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Version vom 6. August 2023, 22:47 Uhr

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ERSTER VORTRAG Köln, 28. Dezember 1912

#G142-1960-SE009 - Die Bhagavad Gita und die Paulusbriefe

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ERSTER VORTRAG

Köln, 28. Dezember 1912

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Gewissermaßen stehen wir heute am Ausgangspunkt der Begründung der anthroposophischen Gesellschaft im engeren Sinne und dürfen gerade bei einer solchen Gelegenheit uns auch wieder erinnern der Wichtigkeit und Bedeutung unserer Sache. Zwar soll ja dasjenige, was die anthroposophische Gesellschaft für die neuere Kultur sein will, sich durchaus nicht prinzipiell von dem unterscheiden, was wir hier innerhalb unserer Kreise als Theosophie immer getrieben haben. Aber vielleicht darf diese Hinzufügung eines neuen Namens doch unsere Seelen wiederum erinnern an den Ernst und die Würde, mit denen wir innerhalb unserer Geistesströmung arbeiten wollen, und von diesem Gesichtspunkt aus ist auch das Thema dieses Vortrags-zyklus gewählt worden. Ein Thema wollen wir besprechen im Aus- gangspunkt unserer anthroposophischen Sache, welches in der man­nigfaltigsten Weise geeignet sein wird, uns auf die Wichtigkeit und Bedeutsamkeit unserer geistigen Strömung für das Kulturleben der Gegenwart hinzuweisen.

Vielleicht hat es manchen überrascht, zusammengestellt zu finden zwei scheinbar recht weit voneinander liegende Geistesströmungen, wie sie ausgesprochen sind auf der einen Seite in dem großen mor­genländischen Gedicht der Bhagavad Gita und auf der anderen Seite in den Briefen desjenigen, der der Begründung des Christentums so nahe steht: des Apostels Paulus. Wir werden am besten die Nähe dieser beiden Geistesströmungen erkennen, wenn wir heute einlei­tend einmal darauf hinweisen, wie in unsere Gegenwart herein sich stellt auf der einen Seite dasjenige, was zusammenhängt mit der großen Bhagavad-Gita-Dichtung, und wie auf der anderen Seite her­einragt dasjenige, was im Ausgangspunkte des Christentums begrün­det war: der Paulinismus. Anders ist doch vieles im ,Geistesleben un­serer Gegenwart, als es vor verhältnismäßig kurzer Zeit noch war,

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und gerade dieses andere im Geistesleben der Gegenwart gegenüber dem Geistesleben einer noch vor kurzem sich abschließenden Ver­gangenheit macht so etwas notwendig, wie es die theosophische oder anthroposophische Geistesströmung ist.

Denken wir einmal, wie der Mensch einer verhältnismäßig noch kurz hinter uns liegenden Zeit dann, wenn er sich zu dem Geistes­leben seiner Gegenwart aufschwang, es eigentlich, wie ich schon in meinem Basler und Münchener Vortragszyklus hervorhob, zu tun hatte mit drei Jahrtausenden, einem vorchristlichen Jahrtausend und zwei nicht ganz abgeschlossenen Jahrtausenden, die durchtränkt und durchströmt sind von der christlichen Geistesströmung. Was konnte sich der Mensch sagen, welcher noch vor kurzem, als man nicht reden konnte von der Berechtigung einer theosophischen oder anthropo­sophischen Geistesströmung, wie wir sie heute meinen, im Geistes­leben der Menschheit drinnen stand? Er konnte sich sagen: In die Gegenwart ragt so eigentlich dasjenige herein, was gesucht werden kann höchstens in einem Jahrtausend, das der christlichen Zeitrech­nung vorangegangen ist. Denn nicht früher als in diesem Jahrtausend der vorchristlichen Zeitrechnung beginnen sozusagen die einzelnen Menschen als Persönlichkeiten Bedeutung zu haben für das Geistes­leben. So groß und gewaltig und gigantisch manches in den ,Geistes-strömungen der früheren Zeiten uns herüberleuchtet: die Persönlich­keiten, die Individualitäten heben sich nicht ab von dem, was den Geistesströmungen zugrunde liegt. Sehen wir nur zurück auf das, was wir nicht so in engerem Sinne, wie wir es jetzt meinen, zu dem letzten Jahrtausend vor der christlichen Zeitrechnung zuzählen können, sehen wir auf die altägyptische oder chaldäisch-babylonische Geistes-strömung zurück: wir überblicken sozusagen ein zusammenhängen-des Geistesleben. Herausragend, so daß uns die Individualitäten als solche ganz geistig lebendig vor Augen treten, beginnt eigentlich erst die Sache im griechischen Geistesleben zu werden. Große gewaltige Lehren, gewaltige Ausblicke weiter hinaus in die Weltenweiten fin­den wir im ägyptischen Zeitalter, im chaldäisch-babylonischen Zeitalter;

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in Griechenland beginnt erst die Sache so zu werden, daß wir hinblicken auf einzelne Persönlichkeiten, auf einen Sokrates oder Perikles, auf einen Phidias, auf einen Plato, auf einen Aristoteles. Die Persönlichkeit als solche tritt heraus. Das ist das Eigenartige des Geisteslebens der letzten drei Jahrtausende. Und ich meine nicht nur die bedeutenden Persönlichkeiten, sondern den Eindruck, den das Geistesleben auf jede einzelne Individualität, Persönlichkeit macht. Es kommt auf die Persönlichkeit in diesen drei Jahrtausenden an, wenn wir so sagen dürfen. Und die geistigen Strömungen haben da­durch Bedeutung, daß die Persönlichkeiten ein Bedürfnis haben, ain geistigen Leben teilzunehmen, daß die Persönlichkeiten inneren Trost, Hoffnung, Frieden, innere Seligkeit, innere Sicherheit finden durch die geistigen Strömungen.

Und weil man sich vorzugsweise bis vor verhältnismäßig kurzer Zeit nur interessieren konnte für die Geschichte, insofern sie verläuft von Persönlichkeit zu Persönlichkeit, so hatte man kein so tiefes durchdringendes Verständnis für das, was vor den letzten drei Jahr­tausenden lag. Mit dem Griechentum fing doch diejenige Geschichte an, für die man bis vor ganz kurzer Zeit allein Verständnis hatte, und hinein fiel dann an der Wende des ersten und zweiten Jahrtau­sends das, was sich anschließt an die große Wesenheit des Christus Jesus.

Im ersten Jahrtausend ragt herüber dasjenige, was uns das Grie­chentum gebracht hat. Und eigentümlich ragt es her über, dieses

Griechentum: am Ausgangspunkt desselben stehen die Mysterien. Was aus diesen herausgeflossen ist - wir haben es öfter darge­stellt -, ging über auf die großen Dichter und Philosophen und Künstler auf allen Gebieten. Denn wollen wir in richtiger Weise Aschylos, Sophokles, Euripides verstehen, wir müssen die Quellen zu ihrem Verständnis suchen in dem, was aus den Mysterien geflossen ist. Wollen wir Sokrates, Plato, Aristoteles verstehen, wir müssen die Quellen zu ihrer Philosophie in den Mysterien suchen. Gar nicht zu sprechen von so überragenden Gestalten wie Heraklit. Von ihm

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können Sie in meinem Buch «Das Christentum als mystische Tat­sache» sehen, wie er ganz fußt auf den Mysterien.

Dann sehen wir, wie mit dem zweiten Jahrtausend der christliche Impuls in die Geistesentwickelung hereinströmt, und wir sehen das zweite Jahrtausend so verlaufen, daß dieser Christus-Impuls sozu­sagen nach und nach das Griechentum aufnimmt, sich mit ihm ver­einigt. Das ganze zweite Jahrtausend verläuft so, daß der gewaltige Christus-Impuls sich vereinigt mit dem, was vom Griechentum in lebendiger Tradition und in lebendigem Leben überhaupt herüber­gekommen ist. So daß wir sehen, wie ganz langsam und allmählich griechische Weisheit, griechisches Fühlen, griechisches Künstlertum sich organisch verbindet mit dem Christus-Impuls. Das ist der Ver­lauf des zweiten Jahrtausends.

Dann beginnt das dritte Jahrtausend der Persönlichkeitskultur. Wir dürfen sagen, wir sehen in diesem dritten Jahrtausend, wie in anderer Weise das Griechentum herüberwirkt. Wir sehen es, wenn wir etwa Kimstler betrachten wie Raffael, Michelangelo, Lionardo da Vinci. Nicht mehr so lebt das Griechentum im dritten Jahrtausend mit dem Christentum weiter fort, wie in der Kultur des zweiten. Nicht wie eine historische Größe, wie etwas, das man äußerlich be­trachtet hat, nahm man im zweiten Jahrtausend das Griechentum auf; im dritten Jahrtausend müssen die Menschen sich direkt hin­wenden zum Griechentum Wir sehen, wie Lionardo, Michelangelo und Raf fael die großen, wieder zutage tretenden Kunstwerke auf sich wirken lassen, wie das Griechentum in immer bewußterer Weise aufgenommen wird. Unbewußt war es aufgenommen worden im zweiten Jahrtausend, bewußter und immer bewußter wird es im drit­ten Jahrtausend aufgenommen.

Wir sehen, wie in die Weltanschauung bewußt dieses Griechen­tum aufgenommen wird, zum Beispiel an der Philosophengestalt des Thomas von Aquino, wie er genötigt ist, das, was aus der christ­lichen Philosophie fließt, zusammenzubringen mit der Philosophie des Aristoteles. Das Griechentum wird auch da bewußt aufgenommen,

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so daß hier zusammenfließen in bewußter Weise Griechentum und Christentum in philosophischer Form, wie bei Raffael, Michel­angelo und Lionardo in künstlerischer Form. Und dieser ganze Zug geht durch das Geistesleben weiter herauf, auch als eine gewisse religiöse Gegnerschaft eintritt bei Giordano Bruno, bei ,Galilei. Wir finden trotz alledem überall, daß griechische Ideen und Begriffe, namentlich in bezug auf Naturanschauung, wieder auftauchen: ein bewußtes Aufsaugen des Griechentums!

Aber weiter als bis zum Griechentum geht es nicht zurück. Und in allen Seelen, nicht bloß etwa in den gelehrten oder höher gebildeten Menschen, sondern in allen Seelen bis zu dem einfachsten Men­schen breitet sich aus, lebt ein solches Geistesleben, in das be­wußt das Griechentum und Christentum zusammengeflossen sind. Von der Universität bis in die Bauernhütte hinein werden mit den Begriffen aufgenommen griechische mit christlichen Vorstel­lungen.

Da tritt etwas Eigentümliches im neunzehnten Jahrhundert ein, etwas, das auszugestalten und auszuführen im ,Grunde genommen erst Theosophie oder Anthroposophie berufen ist. Da sehen wir an einer einzelnen Erscheinung, was sich Gewaltiges abspielt. Als zu-erst bekannt wird die wunderbare Dichtung der Bhagavad Gita in Europa, da finden sich hingerissen von der Größe dieser Dichtung, hingerissen von dem tiefsinnigen Gehalte bedeutende Geister. Und unvergeßlich mag es bleiben, daß ein so tiefer Geist wie TVi?helm vün Humboldt, als er mit ihr bekannt wurde, sagen konnte, das sei die tiefste philosophische Dichtung, die ihm vor Augen gekommen. Und den schönen Ausspruch konnte er tun, daß es sich gelohnt habe, so alt zu werden wie er, weil er noch habe kennen lernen können die Bhagavad Gita, den großen Geistessang, der herübertönt aus uralt-heiligem, orientalischem Altertum.

Und wie schön ist es, daß sich langsam, wenn auch noch nicht weite Kreise ziehend, im neunzehnten Jahrhundert eingegossen hat gerade von der Bhagavad Gita aus Vieles von orientalischem Altertum.

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Denn diese Bhagavad Gita ist ja nicht so wie andere Schrift-werke, die aus dem orientalischen Altertum herüberragen. Andere Schriftwerke verkündigen uns immer morgenländisches Denken und Fühlen von diesem oder jenem Gesichtspunkt aus. In der Bhaga­vad Gita aber tritt uns etwas entgegen, von dem wir sagen können:

es ist der Zusammenfluß aller verschiedenen Richtungen und Ge­sichtspunkte morgenländischen Denkens und Empfindens und Füh­lens. Das ist das Bedeutsame der Bhagavad Gita.

Sehen wir einmal hinunter ins alte Indien. Da finden wir, wenn wir Unbedeutenderes aus dem Auge lassen, zunächst heraufragend aus grauer indischer Vorzeit drei sozusagen nuancierte Geistes-strömungen. Diejenige Geistesströmung, die uns entgegentritt schon in den ersten Veden und die dann in den späteren vedischen Dich­tungen ihre weitere Ausbildung erfahren hat, das ist eine ganz be­stimmte Geistesströmung - wir werden sie gleich charakteri­sieren -, es ist, wenn wir so sagen dürfen, eine einseitige, aber ganz bestimmte Geistesströmung. Dann tritt uns entgegen eine zweite Geistesströmung in der Sankhyaphilosophie, wiederum eine be­stimmte Geistesrichtung, und endlich tritt uns entgegen eine dritte Nuance morgenländischer Geistesströmung in Yoga. Damit haben wir die drei bedeutendsten morgenländischen ,Geistesströmungen hingestellt vor unsere Seele, die Veden-, Sankhya- und Yoga-strömung. Was uns da als Sankhyasystem des Kapila auftritt, was uns in der Yogaphilosophie des Patanja/i und in den Veden ent­gegentritt, das sind Geistesströmungen von bestimmter Nuance, Geistesströmungen, die, weil sie diese bestimmte Nuance haben, gewissermaßen einseitig sind, und die gerade in ihrer Einseitigkeit ihre Größe haben.

In der Bhagavad Gita haben wir die harmonische Durchdringung aller drei Geistesströmungen. Was die Vedenphilosophie zu sagen hatte, wir finden es wiederum aus der Bhagavad Gita entgegen-glänzen; was der Yoga des Patanjali dem Menschen zu geben hatte, wir finden es wiederurn in der Bhagavad Gita; was der Sankhya des

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Kapila zu geben hatte, wir finden es in der Bhagavad Gita. Und wir finden es nicht etwa so, daß es uns wie ein Konglomerat ent­gegentritt, sondern so, daß sie wie drei Glieder harmonisch zu einem Organismus zusammenfließen, als ob sie ursprünglich zusammen­gehörten. Das ist die Größe der Bhagavad Gita, daß sie in so um­fassender Weise schildert, wie dieses morgenländische Geistesleben seine Zuflüsse erhält auf der einen Seite von den Veden, auf der anderen von der Sankhyaphilosophie des Kapila und auf der dritten Seite von dem Yoga des Patanjali.

Zunächst soll kurz charakterisiert werden, was jede einzelne dieser drei Geistesströmungen uns geben kann.

Die Vedenströmung ist im ausgesprochensten Sinne eine Einheits­philosophie, der spirituellste Monismus, der gedacht werden kann. Monismus, spiritueller Monismus, das ist die Vedenphilosophie, die dann ihren Ausbau erhält im Vedanta. Wenn wir die Vedenphilo­sophie verstehen wollen, dann müssen wir uns zunächst vor die Seele halten, daß diese Vedenphilosophie davon ausgeht, daß der Mensch in sich selber ein Tiefstes findet, das sein eigentliches Selbst ist, und daß dasjenige, was er zunächst erfaßt im gewöhnlichen Leben, eine Art Ausdruck oder Abdruck dieses seines Selbstes ist, daß der Mensch sich entwickeln kann und daß seine Entwickelung immer mehr und mehr die Tiefen des eigentlichen Selbstes heraus­holt aus den Untergründen der Seele. Es ruht also wie schlummernd ein höheres Selbst in dem Menschen und dieses höhere Selbst ist nicht das, was der Mensch der Gegenwart unmittelbar weiß, aber was in ihm arbeitet, zu dem er sich hinentwickelt. Wenn der Mensch ein­mal erreicht haben wird das, was in ihm als Selbst lebt, dann wird er gewahr werden, nach der Vedenphilosophie, daß dieses Selbst eins ist mit dem allumfassenden Selbst der Welt überhaupt, daß er mit seinem Selbst durchaus nicht nur in diesem allumfassenden Wel­tenselbst ruht, sondern eins ist mit diesem Weltenselbst. Und er ist so eins mit diesem Weltenselbst, daß er in zweifacher Weise mit seinem Wesen sich zu diesem Weltenselbst verhält. Wie man

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physisch aus- und einatmet, so etwa - müssen wir sagen - stellt sich der Vedantist das Verhältnis des menschlichen Seibstes zum Weltenselbst vor. Wie man einatmet und ausatmet, und wie draußen die allgemeine Luft ist und im Innern das Stück Luft, das wir eingeatmet haben, so hat man draußen das allgemeine um­fassende, durch alles lebende und webende Selbst und atmet es ein, wenn man hingegeben ist der Betrachtung des spirituellen Selbstes der Welt. Man atmet es geistig ein mit jeder Empfindung, die man von diesem Selbst hat, man atmet es ein mit allem, was man herein-bekommt in seine Seele. Alle Erkenntnis, alles Wissen, alles Denken und Empfinden ist geistiges Atmen. Und das, was wir also wie ein Stück des Weltenseibstes - was aber organisch mit diesem Welten-selbst verbunden bleibt - in unsere Seele hereinbekommen, das ist Atman: das Atmen, das in bezug auf uns selber so ist wie das Stück Luft, das wir einatmen und das nicht unterschieden werden kann von der allgemeinen Luft. So ist Atman in uns, kann aber nicht unter­schieden werden von dem, was das allwaltende Selbst der Welt ist. Und wie wir ausatmen physisch, so gibt es eine Andacht der Seele, durch die sie ihr Bestes, was sie hat, gebetartig und opfernd hin-wendet zu diesem Selbst. Das ist wie das geistige Ausatmen: Brah­man. Atman und Brahman, wie Ein- und Ausatmen, macht uns zu Teilnehmern an dem allwaltenden Weltenselbst.

Eine monistisch-spirituelle Philosophie, die zugleich Religion ist, tritt uns im Vedentum entgegen. Und die Blüte und Frucht dieses Vedentums ist jene den Menschen so beseligende, so im Innersten und im H&hsten beruhigende Empfindung des Einsseins mit dem allgemeinen, weltdurchwaltenden und durchwebenden Selbst, mit der einheitlichen Wesenheit der Welt. Von diesem Zusammenhang des Menschen mit der Einheit der Welt, von diesem Drinnenstehen des Menschen im ganzen großen spirituellen Kosmos handelt das Vedentum, handelt - wir können nicht sagen das Vedenwort, denn Veda ist schon Wort -, handelt das Wort Veda, das gegeben ist, das selber ausgehaucht ist nach vedischer Vorstellung von dem aliwaltenden

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Einheitswesen und das die Menschenseele als höchste Ausge­staltung der Erkenntnis in sich aufnehmen kann.

Mit der Aufnahme des Vedenwortes wird aufgenommen des all­waltenden Selbstes bester Teil, wird errungen das Bewußtsein des Zusammenhanges des einzelnen Menschenselbstes mit diesem all­waltenden Weltenselbst. Was Veda sagt, ist das ,Gotteswort, das schöpferisch ist und das wiedergeboren wird in der menschlichen Erkenntnis, so die menschliche Erkenntnis zusammenführend mit dem schöpferischen, die Welt durchlebenden und durchwebenden Prinzip. Daher galt das, was in den Veden geschrieben war, als göttliches Wort, und derjenige, der sie durchdrang, als Besitzer des göttlichen Wortes. Das göttliche Wort war in spiritueller Weise in die Welt gekommen und lag vor in den Vedenbüchern. Diejenigen, die diese Bücher durchdrangen, nahmen teil am schöpferischen Prin­zip der Welt.

Anders ist die Sache bei der Sankhyaphilosophie. Wenn diese zu­nächst an uns herantritt, wie sie überliefert ist, so haben wir in ihr gerade das Gegenteil einer Einheitslehre gegeben. Wenn wir die Sankhyaphilosophie vergleichen wollen, so können wir sie verglei­chen mit der Philosophie des Leibniz. Die Sankhyaphilosophie ist eine pluralistische Philosophie. Die einzelnen Seelen, die uns ent­gegentreten, Menschenseelen und Götterseelen, sie werden von der Sankhyaphilosophie nicht verfolgt zu einem einheitlichen Queil, son­dern werden hingenommen als einzelne, sozusagen von Ewigkeit be­stehende Seelen oder wenigstens als Seelen, nach deren Ausgangs-punkt von einer Einheit nicht gesucht wird. Der Pluralismus der Seelen tritt uns entgegen in der Sankhyaphilosophie. Scharf betont wird die Selbständigkeit jeder einzelnen Seele, die da ihre Entwicke­lung führt in der Welt abgeschlossen für sich in ihrem Sein und Wesen.

Und gegenüber steht dem Pluralismus der Seelen dasjenige, was man in der Sankhyaphilosophie das prakritische Element nennt. Wir können es nicht gut mit dem modernen Wort Materie bezeichnen,

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weil dieses Wort materialistisch gemeint ist. Das ist aber in der Sankhyaphilosophie nicht gemeint mit dem Substantiellen, das ge­genübersteht der Vielheit der Seelen und das wiederum nicht auf eine Einheit zurückgeführt wird.

Wir haben zunächst die Vielheit der Seelen und das, was wir nen­nen können die materielle Basis, gleichsam wie eine die Welt räum­lich und zeitlich durchströmende Urflut, aus der die Seelen die Elemente zum äußeren Dasein nehmen. Umkleiden müssen sich die Seelen mit diesem materiellen Elemente, das nicht auf eine Einheit mit den Seelen selber zurückgeführt wird.

Und so ist es in der Sankhyaphilosophie, daß hauptsächlich dieses materielle Element, sorgfältig studiert, uns entgegentritt. Nicht so sehr wird der Blick auf die einzelne Seele gelenkt in der Sankhya-philosophie. Die cinzelne Seele wird hingenommen als etwas, was real da ist, was verstrickt und verknüpft ist mit der materiellen Basis und was innerhalb dieser materiellen Basis die verschiedensten For­men annimmt und dadurch sich nach außen in verschiedenen Formen zeigt. Eine Seele umkleidet sich mit dem materiellen Grundelement, das sozusagen wie die einzelne Seele von Ewigkeit her gedacht wird. Es drückt sich aus in diesem materiellen Grundelement das Seelische. Dadurch nimmt dieses Seelische die verschiedenen Formen an. Und das Studium dieser materiellen Formen ist es insbesondere, was uns in der Sankhyaphilosophie entgegentritt

Da haben wir zunächst sozusagen die ursprünglichste Form dieses materiellen Elementes wie eine Art von geistiger Urflut, in die die Seele zuerst untertaucht. Wenn wir also den Blick hinlenken würden auf die Anfangsstadien der Evolution, so hätten wir gleichsam ein Undifferenziertes des materiellen Elementes und, untertauchend, die Vielheit der Seelen, um weitere Evolutionen durchzumachen. Das erste also, was uns als Form entgegentritt, sich noch nicht her­ausdifferenzierend aus dem Einheitlichen der Urflut, das ist die spirituelle Substanz selber, die im Ausgangspunkt der Evolution liegt.

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Das Nächste, was dann heraustritt, womit die Seele sich indivi­duell schon umkleiden kann, ist die Buddhi. Wenn wir uns also denken eine Seele umideidet mit der Urflutsubstanz, so unterscheidet sich diese Seelenäußerung noch nicht von dem allgemein wogenden Element der Urflut. Indem sich die Seele nicht nur hüllt in die­ses erste Dasein der allgemein wogenden Urflut, sondern in das, was als nächstes hervorgehen kann, kann sie sich hüllen in die Buddhi.

Das dritte Element, das sich herausformt, wodurch dann die Seelen immer individueller und individueller werden können, ist Ahamkara. Das sind immer niedrigere und niedrigere Gestaltungen der Ur­materie. Wir haben also die Urmaterie, deren nächste Form, die Buddhi und wiederum eine nächste Form, Ahamkara. Eine nächste Form ist Manas, eine nächste Form sind die Sinnesorgane, eine nächste Form die feineren Elemente und die letzte Form die stoff­lichen Elemente, die wir in der physischen Umgebung haben.

So haben wir sozusagen eine Evolutionslinie im Sinne der Sankhya­philosophie. Oben ist das übersinnlichste Element einer spirituellen Urflut, und immer mehr und mehr sich verdichtend geht es bis zu dem, was wir um uns haben in den groben Elementen, aus denen auch der grobe menschliche Leib auferbaut ist. Zwischendrinnen sind die Substanzen, aus denen zum Beispiel unsere Sinnesorgane ge­woben sind, und die feineren Elemente, aus denen unser Äther- oder Lebensleib gewoben ist. Wohlgemerkt, das alles sind Hüllen der Seele im Sinne der Sankhyaphilosophie. Schon das, was der ersten Urflut entstammt, ist Hülle der Seele. Die Seele ist da erst wieder drinnen. Und wenn der Sankhyaphilosoph studiert die Buddhi, Ahamkara, Manas, die Sinne, die feineren und gröberen Elemente, so meint er damit die immer dichteren Hüllen, in denen die Seele sich zum Ausdruck bringt.

Wir müssen uns klar sein darüber, daß so, wie uns die Veden­philosophie und so, wie uns die Sankhyaphilosophie entgegentritt, sie uns nur entgegentreten können, weil sie ausgestaltet sind in jenen

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alten Zeiten, in denen es noch ein uraltes Heilsehen gegeben hat, wenigstens bis zu einem gewissen Grade.

Und auf verschiedene Weise sind zustandegekommen die Veden und der Inhalt der Sankhyaphilosophie. Die Veden beruhen durchaus auf einer ursprünglichen, noch wie eine Naturanlage in der Ur­menschheit vorhandenen Inspiration, waren eingegeben, ohne daß sozusagen der Mensch etwas anderes dazu tat, als daß er sich vor­bereitete in seiner ganzen Wesenheit, die von selbst kommende gött­liche Inspiration ruhig und gelassen in seinem Innern zu empfangen.

Anders war es bei der Ausbildung der Sankhyaphilosophie. Da ging es schon sozusagen ähniich zu, wie es bei unserm heutigen Ler­nen zugeht, nur daß dieses letztere nicht durchdrungen ist von Hell­sichtigkeit. Dazumal war es durchdrungen von Hellsichtigkeit. Es war hellsichtige Wissenschaft, Inspiration, wie durch Gnade von oben gegeben: Vedenphilosophie. Wissenschaft, die gesucht wurde wie wir heute Wissenschaft suchen, aber eben gesucht wurde von Leuten, denen noch zugänglich war Hellsichtigkeit, das war die Sankhyaphilosophie.

Daher läßt die Sankhyaphilosophie auch sozusagen unberührt das eigentlich seelische Element. Sie sagt: In dem, was man studieren kann in den übersinnlichen äußeren Formen, da prägen sich die Seelen aus; aber studieren tun wir die äußeren Formen, die Formen, die uns so entgegentreten, daß sich die Seelen in die Formen kleiden. Daher finden wir ein ausgebildetes System von Formen, wie sie uns entgegentreten in der Welt - wie wir in unserer Wissenschaft eine Summe von Naturtatsachen finden -, nur daß in der Sankhya-philosophie geschaut wird bis zur übersinnlichen Anschauung der Tatsachen. Sankhyaphilosophie ist eine Wissenschaft, die, obwohl sie errungen worden ist durch Hellsichtigkeit, doch eine Wissen­schaft von den äußeren Formen bleibt, die nicht vordringt bis zum Seelischen selbst. Das Seelische bleibt in gewisser Weise vom Stu­dium unberührt. Der, der den Veden hingegeben ist, fühlt durchaus sein religiöses Leben mit dem Weisheitsleben eins. Sankhyaphilosophie

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ist Wissenschaft, ist Erkenntnis der Formen, in denen die Seele sich ausprägt. Und daneben kann durchaus bestehen bei den Anhängern ein religiöses Hingeben der Seele neben der Sankhya­philosophie. Und wie dann dieses Seelische sich eingliedert in die Formen - nicht das Seelische selbst, aber wie es sich eingliedert -, das wird verfolgt in der Sankhyaphilosophie.

Wie die Seele sich mehr ihre eigene Selbständigkeit wahrt oder mehr untertaucht in die Materie, das wird unterschieden in der Sankhyaphilosophie. Man hat es zu tun mit Seelischem, das zwar untertaucht, aber in den materiellen Formen als Seelisches sich wahrt. Ein Seelisches, das so in die äußere Form untergetaucht ist, aber sich als Seelisches ankündigt, sich offenbart, lebt in dem Sattwaelement. Ein Seelisches, das in die Form untertaucht, aber sozusagen über­wuchert wird von der Form, nicht aufkommt gegenüber der Form, lebt im Tamaselement. Und das, bei dem das Seelische dem Äußeren der Form gewissermaßen das ,Gleichgewicht hält, lebt im Rajas­element. Sattwa, Rajas, Tamas, die drei Gunas, gehören zur wesent­lichen Charakteristik dessen, was wir Sankhyaphilosophie nennen.

Anders wiederum ist jene Geistesströmung, die zu uns herüber-spricht als der Yoga. Er geht auf das Seelische selbst, unmittelbar auf dieses Seelische und sucht Mittel und Wege, die menschliche Seele zu ergreifen im unmittelbaren geistigen Leben, so daß die Seele auf­steigt von dem Punkt, wo sie steht in der Welt, zu immer höheren und höheren Stufen seelischen Seins. So ist Sankhya die Betrachtung der Hüllen der Seele, und Yoga die Anleitung des Seelischen zu höheren und immer höheren Stufen inneren Erlebens. Die Hingabe an den Yoga ist daher ein allmähliches Erwecken der höheren Kräfte der Seele, so daß die Seele sich hineinlebt in etwas, in dem sie im alltäglichen Leben nicht steht und das ihr immer höhere und höhere Stufen des Seins erschließen kann. Yoga ist daher der Weg in die geistigen Welten, der Weg zur Befreiung der Seele von den äußeren Formen, der Weg zum selbständigen Seelenleben in seinem Innern. Die andere Seite der Sankhyaphilosophie ist der Yoga. Yoga bekam

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seine große Bedeutung, als jene wie durch eine Gnade von oben kommende Inspiration, die die Veden noch inspiriert hat, nicht mehr da sein konnte. Der Yoga mußte angewendet werden von denjenigen Seelen, die, einer späteren Menschheitsepoche angehörig, nichts mehr von selbst geoffenbart erhielten, sondern die sich hinaufarbeiten mußten zu den Höhen des geistigen Seins von den unteren Stufen her.

So treten uns in uralter indischer Zeit entgegen drei scharf nuan­cierte Geistesströmungen: die Veden, die Sankhya- und die Yoga-strömung. Und wir sind heute dazu aufgerufen, diese geistigen Strömungen sozusagen wiederum miteinander zu verbinden, indem wir sie für unser Zeitalter in der richtigen Weise heraufholen aus den Untergründen der Seelen- und Weltentiefen.

Sie können alle drei Strömungen auch in unserer Geisteswissen­schaft wiederfinden. Lesen Sie das nach, was ich versuchte darzu­stellen in meiner «Geheimwissenschaft», in den ersten Kapiteln über die menschliche Konstitution, über Schlafen und Wachen, über Le­ben und Tod, dann haben Sie das, was wir im heutigen Sinne nennen können Sankhyaphilosophie. Lesen Sie dann, was über die Welten-evolution gesagt ist von Saturn bis zu unserer Zeit, dann haben Sie die Vedenphilosophie für unsere Zeit ausgeprägt. Und lesen Sie die letzten Kapitel, wo es sich um die menschliche Entwickelung handelt, dann haben Sie den Yoga für unsere Zeit ausgeprägt. Unsere Zeit muß in einer organischen Weise verbinden das, was uns so als drei scharf nuancierte Geistesströmungen vom alten Indertum herüber-leuchtet, als die Vedenphilosophie, die Sankhyaphilosophie und Yoga.

Daher muß aber auch die wunderbare Dichtung Bhagavad Gita, welche in dichterisch tiefer Weise wie einen Zusammenschluß der drei Richtungen enthält, gerade unsere Zeit in tiefster Weise be­rühren. Und wir müssen etwas suchen wie eine Kongenialität unseres eigenen Geistesstrebens zu dem tieferen Gehalt der Bhagavad Gita. Es berühren sich nicht nur im großen und ganzen unsere heutigen Geistesströme mit den älteren Geistesströmen, sondern auch im ein­zelnen.

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Sie werden erkannt haben, daß in meiner «Geheimwissenschaft» der Versuch gemacht wird, die Dinge ganz aus sich selber heraus­zuholen. Nirgends ist an ein Historisches angelehnt. Von keiner Behauptung über Saturn, Sonne und Mond kann derjenige, der das, was gesagt ist, wirklich versteht, finden, daß irgendwo aus histo­rischen Mitteilungen die Dinge gesagt worden wären; aus der Sache selbst sind sie herausgeholt. Aber wie eigentümlich: das, was das Gepräge unserer Zeit trägt, klingt doch zusammen an entscheidenden Stellen mit dem, was uns aus alten Zeiten herübertönt. Davon nur eine kleine Probe: Wir lesen in den Veden an einer bestimmten Stelle über die kosmische Entwickelung was sich etwa in die folgen­den Worte kleiden läßt: Dunkel war in Dunkel gehüllt im Urbegirin, eine ununterscheidbare Flut war dieses alles. Es entstand eine ge­waltige Leere, die durchdrungen war überall von Wärme. - Und nun bitte ich Sie, sich zu erinnern, was über die Konstitution des Saturn aus der Sache selbst heraufgeholt worden ist, wo von der Substanz des Saturn als einer Wärmesubstanz gesprochen wird, und fühlen Sie das Zusammenklingen dieses sozusagen Neuesten in der Geheimwissenschaft mit dem, was da in den Veden gesagt wird. Die nächste Stelle heißt: Dann entsprang zuerst der Wille, der des Denkens erster Same war, der Zusammenhang des Seienden mit dem Nichtseienden. Und diesen Zusammenhang fanden sie in dem Wil­len. - Und erinnern Sie sich, wie in Neuprägung gesprochen wird von den Geistern des Willens. Bei alle dem, was wir in der Gegen­wart zu sagen haben, ist nicht der Anklang an das Alte gesucht, sondern ergibt sich der Zusammenklang ganz von selbst, weil Wahr­heit dort gesucht worden ist und Wahrheit wiederum auf unserem eigenen Boden gesucht wird.

Und nun tritt uns entgegen in der Bhagavad Gita gleichsam die poetische Verherrlichung der drei eben charakterisierten Geistes­strömungen. Im bedeutsamen Momente der Weltgeschichte - be­deutsam für jene alte Zeit - da wird uns entgegengebracht die große Lehre, die Krishna selbst dem Ardshuna übermittelt. Der

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Moment ist bedeutsam, weil er der Moment ist, in dem die alten Blutsbande sich lockern. Sie müssen sich bei all dem, was nunmehr gesagt werden soll in diesen Vorträgen über die Bhagavad Gita, er­innern an das, was immer und immer betont worden ist: wie Bluts­bande, Rassenzusammengehörigkeit, Stammeszusammengehörigkeit in uralten Zeiten eine ganz besondere Bedeutung hatten und erst nach und nach zurücktraten. Erinnern Sie sich an alles das, was in meiner Schrift gesagt wird: «Blut ist ein ganz besonderer Saft.»

Als diese Blutsbande sich lockern, da tritt gerade durch diese Locke­rung der große Kampf ein, der uns im Mahabharata geschildert wird, von dem die Bhagavad Gita eine Episode ist. Da sehen wir, wie zweier Brüder Nachkommen, also noch Blutsverwandte, sich schei­den in bezug auf ihre Geistesrichtungen, wie auseinandergeht das­jenige, was das Blut früher als einheitliche Anschauung gebracht hat; und deshalb ist der Kampf da, weil an dieser Scheide der Kampf entstehen muß, wo die Blutsbande auch ihre Bedeutung für die hell­seherischen Erkenntnisse verlieren und mit dieser Scheidung die spätere geistige Formation eintritt. Für diejenigen, für welche die alten Blutsbande keine Bedeutung haben, tritt Krishna als großer Lehrer auf. Er muß der Lehrer sein des neuen, aus den alten Bluts-banden herausgehobenen Zeitalters. Wie er der Lehrer wird, wir werden es morgen charakterisieren. Aber das kann schon gesagt wer­den, was die ganze Bhagavad Gita uns zeigt, wie Krishna die drei nun charakterisierten Geistesströmungen in seine Lehre aufnimmt. In organischer Einheit vermittelt er sie seinem Schül er.

Wie muß dieser Schüler vor uns stehen? Er sieht hinauf auf der einen Seite zum Vater und auf der anderen zu Vaters Bruder. Die Geschwisterkinder sollen sich jetzt nicht mehr nahestehen, sie sollen sich scheiden. Jetzt soll aber auch eine andere Geistesströmung die eine und die andere Linie ergreifen. Da regt sich in Ardshuna die Seele: Wie soll es werden, wenn das, was durch die Blutsbande zu­sammengehalten wurde, nicht mehr da sein wird? Wie soll die Seele sich hineinstellen in das Geistesleben, wenn dieses Geistesleben nicht

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mehr so verfließen kann wie früher, unter dem Einfluß der alten Blutsbande? Daß alles in die Brüche gehen müßte, so kommt es dem Ardshuna vor. Und daß es anders werden müsse, daß es nicht so ge­schehe, das ist der Inhalt der großen Krishnal ehre.

Nun zeigt Krishna seinem Schüler, der von dem einen Zeitalter in das andere hinüberleben soll, wie die Seele aufnehmen muß, wenn sie harmonisch werden soll, etwas von allen drei Geistesströmungen. Sowohl die vedische Einheitslehre finden wir in der richtigen Weise in den Lehren des Krishna, wie das Wesentliche der Sankhyalehre, wie das Wesentliche des Yoga. Denn was eigentlich liegt hinter all dem, was wir da noch von der Bhagavad Gita kennen lernen werden? Da liegt die Verkündigung des Krishna etwa so: Ja, es gibt ein schöpferisches Weltenwort, welches das schöpferische Prinzip selber enthält. Wie der Laut des Menschen, wenn er spricht, die Luft durch­wogt und durchwebt und durchlebt, so durchwogt und durchwebt und durchlebt es alle Dinge und schuf und ordnete das Sein. So weht das Vedenprinzip in allen Dingen. So kann es aufgenommen werden von menschlicher Erkenntnis im menschlichen Seelenleben. Es gibt ein waltendes, webendes Schöpfungswort, es gibt eine Wie­dergabe des waltenden, webenden Schöpfungswortes in den vedi­schen Urkunden. Das Wort ist das Schöpferische der Welt; in den Veden offenbart es sich. Das ist der eine Teil der Krishnalehre.

Und die menschliche Seele ist in der Lage, zu verstehen, wie das Wort sich auslebt in den Formen des Seins. Es lernt die menschliche Erkenntnis die Gesetze des Seins kennen, indem diese menschliche Erkenntnis begreift, wie die einzelnen Formen des Seins gesetzmäßig ausdrücken das Geistig-Seelische. Die Lehre von den Formen der Welt, von den gesetzmäßigen Gestaltungen des Seins, vom Welten-gesetz und seiner Wirkungsweise, das ist die Sankhyaphilosophie, die andere Seite der Krishnalehre. Und ebenso wie Krishna seinem Schüler klar macht, daß hinter allem Sein das schöpferische Welten-wort ist, so macht er ihm klar, daß die menschliche Erkenntnis die einzelnen Formen erkennen kann, also die Weitgesetze in sich aufnehmen

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kann. Weitenwort, Weltengesetz, in den Veden wieder­gegeben, im Sankhya: das offenbart Krishna seinem Schüler.

Und auch über den Weg spricht er ihm, der den einzelnen Schüler hinaufführt in die Höhe, wo er wiederum teilhaftig werden kann der Erkenntnis des Weltenwortes. Auch vom Yoga spricht also Krishna. Dreifach ist die Lehre des Krishna: sie ist die Lehre vom Wort, vom Gesetz, von der andächtigen Hingabe an den Geist.

Wort, ,Gesetz und Andacht, das sind die drei Ströme, durch die die Seele ihre Entwickelung durchmachen kann. Diese drei Ströme, sie werden immerdar auf die menschliche Seele in irgendeiner Weise wirken. Haben wir doch eben gesehen, wie die neuere Geisteswissen­schaft suchen muß in neu geprägter Weise diese drei Ströme. Aber die Zeitalter sind verschieden und in der verschiedensten Weise wird das, was also die dreigestaltige Weltenfassung ist, an die Menschen-seele herangebracht. Der Krishna spricht vom Weitenwort, von dem Schöpfungswort, von der Gestaltung des Seins, von der andächtigen Vertiefung der Seele, von Yoga.

In anderer Form tritt uns dieselbe Dreiheit wieder entgegen, nur in einer konkreteren, in einer lebendigeren Weise, in einem Wesen selber, das über die Erde wandelnd gedacht wird, verkörpernd das göttliche Schöpfungswort. Die Veden: abstrakt herangekommen an die Menschheit. Der göttliche Logos, von dem uns das Johannes­evangelium spricht: lebendig und das schöpferische Wort selber! Und das, was uns in der Sankhyaphilosophie als die gesetzmäßige Erfassung der Weltenformen entgegentritt: ins Historische umge­setzt in der althebräischen Offenbarung ist es das, was Paulus das Gesetz nennt. Und als Glaube an den auferstandenen Christus tritt uns das Dritte bei Paulus entgegen. Was bei Krishna der Yoga ist, ist bei Paulus, nur ins Konkrete übertragen, der Glaube, der an die Stelle des Gesetzes treten soll.

So ist wie die Morgenröte dessen, was später als Sonne aufging, die Dreiheit: Veda, Sankhya und Yoga. Veda taucht wiederum auf in dem unmittelbaren Wesen des Christus selber, jetzt konkret lebendig

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eintretend in die geschichtliche Entwickelung, nicht abstrakt sich ergießend in die Raumes- und Zeitenweiten, sondern als einzelne Individualität, als das lebendige Wort. Das Gesetz tritt uns auf in der Sankhyaphilosophie in demjenigen, was uns zeigt, wie die ma­terielle Basis, das Prakritische, sich ausgestaltet, bis herunter zum groben Stoffe. Das ,Gesetz offenbart, wie die Welt geworden ist und wie die einzelnen Menschen sich innerhalb dieser Welt ausgestalten. Das kommt zum Ausdruck, in der althebräischen Gesetzeskunde, in all dem, was der Mosaismus ist. Insofern Paulus auf der einen Seite hinweist auf dieses Gesetz des hebräischen Altertums, weist er hin auf Sankhyaphiiosophie; insofern er hinweist auf den Glauben an den Auferstandenen, zeigt er die Sonne dessen, wofür die Morgen­röte in dem Yoga erschienen ist.

So ersteht in eigenartiger Weise das, was in den ersten Elementen uns entgegentritt als Veda, Sankhya und Yoga. Was als Veda uns entgegentritt, das erscheint in einer neuen, aber jetzt konkreten Gestalt als das lebendige Wort, aus dem alles geschaffen ist und ohne das nichts geschaffen ist von dem, was geworden ist, und das doch im Laufe der Zeit Fleisch geworden ist. Sankhya erscheint als die historische Darstellung, als die gesetzmäßige Darstellung dessen, wie aus der Welt der Elohim die Erscheinungswelt geworden ist, die Weit der groben Stofflichkeit. Der Yoga verwandelt sich in das, was bei Paulus zu dem Wort: «Nicht ich, sondern der Christus in mir» geworden ist; das heißt, daß, wenn die Christuskraft die Seele durchdringt und aufnimmt, der Mensch zu der Höhe der Gottheit aufsteigt.

So sehen wir, wie doch der einheitliche Plan in der Weltgeschichte vorhanden ist, wie vorbereitend das Orientalische dasteht, wie es gleichsam in abstrakteren Formen das gibt, was in konkreteren For­men uns im paulinischen Christentum so merkwürdig entgegentritt. Wir werden sehen, daß gerade durch die Erfassung des Zusammen­hanges der großen Dichtung der Bhagavad Gita mit den Paulini­schen Briefen sich uns die allertiefsten Geheimnisse dessen enthüllen

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werden, was man nennen kann das Walten der Geistigkeit in der gesamten Erziehung des menschlichen Geschlechtes. Weil man ein solches Neue in der neuen Zeit fühlen muß, mußte diese neuere Zeit hinausgehen über das bloße Griechentum und Verständnis ent­wickeln für das, was hinter dem ersten vorchristlichen Jahrtausend liegt, was uns da entgegentritt als Veda, Sankhya und Yoga. Und so wie Raffael in der Kunst, Thomas von Aquino in der Philosophie zum Griechentum sich zurückwenden mußten, so werden wir sehen, wie in unserer Zeit ein bewußter Ausgleich entstehen muß zwischen dem, was die Gegenwart erreichen will und dem, was weiter zurück­liegt als das Griechentum, was hineinreicht in die Tiefen des orien­talischen Altertums. Wir können diese Tiefen des orientalischen Altertums durchaus an unsere Seele heranrücken lassen, wenn wir jene verschiedenen Geistesströmungen in der wunderbar harmo­nischen Einheit betrachten, in der sie uns entgegentreten, in der, wie Humboldt sagt, größten philosophischen Dichtung, in der Bhagavad Gita.

ZWEITER VORTRAG Köln, 29. Dezember 1912

#G142-1960-SE029 - Die Bhagavad Gita und die Paulusbriefe

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ZWEITER VORTRAG

Köln, 29. Dezember 1912

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Die Bhagavad Gita, der erhabene Gesang der Inder, er ist - ich habe das schon gestern erwähnt - von berufenen Persönlichkeiten die bedeutsamste philosophische Dichtung der Menschheit genannt worden. Und wer sich in die erhabene Gita vertieft, der wird diesen Ausspruch voll berechtigt finden. Wir werden gelegentlich dieser Vorträge auch noch hinweisen können auf die hohen künstlerischen Vorzüge der Gita, vor allen Dingen aber werden wir uns das Bedeut­same dieser Dichtung zunächst dadurch vor Augen führen müssen, daß wir einen Blick werfen auf das, was ihr zugrunde liegt, auf die gewaltigen Gedanken, auf die gewaltige Weltenerkenntnis, aus der sie hervorgewachsen ist, zu deren Verherrlichung und Verbreitung sie eben geschaffen worden ist.

Es ist dieser Blick in die Erkenntnisgrundlagen der Gita aus dem Grunde so ganz besonders wichtig, weil es ja sicher ist, daß alles Wesentliche dieses Gesanges, namentlich alles das, was sich auf den Gedanken-, auf den Erkenntnisgehalt bezieht, uns eine Erkenntnis-stufe vermittelt, die vorbuddhistisch ist; so daß wir sagen können:

Der geistige Horizont, welcher den großen Buddha umgeben hat, aus dem er heraus erwachsen ist, der wird uns charakterisiert durch den Inhalt der Gita. Wir blicken also hinein in eine Geisteskonsti­tution der altindischen Kultur in der vorbuddhistischen Zeit, wenn wir den Inhalt der Gita auf uns wirken lassen.

Wir haben schon betont, daß dieser Gedankengehalt ein Zusam­menfluß ist dreier Geistesströmungen und daß er wie ein Organi­sches, Lebendiges diese drei Geistesströmungen nicht nur mitein­ander verschmilzt, sondern lebendig ineinander webt, so daß uns diese drei Geistesströmungen aus der Gita als ein Ganzes entgegen­treten. Was einem da als ein Ganzes entgegentritt, als ein geistiger Ausfluß uralten indischen Denkens und Erkennens, das ist ein großartiger,

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herrlicher Wissensstandpunkt, das ist eine ungeheure Summe spirituellen Wissens, eine solche Summe spirituellen Wissens, daß der moderne Mensch, welcher noch nicht an die Geisteswissenschaft herangetreten ist, nur zweif elnd dieser Wissens- und Erkenntnistiefe gegenüber sich verhalten kann, weil er keine Möglichkeit hat, irgend­einen Standpunkt zu gewinnen gegenüber dieser Wissens- und Er­kenntnistiefe. Denn mit den gewöhnlichen modernen Mitteln ragt man ja nicht hinein in jene Wissenstiefen, die da vermittelt werden. Man kann höchstens alles das, wovon hier gesprochen wird, als einen schönen Traum ansehen, den einmal eine Menschheit geträumt hat. Man kann vom bloß modernen Standpunkt aus diesen Traum viel­leicht bewundern, aber man wird ihm nicht einen besonderen Er­kenntniswert zuschreiben. Hat man aber schon Geisteswissenschaft in sich aufgenommen, dann wird man verwundert stehen vor den Tiefen der Gita und wird sich sagen müssen, daß in uralten Zeiten der menschliche Geist eingedrungen ist in Erkenntnisse, die wir erst mit den nach und nach zu erobernden spirituellen Erkenntnismitteln uns wieder erringen können. Das ergibt eine Bewunderung gegen­über diesen uralten Einsichten, die ja da waren in jenen vergangenen Zeiten. Wir können sie bewundern, weil wir sie aus dem Weiten-inhalt selbst heraus wiederfinden und so sie in ihrer Wahrheit be­stätigt erkennen können. Indem wir sie wiederfinden, indem wir ihre Wahrheit erkennen, sagen wir uns dann: Wie wunderbar ist es doch, daß in jenen uralten Zeiten sich die Menschen zu solcher Geisteshöhe hinaufschwingen konnten!

Nun wissen wir ja allerdings, daß in jenen alten Zeiten die Menschheit besonders begünstigt war dadurch, daß die Reste uralten Hellsehens noch lebendig waren in den menschlichen Seelen und daß nicht nur eine besondere, durch Übung erlangte spirituelle Ver­senkung hineinführte in die Geisteswelten, sondern daß auch die Wissenschaft jener alten Zeiten selber noch in einer gewissen Weise durchdrungen werden konnte von dem, was an Ideen, an Erkennt­nissen die Reste des alten Hellsehens ergaben.

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Wir müssen uns sagen: Wir erkennen heute aus ganz anderen Gründen heraus die Richtigkeit dessen, was uns da übermittelt wird. Aber wir müssen verstehen, wie mit anderen Mitteln in jenen alten Zeiten feine Unterscheidungen in bezug auf die menschliche Wesen­heit erlangt wurden, feine, scharfsinnige Begriffe herausgeholt wur­den aus dem, was der Mensch wissen kann, Begriffe mit scharfen Konturen und mit einer präzisen Anwendungsmöglichkeit auf die geistige und auch auf die äußerlich sinnliche Wirklichkeit. So finden wir denn, wenn wir in mancher Beziehung nur die Ausdrücke um-ändern, die wir heute gebrauchen für unseren veränderten Stand­punkt, die Möglichkeit, auch jenen alten Standpunkt zu verstehen.

Wir haben ja bei unserem Betriebe des theosophischen Wissens versucht, die Dinge so darzustellen, wie sie sich dem gegenwärtigen heilseherischen Erkennen ergeben, so daß unsere Art der ,Geistes­wissenschaft dasjenige darstellt, was der Geistesmeusch eben heute mit seinen eigenen, von ihm zu erlangenden Mitteln erreichen kann. In den ersten Zeiten der theosophischen Verkündigung wurde weni­ger mit solchen unmittelbar aus der okkulten Wissenschaft heraus-geholten Mitteln gearbeitet, sondern mit denjenigen Mitteln, welche zu Hilfe nahmen die Bezeichnungen und Begriffsschattierungen, die im Orient üblich waren, namentlich solche Bezeichnungen, solche Schattierungen, die sich durch lange Tradition aus der Gita-Zeit her im Orient bis in unsere Gegenwart fortgepflanzt hatten. Daher kommt es, daß die ältere Form der theosophischen Entwickelung, zu der wir hinzugefügt haben das gegenwärtige okkulte Forschen, mehr mit den traditionell erhaltenen alten Begriffen arbeitete, namentlich mit denen der Sankhyaphilosophie. Nur, wie diese Sankhyaphilo-sophie allmählich im Orient selber durch das andersgeartete orien­talische Denken umgestaltet wurde, so wurde im Anfang der theosophischen Verkündigung von dem Wesen des Menschen und von anderen Geheimnissen gesprochen. Es wurden die Dinge besonders mit den Ausdrücken dargestellt, die angewendet wurden von dem großen Reformator des Veden - und sonstigen indischen Wissens im

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achten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung: von Shankara­charya.

Wir wollen weniger Rücksicht nehmen auf das, was an Aus-drücken gewählt worden ist im Beginne der theosophischen Be­wegang, wollen aber, um die Wissens- und Erkenntnisgrundlagen der Gita zu gewinnen, heute mehr den Blick zu dem wenden, was uralt-indisches Weisheitsgut ist. Und da kann uns zunächst entgegen-treten das, was sozusagen durch diese alte Wissenschaft selbst ge­wonnen worden ist, das, was gewonnen worden ist namentlich durch die Sankhyaphilosophie.

Wir werden uns am besten ein Verständnis davon verschaffen, wie die Sankhyaphilosophie das Wesen und die Natur des Menschen angeschaut hat, wenn wir uns zunächst die Tatsache vor Augen führen, daß ja der ganzen menschlichen Wesenheit ein geistiger Wesenskern zugrunde liegt, den wir uns immer so vor die Seele ge­führt haben, daß wir sagten: In der menschlichen Seele sind schlum­mernde Kräfte, die im Verlauf der Menschheitsentwickelung der Zukunft immer mehr und mehr herauskommen werden.

Das H&hste, zu dem wir zunächst aufblicken können und zu dem es die menschliche Seele bringen wird, wird das sein, was wir den Geistesmenschen nennen. Wenn einmal der Mensch als Wesenheit aufgestiegen sein wird zu der Stufe des Geistesmenschen, dann wird er noch immer zu unterscheiden haben das, was in ihm als Seele lebt, von dem, was der Geistesmensch selber ist; so wie wir heute im alltäglichen Leben zu unterscheiden haben zwischen dem, was unser innerster seelischer Kern ist und dem, was einhüllt diesen Kern: dem Astralleib, dem Äther- oder Lebensleib und dem physischen Leib. Und wie wir die letzteren Leiber als Hüllen ansehen und sie unter­scheiden von dem eigentlichen Seelischen, das wir ja für den heuti­gen Menschheitszyklus in dreifacher Weise gliedern, in Empfin­dungs-, Verstandes- oder Gemüts- und in Bewußtseinsseele, wie wir da unterscheiden das Seelische von dem Hüllensystem, so wird man in der Zukunft zu rechnen haben mit dem eigentlich Seelischen, das

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dann für die zukünftigen Stufen die gehörige Einteilung haben wird, die unserer Empfindungs-, Verstandes- und Bewußtseinsseele ent­spricht, und der Hüllennatur, die dann bei jener Stufe des Menschen, die als Geistesmensch in unserer Sprache anzusprechen ist, sein wird. Was aber einmal menschliche Hülle sein wird, worin sich sozusagen der geistig-seelische Kern des Menschen einhüllen wird, der Geistes­mensch, das wird für den Menschen zwar erst in Zukunft sozusagen eine Bedeutung haben; aber im großen Weltall ist das, zu dem sich ein Wesen erst hinaufentwickelt, ja immer da. Sozusagen die Sub­stanz des Geistesmenschen, in die wir uns einstmals hüllen werden, sie ist im großen Universum immer da gewesen und ist auch heute vorhanden. Wir können sagen: Andere Wesenheiten haben heute schon Hüllen, die einstmals unseren Geistesmenschen bilden werden. Es ist also im Weltall die Substanz vorhanden, aus der der mensch­liche Geistesmensch einstmals bestehen wird.

Das, was man ganz im Sinne unserer Lehre sagen kann, das sagte sich schon die alte Sankhyalehre. Und das, was so im Weltall vor­handen ist, noch nicht individuell differenziert, sondern gleichsam wie eine geistige Wasserflut undifferenziert Räume und Zeiten er-füllend, was so vorhanden war und was so vorhanden ist und vor­handen sein wird und woraus alle anderen Gestaltungen heraus­kommen, das nannte eben die Sankhyaphilosophie die höchste Form der Substanz. Es ist diejenige Form der Substanz, die von Ewigkeit zu Ewigkeit angenommen wird in der Sankhyaphilosophie. Und wie wir etwa sprechen - gedenken Sie dabei jenes Vortragszyklus, den ich einmal in München über die geisteswissenschaftliche Begründung der Schöpfungsgeschichte hielt -, wie wir am Ausgangspunkt der Erdenentwickelung davon sprechen, daß alles noch, was Erdenent­wickelung geworden ist, im Geiste vorhanden war als Geisteswesen­heit substantiell, so sprach die Sankhyaphilosophie von ihrer Ur­substanz, von ihrer Urflut, könnten wir sagen, aus der alle anderen Formen, die physischen und überphysischen, dann sich herausent­wickelt haben. Für den heutigen Menschen kommt ja noch nicht in

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Betracht diese höchste Form, aber sie wird, wie wir eben ausein­andergesetzt haben, einmal in Betracht kommen.

Als die nächste Form, die sich herausentwickelt aus dieser sub­stantiellen Urflut, haben wir das anzusehen, was wir von oben her­unter als das zweite Glied des Menschen erkennen, wie wir es nennen, den Lebeusgeist, oder wie man es nennen kann mit einem orientali­schen Ausdruck, die Buddhi. Wir wissen auch aus unserer Lehre, daß der Mensch erst in der Zukunft diese Buddhi im normalen Leben entwickeln wird. Aber sie ist als geistiges Formprinzip übermensch­lich bei anderen Wesenheiten immer vorhanden gewesen, und indem sie vorhanden gewesen ist, ist sie als erste Form herausdifferenziert worden aus der ursprünglichen Urflut. Im Sinne der Sankhyaphilo-sophie entsteht aus der ersten Form des substantiellen Daseins, des außerseelischen Daseins die Buddhi.

Wenn wir dann die weitere Evolution dieses substantiellen Prin­zips ins Auge fassen, so tritt uns als dritte Form entgegen das, was genannt wird im Sinne der Sankhyaphilosophie Ahamkara. Während die Buddhi sozusagen an der Grenze des Differenzierungsprinzips steht, erst andeutet eine gewisse Individualisierung, tritt die Form des Ahamkara schon völlig differenziert auf, so daß, wenn wir von Ahamkara sprechen, wir gleichsam uns vorzustellen haben, daß die Buddhi sich herunterorganisiert zu selbständigen, wesenhaften, sub­stantiellen Formen, die also dann individuell in der Welt existieren. Wir hätten uns gleichsam vorzustellen, wenn wir ein Bild gewinnen wollen von dieser Evolution, eine gleichmäßig verteilte Wassermasse als substantielles Urprinzip, dann aufquellend so, daß sich ein­zelne, nicht zu vollen Tropfen sich loslösende Formen bilden, For­men, die wie kleine Wasserberge aus der gemeinsamen Substanz auftauchen, die aber mit der Basis in der gemeinsamen Urflut da rinnen sind: da hätten wir Buddhi. Und indem diese Wasser-berge sich loslösen zu Tropfen, zu selbständigen Kugeln, da haben wir die Form des Ahamkara. Durch eine gewisse Verdichtung dieses Ahamkara, also der schon individualisierten Form, jeder einzelnen

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Seelenform, entsteht dann das, was als das Manas bezeich­net wird.

Hier müssen wir sagen, daß eine gewisse, vielleicht Unebenheit zu nennende Sache eintritt gegenüber unseren Bezeichnungen. Wir setzen, wenn wir von oben nach unten in der menschlichen Entwicke­lung nach unserer Lehre gehen, nach dem Lebensgeist oder Buddhi das Geistselbst. Diese Bezeichnungsweise ist durchaus für den heuti­gen Menschheitszyklus gerechtfertigt und wir werden noch sehen im Verlaufe der Vorträge, warum sie gerechtfertigt ist. Wir schieben zwischen Buddhi und Manas nicht Ahamkara ein, sondern vereinigen für unsere Begriffe Ahamkara mit Manas und bezeichnen das zu­sammen als Geistselbst. In jenen alten Zeiten war es durchaus ge­rechtfertigt, die Trennung vorzunehmen aus einem Grund, den ich heute nur andeuten will, später noch ausführen werde. Es war ge­rechtfertigt, weil man jene bedeutsame Charakteristik damals nicht geben konnte, die wir heute geben müssen, wenn wir verständlich für unsere heutige Zeit sprechen wollen: die Charakteristik, die auf der einen Seite aus dem Einfluß des luziferischen und auf der anderen Seite aus dem Einfluß des ahrimanischen Prinzips kommt. Diese Charakteristik fehlt durchaus der Sankhyaphilosophie. Und für jene Konstitution, die keine Veranlassung hatte, zu diesen beiden Prin­zipien hinzublicken, weil sie ihre Kraft noch nicht verspüren konnte, war es durchaus gerechtfertigt, einzufügen diese differenzierte Form zwischen der Buddhi und dem Manas. Wenn wir also von Manas im Sinne der Sankhyaphilosophie sprechen, dann sprechen wir nicht genau von demselben, von dem man im Sinne Shankaracharyas spricht als Manas. In diesem Sinne kann man durchaus Manas und Geistselbst identifizieren, nicht aber genau im Sinne der Sankhya­philosophie. Aber wir können genau charakterisieren, was im Sinne der Sankhyaphilosophie Manas eigentlich ist.

Da gehen wir zunächst aus von dem, wie der Mensch in der Sin­neswelt, in dem physischen Dasein lebt. In dem physischen Dasein lebt der Mensch zunächst so, daß er durch seine Sinne die Umgebung

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wahrnimmt und durch seine Tastorgane, durch seine Hände und Füße, durch sein Greifen, sein Gehen, auch sein Sprechen, wiederum auf diese physische Umwelt wirkt. Der Mensch nimmt durch seine Sinne die Umwelt wahr und wirkt auf sie im physischen Sinne durch seine Tastorgane. So gesprochen ist es auch durchaus im Sinne der Sankhyaphilosophie. Wie aber nimmt der Mensch durch seine Sinne die Umwelt wahr? Nun, mit unseren Augen sehen wir das Licht und die Farben, Hell und Dunkel, sehen auch die Formen der Dinge; mit unseren Ohren nehmen wir wahr die Töne, mit unserem Geruchs-organe Gerüche, mit unserem Geschmacksorgan Geschmacksein-drücke. Jeder einzelne Sinn nimmt ein gewisses Gebiet der Außen­welt wahr: der Gesichtssinn Farben und Licht, der Gehörsinn die Töne und so weiter. Wir stehen gleichsam durch diese Tore unseres Wesens, die wir als Sinne bezeichnen, in Beziehung zu der Umwelt, wir öffnen uns der Umwelt, aber wir nähern uns durch jeden einzel­nen Sinn einem ganz bestimmten Gebiete der Umwelt.

Nun zeigt uns schon unsere gewöhnliche Sprache, daß wir in unserem Innern etwas tragen wie ein Prinzip, das diese verschiedenen Gebiete, denen sich unsere Sinne neigen, zusammenfaßt. Wir spre­chen zum Beispiel von warmen und kalten Farben, wenn wir auch empfinden, daß das für unsere Verhältnisse zunächst nur vergleichs­weise ist, daß wir doch durch den Gefühlssinn Kälte und Wärme und durch den Gesichtssinn Farben, Hell und Dunkel wahrnehmen. Wir sprechen also von warmen und kalten Farben, das heißt wir wenden aus einer gewissen inneren Verwandtschaft, die wir fühlen, das, was der eine Sinn wahrnimmt, auf den anderen an. So drücken wir uns aus, weil in unserem Innern verschmilzt eine gewisse Gesichtswahr­nehmung mit dem, was wir durch unseren Wärmesinn wahrnehmen. Feiner empfindende Menschen, sensitive Menschen können bei ge­wissen Tönen innerlich regsam fühlen wiederum gewisse Farben-vorstellungen, so daß sie sprechen können von gewissen Tönen, die in ihnen die Farbenvorstellung des Rot, andere, die in ihnen die Far-benvorstellung des Blau hervorrufen. In unserem Innern lebt also

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etwas, was die einzelnen Sinnesbezirke zusammenfaßt, was aus den einzelnen Sinnesbezirken ein Ganzes für die Seele bildet.

Man kann, wenn man sensitiv ist, noch weiter gehen. Es gibt Men­schen, die zum Beispiel wenn sie eine Stadt betreten so empfinden, daß sie sagen: diese Stadt macht auf mich den Eindruck einer gelben Stadt, oder wenn sie eine andere Stadt betreten: diese macht auf mich den Eindruck einer roten Stadt, eine andere macht den Eindruck einer weißen, einer blauen Stadt. Wir übertragen eine ganze Summe des­sen, was auf uns wirkt, in unserem Innern auf eine Farbenvorstel­lung, wir fassen die einzelnen Sinneseindrücke in unserem Innern mit einem Gesamtsinn zusammen, der sich nicht auf ein einzelnes Sinnesgebiet richtet, sondern der in unserem Innern lebt und uns wie mit einem einheitlichen Sinn erfüllt, indem wir die einzelnen Sinnes­eindrücke hineinverarbeiten. Den inneren Sinn können wir das nen­nen. Wir können das um so mehr den inneren Sinn nennen, als alles das, was wir sonst nur innerlich erleben an Leid und Freude, an Lei­denschaften und Affekten, wir auch wiederum zusammenbringen können mit dem, was uns dieser innere Sinn gibt. Bestimmte Leiden­schaften können wir als dunkle, kalte Leidenschaften bezeichnen, andere als warme, lichtvolle, helle Leidenschaften.

Wir können auch sagen: Also unser Inneres wirkt wiederum zu­rück auf das, was den inneren Sinn bildet. - Gegenüber den vielen Sinnen, welche wir den einzelnen Gebieten der Außenwelt zuwenden, können wir von einem solchen uns die Seele erfüllenden Sinn spre­chen, von dem wir wissen, daß er nicht mit einem einzelnen Sinnes­organ zusammenhängt, sondern unsere ganze menschliche Wesen­heit in Anspruch nimmt als sein Werkzeug. Diesen inneren Sinn mit Manas zu bezeichnen, ist ganz im Sinne der Sankhyaphilosophie. Das, was substantiell formt diesen inneren Sinn, ist das, was schon als ein späteres Formprodukt heraus sich entwickelt aus Ahamkara im Sinne der Sankhyaphilosophie. So daß wir sagen können: erst die Urflut, dann Buddhi, dann Ahamkara, dann Manas, was wir antreffen in uns als unseren inneren Sinn. Wenn wir diesen inneren Sinn betrachten

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wollen, dann machen wir uns das heute dadurch klar, daß wir die einzelnen Sinne nehmen und sozusagen nachsehen, wie wir eine Vorstellung dadurch gewinnen können, daß die Wahrnehmungen der einzelnen Sinne sich zusammenfügen im inneren Sinn.

So machen wir es heute, weil unsere Erkenntnis einen verkehrten Weg geht. Wenn wir auf die Entwickelung unserer Erkenntnis schauen, so müssen wir sagen: Sie geht aus vom Differenzierten der einzelnen Sinne und sucht aufzusteigen zum gemeinsamen Sinn. -Die Evolution ging umgekehrt. Da entwickelte sich zuerst aus Aham­kara heraus Manas im Weltenwerden und dann differenzierten sich heraus die Ursubstanzen, die Kräfte, welche die einzelnen Sinne bil­den, die wir in uns als Sinne tragen, wobei aber nicht gemeint sind die stofflichen Sinnesorgane - die gehören zum physischen Leibe -sondern die Kräfte, die zugrunde liegen als die Bildekräfte, die ganz übersinnlich sind. Wenn wir also hinuntersteigen die Stufenleiter der Entwickelungsformen, kommen wir vom Ahamkara zum Manas, im Sinne der Sankhyaphilosophie, und Manas, differenziert in einzelne Formen, ergibt diejenigen übersinnlichen Kräfte, welche unsere ein­zelnen Sinne konstituieren.

So haben wir, weil, wenn wir auf die einzelnen Sinne sehen, die Seele an diesen Sinnen teilnimmt, die Möglichkeit, das, was nun die Sankhyaphilosophie gibt, wiederum in Parallele zu bringen mit dem, was auch Inhalt unserer Lehre ist. Denn die Sankhyaphilosophie sagt folgendes: Indem das Manas sich differenziert hat zu den einzelnen Weltkräften der Sinne, versenkt sich die Seele in diese einzelnen Formen - wir wissen, die Seele ist getrennt von diesen Formen -; aber indem sich die Seele hineinversenkt in diese einzelnen Formen, wie sie sich auch hineinversenkt in Manas, wirkt das Seelische durch diese Sinneskräfte, ist mit ihnen verflochten und verwoben. Dadurch aber kommt das Seelische dazu sich in Verbindung zu setzen von seiner geistig-seelischen Wesenheit aus mit einer Außenwelt, um an dieser Außenwelt Gefallen finden zu können, Lust, Sympathie emp­finden zu können mit der Außenwelt.

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Aus dem Manas hat sich also zum Beispiel herausdifferenziert die Kraftsubstanz, die das Auge konstituiert. Auf einer früheren Stufe, als der physische Leib des Menschen noch nicht in der heutigen Form vorhanden war - so stellt es sich die Sankhyaphilosophie vor -, da war die Seele eben in die bloßen Kräfte, die das Auge konstituierten, hineinversenkt. Wir wissen, daß das heutige menschliche Auge zwar sch'on in der Saturnstufe veranlagt worden ist, daß es sich aber erst nach dem Zurückgang des Wärmeorgans, das in der Zirbeldrüse ver­kümmert heute uns vorliegt, also verhältnismäßig spät entwickelt hat. Die Kräfte, aus denen es sich entwickelt hat, waren übersinnlicher-weise schon vorher da, und die Seele lebte in ihnen. So stellte es sich auch die Sankhyaphilosophie vor: dadurch, daß die Seele in diesen Differenzierungsprinzipien lebt, hängt sie an dem Dasein der Außen­welt, entwickelt sie den Durst nach diesem Dasein. Durch die Sinnes-kräfte hängt die Seele zusammen mit der Außenwelt. Es entsteht der Hang nach dem Dasein, der Trieb zum Dasein. Die Seele sendet gleichsam ihre Fühlhörner durch die Sinnesorgane und hängt mit dem äußeren Dasein kraftmäßig zusammen. Dieses kraftmäßige Zu­sammenhängen eben, als eine Summe von Kräften aufgefaßt, als reale Summe von Kräften, fassen wir zusammen im astralischen Leib des Menschen. Der Sankhyaphilosoph spricht von dem Zusammen-wirken der einzelnen, von dem Manas herausdifferenzierten Sinnes-kräfte auf dieser Stufe.

Aus diesen Sinneskräften entsteht wiederum das, was die feineren Elemente sind, aus denen wir uns den menschlichen Ätherieib zusam­mengesetzt denken. Er ist ein verhältnismäßig spätes Produkt. Wir finden diesen Ätherl eib im Menschen.

So müssen wir uns also vorstellen, daß sich gebildet haben im Laufe der Entwickelung: Urflut, Buddhi, Ahamkara, Manas, Sinnes-substanzen, feinere Elemente. In der Außenwelt, dem Reiche der Natur sind ja auch diese feineren Elemente als Ätherleib oder Le­bensleib, bei den Pflanzen zum Beispiel. Da haben wir uns im Sinne der Sankhyaphilosophie vorzustellen, daß dieser ganzen Evolution

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zugrunde liegt von oben nach unten bei der Pflanze eine Entwicke­lung, die von der Urflut heruntergeht. Nur verläuft das alles bei der Pflanze im Übersinnlichen und wird erst real in der physischen Welt, indem es sich verdichtet zu den feineren Elementen, welche im Äther-oder Lebensleib der Pflanze leben, während es beim Menschen so ist, daß für die jetzige Entwickelung schon die höheren Formen und Prinzipien vom Manas an physisch sich offenbaren. Die einzelnen Sinnesorgane werden äußerlich zur Offenbarung gebracht, bei der Pflanze erst jenes späte Produkt, das entsteht, wenn sich verdichtet die Sinnessubstanz zu den feineren Elementen, zu den ätherischen Elementen. Und aus der weiteren Verdichtung der ätherischen Ele­mente entstehen die groben Elemente, aus denen alle physischen Dinge bestehen, die uns in der physischen Welt entgegentreten. Wenn wir also von unten nach oben gehen, so können wir im Sinne der Sankhyaphilosophie den Menschen gliedern in seinen groben physischen Leib, in den feineren ätherischen Leib, in einen astra­lischen Leib - dieser Ausdruck wird in der Sankhyaphilosophie nicht gebraucht, dafür der Ausdruck der Kraftleib, der die Sinne konsti­tuiert -, dann in einen inneren Sinn, Manas, dann im Ahamkara, das Prinzip, welches zugrunde liegt der menschlichen Individualität, wel­ches bewirkt, daß der Mensch nicht nur einen inneren Sinn hat, durch den er wahrnimmt die einzelnen Sinnesgebiete, sondern, daß der Mensch sich als eine einzelne Wesenheit, als Individualität fühlt. Das bewirkt Ahamkara. Und dann kommen die höheren Prinzipien, die im Menschen erst veranlagt sind: Buddhi und das, was die sonstige orientalische Philosophie gewohnt geworden ist, Atman zu nennen, was kosmisch gedacht wird von der Sankhyaphilosophie als geistige Urflut, wie wir es charakterisiert haben.

So haben wir in der Sankhyaphilosophie sozusagen eine vollstän­dige Darstellung der Konstitution des Menschen gegeben, wie sich dieser Mensch in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als Seele einhüllt in das substantielle äußere Naturprinzip, wobei unter Natur nicht nur das Äußere, Sichtbare, sondern alle Stufen der Natur bis

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zum Unsichtbarsten hinauf verstanden sind. So unterscheidet die Sankhyaphilosophie die Formen, die wir jetzt angeführt haben.

Und in den Formen oder in dem Prakriti, das alle Formen vom groben physischen Leib bis hinauf zur Urflut umfaßt, in diesem Pra­kriti lebt Purusha, das Geistig-Seelische, das aber in einzelnen Seelen monadisch vorgestellt wird, so daß die einzelnen Seelenmonaden so­zusagen ebenso anfang- und endlos gedacht werden, wie dieses ma­terielle Prinzip Prakriti - materiell nicht in unserem materialistischen Sinn - anfang- und endlos vorgestellt wird. Es stellt sich diese Philo-sophie also einen Pluralismus von Seelen vor, die untertauchten in das Prakritiprinzip und sich herunterentwickelten von der höchsten, undifferenzierten Form der Urflut, mit der sie sich umgaben, bis her­ein in die Einkörperung in den groben physischen Leib, um dann wiederum die Umkehr zu beginnen, nach der Überwindung des gro­ben physischen Leibes sich wieder hinaufzuentwickeln und wiederum dann zurückzukommen bis zur Urflut, sich auch von dieser zu be­freien, um als freie Seele in das reine Purusha einzuziehen.

Wenn wir diese Art von Erkenntnis auf uns wirken lassen, so sehen wir, wie sozusagen dieser uralten Weisheit das zugrunde liegt, was wir uns heute wieder erobern aus den Mitteln, die uns unsere see­lische Versenkung geben kann; und wir sehen im Sinn der Sankhya-philosophie, wie auch Einsicht vorhanden ist in die Art und Weise, wie nun mit jedem dieser Formprinzipien die Seele verbunden sein kann. Die Seele kann zum Beispiel verbunden sein mit der Buddhi so, daß sie gleichsam ihre volle Selbständigkeit möglichst wahrt inner­halb der Buddhi, daß nicht die Buddhi, sondern das Seelenhafte zur Geltung kommt in überwiegendem Maße. Es kann auch das Umge­kehrte der Fall sein. Die Seele kann ihre Selbständigkeit gleichsam in eine Art von Schlaf, in Lässigkeit und Faulheit hüllen, so daß die Hüllennatur sich vordrängt. Das kann auch der Fall sein bei der äußeren physischen Natur, die aus der groben Materie besteht. Wir brauchen da nur den Menschen zu betrachten. Es kann einen Men­schen geben, welcher vorzugsweise sein Seelisch-Geistiges zum Ausdruck

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bringt, so daß jede Bewegung, jede Geste, jeder Blick, die da vermittelt werden durch den groben physischen Leib, sozusagen zu­rücktreten gegenüber der Tatsache, daß sich darin ausdrückt das Geistig-Seelische. Wir haben einen Menschen vor uns, sehen ihn allerdings, indem sein grober physischer Leib vor uns steht, aber in der Bewegung, in der Geste, in dem Blick stellt sich uns etwas dar, daß wir sagen: Der Mensch ist ganz geistig-seelisch und er gebraucht das physische Prinzip nur, um dieses Geistig-Seelische darzuleben. Es überwältigt ihn nicht das physische Prinzip; er ist überall der Sieger über das physische Prinzip.

Dieser Zustand, wo die Seele das äußerliche Hüllenprinzip besiegt, ist der Sattwazustand. Von diesem Sattwazustand kann gesprochen werden sowohl beim Verhältnis der Seele zu Buddhi und Manas, wie auch beim Verhältnis der Seele zum Leibe, der aus feinen und groben Elementen besteht. Denn wenn man sagt: die Seele lebt in Satt­wa, so bedeutet das nichts anderes als ein bestimmtes Verhältnis der Seele zu ihrer Umhüllung, des geistigen Prinzips im betreffen­den Wesen zum Naturprinzip, des Purushaprinzips zum Prakriti­prinzip.

Aber wir können auch an einem Menschen sehen, wie sein grober physischer Leib ihn ganz überwältigt - es sind jetzt nicht moralische Charakteristiken zu geben, sondern reine Charakteristiken, wie sie im Sinn der Sankhyaphilosophie liegen und wie sie durchaus nicht, so wie sie uns da vor das geistige Auge treten, irgendeine moralische Charakteristik abgeben -, ein Mensch kann uns entgegentreten, der sozusagen unter der eigenen Schwere des physischen Leibes einher­geht, der viel Fleisch ansetzt, der in allen seinen Gebärden abhängt von der physischen Schwere seines physischen Leibes, der sich nicht zu helfen weiß, wenn er ausdiücken will das Seelische in seinem äußeren physischen Leib.

Wenn wir unsere Gesichtsmuskeln bewegen, so wie die Seele spricht, dann herrscht das Sattwaprinzip; wenn uns die Fettmassen unseres Gesichtes eine bestimmte Physiognomie aufprägen, so wird

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überwältigt das seelische Prinzip vom äußeren physischen Hüllen­prinzip, da lebt die Seele im Verhältnis von Tamas zu den Natur-prinzipien. Und wenn ein Gleichgewicht zwischen beiden herrscht, wenn weder, wie im Sattwazustand, das Seelische überwiegt, noch wie im Tamaszustand das äußerlich Hüllenhafte überwiegt, sondern wenn beide das Gleichgewicht halten, dann spricht man vom Rajas­zustand. Das sind die drei Gunas, die ganz besonders wichtig sind.

Wir müssen also unterscheiden die Charakteristik der einzelnen Formen des Prakriti, von dem obersten Prinzip der undifferenzierten Ursubstanz an bis zum groben physischen Leib herab: Das ist die eine Charakteristik, die Charakteristik nur des Hüllenprinzips. Von ihr müssen wir unterscheiden das, was die Sankhyaphilosophie hat, um zu charakterisieren das Verhältnis des Seelischen zu den Hüllen, gleichgültig zu welcher Form in der Hüllennatur. Diese Charakte­ristik wird gegeben durch die drei Zustände: Satrwa, Rajas, Tamas.

Wir wollen uns jetzt nur sozusagen das Tiefgehende einer solchen Erkenntnis recht vor Augen führen, wollen einmal hinblicken, wie tief hineingeschaut hat eine Erkenntnis, eine Wissenschaft in jenen alten Zeiten in die Geheimnisse des Daseins, die eine solche um­fassende Charakteristik alles Wesenhaften geben konnte. Da tritt eben jene Bewunderung an unsere Seele heran, von der vorhin ge­sprochen worden ist, und wir sagen uns: Es gehört zum Wunder-barsten in der Entwickelungsgeschichte der Menschheit, daß das, was aus dunklen Geistestiefen in der Geisteswissenschaft heute wiederum hervortritt, schon vorhanden war in jenen alten Zeiten, in denen es mit anderen Mitteln erreicht worden ist. Dieses alles ist ein Wissen gewesen, das einstmals da war. Wir erblicken dieses Wissen, wenn wir den geistigen Blick hinwenden in gewisse Urzeiten. Und dann blicken wir auf die darauffolgenden Zeiten. Wir blicken auf das, was gewöhnlich als Geistesinhalt der verschiedenen Perioden uns vorgeführt wird in der alten Griechenzeit, in der Zeit, die auf das alte Griechentum folgt, der römischen Zeit, in der Zeit des christ­lichen Mittelalters. Wir blicken auf das, was die ältere Kultur bis in

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die Neuzeit herauf gegeben hat, bis in die Zeiten, wo Geisteswissen­schaft wiederum erwas hinstellt, das gewachsen ist dem Urwissen der Menschheit. Wir überblicken alles dies und wir können sagen: Die­sen Zeiten mangelte oftmals selbst auch nur eine Ahnung jenes Ur-wissens. Immer mehr und mehr trat an die Stelle der Erkenntnis jener grandiosen Gebiete des Daseins, auch der übersinnlichen, umfassen­den alten Erkenntnis, eine bloße Erkenntnis des äußeren materiellen Daseins. Das war ja in der Tat der Sinn der Entwkkelung durch drei Jahrtausende hindurch, daß an Stelle des alten Urwissens immer mehr und mehr das äußerliche Wissen des materiellen physischen Plans gestellt worden ist.

Und es ist interessant zu sehen, wie da nur auf materiellem Gebiete zurückbleibt - ich möchte Ihnen die Bemerkung nicht vorenthalten -, wie da zurückbleibt auch noch in die griechische Philosophenzeit hin­ein etwas von einem Anklang an das alte Sankhyawissen. Für das eigentliche Seelische hat Aristoteles zwar noch einige Anklänge, aber sie sind nicht mehr so, daß wir sie in ihrer vollen Klarheit recht zu­sammenstellen können mit dem alten Sankhyawissen. Wir finden noch bei Aristoteles die Einteilung der menschlichen Wesenheit in den groben physischen Leib, den er noch gar nicht so sehr erwähnt, aber dann die Einteilung, wobei er glaubt, daß er das Seelische gibt, während die Sankhyaphilosophie weiß, daß es nur die Hüllen sind. Wir finden die vegetative Seele, was zusammenfallen würde mit dem feineren Elementenleib im Sinne der Sankhyaphilosophie. Aristoteles glaubt damit etwas Seelisches zu geben, charakterisiert aber nur die Beziehungen zwischen dem Seelischen und Leiblichen, die Gunas, und in dem, was als Charakteristik gegeben wird, gibt er eben nur die Hüllenform. Dann gibt Aristoteles für das, was schon in die Sinnes-sphäre heraufreicht, was wir den astralischen Leib nennen, etwas, was er als ein seelisches Prinzip unterscheidet. Also er unterscheidet nicht mehr klar das Seelische von dem Leiblichen, weil es ihm schon untergetaucht ist in das leiblich Formenhafte, er unterscheidet das Ästhetikon, unterscheidet weiter im Seelischen das Orektikon, Kinetikon

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und das Dianoetikon. Das sind seelische Stufen im Sinne des Aristoteles, aber bei Aristoteles tritt uns schon nicht mehr ein klares Auseinanderhalten des Seelischen und Hüllenhaften entgegen. Er glaubt, eine Einteilung der Seele zu geben, während die Sankhya­philosophie die Seele in ihrer eigenen Wesenheit ganz monadisch erfaßte und alles, was die Seele differenziert, gleichsam nach außen hin hineinverlegte in das Hüllenprinzip, in das Prakritiprinzip.

Also im Seelischen, da ist es bei Aristoteles selbst schon nicht mehr so, daß wir von einer Erinnerung an jene uralte Wissenschaft spre­chen könnten, die wir in der Sankhyaphilosophie entdecken. Aber auf einem Gebiet, man möchte sagen, auf materiellem Gebiet weiß Aristoteles noch etwas zu erzählen, was wie ein Herüberklingen des Prinzips der drei Zustände ist: das ist, wenn er von Licht und Finster­nis in den Farben spricht. Da sagt er: Es gibt Farben, welche mehr Finsternis in sich haben und Farben, welche mehr Licht haben, und Farben, welche dazwischen stehen. - Im Sinn des Aristoteles ist es, wenn man sagt: Bei den Farben nach dem Blau und Violett hin, da überragt das Finstere das Licht, und dadurch ist eine Farbe blau und violett, daß das Finstere das Licht überragt; und dadurch ist eine Farbe grün oder grüngelblich, daß sich die beiden das ,Gleichgewicht halten und eine Farbe ist rötlich oder orange, wenn das Lichtprinzip das Finstere überragt.

In der Sankhyaphilosophie haben wir dieses Prinzip der drei Zu­stände für den gesamten Umfang der Weltenerscheinungen; da haben wir Sattwa, wenn das Geistige das Natürliche überwiegt. Aristoteles hat noch diese selbe Charakteristik da, wo er von den Farben spricht. Er gebraucht nicht das Wort, aber man könnte sagen:

Rot und Rotgeib stellen dar den Sattwazustand des Lichtes - die Aus­drucksweise ist nicht mehr da bei Aristoteles, aber es ist noch da bei ihm das alte Sankhyaprinzip -, das Grün stellt dar den Rajaszustand in bezug auf Licht und Finsternis, und das Blau und Violett, wo die Finsternis überwiegt, stellen dar den Tamaszustand in bezug auf Licht und Finsternis. Wenn auch Aristoteles diese Ausdrücke nicht

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gebraucht, es scheint doch noch herein die Denkweise, die uns aus einer spirituellen Auffassung der Weltzustände in der Sankhyaphilosophie entgegentritt.

Also in der Farbenlehre des Aristoteles haben wir einen Nach­klang der alten Sankhyaphilosophie. Aber auch dieser Nachklang ging verloren. Und wir erleben zuerst ein Aufglänzen dieser drei Zustände: Sattwa, Rajas, Tamas auf diesem äußeren Gebiet der Far­benwelt in einem harten Kampfe, den Goethe geführt hat. Denn nachdem sozusagen ganz und gar die alte aristotelische Gliederung der Farbenwelt in einen Sattwa-, Rajas- und Tamaszustand verschüt­tet war, tritt dasselbe wiederum bei Goethe auf. Es wird heute noch verlästert bei den modernen Physikern, aber die Goethesche Farben-lehre ist eben hervorgeholt aus den Prinzipien spiritueller Weisheit. Die heutige Physik hat Recht von ihrem Standpunkt aus, wenn sie Goethe nicht recht gibt in dieser Sache; aber sie zeigt nur, daß sie in diesen Dingen eben von allen guten Göttern verlassen ist; das gehört sich für die heutige Physik, deshalb kann sie über die Goethesche Farbenlehre schimpfen.

Wenn man aber verbinden wollte heutige wirkliche Wissenschaft mit okkulten Prinzipien, dann müßte man gerade heute für die Goethesche Farbenlehre eintreten. Denn da tritt wiederum herauf, mitten aus unserer wissenschaftlichen Kultur heraus, das Prinzip, das einstmals als spirituelles Prinzip in der Sankhyaphilosophie ge­herrscht hat. Sie werden verstehen können, meine lieben Freunde, warum ich mir zum Beispiel vor vielen Jahren die Aufgabe gestellt habe, die Goethesche Farbenlehre wiederum auch als eine physische Wissenschaft, aber auf okkulten Prinzipien ruhend, zur Geltung zu bringen; denn man kann ganz sachgemäß sagen: Goethe gliedert die Farbenerscheinungen so, daß er sie darstellt nach den drei Zuständen Sattwa, Rajas und Tamas. So tritt nach und nach wie aus einem Geistesdunkel heraus in die neue Geistesgeschichte mit den neuen Mitteln erforscht, was einmal durch ganz andere Mittel der Mensch­heit errungen worden ist.

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Diese Sankhyaphilosophie, sie ist vorbuddhistisch, was uns ja die Buddhalegende, ich möchte sagen, handgreiflich deutlich vor Augen führt. Denn es erzählt mit Recht die indische Lehre, daß Kapila der Begründer der Sankhyaphilosophie ist. Buddha ist aber geboren in dem Wohnort des Kapila in Kapilavastu, womit hingewiesen ist dar­auf, wie herauswächst der Buddha aus der Sankhyalehre. Er wird selbst seiner Geburt nach hinversetzt, wo einstmals derjenige gewirkt hat, der zum erstenmal diese große Sankhyaphilosophie zusammen­gefaßt hat.

Vorzustellen haben wir uns das Verhältnis dieser Sankhyalehre zu den anderen geistigen Strömungen, von denen wir gesprochen haben, weder so, wie es viele der heutigen weltlichen Orientalisten dar­stellen, noch auch so, wie es der Jesuit Joseph Dahlmann darstellt, sondern daß in verschiedenen Gebieten des alten Indien Menschen gelebt haben, die differenziert waren, weil ja dazumal, als diese drei Geistesströmungen sich ausgebildet haben, nicht der allererste Ur­zustand der Menschheitsentwickelung mehr vorhanden war.

In, sagen wir, nordöstlichen Gegenden Indiens war die mensch­liche Natur so, daß sie hindrängte, so vorzustellen, wie es gegeben ist in der Sankhyaphilosophie. Mehr westlich davon war die menschliche Natur so, daß sie hindrängte, die Welt im Sinne der Vedenlehre vor-zustellen. Die einzelpen geistigen Nuancen kommen also aus den verschieden veranlagten menschlichen Naturen in den verschiedenen Gegenden Indiens, und erst später wurde dadurch, daß die Vedan­tisten weiter gearbeitet haben, manches hineingearbeitet, so daß wir jetzt in den Veden, so wie sie uns entgegentreten, vieles aus der Sankhyaphilosophie hineingearbeitet finden. Und die dritte Geistes-richtung, Yoga - wir haben es schon gesagt -, der Yoga trat auf, weil nach und nach das ursprüngliche Hellsehen abhanden kam und man neue Wege zu den geistigen Höhen suchen mußte. Der Yoga unterscheidet sich von der Sankhyabetrachtung dadurch, daß letztere eigentlich eine richtige Wissenschaft ist, eine Wissenschaft, die auf die äußeren Formen losgeht, daß sie eigentlich nur diese Formen faßt

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und noch das Wechselverhältnis der menschlichen Seele zu diesen Formen. Wie sich die Seele entwickeln soll, um in die geistigen Höhen zu kommen, dazu gibt der Yoga Anweisung.

Und wenn wir uns fragen: Wie müßte sich in einer verhältnis­mäßig späteren Zeit eine indische Seele verhalten haben, die nicht einseitig sich hat entwickeln wollen, nicht durch bloße Betrachtung der äußeren Formen hat vorwärtskommen wollen, sondern die auch das seelische Wesen selber hat hinaufbringen wollen, um das wieder­um zu entwickeln, was ursprünglich wie durch gnadenvolle Erleuch­tung im Veda gegeben worden ist, dann bekommen wir die Antwort in dem, was Krishna seinem Schüler Ardshuna gibt in der erhahenen Gita.

Eine solche Seele hätte sich so entwickeln müssen, wie man es mit den Worten ausdrücken kann: Ja, du siehst die Welt in äußeren For­men; und wenn du dich durchdringst mit dem Wissen von Sankhya, dann siehst du, wie die einzelnen Formen sich entwickeln von der Urflut herab. Du siehst aber auch, wie Form um Form sich wandelt. Dein Blick verfolgt das Entstehen und Vergehen der Formen, dein Blick folgt Geburten und Toden der Formen. Aber wenn du gründ­lich überlegst, wie Form um Form sich wandelt, wie Form um Form entsteht und vergeht, dann weist dich deine Betrachtung auf das hin, was in allen diesen Formen sich ausdrückt, es weist dich deine gründliche Betrachtung auf das geistige Prinzip hin, das in diesen Formen lebt, innerhalb dieser Formen sich wandelt, das bald mehr nach dem Sattwazustand, bald mehr nach den anderen Gunas mit den Formen verknüpft ist, das sich aber auch wiederum befreit aus diesen Formen. Eine solche gründliche Betrachtung weist dich auf etwas hin, was bleibend, was unvergänglich gegenüber den Formen ist. Blei­bend ist ja auch das materielle Prinzip, aber bleibend sind nicht die Formen, die du siehst; die werden, die entstehen und vergehen, die gehen durch Geburt und Tod. Bleibend aber ist das seelisch-geistige Element. Auf das richte hin deinen Blick! Damit du aber dieses Seelisch-Geistige selber erleben kannst, damit du dieses Seelisch-Geistige

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in dir und um dich und vereint mit dir empfinden und er­leben kannst, mußt du die schlummernden Kräfte in deiner Seele entwickeln, mußt du dich hingeben dem Yoga, der beginnt mit dem andächtigen Aufblicken zu dem seelisch-geistigen Element des Da­seins und der durch Anwendung bestimmter Übungen hinführt zur Entwickelung der schlummernden Kräfte, so daß der Schüler von Stufe zu Stufe durch den Yoga aufsteigt. Andächtiges Verehren des Geistig-Seelischen, das ist der andere Weg, der die Seele selber vor­wärts leitet; zu dem leitet, was als Geistiges hinter den wandelnden Formen in Einheit lebt, was einstmals der Veda verkündigt hat durch gnadenvolle Erleuchtung, was die Seele wiederfinden wird durch den Yoga als das, was hinter allem Wandel der Formen zu suchen ist.

So gehe - hätte von einem höchsten Lehrer dem Schüler gesagt werden können -, so gehe durch das Wissen der Sankhyaphilosophie, der Formen, der Gunas, durch die Betrachtung von Sattwa, Rajas und Tamas, durch die Formen von der höchsten bis zur gröbsten Stofflich­keit, so gehe hindurch vernunftgemäß und sage, daß da ein Bleiben­des, Einheitliches sein muß; dann dringst du denkend zum Ewigen. Aber du kannst auch in deiner Seele von der Andacht ausgehen; da dringst du durch den Yoga von Stufe zu Stufe, dringst so zum Geistigen vor, das allen Formen zugrunde liegt. Von zwei Seiten kannst du dich dem Ewigen nähern: durch denkende Betrachtung der Welt und durch den Yoga, und beides führt dich zu dem, was die großen Vedenlehrer als das einheitliche Atman-Brahman bezeichnet haben, das sowohl draußen lebt, wie im Innern der Seele, das der Welt als Einheitliches zugrunde liegt. Zu dem dringst du vor, indem du auf der einen Seite durch die Sankhyaphilosophie denkend, auf der anderen durch den Yoga andächtig schreitest.

So blicken wir in alte Zeiten zurück, in denen sozusagen noch mit der menschlichen Natur durch das Blut verbunden war hellsichtige Kraft, wie wir es dargestellt haben in der Schrift «Blut ist ein ganz besonderer Saft». Aber die Menschheit drang allmählich vor in ihrer

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Entwickelung von jenem an das Blut gebundenen hellsichtigen Prin­zip zu dem mehr seelisch-geistigen.

Daß aber nicht verloren werde der Zusammenhang mit dem See­lisch-Geistigen, der naiv erreicht worden ist in den alten Zeiten der Blutsverwandtschaft der Stämme und Völker, daß nicht verloren werde dieser Zusammenhang, deshalb mußten neue Methoden, neue Unterweisungen sich ergeben beim Übergang von der Blutsverwandt­schaft zu der Periode, wo nicht mehr die Blutsverwandtschaft herrschte. An diesen Übergang zu den neuen Methoden führt uns der erhabene Sang, die Bhagavad Gita. Und sie erzählt uns, wie im Kampfe miteinander liegen die Nachkommen der königlichen Brü­der aus dem Kuru- und Pandustamme. Wir blicken auf der einen Seite hinauf in eine Zeit, die vergangen ist, als der Gita-Inhalt be­ginnt, wo das altindische Erkennen und Verhalten der Menschen im Sinne dieses Erkennens noch vorhanden war. Wir erblicken sozu­sagen die eine Linie, die aus den alten Zeiten herüberragt in die neuen, in dem blinden König Dritarashtra aus dem Kurustamme. Und ihn erblicken wir im Gespräch mit seinem Wagenlenker. Er steht auf der einen Seite der Kämpfenden, auf der anderen Seite stehen diejenigen, die ihm blutsverwandt sind, die aber im Kampfe stehen, weil sie im Übergang sind von alten in neue Zeiten, die Pan­dusöhne. Und der Wagenlenker erzählt seinem König, der uns cha­rakteristisch genug als blind vorgeführt wird, weil sich das Geistige in diesem Stamm nicht fortpflanzen soll, sondern das Physische, sei­nem blinden König erzählt der Wagenlenker, was drüben sich er­eignet bei den Pandusöhnen, zu denen übergehen soll dasjenige, was mehr als Geistig-Seelisches auf die Nachwelt kommen soll. Und er erzählt, wie drüben unterrichtet wird der Repräsentant der Kämpfen­den, Ardshuna, von dem großen Krishna, von dem Lehrer des Men­schen, er erzählt, wie Krishna seinen Schüler Ardshuna unterweist in alledem, was wir angeführt haben jetzt, wohin der Mensch kommen kann, wenn er anwendet Sankhya und Yoga, wenn er Denken und Andacht entwickelt, um hinaufzudringen zu dem, was die einstigen

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großen Lehrer der Menschheit in den Veden niederlegten. Und gran­dios, in ebenso philosophischen wie dichterischen Worten wird uns erzählt die Unterweisung durch Krishna, durch den großen Lehrer des Menschentums der neuen Zeiten, die herausgetreten sind aus der Blutsverwandtschaft.

So finden wir etwas anderes da noch aus den alten Zeiten herüber­leuchten. In jener Betrachtung, die der Schrift «Blut ist ein ganz besonderer Saft» zugrunde liegt, und in manchen ähnlichen Betrach­tungen wiesen wir hin, wie die Menschheitsentwickelung von der Zeit der Blutsverwandtschaft ausging zu späteren Differenzierungen und wie sich damit das seelische Streben gewandelt hat. Und in dem erhabenen Sang, in der Bhagavad Gita, werden wir unmittelbar an diesen Übergang geführt, geführt so, daß uns in der Unterweisung des Ardshuna durch Krishna gezeigt wird, wie der Mensch, dem nicht mehr das alte, an das Blut gebundene Hellsehen eigen ist, hinauf-dringen muß zu dem Unvergänglichen. In dieser Lehre tritt uns das entgegen, was wir oftmals als einen wichtigen Übergang der Mensch­heitsevolution betrachtet haben. So wird fjir uns der erhabene Sang zu einer Illustration dessen, was wir aus der Sache selber betrachtet haben.

Und das, was uns an dieser Bhagavad Gita ganz besonders an-zieht, ist die Art, wie da eindringlich von dem Weg des Menschen gesprochen wird, wie anschaulich von dem Weg des Menschen zum Unvergänglichen gegenüber dem Vergänglichen gesprochen wird. Da steht Ardshuna vor uns voller Seeleuqualen zunächst - das hören wir aus der Erzählung des Wagenlenkers, denn das, was erzählt wird, kommt aus dem Munde des Wagenlenkers des blinden Königs Dritarashtra -, da steht vor uns Ardshuna mit seinen Seelenqualen. Er sieht sich kämpfend gegenüber dem Kurustamme, seinen Bluts-verwandten, und er sagt sich jetzt: Da soll ich kämpfen gegen die, die mir blutsverwandt sind, gegen die, welche Söhne der Brüder meiner Väter sind. Da sind manche der Helden unter uns, die ihre Kampfwaffen führen sollen gegen die Verwandten, und da drüben

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sind ebenso verdienstvolle Heiden, die ihre Waffen führen sollen gegen uns. - Da empfindet er die schwere Seelenqual: Kann ich in diesem Kampfe siegen, darf ich in diesem Kampfe Siegen, dürfen Brüder gegen Brüder das Schwert erheben? - Da tritt vor ihn hin Krishna, der große Lehrer, und sagt zu ihm: Wende zunächst durch denkende Betrachtung deinen Blick hin auf das Menschenleben und blicke auf den Fall, in dem du jetzt selber bist. Da leben in den Leibern derer, die du bekämpfen wirst aus dem Kurustamme, das heißt in vergänglichen Formen, die seelischen Wesen, die unver­gänglich sind, die sich in diesen Formen nur ausdrücken; da leben in denen, die deine Mitkämpfer sind, die ewigen Seelen, die sich in den Formen der Außenwelt nur ausdrücken. Ihr werdet kämpfen müssen, denn so will es euer Gesetz, so will es das Werkgesetz, das Gesetz der äußeren Evolution der Menschheit. Ihr werdet kämp­fen müssen, so will es der Augenblick, der einen Übergang be­zeichnet von einer Periode in die andere. Aber darfst du trauern, weil Formen gegen Formen kämpfen, wandelnde Formen gegen wandelnde Formen kämpfen? Welche dieser Formen auch die an­deren in den Tod führen werden - was ist Tod, was ist Leben? Formenwandel ist Tod, ist Leben. Und ähnlich sind die Seelen, die jetzt Sieger sein werden, und ähnlich die Seelen, die jetzt in den Tod gehen werden. Und was ist dieser Sieg und was ist dieser Tod gegen­über dem, worauf dich die denkende Betrachtung des Sankhya führt, gegenüber den ewigen Seelen, die sich gegenüberstehen, die unbe­rührt bleiben von allem Kampf?

In grandioser Weise, aus der Situation selber heraus, wird uns vorgeführt, wie Ardshuna nicht Seelenqualen im Innersten seines Wesens erdulden soll, sondern der Pflicht allein dienen, die ihn jetzt zum Kampf aufruft, weil er hinblicken soll von dem Vergänglichen, das in den Kampf verwickelt ist, zu dem Ewigen, das leben wird, ob er Sieger oder Besiegter ist. Und so wird gleich auf eigenartige Weise die große Note angeschlagen in dem erhabenen Sang, in der Bhaga­vad Gita, die große Note gegenüber einem wichtigen Evolutionsereignis

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der Menschheit, die Note vom Vergänglichen und Unver­gänglichen. Und nicht, wenn wir die abstrakten Gedanken erfassen, sondern wenn wir den Empfindungsgehalt der Sache auf uns wirken lassen, sind wir auf dem rechten Weg. Dann sind wir auf dem rech­ten Weg, wenn wir die Unterweisung des Krishna so betrachten, daß er die Seele des Ardshuna hinaufheben will von der Stufe, auf der sie steht und durch die sie hineinverstrickt ist in das Netz des Vergänglichen, hinaufheben will zu einer höheren Stufe, in der sie sich erhaben fühlt gegenüber allem Vergänglichen, auch wenn dieses Vergängliche in einer für die unmittelbare Menschenseele so qualvollen Art vor das Auge tritt wie im Siegen oder Besiegtwerden, im Todbringen oder Toderleiden.

Wir sehen bewahrheitet das, was einmal jemand in bezug auf diese orientalische Philosophie, wie sie uns in dem erhabenen Sang, in der Bhagavad Gita entgegentritt, gesagt hat: Diese orientalische Philo­sophie ist so sehr zugleich in jenen alten Zeiten Religion, daß der, der ihr angehörte, und wenn er auch ein noch so hoher Weiser war, nicht der tiefsten religiösen Inbrunst ermangelte, und der einfachste Mensch, der nur in seiner Gefühlsreligion lebte, doch nicht eines ge­wissen Quantums von Weisheit ermangelte. Das fühlen wir, indem wir sehen, wie der große Lehrer Krishna nicht allein die Ideen seines Schülers ergreift, sondern unmittelbar hineinwirkt in das Gemüt, so daß der Schüler vor uns steht im Anblick der Vergänglichkeit und der Qualen der Vergänglichkeit, und seine Seele in solch bedeutungs­voller Situation sich hinauferhebt zu einer Höhe, die sie hinausragen läßt über alle Vergänglichkeit, über alle Qualen, über Schmerz und alles Leid der Vergänglichkeit.

DRITTER VORTRAG Köln, 30. Dezember 1912

#G142-1960-SE054 - Die Bhagavad Gita und die Paulusbriefe

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DRITTER VORTRAG

Köln, 30. Dezember 1912

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Die ganze Bedeutung einer so1chen philosophischen Dichtung, wie sie uns in der Bhagavad Gita gegeben ist, wird nur der richtig wür­digen können, dem Dinge, wie sie in der Bhagavad Gita oder in ähn­lichen Werken der Weltliteratur niedergelegt sind, nicht eine bloße Theorie, sondern dem sie ein Schicksal sind; und ein Schicksal kön­nen Weltanschauungen für die Menschheit sein.

Entgegengetreten sind uns in den Auseinandersetzungen der letz­ten Tage zwei Weltanschauungsnuancen außer der dritten, der Veda­richtung, nämlich die Sankhyaphilosophie und der Yoga, zwei Welt­anschauungsnuancen, die uns, wenn wir sie richtig ins Auge fassen, im eminentesten Sinne zeigen können, wie Weltanschauungen eben ein Schicksal für die menschliche Seele werden können. Mit dem Begriff der Sankhyaphilosophie können wir alles das verbinden, was dem Menschen werden kann an Wissen, Erkenntnis in Ideen, Überschau über die Erscheinungen der Welt, in denen sich das see­lische Leben zum Ausdruck bringt. Und wenn wir das, was sozusagen unserer Zeit für den normalen Menschen geblieben ist von einer solchen Erkenntnis, von einer solchen in Ideen ausdrückbaren Welt-anschauung in wissenschaftlicher Form, wenn wir das, obzwar es geistig viel niedriger steht als die Sankhyaphilosophie, auch als eine solche Erkenntnisnuance bezeichnen, dann können wir sagen: Auch in unserer Zeit kann noch empfunden werden schicksalsmäßig das­selbe, was gegenüber der Sankhyaphilosophie schicksalsmäßig emp­funden werden kann. - Allerdings wird schicksalsrnäßig nur der empfinden, welcher in einseitiger Weise einer solchen Weltanschau­ungsnuance sich hingibt, von dem wir in gewisser Weise sagen kön­nen: Er ist in einseitiger Weise Wissenschafter oder Sankhyaphilo­soph. - Wie steht ein solcher der Welt gegenüber? Wie kann er in seiner Seele empfinden? Das ist eine Frage, die sich im Grunde

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genommen nur erfahrungsgemäß beantworten läßt. Man muß ken­nen das, was einer Seele passiert, wenn sie in solch einseitiger Weise sich einer Weltanschauungsnuance hingibt, wenn sie alle ihre Kräfte daransetzt, eine in dem charakterisierten Sinn gehaltene Weltan­schauung zu haben. Es kann ja dann diese Seele bis in die Einzel­heiten der Formen der Welterscheinungen eintreten, kann sozusagen in ausgiebigster Weise Verständnis haben für alles, was sich an Kräften ausdrückt in der Welt, was sich an Formen wandelt in der Welt. Wenn eine Seele nur so sich der Welt hingeben würde, sagen wir, in einer Inkarnation nur Gelegenheit fände, durch ihre Fähig­keiten und ihr Karma so sich in die Weiterscheinungen einzuleben, daß sie vor allen Dingen, ob durchglänzt von hellseherischer Kraft oder nicht, Vernunftwissen hat, so fährt eine solche Seelenrichtung unter allen Umständen zu einer gewissen Art Kälte des ganzen See­lenlebens. Und je nachdem dann das Temperament der Seele geartet ist, werden wir finden, daß diese Seele entweder mehr oder weniger den Charakter unbefriedigter Ironie gegenüber den Welterscheinun­gen annimmt oder der Interesselosigkeit, des Unbefriedigt-Seins im allgemeinen an einem solchen Wissen, das von Erscheinung zu Er­scheinung schreitet. Alles das, was so viele Seelen in unserer Zeit auch fühlen können, wenn an sie ein Wissen herantritt, das bloß in gelehrtenhafte Art geprägt ist, die Kälte, die Ödigkeit, die da eine Seele befällt, das Unbefriedigte im Gemüte, alles das kann vor unsere Seele treten, wenn wir eine solche Seelenrichtung ins Auge fassen, wie sie angegeben worden ist. Verödet, ihrer selber ungewiß, wird sich eine solche Seele fühlen. Was hätte ich, wenn ich die ganze Welt gewänne und über meine eigene Seele nichts wissen, nichts fühlen, nichts empfinden, nichts erleben könnte, wenn es da drinnen leer bliebe! so könnte eine solche Seele sagen. Vollgepfropft sein mit dem ganzen Wissen der Welt und in sich selber leer sein, das kann ein bitteres Schicksal werden; das kann wie ein Verlorensein an die Welterscheinungen werden, wie ein Verlust alles dessen, was im Innern selber wertvoll werden kann.

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Das, was eben jetzt geschildert worden ist, wir finden es bei vielen Leuten, welche uns mit irgendeiner Art von Gelehrsamkeit entgegentreten, mit einer abstrakten Philosophie. Wir finden es, entweder indem diese Seelen, selber unbefriedigt und ihre Leerheit fühlend, interesselos an ihrem vielen Wissen, uns wie elend ent­gegentreten; oder aber wir finden es, wenn jemand mit einer ab­strakten Philosophie an uns herantritt und uns Auskünfte geben kann mit abstrakten Worten über das Wesen der Gottheit, der Kosmologie, der menschlichen Seele und wir doch fühlen: Das ruht im Kopf; das Herz ist nicht beteiligt, das Gemüt ist leer! - Kalt weht es uns an, wenn wir einer solchen Seele begegnen. Sankhyaphilo-sophie kann so zum Schicksal werden, zum Schicksal, das dem Men­schen nahe bringt, ein für sich selbst verlorenes Wesen zu sein, ein Wesen, das nichts von sich hat und von dessen Individualität die Welt nichts haben kann.

Und wiederum: nehmen wir eine Seele, die einseitig die Entwicke­lung durch den Yoga sucht, die sozusagen weltverloren ist, es ver­schmäht, irgend etwas von der Außenwelt zu erkennen. Die sagt:

Was hilft es mir zu erfahren, wie die Welt entstanden ist. Ich will alles aus mir heraus suchen; ich will selber durch die Entwickelung meiner Kräfte vorwärts kommen. - Sie wird im Innern vielleicht sich warm fühlen, wird oftmals uns so entgegentreten, daß sie uns er­scheint wie etwas in sich Geschlossenes, in sich Befriedigtes. Mag sein. Auf die Dauer wird es für eine solche Seele nicht so bleiben, sondern auf die Dauer ist eine solche Seele ausgesetzt der Ver­einsamung. Wenn eine solche Seele, die, in das Eremitentum zurück-gezogen, die Höhen des Seelenlebens sucht, dann hinaustritt in die Welt und überall an die Welterscheinungen anstößt, aber vielleicht da sich sagt: was kümmern mich alle diese Welterscheinungen - und wenn sie dann doch, weil sie fremd gegenübersteht der Herrlichkeit der Offenbarungen und sie nicht versteht, sich vereinsamt fühlt, dann wird die Einseitigkeit wiederum zum verhängnisvollen Schick­sal. Und wie kann uns oftmals eine solche Seele entgegentreten! Wie

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kann man sie kennen lernen, die Menschenwesen, die da alle Kraft verwenden auf die Evolution ihres eigenen Wesens, die kalt und gleichgültig an ihren Mitmenschen vorbeigehen, als ob sie nichts mit ihnen gemein haben wollten! Weltverloren kann sich eine solche Seele selber fühlen, und egoistisch bis zum Exzeß kann sie den an­deren Seelen vorkommen.

Wenn man diese Lebeuszusammenhänge ins Auge faßt, dann erst empfindet man das &hicksalsmäßige von Weltanschauungen. Und im Hintergrunde solch großer Manifestationen, solch großer Welt­anschauungen, wie wir sie in der Gita und auch in den Paulusbriefen finden, da tritt uns entgegen dieses Schicksalsmäßige. Man möchte sagen: Sowohl hinter der Gita wie hinter den Paulusbriefen, wenn wir nur ein wenig hinter sie blicken, schaut uns das an, was für uns unmittelbar schicksalsmäßig wird. Wie kann das Schicksal uns an­schauen auch aus den Paulusbriefen?

Da finden wir so oftmals hingewiesen darauf, wie das eigentliche Heil der Seelenentwickelung in der sogenannten Glaubensgerechtig­keit besteht gegenüber der Wertlosigkeit der äußeren Werke, durch das, was der Seele werden kann, wenn sie den Zusammenschl'uß fin­det mit dem Christus-Impuls, wenn sie in sich aufnehmen kann die große Kraft, die da fließt aus der richtig verstandenen Auferstehung des Christus. Wenn uns das entgegentritt in den Paulusbriefen, dann fühlen wir auf der anderen Seite, wie da die menschliche Seele sozu­sagen in sich selber zurückgewiesen wird, wie da die menschliche Seele entfremdet werden kann dem äußeren Werk und sich ganz ver­lassen kann auf Gnade und Glaubensgerechtigkeit. Dann kommt das äußere Werk. Es ist in der Welt da, wir schaffen es dadurch nicht hinweg, daß wir es hinwegdekretieren. Wir stoßen in der Welt damit zusammen. Und das Schicksal tönt uns wiederum entgegen in all sei­ner gigantischen Größe. Nur wenn man die Sachen so faßt, dann steht einem vor Augen das Gewaltige solcher Menschheitsäußerungen.

Nun sind diese beiden Menschheitsäußerungen, die Bhagavad Gita und die Paulusbriefe, äußerlich recht verschieden voneinander. Und

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diese äußerliche Verschiedenheit, sie wirkt, möchte ich sagen, in jedem Teil dieser Werke auf die Seele ein.

Da stehen wir vor der Bhagavad Gita nicht nur bewundernd aus den Gründen, die wir kurz schon angeführt haben, sondern da stehen wir bewundernd auch aus dem Grunde, weil sie uns poetisch so groß und gewaltig anmutet, weil aus jedem Vers uns entgegenleuchtet Hochgesinnung der menschlichen Seele, weil in alledem, was da aus-gesprochen wird aus dem Munde des Krishna oder seines Schülers Ardshuna, wir etwas fühlen wie ein Hinausgehoben-Sein über die alltäglichen menschlichen Erlebnisse, über alles Leidenschaftliche, über alles, was mit Affekt zu tun hat, was der Seele Unruhe gibt. In eine Sphäre der Seelenruhe, der Abgeklärtheit, der Gelassenheit, der Leidenschaftslosigkeit und Affektlosigkeit, in eine Atmosphäre der Weisheit werden wir hineinversetzt, wenn wir auch nur ein Stück der Gita auf uns wirken lassen. Und wir fühlen überall unsere ganze Menschlichkeit schon durch die Lektüre der Gita wie auf eine höhere Stufe hinaufgehoben. Wir fühlen überall: wir müssen uns von man­chem allzu Menschlichen freigemacht haben, wenn wir das erhabene Göttliche in der Gita in der richtigen Weise auf uns wollen wirken lassen.

Anders ist das alles bei den Paulusbriefen. Das Erhabene der poe­tischen Sprache fehlt, selbst die Leidenschaftslosigkeit der Gita fehlt. Wir nehmen diese Paulusbriefe in die Hand, lassen sie auf uns wir­ken, und wir fühlen vielfach, wie uns aus ihnen entgegenweht, aus dem Munde des Paulus, ein leidenschaftlich empörtes Wesen über das, was passiert ist. Zuweilen ist der Ton polternd, könnte man sagen. Verurteilt, verdammt wird vielfach dieses oder jenes in den Paulusbriefen, gescholten wird. Und die Dinge, die da vorgebracht werden über die großen Begriffe des Christentums, über die Gnade, über die Gesetzhaftigkeit, über den Unterschied des Mosaismus und des Christentums, über die Auferstehung, alles das wird vorgebracht in einem Ton, der gewissermaßen philosophisch sein soll, der philo­sophische Definition sein will und der es doch nicht ist, weil in jeden

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Satz hineinklingt eine Note des Paulus. Wir können bei keinem Satz vergessen, daß ein Mensch spricht, der entweder aufgeregt ist oder aus gerechtem Zorn sich über andere ausspricht, die das oder jenes getan haben; oder der über die höchsten Begriffe des Christentums so spricht, daß wir fühlen, er ist persönlich engagiert, er steht unter dem Eindruck, daß er ein Propagandist dieser Ideen ist.

Wie könnte es uns beim Lesen der Gita begegnen, daß sich etwa eine ähnliche Gesinnung persönlicher Natur ausspräche wie bei Paulus, wenn wir in seinen Briefen lesen, daß er an diese oder an jene Gemeinde schreibt: Wie sind wir selber eingetreten für den Christus Jesus! Erinnert euch, wie wir niemand zur Last gefallen sind, wie wir gearbeitet haben Tag und Nacht, damit wir niemand zur Last fielen. Wie persönlich ist das alles! Ein Hauch des Persönlichen geht durch die Paulusbriefe. Eine wunderbar reine Sphäre, eine Äthersphäre, die ans Übermenschliche überall grenzt und zuweilen sich in das Übermenschliche hineinerstreckt, finden wir in der er­habenen Gita

Äußerlich also sind gewaltige Unterschiede, und wir können sagen:

Es würde das blindeste Vorurteil sein, wenn man sich nicht gestehen wollte, daß durch das große Lied, durch das einstmals dem Hinduis­mus gegeben worden ist der Zusammenfluß schicksalsmächtiger Weltanschauungen, daß durch diese Gita den Hinduisten etwas er­haben Reines, etwas Unpersönliches, Gelassenes und Leidenschafts-, Affektloses gegeben worden ist, während das, was wie die Ur-Urkimde des Christentums, die Paulusbriefe, uns entgegentritt, einen ganz persönlichen, oft leidenschaftserfüllten und alle Gelassenheit entbeh­renden Charakter trägt. Nicht dadurch kommt man zur Erkenntnis, daß man sich vor der Wahrheit verschließt und solche Dinge nicht gesteht, sondern dadurch, daß man sie begreift und in richtigem Sinn sie auffaßt. Diesen Gegensatz wollen wir daher durchaus wie eine eherne Tafel hingestellt sein lassen vor unsere folgende Betrachtung.

Wir haben schon gestern darauf aufmerksam gemacht, daß uns in der Gita die bedeutsame Unterweisung des Ardshuna durch Krishna

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entgegentritt. Wer ist denn eigentlich nun Krishna? Diese Frage muß uns vor allen Dingen interessieren. Man kann nicht verstehen, wer Krishna ist, wenn man sich nicht bekannt macht mit einer Sache, die ich gelegentlich schon da oder dort besprochen habe, bekannt macht damit, daß die ganze Art der Namengebung und -bezeichnung in früheren Zeiten eine andere war als jetzt. Jetzt ist im Grunde genom­men die Art, wie man einen Menschen bezeichnet, etwas höchst Gleichgültiges. Denn schließlich wird man von einem Menschen in unserer heutigen Zeit nicht viel wissen, wenn man erfährt, daß er diesen oder jenen bürgerlichen Namen trägt, daß er Müller oder Schulze heißt. Man weiß auch schließlich nicht viel von einem Men­schen - das wird sich auch jeder gestehen -, wenn man weiß, daß er Hofrat oder Geheimrat oder irgend etwas anderes von dieser Art ist. Man weiß also auch nicht viel von diesem Menschen, wenn man solch eine Bezeichnung seiner sozialen Rangordnung weiß. Und auch dadurch weiß man heute nicht viel von einem Menschen, wenn man weiß, daß man ihn anzureden hat mit «Euer Hochwohlgeboren» oder «Hochwürden» oder auch nur als «geehrter Herr», kurz, all diese Bezeichnungen, sie besagen nicht viel für den Menschen. Und Sie werden sich leicht überzeugen können, daß auch andere Bezeich­nungen, die wir heute wählen, nicht sonderlich viel besagen. Anders war das in älteren Zeiten. Ob wir die Bezeichnungen der Sankhya­philosophie nehmen, ob wir unsere eigenen anthroposophischen Be­zeichnungen nehmen, wir können von beiden ausgehen und die fol­gende Betrachtung anstellen.

Wir haben gehört, daß im Sinne der Sankhyaphilosophie der Mensch aus dem groben physischen Leib besteht, dem feineren Ele­mentenleib oder Ätherleib, dem Leib, der die gesetzmäßigen Kräfte der Sinne enthält, demjenigen, was das Manas genannt wird, Aham­kara und so weiter. Die anderen höheren Glieder brauchen wir nicht zu betrachten, weil sie im allgemeinen noch nicht ausgebildet sind. Aber wenn wir nun die Menschen nehmen so, wie sie uns entgegentreten in dieser oder jener Inkarnation, da können wir sagen: Die

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Menschen sind voneinander verschieden, so daß bei dem einen Men­schen stark nur das hervortritt, was im ätherischen Leib sich aus­drückt, beim anderen mehr das hervortritt, was in der Gesetzmäßig­keit der Sinne liegt, beim dritten mehr der innere Sinn, beim vierten mehr Ahamkara. Oder wenn wir in unserer Sprache reden: Wir fin­den Menschen, bei denen hervorragend tätig sind die Kräfte der Empfindungsseele; wir finden andere Menschen, bei denen hervor-ragend tätig sind die Kräfte der Verstandes- oder Gemütsseele, an­dere, bei denen die Kräfte der Bewußtseinsseele hervortreten, und wieder andere, bei denen etwas anderes hereinspielt dadurch, daß sie inspiriert sind von Manas und so weiter. Das sind Unterschiede, die gegeben werden durch die ganze Art, wie sich ein Mensch darlebt. Mit diesen Unterschieden ist auf das Wesen der Menschen selber hingewiesen.

In unserer Gegenwart geht es nicht, aus leicht begreiflichen Grün­den, Bezeichnungen der Menschen zu wählen nach der Wesenheit, die in diesem Sinn ausgedrückt ist. Denn würde man heute bei der weitverbreiteten Gesinnung der Menschheit zum Beispiel zu sagen haben, daß das H&hste, was der Mensch erreichen kann im gegen­wärtigen Menschheitszyklus, ein Anflug von Ahamkara sei, so würde jeder überzeugt sein, daß er in seiner Wesenheit am deutlichsten den Ahamkara ausdrückt, und es würde für ihn verletzend sein, wenn man zum Ausdruck brächte, daß das noch nicht der Fall ist, daß ein niedrigeres Glied bei ihm vorherrscht. So war es nicht in alten Zeiten. Da bezeichnete man schon den Menschen im wesentlichen, insbeson­dere wenn es darauf ankam, ihn herauszuheben aus der übrigen Menschheit, vielleicht ihm gar die Führerrolle zuzuerteilen, man be­zeichnete den Menschen schon so, daß man Rücksicht nahm auf die eben charakterisierte Wesenheit.

Nehmen wir an, in alten Zeiten wäre ein Mensch aufgetreten, der in umfassendstem, in wirklich umfassendstem Sinn das Manas zum Ausdruck gebracht hätte, der zwar in sich erlebt hätte den Ahamkara, aber diesen als individuelles Element mehr hätte zurücktreten lassen

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und um seiner Wirksamkeit nach außen willen den inneren Sinn, das Manas, zur Geltung gebracht hätte. Nach den Gesetzen älterer klei­nerer Menschheitszyklen hätte ein solcher Mensch - und nur ganz seltene Menschen hätten ein solches Wesen darleben können - ein großer Gesetzgeber, ein Führer großer Völkermassen sein müssen. Und man hätte sich nicht begnügt, ihn so zu bezeichnen wie andere Menschen, sondern nach seinem hervorstechendsten Merkmal hätte man ihn bezeichnet als Manas-Träger, während man einen anderen nur als Sinnes-Träger bezeichnet hätte. Man würde gesagt haben:

Der ist ein Manas-Träger, der ist ein Manu. Und wenn uns Bezeich­nungen in jenen älteren Zeiten entgegentreten, so haben wir in ihnen dasjenige zu sehen, was den Menschen charakterisiert nach dem her­vorragendsten Gliede der menschlichen Organisation, das gerade bei ihm in seiner entsprechenden Inkarnation zum Ausdruck kommt.

Nehmen wir an, bei einem Menschen würde sich½ besonders zum Ausdruck gebracht haben, daß er in sich fühlte die göttliche Inspi­ration, daß er es abgelehnt hätte, sich bei seinen Erkenntnissen und Handlungen nur zu entscheiden nach dem, was die Außenwelt durch seine Sinne gibt und was sein an das Gehirn gebundener Verstand sagt, sondern daß er überall hingehorcht hätte auf das göttliche Wort, das sich ihrn einsprach, daß er sich zum Verkündiger der gött­lichen Substanz gemacht hätte, die aus ihm gesprochen hätte. Einen so1chen Menschen würde man bezeichnet haben als einen Gottessohn. Und noch im Johannesevangelium werden diejenigen, die einmal so waren, als die Gottessöhne hingestellt gleich im Anfang des ersten Kapitels.

Aber das Wesentliche war das, daß man alles andere dabei über­sah, wenn man dieses Bedeutsame zum Ausdruck brachte. Alles an­dere war unbedeutend. Nehmen wir also an, man wäre zwei Men­schen gegenübergetreten: Der eine wäre ein gewöhnlicher Sinnes-mensch gewesen, der die Welt durch seine Sinne hätte auf sich wir­ken lassen und über sie mit seinem an das Gehirn gebundenen Ver­stand nachgedacht hätte; der andere wäre ein solcher Mensch gewesen,

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in den das Wort der göttlichen Weisheit hereingestrahlt hätte. Dann würde man sich im Sinne der alten Gesinnung so ausgespro­chen haben, daß man gesagt hätte: Dieser eine Mensch ist ein Mensch; er ist geboren von Vater und Mutter, ist nach dem Fleisch gezeugt. Beim anderen Menschen, der der Verkündiger der gött­lichen Substanz gewesen wäre, käme nicht in Betracht, was einfließt in eine gewöhnliche Biographie, wie bei jenem ersten, der die Welt mit den Sinnen und dem an das Gehirn gebundenen Verstand be­trachtet. Eine solche Biographie zu schreiben, wäre bei ihm eine Tor­heit gewesen. Denn daß er einen fleischlichen Leib an sich trug, war nur das Gelegentliche, nicht das Wesentliche, das man ins Auge faßte; es war sozusagen nur das, wodurch er sich den anderen Men­schen zum Ausdruck brachte. Und man sagt deshalb: Der Gottes­sohn, der ist nicht nach dem Fleisch geboren, der ist jungfräulich, un­mittelbar aus dem Geist geboren. - Das heißt: das, worauf es bei ihm ankam, wodurch er Wert hatte für die Menschheit, das stammte aus dem Geist. Und nur das hob man hervor in den alten Zeiten. Bei gewissen Schülern von Eingeweihten wäre es die größte Sünde ge­wesen, gegenüber einer Persönlichkeit, von der man erkannt hatte, daß sie durch höhere Glieder der menschlichen Natur Bedeutung hatte, eine Biographie im landläufigen Sinn zu schreiben, die nur auf das gewöhnliche alltägliche Verhältnis Rücksicht nimmt. Wer noch ein wenig nur sich etwas bewahrt hat von der Gesinnung jener alten Zeiten, findet es höchst absurd, was heute meinetwilien an Goethe-Biographien geschrieben wird.

Und nun stellen wir uns vor, daß die Menschheit der alten Zeiten mit solchen Empfindungen, mit solchen Gefühlen gelebt hat, dann können wir auch begreifen, wie durchdrungen diese alte Menschheit davon sein konnte, daß solch ein Manu, in dem hauptsächlich das Manas lebt, selten erscheint, daß er große Epochen abwarten muß, bis er auftreten kann.

Wenn wir nun auf das hinschauen, was als die tiefste Wesenheit in dem Menschen leben kann in unserem Menschheitszyklus, wenn

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wir auf das hinschauen, was jeder Mensch ahnen kann von seinen geheimen Kräften, die ihn hinaufbringen können zu seelischen Hö­hen, wenn wir auf das hinschauen und uns die Vorstellung bilden, daß, was bei den anderen Menschen nur in der Anlage vorhanden ist, in ganz seltenen Fällen einmal das wesentliche Glied einer mensch­lichen Wesenheit wird, einer Wesenheit, die dann von Zeit zu Zeit auftritt, um Führer zu sein den anderen Menschen, die höher ist als alle Manus, die ihrer Wesenheit nach in jedem Menschen steckt, aber als reale äußere Persönlichkeit in einem Weltenalter nur eiumal auf-tritt: wenn wir uns einen solchen Begriff bilden, dann nähern wir uns dem Wesen des Krishna.

Er ist der Mensch im allgemeinen; er ist - man möchte fast sagen -die Menschheit als solche, als einzelne Wesenheit aufgefaßt. Aber er ist kein Abstraktum. Wenn heute die Menschen von der Mensch­heit im allgemeinen sprechen, so sprechen sie als Abstraktlinge da­von. Das abstrakte Wesen ist uns heute, wo man im übrigen ganz in der Sinneswelt befangen ist, zu einem allgemeinen Schicksal gewor­den. Wenn man von dem Menschen im allgemeinen spricht, so hat man einen verschwommenen Begriff, der gar nicht lebt. Diejenigen, die von Krishna sprechen als von dem Menschen im allgemeinen, sagen nicht: Das ist jene abstrakte Idee, die man heute im Auge hat, wenn man davon spricht -, sondern die sagen: Ja, diese Wesenheit lebt zwar der Anlage nach in jedem Menschen, aber sie tritt auch als einzelner Mensch in jedem Weltalter eiumal auf und spricht durch Menschenmund. Nur daß es bei ihr nicht ankommt auf das äußere Fleischliche, auch nicht auf den feineren Elementenleib, auch nicht auf die Kräfte der Sinnesorgane, nicht auf Ahamkara und Manas, sondern ankommt auf das, was in der Buddhi und Manas unmittel­bar zusammenhängt mit den großen allgemeinen Weltensubstanzen, mit dem durch die Welt lebenden und webenden Göttlichen.

Zur Führung der Menschheit treten von Zeit zu Zeit die Wesen­heiten auf, wie wir sie zu sehen haben in dem großen Lehrer des Ardshuna, in dem Krishna. Der Krishna lehrt die höchste menschliche

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Weisheit, das höchste Menschentum und er lehrt es als sein eigenes Wesen und wiederum doch so, daß es eine verwandte Saite anschlägt in jeglicher Menschennatur, weil in der Anlage alles das, was in den Worten des Krishna liegt, in jeder menschlichen Seele sich findet. So blickt der Mensch, indem er zu Krishna aufblickt, zu­gleich zu seinem eigenen höchsten Selbst hinauf; zugleich aber auch zu einem anderen, das wie ein anderer Mensch vor ihm stehen kann und in dem er als in einem anderen zugleich das verehrt, was er der Anlage nach ist und was doch ein anderer ist wie er, das zu ihm sich verhält wie ein Gott zu dem Menschen. So müssen wir uns das Ver­hältnis des Krishna zu seinem Schüler Ardshuna vorstellen. Dann wird aber auch der Grundton angegeben, der uns entgegentönt aus der Gita, jener Grundton, der so klingt, als ob er jede Seele anginge, in jede Seele hineintönen könnte, der ganz menschlich, intim mensch­lich ist, so intim menschlich, daß eine jede Seele fühlt, sie müsse es sich zum Vorwurf machen, wenn sie sich nicht verwandt fühlte der Sehnsucht hinzuhorchen auf die große Krishna-Lehre.

Auf der anderen Seite erscheint uns alles so gelassen, so leiden­schaftslos, so affektlos, so erhaben und weise, weil das Höchste spricht, was Göttliches ist in jeder Menschennatur und doch als gött­lich-menschliche Wesenheit einmal in der Evolution der Menschheit verkörpert erscheint.

Und wie erhaben sind sie, diese Lehren! Sie sind wirklich so er­haben, daß mit Recht diese Gita den Namen des erhabenen Sanges trägt, der Bhagavad Gita Da tritt uns zunächst entgegen die große Lehre, von der schon im gestrigen Vortrag die Rede war, in erhabe­nen Worten und aus einer erhabenen Situation heraus: die Lehre, daß alles das, was sich in der Welt wandelt, und sei es selbst sich wan­delnd in einer solchen Form, daß Entstehen und Vergehen, Geburt und Tod, Siegen oder Besiegtwerden äußerlich erscheint, daß in dem allem ein Unvergängliches, ein Ewiges, ein Bleibendes, ein Seiendes sich ausdrückt, und daß derjenige, der die Welt richtig anschauen will, sich hindurchringen muß von dem Vergänglichen zu diesem

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Unvergänglichen. Das tritt uns entgegen schon durch den Sankhya, also durch die vernünftige Überlegung von der Unvergänglichkeit in allem Vergänglichen, von dem, daß die besiegte Seele und die Sieger-seele gleich sind vor Gott, wenn das Tor des Todes hinter beiden sich schließt.

Dann aber sagt der Krishna weiter seinem Schüler Ardshuna, daß auch auf einem anderen Wege die Seele von der Anschauung der Alltäglichkeit hinweggeführt werden kann: Das ist durch den Yoga. Wenn die Seele andächtig werden kann, so ist das die andere Seite der Seelenentwickelung. Die eine Seite ist die, wo man von Erschei­nung zu Erscheinung geht und überall sein entweder vom Hellseher­tum durchleuchtetes oder nicht durchleuchtetes Ideenvermögen an­wendet. Die andere Seite ist die, wo man alle Aufmerksamkeit ab­wendet von der äußeren Welt, wo man das Tor der Sinne schließt, wo man schließt alles das, was Vernunft und Verstand von der Außenwelt sagen können, wo man schließt alle Tore gegenüber dem, woran man sich erinnern kann als im gewöhnlichen Leben erfahren, wo man in sein Inneres geht und heraufholt durch entsprechende Übungen das, was in der eigenen Seele ruht, wo man die Seele hin-wendet zu dem, was man als das Höchste ahnen kann und aus der Kraft der Andacht heraus sich zu erheben versucht. Wo das ge­schieht, da kommt man durch den Yoga immer höher und höher, kommt zu den höheren Stufen, die man erreichen kann, wenn man sich zuerst bedient der leiblichen Werkzeuge, zu jenen höheren Stufen, in denen man lebt, wenn man frei geworden ist von allen leiblichen Werkzeugen, wenn man sozusagen außerhalb seines Leibes in seinen höheren Gliedern der menschlichen Organisation lebt. So lebt man sich hinauf, in eine ganz andere Form des Lebens hinein. Die Lebenserscheinungen und -betätigungen werden geistig, spiri­tuell. Man nähert sich immer mehr und mehr dem eigenen göttlichen Sein und erweitert das eigene Sein zum Weltensein, erweitert den Menschen zum Gott, indem man die individuelle Beschränkung auf das eigene Sein verliert und aufgeht im All durch den Yoga.

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Dann werden die Mittel angegeben, durch welche der Schüler des großen Krishna hinaufgelangen kann in der einen oder anderen Art zu diesen geistigen Höhen. Da wird zunächst unterschieden zwischen dem, was die Menschen in der gewöhnlichen Welt zu tun haben. Ist es ja doch eine große Situation, an der uns gerade de Gita dies er­örtert. Ardshuna muß gegen seine Blutsverwandten kämpfen. Das ist sein äußeres Schicksal, das ist sein Wirken, sein Karma, das ist die Summe der Taten, die er zunächst unmittelbar in dieser Situation zu verrichten hat. In diesen Taten lebt er zunächst als äußerer Mensch. Aber der große Krishna lehrt ihn, daß der Mensch erst weise wird, sich erst verbindet mit dem Göttlich -Unvergänglichen, wenn er seine Taten verrichtet, weil die Taten im äußeren Verlauf der Natur- und Menschheitsentwickelung sich als notwendig ergeben, daß aber der Weise sich loslösen muß von diesen Taten. Er tut die Taten; doch ist etwas in ihm, was zugleich wie ein Zuschauer ist gegenüber diesen Taten, was keinen Anteil nimmt an ihnen, was da sagt: Ich tue das Werk, aber ich könnte ebensogut sagen, ich lasse es geschehen.

Ein Weiser wird man dadurch, daß man gegenüber dem, was man selbst tut, steht, als wenn es ein anderer täte, und daß man selber nicht berührt wird von der Lust, die die Tat bereitet, oder von dem Leid, das die Tat verursacht. Gleichsam sagt der große Krishna sei­nem Schüler Ardshuna: Ob du dastehst in der Reihe der Pandusöhne oder ob du drüben stehst in der Reihe der Kurusöhne: was du auch tust, du mußt dich als Weiser loslösen von dem Pandutum oder von dem Kurutum. Wenn es dich nicht berührt, wenn du Pandu­Taten verrichten könntest, als ob du ein Pandu wärst, oder Kuru-Taten, als ob du ein Kurusohn wärest; wenn du über alle dem stehst, wenn du nicht berührt wirst von deinen eigenen Taten, wenn du lebst in deinen eigenen Taten wie die Flamme brennt, die da ruhig brennt an einem vom Wind geschützten Orte, nicht berührt wird von irgend etwas Äußerem, wenn die Seele so wenig von ihren eigenen Taten berührt, innerlich ruhig lebt neben ihren Taten, dann wird die Seele zum Weisen, dann befreit sich die Seele von ihren Taten, dann fragt

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sie nicht nach dem, was diese Taten für Erfolge haben können. Denn wie die Taten ausgehen, das geht nur unsere engbegrenzte Seele an. Wenn wir aber die Taten tun, weil der Mensc:iheits- oder Weltver­lauf sie verlangen, dann tun wir die Taten, gleichgültig, ob sie zum Schauerlichen oder zum Feierlichen, zum Leid- oder zum Lustvollen für uns führen.

Dieses Sich-Herausheben aus den Taten, dieses Aufrecht-Stehen, was auch unsere Hände ausführen, was auch - um aus der Situation der Gita herauszusprechen - unser Schwert ausführt, was wir mit dem Munde sprechen, dieses Aufrecht-Stehen des inneren Selbstes gegenüber all dem, was wir mit unserem Munde sprechen, mit unse­ren Händen ausführen, das ist es, wozu der große Krishna seinen Schüler Ardshuna anleitet.

So weist der große Krishna seinen Schüler Ardshuna auf ein Menschheitsideal hin, das so dasteht, daß der Mensch sagt: Ich tue meine Taten. Aber ob ich sie tue oder ein anderer - ich sehe meine Taten an. Das, was durch meine Hand geschieht, durch meinen Mund gesprochen wird, ich sehe es so objektiv an, wie ich es ansehe, wenn ein Fels sich loslöst und den Berg hinunterrollt in die Tiefe. So stehe ich meinen Taten gegenüber. Und wenn ich in der Lage bin, dieses oder jenes zu wissen, zu erkennen und ich mir diesen oder jenen Begriff bilde von der Welt - ich stehe noch als etwas, was sich von diesen Begriffen unterscheidet, da, und ich kann sagen: In mir lebt zwar etwas mit mir verbunden, was erkennt, aber ich schaue zu, wie da ein anderer erkennt. Da werde ich frei selbst von meiner Er­kenntnis. Frei kann ich werden von meinen Taten, frei kann ich wer­den von meinem Wissen, von meiner Erkenntnis. - Ein hohes Ideal des menschlichen Weisen wird da vor uns hingestellt.

Und endlich, wenn es hinaufgeht ins Spirituelle: Mögen da Dä­monen mir entgegentreten, mögen heilige, Götter mir entgegentreten, das alles ist etwas, was ich äußerlich anschaue, ich stehe da, frei von alledem, was sich abspielt selbst in spirituellen Welten um mich her­um. Ich schaue zu und gehe meinen Weg, und das, woran ich beteiligt

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bin, bei dem bin ich ebenso sehr nicht beteiligt, weil ich Zuschauer geworden bin. - Das ist die Krishna-Lehre.

Und wenn wir gehört haben, die Krishna-Lehre fußt auf der San­khyaphilosophie, so wird es uns begreiflich sein, daß an vielen Stellen durch die Krishna-Lehre durchzublicken ist, daß der große Krishna seinem Schüler sagt: Die Seele, die in dir lebt, sie ist in verschiedener Weise verbunden: verbunden mit dem groben physischen Leib, ver­bunden mit den Sinnen, dem Manas, Ahamkara, der Buddhi. Aber du bist von dem allem unterschieden. Wenn du das alles als ein Äußeres betrachtest, als Hüllen, die sich um dich herumlegen, und du deiner bewußt bist, daß du unabhängig von all dem bist als Seelen­wesen, dann hast du etwas von dem begriffen, was der Krishna dich lehren will. Und wenn du dir bewußt bist, daß deine Verhältnisse zur Außenwelt, zur Welt überhaupt, dir gegeben werden durch die Gunas, durch Tamas, Rajas, Sattwa, so lerne erkennen, daß im ge­wöhnlichen Leben der Mensch durch Sattwa verbunden ist mit der Weisheit und der Güte, daß der Mensch durch Rajas verbunden ist im gewöhnlichen Leben mit den Leidenschaften, Affekten, mit dem Durst zum Dasein, daß der Mensch verbunden ist durch Tamas im gewöhnlichen Leben mit der Faulheit, Lässigkeit, Schläfrig­keit.

Warum geht ein Mensch im gewöhnlichen Leben dahin, enthusias­mi ert für Weisheit und Güte? Weil er eine Beziehung zu der Natur­grundläge hat, die durch das Sattwa angezeigt wird. Warum geht ein Mensch durch das gewöhnliche Leben mit einer Freude und Gier nach dem äußeren Leben, mit Lust an den äußeren Erscheinungen des Lebens? Weil er ein Verhältnis zum Leben hat, das durch Rajas an-gedeutet wird. Warum gehen Menschen im gewöhnlichen Leben dahin schläfrig, faul und lässig? Warum fühlen sie sich erdrückt von ihrer Körperlichkeit? Warum finden sie nicht die Möglichkeit, sich aufzuraf fen und die Körperlichkeit in jedem Augenblick zu be­siegen? Weil sie ein Verhältnis zur Welt der äußeren Formen haben, das in der Sankhyaphilosophie begriffen wird durch Tamas.

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Aber frei muß die Seele des Weisen werden von Tamas, lösen muß sich ihr Verhältnis zur Außenwelt, das in Schläfrigkeit, Faulheit und Lässigkeit sich äußert. Wenn alles Lässige, Schläfrige, wenn alle Faulheit gewichen ist von der Seele, dann hat diese nur noch ein V'erhältnis von Rajas und Sattwa zur Außenwelt. Und wenn der Mensch die Leidenschaften und Affekte, den Durst zum Dasein getilgt und sich bewahrt hat den Enthusiasmus für Güte, Mitleid und Erkenntnis, dann hat er nunmehr ein Verhältnis zur Außenwelt, das die Sankhyaphilosophie Sattwa nennt. Wenn der Mensch aber auch freigeworden ist von jedem Hang an der Güte und Erkenntnis, wenn er zwar ein gütiger Mensch und ein weiser Mensch ist, aber in seinem Innern nicht abhängig ist von dem, wie er sich äußerlich äußert, selbst seiner Güte und Erkenntnis gegenüber, wenn ihm die Güte eine selbstverständliche Pflicht und dc Weisheit etwas ist, das ausge gossen ist über ihn, dann hat er auch das Sattwaverhältnis abgestreift. Aber wenn er so die drei Gunas abgestreift hat, dann hat er sich los-gelöst von allen Verhältnissen zu allen äußeren Formen, dann hat er triumphiert in seiner Seele, dann hat er etwas begriffen von dem, wo­zu ihn der große Krishna machen will.

Und was begreift dann der Mensch, wenn er also strebt, dasjenige zu werden, was der große Krishna ihm a4s Ideal vorhält? Begreift er dann die äußeren Weltformen genauer? Nein, die hat er schon früher begriffen; aber er hat sich über sie erhoben. Begreift er dann das Verhältnis der Seele zu diesen äußeren Formen genauer? Nein, das hat er schon früher begriffen, aber er hat sich darüber erhoben. Nicht was ihm da in der äußeren Welt entgegentreten kann in der Mannigfaltigkeit der Formen, und nicht sein Verhältnis zu diesen Formen begreift er dann, wenn er die drei Gunas abgestreift hat; denn das gehört alles früheren Stufen an. Solange man im Tamas, Rajas und Sattwa bleibt, gewinnt man Verhältnisse zur Naturgrund-lage des Seins, eignet man sich an soziale Zusammenhänge, eignet man sich an Erkenntnis, gewinnt man die Fähigkeit der Güte und des Mitleids. Wenn man aber über alles das hinausgelangt ist, so hat man

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ja auf den vorhergehenden Stufen alle diese Verhältnisse abgestreift. Was erkennt man dann, was tritt einem dann vor Augen? Das er­kennt man dann, das tritt einem dann vor Augen, was das alles nicht ist. Das, was sich von all dem unterscheidet, was man sich auf dem Wege dahin innerhalb der Gunas aneignet, was kann das nur sein? Nichts anderes ist es, als das, was man zuletzt als seine eigene Wesen­heit erkennt; denn alles andere, was Außenwelt sein kann, hat man auf den vorhergehenden Stufen abgestreift.

Im Sinne der eben gegebenen Betrachtungen, was ist es? Krishna selber ist es. Denn er selber ist der Ausdruck des eigenen Höchsten. Das heißt: Indem man sich hinaufarbeitet zu dem Höchsten, steht man Krishna gegenüber, der Schüler dem großen Lehrer, Ardshuna dem Krishna selber, der in allem lebt, was ist, und der wahrhaft von sich sagen kann: Ich bin nicht ein einzelner Berg, ich bin, wenn ich überhaupt unter den Bergen bin, der gigantischste von ihnen; ich bin, wenn ich auf der Erde erscheine, nicht ein einzelner Mensch, sondern die höchste menschliche Erscheinung, die nur einmal in einem Weltalter als Führer der Menschen auftritt und so weiter; das Einheitliche in allen Formen, das bin ich, Krishna.

So tritt der Lehrer selber, seine Wesenheit darlebend, vor seinen Schüler hin. Aber zugleich wird in der Bhagavad Gita begreiflich gemacht, daß das etwas Gewaltiges ist, das Höchste, was der Mensch erreichen kann. So als Ardshuna dem Krishna gegenüberzustehen, es könnte geschehen durch stufenweise Einweihung: dann würde es ge-schehen in den Tiefen einer Yogaschulung. Aber es kann auch hin-gestellt werden, wie es aus der Menschheitsevolution selber heraus-fließt, wie es dem Menschen gleichsam durch Gnade gegeben wird. So wird es hingestellt in der Gita. Wie wenn hinaufgehoben würde durch einen Ruck der Ardshuna, so daß er leibhaftig den Krishna vor sich hat, so führt uns die Gita an einen bestimmten Punct, an den Punkt, wo Krishna ihm gegenübersteht. Jetzt steht er ihm nicht ge­genüber wie ein Mensch in Fleisch und Blut. Ein Mensch, der so gesehen wird wie andere Menschen, bote das dar, was unwesentlich

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ist an dem Krishna. Denn wesentlich ist, was in allen Menschen ist. Aber da die anderen Weitreiche gleichsam nur der zerstreute Mensch sind, so ist alles, was in der übrigen Welt ist, in dem Krishna. Die übrige Welt verschwindet und Krishna ist als Eins da. Der Makro-kosmos gegenüber dem Mikrokosmos, der Mensch als solcher gegen­über dem kleinen alltäglichen Menschen, so steht Krishna dem ein­zelnen Menschen gegenüber.

Da reicht zunächst, wenn dies durch ,Gnade den Menschen über­kommt, die menschliche Fassungskraft nicht aus, weil der Krishna, wenn auf sein Wesentliches gesehen wird - was nur möglich ist durch die höchste hellseherische Kraft -, weil da der Krishna ganz anders erscheint als alles, was sonst der Mensch zu schauen gewohnt ist. Wie wenn herausgehoben würde das Anschauen des Menschen aus allem übrigen, das Anschauen des Krishna in seiner höchsten Natur, so tritt er uns entgegen einen Augenblick in der Gita als der große Mensch, neben dem alles andere in der Welt klein ist, vor dem Ardshuna stand. Da geht dem Ardshuna aus die Fassungskraft. Er schaut nur noch an, und er kann nur wie stammelnd aussprechen, was er schaut. Das ist begreiflich: denn er hat das alles mit seinen bisherigen Mitteln nicht gelernt anzuschauen und mit Worten zu bezeichnen. Und dem angemessen ist die Schilderung, die in diesem Moment, wo also der Krishna vor dem Ardshuna steht, Ardshuna gibt. Denn es gehört zu den größten Darstellungen, die einer Mensch­heit jemals gegeben worden sind, in künstlerischer und philosophi­scher Beziehung, wie Ardshuna mit Worten, die er zum erstenmal spricht, die er ungewohnt spricht, die er früher niemals sprechen konnte, weil er keines solchen ansichtig war, wie er mit Worten aus seinen Tiefen hervorholt, was sich ihm ergibt im Anblick des großen Krishna: «Die Götter schau ich all in deinem Leib, o Gott; so auch die Scharen aller Wesen: Brahman, den Herrn, auf seinem Lotos-sitz, die Rishis all und die Himmelsschlange. Mit vielen Armen, Lei­bern, Mündern, Augen seh ich dich, überall, endlos gestaltet, nicht Ende, nicht Mitte und auch Anfang nicht seh ich an dir, o Herr des

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Alls. Du, der du in allen Formen mir erscheinst, der du mir erscheinst mit Diadem, mit Keule und mit Schwert, ein Berg in Flammen, nach allen Seiten strahlend, so seh ich dich. Geblendet wird mein Schauen, wie strahlend Feuer in der Sonne Glanz und unermeßlich groß. Das Unvergängliche, das höchste zu Erkennende, das größte Gut, so er­scheinst du mir im weiten All. Des ewigen Rechtes ewiger Wächter, das bist du. Als ewiger Urgeist stehst du vor meiner Seele. Nicht Anfang, nicht Mitte, nicht Ende zeigst du mir. Unendlich bist du überall, unendlich an Kraft, unendlich an Raumesweiten. Wie der Mond,'ja wie die Sonne selbst groß sind deine Augen und aus deinem Munde strahlt es wie von Opferfeuer. Ich seh dich an in deiner Glut, wie deine Glut das All erwärmt, was ich ahnen kann zwischen dem Erdenboden und den Himmelsweiten, deine Kraft erfüllt des alles. Mit dir allein steh ich da, und jede Himmelswelt, allwo de drei Welten leben, sie auch ist in dir, wenn deine wundersame Schauer-gestalt sich meinen Blicken zeigt. Ich schau, wie ganze Scharen von Göttern zu dir treten, die dir lobsingen, und furchtsam steh ich da, die Hände faltend. Heil ruft vor dir aller Seher Schar und aller Seligen Schar. Sie preisen dich mit all ihrem Lobgesang. Es preisen dich die Rudras, Adityas, Vasus und Sadhyas, Allgötter, Ashvin, Marutas und Manen, Gandharven, Yokshas, Asuras und alle Seligen. Sie schauen empor zu dir voll Staunen: ein Leib so riesenhaft mit vielen Mündern, vielen Armen, vielen Beinen, vielen Füßen, vielen Leibern, vielen Rachen voller Zähne. Vor all dem erbebt die Weit und ich auch bebe. Den Himmelerschütternden, Strahlenden, Viel­arinigen, mit einem Mund, der da wirkt wie große Flammenaugen, schau ich dich. Da zittert meine Seele. Nicht finde ich Festigkeit, nicht Ruh, o großer Krishna, der mir Vishnu selber ist. Ich schau wie in dein dräuendes Inneres, ich schau es, wie es ist dem Feuer gleich, wie es wirkt, wie das Sein wirkt, wie das Ende aller Zeiten. Ich schaue dich in einer Art, wie ich nichts wissen kann vor irgend etwas. 0 sei mir gnädig, Herr der Götter, der Welten wohnlich Haus.»Er wendet sich hinüberzeigend zu den Söhnen aus dem Kurustamme: «Und

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diese Söhne all des Kuru zusammen den Scharen königlicher Helden, zusammen Bhishma und Drona, zusammen den Unsrigen, den besten Kämpfern, sie alle liegen betend vor dir selber, staunend ob deiner Herrlichkeit. Dich, den Uranfang des Seins, möcht' ich erkennen. Ich kann nicht begreifen, was mir erscheint, was sich mir offenbart.»

So spricht Ardshuna, wenn er allein ist mit dem, das sein eigenes Wesen ist, wenn ihm dieses eigene Wesen objektiv erscheint. Wir stehen vor einem großen Weltengeheimnis, geheimnisvoll nicht we­gen seines theoretischen Inhalts, geheimnisvoll wegen der überwälti­genden Empfindung, die es in uns hervorrufen soll, wenn wir es richtig aufzufassen vermögen. Geheimnisvoll ist es, so geheimnisvoll, daß es zu allen menschlichen Empfindungen anders sprechen muß als jemals irgend etwas in der Welt zu den menschlichen Empfin­dungen sprach.

Wenn Krishna selbst an das Ohr des Ardshuna klingen läßt, was nun Krishna spricht, so klingt das also: «Ich bin die Zeit, die alle Welt vernichtet. Erschienen bin ich, die Menschen fortzuraffen. Und ob du auch ihnen in dem Kampfe bringen wirst den Tod - auch ohne dich sind dem Tod verfallen all die Kämpfer, die dort in Reihen stehen. Drum erhebe dich furchtlos. Ruhm sollst du erwerben, den Feind besiegen. Frohlocke ob des winkende Siegs und der Herr­schaft. Nicht du wirst sie getötet haben, wenn sie hinfallen im Schlachtentod, durch mich sind sie alle schon getötet, bevor du ihnen den Tod bringen kannst. Du sei nur Werkzeug, du sei nur Kämpfer mit der Hand! Den Drona, den Jayadratha, den Bhishma, den Karna und die anderen Kampfeshelden, die ich getötet, die tot schon sind, nun töte du sie, daß mein Wirken im Schein nach außen sich ent­lade, wenn sie tot hinfallen in Maja, von mir getötet. Töte du sie. Und das, was ich getan, wird scheinbar durch dich geschehe sein. Zittere nicht! Du vermagst nichts zu tun, was ich nicht schon getan. Kämpfe! sie werden fallen durch dein Schwert, die ich gerötet habe.»

Wir wissen, daß das alles, was da drüben geschieht an Unter-Weisung unter den Pandusöhnen von seiten des Krishna zum Ardshuna

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so erzählt wird, als ob es der Wagenlenker dem Dritarashtra erzählte. Nicht erzählt ein Dichter direkt: So sprach Krishna zum Ardshuna, sondern der Dichter erzählt, daß der Wagenleker des Dritarashtra, Sandshaya, das seinem blinden Heiden erzählt, dem Könige aus dem Kurustamme. Nachdem erzählt hat Sandshaya alles dieses, da spricht er weiter: «Und als dieses Wort des Krishna Ard­shuna vernommen, die Hände faltend, zitternd, in verehrender Sprache wieder also Ardshuna zu Krishna, nur stammelnd, ganz in Furcht vor Krishna tief sich neigend, sprach Ardshuna: Mit Recht erfreu'et sich an deinem Ruhm die Welt und ist in Ehrfurcht dir er­geben. Die Rakshas» - das sind Geister - «fliehen entsetzt nach allen Seiten. Die heiligen Scharen, alle neigen sich vor dir. Warum sollten sie sich nicht neigen vor dem ersten Schöpfer, der würdiger selbst ist als Brahman.»

Wahrhaftig, wir stehen vor einem Weltegeheimnis. Denn was sagt Ardshuna, indem er vor sich erblickt leibhaftig sein eigenes Wesen? So spricht er, daß er dieses eigene Wesen anredet, daß es höher ihm erscheine als Brahman selber. Wir stehen vor einem Ge­heimnisse. Denn wen der Mensch sein eigenes Wesen also anspricht, dann muß ein solches Wort so verstanden werden, daß zum Ver­ständnis keines der Gefühle, keine der Empfindungen, keine der Ideen und keiner der Gedanken genommen wird, die im gewöhn­lichen Leben aufzutreiben sind. Denn es gibt nichts, was den Men­schen in größere Gefahr bringen könnte, als wenn er heranbrächte an diese Worte des Ardshuna ein Gefühl, wie er es sonstwie habe könnte im Leben. Würde er irgendein solches Gefühl des Alltags-lebens heranbringen an das, was er da ausspricht, würde das nicht ein ganz Eigenartiges sein, würde er das nicht empfinden als das größte Weltengeheimnis, dann wäre Wahnsinn, Größenwahn eine Kleinigkeit gegen die Krankheit, in die er verfiele durch ein Heran-bringen der gewöhnlichen Empfindungen gegenüber Krishna, das heißt seinem eigenen höheren Wesen. «Du Herr der Götter, du bist ohne Ende, du bist der Ewige, du bist der Höchste, du bist das Sein

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zugleich und auch das Nichtsein, du bist der oberste der Götter, du bist der älteste der Geister, du bist der höchste der Schätze des ganzen Alls, du bist der, der da weiß, und du bist das Höchste, das da be­wußt werden kann, du umspannst das All, du hast in dir alle Ge­stalten, die es nur geben kann, du bist Wind, du bist Feuer, du bist der Tod, du bist das ewig wogende Weltenmeer, du bist der Mond, du bist der höchste der Götter, der Name selbst, Ahnherr bist du der höchsten der ,Götter. Verehrung muß dir sein, Verehrung tausend, tausendmal. Und mehr noch als alle diese Verehrung kommt dir zu. Verehrung muß dir sein von allen deinen Seiten. Du bist alles, was je ein Mensch kann sein. Du bist kraftvoll wie nur je die Summe aller Kräfte kann sein, alles vollendest du und selbst bist du zugleich das All. Wenn ungeduldig, für meinen Freund dich haltend, ich Krishna, ich Yiva, ich Freund dich nannte, unkundig deiner wunderbaren Großheit, unbedachtsam und vertraulich dich so nannte, und wenn in meiner Schwachheit ich dich nicht richtig ehrte, ich dich nicht richtig ehrte im Wandeln oder im Ruhen, im höchsten Göttlichen oder im Alltäglichsten, öb du allein warst oder mit anderen Wesen zusammen, wenn ich dich in all dem nicht richtig ehrte, so bitt ich deine Unermeßlichkeit um Verzeihung. Du Vater der Welt, der du bewegst die Welt, in ihr dich bewegst, der du bist der Lehrer, der mehr ist als jeder andere Lehrer, dem niemand gleich ist, der allen überlegen ist, dem unvergleichlich alles ist in allen dreien Welten, vor dir mich niederwerfend, suche ich deine Gnade, du Herr, der in allen Welten sich offenbart. Nie Geschautes schau ich an dir, in Ehr­furcht muß ich erbeben. Zeige die Gestalt, die du bist, mir, 0 Gott! 0 sei gnädig, du Herr der Götter, du Ursprungsstätte aller Welten.»

Wahrlich wir stehen vor einem Geheimnis, wenn menschliches Wesen zu menschlichem Wesen älso spricht. Und wiederum spricht Krishna zu seinem Schüler: «Ich habe mich dir geoffenbart in Gnade. Vor dir steht mein höchstes Wesen, durch meine Allmacht vor dich hing ezaubert, leuchtend, unermeßlich, uranfänglich. Wie du mich siehst, so hat kein anderer jemals mich gesehen. Wie du mit den

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Kräften, de jetzt in dir durch meine Gnade dir gegeben sind, wie du mit diesen Kräften mich jetzt siehst, so hat mich niemals gekündet das, was in den Veden steht. So hat mich niemals erreicht, was an Opfern gegeben wurde, niemals erreicht irgendeine Götterspende, nie erreicht ein Studium, so hat nie an mich herangereicht irgendeine Zeremonie. Nicht irgendeine furchtbare Bühung kann mich in meiner Form, wie ich nun bin, schauen, wie du mich jetzt erschaust in Men­schenform, du großer Held. Doch Angst soll dir nicht werden und nicht Verwirrung beim Anblick meiner schrecklichen Gestalt. Furcht-befreit, voll hohen Sinns, sollst du mich wieder schauen, so wie ich dir in meiner jetzigen Gestalt bekannt werde.»

Nun erzählt Sandshaya dem blinden Dritarashtra weiter: «Als so zum Ardshuna der Krishna gesprochen, verschwand das Unermeß­liche, Anfang- und Endlose, das über alle Kräfte Erhabene, und wie­der zeigte Krishna sich in seiner menschlichen Form, als wollte er be­ruhigen den, der so erschrocken war, durch seine freundliche Gestalt.

Ardshuna sprach: Da hab ich sie wieder vor mir, deine menschliche Gestalt, da kehrt zurück mir wieder Wissen und Besinnung, und wie­der werde ich, der ich war.

Und Krishna sprach: Die Gestalt, die so schwer zu schauen, die du jetzt von mir gesehen hast, es ist die Gestalt, nach deren Anblick sich sogar die Götter ohne Ende sehnen. Nicht künden die Gestalt die Veden, nicht wird sie erreicht durch Büßung noch durch Spende, noch durch Opfer, noch durch irgendwelche Zeremonie. Durch alles dieses bin ich nicht in dieser Form zu schauen, die du jetzt gesehen hast. Nur wer hinwegzugehen weiß, frei von allen Veden, frei von aller Büßung, frei von allen Spenden, Opfern, frei von allen Zere­monien, und mich ganz allein verehrend mich im Auge haben kann, der kann in solcher Form mich schauen, der kann so mich erkennen, kann auch ganz eins werden mit mir. Wer so handelt, wie ich es ihm eingebe, wer mich ehrt und liebt, wer die Welt nicht achtet und allen Wesen liebevoll ist, der kommt zu mir, 0 du mein Sohn aus Pandustamme.»

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Wir stehen vor einem Weltengeheimnis, von dem uns die Gita er­zählt, daß es in bedeutungsvoller Weltenstunde der Menschheit ver­kundet worden ist, in jener bedeutungsvollen Weltenstunde, da das ans Blut gebundene alte Helisehen aufhört, die Menschenseele neue Wege suchen mußte zum Unendlichen, zum Unvergänglichen. So wird uns dieses Geheimnis vorgeführt, daß wir zugleich wahrnehmen in dieser Vorführung alles das, was dem Menschen gefährlich werden kann, wenn er aus sich selber herausgeboren hat, schauend, sein eigenes Wesen. Fassen wir dieses tiefste menschliche und Welten-geheimnis, das von unserer eigenen Wesenheit durch wahre Selbst­erkenntnis spricht, dann haben wir vor uns hingestellt das größte Weltenrätsel. Wir dürfen es aber nur vor uns hinstellen, wenn wir es in Demut verehren können. Und kein Fassungsvermögen reicht aus, um an das Weltengeheimnis heranzukommen. Dazu ist die rich­tige Empfindung notwendig. Keiner darf sich dem Weltengeheimnis nahen, das aus der Gita so spricht, der sich ihm nicht verehrend nahen kann. Dann erst haben wir es voll erfaßt, wenn wir es so emp­finden können. Und wie es von diesen Ausgangspunkten aus in der Gita zu schauen ist auf einer gewissen Stufe der Menschheitsent­wickelung, und wie es gerade durch das, was es uns in der Gita zeigt, wiederum beleuchtend wirkt für die andere Art, wie es uns in den Paulusbriefen entgegentritt, das soll uns im Verlaufe dieser Vor­träge beschäftigen.

VIERTER VORTRAG Köln, 31. Dezember 1912

#G142-1960-SE079 - Die Bhagavad Gita und die Paulusbriefe

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VIERTER VORTRAG

Köln, 31. Dezember 1912

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Es ist schon gestern im Beginne dcs Vortrags darauf hingewiesen worden, wie verschieden die Eindrücke sind, die unsere Seele be­kommt, wenn sie auf der einen Seite das ausgeglichene, gelassene, leidenschaftslose und affektlose, wahrhaft weise Wesen der Bhaga­vad Gita auf sich wirken läßt und auf der anderen Seite das, was in den Paulusbriefen waltet, die in vieler Beziehung den Eindruck machen, daß sie von persönlichen Leidenschaften, von persönlichen Absichten und Ansichten durchdrungen sind, durchdrungen sind von einem gewissen agitatorischen, propagandistischen Sinn, daß sie zornmütig sogar sind, zuweilen polternd. Und wenn man gar die Art und Weise auf sich wirken läßt, wie der Geistesinhalt zum Aus-druck kommt, dann hat man in der Gita in einer wunderbar künstle­risch gerundeten Form so Vollkommenes, daß man sich wohl kaum gesteigert denken kann diese Vollkommenheit des Ausdruckes des­sen, was da dichter'isch geoffenbart wird und doch so philosophisch ist. In den Paulusbriefen hat man dagegen oftmals, man möchte sagen, erne Ungelenkigkeit des Ausdrucks, so daß es außerordentlich schwierig wird gegenüber dieser Ungelenkigkeit, die zuweilen wie Unbeholfenheit erscheint, den tiefen Sinn erst herauszuge­winnen.

Bei alledem bleibt es richtig, daß in den Paulusbriefen das, worauf es im Christentum ankommt, ebenso tonangebend für die Entwicke­lung des Christentums hingestellt sich findet, wie der Zusammen-klang orientalischer Weltanschauungen uns in der Gita tonangeleend entgegentritt. Finden wir doch in den Paulusbriefen die grundbedeut-samen Wahrheiten des Christentums von der Auferstehung, von der Bedeutung dessen, was man den Glauben nennt gegenüber dem Ge­setz, von der Gnadenwirkung, von dem Leben des Christus in der Seele oder im menschlichen Bewußtsein und vieles andere. Findet

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man doch das alles so hingestellt, daß immer wieder und wiederum bei einer Darstellung des Christentums von diesen Paulusbriefen aus­gegangen werden muß.

Alles ist bei den Paulusbriefen in bezug auf das Christentum so, wie es in der Bhagavad Gita ist in bezug auf die großen Wahrheiten vom Frei-Werden vom Werke, vom Sich-Herauslösen vom unmittel­bar tätigen Leben zur Betrachtung der Dinge, zur Versenkung der Seele, zum Hinaufdringen der Seele in geistige Höhen, zur Reinigung der Seele, kurz, wenn wir im Sinne dieser Gita reden, zur Vereinigung mit Krishna.

Alles dies, was da eben charakterisiert wurde, macht einen Ver­gleich der beiden Geistesoffenbarungen außetordentlich schwierig, und wer nur äußerlich vergleicht, der wird ja oline Zweifel die Bhagavad Gita in ihrer Reinheit und Gelassenheit und Weisheit höher stellen müssen als die Paulusbriefe. Aber wer so äußerlich ver­gleicht, was macht denn der eigentlich? Er macht etwas Ahnliches, wie jemand, der vor sich hat eine voll ausgewachsene Pflanze mit einer schönen Blüte, mit einer herrlichen Blüte, und daneben liegen hat einen Pflanzenkeim und der dann sagt: Wenn ich da vor mir habe die Pflanze mit der vollausgebildeten, herrlichen Blüte, so ist diese doch etwas weit Schöneres als der unscheinbare, nichtssagende Pflanzenkeim. - Und doch könnte die Sache eben so liegen, daß aus diesem Pflanzenkeim, der neben der Pflanze mit der wunderschönen Blüte liegt, einmal herauswachsen soll eine noch schönere Pflanze mit einer noch schöneren Blüte. Und man hat eben keinen richtigen Vergleich gemacht, wenn man so unmittelbar das vergleicht, was nebeneinander liegt wie eine ausgebildete Pflanze und ein ganz un­ausgebildeter Keim. Und so ist es, wenn man die Bhagavad Gita mit den Paulusbriefen vergleicht.

In der Bhagavad Gita hat man etwas vor sich wie die allerreifste Frucht, wie die wunderschönste Ausgestaltung einer langen Mensch­heitsentwickelung, die durch Jahrtausende herangewachsen ist und endlich einen reifen, weisen und künstlerischen Ausdruck gefunden

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hat in der herrlichen Gita. Und in den Paulusbriefen hat man vor sich den Keim von etwas völlig Neuem, das wachsen und immer mehr wachsen muß, und das man in seiner vollen Bedeutung nur auf sich wirken lassen kann, wenn man es eben als keimhaft betrachtet und wenn man wie prophetisch im Auge hat dasjenige, was einmal daraus werden soll, wenn Jahrtausende und aber Jahrtausende der Ent­wickelung verflossen sein werden in die Zukunft hinein, und reifer und immer reifer geworden sein wird das, was keimhaft in den Paulusbriefen angelegt ist.

Nur wenn man dieses berücksichtigt, vergleicht man richtig. Dann ist man sich aber auch klar darüber, daß das, was einstmals groß sein soll, zunächst in unscheinbarer Gestalt aus den Tiefen des Christen­tums in den Paulusbriefen wie chaotisch einmal aus der Menschheits­seele hervorquellen mußte. So wird anders darstellen müssen der­jenige, welcher die Bedeutung der Bhagavad Gita auf der einen Seite und die Bedeutung der Paulusbriefe auf der anderen Seite für die gesamte Menschheitsentwickelung der Erde im Auge hat, und anders derjenige, der nach den fertigen Werken in bezug auf Schönheit und Weisheit und innere Formvollendung beurteilen muß.

Wenn man aber einen Vergleich der beiden Weltanschauungen ziehen will, die da in der Bhagavad Gita und den Paulusbriefen zu-tage treten, dann muß man zunächst die Frage stellen: Um was han­delt es sich denn eigentlich dabei? Es handelt sich darum, daß wir mit alledem, was wir zunächst von den in Betracht kommenden Weltan­schauungen historisch übersehen können, es zu tun haben mit der Heranziehung des Ich in der Menschheitsentwickelung. Wenn man dieses Ich in der Menschheitsentwickelung verfolgt, so kann man sagen: In den vorchristlichen Zeiten war dieses Ich unselbständig, war noch wie in verborgenen Seelengründen wurzelnd, hatte es noch nicht zu der Möglichkeit gebracht, sich selbsteigen zu entwickeln.

Daß die Entwickelung mit selbsteigenem Charakter möglich wurde, das konnte ja nur dadurch geschehen, daß in dieses Ich hinein der Impuls geworfen wurde, den wir eben mit dem Namen Christus-Impuls

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bezeichnen. Das, was seit dem Mysterium von Golgatha in dem menschlichen Ich sein kann und was zum Ausdruck in den Wor­ten des Paulus kommt: «Nicht ich, sondern der Christus in mir», das konnte vorher nicht in diesem Ich sein. Aber in den Zeiten, in denen man sich schon mit der Betrachtung dem Christus-Impuls nähert, in dem Jahrtausend vor dem Mysterium von Golgatha, bereitete sich dasjenige langsam vor, was dann geschehen sollte durch die Ein­fügung des Christus-Impulses in die menschliche Seele. Es bereitete sich namentlich in einer solchen Weise vor, wie sie uns in der Tat des Krishna ausgedrückt wird.

Das, was nach dem Mysterium von Golgatha der Mensch in sich selber als den Christus-Impuls zu suchen hatte, das er zu finden hatte im Sinne der Paulinischen Form: «Nicht ich, sondern der Christus in mir», das mußte er vor dem Mysterium von Golgatha nach außen suchen, das mußte er so suchen, als ob es ihm aus den Weltenweiten wie eine Offenbarung hereinkäme. Und je weiter wir im Zeitenlauf zurückgehen, desto glanzvoller, desto impulsiver war die äußere Offenbarung. Man kann also sagen: In den Zeiten vor dem Myste­rium von Golgatha ist eine gewisse Offenbarung an die Menschheit vorhanden, eine Offenbarung an die Menschheit, die so geschieht, wie wenn der Sonnenschein von außen einen Gegenstand bestrahlt. Wie wenn das Licht von außen auf diesen Gegenstand fällt, so fiel das Licht der geistigen Sonne von außen auf die Seele des Menschen und überleuchtete sie.

Nach dem Mysterium von Golgatha können wir das, was in der Seele wirkt als Christus-Impuls, also als das geistige Sonnenlicht, so vergleichen, daß wir sagen: Es ist, wie wenn wir einen selbstleuchten­den Körper vor uns hätten, der sein Licht von innen ausstrahlt. Dann wird uns, wenn wir die Sache so betrachten, die Tatsache des Myste­riums von Golgatha zu einer bedeutsamen Grenze der Mensch­heitsentwickelung, dann wird uns dieses Mysterium von Golgatha zu einer Grenze. Wir können das ganze Verhältnis symbolisch dar­stellen.

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Wenn uns dieser Kreis (links) die menschliche Seele bedeutet, so können wir sagen: Das Geisteslicht strahlt von allen Seiten von außen an diese menschliche Seele heran. Dann kommt das Mysterium von Golgatha, und nach ihm hat die Seele in sich selber den Christus-Impuls und strahlt aus sich heraus dasjenige, was in dem Christus-Impuls enthalten ist (rechts).

Wie ein Tropfen, der von allen Seiten bestrahlt wird und in dieser Bestrahlung erglänzt, so erscheint uns die Seele vor dem Christus-Impuls. Wie eine Flamme, die innerlich leuchtet und ihr Licht aus­strahlt, so erscheint uns die Seele nach dem Mysterium von Golgatha, wenn sie in die Lage gekommen ist, den Christus-Impuls aufzu­nehmen.

Wenn wir dies ins Auge fassen, dann können wir dieses ganze Verhältnis mit solchen Bezeichnungen ausdrücken, wie wir sie in der Sankhyaphilosophie kennengelernt haben. Wir können sagen: Wenn wir das geistige Auge auf eine solche Seele hinrichten, die von allen Seiten umstrahlt ist von dem Licht des Geistes vor dem Mysterium von Golgatha, dann erscheint uns dieses ganze Verhältnis des Geistes, der die Seele von allen Seiten bestrahlt, der daher, indem wir das ganze Verhältnis anblicken, in seiner Geistigkeit uns erstrahlt, nach der Sankhyaphilosophie-Bezeichnung, im Sattwazustand. Dagegen erscheint uns die Seele, nachdem sich das Mysterium von Golgatha vollzogen hatte, wenn wir sie von außen mit dem geistigen Auge gleichsam betrachten, so, als wenn in ihrem tieferen Innern das

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Geisteslicht verborgen wäre und das, was seelenhaft ist, dieses Geisteslicht verberge. Wie umhüllt von Seelensubstanz erscheint uns das Geisteslicht, das im Christus-Impuls enthalten ist nach dem Mysterium von Golgatha.

Und erblicken wir denn nicht dieses Verhältnis bis in unsere Zeit, ja ganz besonders in unserer Zeit, in bezug auf alles das, was der Mensch äußerlich erlebt, bewahrheitet? Man versuche einmal heute, einen Menschen zu betrachten, das womit er sich beschäftigen muß an äußerem Wissen, an äußerer Betätigung, und man versuche da­gegenzustellen, wie verborgen im tiefsten Innern, wie noch als ganz schwach leuchtendes Flämmchen der Christus-Impuls, umhüllt von dem übrigen Seelenirhalt, im Menschen waltet. Das ist gegen den vorchristlichen Zustand, welcher der Sattwazustand im Verhältnis des Geistes zur Seele ist, der Tamaszustand.

Was macht also das Mysterium von Golgatha, in diesem Sinne be­trachtet, in der Evolution der Menschheit? Es verwandelt in bezug auf die Offenbarung des Geistes den Sattwazustand in den Tamas­zustand. Die Menschheit rückt dabei vor; aber sie tut, man möchte sagen, einen tiefen Fall, nicht durch das Mysterium von Golgatha, sondern durch sich. Das Mysterium von Golgatha macht die Flamme immer mehr und mehr wachsen. Daß aber die Flamme nur als eine kleine Flamme in der Seele erscheint, nachdem vorher das gewaltige Licht von allen Seiten die Seele beschienen hat, das macht die fort­schreitende, aber in die Finsternis immer mehr und mehr hinein sich senkende Menschennatur. Also nicht das Mysterium von Golgatha ist schuld an dem Tamaszustand der menschlichen Seele im Verhältnis zum Geist, sondern durch das Mysterium von Golgatha wird verur­sacht, daß aus dem Tamaszustand in ferner Zukunft wiederum ein Sattwazustand zustande kommt, der jetzt von innen heraus angefacht wird.

Zwischen dem Sattwa- und dem Tamaszustand liegt der Rajas­zustand im Sinne der Sankhyaphilosophie, und dieser Rajaszustand ist in bezug auf die Menschheitsentwickelung durch die Zeit charakterisiert,

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in die eben das Mysterium von Golgatha hineinfällt. Die Menschheit selber macht in bezug auf Geistesoffenbarung den Weg vom Licht in die Finsternis, vom Sattwazustand in den Tamaszustand durch gerade in den Jahrtausenden um das Mysterium von Golgatha herum. Wenn wir diese Evolution noch genauer ins Auge fassen wollen, dann können wir sagen, wenn wir die Zeit der Evolution der Menschheit durch die Linie a-b bezeichnen: In der Zeit bis etwa ins achte oder siebente Jahrhundert vor dem Mysterium von Gol­gatha, da war alles in der menschlichen Kultur im Sattwazustand.

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Dann begann das Zeitalter, in das das Mysterium von Golgatha hineinfiel, und dann begann das Zeitalter - wir können sagen, etwa vom fünfzehnten, sechzehnten Jahrhundert nach dem Mysterium von Golgatha -, dann beginnt so recht deutlich das Tamaszeitalter. Aber es ist ein Übergang. Und wenn wir unsere gewohnten Bezeich­nungen anwenden wollen, dann haben wir das erste Zeitalter, das gewissermaßen noch hineinfiel für gewisse Geistesoffenbarungen in den Sattwazustand, mit dem Zeitalter zusammenfallend, das wir das chaldäisch-ägyptische nennen. Dasjenige, das im Rajaszustande ist, ist das griechisch-lateinische, und dasjenige, das im Tamaszustand ist, ist unser Zeitalter. Wir wissen auch, daß von den nachatlantischen Zuständen dieses charakterisierte chaldäisch-ägyptische Zeitalter das dritte ist, das griechisch-lateinische das vierte und das unsrige das fünfte. Es hatte also stattzufinden, man möchte sagen, nach dem Plan der Menschheitsentwickelung, von dem dritten in das vierte nach-atlantische Zeitalter gleichsam die Abtötung der äußeren Offen­barung, die Vorbereitung der Menschheit für das Aufflammen des Christus-Impulses. Wie geschah diese aber in Realität?

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Nun, wenn wir uns erklären wollen, wie die Geistesverhältnisse des Menschen anders waren in dem dritten Menschheitszeitalter, in dem chaldäisch-ägyptischen, gegenüber den folgenden Zeitaltern, so müssen wir sagen: In diesem dritten Zeitalter war für alle diese Länder, sowohl für Ägypten wie für Chaldäa, aber auch für In­dien, für alle diese Gebiete der Menschheitsentwickelung war die Sache so, daß die Menschheit eben noch Reste alter heilseherischer Kraft hatte; das heißt, der Mensch sah die Umwelt nicht nur mit Hilfe seiner Sinne und des Verstandes, der an das Gehirn gebunden ist, sondern er sah die Umwelt noch mit den Organen seines Äther-leibes, wenigstens in gewissen Zuständen, die zwischen Schlafen und Wachen waren.

Wenn wir uns einen Menschen jenes Zeitalters vorstellen wollen, so dürfen wir das nicht anders, als daß wir durchaus sagen: Für jene Menschen war das Anschauen von Natur und Welt, wie wir es ken­nen, durch die Sinne und den Verstand, der an das Gehirn gebunden ist, nur einer von den Zuständen, die sie erlebten. Aber in diesen Zuständen bildeten sie sich noch kein Wissen, da schauten sie gleich­sam die Dinge nur an, und ließen sie wirken nebeneinander im Raum und nacheinander in der Zeit. Wenn sie zu einem Wissen kommen wollten, diese Menschen, dann mußten sie in einen Zustand kommen, der bei ihnen nicht so wie in unserer Zeit künstlich, sondern natür­lich, wie von selbst eintrat, wo ihre tieferliegenden Kräfte, die Kräfte ihres Ä therleibes in Wirksamkeit traten zur Erkenntnis. Und aus einer solchen Erkenntnis ging auch noch alles das hervor, was uns als das wunderbare Wissen der Sankhyaphilosophie erschienen ist; aus einer solchen Betrachtung ging auch alles das hervor - nur gehört es einer noch älteren Zeit an -, was uns in dem Vedawissen überliefert ist.

Da also verschaffte sich der Mensch seine Erkenntnis dadurch, daß er sich in einen anderen Zustand brachte oder in einen solchen sich versetzt fühlte. Der Mensch hatte sozusagen seinen Alltagszustand, wo er mit seinen Augen sah, mit seinen Ohren hörte, mit seinem gewöhnlichen

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Verstand die Dinge verfolgte. Aber dieses Sehen, dieses Hören, diesen Verstand verwendete er nur, um die äußeren prak­tischen Verrichtungen zu besorgen. Er wäre gar nicht darauf gekom­men, diese Fähigkeit auch für Wissenschaft, für Erkenntnis zu ver­wenden. Für Wissenschaft, für Erkenntnis verwendete er das, was ihm in dem anderen Zustand erschien, wo er die tieferen Kräfte seines Wesens in Tätigkeit brachte.

Wir können uns also den Menschen für diese alten Zeiten so vor­stellen, daß er sozusagen seinen Alltagsl eib hatte und innerhalb dieses Alltagsleibes seinen feineren geistigen, seinen Sonntagsleib, wenn ich diesen Vergleich gebrauchen darf. Mit dem Alltagsleib ar­beitete er das Alltägliche aus, und mit dem Sonntagsleib, der nur aus dem Ätherleib gewoben war, da erkannte er, da bildete er seine Wissenschaft aus. Und für einen Menschen dieser alten Zeit war es so, daß der Vergleich berechtigt wäre, wenn man sagte: Dieser Mensch ist erstaunt, daß wir in unserer Zeit mit unserem Alltagsleib unsere Wissenschaft uns zimmern und gar nie unseren Sonntagsleib anziehen, wenn es darauf ankommt, von der Welt etwas zu wissen. Ja, wie war es denn nun für einen solchen Menschen im Erleben die­ser ganzen Zustände? Im Erleben dieser ganzen Zustände war es so, daß der Mensch, wenn er in dem Erkennen durch seine tieferen Kräfte war, also in dem Erkennen, wo er sich zum Beispiel die San­khyaphilosophie ausbildete, daß er dann nicht so fühlte, wie der heu­tige Mensch fühlt, der, wenn er Wissenschaft erwerben will, seinen Verstand anstrengen und mit seinem Kopfe denken muß. Da fühlte er sich, wenn er sich Wissen erwarb, wie in seinem Ätherleib, der aber allerdings am wenigsten ausgeprägt war in dem, was heute physischer Kopf ist, sondern der in den anderen Teilen mehr ausge­prägt war. Der Mensch dachte viel mehr mit den anderen Gliedern seines Ätherleibes. Der Ätherl eib des Kopfes ist der schlechteste Teil. Der Mensch fühlte sozusagen, daß er mit seinem Ätherleibe dachte, daß er im Denken aus seinem physischen Leibe herausgehoben war. Aber er fühlte noch etwas in solchen Augenblicken der Wissensbildung,

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der Erkenntnisbildung: er fühlte, wie er eigentlich ein Gan­zes mit der Erde war. Er hatte das Gefühl, wenn er seinen Alltagsleib auszog und seinen Sonntagsleib anzog, als ob Kräfte durch sein gan­zes Wesen gingen, wie wenn Kräfte durch unsere Beine und Füße gingen und diese Kräfte uns mit der Erde so verbänden, wie die Kräfte, die durch unsere Hände und Arme gehen, sich mit unserem Leib verbinden. Der Mensch fing an, als ein Glied der Erde sich zu fühlen. Auf der einen Seite fühlte er, daß er dachte und wußte in seinem Ätherleibe, und auf der anderen Seite, daß er nicht mehr der abgesonderte Mensch war, sondern ein Glied der Erde. Er fühlte sein Wesen in die Erde hineinwachsen. Also die ganze innere Art des Erlebens änderte sich um, wenn der Mensch seinen Sonntagsleib an­zog und sich zur Erkenntnis anschicken konnte.

Was mußte dann geschehen, daß so recht dieses alte Zeitalter auf­hörte, das dritte, und das nene Zeitalter, das vierte, eintrat? Wenn wir begreifen wollen, was da geschehen mußte, dann tun wir gut, uns etwas in die alte Bezeichnungsweise hineinzufühlen.

Der Mensch, der in jenem alten Zeitalter das erlebte, was ich eben charakterisiert habe, sagte: In mir ist die Schlange regsam geworden. -

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Sein Wesen hatte sich hineinverlängert in die Erde. Seinen physischen Leib fühlte er nicht als das eigentlich Tätige. Er fühlte sich so, wie wenn er einen Schlangenfortsatz in die Erde hinein erstreckte und der Kopf das wäre, was herausragte aus der Erde, Und dieses Schlangen-wesen, dieses fühlte er als das Denkende. Und aufzeichnen könnte

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man sein Wesen so, daß sein Ätherleib sich in die Erde hinein als Schlangenkörper verlängerte, und daß, während er als physischer Mensch außerhalb der Erde war, während des Erkennens und Wis­sens er in die Erde hineinragte und mit seinem Ätherl eib dachte. Die Schlange ist in mir tätig, sagte er. So also hieß gewissermaßen Er­kennen in den alten Zeiten: Ich bringe die Schlange in mir zur Tätig­keit; ich fühle mein Schlangenwesen.

Was mußte geschehen, damit die neue Zeit eintrat, damit das neue Erkennen kam? Es mußte nicht mehr möglich sein, daß es solche Augenblicke gab, wo der Mensch sein Wesen in die Erde hinein durch die Beine und Füße hindurch verlängert fühlte. Und außerdem mußte das Gefühl im Ätherleib ersterben und mußte übergehen auf den physischen Kopf. Stellen Sie sich dieses Gefühl des Übergangs von der alten Erkenntnis zur neuen richtig vor, so werden Sie finden, es ist ein guter Ausdruck für diesen Übergang, wenn man sagt: Man wird an den Füßen verwundet, aber man selber zertritt mit seinem eigenen Leibe der Schlange den Kopf - das heißt, es hört auf die Schlange mit ihrem Kopf das Denkorgan zu sein. Der physische Kör­per, namentlich das physische Gehirn tötet die Schlange, und die Schlange rächt sich dafür, indem sie einem das Gefühl der Zusam­mengehörigkeit mit der Erde entzieht: sie beißt einen in die Ferse.

In solchen Zeiten des Übergangs von einer Form des Menschheits-erlebnisses zur andern, da befindet sich gleichsam das, was herein-ragt aus der alten Epoche, mit demjenigen, was da kommt in der neuen Zeit, in einem Kampfe; denn die Dinge sind ja noch neben­einander. Der Vater ist auch noch da, wenn der Sohn schon lange lebt. Trotzdem ist der Sohn das, was vom Vater herstammt. Die Eigenschaften des vierten Zeitalters, des griechisch4ateinischen, wa­ren da, aber es ragten noch bei Menschen und Völkern die Eigen­schaften des dritten, des ägyptischchaldäischen Zeitalters herein. Das geht in der Entwickelung selbstverständlich ineinander. Aber das, was so als ein neu Aufgehendes und Altherkommendes neben­einander lebt, versteht sich nicht mehr gut. Das Alte versteht das

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Neue nicht. Das Neue muß sich gegen das Alte wehren, muß sein Leben gegenüber dem Alten behaupten. Das heißt, das Neue ist da, aber die Vorfahren, die ragen noch mit ihren Eigenschaften in ihren Nachkommen herein aus dem alten Zeitalter, die Vorfahren, die nicht das Neue mitgemacht haben. So können wir den Übergang vom dritten Menschheitszeitalter in das vierte charakterisieren.

Es mußte also ein Held da sein, möchte man sagen, ein Führer der Menschheit, der zuerst in bedeutsamer Weise diesen Prozeß des Tötens der Schlange, des Verwundet-Werdens durch die Schlange darstellt und der zugleich sich aufbäumen mußte gegen das, was ihm zwar verwandt ist, aber mit seinen Eigenschaften noch aus der alten Zeit in die neue hereinleuchtet. Die Menschheit muß so vorwärts kommen, daß das, was ganze Generationen erleben, zuerst einer in seiner starken Größe zu erleben hat.

Wer war der Held, der da tötete den Kopf der Schlange, der sich aufbäumte gegen das, was im dritten Weltenalter bedeutsam war? Wer war der, der die Menschheit aus der alten Sattwazeit in die neue Tamaszeit heraus führte? Das war Krishna. Und wie könnte uns das deutlicher dargestellt werden, daß es dieser Krishna war, als durch die morgenländische Legende, in der Krishna als ein Sohn der Götter hingestellt wird, als ein Sohn des Mahadeva und der Devaki, der un­ter Wundern in die Welt tritt, das heißt so, daß er etwas Neues bringt; der - wenn ich in meinem Vergleich fortfahre - die Menschen dahin bringt, daß sie im Alltagsleibe Wissen suchen, und der den Sonntagsleib, das heißt die Schlange tötet; der sich wehren muß ge­gen das, was von seiner Verwandtschaft in die neue Zeit hereinragt.

Ein solcher ist etwas Neues, etwas Wunderbares. Daher erzählt die Legende, wie das Krishnakind schon bei der Geburt von Wundern umgeben war, und daß der Bruder der Mutter des Krishna, Kansa, nach dem Leben des Krishnakindes trachtete. Da haben wir das Her­einragen des Alten in dem Oheim des Krishnakindes, und der Krishna hat sich zu wehren, hat sich aufzulehnen, er, der das Neue zu bringen hat, das, was das dritte Zeitalter tötet, was die alten Verhältnisse

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vernichtet für die äußere Menschheitsevolution. Er hat sich zu wehren gegen Kansa, den Bewahrer des alten Sattwazeitalters. Und unter den bedeutsamsten Wundern, mit denen Krishna um­geben wird, erzählt die Legende, daß die mächtige Schlange Kali ihn umwand und daß es ihm gelang, der Schlange den Kopf zu zer­treten, daß sie ihn aber an der Ferse verwundete. Hier haben wir etwas, was wir so bezeichnen können, daß die Legende unmittelbar einen okkulten Tatbestand widergibt. Das tun die Legenden. Nur darf man sich nicht auf eine äußere Erklärung einlassen, sondern muß die Legenden an der richtigen Stelle, im richtigen Zusammen­hang des Erkennens aufgreifen, um sie da zum Verständnis zu bringen.

Krishna ist der Held des untergehenden dritten nachatlantischen Menschheitszeitalters. Die Legende erzählt uns wiederum: Krishna trat am Ende des dritten Weltalters auf. Alles stimmt, wenn es ver­standen wird. Krishna ist also derjenige, der das alte Erkennen tötet, der es zur Verfinsterung bringt. In seinen äußeren Erscheinungen tut er das. Er bringt zur Verfinsterung, was früher den Menschen um­geben hat wie eine Sattwaerkenntnis. Ja, wie steht er aber in der Bhagavad Gita da? So steht er da, daß er dem Einzelnen, gleichsam als einen Ausgleich gegen das, was er genommen hat, die Anleitung gibt, wie er wiederum hinaufkommen kann durch Yoga zu dem, was für das normale Menschentum verloren war.

So ist Krishna für die Welt der Töter der alten Sattwaerkenntnis und zugleich, wie er uns am Ende der Gita entgegentritt, der Herr des Yoga, der wiederum in die Erkenntnis hinaufführen soll, die man verlassen hat, in die Erkenntnis der alten Zeiten, die man nur erlan­gen kann, wenn man das, was man jetzt äußerlich wie ein Alltags-kleid angezogen hat, überwindet und besiegt, wenn man zu dem alten Geisteszustand wiederum zurückkehrt. Das war die Doppeltat des Krishna. Als welthistorischer Held hat er auf der einen Seite gehan­delt, indem er der Schlange der alten Erkenntnis den Kopf zer­brochen hat und die Menschheit zur Einkehr in den physischen Leib

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gezwungen hat, in dem allein das Ich erobert werden konnte als freies, selbsttätiges Ich, während früher alles das, was den Menschen zum Ich machte, von außen hereinstrahlte. Das war er als welthisto­rischer Held. Dann war er für den Einzelnen derjenige, der für die Zeiten der Andacht, der Versenkung, für das innere Finden wieder­gab, was einstmals verloren war. Und das ist es, was uns in so gran­dioser Weise in der Szene der Gita entgegentrat, die wir gestern am Schluß auf unsere Seele wirken ließen, und was dem Ardshuna ent­gegentritt als das eigene Wesen, aber außen gesehen, gesehen so, daß es anfang- und endlos über alle Räume verbreitet ist.

Und wenn wir dieses Verhältnis genauer noch beobachten, dann kommen wir an eine Stelle der Gita, die, wenn wir sonst schon ver­wundert sind über den großen gewaltigen Inhalt der Gita, diese un­sere Verwunderung noch ins Unbegrenzte vergrößern muß. Da kom­men wir an jene Stelle, die allerdings für den heutigen Menschen recht unerklärlich sein muß, an jene Stelle, wo der Krishna dem Ardshuna offenbart, welches die Natur des Avayatabaumes ist, des Feigenbaumes, indem er ihm sagt, daß dieser Baum wurzelaufwärts und zweigabwärts gerichtet ist, und wo Krishna weiter sagt, daß die einzelnen Blätter dieses Baumes die Blätter des Vedabuches sind, die zusammen das Vedawissen geben. Das ist eine eigentümliche Stelle. Was heißt denn diese Stelle, dieser Hinweis auf den großen Baum des Lebens, dessen Wurzeln nach aufwärts und dessen Zweige nach ab­wärts gerichtet sind, dessen Blätter den Inhalt des Veda geben?

Ja, da müssen wir uns eben in die alte Erkenntnis versetzen und uns klarmachen, wie die alte Erkenntnis wirkte. Der gegenwärtige Mensch kennt ja nur sozusagen seine heutige Erkenntnis, die ihm vermittelt wird durch das physische Organ. Die alte Erkenntnis wurde errungen, wie wir gerade dargestellt haben, in dem noch äthe­rischen Leib. Nicht, daß der ganze Mensch ätherisch gewesen wäre, sondern es wurde die Erkenntnis errungen im ätherischen Leib, der im physischen Leibe war. Durch die Organisation, durch die Gliede­rung des ätherischen Leibes wurde die alte Erkenntnis erworben.

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Stellen Sie sich das einmal lebendig vor: Wenn Sie im ätherischen Leib, mit der Schlange erkennen, da ist etwas in der Welt vorhanden, was für den heutigen Menschen nicht in der Welt ist. Nicht wahr, der heutige Mensch rimt ja vieles wahr in seiner Umgebung, wenn er sich naturgemäß verhält. Aber stellen Sie sich einmal den Menschen vor, die Welt betrachtend: eines nimmt der betrachtende Mensch nicht wahr, das Gehirn. Das eigene Gehirn kann kein Mensch sehen, wenn er beobachtet. Kein Mensch kann auch sein eigenes Rücken­mark sehen. Diese Unmöglichkeit hört auf, sobald man im Ätherleib betrachtet. Da tritt ein neues Objekt auf, das man sonst nicht sieht:

das eigene Nervensystem nimmt man wahr. Aber man nimmt es aller­dings nicht etwa so wahr, wie es der heutige Anatom wahrnimmt. So schaut es nicht aus, wie er es wahrnimmt, sondern es sieht so aus, daß man das Gefühl bekommt: Ja, da bist du in deiner Äthernatur! -Jetzt schaut man nach aufwärts und sieht, wie sich die Nerven, die in alle Organe gehen, nach oben im Gehirn zusammensammeln. Das gibt das Gefühl: Das ist ein Baum, der nach oben seine Wurzeln hat, nach aufwärts gehend, und der seine Zweige in alle Glieder hinunter-streckt.

Aber das wird in der Tat nicht so empfunden, daß es so klein ist, wie wir sind innerhalb der Haut, sondern das wird wie der mächtige Weltenbaum empfunden: die Wurzeln gehen weit hinaus in die Rau­mesweiten und die Zweige gehen nach unten. Also man fühlt sieh selber als Schlange und sieht sozusagen verobjektiviert sein Nerven­system, von dem man das Gefühl hat, daß es wie ein Baum ist, der seine Wurzeln weit in die Raumesweiten hinaussendet und dessen Zweige nach abwärts gehen. Erinnern Sie sich an das, was ich in früheren Vorträgen gesagt habe: daß der Mensch in gewisser Weise eine umgedrehte Pflanze ist. Das alles muß herangezogen werden, um so etwas zu verstehen wie diese merkwürdige Stelle der Bhagavad Gita. Da verwundert man sich allerdings ob jener alten Weisheit, die heute wiederum mit neuen Mitteln aus den Tiefen des Okkultismus hervorgerufen werden muß. Und dann erlebt man das, was dieser

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Baum zutage fördert; man erlebt das, was auf ihm wächst, in seinen Blättern; das ist das Vedawissen, das einem von außen zustrahlt.

Das wunderbare Bild der Gita steht ganz vor uns: Der Baum mit den Wurzeln nach oben, mit den Zweigen nach unten, mit den Blät­tern, das Wissen enthaltend, und der Mensch selbst als Schlange an dem Baum. Sie haben vielleicht dieses Bild schon gesehen oder es ist dieses Bild des Lebensbaumes mit der Schlange Ihnen entgegenge­treten. Und alles ist bedeutend, wenn man diese alten Dinge ins Auge faßt. Hier tritt uns der Baum entgegen, wurzelaufwärts, zweigab­wärts. Man hat das Gefühl, daß er die umgekehrte Richtung hat wie der Paradiesesbaum. Das hat seine tiefe Bedeutung, denn der Para­diesesbaum steht am Ausgangspunkt der anderen Entwickelung, der Entwickelung, die dann durch das althebräische Altertum ins Chri­stentum hereingeht. So wird uns auch an dieser Stelle ein Hinweis erteilt auf die ganze Artung jenes alten Wissens. Und indem aus­drücklich gesagt wird von Krishna seinem Schüler Ardshuna: «Ent­sagung ist die Kraft, die diesen Weltenbaum sichtbar macht für den Menschen», werden wir darauf hingewiesen, wie der Mensch zurück-kehrt zu jenem alten Wissen, indem er auf alles verzichtet, was im weiteren Verlauf der Menschheitsentwickelung der Mensch sich er­worben hat und was wir gestern charakterisiert haben. Das ist es, was als etwas Glorioses, als etwas Großartiges der Krishna gleichsam als Abschlagszahlung seinem einzelnen individuellen Schüler Ardshuna gibt, während er es der ganzen Menschheit für den Alltagsgebrauch der Kultur nehmen muß. Das ist das Wesen des Krishna

Wie muß also das werden, was der Krishna seinem einzelnen in­dividuellen Schüler gibt? Sattwaweisheit muß es werden. Und je bes­ser er ihm diese Sattwaweisheit gibt, desto weisheitsvoller, abge­klärter, gelassener, leidenschaftsloser wird sie sein. Aber sie wird eine alte geoffenbarte Weisheit sein, etwas, was an den Menschen in solch wunderbarer Weise von außen herantritt in den Worten, die der Erhabene, das heißt der Krishna selber spricht und mit denen dann der einzelne individuelle Schüler erwidert. So wird der Krishna

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zum Herrn des Yoga, der zurückführt in die Urweisheit der Mensch­heit und immer mehr selbst das überwinden will, was noch im Sattwa­zeitalter seelenhaft den Geist verhüllte, der den Geist in seiner ur­alten Reinheit, da er nicht herabgestiegen war in die Materie, dem Schüler vor Augen führen will. So nur im Geist steht Krishna vor uns in jenem Wechselgespräch zwischen Krishna und Ardshuna, das wir uns gestern vorgeführt haben.

Damit haben wir vor unsere Seele das Ende jenes Zeitalters ge­führt, welches das letzte in den Zeiten der alten Geistigkeit war, jener Geistigkeit, die wir so verfolgen können, daß wir am Ausgangs­punkt das volle Geisteslicht sehen und dann das Herabsteigen in die Materie, auf daß der Mensch sein Ich, seine Selbständigkeit finde. Und als das Geisteslicht so weit herabgestiegen war, daß das vierte nachatlantische Zeitalter herangekommen war, da war eine Art Wechselverhältnis, ein Rajasverhältnis zwischen dem Geist und dem äußerlich Seelenhaften. In dieses Zeitalter fiel das Mysterium von Golgatha hinein. Konnte man in diesem Zeitalter aus dem Sattwa­verhältnis heraus schildern? Nein, man hätte dann nicht geschildert, was gerade dem Zeitalter gehörte. Wer aus dem Rajaszeitalter - um diese Bezeichnung der Sankhyaphilosophie zu gebrauchen - im rich­tigen Sinn schilderte, der mußte aus Rajas heraus schildern. Nicht aus der Abgeklärtheit, sondern aus dem Persönlichen, aus der Empörung über dies und jenes heraus, so mußte er schildern. Und so schilderte Paulus aus dem Rajasverhältnis heraus. Fühlen Sie pulsieren manches Wort der Thessaloniker-Briefe, manches Wort der Korinther-Briefe, manches Wort der Römer-Briefe - aus dem Rajasverhältnis der Men­schen heraus sich losringend fühlen Sie das, was wie Zornmütigkeit, oftmals wie Persönlichkeitscharakteristik aus den Briefen des Paulus heraus pulsiert. Das ist Stil und Charakter der Paulusbriefe. Sie muß­ten so auftreten, während die Bhagavad Gita abgeklärt und persön­lichkeitsfrei auftreten muß, da sie die höchste Blüte des untergehen­den Zeitalters ist, dem einzelnen Menschen aber einen Ersatz gibt für das Untergegangene und ihn zurückführt in die Höhen des Geisteslebens.

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Höchste Geistesblüte mußte Krishna seinem eigenen Schüler geben, weil er der Menschheit das alte Erkennen ertöten mußte, weil er der Schlange den Kopf zertreten mußte.

Dieses Sattwaverhältnis war von selbst untergegangen. Es war nicht mehr da, und nur von Altem hätte derjenige reden können im Rajaszeitalter, der da im Sattwaverhältnis gesprochen hätte. Der j enige, der an den Ausgangspunkt der neuen Zeit sich hinstellte, der mußte aus dem heraus sprechen, was jetzt das Maßgebende war. Per­sönlichkeit war in die Menschennatur eingezogen, indem die Men­schenatur das Erkenntnissuchen durch die Organe und Werkzeuge des physischen Leibes gefunden hatte. Das aber spricht aus den Pau­lusbriefen; das ist das persönliche Element in den Paulusbriefen. Das macht, daß eine Persönlichkeit einmal gegenüber all dem, was herein-zieht als die Finsternis des Materiellen, auch donnerte mit Zornes-worten. Denn es donnert mit Zornesworten oftmals in den Paulus-briefen.

Das macht es aber auch, daß nicht in den streng geschlossenen Linien, nicht in der weisheitsvolien, scharf konturierten Abklärung, wie in der Bhagavad Gita, in den Paulusbriefen geredet werden kann. Weisheitsvoll wie in der Bhagavad Gita kann geredet werden, wenn charakterisiert wird, wie der Mensch frei wird vom äußeren Werk, wie er sich triumphierend in den Geist erhebt, wo er eins wird mit Krishna. So konnte weisheitsvoll geschildert werden, was der Gang des Yoga ist in die höchsten Seelenhöhen hinauf.

Dasjenige, was als Neues in die Welt kam, der Sieg des Geistes über das bloß Seelenhafte im Innern, das konnte zunächst nur aus dem Rajasverhältnis heraus geschildert werden. Und derjenige, der es zuerst in einer für die Menschheitsgeschichte bedeutungsvollen Weise schildert, mit seinem ganzen Enthusiasmus schildert er es so, daß man weiß: Er war beteiligt, er hat selber gebebt, als er gegen­überstand der Offenbarung des Christus-Impulses. Da war das per­sönlich an ihn herangetreten, da hatte er vor sich zum erstenmal, was fortan durch die künftigen Jahrtausende wirken sollte. Da hatte er es

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vor sich so, daß alle Kräfte seiner Seele persönlich beteiligt sein mußten. Daher schildert er nicht in philosophischen, weisheitsvoll konturierten Begriffen, wie es in der Bhagavad Gita geschieht, son­dern er schildert das, was er als die Auferstehung des Christus zu schildern hat wie etwas, woran man unmittelbar persönlich beteiligt ist.

Und sollte es denn nicht persönliches Erlebnis sein? Sollte nicht das Christentum das Persönlichste durchziehen und durchglühen und durchl eben? Wahrhaftig: derjenige, der das Christus-Ereignis zum erstenmal schilderte, konnte das nur persönlich tun.

Wir sehen, wie in der Gita der Hauptton in das Aufsteigen durch Yoga in geistige Höhen gelegt wird; das andere wird nur nebenher berührt. Warum? Weil es der Krishna in seiner Unterweisung mit einem individuellen Schüler, eben mit diesem individuellen Schüler zu tun hat, nicht mit dem, was die andern Menschen draußen als ihr Verhältnis zum Geistigen empfinden. Da schildert Krishna dasjenige, was der Schüler werden soll, und er soll immer Höheres, immer Gei­stigeres werden. Das ist eine Schilderung, die zu immer reiferen und reiferen Seelenzuständen, daher zu immer eindrucksvolleren Schön­heitsbildern führt. Daher ist es auch so, daß erst zum Schluß uns der Gegensatz zwischen dem Dämonischen und Geistigen entgegentritt und an dem Gegensatz dieses Hinauflebens in die Schönheit des Seelenlebens etwas erhärtet: erst am Schluß finden wir, wie hinge-stellt wird der Gegensatz derer, die dämonisch sind, im Gegensatz zu denen, die geistig sind. Dämonisch sind alle die, aus denen das Ma­terielle bloß spricht, die in der Materie leben, die da glauben, daß mit dem Tod alles aus sei. Aber das ist nur da zur Erläuterung, das ist nicht etwas, mit dem es der große Lehrer real zu tun hat; der hat es vor allen Dingen mit der Vergeistigung der Menschenseele zu tun. Nur nebenher mag Yoga sprechen von dem, was der Gegensatz des Yoga ist.

Paulus hat es zunächst zu tun mit der ganzen Menschheit, mit jener ganzen Menschheit, die eben in dem anbrechenden Zeitalter der

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Finsternis ist. Er muß seinen Blick hinrichten auf alles das, was dieses Zeitalter der Finsternis im Menschenleben bewirkt, er muß dieses allgemeine finstere Leben in Kontrast bringen zu dem, was als ein kleines Pflänzchen erst aufleben soll als der Christus-Impuls in der menschlichen Seele. Auch das sehen wir zutage treten bei Paulus, wo immer wieder und wiederum hingewiesen wird auf alle möglichen Laster, auf allen möglichen Materialismus, der bekämpft werden soll durch das, was Paulus zu geben hat. Er hat zu geben, was erst wie ein kleines Flämmchen aufflackert in der menschlichen Seele und Macht nur dann gewinnen kann, wenn hinter seinem Worte der Enthusias­mus steht, der in Worten sieghaft auftritt als Offenbarung einer durch die Persönlichkeit getragenen Empfindung.

So entfernt sind die Darstellungen der Gita und der Paulusbriefe:

in der Gita Abgeklärtheit, unpersönliche Schilderung, Paulus aber muß hineinarbeiten Persönliches in sein Wort. Das gibt den Ton, das gibt den Stil auf der einen Seite der Gita, auf der anderen der Paulus­briefe. Es tritt uns da wie dort, in beiden Werken, man möchte sagen, in jeder Zeile entgegen. Die künstlerische Vollendung kann etwas erst erreichen, wenn es die Reife erlangt hat; es tritt so, daß es etwas Chaotisches hat, zutage, wenn es im Beginn der Entwickelung steht.

Warum ist dieses alles so? Diese Frage beantwortet sich uns, wenn wir auf den gewaltigen Anfang der Gita blicken. Wir haben ihn ja schon charakterisiert; wir haben gesehen, wie die Heere der Ver­wandten kämpfend sich gegenüberstehen, wie Kämpfer gegen Kämp­fer steht, wie aber Sieger und Besiegter blutsverwandt sein müssen. Die Zeit steht vor uns vom Übergang der alten Blutsverwandtschaft, an welche das Hellsehertum gebunden ist, zu der Differenzierung und Vermischung des Blutes, die eben unsere neue Zeit charakterisiert. Wir haben es mit einer Verwandlung der äußeren Leiblichkeit des Menschen und der dadurch bedingten Änderung und Verwandlung der Erkenntnis zu tun. Eine andere Art der Blutmischung, eine andere Bedeutung des Blutes tritt auf in der Menschheitsevolution. Wenn wir studieren wollen - ich erinnere wieder an meine kleine Schrift:

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«Blut ist ein ganz besonderer Saft» - den Übergang von jenem alten Zeitalter zum neuen, dann müssen wir sagen: Das Hellsehertum der alten Zeit war daran gebunden, daß das Blut sozusagen innerhalb des Stammes blieb, während die neue Zeit von Stammesvermischung, von Blutsmischung herrührt, wodurch das alte Helisehen abgetötet wurde und das neue Erkennen aufkam, das an den physischen Leib gebun­den ist.

Auf ein Äußeres, an die Gestalt des Menschen Gebundenes werden wir im Anfang der Gita hingewiesen. Solch äußere Formenwandlung betrachtet vorzugsweise die Sankhyaphilosophie, sie läßt gewisser­maßen dasjenige im Hintergrunde stehen, was das Seelische ist - wir haben es ja charakterisiert -, die Seelen stehen einfach in ihrer Viel­heit hinter den Formen. Eine Art Pluralismus haben wir in der San­khyaphilosophie gefunden. Mit der Leibnizschen Philosophie der neueren Zeit haben wir sie vergleichen können. Wenn wir uns also in die Seele des Sankhyaphilosophen hineindenken, so können wir ihn uns denken, daß er sagt: Da ist meine Seele, die drückt sich aus entweder im Sattwa- oder im Rajas- oder im Tamasverhältnis in ihren Beziehungen zu den Formen des äußeren Leibes. - Aber diese Formen betrachtet dieser Philosoph. Diese Formen wandeln sich, und eine der bedeutsamsten Wandelungen ist diejenige, die sich ausdrückt im anderen Gebrauch des Ätherleibes oder durch den Übergang in bezug auf die Blutsverwandtschaft, wie wir es charakterisiert haben. Da haben wir eine äußere Formenwandlung. Die Seele wird gar nicht berührt von dem, was die Sankhyaphilosophie betrachtet. Äußerer Formenwandel genügt da vollständig, wenn wir das ins Auge fassen wollen, was in Betracht kommt beim Übergang von dem alten Satt­wazeitalter zu dem Zeitalter, welches das neue Rajaszeitalter ist, an dessen Grenzen der Krishna steht. Da kommt äußerer Formenwandel in Betracht.

Äußerer Formenwandel kam immer in Betracht, wenn die Zeiten sich änderten. In anderer Weise war ja der äußere Formenwandel beim Übergang des persischen Zeitalters in das ägyptische, wie beim

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Übergang vom ägyptischen in das griechisch-lateinische; doch war es auch ein Formenwandel. In anderer Weise war der Übergang vom urindischen Zeitalter zum persischen, aber es war auch ein Formen-wandel. Ja, ein Formenwandel bloß war es, als sich der Übergang vollzog von der alten Atlantis selber in die nachatlantischen Zeiten. Formenwandel war das. Und man könnte ihn verfolgen, indem man sich ganz nur an die Bestimmungen der Sankhyaphilosophie hält, man könnte ihn verfolgen, indem man einfach sagt: In diesen Formen lebt sich die Seele aus, aber an diese Seele selber geht es nicht heran, Purusha bleibt unberührt. - So haben wir eine eigentümliche Art von Wandel, der durch die Sankhyaphilosophie charakterisiert werden kann, mit den Begriffen der Sankhyaphilosophie. Aber hinter diesem Wandel steht Purusha, steht das individuell Seelenhafte jedes Men­schen. Davon wird nur gesagt in der Sankhyaphilosophie, daß es als individuell Seelenhaftes im Verhältnis der drei Gunas Sattwa, Rajas, Tamas, eben zu den äußeren Formen steht. Aber dieses Seelische wird nicht berührt von den äußeren Formen. Purusha steht hinter ihnen und wir werden hingewiesen auf das Seelische; und ein fortwähren­der Hinweis auf das Seelische ist es, wenn uns die Lehre des Krishna vor die Seele tritt in demjenigen, was er als der Herr des Yoga lehrt. Gewiß, aber wie diese Seele ihrer Natur nach ist, tritt uns da als Er­kenntnis nicht vor Augen. Führung, wie die Seele sich entwickeln soll, ist das Höchste, Wandel der äußeren Formen, kein Wandel des Seelischen selber, nur ein Anklang. Und diesen Anklang entdecken wir auf die folgende Weise.

Wenn der Mensch durch den Yoga von den gewöhnlichen Seelen-stufen zu den höheren Seelenstufen aufsteigen soll, dann muß er sich von dem äußeren Werke frei machen, dann muß er sich immer mehr und mehr von dem emanzipieren, was er äußerlich tut und erkennt, dann muß er sein eigener Zuschauer werden. Dann steht innerlich seine Seele frei da, die über das Äußere sich triumphierend erhebt. So ist es beim gewöhnlichen Menschen. Derjenige aber, der in die Einweihung hineinkommt und hellsichtig wird, bei dem bleibt das

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nicht so, dem steht nicht die äußere Materie gegenüber. Die ist als solche Maja. Eine Realität ist sie nur für den, der eben seiner eigenen inneren Werkzeuge sich bedient. Was tritt an die Stelle der Ma­terie ? Das tritt uns ja entgegen, wenn wir uns die alte Einweihung vor Augen führen. Während dem Menschen im Alltag die Materie, Pra­kriti, gegenübersteht, steht der Seele, die sich durch den Yoga in die Einweihung hineinentwickelt, die Welt der Asuras, die Welt des Dä­monischen gegenüber, gegen die er zu kämpfen hat. Die Materie ist das, was Widerstand leistet; die Asuras, die Mächte der Finsternis, die werden Feinde. Aber das alles ist eigentlich nur im Anklang, da blickt sozusagen etwas aus dem Seelischen herein, wir beginnen das Seelische zu fühlen. Dann erst wird dieses Seelische spirituell seiner selbst ge­wahr, wo es in Kampf tritt gegen die Dämonen, gegen die Asuras.

In unserer Sprache würden wir diesen Kampf, der aber nur wie im kleinen uns entgegentritt, als etwas bezeichnen, was als Geister sicht­bar wird, wenn die Materie in ihrer Geistigkeit erscheint. Es tritt uns da eben im kleinen das entgegen, was wir als den Kampf der Seele mit dem Ahriman kennen, wenn sie zur Einweihung kommt. Aber indem wir das auffassen als solch einen Kampf, stehen wir ganz im Seelischen drinnen. Dann wächst das, was früher nur die materiellen Geister waren, ins Riesengroße heran, der mächtige Feind steht der Seele gegenüber. Da steht Seelisches gegenüber Seelischem, da steht der individuellen Seele im weiten Weltall Ahrimans Reich gegen­über. Die unterste Stufe von Ahrimans Reich ist das, mit dem man im Yoga kämpft. Jetzt aber steht er selbst uns gegenüber, indem wir es in unserem Sinn betrachten, im Kampf der Seele mit Ahrimans Mäch­ten, mit Ahrimans Reich. Die Sankhyaphilosophie kennt das Ver­hältnis der Seele zu der äußeren Materie, wenn diese äußere Materie die Oberhand hat, als das Tamasverhältnis. Der Eingeweihte, der durch den Yoga zur Einweihung kommt, ist nicht bloß in diesem Tamasverhältnis, sondern in einem Kampf gegen gewisse dämo­nische Gewalten, in die sich die Materie für sein Anschauen ver­wandelt. In unserem Sinn sehen wir die Seele, wenn ihr Verhältnis

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nicht nur dem gegenübersteht, was in der Materie geistig ist, sondern wenn sie dem rein Geistigen gegenübersteht, dem Ahrimanischen gegenübersteht.

Im Rajasverhältnis, nach der Sankhyaphilosophie, ist Materie und Geist im Gleichgewicht; da schwankt es hin und her, bald ist die Materie oben, bald der Geist, bald die Materie unten, bald der Geist. Wenn dieses Verhältnis zur Einweihung führen sollte, dann führte es im Sinne des alten Yoga direkt zu einer Überwindung von Rajas, führte in Sattwa hinein. Für uns führt es noch nicht in Sattwa hinein, sondern da beginnt der andere Kampf, der Kampf mit dem Luzife­rischen. Und jetzt steht uns für unsere Betrachtung Purusha entgegen, auf das in der Sankhyaphilosophie nur hingewiesen war. Nicht bloß, daß wir darauf hinweisen, sondern es steht mitten drinnen auf dem Kampfgebiete gegenüber Ahriman und Luzifer. Seelisches steht ge­genüber Seelischem. In urferner Perspektive erscheint Purusha der Sankhyaphilosophie. Wenn wir auf das Tiefere eingehen, auf das, was da hereinspielt in das Wesen der Seele, noch ununterschieden vom Ahrimanischen und Luziferischen, da haben wir nur in Sattwa, Rajas, Tamas die Verhältnisse des Seelischen zu dem Materiell-Sub­stantiellen. Jetzt haben wir, wenn wir in unserem Sinn die Sache be­trachten, die Seele in regsamer Tätigkeit kämpfend und ringend zwi­schen Ahriman und Luzifer. Das ist etwas, was in seiner vollen Größe erst durch das Christentum betrachtet werden konnte. Für die alte Lehre der Sankhya bleibt Purusha sozusagen noch unberührt. Da wird das Verhältnis geschildert, das entsteht, wenn Purusha sich in Prakriti kleidet. Wir treten in das christliche Zeitalter und in das, was dem esoterischen Christentum zugrunde liegt und dringen in Purusha selber ein und charakterisieren dieses, indem wir das Drei­fache: das Seelische, das Ahrimanische und das Luziferische ins Auge fassen. Wir fassen jetzt das innere Verhältnis der Seele ihrem Ringen nach selbst ins Auge. Das, was kommen mußte, lag in dem Übergang, der gegeben war innerhalb des vierten Zeitalters, in dem Übergang, der durch das Mysterium von Golgatha bezeichnet wird.

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Denn was geschah damals? Was beim Übergang vom dritten ins vierte Zeitalter geschah, das war etwas, was durch einen bloßen For­menwandel zu charakterisieren ist. Jetzt aber ist es etwas, was nur durch den Übergang von Prakriti zur Purusha selber charakterisiert werden kann, was so charakterisiert werden muß, daß man sagt: Man fühlt, wie sich Purusha vollständig von Prakriti emanzipiert, fühlt es in seiner Innerlichkeit. Der Mensch wird nicht bloß von den Bluts-banden losgerissen, sondern von Prakriti, von aller Äußerlichkeit, und muß mit ihr im Innern fertig werden. Da trittder Christus-Impuls herein. Das ist aber auch der größte Übergang, der in der ganzen Erdenentwickelung hat auftreten können. Da entsteht dann nicht mehr bloß die Frage: Wie sind die Zustände im Verhältnis der Seele zu dem Materiellen, in Sattwa und Rajas und Tamas? - Dann hat die Seele nicht nur Tamas und Rajas zu überwinden, um sich in Yoga über sie zu erheben, da hat sie gegen Ahriman und Luzifer zu kämp­fen, da ist sie sich selbst überlassen. Da beginnt die Notwendigkeit, einander gegenüberzustellen, was uns in dem erhabenen Sang, in der Bhagavad Gita auf der einen Seite dargestellt wird für die alten Zei­ten, und auf der anderen was für die neuen Zeiten notwendig ist.

Das wird uns in dem erhabenen Sang, der Bhagavad Gita, gegen­übergestellt. Da wird uns die menschliche Seele gezeigt. Sie wohnt in ihrer Leiblichkeit, in ihren Hüllen. Diese Hüllen kann man charak. terisieren. Sie sind das, was in immerwährendem Formenwandel ist. So, wie sich die Seele darlebt, so ist sie verstrickt im gewöhnlichen Dasein in Prakriti, so lebt sie in Prakriti drinnen. Und im Yoga macht sich diese Seele von dem frei, worin sie eingehüllt ist, über­windet das, worin sie eingehüllt ist, und kommt in die geistige Sphäre, indem sie sich ganz frei von diesem Hüllenhaften macht

Dem stellen wir dasjenige gegenüber, was das Christentum, das Mysterium von Golgatha erst gebracht hat. Da genügt es nicht, daß sich die Seele bloß frei macht. Denn würde sich die Seele durch Yoga frei machen, dann gelangte sie zu dem Anblick des Krishna, dann stünde Krishna in aller Gewaltigkeit vor ihr, aber so, wie Krishna

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war, bevor Ahriman und Luzifer ihre volle Gewalt bekommen hatten. Da verhüllt noch eine gütige Gottheit, daß neben jenem Krishna, der da sichtbar wird auf die erhabene Weise, wie wir sie gestern ge­schildert haben, daß neben Krishna zur Linken und Rechten Ahri­man und Luzifer stehen. Das war altem Heilsehen möglich, weil der Mensch noch nicht heruntergestiegen war in die Materie. Das kann nicht mehr sein. Wenn die Seele bloß den Yoga durchmachen würde, würde sie Ahriman und Luzifer vor sich haben und den Kampf mit ihnen aufnehmen müssen. Und neben Krishna könnte sie sich erst hinstellen, wenn sie den Bundesgenossen hätte, der ihr Ahriman und Luzifer bekämpft, nicht bloß Tamas und Rajas. Das ist aber der Christus. So sehen wir, wie Leibliches von Leiblichem sich löste oder

- man könnte auch sagen - Leibliches im Leiblichen sich verfinsterte damals, als der Held Krishna auftrat. Aber wir sehen auf der an­deren Seite das Gewaltigere: wie die Seele sich selbst überlassen und dem Kampf ausgesetzt wird, etwas, was nur auf ihrem Felde sichtbar ist im Zeitalter, da das Mysterium von Golgatha geschah.

Ich kann mir wohl vorstellen, daß jemand sagen könne: Ja, was kann es noch Gewaltigeres geben, als wenn uns im Krishna das höchste Ideal des Menschentums, die Vollendung des Menschentums vorgeführt wird? Es kann noch etwas Höheres geben. Und das ist das, was uns an die Seite treten muß und uns durchdringen muß, wenn wir uns erst gegen die Gewalten im Geist, nicht bloß gegen Tamas und Rajas, dieses Menschentum erobern müssen. Das ist der Christus. Und so ist es eigenes Unvermögen, nicht etwas noch Grös­seres zu sehen, wenn jemand nur in der Krishna-Darstellung das Höchste sehen will.

Und auch darin drückt sich das Präponderierende des Christus-Impulses gegenüber dem Krishna-Impuls aus, daß wir beim Krishna. Impuls die Wesenheit, welche im Krishna inkarniert war, in der gan­zen Menschheit des Krishna inkarniert haben. Da wird Krishna als der Sohn des Visudeva geboren und er wächst heran; aber in seiner ganzen Menschheit ist jener höchste menschliche Impuls verkörpert,

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inkarniert, den wir eben als den Krishna erkennen. Derjenige Im­puls, der uns an die Seite treten muß, wenn es sich um unser Gegen­überstehen gegen Luzifer und Ahriman handelt - dieses Gegenüber­stehen ist erst im Anfang vorhanden, denn alle Dinge, die zum Bei­spiel in unseren Mysteriendramen dargestellt sind, werden für die zukünftigen Menschen scelisch greifbar sein -, das muß ein Impuls sein, für den die Menschheit zunächst als solche zu klein ist, ein Im­puls, der selbst in einem solchen Leib, in dem der Zarathustra woh­nen kann, nicht unmittelbar wohnen kann, sondern nur dann in ihm wohnen kann, wenn dieser Leib selber auf der Höhe der Entwicke­lung angelangt ist, wenn dieser Leib das dreißigste Lebensjahr er­langt hat. Daher füllt der Christus-Impuls nicht ein ganzes Leben aus, sondern nur die reifsten Zeiten eines Menschenlebens. Daher kommt es, daß der Christus-Impuls nur drei Jahre in dem Leibe des Jesus anwesend war. Gerade darin drückt sich wiederum das Höher-stehende des Christus-Impulses aus, daß er nicht unmittelbar in die­sem menschlichen Leibe leben kann, so wie das Krishna-Wesen von der Geburt an. Und wie sich das Überragende des Christus-Impulses gegenüber dem Krishna-Impuls weiter zeigt, davon werden wir ja noch weiter zu sprechen haben. Aber sehen, herausfühlen werden Sie aus demjenigen, was bisher charakterisiert worden ist, daß es in der Tat so sein muß, wie uns das Verhältnis zwischen der großen Gita und den Paulusbriefen entgegentritt: daß die ganze Darstellung der Gita, weil sie reife Frucht vieler vorangehender Zeitalter ist, voll­kommen an sich sein kann, und daß die Paulusbriefe, weil sie die ersten Keime zu einem nächsten, allerdings vollkommeneren, um­fassenderen Weltenalter sind, viel unvollkommener sein mußten. So muß derjenige, der den Weltenverlauf darstellt, zwar die Unvoll­kommenheiten der Paulusbriefe gegenüber der Gita, die sehr be­deutsamen Unvollkommenheiten, die nicht vertuscht werden sollten, anerkennen, aber er muß auch verstehen, warum diese Unvollkom­menheiten da sein müssen

FÜNFTER VORTRAG Köln, 1. Januar 1913

#G142-1960-SE106 - Die Bhagavad Gita und die Paulusbriefe

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FÜNFTER VORTRAG

Köln, 1. Januar 1913

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Wir haben zwei bedeutsame Menschheitsdokumente in diesem Zy­klus an unsrer Seele vorüberziehen lassen - wenigstens in ganz kurzen Charakteristiken, wie es bei der geringen Zahl der Vortragstage mög­lich war -, und wir haben gesehen, welche Impulse in die Mensch­heitsentwickelung haben einfließen müssen, damit diese zwei be­deutsamen Menschheitsdokumente, die erhabene Gita und die Pau­lusbriefe, haben entstehen können. Das, was noch wichtig sein wird für unser Verständnis, ist, einen Grundunterschied anzugeben zwi­schen dem ganzen Geist der Gita und dem Geist der Paulusbriefe. Wir haben ja schon gesagt: In der Gita treten uns die Lehren ent­gegen, die Krishna seinem Schüler Ardshuna zu geben vermag. Solche Lehren, man gibt sie einem Einzelnen und muß sie einem Ein­zelnen geben; denn sie sind im Grunde genommen, gerade wie sie in der Gita uns entgegentreten, intime Lehren. Dagegen scheint nun ja allerdings zu sprechen, daß diese Lehren heute jedermann zugängi lich sind, weil sie in der Gita stehen. Das waren sie natürlich nicht zu der Zeit, in der die Gita verfaßt worden ist. Da drangen sie nicht zu allen Ohren, denn da waren sie ein Gegenstand mündlicher Mittei­lungi In jenen alten Zeiten waren schon die Lehrer darauf bedacht, auf die Reife der Schüler hinzusehen, denen sie entsprechende Lehren mitteilten. Auf solche Reife wurde ja immer gesehen.

In unserer Zeit ist das in bezug auf alle die Lehren und Unter­weisungen nicht mehr möglich, die nun schon einmal auf irgendeine Weise das Licht der Öffentlichkeit gefunden haben. Wir leben in einer Zeit, in welcher das geistige Leben in einer gewissen Beziehung einmal öffentlich ist. Nicht als ob es in unserer Zeit keine Geheim-wissenschaft mehr gäbe, aber diese Geheimwissenschaft kann nicht dadurch Geheimwissenschaft sein, daß man sie etwa nicht drucken läßt oder sie nicht verbreiteti Es gibt ja in unserer Zeit auch genügend

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Geheimwissenschaft. So zum Beispiel ist die Wissenschaftslehre Fich­tes, trotzdem sie gedruckt jeder haben kann, eine rechte Geheim-lehre. Auch schließlich Hegels Philsophie ist eine Geheimlehre, denn sie wird den wenigsten bekannt und sie hat sogar viele Mittel in sich, eine Geheimlehre zu bleiben. Und das ist bei vielen Dingen der Fall in unserer heutigen Zeit. Die Wissenschaftslehre Fichtes oder die Philosophie Hegels, sie haben das sehr einfache Mittel, eine Geheimlehre zu bleiben, weil sie so geschrieben sind, daß die meisten Menschen sie nicht verstehen und einschlafen, wenn sie die ersten Seiten lesen. Dadurch bleibt die Sache selber eine Geheimlehre. Und so ist es auch mit sehr vielem in unserer Zeit, das viele Menschen zu kennen glauben. Sie kennen es nicht; dadurch bleiben die Dinge eben eine Geheimlehre. Und im Grunde genommen bleiben ja auch solche Dinge eine Geheimlehre, wie sie in der Gita stehen, wenn sie auch in weitesten Kreisen durch den Druck bekannt werden können. Denn der eine, der die Gita heute in die Hand bekommt, sieht in ihr große gewaltige Offenbarungen über die Evolution des eigenen menschlichen Inneren, der andere sieht in ihr nur eine interessante Dichtung, und es verwandeln sich alle Begriffe und Gefühle, die in der Gita ausgesprochen sind, für ihn in lauter Trivialitäten. Denn man darf doch nicht glauben, daß jemand dasjenige, was in der Gita liegt, wirklich in sich verarbeitet hat, wenn er etwa selbst mit den Wor­ten der Gita das auszudrücken versteht, was in der Gita drinnen liegt, was ihm aber vielleicht ganz ferne liegt. So ist die Sache selbst durch ihre Höhe in vieler Beziehung ein Schutz vor dem Gemeinwerden.

Aber das bleibt ja eben bestehen, daß die Lehren, die da dichterisch verarbeitet sind in der Gita, solche Lehren sind, die der Einzelne für sich ausführen, erleben muß, wenn er durch sie in seiner Seele empor­kommen und endlich erleben will die Begegnung mit dem Herrn des Yoga, mit Krishna. Also, es ist eine individuelle Sache, etwas, was der große Lehrer an den Einzelnen richtet. - Anders ist es, wenn wir den Inhalt der Paulusbriefe einmal von diesem Gesichtspunkt aus betrachten. Da sehen wir, daß alles Gemeindesache ist, alles Sache

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ist, die sich im Grunde genommen an eine Mehrheit richtet. Denn wenn wir den innersten Nerv des Wesens der Krishna-Lehre ins Auge fassen, so müssen wir sagen: Das, was man durch die Krishna-Lehre erlebt, erlebt man für sich in strenger Abgeschlossenheit der einzelnen Seele, und die Begegnung mit Krishna kann man auch nur haben als einsamer Seelenwanderer, wenn man den Weg wiederum zurückfin­det zu den Uroffenbarungen und Urerlebnissen der Menschheit. Das, was Krishna geben kann, muß für jeden Einzelnen gegeben werden.

So war es nicht bei der Offenbarung, die der Welt durch den Christus-Impuls gegeben worden ist. Der Christus-Impuls ist von vorneherein als ein Impuls gedacht, der sich an die ganze Menschheit richtet, und das Mysterium von Golgatha ist nicht als eine Tat voll­zogen, die nur für die einzelne Seele gilt, sondern wenn wir uns die ganze Menschheit vom Ursprung bis zum Ende der Erdenent­wickelung denken, so ist für alle Menschen das geschehen, was auf Golgatha geschehen ist. Es ist eine Gemeinsamkeitssache im aller­größten Maße. Daher muß der Stil der Paulusbriefe, auch noch von alledem abgesehen, was schon charakterisiert worden ist, ein ganz anderer sein, als der Stil der erhabenen Gita.

Stellen wir uns doch einmal lebhaft das Verhältnis des Krishna zum Ardshuna vor. Er gibt ihm sozusagen eindeutige Anweisungen als Herr des Yoga, wie er stufenweise in seiner Seele aufrücken kann, um des Krishna ansichtig zu werden. Stellen wir dagegen eine be­sonders prägnante Stelle in den Paulusbriefen, da wo sich eine Ge­meinde an Paulus wendet und fragt, ob diese oder jene Dinge wahr seien, ob sie als richtige Anschauung gelten können gegenüber dem, was Paulus gelehrt habe. Und da finden wir in der Unterweisung, die Paulus gibt, eine Stelle, die allerdings durchaus verglichen wer­den kann in ihrer Größe, sogar stilistisch künstlerisch, mit dem, was wir in der erhabenen Gita finden. Aber wir finden zugleich einen ganz anderen Ton, wir finden alles aus einer ganz anderen Art des seelischen Empfindens heraus gesprochen. Das ist da, wo Paulus an die Korinther schreibt, wie die verschiedenen menschlichen Gaben,

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die da in einer Gruppe von Menschen vorhanden sind, Zusammen­wirken müssen.

Dem Ardshuna sagt Krishna: Du mußt so oder so sein, dieses oder jenes tun, dann kommst du von Stufe zu Stufe in deinem Seelensein aufwärts. - Seinen Korinthern sagt der Paulus: Der eine von euch hat diese Gabe, der andere jene, ein dritter diese und wenn das harmo­nisch zusammenwirkt, wie die Glieder eines Menschenleibes zusam­menwirken, dann ergibt das auch geistig ein Ganzes, was geistig ganz von dem Christus durchdrungen sein kann. - Also durch die Sache selbst richtet sich Paulus an Menschen, die zusammenwirken, das heißt an eine Mehrheit. Und bei bedeutsamer Gelegenheit richtet er sich an eine Mehrheit, nämlich da, wo die Gaben des sogenannten Zungenredens in Betracht kommen.

Was ist dieses Zungenreden, das wir in den Paulusbriefen finden? Dieses Zungenreden ist ja nichts anderes als ein Überrest alter geisti­ger Gaben, die in einer erneuerten Weise, aber mit vollem mensch­lichem Bewußtsein uns in der Gegenwart wiederum entgegentreten. Denn wo wir in unseren Initiationsmethoden von der Inspiration sprechen, da ist es so, daß ein Mensch, der bis zur Inspiration vor-dringt in unserer Zeit, ein klares Bewußtsein mit dieser Inspiration vereinigt, so wie er ein klares Bewußtsein mit seiner alltäglichen Ver­standestätigkeit und Sinneswahrnehmung verknüpft. Das war ja in alten Zeiten anders. Da sprach der Betreffende wie durch ein Werk­zeug höherer geistiger Wesenheiten, die sich seiner Organe bedien­ten, um Höheres durch seine Zunge auszudrücken. Da konnte der Einzelne Dinge sagen, die er selber gar nicht verstand. Kundgebun­gen aus der geistigen Welt kamen zustande, die das Werkzeug nicht unmittelbar zu verstehen brauchte, und gerade in Korinth war solches eingetreten. Da war der Zustand gekommen, daß eine Anzahl von Leuten die Gabe dieses Zungenredens hatten. Da konnten sie aus geistigen Welten dieses oder jenes verkündigen.

Mit einer solchen Gabe ist es nun so, daß, wenn der Mensch sie hat, das was er durch solche Gabe zur Offenbarung bringen kann,

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unter allen Umständen eine Offenbarung aus der geistigen Welt ist. Aber es kann deshalb doch durchaus so sein, daß der eine dieses sagt und der andere jenes, denn die geistigen Bezirke sind mannigfaltig. Der eine kann von diesem Bezirk, der andere von einem andern in­spiriert sein, und da kann es sein, daß dann die Offenbarungen durch­aus nicht zusammenstimmen. Das Zusammenstimmen kann man erst finden, wenn man mit vollem Bewußtsein sich in die betreffenden Welten hineinbegeben kann. Deshalb gibt Paulus die Mahnung: Da sind Leute, die Zungenreden können; andere sind, die die Zungen-reden auslegen können. Sie sollen zusammenwirken wie die rechte und die linke Hand und man soll nicht bloß auf die Zungenredner hören, sondern auch auf diejenigen, die diese Gabe vielleicht nicht haben, die aber auslegen, erkennen können, was der einzelne aus diesem oder jenem geistigen Bezirk herunterzubringen vermag. - So fordert auch da Paulus wieder auf zu einer Gemeindesache, die durch das Zusammenwirken der Menschen zustande kommt.

Und anknüpfend gerade an dieses Zungenreden gibt Paulus jene Auseinandersetzung, die, wie gesagt, so wunderbar ist in gewisser Beziehung, daß sie in ihrer Gewalt durchaus noch in anderer Be­ziehung, als gestern auseinandergesetzt worden ist, mit den Mittei-lungen der Gita verglichen werden kann. Er sagt: «In betreff det begeisterten Brüder will ich euch nicht ohne Bescheid lassen. Ihr wißt von eurer Heidenzeit, da waren es stumme Götzen, zu denen es euch mit blindem Triebe fortriß. Darum erkläre ich euch: So wenig einer, der im Geiste Gottes redet, sagt: Verflucht sei Jesus, so wenig kann ihn einer Herr nennen, es sei denn im heiligen Geiste. - Nun be­stehen Unterschiede der Gnadengaben, aber es ist ein Geist. Es be­stehen Unterschiede in den Leistungen der Menschen, aber es ist ein Herr. Unterschiede bestehen in der Kraft, die die einzelnen Men­schen haben, aber es ist ein Gott, der in allen diesen Kräften wirkt. Jedermann aber werden die Kundgebungen des Geistes verliehen, wie es dem Einzelnen frommt. So wird dem einen der Weissagung Rede gegeben, dem anderen der Wissenschaft Kunde; wiederum finden

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sich Geister, die im Glauben leben, wieder andere haben die Gabe der Heilung, andere haben die Gaben der Weissagung, andere haben die Gabe, Charaktere von Menschen zu durchschauen, andere haben das Zungenreden, andere wiederum die Auslegung der Zun­genredung. In alledem aber wirkt ein Geist und erteilt einem jeden, was ihm zukommt. Denn wie der Leib 6ner ist und viele Glieder hat, alle einzelnen Glieder aber zusammen einen Leib bilden, so ist es auch mit dem Christus. Denn durch den Geist sind wir alle zu einem Leibe getauft, ob Jude oder Grieche, Sklave oder Freier, und wir sind alle mit einem Geiste getränkt worden, wie auch der Leib nicht aus einem, sondern aus vielen Gliedern besteht. Wenn der Fuß spräche: Weil ich nicht die Hand bin, so gehöre ich nicht zum Leibe, so gehörte er doch dazu. Wenn das Ohr sagte: Weil ich nicht das Auge bin, gehöre ich nicht zum Leibe-, so gehörte esdoch dazu. Wenn der ganze Leib nur Auge wäre, wo bliebe das Gehör? Wenn der ganze Leib nur Gehör wäre, wo bliebe der Geruch? Nun aber hat Gott die Glieder gesetzt jedes von ihnen ein besonderes am Leibe, wie Er es für gut fand. Wäre nur ein Glied, wo bliebe der Leib? So aber sind zwar viele Glieder, doch ist nur ein Leib. Das Auge darf zur Hand nicht sagen: Ich bedarf dein nicht! Der Kopf nicht zu den Füßen: Ich bedarf dein nicht! Vielmehr die scheinbar schwachen Glieder am Leib sind notwendig und diejenigen, die wir für gering achten, erweisen sich als besonders wichtig. Gott hat den Leib zu­sammengesetzt und den unbedeutenden Gliedern ihre Bedeutung zu­erkannt, damit es keine Spaltung im Leibe geben kann, sondern daß alle Glieder harmonisch zusammenwirken und füreinander besorgt sind. Und wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied Wohlergehen hat, jauchzen alle Glieder mit. Ihr aber» -so sagt Paulus zu seinen Korinthern - «seid des Christus Leib und seine Glieder bildet ihr alle zusammen. Und die einen hat Gott ge­setzt in der Gemeinde zu Aposteln, die anderen zu Propheten. Dritte hat er gesetzt zu Lehrern, Vierte hat er gesetzt für Wunderheilungen, Fünfte für andere Hilfeleistungen, Sechste, damit die Verwaltung

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der Gemeinde zustandekomme und Siebente hat er gesetzt für das Zungenreden. Sollen alle Menschen Apostel sein? Sollen alle Pro­pheten sein? Sollen alle Lehrer sein, alle Heiler, alle mit Zungen reden? Oder sollen alle die Zungenreden auslegen? Daher ist es recht, wenn die verschiedenen Gnadengaben zusammenwirken, aber je mehr, desto besser.»

Und dann spricht Paulus von der Kraft, die im Einzelnen, aber auch in der Gemeinde walten kann und die alle einzelnen Glieder der Gemeinde zusammenführt, wie des Leibes Kraft die einzelnen Glie­der des Leibes zusammenführt. Schöneres sagt Krishna auch nicht zu einem Menschen, wie Paulus zur Menschheit gesprochen hat in ihren verschiedenen Gliedern. Dann spricht er von der Christus-Kraft, die die verschiedenen Glieder zusammenfaßt, wie der Leib die einzelnen Glie­der zusammenfaßt. Und die Kraft, die im Einzelnen leben kann wie die Lebenskraft in jedem Glied und die doch wieder im Ganzen lebt einer ganzen Gemeinde, die charakterisiert Paulus mit gewaltigen Worten:

«Doch ich will euch zeigen den Weg, der höher ist denn alles andere:

Wenn ich reden könnte mit Menschen- oder mit Engelzungen aus dem Geiste und ermangelte der Liebe, so ist meine Rede tönend Erz und eine klingende Schelle.

Und wenn ich weissagen könnte und alle Geheimnisse offenbaren und alle Erkenntnisse der Welt mitteilen, und wenn ich allen Glau­ben hätte, der Berge selbst versetzen könnte und ermangelte der Liebe, es wäre alles nichts.

Und wenn ich alle Geistesgaben austeilte, ja, wenn ich meinen Leib selber hingäbe zum Verbrennen, und ermangelte der Liebe, es wäre alles unnütz.

Die Liebe währet immer. Die Liebe ist gütig, die Liebe kennt nicht den Neid, die Liebe kennt nicht die Prahlerei, kennt nicht den Hochmut, die Liebe verletzt nicht, was wohlanständig ist, sucht nicht ihre Vorteile, läßt sich nicht in Aufreizung bringen, trägt niemandem Böses nach, freut sich nicht über Unrecht, freut sich nur mit der Wahrheit.

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Die Liebe unikleidet alles, durchströmt allen Glauben, darf auf alles hoffen, darf allüberall Duldung übeni

Die Liebe kann nie, wenn sie ist, verlorengehen. Was man weissaget, gehet dahin, wenn es erfüllt ist; was man mit Zungen redet, höret auf, wenn es nicht mehr zu Menschenherzen sprechen kann; was erkannt wird, höret auf, wenn der Gegenstand der Erkenntnis erschöpft ist.

Denn Stückwerk ist alles Erkennen, Stückwerk ist alle Weissagung. Doch wenn das Vollkommene kommt, dann ist es mit dem Stück-werk dahin.

Da ich ein Kind war, sprach ich wie ein Kind, fühlte ich, dachte ich wie ein Kind. Da ich ein Mann ward, war es mit des Kindes Welt vorbei.

Jetzt sehen wir im Spiegel nur dunkle Konturen, dereinst schauen wir den Geist von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dereinst werde ich ganz erkennen, wie ich selber bin.

Nun, bleibend ist Glaube, bleibend ist Hoffnung in Sicherheit, bleibend ist Liebe. Die Liebe aber ist das Größte unter ihnen; daher steht die Liebe obenan.

Denn mögen euch alle Geistesgaben werden: wer die Weissagung selbst kennt, der muß auch nach der Liebe trachten.

Denn wer auch mit Zungen redet, er redet nicht unter den Men­schen, er redet unter den Göttern. Niemand vernimmt es, weil er Geistesgeheimmsse redet.»

Wir sehen, wie Paulus die Natur des Zungenredens kennt. Er meint: Entrückt ist der Zungenredner in geistige Welten; er redet unter Göttern.

«Wer weissagt, redet mit Menschen zur Erbauung, zur Ermah­nung, zum Trost; wer mit der Zunge redet, befriedigt sich in gewisser Weise selbst; wer da weissagt, erbauet die Gemeinde.

Ist es erreicht, daß ihr alle Zungen redet, recht viel wichtiger ist es, daß ihr weissaget. Wer weissagt, ist mehr als der, der Zungen redet, es sei denn, daß der Zungenredner selbst imstande ist, seine Zungen-reden zu erkennen, damit die Gemeinde sie versteht.

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Angenommen, meine Brüder, ich komme als Zungenredner zu euch, was kann ich euch nützen, wenn ich euch nicht sage, was meine Zungenreden bedeuten als Weissagung, als Lehre, als Offenbarung!

Meine Zungenreden sind wie die Flöte, die Zither, wenn ihre Töne sich nicht deutlich unterscheiden lassen. Wie soll man dann unter­scheiden das Spiel der Zither oder der Flöte, wenn sie nicht unter­schiedliche Stimmen von sich geben. Und wenn die Trompete einen undeutlichen Ton gibt, wer will sich zum Streit rüsten?

So ist es mit euch, wenn ihr mit den Zungenreden nicht eine deut­liche Rede verbinden könnt, da ist alles in die Luft gesprochen.»

Das alles zeigt uns, daß die verschiedenen Geistesgaben verteilt sein müssen auf die Glieder der Gemeinde und daß die Glieder der Gemeinde als Individualitäten zusammenwirken müssen. Damit aber stehen wir auch auf dem Punkte, wo die Offenbarung des Paulus durch den Moment der Menschheitsentwickelung, in dem sie auftritt, sich grundsätzlich unterscheiden muß von der Krishna-Offenbarung.

Die Krishna-Offenbarung richtet sich an den einzelnen Menschen, aber im Grunde genommen an jeden Menschen, wenn dieser reif wird, den Weg der Seele nach aufwärts zu machen, wie ihn der Herr des Yoga vorschreibt. Da werden wir immer mehr und mehr hinauf-gewiesen in Urzeiten der Menschheit, zu denen man ja auch wiederum zurückkehren will im Geiste, im Sinne der Krishna-Lehre. Da waren die Menschen noch weniger individualisiert, da konnte man voraus­setzen, daß für einen jeden die gleiche Lehre und Anweisung gut sei.

Paulus stand entgegen der Menschheit, wo die Einzelnen diffe­renziert wurden, wo sie auch wirklich differenziert werden mußten, ein jeder mit seiner besonderen Fähigkeit, mit seiner besonderen Gabe. Da konnte man nicht mehr rechnen, daß man in jede einzelne Seele das gleiche hineingießen kann; da mußte man auf das hin­weisen, was unsichtbar über allem waltet. Dieses, was in keinem Menschen als einzelnem Menschen ist, was aber in jedem Einzelnen sein kann, das ist der Christus-Impuls. Der Christus-Impuls ist wiederum

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etwas wie eine neue Gruppenseele der Menschheit, aber eine solche, die bewußt von dieser Menschheit gesucht wird.

Um das zu verdeutlichen, stellen wir uns einmal vor, wie sich, sagen wir, in der geistigen Welt eine Anzahl Krishnaschüler aus­nimmt, und wie sich eine Anzahl derjenigen Menschen ausnimmt, welche in ihrem tiefsten Innern vön dem Christus-Impuls berührt worden sind. Die Krishnaschüler haben in sich ein jeder den gleichen Impuls entfacht, den ihnen der Herr des Yoga erteilt hat. Im geisti­gen Leben gleicht einer dem andern. Dem einen wie dem andern ist die gleiche Unterweisung gegeben worden. Diejenigen, die von dem Christus-Impuls berührt worden sind, sie sind entkörpert in der geistigen Welt, ein jeder mit seiner besonderen Individualität, mit seinen differenzierten Geisteskräften. Daher kann auch in der geisti­gen Welt der eine dieser Verrichtung, der andere jener obliegen. Und der Anführer, derjenige, der in die Seele eines jeden sich ergießt, so individuell ein jeder auch sein mag, das ist der Christus, der zugleich in der Seele eines jeden ist und über allem schwebt. Da haben wir eine differenzierte Gemeinde auch dann noch, wenn die Seelen entkör­pert sind, während die Seelen der Krishnaschüler ein Einheitliches sind, wenn die Seelen die Anleitungen bekommen haben von dem Herrn des Yoga. Das aber ist der Sinn der Menschheitsentwickelung, daß die Seelen immer differenzierter werden.

Deshalb muß es so sein, daß in anderer Weise Krishna spricht. Er spricht, im Grunde genommen - so, wie er sich in der Gita mifteilt -, zu dem Schüler. Anders muß Paulus sprechen. Paulus spricht eigent­lich zu jedem Menschen, und dann ist es eine Sache der individuellen Entwickelung, ob der Einzelne vermöge seiner Reife auf dieser oder jener Inkarnationsstufe stehen bleibt bei dem Exoterischen oder ob er hineingehen kann ins Esoterische und sich zu einem esoterischen Christentum erheben kann. Man kann im Christentum immer weiter und weiter kommen, zu den esoterischsten Höhen kommen; aber man geht von etwas anderem aus als wovon man in der Krishna-Lehre aus­geht. In der Krishna-Lehre geht man von dem Standpunkt als Mensch

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aus, auf dem man ist, und erhebt die Seele als Individuum, als Einzel­ner. Im Christentum geht man davon aus, daß man eine Beziehung gewinnt, bevor man überhaupt einen weiteren Weg antritt, zu dem Christus-Impuls, daß dieser zunächst allem übrigen vorausgeht.

Den geistigen Weg zum Krishna hin kann nur derjenige antreten, der die Anweisungen des Krishna einhält; den geistigen Weg zum Christus kann jeder antreten, denn der Christus hat das Mysterium für alle gebracht, die überhaupt Menschen sind und eine Beziehung zu dem Mysterium haben können. Das ist aber etwas Äußeres, auf dem physischen Plan Vollbrachtes. Der erste Schritt ist daher ein sol­cher, der auf dem physischen Plan geschieht. Das ist das Wesentliche.

Man braucht wahrhaftig nicht, wenn man diese weithistorische Bedeutung des Christus-Impulses einsieht, von diesem oder jenem christlichen Bekenntnis auszugehen, sondern man kann, gerade in unserer Zeit, sogar von einem ganz Christus-feindlichen oder gegen Christus gleichgültigen Standpunkt ausgehen. Wenn man sich aber in das vertieft, was unsere Zeit an geistigem Leben wirklich geben kann, wenn man die Widersprüche und Torheiten des Materialismus einsieht, dann wird man vielleicht gerade am echtesten in unserer Zeit zu Christus geführt, wenn man nicht von einem besonderen Bekenntnis von vornherein ausgeht. Wenn deshalb außerhalb unserer Kreise gesagt wird, daß hier bei uns von einem besonderen Christus-Bekenntnis ausgegangen wird, so darf das als eine ganz besonders schlechte Verleumdung betrachtet werden, denn es handelt sich nicht um den Ausgangspunkt von irgendeinem Bekenntnis, sondern darum, daß ausgegangen wird von den Bedingungen des Geisteslebens selbst, und daß jeder, ob er Mohammedaner oder Buddhist, Jude oder Hin­duist, oder ob er Christ ist, den Christus-Impuls verstehen kann in seiner ganzen Bedeutung für die Menschheitsentwickelung. Dieses aber ist zugleich etwas, was wir im Tiefsten die ganze Anschauung und Darstellung des Paulus durchdringen sehen, und in dieser Be­ziehung ist Paulus eben durchaus die tonangebende Persönlichkeit für die erste Verkündigung des Christus-Impulses in der Welt.

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Wenn wir dargestellt haben, wie die Sankhyaphilosophie sich mit dem Formenwandel, mit demjenigen befaßt, was sich auf Prakriti bezieht, so durften wir sagen: Paulus handelt in alledem, was seinen tiefsinnigen Briefen zugrunde liegt, durchaus vom Purusha, von dem Seelischen. Über das Werden, über das Schicksal des Seelischen, wie es durch die ganze Menschheitsentwickelung hindurch sich mannig­fach entwickelnd geht, darüber finden wir bei Paulus ganz bestimmte und tiefgehende Aufschlüsse.

Da gibt es einen Grundunterschied zwischen dem, was das mor­genländische Denken noch leisten konnte und dem, was uns gleich bei Paulus in so wunderbar klarer Weise entgegentritt. Wir haben schon gestern darauf hingewiesen, daß alles bei Krishna darauf an­kommt, daß der Mensch den Weg aus dem Formenwandel heraus findet. Aber das Prakriti bleibt draußen, wie etwas der Seele Frem­des. Alles Bestreben geht dahin innerhalb dieser orientalischen Ent­wickelung, selbst innerhalb der orientalischen Einweihung, frei zu werden von dem materiellen Dasein, von dem, was da draußen als Natur sich ausbreitet. Denn das, was sich da draußen als Natur aus­breitet, es stellt sich im Sinne der Vedenphilosophie als Maja dar. Maja ist alles, was da draußen ist; frei werden von der Maja ist Yoga. Haben wir es doch dargestellt, wie gerade in der Gita verlangt wird, daß der Mensch von alledem, was er tut, verrichtet, will und denkt, woran er Lust und Genießen hat, frei werde und als Seele triumphiert über das, was eine Äußerlichkeit ist. Das Werk, das der Mensch verrichtet, soll gleichsam abfallen von ihm und so, in sich selber ruhend, in sich selber befriedigt werden. So schwebt im Grunde genommen jedem, der sich im Sinne der Krishnalehre entwickeln will, vor, dereinst so etwas zu werden wie ein Paramahamsa, das heißt ein hoch Eingeweihter, der alles materielle Dasein hinter sich läßt, der über alles triumphiert, was er selbst als seine Taten ver­richtet hat noch innerhalb dieser Sinneswelt; der in einem rein geistigen Dasein lebt, der das Sinnliche so überwunden hat, daß kein Durst mehr zur Wiederverkörperung da ist bei ihm, daß er nichts

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mehr mit alledem zu tun hat, was als sein Werk in dieses Sinnessein sich eingelebt hat. So ist es das Herauskommen aus dieser Maja, das Triumphieren über diese Maja, was uns da überall entgegentritt.

So ist es aber nicht bei Paulus. Es ist bei Paulus so, daß etwas in den tieferen Untergründen der Paulusseele, wenn ihm diese orientalische Lehre entgegentreten würde, die folgenden Worte aufkommen las­sen würde: Ja, du willst dich herausentwickeln aus alledem, was dich da draußen umgibt, was du auch da draußen jemals verrichtet hast. Das willst du alles hinter dir lassen? Ist denn das nicht alles Gottes-werk, ist denn nicht das alles, woraus du dich erheben willst, göttlich Geistgeschaffenes? Verachtest du nicht Gotteswerk, wenn du das verachtest? Lebt darin nicht überall Gottesoffenbarung, Gottesgeist? Suchtest du nicht zuerst in deinem eigenen Werk den Gott darzu­stellen, in Liebe und Glaube und Hingebung, und willst nun darüber triumphieren über das, was Gotteswerk ist?

Es wäre gut, wenn wir uns diese von Paulus zwar nicht ausgespro­chenen, aber in den Tiefen seiner Seele waltenden Worte selbst ganz tief in die Seele schreiben würden, denn darin drückt sich ein wich­tiger Nerv desjenigen aus, was wir gerade als abendländische Offen­barung erkennen. Auch im Paulinischen Sinn sprechen wir durchaus von der Maja, die uns umgibt. Wohl sprechen wir so: Überall umgibt uns Maja! Aber wir sagen: Ist denn in dieser Maja nicht Geistes-offenbarung, ist das nicht alles göttlich-geistiges Werk, ist es nicht Frevel, nicht zu verstehen, daß da überall göttlich-geistiges Werk ist? Jetzt tritt die andere Frage hinzu: Warum ist das Maja? Warum er­blicken wir Maja um uns herum? - Das Abendland bleibt nicht bei der Frage stehen, ob alles Maja ist; es fragt nach dem Warum der Maja. Da ergibt sich eine Antwort, die uns mitten ins Seelische, ins Purusha hineinführt: Weil die Seele einmal der Gewalt des Luzifer erlegen ist, sieht sie alles durch den Schleier der Maja, breitet sie als Seele den Schleier der Maja über alles aus. - Ist denn die Objektivi­tät schuld, daß wir Maja erblicken? Nein. Uns würde als Seele die Objektivität in ihrer Wahrheit erscheinen, wenn wir nicht der Gewalt

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des Luzifer erlegen wären. Uns erscheint sie bloß als Maja, weil wir nicht fähig sind, auf den Grund dessen zu schauen, was sich da ausbreitet. Das rührt davon her, daß die Seele der Gewalt des Luzifer erlegen ist, das ist nicht die Schuld der Götter, das ist die Schuld der eigenen Seele. Du Seele hast dir die Welt zur Maja gemacht dadurch, daß du dem Luzifer unterlegen bist.

Von der höchsten geisteswissenschaftiichen Fassung dieser Formel bisherunter zu dem Goethewort: «Die Sinne trügen nicht, aber das Ur-teil trügt», ist eine Linie. Und die Philister und die Zeloten mögen Goethe, mögen Goethes Christentum noch so sehr bekämpfen, er durfte doch sagen, daß er einer der allerchristlichsten Menschen ist, weil er in denTiefen seines Wesenschristlich dachte, selbst bis in diese Formel hinein: «Die Sinne trügen nicht, aber das Urteil trügt.» Die Seele ist schuld, daß das, was sie sieht, nicht in der Wahrheit, sondern als Maja erscheint. Da wird dasjenige, was im Orientalismus einfach dasteht wie eine Tat der Gotter selber, abgelenkt in die Tiefen der menschlichen Seele hinein, wo der gtoßeKampf mit Luzifer stattfindet.

So ist der Orientalismus, wenn wir ihn recht betrachten, gerade dadurch in einer gewissen Weise Materialismus, weil er die Geistig­keit der Maja nicht erkennt und hinaus will aus dem Materiellen. Eine seelische Lehre, wenn sie auch nur in den Keimen vorhanden ist und deshalb so verkannt werden kann wie in unserer Tamaszeit, ist das, was die Paulusbriefe durchpulst und was sich in Zukunft über die ganze Erde hin sichtbar verbreiten wird. Dieses von der eigen­tümlichen Natur der Maja, das muß verstanden werden, dann erst versteht man in den Tiefen das, um was es sich eben im Fortschritt der Menschheitsentwickelung handelt. Dann versteht man, was Paulus meint, wenn er von dem ersten Adam spricht, der dem Luzifer in seiner Seele erlegen ist und der deshalb immer mehr und mehr in die Materie verstrickt wurde, das heißt nichts anderes als: in ein fal­sches Erleben der Materie verstrickt wurde. Die Materie da draußen als Gottesschöpfung ist gut. Das, was da vorgeht, das ist gut. Das­jenige, was die Seele daran erlebte im Lauf der Menschheitsentwickelung,

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das wurde immer schlimmer und schlimmer, weil die Seele am Anfang der Gewalt des Luzifer erlegen war. Und Paulus nennt des­halb den Christus den zweiten Adam, weil er in die Welt getreten ist unversucht von Luzifer und daher jener Führer und Freund der Menschenseelen sein kann, der sie von Luzifer allmählich hinweg, das heißt, in ein rechtes Verhältnis zu ihm bringt.

Paulus konnte nicht alles, was er als Eingeweihter wußte, der Menschheit mitteilen in seiner Zeit. Wer aber seine Briefe auf sich wirken läßt, wird einsehen, daß sie mehr in ihren Tiefen sprechen, als was sie äußerlich zum Ausdruck bringen. Das kommt daher, daß Paulus zu einer Gemeinde sprechen mußte und mit dem Verstand der Gemeinde rechnen mußte. Daher erscheint manches in seinen Briefen wie rechter Widerspruch. Wer aber in die Tiefen dringen kann, der findet wirklich überall in Paulus die Impulse von dem Wesen des Christus.

Erinnern wir uns an dieser Stelle, wie wir selber das Ins-Leben-Treten des Mysteriums von Golgatha dargestellt haben. Wir haben ja im Lauf der Zeiten erkannt, daß deshalb zwei verschiedene Ju­gendgeschichten für den Christus Jesus im Matthäusevangelium und im Lukasevangelium vorliegen, weil wir es in der Tat mit zwei Jesus-knaben zu tun haben. Und wir haben erkannt, daß äußerlich, dem Fleische nach, ganz im Sinne des Paulus gesprochen, das heißt der physischen Abstammung nach, die beiden Jesusknaben eben aus dem Geschlecht des David herrühren, daß der eine aus der nathanischen und der andere aus der salomonischen Linie stammen, daß also zwei Jesusknaben um ungefähr die gleiche Zeit geboren werden. In dem einen Jesusknaben, in dem des Matthäusevangeliums, finden wir den Zarathustra wiederum inkarniert, und wir haben es betont, wie in dem anderen Jesusknaben, den uns das Lukasevangelium schildert, ein solches menschliches Ich eigentlich nicht enthalten ist, wie es vor allen Dingen in einem Menschen vorhanden ist, wie es der andere Jesusknabe ist, in dem ein so hochentwickeltes Ich lebt wie das Zarathustra-Ich. In dem Lukas-Jesusknaben, da lebt eigentlich das

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von dem Menschen, was nicht eingegangen ist in die menschliche Entwickelung der Erde.

Es ist ein wenig schwierig, hier auf diesem Punkt zu einer richtigen Vorstellung zu kommen. Allein man versuche es nur einmal sich vor­zustellen, wie sozusagen die Seele, die in Adam verkörpert war, also in dem, der als Adam bezeichnet werden kann im Sinne meiner «Ge­heimwissenschaft», wie diese Seele der Versuchung des Luzifer un­terliegt, die symbolisch in der Bibel durch den Sündenfall im Para­diese dargestellt wird. Man stelle sich das vor. Dann stelle man sich dazu vor, daß neben jenem Menschenseelentum, das sich in dem Adamsleib inkarnierte, zurückbleibt ein Menschentum, eine Men­schenwesenheit, die sich damals nicht verkörpert, die nicht in einen physischen Leib eindringt, sondern die seelenhaft bleibt. Sie brauchen sich ja nur vorzustellen, daß man es, bevor innerhalb der Mensch­heitsentwickelung ein physischer Mensch entstand, zu tun hat mit einer Seele, die sich dann in zwei teilte. Der eine Teil, der eine Nach­komme der gemeinsamen Seele, verkörpert sich in Adam, und da­durch geht diese Seele in die Inkarnation hinein, unterliegt dem Luzi­fer und so weiter. Für die andere Seele, gleichsam für die Schwester­seele, wird von der weisen Weltenregierung vorausgesehen, daß es nicht gut ist, wenn sie sich auch verkörpert. Sie wird zurückbehalten in der seelischen Welt; sie lebt also nicht in den Menschheits-Inkar-nationen, sondern wird zurückbehalten. Mit ihr verkehren nur die Eingeweihten der Mysterien. Diese Seele nimmt also auch nicht wäh­rend dieser Evolution vor dem Mysterium von Golgatha das Ich-Er­lebnis in sich auf, weil dieses ja erst durch das Einkörpern in den Menschenleib erlebt wird. Deshalb hat aber diese Seele doch alle Weisheit, die erlebt werden konnte durch Saturn-, Sonnen- und Mon­denzeit, es hat diese Seele alle Liebe, deren eine Menschenseele fähig werden kann. Diese Seele bleibt also gleichsam unschuldig gegen­über all der Schuld, die die Menschheit in sich bringen kann im Ver­lauf der Inkarnationen der Menschheitsentwickelung. Diese Seele ist also eine solche, der man äußerlich nicht als Mensch begegnen

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konnte, sondern die nur von den alten Heilsehern wahrgenommen werden konnte. Von denen wurde sie auch wahrgenommen. Sie ver­kehrte sozusagen in den Mysterien. Und so haben wir eine solche Seele, man könnte sagen, innerhalb und doch oberhalb der Mensch­heitsentwickelung, die zunächst nur geistig wahrgenommen werden konnte, ein Vormensch, ein wirklicher Übermensch.

Diese Seele war es, welche statt eines Ich inkarniert wurde in dem Jesusknaben des Lukasevangeliums. Sie erinnern sich an die Basler Vorträge. Da ist das schon dargestellt worden. Also wir haben es mit einer bloß Ich-ähnlichen Seele zu tun, die durchaus natürlich, als sie in den Körper des Jesus eindringt, wie ein Ich wirkt; aber alles das, was sie darstellt, ist doch anders wie ein anderes gewöhnliches Ich. Ich habe schon betont, daß der Knabe des Lukasevangeliums gleich in einer seiner Mutter verständlichen Sprache reden konnte, als er zur Welt kam; und anderes Ähnliches zeigte sich an ihm. Wir wissen dann, daß der Matthäus-Jesusknabe, in dem das Zarathustra-Ich lebte, bis zum zwölften Jahr heranwuchs; heranwuchs auch dieser Lukas-Jesusknabe, der keine besondere menschliche Erkenntnis und Wissenschaft hatte, sondern der göttliche Weisheit und göttliche Opferfähigkeit in sich trug.

So wuchs er heran, der Lukas-Jesusknabe, zeigte sich nicht beson­ders begabt für das, was man äußerlich menschlich lernen kann. Dann wissen wir ja weiter, daß der Körper des Matthäus-Jesusknaben von dem Zarathustra-Ich verlassen wurde und im zwölften Jahr des Lukas-Jesusknaben das Zarathustra-Ich Besitz vom Körper des Lu­kas-Jesusknaben nahm. Das ist der Moment, der dadurch ange­deutet wird, daß erzählt wird von dem zwölfjährigen Jesusknahen des Lukasevangeliums, daß er vor den Weisen des Tempels lehrend auf­tritt, als ihn seine Eltern verloren haben.

Dann wissen wir weiter, daß dieser Lukas-Jesusknabe jetzt das Zarathustra-Ich in sich trägt bis in sein dreißigstes Jahr hinein, daß da das Zarathustra-Ich den Körper des Lukas-Jesus verläßt und daß von alledem, was jetzt Hüllennatur ist, der Christus Besitz ergreift,

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Christus, der ein übermenschliches Wesen der höheren Hierarchien ist und der nur unter solchen Umständen überhaupt in einem menschlichen Leibe wohnen konnte, daß ihm ein Leib dargebracht wurde, der, sagen wir, erst durchsetzt war bis zum zwölften Lebensjahre von den vor­menschlichen Weisheitskräften, von den vormenschlichen göttlichen Liebekräften, dann durchflossen und durchströmt wurde von all dem, was durch das Zarathustra-Ich in vielen Inkarnationen durch Einwei­hungen erworben worden war. Man bekommt vielleicht durch nichts so sehr die richtige Achtung, die richtige Ehrfurcht, kurz überhaupt das richtige Gefühl gegenüber dem Christus-Wesen, als wenn man ver­sucht zu verstehen, was für eine Leiblichkeit notwendig war, damit die­ses Christus-Ich überhaupt in die Menschheit hereinkommen konnte. Es haben manche in dieser Darstellung, die aus den heiligen Myste­rien der neueren Zeit über diese Christus-Wesenheit gegeben wird, gefunden, daß diese Christus-Wesenheit dadurch sozusagen weniger intim und menschlich erscheine als der Christus Jesus, den viele ver­ehrt haben in der Weise wie man sich ihn vielfach vorgestellt hat:

familiär, dem Menschen naheliegend, in einem gewöhnlichen menschlichen Leibe verkörpert, dem nicht innewohnte so etwas wie ein Zarathustra-Ich. Man hat unserer Lehre vorgeworfen, daß der Christus Jesus aus Kräften von allen Gebieten der Welt heraus zu­sammengesetzt wurde. Solche Vorwürfe rühren nur von der Be­quemlichkeit des menschlichen Erkennens her, des menschlichen Füh­lens, das sich nicht hinauf erheben will zu den wirklichen Höhen des Empfindens und Fühlens. Das Größte muß auch so erfaßt wer­den, daß sich unsere Seele im höchsten Maße anstrengt, um zu jener inneren Intensität des Fühlens und Empfindens zu kommen, die not-wendig ist, um das Größte, das Höchste einigermaßen unserer Seele nahezubringen. So wird die erste Empfindung nur erhöht, wenn wir sie in solchem Licht betrachten.

Noch eins wissen wir. Wir wissen, wie wir die Worte des Evange­liums zu deuten haben: «Es offenbaren sich die Gotteskräfte in den Höhen, und Friede breitet sich aus unter den Menschen, die eines

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guten Willens sind.» Wir wissen, daß sie, die Botschaft des Friedens und der Liebe, ertönt, als der Lukas-Jesusknabe erscheint, dadurch daß sich in den astralischen Leib des Lukas-Jesuskriaben der Buddha hineinmischt, der dazumal schon in einer Wesenheit war, die ihre letzte Inkarnation als Gautama Buddha durchgemacht hatte und zur vollenGeistigkeit aufgestiegen war; so daßim astralischen Leib des Lu­kas-Jesusknaben der Buddha sich offenbarte, wie er fortgeschritten war bis zu dem Erscheinen des Mysteriums von Golgatha auf Erden.

So haben wir die Wesenheit des Christus Jesus vor uns hingestellt, wie sie sozusagen erst heute aus den Grundlagen der Geheimwissen­schaft heraus der Menschheit gegeben werden kann. Paulus, obzwar ein Eingeweihter, mußte mit leichter begreiflichen Begriffen für die damalige Zeit sprechen; er hätte nicht eine Menschheit voraussetzen können, die solche Begriffe, wie wir sie heute an die Herzen heran-bringen können, schon hätte verstehen können. Aber das, was seine Inspiration ausmachte, das war ja durch seine durch Gnade bewirkte Einweihung bewirkt. Weil er nicht zu dieser in regelrechter Schulung in alten Mysterien gekommen war, sondern durch Gnade auf dem Wege nach Damaskus, wo ihm der auferstandene Christus erschienen war, deshalb nenne ich diese Einweihung eine durch Gnade bewirkte Einweihung. Aber er war dieser Damaskus-Erscheinung so gegen­übergetreten, daß er durch sie wußte: Ja, es lebt mit der Erdensphäre verbunden seit dem Mysterium von Golgatha das, was auferstanden ist im Mysterium von Golgatha. Er erkannte den auferstandenen Christus. Den verkündete er von da ab. Warum konnte er ihn gerade so sehen, wie er ihn gesehen hat?

Da muß man ein wenig auf die Art einer solchen Vision, einer sol­chen Manifestation eingehen, wie die von Damaskus war; denn sie war doch eine Vision, eine Manifestation ganz besonderer Art. Nur die Mcnschen, die niemals etwas von okkulten Tatsachen wirklich lernen wollen, können alles Visionäre einfach durcheinander werfen und nicht unterscheiden wollen so etwas wie die Paulus-Vision von mancher anderen Vision, wie sie bei späteren Heiligen aufgetreten

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ist. Wie es zum Beispiel der Verfasser der «Botschaft des Friedens» macht, der zu jenen Menschen gehört, die eben niemals wirklich etwas über okkulte Tatsachen lernen wollen.

Was war das eigentlich, warum konnte Paulus den Christus in jener Art wahrnehmen, wie er ihm vor Damaskus erschienen ist? Warum war darin für Paulus die Gewißheit enthalten: Das ist der auferstandene Christus? Diese Frage führt uns auf eine andere Frage zurück: Was war da notwendig, damit vollends die ganze Christus­Wesenheit bei jenem Ereignis, das uns als Johannistaufe irnJordan an-gedeutet wird, in den Jesus von Nazareth hineinsteigen konnte? -Nun, wir haben es gerade gesagt, was notwendig war, um jene Leib­lichkeit zu bereiten, in welche die Christus-Wesenheit hinuntersteigen sollte. Was war aber nötig, daß der Auferstandene so dicht seelisch erscheinen konnte, wie er dem Paulus erschienen ist? Was war denn sozusagen jener Lichtschein, in dem der Christus dem Paulus vor Da­maskus erschienen ist? Was war das? Woher war das genommen?

Wenn wir uns diese Frage beantworten wollen, dann müssen wir einiges ergänzend zu dem hinzufügen, was ich eben vorhin gesagt habe. Ich habe Ihnen gesagt: Es war gleichsam eine Schwesterseele der Adamseele da, die da in die menschliche Generationsfolge hin­eingegangen ist. Diese Schwesterseele ist in der seelischen Welt ge­blieben. Diese Schwesterseele war es auch, die in dem Lukas-Jesus­knaben inkarniert war. Aber sie war dazumal nicht im strengen Sinn des Wortes zum erstenmal wie ein physischer Mensch inkarniert, sondern sie war vorher prophetisch inkarniert einmal schon. Früher wurde auch schon diese Seele verwendet wie ein Bote der heiligen Mysterien. Ich habe Ihnen gesagt: Sie verkehrte in den Mysterien, wurde sozusagen in den Mysterien gehegt und gepflegt, wurde hin­ausgeschickt da, wo es Wichtiges in der Menschheit gab. Aber sie konnte nur als Erscheinung im ätherischen Leibe da sein, konnte da­her im strengen Sinn nur wahrgenommen werden so lange, als das alte Hellsehen da war. Aber das war ja in früheren Zeiten vorhan­den. Da brauchte also diese alte Schwesterseele des Adam nicht bis

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zum physischen Leibe zu kommen, damit man sie hätte sehen können. So erschien sie denn auch wirklich, von den Impulsen der Mysterien gesandt, wiederholt innerhalb der Menschheitsentwickelung der Erde, immer, wenn wichtige Dinge in der Erdenentwickelung zu tun waren. Aber sie brauchte sich ja nicht zu verkörpern in alten Zeiten, weil Hellsichtigkeit da war.

Sie brauchte sich zum ersten Male zu verkörpern, als gerade die Hellsichtigkeit überwunden werden sollte beim Übergang der Menschheitsentwickelung vom dritten ins vierte nachatlantische Zeit­alter, wovon wir gestern gesprochen haben. Da nahm sie gleichsam eine Ersatzverkörperung an, eine Verkörperung, um sich geltend machen zu können in der Zeit, wo nicht mehr Hellsichtigkeit da war. Diese Schwesterseele des Adam war verkörpert im Krishna sozusagen das einzige Mal, wo sie erscheinen mußte, um auch physisch sichtbar zu werden, und dann wiederum wurde sie im Lukas-Jesusknaben ver­körpert. So daß wir nun begreifen, warum der Krishna so über-menschlich redet, warum er der beste Lehrer für das menschliche Ich ist, warum er sozusagen eine Überwindung des Ich darstellt, warum er so seelisch erhaben erscheint: Weil er als der Mensch erscheint in jenem erhabenen Augenblick, den wir vor ein paar Tagen vor unsere Seele treten ließen, als der Mensch, der noch nicht untergetaucht ist in die menschlichen Inkarnationen.

Dann erscheint er wiederum, um im Lukas-Jesusknaben verkörpert zu sein. Daher jene Vollkommenheit, die zustande kommt, als sich die bedeutendsten Weltanschauungen Asiens in dem zwölfjährigen Jesusknaben, das Zarathustra-Ich mit dem Krishnageist, verbinden. Es spricht zu den Lehrern im Tempel nun nicht nur der Zarathustra

- der spricht als Ich -, er spricht mit den Mitteln, mit denen einst­mals der Krishna den Yoga verkündet hat; er spricht über einen Yoga, der wiederum eine Stufe in die Höhe gehoben ist; er vereinigt sich mit der Krishna-Kraft, mit dem Krishna selber, um bis zum drei­ßigsten Jahre heranzuwachsen. Und dann erst haben wir jene voll­ständige Leiblichkeit, die in Besitz genommen werden kann von dem

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Christus. So fließen die geistigen Strömungen der Menschheit zu­sammen. So haben wir wirklich, da das Mysterium von Golgatha ge­schieht, ein Mitwirken der bedeutendsten Führer der Menschheit, eine Synthesis des Geisteslebens.

Als Paulus seine Erscheinung vor Damaskus hat, da ist dasjenige, was ihm erscheint, der Christus. Der Lichtschein, in den sich der Christus kleidet, ist der Krishna. Und weil der Christus den Krishna zu seiner eigenen Seelenhülle genommen hat, durch die er dann fort-wirkt, ist enthalten in dem, was aufstrahlt, ist in dem Christus auch alles das, was einstmals Inhalt der erhabenen Gita war.

Wir finden so vieles, wenn auch im Einzelnen zerstreut, in den testamentlichen Offenbarungen von der alten Krishna-Lehre. Diese alte Krishna-Lehre ist aber dadurch eine Sache der ganzen Menschheit geworden, weil der Christus nicht als solcher ein menschliches Ich ist und der Menschheit angehört, sondern den höheren Hierarchien. Da­mit aber auch gehört wiederum der Christus jenen Zeiten an, in denen der Mensch noch nicht von dem getrennt war, was jetzt als materielles Sein ihn umgibt und was sich für ihn durch seine eigene luziferische Versuchung in Maja hüllt. Blicken wir in die ganze Ent­wickelung zurück, so finden wir, wie in jenen alten Zeiten noch nicht jene strenge Trennung vorhanden ist zwischen dem Geistigen und Materiellen, wie da das Materielle noch geistig, das Geistige -wenn wir so sagen dürfen - noch äußerlich sich offenbarend ist. Da-durch, daß in dem Christus-Impuls an die Menschheit etwas heran-tritt, was eine solche strenge Scheidung, wie sie in der Sankhya­philosophie zwischen Purusha und Prakriti uns entgegentritt, ganz ausschließt, wird der Christus der Führer der Menschen aus sich her­aus, aber auch zur Gottesschöpfung. Dürfen wir dann sagen, wir müssen unbedingt die Maja verlassen, wenn wir erkannt haben, daß uns die Maja als gegeben erscheint durch unsere Schuld? Nein, denn das wäre Lästerung des Geistes in der Welt; das hieße Eigenschaften der Materie zuschreiben, die wir ihr selber mit dem Schleier der Maja auferlegen. Hoffen müssen wir vielmehr, daß, wenn wir in uns

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dasjenige überwinden, was uns die Materie zur Maja macht, wir wieder versöhnt werden mit der Welt.

Tönt uns denn nicht herüber von dieser Welt, die uns umgibt, daß sie eine Schöpfung der Elohim ist, und daß diese Elohim am letzten Schöpfungstage fanden: Und siehe da, alles war sehr gut - ? Das wäre das Karma, das sich erfüllen würde, wenn es nur eine Krishna­Lehre gäbe, denn nichts bleibt in der Welt, ohne daß sich sein Karma erfüllt. Würde es nur eineKrishna-Lehre in alle Ewigkeit geben, dann würde dem materiellen Sein der Umgebung, der Gottesoffenbarung, von der die Elohim am Ausgangspunkt der Erdenentwickelung sag ten: Und siehe da, alles war sehr gut -, dann würde dieser Gottes-offenbarung von Menschenurteil entgegengetreten werden: Sie ist nicht gut, ich muß sie verlassen! - Das Menschenurteil wäre über das Gottesurteil gestellt. Das ist es, daß wir verstehen lernen müssen die Worte, die als ein Geheimnis am Ausgangspunkt der Entwickelung stehen. Das ist es, daß wir nicht Menschenurteil über Gottesurteil setzen. Wenn überall alles, was an Schuld an uns haften könnte, je­mals von uns fallen könnte und die eine Schuld verbliebe, daß wir die Schöpfung der Elohim verlästern - es müßte sich das Erden­karma erfüllen und alles müßte in der Zukunft auf uns stürzen. So müßte sich das Karma erfüllen.

Daß das nicht geschehe, dazu ist der Christus erschienen in der Welt, um uns so mit der Welt zu versöhnen, daß wir die Ver­suchungskräfte gegenüber Luzifer überwinden lernen, daß wir den Schleier durchdringen lernen, daß wir die Gottesoffenbarung in wahrer Gestalt sehen, daß wir den Christus als den Versöhner finden, der uns in die wahre Gestalt der Gottesoffenbarung einführt, daß wir durch ihn das uralte Wort verstehen lernen: Und siehe da, es ist sehr gut. - Damit wir uns zuschreiben lernen das, was wir der Welt nimmermehr zuschreiben dürfen, dazu brauchen wir den Christus. Und könnten alle anderen Sünden von uns genommen werden - diese Sünde mußte durch ihn von uns genommen werden.

Dies in ein moralisch es Gefühl verwandelt, das gibt wiederum den

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Christus-Impuls von einer neuen Seite. Das zeigt uns zugleich, warum die Notwendigkeit vorlag, daß der Christus-Impuls wie die höhere Seele sich umhüllte mit dem Krishna-Impuls.

Meine lieben Freunde, nicht allein will eine solche Auseinander­setzung, wie sie in diesem Zyklus beabsichtigt war, bloß als eine Theorie genommen werden, als eine Summe von Begriffen und Ideen, die wir aufnehmen, sondern genommen werden soll sie als eine Art Neujahrsgabe, als eine Gabe, die in unser neues Jahr hinein-wirken und von diesem aus fortwirken soll als das, was man emp­finden kann durch das Verständnis des Christus-Impulses, insofern uns dieser die Worte der Elohim begreiflich macht, die wir ver­stehen müssen, wie sie uns erklingen am Ausgangspunkt, am Ur­beginne unserer Erdenschöpfung. Und betrachten Sie das, was beab­sichtigt worden ist, zugleich als den Ausgangspunkt unserer anthro­posophischen Geistesströmung. Anthroposophisch soll diese Geistes-strömung auch aus dem Grunde sein, weil durch sie immer mehr und mehr erkannt werden soll, wie der Mensch in sich zur Selbsterkennt­nis kommen kann. Noch nicht kann der Mensch zur vollen Selbst­erkenntnis, noch nicht kann Anthropos zur Erkenntnis von Anthro­pos kommen, Mensch zur Erkenntnis von Mensch, solange dieser Mensch dasjenige, was er in seiner eigenen Seele auszumachen hat, wie eine Angelegenheit zwischen ihm und der äußeren Natur spie­lend betrachtet.

Daß wir die Welt in Maja getaucht schauen, das ist eine An­gelegenheit, die uns die Götter zubereitet haben, das ist eine Ange­legenheit unserer Seele selber, eine Angelegenheit höherer Selbst­erkenntnis, das ist eine Angelegenheit, die der Mensch in seinem Menschtum drinnen selber erkennen muß, das ist eine Angelegen­heit der Anthroposophie, durch die wir erst zur Empfindung dessen kommen können, was Theosophie dem Menschen sein kann. Eine Bescheidenheit höchster Art muß es sein, was der Mensch als einen Impuls empfindet, wenn er sich vornimmt, der anthroposophischen Bewegung anzugehören, eine Bescheidenheit, die sich sagt: Wenn ich

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das überspringen will, was eine Angelegenheit der Menschenseele ist, und gleich den höchsten Schritt ins Göttliche hinein tun will, dann kann mir sehr leicht die Demut entschwinden, dann karin sehr leicht der Hochmut an Stelle der Demut treten, dann kann leicht die Eitel­keit sich einstellen. - Möge die anthroposophische Gesellschaft auch ein Ausgangspunkt auf diesem höheren moralischen Gebiete sein; möge sie vor allem das, was so leicht in die thensophische Bewegung an Hochmut, Eitelkeit, Ehrgeiz, an Unernst im Hinnehmen dessen sich eingeschlichen hat, was die höchsten Weisheiten sind, möge die anthroposophische Gesellschaft das vermeiden dadurch, daß sie an ihrem Ausgangspunkt schon das betrachtet, was mit der Maja aus­zumachen ist, als eine Angelegenheit dieser Menschenseele selber.

Man sollte fühlen, daß die anthroposophische Gesellschaft ein Er­gebnis tiefster menschlicher Bescheidenheit sein soll. Denn aus dieser Bescheidenheit wird quellen der höchste Ernst gegenüber den heili­gen Wahrheiten, in die sie eindringen soll, wenn wir uns auf dieses Gebiet des Übersinnlichen, des Spirituellen begeben. Fassen wir da­her die Aufnahme des Namens «Anthtoposophische Gesellschaft» in wahrer Bescheidenheit, in wahrer Demut auf und sagen wir uns:

Was noch an Unbescheidenheit, an Eitelkeit und Ehrgeiz, an Un-wahrhaftigkeit der Name Theosophie hat bew'irken können, das möge ausgetilgt werden, wenn man - im Zeichen und unter der Devise der Bescheidenheit - beginnt, bescheiden hinaufzusehen zu Göttern und Götterweisheit, dafür aber pflichtgemäß ergreift den Menschen und Menschenweisheit; wenn man sich andachtsvoll der Theosophie nähert und pflichtgemäß sich in die Anthroposophie versenkt. Diese Anthroposophie wird uns zu Göttlichem und zu Göttern führen. Und wenn wir durch sie im höchsten Sinne demütig und wahr in uns selber zu schauen lernen, und wenn wir vor allen Dingen lernen in uns selber zu schauen, wie wir ringen müssen gegen­über aller Maja und gegenüber allem Irrtum in strenger Selbster-ziehung und Selbstzucht, so stehe über uns wie in eine eherne Tafel eingeschrieben: Anthroposophie! Und das sei uns eine Mahnung,

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daß wir vor allen Dingen durch sie Selbsterkenntnis suchen, Selbst­bescheidung, und daß wir auf diese Weise den Versuch unternehmen können, ein Gebäude zu errichten, das auf Wahrheit begründet ist, weil Wahrheit nur erblüht, wenn Selbsterkenntnis mit höchstem Ernst in der menschlichen Seele sich festsetzt. Woraus stammt alle Eitelkeit, woraus stammt alle Unwahrhaftigkeit? Sie stammen aus Ermangelung der Selbsterkenntnis. Woraus nur kann Wahrheit sprießen, woraus nur kann echte Andacht gegenüber Götterwelten und Götterweisheiten sprießen? Sie können nur aus wirklicher Selbst­erkenntnis, Selbsterziehung, Selbstzucht sprießen. Dazu möge denn das, was da strömen und pulsieren soll durch die anthroposophische Bewegung, dienen. Aus diesem Grunde ist auch an den Ausgangs­punkt dieser anthroposophischen Bewegung gerade dieser Vortrags­zyklus gesetzt worden, der den Beweis liefern soll, daß es sich nicht um etwas Enges handelt, sondern daß wir gerade mit unserer Be­wegung unseren Horizont ausdehnen können über jene Weiten, die auch das morgenländische Denken erfassen. Aber demütig erfassen wir es in anthroposophischer Weise und selbsterziehend und den Willen in uns aufnehmend zur Selbsterziehung und zur Selbstzucht. Wenn Anthroposophie, meine lieben Freunde, von Ihnen so unter­nommen wird, dann wird sie zu dem gedeihlichen Ende führen, wird ein Ziel erreichen, das jedem Einzelnen und jeglicher menschlichen Gesellschaft zum Heil gereichen kann.

Damit sei das Wort gesprochen, das das letzte dieses Vortrags-zyklus sein soll, von dem aber vielleicht doch mancher etwas in die folgenden Zeiten in seiner Seele mitnehmen kann, so daß es frucht­bar werde innerhalb unserer anthroposophischen Bewegung, für die Sie, meine lieben Freunde, in diesen Tagen sozusagen zuerst ver­sammelt waren. Mögen wir immer in dem Zeichen der Anthropo­sophie so versammelt sein, daß wir uns mit Recht auf Worte berufen können, wie wir sie zum Schluß jetzt nennen wollten, auf Worte der Bescheidung, auf Worte der Selbsterkenntnis, wie wir sie jetzt als ein Ideal eben in diesem Augenblick vor unsere Seele stellen durften.

AUS DEM VORWORT ZUR ERSTEN BUCHAUSGABE von Marie Steiner

#G142-1960-SE132 - Die Bhagavad Gita und die Paulusbriefe

#TI

AUS DEM VORWORT ZUR ERSTEN BUCHAUSGABE

von Marie Steiner

#TX

«Zu Weihnachten 1912 fand in Köln der erste offizielle Zusammenschluß der­jenigen Anhänger einer theosophischen Geistesrichtung statt, die nicht gewillt waren in eine dogmatisierende indische Strömung unterzutauchen, sondern, mit den Errungenschaften des Geisteslebens der neueren Zeit und dem radikalen Einschlag rechnend, der dem Erdgeschehen durch das Chriatus-Ereignis gegeben worden war, nur eine solche geistige Schulung für das Abendland anerkennen konnten, die dem Entwickelungazuatand der heutigen europäischen Menschheit angemessen ist. Sie er­kannten in Rudolf Steiner den Geistesforacher und Denker, der allen Ansprüchen der modernen Wissenschaft gewachsen war, der die Zusammenhänge des histo­rischen Geschehens erfaßt hatte wie noch niemand vor ihm, und dessen Darlegungen über das Menschenwesen Tataachenzusammenhänge aufdeckten, die ihre eigene Sprache sprachen, nicht aufoktroyierte Lehren waren. ,Anthroposophie' hatte er seine Menachenkunde von jeher genannt. Und diesen Namen wählten nun die in Köln versammelten Anhänger einer auf geistgemäße Menschenkunde aufgebauten Wissen­schaft, die sich der Erkenntnis des Göttlichen nähern wollte, indem sie den gött­lichen Keim im Menschen, - sein Ich, - zu erfassen strebten. ..

Als Rudolf Steiner der Theosophischen Gesellschaft dasjenige brachte, was ihr gefehlt hatte, und sie über ihr früheres Niveau emporhob, erschraken gewisse im-pulsierende Mächte, welche die sonst niedergehende Bewegung zu ihrem Werkzeug hatten umbilden wollen und nun ihre Sonderzwecke gefährdet sahen. Denn nicht die Synthese von morgenländischer und abendländischer Weisheit zu allgemeiner Menschenförderung war ihr Ziel, sondern die Galvanisierung des ertöteten euro­päischen Geisteslebens mit vorchristlicher Weisheit.

Nun war einer da, der neues Leben brachte aus den Tiefen der christlichen Eao­terik' der Synthese von morgenländischem und abendländischem Denken, von ver­gangener und Zukunftaweisheit.

Dies mußte unterdrückt werden.

Und da wurde für die in der Seele der Europäer neu erwachende Christuasehn­sucht ein Gegenbild aufgestellt. Ein Mensch aus Fleisch und Blut. Ein Knabe noch, mit dem Reiz der Exotik, ein Hindu, der für die Rolle des Messias dressiert werden sollte. Die Beschreibung des weiteren Krishnamurti-Humbugs an dieser Stelle möchte ich dem Leser ersparen. Was die Reklame ersinnen kann, hat sie getan, um ihn zu lancieren. Mit diplomatischen Künsten, mit Bitten, List und Drohungen wurde in die theosophischen Sektionen hinein gearbeitet, um sie der neuen Absicht gefügig zu machen. In Scharen traten Mitglieder in den verschiedenen Ländern aus. Die deutsche Sektion protestierte mit Nachdruck als geschlossene Gesamtheit. Es kam zu ihrem Ausschluß aus der Theosophical Society. Das äußere Band mit dieser Gesellschaft war nun auch zerrissen. Die Arbeit für die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft ging in Europa in derselben Weise weiter. Schon einige Jahre vorher hatte Rudolf Steiner die völlige Selbständigkeit und Unabhängigkeit seiner Arbeit von jeder theoaophiachen Leitung zur Bedingung eines weiteren äußeren Zusammengehens gemacht. Jetzt wurde der anthroposophische Bund, an dem sich auch viele Ausländer beteiligten, welche die neue Phase der Entwickelung der Theoaophischen Gesellschaft nicht mitmachen konnten, in die Form einer selb­ständigen Gesellschaft übergeführt.

Es war in den letzten Dezembertagen des Jahres 1912, als in Köln die letzten Beratungen über diese Frage gepflegt wurden. Da wählte Rudolf Steiner als Thema für den Vortragazyklus, den er in Köln vor den versammelten Anthroposophen hielt, das Thema: ,Die Bhagavad Gita und die Paulusbriefe'.»

HINWEISE

#G142-1960-SE133 - Die Bhagavad Gita und die Paulusbriefe

#TI

HINWEISE

#TX

Zu Seite

10 in meinem Basler und Münchener Vortragszyklus:

«Das. Markus-Evangelium», Basel 1912. Rudolf Steiner Gesamtausgabe 1960

Lebensdunkel», München 1912. Rudolf Steiner Gesamtausgabe 1959

12

13 den schönen Ausspruch: Wilhelm von Humboldt, Brief an Schlegel vom

21. Juni 1823 und Brief an Gentz vom 1. März 1828

14 Kapiln: Begründer des Sankhya-Systems, der zwischen 800 und 550 vor Christus gelebt haben soll

Patanjali: lebte wahrscheinlich im 2. Jahrhundert vor Christus

22 in meiner

23 Veden-Zitat: Rigveda X, 129. Das bekannte Schöpfungslied

24 in meiner Schrift:

27

32 Shankaracharya: 788-820 nach Christus. Refoxinator der Veden und des sonstigen indischen Wissens

44 die Einteilung der menschlichen Wesenheit: Aristoteles

45 wenn er von Licht und Finsternis in den Farben spricht: Aristoteles <Über die sinnlichen Wahrnehmungen», kleine naturwissenschaftliche Schriften

47 der Jesuit Joseph Dahlmann:

1861-1930. Über das Verhältnis der Sankhyalehre zu den anderen geistigen Strömungen, vergleiche sein Buch

49 «Blut ist ein ganz besonderer Saft»: Siehe Hinweis zu Seite 24

#SE142-134

Zu Seite

71 der wahrhaft von sich sagen kann: Vgl. die Vesse 20-39 des 10. Gesanges

72 «Die Götter schau ich all ..»: 11. Gesang, Vem 15 ff.

Dies und die anschließenden Zitate lehnen sich frei an die Übersetzung von Leopold von Schroeder an (neu erschienen im Engen Dieduich' Verlag, Düssel­dorf / Köln, 1955)

82

92 Da kommen wir an jene Stelle: Anfang des 15. Gesanges

99 «Blut ist ein ganz besonderer Saft»: Siehe Hinweis zu Seite 24

109 wo Paulus an die Korinth er schreibt:

Brief an die Korinther, 12. und 13. Kapitel. Im 12. Kapitel lehnt sich Rudolf Steiner an die Übersetzung von Weizsicker an. Das 13. Kapitel ist eine freie Übertragung von Rudolf Steiner

119 zu dem Goethewort: Goethe,

120 zwei verschiedene Jugendgeschichten:

Siehe dazu auch: Rudolf Steiner,

122 an die Basler Vorträge:

«Das Lukas-Evangelium» (1909). Rudolf Steiner Gesamtausgabe 1955

125 der Verfasser der «Botschaft des Friedens»:

Dr. Wilhelm Hübbe-Schleiden (1846-1916). Vergleiche über ihn

128 und daß diese Elohim: Siehe das erste Buch Mose, I, 31

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.