewettet, daß er es nicht tun werde; aber diejenigen, die gesagt haben, der Heine ist so dumm, daß er auch das aufnehmen wird, haben mit ihrer Wette gesiegt.

Aber nehmen wir einmal an, diese Passage würde vorgelesen. Man hat ein Recht, wenn man den Erfolg hört, überrascht zu sein. Man macht in diesem Falle das Auge so weit auf, als es einem gelingt, be­ginnt mit der i4ntonierung : i i i, läßt sie wieder aufhören und läßt dasjenige, was man in der i-Intonierung fühlt, in diesem merkwürdi­gen Zusammenballen der ganzen i4ntonierung, hlnaufrutschen in das Auge : i. Sie werden sehen, daß Sie den Blick herauskriegen.

Weiter : das ganze Antlitz, meine lieben Freunde, bekommt den Ausdruck des Erschreckens, wenn Sie einer Erzählung zuhören, durch die man erschrecken kann, die Augen zumachen, u intonieren, auf­hören, das intoniette u in die Augen hineinnehmen : u= es wird Er­schrecken, mehr als irgend etwas anderes, es wird Erschrecken. Die Intonation des u in das geschlossene Auge hineinnehmen : das ganze Antlitz bekommt den Ausdruck des Erschreckens. Gerade an dieser Gebärde, an dieser Gesichtsmimik des u, welches in das geschlossene Auge hinaufgeschoben wird, sieht man, wie man an der Sprachgestal­tung das Mienenspiel heranziehen kann.

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Manche inneren Erlebnisse beziehen sich dann auf Äußeres. So, wenn man ausdrücken will Verachtung von etwas, was sich auf Äuße­res bezieht, muß ja konsonantisiert werden, wie ich gesagt habe. Las­sen Sie sich eine Passage vorlesen, intonieren Sie : n und machen Sie die verachtende Gebärde, Sie begleiten das mit n n n n n. Wenn Sie sich genügend eingeübt haben, was diese Gebärde auf Ihrem Antlitz erscheinen läßt, dann werden Sie das auch sprechen können, wenn Sie in dem Satze das Verachtende zu sprechen haben, dann werden Sie es in der richtigen Weise sprechen können. Aber alles, wie gesagt, aus der Sprachgestaltung herausholen.

Nehmen wir an, jemand will Niedergeschlagenheit ausdrücken. Es ist eigentlich sehr leicht zu lernen, aber man muß es eben lernen. Man läßt sich eine Stelle vorlesen, die Niedergeschlagenheit ausdrückt, und intoniert, höchstens nur mit Anklingenlassen des e' diesen Konsonan­ten : u' w w w w Dann verstummen Sie, aber bleiben in der Gebärde :

Sie haben die Niedergeschlagenheit in der Gebärde. - Wollen Sie Ent­zücken ausdrücken, so versuchen Sie, einen reinen Aushauch zu be­kommen, wie er beim Aushauch des h da ist; wie etwa, wenn wir be­ginnen damit, das Wort Jehova zu sagen; ho übergehen lassen in den reinen Aushauch, dabei Blick nach oben gewendet, Arme nach oben gewendet : Sie bekommen die Gebärde des Entzücktseins. Arme nach oben gewendet, Blick nach oben gewendet - bei manchem wenden sich dann noch die Ohrläppchen nach oben, bei manchem reißen sich die Nasenflügel auf, das kann man aber dem Unbewußten überlassen, und dabei eben dieses h intonieren, möglichst rein sich herausarbeiten, daß man das erst bekommt. Solange man das h in Verknüpfung noch hat mit einem Vokal, ist es eben nicht rein, deshalb sage ich, man arbeite heraus : Jehova, ho' ho ...h...h... Sie hören es gar nicht, aber ich mache es, und Sie sehen, daß sofort der Blick verändert wird, wenn man übergeht vom Begleiten - vokalischen Begleiten, Jntonie­ren - zu dem bloßen Aushauchen. Das gibt das Entzücken.

Nun etwas, was man gut lernen kann und was auch immer gelernt worden ist, aber dasjenige, was gut war in der alten Kunst, darf des­halb nicht verachtet werden, es muß nur wiederum herausgeholt wer­den aus der Sprachgestaltung, und das ist das Neue daran. Nehmen

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Sie an, Sie intonieren a u, a u' aber bemühen sich, während Sie a u in­tonieren, die Falten der Stirne senkrecht zu machen, die Augen auf­zumachen, so weit Sie können : a. Jetzt lassen Sie weg die Intonierung a : Sie haben die Gebärde des Nachdenkens, des sorgenvollen Nach­denkens im vollen Sinne des Wortes. Sie tritt eben erst dann ein, wenn die Sprachgestaltung nachwirkt, wenn man mit dem Intonieren auf-hört, aber man muß mit dem Intonieren anfangen, dann übergehen lassen das Intonieren in die Haltung.

Ich weiß, daß solche Dinge natürlich zunächst so bedacht werden, daß man sagt : Ja, wann kommt man denn dann zum Bühnenspiel? -Aber Sie werden sehen, all das, was da gefordert wird, kann, wenn es gerade sachgemäß gemacht wird, eigentlich in einer kürzeren Zeit gemacht werden, als man die Dinge in den gegenwärtigen Schauspiel-schulen besorgt, die nur nicht besucht werden von denen, die dann auftreten, weil gewöhnlich das nicht die besten Schauspieler werden, die in den gegenwärtigen Schauspielschulen ausgebildet werden, eben­sowenig wie in Malschulen oder Bildhauerschulen die besten Maler oder Bildhauer ausgebildet werden, denn in der Regel ist es ziemlich talentlos, wie dort die Dinge geübt werden. Die übrigen fahren vor­her aus der Haut, um im weiteren die Kunst zu üben. Nun ja, die Dinge werden nicht so furchtbar kompliziert sein, sie müssen nur erst gewußt und studiert sein!

Nun möchte ich etwas sagen, was mehr generell ist, aber von einer großen Wichtigkeit und Bedeutung ist. Der Schauspieler sollte schon das Eurythmische kennen, nicht um zu eurythmisieren, denn Eurvth­mie ist eine Kunst, die für sich auf der Bühne ausgeübt wird. Aber so wie der Schauspieler Anklänge haben soll in seinem Studium an alle anderen Künste, so auch an die Kunst der Eurythmie. Er sollte ge­rade das Eurythmische anders anwenden, als indem er etwa versucht, dasjenige, was er zu leisten hat, im einzelnen ins Eurythmische aus­laufen zu lassen. Da wird denn doch nichts Künstlerisches daraus. Eurythinie muß für sich wirken, wenn sie künstlerisch sein soll, kann nicht anders wirken, als indem sie von Rezitation und Musik begleitet wird und eben bewegte Sprache ist. Man muß schon empfinden bei der Eurytlunie, was das Künstlerische an der Eurythraie ist, nämlich

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gerade dasjenige, was nicht ausgedrückt werden kann im Musikali­schen selber oder im Rezitatorischen selber, was von da aus dann weiterlaufen muß. Daher wird niemand es als richtig eurythmisch ansehen können, wenn einer singt, der andere eurythmisiert. Im Singen haben wir schon das Musikalische in das Sprachliche hinüber-geleitet, und es stört nur die Eurythmie das Singen und das Singen die Eurythmie. Begleitet werden kann die Eurythmie von dem Rezi­tatorischen, das wiederum weit weg liegt von dem körperlich Beweg­ten, verinnerlichte Gebärde ist, und von dem Instrumental-Musika­lischen; nicht aber vom Gesang, wenn man im idealen Sinne Euryth­mie wirken lassen soll.

Aber für den Schauspieler kann die Eurythmie indirekt von größ­ter Bedeutung sein. Denn was ist denn in der Eurythmie erreicht? In der Eurythmie ist erreicht, daß die vollkommenste, die makrokos­mische Gebärde für den Vokal und für den Konsonanten da ist; i= Arme strecken, ein besonders spitzes i gestreckte Finger dazu. Jetzt versuchen Sie einmal dasjenige, was Sie fühlen - denn das i liegt nicht darin, daß man die Hand ausstreckt, sondern das i liegt in dem, was der Muskel fühlt -, versuchen Sie dieses Gefühl ins Innere fort­zusetzen, stark im Inneren festzuhalten, versuchen Sie, wie wenn Jhnen etwas wie ein Schwert von da aus in den Leib dringen würde, versuchen Sie jetzt i zu intonieren mit dieser Empfindung, daß sich das da fortsetzt : i - dann bekommen Sie rückwirkend gerade die Nuance für das i heraus, welche die reinste ist, die Sie zu sprechen haben. Ebenso für die anderen Vokale und Konsonanten. Wenn Sie sie nach dem Inneren fortsetzen, gewissermaßen sich ausfüllen mit dem Gespenst der eurythmischen Gestaltung nach innen, mit diesem Spiegelbild, mit diesem Gegenbild, und dabei intonieren, dann wer­den Sie Ihre Vokale und Ihre Konsonanten rein haben, so wie Sie sie brauchen. Das ist etwas Generelles.

Sehen Sie, wenn Sie dies alles ins Auge fassen, so werden Sie zu­letzt ein wirkliches Verständnis vom Wesenhaften der Sprache ge­winnen. Und darum handelt es sich, daß der Schauspieler nicht nur seine Rolle kennt - die soll er kennen -, aber daß er mit der richtigen Gesinnung in seinem Berufe darinnensteht. Ohne das kann man eigentlich

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nicht Schauspieler, wie überhaupt nicht Künstler sein, ohne das richtige, gesinnungsmäßig richtige Darinnenstehen in seinem Berufe zu haben.

Dadurch aber, daß man in einer solchen Schulung lebt, wie die an­gedeutete ist, kommt man zu einer reinen, ich möchte sagen, religiö­sen Auffassung des Sprechens und des damit verbundenen Mimischen und Gebärdenspieles. Und diese Auffassung ist es, die man braucht. Denn man kann durch diese Auffassung die Stellung des Menschen im Weltenall wirklich intensiver empfinden als durch etwas anderes. Man kommt allmählich dadurch in eine Empfindung von der Würde des Menschen im Weltenall, in eine Empfindung von der ganzen zen­tralen Stellung des Menschen im Weltenall hinein. Denn man wird gewahr, auch Tiere haben Stimme; man braucht sich nur zu erinnern an das Brüllen des Löwen, das Muhen der Kuh, das Meckern der Schafe, der Ziegen und so weiter. Es ist mehr vokalisierend. Die Tiere drücken ihr Inneres aus, die Tiere, welche auf diese Weise die Stimme erheben. Aber Sie können auch hinausgehen in die Natur und jene verschiedenen Stimmentwickelungen hören, welche in ausge­sprochenem Maße durch Zikaden und so weiter, durch verschiedene Tiere in der Bewegung der Glieder hervorgerufen werden; Sie haben da ein ausgesprochenes Konsonantisieren.

Und gehen Sie dann über zu dem, was am meisten an den Menschen herandringt, zu der Stimmentwickelung der Vögel. Sie haben die Möglichkeit da, das Musikalische auf der einen Seite bei den Vögeln zu sehen, auf der anderen das Vokalisierende bei den höheren Tieren, das Konsonantisierende bei den niederen Tieren. Aber sehen Sie, wenn Sie hinausgehen und ein Insekt, die Zikade oder irgendein anderes Insekt, durch die Bewegung der Glieder einen Ton hervor-bringend haben: Sie gehen an das Insekt heran. Sie können unmög­lich bei diesem Konsonantisieren, beim Anblick des Insektes den Ein­druck haben, das will Ihnen etwas sagen. Sie bleiben stehen bei der Auffassung einer Tatsache, die im Tun liegt. Sie gehen zu denjenigen Tieren, die muhen oder meckern oder brüllen. Wiederum haben Sie die Auffassung nicht, daß das über Abwehr, über Wohlgefühl hinaus zu einem inneren Erleben kommt. Es geht nicht ins Innere. Sie haben

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bei der Stimmentwickelung der Vögel das deutliche Gefühl : das Musi­kalische lebt nicht in ihnen. Ja, Sie haben noch die natürlichste Emp­findung gegenüber der Stimme der Vögel, wenn Sie mit irgendeiner Stimmgestaltung der Vögel vergleichen den Flug, die Bewegung der Flügel, es ergibt sich ein harmonischer Einklang zwischen der Außen-bewegung, dem, was der Vogel außen macht, und demjenigen, was er als Stimme entwickelt. Wenn Sie das alles durchgehen und dann die gestaltete Verinnerlichung im menschlichen Vokalisieren finden und das gestaltete Miterleben der Außenwelt im menschlichen Kon­sonantisieren, und das alles im Zusammenhange mit Gebärde und Mimik, dann bekommen Sie dadurch ein rechtes Gefühl von dem­jenigen, was der Mensch im Weltenall bedeutet, dadurch daß bei ihm gerade die Sprachgestaltung so werden kann.

Dadurch kommt aber eine bestimmte Einstellung, wie man mit einem sehr schönen Worte, weil man überall deutsch sein will heute, gesagt hat, es kommt eine Orientierung des ganzen Gemütes zustande.

Wie man zu dieser Orientierung beitragen kann, das wird dann noch in den nächsten Stunden als eine mehr esoterische Seite der Sache zur Betrachtung kommen.

ZWÖLFTER VORTRAG Dornach, 16. September 1924 Künstlerische Dramatik Stilisierte Stimmungen

#G282-1969-SE253 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

ZWÖLFTER VORTRAG

Dornach, 16. September 1924

Künstlerische Dramatik

Stilisierte Stimmungen

#TX

Wir wollen heute damit beginnen, eine Szene zu tezitieren, welche aus einem Bestreben hervorgegangen ist, gerade im Dramatischen zu einem wirklichen Stil zu kommen. Ich möchte nur mit ein paar Wor­ten diese Sache berühren, weil sie eigentlich zeigt, wie der wirkliche Dichter im besten Sinne des Wortes sich zu dieser Stilfrage im prak­tischen Schaffen stellt. Wir wissen, daß Schiller nicht mit eigentlichen Stildramen begonnen hat, sondern daß er - von den «Räubern» gar nicht zu reden - in «Fiesko », in « Kabale und Liebe» und sogar noch in «Don Catlos» nicht eigentlich bis zum Stil hin erhobene Dramen geschaffen hat. Es vetsiegte dann seine dichterische Schaffenskraft, und Schiller mußte sich wesentlich anderen Dingen hingeben. Aber in jener Zeit wandelte sich das ganze Verhältnis zwischen Schiller und Goethe. Und Schiller bildete eigentlich seine weitere künstlerische An­schauung aus, man kann schon sagen, indem er als Grundlage für diese Ausgestaltung den Anblick desjenigen hatte, was Goethes Schaf­fen ausmachte. An Goethes Schaffen bildete sich Schiller wiederum heran zu seiner weiteren dramatischen Tätigkeit. Das kann man Stück für Stück im Briefwechsel oder in der Mitteilung der Gespräche aus der damaligen Zeit verfolgen. Und es braucht nicht wunderbar zu erscheinen, daß Schiller, der gewissermaßen in Goethe den repräsen­tativen Künstler sah, Goethe zum Vorbilde nahm, der etwa an «Iphi-genie» und «Tasso» geschaffen hat, also gerade das Dramatische bis herauf zum Sprachstil gehoben hat.

Gewiß dachte Schiller nicht daran, die Dramatik ganz und gar vor­rücken zu lassen bis zu diesem Sprachstil hin allein, sondern er dachte natürlich an die Totalität des Dramatischen. Aber er strebte mit allen Kräften nach dem Stil hin. Und so sehen wir ihn schon im «Wallen­stein», ich möchte sagen, sich immer mehr und mehr zum Stil herausarbeiten;

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und in seinen letzten Dramen immer mehr und mehr suchen, den Stil von irgendeiner Seite zu erfassen : in der «Maria Stuart», in der «Braut von Messina», in der «Jungfrau von Orleans» und so wei­ter. Gerade in der «Maria Stuart»ist von ihm etwas versucht, was ich etwa zum Unterschiede von dem Stil in der «Braut von Messina» Stimmungsstil nennen möchte. Das ist eigentlich ganz besonders auf­fällig bei der «Maria Stuart», daß wir aufeinanderfolgende Stimmun­gen haben. Stimmungen, herbeigeführt durch die Charaktere aller­dings, durch das Teilnehmenlassen solch antagonistischer Charaktere, wie die der Maria und der Elisabeth und so weiter; aber das Drama läuft im Grunde in Stimmungen ab, und sogar die Charaktere leben sich in Stimmungen aus.

Man soll nur sehen, wie die einzelnen Persönlichkeiten mit den wechselnden Situationen sich in Stimmungen ausleben! Und so sehen wir bei der charakteristischesten Szene, die jetzt zum Vortrag durch Frau Dr. Steiner gebracht werden soll, gerade wiederum solch stili­sierte Stimmung hervorgehen, auf der einen Seite aus der Stimmung, die nicht nur an Maria, sondern im ganzen Drama zu beobachten ist, als Maria in Gewahrsam ist bei einem gutmütigen Kerkermeister, dann aber in den Gewahrsam kommt eines starr seine Pflichten neh­menden Mannes - und allem, was unter diesem Einflusse geschieht. Wir sehen jetzt sich abspielen in dieser inhaltsvollen Szene, wie gerade unter dieser Stimmungsänderung die Charaktere von Maria und Elisa­beth und den anderen, die dabei sind, in ganz besonderer Weise sich entfalten.

Ich möchte auf diesen Umstand aus dem Grunde hinweisen, weil wir wirklich bei Schiller ein so ernstes Streben nach Stil haben, daß bei jedem dieser Dramen, die auf den «Wallenstein» folgten, in einer anderen Weise die Stilisierung gesucht wird. Daß das für den Schau­spieler eine große Bedeutung hat, will ich im Anschlusse an das in diesem Vortrag durch Frau Dr. Steiner Rezitierte später sagen. Aber aufmerksam möchte ich zunächst darauf machen, wie Schiller in der «Maria Stuart» Stimmungen stilisiert, wie er in der «Jungfrau von Orleans» Ereignisse stilisiert, die aufeinanderfolgenden Ereignisse in großartiger Weise stilisiert, wie er im «Wilhelm Tell» dazu kommt,

#SE282-255

eigentlich wahre Seelenmalerei in bezug auf Stilisierung der Charak­tere herauszuarbeiten, wie er dann in der «Braut von Messina» da­nach strebt, Goethe möglichst ähnlich zu werden durch eine Stilisie­rung, die ein plastisches inneres Bühnenbild gibt, und wie er dann, ich möchte sagen, die Totalität des Menschlichen und des Ereignis­reichen in dem Drama stilisieren will, in dem «Demetrius», über das er stirbt, bei dem er stirbt.

So bitte ich Sie also jetzt, sich eine Szene anzuhören : die Szene, die aus dieser Situation heraus, die ich angedeutet habe, stammt, aus der «Maria Stuart» von Schiller.

Frau Dr. Steiner liest den dritten Aufzug aus der «Maria Stuart», Szene I, II, III, IV.

Gegend in einem Park, vorn mit Bäumen besetzt, hinten eine weite Aussicht

ERSTER AUFTRITT

Maria tritt in schnellem Lauf hinter Bäumen hervor. Hanna Kennedy folgt langsam.

KENNEDY : Ihr eilet ja, als wenn Ihr Flügel hättet,

So kann ich Euch nicht folgen, wartet doch!

MARIA : Laß mich der neuen Freiheit genießen.

Laß mich ein Kind sein, sei es mit,

Und auf dem grünen Teppich der Wiesen

Prüfen den leichten, geflügelten Schritt.

Bin ich dem finstern Gefängnis entstiegen?

Hält sie mich nicht mehr, die traurige Gruft?

Laß mich in vollen, in durstigen Zügen

Trinken die freie, die himmlische Luft.

KENNEDY : 0 meine teure Lady! Euer Kerker

Ist nur um ein klein weniges erweitert.

Ihr seht nur nicht die Mauer, die uns einschließt,

Weil sie der Bäume dicht Gesträuch versteckt.

MARIA : 0 Dank, Dank diesen freundlich grünen Bäumen,

Die meines Kerkers Mauern mir verstecken!

Ich will mich frei und glücklich träumen,

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Warum aus meinem süßen Wahn mich wecken?

Urnfängt mich nicht der weite Himmelsschoß?

Die Blicke, frei und fessellos,

Ergehen sich in ungemess'nen Räumen.

Dort, wo die grauen Nebelberge ragen,

Fängt meines Reiches Grenze an,

Und diese Wolken, die nach Mittag jagen,

Sie suchen Frankreichs fernen Ozean.

Eilende Wolken, Segler der Lüfte!

Wer mit euch wanderte, mit euch schiffte!

Grüßet mir freundlich mein Jugendland!

Ich hin gefangen, ich hin in Banden,

Ach, ich hab' keinen andern Gesandten!

Frei in Lüften ist eure Bahn,

Ihr seid nicht dieser Königin untertan.

KENNEDY : Ach, teure Lady! Ihr seid außer Euch,

Die langentbehrte Freiheit macht Euch schwärmen.

MARIA : Dort legt ein Fischer den Nachen an.

Dieses elende Werkzeug könnte mich retten,

Brächte mich schnell zu befreundeten Städten.

Spärlich nährt es den dürftigen Mann.

Beladen wollt' ich ihn reich mit Schätzen,

Einen Zug sollt' er tun, wie er keinen getan,

Das Glück sollt' er finden in seinen Netzen,

Nähm' er mich ein in den rettenden Kahn.

KENNEDY : Verlorne Wünsche! Seht Ihr nicht, daß uns

Von ferne dort die Spähertritte folgen?

Ein finster grausames Verbot scheucht jedes

Mitleidige Geschöpf aus unserm Wege.

MARIA : Nein, gute Hanna. Glaub' mir, nicht umsonst

Ist meines Kerkers Tor geöffnet worden.

Die kleine Gunst ist mir des größern Glücks

Verkünderin. Ich irre nicht. Es ist

Der Liebe tät'ge Hand, der ich sie danke.

Lord Lesters mächt'gen Arm erkenn' ich drin.

Allmählich will man mein Gefängnis weiten,

Durch Kleineres zum Größern mich gewöhnen,

Bis ich das Antlitz dessen endlich schaue,

Der mir die Bande löst auf immerdar.

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KENNEDY : Ach, ich kann diesen Widerspruch nicht reimen!

Noch gestern kündigt man den Tod Euch an,

Und heute wird Euch plötzlich solche Freiheit.

Auch denen, hört' ich sagen, wird die Kette

Gelöst, auf die die ew'ge Freiheit wartet.

MARIA : Hörst du das Flifthorn? Hörst du's klingen,

Mächtigen Rufes, durch Feld und Hain?

Ach, auf das mutige Roß mich zu schwingen,

An den ftöhlichen Zug mich zu reihn!

Noch mehr! 0, die bekannte Stimme,

Schmerzlich süßer Erinnerung voll.

Oft vernahm sie mein Ohr mit Freuden

Auf des Hochiands bergichten Heiden,

Wenn die tobende Jagd erscholl.

ZWEITER AUFTRITT

Paulet. Die Vorigen.

PAUIET : Nun! Hab' ich's endlich recht gemacht, Mylady?

Verdien' ich einmal Euern Dank?

MARIA: Wie, Ritter?

Seid Ihr's der diese Gunst mir ausgewirkt?

Ihr seid's?

PAULET : Warum soll ich's nicht sein? Ich war

Am Hof, ich überbrachte Euer Schreiben -

MARIA: Ihr übergabt es? Wirklich, tatet Ihr's?

Und diese Freiheit, die ich jetzt genieße,

rst eine Frucht des Briefs -

PAULET : (mit Bedeutung) : Und nicht die einz'ge!

Macht Euch auf eine größre noch gefaßt

MARIA : Auf eine größre, Sir? Was meint Ihr damit?

PAULET : Ihr hörtet doch die Hörner -?

MARIA : (zurückfahrend, mit Ahnung) : Ihr erschreckt mich!

PAULET : Die Königin jagt in dieser Gegend.

MARIA: Was?

PAULET : In wenig Augenblicken steht sie vor Euch.

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KENNEDY : (auf Maria zueilend, welche zittert und hinzusinken droht) :

Wie wird Euch, teure Ladyl Ihr verblaßt.

PAULET : Nun? Ist's nun nicht recht? War's nicht Eure Bitte?

Sie wird Euch früher gewährt, als Ihr gedacht.

Ihr wart sonst immer so geschwinder Zunge,

Jetzt bringet Eure Worte an, jetzt ist

Der Augenblick, zu reden!

MARIA : 0, warum hat man mich nicht vorbereitet!

Jetzt bin ich nicht darauf gefaßt, jetzt nicht.

Was ich mir als die höchste Gunst erbeten,

Dünkt mir jetzt schrecklich, fürchterlich - Komm, Hanna,

Führ' mich ins Haus, daß ich mich fasse, mich

Erhole -

PAULET : Bleibt. Ihr müßt sie hier erwarten.

Wohl, wohl mag's Euch beängstigen, ich glaub's,

Vor Eurem Richter zu erscheinen.

DRITTER AUFTRITT

Graf Shrewsbury zu den Vorigen.

MARIA : Es ist nicht darum! Gott, mir ist ganz anders

Zu Mut - Ach, edler Shrewsbury! Ihr kommt,

Vom Himmel mir ein Engel zugesendet!

- Ich kann sie nicht sehn! Rettet, rettet mich

Von dem verhaßten Anblick -

SHREWSBURY : Kommt zu Euch, Königin! Faßt Euren Mut

Zusammen. Das ist die entscheidungsvolle Stunde.

MARIA : Ich habe drauf geharret - Jahre lang

Mich drauf bereitet, alles hab' ich mir

Gesagt und ins Gedächtnis eingeschrieben,

Wie ich sie rühren wollte und bewegen!

Vergessen plötzlich, ausgelöscht ist alles,

Nichts lebt in mir in diesem Augenblick,

Als meiner Leiden brennendes Gefühl.

In blut'gen Haß gewendet wider sie

Ist mir das Herz, es fliehen alle guten

Gedanken, und die Schlangenhaare schüttelnd,

Umstehen mich die finstern Höllengeister.

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SHREWSBURY : Gebietet Eurem wild empörten Blut,

Bezwingt des Herzens Bitterkeit! Es bringt

Nicht gute Frucht, wenn Haß dem Haß begegnet.

Wie sehr auch Euer Innres widerstrebe,

Gehorcht der Zeit und dem Gesetz der Stunde!

Sie ist die mächtige - demütigt Euch!

MARIA : Vor ihr! Ich kann es nimmermehr.

SHREWSBURY : Tut's dennoch!

Sprecht ehrerbietig, mit Gelassenheit!

Ruft ihre Großmut an, trotzt nicht, jetzt nicht

Auf Euer Recht, jetzo ist nicht die Stunde.

MARIA : Ach, mein Verderben hab' ich mir erfleht,

Und mir zum Fluche wird mein Flehn erhört!

Nie hätten wir uns sehen sollen, niemals!

Daraus kann nimmer, nimmer Gutes kommen!

Eh' mögen Feu'r und Wasser sich in Liebe

Begegnen und das Lamm den Tiger küssen -

Ich bin zu schwer verletzt - sie hat zu schwer

Beleidigt - Nie ist zwischen uns Versöhnung!

SHREwSBURY : Seht sie nur erst von Angesicht!

Ich sah es ja, wie sie von Eurem Brief

Erschüttert war, ihr Auge schwamm in Tränen.

Nein, sie ist nicht gefühllos, hegt Ihr selbst

Nur besseres Vertrauen - Darum eben

Bin ich vorausgeeilt, damit ich Euch

In Fassung setzen und ermahnen möchte,

MARIA : (seine Hand ergreifend).

Ach, Talbot, Ihr Watt stets mein Freund - Daß ich

In Eurer milden Haft geblieben wäre!

Es ward mir hart begegnet, Shrewsbury

SHREWSBURY : Vergeßt jetzt alles! Darauf denkt allein,

Wie Ihr sie unterwürfig wollt empfangen.

MARIA : Ist Burleigh auch mit ihr, mein böser Engel?

SHREWSBURY : Niemand begleitet sie, als Graf von Lester.

MARIA : Lord Lester?

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SHREWSBURY : Fürchtet nichts von ihm. Nicht er

Will Euren Untergang - Sein Werk ist es,

Daß Buch die Königin die Zusammenkunft Bewilligt.

MARIA: Ach, ich wußt' es wohl!

SHREWSBURY : Was sagt Ihr?

PAULET : Die Königin kommt.

(Alles weicht auf die Seite; nur Maria bleibt, auf die Kennedy gelehnt.)

VIERTER AUFTRITT

Die Vorigen. Elisabeth. Graf Leicester. Gefolge.

ELISABETH : (zu Leicester) : Wie heißt der Landsitz?

LEICESTER: Fotherninghayschloß

ELISABETH (zu Shrewsbury) :

Schickt unser Jagdgefolg voraus nach London.

Das Volk drängt allzuheftig in den Straßen,

Wir suchen Schutz in diesem stillen Park.

(Talbot entfernt das Gefolge. Sie fixiert mit den Augen die

Maria, indem sie zu Leicester weiter spricht.>

Mein gutes Volk liebt mich zu sehr. Unmäßig,

Abgöttisch sind die Zeichen seiner Freude,

So ehrt man einen Gott, nicht einen Menschen.

MARIA (welche diese Zeit über halb ohnmächtig auf die Amme ge­lehnt war, erhebt sich jetzt, und ihr Auge begegnet dem gespannten Blick der Elisabeth. Sie schaudert zusammen und Wirft sich wieder an der Amme Brust) :

0 Gott, aus diesen Zügen spricht kein Herz!

ELISABETH : Wer ist die Lady? (Ein allgemeines Schweigen.)

LEICESTER: - Du bist zu Fotheringhay, Königin.

ELISABETH (stellt sich überrascht und erstaunt, einen finstern Blick auf Leicestern richtend) : Wer hat mir das getan? Lord Lester!

LEICESTER: Es ist geschehen, Königin - und nun

Der Himmel deinen Schritt hierher gelenkt,

So laß die Großmut und das Mitleid siegen.

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SHREWSBURY : Laß dich erbitten, königliche Frau,

Dein Aug' auf die Unglückliche zu richten,

Die hier vergeht vor deinem Anblick.

(Maria rafft sich zusammen und Will auf die Elisabeth

zugehen, steht aber auf halbem Wege schaudernd sifil;

ihre Gebärden drücken den heftigsten Kampf aus.)

ELISABETH : Wie, Mylords?

Wer war es denn, der eine Tiefgebeugte

Mir angekündigt? Eine Stolze find' ich,

Vom Unglück keineswegs geschmeidigt.

MARIA: Sei's!

Ich will mich auch noch diesem unterwerfen.

Fahr' hin, ohnmächt'ger Stolz der edeln Seele!

Ich will vergessen, wer ich bin, und was

Ich litt; ich will vor ihr mich niederwerfen,

Die mich in diese Schmach herunterstieß.

(Sie wendet sich gegen die Königin.)

Der Himmel hat für Euch entschieden, Schwester!

Gekrönt vom Sieg ist Euer glücklich Haupt,

Die Gottheit bet' ich an, die Euch erhöhte!

(Sie fällt vor ihr nieder.)

Doch seid auch Ihr nun edelmütig, Schwester!

Laßt mich nicht schmachvoll liegen! Eure Hand

Streckt aus, reicht mir die königliche Rechte,

Mich zu erheben von dem tiefen Fall!

ELISABETH (zurücktretend) : Ihr seid an Eurem Platz, Lady Maria!

Und dankend preis' ich meines Gottes Gnade,

Der nicht gewollt, daß ich zu Euren Füßen

So liegen sollte, wie Ihr jetzt zu meinen.

MARIA (mit steigendem Affekt) :

Denkt an den Wechsel alles Menschlichen!

Es leben Götter, die den Hochmut rächen!

Verehret, fürchtet sie, die schrecklichen,

Die mich zu Euren Füßen niederstürzen -

Um dieser fremden Zeugen willen ehrt

In mir Euch selbst! entweihet, schändet nicht

Das Blut der Tudor, das in meinen Adern,

Wie in den Euren, fließt - 0 Gott im Himmel!

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Steht nicht da, schroff und unzugänglich, wie

Die Felsenklippe, die der Strandende,

Vergeblich ringend, zu erfassen strebt.

Mein alles hängt, mein Leben, mein Geschick

An meiner Worte, meiner Tränen Kraft;

Löst mir das Herz, daß ich das Eure rühre!

Wenn Ihr mich anschaut mit dem Eisesblick,

Schließt sich das Herz mir schaudernd zu, der Strom

Der Tränen stockt, und kaltes Grausen fesselt

Die Flehensworte mir im Busen an.

ELISABETH (kalt und Streng) :

Was habt Ihr mir zu Sagen, Lady Stuart?

Ihr habt mich sprechen wollen. Ich vergesse

Die Königin, die schwer beleidigte,

Die fromme Pflicht der Schwester zu erfüllen,

Und meines Anblicks Trost gewähr' ich Euch.

Dem Trieb der Großmut folg' ich, setze mich

Gerechtem Tadel aus, daß ich so weit

Heruntersteige - denn Ihr wißt,

Daß Ihr mich habt ermorden lassen wollen.

MARIA : Womit soll ich den Anfang machen, wie

Die Worte klüglich stellen, daß sie Euch

Das Herz ergreifen, aber nicht verletzen!

O Gott, gib meiner Rede Kraft und nimm

Ihr jeden Stachel, der verwunden könnte!

Kann ich doch für mich selbst nicht sprechen, ohne Euch

Schwer zu verklagen, und das will ich nicht.

- Ihr habt an mir gehandelt, wie nicht recht ist'

Denn ich bin eine Königin, wie Ihr,

Und Ihr habt als Gefangne mich gehalten.

Ich kam zu Euch als eine Bittende,

Und Ihr, des Gastrechts heilige Gesetze,

Der Völker heilig Recht in mir verhöhnend,

Schloßt mich in Kerkermauern ein; die Freunde,

Die Diener werden grausam mir entrissen,

Unwürd'gem Mangel Werd' ich preisgegeben,

Man stellt mich vor ein schimpfliches Gericht -

Nichts mehr davon! Ein ewiges Vergessen

Bedecke, was ich Grausames erlitt.

- Seht! Ich will alles eine Schickung nennen,

#SE282-263

Ihr seid nicht schuldig, ich bin auch nicht schuldig;

Ein böser Geist stieg aus dem Abgrund auf,

Den Haß in unsern Herzen zu entzünden,

Der unsre zarte Jugend schon entzweit.

Er wuchs mit uns, und böse Menschen fachten

Der unglücksel'gen Flamme Atem zu,

Wahnsinn'ge Eiferer bewaffneten

Mit Schwert und Dolch die unberufne Hand -

Das ist das Fluchgeschick der Könige,

Daß sie, entzweit, die Welt in Haß zerreißen

Und jeder Zwietracht Furien entfesseln.

- Jetzt ist kein fremder Mund mehr zwischen uns,

(Nähert sich ihr zutraulich und mit schmeichelndem Ton.)

Wir stehn einander selbst nun gegenüber.

Jetzt, Schwester, redet! Nennt mir meine Schuld!

Ich will Euch völliges Genügen leisten.

Ach, daß Ihr damals mir Gehör geschenkt,

Als ich so dringend Euer Auge suchte!

Es wäre nie so weit gekommen, nicht

An diesem traur'gen Ort geschähe jetzt

Die unglückselig traurige Begegnung.

ELISABETH : Mein guter Stern bewahrte mich davor,

Die Natter an den Busen mir zu legen.

- Nicht die Geschicke, Euer schwarzes Herz

Klagt an, die wilde Ehrsucht Eures Hauses.

Nichts Feindliches war zwischen uns geschehn,

Da kündigte mir Euer Ohm, der stolze,

Herrschwüt'ge Priester, der die freche Hand

Nach allen Kronen streckt, die Fehde an,

Betörte Euch, mein Wappen anzunehmen,

Euch meine Königstitel zuzueignen,

Auf Tod und Leben in den Kampf mit mir

Zu gehn - Wen rief er gegen mich nicht auf?

Der Priester Zungen und der Völker Schwert,

Des frommen Wahnsinns fürchterliche Waffen;

Hier selbst, im Friedenssitze meines Reichs,

Blies er mir der Empörung Flammen an -

Doch Gott ist mit mir, und der stolze Priester

Behält das Feld nicht - Meinem Haupte war

Der Streich gedrohet, und das Eure fällt!

#SE282-264

MARIA : Ich steh' in Gottes Hand. Ihr werdet Euch

So blutig Eurer Macht nicht überbeben -

ELISABETH : Wer soll mich hindern? Euer Oheim gab

Das Beispiel allen Königen der Welt,

Wie man mit seinen Feinden Frieden macht.

Die Sankt Barthelenu sei meine Schule!

Was ist mir Blutsverwandtschaft, Völkerrecht?

Die Kirche trennet aller Pflichten Band,

Den Treubruch heiligt sie, den Königsmord,

Ich übe nur, was Eure Priester lehren.

Sagt, welches Pfand gewährte mir für Euch,

Wenn ich großmütig Eure Bande löste?

Mit welchem Schloß verwahr' ich Eure Treue,

Das nicht Sankt Peters Schlüssel öffnen kann?

Gewalt nur ist die einz'ge Sicherheit,

Kein Bündnis ist mit dem Gezücht der Schlange.

MARIA : 0, das ist Euer traurig finstrer Argwohn!

Ihr habt mich stets als eine Feindin nur

Und Fremdlingin betrachtet. Hättet Ihr

Zu Eurer Erbin mich erklärt, wie mir

Gebührt, so hätten Dankbarkeit und Liebe

Euch eine treue Freundin und Verwandte

In mir erhalten.

ELISABETH : Draußen, Lady Stuart,

Ist Eure Freundschaft, Euer Haus das Papsttum,

Der Mönch ist Euer Bruder - Euch, zur Erbin

Erklären! Der verräterische Fallstrick!

Daß Ihr bei meinem Leben noch mein Volk

Verführtet, eine listige Armida,

Die edle Jugend meines Königreichs

In Eurem Buhlernetze schlau verstricktet -

Daß alles sich der aufgehnden Sonne

Zuwendete, und ich -

MARIA : Regiert in Frieden!

Jedwedem Anspruch auf dies Reich entsag' ich.

Ach, meines Geistes Schwingen sind gelähmt,

Nicht Größe lockt mich mehr - Ihr habt's erreicht,

Ich bin nur noch der Schatten der Maria.

Gebrochen ist in langer Kerkerschmach

#SE282-265

Der edle Mut - Ibr habt das Äußerste an mir

Getan, habt mich zerstört in meiner Blüte!

- Jetzt macht ein Ende, Schwester! Sprecht es aus,

Das Wort, um dessentwillen Ihr gekommen,

Denn nimmer will ich glauben, daß Ihr kamt,

Um Euer Opfer grausam zu verhöhnen.

Sprecht dieses Wort aus! Sagt mir : «Ihr seid frei,

Maria! Meine Macht habt Ihr gefühlt,

Jetzt lernet meinen Edelmut verehren.»

Sagt's, und ich will mein Leben, meine Freiheit

Als ein Geschenk aus Eurer Hand empfangen.

- Ein Wort macht alles ungeschehn. Ich warte

Darauf 0! laßt mich's nicht zu lang erharren!

Weh' Euch, wenn Ihr mit diesem Wort nicht endet!

Denn wenn Ihr jetzt nicht segenbringend, herrlich,

Wie eine Gottheit, von mir scheidet - Schwester!

Nicht um dies ganze reiche Eiland, nicht

Um alle Länder, die das Meer umfaßt,

Möcht' ich vor Euch so stehn, wie Ihr vor mir!

ELISABETH : Bekennt Ihr endlich Euch für überwunden?

Ist's aus mit Euren Ränken? Ist kein Mörder

Mehr unterwegs? Will kein Abenteurer

Für Euch die traur'ge Ritterschaft mehr wagen?

- Ja, es ist aus, Lady Maria. Ihr verführt

Mir keinen mehr. Die Welt hat andre Sorgen.

Es lüstet keinen, Euer - vierter Mann

Zu werden, denn Ihr tötet Eure Freier,

Wie Eure Männer!

MARIA (auffahrend) : Schwester! Schwester!

O Gott! Gott! Gib mir Mäßigung!

ELISABETH (sieht sie lange mit einem Blick stolzer Verachtung an) :

Das also sind die Reizungen, Lord Lester,

Die ungestraft kein Mann erblickt, daneben

Kein andres Weib sich wagen darf zu stellen!

Fürwahr! Der Ruhm war wohlfeil zu erlangen.

Es kostet nichts, die allgemeine Schönheit

Zu sein, als die gemeine sein für alle!

MARIA : Das ist zu viel!

#SE282-266

ELISABETH (höhnisch lachend) : Jetzt zeigt Ihr Euer Wahres

Gesicht, bis jetzt War's nur die Larve.

MARIA (von Zorn glühend, doch mit einer edeln Würde) :

Ich habe menschlich, jugendlich gefehlt,

Die Macht verführte mich, ich hab' es nicht

Verheimlicht und verborgen, falschen Schein

Hab' ich verschmäht mit königlichem Freimut.

Das Ärgste weiß die Welt von mir, und ich

Kann sagen, ich bin besser, als mein Ruf.

Weh' Euch, Wenn sie von Euren Taten einst

Den Ehrenmantel zieht, Womit Ihr gleißend

Die Wilde Glut verstohlner Lüste deckt.

Nicht Ehrbarkeit habt Ihr von Eurer Mutter

Geerbt; man weiß, um welcher Tugend willen

Anna von Boulen das Schafott bestiegen.

SHREWSBURY (tritt zwischen beide Königinnen) :

0 Gott des Himmels! Muß es dahin kommen!

Ist das die Mäßigung, die Unterwerfung,

Lady Maria?

MARIA : Mäßigung! Ich habe

Ertragen, was ein Mensch ertragen kann.

Fahr' hin, lammherzige Gelassenheit!

Zum Himmel fliehe, leidende Geduld!

Spreng' endlich deine Bande, tritt hervor

Aus deiner Höhle, langverhaltner Groll!

Und du, der dem gereizten Basilisk

Den Mordblick gab, leg' auf die Zunge mir

Den gift'gen Pfeil -

SHREWSEURY: 0, sie ist außer sich!

Verzeih' der Rasenden, der schwer Gereizten!

(Elisabeth, vor Zorn sprachlos, schießt wütende Blicke auf Marien.)

LEICESTER (in der heftigsten Unruhe, sucht die Elisabeth hinweg zu

führen) : Höre

Die Wütende nicht an! Hinweg, hinweg

Von diesem unglücksel'gen Ort!

MARIA : Der Thron von England ist durch einen Bastard

Entweiht, der Briten edelherzig Volk

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Durch eine list'ge Gauklerin betrogen.

- Regierte Recht, so läget Ihr vor mir

Im Staube jetzt, denn ich bin Euer König.

(Elisabeth geht schnell ab, die Lords folgen ihr in der höchsten Bestürzung.)

Nun, meine lieben Freunde, wenn wir gewissermaßen eine solche Dichtung repräsentativ nehmen, die zunächst als Dichtung heraus-gewachsen ist aus wirklichen künstlerischen Intentionen, so kann uns gerade an derlei die Frage aufgehen : Wie soll nun die Beziehung des Schauspielers zu der Dichtung sein? - Das ist auch dasjenige, was uns zunächst beschäftigen muß, damit wir daraus wiederum spezielle Ge­setze finden.

Wenn wir prüfen, wie Dichtungen im Laufe der Zeit zustande ge­kommen sind, so können wir deutlich zwischen den Tendenzen bei Dichtern unterscheiden, wo unmittelbar der Stoff dasjenige ist, was den Dichter zur Dichtung getrieben hat. Wir können in gewissem Sinne dies sagen von dem jungen Schiller, der an seine «Räuber» ging. Wir sehen überall, daß es der Stoff im weitesten Sinne ist, das Ge-schehnis, die einzelnen Charaktere, die ihn interessieren, die er dich­terisch gestalten will. Wir können selbst in einem gewissen Lebens­abschmtt Goethes, zum Beispiel in dem, wo er die ersten Teile seines «Faust» geschrieben hat, wo er seinen «Götz von Berlichingen» ge­schrieben hat, sagen : Der Dichter geht da von dem Interesse an Stoff und Charakteren aus. - Faust ist ein Charakter, der Goethe intensiv interessiert; dasjenige, was ein Faust erleben kann, interessiert ihn weiter. Götz von Berlichingen als Figur auf der einen Seite, die Zeit, in der Götz von Berlichingen lebte, auf der anderen Seite, sie sind das­jenige, was in Goethe lebt.

Wenn wir Schiller an seine «Maria Stuart» herankommen sehen, dann ist das nicht so. Diesem Herankommen an die «Maria Stuart» geht ein bewußtes Hinstreben zur künstlerischen Dramatik voran. Er will vor allen Dingen Dramen schaffen, die künstlerische Dramatik darstellen. Dazu sucht er seinen Stoff. Er sucht gewissermaßen den künstlerischen Stil und sucht dazu seine Stoffe. Der Stoff der Maria ist

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nicht dasjenige, wovon Schiller ausgegangen ist; er hat ihn gesucht, um ein in Stimmungen stilisiertes Drama kunstgerecht schaffen zu kön­nen. Das ist schon von einer großen Bedeutung auch für den Schau­spieler. Denn wenn wir an die Schauspielschule denken, dann müssen wir sagen : Es soll wirklich geübt werden beiderlei; es soll geübt wer­den dasjenige, was in der Dichtung das Stoffinteresse des Dichters voraussetzt, also etwa geübt werden ein Drama wie der «Götz von Berlichingen», geübt werden ein Drama selbst wie die «Räuber»; aber es soll auf der anderen Seite auch ein Drama geübt werden wie etwa die «Maria Stuart», die «Jungfrau von Orleans» oder die «Braut von Messina» oder der «Wilhelm Tell». - Und es gehört einmal dazu, daß gerade bei solchen Übungen, Wo man die verschiedenen drama­tischen Stile in der Praxis gestalten soll, nun wirklich die rein schau-spielerische Betrachtung da hineingehe in die Betrachtung, die sich mehr an die Dichtung anschließt als etwa die bloße Besprechung, wie soll man das oder jenes machen?

Und so sollte schon, sagen wir, zum Beispiel gegenüber dem «Wil­helm Tell» anschaulich gemacht werden, weil das für den Schauspieler eine sehr gute Grundlage sein kann, um an dem Stil der Dichtung seinen Stil zu entwickeln, wie zum Beispiel Schiller an der Stilisierung beim «Wilhelm Tell» an sehr vielen Stellen wiederum gescheitert ist. Es kann einem besonders dann entgegentreten, wenn jemand, der -ja, wie soll man das nennen : literaturgeschichtsgläubig könnte man es nennen , wenn einer, der literaturgeschichtsgläubig ist - es gibt ja auch solche Gläubige -, den «Wilhelm Teil» übt. Da wird er so, wie es der Illusion der Professoren, aber nicht dem Leben entspricht, zu denjenigen, an die er die Jnterpretation heranbringt, sagen : Welch schöne Szene da, wo der Wilhelm Teil es zurückweist, zu den Ver­sammlungen der anderen zu gehen, wo er darauf aufmerksam macht, daß er der Mann der Tat ist und nicht der Mann des Wortes, wo er fordert, die anderen sollen reden bei ihren Versammlungen, ihn solle man rufen zur Tat! - Nun, ich habe derlei Bewunderung gehört, die so von Literaturgeschlchtsgläubigen an ein noch gläubigeres Publi­kum, an jung und alt herangebracht wird. Das erbt sich dann, frei nach «Faust», wie Gesetz und Recht als eine ewige Krankheit fort.

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Man sieht dann diese Krankheit durch Schulen und durch alles mög­liche hindurchgehen, und keiner frägt : Ja, ist denn das überhaupt mög­lich, daß der Tell das sagt? Gibt es denn das? - Das gibt es nämlich nicht. Gewiß, den Charakter gibt es, den Schiller wollte. Der wird selbstverständlich nicht große Worte schwätzen und sich vorne hin-setzen bei den Versammlungen, aber er wird schon ganz rückwärts sitzen und zuhören und nicht damit renommieren, daß die anderen reden sollen und man ihn rufen soll zur Tat, sodaß er gar keine Ahnung hat, was er eigentlich tun soll. Sehen Sie, das gibt es eben überhaupt nicht, was da Schiller schreibt. Und man kann an solchen Dingen auch noch seine Unbefangenheit schulen, und das ist im Künstleri­schen außerordentlich notwendig. Schiller ist eben, wie ich sagte, ge­scheitert, weil er das Stilisieren bis in die Schablone hinein treibt Das Stilisieren darf aber nicht aus dem Leben herausgehen, sondern muß natürlich im Leben darinnen bleiben.

Nun bekommt der Schauspieler oder der Lernende des Schauspiels das eine oder andere dichterische Werk, von deren Art ich gesprochen habe, um daran die Darstellungskunst zu üben. Wie wird man vor­gehen, sagen wir, um in die Bühnenpraxis hineinzukommen, bei den «Räubern» oder bei «Don Carlos »? Wie wird man vorgehen bei der «Maria Stuart» oder bei der «Braut von Messina»? Hat man ein Drama der ersteren Art vor sich, dann wird es sich darum handeln, daß man möglichst bald, nachdem man dasjenige vorgenommen hat, was ich als Ausbildung von Mimik und Gebärde charakterisiert habe, während der andere rezitiert, dieses überzuführen hat in das gleich­zeitige Rezitieren, gleichzeitige Sprechen und Spielen des Akteurs. Man muß zuerst auch das Gebärdenhafre üben, aber kurz, und mög­lichst bald die Gebärde mit dem Worte in Verbindung bringen.

Hat man Dramen der zweiten Art vor sich, so ist das andere not­wendig. Man lasse sich so lange wie möglich vorsprechen, übe Ge­bärde und Mimik und versuche, so spät als möglich beides in der eigenen Person miteinander zu verbinden. Dadurch bekommt man in dem zweiten Falle dasjenige heraus, was in dem ersten Fall nicht not­wendig ist, ja vielleicht sogar schädiich werden kann. Man bekommt nämlich das heraus, daß die Gebärde, die dann festliegt, die da ist, instinktiv

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unbewußt mitwirkt bei der Gestaltung des Wortes. Wenn man ein Stildrama leitet, ein Drama, das ganz im Künstlerischen lebt, so handelt es sich darum, daß man in das ganze Studieren das hinein-bringt, was Schauspielkunst und Dichtung verbindet. Nur dadurch wird es möglich, daß die Schauspielkunst in das richtige Verhältnis zum Publikum kommt, und davon hängt doch außerordentlich vieles ab.

Das Publikum wird überhaupt nicht leicht zu irgendeiner in der Seele festliegenden Stimmung kommen, wenn man Naturalistisches noch dazu naturalistisch darstellt. Denn man kann dann durch dieses oder jenes blenden, so daß eine augenblickliche Aufmerksamkeit da ist, aber man kommt durch nichts so an das Publikum heran wie da­durch, daß man das Publikum aus dem naturalistischen Leben heraus-hebt und zur Kunst hinaufhebt.

Nehmen wir also an, wir hätten bei der Szene, die eben vorgebracht worden ist, uns nun zu beraten, wie wir hier vorgehen wollen, damit die Szene wirklich auf der Bühne steht. Da kann die Frage entstehen :

Ja, wie sollen wir dasjenige, was sich nun um Wortgestaltung herum offenbaren muß, für die Szene gestalten? Eine naturalistische Um­gebung, etwa ein Wald möglichst naturalistisch gemalt, wird hier ganz gewiß nicht angemessen sein. Denn man kann sich kaum denken, daß dasjenige, was so herbeigeführt wird wie die Motive dieser Szene - im Grunde genommen gegen den Willen aller Menschen, die dabei sind, für alle eine Überraschung -, in irgendeiner Weise stil­voll dadurch gestaltet werden kann, daß man nun die ganze Szene in eine naturalistische Morgen- oder irgendwelche Stimmung eines Wal­des hineinstellt. Daher gibt es da nichts anderes als die Stimmung, um die es sich handelt, wirklich auch stilgemäß zu gestalten.

Sehen Sie, ich bin gerade vorhin brieflich gefragt worden, ob ich mich nicht weiter aussprechen möchte über dasjenige, was ich vor­gestern über Dekorationsmalerei gesagt habe. Ja, meine lieben Freunde, so weit mein Gedächtnis reicht, habe ich überhaupt noch nicht über Dekorationsmalerei gesprochen, sondern ich habe, aus­gehend vom Charakter des Künstlerischen, Bezug genommen auf die Landschaftsmalerei. Ich möchte nicht gerne in der Weise mißverstanden

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werden, wie das in diesem Falle geschehen ist. Ich habe noch gar nicht über Dekorationsmalerei gesprochen.

Nun wird es sich hier darum handeln, daß man so recht gewahr wird, wie man es für die Bühnendekoration zunächst überhaupt nie­mals zu tun haben kann mit irgendeiner Malerei, denn man hat doch malerisch bloß Beleuchtung und derlei anderes. Also von Malerei kann bei der sogenannten Dekorationsmalerei nicht die Rede sein. Aber hier bei dieser Szene muß in erster Linie die Rede davon sein, daß wir Stimmung und Stimmungsübergänge in der Umgebung der Sprechen­den haben.

Nun läßt sich natürlich über Stimmungen immer diskutieren, aber niemand wird es vielleicht doch für ganz unangemessen finden, wenn man in diesem Falle bei dieser Szene die Stimmung durch eine all­gemeine Beleuchtung der Bühne hervorruft, die natürlich sich im Laufe der Handlung ändern muß, die aber im wesentlichen bestehen muß in einem rötlichen Grundton : über die ganze Bühne die Stim­mung eines rötlichen Grundtones, der, ich möchte sagen, sich inner­lich spießend, am Schlusse sich, wo Maria so scharf wird, gelb aufhellt. Zwischendurch kann man mancherlei Stimmungen hineinbringen, zum Beispiel gleich im Beginne, wo Maria die eigentüniliche sentimentale Ader entwickelt, in die allgemeine rötliche Stimmung eine bläulich-violette Stimmung hineinbringen. Das muß die nächste Frage sein.

Dazu kann man nun natürlich nicht auf den Kulissen einen beliebig naturalistisch gemalten Wald haben, sondern die nächste Frage ist nun diese : Welche Farbengebung müssen die Bäume haben, die man natür­lich braucht. - Dann ergibt sich aus der Szene heraus, daß man das­jenige abstimmen muß, was man zur Lichtstimmung haben muß, mit der Farbengebung der Bäume, daß man also die Bäume nicht klatsch-grün hineinmalen kann in die rote Stimmung, sondern daß man da schon auch in die Farbenmischung hinein etwas Rötliches nehmen muß, daß man, damit das Auge ruhen kann auch in demjenigen Punkte, wo Maria scharf wird, in die Palette oder eigentlich in den Pinsel - man sollte nie mit der Palette malen, sondern immer mit der flüssigen Farbe -, Gelb hineinnehmen muß zu gewissen Stellen. Dann wird man ein Stimmungsbild auch auf der Szene haben.

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Und so hat man vorzugehen bis zum Kostüm. Dabei wird man sich klar sein müssen, daß es sich nicht darum handeln kann, sogenannte Phantasiekostüme, stilisierte Kostüme zu erfinden, damit die Men­schen drin ausschauen wie Schrauben, sondern daß es sich darum han­deln wird, Kostüme zu haben im Schnitt, die schon an die Menschen angepaßt sind, denn die Stilisierung des Kostümmäßigen auf der Bühne muß bestehen namentlich in der Wahl der Farben und in der Harmonik der Farben über die verschiedenen Persönlichkeiten hin. Es wird niemandem einfallen wollen, in solchen Dingen ganz grob-klotzig vorzugehen und das Nächstbequemste zu wählen, denn das würde natürlich bedingen, daß man die Maria schwarz anzieht. Aber Schwarz auf der Bühne kann nur dann sein, wenn es künstlerisch ge­rechtfertigt ist; das Schwarze löscht sich ja aus auf der Bühne. Also könnte man nur Teufel, oder was dem ähnlich ist, in Schwarz er­scheinen lassen, sollte auch nichts anderes wollen. Maria wird schon ein dunkelviolettes Kostüm zu tragen haben. Und man wird zunächst an das Kostüm der Maria denken. Beim Stilisieren handelt es sich immer darum, an was man zuerst zu denken hat, dann kommt man ganz selbstverständlich dazu, wenn man das violette Kostüm der Maria hat, für die Elisabeth ein rötlich-gelbliches Kostüm zu wählen, und dann ergeben sich die Farben der anderen durch entsprechend geschmackvolle Abschattierung.

Auf diese Weise bekommt man ein Bühnenbild, und Sie werden sehen, wenn wirklich nach solchen Dingen hin gestrebt wird, geht das Publikum mit.

Warum wird es denn heute dem Schauspieler so schwer, das Publi­kum mitgehen zu lassen? Ja, sehen Sie, weil im Grunde genommen doch nicht in dem Willen zum Stil der nötige Ernst vorhanden ist. Eigentlich sollte man über das Publikum möglichst wenig sprechen, man sollte über die Kunst selber sprechen. Das Publikum hat eigent­lich niemals die Schuld. Aber ich frage Sie, meine lieben Freunde, wie kann denn Künstlerisches wirklich zutage treten, wenn Theatergrün­dungen etwa die folgende blstorisch beglaubigte Gesinnung zugrunde liegen haben? Es wurde in einer Stadt ein großes Theater begründet unter einem schriftstellernden Journalisten, der Dramen schrieb, der

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die Direktion dieses Theaters übernahm. Das Theater bekam den Namen eines hervorragenden Klassikers. Und siehe da, es war natür­lich auch angemessen, äußerlich so weit bis zur Stilisierung zu gehen, nun eine Rede zu halten bei der Eröfinung, welche schönste Phrasen über den Klassiker enthielt, schönste Phrasen darüber, in welch schö­nen Bahnen man wandle, wenn man in den Bahnen dieses Klassikers wandle, denn er war vor allen Dingen selber ein Mann der Bühnen-kunst; er hatte so viele schöne goldene Regeln der Bühnenkunst ge­geben. Und wenn man dann noch kommt zu dem hingebungsvollen Sinn an die hohe Kunst, die man nur, weil das nun einmal notwen­dig ist gegenüber dem Geschmack des Publikums, ab und zu ab­wechseln lassen will mit einer leichteren Ware - ja, so ist es schon in gewissem Sinne äußerlich stilvoll, mit solch einer Rede zu be­ginnen.

Aber der Stil muß innerlich sein. Er muß wirklich erlebt sein. Und ich frage Sie, ob der Stil dann wirklich vorhanden ist - gleichgültig, was da gesagt worden ist in diesem Prologus, der vom Direktor ge­sprochen wurde -, wenn, nachdem das alles vorüber war, folgendes eintritt? Selbstverständlich hatten auch noch andere gesprochen, der Präses des Theaterkomitees in entsprechendem Sinne von dem Direk­tor und so weiter. Nun, wie es eben zugeht - da drinnen ist Stil, nicht wahr, aber was für einer? Nicht unmittelbares Leben. Da drinnen ist schon Stil! Aber dann kam es ziemlich bald. Man ging weg. Nun, unter solchen Leuten sind manchmal wirklich auch Idealisten; sie sind ja selten, aber es sind manchmal Idealisten darunter. Da sagte einer dieser Idealisten oder Halbidealisten zu dem Direktor : Ich wünsche, daß Sie in dem Sinne, wie Sie gesprochen haben, einen recht guten, für die Kunst heilsamen Erfolg haben. - Darauf erwiderte der Direktor : Aber bei der zweiten Million schnappe ich!

Ja, sehen Sie, da geht der Stil kaputt, denn er ist nicht in der Ge­sinnung darinnen. Und eigentlich nur, weil es in der Gegenwart so­weit gekommen ist, daß Stil tatsächlich etwas ist, was man gar nicht mehr fühlt im Leben, muß auch auf solche Dinge aufmerksam ge­macht werden, daß Stil nur dann hervortreten wird beim Menschen, wenn er in ganz seriöser Weise auch wirklich im Stil darinnen lebt.

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An diesen Punkt wollen wir dann noch einzelne Betrachtungen an­knüpfen. Ich glaube, wir werden, um alles dasjenige besprechen zu können, was für diese Vorträge notwendig ist, vielleicht noch drei oder vier Stunden brauchen. [Jubel unter den Zuhörern.]

DREIZEHNTER VORTRAG Dornach, 17. September 1924 Die Behandlung der Dichtung als Partitur Charakteristik und Konfiguration der Stückgestaltung

#G282-1969-SE275 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

DREIZEHNTER VORTRAG

Dornach, 17. September 1924

Die Behandlung der Dichtung als Partitur

Charakteristik und

Konfiguration der Stückgestaltung

#TX

Der Dichter hat sein Drama fertig, wenn es in Worten gestaitet ist. Er wird dabei, wenn das Drama bühnenmäßig sein soll, dasjenige gewissermaßen in Ohr und Auge haben müssen, was das Bühnenbild gibt. Wirkliche dramatische Dichtung ist vom Dichter geschaut, so geschaut, wie sie zuletzt dastehen muß schauspielerisch auf der Bühne vor dem Publikum. Sonst kann der Schauspieler mit der Dichtung nichts im Ernste anfangen, wenn nicht der Dichter Bühnenanschau-ung - Bühnenblut kann man es ja auch nennen - hat. Dann aber, wenn also der Dichter seine Dichtung fertig hat, dann ist sie für den Schauspieler, damit das Bühnendrama wirklich auf der Bühne steht, die Partitur. Die Dichtung verschwindet sozusagen, indem sie auf­geschriebenes - so könnte man ja sagen - Werk wird. Aber aufge­schriebenes Werk ist sie wie eine Partitur. Und der Schauspieler muß, geradeso wie der ausübende Musiker, das Werk wieder erschaffen. Es liegt zwischen dem Komponisten und dem ausübenden Musiker in gewissem Sinne eine Art Nullpunkt in der Partitur. Da müssen beide einander entgegenkommen. So aber muß es auch für den Schau­spieler sein. Und der Schauspieler wird zu seinem Ziele kommen, wenn er zunächst vorbereitet ist dazu, zweierlei zu machen. Das erste ist, Charaktere zu erfassen, jeder Schauspieler selbstverständlich sei­nen Charakter; aber geprobt werden kann nur im völligen Einklange mit allen Partnern durch den Regisseur. Daher handelt es sich darum, die Charaktere aufeinander abzustimmen, ineinander ein­zuspielen, das ganze Drama auch in bezug auf die Charakteristik zu einem kolorierten, in Charaktere kolorierten, in sich gegliederten Ganzen zu machen. Das wird, wenn man zuerst die Kunst der Charak­teristik ausübt.

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Aber die Kunst der Charakteristik kann wirklich herausgeholt wer­den aus den Elementen, die wir bisher schon angedeutet haben, und zwar, wenn ich beispielsmäßig wiederum vorgehe, etwa in der folgen-den Art.

Wir haben im Laufe dieser Vorträge ein Drama vor unsere Seele gestdlt, das ich auch jetzt wiederum benützen will, weil auch Charak­teristik und dasjenige, was ich nachher besprechen will, sich ganz gut an diesem Drama besprechen läßt. Aber vorzugsweise auf die Cha­rakteristik ist es Hamerling angekommen, als er seinen «Danton und Robespierre» geschaffen hat.

Nun wird man, um zur totalen Charakteristik zu kommen, das heißt, um jeden Charakter bühnenmäßig so in das Drama hineinzustellen, daß in der Auswirkung der Zugehörigkeit durch das ganze Drama hindurch ein Ganzes, ein innerlich gegliedertes Ganzes zustande kommt, vor allen Dingen das Drama auf seine Charaktere hin zu stu­dieren haben. Da folgt eigentlich für die dramatische Darstellung nie­mals ein Charakter, den man für die Bühne braucht, einzeln heraus aus der Anschauung der Personen, um die es sich handelt. Jn diesem Drama haben wir es mit den vier Persönlichkeiten zu tun, das heißt auch mit vielen anderen, aber zunächst mit den vier Persönlichkeiten zu tun, an die ich bei der Charakteristik der Charakteristik - verzeihen Sie das Wort - anknüpfen möchte: Rohe spierre, Hé bert, Chaumette, Danton.

Man müßte, wenn man das ganze Drama studieren wollte, natürlich auch die anderen dramatischen Charaktere hinzunehmen. Zum Stu­dium des Dramas genügt, daß man es soweit bringt, daß man das Drama überschaut, überschaut nach den Charakteren, damit man den einzelnen Charakter so gestalten kann, daß er nicht herausbricht oder nicht vollständig herausfällt unter den anderen Charakteren.

Wenn man dies mit dem Hamerlingschen Drama «Danton und Robespierre» absolviert hat, dann wird man, wenn man dasjenige recht inne hat, was in diesen Stunden hier vorgekommen ist, gewis­sermaßen von innen heraus ein Licht bekommen, wie man, um sie in der richtigen Weise gegeneinander abzustufen, sagen wir also zunächst diese vier Charaktere zu gestalten hat.

Danton: ä i.

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Da haben wir zunächst den Danton. Man wird finden, wenn man das Drama inne hat, daß der Danton sein Innenleben am besten aus­spricht, wenn man ihm die Lautempfindungen ö i, ä i zuschreibt. Da­bei, durch diese Empfindung, die in ihm sein muß, lebt sich dasjenige aus, was sein joviales Wesen ist; so etwas Breites hat er in seinem Auf­treten. Und man wird schon von selbst dazu versucht, wenn man ihn auf der Bühne gehen läßt, dadurch daß man dieses, ich möchte sagen, im innerlichen Griffe hat, ihn auf der Bühne so gehen zu lassen, daß er, wenn er geht, die Knie etwas steif hält und stark auftritt mit den Füßen. Und man wird empfinden, daß man ihn aufrreten lassen wird so, daß er seine Armbewegungen macht, als ob er den Arm nicht ganz biegen könnte hier im Gelenke, am Ellbogen, sondern als ob er da ein bißchen steif wäre und einen sehr stumpfen Winkel hätte zwi­schen dem Oberarm und dem Unterarm. Man wird das Gefühl haben, daß ein solcher Mensch wie der Danton weder ordentlich die große noch die kleine Terz singen könnte.

Wenn man dieses Gefühl hat gegenüber seinem Charakter, dann wird er richtig als Danton unter den anderen dastehen. Und man wird dann für sein Sprechen ganz versucht sein, viel diejenige Mund-geste zu gebrauchen - die den Ton dann erzeugt -, welche die Gewalt der Lippen hineinpreßt in die Gewalt der Mundwinkel. Also mit mög­lichst breit geschiossenen Lippen und einem Impuls in den Mund-winkeln muß der Danton gesprochen werden.

Das ergibt sich alles sachgemäß aus der Sache selbst heraus, und das muß es. Dann wird man also dazu kommen, wenn der Danton zu sprechen hat, eben einen Danton sprechen zu haben. Ich benütze zu dieser Charakteristik die zweite Szene des Stückes, wo unter das Volk der Danton tritt und zum Volke spricht, eben in Danton-Art.

Danton und Robespierre treten au£ Robespierre in einfacher, aber pedan­tisch sorgfältiger Tracht und Frisur, Danton in mehr prunkhafter und doch burschikoser Gewandung; eine gewaltige Halsschleife hängt über seine Brust herab.

VOLK:

Es lebe Danton Es lebe Robespierre!

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DANTON (den Hut lüftend und dem Volke zunickend, jovial):

Guten Morgen, Sansculotten!

Was soll denn das Gedräng'? Was gibt's? Ein Fest

Mit weißgeputzten Jungfern, schönen Reden

Und Blechmusik? Verdammt! Gibt's wirklich keine

Bastille mehr zu stürmen? Keinen Ausflug

Mehr nach Versailles zu machen? Alle Wetter,

Das waren andre Zeiten! Denkt ihr's noch,

Wie's war, als rings um uns zum erstenmal

Losbrach die Kriegsfurie, und die Ohren

Ihr an den Boden legtet, um zu horchen,

Oh man nicht schon Kanonendonner höre

Vorboten jener Haufen, die sich wälzten

Her auf Paris - und wie dann wirklich mancher

Zu hören meint ein fernes dumpfes Rollen,

Und auffuhr, bis ein Nachbar zu ihm sagte:

Laß gut sein - Danton ist's, der eben donnert

Im Club der Cordeliers!

VOLK (in Enthusiasmus geratend):

Es lebe Danton Ça ira! Ça ira!

Sehen Sie, da haben Sie die breite und doch revolutionäre Art. Ich betone ausdrücklich, daß ich selbstverständlich nur markiere, aber ich will gerade auf das Markierende den Hauptwert legen, damit heraus-komme, wie eben die Charakteristik gesucht werden soll.

Sie werden sehen, daß Sie da noch dazu kommen, wenn Sie in die­ser Weise charakterisieren wollen, daß ein Danton jedes j und was dem ähnlich ist und jedes l und was dem ähnlich ist, besonders cha­rakteristisch ausspricht. Danton: ä ij l.

Gehen wir dagegen über zu Hébert. Wenn man den Hébert im Stücke erlebt, so merkt man, der ist eigentlich nicht so wie der Danton ein Tatenmensch. Dem Hébert ist auch gar nicht gestattet, jovial zu sein. Man hat das Gefühl, der Danton mit seinem breiten Maul ist auch breit in bezug auf sein Tun, und man wird gut tun - wenn man es hat notabene! -, einen breitschultrigen Schauspieler für den Dan­ton zu wählen und noch durch das Kostüm etwas zu tun, damit er möglichst breit auftritt; dann wird auch das Kostüm im Einklange mit seiner Rede sein.

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Dagegen beim Hébert wird man das GefüH haben, er muß mittel-groß sein, er darf nicht allzu dick auftreten, denn er ruft den Eindruck hervor, daß er immer gehen will, aber immer wieder stehen bleibt. Das wird man auch zum Ausdrucke bringen, wenn er über die Bühne geht; er wird iriimer wiederum versucht sein, stehen zu bleiben, denn er schimpft ja eigentlich nur, tut nicht viel. Das muß man aus­drücken in seinem Anlaufnehmen zum Gehen und fortwährenden Stehenbleiben.

Man wird finden, daß er sich insbesondere wohl fühlt, wenn er g oder k auszusprechen hat. Das wird der Schauspieler üben, wird acht­geben, wo die g und k stehen und wird den ganzen Hébert so ab­stimmen, daß er grölt und jühlt, wenn er schimpft = ö ü, daß er sich aber wohl fühlt bei g und k.

Hébert:öü g k.

Während Danton sich wohl fühlt beij und l.

Das Publikum müßte eigentlich herausgehen aus dem Theater und sagen: Donnerwetter, so wie dieser Danton « ja» sagen kann, kann es keiner! Und Hébert, wie der haken kann in seinen Reden mit dem k und g, das ist ganz wunderbar!

Hamerling bereitet die Situation auch gut vor. Es tritt ein Bürger auf, um anzudeuten, daß nun eben die Göttin der Vernunft da ist, das Fest der Göttin der Vernunft gefeiert werden soll.

Der Festzug erscheint unter den Klängen der Musik. Voraus Henriot zu Pferde. Dann eine Schar weißgekleideter, rosenbekränzter Mädchen, dann folgen die wie Feldzeichen erhöht getragenen Büsten Voltaires und Marats. Unmittelbar vor der Göttin wird eine große angezündete Fackel hergetragen. Die Göttin selbst ruht auf einem blumengeschmückten Triumphwagen, angetan mit weißer Tunika, darüber eine wallende Chla­mys von himmelblauer Farbe. Auf dem Haupte eine rote phrygische Mütze. Hinter ihr Hébert, Chaumette und andere Mitglieder des Rates der Kommune. Nachdem der Zug in der Mitte des Platzes angelangt, macht der Triumphwagen Halt, die Göttin verläßt denselben und wird von Hébert und Chaumette auf das thronartige Gerüst hinaufgeleitet, wo sie Platz nimmt. Die bisher ihr vorgetragene Fackel wird in ihre Hand gegeben. Die Jungfrauen gruppieren sich um den Fuß des Ge­rüstes. Die Musik verstummt.

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EIN BÜRGER (im Vordergrund zu seinem Nachbar):

Prächtige Gestalt, diese Göttin der Vernunft!

DER NACHBAR:

Ja, sie ist ein schönes Weib, die Momoro; nur ihre Zähne sollen schon einigermaßen defekt sein.

EIN WEIB (zu ihrer Nachbarin):

Seht einmal, was sie für große, funkelnde Ohrringe trägt!

DIE NACHBARIN:

Die hat sie von dem reichen deutschen Baron.

H ÉBERT (besteigt die Bühne, doch nicht ganz bis zur Höhe, auf welcher die Göttin sitzt):

Mitbürger! Die freche Rebellion der exekutiven und der administrativen Gewalten gegen das souveräne Volk, welche in Frankreich Wie allent­halben ihr Wesen trieb, ist niedergeworfen. Der von den ersten Be­amten des Staates, den Königen, bisher geübte Amtsmißbrauch ist für immer abgestellt. Seit dem Augenblick, da das Haupt Ludwig Capets fiel und der Staub seiner Ahnen in den Prunkgräbern von St. Denis im Staub der Straßen von Paris seinen Bruder begrüßte, ist der Königsbann und Zauber, der auf den Völkern lastete, gebrochen. Wir zogen nach St. Denis, wir öffneten die kostbaren Schreine der verblichenen Despo­ten von Frankreich: da lagen sie, die einst allmächtigen Abgötter, vor welchen wir das Knie beugten; da lagen sie in ihren Silbersärgen, Staub-phantome, nur noch von den letzten Resten goldgestickter Gewande zu­sammengehalten. Wenn man mit den Fingern an die Majestäten tippte, rieselte die Totenasche aus den Gold- und Purpurfetzen hervor, wie der Staub aus einem Staubschwamm, den man in der Hand zerdrückt. In ganzen Wolken stäubte sie empor, die Königsasche, und wer da herum­ging, dem klopfte sein Diener am nächsten Morgen verweste Potentaten mit dem andern Staube aus den Kleidern. Es gibt keine geborenen Göt­zen der Menschheit mehr. Die Menschheit wird künftig nur diejenigen ehren, die ihr gedient, nicht diejenigen, die sie beherrscht haben. (Auf die Büsten deutend.) Da seht das Bild Voltaires, des großen Vorkämp­fers der Gedankenfreiheit; da seht das Bild Marats, des echten, glühen­den Patrioten, der für die Freiheit darbte, siechte, verhöhnt und zuletzt gemeuchelt wurde - der die Lauen und die Ehrgeizigen zugleich be­schämt, die auch jetzt noch das freie Volk zu eigensüchtigen Zwecken zu umgarnen trachten. - Das seien unsere Genien, das seien unsere Göt ter für die Zukunft! Vor diesen, Volk, entblöße dein Haupt!

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Das ist der Hébert. Schauen wir nun den Chaumette an. Wir be­kommen, wenn wir das Stück durchstudieren, so das Gefühl, der sauselt im ü, unterdrückte, in Courage verwandelte Fürchtelei. Und er will sich aufrechterhalten gegen diese Fürchtelei mit ö. Wir haben die Stimmung ü ö. Und dabei wird seine Rede wie ein nicht gerade ins Extrem gehendes, aber immerhin so ein bißchen ein Anflug davon, wie ein schlechtes Gebet, in dem immer h und sch vorkommt und in dem sogar immer etwas geblasen wird.

Chaumette: ü ö h sch.

Wir haben ihn dann, den Chaumette, wenn wir ihn so empfinden.

VOLK:

Es lebe die Göttin der Vernunft! (Schwenken der Mützen.) Es lebe die Republik!

DANTON (zu Robespierre abseits):

«Er ist verzweifelt wild heute, der Vater Duchesne!» (Beide verlieren sich unter dem Volk.)

CHAUMETTE (besteigt die Tribüne, nachdem sie Hébert verlassen):

Republikaner! Wir haben die Tyrannei nicht bloß vom Throne, wir haben sie auch von der Kanzel geworfen. Seitdem zu des großen Voltaire Zeiten die Mäuse des Unglaubens zum erstenmal den Speck der Kirche benagt, und seit die Naturforschung aufgestanden vom Faulbett des Be­griffs der göttlichen Allmacht, auf dem sie geschlafen, ist Frankreich vorwärtsgegangen mit Gigantenschritt. Nur fort auf diesem Wege, Brü­der! Streuen wir mit der Asche der Könige auch die Asche der Kalender-heiligen aus den Kirchen in alle vier Winde! Und insofern sie von Metall, diese Heiligen, sollen sie gute Patrioten werden und für die Republik ins Feuer gehen: wir schmelzen sie ein! Reißen wir den Kirch­türmen ihre geschwätzigen Glockenzungen aus und lassen wir sie im Felde als Kanonen brummen; schneiden wir Patronen aus den Meß­büchern! Auf die Friedhöfe laßt uns die Inschrift pflanzen: «Ewiger Schlaf!» Opfern wir nicht mehr das beste unserer Habe dem Himmel! Seien wir klug wie die alten Heiden: die brachten den Göttern von den Opfertieren auch nur die Häute und Knochen dar, das Fleisch aßen sie selbst. Unsere Göttin sei die Vernunft, die gesunde Vernunft ohne Grü­beleien, ohne Wissenskram, ohne aristokratische Gelehrsamkeit. Und als Franzose und Republikaner füge ich hinzu: Die Wissenschaft muß nützlich sein, und die Künste müssen einzig dem Patriotismus dienen;

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sie sollen keine Werkzeuge aristokratischer Verweichlichung sein. Den akehrwürdigen Pracbtbau von Notre Dame, der vor uns ragt, weihen wir von heut an zum Tempel der Vernunft! Vorerst aber, zum Zeichen, daß das Licht allen gemein ist (sich zu den Jungfrauen wendend), ent­zündet die Fackeln und verteilt sie unter das ganze Volk!

(Die Jungfrauen ergreifen Fackeln, von welchen ein großer Haufe am Fuße des Gerüstes aufgeschichtet ist, und entzünden sie an der Fackel der Göttin.)

CLOOTS (sich mit seiner Schar nähernd):

Laßt alle Völker die Fackeln an diesem Licht entfachen, das in Frank­reich aufgegangen!

So stellt sich Chaumette dar, indem er nicht nur die Tytannen vom Throne, sondern auch von der Kanzel herunter haben will. Daher charakterisiert ihn Hamerling so. Und wenn Sie die Sache als Partitur nehmen, ihn sprechen hören wie einen etwas unehrlich gewordenen Priester, so ist das der Ton, den wir festhalten, wenn wir Chaumette sprechen lassen.

Robespierre - Robespierre steht ja doch in einer gewissen Bezie­hung im Hauptinteresse Hamerlings - ist der Mann, der auf der Bühne erscheinen muß ziemlich groß. Mag er im Leben gewesen sein wie immer, hier im Hamerlingschen Stücke ist er groß gewachsen, hager, alle seine Töne sind etwas nach dem i hin. Er hat einen guten Ver­schluß in der Mitte des Gaumens, und er ist immer dabei, in etwas phrasenhafter Weise die Welt zu umfassen: i o, i o, das ist dasjenige, was er immer hat.

Dann ist er aber auch der Schulmeister, der Lehrer, der ganz be­sonders die d und t übt, liebt, meine ich, die d und t = deutend. Aber hier haben wir einen sehr guten Anhaltspunkt, um zu einer adäquaten Charakteristik des Robespierre zu kommen. Denn sehen Sie sich die Stelle an, die gerade maßgebend ist für das Erfassen des Robespierre das ist im Hause des Tischlers Duplay, wo er zur Miete wohnt. Eine Art Vorgemach, welches die Wohnung und Werkstätte des Miets­herrn von dem Wohngemache Robespierres trennt. Da wohnt Robes­pierre

Robespierre: i o d t.

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Nun führt ihn uns Hamerling vor, wie cr sich in der richtigen i o­Stimmung zunächst selbst bespiegelt. Das müssen wir auffassen, wenn wir schauspielerisch darstellen wollen; wir müssen in dieser Selbst­bespiegelung etwas Maßgebendes in seiner Charakteristik sehen. Ihm liegt viel daran, wie die anderen über ihn denken, aber er möchte nicht gerne sich und den anderen das gestehen. Doch hat er wirklich etwas Schulmeisterliches und gibt - ich meine natürlich immer den Robespierre nicht in der Geschichte, sondern den Robespierre im Stücke Hamerlings - der Revolution wirklich eine Farbe von Schul­meisterlichem.

Danton, Billaud Varennes und die anderen wollen die Leute hän­gen, wenn sie irgend etwas zugunsten der alten Aristokratie oder Königsherrschaft sagen, oder wenn sie nur davon träumen. Aber Robespierre will die Leute auch hängen, wenn sie an eine falsche Stelle unorthographisch ein r oder so etwas schreiben, weil er darinnen schon einen unverzeihiichen Konservativismus findet, der die Men­schen nicht in die neueren Zeiten hineinbringt. Namentlich die Schul­meister möchte er hängen, wenn die Kinder bei ihnen nicht an die richtige Stelle die Buchstaben zu setzen vermögen.

Diese zwei Züge klingen zunächst in der Charakteristik Robespier­res besonders gut an bei Hamerling Und wir werden dadurch in die Möglichkeit versetzt, diesen Robespierre zu verstehen, wenn wir ihn gerade mit dem entsprechenden Lautempfinden so auffassen.

ROBESPIERRE (tritt von einem Fenster zurück):

Vorbei die letzten Karren - Hébert flucht - Chaumette macht ein Gesicht wie eine kranke Lerche - der Pöbel, der ihnen vor zwei Wochen zu­gejauchzt, verhöhnt sie.

(Er nimmt Platz an einem Tischchen, durchblättert Zeitungen und öffnet Briefe. Miene, Haltung und Bewegung drücken eine fast pedantische Gemessenheit, Ruhe und anscheinende Gleichgültigkeit gegen den Inhalt der Zuschriften aus.)

Er nimmt eine Zeitung, wo über ihn drinnen steht:

«Robespierre, du Gewaltiger! Seele der Republik - harr' aus! Geh' mutig weiter auf deiner Bahn, entgegen dem Ziele, das dir winkt!>)

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Lächelt wohlgefällig und befriedigt. Andere Zeitung.

«Bürgerrepräsentant Robespierre, ich merke, du strebst nach der Dikta­tur! Gib sie auf, die volksverräterischen Pläne, oder wisse, daß die Dolche von zweiundzwanzig Brutussen, die sich gegen dein Leben, du Meuchelmörder der Freiheit, verschworen, Tag für Tag über dir ge­zückt sind - -»

Legt ärgerlich die Zeitung weg. Dritte Zeitung.

«Robespierre, wahrhafter Freund des Volkes, Unbestechlicher, erhalte dich das Schicksal noch lange, lange für das Wohl Frankreichs und der Welt!»

Legt wohlgefällig die Zeitung weg. Andere Zeitung.

«Du lebst noch, Tiger, befleckt mit dem Blute der edelsten Geschlechter von Frankreich? Henker der Menschheit, du lebst noch? Gib acht! ein Spröfiling aus edlem Stamme ist noch übrig und sein geschliffenes Eisen lauert -»

«Robespierre, du teurer, edler, tugendhafter Mann! vergib einer be­geisterten Tochter der Republik, die in Bewunderung für dich erglüht, wenn sie dich anfleht um die Gnade, dich sehen, dich sprechen, ihr republikanisches Herz an deinem Anblick laben zu dürfen! -»

«Du Aas, du Madensack, du Würmerfraß, elender Robespierre, hast du keine Scheu vor Gott dem Herrn, dem Beherrscher Himmels und der Erden? Denn wisse, elender Tyrrann» - Tyrann schreibt der Bursche mit einem doppelten r! Daß doch das Volk nie orthographisch schrei­ben lernt! - «Elender Tyrrann, daß du samt deinen Spießgesellen unser Parris» - wieder ein doppeltes r - ich werde den Schulmeister köpfen lassen, zu welchem der Wicht in die Schule ging -.

Da haben wir zunachst die Töne, die man besonders gut studieren muß. Wie gesagt, ich will nur markieren; es ist manches so ein biß­chen ins Extrem gezogen, um hineinzukommen in diese ganze Figur des Hamerlingschen Robespierre Man muß eben hineinkommen in diesen Hamerling, wenn man es darstellen will.

Und sehen Sie, wenn man auf diese Weise hineingekommen ist und man ihn nach den zwei angedeuteten Seiten kennengelernt hat - ich möchte die Dinge so ausdrücken, wie sie in einer Schauspielschule sein können, wie sie da dargestellt sein sollen zur Unterweisung -, wenn man in dieses hineingekommen ist, geht man weiter und weiter und

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studiert diesen Charakter des Robespierre an der Stelle, wo er aufmerk­sam darauf gemacht wird, warum er eigentlich nicht Diktator werden wolle, da er doch die Sache will. Er will eigentlich Diktator sein; da frägt ihn sein Freund St. Just, warum er den Namen verschmäht. Da muß sich der Robespierre etwas entpuppen; da kommen die Dinge heraus. Aber man sieht zugleich eine dritte Eigenschaft bei Robes­pierre hervortreten, die neben allem anderen lebt: man sieht den Dogmatiker, den Rationalisten, den immerzu als Weltenschulmeister Lehrenden und daher auch in eine gewisse Utopie hineinkommenden Weltenschulmeister, eine Theorie vertretend, deren man immer wie­derum mit schneidender Schärfe gewahr wird, weshalb er nachher immer das Bestreben hat, sich zu rechtfertigen. - Also der St. Just sagt ihm:

Du verschmähst den Namen - warum nicht auch die Sache?

Robespierre, dem natürlich das recht fatal ist, daß er da in das Zen­trum sozusagen seiner Schwächen, die aber seine Größen sind, hin­gewiesen wird - St. Just bleibt stehen -, Robespierre wird etwas un­ruhig, geht hin und her. Weil er erst vor der Vernunft sich zu recht­fertigen hat, antwortet er nicht gleich, benützt aber das, um etwas auf und ab zu gehen. Dann klopft er dem St. Just auf die Schulter:

Hör' mich, St. Just! Das Wort ist mir sonst Werkzeug, Waffe. Dir gegen­über soll es ein vertraulicher Bote meiner Gedanken sein - so weit du sie begreifen magst. Ich bin vielleicht, wie du gesagt, ein heimlicher Schwärmer. Ich liebe die Menschheit, wie Rousseau sie geliebt! Aber was sind mir die einzelnen Menschen? Ich verachte sie. Nimm den Durchschnittsmenschen aus der Masse heraus - sein Wesen ist die bare Unvernunft. Laß ihn in der Masse, an seinem Ort, und er ist Teil eines zwar blinden, aber infalliblen Ganzen. Die Menschheit geht immer den Weg zum Ziel, aber unbewußt, in blindem Drang, wie ein Nachtwand­ler. Das Schellengeläut der Phrasen, mit welchen sie sich ihren blinden Drang, ihren Weg und ihr Ziel deutlich machen will, hat wenig zu sagen. Die meisten Worte mischen sich in ihren Fortgang ohne Sinn, bloß zur Ermunterung, wie Hundegebell ins Räderrollen. Wahrhaft be­wußt gehen den Weg nur Wenige Auserwählte. Diese Wenigen sind Regulatoren, Lenker, Förderer, Bahnbrecher - sie haben den großen

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Zweck vor Augen - und einzig diesen. - - Weißt du, Freund, was eine große Idee ist?

ST. JUST Ich meine es zu wissen.

ROBESPIERRE: Weißt du, was das Wort Konsequenz sagen will?

ST. JUST Ich denke.

ROBESpIERRE

Das ist mir lieb. - Der einzelne, sein Wohl und Wehe, sein Leben ist mir nichts. Ich lasse ihn unbedenklich für den großen Zweck über die Klinge springen. Bin ich grausam? Mutter Natur macht's ebenso. Ich wünsche, ich will, daß das Vernünftige sich auf Erden verwirkliche. Das ist mein Prinzip - mein Ideal - davon bin ich begeistert oder besessen, wenn du lieber willst, dämonisch besessen. - Das Unvermeidliche stört mich, quMt mich, wie ein Mißklang im Ohr. Ich kann es nicht ausstehen. Ich will keine Könige, ich will keine Aristokraten, ich will keine Privilegien, ich will keine Priesterherrschaft, ich will keine Säbelherrschaft, ich will auch keine Pöbelherrschaft - nichts von einer Übermacht, die Zufall, Geburt, eigensüchtige Schlauheit oder rohe Gewalt gewährt - denn das ist alles Unvernunft und ein Greuel auf Erden. Ich will keine andere Übermacht als die der Vernunft über den Blödsinn. Wer zu den wahr­haft Bevorzugten gehört, erhält seine Präpotenz über die Menge nur dadurch, daß er dieser Menge gegenüber eine noch größere Menge ver­tritt: die Menschheit. Ich halte mich für einen von diesen. Ich fühle die Flamme der Menschheit in mir leuchten und brennen - Fiebergluten ent­zündet sie in mir - sie leuchtet, aber sie verzehrt auch - das Licht fordert Unterwerfung, Gehorsam, - auch von mir - es ist grimmig - es verzehrt mein Menschliches - und dann wundern sich die Kleinen, daß ich ein «Unmensch» bin. Wer die Fackel dieses Lichtes trägt, ist dieses Lichtes Sklave: aber den Kindern der Finsternis und der Dämmerung gegenüber ist er Herr und König. Könige wird es ewig geben; aber Zepter und Kronen und höfischer Mummenschanz und Trabantenscharen, das ist Torheit, das ist schnöde Unvernunft! Der bessere Kopf braucht nur her­vorzutreten, um zu herrschen. Darum nichts von Diktatur, Freund, nichts von Diktatur! Nichts von Namen und Titeln und Würden, nichts von Mummenschanz und Trabanten und Liktorenbeilen - dergleichen kompromittiert, diskreditiert nur... Bleiben wir auf republikanisch-ge­setzlichem Wege. Wenn Frankreich tut, was ich rate - was brauch' ich zu befehlen? - Nichts von Diktatur, Freund, verschone mich damit!

Das ist dann Robespierre

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Wenn wir in dieser An dann versuchen, die Charakteristik zu üben, kommen wir durch die erste Art, wie wir als Schauspieler die dichte­rische Partitur benützen, vorwärts.

Das zweite ist, meine lieben Freunde, daß wir dazu kommen, das ganze Stück so zu kolorieren, daß es nun auch im Fortgang der Hand-lang den Grundton beibehalten kann.

Da möchte ich Ihnen heute zunächst die Anfänge von dem geben, was man in bezug darauf verstehen soll, um morgen damit fortzufah­ren. Sehen Sie, ich habe Ihnen die Vokale, die im wesentlichsten wie eine Skala in Betracht kommen, aufgezeichnet. Ich möchte sie heute im Kreise schreiben, indem ich in diesem Kreis sieben Etappen mache und der Reihe nach die Vokale so schreibe, daß aber das ganze wie­derum in sich zurückkehn, nicht nebeneinander, sondern im Kreise das ganze wiederum zurückkehrt. (Siehe Schema.) a e io ä ä ä = sieben, und das u ist eben der achte.

#Bild s. 287

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Nun gibt es eine gewisse sehr merkwürdige Eigentümlichkeit. Den­ken Sie, wir ordnen, indem wir ein Drama studieren, so an. Wir wollen von einer solchen Stimmung im ganzen des Dramas, die von der u-Empflndung hergekommen ist, ausgehen, wollen die Darstellung so gestalten, wie wenn dasjenige, was in der u-Empfindung liegt, oben auf der Bühne als der Gesamtton da wäre. Wir lassen jeden seinen Charakter so markieren, so kolorieren, daß immer ein bißchen u darinnen ist, lassen dann übergehen von dem u zum a, zum e, zum' (siehe Pfeil); lassen also diesen Weg in den Stimmungen machen bis zum i. Dann haben wir das Gefühl, über das i zum o dürfen wir nicht hinausgehen zunächst, sondern wir müssen jetzt wieder zurück; wir müssen die Stimmung entwickeln wiederum zum e hin (siehe Pfeil, Kreis), wodurch wir leise etwas abwehren, aber doch wiederum an uns herankommen lassen und wiederum zum a (siehe Pfeil), bleiben aber vor dem u stehen, lassen höchstens das u etwas antönen.

Wenn wir so das ganze Stück durchgehen, das ganze Stück kolo­rieren in den Empfindungen, was haben wir denn da? Wir gehen von dem u = Furcht aus; wir gehen weiter, kommen zu dem i. Mit dem i erlebt sich das Mitleid. Wir sind in der Mitte des Dramas. Wir sind genötigt, wieder zurückzugehen in den letzten Akten, kommen, in­dem wir leise abwehren - das ist zuletzt zum Bewahren desjenigen, was geschieht - zu dem a, was die letzte Stimmung ist.

Damit haben wir aber, wie schon Aristoteles andeutete - nicht im Anklang an diese Laute, aber an sich -, in der Lautempfindung auf der einen Seite gegeben den Gang: Furcht, Mitleid, Bewunderung. Die Furcht im Hingang zum u, Mitleid: 4 Rückgang zur Bewunderung im a; im a vor dem u bleiben wir stehen. Die Furcht ist nur ein klein wenig noch anklingend.

Nehmen wir aber an, wir machen den anderen Weg. Wir gehen von einem besonderen i aus, das nicht richtiges tiefes Mitleid ausdrückt, aber doch auch ein Miterleben, vielleicht auf eine leichtere Art: das ist die Neugierde. Gehen wir nun von dem i aus, das wä in einem Drama finden. Wir müssen also von der Neugierde ausgehen: die Neugierde = i-Stimmung. Man ist aus der Exposition neugierig, was da kommen soll. Man ist recht neugierig; man geht über in ä und ö,

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kommt sogar bis zum ü, das heißt, man kommt in die Bangigkeit hinein (siehe Schema), daß es schief gehen könnte. So ist der Gang des Stückes. Jetzt ist man genötigt, nicht in Furcht hineinzugehen von der Bangigkeit, nur ja nicht vom ä in das u, sonst wird es schlimm. Dazu ist das Stück nicht angetan, man muß wieder zurück. Und man bekommt in demjenigen, wozu man da zurückkommt, eine Stimmung des Befriedigten = ä; man kommt zur Befriedigung zurück.

Und der Kreis der Vokale gibt uns das eine Mal den Gang der Handlung: Furcht - Mitleid - Bewunderung; das andere Mal: Neu­gierde - Bangigkeit - Befriedigung.

Wir haben hier das Trauerspiel:

Furcht - Mitleid - Bewunderung.

Wir haben hier das Lustspiel:

Neugierde - Bangigkeit - Befriedigung.

Das sind natürlich Kategorien; sie werden niemals ganz: zutreffen. Aber studiert werden kann dasjenige, was man braucht von diesen Dingen, an der Stückgestaltung.

So handelt es sich darum, daß man vorschreitet in der Behandlung der Dichtung als Partitur erstens durch die Charakteristik, zweitens durch das Wesenhafte der Stückgestaltung.

Da werden wir dann morgen anknüpfen.

VIERZEHNTER VORTRAG Dornach, 18. September 1924 Das Dekorative auf der Bühne Stilisierung in Farbe und Licht

#G282-1969-SE290 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

VIERZEHNTER VORTRAG

Dornach, 18. September 1924

Das Dekorative auf der Bühne

Stilisierung in Farbe und Licht

#TX

Gestern deutete ich am Schlusse der Stunde an, wie die ganze Kon-figuration des Dramas herausgeholt werden kann aus den Lautemp­findungen, wie sie eigentlich in gewissem Sinne in dem Kreise, in dem Zyklus der Lautempfindungen enthalten ist. Ich zeigte Ihnen, wie man, wenn man die Lautempfindungen im Kreise aufschreibt, durch ihren Verfolg auf der einen Seite die Konfiguration des Trauerspiels, auf der anderen Seite die Konfiguration des Lustspieles finden kann.

Nun ist in der Tat ein solches Lautempfinden in alten Zeiten, als das Schauspiel aus dem Mysterienspiel herausgewachsen ist, vorhan­den gewesen, und man kann schon daran sehen, daß so etwas eigent­lich eine künstlerische Gesetzmäßigkeit darstellt.

Noch in der Darstellung des Aristoteles ist durchaus, wenn auch die Dinge nicht mehr ausdrücklich erwähnt werden, dasjenige vor­handen, was eigentlich aus der alten Mysterienweisheit herausgeholt ist. Die Schriften des Aristoteles sind nur mangelhaft auf die Nach­welt gekommen, und so weiß man das, was für die «Poetik» des Aristo­teles gilt, wie er das Trauerspiel charakterisiert hat. Er hat ja das Trauerspiel so charakterisiert, daß er ganz deutlich auf die alten Myste­rien in der Charakteristik hinweist, denn er spricht von der Katharsis in der Lehre vom Trauerspiel: Katharsis, Reinigung, Läuterung der menschlichen Seele. Übergang der menschlichen Seele von einem Fühlen im Physischen zu einem Fühlen im Seelisch-Geistigen, das ist etwas, was innerhalb der alten Mysterienentwickelung von den Schü­lern angestrebt worden ist.

Und so sieht man gleich, indem Aristoteles das Trauerspiel charak­terisiert, gibt er für den Verlauf des Trauerspiels einen Abglanz des­jenigen an, was in den Mysterien für die Seele der Menschen ge­scheben ist. Natürlich darf man das eine mit dem anderen nicht verwechseln.

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Aristoteles sagt: Was soll das Trauerspiel? Es soll Furcht und Mitleid erregen. In den alten Mysterien würde man gesagt haben:

Es soll von der u-Stimmung in die i-Stimmung übergehen, um dann in der a- oder o-Stimmung die Lösung zu finden. So würde man in alten Zeiten gesagt haben.

Er sagt weiter: Furcht und Mitleid sollen erregt werden bei dem Zuschauer, damit der Zuschauer von diesen Affekten gereinigt, ge­läutert werde. Die Katharsis ging aus diesen Affekten hervor. In den griechischen Zeiten, wo Schulung und Erziehung noch nicht jenen muffigen Geruch des Pedantischen harten, der einen heute davon ab­hält, von Erziehung zu reden, konnte man, ohne daß man sich der Gefahr aussetzte, ein Philister zu sein, wirklich davon reden, daß der Zuschauer durch das wiederholte Anschauen des Dramas- so etwas wie einen leisen Abglanz der Katharsis erleben sollte. Er sollte in sich künstlich durch das Anschauen des Dramas Furcht und Mitleid er­leben, damit er für das Leben nach und nach von dem leidenschaft­lichen Hingegebensein an Furcht und Miterleben, von allem, was ihm die Selbständigkeit nimmt, geheilt werde, die Katharsis erlebte. Es heißt ja die «Katharsis».

Wir müssen, wenn wir ein Drama konfigurieren wollen in bezug auf seinen seelischen Aufbau auf der Bühne, geradezu solche An­schauungen wiederum in Fleisch und Blut hereinbekommen. Wir müssen fühlen, was da an Imponderabillen zwischen der Bühne und den Zuschauern vor sich geht.

Ich sagte, die Aristotelischen Schriften sind nur mangelhaft auf die Nachwelt gekommen. Würde alles auf die Nachwelt gekommen sein, dann würde man auch die andere Definition darinnen finden, die un­gefähr so lautete: Das Lustspiel ist die Darstellung einer in sich ge­schlossenen Handlung, die bestimmt ist, im Zuschauer neugieriges Interesse und Bangigkeit zu erwecken, um das Interesse am Leben zu einem größeren in ihm zu gestalten.

Es ist ja nicht viel zurückgeblieben im Leben von dem, was in alten Zeiten dem Lustspiel abgeschaut werden konnte, denn das Haupt­interesse beim Lustspiel der modernen Zeit beschränkt sich bei vielen Menschen - nicht bei den feiner ästhetisch durchgebildeten Menschen,

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aber bei vielen Menschen - dennoch darauf Interesse an «ihm» und an «ihr» zu nehmen, bange zu sein, ob sie sich kriegen oder nicht, und in der Befriedigung aufzugehen, daß sie sich doch kriegen. Aber es ist noch ein Schein von demjenigen da, was eigentlich das Wesent­liche des Lustspieles ist.

Nun handelt es sich darum, daß wir wirklich solche Dinge in der Art, wie ich das gestern ausgeführt habe, mit dem Lauterleben ver­binden können, um sie so bis in Sprache und Gebärde wirklich hinein­zubringen. Denn Schauspielkunst ist - ich habe das gerade in dem Aufsatze über unseren Sprachkursus, der morgen erscheinen wird, ausgesprochen, wo ich die Betrachtungen der vorigen Woche über diesen unseren Sprachgestaltungskursus fortgesetzt habe, so daß schon wie eine Art von idealem Programm diese zwei Mitteilungsblät­ter gelten können für die Teilnehmer an diesem Kursus, insbesondere wenn sie irgendwie Interesse, positiv oder neutral, an der Schauspiel­kunst haben -, ich habe es ausgesprochen, wie Schauspielkunst ein wirkliches Erlehen des in Sprache und Gebärde verkörperten mensch­lichen Seelenhaften ist. Das muß sie wieder werden, die Schauspiel­kunst. Sie kann es nur werden, wenn wir eben gewisse Elemente in unsere Anschauung aufnehmen, ohne die man nicht bühnenmäßig gestalten kann. Auf der Bühne müßte aber eigentlich alles miteinander im Einklange stehen.

Handelt es sich darum, die Szene selber aufzubauen, insofern sie im Dekorativen sich vor das Auge des Zuschauers stellt, dann wird es ja ganz ohne Frage sein, daß, wenn sich der Regisseur bewußt ist, daß er Stil, das heißt Kunst, nicht Naturhaftes, das heißt Unkunst, auf die Bühne zu hringen hat, er dann auch im Dekorativen das Stili­sieren anstrehen muß. Aber es handelt sich nur darum, daß wir ver­stehen, was im Dekorativen das Stilisieren eigentlich bedeutet.

Mit was wird man es denn in der Hauptsache selbst hei einer noch so stark an das Naturalistische heranstreifenden Bühnendekoration zu tun haben? Doch kaum mit etwas anderem als mit demjenigen, was die menschliche Kultur hervorbringt: mit dem Untermineralischen. In der menschlichen Kultur bringen wir Untermineralisches hervor; die Kristallformen der Mineralien sind kosmischer gebildet als unsere

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ästhetischesten Häuser. Dann werden wir es zu tun haben init dem Mineralreich und noch mit dem Pflanzenreich. Löwen und Bären auf die Dekorationsstücke zu malen, wird in den seltensten Fällen eine Anforderung sein, würde sich auch nicht so leicht in den Gang der Handlung einfügen lassen. Wenn irgendwo ein Hund säße unter einem Baum, so wäre das auch nicht gerade ein dekoratives Pracht­stück.

Aber können wir denn überhaupt Mineralien und dasjenige, was in der mineralischen Natur lebt, können wir Häuser, können wir Pflan­zen stilisieren? Die Menschen machen es, aber das Stilisierte schaut auch danach aus. Ein stilisierter Baum - man stelle sich ihn nur einmal vor! Das hängt alles mit den inneren Bedingungen der Kunst zu­sammen. Man kann nicht alles machen, sondern dasjenige, was in den inneren Weltgesetzen veranlagt ist.

Denken Sie einmal, daß man ganz gut anfangen kann beim Löwen, beim Tiger, beim Hund, bei der Kuh, beim Ochsen, plastisch zu ge­stalten, und kann dann bis zum Menschen heraufgehen, wo man es in der Plastik bis zum Porträt bringen kann. Aber denken Sie sich ein­mal, Sie wollten plastisch eine Lilie gestalten: das ist ja unkünstlerisch. Man kann in der Plastik überhaupt nicht Pflanzengestalten machen! Das ist ganz unkünstlerisch. Mineralgestalten - ja, man kann sie auch nicht plastisch gestalten. Man kann erst beim Tierreich aufwärts zum Menschenreich anfangen, plastisch zu gestalten, so daß man sagen kann: Warum können wir denn die Blume nicht plastisch gestalten? -Nun, Plastik ist gerade die Kunst des Idealisierens, des Stilisierens im eminentesten Sinne des Wortes. Und alles andere, was stilisiert wird, wird in demselben Maße stilisiert, in dem es plastisch gemacht wird.

Wir dürfen also nicht glauben, daß wir, wenn wir einen Wald zu malen haben, ihn dabei für die Bühne zu stilisieren haben, wir da allerlei - will man es mit gesunder Künstlerschaft denken, so kann man es gar nicht aussprechen - Baumzeug machen, das stilisiert ist. Es sieht dann eben kurios aus. Aber eine Bühnendekoration ist keine Landschaft, ist auch kein Gemälde. Das Gemälde, das vor uns steht, ist fertig; es muß also auch stilisiert vor uns hintreten, denn es ist

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fertig. Die Bühnendekoration ist nicht fertig; sie ist erst dann fertig, wenn sie durchleuchtet ist mit dem Bühnenlichte, ist erst dann fertig, wenn man sie zusammen anschaut mit dem, was auf der Bühne vor geht; erst dann ist die Bühnendekoration fertig.

Das aber fordert eine Stilisierung nicht nach der Form und Linie, das fordert eine Stilisierung gerade nach dem Farben- und Lichtgeben. Und im Farben- und Lichtgeben ruht das Wesentliche desjenigen, was man braucht, um die Szene in der richtigen Weise als Beigabe zur Darstellungskunst des Schauspielers auszubauen.

Was Tebt denn in der Farbe? Jn der Farbe lebt die ganze mensch­liche Seele. Und wenn man geistig anschauen kann, so findet man die menschliche Seele als ein Wesen, das innerlich in Farben lebt. Und das ist wahr: die menschliche Seele ist ein Wesen, das innerlich in Farben lebt. Nehmen wir eine menschliche Seele, die für irgendeinen Zeitmoment in Freude lebt, eine menschliche Seele, die übersprudelt von Freude, der es nicht genug ist, nach außen zu lachen, die im Inne­ren lachen möchte, die in jeder Fingerspitze lachen möchte, der es nur leid ist, daß sie keinen Schwanz hat und das Lachen durch das Wedeln, wie der Hund, ausdrücken kann. Solche Seelen gibt es durch­aus. Nehmen wir also eine solche Seele - was tut sie innerlich?

Eine solche Seele lebt innerlich in einem schreienden Rot. Und wenn wir das Innerliche erleben würden - wir erleben ja, wenn wir das Rot anschauen, das Rot nur äußerlich -, wenn wir da herein-schlüpfen könnten in dasjenige, was in schreiendem Rot auf die Wände gemalt ist, und würden darinnen fühlen, wie es der Maler in einer gewissen Weise richtig muß, wenn er malt, dann würden wir sie sehen, wie ich sie geschildert habe, als rosig sich freuende Seele, die lebt in schreiendem Rot. Eine Seele, die mehr Befriedigung fühlt in irgend etwas, was vorgekommen ist, lebt in einem ruhigen Rot. Eine Seele, die in Nachdenken versunken ist, lebt in Grün, erlebt innerlich das Grün. Eine Seele, die im Gebete versunken ist, erlebt innerlich vio­lett. Eine Seele, die in Liebe sprudelt, erlebt ein ruhiges Zinnoberrot. Eine Seele, die von Egoismus angefressen ist, erlebt ein gelblich-grünes Gesprenkel und so weiter. Alles eben, was äußerlich erlebt werden kann, kann auch innerlich erlebt werden.

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Nun, sehen Sie, wenn ich so etwas sage, wie vorhin gerade, wo Sie so gelacht haben, da mache ich gar keinen Witz. Es schaut nur so aus wie ein Witz. Das kommt deshalb so heraus, weil, wenn man den Hund anschaut, der aus Freude seinem Herrn entgegenkommt und furchtbar wedelt, er nach rückwärts hinaus die wunderbarsten hell­rötlichen, schreiend rötlichen Garben schlckt, so daß man wirklich das Lachen des Hundes - das ja nicht mit der Physiognomie gemacht werden kann, oder wenigstens dann nicht sehr schön herauskommt -sieht in dem aurischen Umnebeltsein seines Schwanzes. Es ist also eine ganz richtige Beschreibung, die ich gegeben habe, nicht ein Witz, den ich machen wollte.

Wenn man das weiß, dann wird man aber, wenn auch vielleicht nicht mit aller Vollkommenheit, wirklich dazu kommen können, die einzelnen Personen auf der Bühne in einem gewissen Augenblicke der Stimmung in Farben zu empfinden. So könnte ich schon sagen:

Schaue ich in dem Drama, von dem ich Ihnen gestern gesprochen habe, den Danton an, dann erscheint mir der Danton in einer Farbe, welche ein Orange nach dem Rötlichen hinspielend hat. Und ich würde ihn auch auf der Bühne so bekleiden.

Schaue ich den Hébert an, dann würde ich ihn in einem Grünlichen, das rot gesprenkelt ist, darstellen, in irgendeiner Weise grün-rot.

Schaue ich den Chaumette an, würde ich ihn in solch einem Kostüm darstellen, das dem Kardinalpurpur dadurch ähnlich ist, daß es etwas mehr ins Grau spielt.

Schaue ich den Robespierre an, so würde ich ihm zum mindesten eine Art helles Grün geben, aber möglichst viel dran von Rot, eine rote Krawatte und so weiter.

So stellt sich einem schon das nicht aufdringlich sein dürfende Dekorative herein, das man in der Kostümierung der Personen hat. Aber man muß sich doch klar sein, wenn man lebhaft empfindet, wie die Personen eigentlich als Seelen ihre Farben ausstrahlen, dann müs­sen die doch auf der Bühne da sein. Man kann sich doch von der Sonne am Himmel nicht denken, daß sie scheint, wenn Wolken davor sind. Dann dürfen auch diePersonen auf der Bühne nicht bloß strahlen, wenn der Vorhang zu ist. Ist er aber offen, dann müssen die Personen

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strahlen, dann müssen sie ihre Farben der Bühne mitteilen. Dann muß man auf der Bühne dasjenige sehen, was die Seelen erleben. Dann bekommen wir die Farbenstilisierung für das Dekorative der Bühne. Das ist es, um was es sich handelt. Nicht um eine Linien- und Form-stilisierung, sondern um eine Farbenstilisierung handelt es sich beim Dekorativen der Schauspielkunst. Wir werden gut tun, uns der Form-und Linienstilisierung zu enthalten, dafür aber möglichst viel dafür tun, den Grundton einer Dekoration so zu treffen, daß er sich in rich­tiger Weise begegnet mit dem, was wir wiederum als Lichteffekt haben müssen, damit die einzelnen Lichteffekte sich in der richtigen Weise mit den Grundtönungen der Dekoration entsprechend ver­binden. Dann tritt die ganze entsprechende Wirkung von der Bühne aus in den Zuschauerraum hinein.

Wir können die Sache auch noch von anderer Seite darstellen. Wir können das Folgende sagen. Haben wir die Bühne vor uns, wir deko­rieren sie so, daß wir möglichst andeutend, aber nicht stilisiert, das­jenige, was die Szene erfordert, bringen mit gewissen Grundtönen. Da müssen wir anstreben, diejenigen Grundtönungen darinnen zu haben, welche der allgemeinen außermenschlichen Situation des Stük­kes entsprechen. Man kann natürlich nicht, wenn eine Szene am Abend spielt, die Dekoration als Morgendämmerung oder so etwas haben, oder als Mondenstimmung die Mittagsstimmung. Aber nach­dem man dem nachgegangen ist, was man nun in einem Stück nach dieser Außensituation als eine Dekoration zu geben hat, muß man den Übergang finden, überall auf dasjenige hinschauen, was nun aus dem Inneren der Seelen heraus gegeben werden muß. Und das müßte eigentlich die Bühnenbeleuchtung, die farbige Bühnenbeleuchtung geben. So daß wir Äußeres und Inneres auf der Bühne zusammen­wirkend haben, wenn wir die Beleuchtung nach dem Inneren, nach den Stimmungen der Personen einrichten, und wenn wir dasjenige, was Außendekoration ist, nach dem, was die allgemeine Situation ist, einrichten

Natürlich kann man nur so von der modernen Bühne sprechen, und man kann natürlich nicht mehr denjenigen Bestrebungen gegen­über so sprechen, die etwa das Freilichttheater oder so etwas anstreben.

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Aber da muß man ja sagen, daß bei diesem Zurückgehen in pri­rnitivere Zeiten, wo man also das Theater im Freien anbringt, nicht geredet werden kann von einer solchen Vorbereitung der Bühne, wie ich sie eben ausgesprochen habe. Bei diesem Zurückgehen kann ohne-dies keine innerliche Wahrheit heute erzielt werden, denn wir müßten dann schon diese alten Zivilisationen als die Grundlage des ganzen aufgeführten Dramas auch mit auferstehen lassen, und das können wir ja eigentlich nicht.

Sie müssen eben bedenken, wenn man ohne die Bedingungen unse­rer heutigen Bühne spielen will, also ohne Lichteffekte spielen will, dann braucht man unbedingt nicht Menschengesichter, dann muß man wiederum zur Maske zurückkehren. Denn mit der Maske allein verbindet sich der Naturhintergrund, weil die Maske den Menschen eben nicht gibt, wie er ist, sondern ihn in der Gestalt gibt, wie wenn er ein Elementarwesen wäre. Das ist in der Natur vorhanden. Und wir müßten schon zu Zeiten zurückgehen, wo eigentlich die Menschen nicht als Menschen wollten auf die Bühne gestellt sein. Man wird, wenn man so etwas wie das heute Ausgeführte ausspricht, sich auch gern zurückerinnern an die Shakespeareschen Zeiten, wo man nicht in so raffinierter Weise die Bühne gestalten konnte, son­dern wo man einen Stuhl hinstellte und darauf schrieb: Das ist ein Wirtshaus - und das andere der Phantasie des Zuschauers überließ. Aber diese Phantasie haben ja die heutigen Menschen nicht.

Außerdem darf man nicht vergessen, daß in der Zeit, in der bühnen-mäßig so etwas möglich war, doch ganz anders gesprochen worden ist als heute, und zwar in einer Weise stilisiert wurde, wie wir heute nicht mehr stilisieren können, weil die Sprachen es nicht mehr her­geben. Insbesondere muß an der englischen Sprache bemerkt werden, wie schnell sie sich seit der Shakespeare-Zeit so entwickelt hat, daß nicht mehr ins Shakespearesche hlnein stilisiert werden könnte - ich meine von einem gegenwärtigen Dramatiker. Shakespeare selbst könnte ja auferweckt werden, dann würde man aber schon sehen, daß dies nicht mehr in gegenwärtige Dekorationen hineinpaßt. Also ich rechne zunächst damit, daß man die moderne Bühne vor sich hat, und diese moderne Bühne gestalten wir.

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Wir können dann in Zukunft einmal streifen, wie heute auch mit unseren gegenwärtigen Mitteln eine Art Freilichttheater kunstgemäß zu gestalten wäre. Aber das sind im Grunde für heute keine prak­tischen Fragen.

Da müssen wir uns nun klar darüber sein, daß das Innere des Men­schen in der Beleuchtung erscheint, das Äußere von dem her gestaltet werden muß, was die Natur erfordert, die Umgebung erfordert. Dann muß man aber beides in Einklang bringen. Und das kann man durch die Tönung der Dekoration. Ich werde nicht ohne weiteres für die Bühne eine Dekoration machen lassen, welche, sagen wir, eine Abend-dämmerung darstellt. In bezug auf alles übrige, Baummalerei und so weiter, kann der Naturalismus, wie er will, in die Zügel schießen mei­netwillen, denn für das, was auf der Bühne gestaltet wird, ist dasjenige, was da gemalt ist naturalistisch, nicht viel mehr als für einen Stilleben-maler der Apfel und die Rüben und das, was da nebeneinanderliegt. Es sind nur die Materialien, und die Rübe und der Apfel idealisieren sich ja nicht, wenn wir sie als unsere Modelle verwenden. So braucht auch nicht dasjenige, was so der Bühnendekorateur zusammenstellt für die Szene, stilisiert zu sein, soll auch nicht stilisiert sein, weil es sonst wie gemacht aussieht, wenn es in Form und Linie stilisiert ist. Aber die Grundtönung, die ist es, worauf es ankommt. Und da werden wir uns sagen: Nun ja, eine Abenddämmerung haben wir da. Es spielt etwas in der Abenddämmerung, sei es im Zimmer drinnen, sei es drau­ßen im Garten; es spielt in der Abenddämmerung. - Wir werden aber dieser Abenddämmerung einen solchen Grundton geben müssen, daß mit den einzelnen Beleuchtungseffekten, die nun von den Stimmungen der Personen kommen, diese alle zu der Grundtönung so hinzu-kommen, daß es ein harmonisches Ganzes wird.

Wenn ich also eine Reihe von Stimmungen, die aus den Seelen der Darstellenden kommen, habe, so weiß ich, ich brauche dazu diese oder jene Beleuchtungseffekte. Ich weiß ganz gut, daß, wenn ich, sagen wir, von vorne links vom Zuschauer aus gesehen ein Rot scheinen lasse, das auf einen hellvioletten Fond fällt, dies eine Dissonanz gibt. Ich werde also sehen, so etwas zu vermeiden. Und so handelt es sich darum, daß man für die Bühnendekoration die Stilisierung dadurch

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zustande bringt, daß man eine Harmonik der Farbenstimmungen an­strebt.

Es sind wirklich diese Dinge den heutigen Menschen nicht leicht zu sagen und beizubringen, meine lieben Freunde. Das konnte man in der Zeit, in der das Bühnenkünstierische völlig verlorengegangen ist, ganz gut sehen an den Realitäten, die sich da abgespielt haben. Sehen Sie, als wir darangingen, unsere Mysterien aufzuführen, mußten wir uns, weil wir ja zu Gast gehen mußten bei Theatern, nicht wahr, ver­schiedenste Bühnen ansehen. Nun, bei denjenigen Bühnen, die so den gewöhnlichen philiströsen Bühnenraum haben, da handelte es sich natürlich nur darum, ob man sie der Größe oder Kleine nach ge­brauchen könnte und ähnliches mehr. Dekoratives mußte man natür­lich besorgen. Aber man kam auch an merkwürdige, damals neue Bühnengestaltungen heran, an denen man studieren konnte, wie die Schauspielkunst verlorengegangen ist. So kamen wir einmal an eine Bühne heran, die man uns zeigte, bei der ich mir sagte: Ja, um Gottes willen, wo soll man denn da die Menschen hinstellen! - Es war eine Bühne, die breit geöffnet war, aber gar keine Tiefe hatte, fast gar keine Tiefr hatte. Und ich sah dann eine Vorstellung auf dieser Bühne. Ich fragte mich: Ist es denn schon so weit gekommen, daß man Malerei mit Schauspielkunst verwechselt? - Denn das nahm sich alles so aus wie gemalt, nur daß die Figuren bewegt waren. «Rellefbühne» nannte man so etwas!

Wenn es mehr nach der Malerei geht, habe ich das ganz gern. In meiner Jugend gab es solche Bücher, da waren oben allerlei Figuren gemalt und kleine Dramen hineingeheimnißt. Indem man unten mit Fäden zog, bewegten sich diese Figuren. Ich habe solch ein Bilder­buch gehabt, das ein ganz nettes Wiener Vorstadtstück da auf Papier wiedergab. Das kann man immer machen. Es war natürlich etwas steif; aber wenn man dann die kindliche Phantasie hat und dazu das selber immer mit dem Faden in Szene setzt, dann ist das sehr schön. Wenn man das aber vor sich sieht auf der Bühne, was ganz ähnlich ausschaut und eigentlich Malerei ist, von der man nur nicht versteht, warum sich die Figuren bewegen - da kann man nur sagen: Die Schauspielkunst ist verlorengegangen!

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Einmal ging es besonders schlimm. Da wurde offenbar einmal in diesem Reliefraum auf Perspektive und perspektivische Überraschung sehr viel gegeben. Ich schaute hin an einen gewissen Punkt. Da war etwas ganz Undefinierbares, richtig Undefinierbares. Man konnte nicht darauf kommen, was das ist, mitten in der Wand drinnen; nach unten war es etwas fortgesetzt, aber mitten in der Wand drinnen war etwas Undefinierbares. Es schaute so aus, wie wenn eine Kokosnuß wild geworden wäre an all ihren Oberflächendingen, mit denen sie umgeben ist, und alles mögliche machen würde. So schaute das Ding da an der Hinterwand aus. Dann fing man an zu spielen. Aber dieses Ding schockierte einen furchtbar. Endlich fing es an sich zu bewegen> langsam: auf der anderen Seite war es ein Menschengesicht. Eine Schauspielerin entpuppte sich aus diesem Kokosnußkopf!

Ja, sehen Sie, so war in allerlei Grotesken hinein die wirkliche Emp­findung für Bühnengestaltung verschwunden.

Daher muß unbedingt heute auf die Fundamente wiederum zurück-gegangen werden. Und es gehört nun auch zum wirklichen schau-spielerischen Können, daß man in den Farben festgehaltene mensch­liche Gefühle sieht. Und so, wie ich Ihnen einzelnes andere in den letzten Stunden, die wir jetzt haben werden, noch angeben werde, um auch innerlich durch eine gewisse meditative Arbeit sich hinein­zufinden, so möchte ich Ihnen heute etwas Bildhaftes sagen, das Sie aber selber leicht finden können.

Es gibt eigentlich nichts Schöneres für die Entwickelung des deko­rativen Sinnes für die Bühne, als den Regenbogen zu erleben. Rechte Hingabe zu haben für den Regenbogen, das entwickelt ungemein den Blick und das innere Können für die Szenengestaltung.

Der Regenbogen... Ich möchte beten: da fängt der Regenbogen an, in dem äußersten Violett, das hinausschimmert bis in die intensive Unermeßlichkeit. Es geht in Blau über = die ruhige Seelenstimmung. Es geht über in Grün = es ist so, wie wenn unsere Seele ausgegossen wäre, wenn wir hinaufblicken zu dem Grünrund des Regenbogens, über alles Wachsende, Sprossende, Blühende. Und als ob wir von den Göttern kämen, an die wir betend hingegeben waren, wenn wir vom Violett, Blau her kommen vom Regenbogen zum Grün. Dann aber

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wiederum lebt im Grün alles, was uns wie die Tore öffnet zum Be-wundern, zur Sympathie und Antipathie mit allen Dingen. Haben Sie das Grün des Regenbogens eingesogen, so lernen Sie alle Wesen der Welt bis zu einem gewissen Grade verstehen. Und gehen Sie herüber zum Gelb: Sie fühlen sich innerlich gefestigt, Sie fühlen, Sie dürfen Mensch sein in der Natur; es ist mehr als die übrige Natur. Gehen Sie herüber zum Orange: Sie fühlen Ihre eigene innere Wärme, Sie fühlen manche Mängel und Vorzüge Ihres Charakters. Gehen Sie über zum Rot, so wie die andere Seite des Regenbogens wiederum über­geht in die Unermeßlichkeit der Natur, da fühlen Sie, was aus Ihrer Seele herauskommt an jauchrender Freude, an begeisterter Hingebung, an Liebe zu den Wesen.

Ach, die Menschen sehen vom Regenbogen ja nur den Körper! Wie sie ihn anschauen, den Regenbogen, das ist nur so, wie wenn man einen Menschen aus Papiermaché vor sich hätte und zufrieden ware: eine unbeseelte Menschenform. Das andere sehen und fühlen die Menschen alle vom Regenbogen nicht heraus.

Wenn die Zöglinge von Schauspielschulen Exkursionen machen, dann sollte in diese Exkursionen die Möglichkeit aufgenommen wer­den - natürlich kann man sich das nicht wählen, aber es kommt vor, öfter als man denkt -, die Möglichkeit, den Regenbogen zu erleben. Und so wie man als Schauspielschüler die Erde erfassen soll im Lau­fen, Springen, Ringen, Diskuswerfen, Speerwerfen, wie man von die­ser Seite ins Leben der Erde hinein soll, so soll man auf der anderen Seite durch das Himmelswunder des Regenbogens in das seelische Farbenerleben hineinkommen. Dann hat man die Welt nach zwei Sei­ten hin in ihrer Offenbarung erfaßt. Und Offenbarung der Welt muß Schauspielkunst sein.

Im Laufen, Springen, Ringen stellt der Mensch nicht mehr das­jenige dar, was er bloß sieht; da ist er darinnen mit seinem Willen. Nun, im seelischen Anschauen der Farben des Regenbogens schaut der Mensch nicht mehr dasjenige an, was bloß äußere Natur ist, son­dern er wird gegenüber dem Geistig-Seelischen, das in der Natur waltet und das hereingenommen werden muß auf die Bühne - sonst ist die Dekoration keine wirklich künstlerische -, zum naiven Weltenbetrachter

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im Geistig-Seelischen. Und man lernt wieder verstehen, wenn man den Regenbogen anschaut, den Kindervers, den man in älteren Zeiten immer wieder und wiederum gehört hat:

Kind es kommt der liebe Gott gezogen

Auf einem schönen Regenbogen.

Das ist dasjenige, was man wie eine gehobene Stimmung, die nötig ist in die Schauspielkunst hineinzubringen, entwickeln muß. Denn das Beste, was errungen werden kann bei einer Erneuerung der Schau­spielkunst, ist doch dasjenige, was in der ganzen Gesinnung, in der ganzen künstlerischen Grundstimmung der an der Schauspielkunst beteiligten Dichter lebt.

Wenn man es erlebt hat, wie beim Niedergang der Schauspielkunst auch wirklich der Niedergang der Bühnenschriftstellerei da war, wenn man erlebt hat, mit welcher Gesinnung Schönthan, Kadelburg und wie sie alle heißen, von Oskar ganz abgesehen, bei ihrem Stücke-schreiben waren, bei denen manchmal zwei, drei mitgewirkt haben, um so recht zu zeigen, daß die Bühnenkunst außerhalb der Seelen vorgeht, da konnte man nicht voraussetzen, daß Schauspielkunst da-bei blühen würde. Daher ist auch die Schauspielkunst wirklich aus­geartet bis zu dem, was eben Bühnenroutine wurde. Und nachdem in den siebziger Jahren die Bühnenroutine ihr Unglückswesen getrieben hatte, gab es einige Idealisten, aber solche, die auf dem Kopfe stan­den, statt auf den Beinen zu gehen, die nun sagten: Da muß wiederum Wahrheit hineinkommen. - Und die deshalb in die Bühnenroutine, in den Bühnenmechanismus den Naturalismus hineinbrachten. Kunst hatten sie nicht, Stil hatten sie nicht, so wollten sie wenigstens den Naturalismus hineinbringen.

Dessen muß man sich bewußt sein, daß die Dinge so kamen. Dann kann man natürlich auch verstehen, wie diese auf dem Kopf stehenden Idealisten, Brahm, Schlenther, Hart und so weiter, mit ihrem Natura­lismus immerhin noch etwas reformierten. Damals war es eine Reform, und es war besser der Brahm als der Blumenthal - der heißt nämlich Oskar - oder der Lindau. Gegenüber dem, was da in den siebziger Jahren und Anfang der achtziger Jahre gemacht wurde, war immerhin

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der Naturalismus etwas Besseres. Aber er mußte sich schnell über­leben, denn er ist eben keine Kunst. Und Kunst wiederzufinden, das obliegt heute, ich möchte sagen der beliebtesten Unkunst, die es gibt, der Schauspielkunst. Denn beliebt ist ja das noch immer, was auf der Bühne vorgeht. Es muß also gerade dasjenige, was wiederum künst­lerisches Denken ist, wohl doch zuerst in das Bühnenmäßige einziehen.

Nun, denke ich, würden wir mit dem, was wir zu betrachten haben, höchstens noch zwei bis drei Stunden nötig haben. Ich werde morgen mit dieser Betrachtung fortsetzen.

DRITTER TEIL Die Schauspielkunst und die übrige Menschheit FÜNFZEHNTER VORTRAG Dornach, 19. September 1924 Die Esoterik des Bühnendarstellers

#G282-1969-SE305 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

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DRITTER TEIL

Die Schauspielkunst und die übrige Menschheit

FÜNFZEHNTER VORTRAG

Dornach, 19. September 1924

Die Esoterik des Bühnendarstellers

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Jede künstlerische Betätigung hat auch ihre esoterische Seite, inso­fern, als eine gewisse Grundlage da sein muß für das Herausarbeiten des Künstlerischen aus der geistigen Welt. Vergißt man, daß das Künstlerische aus der geistigen Welt heraus stammt, wenn es wirk­liche Kunst ist, so muß entweder notwendigerweise Routine eintreten, oder aber ein unkünstlerischer Naturalismus an die Stelle der Kunst treten. Man wird zur Manieriertheit, zum Routinehaften gedrängt, oder aber zum naturalistischen Unkünstlerischen, wenn man vergißt, daß dasjenige, was in der künstlerischen Gestaltung vorliegt, ein Bild von geistiger Gestaltung unbedingt sein muß.

Bei der Schauspielkunst insbesondere muß man bedenken, daß das Instrument, um das es sich handelt, man selbst ist. Dadurch aber, daß man dieses Instrument selbst ist, ist man dazu genötigt, erstens Instru­ment zu sein, sich also so weit objektiv zu bekommen, daß man In­strument sein kann, daß man gewissermaßen auf der Organisation des eigenen Leibes spielen kann im besten Sinne des Wortes. Aber man muß andererseits auch wiederum so bleiben können, daß man im voll­sten Sinne des Wortes daneben fühlender, empfindender, sich für alles, worinnen man sich mit der Schauspielkunst bewegt, interessierender Mensch ist.

Das, was ich heute damit berühre, bedeutet in der Tat dasjenige, was der Schauspieler als seine Erfüllung zu seinem eigentlichen Beruf empfinden muß. Das bedeutet sozusagen das Herantreten an seine Esoterik Denn für den Schauspieler gibt es eine große Gefahr. Sie liegt für jeden, der in der Schauspielkunst sich betätigt, mehr oder weniger vor. Sie liegt am meisten vor, oder sie lag am meisten vor in der Zeit, wo die Schauspielkunst etwas in der Dekadenz war, gerade bei denjenigen Schauspielern, die man mit einem technischen Aus­drucke, allerdings nicht der Bühnenkunst, sondern der Kulissenkunst,

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nennt die Lieblinge des Publikums. Diese Lieblinge des Publikums sind am meisten der Gefahr ausgesetzt, sich so stark einzuleben in die Welt, die auf den Brettern sich abspielt, daß sie darüber sehr leicht den inneren gefühls- und empfindungsgemäßen Zusammenhang mit der Welt, die außerhalb der Bretter liegt, verlieren. Und immer wie­der und wiederum lernt man gerade Schauspieler kennen, die eigent­lich die Welt nicht kennen, die ganz gut wissen, wie ein Charakter bei Shakespeare ist, bei Goethe ist, bei Schiller ist. Sie kennen den Tell, Hamlet, Macbeth, Richard III. Sie kennen einen ausgepichten Frivol­ling aus diesem oder jenem Lustspiel; sie kennen die ganzeWelt imAb­bilde der Dramatik, aber sie kennen nicht wirkliche Menschen. Und das setzt sich oftmals bis in einen gewissen Teil des Publikums hinein fort. Man erlebt dann immer wieder und wieder, daß, wenn irgend­wie die Rede ist von einem Lebensfall, man von einem Lebensfall zu sprechen beginnt, mit Todsicherheit derjenige, der im Schauspieleri­schen darinnensteht, aus irgendeinem Stück einem irgend etwas an­zuführen beginnt. Diese Dinge gehen dann in einer ungemein ver­fälschenden Gestalt auf den ganzen öffentlichen Geschmack über, so daß man oftmals überhaupt nicht mehr von Geschmack, sondern von der Perversität der Geschmacksempfindung höchstens sprechen kann.

In dieser Beziehung konnte man unendlich Trauriges erleben in der Zeit, während der Gerhart Hauptmanns «Weber» aufgeführt worden sind. Denken Sie sich, was da die zartesten Gemüter mit den rau­schendsten Unterröcken, mit sehr stark ausgeschnittenen Kleidern alles sich ansahen während des Verlaufes dieses «Weber »-Stückes, was ihnen niemals in den Sinn gekommen wäre, im Leben an sich heran­kommen zu lassen. Was sie im Leben geflohen haben würden wie irgendeinen brüllenden Löwen, das haben sie sich von der Bühne her­unter mit Entzücken angeschaut: das Aufessen eines krepierten Hun­des. So weit ist es gekommen.

Nicht daß ich in diesem Zusammenhange etwas einwende dagegen, daß man sich von der Bühne herunter anschaut das Aufessen eines krepierten Hundes. Mißverstehen Sie mich nicht. Ich wende nichts gegen die künstlerische Verwendung dieses Motives ein, sondern ich wende nur etwas ein gegen die Perversität des Geschmackes, die da

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vorhanden ist. Über diese Gefahr möchte ich sprechen, die darinnen liegt, daß man sich zuletzt ganz abhebt vom Leben und eigentlich nur noch in der Nachbildung, in der bühnenmäßigen Nachbildung des Lebens lebt. Diese Gefahr ist vor allen Dingen für den Schauspieler da. Aber es gibt auch gerade für den Schauspieler die stärkste Mög­lichkeit, gegen diese Gefahr aufzukommen. Gerade seine Kunst, wenn sie so aufgefaßt wird, wie hier die Kunst der Sprachgestaltung dar­gestellt worden ist, sobald er aus dem Exoterischen in das Esoterische des Verarbeitens seiner Kunst, der Betätigung in seiner Kunst hin­einkommt, ist auch diejenige, die ihn wiederum hinausführen kann über dieses Sich-Hinwegheben über das Leben und dem Aufgehen in der Nachbildung des Lebens auf der Bühne.

Und dies geschieht dann, wenn man es dahin bringt, daß dasjenige, was man in der Sprachgestaltung ausgearbeitet hat - und schon in der Schauspielschule müssen nach dem, was ich jetzt sage, hingehende Übungen gemacht werden, sagen wir: ein Monolog, ein Dialog oder irgendein anderes, das man eben ausgearbeitet hat -, durch Übung wie im Fluß der Sprachgestaltung selber läuft. Also verstehen Sie mich recht: man soll es so weit bringen, daß der Fluß der Sprachgestaltung selber läuft, daß man zum Beispiel vor der Generalprobe durchaus fertig ist, wie wenn man ein aufgezogenes Uhrwerk wäre, ohne daß man viel dazu tut, das Sprachgestaltete ablaufen zu lassen, so daß es gewissermaßen in einem eine selbständige Wesenheit geworden ist.

Noch besser ist es, wenn man dazu imstande ist schon ziemlich lange Zeit vor der Generalprobe; da ist es noch besser. Wenn man das Sprachgestaltete so weit gebracht hat, dann hat man eine Möglichkeit, die man nicht hat, wenn man in dem Augenblicke, wo man reprodu­ziert, gezwungen ist, noch auf den Inhalt so einzugehen, wie man auf den Inhalt eingeht, wenn man etwas abliest oder hört, wo noch der unmittelbare Prosainhalt darinnen lebt. Man muß es also bis zur Über­windung des Prosainhaltes gebracht haben, bis zum Selbstabfließen des Sprachgestalteten, und dann sich wiederum - jetzt kommt das Wichtige - mit dem von der Sprachgestaltung freigewordenen Inne­ren, ohne durch die Sprachgestaltung gestört zu werden, ganz hin­geben können dem, was man im Flusse selbst geschaffen hat, mit hinaufsprudelnder

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Begeisterung, mit tiefstem Schmerz hingeben zu kön­nen. Aber erst muß das andere erreicht worden sein; dann hat man wiederum sein inneres Seelenleben freibekommen. Dann kann man mit dem, was man selber schafft - wiederum ohne daß man das Innen-leben, das seelische Leben durch das Schaffen stören läßt -, so teil­nehmen, wie man bei etwas, was einem von einem anderen Menschen entgegentritt, teilnehmen kann.

Sehen Sie, das ist das Wichtige, daß man sich seinen Menschen so aus sich selber heraus reservieren kann, daß er nicht darinnensteckt in dem, was man gestaltet, daß er aber mit aller elementaren Kraft an dem erst objektiv Gewordenen in der Gestaltung «himmelhoch jauch­zend, zu Tode betrübt» teilnehmen kann.

Dann wird dem Schauspieler ein gewisses Gefühl nahekommen, das, ich möchte sagen, ein Teil seiner eigenen Esoterik ist, ein Gefühl, das dann sogar stärker ist als bei anderen Menschen, die nicht Schau­spieler sind. Er wird dies Gefühl bekommen, und das ist wichtig:

Dasjenige, was im Drama lebt, was ich darstelle, beginnt mich zu interessieren, wenn ich die Bühne betrete; es gehört dazu. Ich brauche das Rampenlicht - meinetwillen, grob gesprochen, es kann natürlich auch ohne Rampenlicht sein, aber ich denke, Sie verstehen, was ich meine - ich brauche Rampenlicht, wenn ich im Drama leben soll. -Es wird sich aussondern. Gerade das Aussondern ist das Wunder­bare. Und das, was er sich nun selbst zurückerobert hat, womit er teilnehmen kann, während er produziert, das wird ihn aufsuchen las­sen mit einer großen Begehrlichkeit dasjenige, was draußen im Leben ist. Und es wird sich eine schöne Grenze bilden zwischen Leben und Bühne.

Das ist heute fast ein Ideal, denn ich habe Schauspieler genug ge­kannt, die im Leben schauspielerten, und die auf der Bühne ziemlich mäßig sein konnten. Ich habe es in noch weitergehendem Sinne erlebt. Ich habe zum Beispiel folgendes erlebt, was ganz interessantes Licht auf die Sache wirft. Wir lernten in Berlin ein Medium kennen, das in ganz merkwürdiger Weise überzeugend auf die Leute wirkte. Die Leute waren ganz perplex von dem, was dieses Medium leistete. Das Medium konnte, wenn es so auf dem Sofa saß, in der verblüffendsten

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Weise das sagen, was nicht es selbst zu sagen hatte, sondern was andere Menschen zu sagen hatten. Meinetwillen der Cäsar trat auf, und das Medium redete ganz, wie der Cäsar eben redete. Das Medium konnte besessen sein von Cäsar, von irgend etwas anderem, ich weiß schon nicht mehr so genau, wie die anderen Sachen waren; aber solche Besessenheiten traten bei diesem Medium auf. Die Leute waren ganz entzückt, verblüfft davon. Nun, dieses Medium war aber an einer ge­wissen Bühne Schauspieler. Und an dieser Bühne war zugleich ein anderer Schauspieler, mit dem ich sehr befreundet war, den ich sehr gut kannte von früher her. Da fragte ich denn dieses Medium nach einer solchen medialen Vorstellung, Schaustellung: Kennt Sie denn auch der ganz gut? Er antwortete: Ja, ja, der sagt immer, wenn er das sieht: Aber was sind Sie für ein ausgezeichneter Schauspieler! - Und da muß ich immer erwidern - sprach das Medium -: Aber ich bin Ihr Kollege. Sie sehen ja, daß ich auf der Bühne nicht weiterkomme und gar nichts kann! - Er wäre nicht imstande gewesen, den Cäsar auf der Bühne zu verkörpern, das wäre gar nicht gegangen; aber da auf dem Sofa, so daß die Leute glaubten, bis zu einem gewissen Grade mit Recht glaubten, daß der reale Cäsar aus ihm spricht, konnte er das so gut, daß der andere, der dann Direktor geworden ist, ihn für einen ausgezeichneten Schauspieler immer hielt, solange er medial auftrat. Es war alles da bis in die Mlmik des Gesichtes hinein, alles war da, wenn er medial auftrat, aber er war ein Stock und hatte ein steifes Gesicht auf der Bühne.

Sehen Sie, da haben Sie am stärksten dieses Zusammenstoßen des­jenigen, was Schauspielkunst nie sein darf: ein unmittelbares passives Ergriffensein, spielen mit unmittelbarem Ergriffensein. Der war natür­lich besessen von alledem. Ein Schauspieler darf nicht von seiner Rolle besessen sein, sondern muß seiner Rolle so gegenüberstehen, wie ich es geschildert habe, daß sie ihm objektiv ist, daß er sie als seine eigene Gestaltung empfindet, aber in dieser eigenen Gestaltung mit seiner Eigengestalt danebensteht und bis zum «himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt» kommt wie gegenüber irgend etwas, was in der Außen­welt eintritt.

Das lernt man, wenn man die Rolle so lernt, wie ich es jetzt beschrieben

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habe. Und das ist notwendig. Da kommt der Schauspieler in sein Esoterisches hinein.

Nun habe ich gestern schon angedeutet, wie unter den jetzigen Modalitäten des Schauspielers man eigentlich Rücksicht darauf neh­men muß, daß man es mit Bühnendekoration und Beleuchtung und so weiter zu tun hat. Das Freilichttheater will ich ja nicht abweisen, aber praktisch kann man heute doch nur über Schauspielkunst reden, wenn man mit dem Hinblick auf die gewöhnliche Bühne spricht. Daher mußte das, was ich gestern zu sagen hatte, durchaus mit dem Hinblick auf die gewöhnliche Bühne gesagt werden.

Aber jetzt wollen wir einmal das Theater ganz im allgemeinen neh­men und wollen gerade aus dem, was wiederum unsere moderne Bühne bedeutet, sehen, was eine Bühne bedeutet, wie die Shakespeare-Bühne es war. Diese Shakespeare-Bühne stellt man sich richtig eigent­lich nicht so vor, wie sie ausgesehen hat, wenn man heute ein Shake­speare-Stück aufgeführt sieht. Denn da war ein größerer wirtshaus-ähnlicher Raum, und da saß in diesem wirtshausähnlichen Raum der Plebs der Londoner Vorstädte von dazumal. Dann war da eine Art Bühne, links und rechts Stühle auf der Bühne: da saßen auf der Bühne die mehr aristokratischen Leute und die Theaterleute. Also all das, was der Bühne näherstand oder der besseren Gesellschaft näherstand, hatte man in unmittelbarer Nähe. Spielte man auf der Bühne, so fühlte man sich eigentlich immer halb auf der Bühne, halb mitten unter dem Publikum drunter. Man war entzückt, wenn man irgendein «beiseite» sprechen konnte, so daß es nach dem Publikum ging. Der Prologist war eine selbstverständliche Figur, der zuerst das Publikum ansprach. Das Berücksichtigen des Publikums war etwas außerordentlich Gewöhnliches. Das Publikum wirkte auch mit, in­dem es entweder kicherte, oder brüllte, oder johlte, oder jauchzte, oder mit faulen Äpfeln schmiß. Das sind Dinge, die durchaus nicht zu den Seltenheiten gehörten, sondern die dazugehörten. Es war eben, nicht wahr, noch diese Auffassung, die mehr nach der Genialität als nach der Philistrosität ging, die selbst Philister - denn im Publikum waren auch dazumal Philister - etwas in die Genialität hineinschob. Das verstand ja gerade der Schauspieler Shakespeare außerordentlich

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gut, das Publikum zu nehmen. Hören Sie nur einmal den Tonfall von Shakespeare. Da weiß man, er wußte das Publikum zu nehmen; er redete eigentlich aus dem Herzen seines Publikums heraus.

Es ist gar nicht wahr, daß die Leute heute, wenn sie einem Shake­speare-Stück zuhören, mit Wahrheit zuhören. Das tun sie gar nicht, weil man so nicht mehr zuhört, wie man dazumal zugehört hat, als Shakespeare mit seiner Gruppe gespielt hat.

Also wie gesagt, alles Theater kann darunter gefaßt werden, was ich heute über eine gewisse Charakteristik werde noch zu sagen haben.

Sehen Sie, ich habe Ihnen gestern etwas beschrieben, wovon man vielleicht zunächst glauben könnte, daß es nicht im unmittelbaren Zu­sammenhange stünde mit der Entwickelung des Schauspielers: dieses Erleben des Regenbogens. Aber, meine lieben Freunde, bei solchen Dingen ist es ja so, daß sie wirklich mit den tieferen Vorgängen des Geschehens zusammenhängen. Und so ohne weiteres weiß man auch nicht, was alles im Menschen vorgeht, zum Beispiel, daß er just von einer gewissen Speise rote Backen bekommt. Da geschieht auch aller­lei im Inneren des Menschen, was sich der unmittelbaren Beobachtung entzieht. Ebenso müssen Sie darüber denken, daß man von diesem Erleben des Regenbogens nicht gleich übergehen kann im rationall-stischen Denken und im Kausalitätsbedürfnis zu dem, was er dem Schauspieler wird, wenn er so erlebt. Aber Sie werden schon sehen, wie geistgemäß ein Schauspieler, der das erlebt hat, seinen Körper auf der Bühne gebraucht; nicht mit geschickter Beweglichkeit, son­dern mit künstlerischer Beweglichkeit. Künstlerische Beweglichkeit wird nur auf innerlichste Weise erworben. Und dazu gehört dann so etwas, wie ich es gestern beschrieben habe. Dazu gehört aber noch manches andere.

Dazu gehört vor allen Dingen, daß der Schauspieler ein feines Ge­fühl sich entwickelt für das Erleben der Träume. Und man kann geradezu als Axiom der Schauspielkunst den Satz aufstellen: Je bes­ser ein Schauspieler sich dazu trainiert, in seinen Träumen zu leben, erinnernd die Gestalten der Träume, das Erlebte der Träume sich auch bewußt vor die Seele immer und immer wiederum zu stellen, eine desto bessere Haltung auf der Bühne, nicht äußerliche Haltung, sondern

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künstlerische, stilgernäße Haltung während des Ganzen wird er sich gerade dadurch aneignen.

Und hier beginnt schon die tiefere Esoterik für die Schauspieler:

verständnisvolles Eingehenkönnen auf dle Traumeswelt, damit er bis dahin kommt, einen gewissen Unterschied zu bemerken, der von den Menschen sonst auch erlebt wird, aber nicht intensiv genug erlebt wird. Man lebt anders, wenn man in vollem Trubel des Lebens vor-stellt und fühlt und empfindet. Nicht wahr, es ist eine andere innere Seelenhaltung, wenn man bei einem Five o'clock tea ist und da - zum Five o'clock tea meinetwegen - ein tänzelnder Zeremonienmeister sich eitel ergeht in alledem, was er an Witzchen zu sagen hat, die Tän­zerin Müller ihre Grazie in irgendeiner Form entwickelt, ein steifer Professor, den man schwer gebracht hat zum Five o'clock tea, sich verpflichtet findet, in einem gut geschauspielerten inneren Anteil, in nicht ganz artikulierten Lauten seine Bewunderung über das eine oder andere auszudrücken - nun, so könnte ich ja in der Beschreibung einer bestimmten Wirklichkeit noch weiter fortfahren. So darinnen zu stehen im Leben ist etwas anderes - es steht nach dem einen Ex­trem des Lebens -, als wenn man sich Träume in Einsamkeit durch die Seele ziehen läßt. Man muß aber spüren, was da für ein Unter­schied ist, und man muß es dazu bringen, innerlich ein Gefühl von dem zu entwickeln, was äußerstes Aufgeriebenwerden vom äußeren Leben - ich meine seelisch Aufgeriebensein vom äußeren Leben -bedeutet, bis zu dem hin, wo man, völlig bei sich, sich überläßt dem­jenigen, was in solcher scheinbaren Schwäche des Erlebens, dabei aber mit starker innerlicher Intimität, abläuft wie die Träume. In inner­licher Konzentration, in innerlicher Trainierung diesen inneren Seelen-weg kennenzulernen, von dem Darinnenstehen im Trubel des Lebens bis zu dem einsamen Erleben des Traumes, diesen Weg gewisser­maßen durch esoterische Übungen zu gehen: das bedeutet Vorberei­tung für eine lebensvolle Auffassung der bühnenmäßigen Dar­stellung.

Denn ganz lebensvoll werden Sie eine Rolle nur dann darstellen, wenn Sie sie erst so ergriffen haben, wie man das Leben ergreift, wenn es einem mit all seinen chaotischen Einzelheiten entgegentritt, durch

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die man seelisch aufgerieben werden könnte, wenn Sie da beginnen mit der Präparation Ihrer Rolle, und wenn Sie sie immer mehr und mehr innerlich bekommen, diese Rolle, so daß Sie sie zuletzt mit der In­timität haben, mit der Sie einen Traum haben, wenn Sie ihn erinnern. Natürlich sind das alles Ideale, aber sie führen schon auf den Weg. Das aber müßte gleichzeitig mit dem anderen gehen, daß man die Rolle bis zu der selbstverständlichen Sprachgestaltung bringt, die ich früher beschrieben habe. Man erreicht also gleichzeitig mit der Rolle auf der einen Seite, daß man sie träumen kann, daß einem die einzel­nen Passagen verschwimmen in nicht scharfe Konturen und man da­durch immer mehr und mehr dazu kommt, wenn auch durchaus voll koloriert, die Rollenteile, das ganze Stück wie eine große Einheit zu empfinden, so daß einem die einzelnen Passagen verschwinden, einem der Inhalt des einzelnen verschwindet, daß man einen traumhaften Gesamteindruck im Augenblicke vor die Seele hinstellen kann. Dann kann man sich daraus herausreißen und nun in selbstverständlicher Art das sprachlich Gestaltete so produzieren oder reproduzieren, wie ich es vorher beschrieben habe. Wenn diese zwei Wege der Präpara­tion einander parallel gehen, dann wird die Rolle, dann wird sie.

Und ich denke, daß in dieser Beziehung sich im Verständnisse ihrer Kunst der Schauspieler, der Musiker, der Sänger zusammenfinden können. Denn auch der Klavierspieler sollte zum Beispiel so weit kommen, daß er, etwas extrem gesprochen, die Sache im Schlafe spie­len könnte, daß es diese selbstverständlichen Bewegungsmöglichkei-ten gibt. Auf der anderen Seite aber wiederum muß er von dem, was nun geworden ist unter seiner eigenen Kunst, wiederum zum «him­melhoch jauchzend, zu Tode betrübt» kommen können. Es darf das nicht übergehen dazu - es ist wieder eine Gefahr vorhanden -, daß der Kopf immer geschwollener und geschwollener wird, weil man von seinem eigenen Können himmelhoch jauchzend ist - das zu Tode betrübt läßt man dann meistens weg -, sondern man muß da im vol­len Bewußtsein dessen, daß man sich selber verobjektiviert hat, blei­ben.

Wenn so präpariert wird aus einer feinen Empfindungsfähigkeit für das Traumhafte heraus, dann wird, wenn gleichzeitig die Art der Verobjektivierung

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der Sprachgestaltung vorliegt, wirklich das Beste auf die Bühne gebracht werden können, was der einzelne bringen kann, und man hat dann noch etwas als Ergänzung. Denn sehen Sie, in detn Augenblicke, wo man das ganze Drama bis zu diesem Gesamtein-druck bringt, wo einem das einzelne nur in Hand koloriert da ist, wo man das Ganze wie ein empfundenes Tableau überschaut, in diesem Augenblicke ist auch der günstigste Augenblick gekommen, um die Bühne in der richtigen Weise als Szene zu gestalten, so wie ich es gestern angedeutet habe. Sie werden immer patzen, wenn Sie die Büh-nengestaltung wie ein Mosaik zusammenstellen von dem, was Sie bei der einen Szene und bei der anderen Szene empfinden. Sie werden die Bühnengestaltung als eine einheitliche bekommen, wenn Sie bis zu diesem empfindungsgemäßen Erleben des Dramas als eines Ganzen vorrücken, so daß Sie sich immer fragen können, nachdem Sie es als Ganzes empfinden: Wie ist es im Anfang, wie in der Mitte? - Aber das Ganze steht immer da.

Und dann erst, wenn Sie so weit gekommen sind, sind Sie über­haupt befähigt, ein Urteil darüber zu haben, wie weit Sie gehen kön­nen in der mit Rampenlicht durchprägten nächtlich ausstaffierten Bühne, die aber natürlich den Tag erwecken muß in der Illusion, wenn es nötig ist, oder wie weit Sie gehen können in ganz primitiver Zu­gehörigkeit im äußeren Bühnenmäßigen zu dem, was die Menschen sprechen, oder inwieweit Sie einfach zur Darstellung in der freien Natur auch übergehen können. Aber alles bedingt einen besonderen Stil, den man nicht verstandesmäßig finden oder beschreiben kann, sondern den man in der Empfindung finden muß, indem man so weit vorrückt in der Auffassung des Dramatischen, wie ich es eben jetzt beschrieben habe. Da findet man nämlich folgendes. Hat man es da­mit zu tun, unsere gewöhnlichen Bühnenverhältnisse herzustellen, dann wird man, wenn man ein Gefühl dafür hat, jerzt das ganze Tableau empfinden. Da wird man die Empfindung haben: bei unseren gewöhnlichen Bühnenverhältnissen ist es nötig, soviel wie möglich dem zu folgen, was man als Gesamttableau empfindet. Unsere Bühne fordert gerade mit ihrer Beleuchtung, mit ihrer eingehenden Deko­ration dieses Verfolgen des Weges bis zu dem traumhafren Überschauen

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des Gesamttableaus, des Gesamteindrucks. Denn je mehr auf der Bühne das Gesamtbild den Eindruck der haibgeträumten Phan­tasie macht, desto besser ist es für die abendbühnenmäßige Darstel­lung. Der Eindruck des Lebendigen, des Realistischen geht gerade herror, wenn man der Bühne ansieht, daß ihr Bild aus in lebendige Phantasie umgegossenen Träumen entstanden ist.

Sie können aber nicht die äußere Natur so anschauen. Gehen wir zu dem anderen Extrem. Beim im Freien Darstellen können Sie über­haupt kaum viel weiter gestalten, als daß Sie sich den günstigsten Platz aussuchen für irgendein Stück, und das tut man ja auch ent­sprechend, weil man natürlich die Theater irgendwo anbringen will; da sind Sie also ganz und gar dabei nicht frei, da muß man dasjenige hinnehmen, was da ist. Ist man aber imstande, es überhaupt dahin zu bringen, das Stück in dieser tableau-artigen Weise als Gesamtheit zu empfinden, und läßt man dann, indem man diese Empfindung fest-hält, auf dem Hintergrunde dasjenige erscheinen, was das Natur-tableau ist - man muß ja etwas innerlich aktiv sein und einmal etwas zusammenschauen können -, so müßte man bis dahin kommen kön­nen, daß man meinetwillen hinten die reale Landschaft hat, weil man es nicht anders machen kann, und hier (es wird gezeichnet) die in der Natur immer scheußlich drinnen stehenden Zuschauersitze - ein Bühnenrondo oder so etwas - und dann im Hintergrunde sein eigenes, wie aus dem Traume gehobene Bild des Stückes. So wie ein Nebel deckt es das andere zu.

Wundern Sie sich nicht, daß ich die Sache so schildere, denn das­jenige, was künstlerisch gestaltet werden soll, muß aus dem Seelen-leben hervorgehen. Es ist also kein Wunder, daß man bis auf das Seelenerleben zurückgehen muß. Man hat also wie eine Nebelbild-form vor der Natur, die einem gegeben ist, dasjenige, was man da erlebt aus dem Stück heraus. Ja, dann wird man sehen, wenn man diese Vorstellung hat und sie energisch durchdenkt, dann wird gerade durch diese Vorstellung alles dahinten - Felsen, fern noch schnee-bedeckte Berge, von Wald bedeckter Abhang, Wiesen, all das, was da hinter diesem Nebel erscheint - stark wirken. Das wirkt inspirie­rend gerade für dasjenige, was man nun in diesem Falle als Maske -

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es kann eine geschminkte Maske oder eine wirkliche sein, die Grie­chen haben wirkliche gemacht, weil sie es als sehr naturhaft, als selbst­verständlich empfunden haben -, was man als Maske an der einzelnen Person tun muß. Da wird man finden, daß in der Natur draußen einem die Natur von selber befiehlt, viel dezidierter zu kolorieren in der Sprachgestaltung als in der Intimität des Abendtheaters. Die einzel­nen Schauspieler werden sich in ihrer Dezidlertheit, in ihrem dezidler­ten Kolorieren der Charaktere - sowohl in der Dezidiertheit der Situa­tion wie des Charakters - viel mehr voneinander unterscheiden müssen als auf der Abendbühne.

Solche Dinge durchzuüben und durchzumachen sind nicht bloß wichtige Dinge für die einzelnen Darstellungen, so daß man sie dann herausbringt, sondern sie sind für die schauspielerische Ausbildung wichtig. Der ist eben erst ein guter Schauspieler, der solche Dinge im Leben durchgemacht hat, der empfunden hat, wie man in dem ein­zelnen Fall die Stimmen der einzelnen Partner setzen muß, und wie man sie im anderen Fall setzen muß, wenn man vor dem Naturtheater steht.

Dasjenige, was ich Ihnen hier geschildert habe, was heute in unse­rem Zeitalter vom Schauspieler wirklich bewußt trainiert werden muß, das hat ganz instinktiv so ein Schauspieler wie Shakespeare und seine Genossen gemacht. Die haben das instinktiv gehabt, denn sie hatten eine bildhafte Phantasie. Das sieht man auch an der Art, wie Shake­speare sprachgestaltet hat. Sie hatten eine bildhafte Phantasie. Und Shakespeare konnte beides. Er hatte sich eine gute, gelungene Emp­findung dafür erworben - das sehen Sie gerade den charakteristische­sten Stellen seiner Stücke an -, was da die links und die rechts Sitzen­den und die vorne Sitzenden in ihrer Seele erleben, wenn einer ein Wort sagt auf der Bühne; dafür hatte er eine feine, imponderable Mit-empfindung. Aber er hatte auch eine feine, imponderable Mitempfin-dung für alles das, was auf einer Bühne vorgehen konnte, die eigent­lich ein nur ein klein wenig urrigestaltetes Wirtshaus war. Denn er­leben in einem wirklichen Wirtshaus mit all den Dingen, die dadrinnen vorkommen, das konnte Shakespeare auch sehr gut; er verstand das. Er war nicht ganz dieser «ganz einsame Mann», als den ihn auch

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manche sonderbare Käuze schildern möchten. Er wußte zusammen-zuschauen dasjenige, was die primitive Wirklichkeit war, mit dem, wie er die Schauspieler auftreten ließ, und wie er selber auftrat.

Würde man in der Art, wie bei Shakespeare gespielt worden ist, heute auf einer modernen Bühne mit allem Raffinement der Dekora-tionskunst und der Beleuchtungseffekte spielen, dann würde minde­stens - die anderen könnten sich ja schon gewöhnt haben - der sech­zehnjährige Backfisch aber, der von seiner Mutter zum ersten Mal ins Theater geführt würde, bei der ersten Passage, die so dargestellt würde, wie der Shakespeare dargestellt hat, zur Mutter sagen: Mutter, warum schreien denn die so? - Man würde mit einem unbefangenen Zuhören die Shakespearesche Art zu spielen als ein Geschrei emp­finden, als ein mißklingend zusammengewürfeltes Geschrei. Das ge­hört dann aber dahin und ist kein Geschrei mehr, sondern vollendete Schauspielkunst, wenn man die primitiven Bühnenverhältnisse dazu hat.

Dagegen ist es nötig, zu dämpfen und zu dämpfen, nicht bloß im Laute, sondern im inneren Intensiven, je mehr man ringsherum an De­korativem und Beleuchtungseffekten vorbringt. Aus denen heraus darf man nicht intensiv wirken. Diese Dinge müssen eben empfunden wer­den, und in diesem Empfinden liegt das innere künstlerische Vermögen, die innere künstlerische Fähigkeit des Schauspielers. Und gerade darinnen liegt der Weg zu seiner Esoterik in solchen Dingen leben zu können, sie immer wiederum erwecken zu können im Gemüte.

Und kann er darinnen leben, dann wird sich in ihm allinählich gerade dieses gestalten, wie es seine Meditationen ergeben. Er kann dabei natürlich noch andere Meditationen haben als Mensch, aber seine Meditation als Schauspieler wird sich auf diese Weise ergeben; sie wird so für ihn richtig sein. Dann aber wird er gerade als Schau-spieler ein immer weiter und weiter gehendes Interesse entwickeln für alles dasjenige, was im Leben außer der Bühne vorgeht. Und das gehört dazu zum guten Schauspieler. Zum guten Schauspieler gehört durchaus dazu, daß er das weitgehendste Interesse an allen Einzel­heiten des Lebens sich bewahren kann. Ein Schauspieler, der nicht das Drollige eines Igels bewundern kann in einer viel feineren Weise

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als ein anderer Mensch, der kann nicht ein ganz guter Schauspieler sein. Ein Schauspieler, der nicht einmal sagen kann: Wie aber dieser junge Assessor bei diesem Witze gelacht hat, das werde ich im Leben nicht vergessen -, ein solcher, der nicht solch eine Bemerkung ganz aus vollem Herzen, aus voller Seele heraus machen kann, kann auch nicht ein ganz guter Schauspieler sein. Und ein Schauspieler, der nicht, nachdem er abgeschminkt ist, aus dem Theater herausgeht und allerlei merkwürdige Träume kriegt, die manchmal bis zum Alpdrük­ken gehen können, kann auch nicht ein ganz guter Schauspieler sein. Es ist schon notwendig, daß der Schauspieler beim Nachhausegehen oder beim Gang zum Abendbrot, wie es halt ist, so etwas sieht, so aus dem Traumnebel heraus sieht: Ach, wie hat die wieder ekelhaft da in der Seitenloge an der Stelle, als ich gerade das sagte, ihre Lorgnette auf mich gerichtet! Wie störte es mich doch, daß an der ernstesten Stelle der Backfisch dahinten ganz oben auf der obersten Galerie angefangen hat, deshalb, weil ihn offenbar jemand gezwickt hat, zu kichern!

Das alles weiß man nicht, während man spielt. Man weiß es nicht. Aber gerade so, wie man manchmal im Leben nach Hause kommt, sich ruhig hinsetzt, ein Buch nimmt - plötzlich steht da wie ein Stück­chen oben auf der Seite: Spirituosenhandlung von Remigius Neu-teufel. - Es steht deutlich da. Die meisten kennen das ganz gut. Es ist nicht so ganz ausgesprochen, aber es steht da. Man hat auf dem ganzen Weg nichts davon gesehen, plötzlich bedeckt einem das, was man gerade liest: Spirituosenhandlung von Remigius Neuteufel. -Man kommt nachher darauf, es ist eine Firmentafel, an der man vor­beigegangen ist; aber sie ging gleich, ohne ins Bewußtsein zu kom­men, ins Unterbewußtsein hinein. Und wäre man ein Medium und Würde gerade der Schrenck-Notzing Versuche mit einem machen, so würde man die entsprechende Ausdünstung an den betreffenden Drü­senstellen hervorbringen - das sind ja lauter richtige Dinge - und da­drinnen würde stehen können: Spirituosenhandlung von Remigius Neuteufel. - Das wäre beim Medium. Bei einem normalen Menschen stellt es sich so wie eine leise Halluzination vor das Buch hin; es ist im Unterbewußtsein da. Im Leben braucht man das nicht so stark zu berücksichtigen, wenn man nicht ein Arzt ist und es zur Domäne hat,

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gerade diese Dinge mit ungeheurer Schärfe ins Auge zu fassen. Aber in der Kunst gelten ganz andere Gesetze in bezug auf die Men­schenseelen. Da wird ein Schauspieler nicht einmal ein ganz guter Schauspieler sein können, wenn ihm nicht beim Nachhausegehen bis zum Alpdrücken einfallen kann: Wie hat die alte Schachtel da oben ihre Lorgnette auf mich gerichtet! - Er hat nicht darauf geachtet während des Spieles, aber jetzt stellt sie sich ganz mit ihren grauen Augen, zusammengewachsenen Augenbrauen, zerrütteten Haaren und ihren steifen Fingern, die den Lorgnettenhalter fassen, vor seine Seele. Wie Alpdrücken steht sie vor seiner Seele.

Es ist nur ein Beweis dafür, daß er objektiv in den Dingen dar­innen lebt, daß er, trotzdem er schauspielert, in der Wirklichkeit dar­innensteht, miterlebt auch dasjenige, was er nicht beachten darf, nicht einmal nicht zu beachten braucht, sondern nicht beachten darf, wäh­rend er darinnensteht. Aber während man mit seinem ganzen Bewußt­sein demjenigen hingegeben ist, was man als Inhalt vorzubringen hat, hat das Unterbewußte um 50 mehr Gelegenheit, alles einzelne scharf­sinnig zu beobachten. Und ist man dazu gelangt - was ich wie ein esoterisches Geheimnis des Bühnendarstellers charakterisiert habe -, daß, wenn man die Bühne verläßt, man eigentlich heraußen ist aus dem, was bühnenmäßig ist, daß man ins Leben eintritt, dann macht sich eben dieses Unterbewußte geltend, und dann geht man da durch, durch diese verschiedenen Karikaturen, die einem das Spielen vor Augen stellen kann; manchmal auch ganz schöne Dinge.

In dieser Beziehung habe ich einmal etwas ganz Wunderbares er­lebt, als der Kainz aus einer Vorstellung kam und mit all diesem Alp­drücken in einer Gesellschnft sich einfand, wo er zusammentraf mit einer russischen Dichterin, die ihm gefiel, mit der er sich dann immer gern etwas in das oder jenes Zimmer zurückzog und dann mit ihr zu­sammen in diesem Alpdrücken nach der Vorstellung in der Künstler-gesellschaft lebte. Es war wunderbar anzuschauen - er genierte sich auch gar nicht, sonst würde man ja gar nicht darüber reden -, aber es war tatsächlich so, daß da fortlebte in einer solchen Weise dasjenige, was er unterbewußt während der Darstellung erlebt hatte, vielleicht befördert durch seine starke Verachtung des Publikums, denn Kainz

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war eine derjenigen schauspielerischen Persönlichkeiten, die das Publi­kum am allermeisten verachteten.

Aber solche Dinge, die man nicht rationalistisch darstellt, sind das­jenige, was wirklich zur Auffassung der Schauspielkunst führen muß. Man muß durch Jmagination und Bilder und Phantasiegestalten dem Wesen der Schauspielkunst beikommen. Die Schauspielkunst verträgt es nicht, daß man in die Schauspielschule nicht künstlerisch empfin­dende Menschen als Lehrer hineinsetzt.

Überhaupt, alle Kunst kann das nicht vertragen. Und die schlimm­sten Beiträge für Kunstschulen habe ich immer dann gesehen, wenn man gerade in solchen Schulen, in Schauspielschulen den Professor für Literaturgeschichte hereingeholt hat oder irgendeinen anderen Professor, der irgendwie da einzelne Stunden zu geben hatte. Das­jenige, was in der Schauspielschule leben soll, das muß überall von wirklich Künstlerischem durchzogen sein. Und künstlerisch kann über eine Kunst auch nur derjenige sprechen, der mit seinem ganzen Men­schen in dieser Kunst darinnen leben kann.

Dazu wollen wir dann noch morgen einiges andere Esoterische an­bringen.

SECHZEHNTER VORTRAG Dornach, 20. September 1924 Innerliche Handhabung des Dramatischen und Bühnenmäßigen Schicksal, Charakter und Handlung

#G282-1969-SE323 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

SECHZEHNTER VORTRAG

Dornach, 20. September 1924

Innerliche Handhabung des Dramatischen und Bühnenmäßigen

Schicksal, Charakter und Handlung

#TX

Die Entwickelung der dramatischen Kunst ist doch geeignet, man­ches Licht auch darauf zu werfen, wie dramatische Kunst in der Ge­genwart behandelt werden soll. Denn eigentlich ist Stück für Stück auch das wirkliche Dramatische nach und nach in die Entwickelung der Menschheit eingezogen. Dahinein drängte sich natürlich fort-während widerstrebendes Unkünstlerisches. Und zu alledem, was die geschichtliche Entwickelung heraufgebracht hat, muß heute manches wirkliche Neue kommen, weil die Entwickelung der Menschheit fort-geschritten ist.

Aber gerade derjenige, der im bühnenmäßigen Ausgestalten des Dramas tätig sein muß, wird für seinen innerlichen Impuls sehr viel ge­winnen können, wenn er die verschiedenen berechtigten Stücke, aus de­nen sich die Handhabung des Dramatischen und des Bühnenmäßigen gestaltet hat, auch innerlich, ich möchte sagen, esoterisch kennenlernt.

Nun gibt es drei Dinge, auf die geachtet werden muß, nicht in pedantisch-philiströser Weise, sondern auch in künstlerischer Weise, wenn man ein Drama bühnenmäßig gestalten muß, weil ja diese drei Dinge auch wirken, wenn der Dichter zunächst selbst sein Drama, das für den Schauspieler, wie ich ausgeführt habe, nur eine Art Parti­tur ist, gestaltet.

Nun, diese drei Dinge sind dasjenige, was wie allbeherrschend über jenem alten Drama geschwebt hat, das aus dem Mysterium heraus ge­kommen ist: das ist das Schicksal. Wir brauchen uns nur an das alte griechische Drama zu erinnern, wie das Schicksal waltend herein-wirkt, an den Menschen herantritt, wie der Mensch kaum in Betracht kommt, sondern von Götter-Seite her das Schicksal waltend wirkt, dann wird man auch begreifen, wie aus dem rein Künstlerischen her­aus in diesem Schicksalsdrama die Tendenz hat entstehen können, das

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Individuelle am Menschen mehr oder weniger auszulöschen, ihm die Maske aufzusetzen, das Individuelle der Stimme sogar bis zu dem Gebrauch von Instrumenten hin zu typisieren. Kurz, man wird be­greifen all dasjenige, was aus dem schicksalsmaßig von den Göttern Kommenden heraus die Jndividualität, die menschliche Individuali­tät auslöschte. Und wir brauchen uns nur an das alte Drama zu er-innern. Was brachte es zustande? Es brachte eine großartige, über­wältigende Wirkung des Schicksals auf der Bühne zustande.

Wir brauchen uns nur an das Ödipus-Drama zu erinnern und sehen das. Aber wenn wir das alte Drama durchgehen, welches immer auf das Schicksal hin tendierte, so werden wir finden, daß zwei Dinge diesem alten Drama nicht in derselben prädominierenden Weise eigen sind wie dem neueren Drama. Diese zwei Dinge konnten in die dra­matische Kunst erst einziehen, als sich näher und dann weiter aus-gestaltete das Bewußtseinszeitalter. Denn erst mit derjenigen indivi­duellen Gestaltung der Menschenseelen, die im Bewußtseinszeitalter heraufkam, konnte sich dasjenige, was Liebe ist, dramatisch gestalten. Sie werden dasjenige, was Liebe ist, so wie es im Drama als Liebe von Mensch zu Mensch wirklich sich abspielt, im alten Drama nicht in derselben Art finden. Sie finden ganz gewiß Liebe, aber sie hat dort einen schicksalsmäßigen Zug, einen Zug, der auch abhängt von sozia­len Verhältnissen. Das werden Sie insbesondere am Antigone-Drama finden. Aber daß die Liebe so gestaltend eingreift, die Liebe nament­lich zwischen den Geschlechtern, das ist erst möglich, als das Bewußt­seinszeitalter heraufzieht.

Und ein anderes können Sie daraus ersehen, wenn Sie, sagen wir, Aristophanes, den Spötter, vergleichen mit demjenigen, was dann im Heraufdringen des Bewußtseinszeitalters für die Bühne sich ausgestal­tet. Sie mögen noch so viel Aristophanes Ähnliches im Altertum neh­men, Sie finden überall Satire, aber Sie finden nicht den lebenbefreien­den Humor. Der kommt wiederum, geradeso wie die Liebe drama­tisch, eigentlich auf mit dem Bewußtseinszeitalter. Und das eigen­tümliche ist, daß der Humor mit seiner lebenbefreienden Stimmung gerade in jenem Zeitalter heraufkommt - im Bewußtseinszeitalter -, in welchem nun der menschliche künstlerische Blick für das Drama

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mehr hinweggeht von dem Schicksalsmäßigen, mehr dazu übergeht, Gefallen daran zu haben, wie der Mensch sich selbst im Verlauf des Dramas zum Gestalter des Schicksals macht.

Dagegen wird man immer mehr und mehr aufmerksam auf den menschlichen Charakter. Und es tritt zum Schicksal das zweite Ele-ment hinzu, der Charakter. Die Menschen werden interessant und in­teressant verarbeitet, Menschen, wie man sie findet im Leben. Nur hat man noch nicht den völligen Überblick für das ganze Individuelle. Die Leute werden noch etwas typisch gestaltet. Und es entstehen an der Stelle der alten Masken die Charaktermasken. Und da, wo man am Drama-freundlichsten, begabtesten war, in den romanischen Län­dern, entstehen die Charaktermasken, die Charaktermasken, welche so wunderbar ankündigen, daß man Interesse hat für das Individuell­Charaktertragende im Menschen.

Man kann nur noch nicht ganz heraus aus dem gewissen Typisieren des Charakters. Aber man setzt den Menschen herein in dasjenige, was ihn zu einer bestimmten Charaktermaske macht. Und man hat viel Sinn dafür, den Menschen in die Welt so hereinzustellen, daß aus der Welt heraus seine Charaktermaske begreiflich wird.

Sehen Sie sich einmal daraufhin diejenigen Volksdramen an, die mit dem Zeitalter der Bewußtseinsentwickelung heraufkommen, in Italien namentlich; die anderen Länder machen das aber nach. Da be­ginnt das Interesse am Menschen, das Interesse am Charakter, aber auch das Interesse am Hervorgehen des Charakters aus seinem Milieu. Und das ist etwas, was dann bis zu Shakespeare herüberwirkt und in Shakespeare noch deutlich wahrzunehmen ist. Da beobachtet der Ita­liener, daß diejenigen Leute, die einen so etwas vornelimen Charakter haben, sozial gesetzte Leute sind, auch etwas im Portemonnaie haben und deshalb sozial gesetzte Leute sein können, in der damaligen Zeit vorzugsweise in Venedig wachsen. Daher treffen wir in den Volks-dramen der damaligen Zeit überall venezianische Tracht bei denjeni­gen, die als sogenannte Pantalone - das ist die Charaktermaske - auf­treten. Sie sind immer venezianisch gekleidet, sprechen auch etwas nach dem Venezianischen hin gefärbt. Das ist die eine Charaktermaske. Sie tritt aus dem Schicksalsmäßigen heraus, und der Mensch stellt sich hin.

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Als zweite Charaktermaske wird uns in diesen Dramen entgegen­treten - und zwar haben diese Dramen zu Hunderten existiert, zu Hunderten, sie sind sogar mit einer großen volkstümlichen Genialität dann ausgestattet worden, es ist immer etwas vom venezianischen Kaufmann darinnen - derjenige, der gelehrt ist. Der Gelehrte kommt hinein, aber in der Form des Advokaten, der verschmitzt ist, ver­schmitzt in seinem Charakter. Der Verschmitzte ist immer aus Bologna, trägt auch die Bologneser Advokatentracht, welche man an der Uni­versität in Bologna getragen hat. Das wird also als zweite Charakter-maske hineingestellt.

Der dritte ist der Schlaue, der Abgefeimte, der aus dem Volke her­auswächst, der Brighella. Er ist mit dem Harlekin zusammen, welcher immer der Dumme ist, der auch aus dem Volke herauswächst. Diese zwei Menschen, das Schlaucherl aus dem Volke und das Dummerl aus dem Volke, die sind immer aus Bergamo, tragen auch Bergameser Tracht.

Die Zofen, so etwas abgefingerte Damen, welche Anlage dazu haben, das Heft im Hause in die Hand zu bekommen, sind immer mehr oder weniger aus Rom, nach der Sitte der damaligen Zeit offen­bar, tragen sich auch römisch in der Regel in diesen Volksstücken. Man wußte genau zu beobachten.

So sehen wir den Übergang zum Charakter sich außerordentlich stark herausbilden. Und aus alledem können wir, ich möchte sagen, schon historisch entnehmen, wie notwendig es ist für die Schauspieler-bildung, kennenzulernen, wie der Charakter sich typisiert, aus dem Milieu herauswächst, damit man ihn dann um so mehr mit elementa­rischer Kraft individualisieren kann.

Und zu diesem Ende ist es sogar ganz gut, einmal nachzugehen, mit welch lebendigem, befreiendem Humor die Leute der damaligen Zeit ausgestattet waren, welche solche Dramen nicht nur als Dichter gemacht haben. Denn die Dichter spielten nämlich damals keine so besonders große Rolle. So ein Drama, wie es vom Dichter kam, das war dazumal nicht einmal eine Partitur für den Schauspieler; der mußte die Schlager eigentlich erst ergänzen. Man rechnete ungeheuer viel auf den Schauspieler.

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Nun, dadrinnen sehen wir es förmlich, in diesen Dramen, wie das Schicksalsmäßige verschwindet und das Handeln aus dem Charakter heraus von der Bühne vor den Zuschauer hingestellt wird. Und man war sich damals gerade erst recht bewußt, man hat es mit dem Publi­kum zu tun und man muß mit dem Publikum leben.

Schicksal und Charakter zusammen ergaben dann das dritte, die Handlung.

1. Schicksal 3. Handlung

2. Charakter

Daher trat, bevor im Drama die Handlung begann in ihrem Verlauf, welche man konfiguriert nach Charakter und Schicksal, eigentlich da­mals immer ein Exklamator auf - man nannte das auch lateinisch -, der in so ähnlicher Weise, wie Sie das bei den Weihnachtsspielen schon gesehen haben, eine Art moralischen Überschlag macht, denn es wurde viel dazumal an moralischen Impulsen auf der Bühne ge­geben. Daraus soll man nicht schließen, daß die Moral dazumal ganz besonders gang und gäbe war, sondern viel lieber, daß sie etwas locker war, und man von der Bühne herunter das Bedürfnis hatte, sie etwas zu bessern. Man muß überall den richtigen Gesichtspunkt bei einer solchen Sache ins Auge fassen.

Nun - sehen Sie, vielleicht nicht ganz genau, aber wie gesagt, es existieren Hunderte solcher Dramen - möchte ich ein solches Drama Ihnen charakterisieren, weil man gerade daran dasjenige sehen kann, was ich nachher besprechen will.

Da treffen wir im Beginne eines dieser Hunderte von Dramen aller­dings eine Situation zunächst, aber die Situation kommt nur durch die Charaktere zum Vorschein. Die Situation ist diese, daß in einem Orte, der vielleicht gar nicht einmal sehr weit weg von hier gedacht wird, die Zigeuner gekommen sind. Die Zigeuner waten dazumal die Heiden. Die Leute selber in den Dörfern sahen sich als Christen an.

Nun, wir können sagen, ein Stück hätte etwa folgenden Verlauf. Es stimmt auch durchaus mit dem einen und dem anderen Stück, aber ich will so im allgemeinen typisch das Ganze darstellen. Da sehen wir Ruedi, den Mann, Greta, die Frau, die zunächst im Gespräche auftreten.

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Ruedi sagt ihr, sie soll nur ja jetzt recht alle Schränke und Truhen verschließen, denn die Heiden sind in der Nähe; da wird ge­stohlen, deren Geschäft sei das Dieben. Da sagt die Greta: Das wär i scho mache, das hätt i allein auch schon gemacht, das brauchst du mir gar nicht zu sagen. Aber weißt du auch, du bist ein versoffner Kerl! Viel mehr als uns die Heiden stehlen, trägst du dem Wirt in die Taschen. Das muß aufhören, das geht nicht so weiter fort.

Nun, der Ruedi ist etwas betroffen, denn die Greta ist energisch. Und nachdem er ein bißchen still geworden ist, seufzt er dann heraus:

Nu ja, i, i wär halt zu den Zigeunern gehen und wär mir sagen lassen, was i für en Kerl bin; die können ja wahrsagen, außer dem, daß sie stehlen.

Nun, du bist ein rechter Dummkopf, wenn du das glaubst, was die Zigeuner sagen. Das ist doch alles ein Unsinn. Du sollst sparen, statt noch hinzugehen zu den Zigeunern - sagt die Greta.

Aber er läßt sich nicht abhalten.

Zunächst aber will er nicht nur seine Greta mahnen an das, was zu tun ist, da die Heiden gekommen sind, sondern auch den Stallknecht. Dem Stallknecht befiehlt er, alle Ställe ordentlich zuzuschließen und Mist hinauszuführen auf den Acker. Nun, da wird auch der Stall­knecht etwas gesprächig. Es kommt das Gespräch dahin, daß der Stallknecht ihm verrät, daß acht echte rheinische Gulden - das war dazumal ein Vermögen - die Greta im Stall vergraben, versteckt hat. Er weiß das, der Stallknecht, wo das ist. Da wird der Ruedi dumm-schlau; aber er geht doch zunächst zu den Zigeunern, frägt die Zigeu­ner um sein Schicksal.

Da sehen wir förmlich hereinspielen das Schicksal, an das man nicht mehr glaubt, das zu den Zigeunern gegangen ist.

Die Zigeunerin, die sagt ihm nun: Ja, du bist schon ein guter Mann, recht guter Mann, aber du hast ,ne zornige Frau, die - die macht dir das Leben sauer. Und du bist auch ein Kerl, der zuviel trinkt.

Donnerwetter, die weiß aber viel - denkt er -, hinter der Wahr­sagerei ist doch etwas dahinter.

Ja, siehst du - sagt die Zigeunerin -, aher wenn du ein besseres Gewand anziehst, bessere Kleider anziehst und stattlich dahergehst,

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dann wirst du noch der Amtmann im Dorf, wenn du weniger trinkst. Donnerwetter! Das geht ihm ein.

Und jetzt wird das fruchtbar, was der Stallknecht gesagt hat. Nur will die Zigeunerin zunächst ihren Lohn haben für diese Wahrsagerei. Ja, aber er hat nichts, weil ihm die Greta nie was gibt. Da sagt er: Du hast mir ja gesagt, wenn ich bessere Kleider anziehe, dann werde ich Amtmann. Dann will ich euch helfen bei euren Diebereien. Das soll euer Lohn sein. - Schön, auf das geht es hinaus, nicht wahr.

Und nun kommt er wieder zurück. Aber das sitzt ihm doch im Kopf:

er will bessere Kleider haben, damit er Amtmann werden kann. So geht er denn und gräbt die acht rheinischen Gulden aus, welche der Knecht weiß, und schickt den Knecht mit den acht rheinischen Gul­den in die Stadt, in die benachbarte Stadt.

Ja, der Knecht nimmt die acht rheinischen Gulden, geht in die Stadt, geht zum Tuchhändier, sagt dem Tuchhändler: Mein Herr, der da draußen ist, möchte gern verschiedene Tuche haben, verschiedene Farben, die soll ich ihm bringen, denn er will sich schon ein Kleid machen lassen, weil er Amtmann werden soll, und da will er sich ver­schiedene Tuche anschauen.

Der Tuchhändler sagt: Ich kenn' deinen Herrn nicht, ich weiß nicht, was mit dem Tuch wird.

Ja - sagt der Knecht -, das ist ein ganz echter Mensch. Nicht wahr, ich nehme das Tuch mit. Es wird schon ordentlich werden.

Die acht rheinischen Gulden, die steckt er sich ein. Und das Tuch, das versilbert er auf andere Art und kommt ohne alles zurück zu sei­nem Herrn.

Seinen Herrn hat er betrogen um die acht rheinischen Gulden, den Tuchhandler um das Tuch. Nun kommt er zurück, der Stallknecht. Der Herr frägt, was da ist. Ja - sagt er zum Herrn -, ich habe die acht Gulden dem Tuchhändler gelassen, und der hat gesagt, du sollst sel­ber hingehen und sollst dir das Tuch aussuchen; die acht rheinischen Gulden sind dort.

Natürlich sind sie nicht dort, sondern der Stallknecht hat sie für sich behalten.

Mittlerweile wird eine Szene eingeschaltet, wo die Greta einer Gevatterin

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furchtbar klagt. Sie hat nachgeschaut, die acht rheinischen Gulden sind weg, die sie im Stall eingegraben hatte. Na, wenn nur die Kuh, die sie gefressen hat, nicht zugrunde geht daran -, sagt sie.

Nachher kommt der Mann, der Ruedi, zum Tuchhändler. Da stellt sich heraus, daß der Tuchhändler das Tuch nicht hat, der Ruedi auch nicht; daß der Tuchhändler aber auch kein Geld hat, der Ruedi aber auch nicht. Der Knecht ist da. Der Tuchhändler sagt, er wird ihn verklagen und sich einen Advokaten nehmen. Er wird schon einen finden, einen richtigen Advokaten. - Da kommen sie herein, die Cha­raktere! - Er wird schon einen finden.

Nun, zunächst gehen sie beide nach Hause. Dann aber kommt in aller Hast ein Bote, ein Läufer, der nach dem damaligen Instinkte wirklich schon von weitem her schreit - mit gutem Bühneninstinkt -und der beide auffordert, den Bauern und den Stallknecht, in die Stadt zu kommen, zum Tuchhändler zunächst.

Da sie zum Tuchhändler kommen, wird der Tuchhändler außer­ordentlich ausfällig gegen den Knecht - man kann es ja begreifen -, der Tuchhändler wird ausfällig und schimpfr fürchterlich. Da fühlt sich der Knecht aber furchtbar beleidigt und sagt: Jetzt wird er ver­klagen. Der Tuchhändler wird schon sehen, was herauskommt.

Der Tuchhändler ist damit zufrieden, denn er fühlt sich als der Ehr­liche, und denkt, daß dabei was Gutes herauskomme. Aber derfrecht der ist eine Art Brighella und geht zum gescheiteren Advokaten und bringt den mit zu der Verhandlung. Und nun beginnt die Verhand­lung.

Der Advokat hat mittlerweile seine Ratschläge dem Stallknecht ge­geben. Der Richter stellt seine gelehrten Fragen, alles auf bologne­sisch, und der Bauer wird immer verwirrter und verwirrter, verwech­selt das Tuch mit dem Geld und das Geld mit dem Tuch. Wenn er von den acht Gulden reden soll, redet er vom Tuch, wenn er vom Tuch reden soll, redet er von den acht Gulden, weil der Advokat so furchtbar viel redet.

Nun soll aber auch der Stallknecht reden. Er sagt: veiw! - Neue Frage. Er sagt: veiw! - Neue Frage. Er sagt: veiw! - Der Advokat hat ihm nämlich den Rat gegeben, sich ganz blöde zu stellen, nichts

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weiter zu antworten, als veiw. Das wird dem Richtet endlich zu dumm. Er sagt: Das ist ja ein Verrückter, mit dem kann man nichts anfangen. - Er schickt die Prozeßparteien einfach nach Hause. Die Sache geht ganz gut und humorvoll aus.

Nun ja, sehen Sie, zuletzt merkt man, bei der Besprechung, die zwischen dem Advokaten und dem Stallknecht stattgefunden hat, hat der Stallknecht dem Advokaten die acht rheinischen Gulden ver­sprochen. Die kriegt er jetzt auch auf den Rat des «veiw». Der Stall-knecht hat das Tuch, der Bauer und der Tuchhändler haben das Nach­sehen. Und der Zuschauer hat seine Befriedigung. Er hat eine Anzahi von Charakteren sich vor sich entwickeln gesehen. Diese Dinge, die zu Hunderten damals gespielt wurden, enthielten wirklich einen ur­elementarischen, volkstümlichen Humor und wurden gut gespielt, weil sie mit innerem Anteil gespielt wurden.

Und wir sehen gerade im Beginne des Bewußtseinszeitalters, wie hineinwächst in das Schicksalsdrama das Charakterdrama. Auf diese Weise ist das Charakterdrama gekommen. Und es gäbe eigentlich als Schauspielschule nichts Besseres, als diese Dramen wieder aufzuneh­men, denn sie sind mit großer Geschicklichkeit aufgebaut, im edel­sten, idealsten Sinne des Wortes, um die Charakteristik herauszuholen gerade aus diesen Dramen.

Man sollte also in Schauspielschulen eine Art historischer Unter­weisung in der Handhabung und Charakterisierung einführen und sollte zurückgehen zu diesen Zeiten. Solche Dramen sind am Ende des 15. Jahrhunderts überall gespielt worden in romanischen Län­dern, auch in der Schweiz hier übrigens, haben dann nach Deutsch-land hinübergegriffen. Im 16. Jahrhundert waren sie gang und gäbe. Da spielte man von der einen Seite in den weltlichen Zeiten des Jahres dieses Charakterdrama, und dasjenige, was vom Schicksalsdrama übrig­geblieben war, haben Sie andererseits in den Weihnachtsspielen. Da spielte das Schicksal darinnen, wie es aus jenseitigen Welten kommt. Und deshalb, weil man da auf der einen Seite steht vor einem Fest­halten des Schicksalsmäßigen in den strengen Formen des Christen­tums, auf der anderen Seite im ursprünglichen Heraufkommen des Charakteristischen im Drama, kann man gerade, wenn man diese Zeiten

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der dramatischen Entwickelung aufnimmt, so außerordentlich viel aus den Sachen lernen.

Sehen Sie, wir treten also da ein in die Zeit, wo die alte Maske, die eine Leibesmaske war, durch die Charaktermaske allmählich zum In­dividuellen übergeht. Aber Sie müssen nicht vergessen, daß wirklich gute, objektive Gründe vorliegen, an diesen Quellen heute für das Schauspielerische wiederum viel zu lernen. Denn sehen Sie hin, als Schiller aufgetreten ist mit einem eminenten Talente für das Drama­tische, experimentierte er, wie ich schon von einem anderen Gesichts­punkte aus dargestellt habe, zwischen dem Charakterdrama und dem Schicksalsdrama. Er wußte nicht, wie er diese Hauptelemente in das Drama hineinbringen soll.

Denken Sie nur einmal, wie im Grunde genommen doch nicht ganz organisch das Schicksal in das Wallenstein-Drama hineinspielt, und man sieht, Schiller kittet da das Schicksal mit dem Charaktermäßigen äußerlich zusammen. Dann will er das Schicksal wieder heranzerren später in der «Braut von Messina». Man kann eigentlich erst am «Demetrius» sehen, daß er nach sehr viel Üben, wenn ich das phili­ströse Wort gebrauchen darf, es dahin gebracht hat, Schicksal und Charakter zur Handlung miteinander zu verweben.

Das eigentliche Lustspiel kann aber erst entstehen aus diesem Cha-rakterologischen. Im Römertum bereitet sich natürlich das Lustspiel schon vor, denn da ist eine Vorwegnahme des Bewußtseinszeitalters, aber wir sehen in älteren Zeiten überall das tragische Drama im Vor­dergrunde, höchstens das Satyrdrama im komischen Nachspiel, im Anknüpfen an das Drama zum Ausdruck kommen. Aber das eigent­liche Lustspiel kommt erst herauf, als Liebe und Humor im Bewußt­seinszeitalter in die Dramatik einziehen können.

Wenn man das nun wirklich so, wie es sich hier abgespielt hat, innerlich in sich aufnimmt, dann bekommt man eine innerliche Stim­mung und Empfindung, wie man regiemäßig vorgehen muß für das Tragische, Getragene auf der einen Seite, und für das mehr Komödien-hafte, für das Lustspielartige auf der anderen Seite. Und man wird ein weiteres Moment für die Konfiguration der dramatischen Handlung haben.

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Nehmen wir zuerst das Tragische. Man wird einfach aus den Empfindungen, die man sich aufgebaut hat durch eine solche Schu­lung, wie ich sie angedeutet habe, in der folgenden Weise beim Tra­gischen regissieren.

Sehen Sie, da lassen sich nicht Theorien und Definitionen geben, sondern man muß erleben, wie man zu den Empfindungen kommt, welche das Künstlerische dann bewirken können. Das ist der richtige Weg, und das versuchte ich heute zu zeigen. Man wird sich sagen:

Dasjenige, was zuerst im Drama da ist, wo der Zuschauer bekannt­gemacht wird mit dem, wofür er Interesse haben soll, was man gelehrt in der Ästhetik heute die Exposition nennt, muß in einer entsprechen­den Weise zunächst langsam gespielt werden, langsam, und die Lang­samkeit muß insbesondere erreicht werden durch entsprechende Pausen.

Man muß also das Tragische zunächst in langsamem Tempo be­ginnen, aber diese Langsamkeit muß hauptsächlich durch Pausen er­reicht werden, durch Pausen in der Rede und auch durch Pausen zwi­schen den Szenen, nicht so sehr durch die innere Langsamkeit, als durch die Langsamkeit, welche durch Pausen hervorgerufen wird. Da­durch kommt man dem Zuhörer entgegen. Der hat die Möglichkeit, sich innerlich zu verbinden mit dem, was da ist.

Nun kommt dasjenige heran, was man als Verwicklung bezeichnen kann, wo es unsicher wird, wie die Dinge ausgehen. Es ist die Mitte des Dramas, die Kulmination der Handlung. Da wird man sogar ver­langsamen müssen das Tempo im Sprechen und in den Gebärden. Also man kann sagen: Langsameres Tempo, aber ohne Pausen. - Das heißt natürlich nicht ganz ohne Pausen. Es muß der Sprechende Atem schöpfen, es muß der Zuschauer Atem schöpfen. Aber es muß eben eine gewisse Beschleunigung durch das Verkürzen der Pausen er-reicht werden.

Dann kommt der dritte Teil, welcher die Lösung bringen soll, der eine gewisse sauere Unbefriedigtheit zurückläßt, wenn er in demsel­ben Tempo abläuft. Da handelt es sich darum, daß das Tempo be­schleunigt wird, und daß der Schluß eben in beschleunigtem Tempo auslaufe.

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Tragisches:

I. Langsames Tempo: Pausen

II. Langsameres Tempo: ohne Pausen

III. Tempo beschleunigt

Da handelt es sich darum, daß nun auch innerlich im Sprechen und in den Gebärden das Tempo beschleunigt wird. Wenn man das tut, wird man ganz gewiß die Imponderabilien, die hergestellt werden müssen zwischen der Bühne und dem Zuschauerraum, herstellen. Und dies ergibt sich einfach aus dem Gefühle heraus, wenn man das Gefühl in der angedeuteten Weise schult. Es handelt sich also beim Regissie­ren des Tragischen überall um das Maß in der Konfiguration.

Etwas anderes tritt beim Lustspielmäßigen au£ Und das Schauspiel steht ja in der Mitte zwischen beiden. Man kann daher die Sache ler­nen an dem einen und an dem anderen. Etwas ganz anderes tritt beim Lustspielmäßigen auf. Da wandert der Charakter herein. Und da kann man insbesondere an solch einem Lustspiele, wie ich es charakterisiert habe, lernen, wie man beginnen muß.

Man wird so beginnen - und gerade kann man es an solchen, mit urvolksmäßigem Humor begabten Stücken tun -, daß man den Schau­spieler, der sich in seiner Rede selber charakterisiert, eine innerliche instinktive Freude ausdrücken läßt, so daß man gleich darauf kommt:

der Charakter, der sitzt da. Das ist der Pantalone.

Natürlich werden wir heute individualisieren, nicht typisieren, aber wir können dennoch nach dem künstlerisch Gestaltenden so vor­gehen. Wir beginnen damit, daß wir die Charaktere im Sprechen und in den Gesten stark betonen lassen. Wir brauchen es nicht immer so stark zu machen, wie es gewöhnlich schlechte Darsteller hei der Bar­hierdarstellung machen, wo sie besonders betonen das Wegschleudern des Seifenschaumes beim Rasieren; es braucht ja nicht so stark und grotesk zutage zu treten. Aber es handelt sich darum, daß im ersten Teile die Charaktere betont werden. Sie sehen, da handelt es sich um das Inhaltliche, nicht mehr wie beim Tragischen um das Wie, sondern um das Inhaltliche.

Kommt man mehr gegen die Mitte, da interessieren die verschiedenen

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sich entgegenstellenden Dinge, die einen unsicher machen, wie die Sache ausgeht. Da wird es um die Charaktere etwas gefahrvoll, durchaudringen, da muß man die Handlung besonders betonen. Da muß besonders das eintreten, was in der Charakteristik der Worte die Handlung betont.

Nun waren ja die Zeiten dem Schauspieler besonders günstig. Denn er konnte, da es sich eigentlich immer um Textbücher handelte, wo ihm viel Freiheit gelassen wurde, wirklich extemporieren das Ver­schiedenste, was gerade in der Mitte eines Lustspieles steht: seine Überraschung, daß das geschieht, was unerwartet war, was einen ab-bringt von dem Wege, den die Charaktere gehen wollten und so wei­ter. Er konnte das alles betonen.

Und am Schlusse des Lustspiels, da ist es von besonderer Bedeu­tung, stark zu betonen das Hereinbrechen des Schicksals, das Befrie­digung gibt im Abschluß.

Lustspielmäßiges:

I. Die Charaktere betont

II. Die Handlung betont

III. Das Schicksal betont

Sie sehen, hier - siehe Schema - kommt überall das Inhaltliche in Betracht, dort das Maß. Es wurden also hier zunächst die Charaktere betont, dann die Handlung, dann das Schicksal. Natürlich muß man sich eine Art innerliche Anteilnahme für das erwerben, was Schick­sal, was Charakter, was Handlung ist.

Nun kann aber allerdings der Schauspieler auch demjenigen ent­gegenkommen, was in ihm lebt an gefühlsmäßiger Vertiefung. Sie müssen nicht verachten, meine lieben Freunde, dieses zunächst auf das äußere Anschauen Gehende, das ich in der heutigen Stunde werde nun darzustellen haben. Wird es mit Ernst und innerer Anteilnahme getrieben, so wird man sehen, welche wunderbaren Erfolge in der Entwickelung des Gemütes für die Empfindung dessen, was man dem Tragischen, was man dem Lustspielmäßigen gegenüber machen soll, sich da ergeben. Aber man kann dem auch entgegenkommen, meditativ

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entgegenkommen, so entgegenkommen, daß man das, was ich schon angedeutet habe an mehr empfundenen Berufskonzentrationen und -meditationen, wirklich ins Meditative hineintreibt. Und so wird der Schauspieler seine Seele dafür stimmen können, daß sie geschickt werde im Sprechen des Tragischen, im regiemäßigen Gestalten des Tragischen, wenn er in seiner Seele dasjenige nachahmt, was ich an jenem Kreise dargestellt habe, wo das Tragische auf der einen Seite, das Lustspielmäßige auf der anderen Seite gesucht worden ist.

Nur wird beim Tragischen, bei einer solchen Meditation das Eigen­tümliche vorliegen, daß man im hohen Grade während der Meditation dieses innerlich vornimmt, was ich gestern charakterisiert habe als das Wiederloslösen von dem Sprachlich-Gestalteten.

Man braucht das ja, meine lieben Freunde. Erst muß man wirklich so präparieren, daß man, wie ich sagte, sprachgestaltend das Ganze hat, daß man es aus dem Schlafe heraus machen könnte. Dann aber wiederum muß man den von der Sprache losgelösten, rein mensch­lichen Gefühis- und Gemütsanteil, Willensanteil, Gedankenanteil neh­men können an demjenigen, was man selber gestaltet hat.

Da wurden gerade die alten Schauspieler gut meditativ vorbereitet. Und ich möchte nachgestaltend Ihnen eine kleine Formel geben, eine kleine Formel, an der Sie das sehen können, wenn Sie sie immer wieder und wiederum, wenn Sie Muße haben, versuchen, zum Beispiel wenn Sie im Spaziergang sind und sinnen können, indem Sie sich irgendwo in den Schatten setzen oder sonst bei einer ähnlichen Muße. Versuchen Sie, Ihre Seele mit innerlicher Wärme zu konzentrieren gerade nach der Stimmung hin, die sie haben muß, um das Tragische so zu be­greifen, daß das Begreifen gestaltend wirken kann. Sie werden das er­reichen, wenn Sie folgendes meditieren:

Ach - das ist zunächst nur die Vorbereitung -

Ach, Fatum - das deutsche Wort kann ich hier nicht gebrauchen, weil in dem a und n zunächst die Seele sich halten muß -

Ach, Fatum

Du hast

stark mich - das i tritt hier herein -umfaßt

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Während sonst die tragische Stimmung in u und a hervorgerufrn wird: u leise Furcht, a Bewunderung, tritt das i auf, um sich selber hineinzustellen. Nimm weg - es geht weiter im Umkreis -:

nimm weg

den Fall

in den Abgrund

Wenn Sie das so meditieren, daß vor allen Dingen darin Gefühl spricht, und wie selbstverständlich das Gefühl ruht auf dem durch die Schulung präparierten Lautempfinden, dann ist das wirklich eine Art Regiegrundlage für die Gestaltung des tragischen Dramas.

Ach, Fatum

Du hast

stark mich

umfaßt

nimm weg

den Fall

in den Abgrund.

Es gibt das so die tragische Stimmung, daß man sie finden wird, wo man sie braucht, wenn man genügend lange und genügend oft solch eine Meditation vor sich hinstellt.

Für das Lustspiel dagegen handelt es sich darum, daß man zurück­geht auf die schlauen Übungen, die ja nicht mit derselben inneren Pathetik wie das in der Tragik, welche aus dem Mysterium heraus-geboren war, getrieben wurden, die aber dennoch bei allem Humor außerordentlich stark esoterisch wirkten, die nun eben den Humor bringen können und diesen Humor nun nicht zurücknehmen, sondern in die Sprache hineingießen.

Man muß eigentlich - also nicht im äußerlichen Sinne bitte ich das aufzufassen -, wenn man Lustspiele regissieren will, man muß in den Worten lachen können. Ich meine nicht, daß man immer kichern kann. Das können besonders diejenigen Leute, die immer ihre Rede dadurch geltend zu machen wünschen, daß sie dabei kichern, wobei man immer den Eindruck hat, daß da nichts besonders Gescheites liegt,

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was erkichernd gesprochen wird. Aber dieses Hineinlachen in die Lautempfindung, das ist etwas, was wirkt trotz aller Volksmäßigkeit. Es waren doch immer Komödianten, welche diese Dinge aufführten, geradeso wie in den ersten Zeiten des Mittelalters Geistliche die er­habenen Dramen aufführten, welche die Anschlüsse an das Kirchliche sich erhalten wollten, es waren Leute, aus denen sich schon allmählich das Berufsschauspielertum heraus rekrutierte, und die auch auf ein innerliches Erfassen des Spieles hinausgingen.

Da möchte ich wiederum etwas anführen, was dazumal sozusagen Zunge und Gaumen nun nicht bloß so, wie man es in der Lautempfin-dung hat, elastisch machte, plastisch machte, sondern was hinaus-wirkte ins Lachen hinein, indem man meditierte. Man muß ja aller­dings dann laut meditieren - aber bitte, das nicht da oben auf dem Schloß zu machen -, dann bekommt man das, wenn man möglichst versucht, diesen Zusammenhang, den ich nun aufschreiben werde, laut oftmals zu üben, mit innerem sprachempfindenden Anteil:

Izt' - jetzt, aber in der Form izt gesprochen -

Izt' fühi ich

wie in mir

Linklock-hü

und lockläck-hi

völlig mir

witzig

bläst.

Versuchen Sie das einmal so zu üben, daß Sie bei dem Linklock-hü diese Bewegung machen - siehe Schema -, bei dem lockläck-hi diese Bewegung - siehe Schema -, so daß das Ganze geübt wird:

Izt' fühl ich

wie in mir

Linklock-hü

und lockläck-hi

völlig mir

witzig

bläst.

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Dreimal mit aller Ausgestaltung. Versuchen Sie, in das hineirzukom­men, und sehen Sie, daß bei dem Linklock-hü so die Lippen verzogen werden, die Oberlippe hinauf, die Unterlippe so herunter:

#Bild s. 339

Und empfinden Sie das! Sie werden schon sehen, wie nach und nach dies ein seelisches Lachen gibt. Es gibt ein innerliches seelisches Lachen. Denn das seelische Lachen kann natürlich nicht tragisch ver­tieft werden. Da besteht der Idealismus darinnen, daß man nun wirk­lich in die Sprache hinein die lachende Seele bringe. Dann werden Sie sehen, wie Sie auf diese Weise in humorvolle Regie, in dieses Regissieren hineinkommen. Davon dann morgen weiter.

Ich gedenke dann, etwa am Dienstag diese Vorträge abzuschließen.

SIEBZEHNTER VORTRAG Dornach, 21. September 1924 Das Durchfühlen des Lautlichen

#G282-1969-SE340 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

SIEBZEHNTER VORTRAG

Dornach, 21. September 1924

Das Durchfühlen des Lautlichen

#TX

In Zeiten, in denen das, was durch die Sprache aus den Menschen heraus sich offenbarte, noch instinktiv intensiver empfunden worden ist, wurde man jenes realen Vorganges gewahr, der wirklich im Sprach-gestalten da ist, jenes realen Vorganges, der darinnen besteht, daß mit einer gewissen Selbständigkeit der astralische Leib des Menschen den ätherischen ergreift. In der Gegenwart reden eben die Menschen, wie sie ja alles einfach so tun, daß sie nicht gewahr werden die Kom­plikationen des inneren Vorganges, der sich bei einem menschlichen Tun abspielt. Es ist auch richtig, daß die Dinge nicht allzu stark während des Tuns beobachtet werden dürfen, sonst vertreiben sie die Unbefangenheit. Aber derjenige, welcher mit Sprachgestaltung und mit dem Mimisch-Gebärdenhaften künstlerisch zu tun hat, hat nötig, wenigstens während der Zeit seiner Schulung so etwas vor die Seele bekommen zu haben, wie dieses Selbständigwerden eines Arbeitens, eines Zusammenarbeitens von astralischem Leib und Ätherleib.

Man muß das Gefühl durchgemacht haben, was es heißt - Gefühl, sage ich, nicht Anschauung -, es hat sich gewissermaßen ein zwei­ter Mensch, der in dieser Arbeit zwischen astralischem Leib und Ätherleib besteht, losgelöst und lebt in der Sprache.

Nun ist dieses Leben, so wie es jetzt auftritt, schon ein so innerlich konfiguriertes und innerlich reich gestaltetes, daß es dem Menschen in der Tat schwer wird, über den Inhalt der Sprache hinüber auch noch wahrzunehmen, wie sich da im ganzen Sprachkörper etwas aus ihm heraushebt.

Daher ist es gut für die Schulung, dasjenige, was da eigentlich vorliegt, mit wirklicher Kunst zu ergreifen. Und man kann es ergreifen. Man kann es auf folgende Weise ergreifen und dadurch wiederum Ungeheures beitragen zum innerlich Kraftvoll- und Beweglichmachen der Sprache. Man kann es dadurch machen, daß man möglichst so

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übt wie jemand, der eigentlich nicht sprechen kann und doch sprechen will. Dasjenige, was ich Ihnen da sage, ist insofern doch eine Realität, als der Mensch sprechen nur lernen kann im Zusammenhange mit anderen Menschen.

Nun ist es wiederholt vorgekommen, daß Menschen einsam in der Wildnis, fast tierisch aufgewachsen sind. Die haben dann trotz ge­sunder Gehör- und gesunder Sprachorgane nicht sprechen gelernt. Und hat man sie später aufgefunden, so mußte man sich sagen, die hätten ganz gut sprechen lernen können, haben es aber nicht gelernt, weil sie nicht mit anderen Menschen zusammen waren. Aber solche Menschen werden zumeist, ich möchte sagen, einen leisen Ansatz zum Sprechen dennoch machen. Und der wird darinnen bestehen, daß sie so etwas wie ein hum, ham, häm, him hervorbringen, eine Strömung von der h-Erzeugung zu der m-Erzeugung mit etwas undeutlichen Vokalen dazwischen. Frägt man nun nach, so ist es in der Tat so, daß der Mensch, indem er diesen Lautzusammenhang herausbrummt, gewahr werden kann, wie da in ihm der astralische Leib den Äther-leib abfängt. Wenn man versucht, immer wieder hum, ham, häm und so weiter hervorzubringen, dann fühlt man, wie wenn sich etwas loslöste, in reinen Vibrationen lebte. Und führte man dies in Schauspielschulen ein, daß in dieser Weise gebrummt würde das hm, so würde man etwas Merkwürdiges wie ein innerliches selbständiges Sausen fühlen, das aus einem herauswächst. Wer so empfinden lernt, wird schon zugeben, daß das eine rechte Grundübung sein kann. Nur muß sie dann weitergeführt werden. Man fängt also an damit, dem Zögling hm, hum, ham, häm zur Beweglichkeit seiner inneren Sprach-fähigkeit beizubringen. Dann geht man aber zu etwas anderem über, denn damit würde man natürlich ein Wilder bleiben, und es handelt sich nur darum, daß man aus dem ersten Elemente des Sich-Loslösen-den der Sprache wirklich heraus arbeitet.

Ich bemerke nur, wie in Parenthese, daß man das bei Kindern natürlich nicht tun darf. Einen pädagogischen Wert hat das nicht, was ich jetzt sage. Denn es ist notwendig, daß man gerade dann, wenn die Dinge ins wirklich Künstlerische übergehen, die einzel­nen Gebiete sondert, daß man nicht alles überall anwendet. Das

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eigentlich Fachliche wird durch das Anthroposophische nicht zer­stört, sondern im Gegenteil an seinen Ort gestellt und geför­dert.

Nun besteht das Weiterschreiten dann in dem Folgenden. Wir haben ja zunächst diejenigen Laute kennengelernt, die wir als Stoßlaute unter den Konsonanten, dann diejenigen Laute, die wir als Blaselaute bezeichnet haben. Wir werden entweder zum Speerwerfer in den Stoß-lauten, oder aber wir werden zum Trompeter in den Blaselauten. Da­zwischen liegt der Wellenlaut l und der Zitterlaut in seinen verschie­denen Gestaltungen als Gaumen-r, als Zungen-r, Lippen-r, der r-Laut als Zitterlaut. Die liegen dazwischen.

Nun muß man durchschauen, was da eigentlich dahinter steckt bei dieser Gliederung der Laute, die nicht von uns willkürlich aufgestellt ist. Es ist ja keine schematische Einteilung, sondern es ist aus dem Organismus der Sprache herausgenommen. Und da steckt etwas sehr Bedeutsames dahinter. Wir sprechen allerdings im Ganzen, indem wir die Luft gestalten. Gewiß, das ist der gemeinsame Charakter alles Sprechens, daß wir die Luft gestalten, aber wir gestalten die Luft in der allerverschiedensten Weise.

Nun, dieses Luftgestalten gerade, das verspüren Sie in einer gran­diosen Weise, wenn Sie immer wieder und wiederum hm, hum, ham formen. Sie haben darinnen, ich möchte sagen, den allgemeinsten Schwung der Sprache. Und haben Sie das erlebt, diesen allgemeinsten Schwung der Sprache, dann werden Sie bei denjenigen Lauten, die ich als Stoßlaute bezeichnet habe, also bei d t b p g k m n, das Gefühl bekommen, daß Sie, wenn Sie hm machen, das Stoßen eigentlich zu­letzt erreichen wollen. Da wollen Sie mit dem hm ins Stoßen herein. Sie können fühlen, da wollen Sie den Luftkörper zu einer geschlosse­nen Figur machen. Bei allem, was hier auf dieser Seite steht - siehe Schema Seite 354-' ist es so, daß wir ähnlich dem m, welches aber dies noch nicht ganz vollendet zeigt, sondern im Status nascens, hin­einwollen in die geschlossene Form der Luft, des Luftkörpers, zu einer Figur. Bei allen Stoßlauten fühlen wir, wie wir eigentlich eine geschlossene Figur bilden wollen. Und wir können uns vorstellen, wir wollen weiter.

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Indem wir d bilden, wollen wir eigentlich vor uns eine solche ge­schlossene Luftfigur bilden: eine Art Röhre, die vorn geschlossen ist, die wir vor uns aufrichten, wollen wir bei dem d bilden.

#Bild s. 343a

Wenn wir b sprechen, ist es eigentlich so, als ob wir so eine Art kleines Schiff als geschlossene Figur bilden wollen.

#Bild s. 343b

Bei k haben wir ja das deutliche Gefühl, daß wir so etwas wie einen Turm bilden wollen mit der Sprache, eine Pyramide.

#Bild s. 343c

So haben wir sehr deutlich das Gefühl, da wollen wir die Luft ver­härten. Und am liebsten wäre es uns, wenn sich die Luft kristallisieren würde. Wir haben so eigentlich das Gefühl, wenn wir die Laute aus­sprechen, daß da in die Luft hineinprojiziert werden Körperformen; und wir sind erstaunt darüber, daß die da nicht herumiliegen, weil wir schon, wenn wir die Sprache fühlen, uns so stark anstrengen, daß

#SE282-344

eigentlich das b und p, d und t, & und k herumfiiegen, und die m wie Spiralen und die n wie manche Tierschwänze herumfliegen. Wir sind eigentlich erstaunt, daß das nicht der Fall ist. Denn diese Stoßlaute sind dasjenige, was, trotzdem wir in der Luft formen, fortwährend hinstrebt zum Erdenelemente. In das Elementar-Erdige arbeiten wir hinein mit diesen Stoßlauten; so daß diese Stoßlaute entsprechen dem Element Erde. (Siehe Schema.)

Das hat aber wieder etwas außerordentlich Instruktives und führt uns zu dem, was für das richtige Lernen außerordentlich bedeutsam sein kann, denn sehen Sie, es ist tatsächlich für das Reinigen der Sprache, für das Gelenkigwerden der Organe in bezug auf die Sprache von einem großen Vorteil, wenn wir uns eine Kristallgestalt vorstel­len, indem wir k sprechen, so eine turmförmige Kristallgestalt. Dieses starke Vorstellen, das unterstützt uns im k-Sprechen.

Es ist außerordentlich vorteilhaft, wenn wir uns, während wir m sprechen, eine Schlingpflanze vorstellen, die sich hinaufwindet an einem Stock, so eine Winde, während wir m sprechen.

#Bild s. 344

Und es ist von einem großen Vorteil, wenn wir n sprechen, uns den Waldmeister vorzustellen, der da oben solch einen Kranz von Blättern hat; wenn wir also sozusagen dasjenige aus der Erde herauszaubern, was in den Stoßlauten liegt.

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So bekommen Sie zum Beispiel immer mehr und mehr die innere Konfiguration des p heraus, wenn Sie sich die Konfiguration der Son­nenblume vorstellen, diese freche, hochwachsende Blume mit über-hängenden, riesigen gelben Blüten, die so auffallend uns die Mitte ihrer Blüte entgegenstreckt. Dadrinnen liegt das p in einer ganz außer­ordentlich schönen Weise.

Herauszuholen aus den irdischen Gestaltungen die Stoßlaute, das ist dasjenige, was uns wirklich im Sprechen weiterbringt. Aber all das, was wir in dieser Weise üben, kann in den schönen Fluß der Sprache übergehen, wenn wir es eben verfließen lassen, wenn wir so eine Pyramide, die eigentlich ein k darstellt und in der wir innerlich in der Sprache leben, während wir k sagen, dazu bringen, daß sie verfließen muß, daß sie sich auflösen muß. Dann lassen wir den k-Laut über­gehen in den l-Laut, und Sie werden sehen, das fließt weg wie Wasser, was da erst ganz fest ist. K, l = das fließt weg wie Wasser. Und was interessiert Sie denn, wenn Sie das Wort Keil sagen? Ein Keil, der nichts keilt, der also nicht verfließt in seiner Bewegung, hat ja keinen Sinn, und ein Keil hat ein k ganz richtig, weil er eine Pyramide ist, wenn man ihn aufstellt. Aber dasjenige, was uns am Keil interessiert, ist, daß er verfließt. Also das ist ein Wort von einer inneren Prägnanz, die großartig ist! Und sagen Sie Keil und fühlen dasjenige, was der Keil tut, fühlen Sie etwas zerspalten dabei, und dieses Übergehen in den Fluß unter Hemmnissen, die Hemmung wiederum durch das ei ausgedrückt, durch das Vokalische, dann haben Sie ein Wunderbares.

Und so können Sie alle Stoßlaute in den richtigen schönen Fluß der Sprache hineinbringen, wenn Sie sie mit einem l zusammenbrin­gen. Sie können aber auch wiederum das Flüssige verfestigen, wenn Sie die umgekehrte Prozedur machen. Üben Sie Diele. Diele: es fließt wunderbar im Munde. Und wollen Sie das Umgekehrte machen, das­jenige, was zunächst lebt, dann wiederum wunderschön in seine Ge­staltung hinein als Flüssiges in das Sich-Verfestigende-Erdige hinein-lebt: Lied. Es lebt das Lied zunächst in der Seele, wird dann gestaltet in dem Dichten: Lied.

Lernen Sie fühlen, was in so etwas liegt. Nehmen Sie den Stoßlaut t, lassen Sie irgendwie ein l folgen. Man hat ein hartes Sich-Verfestigen

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in dem t, aber es läuft doch dahin, dieses harte Sich-Verfestigen. In dem Worte Tal haben Sie es wunderbar ausgedrückt, das dahin-laufende Hinuntergestoßene.

#Bild s. 346a

Kehren Sie es um, nehmen Sie zunächst das Flüssige und machen Sie es dann fest, da haben Sie förmlich, wenn das das Tal ist, weil Sie da durchgehen, wenn Sie dasjenige sich fest denken, was da drinnen ist: Latte. Da ist es zuerst flüssig, und dann wird es fest in der Latte.

#Bild s. 346b

Sehen Sie, auf diese Weise kommen Sie zum Durchfühlen des Laut­lichen bis in das Wortgeheimnis herein. Versuchen Sie nur einmal, dieselbe Prozedur, die wir beim Keil gehabt haben, mehr so zu machen, daß man wie etwas vor sich her dirigiert, was man mehr handhaben kann als einen Keil, den man ja nur mit einem Hammer handhaben kann, etwas, was also schon dem Menschen näherliegt, was schon eher so ist, wie ein kleines Boot, das man vor sich her dirigiert, so haben Sie Beil. Da spüren Sie den Unterschied zwischen k und b - Keil und Beil - an dem Ganzen, was das ist, deutlich darinnen.

Aber gehen Sie jetzt zurück. Haben Sie zuerst das Flüssige und dann verfestigen Sie es, so daß es Ihnen nicht darauf ankommt, das Beil in Fluß zu bringen, sondern dasjenige, was leibt und lebt, in feste Gestalt, Umhüllung zu bringen, dann haben Sie den Leib.

Und so können Sie in dem Üben der Verbindung der Stoßlaute mit dem Wellenlaut l wunderbar erreicben, daß die Sprache wie geschlossen

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und doch flüssig wird, daß Ihre Worte korfiguriert werden und doch der Satz hinläuft so, daß eines in das andere übergeht.

Daher sollte man in der Zukunft dasjenige, was da vorliegt, was man lmmer zuwege bringt, wenn man Stoßlaute mit dem l, mit dem Wellenlaut, zusammenfügt, im Zusammenhange zur Sprachübung verwendet, als das Stoß-Wellen in der Sprachgestaltung bezeichnen.

Es sollte eben ein Kapitel sein, das den Umfang hat, zu lehren, wie man die Worte im Satze auf der einen Seite begrenzt, auf der anderen Seite so in Fluß bringt, daß sie den Satz als eine Strömung darstellen. Und das sollte man lernen im Stoß-Wellen. Für diese Sache müssen neue Ausdrücke gewählt werden.

Nun aber kommen wir da mit den Stoßlauten und mit dem l ins Flüssige hinein, so daß wir sagen können: Wir haben in den Stoß-lauten Erde, im l dasjenige, das im wesentlichen das Wasser bedeutet, das Element Wasser. Das wird in der Sprache nachgestaltet, daß Was­ser in dem l ist.

Nehmen Sie aber an, das Wasser wird jetzt so dünn, daß es nun innerlich beweglich wird, daß wir in die eigentliche Luft hereinkom­men, daß das Wasser immer mehr verdunstet, Gas wird, es will in das innerliche Luftförmige hereinkommen, dann leben wir nicht mehr zufrieden mit dem innerlichen Dahinfließen und Wellen, sondern dann muß die Luft innerlich erzittern. Und die Luft, die wir zur Ver­fügung haben im Sprechen, erzittert innerlich im r. Das r entspricht dem Elemente Luft. Fühlen Sie doch einmal, wie, wenn Sie, ich will so sagen, eine Schachtel haben. Sie machen Sie auf und denken, da ist ein Geschenk darinnen. Sie vermuten, daß das, worauf Sie sich freuen, was innerliche Bewegung in Ihrer Seele hervorruft, darinnen ist. Es ist aber nicht darinnen; es ist nichts darinnen; es verflüchtigt sich alles das, was erst flüssig war = 1. Sie bewegen die Flüssigkeit auf Ihrer Zunge, machen auf und die bloß erzitternde Luft tritt Ihnen entgegen, und Sie brechen aus in den Laut: leer! Da haben Sie es ganz anschaulich. Sie haben durchempfunden das Wort bis auf das Zurückbeben im doppelten ee: leer, das besonders stark ist.

Man kann sich nicht denken, daß etwas adäquater sein könnte als auf der einen Seite diese Gebärde und dieses Wort leer. Beides ist

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ganz genau anzuschauen. Aber an solchen Dingen kann man wirklich viel lernen. Besonders für die freie Handhabung desjenigen, was man als Schauspieler braucht, kann man dabei außerordentlich viel lernen.

Und jetzt denken Sie sich, Sie nehmen dieses Zittern da auf und konfigurieren es in der Luft. Sie formen das Zittern. Sie brauchten bloß die Trompete ordentlich zu studieren, das heißt nicht das Metall, sondern was da vorgeht in der Trompete, während Sie blasen. Ver­suchen Sie es nur einmal, mit ganz feinen Temperaturmessern nach-zuschauen, was da im Inneren der Trompete sich zeigt, wenn das bloße Zittern übergeht in die geformte Tonfigur. Da haben Sie überall Wärmedifferenzen in der Trompete darinnen. Das drückt sich aus in dem Element des Feuers. Daher gehen auch alle Blaselaute über in das Element des Feuers oder der Wärme, das wir haben, wenn wir fühlend aussprechen: h chj sch sf w. Das lebt im Elemente der Wärme. Daher ist es auch so, wenn Sie anfangen mit dem h, arbeiten Sie Ihre Wärme heraus, Sie entledigen sich Ihrer Wärme im h, dann fan­gen Sie es auf, was Sie herausgesetzt haben, indem Sie es fühlen wie eine Verfestigung Ihres zweiten Menschen: hm. Ihre Wärme, die Sie bis zum Festen bringen: hum, ham und so weiter.

Nun kann man wiederum fühlen, wie man dasjenige, was man vor sich hinstellen will, was leben will im Weiterleben, was man hinstellen will wie etwas selbständig Lebendiges, dann bekommt, wenn man un­mittelbar in Blaselauten übt. Blaselaute, Sie werden sie üben können in Worten, die nicht gerade häufig sind, weil das Lebendige vom Men­schen nicht so hingestellt wird wie das Feste, aber immerhin, Sie wer­den Blaselaute überall da besonders finden, wo irgendwie draußen im Raum etwas so dargestellt wird, daß es lebt, daß es schwankt. Und da kann man interessante Studien wieder machen. Will man nur ausdrük­ken, daß etwas eigentlich unangenehm lebt = schief; es liegt schon im Worte schief, daß es immer eher umfallen kann als leben: schief.

Empfindet man aber so, daß man das Bewegliche, Lebende hinein haben will in das Feststehende, dann wird eine Notwendigkeit ent­stehen, das äußerlich selbständig Webende und Lebende, lebend Flüs­sige aufstellen zu wollen. Nun denken Sie sich einmal, ich habe eine Gestalt, sie ist zuerst klein, wächst, wächst, fließt da hinauf. Aber will

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ich ausdrücken, daß das eigentlich in der Linie schreitendes Leben, Weben ist, dann sage ich: schlank. Gehe ich über von dem sch, was das Leben darstellt, in das Flüssige und komme dann zu dem, was aufstellt dieses Leben in der Linie = schlank, so komme ich zu dem Stoßlaut k zurück.

Insbesondere aber kann man dasjenige üben, was man auch braucht gerade in der künstlerischen Sprachgestaltung. Da braucht man die Fähigkeit, so zu sprechen, daß das Sprechen dahinfließt über das Auditorium. Das braucht dann nicht auf die Laute und Buchstaben konzentriert zu sein, sondern das liegt in dem allgemeinen Charakter, den man sich überhaupt für das Sprechen aneignet.

Für den Schauspieler wird es ganz besonders notwendig sein, daß er das zuwege bringt, daß seine Worte durch den Zuschauerraum gehen, daß sie überall leben. Das kriegt er zustande - und dies zu wissen, darin besteht nun eine besondere Esoterik der Sprachgestal­tung -, wenn er das Erzittern der Luft in Bewegung bringt durch den Übergang in Blaselaute, wenn er also übt: reihe, reihen, reich, rasch, reis, reif - es liebt dieser Übergang das ei nicht - rasch, reis, reif.

Und will man, daß der Laut selber wie hypnotisierend auf jemanden wirkt, so kann man das machen, was der Advokat, von dem ich gestern gesprochen habe, mit seinem Klienten gemacht hat; man kann ihm raten, zu sagen: veiw. Es ist mit außerordentlich feiner Empfindung in dieses Stück, von dem ich gestern gesprochen habe, hineingekommen. Instinktiv leben in diesen Sachen manchmal ganz wunderbare gesetzmäßige Dinge.

Und so sehen Sie, daß man das Sprechen, welches den Satz gestaltet, dadurch zuwege bringt, daß man lernt, es an den erde-wäßrigen Lau­ten zu gestalten, und dasjenige, was anredet, mit den luftförmig­feurigen Lauten, mit dem Zitterlaut r und mit den Blaselauten ge­staltet. Nicht als ob man das mit diesen Lauten ausdrücken müßte, aber lernen kann man, einen Satz ordentlich gestalten, so daß er eine innerliche plastische Kraft hat, wenn man Zusammenhänge übt, in denen die Erdenlaute und der Wasserlaut sind, lernen kann man, ein­dringlich zu sprechen, so daß man mit einer gewissen Sicherheit an­nehmen kann, es wird aufgenommen.

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Lernt man, wenn man übt, zwischen dem Luftlaut r und den Feuer-lauten, welche die Blaselaute sind, diese Übungen zu machen - und beides muß der Schauspieler lernen, er muß schön und eindringlich sprechen -, so ist dies der Weg, um wirklich technisch schön und eindringlich sprechen zu lernen.

Es gibt noch ein anderes, was notwendig ist für den, der in der Sprachgestaltung vorwärts kommen will. Das ist, er muß die Fähigkeit bekommen, jede Empfindung aus dem Fremderen in das Intimere umzusetzen.

Ich will Ihnen das in der folgenden Weise klarmachen. Nehmen Sie die Empfindungen, die manche von Ihnen haben an denjenigen Tagen, wo hier die innere Konfiguration der Lufr in diesem Raume besonders zum Ausdruck kommt. Es gibt Menschen, die das so emp­finden, daß es ihnen unbehaglich ist. Nun, wollen wir die primitivste Empfindung nehmen, die jemand haben kann. Er hat die Empfin­dung, es ist heiß im Saal mit all den Nebenempfindungen, die man da haben kann, heiß, warm, sagen wir bloß warm. Also: Es ist warm im Saal.

Nun wird jeder, der sich ein wenig mit Sprachgestaltung befaßt hat, wissen, daß man das Wort warm in der verschiedensten Weise sagen kann im Leben. Sie kennen ja die hübsche Anekdote, die illu­striert: Der Ton macht die Musik. - Der kleine Itzig schreibt von der Ferne her an seinen Vater, der nicht lesen kann: Vaterleben, schick mir einen Gulden. - Der Vater kann nicht lesen und geht zum Notar, läßt sich das vorlesen: Vaterleben, schick mir einen Gulden! - [Grob.] Was? Der nichtsnutzige Schlingel kriegt von mir nichts, wenn er so schreibt! Hat er wirklich so geschrieben?

Nun, aber das Vaterherz will doch die Sache nicht gleich so hin­nehmen, geht noch zum Pfarrer. Der liest ihm vor: Vaterleben, schick mir einen Gulden. - [Sanft.] Hat er wirklich so geschrieben? - Ja, ja! - Ach, ich will ihm heute noch einen Gulden schicken, sagt der Vater. - Ja, Sie sehen, der Ton macht eben die Musik.

Nun, man kann das Wort warm in der verschiedensten Weise aus­sprechen. Aber, meine lieben Freunde, wenn man das Wort warm in der verschiedensten Weise ausspricht, dann muß man es auch können.

#SE282-351

Man muß es lernen, in den Laut das hineinzutragen, was man eigent­lich gefühlsmäßig will; man muß das in den Laut hineintragen kön­nen. Das muß man auch lernen. Denken Sie sich daher einmal, jemand empfindet dieses warm hier in diesem Saal. Ich will etwas aufgreifen, was vielleicht eine Anzahl von Ihnen jetzt eben empfinden kann: warm.

Nun kann man, wenn man das empfindet, auf das Subjektive zu­rückgehen. Denken Sie sich, es macht dann jemand, der hier warm empfindet, die Augen zu, vergißt, daß die Leute da sind im Saal und sagt: Es saust. - Er nennt das Warmsein Sausen, weil er es auch so erleben kann, wenn er auf das Subjektive zurückgeht. Versuchen Sie nur einmal wahrzunehmen, wie es verschieden saust. Wenn es kalt ist, wenn Sie frieren, saust es ganz anders, als wenn es warm wird. Aber nehmen Sie einmal so, daß es fast Gewohnheit wird, das Warm­sein, daß Sie empfinden: Es saust...

Also warm = es saust.

Wenn Sie dies jetzt rein empfindungsmäßig schulen, dann lernen Sie dadurch diese Intonierung des warm anmessen dem, was Sie eigentlich ausdrücken wollen. Und so ist es gut, auch solche Übungen noch zu machen.

Kalt = es perlet.

Es perlet, und zwar in den Gliedern. - Und in dieser Weise, je mehr man sich solche Sachen selber bildet, desto besser ist es, in dieser Weise einenAusdruck für eine Empfindung in etwas überzuführen, was einem intimer, näher liegt. Also das Fernere überzuführen in die Bezeich­nung des Intimeren, das gibt der Sprache den inneren Gefühlston.

So haben Sie: innerer Gefühlston der Sprache,

der schöne Fluß der Sprache,

das sich nach außen Offenbaren,

das eindringliche Überzeugende der Sprache.

Diese Dinge sind eben nur auf technischem Wege wirklich zu ler­nen. Und der Schauspieler muß sie lernen.

Von solchen Dingen hat man einstmals instinktiv viel gewußt, und man hat die spirituellen, die geistigen Bedeutungen der Dinge gut

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gewußt. Und so war es zum Beispiel in der pythagoreischen Schule üblich, mit besonders dezidierten Rhythmen die instinktive Ent­wickelung des Menschen zu ergreifen und sie erzieherisch zu för­dern.

Nehmen Sie an, es fließt ein Versmaß trochäisch oder daktylisch ab: Sing, unsterbliche Seele, der sündigen Menschen Erlösung. - Ja, sehen Sie, solch einen Rhythmus, mehr ins Rezitativ-Gesangliche überführt, hat Pythagoras in seiner Schule benützt, um die Leiden­schaften leidenschaftlicher Menschen zu zügeln. Während er ganz gut gewußt hat, daß ein jambischer Fluß eher die Emotionen in Fluß bringt. Diese Dinge hat man eben durchaus gewußt, wie man gewußt hat, daß das Musikalische zurückführt zu den Göttern der Vorzeit, das Bildnerische zu den Göttern der Zukunft führt, und die Schau­spielkunst steht mitten darinnen als dasjenige, was die Geister der Gegenwart bannte.

Aber solche Gesinnungen muß man entwickeln. Sie müssen wieder­um unter die Menschheit kommen, damit die Kunst eingetaucht sein kann in ihr richtiges Element. Und es ist doch eigentlich merkwürdig, wie das Instinktive da wirkt.

Sehen Sie, als der österreichische Dialektdichter, der Piaristen­mönch Misson, eine Volksdichtung machte, da sieht man aus alledem, was er sonst getan hat, wenn man seine Biographie kennt, daß er eigentlich mit einer solchen Dichtung auf das Besänftigende wirken wollte; daher hat er keinen jambischen Vers gewählt, sondern, trotz­dem er Dialekt schreibt, den Hexameter:

Naaz, iazn loos, töös, wis a ta si, töös sickt ta tai Väda.

Gortsnim, wails scho soo iis! und probiast tai Glück ö da Waiden.

Muis a da sign töös, was a da sä, töös läs der aa gsickt sai.

Jh unt tai Muida san ilt und tahoam, wóast as ee, schaut nix aussa.

Wäs ma sih schint und rackert und plickt und ibi ta scheert töös

Tuit ma für d'Kiner, was tuit ma nöd ills, bald 5' nöd aus der Art schlág'n! -

Iis ma aamil a preßhafts Leut und san schwari Zaiden,

Graifan 5' am aa, ma fint töós pai artlinga rechtschiffan Kinern

und so weiter. Man fühlt darinnen das Besänftigende.

#SE282-353

Will man direkt zurn Spirituellen hinüberleiten, hinaufleiten zur spitituellen Bewegung, will man vom Physischen ins Geistige hinein­führen, dann muß man in einer sanftgestalteten Sprache gerade aber jambisch gestalten.

Und da haben Sie auch eines der Motive, warum Goethe eben seine Jamben-Dramen geschrieben hat, warum die Mysterien zum großen Teil in Jamben geschrieben sind und so weiter. Das sind Dinge, welche durchaus lebendig werden müssen, wenn wir wiederum Schauspiel­schulen bekommen wollen. Und da muß man wissen, wie die Sprache lebt, wie die Gebärde lebt, wie alles dasjenige wirkt im weiten Um­kreis, was auf der Bühne vorgeht. Daran wollen wir dann morgen anknüpfen. Wie gesagt, ich habe noch morgen und Dienstag zur Ab­rundung zwei Vorträge über Sprachgestaltung und dramatische Dar­stellung.

#SE282-354

SCHEMA

Hum, ham, häm, him

Erde Wasser Luft Feuer

d h

t ch

b l

p l r sch

g 5

k f

m w

n

warm: es saust

Diele

Lied Reihe

Tal leer reich

Latte kalt: es perlet rasch

Beil schief Reis

Leib schlank reif

Keil

Stoßwellen

veiw

ACHTZEHNTER VORTRAG Dornach, 22. September 1924 Die Lautgestaltung als Offenbarung der menschüchen Gestalt Die Atembehandlung

#G282-1969-SE355 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

ACHTZEHNTER VORTRAG

Dornach, 22. September 1924

Die Lautgestaltung als Offenbarung der menschüchen

Gestalt Die Atembehandlung

#TX

Es kommt ja doch wohl als ein Ergebnis unserer Betrachtungen das heraus, daß auf der einen Seite für die praktische Bühnenkunst die Gutwilligkeit notwendig ist, sich in die wirklichen, vom spirituellen Leben getragenen ersten Elemente der Sprachgestaltung, der Gebär­dengestaltung zu vertiefen, und daß auf der anderen Seite notwendig ist, durch das Hereinstellen der Bühnenkunst in das ganze Leben, eine Gesinnung, die von Spiritualität durchdrungen ist und auf den Bah­nen, auf den Wegen der Spiritualität sich bewegt, in unsere Herzen zu pflanzen. Dann wird es wirklich möglich sein, sich als Schauspieler so hineinzustellen in das Leben, wie ein wirklicher, vom Geiste ge­tragener Künstler sich in das Leben hineinstellen muß. Und ein vom Geiste getragener Künstler muß in der Lage sein, durch sein Wirken und Wesen das Künstlerische zu jener Führung in der Zivilisation zu bringen, zu welcher es berufen ist, und ohne welche die Zivilisation verdorren und veröden müßte.

Das ist wohl auch die ernste Stimmung, aus der heraus die Wünsche gerade nach diesem Kursus aus einer Reihe von Persönlichkeiten ge­kommen sind. Und wir werden diese Wünsche nun weiter festhalten müssen, werden zum Beispiel gerade vom Gesichtspunkte der Büh­nenkunst aus ins Auge fassen müssen, wie in der menschlichen Ge­staltung im umfassendsten Sinne sich die Welt am bedeutsamsten, am intensivsten offenbart. Und in den Empfindungen, die wir der Men­schenoffenbarung entgegenbringen, werden wir wiederum Leit­impulse finden, um zunächst das Elementarische an das Göttlich-Geistige anzuknüpfen.

Und so wollen wir denn heute davon ausgehen, noch einmal als eine Offenbarung der menschlichen Gestalt die Wortgestaltung, die Lautgestaltung zu betrachten. Wenn wir hinschauen zu dem sich offenbarenden

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Menschen, so treten uns, insofern er sich durch die Sprach-gestaltung offenbart, zunächst seine Lippen entgegen. Und die Lip­pen sind zunächst das Offenbarende in der Sprachgestaltung.

Dasjenige aber, was zunächst von den Lippen aus sich offenbart, sind - ganz abgesehen jetzt von der Gliederung, die wir für die Laute vollzogen haben, in Blaselaute, Stoßlaute, Wellenlaute, Zitterlaute, ob nun das eine oder das andere in den Lippen sich offenbart - die Laute m, h, p; sie sind reine Offenbarungen der menschlichen Lippengestal­tungen; beide Lippen sind beteiligt.

1. beide Lippen: m bp

Sprechen wir etwas anderes mit den Lippen, so wirken wir nicht nur gegen die Sprachgestaltung, sondern auch ungünstig zurück auf den menschlichen Organismus. Sprechen wir diese Laute nicht immer mit der vollständigen instinktiven Bewußtheit, daß die Lippen die eigentlichen Akteure sind, wirken wir wiederum schädlich für die Sprachgestaltung und auch auf den menschlichen Organismus.

Ein zweites ist, wenn wir weiter hinein ahnend gehen in den Men­schen. Und da kommt zunächst das Zusammenwirken der Unterlippe mit den Oberzähnen, mit der oberen Zahnreihe in Betracht. In der Unterlippe, in den Muskeln der Unterlippe konzentriert sich in der intensivsten Weise alles dasjenige, was in dem Menschen geheimnis­voll selbst in seinem Karma vorhanden ist. In den Muskeln der Unter­lippe wellen und weben und strömen alle diejenigen Kräfte, welche durch die menschlichen Glieder gehen, in der mannigfaltigsten Art, so daß der ganze Mensch mit Ausnahme seiner Kopforganisation in demjenigen, was die Unterlippe als Akteur tut, zum Ausdrucke kommt.

Gegenüber den Muskeln der Unterlippe sind die Muskeln der Ober­lippe inaktiv. Sie sind mehr dazu bestimmt, daß sozusagen dasjenige, was in der Kopforganisation liegt, ins Muskelhafte ausläuft. Und wäh­rend die Unterlippe in ganz entschiedenem Sinne ein voller Ausdruck ist für den Menschen als Gliedmaßenmenschen, ist die Oberlippe in ihrer Bewegung nur aufzufassen als ein Mittel zum Ausdruck des­jenigen im Menschen, was in den m, b, j liegt. Wollen wir aber dasjenige,

#SE282-357

was mehr aus dem Menschen stammt, zum Ausdruck bringen, dann haben wir es zu tun mit dem Zusammenwirken von Unterlippe und oberer Zahnreihe, die in ihrer verhältnismäßigen Ruhe und Ge­schlossenheit die Kopforganisation zu einem besseren Ausdrucke bringt als die Oberlippe. In der oberen Zahnreihe konzentriert sich in Verfestigung dasjenige, was in der Menschheit nach Verfestigung strebt, was der Mensch aufnehmen will als die in ihm zur Ruhe ge­kommene Summe von Weltengeheimnissen.

Und dasjenige, was in der Summe von Weltengeheimnissen vom Menschen aufgenommen worden ist und zum Ausdrucke kommen will, preßt sich aus dem Zusammenwirken von Unterlippe und Ober-zähnen aus, wenn wir in der richtigen Weise zusammenwirken lassen die Unterlippe mit der oberen Zahnreihe im f i> w,

2. Unterlippe } f v w

obere Zahnreihe

was die Süddeutschen fast nicht können; die sprechen das w immer aus wie einen Zusammenfluß von u und e vokalisch; aber es wird das w richtig gesprochen aus der Vereinigung von Unterlippe und oberer Zahnreihe, wobei in Betracht kommt im Gegensatze zu dem v, wo die Unterlippe sich, ohne sich zu wellen, heranmacht an die obere Zahnreihe, daß sich die Unterlippe bei dem w wellt. Das fist ein volles Agieren der Unterlippe gegen die obere Zahnreihe hin.

Das weitere ist, wenn die beiden Zahnreihen im wesentlichen zu­sammenwirken. Da haben wir untere und obere Organisation des Menschen, Kopf- und Gliedmaßenorganisation im Gleichgewicht. Da ist die Welt hereingefangen durch den Menschen, und der Mensch wiederum will seine Eigenwesenheit in die Welt hinausschicken. Das ist dann der Fall, wenn wir im richtigen Wirken der Zähne aufein­ander, der Zaltureihen aufeinander zu sprechen haben: s c z.

3. Zahnreihen miteinander: s c z

Die Zähne sind daran allein beteiligt.

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Wenn wir weiter zurückgehen, kommen wir noch mehr in das Innere des Menschen, wo sich sein Gefühlsleben ausdrückt, wo sich sein Seelenhaftes ausdrückt, und wir müssen daher auch in der mensch­lichen Wesenheit weiter zurückgehen bis zur Zunge, und haben dann jene Offenbarung, welche durch Zunge und die obere Zahnreihe ent­steht. Während dasjenige, was der Mensch durch die Welt geworden ist, zwischen Unterlippe und der oberen Zahnreihe sich abspielt, spielt sich dasjenige, was der Mensch ist dadurch, daß er eine Seele hat, zwischen seiner Seele und seinem Kopfe ab, zwischen der Zunge und den Oberzähnen.

So daß wir hier haben: Zunge wirkt hinter den Oberzähnen. Und ich bitte, auf das Wort hinter den besonderen Wert zu legen. Dabei entstehen die Laute l n d t.

4. Zunge wirkt hinter den Oberzähnen:l n d t

Und hier ist es wichtig, daß tatsächlich, um zu einem gesunden und schönen Sprechen zu kommen, Übungen gemacht werden in der Schauspielschule, um ganz bewußt das zu vermeiden, was die Krank­heit des Lispelns in der Sprachgestaltung auswirkt. Die Krankheit des Lispelns besteht darinnen, daß die Zunge zu weit sich zwischen den Zähnen vorwagt. Es muß gelingen, mit dem Bewußtsein die Zunge soweit zu erfassen, daß man den Kardinalsatz alles Sprechens bewußt ausführt: Die Zunge darf beim Sprechen niemals jene Grenze über­schreiten, welche durch die beiden Zahnreihen gegeben ist, die Zunge muß immer hinter den Zähnen sein, niemals darf die Zunge die Zahn­reihe überschreiten. - Wenn die Zunge die Zahnreihen überschreitet, ist es so, als ob die Seele ohne Körper sich unmittelbar der Natur an­vertrauen wollte. Daher muß man Lispler dadurch kurieren, daß man sie daran gewöhnt, in möglichst früher Jugend n l dso aussprechen zu Tassen: n n n, l l l, d d d, daß sie die Zunge bewußt andrücken an die obere Zahnreihe. Das ist schwer; namentlich wenn man es hinterein­ander übt, wie es geschehen soll, so ist es etwas, was ermüdet, was so­gar den Eindruck macht, als ob es etwas verkrampfte. Aber schon der erste, der vor vielen Jahren darauf aufmerksam gemacht hat, daß

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man auf diese Weise Lispier kurieren soll, hat an jenen Leutnant erinnert, der Rekruten einzuexerzieren hatte, und der da sagte: Ja, Kinder, es ist schwer, aber was nicht schwer ist, das lernt man auch nicht.

Das fünfte, was in Betracht kommt, liegt im Menschen noch mehr zurück. Der Mensch muß lernen, bewußt zu erfassen, wie sich seine Zungenwurzel am Sprechen beteiligt. Das ist das fünfte, die Zungen-wurzel. Das lernt man, indem man möglichst weit hinten, eben mit Fühlen der Zungenwurzel auszusprechen lernt: g k rj qu. Dieses g k r, das an der Zungenwurzel gehalten werden muß, das man sich be­mühen muß, mit Bewußtheit an der Zungenwurzel zu sprechen, die­ses g k r ist dasjenige, was aus der Sprache heraus das Stottern eigent­lich auf dem Gewissen hat. Denn eigentlich liegt dem Stottern das zugrunde, daß nicht in der ordentlichen Weise instinktiv der Mensch fühlt, wie er g k sagen soll. Und da wird man sehen - wir werden gleich noch darüber sprechen -, wie es notwendig ist, sobald man Stottern bekämpft, dem Menschen zu Hilfe zu kommen dadurch, daß man ihn dazu bringt, tadellos g k r zu sprechen.

Nun, r bedarf sogar einer äußerlichen physischen Hilfe; r ist gut vorzubereiten, bevor man es bloß psychisch auf den Weg bringt, wenn man den Menschen mit Zuckerwasser gurgeln läßt.

Sie sehen, selbst dann, wenn äußerliche Mittel da sind, so ver­schmähe ich nicht, darauf aufmerksam zu machen. Und in bezug auf das r-Sprechen hat das Gurgeln mit Zuckerwasser einen außerordent­lich günstigen Einfluß. Aber Sie müssen wirklich gurgeln mit dem Zuckerwasser. Es ist insbesondere bei Kindern gut, wenn man sie dazu anleiten will, das r zur Sprache zu bringen.

Dann aber ist es notwendig, daß man sich überhaupt ein wenig be­kanntmacht - natürlich der angehende Schauspieler ganz bekannt­macht - mit demjenigen, das doch gewußt werden muß für das Spre­chen. Ich habe gesagt, dieses physiologische Heranexerzieren des Menschen zum Sprechen ist nicht dasjenige, um was es sich handeln kann, sondern dasjenige, um was es sich handelt, um in der richtigen Weise sprechen zu lernen, muß man von dem Sprachorganismus her­aus selber lernen.

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Zu all den Dingen, von denen wir gesehen haben, wie sie gelernt werden können an dem Sprachorganismus, kommt heute noch das dazu, daß man benützen lernt von m, b, p beide Lippen, von f v w Unterlippe und obere Zahnreihe, von s c z die zwei Zahureihen, daß die Zunge hinter den Oberzähnen bleiben soll bei l n dt und wie man die Zungenwurzel zu behandeln hat bei g k rj qu.

5. Zungenwurzel: g k rj qu

Die Lippen selbst sind die Lehrer. Man muß sie nur in der richtigen Weise engagieren. Faßt man dieses, so hat man den ganzen Kehl- und Mundorganismus zu Zöglingen der Laute selber gemacht. Und die Laute sind die Götter, die uns unterrichten sollen über das Sprachgestalten.

Aber eines muß man dennoch wissen aus all dem Wust heraus, der heute an die Menschen herangebracht wird, das ist, daß man im Spre­chen in aller Ruhe die ausgeatmete Luft verbrauchen muß, und daß das Sprechen unter allen Umständen schwach und schlecht wird, wenn man, ohne die Luft verbraucht zu haben, welche in den Lungen ist, eine neue Einatmung während des Sprechens macht.

Das ist sozusagen geradezu das Geheimnis des Sprachgestaltens, daß der Mensch weiß, das Sprachgestaltete beruht auf dem Verbrauche der in ihm vorhandenen Luft. Daher muß er sich daran gewöhnen, solche Übungen zu machen, die nun wiederum von der Sprache her genommen sind, bei denen er zunächst gründlich einatmet.

Worinnen besteht das gründliche Einatmen? Das gründliche Ein­atmen besteht darinnen, daß das Zwerchfell so weit heruntergedrückt wird, als durch die gesunde Natur des Menschen er es aushält. Und man muß in der Gegend des Zwerchfelles fühlen, daß die Einatmung tadel­los zustande kommt. So daß man als Lehrender nötig hat, in der Zwerchfellgegend durch Auflegen der Hand an dem Zögling bemerk­lich zu machen, wie da jene Erweiterung geschieht, die geschehen muß, jene Veränderung, die geschehen muß beim gründlichen Ein­atmen. Dann läßt man den betreffenden Zögling die eingeatmete Luft halten, veranlaßt ihn, nicht einzuatmen, indem er jetzt mit der Atemluft,

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die er bekommen hat, so lange Worte oder Silben zu sprechen hat, bis die ganze Luft wiederum ausgeatmet ist, so daß niemals eine Atempause gemacht wird, wenn noch Luft in der Lunge ist. Das hat sich der Instinkt des Sprechenden anzueignen, nicht zu atmen, bevor die eingeatmete Luft völlig verbraucht ist.

Man wird sich das in der richtigen Weise aneignen, wenn man ver­sucht, nachdem eingeatmet ist, einem bewußt geworden ist, was da in der Zwerchfellgegend vor sich geht, bis wiederum die Luft völlig verbraucht ist, man wird gut tun, zur Übung ein a dann anzusetzen und die Vokalfolge langsam zu sprechen, so daß sie einen Aus­atmungszug umfaßt: a e u, so lang man kann, bis man wieder den Atem braucht. Und dann dies ebenso mit den Konsonanten zu machen:

k l sf m halten während eines Atemzuges. Und in diesem Üben, des­sen Gipfelung darinnen besteht, die Atemluft völlig zu verbrauchen, bevor man neu einatmet, liegt auch die einzige, wirklich ganz gesunde Heilmethode für das Stottern. Daher ist es für das Stottern so außer­ordentlich gesund, wenn man den Betreffenden gewisse rhythmische Übungen machen läßt, weil ihm ein guter Rhythmus von vornherein es eingibt, richtig zu atmen. Man ist gedrängt, richtig zu atmen, wenn man sagen soll:

Und es wallet und woget und brauset und zischt, (Atem)

Wie wenn Wasser mit Feuer sich menget.

Man kann die Atemluft durch die Zeilen halten. Man ist dazu ge­drängt. Das ist dasjenige, was notwendig ist im Üben, daß man tat­sächlich nicht hineinatmet, während im Sprechen noch nicht alle Atemluft verbraucht ist. Und das ist die Ursache des Stotterns. Der Stotterer hat eigentlich in sich eine organisch gewordene Angst, die ihn immer nach Luft schnappen läßt. Daher braucht er etwas, was ihn dazu verleitet, nicht aus der Angst, aus der Furcht, nach Luft zu schnappen. So daß man dem Stotterer beikommt unmittelbar, nach­dem er im Stottern ist, wenn man ihm sagt: Na, so sing' oder dichte!

Der Angst und Furcht ist wieder der Zorn verwandt, und so will ebenso der Zornige nach Luft schnappen, aber es sind Zorn und Angst organisch geworden, so daß nur durch langsame Übungen die Dlnge verbessert werden können.

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So ging es bei dem bekannten Apothekerprovisor. Sie kennen wahr­scheinlich die Geschichte. Es war ein Five o'clock tea im Hause. Der Apothekerprovisor, welcher stotterte, wenn er im Angstzustande war, stürzte herein und brachte es nur dahin, zu sagen: die Apo, die Apo­the, Apothe, Apothe - das k ging nicht, er kam nicht über das k hin­aus, so daß der Prinzipal, der nun seine Gesellschaft hatte und wissen mußte, weil jener ganz blaß vor Angst war, was da vorgeht, sagte:

Nun, so sing' doch, Kerl! - Und da sang er ihm vor, ganz richtig:

Die Apotheke brennt. - Das hat er ganz richtig gesungen. Man mußte auch sogleich in den Keller hinunter, denn da brannte es furchtbar. Mit Singen ging es.

Wenn es durch Übungen gemacht wird, geht es dauernd dann. Es gehört nur natürlich die nötige innere Energie zu solchen Übungen dazu. Wenn dann doch wiederum Unbewußtheit kommt, so kommt wiederum, weil es organisch geworden ist, das Stottern herauf. In dieser Beziehung war mir außerordentlich interessant ein dichtender Freund, der stotterte. Aber er hatte es dahin gebracht, seine Gedichte immer in vollem Rhythmus in langen Versreihen den Leuten vorzu­lesen, ohne im geringsten zu stottern, ohne daß man wußte, daß er stotterte. Aber er war ein Mensch, der sich leicht über Sachen auf­regte. Da kam dann, wenn er im gewöhnlichen Gespräch gerade war, das Stottern immer wieder hervor. Er hatte zum Beispiel nie die Aus­dauer, diese Übungen zu machen. Und so passierte es, daß er von einem Menschen, der nicht gerade sehr taktvoll war, eines Tages ge­fragt wurde: Herr Doktor, stottern Sie immer so? - Da sagte er:

Nnnnur, wenn ich jemand gegenüberstehe, der mir gggänzlich un­sympathisch ist.

Es ist also so, daß dasjenige, was an falscher Sprachgestaltung vor-liegt, bis ins Organische hineinkommen kann bei den Lisplern, die also nicht in der richtigen Weise Zunge und Oberzähne beil n d t zu behandeln wissen, und bei den Stotterern und Stammlern namentlich, die nicht in der richtigen Weise die Zungenwurzel zu behandeln wis­sen, denn die Zungenwurzel ist dasjenige, was schlecht reagiert, wenn man schlecht atmet. Und daher werden g k und r - das r ein wenig noch durch Zuckerwasser versüßt - die Lehrmeister.

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Aber wir müssen schon, ich möchte sagen, diese gebetartige Hin­gabe an die göttethaften Wesenheiten haben, welche in den Lauten vorliegen, dann werden sie unsere allerallerbesten Lehrmeister sein. Und es geht alles von der Atembehandlung, was über das Angegebene hinausgeht, über dieses instinktive Gefühl: Du mußt erst einatmen beim Sprechen, wenn du in der Lunge keine Lufr mehr hast - in das Intellektualistische hinüber. Dieses instinktive Wissen davon, daß man so lange die Luft verbrauchen soll, als sie da ist, das ist dasjenige, was eigentlich in bezug auf die Atemgymnastik das einzige ist, was für die Sprachgestaltung - aber da eben das Allerunbedingteste darstellend -notwendig ist, was aber eigentlich gelernt werden kann nur auf die Ihnen skizzierte Weise durch Übung und gelernt werden sollte in jeder wirklich ordentlichen Vorbereitungs schule für die Bühnenkunst.

Denn sehen Sie, meine lieben Freunde, nur wenn wir in die Lage kommen, Religiosität, möchte ich sagen, religiöse Stimmung in unsere eigene Kunst hineinzubringen, sind wir in der Lage, über die Gefah­ren, die im künstlerischen Wirken leben und die insbesondere bei der Schauspielkunst stark hervortreten, ja sogar moralisch korrumpierend als künstlerische Dinge selber wirken können, hinauszukommen. Wir müssen zu dem Ungewöhnlichen greifen, religiöse Verehrung für diese göttlichen Lehrmeister, die Laute, haben zu können, denn in ihnen liegt ursprünglich eine ganze Welt. Wir dürfen nicht vergessen, wenn wir Gestalter des Wortes werden wollen, daß im Urbeginne das Wort war, und daß das Johannes-Evangelium das Wort meint trotz aller gegenteiligen Interpretationen, das weisheitserfüllte Wort. Es muß da religiöse Stimmung hineinkommen. Denn in welcher Gefahr schwebt denn eigentlich der Schauspieler und namentlich auch der Regisseur?

Sehen Sie, man steht ja als Schauspieler und Regisseur auf und hin­ter der Bühne. Und das ist wirklich eine ganz andere Welt als die Welt des Zuschauerraumes. Und beide Welten müssen zusammengehen, müssen unbedingt zusammengehen. Und es darf nicht so sein, daß man da im geringsten auch nur daran denken möchte, daß man nicht Bühne und Zuschauerraum zum harmonischen Zusammenwirken bringt. Das muß geschehen. Aber wie verschieden sind sie denn eigentlich!

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Denken Sie doch nur einmal, wenn man auf der Bühne und hinter der Bühne ist, gibt es eine Wirklichkeit, und diese Wirklichkeit muß sich verwandeln in ihrer Offenbarung in den Zuschauerraum hinein in eine Illusion. Aber wenn man auf der Bühne steht oder hinter der Bühne, kann sie nicht Illusion sein.

Dasjenige, was vorne im Zuschauerraum eine scheuvolle, liebliche, anmutige oder auch mystische Illusion ist, verwandelt sich, wenn man auf der Bühne steht und hinter der Bühne steht und zu tun hat, in trivialste Wirklichkeit.

Es konnte einem das so recht entgegentreten, als ich einmal mit einer Truppe zusammen einzustudieren hatte, Maeterlincks «L'Intruse». Da beruht ja ein Wesentliches darauf, daß nach und nach von ferne Töne herankommen, die geheimnisvoll wirken und eigentlich auf ihrem Herströmen den Tod bringen desjenigen, welcher im Neben­zimmer sterbend liegt. Das, sehen Sie, muß im Zuschauerraum eine ganz mystisch geheimnisvolle Stimmung abgeben. Nun müssen Sie das alles in Trivialität verwandeln. Sie müssen dahinten irgendwo in den Kulissen möglichst ein Geräusch machen lassen wie fernes Sensen­dengeln, aber Sensendengeln, welches die erste Ankündigung von etwas mystisch Scheuvollem in der Ferne bedeutet. Sie müssen irgend­ein Geräusch näherkommen lassen. Sie mussen vielleicht dann einen Schlüssel im Schlüsselloch umdrehen lassen von jemandem, der her­einkommt. Denken Sie, solche Trivialitäten sind ja dann da! Nun, das alles auszudenken, ist natürlich geeignet, vollständig dasjenige, was dann im Zuschauerraum sein soll, in die alleräußerste Trivialität um­zuwandeln.

Ich wollte dabei nun eine ganz besondere Steigerung noch haben. Ja, hinter der Bühne redet man über diese Dinge mit einer rührenden Technik, die gleichgültig ist gegenüber all denjenigen Empfindungen, die dann der haben soll, welcher draußen im Zuschauerraum die Illu­sion erleben soll. Ich bemerkte, daß jemand aufstehen könnte gerade in dem Moment, wo schon der Schlüssel im Schlüsselloch sich um­gedreht hatte und einer hereingekommen war. Ich ließ einen also auf­stehen, den Stuhl dabei hart aufstoßen, aber dieses Aufstehen, wobei der Stuhl umfiel, war höchste Steigerung in der Illusion des Zuschauerraumes.

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Das war dasjenige, was einfach im Zuschauerraum, nachdem es auf das andere folgte, man möchte sagen, tatsächlich die Herzen fast steif machte in dem Erschauern.

Ein Stuhlumfallen auf der Bühne: man hat das in trockener, trivia­ler Prosa vor sich, und unten ist die Illusion - die Gansehaut.

Ja, sehen Sie, man darf diese Dinge nicht etwa so behandeln, daß man nun reformierend auftreten will und sagt: Diese Dinge darf man nicht machen. - Man muß sie natürlich machen und je mehr man sie machen kann, desto besser ist es. Aber man muß in seinem Herzen eine um so größere Hingabe an das Geistige haben, damit man erträgt, was sich einem hinter der Bühne und in den Kulissen vertrivialisiert.

Dazu braucht schon der Schauspieler seine Umwandelung der Emp­findungen bis zum Durchdringen einer religiösen Stimmung gegen­über der ganzen Kunst. Und so wie man, wenn man eine Ode schreibt, nicht gerade daran denkt, wenn man in der Ode-Stimmung darinnen ist, daß die Tinte unangenehm aus der Feder fließt, weil man eben in der Ode-Stimmung darinnen ist, so muß man, wenn man die Bühne betritt, instinktiv die Stimmung entwickeln können, welche selbst beim einfachen Stuhlumschmeißen nicht ein Gefühl davon hat, etwas anderes als dabei etwas Geistiges zu tun.

Erst wenn man zu dieser Stimmung hinaufkommen kann - und von dieser Stimmung hängt es ab, ob Schauspielkunst weiter gedeihen kann oder nicht -, wird die Schauspielkunst durchdrungen sein kön­nen von dem, wovon sie durchdrungen werden könnte. Das aber kann man nicht durch sentimentale Redensarten erreichen, das kann man wiederum nur durch Realitäten erreichen. Und Realitäten sind es, wenn uns die Laute in ihrem geheimnisvollen Raunen zu Göttern wer­den, welche die Sprache in uns gestalten. Dieses Grundgefühl brau­chen. wir. Dieses Grundgefühl macht schon auch das Künstlerische aus.

So weit, meine lieben Freunde, muß gegangen werden, daß wir kei­nen Augenblick das Bewußtsein verlieren, daß die Illusion im Zu­schauerraum hervorgerufen werden muß durch eine geistig empfun­dene Wahrheit in der Seele des Schauspielers und des Regisseurs. Das braucht man. Das muß aufgenommen werden, trotzdem der Zuschauetraum,

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das heißt diejenigen, die darinnen sind, heute wahrhaf­tig uns nicht dasjenige Bild abgeben, welches wir gerne von der Bühne aus haben möchten.

Aber wenn die Gesinnung auftritt, von der ich jetzt gesprochen habe, dann wird das auf imponderable Weise am schnellsten die Fort­entwickelung der Zuschauer bilden zu dem Standpunkte, den wir gerne haben möchten. Aber nicht kann inan es tun durch allerlei Pro­gramme und durch allerlei Versprechungen, die man ausgibt, wenn man das oder jenes inauguriert, sondern einzig und allein dadurch, daß dieses Seelisch-Geistige waltet über der Unternehmung, welche die Schauspielerische ist, kann wirklich Günstiges erzeugt werden.

Dagegen muß gerade in der Gegenwart schon erkannt werden, daß es schwieriger sein wird, unendlich viel schwieriger, die richtige Stim­mung herauszubringen zum harmonischen Zusammenwirken zwi­schen der Schauspielkunst und dem, was man im weitesten Umfange die Kritik nennt. Und ein großer Teil der Schwierigkeiten, in denen sich die heutige Schauspielkunst befindet, rührt schon her von der unnatürlichen Lage der Kritik. Denn es wird in Wirklichkeit doch nicht kritisiert heute, sondern es wird - man kann das schon sagen, weil es ja typisch ist, nur etwas ins Extrem getrieben - ver-kerr-t und wird ge-harden-t. Beides mag sehr geistreich sein, macht ja auch Schule, insbesondere das Hardenen hat in der günstigsten Weise Schule gemacht. Aber sehen Sie, so wie ver-kerrt wird und ge-har­dent, so geht das aus einem rein negativen, unkünstlerischen Prinzipe hervor. Und man darf sich nicht, denn die Leute, die verkerren und hardenen sitzen überall, auch in den kleinen Städten - es wird ja Schule gemacht -, verführen lassen dadurch, daß man der Meinung ist, da läge doch irgend etwas darinnen, was mit Kunst zusammenhängt. Es liegt eben gar nichts darinnen. Es ist im höchsten Sinne gleichgültig und muß insbesondere vom Schauspielenden als gleichgültig auf­gefaßt werden gegenüber dem, was er künstlerisch will und tut. Und er muß nötigenfalls selbst so weit gehen können, daß er ein r in ein h verwandelt, und gegen das Kerren das Kehren, nämlich das Auskeh­ren der Kritik fordert. Das geht aus einem negativen Prinzip hervor.

Mir trat es einmal merkwürdig interessant entgegen in seiner historischen

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Entstehungsweise. Ich konnte diese ganze Schriftstellerei, weiche dann in die Kritik hineingegangen ist, im status nascendi fest­halten. Es war in einer größeren Gesellschaft vor vielen Jahren in Berlin, da war auch der damalige Chefredakteur Levysohn vom «Ber­liner Tageblatt». Ich kam mit ihm in ein Gespräch, und zwar in ein Gespräch über Harden, denn man kann ja nicht leugnen, Harden war im Anfange der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts eine inter­essante Persönlichkeit, so wie er auftrat, außerordentlich murvoll auf­trat. Nur eben, wenn man da wiederum hinter den Kulissen war, ver­lor man manche Illusion. Er war aber eben doch, nicht wahr, eine Potenz. Nun kam ich mit Levysolin, der dazumal Chefredakteur vom «Berliner Tageblatt» war, über Harden, indem ich seine guten Seiten anführte, in ein Gespräch. Und da sagte mir der Levysohn folgendes:

Ja, so einen Harden, den müssen Sie nur begreifen. Sehen Sie, das ist jetzt schon lange her, da war der Harden aus der Provinz gekommen, ist ein kleiner Schauspieler gewesen, ist davongelaufen und wollte in Berlin etwas verdienen. Ich habe damals gerade - sagte Levysohn -ein Montag-Morgenblatt arrangiert, aus dem dann der eine Teil des «Berliner Tageblatt» entstanden ist. Das wollte ich möglichst gut haben, es sollte ein Geschäft gemacht werden. Am Montagmorgen sollten die Leute alle - es war das erste Morgenblatt, welches in Berlin gemacht worden war -, so wie Zuckerwasser, das Montag-Morgen-blatt kaufen. Aber da hatte ich mir etwas ausgedacht, was ich recht schlau finde, wodurch ich eigentlich der Urheber bin davon, daß Hat-den einen so guten Stil schreibt. Denn das hat der Harden mir zu ver­danken - sagte Levysohn. - Ich habe damals solche Herrchen an­genommen, die so dahergelaufen waren und was verdienen wollten, von denen ich mir sagte, daß sie zuweilen ein bissel Talent haben, aber nicht viel. Man kann ja alles aus den Leuten machen, wenn man es richtig macht! - Das war der Zynismus eines damaligen Chef­redakteurs durch die achtziger bis in die neunziger Jahre und durch diese durch. Da war der Harden dabei.

Levysohn sagte ihnen: Wisset, Ihr bekommt so und so viel monat­lich. Ihr braucht gar nichts anderes zu tun, als den ganzen Tag im Kaffeehaus zu sitzen und alle Zeitungen zu lesen. Der eine liest alle

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politischen Artikel, der andere alie künstlerischen, Malerartikel der eine, der andere liest alle Artikel über Schauspielkunst, und dann braucht Ihr Euch bloß am Sonntagnachmittag hinzusetzen, und jeder schreibt einen Artikel, der dadurch entsteht, daß er anders ist als alle anderen, welche er die ganze Woche durch gelesen hat. - Das hat der Harden sehr gut getroffen. Er hat immer einen Artikel gebracht -sagte der Levysohn -, in dem alles anders stand, als was er die ganze Woche gelesen hat. Und sehen Sie, das ist Hardens Kunst geblieben. So hat er dann die «Zukunft» gemacht. Daher bin ich schuld daran, daß der Harden ein so guter Schriftsteller geworden ist - sagte der Levysohn

Aber sehen Sie, das ist auch so ein Stück Desillusionierung, wenn man auf dieser Bühne - und das ist ja auch eine Bühne, die Zeitungs-schreiberei - hinter die Kulissen schaut. Und da ist dann das Publikum nicht so leicht zu kurieren, als dasjenige, welches im Zuschauerraum sitzt. Da ist nur wirklich zu kurieren, wenn die Stimmung eintritt, daß man weiß, wie wenig Beziehung eigentlich heute ist zwischen der Kritik, die ganz auf Negativem fußt, und demjenigen, was eigentlich künstlerisch gewollt werden muß.

Und gerade über diesen Punkt im großen, über dasjenige, was für den Schauspieler und seine Kunst folgt aus seinen Beziehungen zum Publikum und zur Kritik, möchte ich dann die Betrachtungen ge­stalten, mit denen ich morgen diesen Zyklus zum Abschiuß bringe.

NEUNZEHNTER VORTRAG Dornach, 23. September 1924 Das Wort als Gestalter

#G282-1969-SE369 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

NEUNZEHNTER VORTRAG

Dornach, 23. September 1924

Das Wort als Gestalter

#TX

Zunächst möchte ich heute einiges darüber sagen, in welchem Sinne aufgenommen beziehungsweise dann in die Arbeit hinübergenommen werden sollen solche Ausführungen oder Anweisungen, wenn Sie sie so nennen wollen, wie auch diejenigen gestern wieder waren, wo die Sprachgestaltung als Kunst aus der Sprache selbst herausgeholt wer­den soll. Es ist ja durchaus so, daß der gesamte Umfang des Laut-systems, wenn wir das pedantisch so nennen, natürlich in der mannig­faltigsten Weise abgestuft nach dem, was in den verschiedenen Spra­chen vorliegt, darstelit alles dasjenige, was von den Sprachorganen ausgehend mit der gesamten menschlichen Organisation zusammen­hängt.

Man muß sich das so vorstellen. Nehmen wir zunächst einmal nur eine etwas gröbere Gliederung. Wir können nach dem, was gestern ausgeführt worden ist, weitere, mehr gegen den Gaumen, gegen die Gaumengegend zu liegende Lautentstehungen ins Auge fassen. Wenn wir diese Lautentstehung, alles dasjenige, was vorgeht, indem solch ein Laut gebildet wird, ins Auge fassen und einen Sinn dafür haben, nun durch den ganzen Menschen hindurch das zu verfolgen, so kom­men wir bei den eigentlichen Gaumenlauten, namentlich auch bei den Kehilauten, aber in der Hauptsache bei den Gaumenlauten dazu, dem Gang eines Menschen anzusehen, ob er in den Gaumenlauten Festig­keit oder Lässigkeit hat, ob die Persönlichkeit ganz in die Gaumen-laute hineingeht oder nicht. So daß man sagen kann: Was durch den Gaumen gesprochen wird, geht durch den ganzen Menschen bis in Ferse und Zehe, hängt also mit der ganzen menschlichen Organisa­tion zusammen. Was mit der Zunge gesprochen wird, hängt vorzugs­weise mit all dem zusammen, was diejenige Partie des Menschen um­fassen würde, die der Kopf ist bis zu der Oberlippe, nicht die Unter­lippe mit, und von da, mehr nach rückwärtsgehend zum Rückgrat,

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die Rückengegend umfassen würde, diesen Abschnitt des Menschen. Was mit Lippen und Zähnen gesprochen wird, hat mehr mit Brust und überhaupt vorderen Partien des Menschen zu tun. So daß eigentlich der ganze Mensch in der Sprache darinnenliegt. Man kann ganz gut die Sprache die Schöpferin der menschlichen Gestalt nennen nach die­sen drei Richtungen hin.

Wenn man das bedenkt, so wird man auch finden, daß der Bühnen-gang zum Beispiel aus den Gaumenlauten am allerbesten mitgeübt werden kann. Also bis zum Bühnengang hin kann die Sprache ge­staltend gerade für das Schauspielwesen wirken.

Nun ist das einmal so, daß auf der Bühne anders gegangen werden muß, wenn es so aussehen soll, wie es im Leben ist. Wenn man so geht auf der Bühne, kann es niemals dem ähnlich sehen, wie man im Leben geht. Das aber eignet man sich wiederum gerade durch die Sprache am besten an. Nur ist es nicht möglich, darüber alle Regeln zu geben, sondern das ist etwas, was eigentlich im Üben selber aus­gearbeitet werden muß.

Aus alledem aber ersehen Sie das Folgende: Es ist nicht gemeint, wenn so von den Lauten als den Lehrern der Sprachgestaltung ge­sprochen wird, daß das, was da nun an den Lauten erlernt wird, nur für die betreffenden Laute gilt. Das würde voraussetzen, daß nun die Dichter und Dramenschreiber nur dorthin, wo Sie die betreffenden Dinge haben wollten, die entsprechenden Buchstaben setzen. Das tun sie nicht. Aber das, was ich meine, ist nicht eine Anweisung, bloß die Buchstaben auszusprechen - das liegt schon auch darinnen -, sondern es ist eine Anweisung, ganz im allgemeinen in das rechte, schöne, ffie­ßende Sprechen sich hineinzufinden. So daß dann dasjenige, was man lernt an den Kehllauten, auch übergeht an die Lippen- und Zungen-laute, und daß überhaupt das Durchströmeniassen des Wortes durch die Seele aus den entsprechenden Übungen folgt.

Also es ist nicht etwa so gemeint, daß nun der Schauspieler acht-geben soll, wo ein d oder ein g oder ein k vorkommt, damit er die Sache so ausspricht, sondern es ist vielmehr gemeint: wenn man mit den Lauten solche Übungen macht, wie ich sie angeführt habe, dann wird die Sprache der große Lehrmeister für die darstellende Kunst.

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Und das geht hinein bis in die Gefügigmachung des Körpers. Der wird bis in seine Organbildungen hinein geschmeidig gemacht, brauchbar gemacht für die darstellende Kunst, wenn diese Lautübungen in solch systematischer Weise durchgeführt werden, wie ich es dargestellt habe.

Deshalb verwies ich auch immer auf die Schauspielschule, die solche Übungen in sich schließen soll. Und gerade dadurch wird dasjenige erreicht, was ich gestern so sehr als das Gesinnungsmäßige bezeich­nete, ohne welches die Kunst nicht sein kann. Denn, was hat der Zu­schauer? Der Zuschauer hat das alles niemals expliziert, im Bewußt­sein anwesend gehabt, was in den einzelnen Lauten lebt. Er kennt nur Sinnbedeutungen, er kennt nicht Lautbedeutungen, er kennt nur das­jenige, was der Idee nach im Worte liegt. Und es ist dann schon, wenn man ganz eintritt in die Lauterfühlung, ein Abgrund zwischen dem Zuschauer und dem Schauspieler, ein Abgrund, welcher den Schau-spieler an derjenigen Seite zeigt, wo das Schauspiel für ihn nicht bloß zu dem wird, was es für den Zuschauer ist, sondern wo es für ihn zu einer wirklichen Art von Opferdienst wird; Opferdienst, durch den das Geistige in die Welt des Physischen hereingetragen wird.

Das wird nicht, wenn man nicht erst die ganze Seelenstimmung da­durch umgeartet, umgearbeitet hat, daß man in dieser Weise von den groben Ideenbedeutungen der Worte übergegangen ist zu dem frinen, ich möchte sagen, in Vibrationen ablaufenden Erfühlen desjenigen, was in den Lauten liegt. Und man kann wirklich in den Lauten nach und nach so fühlen lernen, daß einem auch die Silben voll werden. Ich will gleich andeuten, was ich damit meine, denn für den Schauspieler müssen die Silben voll werden.

Bedenken Sie nur einmal, Sie haben das Wort betrüblich. Das wird nun einmal so ausgesprochen, wie eben heute Worte ausgesprochen werden. Dadurch steht man da im Leben und bezeichnet etwas. Aber man erlebt eigentlich nichts. Man erlebt nicht im Worte etwas. Und man muß einmal übergehen zu jenem Fühien, das da in die Worte hinein, in die Silben hinein, durch die Silben in das Wort kommt, zu jenem Fühlen und zu jenem Empfinden, die da liegen in den Lauten.

Fangen wir einmal bei dem «lich» an. Wir haben den Wellenlaut l. Wir fühien das Flüssige. Es wellt. Wir haben das ch, wo wir das Wel­len

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gestalten; ch gibt der Welle einen Abschiuß. Und das i bedeutet eben nur, daß man auf das hinweisen will, was da gestaltet ist. Man bekommt allmählich schon das Gefühl, daß in diesem «lich» etwas liegt, was sich sonst anfühlt in dem Worte «gleich», menschengleich, löwengleich. Da müssen wir noch die Worte gebrauchen, weil wir noch nicht soweit gekommen sind, das gleich in ein «lich» zu ver­wandeln, denn das «lich» ist die Metamorphose von «gleich». Löwen-gleich würde, wenn das Wort ebenso untergetaucht wäre in den gan­zen Sprachstrom wie andere Worte, wenn man es so gebraucht hätte, daß man es immerfort und immerfort durch den Gebrauch der Sprache einverleibt hätte, heute heißen: «löwenlich», und menschengleich würde heißen «menschenlich», denn in dem «lich» ist gar nichts ande­res enthalten als der Ausdruck, daß die Bewegung erfaßt wird, die einem das Gleiche ausdrückt.

Und fühlen Sie einmal das «lich», indem Sie meinetwillen ein Sam­metkissen streicheln, das heißt, darüberwellen, die Form fühlen und sich das einverleiben. Dann können Sie sagen: Ich habe in diesem Fühlen den Charakter eines Menschen erlebt, dem dieses, was ich da gefühlt habe, gleich ist.

Aber noch weniger fühlt man ja in betrüblich das Trübe, und doch ist es drinnen so trüb, wie es beim Nebel trüb ist: so wird die Seele. Diese Anknüpfung an dasjenige, was unmittelbar vorliegt, das ist das, was einen wiederum in der Auffassung sehr gut vorwärtsleitet, in der Auffassung des zu Sagenden, zu Sprechenden. Denn sehen Sie, daß da ein ü darinnen ist, wir können es schon fühlen nach der besonderen Lautempfindung, die wir angeführt haben in dem Lautkreis. Aber was bedeutet denn überhaupt der Umlaut?

Der Umlaut bedeutet immer ein Zerstäuben, daß vieles wird aus einem oder wenigem. Es ist ursprünglich das so, daß man sagt: Bru­der. Während man den als einen vor sich hat, kann man ihn ganz ordentlich als einen unterscheiden. Sind es mehrere, dann lenkt sich die Aufmerksamkeit ab von dem einen, und es wird daraus: Brüder. So hat das ursprüngliche Dialektische: der Wagen, die Wägen. Immer wenn die Mehrzahl kommt, tritt der Umlaut ein. Es ist ein Versprühen des Sinnes, wenn der Umlaut eintritt.

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Daher ist der Ausdruck: trübe - für das Zerstäubtsein des Wassers, wodurch die Trübe entsteht, eine gut gefühlte Silbe. Und dieses dann im Vergleich mit dem Seelischen, das noch dazu ausdrückt, die Seele wird der Trübe gleich, gibt eine Vollsaftigkeit für das Empfinden des Wortes. Und das b? Sie brauchen ja nur einmal Analoga zu suchen; denken Sie an «denken» und setzen Sie b voran. Denken ist denken im allgemeinen. Wenn Sie sagen bedenken, so lenken Sie das Denken auf etwas Bestimmtes hin. Dieses Hinlenken auf etwas Bestimmtes, was die Seele trübe macht, das wird eben ausgemacht durch das Be­trübliche. Solche Dinge sind wiederum nicht dazu da, um etwa jetzt einen Dramentext darnach zu analysieren. Darum kann es sich nicht handeln, sondern dazu sind sie da, daß man eine Zeitlang geradezu lebt während der schauspielerischen Schulung in dem Sich-Hinein-leben in die innere Wortsubstanz, bis man sie bis zur völligen Konkret­heit hat. Es ist betrüblich für mich = es senkt sich in mein Gemüt nebelgleiche Stimmung.

Und wenn man nun in seinem Gemüte das eine, das Umschreibende, für das andere eintreten lassen kann, dann kommt der nötige Seelen-und Herzenston in das Wort hinein, das man zu sprechen hat. Und darauf ist so ungeheuer viel zu sehen, daß man nicht auf willkürliche Weise - ich will betonen, ich will pointieren - in diese Dinge hinein-kommt, sondern daß man wirklich wiederum aus dem Charakter der Sprache selber hineinkommt.

Denn, meine lieben Freunde, die Sprache hat noch das Eigentüm­liche, daß sie auf ihren Schwingen die ganze Skala menschlicher Emp­findungstätigkeit im Laut, im Ton zum Ausdrucke bringt. Die Sprache ist als gesamter Organismus ein vollempfindender Mensch, meinet­willen könnten Sie auch sagen, eine ganze Versammlung von voll-empfindenden Göttern. Durch solche Dinge wird einem die Sprache immer objektiver, gegenständlicher. Man bekommt sie endlich wie eine Art Tableau, an das man herantritt.

Und da komme ich jetzt zu dem, was leicht auszusprechen ist, was ich Ihnen aber sagen möchte als etwas, das einen Orientierungspunkt darstellt, und weswegen ich eigentlich noch gerade die heutige Stunde halten wollte, da komme ich zu dem: Der gewöhnliche Mensch redet

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aus seiner Kehle, aus seinem Munde heraus, er weiß nicht wie, er redet halt aus dem Munde heraus, weil da der Mechanismus darinnen ist, der das macht. Daß man über dieses, was nun in Betracht kommt für die künstlerische Sprachgestaltung, nicht die richtige Empfindung in der neueren Zeit überhaupt entwickelt, das konnte man auf einem ganz anderen Gebiete sehen.

Sehen Sie, als ich ganz jung war, so vierundzwanzig, fünfundzwan­zig Jahre, da bot sich mir gerade Gelegenheit, zu beobachten, wie ungeheuer viele Leute durch damals auftretende Schreiblehrer, die sich anboten, schön schreiben lernen sollten. Bis dahin legte man keinen so besonderen Wert, insbesondere im kommerziellen Leben, auf das Schönschreiben, aber da fing es plötzlich an. Es gab dazumal noch keine Schreibmaschinen oder so etwas; die Dinge mußten schon sel­ber geschrieben werden. Es gab so eine Art von Ansteckung nach Schönschreiberei. Und da lernte man dann diese Methoden kennen, welche alle darauf ausgingen, den Leuten das Schreiben beizubringen, auszugehen von irgend etwas, was in den Mechanismus der Hand hin­eingelegt wurde. Die Leute sollten die Hand unmittelbar gelenkig ma­chen und den Arm, denn es entstand überhaupt die Meinung, daß man aus dem Mechanismus der Hand und des Armes heraus schreibe. Das tut man ja gar nicht, wovon sich jeder sattsam überzeugen kann, wenn er sich nur Mühe genug gibt, zwischen seine große Zehe und die nächstfolgende Zehe einmal einen Bleistift hineinzustecken, um nun mit dem Fuß zu schreiben; es wird jeder dies zustande bringen. Es schreibt nicht die Hand, es ist nicht aus dem Mechanismus der Hand heraus, sondern der Mechanismus der Hand wird vom ganzen Men­schen betrieben. Probieren Sie es, Sie werden es bei einiger An­strengung schon zustande bringen.

Das Beste ist dabei, daß, wer sich einmal Mühe gibt, auch mit dem Fuße zu schreiben, ungeheuer viel für die seelenvolle Erfüllung seines ganzen Organismus dadurch lernt. Es ist ungeheuer bedeutsam. Es handelt sich darum, daß dazumal der Unfug bestand, das Schreiben durch Hand und Arm zu lehren statt durch die Augen. Schreiben sollte man eigentlich durch die Augen lernen, indem man einen Sinn entwickelt für die Formen der Buchstaben; die Buchstaben, indem

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man sie förmlich im Geiste schaut, nachaeichnet, nicht sie aus dem Mechanismus der Hand heraus macht, sondern sie nachzeichnet. Man sieht sie vor sich, man zeichnet sie nach.

Dann aber, wenn man das versteht, versteht man vielleicht leichter, daß der Schauspieler dazu kommen muß, während der gewöhnliche Mensch sich einfach seiner Sprachwerkzeuge bedient, um zu spre­chen, sich ein intimes, unhörbares, wenn ich so sagen darf, Gehör oder unhörendes Gehör für stumme Sprache zu erwerben. Er muß vor sich haben können in der Seele, im Geiste das Wort und die Laut­folge, ganze Passagen, ganze Monologe, ganze Dialoge und so weiter; das heißt, er muß die Sprache so weit objektiv kriegen, daß er aus dem seelisch Gehörten heraus spricht.

Man muß also nicht bloß den Sinn von einer Dichtung im Kopfe haben, sondern die ganze Laut- und Sprachgestaltung im Kopfe haben.

Die meisten Szenen meiner Mysteriendramen sind so geschrieben, daß ich einfach abgehört habe, nach dem Laute hin abgehört habe; nicht das Wort gesucht zu einem Sinn, sondern abgehört habe die Sache.

Das ist aber dasjenige, was schon dem schauspielerischen Sprechen zugrunde liegen muß, daß man eigentlich immer dies hört, ganz aus dem Gehör heraus spricht. Dann kommt man schon von selber zu der Laut- und Silbenempfindung, vor allen Dingen zu dem Bedürfais, in den Worten zu leben. Und dann hebt man sich im ganzen Lebensauf­fassen zu einem gewissen geistigen Niveau. Das gibt den Sinn für künstlerische Gestaltung.

Das ist auch wieder etwas, was man vom Anfang an nicht gleich glaubt. Vertieft man sich so in die Sprache, daß man gewissermaßen einen neben sich hat, dem man zuhört, dann entsteht daraus für das gute Drama eigentlich ganz instinktiv die Auffassung. Und man wird, weil schon der gute Dichter ein gewisses Gefühi dafür hat und sogar der gute Übersetzer ein gewisses Gefühl dafür hat, wie sich etwas an­hören muß, was aus einem bestimmten Charakter heraus gesprochen ist, wenn man hört, seelisch hört, den Faust, den Mephisto sprechend seelisch hört, die Auffassung um so eher treffen. So daß man von da aus auch für die künstlerische Auffassung von Rolle und Stück aus der Sprachgestaltung heraus wirken kann.

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Und da, sehen Sie, werden sich die Dinge ergeben, die einem manch-mal so grotesk im Leben zeigen können, wie der Unterschied ist zwi­schen einer ideengemäßen Auffassung einer Rolle oder eines drama­tischen Charakters und dieser anschauenden Auffassung. Da habe ich einmal eine sehr nette Sache mitgemacht, aus der man viel lernen konnte. Ich habe einmal als einen guten Rezitator in seiner Art und in der damaligen Zeit, mit all den Fehlern, die dies hatte, den Alexan­der Strakosch erwähnt, der wirklich einen großen Einfluß gerade als Bühnenrezitator hatte. Er war kein guter Regisseur, er war gar kein Schauspieler; er wirkte in der letzten Zeit, namentlich wenn er als Schauspieler auftrat, sogar etwas manieriert. Aber er hatte das Zeug, bis in das Erleben hineingehen zu können in der Sprachgestaltung Er war am Wiener Burgtheater tätig. Laube hat ganz gut gewußt, was er an ihm hatte. Strakosch hat eigentlich im Gehör den Charakter auf­bauen lassen. So kam es einmal vor - das war mir sehr lehrreich -, daß ich in einer Gesellschaft war, wo Schauspieler waren, diejenigen, welche gerade den «Hamlet» gespielt hatten, aber vor allen Dingen Professoren waren. Es war bei einer Shakespeare-Versammlung, wo viele Professoren waren, die sich gründlich selbstverständlich nun mit Shakespeare beschäftigt hatten. Und der Strakosch war auch dabei. Nun wurde da entwickelt, gerade als man von einer «Hamlet »-Auf­führung kam, bei dieser Shakespeare-Versammlung alles, was die ge­lehrten Herren zunächst aufbringen konnten an Hamlet-Interpreta­tionen, an Auffassungen. Sie waren ziemlich verschieden, aber jeder bewies die unbedingte Gültigkeit seiner Auffassung. Vor allen Dingen redete jeder ungeheuer lange.

Die Schauspieler schwiegen, insbesondere derjenige, welcher den Hamlet dargestellt hatte, wollte gar nichts sagen. Er sagte: er hat keine Auffassung, sondern er hat ihn gespielt. So meinte er.

Nun war es mir doch etwas interessant, bei der Sache noch wenig­stens eine Pointe herauszuholen, und ich sagte zu Strakosch: Nun, Herr Professor, sagen Sie uns jetzt, wie ist Jhre Auffassung des Ham­let? - Sehr innerlich! - Das war alles, was er sagte. Er hörte, gestaltete darnach ganz wunderbar, konnte aber eigentlich nichts darüber sagen, als: Sehr innerlich -; brachte nichts anderes zustande als: Sehr innerlich -,

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weil er in der Tat kaum je Zeit hatte, über diesem Hören zu irgendeiner verstandesmäßigen Interpretation zu kommen.

Und da ist es nun wirklich so, daß man jetzt erst, wenn man dieses hat - dieses innerliche seelische Zuhören -, so richtig gewahr wird, was es bedeutet, aus dieser Art von Intuition heraus durch den Büh­nenkünstler eine Rolle geschaffen zu sehen.

Das ist tatsächlich etwas, was im Grunde genommen den ganzen Menschen aus sich herausstellen muß, neben den Akteur hinstellen muß und wahrnehmbar machen muß für ihn. Und dieser herausgestellte Mensch hat sich dann in den betreffenden Rollencharakter verwandelt. Gerade wenn der Schauspieler eine Individualität ist, so werden wir ihm immer gestatten, wenn ihm das ein wirklicher, realer, innerlich er­lebter Instinkt ist, was ich eben beschrieben habe, daß er seine Rolle individuell ausgestaltet, wie der Klavierspieler ja schließlich auch in­dividuell spielt. Und wir werden sehen, wie verständnisvoll das Publi­kum dann hinsieht auf die Bühne, wenn in dieser Weise Rollen gespielt werden, daß sie nicht verstandesmäßig einstudiert sind, nicht durch sogenannte Vertiefung in den Inhalt, sondern durch vorherige Gestal­tung, so daß man hört durch vorherige Gestaltung dasjenige, was man dann durch die eigene Person wirklich auf der Bühne zu gestalten hat.

Da gibt es denn auch keine solchen Bestimmtheiten, wie es Pro­fessoren und Philister gerne haben, sondern da gibt es eben die mög­lichen verschiedenen Auffassungen, für die man dann seine Gründe beibringen kann. Aber der Grund, warum man die Auffassung hat, ist doch dieser, wenn man sie im berechtigten Sinne hat, daß man die betreffende Gestalt hört.

Sehen Sie, gerade da möchte ich - nicht weil sich das auf die Vor­führungen, die wir gestern anschauen durften, bezieht, es war schon in dem Programm für den heutigen Vortrag längst darinnen - an einem Beispiele anschaulich machen, wie sehr die Auffassungen nach der einen oder nach der anderen Seite hin für einen und denselben Charakter varileren können, möchte ich zeigen, daß, wenn man eine mehr intellektuelle Auffassung von Hamlet hat, man ihn so spielen wird, daß man den melancholischen Grundcharakter stark betont. Für den wirklichen Seelenkenner läßt sich das schon aus dem Grunde

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nicht ganz tun, weil Hamlet selbst auf seine Melancholie aufmerksam macht, und das tun wirkliche Melancholiker nämlich nicht. Gewiß, wenn man Hamlet intellektualistisch auffaßt, kann er so aufgefaßt werden - es war insbesondere die Auffassung eines ganz ausgezeichne­ten klassischen Schauspielers, des Robert vom Burgtheater -, daß er eigentlich wie ein tiefbedächtiger Mensch über die Bühne geht.

Dann, wenn wir ihn so über die Bühne gehen lassen als tief be­dächtigen Menschen, wird uns aber doch manches schwierig an ihm zu verstehen, und wir sind dann genötigt, uns ihn immer mit einer dumpfen und vollen Stimme zu denken. Das können wir bei gewissen Stellen - und die deutschen Übersetzungen sind in dieser Beziehung fast ebensogut, an manchen Stellen sogar besser als das englische Ori­ginal -, das können wir bei anderen Stellen durchaus nicht. Wir kön­nen gewisse Stellen bei Hamlet nicht so sprechen, daß sie hörbar sind in einer fließenden Art, wenn wir ihn durchaus als den durch das Stück gehenden tiefen Melancholiker auffassen. Und gerade wenn ich mich erinnere an die Hamlet-Darstellungen mit dem Robert, dann fand ich immer, daß das herausfiel, wenn er sein sehr schönes Spre­chen für gewisse Monologe dann namentlich da zum Ausdruck brin­gen sollte, wo Hamlet ironisch wird, wo man nun wirklich nicht wie ein Melancholiker sprechen kann. Und ich muß sagen, es war für mich etwas Entsetzliches, wenn ich nach den schönen Monologen - sie waren wirklich schön in ihrer Art gesprochen von Robert - dann hören sollte mit derselben Intonierung: Geh in ein Kloster.

Das geht nicht. So geht vieles andere nicht. Und deshalb möchte ich schon darauf aufmerksam machen, daß gegenüber vielen traditio­nellen Auffassungen des Hamlet auch die möglich ist, in der - ich werde sie jetzt etwas im Extremen pointieren, nicht sprechen, sondern eben nur pointieren - wir den Hamlet, in seiner Art sich gerade durch Sprechen zu charakterisieren, in der Situation darinnen auffassen.

Wir. haben ihn doch eigentlich so verlassen, daß er das Schauspiel vorbereitet hat, durch welches der König sich entlarven sollte, daß er also eigentlich voller Erwartung sein muß, wie das Schauspiel wirkt, und man kann sich schwer vorstellen, daß dieser Hamlet, der das alles arrangiert hat, jetzt plötzlich zum tiefsinnigen Philosophen wird. Warum

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sollte er plötzlich aus heller Haut heraus zum tiefsinnigen Philo­sophen werden! Wie gesagt, ich will nicht eine bestimmte Auffassung abkritisieren, das liegt mir ganz ferne, sondern ich möchte nur darauf hinweisen, wie mannigfaltig die Auffassungen sein können, und wie begründet doch auch eine ganz andere Auffassung des Hamlet sein kann als diejenige, welche gerade in dem Monolog «Sein oder Nicht-sein» zuviel Bedächtigkeit und Melancholie und dergleichen hinein-bringt.

Sie können sich nämlich auch folgendes vorstellen: Hamlet tritt auf, kommt also von da her, wo man ihn herkommen lassen wird als Re­gisseur; während er noch geht, ohne erst lange Gebärden zu machen, die auf tiefes Nachdenken hinweisen, kommt ihm am Wege einfach ein Einfall:

Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage:

Ob's edler im Gemüt, die Pfeil' und Schleudern

Des wütenden Geschicks erdulden, oder

Sich waffnend gegen eine See von Plagen,

Durch Widerstand sie enden. Sterben - schlafen -

Nichts weiter! - und zu wissen, daß ein Schlaf

Das Herzweh und die tausend Stöße endet,

Die unsers Fleisches Erbteil - ,s ist ein Ziel,

Aufs innigste zu wünschen.

Jetzt kommt aber wiederum der Hamlet-Charakter heraus, der Wan­kende. Jetzt erst setzt er sich. Das erste spricht er noch ganz eigentlich aus dem Einfall heraus. Jetzt erst setzt er sich, denn es fällt ihm ein, daß das Schlafen etwas anderes noch enthält als das Nichts:

Sterben - schlafen -

Schlafen! Vielleicht auch träumen! - Ja, da liegt's:

Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen,

Wenn unser sterblich Teil wir abgeschüttelt,

Das zwingt uns still zu stehn. Das ist die Rücksicht,

Die Elend läßt zu hohen Jahren kommen:

Jetzt wird er wieder innerlich ganz lebhaft, sogar leidenschaftlich, nicht bedächtig.

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Denn wer ertrüg' der Zeiten Spott und Geißel,

Des Mächt'gen Druck, des Stolzen Mißhandlungen,

Verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub,

Den Übermut der Ämter, und die Schmach,

Die Unwert schweigendem Verdienst erweist,

Wenn er sich selbst in Rubstand setzen könnte

Mit einer Nadel bloß? Wer trüge Lasten,

Und stöhnt' und schwitzte unter Lebensmüh'?

Nur daß die Furcht vor etwas nach dem Tod -

Vor jenem unentdeckten Land, aus dem

Kein Wandrer wiederkehrt -

Es zeigt sich da sogleich, daß er nicht tiefsinnig sein kann, denn, was würde er dann gewiß nicht sagen, wenn er tiefsinnig sprechen wollte? Er würde gewiß die folgenden Worte nicht sagen: «Vor jenem un entdeckten Land, aus dem kein Wandrer wiederkehrt.» Just ist der alte Hamlet wiedergekehrt! Man soll sich denken, wie das nicht aus etwas anderem heraus sein kann, als aus dem halliverarbeiteten Ein­fall, der eben Reminiszenzen des Lebens redet, nicht aus tiefen philo­sophischen Betrachtungen.

Vor jenem unentdeckten Land, aus dem

Kein Wandrer wiederkehrt -, den Willen irrt,

Daß wir die Übel, die wir haben, lieber

Ertragen, als zu unbekannten fliehn.

So macht Gewissen Feige aus uns allen ;

Der angebornen Farbe der Entschließung

Wird des Gedankens Blässe angekränkelt;

Und Unternehmungen voll Mark und Nachdruck,

Durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt,

Verlieren so der Handlung Namen. - Still!

Jetzt kann er dazu übergehen, so daß es einem erträglich wird, von der reizenden Ophelia zu sprechen.

Sehen Sie, wie gesagt, ich will durchaus nicht irgendeine andere Auffassung, die zumeist da war, damit in Grund und Boden kritisie­ren, aber ich möchte darauf aufmerksam machen, daß man nicht aus Vorliebe für den Tiefsinn des Hamlet sich dem Sprechen eines Mono­loges hingeben sollte, der eigentlich aus der Hamletschen Ungeordnetheit

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der Gedanken heraus und nicht aus philosophischen Tiefen her­aus gesagt wird. Eine ganze Fülle von Untergründen braucht man, meine lieben Freunde, wenn das Schauspielerische wirklich als Kunst auftreten soll.

Nun habe ich Ihnen gestern andeuten müssen, wie wenig die Kritik in unserer Zeit geneigt ist, auf diese Dinge alle einzugehen.

Sehen Sie, bei jeder Kunst, in die man hineinwächst, wenn man vorher Kunst beurteilt hat, kommt man zu einer An von Scham­gefühi, weil man merkt, man sollte eigentlich nur sprechen aus dem Können heraus. Wirklich, man sollte nur sprechen aus dem Können heraus! Es kann ein Mensch nicht wissen, warum dies oder jenes so oder so gemalt ist, der niemals Pinsel und Farbe gehabt hat. So kann im Grunde genommen außer demjenigen, der sozusagen durch gei­stige Initiation sich in jede Individualität hineinversetzen kann und eigentlich nicht von sich aus spricht, sondern von den anderen Men­schen aus spricht, niemand urteilen über Schauspielerisches, wenn er nicht in der Schauspielkunst aktiv darinnensteht. Daher ist im Grunde genommen in bezug auf Schauspielkunst, wie für jede andere Kunst, der bloße Kritiker eine Karikatur ; der bloße Kritiker, der nicht her-ausgewachsen ist aus der Kunst. Und man muß dann den Mut ge­winnen, sich das ganz ehrlich zu gestehen.

Daher kann nur diejenige Kritik geachtet werden, welche bemüht ist, die Lessingschen Bahnen weiter zu gehen, positiv kritisch zu sein, und beizutragen dazu, daß dasjenige, was als Kunst auftritt, Helfer auch für das Verständnis ist. Wenn die Kritik so wirkt, daß sie dem Publikum beisteht, das eine oder andere zu verstehen, dann hat die Kritik ihre Berechtigung. Wenn die Kritik entscheiden will bloß, ob etwas gut oder schiecht ist, so könnte das nur eine Berechtigung haben, wenn die Kritiker Fachieute wären auf dem betreffenden Ge­biet, könnende Fachleute, die Kunst wirklich innehätten. Auch das mußte ich zuletzt noch erwähnen aus dem einfachen Grunde, weil gegenüber der Kritik schauspielerisches Wirken nur dann aufkommt, wenn es nackensteif sein kann, wenn es nicht ganz sich beugen läßt durch die Kritik. Dann wird auch nach dieser Richtung hin die in einem gewissen Unabhängigkeitssinn bestehende Gesinnung sich entwickeln,

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und dann wird vor allen Dingen für die zivilisatorische Auf­gabe, für die Uraufgabe der Schauspielkunst bei dem Schauspieler selbst das Entsprechende geleistet werden können.

Nun, meine lieben Freunde, ich habe eben versucht, in diesem Kur­sus, da oder dort etwas herausgreifend aus dem Gesamtgebiete der Kunst, Andeutungen zu geben, wie in die Schauspielkunst der Gegen­wart vor allen Dingen wiederum Geist und dann Leben hineinkom­men soll. Es ist ja natürlich, daß dasjenige, was gegeben worden ist, nichts anderes sein kann als Anregungen. Aber ich versuchte, diese Anregungen so zu gestalten, daß, wenn sie zum Beispiel verarbeitet würden zu einer Schauspielschule, die so eingerichtet würde, wie es gerade in dem Sinne dieser Vorträge liegt, dabei - durch eine Schau­spielschule und auch in der Anwendung auf die Dinge in der Schau­spielschule, Proben und so weiter - mancherlei in der Gegenwart er­reicht werden könnte.

Ausgegangen ist wirklich dasjenige, was ich zu sagen versuchte, von einer ganz großen Achtung vor der schauspielerischen Kunst. Denn die schauspielerische Kunst, die nur bestehen kann, wenn der Mensch sich wirklich hingebungsvoll auf die Bühne stellt und seine Wesenheit in dem Wesen seiner Rolle aufgehen läßt, hat große Auf­gaben, und sie kann heute noch so wirken, wenn auch nicht mehr, ich möchte sagen, in kultusmäßiger Art, wie es ehedem der Fall war, aber sie kann heute trotzdem noch so wirken, daß der Mensch durch die Schauspielkunst in geistige Höhen hinaufgetragen wird.

Zu sehen, wie die ganze menschliche Wesenheit nach Wort und Gebärde in den Dienst eines Geistig-Geschaffenen, wie es das Drama ist, gestellt wird, ist auch ein Weg zur Pflege des Weges zum Geiste. Und daß da manches zu tun ist, das geht aus dem hervor, daß in der Zeit des Materialismus, wo die geistigen Wege verlassen worden sind, die Schauspielkunst hilflos geworden ist und immer mehr und mehr werden wollte eine Kopie des Lebens ; eine Kopie des Lebens, die unter allen Umständen von der Bühne herunter nicht erhebend, son­dern unter allen Umständen eigentlich niederdrückend wirkt. Wäh­rend echte Schauspielkunst dasjenige, was auf der Bühne geschieht, auf ein höheres Niveau hinaufhebt und dadurch das Menschliche dem

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Göttlichen annähert, kommt der Naturalismus dazu, das Menschliche nachzuahmen auf der Bühne. Aber jede Nachahmung läßt dasjenige weg, was das Original noch hat, damit es eine einseitige Äußerung, eine einseitige Offenbarung von sich geben kann.

Daher wirkt eine solche Nachahmung, wie sie heute vielfach auf­tritt, so, daß man das Gefühl hat, da wird Affenkunst getrieben, nicht Menschenkunst. Es hat etwas von Affenhaftigkeit, das Nachahmen im Naturalismus, zuweilen sogar von Nachahmung in verschiedenste Tiergestaltung hinein, denn mancher benimmt sich heute schon auf der Bühne so, wie wenn er ein Tiger wäre oder so etwas, um möglichst naturalistisch zu sein ; manche Damen, wie wenn sie eine Katze wären, was vielleicht noch leichter ist, als für den Mann ein Tiger zu sein.

Nun, da ist die ehemalige Maske ins Seelische übergegangen. Und das verträgt die Schauspielkunst nicht, daß die ehemalige Tiermaske, welche gerade dazu vorhanden war, um die Gebärde in das richtige Licht zu stellen, in die seelische Maske übergeht, zu der die Imitation im naturalistischen Sinne immer mehr wird.

Und so darf vielleicht in den spärlichen Anregungen, die ich in die­ser Zeit geben konnte, eine Art Impuls gesehen werden, um aus dem unkünstlerischen Naturalismus in eine wirkliche, stilvoll auftretende, geistige Bühnenkunst hinüberzuführen. Das ist dasjenige, meine lie­ben Freunde, was mir vorgeschwebt hat, und was ich natürlich erst erfüllt sehen könnte als dasjenige, was diese Vorträge wollten, wenn es mir nun von der Bühne durch diejenigen, welche mich verstanden haben, entgegentreten wird.

Damit möchte ich diese Vorträge, von denen ich schon sagen darf, daß ich sie mit einer wirklichen Liebe gehalten habe, weil ich die Sache mit Liebe und Achtung ansehe im Leben, schließen und sie zur Beherzigung denjenigen übergeben, welche in der Lage sind, ihnen verständnisvoll entgegenzukommen.

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Gottfried Haaß-Berkow:

Ich glaube im Sinne aller Anwesenden und insbesondere der Sebauspieler zu sprechen, wenn ieb Herrn und Frau Dr. Steiner von Herzen für das Gegebene danke. Wir füblen die Verpflichtung, das bier Gegebene in uns zu tragen und nach besten Kräften zu ver­arbeiten, um in diesem neuen Sinne Schauspieler werden zu können. Ich stelle mich als Mensch mit meiner ganzen Arbeit Herrn Dr. Steiner zur Verfügung.


Albert Steffen:

Hochverehrter Herr Doktor! Ich möchte sm Namen aller derjenigen, welche die Weltenworte, also die Dichtung, die Kunst lieben, für diese unvergeßlichen Tage danken. Ich spreche hier aus, was in den Zuhörern lebt, denn ich konnte hier von dieser Reihe aus, indem ich auf Ihre Worte lauschte, sehen, was in den Menschen vorging, an den Gesichtern, die so gespannt lauschten, und an den leuchtenden Augen; ich erblickte, daß in den Zuhörern es mächtig auffiammte, und daß vieles Alte dabei verbrannte, daß aber aus der Asche ein ungeheures Freiheitsgefühl wie ein Phönix emporstieg.

Wir Künstler leben alle in der Welt des Scheins. Aber hier sahen wir, daß dieser Schein von einem Lichte kommt, das der Urgrund des Seins selbst ist, vom Worte selbst. Und wenn Sie vorhin sagten, Herr Doktor, daß das Wort der Menschengestalter ist, ja, dann müssen die Laute die Apostel sein, und die Sprache gestaltet uns dann ganz mächtig durch Sie und Ihre verehrte Mitarbeiterin, Frau Dr. Steiner.

Ich muß immer, wenn ich die Eutythmie sehe, denken: Das ist ja der neue Parnaß, der da vor uns auferstanden ist, die Götterversammlung, die vor uns steht.

Alle diese Kurse, sie waren ja eines. Und nicht nur daa schöne Wort wurde uns ge­geben, sondern es wirkte auch von den medizinischen Vortragen her das heilende Wort. Und es wirkte vom priesterlichen Arbeitskreis aus auf unterirdischen oder überirdischen Bahnen das heilige Wort herüher*.

So daß eigentlich der Schauspieler nun Priester und Arzt zugleich geworden ist.

Aber was mich am meisten in Verwunderung setzte, das war, daß jetzt Dr. Steiner selbst als ein Dichter auftrat, wie ihn wohl niemals die Erde gesehen hat, indem er uns sn den Abendvorträgen die Schicksale darstellte von wirklichen Menschen: zum Beispiel von Weininger, von Strindberg und von Solowjow unter anderen; Schicksale, die ja meht zur vollen Überwindung des Chaotischen, des Dunklen und Bösen kamen, sondern an denen man sehen konnte, wie etwas Neues eingreifen mußte. Ja, wir wären alle hier zugrunde gegangen, wenn dieses Neue uns nicht ergriffen hätte. Herr Dr. Steiner hat uns als Menschen gerettet, und was noch größer ist, er will in uns den Künstler retten, er will uns selbst zu Gestaltern, zu Dichtern, zu Schauspielern machen.

Womit können wir Ihnen denn danken? Nur dadurch, daß wir das Wort als das auf­fassen, was es wirklich ist, nämlich als das Schwert des Michael, und daß wir mit diesem Schwerte für Sie. verehrter Herr Doktor, und für Ihr heiliges Werk, so gut wir es können, kämpfen.


* Rudolf Steiner hielt in der Zeit vom 5. bis zum 23. September 1924 zugleich Vor­träge über Pastoralmedizin, für Ärzte und Priester, über die «Apokalypse», für Priester, über Mensehensehicksal, Karma, und über Sprachgestaltung Er hielt auch Vorträge für die Arbeiter am Guetheanum, die sieh ihre Themen selbst wählten. [M. St.1

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Dr. Steiner:

Meine lieben Freunde, wir wollen diesen Kursus als einen Anfang, jeder für sich in seiner Art, betrachten, und er wird ja dasjenige wer­den, was er werden soll, wenn wir ihn eben als ersten Akt betrachten und versuchen, die folgenden Akte zu seiner Exposition in Arbeit hinzuzufinden. Arbeiten wir nach dieser Richtung zusammen, dann wird auf den verschiedensten Gebieten des Lebens, vor allem aber in der uns so teuren Kunst, etwas von der zukünftigen Zivilisation Ge­fordertes schon in der Gegenwart im Keime begründet werden kön­nen, wie man es gegenüber manchem Unkünstlerischen, das aufgetre­ten ist, gar sehr kann.

In diesem Sinne wollen wir das als die ersten Schritte betrachten und wollen sehen, ob diese ersten Schritte geeignet sind, den Anlauf für weitere Schritte zu bilden. Das ist dasjenige, was ich Ihnen danke, daß ich glaube wahrzunehmen, daß Sie alle den Willen haben, diese ersten Schritte, die hier gemacht worden sind, so anzusehen, daß sie ein weiterer künstlerischer Gang durch das Leben sein können. Aus dieser Empfindung heraus sage ich Ihnen dafür, daß Sie an diesem Suchen haben teilnehmen wollen, auch meinen herzlichsten Dank.

Vorwort zur ersten Auflage Schöpferische Sprache

#G282-1969-SE386 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

MARIE STEINER

Vorwort zur ersten Auflage

Schöpferische Sprache

#TX

In der Sprache erfaßt der Mensch sein göttliches Wesen ; die Laute sind Schöpferkräfte, die ihn mit seinem Ursprung verbinden und ihn die Wege zum Geiste wieder finden lassen. Durch sie erhebt er sich über das Tier hinaus, tastet zurück zu seinem göttlichen Ich. Auf sei­nem Wege in die Materie hinein mußte sich jener losgelöste Funke des göttlichen Ich, der sich zur Menschwerdung bereitete, mit den Kräften des Abgrundes verbinden. Was an Verdichtungs- und Stau­ungsgebilden zu hemmend war, konnte durch immer neue Tode und Wandlungen abgestoßen werden. Es entstand das Tierreich, das wie eine ausgebreitete Buchstabenschrift desjenigen ist, was im Menschen sich zusammenballte, ihn zu stark mit Schwere belastete. Im Men­schen durfte es sich so weit klären, daß es zum Worte werden konnte. Was in dem Tier als Laut und Ton lebt, kann sich nicht zur Sprache erheben ; es bleibt Geräusch im kaltblütigen, unartikulierter Laut im warmblütigen Tier. Auch in seiner schönsten Ausgestaltung, dem Vogelgesang, kann sich die Tonlichkeit des Kosmos noch nicht selbst erfassen ; sie kann nur hindurchschwingen. Erst in der Sprache kann die individuelle Ichkrafr des Menschen ihren torlichen Ausdruck fin­den und ihrer selbst gewahr werden. Durch sie kann sich der Kosmos in einem Jchbrennpunkt erfassen und von neuem schöpferisch wir­ken, aus dem Ich heraus.

Indem sich der Mensch aufrichtet, die horizontale Linie des Tieres zur vertikalen umwandelt, befreit er in sich die Sprachkraft. Das Kind wird von ihr überschattet; es verbindet sich mit ihr, je mehr es in seine Eigenart hereinwächst. Es sagt nicht ich zu sich, solange es noch lallt. Jn den persönlichen Wünschen, der Egoität, ringt sich zu­nächst das niedere Jch durch, das im Wünschen Wollende, das sich dann über das Fühlen hin zum Denken durcharbeitet. Sinngemäßes Denken dringt in den Menschen ein auf den Wegen der Sprache. Die

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Bilder, die Imaginationen werden so ins Bewußtsein gehoben ; durch diese Verbindung wird der Mensch zum sinnenden Wesen.

Im «Sinn» berührt ein Strahl des Sonnengeisteswesens den Men­schen. Das Umfassend-Umschließende des 0 ist zum Iichtpfeil im i geworden.

Auf den Wegen der Sinnen- und Sinnes-Erkenntnis kehrt der Mensch zum Geiste zurück. Mag er auf seinen Irrwegen zum Ergrei­fen des eigenen Selbst noch so weit von seinem Ursprung hinweg­geschieudert worden sein, dies eine geistige Band ist ihm geblieben:

die Sprache. Wie er sich auch losgelöst haben mag vom All, um in der Maske, der Persönlichkeit, unterzutauchen, wie sehr er sich in seinem Wahne auch empfinden mag als Herrscher über die Natur: keine Kunstsprache der Welt, kein Esperanto oder Volapük, wird ihm den Beweis je geben können, daß er eine Sprache zu erschaffen im Stande ist. Er kann nur an den schon vorhandenen Elementen herumprobie-ren. Vertieft er sich in dies Geheimnis, dann findet er den Weg zu­rück zum Geist. Deshalb - weil Sprache lebendig schaffende Wesen­heit ist - berührt es so unsagbar schmerzlich, so tief urikünstierisch, wenn in der heutigen Zeit des schlechten Geschr:iackes aus den An­fangsbuchstaben gewisser Wortkomplexe hölzerne Wortgebilde kon­struiert werden, aus denen der Geist herausgetrieben ist. Sie grinsen einen an wie ein Gerippe, das sein Totenbein schwingt. Schon das Abbrechen von Endsilben, das in den allmählich vertrocknenden, ver­holzenden Sprachen zur Gewohnheit wird, berührt einen wie der An­blick eines amputierten Gliedes. Wie viel mehr, wenn in einer leben­digen, noch jugendlichen, nicht voll entwickelten Sprache der Teufel sein Spiel treibt, indem er Wortungetüme schafft, die zusammengewür­felt sind aus abgebrochenen Anfangssilben verschiedenster - Fremd­wörter zumeist -, wie es jetzt in Sowjetrußland geschieht. Ein satani­sches Grinsen liegt in solchem Wortungeheuer, ein tötender Speer. Das Volk, dem dieser Speer in die Seele gestoßen wird, ist dem leiden­den Arufortas gleich, der sein Siechtum hinschleppen muß, bis ihm der Retter nahet mit des Speeres Heilkraft. Parsifal trug den rettenden Speer zur Gralsburg zurück, den Klingsor entwendet hatte. Des Bösen Kraft umfängt des Wortes Macht und droht sie zu zerstören.

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Uns erstand in Rudolf Steiner der Retter, der uns des Wortes Heiles­macht und Zauherwirkung zurückgibt, und unsere Wunden mit der Sonnenpfeil-Erstrahlung, mit des Speeres Wurf im Worte schließt.

Wann wird der Tag kommen, der die Empfindung zurückgiht für des Wortes Heil- und Zauherkräfte, für die Wogen der Geistigkeit, die sich unter ihm schwellend öffnen? Im Atem leben, den Atem ge­stalten, in die Luft hereingestalten mit des Atems Meißel, und das Erzittern fühlen, das feine Vibrieren der Luft- und Äthersubstanz, der Obertöne und der Untertöne, der feinsten Jntervalle in dem Er­klingen der Umlaute, die geistdurchlässig werden: solch künstleri­sches Schaffen in der subtilsten Materie ist wahrlich eine edlere Arbeit als das Herausstoßen menschlicher Affekte in tierähnlichen Lauten, wie es jetzt nur zu oft die Bühne beherrscht. So lange aber nicht unter­schieden werden kann zwischen Geistigkeit und hohiem Pathos, ist der Weg zur Rettung der Kunst und des Besten im Menschen durch das Wort nicht erschlossen. Ins Bewußtsein müssen gehoben werden die Imponderabilien, um die es sich hier handelt. Der Deutsche hat keinen andern Weg, seine Weltenaufgabe zu erfüllen, als ins Ich-Be­wußtsein zu heben dasjenige, was andere Völker instinktiv tun konn­ten, auch innerhalb der Kunst. Als die deutschen Schauspieler den von der Tradition getragenen vornehmen Stil der Franzosen kopier­ten, wurden sie allmählich pathetisch und hohl. Als sie sich mit dem Naturalismus der heutigen Zeit verbanden, geschah es ihnen, daß sie durch ihre Gründlichkeit darin allmählich untermenschlich wurden:

erst Tier, dann Grammophon. Durch die Bewußtseinsdurchleuchtung ersteht uns Erkenntnis der der Sprache zugrunde liegenden, noch nicht offenbar gewordenen Gesetze, die Fähigkeit sie zu handhaben, somit - bei genügender künstlerischer Begabung - die Möglichkeit, das Falsche im Pathos zu überwinden und reale Geistigkeit erstehen zu lassen. Reale Wahrheit - und nicht Kopie des Zufälligen, dem keine Wahrhaftigkeit innewohnt ; Wahrheit, die in der Erfassung des Wesenhaften liegt, das den Unterstrom hilden muß, auf dem das Zu­fällige sich nur kräuselt, und das einer künstlerischen Linie entspricht, die nie abbrechen darf und nie abfallen in ihrer Willenstendenz, in ihrem Bewegungsschwung. Denn Sprache ist fließende Bewegung,

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von innerer Musikalität getragen, in farbigem Bilderzauber und pla­stischer Formung.

Betrachten wir die Sprache nur als ein Mittel zur Verständigung, als die Hülle eines intellektualistischen Inhalts, so töten wir sie künst­lerisch. Glied für Glied töten wir sie, indem wir sie bloß unserem Verstande anpassen, statt unsern Verstand von ihr durchleuchten zu lassen. Grau in grau verläuft dann das Leben ihrer Laute, statt in demantner Strahlenbrechung vielfarbig zu erglühen - und ihre Rhyth­men, ihre Melodien, die Plastik ihrer Konturen, das Architektonische ihrer Strebekräfte, ihr hallender oder sanfter metrischer Schritt, ihre stolzen Kadenzen, die Linie, die alles dies zusammenhält und löst und durcheinanderwirbelt - bis die Bewegung zum dionysischen Tanze anschwillt, oder im apornnischen Reigen klar und hell dahingleitet... tote Welten dies für die meisten unserer Zeitgenossen; Leben und Reichtum für diejenigen, die den Schlüssel zu den Quellen haben.

Einen Schlüssel will dieses Buch geben. Wird man den König Geist darinnen erkennen, der die schöne Lilie dem Leben zurückgibt? Oder wird das Spottgesicht des Satyrs den Weg zu ihr versperren? - Doch auch der Satyr läßt sich bekehren und wetteifert in des Marsyas Ge­stalt mit Apollos Leier. Suchen wir denn diese Wege, die dem Grie­chen im Blute lagen, ihm diktiert wurden von seinem Bildekräfteleib, bewußtseinsmäßig wieder auf, erschließen wir sie den Menschen, um den gehobenen Schatz als Erkennmisgut und Wiederbelebungsquell weiter zu reichen.

Und fürchten wir uns nicht vor dem kalten Worte: Bewußtsein. Es tötet nicht die Kunst. Es vertieft sie, indem es sie zum Ich erhebt, aus den Banden des maskenhaft Persönlichen löst. Wir brauchen es ja nur wahrnehmend hinzulenken auf dasjenige, was uns wie mit feu­rigen Armen ergreift und aus uns heraushebt. Im Feuer dieses Erleb­nisses geschieht etwas, bildet sich etwas - und verflüchtigt sich wie­der. Sollen wir es festhalten, fixieren, zum bleibenden Gut machen, so müssen wir uns klar werden über das, was da geschieht ; wir müssen es anschauen, dann von uns abtrennen, hinstellen, erkennen. Haben wir es erkannt, dann gewinnen wir es neu wieder, denn es kommt uns entgegen als etwas freies, selbständiges, objektiv Gewordenes. Es

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füllt sich mit dem Reichtum objektiver Welten, denen gegenüber unser subjektives Seelenleben doch nur ein sehr beschränktes Gebiet ist.

Einförmig wirkt dieses subjektive Seelenleben für denjenigen, der den unendlichen Reichtum objektiver Welten hat rinnen und raunen hören. Diese will er in der künstlerischen Wiedergabe unmittelbar erleben, nicht verschleiert durch persönliche - aufdringliche Seelen-färbung. Sie mag bei gewissen Rollen berechtigt sein, nicht aber bei Gedichten; denn selbst die gedämpfte Stimmung eines lyrischen Ge­dichtes wird besser getroffen, wenn man das Gedicht aus sich heraus sprechen läßt, aus seinen Elementen, dem Rhythmus und den Lauten, in die sich der Inhalt hineinergießt, als aus den Weichteilen der Herz-muskeln, oder den mehr oder weniger krankhaft zugespitzten Ner­ven. Hier ist der Punkt, von dem aus wir uns dem Verständnis des­jenigen nähern können, was mit Sprachgestaltung gemeint ist. Es ist das Erleben der Lautwirkungen im Medium der Luft, des ausströ­menden Atems, nachdem die Beherrschung der Lautbildung, des Lautansatzes, entsprechend der Gesetzmäßigkeiten und Forderungen der Sprachwerkzeuge, herausgearbeitet worden ist, Ereignis und -Erreichnis geworden ist. Es ist das scharf entwickelte Gehör für die Tonintervalle, die Klangschattierungen, die zum Beispiel unmöglich aufstrebend sein können, sich erhellend, verjüngend, wenn die Wort-linie, die seelische Kurve abwärts geht ; jene von der Bewegung ge­tragene Linie, die dem Wort, der Zeile, der Strophe ihren Schwung gibt ; die künstlerische Linie, die das Jmpulsierende, Aktivierende, An­feuernde ist, die vom Geiste inspiriert, vom kunstbegabten Ich ab­gefangen wird. Nie darf sie erstarren. Auch in den Pausen nicht, den so unbedingt nötigen Pausen, die sie zu gestalten hat und an denen sie sich, im Geiste wieder untertauchend, neuen Schwung holt. Durch das stete sich Versenken in die eigene Seele wird die Bewegung in der Linie getötet - es dominiert schließlich die Linie der Selbst-betrachtung, wie wir sie beim Narciß kennen. Jmmerhin, es ist etwas edles am Narciß, wenn er auch in Selbst-Bewunderung versinkt; er ist wenigstens schön. Heute aber ist schön sein nicht pikant genug -und gar edel schön sein -, das reizt nicht. Das Häßliche ist schon

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pikanter; die übersättigten oder überreizten Nerven brauchen Auf­peitschungen: sogar das interessant Schwindsüchtige, wenn es bloß melancholisch gefärbt ist, genügt nicht mehr - es muß schon etwas dem Crétinmäßigen sich nähern. Man braucht das Blöde oder das Negerhafte, um die pikanten Würzen herzustellen ; man genießt das im Krächzen Ersterbende - nicht mehr das im kranken Wohliaut Zer­schmelzende. Man freut sich auch am Untersinnlich-Dämonischen, das wiederum dem Negerhaften entsteigt.

Scheint das, was ich hier sage zu scharf? Es ist ja leider Tatsache. Man muß die Augen zuschließen wollen, wenn man es nicht sieht. Oder abgestumpft sein, nicht mehr die Dinge empfinden, die diese Stufe der Dekadenz erreicht haben. Dann wäre unsere Kultur erstor­ben. Doch ist der Ruf nach Umkehr laut; die Sehnsucht nach Neu­land, nach Licht, nach Vereinfachung und Gesundung, nach einem festen Halt im Bodenlosen.

Die anthroposophische Bewegung, die entgegenkam dem Hunger der Menschen nach Geist und Befreiung, nach Lösung der Welten-rätsel, fand sich auch Menschen gegenüber, die schwer litten unter dem, was moderner Bühnenbetrieb ist, die nirgends befriedigende Antwort fanden auf die Fragen, die sie quälten innerhalb des Bereiches ihrer Kunst. Sie kamen mit ihren Problemen und Nöten zu Rudolf Steiner, dem allseitig Helfenden. Er half auch ihnen. Freilich mußten sie lange warten, bis sie den von ihnen erbetenen Kursus über drama­tische Kunst erhielten, der hier in diesem Buche gedruckt vorliegt. Jahrelang haben sie gewartet ; denn die schwere Zeit verlangte nach Lösung noch dringenderer Probleme. Aber Rudolf Steiner sah in der Kunst einen für die Menschheit nicht hoch genug einzuschatzenden Erlösungsfaktor. Unentwegt war in seiner Umgebung und unter sei­ner Leitung daran gearbeitet worden, Zukunftskeime auch im Gebiete der Kunst zu schaffen und zu pflegen. Vom Beginne bis zum Ende seiner geistig-sozialen Wirksamkeit zieht sich dieses Bestreben durch, das nie abgebrochen wurde und das in der Eurythmie einen neuen Kunstimpuls schuf, fähig, alle andern Künste zu beleben und zu be­fruchten. Noch in seiner letzten Schaffenszeit hielt er - neben vielem andern - diesen Kursus über Sprachgestaltung und dramatische Kunst,

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zu dem der Andrang ein so starker wurde, daß er nicht auf die Schau­spieler beschränkt bleiben konnte. Vielleicht hätte er dann einen etwas anderen Charakter bekommen; so erhielt er den breiten Menschheits­Zug. Aus besonderen Gründen mußten einige zunächst ausnahms­weise zugelassen werden, dann ließ sich der Damm nicht mehr auf­recht erhalten.

Ich habe mich entschlossen, diesen Kursus so herauszugeben, wie er gesprochen worden ist. Rudolf Steiner ist nicht mehr unter uns, und seinen Schülern ist es Bedürfnis, sein Wort festzuhalten in der Frische und Unmittelbarkeit, in der es gesprochen worden ist. Es war mcht für den Druck gedacht, auch weist die Nachschrift manche Lük­ken auf. Dennoch übergebe ich das Buch in dieser Fassung der Öffent­lichkeit, denn sie braucht es. Es ist ja manches Buch erschienen, in welchem mit den hier besprochenen Problemen gerungen wird ; man sehnt sich nach dem Ideal und ringt darnach. Man kennt nur nicht die Wege, die zu dem Ziele führen.

Viele werden geneigt sein, sich von diesem Wege abzuwenden, weil er von einer besonderen Weltanschauung ausgeht und sogar deren Terminologie gebraucht. Man meint: Kunst und Weltanschauung ver­trügen sich nicht. Es hat aber jede Kunst in ihrer Blütezeit einen Welt­anschauungsinhalt gehabt. Auf diesen Jnhalt kommt es an. Sollen wir verstehen, was in diesem Kursus über Sprachgestaltung und drama­tische Kunst gegeben ist, müssen wir auf den hinter dem Sinnenschein verborgenen Welteninhalt eingehen. Sollen wir praktisch voll aus­nützen, was uns in ihm geboten wird, müssen wir diesen Welterinhalt erleben. Wenn wir nicht unsere Vorurteile und unsern Haß dazwi­schen werfen, werden wir ihn erleben, denn die Laute sind Geistboten und der Atem ist Göttersubstanz. Das Drama aber ist den Mysterien entstiegen und kann uns wieder dahin zurückführen.

Diesem Buche wird bald ein zweites folgen, das den Unterbau zu geben hat für dasjenige, was hier in diesen Vorträgen ausgeführt wird Praktische Anweisungen, Redeühungen, einen methodischen Aufbau soll es bringen, um auf möglichst gradem Wege ans Ziel zu gelangen:

die Beherrschung von Sprachgestaltung und Stil. Es wird in der Hauptsache dasjenige sein, was ich, etwas zusammengedrängt, in einigen

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praktischen Übungsstunden, welche diesen Vorträgen voran-gingen, bringen durfte. Auch jene Sprech-Übungen, an denen sich die Teilnehmer der Veranstaltung versuchten, hat uns Rudolf Steiner bei früheren Gelegenheiten gegeben und Erklärungen und Belehrungen dazugefügt, durch die mancher Sprachkursus, den ich zu halten hatte, mit Leben erfüllt wurde. Sie bilden mit diesem Buche zusammen ein einheitliches Ganzes und geben so ein Gesamtbild desjenigen, was an die Stelle von physiologisch-mechanischen Methoden treten kann, um im Menschen die lebendig sprudelnden Kräfte der Sprache wieder frei zu machen und sie zur Kunst zu erheben.

Dornach, 27. Februar 1926


Vorwort zur zweiten Auflage

Die von Rudolf Steiner begründete anthroposophische Bewegung, die entgegenkommen will dem Sehnsuchtsschrei der Menschen nach Geist, nach Befreiung von den Fesseln eines seelenverödenden Mate­rialismus, nach Lösung der Weltenrätsel, fand sich auch solchen Men­schen gegenübergestellt, die schwer gelitten hatten unter dem, was moderner Bühnenbetrieb ist, und die nirgends befriedigende Antwort gefilnden hatten auf jene Fragen, welche sie innerhalb des Bereiches ihrer Kunst und ihres Erkenntuisstrebens quälten. Sie kamen mit ihren Problemen und Nöten zu Rudolf Steiner, dem allseitig Helfen­den. Er half auch ihnen ; er hielt für sie die Vorträge über Sprach­gestaltung und dramatische Kunst, die nun in diesem Buche, welches lange vergriffen war, in neuer Auflage erscheinen. Jene strebenden Schauspieler mußten lange darauf warten, denn die schwere Zeit ver­langte Durcharbeitung noch dringenderer Probleme. Doch sah Rudolf Steiner in der Kunst einen für die Menschheit nicht hoch genug ein­zuschätzenden Erlösungsfaktor und seelischen Gesundungsweg. Unausgesetzt

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war er bemüht, solche befreiende Zukunftskeime auch für dieses Gebiet zu schaffen und zu pflegen. Vom Beginne bis zum Ende seiner geistig-sozialen Wirksamkeit zieht sich dieser rote Faden, der nie abgebrochen wurde und der in seinen Mysteriendichtungen einen Höhepunkt erreicht hat. In der Eurythmie gab er einen neuen Kunst-impuls, der in sich die Kraft hat, alle andern Kunstgebiete zu beleben und zu befruchten. Noch in seiner letzten, von Arbeit überfüllten Schaffenszeit hielt er, neben vielem andern, auch diesen Kursus über Sprachgestaltung und dramatische Kunst, zu welcheni der Andrang ein so starker war, daß er nicht, wie früher beabsichtigt, auf Schau­spieler beschränkt bleiben konnte. Als man sich, auf dringendes Bitten hin, zunächst mit einigen Ausnahmen bei der Beteiligung einverstan­den erklärt hatte, konnte der Besucherstrom bald nicht mehr ein­gedämmt werden. Vielleicht hätte der Kursus, wäre die erste Absicht eingehalten worden, einen etwas anderen, mehr iachgeüiäßen Charak­ter erhalten ; so aber wurde ihm dieser, neben der Tieie auch in die Breite gehende Menschheitszug, und manche zeitgemäße Erscheinung wurde, humorvoll illustrierend, in das Ganze eingeschaltet.

Obgleich die Nachschrift dieser Vorträge keine vollkommene ist und manche Lücken spürbar sind, wurde es doch dringendes Bedürf­nis, ihn, zwecks Ausarbeitung der erhaltenen Anregungen, gedruckt vor sich zu haben. Und hatte man sich einmal dazu enrschlossen, so entstand auch das Bedürfnis, das gesprochene Wort in der Frische und Unmittelbarkeit festzuhalten, in der es gehört worden war, trotzdem man sich bewußt war, daß es anders geformt sein würde, wenn es für die schriftliche Wiedergabe gedacht gewesen wäre. Den Leser bitten wir, sich daran zu erinnern, daß solche im Freundeskreise gesproche­nen Worte aus der Situation heraus gesprochen werden lind den von den Zuhörern entgegengebrachten Seelenstimmungen ufld stummen Fragen Rechnung tragen.

Viele werden geneigt sein, auf die hier gegebenen Anregungen nicht einzugehen, weil ihnen eine besondere Weltanschauueg zugrunde liegt - und das ist ja verpönt. Sogar deren Terminologie wird des öfteren gebraucht. Es liegt also die Notwendigkeit vor, sich ein Bild von der Wesensgestaltung des Menschen nach Leib, Sede und Geist

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zu machen. Man wird also studieren müssen. Eine reiche einsclllägige Literatur gibt dazu jede Möglichkeit. Neben den rein geisteswissen­schaftlichen Werken Rudolf Steiners können insbesondere seine päd­agogischen Schriften dazu dienen. Heute meint man: Kunst und Welt­anschauung vertrügen sich nicht. Es hat aber jede Kunst in ihrer Blüte­zeit einen lebendigen Weltanschinungsinhalt gehabt. Auf diesen In­halt kommt es an, sollen die Dekadenzerscheinungen einer absterben­den Kultur überwunden werden. Um zu verstehen, was uns mit die­sem Kursus über Sprachgestaltung und dramatische Kunst gegeben ist, müssen wir auf die hinter dem Sinnenschein verborgene konkrete Weltengeistigkeit eingehen können. Und sollen wir in die Praxis über­führen, was uns hier geboten wird, müssen wir diesen Weltengehalt erleben. Da dürfen uns Vorurteile und ein dem Geiste aus Furcht ent­gegengebrachter Haß nicht die Wege verrammeln. Erhalten wir uns die Sicht frei, dann werden wir die Laute als göttliche Lehrmeister erleben können, und den Atem als in uns wirkende, seelisch aktive Weltensubstanz. Sie sind Material und Werkzeug des Sprachkünstlers. Durch sie fühlt er sich im Geiste verankert und kann dessen Wege des Eintauchens in die Materie und in den Geschichtsverlauf verfolgen. Er sieht das Drama in urferner Vergangenheit aus dem Mysterium aufsteigen, er sieht es die Menschenseelen bilden, erfüllen, aufrüttein und läutern - dann sich in den Niederungen der Zivilisation verlieren... er erkennt, seelisch erstarkt und durch die Gaben und Errungen­schaften langer kultureller Entwicklungsepochen in seinem Ich er­wacht, daß es seine Aufgabe ist, es wieder dem Mysterium zurück­zuführen. Dazu weisen ihm die verborgenen, dem Bewußtsein sich allmählich enthüllenden Tiefen der Sprache die Wege.

Dornach, September 1941

#SE282-396

#Bild s. 396

HINWEISE

#G282-1969-SE397 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

HINWEISE

#TX

Marje Steiner, mit welcher Rudolf Steiner gemeinsam diesen Kurs gab, schrieb im September 1926, daß Rudolf Steiner diese Vorträge «noch auf dem Krankerdager für den Druck hat durchsehen wollen. Er hat es nicht mehr tun können.» Dann erschien im April 1926 die erste Buchausgabe des Dramatischen Kurses, wie er allgemein genannt wird, welcher 1941 im September eine zweite Auflage folgte. Es war somit noch eines der letzten Anliegen von Rudolf Steiner, daß diese Vorträge heritusgegeben werden sollten. Am 9. November 1924 erwähnt er in einem Briefe an Marie Steiner von seinem Krankenlager aus*: «Unter den Buchern die ich 1etzt angeschaut aber m diesem Falle wirklich nur angeschaut habe ist auch von [Felix] Emmel**. mit dem Briefe der Dumont Die Sache ist interessant Aber das ganze Buch ist ja nur ein Schrei, oder hochstens zwei Schreie Em Schrei uber die Verderbtheit der gegenwärtigen Bühne und ein anderer daß es anders werden musse Aber damit daß min das Elend in die Welt hinaus schreit und an eine instinktive Ekstase appelliert wird nichts anders. Da muß die Brucke hmuber geschaffen werden zurn Verstehen des Göttlich-Kosmischen in Sprache, Gebarde und Buhnengestaltung, wie es in meinem dramatischen Kurs erstrebt ist.» Diese Worte zeigen, wie durch sein Leben hindurch bis zuletzt die Probleme des modernen Theaters Rudolf Steiner wärmstes Anliegen waren, «weil ich die Sache mit Liebe und Achtung ansehe im Leben», wie er es irn Schlu& satz des letzten Vortrages vom 23. September 1924 zusammenfaßt.

Dem Kursus wurden die fünfübungsatunden vorangestellt, welche Marie Steiner mitden auf den Beginn der Vorträge wartenden nach Hunderten rählenden Zuhörerii abhielt, ah Rudolf Steiner noch in Stuttgart auf dem Heimweg von der Reise nach England einige Tage verbringen mußte. Diese Stunden führen unmittelbar in die Arbeit hinein, welche damals schon seit einigen Jahren durch verschiedene Gruppen oder Peisörlichkeüen auf-gegriffen worden war: das Erühen der für die Sprachgestaltung angegebenen Anwei­sungen***. Aber auch für die dramatische Darstellung hatte Rudolf Steiner schon einiges ausgeführt, veranlaßt durch Fragen, welche im April 1921 anläßlich des zweiten Hochachulkurses von Mitgliedern der Haaß-Berkow-Gruppe an ihn gerichtet wurden. **** Diese Fragenbeantwortung wurde an den Anfang des Buches gestellt.

Für diese dritte Auflage konnte der Tezt mit dem Stenogran>in verglichen und an zahlreichen Stellen verbessert und ergänzt werden. Innerhalb der Hinweise wird, wo es die Sache erfordert, über Begebenheiten, die nicht mehr als beleannt vorausgesetzt werden

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* «Rudolf Steiner - Marie Steiner-von Siven. Briefwechsel und Dokumente 1901 bis 1925», Bibl.-Nr. 262, Gesamtausgabe Dornach 1967.

** Luise Dumont leitete mit Gustav Lindemann durch viele Jahre das Düsseldorfer Schauspielhaus. Dr. Felix Emmel war damals ein enger Mitarbeiter von ihnen. Das Buch befindet sich in der Bibliothek Rudolf Steinen.

*** 1919 wurden die ersten Sprech-Übungen gegeben. Siehe «Methodik und Wesen der Sprachgestaltung», Bibl.-Nr. 280, Gesamtausgabe Doinach 1964.

**** Durch Georg Kugelmann, Rostock, «Neukünitlerische Bühnenspiele», wurden in Dornach im Juli1922 anläßlich eines Kurses über künstlerische Sprachbehandlung wei­tere Fragen gestellt, welche von Dr. Steiner aufgegriffen und beantwortet wurden. Das führte zu einer Einstudierung der «Iphigenie» von Gocthe durch diese Schauspieler-gruppe. Siehe ebenfalls «Methodik und Wesen der Sprachgestaltung».

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können, berichtet werden. Hier muß noch hervorgehoben werden, daß Rudolf Steiner, wie er das in seinen Eingangsworten betont, ursprünglich den Kursus nur für Bühnen-künstler hat halten wollen. Durch die Fülle der Zuhürer wurde dann der Duktus der Vortrage hestimmt, und auch in der Terminologie mußte auf die besondere Zuhörer-schaft Rücksicht genommen werden.

Als Grundlage für das Personen- und Sachregister diente ein von H. O.. Proskauer schon seit Jahren zusammengestelltes «Stichwort-, Sach- und Namenregister», welches von ihm entgegenkommenderweise zur Verfügung gestellt wurde.

Zu Seite

13 Eine Fragenbeantwortung: Im Anschluß an den zweiten anthroposophisehen Hoch­sehulkurs, der vom 3.-10. April 1921 im Goetheanum stattfand. Gottftied Haaß­Berkow nahm mit den Mitgliedern seiner Spielergruppe an diesem Kurs teil. Auf Grund der ve'schiedenen Kurse, welche seit 1919 von Frau Marie Steiner gege­ben wurden, hatten auch die Mitglieder der Haaß-Berkow-Truppe gearbeitet. Die Fragen nach dem Dramatischen ergahen sich aus ihrer Arheit. Das Blatt mit den 7 Fragen hat sich im Archiv gefunden und konnte durch Herrn Dr. G. Jacobj, Hannover, der damals an dem Kurs teilnahm und die Fragen redigiert hatte, eruiert werden. Rudolf Steiner notierte sich zu den ersten drei Fragen folgendes:

zu 1 = Drüherstehen

zu 2 = können viel tun

zu 3 = nur keine leblosen Dramen aufführen

14 in der kleinen Schrift: «Die Hetze gegen das Goetheanum», Arlesheim 1920. I. Teil: Vortrag von Dr. Rudolf Steiner «Die Wahrheit über die Anthroposophie und deren Verteidigung wider die Unwahrheit»; II. Teil:

Edouard Schuré, 1841-1929. «Die Kinder des Luelfer», Dornach 1955, aus nem

Französischen übersetzt von Marie Steiner und in freie Rhythmen gebracht durch

Rudolf Steiner.

in der nächsten Nummer « Die Drei»: Heft 1, I. Jahrgang. Der Zyklus von neun Vortragen trägt den Titel «Der Orient im Lichte des Okzidents. Die Kinder des Luzifer und die Brüder Christi», Bibl.-Nr. 113, Gesatntausgahe Dornach 1960.

15 an meinen eigenen Mysteriendramen: «Vier Mysteriendramen», Bibl.-Nr. 14, Gesamt-ausgabe Dornach 1962.

Ernst Uehli, 1875-1959. Lehrer an der Freien Waldorfachule in Stuttgart, Heraus-geber der Monatsschrift «Die Drei» und Vorstandsmitglied der Anthroposophi­sehen Gesellschaft in Deutschland.

16 Goethes Unbewußtheit: Vgl. «Die Annalen oder Tag- und Jahreshefte» von 1803, wo Goethe über den Unterricht mit zwei Schauspiel-Schülern folgendes schreibt «... ich begann mit ihnen gründliche Didaskalien, indem ich auch mir die Kunst aus ihren einfachsten Elementen entwickelte und an den Fortschritten beider Lehrlinge mich nach und nach emporstudierte, so daß ich selbst klarer über ein Geschaft ward, dem ich mich bisher instinktmäßig hingegeben hatte. Die Gramma­tik, die ich mir ausbildete, verfolgte ich nachher mit mehreren jungen Schau­spielern; einiges davon ist schriftlich übrig geblieben.» Regein für Schauspieler.

#SE282-399

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17 «Boroweky, Heck!»: Anapielung auf die Humoreske «Die Behörde» in «Paltn­ström» von Christian Morgenstern, welche damals eurythmisch dargestellt wurde.

Joh. Froitzheim, geb. 1M7, Professor der Geschichte und Literaturgeschichte. Vgl. «Friederike von Sesenheirn», nach geschichtlichen Quellen. 1893, Gotha, Fr. A. Perthes.

19 Josef Lewinski, 1835-1907, Schauspieler, hervorragender Charakterdarstefler,

wurde von Heintich Laube an das Wiener Burgtheater verpflichtet, wo er bis

1906 auftrat.

20 wie der Violinspieler seine Geige: Vgl. Ernst Ginsberg «Absehied», Arehe-Verlag

1965, das Kapitel «Die Entmündigung des Schauspielers». Ginsberg spricht am Ende seines Lebens in seinem Buche nicht nur den hier von Rudolf Steiner geäußer­ten Gedanken aus, sondern er fordert, ahnlieh wie es für den ausübenden Musiker vorhanden ist, für den Schauspieler eine . Siehe die Dar­stellungen auf S. 287ff.

21 Aristoteles, 384-322 v.Chr., vgl. auch die Ausführungen Dr. Stciners über die Physiognomik im Vortrag vom 15. Januar 1918 in «Wesen und Bedeutung der illustrativen Kunst», Dornach 1940.

24 Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, 1949-1931, Professor für Sprachwissenschaft.

25 Herman Grimm, 1828-1901, Kulturhistoriker. «Beitrage zur Deutschen Kultur-geschichte» in «Heinrich von Treitschkes Deutsche Geschichte».

Henrik Ibsen, 1828-1906, norwegischer Dramatiker. VgL R. Steiner «Gesammelte Aufsatze zur Dramaturgie 1889-1900», Bibl.-Nr. 29, Gesamtausgabe Dornach 1960.

26 August Strindberg, 1849-1912, schwedischer Dichter.

27 Hermann Bahr, 1865-1934. Um welchen Vortrag H. Barrts es sich handelt, konnte nicht ermittelt werden.

Z9 das Musikaisehe anzuwenden: VgL die von Adolf Arenson auf Grund von Rudolf Steiners Angaben au seinen Mysteriendrarnen geschaffenen Kompositionen. Klavierauszug von L. Mouravieff, Paris, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart.

31 für die Entwickelung des Eigenbewegungssinnes: VgL den Vortrag vom 28. Oktober

1909 in Berlin «Das Wesen der Künste», im Band «Kunst und Kunsterkenntuis»,

Bibl-Nr. 271, Gesamtausgabe Dornach 1961.

32 Als ich in der ... Dramatischen Gesellschaft: Vgl. dazu «Mein Lebeusgang»,

Kap. XXV, Bibl.-Nr. 28, Gesamtausgabe Dornach 1962.

Maurice Maeterlinck, 1862-1949, belg. Dichter und Schriftsteller. «Der Unge­betene» (L'Intruse), deutsch von Otto Erich Hartleben, Berlin 1898. Vgl « Ge­sammelte Aufsatze zur Dramaturgie 1889-1900», Bibl-Nr. 29, Gesamtausgabe Dornach 1960.

Max Burckhard, 1854-1912, österr. Schriftsteller, Direktor des Burgtheaters. «Die

Bürgermeisterwahl Eine ländilehe Komödie», Wien 1897. Vgl «Gesammelte

Aufsätze zur Dramaturgie 1889-1900», Bibl.-Nr. 29, Gesamtausgabe Dornach 1960.

#SE282-400

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32 Juliana Diry> 1864-1899, österr. Schriftstellerin ungarischer Abstammung. «Die aieben magern Kühe» 1896.

34 Karl Julius Schröte, 1825-1900, Professor an der Technischen Hochschule in Wien; Dichter, Mundartforscher und Literaturhistoriker.

35 Sprachkurs: Die recht lückeahaften Notizen vom Verlauf des Kurses konnten auf Grund von Nachsehriften durch Frau Helene Finckh, Herrn Otto Wiemer und den Herausgeber zusammengestellt werden. Der Kurs fand im vollbesetzten Saal der Schreinerei statt. Frau Dr. Steiner saß auf der Bühne und die Bühnenkünstler verteilt im Saale, mit denen sie vor allem die Übungen praktisch durchnahm. Sie sprach vor, und man hatte dann ebenfalls die Übung zu sprechen. Da nicht alle Beteiligten mit den Übungen vertraut waren, gab es allerhand Überraschungen, die oftmals Heiterkeit bei den übrigen Zuhörern auslösten. Von den Korrekturen hat sich leider nichts schriftlich erhalten; es wäre heute gewiß lehrreich. Es war dieses der letzte Sprachkurs, den Marie Steiner gab. Nach dem Tode von Rudolf Steiner arbeitete sie nun systematisch mit ihren Sehauspielsehülern, ähnlich wie vorher mit den Eurythmistinnen.

44 Stép haut Mallarmé 1842-1898.

45 «Singe, o Muse,...»: Beginn von Homers «Ilias». Vgl. «Die Kunst der Rezitation und Deklamation», Bibl.-Nr. 281. Gesamtausgabe Dornach 1967. II. Vortrag, Dornach, 6. X. 1920.

Empusé: Gestalt aus der klassischen Walpurgistiacht «Faust», II. Teil.

48 «Hoch klingt das Lied.. .»: «Das Lied vom braven Mann», Ballade von G. A. Bürger.

50 «Die Pforte der Einweihung»: Erstes Mysteriendrama Rudolf Steinen.

53 einzelne Persönlichkeiten: Claus Clausen. Edwin Froböse. Max Gümbel-Seiling. Gottfried Haaß-Berkow. Georg Kugelmann. Otto Wiemet - Auch Sänger traten in ähnlicher Weise an Dr. Steiner heran. Er versprach während des Dramatischen Kurses, 1925 einen Kursus für Sänger abzuhalten. Durch den Tod von Rudolf Steiner kam der Kursus nicht mehr zustande.

54 es gingen die verschiedenen Kurse voraus: Siehe «Methodik und Wesen der Sprach-gestaltung », Bibl.-Nr. 280, Gesamtausgabe Domach 1964.

Einzelne Gruppen von Persönlichkeiten: Haaß-Betkow-Gruppe; damals in Gelsen­kirchen, wo Gottfried Haaß-Berkow Intendant des Stadt-Theaters war und mit einem Teil seines Ensembles zum Dramatischen Kurs kam. - «Neukünstlerisehe Bühnenspiele» Rostock, unter Leitung von Georg Kugelmann. Die ganze Truppe kam zum Kurs nach Dornach.

seit 1912 die eurythmitche Kunst: Siehe «Die Entstehung und Entwickelung der Eurythmie», Bibl.-Nr. 277a, Gesamtausgabe Domach 1965.

55 eine Wandertruppe: Das war der ursprüngliche Gedanke. Als gegen Ende des

Kurses Mitglieder der Haaß-Bcrkow-Spiele Herrn Dr. Steiner und Frau Marie

Steiner auf der Bühne der Schreinerei einige Proben aus ihrer Arbeit (ohne

Kostüm und Maske) vorführen durften, sagte Rudolf Steiner am Schluß: «Nun

#SE282-401

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gehen Sie erst einmal wieder ein Jahr hinaus und arbeiten Sie, und wenn Sie dann in einem Jahr wiederkommea, werde ich mich sehr freuen, mit Ihnen ein Stuck einzustudieren. » - Die Kugelmarin-Gruppe hatte in Breslau im Juni während der Koberwitzer-Breslauer-Vennstaltungen Goethes «Iphigenle» aufgeführt. (Bericht von Rudolf Steiner darüber im Nachrichtenblatt, 22. Juni1924. Siehe «Die Konstitution der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft und der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft», BibL-Nt 26Oa, Gesamtausgabe Dornach 1966.) Nach dieser Aufführung setzte Rudolf Steiner den Termin für den Dramati­schen Kurs fest und lud die Truppe nach Dornach ein. Wenige Tage vorher haue Otto Wiemer mit Frau Dr. Steiner in Halle anläßlich einer Eurythmie-Auf-führung ein längeres Gespräch, in dem er ihr die Notwendigkeit des Kurses aus­einandenetzte, und Frau Dr. Steiner dadurch die Festsetzung des Datums für An­fang September versprach.

55 Geld hatten: Da es sich als aussichtslos erwies, innerhalb der deutschen Bühnen eine grundlegende Erneuerung durchzuführen, entstand der Plan, eine eigene Bühne zu begründen. Rudolf Steiner war offen für diese Idee, zumal eine Reihe von Bühnenkütistlern entschlossen war, einen neuen Weg einzuschlagen. Schluß­endlich zerschlugen sich alle Bemühungen, auch durch das Fehlen der nötigen Geldmittel.

94 gab es in Berlin einen Professer: Ernst Curtius, 1814-1896, Archinloge und Historiker.

104 Voßschen Homer-Übersetzung: Johann Heinrich Voß, 1751-1826, Dichter und Übersetzer.

107 Fräulein Senft: Emica Mohr-Senft, Eurythstin.

111 Charles Marie Leconte de Lisle, 1818-1894, fnnz,. Dichter. «Hypatie et Cyrille», III. Szene.

114 Johann Gottfried ,0,, Herder> 1744-1803, «Der Cid», besungen nach spanischen Romanzen.

118 Gotthold Ephraim Lessing, 1729-1781, «Faust», ein dratn,ttisches Fragment; aus den Literaturbriefen, 17. Brief vom 16. Februar 1759.

120 wo der Major non Tellheim vorkommt: In «Minna von Barnhelm oder das Soldaten-glück», ein Lustspiel.

124 Ernst von Wildenbruch, 1845-1909, Verfasser nationalhistorischer Dramen.

Otto Brahm, 1856-1912, war Mitbegründer der «Freien Bühne» und Leiter des Deutschen Theaters in Berlin.

125 Charlotte Wolter, 1834-1897, führende Schauspielerin am Wiener Burgtheater, seit

1874 vermählt mit dem Grafen O'Sullivan.

127 Schiller eine kurze Formel finden konnte: wörtlich: «Darin also besteht das eigentümliche Kunstgeheimnis des Meisters, daß er den Stoff durch die Form vertilgt». - Über die ästhetische Erziehung des Menschen, 22. Brief.

#SE282-402

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136 Franz Theodor Kugier, 1808-1858, Dichter, Kunsthistoriker. Aus dem Gedicht «An der Saale hellem Strande».

137 Ferdinand Freiligrath, 1810-1876, Dichtet.

Johann Peter Hebe4 1760-1826, Dialektdichter. Aus dem Gedicht «Die Über­raschung im Garten».

140 Jean Baptiste Moliére, 1622-1673, «Misanthrope», Paris 1688.

151 es gibt eine Reinhardtcrei: Max Reinhardt, 1873-1943, Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter; begründete auch eine Schauspielschule; wurde vor allem durch seine Inszenierungen im Deutschen Theater Berlin weltberühmt.

154 Auguste Wilbrandt-Baudius, 1845-1937, Schauspielerin am Wiener Burgtheater.

155 Nach Schluß des Vortrags: Ankündigung durch Rudolf Steiner einer Aufführung der «Ilphigenie» am Nachmittag durch Georg Kugelmann und seine Gruppe.

157f. Robert Hamerling, 1830-1889, «Danton und Robespierre», Tragödie, 1871. Im August 1941 wurde das Drama ungekürzt durch Marie Steiner auf der Bühne der Schreinerei aufgeführt, da der Goetheanumbau während des Krieges geschlos­sen war.

189 alte Formen etwas modifizieren müssen: Diese für den heutigen Menschen abge­wandelten Übungen konnte RudolfSteiner nicht mehr geben. Vgl. «Rudolf Steiner-Marie Steiner-von Sivers. Briefwechsel», Bibl.-Nr. 262, Gesamtausgabe Dornach 1967., S. 237 und 239.

190 «reinhardtet»: 1919 wurde in Berlin der Zirkus Schumann zum «Großen Schau­spielhaus» umgebaut.

196 Gorona Schröter, 1751-1802, Sängerin, Schauspielerin und Komponistin. Sie ver­körperte als erste die Ilphigenie in Weimar.

220 Heinrich Laube, 1806-1884, Schriftsteller; 1849-1867 Leiter des Wiener Burg­theaters.

220 Alexander Strakosch, 1846-1909, dramatischer Lehrer und Rezitator unter Laube in Wien; später in Berlin an Reinhardts Schauspielschule.

243 die sanguinische Naive: Siehe Seite 47.

244 Bücher ... aus der gegenwärtigen Wissenschaft: Diese Feststellung Rudolf Steiners wird auch durch das 1941 im Verlag A. Franeke, Bern, erschienene Werk von Dr. Hclmuth Pleßner, o. Professor an der Rijksuniversiteit Groningen, über «Lachen und Weinen, eine Untersuchung nach den Grenzen menschlichen Ver­haltens» bestätigt. Pleßners gewiß nicht oberflächlich zu nennende Darstellung von der «Lehre menschlichen Verhaltens», insofern sich dieses im Lachen und Weinen zeigt, kommt auch nur zu dem Schluß, daß es sich hierbei um eine «so gut wie unentdeckte Welt» handelt.

245 Eleonore Duse, 1859-1924, berühmte italienische Schauspielerin.

273 Das Theater bekam den Namen eines ... Klassikers: Das Lessing-Theater in Berlin, gegr. 1888. Der Gründer und Leiter war Oskar Blumentbal, siehe Hinweis zu Seite 302.

#SE282-403

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274 Jubel unter den Zubörern: Von Dr. Steiner war der Kurs «durch 15 Tage hindurch» angekündigt. Die Zuhörer, vor allem die Bühnenkünstier, waren begeistert, dach­ten aber auch an den herankommenden Abschluß. Daher der Jubel über die An­kündigung; es folgten im ganzen noch 7 Stunden.

288 wie schon Aristoteles andeutete: in seiner «Poetik».

292 in dem Auftatze uber unseren Sprachkurs: Siehe «Methodik und Wesen der Sprach-gestaltung», BibL-Nr. 280, Gesamtausgabe 1964, S. 213f.

299 unsere Mysterien aufzufübren: Die vier Mysteriendramen Rudolf Steiners wurden in München, jeweils im Sommer aufgeführt: 1910 im Schauspiell'aus, 1911 und 1912 im Gättnerplatz-Theater, 1913 im Volkstheater. Die Aufführungen begannen morgens 10 Uhr und dauerten bis spätnachmittags. Es waren Vorstellungen nur für die Mitglieder der Anthroposophisehen Gesellschart.

302 Franz Schönthan, 1849-1913, Bühnendichter; schrieb zusammen mit Gustav Kadel­burg Komödien.

Gustav Kadelburg, 1852-1925, Schauspieler, Lustapieldichter.

Oskar Blumentha4 1852-1917, Schriftsteller und Theaterdirektor. Gemeinsame Srüeke mit Kadelburg, z.B. «Im weißen Rößl» u. a.

Otto Brahm, Siehe Hinweis au Seite 124.

Paul Schlenther, 1854-1916, Schriftateller und Theaterleiter.

Die Brüder Heinrich (1855-1906) und Julius Hart (1859-1930) waren Mitbegrün­der der naturaliatischen Bewegung in der Literatur.

Paul Lindau, 1839-1919, Schriftsteller, Theaterleiter und Kritiker.

308 Gerhart Hauptmann, 1862-1946, deutscher Dichter. «Die Weber», Berlin 1892.

317 (es wird gezeichnet): die farbige Tafel befindet sich im Archiv der Rudolf Steiner Nachlaßverwaltung.

321 Josef Kainz, 1858-1910, Schauspieler; seit 1883 am Deutschen Theater Berlin, seit 1889 Burgtheater Wien.

324 Aristophanes von Athen, um 450-385 v.Chr., griech. Lustapieldichter.

330 Er sagt: veiw: So an der Tafel und im Notizbuch. Dr. Steiner sprach die Silbe stark den Diphtong betonend aus.

352 «Sing, unsterbliche Seele...»: Beginn des «Measias» von Friedrich Gottlieh Klopstock.

Pythagoras, um 582 bis etwa 507 v.Chr., griech. Philosoph.

Gegenwart bannte: Das Wort «bannte» ist im Stenogramm nicht klar lesbar.

Josef Misson, 1803-1875. Aus dem ersten Gesang der kleinen epischen Dichtung in unterennaischer Mundart «Da Naz, a niderösterreichiacher Bauernbui, geht in

#SE282-404

Zu Seite

d'Frernd», Wien 1850. Vgl. auch «Vom Menschenrätsel», Bibl.-Nr. 20, Gesamt-ausgabe Dornach 1957, S. 125ff.

362 durch Übungen gemacht wird: Siehe «Methodik und Wesen der Sprachgestaltung», Bibl.-Nr. 28Q Gesamtausgabe Dornach 1964.

364 Maeterlincks «L'Intruse»: Siehe Hinweis zu S. 32.

366 ver-kerrt u"d ge-harden-t: Bezugnahme auf die beiden Berliner Kritiker Alfred Kerr, 1867-1948 und Maximilian Harden, 1861-1927.

367 Levysobn: Dr. phil. Arthur Levysohn.

376 A. Strakosch, H. Laube: Siehe Hinweise zu S. 220.

377 Vorführungen, die wir gestern unschauen durften: Siehe Hinweis zu Seite 55. Einer der Schauspieler sprach den «Hamlet»-Monolog vor.

378 Emmerich Robert, 1847-1899, Schauspieler und Regisseur.

381 Lessingschen Bahnen: «Hamburgische Dramaturgie». Lessing versuchte, nicht nur für das Schauspiel, das Drama, sondern auch für die Schauspiel-, die Durstellungs­kunst die Grundlagen aufzuzeigen; letzteres war ihm aber nicht möglich. Erst Rudolf Steiner erfüllte durch diesen Kursus Lessings Postulat.

382 wenn sie zum Beispiel verarbeitet würden: Schon bald nach dem Ende des Kurses begann Frau Dr. Steiner mit einigen Schauspielern in Dornach zu arbeiten. Durch die Krankheit Rudolf Steiners und seinen frühzeitigen Tod (30. Mire 1925) war es ihm nicht mehr möglich, wie er es vorhatte, spezielle Unterweisungen, beispiels-weise die gymnastischen Übungen, noch zu geben. VgL Hinweis zu Seite 189. -Es nahm nun eine systematische Schulung unter der Leitung von Marie Steiner ihren Anfang. Der Kreis der Schauspielsehüler hatte sich rasch vergrößert. Vor-dringlich war, eine Aufführung der Vier Mysteriendramen von Rudolf Steiner für die Eröffnung des neu aufgebauten Goetheanum vorzubereiten.

384 Gottfried Haaß-Berkow, 1888-1957, Schauspieler und Regisseur. Die Haaß-Berkow­Spiele waren in den zwanziger Jahren besonders in Deutschland weithin bekannt. Zuletzt Ilntendant der Württembergischen Landesbühne.

Albert Steffen, 1884-1963, Schweizer Dichter, Leiter der Sektion für schöne

Wissenschaften am Goetheanum; übernahm nach dem Tode Rudolf Steiners den

Vorsitz der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft.

392 manches Buch erschienen: Siehe die Bemerkungen vor Beginn der Hinweise, «Das ekstatische Theater» von Dr. Felix Emmel zum Beispiel.

Diesem Buche wird bald ein zweites folgen: «Methodik und Wesen der Sprach­gestaltung», Bibl.-Nr. 280, Gesamtausgabe Dornach 1964.

394 zieht sich dieser rote Faden: Siehe «Mein Lcbensgang», Bibl.-Nr. 28, Gesamtausgabe Dornach 1962 und «Gesammelte Aufsätze zur Dramaturgie 1889-1900», Bibl.-Nr. 29, Gesamtausgabe Dornach 1960

395 neben den rein geisteswissenschaftlichen Werken: Siehe die Übersicht über die Rudolf Steiner-Gesamtausgabe auf S. 410-41 1

REGIlSTER DER ÜBUNGEN UND BEISPIELE

#G282-1969-SE406 Sprachgestaltung und dramatische Kunst

#TI

REGIlSTER DER ÜBUNGEN UND BEISPIELE

#TX

Bürger, Gottfried August

Das Lied vom brsven Mann 48

Freiligrath, Ferdinand

Der ausgewanderte Dichter 137

Goethe, Johann Wolfgang v.

Achillels 100-103

Iphigenle (weimarische Fassung)

126, 127

Iphigenle (römische Fassung) 128,

129

Tasso 204-210

Wanderers Nachtlied 47

Hamerling, Robert

Danton und Rohespierre 160-175,

277-286

Hebel, Johann Peter

Die Überraschung Im Garten 137

Herder, Johann Gotrfried v

Der Cid 114-117

Kugler, Friedrich Theodor Und der Wandrer zieht von daunen

136

Leconte de Lisle

Hypatle et Cyrllle 111, 112

Lessing, Gotthold Ephraim Faust-Fragment 118, 119, 121, 122

Minna von Barnhelm 181-187

Misson, Joseph

Da Naz 353

Molié re

Le Misanthrope 140-144

Pater noster 123

Schiller, Friedrich v.

Maria Stuart 255-267

Der Taucher 42, 85, 361

Shakespeare

Hamlet 379, 380

Steiner, Rudolf

Aber ich will nicht dir 133, 136, 137, 138

Abracadabra 44

Ach forsche rasch 43

Bei meiner Waffe 41

Bei seiner Gartentüre 41

Breite weise Wiesen 38

Daß er dir log 35

Die Liebestriebe 38

Drück die Dinge 43

Du findest dich selbst 49

Erfüllung geht 36

Halt! Hebe hurtig 42

Harte starke 134, 136, 137, 138

Hum, ham, häm, him 341,348,354

Ich ringe Groll 41

In den unerrneßlich 37

Lalle im Oststurrn 39

Lebendige Wesen 38, 39

Nimm nicht Nonnen 35

0 schäl und schmor 133, 134, 136,

137, 138

Pfeife pfiffige 43

Protzig preist 36

Rate mir 35

Redlich ratsam 36

Reihe, reichen, reich 349,354

Sahst du das Blaß 38

Sende aufwärts 49

Schwinge schwere Schwa!be 43

Sturm-Wort rumort 43

Tritt dort die Tür durch 42

Wäge dein Wollen klar 49

Weiße Helligkeit 48

Uhland, Ludwig

Des Sängers Fluch 46

#SE282-407

PERSONEN- UND SACHREGISTER

ästhetisches Gewissen 34

Äschylos 24,227

Alexandriner 110

Alliteration 64

Anapäst 104,105,106

Aristophanes 324

Aristoteles 21,288, 290,291

Assonanz 64

Auge, linkes und rechtes 197

Bahr, Hermtan 27

Beleuchtung (der Szene) 271,295-298,

312,316,319

Bewußtseinsentwickelung 13-21

Blurnenthal, Oskar 302

Braltm, Otto 124,302

Bühnenbild 156, 193-195, 199, 202,203, 211,214,255,271, 272,275,297,316, 317

Burckhard, Max 32

Charakterdrarna 275,276,331,332

Charaktermaske 325,326,332

Chor 228-233

Daktylus 104-106, 109, 113,352

Deklamation, deklamieren 61,65-67, 97, 129, 188

Dekorationen, Dekorationsmalerei 270, 271,292-301,312,314,317

Déry, Juliana 32

Deutsche Sprache 110, 147-149, 152, 180

Dialekt 70, 150,353,372

Dionysos 229

Dose, Eleonora 245

Eloquenz 94,95

Epik, Epos 65,66, 98-100, 103, 104, 113, 114,115,117,118,120

Euripides 24

Eurythmle 54, 55,249, 250

Farbstilisierung 271,272,294-296,298, 299

Französische Sprache 110, 180

Freilichtthester 296-298,312,317, 318

Freiligrath, Ferdinsnd 137

Froitzheim, Joh. 17

Gehör 375

Geschmack, Geschmacksurteil 94, 124,

224-226,231,308

Goethe, Johann Wolfgang v. 16-18, 100, 104, 106,110,126,127,128,130, 196, 201-204,253,267,308,353

Faust 18, 110,201,203

Götz von Berlichingen 201,267,268

Hermann ,and Dorothea 100, 104

Iphigenie 196,201,202,203,253

Die narürliehe Tochter 203

Pandora 203

Tasso 130, 196,201-204,253

Götter 123, 153,227-234,300,324, 352, 360,365,371

Gotische Sprache 152

Geartamatik 94

Griechische Bühne, gr. Mysterien,

gr. Theater, gr. Drama 24,25,82, 107,229,323, 324

Griechische Gymnastik 72,73,80,

189-192, 220,221,231, 301

Grimm, Herman 25

Hamerling, Robert 157-159,276,279, 282,283,284

Danton und Robespierre 157-160, 167, 173-175,276-279,281-285

Handlung im Drama 327,332,335

Harden, Maximilian 366-368

Hart, Gebrüder 302

Hauptmann, Gerhart 308

Die Weber 308

Hebel, Johann Peter 137

Heines Verwandter 247

Herder,Johann Gottfried v. 114,115,117

Der Cid 114,115,117

Hexameter 99, 100, 103, 104, 105, 109,

110,353

Humor 23, 221,222,324,326,331, 332,

334,337-339

#SE282-408

Ibsen-Dramen 25, 26

Interpretation des Dramas, künstlerische

32, 33

Jambus 105-107, 109, 110, 352, 353

Kadelburg, Gustav 302

Kainz, Josef 321

Katharsis 290,291

Konversation 66-68

Konversationsdrama 105

Kostüm 272,278, 295

Kritik, Kritiker 366-368,381

Kugler, Friedrich Theodor 136

Kultus 229, 230,382

Lachen 244,245, 246,294,337-339

Landschaftsmalerei 234,235, 270

Laube, Heinrich 220,376

Leconte de Lisle 111

Hypatie et Cyrille 111

Legende 106

Leseprobe 113, 156, 158

Lessing 118-121, 180

Faust-Fragment 118, 120-122

Minna von Batrnhelm 180

Levysohn 367,368

Lewinski, Josef 19,20

Lindau, Paul 302

Lispein, Lispler 358,359,362

Lustspiel 247, 289-292,332-335,

337-339

Lyrik 18, 65, 66, 104, 109

Maeterlinck, Maurice 32,364

Märchen, Märcheniesen 106

Ma!er, Malerei 234,235,270,271,299

Masken 107, 108,229,297, 317,318, 324, 332, 383

Mensehenbeobachtungskunst 21-24, 31

Menschendarstellung, künstlerische 28, 29

Michelangelo 120

Misson, Joseph 352, 353

Da Naz 352,353

Moliére 140

Le Misanthrope 140

Musik, Musiker 29, 274,315

Mysterien, Mysterienkunst 71, 82, 86,90, 123, 226-228, 230, 290, 291, 323, 337

Mysteriendramen von Rudolf Steiner 15,

73, 75-79, 123, 124, 299,353, 375

Naturalismus 33, 145, 179, 180, 190, 193, 195, 226, 236,270, 292, 298, 301,302,

307,382, 383

Ödipus-Drama 324

Offenbarungen der Sprache 74ff.

O'Sullivan, Graf 125

Partitur für den Schauspieler 274,281,

287, 289, 323,326

Pater noster 123

Pausen 333, 334

Physiognomik des Aristoteles 21

Plastik 80,93,293,338

Poesie, poetisch 65, 104, 105, 107, 109,

110,112,120,121, 123,124,126,201,

289

Problemdramen 25-27

Pythagoras 352

Rtaffael 127,213

Regenbogen 300-302,313

Reim 94

Reliefhühne 299,300

Rezitation, rezitieren 57,61,65,67, 86,

97-99, 105, 124-126, 129, 130, 174,

179, 188,233,248,250, 269

Rhetorik 94, 110

Rhythmus, rhythmisieren 59,64,99, 110, 126, 128,201, 352,361, 362

Robert, Emmerich 378

Satire 324,332

Schicksal, Schicksalsdrama 323-325,

327,331, 332,335

Schiller, Friedrich v. 25, 124, 127, 128,

204,252, 254,255,256,266,268, 308,

332

Ästhetische Briefe 127

Demetrius 204,255, 332

Die Braut von Messina 254,255,267,

269, 332

Die Räuber 253, 267, 268,269

Don Carlos 253, 269

Fiesko 253

Jungfrau von Orlé ans 254, 268

#SE282-409

Kabale end Liebe 124,253

Maria Staart 254,255,267,268,269,

271,272

Wallenstein 215,216,253,254,332

Wilhelm Teil 254,268,308

Schönthan, Frarz v. 302

Schreiben, mit der Hand, mit dem Fuß

59,374,375

Sehrenck-Notzing, Albert v. 320

Schröer, Karl Julius 34

Schröter, Corona 196

Sch',r,i, Bdouard 14

Shakespeare, Williim 18,25,26,243, 297,308, 312, 313, 318, 319, 325, 376

Hamlet 15,308,376-381

Macbeth 308

Richard II. 308

Shakespeare-Bühne 297,312,319

Singen 61, 108,250,259,361, 362

Sophokles 24

Antigone 324

Ödipus-Drama 324

Souffleurkatten 155, 194

Steiner, Marie 3549, 53, 54,55,73,74, 76, 100, 110, 111, 118, 123, 126, 128, 139, 140, 174, 179, 181,204,254,255,

386-395

Stimmungsstil 254,268,270,271

Stoff, Stoffgtfuhl 100, 120, 126, 127, 128, 201,267,268

Stottern 359,361,362

Strakoseh, Alexander 220,221,376,377

Strindberg-Dramen 26

Syntax 94

Talent, schauspielerisches 29-31

Temperament, Temperamente 221,222,

234,235,243

Tempo 331,332

Tränen auf der Bühne 244,245

Trauerspiel, Tragödie 289,290,291

Träume 121,313-317,320

Trochtus, trochäisch 105, 106, 109, 113, 114,352

Uehii, Ernst 15

Universalsprache 150

Unterbewußtsein 59,60,321

Ursprache 64,75 Vers, Versform, Versmaß 20,94,98,99, 104,109,110, 113 Volkadramen, Volksstücke 325,326 Voßsche Homer-Übersetzung 104 Waldotfschule 60 Weibnachtsspieie 230,327,331 Weinen 244,245 «Wiener Fremdenblatt» 247 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich v. 24 Wilbrandt-Baudius, Auguste 154 Wildenbruch, Ernst v. 124 Wolter, Charlotte 125 Ziehbilderbücher 299 Zuschauerraum 196,211,218,228,296, 334,349,363-366,368

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.