GA 23

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RUDOLF STEINER

SCHRIFTEN



DIE KERNPUNKTE
DER SOZIALEN FRAGE

in den Lebensnotwendigkeiten der
Gegenwart und Zukunft



GA 23

1976

Inhaltsverzeichnis


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VORREDE UND EINLEITUNG ZUM 41. BIS 80. TAUSEND DIESER SCHRIFT

Die Aufgaben, welche das soziale Leben der Gegenwart stellt, muß derjenige verkennen, der an sie mit dem Gedanken an irgendeine Utopie herantritt. Man kann aus gewissen Anschauungen und Empfindungen den Glauben haben, diese oder jene Einrichtungen, die man sich in seinen Ideen zurechtgelegt hat, müsse die Menschen beglücken; dieser Glaube kann überwältigende Überzeugungskraft annehmen; an dem, was gegenwärtig die «soziale Frage» bedeutet, kann man doch völlig vorbeireden, wenn man einen solchen Glauben geltend machen will.

Man kann heute diese Behauptung in der folgenden Art bis in das scheinbar Unsinnige treiben, und man wird doch das Richtige treffen. Man kann annehmen, irgend jemand wäre im Besitze einer vollkommenen theoretischen «Lösung» der sozialen Frage, und er könnte dennoch etwas ganz Un­praktisches glauben, wenn er der Menschheit diese von ihm ausgedachte «Lösung» anbieten wollte. Denn wir leben nicht mehr in der Zeit, in welcher man glauben soll, auf diese Art im öffentlichen Leben wirken zu können. Die Seelenverfassung der Menschen ist nicht so, daß sie für das öffentliche Leben etwa einmal sagen könnten: Da seht einen, der versteht, welche sozialen Einrichtungen nötig sind; wie er es meint, so wollen wir es machen.

In dieser Art wollen die Menschen Ideen über das soziale Leben gar nicht an sich herankommen lassen. Diese Schrift, die nun doch schon eine ziemlich weite Verbreitung gefunden

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hat, rechnet mit dieser Tatsache. Diejenigen haben die ihr zugrunde liegenden Absichten ganz verkannt, die ihr einen utopistischen Charakter beigelegt haben. Am stärksten haben dies diejenigen getan, die selbst nur utopistisch den­ken wollen. Sie sehen bei dem andern, was der wesent­lichste Zug ihrer eigenen Denkgewohnheiten ist.

Für den praktisch Denkenden gehört es heute schon zu den Erfahrungen des öffentlichen Lebens, daß man mit einer noch so überzeugend erscheinenden utopistischen Idee nichts anfangen kann. Dennoch haben viele die Empfindung, daß sie zum Beispiele auf wirtschaftlichem Gebiete mit einer solchen an ihre Mitmenschen herantreten sollen. Sie müssen sich davon überzeugen, daß sie nur unnötig reden. Ihre Mitmenschen können nichts anfangen mit dem, was sie vorbringen.

Man sollte dies als Erfahrung behandeln. Denn es weist auf eine wichtige Tatsache des gegenwärtigen öffentlichen Lebens hin. Es ist die Tatsache der Lebensfremdheit dessen, was man denkt gegenüber dem, was zum Beispiel die wirt­schaftliche Wirklichkeit fordert. Kann man denn hoffen, die verworrenen Zustände des öffentlichen Lebens zu bewältigen, wenn man an sie mit einem lebensfremden Denken herantritt?

Diese Frage kann nicht gerade beliebt sein. Denn sie veranlaßt das Geständnis, daß man lebensfremd denkt. Und doch wird man ohne dieses Geständnis der «sozialen Frage» auch fern bleiben. Denn nur, wenn man diese Frage als eine ernste Angelegenheit der ganzen gegenwärtigen Zivilisation behandelt, wird man Klarheit darüber erlangen, was dem sozialen Leben nötig ist.

Auf die Gestaltung des gegenwärtigen Geisteslebens

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weist diese Frage hin. Die neuere Menschheit hat ein Geistesleben entwickelt, das von staatlichen Einrichtungen und von wirtschaftlichen Kräften in einem hohen Grade abhängig ist. Der Mensch wird noch als Kind in die Erziehung und den Unterricht des Staates aufgenommen. Er kann nur so erzogen werden, wie die wirtschaftlichen Zustände der Umgebung es gestatten, aus denen er heraus­wächst.

Man kann nun leicht glauben, dadurch müsse der Mensch gut an die Lebensverhältnisse der Gegenwart angepaßt sein. Denn der Staat habe die Möglichkeit, die Einrichtungen des Erziehungs- und Unterrichtswesens und damit des wesentlichen Teiles des öffentlichen Geisteslebens so zu gestalten, daß dadurch der Menschengemeinschaft am besten gedient werde. Und auch das kann man leicht glauben, daß der Mensch dadurch das bestmögliche Mitglied der mensch­lichen Gemeinschaft werde, wenn er im Sinne der wirt­schaftlichen Möglichkeiten erzogen wird, aus denen er her­auswächst, und wenn er durch diese Erziehung an denjenigen Platz gestellt wird, den ihm diese wirtschaftlichen Möglich­keiten anweisen.

Diese Schrift muß die heute wenig beliebte Aufgabe übernehmen, zu zeigen, daß die Verworrenheit unseres öffentlichen Lebens von der Abhängigkeit des Geisteslebens vom Staate und der Wirtschaft herrührt. Und sie muß zeigen, daß die Befreiung des Geisteslebens aus dieser Abhängigkeit den einen Teil der so brennenden sozialen Frage bildet.

Damit wendet sich diese Schrift gegen weitverbreitete Irrtümer. In der Übernahme des Erziehungswesens durch den Staat sieht man seit lange etwas dem Fortschritt der

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Menschheit Heilsames. Und sozialistisch Denkende können sich kaum etwas anderes vorstellen, als daß die Gesellschaft den einzelnen zu ihrem Dienste nach ihren Maßnahmen erziehe.

Man will sich nicht leicht zu einer Einsicht bequemen, die auf diesem Gebiete heute unbedingt notwendig ist. Es ist die, daß in der geschichtlichen Entwickelung der Mensch­heit in einer späteren Zeit zum Irrtum werden kann, was in einer früheren richtig ist. Es' war für das Heraufkommen der neuzeitlichen Menschheitsverhältnisse notwendig, daß das Erziehungswesen und damit das öffentliche Geistes-leben den Kreisen, die es im Mittelalter innehatten, ab­genommen und dem Staate überantwortet wurde. Die weitere Beibehaltung dieses Zustandes ist aber ein schwerer sozialer Irrtum.

Das will diese Schrift in ihrem ersten Teile zeigen. Inner­halb des Staatsgefüges ist das Geistesleben zur Freiheit herangewachsen; es kann in dieser Freiheit nicht richtig leben, wenn ihm nicht die volle Selbstverwaltung gegeben wird. Das Geistesleben fordert durch das Wesen, das es angenommen hat, daß es ein völlig selbständiges Glied des sozialen Organismus bilde. Das Erziehungs- und Unterrichts­wesen, aus dem ja doch alles geistige Leben herauswächst, muß in die Verwaltung derer gestellt werden, die erziehen und unterrichten. In diese Verwaltung soll nichts hinein­reden oder hineinregieren, was im Staate oder in der Wirtschaft tätig ist. Jeder Unterrichtende hat für das Unterrichten nur so viel Zeit aufzuwenden, daß er auch noch ein Ver­waltender auf seinem Gebiete sein kann. Er wird dadurch die Verwaltung so besorgen, wie er die Erziehung und den Unterricht selbst besorgt. Niemand gibt Vorschriften, der

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nicht gleichzeitig selbst im lebendigen Unterrichten und Erziehen drinnen steht. Kein Parlament, keine Persönlich­keit, die vielleicht einmal unterrichtet hat, aber dies nicht mehr selbst tut, sprechen mit. Was im Unterricht ganz unmittelbar erfahren wird, das fließt auch in die Verwaltung ein. Es ist naturgemäß, daß innerhalb einer solchen Ein­richtung Sachlichkeit und Fachtüchtigkeit in dem höchstmöglichen Maße wirken.

Man kann natürlich einwenden, daß auch in einer solchen Selbstverwaltung des Geisteslebens nicht alles vollkommen sein werde. Doch das wird im wirklichen Leben auch gar nicht zu fordern sein. Daß das Bestmögliche zustande komme, das allein kann angestrebt werden. Die Fähigkeiten, die in dem Menschenkinde heranwachsen, werden der Gemeinschaft wirklich übermittelt werden, wenn über ihre Ausbildung nur zu sorgen hat, wer aus geistigen Bestim­mungsgründen heraus sein maßgebendes Urteil fällen kann. Wie weit ein Kind nach der einen oder der andern Richtung zu bringen ist, darüber wird ein Urteil nur in einer freien Geistgemeinschaft entstehen können. Und was zu tun ist, um einem solchen Urteil zu seinem Recht zu verhelfen, das kann nur aus einer solchen Gemeinschaft heraus bestimmt werden. Aus ihr können das Staats- und das Wirtschafts­leben die Kräfte empfangen, die sie sich nicht geben können, wenn sie von ihren Gesichtspunkten aus das Geistesleben gestalten.

Es liegt in der Richtung des in dieser Schrift Dargestellten, daß auch die Einrichtungen und der Unterrichtsinhalt derjenigen Anstalten, die dem Staate oder dem Wirtschafts­leben dienen, von den Verwaltern des freien Geisteslebens besorgt werden. Juristenschulen, Handelsschulen, landwirtschaftliche

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und industrielle Unterrichtsanstalten werden ihre Gestaltung aus dem freien Geistesleben heraus erhalten. Diese Schrift muß notwendig viele Vorurteile gegen sich erwecken, wenn man diese - richtige - Folgerung aus ihren Darlegungen zieht. Allein woraus fließen diese Vorurteile? Man wird ihren antisozialen Geist erkennen, wenn man durchschaut, daß sie im Grunde aus dem unbewußten Glauben hervorgehen, die Erziehenden müssen lebensfremde, unpraktische Menschen sein. Man könne ihnen gar nicht zumuten, daß sie Einrichtungen von sich aus treffen, welche den praktischen Gebieten des Lebens richtig dienen. Solche Einrichtungen müssen von denjenigen gestaltet wer­den, die im praktischen Leben drinnen stehen, und die Erziehenden müssen gemäß den Richtlinien wirken, die ihnen gegeben werden.

Wer so denkt, der sieht nicht, daß Erziehende, die sich nicht bis ins Kleinste hinein und bis zum Größten hinauf die Richtlinien selber geben können, erst dadurch lebensfremd und unpraktisch werden. Ihnen können dann Grund­sätze gegeben werden, die von scheinbar noch so praktischen Menschen herrühren; sie werden keine rechten Praktiker in das Leben hineinerziehen. Die antisozialen Zustände sind dadurch herbeigeführt, daß in das soziale Leben nicht Menschen hineingestellt werden, die von ihrer Erziehung her sozial empfinden. Sozial empfindende Menschen können nur aus einer Erziehungsart hervorgehen, die von sozial Empfindenden geleitet und verwaltet wird. Man wird der sozialen Frage niemals beikommen, wenn man nicht die Erziehungs- und Geistesfrage als einen ihrer wesentlichen Teile behandelt. Man schafft Antisoziales nicht bloß durch wirtschaftliche Einrichtungen, sondern auch dadurch, daß

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sich die Menschen in diesen Einrichtungen antisozial ver­halten. Und es ist antisozial, wenn man die Jugend von Menschen erziehen und unterrichten läßt, die man dadurch lebensfremd werden läßt, daß man ihnen von außen her Richtung und Inhalt ihres Tuns vorschreibt.

Der Staat richtet juristische Lehranstalten ein. Er verlangt von ihnen, daß derjenige Inhalt einer Jurisprudenz gelehrt werde, den er, nach seinen Gesichtspunkten, in seiner Ver­fassung und Verwaltung niedergelegt hat. Anstalten, die ganz aus einem freien Geistesleben hervorgegangen sind, werden den Inhalt der Jurisprudenz aus diesem Geistes­leben selbst schöpfen. Der Staat wird zu warten haben auf dasjenige, was ihm von diesem freien Geistesleben aus überantwortet wird. Er wird befruchtet werden von den lebendigen Ideen, die nur aus einem solchen Geistesleben erstehen können.

Innerhalb dieses Geisteslebens selbst aber werden die­jenigen Menschen sein, die von ihren Gesichtspunkten aus in die Lebenspraxis hineinwachsen. Nicht das kann Lebens­praxis werden, was aus Erziehungseinrichtungen stammt, die von bloßen «Praktikern» gestaltet und in denen von lebensfremden Menschen gelehrt wird, sondern allein das, was von Erziehern kommt, die von ihren Gesichtspunkten aus das Leben und die Praxis verstehen. Wie im einzelnen die Verwaltung eines freien Geisteslebens sich gestalten muß, das wird in dieser Schrift wenigstens andeutungsweise dargestellt.

Utopistisch Gesinnte werden an die Schrift mit allerlei Fragen heranrücken. Besorgte Künstler und andere Geistes­arbeiter werden sagen: Ja, wird denn die Begabung in einem freien Geistesleben besser gedeihen als in dem gegenwärtigen

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vom Staat und den Wirtschaftsmächten besorgten? Solche Frager sollten bedenken, daß diese Schrift eben in keiner Beziehung utopistisch gemeint wird. In ihr wird deshalb durchaus nicht theoretisch festgesetzt: Dies soll so oder so sein. Sondern es wird zu Menschengemeinschaften angeregt, die aus ihrem Zusammenleben das sozial Wünschenswerte herbeiführen können. Wer das Leben nicht nach theore­tischen Vorurteilen, sondern nach Erfahrungen beurteilt, der wird sich sagen: Der aus seiner freien Begabung heraus Schaffende wird Aussicht auf eine rechte Beurteilung seiner Leistungen haben, wenn es eine freie Geistesgemeinschaft gibt, die ganz aus ihren Gesichtspunkten heraus in das Leben eingreifen kann.

Die «soziale Frage» ist nicht etwas, was in dieser Zeit in das Menschenleben heraufgestiegen ist, was jetzt durch ein paar Menschen oder durch Parlamente gelöst werden kann und dann gelöst sein wird. Sie ist ein Bestandteil des ganzen neueren Zivilisationslebens, und wird es, da sie einmal ent­standen ist, bleiben. Sie wird für jeden Augenblick der weltgeschichtlichen Entwickelung neu gelöst werden müssen. Denn das Menschenleben ist mit der neuesten Zeit in einen Zustand eingetreten, der aus dem sozial Eingerichteten immer wieder das Antisoziale hervorgehen läßt. Dieses muß stets neu bewältigt werden. Wie ein Organismus einige Zeit nach der Sättigung immer wieder in den Zustand des Hungers eintritt, so der soziale Organismus aus einer Ordnung der Verhältnisse in die Unordnung. Eine Universalarznei zur Ordnung der sozialen Verhältnisse gibt es so wenig wie ein Nahrungsmittel, das für alle Zeiten sättigt. Aber die Menschen können in solche Gemeinschaften ein­treten, daß durch ihr lebendiges Zusammenwirken dem

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Dasein immer wieder die Richtung zum Sozialen gegeben wird. Eine solche Gemeinschaft ist das sich selbst verwaltende geistige Glied des sozialen Organismus.

Wie sich für das Geistesleben aus den Erfahrungen der Gegenwart die freie Selbstverwaltung als soziale Forderung ergibt, so für das Wirtschaftsleben die assoziative Arbeit. Die Wirtschaft setzt sich im neueren Menschenleben zu­sammen aus Warenproduktion, Warenzirkulation und Warenkonsum. Durch sie werden die menschlichen Bedürf­nisse befriedigt; innerhalb ihrer stehen die Menschen mit ihrer Tätigkeit. Jeder hat innerhalb ihrer seine Teilinteressen; jeder muß mit dem ihm möglichen Anteil von Tätigkeit in sie eingreifen. Was einer wirklich braucht, kann nur er wissen und empfinden; was er leisten soll, will er aus seiner Einsicht in die Lebensverhältnisse des Ganzen beurteilen. Es ist nicht immer so gewesen, und ist heute noch nicht überall so auf der Erde; innerhalb des gegenwärtig zivi­lisierten Teiles der Erdbevölkerung ist es im wesentlichen so.

Die Wirtschaftskreise haben sich im Laufe der Mensch­heitsentwickelung erweitert. Aus der geschlossenen Haus­wirtschaft hat sich die Stadtwirtschaft, aus dieser die Staatswirtschaft entwickelt. Heute steht man vor der Welt­wirtschaft. Es bleibt zwar von dem alten noch ein erheblicher Teil im Neuen bestehen; es lebte in dem alten andeutungs­weise schon vieles von dem Neuen. Aber die Schicksale der Menschheit sind davon abhängig, daß die obige Entwicke­lungsreihe innerhalb gewisser Lebensverhältnisse vorherr­schend wirksam geworden ist.

Es ist ein Ungedanke, die Wirtschaftskräfte in einer abstrakten Weltgemeinschaft organisieren zu wollen. Die Einzelwirtschaften sind im Laufe der Entwickelung in die

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Staatswirtschaften in weitern Umfange eingelaufen. Doch die Staatsgemeinschaften sind aus anderen als bloß wirt­schaftlichen Kräften entsprungen. Daß man sie zu Wirt­schaftsgemeinschaften umwandeln wollte, bewirkte das soziale Chaos der neuesten Zeit. Das Wirtschaftsleben strebt darnach, sich aus seinen eigenen Kräften heraus unabhängig von Staatseinrichtungen, aber auch von staatlicher Denk­weise zu gestalten. Es wird dies nur können, wenn sich, nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten, Assoziationen bilden, die aus Kreisen von Konsumenten, von Handeltreibenden und Produzenten sich zusammenschließen. Durch die Verhältnisse des Lebens wird der Umfang solcher Assoziationen sich von selbst regeln. Zu kleine Assoziationen würden zu kostspielig, zu große wirtschaftlich zu unüber­sichtlich arbeiten. Jede Assoziation wird zu der andern aus den Lebensbedürfnissen heraus den Weg zum geregelten Verkehr finden. Man braucht nicht besorgt zu sein, daß derjenige, der sein Leben in reger Ortsveränderung zu-zubringen hat, durch solche Assoziationen eingeengt sein werde. Er wird den Übergang von der einen in die andere leicht finden, wenn nicht staatliche Organisation, sondern wirtschaftliche Interessen den Übergang bewirken werden. Es sind Einrichtungen innerhalb eines solchen assoziativen Wesens denkbar, die mit der Leichtigkeit des Geldverkehrs wirken.

Innerhalb einer Assoziation kann aus Fachkenntnis und Sachlichkeit eine weitgehende Harmonie der Interessen herrschen. Nicht Gesetze regeln die Erzeugung, die Zirku­lation und den Verbrauch der Güter, sondern die Menschen aus ihrer unmittelbaren Einsicht und ihrem Interesse heraus. Durch ihr Drinnenstehen im assoziativen Leben können die

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Menschen diese notwendige Einsicht haben; dadurch, daß Interesse mit Interesse sich vertragsmäßig ausgleichen muß, werden die Güter in ihren entsprechenden Werten zirku­lieren. Ein solches Zusammenschließen nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist etwas anderes als zum Beispiele das in den modernen Gewerkschaften. Diese wirken sich im wirt­schaftlichen Leben aus; aber sie kommen nicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zustande. Sie sind den Grundsätzen nachgebildet, die sich in der neueren Zeit aus der Handhabung der staatlichen, der politischen Gesichts-punkte heraus gestaltet haben. Man parlamentarisiert in ihnen; man kommt nicht nach wirtschaftlichen Gesichts­punkten überein, was der eine dem andern zu leisten hat. In den Assoziationen werden nicht «Lohnarbeiter» sitzen, die durch ihre Macht von einem Arbeit-Unternehmer mög­lichst hohen Lohn fordern, sondern es werden Handarbeiter mit den geistigen Leitern der Produktion und mit den konsumierenden Interessenten des Produzierten zusammenwirken, um durch Preisregulierungen Leistungen entspre­chend den Gegenleistungen zu gestalten. Das kann nicht durch Parlamentieren in Versammlungen geschehen. Vor solchen müßte man besorgt sein. Denn, wer sollte arbeiten, wenn unzählige Menschen ihre Zeit mit Verhandlungen über die Arbeit verbringen müßten? In Abmachungen von Mensch zu Mensch, von Assoziation zu Assoziation voll­zieht sich alles neben der Arbeit. Dazu ist nur notwendig, daß der Zusammenschluß den Einsichten der Arbeitenden und den Interessen der Konsumierenden entspricht.

Damit wird nicht eine Utopie gezeichnet. Denn es wird gar nicht gesagt: Dies soll so oder so eingerichtet werden. Es wird nur darauf hingedeutet, wie die Menschen sich selbst

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die Dinge einrichten werden, wenn sie in Gemeinschaften wirken wollen, die ihren Einsichten und ihren Interessen entsprechen.

Daß sie sich zu solchen Gemeinschaften zusammen­schließen, dafür sorgt einerseits die menschliche Natur, wenn sie durch staatliche Dazwischenkunft nicht gehindert wird; denn die Natur erzeugt die Bedürfnisse. Andrerseits kann dafür das freie Geistesleben sorgen, denn dieses bringt die Einsichten zustande, die in der Gemeinschaft wirken sollen. Wer aus der Erfahrung heraus denkt, muß zugeben, das solche assoziative Gemeinschaften in jedem Augenblick entstehen können, daß sie nichts von Utopie in sich schließen. Ihrer Entstehung steht nichts anderes im Wege, als daß der Mensch der Gegenwart das wirtschaftliche Leben von außen «organisieren» will in dem Sinne, wie für ihn der Gedanke der «Organisation» zu einer Suggestion geworden ist. Diesem Organisieren, das die Menschen zur Produktion von außen zusammenschließen will, steht diejenige wirtschaft­liche Organisation, die auf dem freien Assoziieren beruht, als sein Gegenbild gegenüber. Durch das Assoziieren verbindet sich der Mensch mit einem andern; und das Planmäßige des Ganzen entsteht durch die Vernunft des einzelnen. - Man kann ja sagen: Was nützt es, wenn der Besitzlose mit dem Besitzenden sich assoziiert? Man kann es besser finden, wenn alle Produktion und Konsumtion von außen her «gerecht» geregelt wird. Aber diese organi­satorische Regelung unterbindet die freie Schaffenskraft des einzelnen, und sie bringt das Wirtschaftsleben um die Zufuhr dessen, was nur aus dieser freien Schaffenskraft entspringen kann. Und man versuche es nur einmal, trotz aller Vorurteile, sogar mit der Assoziation des heute

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Besitzlosen mit dem Besitzenden. Greifen nicht andere als wirtschaftliche Kräfte ein, dann wird der Besitzende dem Besitzlosen die Leistung notwendig mit der Gegenleistung ausgleichen müssen. Heute spricht man über solche Dinge nicht aus den Lebensinstinkten heraus, die aus der Erfahrung stammen; sondern aus den Stimmungen, die sich nicht aus wirtschaftlichen, sondern aus Klassen- und anderen In­teressen heraus entwickelt haben. Sie konnten sich ent­wickeln, weil man in der neueren Zeit, in welcher gerade das wirtschaftliche Leben immer komplizierter geworden ist, diesem nicht mit rein wirtschaftlichen Ideen nachkommen konnte. Das unfreie Geistesleben hat dies verhindert. Die wirtschaftenden Menschen stehen in der Lebensroutine drinnen; die in der Wirtschaft wirkenden Gestaltungskräfte sind ihnen nicht durchsichtig. Sie arbeiten ohne Einsicht in das Ganze des Menschenlebens. In den Assoziationen wird der eine durch den andern erfahren, was er notwendig wissen muß. Es wird eine wirtschaftliche Erfahrung über das Mögliche sich bilden, weil die Menschen, von denen jeder auf seinem Teilgebiete Einsicht und Erfahrung hat, zusammenurteilen werden.

Wie in dem freien Geistesleben nur die Kräfte wirksam sind, die in ihm selbst liegen, so im assoziativ gestalteten Wirtschaftssystem nur die wirtschaftlichen Werte, die sich durch die Assoziationen herausbilden. Was in dem Wirt­schaftsleben der einzelne zu tun hat, das ergibt sich ihm aus dem Zusammenleben mit denen, mit denen er wirtschaftlich assoziiert ist. Dadurch wird er genau so viel Einfluß auf die allgemeine Wirtschaft haben, als seiner Leistung entspricht. Wie Nicht-Leistungsfähige sich dem Wirtschaftsleben eingliedern, das wird in dieser Schrift auseinandergesetzt. Den

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Schwachen gegenüber dem Starken schützen, kann ein Wirt­schaftsleben, das nur aus seinen eigenen Kräften heraus gestaltet ist.

So kann der soziale Organismus in zwei selbständige Glieder zerfallen, die sich gerade dadurch gegenseitig tragen, daß jeder seine eigenartige Verwaltung hat, die aus seinen besonderen Kräften hervorgeht. Zwischen beiden aber muß sich ein Drittes ausleben. Es ist das eigentliche staatliche Glied des sozialen Organismus. In ihm macht sich alles das geltend, was von dem Urteil und der Empfindung eines jeden mündig gewordenen Menschen abhängig sein muß. In dem freien Geistesleben betätigt sich jeder nach seinen besonderen Fähigkeiten; im Wirtschaftsleben füllt jeder seinen Platz so aus, wie sich das aus seinem assoziativen Zusammenhang ergibt. Im politisch-rechtlichen Staatsleben kommt er zu seiner rein menschlichen Geltung, insoferne diese unabhängig ist von den Fähigkeiten, durch die er im freien Geistesleben wirken kann, und unabhängig davon, welchen Wert die von ihm erzeugten Güter durch das assoziative Wirtschaftsleben erhalten.

In diesem Buche wird gezeigt, wie Arbeit nach Zeit und Art eine Angelegenheit ist dieses politisch-rechtlichen Staatslebens. In diesem steht jeder dem andern als ein gleicher gegenüber, weil in ihm nur verhandelt und ver­waltet wird auf den Gebieten, auf denen jeder Mensch gleich urteilsfähig ist. Rechte und Pflichten der Menschen finden in diesem Gliede des sozialen Organismus ihre Regelung.

Die Einheit des ganzen sozialen Organismus wird ent­stehen aus der selbständigen Entfaltung seiner drei Glieder. Das Buch wird zeigen, wie die Wirksamkeit des beweglichen

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Kapitales, der Produktionsmittel, die Nutzung des Grundes und Bodens sich durch das Zusammenwirken der drei Glieder gestalten kann. Wer die soziale Frage «lösen» will durch eine ausgedachte oder sonstwie entstandene Wirt­schaftsweise, der wird diese Schrift nicht praktisch finden; wer aus den Erfahrungen des Lebens heraus die Menschen zu solchen Arten des Zusammenschlusses anregen will, in denen sie die sozialen Aufgaben am besten erkennen und sich ihnen widmen können, der wird dem Verfasser des Buches das Streben nach wahrer Lebenspraxis vielleicht doch nicht absprechen.

Das Buch ist im April 1919 zuerst veröffentlicht worden. Ergänzungen zu dem damals Ausgesprochenen habe ich in den Beiträgen gegeben, die in der Zeitschrift «Dreigliederung des sozialen Organismus» enthalten waren und die soeben gesammelt als die Schrift «In Ausführung der Dreigliederung des sozialen Organismus» erschienen sind.

Man wird finden können, daß in den beiden Schriften weniger von den «Zielen» der sozialen Bewegung als viel­mehr von den Wegen gesprochen wird, die im sozialen Leben beschritten werden sollten. Wer aus der Lebenspraxis heraus denkt, der weiß, daß namentlich einzelne Ziele in verschiedener Gestalt auftreten können. Nur wer in ab­strakten Gedanken lebt, dem erscheint alles in eindeutigen Umrissen. Ein solcher tadelt das Lebenspraktische oft, weil er es nicht bestimmt, nicht «klar» genug dargestellt findet. Viele, die sich Praktiker dünken, sind gerade solche Ab­straktlinge. Sie bedenken nicht, daß das Leben die mannig­faltigsten Gestaltungen annehmen kann. Es ist ein fließendes Element. Und wer mit ihm gehen will, der muß sich auch in seinen Gedanken und Empfindungen diesem fließenden

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Grundzug anpassen. Die sozialen Aufgaben werden nur mit einem solchen Denken ergriffen werden können.

Aus der Beobachtung des Lebens heraus sind die Ideen dieser Schrift erkämpft; aus dieser heraus möchten sie auch verstanden sein.

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VORBEMERKUNGEN ÜBER DIE ABSICHT DIESER SCHRIFT

Das soziale Leben der Gegenwart stellt ernste, umfassende Aufgaben. Forderungen nach Neueinrichtungen in diesem Leben treten auf und zeigen, daß zur Lösung dieser Auf­gaben Wege gesucht werden müssen, an die bisher nicht gedacht worden ist. Durch die Tatsachen der Gegenwart unterstützt, findet vielleicht heute schon derjenige Gehör, der, aus den Erfahrungen des Lebens heraus, sich zu der Meinung bekennen muß, daß dieses Nichtdenken an not­wendig gewordene Wege in die soziale Verwirrung hineingetrieben hat. Auf der Grundlage einer solchen Meinung stehen die Ausführungen dieser Schrift. Sie möchten von dem sprechen, was geschehen sollte, um die Forderungen, die von einem großen Teile der Menschheit gegenwärtig gestellt werden, auf den Weg eines zielbewußten sozialen Wollens zu bringen. - Ob dem einen oder dem andern diese Forderungen gefallen oder nicht gefallen, davon sollte bei der Bildung eines solchen Wollens wenig abhängen. Sie sind da, und man muß mit ihnen als mit Tatsachen des sozialen Lebens rechnen. Das mögen diejenigen bedenken, die, aus ihrer persönlichen Lebenslage heraus, etwa finden, daß der Verfasser dieser Schrift in seiner Darstellung von den proletarischen Forderungen in einer Art spricht, die ihnen nicht gefällt, weil sie, nach ihrer Ansicht, zu einseitig auf diese Forderungen als auf etwas hinweist, mit dem das soziale Wollen rechnen muß. Der Verfasser aber möchte aus der vollen Wirklichkeit des gegenwärtigen Lebens heraus

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sprechen, soweit ihm dieses nach seiner Erkenntnis dieses Lebens möglich ist. Ihm stehen die verhängnisvollen Folgen vor Augen, die entstehen müssen, wenn man Tatsachen, die nun einmal aus dem Leben der neueren Menschheit sich erhoben haben, nicht sehen will; wenn man von einem sozialen Wollen nichts wissen will, das mit diesen Tatsachen rechnet.

Wenig befriedigt von den Ausführungen des Verfassers werden auch zunächst Persönlichkeiten sein, die sich in der Weise als Lebenspraktiker ansehen, wie man unter dem Einflusse mancher liebgewordener Gewohnheiten die Vorstellung der Lebenspraxis heute nimmt. Sie werden finden, daß in dieser Schrift kein Lebenspraktiker spricht. Von diesen Persönlichkeiten glaubt der Verfasser, daß gerade sie werden gründlich umlernen müssen. Denn ihm erscheint ihre «Lebenspraxis» als dasjenige, was durch die Tatsachen, welche die Menschheit der Gegenwart hat erleben müssen, unbedingt als ein Irrtum erwiesen ist. Als derjenige Irrtum, der in unbegrenztem Umfange zu Verhängnissen geführt hat. Sie werden einsehen müssen, daß es notwendig ist, manches als praktisch anzuerkennen, das ihnen als ver­bohrter Idealismus erschienen ist. Mögen sie meinen, der Ausgangspunkt dieser Schrift sei deshalb verfehlt, weil in deren ersten Teilen weniger von dem Wirtschafts- und mehr von dem Geistesleben der neueren Menschheit gesprochen ist. Der Verfasser muß aus seiner Lebenserkenntnis heraus meinen, daß zu den begangenen Fehlern ungezählte weitere werden hinzugemacht werden, wenn man sich nicht ent­schließt, auf das Geistesleben der neueren Menschheit die sachgemäße Aufmerksamkeit zu wenden. - Auch diejenigen, welche in den verschiedensten Formen nur immer die

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Phrasen hervorbringen, die Menschheit müsse aus der Hin­gabe an rein materielle Interessen herauskommen und sich «zum Geiste», «zum Idealismus» wenden, werden an dem, was der Verfasser in dieser Schrift sagt, kein rechtes Gefallen finden. Denn er hält nicht viel von dem bloßen Hinweis auf «den Geist», von dem Reden über eine nebelhafte Geisteswelt. Er kann nur die Geistigkeit anerkennen, die der eigene Lebensinhalt des Menschen wird. Dieser erweist sich in der Bewältigung der praktischen Lebensaufgaben ebenso wirksam wie in der Bildung einer Welt- und Lebens­anschauung, welche die seelischen Bedürfnisse befriedigt. Es kommt nicht darauf an, daß man von einer Geistigkeit weiß oder zu wissen glaubt, sondern darauf, daß dies eine Geistigkeit ist, die auch beim Erfassen der praktischen Lebenswirklichkeit zutage tritt. Eine solche begleitet diese Lebenswirklichkeit nicht als eine bloß für das innere Seelen­wesen reservierte Nebenströmung. - So werden die Aus­führungen dieser Schrift den «Geistigen» wohl zu ungeistig, den «Praktikern» zu lebensfremd erscheinen. Der Verfasser hat die Ansicht, daß er gerade deshalb dem Leben der Gegenwart werde in seiner Art dienen können, weil er der Lebensfremdheit manches Menschen, der sich heute für einen «Praktiker» hält, nicht zuneigt, und weil er auch demjenigen Reden vom «Geiste», das aus Worten Lebensillusionen schafft, keine Berechtigung zusprechen kann.

Als eine Wirtschafts-, Rechts- und Geistesfrage wird die «soziale Frage» in den Ausführungen dieser Schrift be­sprochen. Der Verfasser glaubt zu erkennen, wie aus den Forderungen des Wirtschafts-, Rechts- und Geisteslebens die «wahre Gestalt» dieser Frage sich ergibt. Nur aus dieser Erkenntnis heraus können aber die Impulse kommen für

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eine gesunde Ausgestaltung dieser drei Lebensgebiete inner­halb der sozialen Ordnung. - In älteren Zeiten der Mensch­heitsentwickelung sorgten die sozialen Instinkte dafür, daß diese drei Gebiete in einer der Menschennatur damals ent­sprechenden Art sich im sozialen Gesamtleben gliederten. In der Gegenwart dieser Entwickelung steht man vor der Notwendigkeit, diese Gliederung durch zielbewußtes soziales Wollen zu erstreben. Zwischen jenen ältern Zeiten und der Gegenwart liegt für die Länder, die für ein solches Wollen zunächst in Betracht kommen, ein Durcheinanderwirken der alten Instinkte und der neueren Bewußtheit vor, das den Anforderungen der gegenwärtigen Menschheit nicht mehr gewachsen ist. In manchem, das man heute für zielbewußtes soziales Denken hält, leben aber noch die alten Instinkte fort. Das macht dieses Denken schwach gegenüber den fordernden Tatsachen. Gründlicher, als mancher sich vorstellt, muß der Mensch der Gegenwart sich aus dem herausarbeiten, das nicht mehr lebensfähig ist. Wie Wirtschafts-, Rechts- und Geistesleben im Sinne des von der neueren Zeit selbst geforderten gesunden sozialen Lebens sich gestalten sollen, das - so meint der Verfasser - kann sich nur dem ergeben, der den guten Willen entwickelt, das eben Ausgesprochene gelten zu lassen. Was der Ver­fasser glaubt, über eine solche notwendige Gestaltung sagen zu müssen, das möchte er dem Urteile der Gegenwart mit diesem Buche unterbreiten. Eine Anregung zu einem Wege nach sozialen Zielen, die der gegenwärtigen Lebenswirklichkeit und Lebensnotwendigkeit entsprechen, möchte der Verfasser geben. Denn er meint, daß nur ein solches Streben über Schwarmgeisterei und Utopismus auf dem Gebiete des sozialen Wollens hinausführen kann.

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Wer doch etwas Utopistisches in dieser Schrift findet, den möchte der Verfasser bitten, zu bedenken, wie stark man sich gegenwärtig mit manchen Vorstellungen, die man sich über eine mögliche Entwickelung der sozialen Verhältnisse macht, von dem wirklichen Leben entfernt und in Schwarm­geisterei verfällt. Deshalb sieht man das aus der wahren Wirklichkeit und Lebenserfahrung Geholte von der Art, wie es in dieser Schrift darzustellen versucht ist, als Utopie an. Mancher wird in dieser Darstellung deshalb etwas «Abstraktes» sehen, weil ihm «konkret» nur ist, was er zu denken gewohnt ist und «abstrakt» auch das Konkrete dann, wenn er nicht gewöhnt ist, es zu denken*.

Daß stramm in Parteiprogramme eingespannte Köpfe mit den Aufstellungen des Verfassers zunächst unzufrieden

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* Der Verfasser hat bewußt vermieden, sich in seinen Ausführungen unbedingt an die in der volkswirtschaftlichen Literatur gebräuchlichen Ausdrücke zu halten. Er kennt genau die Stellen, von denen ein «fach­männisches» Urteil sagen wird, das sei dilettantisch. Ihn bestimmte zu seiner Ausdrucksweise aber nicht nur, daß er auch für Menschen spre­chen möchte, denen die volks- und sozialwissenschaftliche Literatur ungeläufig ist, sondern vor allem die Ansicht, daß eine neue Zeit das meiste von dem einseitig und unzulänglich sogar schon in der Ausdrucksform wird erscheinen lassen, das in dieser Literatur als «fachmännisch» sich findet. Wer etwa meint, der Verfasser hätte auch hinweisen sollen auf die sozialen Ideen anderer, die in dem einen oder andern an das hier Dargestellte anzuklingen scheinen, den bitte ich zu bedenken, daß die Ausgangspunkte und die Wege der hier gekennzeichneten Anschau­ung, welche der Verfasser einer jahrzehntelangen Lebenserfahrung zu verdanken glaubt, das Wesentliche bei der praktischen Verwirklichung der gegebenen Impulse sind und nicht etwa bloß so oder anders geartete Gedanken. Auch hat der Verfasser, wie man aus dem Abschnitt IV ersehen kann, für die praktische Verwirklichung sich schon einzusetzen versucht, als ähnlich scheinende Gedanken in bezug auf das eine oder andere noch nicht bemerkt wurden.

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sein werden, weiß er. Doch er glaubt, viele Parteimenschen werden recht bald zu der Überzeugung gelangen, daß die Tatsachen der Entwickelung schon weit über die Parteiprogramme hinausgewachsen sind, und daß ein von solchen Programmen unabhängiges Urteil über die nächsten Ziele des sozialen Wollens vor allem notwendig ist.

Anfang April 1919.

Rudolf Steiner.

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I. DIE WAHRE GESTALT DER SOZIALEN FRAGE, ERFASST AUS DEM LEBEN DER MODERNEN MENSCHHEIT

Offenbart sich nicht aus der Weltkriegskatastrophe heraus die moderne soziale Bewegung durch Tatsachen, die beweisen, wie unzulänglich Gedanken waren, durch die man jahr­zehntelang das proletarische Wollen zu verstehen glaubte?

Was gegenwärtig sich aus früher niedergehaltenen For­derungen des Proletariats und im Zusammenhange damit an die Oberfläche des Lebens drängt, nötigt dazu, diese Frage zu stellen. Die Mächte, welche das Niederhalten bewirkt haben, sind zum Teil vernichtet. Das Verhältnis, in das sich diese Mächte zu den sozialen Triebkräften eines großen Teiles der Menschheit gesetzt haben, kann nur erhalten wollen, wer ganz ohne Erkenntnis davon ist, wie unvernichtbar solche Impulse der Menschennatur sind.

Manche Persönlichkeiten, deren Lebenslage es ihnen möglich machte, durch ihr Wort oder ihren Rat hemmend oder fördernd einzuwirken auf die Kräfte im europäischen Leben, die 1914 zur Kriegskatastrophe drängten, haben sich über diese Triebkräfte den größten Illusionen hin­gegeben. Sie konnten glauben, ein Waffensieg ihres Landes werde die sozialen Anstürme beruhigen. Solche Persönlich­keiten mußten gewahr werden, daß durch die Folgen ihres Verhaltens die sozialen Triebe erst völlig in die Erscheinung traten. Ja, die gegenwärtige Menschheitskatastrophe erwies sich als dasjenige geschichtliche Ereignis, durch das diese Triebe ihre volle Schlagkraft erhielten. Die führenden Persönlichkeiten

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und Klassen mußten ihr Verhalten in den letzten schicksalsschweren Jahren stets von dem abhängig machen, was in den sozialistisch gestimmten Kreisen der Menschheit lebte. Sie hätten oftmals gerne anders gehandelt, wenn sie die Stimmung dieser Kreise hätten unbeachtet lassen können. In der Gestalt, die gegenwärtig die Ereignisse angenommen haben, leben die Wirkungen dieser Stimmung fort.

Und jetzt, da in ein entscheidendes Stadium eingetreten ist, was jahrzehntelang vorbereitend heraufgezogen ist in der Lebensentwickelung der Menschheit: jetzt wird zum tragischen Schicksal, daß den gewordenen Tatsachen sich die Gedanken nicht gewachsen zeigen, die im Werden dieser Tatsachen entstanden sind. Viele Persönlichkeiten, die ihre Gedanken an diesem Werden ausgebildet haben, um dem zu dienen, was in ihm als soziales Ziel lebt, vermögen heute wenig oder nichts in bezug auf Schicksalsfragen, die von den Tatsachen gestellt werden.

Noch glauben zwar manche dieser Persönlichkeiten, was sie seit langer Zeit als zur Neugestaltung des menschlichen Lebens notwendig gedacht haben, werde sich verwirklichen und dann als mächtig genug erweisen, um den fordernden Tatsachen eine lebensmögliche Richtung zu geben. - Man kann absehen von der Meinung derer, die auch jetzt noch wähnen, das Alte müsse sich gegen die neueren Forderungen eines großen Teiles der Menschheit halten lassen. Man kann seinen Blick einstellen auf das Wollen derer, die von der Notwendigkeit einer neuen Lebensgestaltung überzeugt sind. Man wird doch nicht anders können, als sich gestehen: Es wandeln unter uns Parteimeinungen wie Urteilsmumien, die von der Entwickelung der Tatsachen zurückgewiesen

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werden. Diese Tatsachen fordern Entscheidungen, für welche die Urteile der alten Parteien nicht vorbereitet sind. Solche Parteien haben sich zwar mit den Tatsachen entwickelt; aber sie sind mit ihren Denkgewohnheiten hinter den Tat­sachen zurückgeblieben. Man braucht vielleicht nicht un­bescheiden gegenüber heute noch als maßgeblich geltenden Ansichten zu sein, wenn man glaubt, das eben Angedeutete aus dem Verlaufe der Weltereignisse in der Gegenwart entnehmen zu können. Man darf daraus die Folgerung ziehen, gerade diese Gegenwart müsse empfänglich sein für den Versuch, dasjenige im sozialen Leben der neueren Menschheit zu kennzeichnen, was in seiner Eigenart auch den Denkgewohnten der sozial orientierten Persönlich­keiten und Parteirichtungen ferne liegt. Denn es könnte wohl sein, daß die Tragik, die in den Lösungsversuchen der sozialen Frage zutage tritt, gerade in einem Mißverstehen der wahren proletarischen Bestrebungen wurzelt. In einem Mißverstehen selbst von seiten derjenigen, welche mit ihren Anschauungen aus diesen Bestrebungen herausgewachsen sind. Denn der Mensch bildet sich keineswegs immer über sein eigenes Wollen das rechte Urteil.

Gerechtfertigt kann es deshalb erscheinen, einmal die Fragen zu stellen, was will die moderne proletarische Bewegung in Wirklichkeit? Entspricht dieses Wollen dem­jenigen, was gewöhnlich von proletarischer oder nicht proletarischer Seite über dieses Wollen gedacht wird? Offenbart sich in dem, was über die «soziale Frage» von vielen gedacht wird, die wahre Gestalt dieser «Frage»? Oder ist ein ganz anders gerichtetes Denken nötig? An diese Frage wird man nicht unbefangen herantreten können, wenn man nicht durch die Lebensschicksale in die Lage

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versetzt war, in das Seelenleben des modernen Proletariats sich einzuleben. Und zwar desjenigen Teiles dieses Prole­tariats, der am meisten Anteil hat an der Gestaltung, welche die soziale Bewegung der Gegenwart angenommen hat.

Man hat viel gesprochen über die Entwickelung der modernen Technik und des modernen Kapitalismus. Man hat gefragt, wie innerhalb dieser Entwickelung das gegen­wärtige Proletariat entstanden ist, und wie es durch die Entfaltung des neueren Wirtschaftslebens zu seinen For­derungen gekommen ist. In all dem, was man in dieser Richtung vorgebracht hat, liegt viel Treffendes. Daß damit aber ein Entscheidendes doch nicht berührt wird, kann sich dem aufdrängen, der sich nicht hypnotisieren läßt von dem Urteil: Die äußern Verhältnisse geben dem Menschen das Gepräge seines Lebens. Es offenbart sich dem, der sich einen unbefangenen Einblick bewahrt in die aus inneren Tiefen heraus wirkenden seelischen Impulse. Gewiß ist, daß die proletarischen Forderungen sich entwickelt haben während des Lebens der modernen Technik und des modernen Kapitalismus; aber die Einsicht in diese Tatsache gibt noch durchaus keinen Aufschluß darüber, was in diesen For­derungen eigentlich als rein menschliche Impulse lebt. Und solange man in das Leben dieser Impulse nicht eindringt, kann man wohl auch der wahren Gestalt der «sozialen Frage» nicht beikommen.

Ein Wort, das oftmals in der Proletarierwelt aus­gesprochen wird, kann einen bedeutungsvollen Eindruck machen auf den, der in die tiefer liegenden Triebkräfte des menschlichen Wollens zu dringen vermag. Es ist das: Der moderne Proletarier ist «klassenbewußt» geworden. Er folgt den Impulsen der außer ihm bestehenden Klassen

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nicht mehr gewissermaßen instinktiv, unbewußt; er weiß sich als Angehöriger einer besonderen Klasse und ist gewillt, das Verhältnis dieser seiner Klasse zu den andern im öffent­lichen Leben in einer seinen Interessen entsprechenden Weise zur Geltung zu bringen. Wer ein Auffassungs­vermögen hat für seelische Unterströmungen, der wird durch das Wort «klassenbewußt» in dem Zusammenhang, in dem es der moderne Proletarier gebraucht, hingewiesen auf wichtigste Tatsachen in der sozialen Lebensauffassung derjenigen arbeitenden Klassen, die im Leben der modernen Technik und des modernen Kapitalismus stehen. Ein solcher muß vor allem aufmerksam darauf werden, wie wissen­schaftliche Lehren über das Wirtschaftsleben und dessen Verhältnis zu den Menschenschicksalen zündend in die Seele des Proletariers eingeschlagen haben. Hiermit wird eine Tatsache berührt, über welche viele, die nur über das Proletariat denken können, nicht mit demselben, nur ganz verschwommene, ja in Anbetracht der ernsten Ereignisse der Gegenwart schädliche Urteile haben. Mit der Meinung, dem «ungebildeten» Proletarier sei durch den Marxismus und seine Fortsetzung durch die proletarischen Schriftsteller der Kopf verdreht worden, und mit dem, was man sonst in dieser Richtung oft hören kann, kommt man nicht zu einem auf diesem Gebiete in der Gegenwart notwendigen Verständnis der geschichtlichen Weltlage. Denn man zeigt, wenn man eine solche Meinung äußert, nur, daß man nicht den Willen hat, den Blick auf ein Wesentliches in der gegen­wärtigen sozialen Bewegung zu lenken. Und ein solches Wesentliches ist die Erfüllung des proletarischen Klassenbewußtseins mit Begriffen, die ihren Charakter aus der neueren wissenschaftlichen Entwickelung heraus genommen

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haben. In diesem Bewußtsein wirkt als Stimmung fort, was in Lassalles Rede über die «Wissenschaft und die Arbeiter» gelebt hat. Solche Dinge mögen manchem unwesentlich erscheinen, der sich für einen «praktischen Menschen» hält. Wer aber eine wirklich fruchtbare Einsicht in die moderne Arbeiterbewegung gewinnen will, der muß seine Aufmerksamkeit auf diese Dinge richten. In dem, was gemäßigte und radikale Proletarier heute fordern, lebt nicht etwa das in Menschen-Impulse umgewandelte Wirtschaftsleben so, wie es sich manche Menschen vorstellen, sondern es lebt die Wirtschafts-Wissenschaft von welcher das proletarische Bewußtsein ergriffen worden ist. In der wissenschaftlich gehaltenen und in der journalistisch popularisierten Literatur der proletarischen Bewegung tritt dieses so klar zutage. Es zu leugnen, bedeutet ein Augenverschließen vor den wirklichen Tatsachen. Und eine fundamentale, die soziale Lage der Gegenwart bedingende Tatsache ist die, daß der moderne Proletarier in wissenschaftlich gearteten Begriffen sich den Inhalt seines Klassenbewußtseins bestimmen läßt. Mag der an der Maschine arbeitende Mensch von «Wissenschaft» noch so weit entfernt sein; er hört den Aufklärungen über seine Lage von seiten derjenigen zu, welche die Mittel zu dieser Aufklärung von dieser «Wissenschaft» empfangen haben.

Alle die Auseinandersetzungen über das neuere Wirtschaftsleben, das Maschinenzeitalter, den Kapitalismus mögen noch so einleuchtend auf die Tatsachengrundlage der modernen Proletarierbewegung hinweisen; was die gegenwärtige soziale Lage entscheidend aufklärt, erfließt nicht unmittelbar aus der Tatsache, daß der Arbeiter an die Maschine gestellt worden, daß er in die kapitalistische Lebensordnung eingespannt worden ist. Es fließt aus der

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andern Tatsache, daß ganz bestimmte Gedanken sich inner­halb seines Klassenbewußtseins an der Maschine und in der Abhängigkeit von der kapitalistischen Wirtschaftsordnung ausgebildet haben. Es könnte sein, daß die Denkgewohn­heiten der Gegenwart manchen verhindern, die Tragweite dieses Tatbestandes ganz zu erkennen und ihn veranlassen, in seiner Betonung nur ein dialektisches Spiel mit Begriffen zu sehen. Demgegenüber muß gesagt werden: Um so schlimmer für die Aussichten auf eine gedeihliche Einstellung in das soziale Leben der Gegenwart bei denen, die nicht imstande sind, das Wesentliche ins Auge zu fassen. Wer die proletarische Bewegung verstehen will, der muß vor allem wissen, wie der Proletarier denkt. Denn die proletarische Bewegung - von ihren gemäßigten Reformbestrebungen an bis in ihre verheerendsten Auswüchse hinein - wird nicht von «außermenschlichen Kräften», von «Wirtschafts­impulsen» gemacht, sondern von Menschen; von deren Vorstellungen und Willensimpulsen.

Nicht in dem, was die Maschine und der Kapitalismus in das proletarische Bewußtsein hineinverpflanzt haben, liegen die bestimmenden Ideen und Willenskräfte der gegen­wärtigen sozialen Bewegung. Diese Bewegung hat ihre Gedanken-Quelle in der neueren Wissenschaftsrichtung gesucht, weil dem Proletarier Maschine und Kapitalismus nichts geben konnten, was seine Seele mit einem menschenwürdigen Inhalt erfüllen konnte. Ein solcher Inhalt ergab sich dem mittelalterlichen Handwerker aus seinem Berufe. In der Art, wie dieser Handwerker sich menschlich mit dem Berufe verbunden fühlte, lag etwas, das ih'n das Leben innerhalb der ganzen menschlichen Gesellschaft vor dem eigenen Bewußtsein in einem lebenswerten Lichte erscheinen

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ließ. Er vermochte, was er tat, so anzusehen, daß er dadurch verwirklicht glauben konnte, was er als «Mensch» sein wollte. An der Maschine und innerhalb der kapitalistischen Lebensordnung war der Mensch auf sich selbst, auf sein Inneres angewiesen, wenn er nach einer Grundlage suchte, auf der sich eine das Bewußtsein tragende Ansicht von dem errichten läßt, was man als «Mensch» ist. Von der Technik, von dem Kapitalismus strömte für eine solche Ansicht nichts aus. So ist es gekommen, daß das proletarische Bewußtsein die Richtung nach dem wissenschaftlich gearteten Gedanken einschlug. Es hatte den menschlichen Zusammen­hang mit dem unmittelbaren Leben verloren. Das aber geschah in der Zeit, in der die führenden Klassen der Menschheit einer wissenschaftlichen Denkungsart zustrebten, die selbst nicht mehr die geistige Stoßkraft hatte, um das menschliche Bewußtsein nach dessen Bedürfnissen allseitig zu einem befriedigenden Inhalte zu führen. Die alten Welt­anschauungen stellten den Menschen als Seele in einen geistigen Daseinszusammenhang hinein. Vor der neueren Wissenschaft erscheint er als Naturwesen innerhalb der bloßen Naturordnung. Diese Wissenschaft wird nicht emp­funden wie ein in die Menschenseele aus einer Geistwelt fließender Strom, der den Menschen als Seele trägt. Wie man auch über das Verhältnis der religiösen Impulse und dessen, was mit ihnen verwandt ist, zu der wissenschaft­lichen Denkungsart der neueren Zeit urteilen mag: man wird, wenn man unbefangen die geschichtliche Entwickelung betrachtet, zugeben müssen, daß sich das wissenschaftliche Vorstellen aus dem religiösen entwickelt hat. Aber die alten, auf religiösen Untergründen ruhenden Weltanschauungen haben nicht vermocht, ihren seelentragenden Impuls der

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neueren wissenschaftlichen Vorstellungsart mitzuteilen. Sie stellten sich außerhalb dieser Vorstellungsart und lebten weiter mit einem Bewußtseinsinhalt, dem sich die Seelen des Proletariats nicht zuwenden konnten. Den führenden Klassen konnte dieser Bewußtseinsinhalt noch etwas Wert­volles sein. Er hing auf die eine oder die andere Art mit ihrer Lebenslage zusammen. Diese Klassen suchten nicht nach einem neuen Bewußtseinsinhalt, weil die Überlieferung durch das Leben selbst sie den alten noch festhalten ließ. Der moderne Proletarier wurde aus allen alten Lebenszusammenhängen herausgerissen. Er ist der Mensch, dessen Leben auf eine völlig neue Grundlage gestellt worden ist. Für ihn war mit der Entziehung der alten Lebensgrund­lagen zugleich die Möglichkeit geschwunden, aus den alten geistigen Quellen zu schöpfen. Die standen inmitten der Gebiete, denen er entfremdetworden war. Mit der modernen Technik und dem modernen Kapitalismus entwickelte sich gleichzeitig - in dem Sinne, wie man die großen weltgeschichtlichen Strömungen gleichzeitig nennen kann - die moderne Wissenschaftlichkeit. Ihr wandte sich das Ver­trauen, der Glaube des modernen Proletariats zu. Bei ihr suchte es den ihm notwendigen neuen Bewußtseinsinhalt. Aber es war zu dieser Wissenschaftlichkeit in ein anderes Verhältnis gesetzt als die führenden Klassen. Diese fühlten sich nicht genötigt, die wissenschaftliche Vorstellungsart zu ihrer seelentragenden Lebensauffassung zu machen. Mochten sie noch so sehr mit der «wissenschaftlichen Vorstellungsart» sich durchdringen, daß in der Naturordnung ein gerader Ursachenzusammenhang von den niedersten Tieren bis zum Menschen führe: diese Vorstellungsart blieb doch theoretische Überzeugung. Sie erzeugte nicht den Trieb, das Leben auch

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empfindungsgemäß so zu nehmen, wie es dieser Überzeu­gung restlos angemessen ist. Der Naturforscher Vogt, der naturwissenschaftliche Popularisator Büchner: sie waren sicherlich von der wissenschaftlichen Vorstellungsart durch­drungen. Aber neben dieser Vorstellungsart wirkte in ihrer Seele etwas, das sie festhalten ließ an Lebenszusammenhängen, die sich nur sinnvoll rechtfertigen aus dem Glauben an eine geistige Weltordnung. Man stelle sich doch nur unbefangen vor, wie anders die Wissenschaftlichkeit auf den wirkt, der in solchen Lebenszusammenhängen mit dem eigenen Dasein verankert ist, als auf den modernen Prole­tarier, vor den sein Agitator hintritt und in den wenigen Abendstunden, die von der Arbeit nicht ausgefüllt sind, in der folgenden Art spricht: Die Wissenschaft hat in der neueren Zeit den Menschen ausgetrieben, zu glauben, daß sie ihren Ursprung in geistigen Welten haben. Sie sind dar­über belehrt worden, daß sie in der Urzeit unanständig als Baumkletterer lebten, belehrt, daß sie alle den gleichen rein natürlichen Ursprung haben. Vor eine nach solchen Gedanken hin orientierte Wissenschaftlichkeit sah sich der moderne Proletarier gestellt, wenn er nach einem Seelen-inhalt suchte, der ihn empfinden lassen sollte, wie er als Mensch im Weltendasein drinnen steht. Er nahm diese Wissenschaftlichkeit restlos ernst, und zog aus ihr seine Folgerungen für das Leben. Ihn traf das technische und kapitalistische Zeitalter anders als den Angehörigen der führenden Klassen. Dieser stand in einer Lebensordnung drinnen, welche noch von seelentragenden Impulsen gestaltet war. Er hatte alles Interesse daran, die Errungenschaften der neuen Zeit in den Rahitien dieser Lebensordnung ein­zuspannen. Der Proletarier war aus dieser Lebensordnung

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seelisch herausgerissen. Ihm konnte diese Lebensordnung nicht eine Empfindung geben, die sein Leben mit einem menschenwürdigen Inhalt durchleuchtete. Empfinden lassen, was man als Mensch ist, das konnte den Proletarier das einzige, was ausgestattet mit Glauben erweckender Kraft aus der alten Lebensordnung hervorgegangen zu sein schien: die wissenschaftliche Denkungsart.

Es könnte manchen Leser dieser Ausführungen wohl zu einem Lächeln drängen, wenn auf die «Wissenschaftlichkeit» der proletarischen Vorstellungsart verwiesen wird. Wer bei «Wissenschaftlichkeit» nur an dasjenige zu denken vermag, was man durch vieljähriges Sitzen in «Bildungsanstalten» sich erwirbt, und der dann diese «Wissenschaftlichkeit» in Gegensatz bringt zu dem Bewußtseinsinhalt des Proletariers, der «nichts gelernt» hat, der mag lächeln. Er lächelt über Schicksal entscheidende Tatsachen des gegenwärtigen Lebens hinweg. Diese Tatsachen bezeugen aber, daß mancher hoch-gelehrte Mensch unwissenschaftlich lebt, während der un­gelehrte Proletarier seine Lebensgesinnung nach der Wissen­schaft hin orientiert, die er vielleicht gar nicht besitzt. Der Gebildete hat die Wissenschaft aufgenommen; sie ist in einem Schubfach seines Seelen-Innern. Er steht aber in Lebenszusammenhängen und läßt sich von diesen seine Empfindungen orientieren, die nicht von dieser Wissen­schaft gelenkt werden. Der Proletarier ist durch seine Lebensverhältnisse dazu gebracht, das Dasein so aufzu­fassen, wie es der Gesinnung dieser Wissenschaft entspricht. Was die andern Klassen «Wissenschaftlichkeit» nennen, mag ihm ferne liegen; die Vorstellungsrichtung dieser Wissen­schaftlichkeit orientiert sein Leben. Für die andern Klassen ist bestimmend eine religiöse, eine ästhetische, eine allgemeingeistige

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Grundlage; für ihn wird die «Wissenschaft», wenn auch oft in ihren allerletzten Gedanken-Ausläufen, Lebens­glaube. Mancher Angehörige der «führenden» Klassen fühlt sich «aufgeklärt», «freireligiös». Gewiß, in seinen Vor­stellungen lebt die wissenschaftliche Überzeugung; in seinen Empfindungen aber pulsieren die von ihm unbemerkten Reste eines überlieferten Lebensglaubens.

Was die wissenschaftliche Denkungsart nicht aus der alten Lebensordnung mitbekommen hat: das ist das Bewußt­sein, daß sie als geistiger Art in einer geistigen Welt wurzelt. Über diesen Charakter der modernen Wissenschaftlichkeit konnte sich der Angehörige der führenden Klassen hinweg­setzen. Denn ihm erfüllt sich das Leben mit alten Tra­ditionen. Der Proletarier konnte das nicht. Denn seine neue Lebenslage trieb die alten Traditionen aus seiner Seele. Er übernahm die wissenschaftliche Vorstellungsart von den herrschenden Klassen als Erbgut. Dieses Erbgut wurde die Grundlage seines Bewußtseins vom Wesen des Menschen. Aber dieser «Geistesinhalt» in seiner Seele wußte nichts von seinem Ursprung in einem wirklichen Geistesleben. Was der Proletarier von den herrschenden Klassen als geistiges Leben allein übernehmen konnte, verleugnete seinen Ursprung aus dem Geiste.

Mir ist nicht unbekannt, wie diese Gedanken Nichtproletarier und auch Proletarier berühren werden, die mit dem Leben «praktisch» vertraut zu sein glauben, und die aus diesem Glauben heraus das hier Gesagte für eine lebensfremde Anschauung halten. Die Tatsachen, welche aus der gegenwärtigen Weltlage heraus sprechen, werden immer mehr diesen Glauben als einen Wahn erweisen. Wer un­befangen diese Tatsachen sehen kann, dem muß sich offenbaren,

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daß einer Lebensauffassung, welche sich nur an das Außere dieser Tatsachen hält, zuletzt nur noch Vorstellungen zugänglich sind, die mit den Tatsachen nichts mehr zu tun haben. Herrschende Gedanken haben sich so lange «prak­tisch» an die Tatsachen gehalten, bis diese Gedanken keine Ähnlichkeit mehr mit diesen Tatsachen haben. In dieser Beziehung könnte die gegenwärtige Weltkatastrophe ein Zuchtmeister für viele sein. Denn: Was haben sie gedacht, daß werden kann? Und was ist geworden? Soll es so auch mit dem sozialen Denken gehen?

Auch höre ich im Geiste den Einwurf, den der Bekenner proletarischer Lebensauffassung aus seiner Seelenstimmung heraus macht: Wieder einer, der den eigentlichen Kern der sozialen Frage auf ein Geleise ablenken möchte, das dem bürgerlich Gesinnten bequem zu befahren scheint. Dieser Bekenner durchschaut nicht, wie ihm das Schicksal sein proletarisches Leben gebracht hat, und wie er sich innerhalb dieses Lebens durch eine Denkungsart zu bewegen sucht, die ihm von den «herrschenden» Klassen als Erbgut über-macht ist. Er lebt proletarisch; aber er denkt bürgerlich. Die neue Zeit macht nicht bloß notwendig, sich in ein neues Leben zu finden, sondern auch in neue Gedanken. Die wissenschaftliche Vorstellungsart wird erst zum lebentragenden Inhalt werden können, wenn sie auf ihre Art für die Bildung eines vollmenschlichen Lebensinhaltes eine solche Stoßkraft entwickelt, wie sie alte Lebensauffassungen in ihrer Weise entwickelt haben.

Damit ist der Weg bezeichnet, der zum Auffinden der wahren Gestalt eines der Glieder innerhalb der neueren proletarischen Bewegung führt. Am Ende dieses Weges ertönt aus der proletarischen Seele die Überzeugung: Ich

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strebe nach dem geistigen Leben. Aber dieses geistige Leben ist Ideologie, ist nur, was sich im Menschen von den äußeren Weltvorgängen spiegelt, fließt nicht aus einer besonderen geistigen Welt her. Was im Übergange zur neuen Zeit aus dem alten Geistesleben geworden ist, emp­findet die proletarische Lebensauffassung als Ideologie. Wer die Stimmung in der proletarischen Seele begreifen will, die sich in den sozialen Forderungen der Gegenwart auslebt, der muß imstande sein, zu erfassen, was die Ansicht bewirken kann, daß das geistige Leben Ideologie sei. Man mag erwidern: Was weiß der Durchschnittsproletarier von dieser Ansicht, die in den Köpfen der mehr oder weniger geschulten Führer verwirrend spukt. Der so spricht, redet am Leben vorbei, und er handelt auch am wirklichen Leben vorbei. Ein solcher weiß nicht, was im Proletarierleben der letzten Jahrzehnte vorgegangen ist; er weiß nicht, welche Fäden sich spinnen von der Ansicht, das geistige Leben sei Ideologie, zu den Forderungen und Taten des von ihm nur für «unwissend» gehaltenen radikalen Sozialisten und auch zu den Handlungen derer, die aus dumpfen Lebens-impulsen heraus «Revolution machen».

Darinnen liegt die Tragik, die über das Erfassen der sozialen Forderungen der Gegenwart sich ausbreitet, daß man in vielen Kreisen keine Empfindung für das hat, was aus der Seelenstimmung der breiten Massen sich an die Oberfläche des Lebens heraufdrängt, daß man den Blick nicht auf das zu richten vermag, was in den Menschengemütern wirklich vorgeht. Der Nichtproletarier hört angsterfüllt nach den Forderungen des Proletariers hin und vernimmt: Nur durch Vergesellschaftung der Produktions­mittel kann für mich ein menschenwürdiges Dasein erreicht

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werden. Aber er vermag sich keine Vorstellung davon zu bilden, daß seine Klasse beim Übergang aus einer alten in die neue Zeit nicht nur den Proletarier zur Arbeit an den ihm nicht gehörenden Produktionsmitteln aufgerufen hat, sondern daß sie nicht vermocht hat, ihm zu dieser Arbeit einen tragenden Seeleninhalt hinzuzugeben. Menschen, welche in der oben angedeuteten Art am Leben vorbeisehen und vorbeihandeln, mögen sagen: Aber der Proletarier will doch einfach in eine Lebenslage versetzt sein, die der­jenigen der herrschenden Klassen gleichkommt; wo spielt da die Frage nach dem Seeleninhalt eine Rolle? Ja, der Proletarier mag selbst behaupten: Ich verlange von den andern Klassen nichts für meine Seele; ich will, daß sie mich nicht weiter ausbeuten können. Ich will, daß die jetzt bestehenden Klassenunterschiede aufhören. Solche Rede trifft doch das Wesen der sozialen Frage nicht. Sie enthüllt nichts von der wahren Gestalt dieser Frage. Denn ein solches Bewußtsein in den Seelen der arbeitenden Bevölkerung, das von den herrschenden Klassen einen wahren Geistesinhalt ererbt hätte, würde die sozialen Forderungen in ganz anderer Art erheben, als es das moderne Proletariat tut, das in dem empfangenen Geistesleben nur eine Ideologie sehen kann. Dieses Proletariat ist von dem ideologischen Charakter des Geisteslebens überzeugt; aber es wird durch diese Überzeugung immer unglücklicher. Und die Wirkungen dieses seines Seelenunglückes, die es nicht bewußt kennt, aber intensiv erleidet, überwiegen weit in ihrer Bedeutung für die soziale Lage der Gegenwart alles, was nur die in ihrer Art auch berechtigte Forderung nach Verbesserung der äußeren Lebenslage ist.

Die herrschenden Klassen erkennen sich nicht als die

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Urheber derjenigen Lebensgesinnung, die ihnen gegenwärtig im Proletariertum kampfbereit entgegentritt. Und doch sind sie diese Urheber dadurch geworden, daß sie von ihrem Geistesleben diesem Proletariertum nur etwas haben ver­erben können, was von diesem als Ideologie empfunden werden muß.

Nicht das gibt der gegenwärtigen sozialen Bewegung ihr wesentliches Gepräge, daß man nach einer Änderung der Lebenslage einer Menschenklasse verlangt, obgleich es das natürlich Erscheinende ist, sondern die Art wie die For­derung nach dieser Änderung aus den Gedanken-Impulsen dieser Klasse in Wirklichkeit umgesetzt wird. Man sehe sich doch die Tatsachen von diesem Gesichtspunkte aus nur einmal unbefangen an. Dann wird man sehen, wie Per­sönlichkeiten, die ihr Denken in der Richtung der proleta­rischen Impulse halten wollen, lächeln, wenn die Rede darauf kommt, durch diese oder jene geistigen Bestrebungen wolle man etwas beitragen zur Lösung der sozialen Frage. Sie belächeln das als Ideologie> als eine graue Theorie. Aus dem Gedanken heraus, aus dem bloßen Geistesleben heraus, so meinen sie, werde gewiß nichts beigetragen werden können zu den brennenden sozialen Fragen der Gegenwart. Aber sieht man genauer zu, dann drängt es sich einem auf, wie der eigentliche Nerv, der eigentliche Grundimpuls der modernen, gerade proletarischen Bewegung nicht in dem liegt, wovon der heutige Proletarier spricht, sondern liegt in Gedanken.

Die moderne proletarische Bewegung ist, wie vielleicht noch keine ähnliche Bewegung der Welt - wenn man sie genauer anschaut, zeigt sich dies im eminentesten Sinne -, eine Bewegung aus Gedanken entsprungen. Dies sage ich

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nicht bloß wie ein im Nachdenken über die soziale Be­wegung gewonnenes Aperçu. Wenn es mir gestattet ist, eine persönliche Bemerkung einzufügen, so sei es diese: Ich habe jahrelang innerhalb einer Arbeiterbildungsschule in den verschiedensten Zweigen proletarischen Arbeitern Un­terricht erteilt. Ich glaube dabei kennengelernt zu haben, was in der Seele des modernen proletarischen Arbeiters lebt und strebt. Von da ausgehend habe ich auch zu verfolgen Gelegenheit gehabt, was in den Gewerkschaften der ver­schiedenen Berufe und Berufsrichtungen wirkt. Ich meine, ich spreche nicht bloß vom Gesichtspunkte theoretischer Er­wägungen, sondern ich spreche aus, was ich glaube, als Ergebnis wirklicher Lebenserfahrung mir errungen zu haben.

Wer - was bei den führenden Intellektuellen leider so wenig der Fall ist - wer die moderne Arbeiterbewegung da kennengelernt hat, wo sie von Arbeitern getragen wird, der weiß, welch bedeutungsschwere Erscheinung dieses ist, daß eine gewisse Gedanken-Richtung die Seelen einer großen Zahl von Menschen in der intensivsten Weise ergriffen hat. Was gegenwärtig schwierig macht, zu den sozialen Rätseln Stellung zu nehmen, ist, daß eine so geringe Möglichkeit des gegenseitigen Verständnisses der Klassen da ist. Die bürgerlichen Klassen können heute sich so schwer in die Seele des Proletariers hineinversetzen, können so schwer verstehen, wie in der noch unverbrauchten Intelligenz des Proletariats Eingang finden konnte eine solche - mag man nun zum Inhalt stehen wie man will -, eine solche an menschliche Denkforderungen höchste Maßstäbe anlegende Vorstellungsart, wie es diejenige Karl Marxens ist.

Gewiß, Karl Marxens Denksystem kann von dem einen

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angenommen, von dem andern widerlegt werden, vielleicht das eine mit so gut erscheinenden Gründen wie das andre; es konnte revidiert werden von denen, die das soziale Leben nach Marxens und seines Freundes Engels Tode von anderem Gesichtspunkte ansahen als diese Führer. Von dem Inhalte dieses Systems will ich gar nicht sprechen. Der scheint mir nicht als das Bedeutungsvolle in der modernen proletarischen Bewegung. Das Bedeutungsvollste erscheint mir, daß die Tatsache vorliegt: Innerhalb der Arbeiterschaft wirkt als mächtigster Impuls ein Gedankensystem. Man kann geradezu die Sache in der folgenden Art aussprechen: Eine praktische Bewegung, eine reine Lebensbewegung mit alleralltäglichsten Menschheitsforderungen stand noch nie­mals so fast ganz allein auf einer rein gedanklichen Grundlage wie diese moderne Proletarierbewegung. Sie ist gewisser­maßen sogar die erste derartige Bewegung in der Welt, die sich rein auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt hat. Diese Tatsache muß aber richtig angesehen werden. Wenn man alles dasjenige ansieht, was der moderne Prole­tarier über sein eigenes Meinen und Wollen und Empfinden bewußt zu sagen hat, so scheint einem das programmäßig Ausgesprochene bei eindringlicher Lebensbeobachtung durch­aus nicht als das Wichtige.

Als wirklich wichtig aber muß erscheinen, daß im Prole­tarierempfinden für den ganzen Menschen entscheidend geworden ist, was bei andern Klassen nur in einem einzelnen Gliede ihres Seelenlebens verankert ist: die Gedankengrundlage der Lebensgesinnung. Was im Proletarier auf diese Art innere Wirklichkeit ist, er kann es nicht bewußt zugestehen. Er ist von diesem Zugeständnis abgehalten da­durch, daß ihm das Gedankenleben als Ideologie überliefert

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worden ist. Er baut in Wirklichkeit sein Leben auf die Ge­danken; empfindet diese aber als unwirkliche Ideologie. Nicht anders kann man die proletarische Lebensauffassung und ihre Verwirklichung durch die Handlungen ihrer Trä­ger verstehen, als indem man diese Tatsache in ihrer vollen Tragweite innerhalb der neueren Menschheitsentwickelung durchschaut.

Aus der Art, wie in dem Vorangegangenen das geistige Leben des modernen Proletariers geschildert worden ist, kann man erkennen, daß in der Darstellung der wahren Gestalt der proletarisch-sozialen Bewegung die Kennzeich­nung dieses Geisteslebens an erster Stelle erscheinen muß. Denn es ist wesentlich, daß der Proletarier die Ursachen der ihn nicht befriedigenden sozialen Lebenslage so empfin­det und nach ihrer Beseitigung in einer solchen Art strebt, daß Empfindung und Streben von diesem Geistesleben die Richtung empfängt. Und doch kann er gegenwärtig noch gar nicht anders als die Meinung spottend oder zornig ablehnen, daß in diesen geistigen Untergründen der sozialen Bewegung etwas liegt, was eine bedeutungsvolle treibende Kraft darstellt. Wie sollte er einsehen, daß das Geistesleben eine ihn treibende Macht hat, da er es doch als Ideologie empfinden muß? Von einem Geistesleben, das so empfun­den wird, kann man nicht erwarten, daß es den Ausweg aus einer sozialen Lage findet, die man nicht weiter er­tragen will. Aus seiner wissenschaftlich orientierten Den­kungsart ist dem modernen Proletarier nicht nur die Wissenschaft selbst, sondern es sind ihm Kunst, Religion, Sitte, Recht zu Bestandteilen der menschlichen Ideologie gewor­den. Er sieht in dem, was in diesen Zweigen des Geistes­lebens waltet, nichts von einer in sein Dasein hereinbrechenden

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Wirklichkeit, die zu dem materiellen Leben etwas hinzufügen kann. Ihm sind sie nur Abglanz oder Spiegel­bild dieses materiellen Lebens. Mögen sie immerhin, wenn sie entstanden sind, auf dem Umwege durch das menschliche Vorstellen oder durch ihre Aufnahme in die Willensimpulse auf das materielle Leben wieder gestaltend zurückwirken:

Ursprünglich steigen sie als ideologische Gebilde aus diesem Leben auf. Nicht sie können von sich aus etwas geben, das zur Behebung der sozialen Schwierigkeiten führt. Nur inner­halb der materiellen Tatsachen selbst kann etwas entstehen, was zum Ziele geleitet.

Das neuere Geistesleben ist von den führenden Klassen der Menschheit an die proletarische Bevölkerung in einer Form übergegangen, die seine Kraft für das Bewußtsein dieser Bevölkerung ausschaltet. Wenn an die Kräfte gedacht wird, welche der sozialen Frage die Lösung bringen können, so muß dies vor allem andern verstanden werden. Bliebe diese Tatsache weiter wirksam, so müßte sich das Geistes­leben der Menschheit zur Ohnmacht verurteilt sehen gegen­über den sozialen Forderungen der Gegenwart und Zu­kunft. Von dem Glauben an diese Ohnmacht ist in der Tat ein großer Teil des modernen Proletariats überzeugt; und diese Überzeugung wird aus marxistischen oder ähnlichen Bekenntnissen heraus zum Ausdruck gebracht. Man sagt, das moderne Wirtschaftsleben hat aus seinen ältern Formen heraus die kapitalistische der Gegenwart entwickelt. Diese Entwickelung hat das Proletariat in eine ihm unerträgliche Lage gegenüber dem Kapitale gebracht. Die Entwickelung werde weitergehen; sie werde den Kapitalismus durch die in ihm selbst wirkenden Kräfte ertöten, und aus dem Tode des Kapitalismus werde die Befreiung des Proletariats erstehen.

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Diese Überzeugung ist von neueren sozialistischen Denkern des fatalistischen Charakters entkleidet worden, den sie für einen gewissen Kreis von Marxisten angenom­men hat. Aber das Wesentliche ist auch da geblieben. Dies drückt sich darinnen aus, daß es dem, der gegenwärtig echt sozialistisch denken will, nicht beifallen wird, zu sagen:

Wenn irgendwo ein aus den Impulsen der Zeit heraus­geholtes, in einer geistigen Wirklichkeit wurzelndes, die Menschen tragendes Seelenleben sich zeigt, so wird von diesem die Kraft ausstrahlen können, die auch der sozialen Bewegung den rechten Antrieb gibt.

Daß der zur proletarischen Lebensführung gezwungene Mensch der Gegenwart gegenüber dem Geistesleben dieser Gegenwart eine solche Erwartung nicht hegen kann, das gibt seiner Seele die Grundstimmung. Er bedarf eines Gei­steslebens, von dem die Kraft ausgeht, die seiner Seele die Empfindung von seiner Menschenwürde verleiht. Denn als er in die kapitalistische Wirtschaftsordnung der neueren Zeit hineingespannt worden ist, wurde er mit den tiefsten Bedürfnissen seiner Seele auf ein solches Geistesleben hin­gewiesen. Dasjenige Geistesleben aber, das ihm die führen­den Klassen als Ideologie überlieferten, höhlte seine Seele aus. Daß in den Forderungen des modernen Proletariats die Sehnsucht nach einem andern Zusammenhang mit dem Geistesleben wirkt, als ihm die gegenwärtige Gesellschafts­ordnung geben kann: dies gibt der gegenwärtigen sozialen Bewegung die richtende Kraft. Aber diese Tatsache wird weder von dem nicht proletarischen Teile der Menschheit richtig erfaßt, noch von dem proletarischen. Denn der nicht proletarische leidet nicht unter dem ideologischen Gepräge des modernen Geisteslebens, das er selbst herbeigeführt hat.

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Der proletarische Teil leidet darunter. Aber dieses ideolo­gische Gepräge des ihm vererbten Geisteslebens hat ihm den Glauben an die tragende Kraft des Geistesgutes als solchen geraubt. Von der rechten Einsicht in diese Tatsache hängt das Auffinden eines Weges ab, der aus den Wirren der gegenwärtigen sozialen Lage der Menschheit herausführen kann. Durch die gesellschaftliche Ordnung, welche unter dem Einfluß der führenden Menschenklassen beim Herauf­kommen der neueren Wirtschaftsform entstanden ist, ist der Zugang zu einem solchen Wege verschlossen worden. Man wird die Kraft gewinnen müssen, ihn zu öffnen.

Man wird auf diesem Gebiete zum Umdenken dessen kommen, was man gegenwärtig denkt, wenn man das Ge­wicht der Tatsache wird richtig empfinden lernen, daß ein gesellschaftliches Zusammenleben der Menschen, in dem das Geistesleben als Ideologie wirkt, eine der Kräfte entbehrt, welche den sozialen Organismus lebensfähig machen. Der gegenwärtige krankt an der Ohnmacht des Geisteslebens. Und die Krankheit wird verschlimmert durch die Abnei­gung, ihr Bestehen anzuerkennen. Durch die Anerkennung dieser Tatsache wird man eine Grundlage gewinnen, auf der sich ein der sozialen Bewegung entsprechendes Denken entwickeln kann.

Gegenwärtig vermeint der Proletarier eine Grundkraft seiner Seele zu treffen, wenn er von seinem Klassenbewußtsein redet. Doch die Wahrheit ist, daß er seit seiner Ein­spannung in die kapitalistische Wirtschaftsordnung nach einem Geistesleben sucht, das seine Seele tragen kann, das ihm das Bewußtsein seiner Menschenwürde gibt; und daß ihm das als ideologisch empfundene Geistesleben dieses Bewußtsein nicht entwickeln kann. Er hat nach diesem

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Bewußtsein gesucht, und er hat, was er nicht finden konnte, durch das aus dem Wirtschaftsleben geborene Klassenbe­wußtsein ersetzt.

Sein Blick ist wie durch eine mächtige suggestive Kraft bloß hingelenkt worden auf das Wirtschaftsleben. Und nun glaubt er nicht mehr, daß anderswo, in einem Geistigen oder Seelischen, ein Anstoß liegen könne zu dem, was not­wendig eintreten müßte auf dem Gebiete der sozialen Bewegung. Er glaubt allein, daß durch die Entwickelung des ungeistigen, unseelischen Wirtschaftslebens der Zustand her­beigeführt werden könne, den er als den menschenwürdigen empfindet. So wurde er dazu gedrängt, sein Heil allein in einer Umgestaltung des Wirtschaftslebens zu suchen. Zu der Meinung wurde er gedrängt, daß durch bloße Umgestaltung des Wirtschaftslebens verschwinden werde all der Schaden, der herrührt von der privaten Unternehmung, von dem Egoismus des einzelnen Arbeitgebers und von der Unmög­lichkeit des einzelnen Arbeitgebers, gerecht zu werden den Ansprüchen auf Menschenwürde, die im Arbeitnehmer leben. So kam der moderne Proletarier dazu, das einzige Heil des sozialen Organismus zu sehen in der Überführung allen Privatbesitzes an Produktionsmitteln in gemeinschaftlichen Betrieb oder gar gemeinschaftliches Eigentum. Eine solche Meinung ist dadurch entstanden, daß man gewissermaßen den Blick abgelenkt hat von allem Seelischen und Geistigen und ihn nur hingerichtet hat auf den rein ökonomischen Prozeß.

Dadurch stellte sich all das Widerspruchsvolle ein, das in der modernen proletarischen Bewegung liegt. Der moderne Proletarier glaubt, daß aus der Wirtschaft, aus dem Wirt­schaftsleben selbst sich alles entwickeln müsse, was ihm zuletzt

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sein volles Menschenrecht geben werde. Um dies volle Menschenrecht kämpft er. Allein innerhalb seines Strebens tritt etwas auf, was eben niemals aus dem wirtschaftlichen Leben allein als eine Folge auftreten kann. Das ist eine bedeutende, eine eindringliche Sprache redende Tatsache, daß geradezu im Mittelpunkte der verschiedenen Gestal­tungen der sozialen Frage aus den Lebensnotwendigkeiten der gegenwärtigen Menschheit heraus etwas liegt, von dem man glaubt, daß es aus dem Wirtschaftsleben selbst hervor­gehe, das aber niemals aus diesem allein entspringen konnte, das vielmehr in der geraden Fortentwickelungslinie liegt, die über das alte Sklavenwesen durch das Leibeigenen­wesen der Feudalzeit zu dem modernen Arbeitsproletariat heraufführt. Wie auch für das moderne Leben die Warenzirkulation, die Geldzirkulation, das Kapitalwesen, der Besitz, Wesen von Grund und Boden und so weiter sich gestaltet haben, innerhalb dieses modernen Lebens hat sich etwas herausgebildet, das nicht deutlich ausgesprochen wird, auch von dem modernen Proletarier nicht bewußt empfun­den wird, das aber der eigentliche Grundimpuis seines so­zialen Wollens ist. Es ist dieses: Die moderne kapitalistische Wirtschaftsordnung kennt im Grunde genommen nur Ware innerhalb ihres Gebietes. Sie kennt Wertbildung dieser Waren innerhalb des wirtschaftlichen Organismus. Und es ist geworden innerhalb des kapitalistischen Organismus der neueren Zeit etwas zu einer Ware, von dem heute der Pro­letarier empfindet: es darf nicht Ware sein.

Wenn man einmal einsehen wird, wie stark als einer der Grundimpulse der ganzen modernen proletarischen sozialen Bewegung in den Instinkten, in den unterbewußten Empfin­dungen des modernen Proletariers ein Abscheu davor lebt,

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daß er seine Arbeitskraft dem Arbeitgeber ebenso verkaufen muß, wie man auf dem Markte Waren verkauft, der Ab­scheu davor, daß auf dem Arbeitskräftemarkt nach An­gebot und Nachfrage seine Arbeitskraft ihre Rolle spielt, wie die Ware auf dem Markte unter Angebot und Nach­frage, wenn man darauf kommen wird, welche Bedeutung dieser Abscheu vor der Ware Arbeitskraft in der modernen sozialen Bewegung hat, wenn man ganz unbefangen dar­auf blicken wird, daß, was da wirkt, auch nicht eindringlich und radikal genug von den sozialistischen Theorien aus­gesprochen wird, dann wir man zu dem ersten Impuls, dem ideologisch empfundenen Geistesleben, den zweiten gefun­den haben, von dem gesagt werden muß, daß er heute die soziale Frage zu einer drängenden, ja brennenden macht.

Im Altertum gab es Sklaven. Der ganze Mensch wurde wie eine Ware verkauft. Etwas weniger vom Menschen, aber doch eben ein Teil des Menschenwesens selber wurde in den Wirtschaftsprozeß eingegliedert durch die Leibeigen­schaft. Der Kapitalismus ist die Macht geworden, die noch einem Rest des Menschenwesens den Charakter der Ware aufdrückt: der Arbeitskraft. Ich will hier nicht sagen, daß diese Tatsache nicht bemerkt worden sei. Im Gegenteil, sie wird im sozialen Leben der Gegenwart als eine fundamen­tale Tatsache empfunden. Sie wird als etwas gefühlt, was gewichtig in der modernen sozialen Bewegung wirkt. Aber man lenkt, indem man sie betrachtet, den Blick lediglich auf das Wirtschaftsleben. Man macht die Frage über den Waren­charakter zu einer bloßen Wirtschaftsfrage. Man glaubt, daß aus dem Wirtschaftsleben heraus selbst die Kräfte kom­men müssen, welche einen Zustand herbeiführen, durch den der Proletarier nicht mehr die Eingliederung seiner Arbeits­kraft

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in den sozialen Organismus als seiner unwürdig emp­findet. Man sieht, wie die moderne Wirtschaftsform in der neueren geschichtlichen Entwickelung der Menschheit heraufgezogen ist. Man sieht auch, daß diese Wirtschaftsform der menschlichen Arbeitskraft den Charakter der Ware aufgeprägt hat. Aber man sieht nicht, wie es im Wirtschafts­leben selbst liegt, daß alles ihm Eingegliederte zur Ware werden muß. In der Erzeugung und in dem zweckmäßigen Verbrauch von Waren besteht das Wirtschaftsleben. Man kann nicht die menschliche Arbeitskraft des Warencharak­ters entkleiden, wenn man nicht die Möglichkeit findet, sie aus dem Wirtschaftsprozeß herauszureißen. Nicht darauf kann das Bestreben gerichtet sein, den Wirtschaftsprozeß so umzugestalten, daß in ihm die menschliche Arbeitskraft zu ihrem Rechte kommt, sondern darauf: Wie bringt man diese Arbeitskraft aus dem Wirtschaftsprozeß heraus, um sie von sozialen Kräften bestimmen zu lassen, die ihr den Warencharakter nehmen? Der Proletarier ersehnt einen Zustand des Wirtschaftslebens, in dem seine Arbeitskraft ihre ange­messene Stellung einnimmt. Er ersehnt ihn deshalb, weil er nicht sieht, daß der Warencharakter seiner Arbeitskraft wesentlich von seinem völligen Eingespanntsein in den Wirtschaftsprozeß herrührt. Dadurch, daß er seine Arbeits­kraft diesem Prozeß überliefern muß, geht er mit seinem ganzen Menschen in demselben auf. Der Wirtschaftsprozeß strebt so lange durch seinen eigenen Charakter danach, die Arbeitskraft in der zweckmäßigsten Art zu verbrauchen, wie in ihm Waren verbraucht werden, so lange man die Regelung der Arbeitskraft in ihm liegen läßt. Wie hypnoti­siert durch die Macht des modernen Wirtschaftslebens, richtet man den Blick allein auf das, was in diesem wirken kann.

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Man wird durch diese Blickrichtung nie finden, wie Arbeits­kraft nicht mehr Ware zu sein braucht. Denn eine andere Wirtschaftsform wird diese Arbeitskraft nur in einer andern Art zur Ware machen. Die Arbeitsfrage kann man nicht in ihrer wahren Gestalt zu einem Teile der sozialen Frage machen, solange man nicht sieht, daß im Wirtschaftsleben Warenerzeugung, Warenaustausch und Warenkonsumtion nach Gesetzen vor sich gehen, die durch Interessen bestimmt werden, deren Machtbereich nicht über die menschliche Arbeitskraft ausgedehnt werden soll.

Das neuzeitliche Denken hat nicht trennen gelernt die ganz verschiedenen Arten, wie sich auf der einen Seite das­jenige in das Wirtschaftsleben eingliedert, was als Arbeits­kraft an den Menschen gebunden ist, und auf der andern Seite dasjenige, was, seinem Ursprunge nach, unverbunden mit dem Menschen auf den Wegen sich bewegt, welche die Ware nehmen muß von ihrer Erzeugung bis zu ihrem Ver­brauch. Wird sich durch eine in dieser Richtung gehende gesunde Denkungsart die wahre Gestalt der Arbeitsfrage einerseits zeigen, so wird anderseits sich durch diese Denk­art auch erweisen, welche Stellung das Wirtschaftsleben im gesunden sozialen Organismus einnehmen soll.

Man sieht schon hieraus, daß die «soziale Frage» sich in drei besondere Fragen gliedert. Durch die erste wird auf die gesunde Gestalt des Geisteslebens im sozialen Organis­mus zu deuten sein; durch die zweite wird das Arbeitsver­hältnis in seiner rechten Eingliederung in das Gemeinschafts­leben zu betrachten sein; und als drittes wird sich ergeben können, wie das Wirtschaftsleben in diesem Leben wirken soll.

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II. DIE VOM LEBEN GEFORDERTEN WIRKLICH­KEITSGEMÄSSEN LÖSUNGSVERSUCHE FÜR DIE SOZIALEN FRAGEN UND NOTWENDIGKEITEN

Man kann das Charakteristische, das gerade zu der beson­dern Gestalt der sozialen Frage in der neueren Zeit geführt hat, wohl so aussprechen, daß man sagt: Das Wirtschafts­leben, von der Technik getragen, der moderne Kapitalismus, sie haben mit einer gewissen naturhaften Selbstverständlich­keit gewirkt und die moderne Gesellschaft in eine gewisse innere Ordnung gebracht. Neben der Inanspruchnahme der menschlichen Aufmerksamkeit für dasjenige, was Technik und Kapitalismus gebracht haben, ist die Aufmerksamkeit abgelenkt worden für andere Zweige, andere Gebiete des sozialen Organismus. Diesen muß ebenso notwendig vom menschlichen Bewußtsein aus die rechte Wirksamkeit angewiesen werden, wenn der soziale Organismus gesund sein soll.

Ich darf, um dasjenige, was hier gerade als treibende Im­pulse einer umfassenden, allseitigen Beobachtung über die soziale Frage charakterisiert werden soll, deutlich zu sagen, vielleicht von einem Vergleich ausgehen. Aber es wird zu be­achten sein, daß mit diesem Vergleich nichts anderes gemeint sein soll als eben ein Vergleich. Ein solcher kann unter­stützen das menschliche Verständnis, um es gerade in die­jenige Richtung zu bringen, welche notwendig ist, um sich Vorstellungen zu machen über die Gesundung des sozialen Organismus. Wer von dem hier eingenommenen Gesichts­punkt betrachten muß den kompliziertesten natürlichen

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Organismus, den menschlichen Organismus, der muß seine Aufmerksamkeit darauf richten, daß die ganze Wesenheit dieses menschlichen Organismus drei nebeneinander wirk­same Systeme aufzuweisen hat, von denen jedes mit einer gewissen Selbständigkeit wirkt. Diese drei nebeneinander wirksamen Systeme kann man etwa in folgender Weise kennzeichnen. Im menschlichen natürlichen Organismus wirkt als ein Gebiet dasjenige System, welches in sich schließt Nervenleben und Sinnesleben. Man könnte es auch nach dem wichtigsten Gliede des Organismus, wo Nerven- und Sinnesleben gewissermaßen zentralisiert sind, den Kopf-Organismus nennen.

Als zweites Glied der menschlichen Organisation hat man anzuerkennen, wenn man ein wirkliches Verständnis für sie erwerben will, das, was ich nennen möchte das rhythmische System. Es besteht aus Atmung, Blutzirkulation, aus all dem, was sich ausdrückt in rhythmischen Vorgängen des menschlichen Organismus.

Als drittes System hat man dann anzuerkennen alles, was als Organe und Tätigkeiten zusammenhängt mit dem eigent­lichen Stoffwechsel.

In diesen drei Systemen ist enthalten alles dasjenige, was in gesunder Art unterhält, wenn es aufeinander organisiert ist, den Gesamtvorgang des menschlichen Organismus*.

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* Die hier gemeinte Gliederung ist nicht eine solche nach räumlich abgrenzbaren Leibesgliedern, sondern eine solche nach Tätigkeiten (Funktionen) des Organismus. «Kopforganismus» ist nur zu gebrauchen, wenn man sich bewußt ist, daß im Kopfe in erster Linie das Nerven-Sinnesleben zentralisiert ist. Doch ist natürlich im Kopfe auch die rhythmische und die Stoffwechseltätigkeit vorhanden, wie in den andern Leibesgliedern die Nerven-Sinnestätigkeit vorhanden ist. Trotzdem sind die drei Arten der Tätigkeit ihrer Wesenheit nach streng voneinander geschieden.

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Ich habe versucht, in vollem Einklange mit all dem, was naturwissenschaftliche Forschung schon heute sagen kann, diese Dreigliederung des menschlichen natürlichen Orga­nismus wenigstens zunächst skizzenweise in meinem Buche «Von Seelenrätseln» zu charakterisieren. Ich bin mir klar darüber, daß Biologie, Physiologie, die gesamte Naturwissenschaft mit Bezug auf den Menschen in der allernäch­sten Zeit zu einer solchen Betrachtung des menschlichen Organismus hindrängen werden, welche durchschaut, wie diese drei Glieder - Kopfsystem, Zirkulationssystem oder Brustsystem und Stoffwechselsystem - dadurch den Gesamt­vorgang im menschlichen Organismus aufrechterhalten, daß sie in einer gewissen Selbständigkeit wirken, daß nicht eine absolute Zentralisation des menschlichen Organismus vorliegt, daß auch jedes dieser Systeme ein besonderes, für sich bestehendes Verhältnis zur Außenwelt hat. Das Kopfsystem durch die Sinne, das Zirkulationssystem oder rhythmische System durch die Atmung, und das Stoffwechselsystem durch die Ernährungs- und Bewegungsorgane.

Man ist mit Bezug auf naturwissenschaftliche Methoden noch nicht ganz so weit, um dasjenige, was ich hier an­gedeutet habe, was aus geisteswissenschaftlichen Unter­gründen heraus für die Naturwissenschaft von mir zu verwerten gesucht worden ist, auch schon innerhalb der naturwissenschaftlichen Kreise selbst zur allgemeinen An­erkennung in einem solchen Grade zu bringen, wie das wünschenswert für den Erkenntnisfortschritt erscheinen kann. Das bedeutet aber: Unsere Denkgewohnheiten, unsere ganze Art, die Welt vorzustellen, ist noch nicht voll­ständig angemessen dem, was zum Beispiel im mensch­lichen Organismus sich als die innere Wesenheit des Naturwirkens

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darstellt. Man könnte nun wohl sagen: Nun ja, die Naturwissenschaft kann warten, sie wird nach und nach ihren Idealen zueilen, sie wird schon dahin kommen, solch eine Betrachtungsweise als die ihrige anzuerkennen. Aber mit Bezug auf die Betrachtung und namentlich das Wirken des sozialen Organismus kann man nicht warten. Da muß nicht nur bei irgendwelchen Fachmännern, sondern da muß in jeder Menschenseele - denn jede Menschenseele nimmt teil an der Wirksamkeit für den sozialen Organismus - wenigstens eine instinktive Erkenntnis von dem vor­handen sein, was diesem sozialen Organismus notwendig ist. Ein gesundes Denken und Empfinden, ein gesundes Wollen und Begehren mit Bezug auf die Gestaltung des sozialen Organismus kann sich nur entwickeln, wenn man, sei es auch mehr oder weniger bloß instinktiv, sich klar darüber ist, daß dieser soziale Organismus, soll er gesund sein, ebenso dreigliedrig sein muß wie der natürliche Or­ganismus.

Es ist nun, seit Schäffle sein Buch geschrieben hat über den Bau des sozialen Organismus, versucht worden, Ana­logien aufzusuchen zwischen der Organisation eines Naturwesens - sagen wir, der Organisation des Menschen - und der menschlichen Gesellschaft als solcher. Man hat feststellen wollen, was im sozialen Organismus die Zelle ist, was Zellengefüge sind, was Gewebe sind und so weiter! Noch vor kurzem ist ja ein Buch erschienen von Meray, «Weltmutation», in dem gewisse naturwissenschaftliche Tatsachen und naturwissenschaftliche Gesetze einfach übertragen wer­den auf - wie man meint - den menschlichen Gesellschafts­organismus. Mit all diesen Dingen, mit all diesen Analogie-­Spielereien hat dasjenige, was hier gemeint ist, absolut

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nichts zu tun. Und wer meint, auch in diesen Betrachtungen werde ein solches Analogienspiel zwischen dem natürlichen Organismus und dem gesellschaftlichen getrieben, der wird dadurch nur beweisen, daß er nicht in den Geist des hier Gemeinten eingedrungen ist. Denn nicht wird hier ange­strebt, irgendeine für naturwissenschaftliche Tatsachen passende Wahrheit herüber zu verpflanzen auf den sozialen Organismus; sondern das völlig andere, daß das menschliche Denken, das menschliche Empfinden lerne, das Lebensmögliche an der Betrachtung des naturgemäßen Organismus zu empfinden und dann diese Empfindungsweise anwenden könne auf den sozialen Organismus. Wenn man einfach das, was man glaubt gelernt zu haben am natürlichen Organis­mus, überträgt auf den sozialen Organismus, wie es oft geschieht, so zeigt man damit nur, daß man sich nicht die Fähigkeiten aneignen will, den sozialen Organismus ebenso selbständig, ebenso für sich zu betrachten, nach dessen eigenen Gesetzen zu forschen, wie man dies nötig hat für das Verständnis des natürlichen Organismus. Indem Augen­blicke, wo man wirklich sich objektiv, wie sich der Naturforscher gegenüberstellt dem natürlichen Organismus, dem sozialen Organismus in seiner Selbständigkeit gegenüberstellt, um dessen eigene Gesetze zu empfinden, in diesem Augenblicke hört gegenüber dem Ernst der Betrachtung jedes Analogiespiel auf.

Man könnte auch denken, der hier gegebenen Darstellung liege der Glaube zugrunde, der soziale Organismus solle von einer grauen, der Naturwissenschaft nachgebildeten Theorie aus «aufgebaut» werden. Das aber liegt dem, wovon hier gesprochen wird, so ferne wie nur möglich. Auf ganz anderes soll hingedeutet werden. Die gegenwärtige

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geschichtliche Menschheitskrisis fordert, daß gewisse Emp­findungen entstehen in jedem einzelnen Menschen, daß die Anregung zu diesen Empfindungen von dem Erziehungs­- und Schulsystem so gegeben werde, wie diejenige zur Erlernung der vier Rechnungsarten. Was bisher ohne die bewußte Aufnahme in das menschliche Seelenleben die alten Formen des sozialen Organismus ergeben hat, das wird in der Zukunft nicht mehr wirksam sein. Es gehört zu den Entwickelungsimpulsen, die von der Gegenwart an neu in das Menschenleben eintreten wollen, daß die angedeu­teten Empfindungen von dem einzelnen Menschen so gefor­dert werden, wie seit langem eine gewisse Schulbildung gefordert wird. Daß man gesund empfinden lernen müsse, wie die Kräfte des sozialen Organismus wirken sollen, damit dieser lebensfähig sich erweist, das wird, von der Gegenwart an, von dem Menschen gefordert. Man wird sich ein Gefühl davon aneignen müssen, daß es ungesund, antisozial ist, nicht sich mit solchen Empfindungen in diesen Organismus hineinstellen zu wollen.

Man kann heute von «Sozialisierung» als von dem reden hören, was der Zeit nötig ist. Diese Sozialisierung wird kein Heilungsprozeß, sondern ein Kurpfuscherprozeß am sozialen Organismus sein, vielleicht sogar ein Zerstörungsprozeß, wenn nicht in die menschlichen Herzen, in die menschlichen Seelen einzieht wenigstens die instinktive Erkenntnis von der Notwendigkeit der Dreigliederung des sozialen Orga­nismus. Dieser soziale Organismus muß, wenn er gesund wirken soll, drei solche Glieder gesetzmäßig ausbilden.

Eines dieser Glieder ist das Wirtschaftsleben. Hier soll mit seiner Betrachtung begonnen werden, weil es sich ja ganz augenscheinlich, alles übrige Leben beherrschend, durch

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die moderne Technik und den modernen Kapitalismus in die menschliche Gesellschaft hereingebildet hat. Dieses ökonomische Leben muß ein selbständiges Glied für sich innerhalb des sozialen Organismus sein, so relativ selb­ständig, wie das Nerven-Sinnes-System im menschlichen Organismus relativ selbständig ist. Zu tun hat es dieses Wirtschaftsleben mit all dem, was Warenproduktion, Warenzirkulation, Warenkonsum ist.

Als zweites Glied des sozialen Organismus ist zu betrach­ten das Leben des öffentlichen Rechtes, das eigentliche politische Leben. Zu ihm gehört dasjenige, das man im Sinne des alten Rechtsstaates als das eigentliche Staatsleben bezeichnen könnte. Während es das Wirtschaftsleben mit all dem zu tun hat, was der Mensch braucht aus der Natur und aus seiner eigenen Produktion heraus, mit Waren, Warenzirkulation und Warenkonsum, kann es dieses zweite Glied des sozialen Organismus nur zu tun haben mit all dem, was sich aus rein menschlichen Untergründen heraus auf das Verhältnis des Menschen zum Menschen bezieht. Es ist wesentlich für die Erkenntnis der Glieder des sozialen Organismus, daß man weiß, welcher Unterschied besteht zwischen dem System des öffentlichen Rechtes, das es nur zu tun haben kann aus menschlichen Untergründen heraus mit dem Verhältnis von Mensch zu Mensch, und dem Wirt­schafts-System, das es nur zu tun hat mit Warenproduktion, Warenzirkulation, Warenkonsum. Man muß dieses im Leben empfindend unterscheiden, damit sich als Folge dieser Empfindung das Wirtschafts- von dem Rechtsleben scheidet, wie im menschlichen natürlichen Organismus die Tätigkeit der Lunge zur Verarbeitung der äußeren Luft sich abscheidet von den Vorgängen im Nerven-Sinnesleben.

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Als drittes Glied, das ebenso selbständig sich neben die beiden andern Glieder hinstellen muß, hat man im sozialen Organismus das aufzufassen, was sich auf das geistige Leben bezieht. Noch genauer könnte man sagen, weil vielleicht die Bezeichnung «geistige Kultur» oder alles das was sich auf das geistige Leben bezieht durchaus nicht ganz genau ist alles dasjenige was beruht auf der natürlichen Begabung des einzelnen menschlichen Individuums was hineinkommen muß in den sozialen Organismus auf Grundlage dieser natürlichen, sowohl der geistigen wie der physischen Begabung des einzelnen menschlichen Individuums. Das erste System, das Wirtschaftssystem hat es zu tun mit all dem, was da sein muß damit der Mensch sein materielles Verhältnis zur Außenwelt regeln kann Das zweite System hat es zu tun mit dem was da sein muß im sozialen Orga­nismus wegen des Verhältnisses von Mensch zu Mensch Das dritte System hat zu tun mit all dem was hervor sprießen muß und eingegliedert werden muß in den sozialen Qrganismus aus der einzelnen menschlichen Individualität heraus.

Ebenso wahr, wie es ist, daß moderne Technik und moderner Kapitalismus unserm gesellschaftlichen Leben eigentlich in der neueren Zeit das Gepräge gegeben haben, ebenso notwendig ist es, daß diejenigen Wunden, die von dieser Seite her notwendig der menschlichen Gesellschaft geschlagen worden sind, dadurch geheilt werden, daß man den Menschen und das menschliche Gemeinschaftsleben in ein richtiges Verhältnis bringt zu den drei Gliedern dieses sozialen Organismus. Das Wirtschaftsleben hat einfach durch sich selbst in der neueren Zeit ganz bestimmte Formen angenommen. Es hat durch eine einseitige Wirksamkeit in

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das menschliche Leben sich besonders machtvoll hereingestellt. Die andern beiden Glieder des sozialen Lebens sind bisher nicht in der Lage gewesen, mit derselben Selbstverständlichkeit sich in der richtigen Weise nach ihren eigenen Gesetzen in den sozialen Organismus einzugliedern. Für sie ist es notwendig, daß der Mensch aus den oben angedeuteten Empfindungen heraus die soziale Gliederung vornimmt, jeder an seinem Orte; an dem Orte, an dem er gerade steht. Denn im Sinne derjenigen Lösungsversuche der sozialen Fragen, die hier gemeint sind, hat jeder einzelne Mensch seine soziale Aufgabe in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft.

Dasjenige, was das erste Glied des sozialen Organismus ist, das Wirtschaftsleben, das ruht zunächst auf der Natur­grundlage geradeso, wie der einzelne Mensch mit Bezug auf dasjenige, was er für sich durch Lernen, durch Erziehung, durch das Leben werden kann, ruht auf der Begabung seines geistigen und körperlichen Organismus. Diese Naturgrundlage drückt einfach dem Wirtschaftsleben und dadurch dem gesamten sozialen Organismus sein Gepräge auf. Aber diese Naturgrundlage ist da, ohne daß sie durch irgendeine soziale Organisation, durch irgendeine Sozialisierung in ursprünglicher Art getroffen werden kann. Sie muß dem Leben des sozialen Organismus so zugrunde gelegt werden, wie bei der Erziehung des Menschen zugrunde gelegt werden muß die Begabung, die er auf den verschiedenen Gebieten hat, seine natürliche körperliche und geistige Tüchtigkeit. Von jeder Sozialisierung, von jedem Versuche, dem mensch­lichen Zusammenleben eine wirtschaftliche Gestaltung zu geben, muß berücksichtigt werden die Naturgrundlage. Denn aller Warenzirkulation und auch aller menschlichen

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Arbeit und auch jeglichem geistigen Leben liegt zugrunde als ein erstes elementarisches Ursprüngliches dasjenige, was den Menschen kettet an ein bestimmtes Stück Natur. Man muß über den Zusammenhang des sozialen Organismus mit der Naturgrundlage denken, wie man mit Bezug auf Lernen beim einzelnen Menschen denken muß über sein Verhältnis zu seiner Begabung. Man kann gerade sich dieses klar­machen an extremen Fällen. Man braucht zum Beispiel nur zu bedenken, daß in gewissen Gebieten der Erde, wo die Banane ein naheliegendes Nahrungsmittel für die Menschen abgibt, in Betracht kommt für das menschliche Zusammen­leben dasjenige an Arbeit, was aufgebracht werden muß, um die Banane von ihrer Ursprungsstätte aus an einen Bestimmungsort zu bringen und sie zu einem Konsummittel zu machen. Vergleicht man die menschliche Arbeit, die auf­gebracht werden muß, um die Banane für die menschliche Gesellschaft konsumfähig zu machen, mit der Arbeit, die aufgebracht werden muß, etwa in unsern Gegenden Mittel­europas, um den Weizen konsumfähig zu machen, so ist die Arbeit, die für die Banane notwendig ist, gering gerechnet, eine dreihundertmal kleinere als beim Weizen.

Gewiß, das ist ein extremer Fall. Aber solche Unter­schiede mit Bezug auf das notwendige Maß von Arbeit im Verhältnis zu der Naturgrundlage sind auch da unter den Produktionszweigen, die in irgendeinem sozialen Organis­mus Europas vertreten sind, - nicht in dieser radikalen Verschiedenheit wie bei Banane und Weizen, aber sie sind als Unterschiede da. So ist es im Wirtschaftsorganismus begründet, daß durch das Verhältnis des Menschen zur Naturgrundlage seines Wirtschaftens das Maß von Arbeits­kraft bedingt ist, das er in den Wirtschaftsprozeß hineintragen

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muß. Und man braucht ja nur zum Beispiel zu ver­gleichen: in Deutschland, in Gegenden mit mittlerer Ertrags­fähigkeit, ist ungefähr das Erträgnis der Weizenkultur so, daß das Sieben- bis Achtfache der Aussaat einkommt durch die Ernte; in Chile kommt das Zwölffache herein, in Nordmexiko kommt das Siebzehnfache ein, in Peru das Zwanzig­fache. (Vergleiche Jentsch, Volkswirtschaftslehre, S.64.)

Dieses ganze zusammengehörige Wesen, welches verläuft in Vorgängen, die beginnen mit dem Verhältnis des Men­schen zur Natur, die sich fortsetzen in all dem, was der Mensch zu tun hat, um die Naturprodukte umzuwandeln und sie bis zur Konsumfähigkeit zu bringen, alle diese Vorgänge und nur diese umschließen für einen gesunden sozialen Organismus sein Wirtschaftsglied. Dieses steht im sozialen Organismus wie das Kopfsystem, von dem die individuellen Begabungen bedingt sind, im menschlichen Gesamtorganismus drinnen steht. Aber wie dieses Kopfsystem von dem Lungen-Herzsystem abhängig ist, so ist das Wirtschaftssystem von der menschlichen Arbeitsleistung abhängig. Wie nun aber der Kopf nicht selbständig die Atemregelung hervorbringen kann, so sollte das mensch­liche Arbeitssystem nicht durch die im Wirtschaftsleben wirksamen Kräfte selbst geregelt werden.

In dem Wirtschaftsleben steht der Mensch durch seine Interessen darinnen. Diese haben ihre Grundlage in seinen seelischen und geistigen Bedürfnissen. Wie den Interessen am zweckmäßigsten entsprochen werden kann innerhalb eines sozialen Organismus, so daß der einzelne Mensch durch diesen Organismus in der bestmöglichen Art zur Befriedigung seines Interesses kommt, und er auch in vor­teilhaftester Art sich in die Wirtschaft hineinstellen kann:

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diese Frage muß praktisch in den Einrichtungen des Wirt­schaftskörpers gelöst sein. Das kann nur dadurch sein, daß die Interessen sich wirklich frei geltend machen können und daß auch der Wille und die Möglichkeit entstehen, das Nötige zu ihrer Befriedigung zu tun. Die Entstehung der Interessen liegt außerhalb des Kreises, der das Wirtschafts­leben umgrenzt. Sie bilden sich mit der Entfaltung des seelischen und natürlichen Menschenwesens. Daß Einrich­tungen bestehen, sie zu befriedigen, ist die Aufgabe des Wirtschaftslebens. Diese Einrichtungen können es mit nichts anderem zu tun haben als allein mit der Herstellung und dem Tausch von Waren, das heißt von Gütern, die ihren Wert durch das menschliche Bedürfnis erhalten. Die Ware hat ihren Wert durch denjenigen, der sie verbraucht. Da­durch, daß die Ware ihren Wert durch den Verbraucher erhält, steht sie in einer ganz anderen Art im sozialen Orga­nismus als anderes, das für den Menschen als Angehörigen dieses Organismus Wert hat. Man sollte unbefangen das Wirtschaftsleben betrachten, in dessen Umkreis Warenerzeugung, Warenaustausch und Warenverbrauch gehören. Man wird den wesenhaften Unterschied nicht bloß betrach­tend bemerken, welcher besteht zwischen dem Verhältnis von Mensch zu Mensch, indem der eine für den anderen Waren erzeugt, und demjenigen, das auf einem Rechts­verhältnis beruhen muß. Man wird von der Betrachtung zu der praktischen Forderung kommen, daß im sozialen Organismus das Rechtsleben völlig von dem Wirtschafts­leben abgesondert gehalten werden muß. Aus den Tätig­keiten, welche die Menschen innerhalb der Einrichtungen zu entwickeln haben, die der Warenerzeugung und dem Warenaustausch dienen, können sich unmittelbar nicht die

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möglichst besten Impulse ergeben für die rechtlichen Ver­hältnisse, die unter den Menschen bestehen müssen. Inner­halb der Wirtschaftseinrichtungen wendet sich der Mensch an den Menschen, weil der eine dem Interesse des andern dient; grundverschieden davon ist die Beziehung, welche der eine Mensch zu dem andern innerhalb des Rechtslebens hat.

Man könnte nun glauben, dieser vom Leben geforderten Unterscheidung wäre schon Genüge geschehen, wenn inner­halb der Einrichtungen, die dem Wirtschaftsleben dienen, auch für die Rechte gesorgt werde, welche in den Verhältnissen der in dieses Wirtschaftsleben hineingestellten Men­schen zueinander bestehen müssen. - Ein solcher Glaube hat seine Wurzeln nicht in der Wirklichkeit des Lebens. Der Mensch kann nur dann das Rechtsverhältnis richtig erleben, das zwischen ihm und anderen Menschen bestehen muß, wenn er dieses Verhältnis nicht auf dem Wirtschaftsgebiet erlebt, sondern auf einem davon völlig getrennten Boden. Es muß deshalb im gesunden sozialen Organismus neben dem Wirtschaftsleben und in Selbständigkeit ein Leben sich entfalten, in dem die Rechte entstehen und ver­waltet werden, die von Mensch zu Mensch bestehen. Das Rechtsleben ist aber dasjenige des eigentlichen politischen Gebietes, des Staates. Tragen die Menschen diejenigen Interessen, denen sie in ihrem Wirtschaftsleben dienen müssen, in die Gesetzgebung und Verwaltung des Rechts­staates hinein, so werden die entstehenden Rechte nur der Ausdruck dieser wirtschaftlichen Interessen sein. Ist der Rechtsstaat selbst Wirtschafter, so verliert er die Fähigkeit, das Rechtsleben der Menschen zu regeln. Denn seine Maß­nahmen und Einrichtungen werden dem menschlichen

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Bedürfnisse nach Waren dienen müssen; sie werden dadurch abgedrängt von den Impulsen, die auf das Rechtsleben gerichtet sind.

Der gesunde soziale Organismus erfordert als zweites Glied neben dem Wirtschaftskörper das selbständige politische Staatsleben. In dem selbständigen Wirtschaftskörper werden die Menschen durch die Kräfte des wirtschaftlichen Lebens zu Einrichtungen kommen, welche der Warenerzeugung und dem Warenaustausch in der möglichst besten Weise dienen. In dem politischen Staatskörper werden solche Einrichtungen entstehen, welche die gegenseitigen Beziehungen zwischen Menschen und Menschengruppen in solcher Art orientieren, daß dem Rechtsbewußtsein des Menschen entsprochen wird.

Der Gesichtspunkt, von dem aus hier die gekennzeichnete Forderung nach völliger Trennung des Rechtsstaates von dem Wirtschaftsgebiet gestellt wird, ist ein solcher, der im wirklichen Menschenleben drinnen liegt. Einen solchen Gesichtspunkt nimmt derjenige nicht ein, der Rechtsleben und Wirtschaftsleben miteinander verbinden will. Die im wirtschaftlichen Leben stehenden Menschen haben selbst­verständlich das Rechtsbewußtsein; aber sie werden nur aus diesem heraus und nicht aus den wirtschaftlichen In­teressen Gesetzgebung und Verwaltung im Sinne des Rechtes besorgen, wenn sie darüber zu urteilen haben in dem Rechtsstaat, der als solcher an dem Wirtschaftsleben keinen Anteil hat. Ein solcher Rechtsstaat hat seinen eigenen Gesetzgebungs- und Verwaltungskörper, die beide nach den Grundsätzen aufgebaut sind, welche sich aus dem Rechtsbewußtsein der neueren Zeit ergeben. Er wird aufgebaut sein auf den Impulsen im Menschheitsbewußtsein, die man

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gegenwärtig die demokratischen nennt. Das Wirtschafts­gebiet wird aus den Impulsen des Wirtschaftslebens her­aus seine Gesetzgebungs- und Verwaltungskörperschaften bilden. Der notwendige Verkehr zwischen den Leitungen des Rechts- und Wirtschaftskörpers wird erfolgen annähernd wie gegenwärtig der zwischen den Regierungen souveräner Staatsgebiete. Durch diese Gliederung wird, was in dem einen Körper sich entfaltet, auf dasjenige, was im andern entsteht, die notwendige Wirkung ausüben können. Diese Wirkung wird dadurch gehindert, daß das eine Gebiet in sich selbst das entfalten will, was ihm von dem anderen zufließen soll.

Wie das Wirtschaftsleben auf der einen Seite den Be­dingungen der Naturgrundlage (Klima, geographische Beschaffenheit des Gebietes, Vorhandensein von Boden­schätzen und so weiter) unterworfen ist, so ist es auf der andern Seite von den Rechtsverhältnissen abhängig, welche der Staat zwischen den wirtschaftenden Menschen und Menschengruppen schafft. Damit sind die Grenzen dessen bezeichnet, was die Tätigkeit des Wirtschaftslebens umfassen kann und soll. Wie die Natur Vorbedingungen schafft, die außerhalb des Wirtschaftskreises liegen und die der wirt­schaftende Mensch hinnehmen muß als etwas Gegebenes, auf das er erst seine Wirtschaft aufbauen kann, so soll alles, was im Wirtschaftsbereich ein Rechtsverhältnis begründet von Mensch zu Mensch, im gesunden sozialen Organismus durch den Rechtsstaat seine Regelung erfahren, der wie die Naturgrundlage als etwas dem Wirtschaftsleben selbständig Gegenüberstehendes sich entfaltet.

In dem sozialen Organismus, der sich im bisherigen geschichtlichen Werden der Menschheit herausgebildet hat

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und der durch das Maschinenzeitalter und durch die moderne kapitalistische Wirtschaftsform zu dem geworden ist, was der sozialen Bewegung ihr Gepräge gibt, umfaßt das Wirtschaftsleben mehr, als es im gesunden sozialen Organismus umfassen soll. Gegenwärtig bewegt sich in dem wirtschaftlichen Kreislauf, in dem sich bloß Waren bewegen sollen, auch die menschliche Arbeitskraft, und es bewegen sich auch Rechte. Man kann gegenwärtig in dem Wirt­schaftskörper, der auf der Arbeitsteilung beruht, nicht allein Waren tauschen gegen Waren, sondern durch denselben wirtschaftlichen Vorgang auch Waren gegen Arbeit und Waren gegen Rechte. (Ich nenne Ware jede Sache, die durch menschliche Tätigkeit zu dem geworden ist, als das sie an irgendeinem Orte, an den sie durch den Menschen gebracht wird, ihrem Verbrauch zugeführt wird. Mag diese Bezeich­nung manchem Volkswirtschaftslehrer auch anstößig oder nicht genügend erscheinen, sie kann zur Verständigung über das, was dem Wirtschaftsleben angehören soll, ihre guten Dienste tun*.) Wenn jemand durch Kauf ein Grundstück erwirbt, so muß das als ein Tausch des Grundstückes gegen Waren, für die das Kaufgeld als Repräsentant zu gelten hat, angesehen werden. Das Grundstück selber aber wirkt im Wirtschaftsleben nicht als Ware. Es steht in dem sozialen Organismus durch das Recht darinnen, das der Mensch auf

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* Es kommt eben bei einer Darlegung, die im Dienste des Lebens ge­macht wird, nicht darauf an, Definitionen zu geben, die aus einer Theorie heraus stammen, sondern Ideen, die verbildlichen, was in der Wirklichkeit eine lebensvolle Rolle spielt. «Ware», im obigen Sinne gebraucht, weist auf etwas hin, was der Mensch erlebt; jeder andere Begriff von «Ware» läßt etwas weg oder fügt etwas hinzu, so daß sich der Begriff mit den Lebensvorgängen in ihrer wahren Wirklichkeit nicht deckt.

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seine Benützung hat. Dieses Recht ist etwas wesentlich anderes als das Verhältnis, in dem sich der Produzent einer Ware zu dieser befindet. In dem letzteren Verhältnis liegt es wesenhaft begründet, daß es nicht übergreift auf die ganz anders geartete Beziehung von Mensch zu Mensch, die dadurch hergestellt wird, daß jemandem die alleinige Benützung eines Grundstückes zusteht. Der Besitzer bringt andere Menschen, die zu ihrem Lebensunterhalt von ihm zur Arbeit auf diesem Grundstück angestellt werden, oder die darauf wohnen müssen, in Abhängigkeit von sich. Dadurch, daß man gegenseitig wirkliche Waren tauscht, die man produziert oder konsumiert, stellt sich eine Abhängig­keit nicht ein, welche in derselben Art zwischen Mensch und Mensch wirkt.

Wer eine solche Lebenstatsache unbefangen durchschaut, dem wird einleuchten, daß sie ihren Ausdruck finden muß in den Einrichtungen des gesunden sozialen Organismus. Solange Waren gegen Waren im Wirtschaftsleben aus­getauscht werden, bleibt die Wertgestaltung dieser Waren unabhängig von dem Rechtsverhältnisse zwischen Personen und Personengruppen. Sobald Waren gegen Rechte ein­getauscht werden, wird das Rechtsverhältnis selbst berührt. Nicht auf den Tausch als solchen kommt es an. Dieser ist das notwendige Lebenselement des gegenwärtigen, auf Arbeitsteilung ruhenden sozialen Organismus; sondern es handelt sich darum, daß durch den Tausch des Rechtes mit der Ware das Recht selbst zur Ware gemacht wird, wenn das Recht innerhalb des Wirtschaftslebens entsteht. Das wird nur dadurch verhindert, daß im sozialen Organismus einerseits Einrichtungen bestehen, die nur darauf abzielen, den Kreislauf der Waren in der zweckmäßigsten Weise zu

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bewirken; und anderseits solche, welche die im Waren­austausch lebenden Rechte der produzierenden, Handel treibenden und konsumierenden Personen regeln. Diese Rechte unterscheiden sich ihrem Wesen nach gar nicht von anderen Rechten, die in dem vom Warenaustausch ganz unabhängigen Verhältnis von Person zu Person bestehen müssen. Wenn ich meinen Mitmenschen durch den Verkauf einer Ware schädige oder fördere, so gehört das in das gleiche Gebiet des sozialen Lebens wie eine Schädigung oder Förderung durch eine Tätigkeit oder Unterlassung, die unmittelbar nicht in einem Warenaustausch zum Aus­druck kommt.

In der Lebenshaltung des einzelnen Menschen fließen die Wirkungen aus den Rechtseinrichtungen mit denen aus der rein wirtschaftlichen Tätigkeit zusammen. Im gesunden sozialen Organismus müssen sie aus zwei verschiedenen Richtungen kommen. In der wirtschaftlichen Organisation hat die aus der Erziehung für einen Wirtschaftszweig und die aus der Erfahrung in demselben gewonnene Vertraut­heit mit ihm für die leitenden Persönlichkeiten die nötigen Gesichtspunkte abzugeben. In der Rechtsorganisation wird durch Gesetz und Verwaltung verwirklicht, was aus dem Rechtsbewußtsein als Beziehung einzelner Menschen oder Menschengruppen zueinander gefordert wird. Die Wirt­schaftsorganisation wird Menschen mit gleichen Berufs- oder Konsuminteressen oder mit in anderer Beziehung gleichen Bedürfnissen sich zu Genossenschaften zusammen­schließen lassen, die im gegenseitigen Wechselverkehr die Gesamtwirtschaft zustande bringen. Diese Organisation wird sich auf assoziativer Grundlage und auf dem Ver­hältnis der Assoziationen aufbauen. Diese Assoziationen

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werden eine bloß wirtschaftliche Tätigkeit entfalten. Die Rechtsgrundlage, auf der sie arbeiten, kommt ihnen von der Rechtsorganisation zu. Wenn solche Wirtschaftsassoziationen ihre wirtschaftlichen Interessen in den Vertretungs- und Verwaltungskörpern der Wirtschaftsorganisation zur Gel­tung bringen können, dann werden sie nicht den Drang entwickeln, in die gesetzgebende oder verwaltende Leitung des Rechtsstaates einzudringen (zum Beispiel als Bund der Landwirte, als Partei der Industriellen, als wirtschaftlich orientierte Sozialdemokratie), um da anzustreben, was ihnen innerhalb des Wirtschaftslebens zu erreichen nicht möglich ist. Und wenn der Rechtsstaat in gar keinem Wirt­schaftszweige mitwirtschaftet, dann wird er nur Einrich­tungen schaffen, die aus dem Rechtsbewußtsein der zu ihm gehörenden Menschen stammen. Auch wenn in der Ver­tretung des Rechtsstaates, wie es ja selbstverständlich ist, dieselben Personen sitzen, die im Wirtschaftsleben tätig sind, so wird sich durch die Gliederung in Wirtschafts- und in Rechtsleben nicht ein Einfluß des Wirtschafts- auf das Rechtsleben ergeben können, der die Gesundheit des sozialen Organismus so untergräbt, wie sie untergraben werden kann, wenn die Staatsorganisation selbst Zweige des Wirt­schaftslebens versorgt, und wenn in derselben die Vertreter des Wirtschaftslebens aus dessen Interessen heraus Gesetze beschließen.

Ein typisches Beispiel von Verschmelzung des Wirt­schaftslebens mit dem Rechtsleben bot Österreich mit der Verfassung, die es sich in den sechziger Jahren des neun­zehnten Jahrhunderts gegeben hat. Die Vertreter des Reichsrates dieses Ländergebietes wurden aus den vier Zweigen des Wirtschaftslebens heraus gewählt, aus der Gemeinschaft

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der Großgrundbesitzer, der Handelskammern, der Städte, Märkte und Industrialorte und der Landgemeinden. Man sieht, daß für diese Zusammensetzung der Staatsvertretung an gar nichts anderes in erster Linie gedacht wurde, als daß aus der Geltendmachung der wirtschaftlichen Verhältnisse sich das Rechtsleben ergeben werde. Gewiß ist, daß zu dem gegenwärtigen Zerfall Österreichs die auseinandertreibenden Kräfte seiner Nationalitäten bedeutsam mitgewirkt haben. Allein als ebenso gewiß kann es gelten, daß eine Rechtsorganisation, die neben der wirtschaftlichen ihre Tätigkeit hätte entfalten können, aus dem Rechtsbewußtsein heraus eine Gestaltung des sozialen Organismus würde entwickelt haben, in der ein Zusammenleben der Völker möglich geworden wäre.

Der gegenwärtig am öffentlichen Leben interessierte Mensch lenkt gewöhnlich seinen Blick auf Dinge, die erst in zweiter Linie für dieses Leben in Betracht kommen. Er tut dieses, weil ihn seine Denkgewohnheit dazu bringt, den sozialen Organismus als ein einheitliches Gebilde aufzu­fassen. Für ein solches Gebilde aber kann sich kein ihm entsprechender Wahlmodus finden. Denn bei jedem Wahlmodus müssen sich im Vertretungskörper die wirtschaft­lichen Interessen und die Impulse des Rechtslebens stören. Und was aus der Störung für das soziale Leben fließt, muß zu Erschütterungen des Gesellschaftsorganismus führen. Obenan als notwendige Zielsetzung des öffentlichen Lebens muß gegenwärtig das Hinarbeiten auf eine durchgreifende Trennung des Wirtschaftslebens und der Rechtsorganisation stehen. Indem man sich in diese Trennung hineinlebt, wer­den die sich trennenden Organisationen aus ihren eigenen Grundlagen heraus die besten Arten für die Wahlen ihrer

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Gesetzgeber und Verwalter finden. In dem, was gegen­wärtig zur Entscheidung drängt, kommen Fragen des Wahlmodus, wenn sie auch als solche von fundamentaler Bedeu­tung sind, doch erst in zweiter Linie in Betracht. Wo die alten Verhältnisse noch vorhanden sind, wäre aus diesen heraus auf die angedeutete Gliederung hinzuarbeiten. Wo das Alte sich bereits aufgelöst hat, oder in der Auflösung begriffen ist, müßten Einzelpersonen und Bündnisse zwischen Personen die Initiative zu einer Neugestaltung versuchen, die sich in der gekennzeichneten Richtung bewegt. Von heute zu morgen eine Umwandlung des öffentlichen Lebens herbeiführen zu wollen, das sehen auch vernünftige Sozialisten als Schwarmgeisterei an. Solche erwarten die von ihnen gemeinte Gesundung durch eine allmähliche, sachgemäße Umwandlung. Daß aber die geschichtlichen Entwickelungskräfte der Menschheit gegenwärtig ein ver­nünftiges Wollen nach der Richtung einer sozialen Neu­ordnung notwendig machen, das können jedem Unbefan­genen weithinleuchtende Tatsachen lehren.

Wer für «praktisch durchführbar» nur dasjenige hält, an das er sich aus engem Lebensgesichtskreis heraus gewöhnt hat, der wird das hier Angedeutete für «unpraktisch» halten. Kann er sich nicht bekehren, und behält er auf irgendeinem Lebensgebiete Einfluß, dann wird er nicht zur Gesundung, sondern zur weiteren Erkrankung des sozialen Organismus wirken, wie Leute seiner Gesinnung an der Herbeiführung der gegenwärtigen Zustände gewirkt haben.

Die Bestrebung, mit der führende Kreise der Menschheit begonnen haben und die zur Überleitung gewisser Wirt­schaftszweige (Post, Eisenbahnen und so weiter) in das Staatsleben geführt hat, muß der entgegengesetzten weichen:

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der Herauslösung alles Wirtschaftens aus dem Gebiete des politischen Staatswesens. Denker, welche mit ihrem Wollen glauben, sich in der Richtung nach einem gesunden sozialen Organismus zu befinden, ziehen die äußerste Folgerung der Verstaatlichungsbestrebungen dieser bisher leitenden Kreise. Sie wollen die Vergesellschaftung aller Mittel des Wirt­schaftslebens, insofern diese Produktionsmittel sind. Eine gesunde Entwickelung wird dem wirtschaftlichen Leben seine Selbständigkeit geben und dem politischen Staate die Fähig­keit, durch die Rechtsordnung auf den Wirtschaftskörper so zu wirken, daß der einzelne Mensch seine Eingliederung in den sozialen Organismus nicht im Widerspruche mit seinem Rechtsbewußtsein empfindet.

Man kann durchschauen, wie die hier vorgebrachten Gedanken im wirklichen Leben der Menschheit begründet sind, wenn man den Blick auf die Arbeit lenkt, welche der Mensch für den sozialen Organismus durch seine körper­liche Arbeitskraft verrichtet. Innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsform hat sich diese Arbeit dem sozialen Organis­mus so eingegliedert, daß sie durch den Arbeitgeber wie eine Ware dem Arbeitnehmer abgekauft wird. Ein Tausch wird eingegangen zwischen Geld (als Repräsentant der Waren) und Arbeit. Aber ein solcher Tausch kann sich in Wirklichkeit gar nicht vollziehen. Er scheint sich nur zu vollziehen*. In Wirklichkeit nimmt der Arbeitgeber von

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* Es ist durchaus möglich, daß im Leben Vorgänge nicht nur in einem falschen Sinne erklärt werden, sondern daß sie sich in einem falschen Sinne vollziehen. Geld und Arbeit sind keine austauschbaren Werte, sondern nur Geld und Arbeitserzeugnis. Gebe ich daher Geld für Arbeit, so tue ich etwas Falsches. Ich schaffe einen Scheinvorgang. Denn in Wirklichkeit kann ich nur Geld für Arbeitserzeugnis geben.

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dem Arbeiter Waren entgegen, die nur entstehen können, wenn der Arbeiter seine Arbeitskraft für die Entstehung hingibt. Aus dem Gegenwert dieser Waren erhält der Ar­beiter einen Anteil, der Arbeitgeber den andern. Die Pro­duktion der Waren erfolgt durch das Zusammenwirken des Arbeitgebers und Arbeitnehmers. Das Produkt des gemeinsamen Wirkens geht erst in den Kreislauf des Wirt­schaftslebens über. Zur Herstellung des Produktes ist ein Rechtsverhältnis zwischen Arbeiter und Unternehmer not­wendig. Dieses kann aber durch die kapitalistische Wirt­schaftsart in ein solches verwandelt werden, welches durch die wirtschaftliche Übermacht des Arbeitgebers über den Arbeiter bedingt ist. Im gesunden sozialen Organismus muß zutage treten, daß die Arbeit nicht bezahlt werden kann. Denn diese kann nicht im Vergleich mit einer Ware einen wirtschaftlichen Wert erhalten. Einen solchen hat erst die durch Arbeit hervorgebrachte Ware im Vergleich mit andern Waren. Die Art, wie, und das Maß, in dem ein Mensch für den Bestand des sozialen Organismus zu arbeiten hat, müssen aus seiner Fähigkeit heraus und aus den Bedin­gungen eines menschenwürdigen Daseins geregelt werden. Das kann nur geschehen, wenn diese Regelung von dem politischen Staate aus in Unabhängigkeit von den Ver­waltungen des Wirtschaftslebens geschieht.

Durch eine solche Regelung wird der Ware eine Wertunterlage geschaffen, die sich vergleichen läßt mit der andern, die in den Naturbedingungen besteht. Wie der Wert einer Ware gegenüber einer andern dadurch wächst, daß die Gewinnung der Rohprodukte für dieselbe schwieriger ist als für die andere, so muß der Warenwert davon abhängig werden, welche Art und welches Maß von Arbeit zum

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Hervorbringen der Ware nach der Rechtsordnung auf­gebracht werden dürfen*.

Das Wirtschaftsleben wird auf diese Weise von zwei Seiten her seinen notwendigen Bedingungen unterworfen:

von Seite der Naturgrundlage, welche die Menschheit hin­nehmen muß, wie sie ihr gegeben ist, und von Seite der Rechtsgrundlage, die aus dem Rechtsbewußtsein heraus auf dem Boden des vom Wirtschaftsleben unabhängigen poli­tischen Staates geschaffen werden soll.

Es ist leicht einzusehen, daß durch eine solche Führung des sozialen Organismus der wirtschaftliche Wohlstand sinken und steigen wird je nach dem Maß von Arbeit, das aus dem Rechtsbewußtsein heraus aufgewendet wird. Allein eine solche Abhängigkeit des volkswirtschaftlichen Wohl­standes ist im gesunden sozialen Organismus notwendig. Sie allein kann verhindern, daß der Mensch durch das Wirt­schaftsleben so verbraucht werde, daß er sein Dasein nicht mehr als menschenwürdig empfinden kann. Und auf dem Vorhandensein der Empfindung eines menschenunwürdigen Daseins beruhen in Wahrheit alle Erschütterungen im sozialen Organismus.

Eine Möglichkeit, den volkswirtschaftlichen Wohlstand von der Rechtsseite her nicht allzu stark zu vermindern, besteht in einer ähnlichen Art, wie eine solche zur Aufbesserung der Naturgrundlage. Man kann einen wenig ertragreichen Boden durch technische Mittel ertragreicher

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* Ein solches Verhältnis der Arbeit zur Rechtsordnung wird die im Wirtschaftsleben tätigen Assoziationen nötigen, mit dem, was «rechtens ist» als mit einer Voraussetzung zu rechnen. Doch wird dadurch erreicht, daß die Wirtschaftsorganisation vom Menschen, nicht der Mensch von der Wirtschaftsordnung abhängig ist.

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machen; man kann, veranlaßt durch die allzu starke Ver­minderung des Wohlstandes, die Art und das Maß der Arbeit ändern. Aber diese Änderung soll nicht aus dem Kreislauf des Wirtschaftslebens unmittelbar erfolgen, son­dern aus der Einsicht, die sich auf dem Boden des vom Wirtschaftsleben unabhängigen Rechtslebens entwickelt.

In alles, was durch das Wirtschaftsleben und das Rechtsbewußtsein in der Organisation des sozialen Lebens her­vorgebracht wird, wirkt hinein, was aus einer dritten Quelle stammt: aus den individuellen Fähigkeiten des einzelnen Menschen. Dieses Gebiet umfaßt alles von den höchsten geistigen Leistungen bis zu dem, was in Menschenwerke einfließt durch die bessere oder weniger gute körperliche Eignung des Menschen für Leistungen, die dem sozialen Organismus dienen. Was aus dieser Quelle stammt, muß in den gesunden sozialen Organismus auf ganz andere Art einfließen, als dasjenige, was im Warenaustausch lebt, und was aus dem Staatsleben fließen kann. Es gibt keine andere Möglichkeit, diese Aufnahme in gesunder Art zu bewirken, als sie von der freien Empfänglichkeit der Menschen und von den Impulsen, die aus den individuellen Fähigkeiten selbst kommen, abhängig sein zu lassen. Werden die durch solche Fähigkeiten erstehenden Menschenleistungen vorn Wirtschaftsleben oder von der Staatsorganisation künstlich beeinflußt, so wird ihnen die wahre Grundlage ihres eigenen Lebens zum größten Teile entzogen. Diese Grundlage kann nur in der Kraft bestehen, welche die Menschenleistungen aus sich selbst entwickeln müssen. Wird die Entgegennahme solcher Leistungen vom Wirtschaftsleben unmittelbar be­dingt, oder vom Staate organisiert, so wird die freie Empfänglichkeit für sie gelähmt. Sie ist aber allein geeignet,

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sie in gesunder Form in den sozialen Organismus einfließen zu lassen. Für das Geistesleben, mit dem auch die Ent­wickelung der anderen individuellen Fähigkeiten im Men­schenleben durch unübersehbar viele Fäden zusammen­hängt, ergibt sich nur eine gesunde Entwickelungsmöglich­keit, wenn es in der Hervorbringung auf seine eigenen Impulse gestellt ist, und wenn es in verständnisvollem Zusammenhange mit den Menschen steht, die seine Lei­stungen empfangen.

Worauf hier als auf die gesunden Entwickelungsbedin­gungen des Geisteslebens gedeutet wird, das wird gegen­wärtig nicht durchschaut, weil der rechte Blick dafür getrübt ist durch die Verschmelzung eines großen Teiles dieses Lebens mit dem politischen Staatsleben. Diese Verschmel­zung hat sich im Laufe der letzten Jahrhunderte ergeben und man hat sich in sie hineingewöhnt. Man spricht ja wohl von «Freiheit der Wissenschaft und des Lehrens». Aber man betrachtet es als selbstverständlich, daß der politische Staat die «freie Wissenschaft» und das «freie Lehren» verwaltet. Man entwickelt keine Empfindung dafür, wie dieser Staat dadurch das Geistesleben von seinen staatlichen Bedürfnissen abhängig macht. Man denkt, der Staat schafft die Stellen, an denen gelehrt wird; dann können diejenigen, welche diese Stellen einnehmen, das Geistesleben «frei» entfalten. Man beachtet, indem man sich an eine solche Meinung gewöhnt, nicht, wie eng verbunden der Inhalt des geistigen Lebens ist mit dem innersten Wesen des Menschen, in dem er sich entfaltet. Wie diese Entfaltung nur dann eine freie sein kann, wenn sie durch keine andern Impulse in den sozialen Organismus hineingestellt ist als allein durch solche, die aus dem Geistesleben selbst kommen. Durch die

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Verschmelzung mit dem Staatsleben hat eben nicht nur die Verwaltung der Wissenschaft und des Teiles des Geistes­lebens, der mit ihr zusammenhängt, in den letzten Jahr­hunderten das Gepräge erhalten, sondern auch der Inhalt selbst. Gewiß, was in Mathematik oder Physik produziert wird, kann nicht unmittelbar vom Staate beeinflußt werden. Aber man denke an die Geschichte, an die andern Kulturwissenschaften. Sind sie nicht ein Spiegelbild dessen gewor­den, was sich aus dem Zusammenhang ihrer Träger mit dem Staatsleben ergeben hat, aus den Bedürfnissen dieses Lebens heraus? Gerade durch diesen ihnen aufgeprägten Charakter haben die gegenwärtigen wissenschaftlich orientierten, das Geistesleben beherrschenden Vorstellungen auf das Prole­tariat als Ideologie gewirkt. Dieses bemerkte, wie ein gewisser Charakter den Menschengedanken aufgeprägt wird durch die Bedürfnisse des Staatslebens, in welchem den Interessen der leitenden Klassen entsprochen wird. Ein Spiegelbild der materiellen Interessen und Interessenkämpfe sah der proletarisch Denkende. Das erzeugte in ihm die Empfindung, alles Geistesleben sei Ideologie, sei Spiegelung der ökonomischen Organisation.

Eine solche, das geistige Leben des Menschen verödende Anschauung hört auf, wenn die Empfindung entstehen kann: Im geistigen Gebiet waltet eine über das materielle Außenleben hinausgehende Wirklichkeit, die ihren Inhalt in sich selber trägt. Es ist unmöglich, daß eine solche Emp­findung ersteht, wenn das Geistesleben nicht aus seinen eigenen Impulsen heraus sich innerhalb des sozialen Orga­nismus frei entfaltet und verwaltet. Nur solche Träger des Geisteslebens, die innerhalb einer derartigen Entfaltung und Verwaltung stehen, haben die Kraft, diesem Leben

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das ihm gebührende Gewicht im sozialen Organismus zu verschaffen. Kunst, Wissenschaft, Weltanschauung und alles, was damit zusammenhängt, bedarf einer solchen selbstän­digen Stellung in der menschlichen Gesellschaft. Denn im geistigen Leben hängt alles zusammen. Die Freiheit des einen kann nicht ohne die Freiheit des andern gedeihen Wenn auch Mathematik und Physik in ihrem Inhalt nicht von den Bedürfnissen des Staates unmittelbar zu beein­flussen sind: Was man von ihnen entwickelt, wie die Men­schen über ihren Wert denken, welche Wirkung ihre Pflege auf das ganze übrige Geistesleben haben kann, und vieles andere wird durch diese Bedürfnisse bedingt, wenn der Staat Zweige des Geisteslebens verwaltet. Es ist ein anderes, wenn der die niederste Schulstufe versorgende Lehrer den Impulsen des Staatslebens folgt; ein anderes, wenn er diese Impulse erhält aus einem Geistesleben heraus, das auf sich selbst gestellt ist. Die Sozialdemokratie hat auch auf diesem Gebiete nur die Erbschaft aus den Denkgewohnheiten und Gepflogenheiten der leitenden Kreise übernommen. Sie betrachtet es als ihr Ideal, das geistige Leben in den auf das Wirtschaftsleben gebauten Gesellschaftskörper einzu­beziehen. Sie könnte, wenn sie dieses von ihr gesetzte Ziel erreichte, damit den Weg nur fortsetzen, auf dem das Geistesleben seine Entwertung gefunden hat. Sie hat eine richtige Empfindung einseitig entwickelt mit ihrer For­derung: Religion müsse Privatsache sein. Denn im gesunden sozialen Organismus muß alles Geistesleben dem Staate und der Wirtschaft gegenüber in dem hier angedeuteten Sinn «Privatsache» sein. Aber die Sozialdemokratie geht bei der Überweisung der Religion auf das Privatgebiet nicht von der Meinung aus, daß einem geistigen Gute dadurch

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eine Stellung innerhalb des sozialen Organismus geschaffen werde, durch die es zu einer wünschenswerteren, höheren Entwickelung kommen werde als unter dem Einfluß des Staates. Sie ist der Meinung, daß der soziale Organis­mus durch seine Mittel nur pflegen dürfe, was ihm Lebensbedürfnis ist. Und ein solches sei das religiöse Geistesgut nicht. In dieser Art, einseitig aus dem öffentlichen Leben herausgestellt, kann ein Zweig des Geisteslebens nicht gedeihen, wenn das andere Geistesgut gefesselt ist. Das religiöse Leben der neueren Menschheit wird in Verbindung mit allem befreiten Geistesleben seine für diese Menschheit seelentragende Kraft entwickeln.

Nicht nur die Hervorbringung, sondern auch die Auf­nahme dieses Geisteslebens durch die Menschheit muß auf dem freien Seelenbedürfnis beruhen. Lehrer, Künstler und so weiter, die in ihrer sozialen Stellung nur im unmittel­baren Zusammenhange sind mit einer Gesetzgebung und Verwaltung, die aus dem Geistesleben selbst sich ergeben und die nur von dessen Impulsen getragen sind, werden durch die Art ihres Wirkens die Empfänglichkeit für ihre Leistungen entwickeln können bei Menschen, welche durch den aus sich wirkenden politischen Staat davor behütet werden, nur dem Zwang zur Arbeit zu unterliegen, sondern denen das Recht auch die Muße gibt, welche das Ver­ständnis für geistige Güter weckt. Den Menschen, die sich «Lebenspraktiker» dünken, mag bei solchen Gedanken der Glaube aufsteigen: Die Menschen werden ihre Mußezeit vertrinken, und man werde in den Analphabetismus zurück­fallen, wenn der Staat für solche Muße sorgt, und wenn der Besuch der Schule in das freie Verständnis der Menschen gestellt ist. Möchten solche «Pessimisten» doch abwarten,

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was wird, wenn die Welt nicht mehr unter ihrem Einfluß steht. Dieser ist nur allzu oft von einem gewissen Gefühle bestimmt, das ihnen leise zuflüstert, wie sie ihre Muße ver­wenden, und was sie nötig hatten, um sich ein wenig «Bildung» anzueignen. Mit der zündenden Kraft, die ein wirklich auf sich selbst gestelltes Geistesleben im sozialen Organismus hat, können sie ja nicht rechnen, denn das gefesselte, das sie kennen, hat auf sie nie eine solch zün­dende Kraft ausüben können.

Sowohl der politische Staat wie das Wirtschaftsleben werden den Zufluß aus dem Geistesleben, den sie brauchen, von dem sich selbst verwaltenden geistigen Organismus erhalten. Auch die praktische Bildung für das Wirtschafts­leben wird durch das freie Zusammenwirken desselben mit dem Geistesorganismus ihre volle Kraft erst entfalten können. Entsprechend vorgebildete Menschen werden die Erfahrungen, die sie im Wirtschaftsgebiet machen können, durch die Kraft, die ihnen aus dem befreiten Geistesgut kommt, beleben. Menschen mit einer aus dem Wirtschafts­leben gewonnenen Erfahrung werden den Übergang finden in die Geistesorganisation und in derselben befruchtend wirken auf dasjenige, was so befruchtet werden muß.

Auf dem Gebiete des politischen Staates werden sich die notwendigen gesunden Ansichten durch eine solche freie Wirkung des Geistesgutes bilden. Der handwerklich Arbeitende wird durch den Einfluß eines solchen Geistesgutes eine ihn befriedigende Empfindung von der Stellung seiner Arbeit im sozialen Organismus sich aneignen können. Er wird zu der Einsicht kommen, wie ohne die Leitung, welche die handwerkliche Arbeit zweckentsprechend orga­nisiert, der soziale Organismus ihn nicht tragen kann. Er

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wird das Gefühl von der Zusammengehörigkeit seiner Arbeit mit den organisierenden Kräften, die aus der Entwickelung individueller menschlicher Fähigkeiten stammen, in sich aufnehmen können. Er wird auf dem Boden des politischen Staates die Rechte ausbilden, welche ihm den Anteil sichern an dem Ertrage der Waren, die er erzeugt; und er wird in freier Weise dem ihm zukommenden Geistesgut denjenigen Anteil gönnen, der dessen Entstehung ermöglicht. Auf dem Gebiet des Geisteslebens wird die Möglichkeit entstehen, daß dessen Hervorbringer von den Erträgnissen ihrer Leistungen auch leben. Was jemand für sich im Gebiete des Geisteslebens treibt, wird seine engste Privatsache bleiben; was jemand für den sozialen Orga­nismus zu leisten vermag, wird mit der freien Ent­schädigung derer rechnen können, denen das Geistesgut Bedürfnis ist. Wer durch solche Entschädigung innerhalb der Geistesorganisation das nicht finden kann, was er braucht, wird übergehen müssen zum Gebiet des politischen Staates oder des Wirtschaftslebens.

In das Wirtschaftsleben fließen ein die aus dem geistigen Leben stammenden technischen Ideen. Sie stammen aus dem geistigen Leben, auch wenn sie unmittelbar von Angehörigen des Staats- oder Wirtschaftsgebietes kommen. Daher kom­men alle die organisatorischen Ideen und Kräfte, welche das wirtschaftliche und staatliche Leben befruchten. Die Ent­schädigung für diesen Zufluß in die beiden sozialen Gebiete wird entweder auch durch das freie Verständnis derer zustande kommen, die auf diesen Zufluß angewiesen sind, oder sie wird durch Rechte ihre Regelung finden, welche im Gebiete des politischen Staates ausgebildet werden. Was dieser politische Staat selber für seine Erhaltung fordert,

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das wird aufgebracht werden durch das Steuerrecht. Dieses wird durch eine Harmonisierung der Forderungen des Rechtsbewußtseins mit denen des Wirtschaftslebens sich aus­bilden.

Neben dem politischen und dem Wirtschaftsgebiet muß im gesunden sozialen Organismus das auf sich selbst gestellte Geistesgebiet wirken. Nach der Dreigliederung dieses Orga­nismus weist die Richtung der Entwickelungskräfte der neueren Menschheit. Solange das gesellschaftliche Leben im wesentlichen durch die Instinktkräfte eines großen Teiles der Menschheit sich führen ließ, trat der Drang nach dieser entschiedenen Gliederung nicht auf. In einer gewissen Dumpfheit des sozialen Lebens wirkte zusammen, was im Grunde immer aus drei Quellen stammte. Die neuere Zeit fordert ein bewußtes Sichhineinstellen des Menschen in den Gesellschaftsorganismus. Dieses Bewußtsein kann dem Ver­halten und dem ganzen Leben der Menschen nur dann eine gesunde Gestaltung geben, wenn es von drei Seiten her orientiert ist. Nach dieser Orientierung strebt in den un­bewußten Tiefen des Seelischen die moderne Menschheit; und was sich als soziale Bewegung auslebt, ist nur der getrübte Abglanz dieses Strebens.

Aus andern Grundlagen heraus, als die sind, in denen wir heute leben, tauchte aus tiefen Untergründen der menschlichen Natur heraus am Ende des 18. Jahrhunderts der Ruf nach einer Neugestaltung des sozialen mensch­lichen Organismus. Da hörte man wie eine Devise dieser Neuorganisation die drei Worte: Brüderlichkeit, Gleichheit, Freiheit. Nun wohl, derjenige, der sich mit vorurteilslosem Sinn und mit einem gesunden Menschheitsempfinden einläßt auf die Wirklichkeit der menschlichen Entwickelung, der

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kann natürlich nicht anders, als Verständnis haben für alles, worauf diese Worte deuten. Dennoch, es gab scharfsinnige Denker, welche im Laufe des 19. Jahrhunderts sich Mühe gegeben haben, zu zeigen, wie es unmöglich ist, in einem einheitlichen sozialen Organismus diese Ideen von Brüder­lichkeit, Gleichheit, Freiheit zu verwirklichen. Solche glaub­ten zu erkennen, daß sich diese drei Impulse, wenn sie sich verwirklichen sollen, im sozialen Organismus widersprechen müssen. Scharfsinnig ist nachgewiesen worden zum Beispiel, wie unmöglich es ist, wenn der Impuls der Gleichheit sich verwirklicht, daß dann auch die in jedem Menschenwesen notwendig begründete Freiheit zur Geltung komme. Und man kann gar nicht anders als zustimmen denen, die diesen Widerspruch finden; und doch muß man zugleich aus einem allgemein menschlichen Empfinden heraus mit jedem dieser drei Ideale Sympathie haben!

Dies Widerspruchsvolle besteht aus dem Grunde, weil die wahre soziale Bedeutung dieser drei Ideale erst zutage tritt durch das Durchschauen der notwendigen Dreiglie­derung des sozialen Organismus. Die drei Glieder sollen nicht in einer abstrakten, theoretischen Reichstags- oder sonstigen Einheit zusammengefügt und zentralisiert sein. Sie sollen lebendige Wirklichkeit sein. Ein jedes der drei sozialen Glieder soll in sich zentralisiert sein; und durch ihr lebendiges Nebeneinander- und Zusammenwirken kann erst die Einheit des sozialen Gesamtorganismus entstehen. Im wirklichen Leben wirkt eben das scheinbar Wider­spruchsvolle zu einer Einheit zusammen. Daher wird man zu einer Erfassung des Lebens des sozialen Organismus kommen, wenn man imstande ist, die wirklichkeitsgemäße Gestaltung dieses sozialen Organismus mit Bezug auf

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Brüderlichkeit, Gleichheit und Freiheit zu durchschauen. Dann wird man erkennen, daß das Zusammenwirken der Menschen im Wirtschaftsleben auf derjenigen Brüderlichkeit ruhen muß, die aus den Assoziationen heraus ersteht. In dem zweiten Gliede, in dem System des öffentlichen Rechts, wo man es zu tun hat mit dem rein menschlichen Verhältnis von Person zu Person, hat man zu erstreben die Verwirk­lichung der Idee der Gleichheit. Und auf dem geistigen Gebiete, das in relativer Selbständigkeit im sozialen Orga­nismus steht, hat man es zu tun mit der Verwirklichung des Impulses der Freiheit. So angesehen, zeigen diese drei Ideale ihren Wirklichkeitswert. Sie können sich nicht in einem chaotischen sozialen Leben realisieren, sondern nur in dem gesunden dreigliedrigen sozialen Organismus. Nicht ein abstrakt zentralisiertes Sozialgebilde kann durcheinander die Ideale der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ver­wirklichen, sondern jedes der drei Glieder des sozialen Organismus kann aus einem dieser Impulse seine Kraft schöpfen. Und es wird dann in fruchtbarer Art mit den andern Gliedern zusammenwirken können.

Diejenigen Menschen, welche am Ende des 18. Jahr­hunderts die Forderung nach Verwirklichung der drei Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit erhoben haben, und auch diejenigen, welche sie später wiederholt haben, sie konnten dunkel empfinden, wohin die Entwickelungskräfte der neueren Menschheit weisen. Aber sie haben damit zugleich nicht den Glauben an den Einheitsstaat überwun­den. Für diesen bedeuten ihre Ideen etwas Widerspruchs­volles. Sie bekannten sich zu dem Widersprechenden, weil in den unterbewußten Tiefen ihres Seelenlebens der Drang nach der Dreigliederung des sozialen Organismus wirkte,

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in dem die Dreiheit ihrer Ideen erst zu einer höheren Ein­heit werden kann. Die Entwickelungskräfte, die in dem Werden der neueren Menschheit nach dieser Dreigliederung hindrängen, zum bewußten sozialen Wollen zu machen, das fordern die deutlich sprechenden sozialen Tatsachen der Gegenwart.

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III. KAPITALISMUS UND SOZIALE IDEEN

(Kapital, Menschenarbeit)

Man kann nicht zu einem Urteile darüber kommen, welche Handlungsweise auf sozialem Gebiete gegenwärtig durch die lautsprechenden Tatsachen gefordert wird, wenn man nicht den Willen hat, dieses Urteil bestimmen zu lassen von einer Einsicht in die Grundkräfte des sozialen Organismus. Der Versuch, eine solche Einsicht zu gewinnen, liegt der hier vorangehenden Darstellung zugrunde. Mit Maßnahmen, die sich nur auf ein Urteil stützen, das aus einem eng umgrenz­ten Beobachtungskreis gewonnen ist, kann man heute etwas Fruchtbares nicht bewirken. Die Tatsachen, welche aus der sozialen Bewegung herausgewachsen sind, offenbaren Störungen in den Grundlagen des sozialen Organismus, und keineswegs solche, die nur an der Oberfläche vorhanden sind. Ihnen gegenüber ist notwendig, auch zu Einsichten zu kommen, die bis zu den Grundlagen vordringen.

Spricht man heute von Kapital und Kapitalismus, so weist man auf das hin, worin die proletarische Menschheit die Ursachen ihrer Bedrückung sucht. Zu einem fruchtbaren Urteil über die Art, wie das Kapital fördernd oder hem­mend in den Kreisläufen des sozialen Organismus wirkt, kann man aber nur kommen, wenn man durchschaut, wie die individuellen Fähigkeiten der Menschen, wie die Rechts­bildung und wie die Kräfte des Wirtschaftslebens das Kapital erzeugen und verbrauchen. - Spricht man von der Men­schenarbeit, so deutet man auf das, was mit der Naturgrundlage der Wirtschaft und dem Kapital zusammen die

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wirtschaftlichen Werte schafft und an dem der Arbeiter zum Bewußtsein seiner sozialen Lage kommt. Ein Urteil darüber, wie diese Menschenarbeit in den sozialen Organismus hineingestellt sein muß, um in dem Arbeitenden die Empfindung von seiner Menschenwürde nicht zu stören, ergibt sich nur, wenn man das Verhältnis ins Auge fassen will, welches Menschenarbeit zur Entfaltung der individuellen Fähig­keiten einerseits und zum Rechtsbewußtsein anderseits hat.

Man fragt gegenwärtig mit Recht, was zu allernächst zu tun ist, um den in der sozialen Bewegung auftretenden Forderungen gerecht zu werden. Man wird auch das Allernächste nicht in fruchtbarer Art vollbringen können, wenn man nicht weiß, welches Verhältnis das zu Vollbringende zu den Grundlagen des gesunden sozialen Organismus haben soll. Und weiß man dieses, dann wird man an dem Platze, an den man gestellt ist, oder an den man sich zu stellen vermag, die Aufgaben finden können, die sich aus den Tatsachen heraus ergehen. Der Gewinnung einer Einsicht, auf die hier gedeutet wird, stellt sich, das unbefangene Urteil beirrend, gegenüber, was im Laufe langer Zeit aus menschlichem Wollen in soziale Einrichtungen übergegangen ist. Man hat sich in die Einrichtungen so eingelebt, daß man aus ihnen heraus sich Ansichten gebildet hat über dasjenige, was von ihnen zu erhalten, was zu verändern ist. Man richtet sich in Gedanken nach den Tatsachen, die doch der Gedanke beherrschen soll. Notwendig ist aber heute, zu sehen, daß man nicht anders ein den Tatsachen gewachsenes Urteil gewinnen kann als durch Zurückgehen zu den Urgedanken, die allen sozialen Einrichtungen zugrunde liegen.

Wenn nicht rechte Quellen vorhanden sind, aus denen die Kräfte, welche in diesen Urgedanken liegen, immer von

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neuem dem sozialen Organismus zufließen, dann nehmen die Einrichtungen Formen an, die nicht lebenfördernd, sondern lebenhemmend sind. In den instinktiven Impulsen der Menschen aber leben mehr oder weniger unbewußt die Urgedanken fort, auch wenn die vollbewußten Gedanken in die Irre gehen und lebenhemmende Tatsachen schaffen, oder schon geschaffen haben. Und diese Urgedanken, die einer lebenheinmenden Tatsachenwelt gegenüber chaotisch sich äußern, sind es, die offenbar oder verhüllt in den revolutionären Erschütterungen des sozialen Organismus zutage treten. Diese Erschütterungen werden nur dann nicht eintreten, wenn der soziale Organismus in der Art gestaltet ist, daß in ihm jederzeit die Neigung vorhanden sein kann, zu beobachten, wo eine Abweichung von den durch die Urgedanken vorgezeichneten Einrichtungen sich bildet, und wo zugleich die Möglichkeit besteht, dieser Abweichung entgegenzuarbeiten, ehe sie eine verhängnistragende Stärke gewonnen hat.

In unsern Tagen sind in weitem Umfange des Menschen­lebens die Abweichungen von den durch die Urgedanken geforderten Zuständen groß geworden. Und das Leben der von diesen Gedanken getragenen Impulse in Menschen­seelen steht als eine durch Tatsachen laut sprechende Kritik da über das, was sich im sozialen Organismus der letzten Jahrhunderte gestaltet hat. Daher bedarf es des guten Willens, in energischer Weise zu den Urgedanken sich zu wenden und nicht zu verkennen, wie schädlich es gerade heute ist, diese Urgedanken als «unpraktische» Allgemein­heiten aus dem Gebiete des Lebens zu verbannen. In dem Leben und in den Forderungen der proletarischen Bevöl­kerung lebt die Tatsachen-Kritik über dasjenige, was die

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neuere Zeit aus dem sozialen Organismus gemacht hat. Die Aufgabe unserer Zeit dem gegenüber ist, der einseitigen Kritik dadurch entgegenzuarbeiten, daß man aus dem Urgedanken heraus die Richtungen findet, in denen die Tatsachen bewußt gelenkt werden müssen. Denn die Zeit ist abgelaufen, in der der Menschheit genügen kann, was bisher die instinktive Lenkung zustande gebracht hat.

Eine der Grundfragen, die aus der zeitgenössischen Kritik heraus auftreten, ist die, in welcher Art die Bedrückung aufhören kann, welche die proletarische Menschheit durch den privaten Kapitalismus erfahren hat. Der Besitzer oder Verwalter des Kapitals ist in der Lage, die körperliche Arbeit anderer Menschen in den Dienst dessen zu stellen, das er herzustellen unternimmt. Man muß in dem sozialen Verhältnis, das in dem Zusammenwirken von Kapital und menschlicher Arbeitskraft entsteht, drei Glieder unterscheiden: die Unternehmertätigkeit, die auf der Grundlage der individuellen Fähigkeiten einer Person oder einer Gruppe von Personen beruhen muß; das Verhältnis des Unternehmers zum Arbeiter, das ein Rechtsverhältnis sein muß; das Hervorbringen einer Sache, die im Kreislauf des Wirtschaftslebens einen Warenwert erhält. Die Unternehmertätigkeit kann in gesunder Art nur dann in den sozialen Organismus eingreifen, wenn in dessen Leben Kräfte wirken, welche die individuellen Fähigkeiten der Menschen in der möglichst besten Art in die Erscheinung treten lassen. Das kann nur geschehen, wenn ein Gebiet des sozialen Organismus vorhanden ist, das dem Fähigen die freie Initiative gibt, von seinen Fähigkeiten Gebrauch zu machen, und das die Beurteilung des Wertes dieser Fähig­keiten durch freies Verständnis für dieselben bei andern

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Menschen ermöglicht. Man sieht: die soziale Betätigung eines Menschen durch Kapital gehört in dasjenige Gebiet des sozialen Organismus, in welchem das Geistesleben Gesetzgebung und Verwaltung besorgt. Wirkt in diese Betätigung der politische Staat hinein, so muß notwendiger­weise die Verständnislosigkeit gegenüber den individuellen Fähigkeiten bei deren Wirksamkeit mitbestimmend sein. Denn der politische Staat muß auf dem beruhen, und er muß das in Wirksamkeit versetzen, das in allen Menschen als gleiche Lebensforderung vorhanden ist. Er muß in seinem Bereich alle Menschen zur Geltendmachung ihres Urteils kommen lassen. Für dasjenige, was er zu vollbringen hat, kommt Verständnis oder Nichtverständnis für individuelle Fähigkeiten nicht in Betracht. Daher darf, was in ihm zur Verwirklichung kommt, auch keinen Einfluß haben auf die Betätigung der individuellen menschlichen Fähigkeiten. Ebensowenig sollte der Ausblick auf den wirtschaftlichen Vorteil bestimmend sein können für die durch Kapital ermöglichte Auswirkung der individuellen Fähigkeiten. Auf diesen Vorteil geben manche Beurteiler des Kapitalis­mus sehr vieles. Sie vermeinen, daß nur durch diesen Anreiz des Vorteils die individuellen Fähigkeiten zur Betätigung gebracht werden können. Und sie berufen sich als «Praktiker» auf die «unvollkommene» Menschennatur, die sie zu kennen vorgeben. Allerdings innerhalb derjenigen Gesellschaftsordnung, welche die gegenwärtigen Zustände gezeitigt hat, hat die Aussicht auf wirtschaftlichen Vorteil eine tiefgehende Bedeutung erlangt. Aber diese Tatsache ist eben zum nicht geringen Teile die Ursache der Zustände, die jetzt erlebt werden können. Und diese Zustände drängen nach Entwickelung eines andern Antriebes für die Betätigung

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der individuellen Fähigkeiten. Dieser Antrieb wird in dem aus einem gesunden Geistesleben erfließenden sozialen Ver­ständnis liegen müssen. Die Erziehung, die Schule werden aus der Kraft des freien Geisteslebens heraus den Menschen mit Impulsen ausrüsten, die ihn dazu bringen, kraft dieses ihm innewohnenden Verständnisses das zu verwirklichen, wozu seine individuellen Fähigkeiten drängen.

Solch eine Meinung braucht nicht Schwarmgeisterei zu sein. Gewiß, die Schwarmgeisterei hat unermeßlich großes Unheil auf dem Gebiete des sozialen Wollens ebenso gebracht wie auf anderen. Aber die hier dargestellte An­schauung beruht nicht, wie man aus dem Vorangehenden ersehen kann, auf dem Wahnglauben, daß «der Geist» Wunder wirken werde, wenn diejenigen möglichst viel von ihm sprechen, die ihn zu haben meinen; sondern sie geht hervor aus der Beobachtung des freien Zusammenwirkens der Menschen auf geistigem Gebiete. Dieses Zusammen­wirken erhält durch seine eigene Wesenheit ein soziales

Gepräge, wenn es sich nur wahrhaft frei entwickeln kann.

Nur die unfreie Art des Geisteslebens hat bisher dieses soziale Gepräge nicht aufkommen lassen. Innerhalb der leitenden Klassen haben sich die geistigen Kräfte in einer Art ausgebildet, welche die Leistungen dieser Kräfte in antisozialer Weise innerhalb gewisser Kreise der Menschheit abgeschlossen haben. Was innerhalb dieser Kreise hervor­gebracht worden ist, konnte nur in künstlicher Weise an die proletarische Menschheit herangebracht werden. Und diese Menschheit konnte keine seelentragende Kraft aus diesem Geistesleben schöpfen, denn sie nahm nicht wirklich an dem Leben dieses Geistesgutes teil. Einrichtungen für «volks­tümliche Belehrung», das «Heranziehen» des «Volkes» zum

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Kunstgenuß und Ähnliches sind in Wahrheit keine Mittel zur Ausbreitung des Geistesgutes im Volke, so lange dieses Geistesgut den Charakter beibehält, den es in der neueren Zeit angenommen hat. Denn das «Volk» steht mit dein innersten Anteil seines Menschenwesens nicht in dem Leben dieses Geistesgutes drinnen. Es wird ihm nur ermöglicht, gewissermaßen von einem Gesichtspunkte aus, der außer­halb desselben liegt, darauf hinzuschauen. Und was von dem Geistesleben im engern Sinne gilt, das hat seine Bedeu­tung auch in denjenigen Verzweigungen des geistigen Wirkens, die auf Grund des Kapitals in das wirtschaftliche Leben einfließen. Im gesunden sozialen Organismus soll der proletarische Arbeiter nicht an seiner Maschine stehen und nur von deren Getriebe berührt werden, während der Kapitalist allein weiß, welches das Schicksal der erzeugten Waren im Kreislauf des Wirtschaftslebens ist. Der Arbeiter soll mit vollem Anteil an der Sache Vorstellungen entwickeln können über die Art, wie er sich an dem sozialen Leben beteiligt, indem er an der Erzeugung der Waren arbeitet. Besprechungen, die zum Arbeitsbetrieb gerechnet werden müssen wie die Arbeit selbst, sollen regelmäßig von dem Unternehmer veranstaltet werden mit dem Zweck der Ent­wickelung eines gemeinsamen Vorstellungskreises, der Ar­beitnehmer und Arbeitgeber umschließt. Ein gesundes Wir­ken dieser Art wird bei dem Arbeiter Verständnis dafür erzeugen, daß eine rechte Betätigung des Kapitalverwalters den sozialen Organismus und damit den Arbeiter, der ein Glied desselben ist, selbst fördert. Der Unternehmer wird bei solcher auf freies Verstehen zielenden Öffentlichkeit seiner Geschäftsführung zu einem einwandfreien Gebaren veranlaßt.

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Nur, wer gar keinen Sinn hat für die soziale Wirkung des innerlichen vereinten Erlebens einer in Gemeinschaft betriebenen Sache, der wird das Gesagte für bedeutungslos halten. Wer einen solchen Sinn hat, der wird durchschauen, wie die wirtschaftliche Produktivität gefördert wird, wenn die auf Kapitalgrundlage ruhende Leitung des Wirtschafts­lebens in dem Gebiete des freien Geisteslebens seine Wur­zeln hat. Das bloß wegen des Profites vorhandene Interesse am Kapital und seiner Vermehrung kann nur dann, wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, dem sachlichen Interesse an der Hervorbringung von Produkten und am Zustande­kommen von Leistungen Platz machen.

Die sozialistisch Denkenden der Gegenwart streben die Verwaltung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft an. Was in diesem ihrem Streben berechtigt ist, das wird nur dadurch erreicht werden können, daß diese Verwaltung von dem freien Geistesgebiet besorgt wird. Dadurch wird der wirtschaftliche Zwang unmöglich gemacht, der vom Kapitalisten dann ausgeht und als menschenunwürdig empfunden wird, wenn der Kapitalist seine Tätigkeit aus den Kräften des Wirtschaftslebens heraus entfaltet. Und es wird die Lähmung der individuellen menschlichen Fähig­keiten nicht eintreten können, die als eine Folge sich ergeben muß, wenn diese Fähigkeiten vom politischen Staate ver­waltet werden.

Das Erträgnis einer Betätigung durch Kapital und indi­viduelle menschliche Fähigkeiten muß im gesunden sozialen Organismus wie jede geistige Leistung aus der freien Initiative des Tätigen einerseits sich ergeben und anderseits aus dem freien Verständnis anderer Menschen, die nach dem Vorhandensein der Leistung des Tätigen verlangen. Mit der

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freien Einsicht des Tätigen muß auf diesem Gebiete im Einklange stehen die Bemessung dessen, was er als Erträgnis seiner Leistung - nach den Vorbereitungen, die er braucht, um sie zu vollbringen, nach den Aufwendungen, die er machen muß, um sie zu ermöglichen und so weiter - ansehen will. Er wird seine Ansprüche nur dann befriedigt finden können, wenn ihm Verständnis für seine Leistungen entgegengebracht wird.

Durch soziale Einrichtungen, die in der Richtung des hier Dargestellten liegen, wird der Boden geschaffen für ein wirklich freies Vertragsverhältnis zwischen Arbeitleiter und Arbeitleister. Und dieses Verhältnis wird sich beziehen nicht auf einen Tausch von Ware (beziehungsweise Geld) für Arbeitskraft, sondern auf die Festsetzung des Anteiles, den eine jede der beiden Personen hat, welche die Ware gemein­sam zustande bringen.

Was auf der Grundlage des Kapitals für den sozialen Organismus geleistet wird, beruht seinem Wesen nach auf der Art, wie die individuellen menschlichen Fähigkeiten in diesen Organismus eingreifen. Die Entwickelung dieser Fähigkeiten kann durch nichts anderes den ihr entsprechen­den Impuls erhalten als durch das freie Geistesleben. Auch in einem sozialen Organismus, der diese Entwickelung in die Verwaltung des politischen Staates oder in die Kräfte des Wirtschaftslebens einspannt, wird die wirkliche Produk­tivität alles dessen, was Kapitalaufwendung notwendig macht, auf dem beruhen, was sich an freien individuellen Kräften durch die lähmenden Einrichtungen hindurchzwängt. Nur wird eine Entwickelung unter solchen Vor­aussetzungen eine ungesunde sein. Nicht die freie Entfaltung der auf Grundlage des Kapitals wirkenden individuellen

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Fähigkeiten hat Zustände hervorgerufen, innerhalb welcher die menschliche Arbeitskraft Ware sein muß, sondern die Fesselung dieser Kräfte durch das politische Staatsleben oder durch den Kreislauf des Wirtschaftslebens. Dies unbefangen zu durchschauen, ist in der Gegenwart eine Voraussetzung für alles, was auf dem Gebiete der sozialen Organisation geschehen soll. Denn die neuere Zeit hat den Aberglauben hervorgebracht, daß aus dem politischen Staate oder dem Wirtschaftsleben die Maßnahmen hervorgehen sollen, welche den sozialen Organismus gesund machen. Beschreitet man den Weg weiter, der aus diesem Aberglauben seine Richtung empfangen hat, dann wird man Einrichtungen schaffen, welche die Menschheit nicht zu dem führen, was sie erstrebt, sondern zu einer unbegrenzten Vergrößerung des Bedrückenden, das sie abgewendet sehen möchte.

Über den Kapitalismus hat man denken gelernt in einer Zeit, in welcher dieser Kapitalismus dem sozialen Organis­mus einen Krankheitsprozeß verursacht hat. Den Krank­heitsprozeß erlebt man; man sieht, daß ihm entgegengearbeitet werden muß. Man muß mehr sehen. Man muß gewahr werden, daß die Krankheit ihren Ursprung hat in dem Aufsaugen der im Kapital wirksamen Kräfte durch den Kreislauf des Wirtschaftslebens. Derjenige nur kann in der Richtung dessen wirken, was die Entwickelungskräfte der Menschheit in der Gegenwart energisch zu fordern beginnen, der sich nicht in Illusionen treiben läßt durch die Vorstellungsart, welche in der Verwaltung der Kapitalbetätigung durch das befreite Geistesleben das Ergebnis eines «unpraktischen Idealismus » sieht.

In der Gegenwart ist man allerdings wenig darauf vor­bereitet, die soziale Idee, die den Kapitalismus in gesunde

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Bahnen lenken soll, in einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Geistesleben zu bringen. Man knüpft an dasjenige an, was dem Kreis des Wirtschaftslebens angehört. Man sieht, wie in der neueren Zeit die Warenproduktion zum Großbetrieb, und dieser zur gegenwärtigen Form des Kapitalismus geführt hat. An die Stelle dieser Wirtschafts­form solle die genossenschaftliche treten, die für den Selbstbedarf der Produzenten arbeitet. Da man aber selbstver­ständlich die Wirtschaft mit den modernen Produktions­mitteln beibehalten will, verlangt man die Zusammen­fassung der Betriebe in eine einzige große Genossenschaft. In einer solchen, denkt man, produziere ein jeder im Auf­trage der Gemeinschaft, die nicht ausbeuterisch sein könne, weil sie sich selbst ausbeutete. Und da man an Bestehendes anknüpfen will oder muß, blickt man nach dem modernen Staat aus, den man in eine umfassende Genossenschaft ver­wandeln will.

Man bemerkt dabei nicht, daß man von einer solchen Genossenschaft sich Wirkungen verspricht, die um so weniger eintreten können, je größer die Genossenschaft ist. Wenn nicht die Einstellung der individuellen menschlichen Fähig­keiten in den Organismus der Genossenschaft so gestaltet wird, wie es in diesen Ausführungen dargestellt worden ist, kann die Gemeinsamkeit der Arbeitsverwaltung nicht zur Gesundung des sozialen Organismus führen.

Daß für ein unbefangenes Urteil über das Eingreifen des Geisteslebens in den sozialen Organismus gegenwärtig wenig Veranlagung vorhanden ist, rührt davon her, daß man sich gewöhnt hat, das Geistige möglichst fern von allem Materiellen und Praktischen vorzustellen. Es wird nicht wenige geben, die etwas Groteskes in der hier dargestellten

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Ansicht finden, daß in der Betätigung des Kapitals im Wirtschaftsleben die Auswirkung eines Teiles des geistigen Lebens Sich offenbaren soll. Man kann sich denken, daß in dieser Charakterisierung des als grotesk Dargestellten Zu­gehörige der bisher leitenden Menschenklassen mit sozia­listischen Denkern übereinstimmen. Man wird, um die Bedeutung dieses grotesk Befundenen für eine Gesundung des sozialen Organismus einzusehen, den Blick richten müssen in gewisse Gedankenströmungen der Gegenwart, die in ihrer Art redlichen Seelenimpulsen entspringen, die aber das Entstehen eines wirklich sozialen Denkens dort hemmen, wo sie Eingang finden.

Diese Gedankenströmungen streben mehr oder weniger unbewußt - hinweg von dem, was dem inneren Erleben die rechte Stoßkraft gibt. Sie erstreben eine Lebensauffassung, ein seelisches, ein denkerisches, ein nach wissenschaftlicher Erkenntnis suchendes inneres Leben gewissermaßen wie eine Insel im Gesamtmenschenleben. Sie sind dann nicht in der Lage, die Brücke zu bauen von diesem Leben hin zu dem­jenigen, was den Menschen in die Alltäglichkeit einspannt. Man kann sehen, wie viele Menschen der Gegenwart es gewissermaßen «innerlich vornehm» finden, in einer ge­wissen, sei es auch schulmäßigen Abstraktheit nachzudenken über allerlei ethisch-religiöse Probleme in Wolkenkuckucks­heimhöhen; man kann sehen, wie die Menschen nachdenken über die Art und Weise, wie sich der Mensch Tugenden an­eignen könne, wie er in Liebe zu seinen Mitmenschen sich verhalten soll, wie er begnadet werden kann mit einem «inneren Lebensinhalt». Man sieht dann aber auch das Unvermögen, einen Übergang zu ermöglichen von dem, was die Leute gut und liebevoll und wohlwollend und

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rechtlich und sittlich nennen, zu dem, was in der äußern Wirklichkeit, im Alltag den Menschen umgibt als Kapitalwirkung, als Arbeitsentlöhnung, als Konsum, als Produktion, als Warenzirkulation, als Kreditwesen, als Bank- und Börsenwesen. Man kann sehen, wie zwei Weltenströmungen nebeneinandergestellt werden auch in den Denkgewohn­heiten der Menschen. Die eine Weltenströmung ist die, welche sich gewissermaßen in göttlich-geistiger Höhe halten will, die keine Brücke bauen will zwischen dem, was ein geistiger Impuls ist, und was eine Tatsache des gewöhn­lichen Handelns im Leben ist. Die andere lebt gedankenlos im Alltäglichen. Das Leben aber ist ein einheitliches. Es kann nur gedeihen, wenn die es treibenden Kräfte von allem ethisch-religiösen Leben herunterwirken in das alleralltäg­lichste profanste Leben, in dasjenige Leben, das manchem eben weniger vornehm erscheint. Denn, versäumt man, die Brücke zu schlagen zwischen den beiden Lebensgebieten, so verfällt man in bezug auf religiöses, sittliches Leben und auf soziales Denken in bloße Schwarmgeisterei, die fernsteht der alltäglichen wahren Wirklichkeit. Es rächt sich dann gewissermaßen diese alltäglich-wahre Wirklichkeit. Dann strebt der Mensch aus einem gewissen «geistigen» Impuls heraus alles mögliche Ideale an, alles mögliche, was er «gut» nennt; aber denjenigen Instinkten, die diesen «Idealen» gegenüberstehen als Grundlage der gewöhn­lichen täglichen Lebensbedürfnisse, deren Befriedigung aus der Volkswirtschaft heraus kommen muß, diesen Instinkten gibt sich der Mensch ohne «Geist» hin. Er weiß keinen wirklichkeitsgemäßen Weg von dem Begriff der Geistigkeit zu dem, was im alltäglichen Leben vor sich geht. Dadurch nimmt dieses alltägliche Leben eine Gestalt an, die nichts zu

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tun haben soll mit dem, was als ethische Impulse in vorneh­meren, seelisch-geistigen Höhen gehalten werden will. Dann aber wird die Rache der Alltäglichkeit eine solche, daß das­ethisch-religiöse Leben zu einer innerlichen Lebenslüge des Menschen sich gestaltet, weil es sich ferne hält von der alltäglichen, von der unmittelbaren Lebenspraxis, ohne daß man es merkt.

Wie zahlreich sind doch heute die Menschen, die aus einer gewissen ethisch-religiösen Vornehmheit heraus den besten Willen zeigen zu einem rechten Zusammenleben mit ihren Mitmenschen, die ihren Mitmenschen nur das Alleraller­beste tun möchten. Sie versäumen es aber, zu einer Empfin­dungsart zu kommen, die dies wirklich ermöglicht, weil sie sich kein soziales, in den praktischen Lebensgewohnheiten sich auswirkendes Vorstellen aneignen können.

Aus dem Kreise solcher Menschen stammen diejenigen, die in diesem welthistorischen Augenblick, wo die sozialen Fragen so drängend geworden sind, sich als die Schwarmgeister, die sich aber für echte Lebenspraktiker halten, hem­mend der wahren Lebenspraxis entgegenstellen. Man kann von ihnen Reden hören wie diese: Wir haben nötig, daß die Menschen sich erheben aus dem Materialismus, aus dem äußerlich materiellen Leben, das uns in die Weltkriegs-Katastrophe und in das Unglück hineingetrieben hat, und daß sie sich einer geistigen Auffassung des Lebens zu­wenden. Man wird, wenn man so die Wege des Menschen zur Geistigkeit zeigen will, nicht müde, diejenigen Persön­lichkeiten zu zitieren, die man in der Vergangenheit wegen ihrer dem Geiste zugewendeten Denkungsart verehrt hat. Man kann erleben, daß jemand, der versucht, gerade auf dasjenige hinzuweisen, was heute der Geist für das wirkliche

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praktische Leben so notwendig leisten muß, wie das tägliche Brot erzeugt werden muß, darauf aufmerksam gemacht wird, daß es ja in erster Linie darauf ankomme, die Menschen wiederum zur Anerkennung des Geistes zu bringen. Es kommt aber gegenwärtig darauf an, daß aus der Kraft des geistigen Lebens heraus die Richtlinien für die Gesundung des sozialen Organismus gefunden werden. Dazu genügt nicht, daß die Menschen in einer Seitenströmung des Lebens sich mit dem Geiste beschäftigen. Dazu ist notwendig, daß das alltägliche Dasein geistgemäß werde. Die Neigung, für das «geistige Leben» solche Seitenströmungen zu suchen, führte die bisher leitenden Kreise dazu, an sozialen Zuständen Geschmack zu haben, die in die gegenwärtigen Tatsachen ausgelaufen sind.

Eng verbunden sind im sozialen Leben der Gegenwart die Verwaltung des Kapitals in der Warenproduktion und der Besitz der Produktionsmittel, also auch des Kapitals. Und doch sind diese beiden Verhältnisse des Menschen zum Kapital ganz verschieden mit Bezug auf ihre Wirkung innerhalb des sozialen Organismus. Die Verwaltung durch die individuellen Fähigkeiten führt, zweckmäßig ange­wendet, dem sozialen Organismus Güter zu, an deren Vorhandensein alle Menschen, die diesem Organismus an­gehören, ein Interesse haben. In welcher Lebenslage ein Mensch auch ist, er hat ein Interesse daran, daß nichts von dem verloren gehe, was aus den Quellen der Menschennatur an solchen individuellen Fähigkeiten erfließt, durch die Güter zustande kommen, welche dem Menschenleben zweckentsprechend dienen. Die Entwickelung dieser Fähig­keiten kann aber nur dadurch erfolgen, daß ihre mensch­lichen Träger aus der eigenen freien Initiative heraus sie

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zur Wirkung bringen können. Was aus diesen Quellen nicht in Freiheit erfließen kann, das wird der Menschenwohl­fahrt mindestens bis zu einem gewissen Grade entzogen. Das Kapital aber ist das Mittel, solche Fähigkeiten für weite Gebiete des sozialen Lebens in Wirksamkeit zu bringen. Den gesamten Kapitalbesitz so zu verwalten, daß der einzelne in besonderer Richtung begabte Mensch oder daß zu Besonderem befähigte Menschengruppen zu einer solchen Verfügung über Kapital kommen, die lediglich aus ihrer ureigenen Initiative entspringt, daran muß jedermann innerhalb eines sozialen Organismus ein wahrhaftes In­teresse haben. Vom Geistesarbeiter bis zum handwerklich Schaffenden muß ein jeder Mensch, wenn er vorurteilslos dem eigenen Interesse dienen will, sagen: Ich möchte, daß eine genügend große Anzahl befähigter Personen oder Personengruppen völlig frei über Kapital nicht nur ver­fügen können, sondern daß sie auch aus der eigenen Initiative heraus zu dem Kapitale gelangen können; denn nur sie allein können ein Urteil darüber haben, wie durch die Vermittlung des Kapitals ihre individuellen Fähigkeiten dem sozialen Organismus zweckmäßig Güter erzeugen werden.

Es ist nicht nötig, im Rahmen dieser Schrift darzustellen, wie im Laufe der Menschheitsentwickelung zusammen­hängend mit der Betätigung der menschlichen individuellen Fähigkeiten im sozialen Organismus sich der Privatbesitz aus andern Besitzformen ergeben hat. Bis zur Gegenwart hat sich unter dem Einfluß der Arbeitsteilung innerhalb dieses Organismus ein solcher Besitz entwickelt. Und von den gegenwärtigen Zuständen und deren notwendiger Weiterentwickelung soll hier gesprochen werden.

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Wie auch der Privatbesitz sich gebildet hat, durch Macht- und Eroberungsbetätigung und so weiter, er ist ein Ergebnis des an individuelle menschliche Fähigkeiten gebundenen sozialen Schaffens. Dennoch besteht gegenwärtig bei sozia­listisch Denkenden die Meinung, daß sein Bedrückendes nur beseitigt werden könne durch seine Verwandlung in Gemeinbesitz. Dabei stellt man die Frage so: Wie kann der Privatbesitz an Produktionsmitteln in seinem Entstehen verhindert werden, damit die durch ihn bewirkte Bedrük­kung der besitzlosen Bevölkerung aufhöre? Wer die Frage so stellt, der richtet dabei sein Augenmerk nicht auf die Tatsache, daß der soziale Organismus ein fortwährend Werdendes, Wachsendes ist. Man kann diesem Wachsenden gegenüber nicht so fragen: Wie soll man es am besten ein­richten, damit es durch diese Einrichtung dann in dem Zu­stande verbleibe, den man als den richtigen erkannt hat? So kann man gegenüber einer Sache denken, die von einem gewissen Ausgangspunkt aus wesentlich unverändert weiter wirkt. Das gilt nicht für den sozialen Organismus. Der verändert durch sein Leben fortwährend dasjenige, das in ihm entsteht. Will man ihm eine vermeintlich beste Form geben, in der er dann bleiben soll, so untergräbt man seine Lebensbedingungen.

Eine Lebensbedingung des sozialen Organismus ist, daß demjenigen, welcher der Allgemeinheit durch seine indi­viduellen Fähigkeiten dienen kann, die Möglichkeit zu solchem Dienen aus der freien eigenen Initiative heraus nicht genommen werde. Wo zu solchem Dienste die freie Verfügung über Produktionsmittel gehört, da würde die Verhinderung dieser freien Initiative den allgemeinen sozialen Interessen schaden. Was gewöhnlich mit Bezug auf

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diese Sache vorgebracht wird, daß der Unternehmer zum Anreiz seiner Tätigkeit die Aussicht auf den Gewinn braucht, Öder an den Besitz der Produktionsmittel gebunden ist: das soll hier nicht geltend gemacht werden. Denn die Denkart, aus welcher die in diesem Buche dargestellte Meinung von einer Fortentwickelung der sozialen Ver­hältnisse erfließt, muß in der Befreiung des geistigen Lebens von dem politischen und dem wirtschaftlichen Gemein­wesen die Möglichkeit sehen, daß ein solcher Anreiz weg­fallen kann. Das befreite Geistesleben wird soziales Ver­ständnis ganz notwendig aus sich selbst entwickeln; und aus diesem Verständnis werden Anreize ganz anderer Art sich ergeben als derjenige ist, der in der Hoffnung auf wirt­schaftlichen Vorteil liegt. Aber nicht darum kann es sich allein handeln, aus welchen Impulsen heraus der Privat­besitz an Produktionsmitteln bei Menschen beliebt ist, son­dern darum, ob die freie Verfügung über solche Mittel, oder die durch die Gemeinschaft geregelte den Lebens­bedingungen des sozialen Organismus entspricht. Und da­bei muß immer im Auge behalten werden, daß man für den gegenwärtigen sozialen Organismus nicht die Lebens­bedingungen in Betracht ziehen kann, die man bei primitiven Menschengesellschaften zu beobachten glaubt, sondern allein diejenigen, welche der heutigen Entwickelungsstufe der Menschheit entsprechen.

Auf dieser gegenwärtigen Stufe kann eben die fruchtbare Betätigung der individuellen Fähigkeiten durch das Kapital nicht ohne die freie Verfügung über dasselbe in den Kreislauf des Wirtschaftslebens eintreten. Wo fruchtbringend produziert werden soll, da muß diese Verfügung möglich sein, nicht weil sie einem einzelnen oder einer Menschengruppe

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Vorteil bringt, sondern weil sie der Allgemeinheit am besten dienen kann, wenn sie zweckmäßig von sozialem Verständnis getragen ist.

Der Mensch ist gewissermaßen, wie mit der Geschicklich­keit seiner eigenen Leibesglieder, so verbunden mit dem , was er selbst oder in Gemeinschaft mit andern erzeugt. Die Unterbindung der freien Verfügung über die Produktions­mittel kommt gleich einer Lähmung der freien Anwendung seiner Geschicklichkeit der Leibesglieder.

Nun ist aber das Privateigentum nichts anderes als der Vermittler dieser freien Verfügung. Für den sozialen Organismus kommt in Ansehung des Eigentums gar nichts anderes in Betracht, als daß der Eigentümer das Recht hat, über das Eigentum aus seiner freien Initiative heraus zu verfügen. Man sieht, im sozialen Leben sind zwei Dinge miteinander verbunden, welche von ganz verschiedener Bedeutung sind für den sozialen Organismus: Die freie Verfügung über die Kapitalgrundlage der sozialen Pro­duktion, und das Rechtsverhältnis, in das der Verfüger zu andern Menschen tritt dadurch, daß durch sein Verfügungs­recht diese anderen Menschen ausgeschlossen werden von der freien Betätigung durch diese Kapitalgrundlage.

Nicht die ursprüngliche freie Verfügung führt zu sozialen Schäden, sondern lediglich das Fortbestehen des Rechtes auf diese Verfügung, wenn die Bedingungen aufgehört haben, welche in zweckmäßiger Art individuelle menschliche Fähigkeiten mit dieser Verfügung zusammenbinden. Wer seinen Blick auf den sozialen Organismus als auf ein Wer­dendes, Wachsendes richtet, der wird das hier Angedeutete nicht mißverstehen können. Er wird nach der Möglichkeit fragen, wie dasjenige, was dem Leben auf der einen Seite

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dient, so verwaltet werden kann, daß es nicht auf der anderen Seite schädlich wirkt. Was lebt, kann gar nicht in einer andern Weise fruchtbringend eingerichtet sein als dadurch, daß im Werden das Entstandene auch zum Nach­teil führt. Und soll man an einem Werdenden selbst mit­arbeiten, wie es der Mensch am sozialen Organismus muß, so kann die Aufgabe nicht darin bestehen, das Entstehen einer notwendigen Einrichtung zu verhindern, um Schaden zu vermeiden. Denn damit untergräbt man die Lebensmöglichkeit des sozialen Organismus. Es kann sich allein darum handeln, daß im rechten Augenblick eingegriffen werde, wenn sich das Zweckmäßige in ein Schädliches ver­wandelt.

Die Möglichkeit, frei über die Kapitalgrundlage aus den individuellen Fähigkeiten heraus zu verfügen, muß bestehen; das damit verbundene Eigentumsrecht muß in dem Augenblicke verändert werden können, in dem es umschlägt in Mittel zur ungerechtfertigten Machtentfaltung. In unserer Zeit haben wir eine Einrichtung, welche der hier angedeuteten sozialen Forderung Rechnung trägt, teilweise durchgeführt nur für das sogenannte geistige Eigentum. Dieses geht einige Zeit nach dem Tode des Schaffenden in freies Besitztum der Allgemeinheit über. Dem liegt eine dem Wesen des menschlichen Zusammenlebens entsprechende Vorstellungsart zugrunde. So eng auch die Hervorbringung eines rein geistigen Gutes an die individuelle Begabung des einzelnen gebunden ist: es ist dieses Gut zugleich ein Ergebnis des sozialen Zusammenlebens und muß in dieses im rechten Augenblicke übergeleitet werden. Nicht anders aber steht es mit anderem Eigentum. Daß mit dessen Hilfe der einzelne im Dienste der Gesamtheit produziert, das ist

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nur möglich im Mitwirken dieser Gesamtheit. Es kann also das Recht auf die Verfügung über ein Eigentum nicht von den Interessen dieser Gesamtheit getrennt verwaltet wer­den. Nicht ein Mittel ist zu finden, wie das Eigentum an der Kapitalgrundlage ausgetilgt werden kann, sondern ein solches, wie dieses Eigentum so verwaltet werden kann, daß es in der besten Weise der Gesamtheit diene.

In dem dreigliedrigen sozialen Organismus kann dieses Mittel gefunden werden. Die im sozialen Organismus ver­einigten Menschen wirken als Gesamtheit durch den Rechts­staat. Die Betätigung der individuellen Fähigkeiten gehört der geistigen Organisation an.

Wie alles am sozialen Organismus einer Anschauung, die für Wirklichkeiten Verständnis hat, und die nicht von sub­jektiven Meinungen, Theorien, Wünschen und so weiter sich ganz beherrschen läßt, die Notwendigkeit der Dreigliederung dieses Organismus ergibt, so insbesondere die Frage nach dem Verhältnis der individuellen menschlichen Fähigkeiten zur Kapitalgrundlage des Wirtschaftslebens und dem Eigentum an dieser Kapitalgrundlage. Der Rechtsstaat wird die Entstehung und die Verwaltung des privaten Eigentums an Kapital nicht zu verhindern haben, solange die individuellen Fähigkeiten so verbunden bleiben mit der Kapitalgrundlage, daß die Verwaltung einen Dienst bedeutet für das Ganze des sozialen Organismus. Und er wird Rechtsstaat bleiben gegenüber dem privaten Eigentum; er wird es niemals selbst in seinen Besitz nehmen, sondern bewirken, daß es im rechten Zeitpunkt in das Verfügungs­recht einer Person oder Personengruppe übergeht, die wieder ein in den individuellen Verhältnissen bedingtes Verhältnis zu dem Besitze entwickeln können. Von zwei

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ganz verschiedenen Ausgangspunkten wird dadurch dem sozialen Organismus gedient werden können. Aus dem demokratischen Untergrund des Rechtsstaates heraus, der es zu tun hat mit dem, was alle Menschen in gleicher Art berührt, wird gewacht werden können, daß Eigentumsrecht nicht im Laufe der Zeit zu Eigentumsunrecht wird. Da­durch, daß dieser Staat das Eigentum nicht selbst verwaltet, sondern sorgt für die Überleitung an die individuellen menschlichen Fähigkeiten, werden diese ihre fruchtbare Kraft für die Gesamtheit des sozialen Organismus entfalten. Solange es als zweckmäßig erscheint, werden durch eine solche Organisation die Eigentumsrechte oder die Ver­fügung über dieselben bei dem persönlichen Elemente ver­bleiben können. Man kann sich vorstellen, daß die Vertreter im Rechtsstaate zu verschiedenen Zeiten ganz verschiedene Gesetze geben werden über die Überleitung des Eigentums von einer Person oder Personengruppe an andere. In der Gegenwart, in der sich in weiten Kreisen ein großes Mißtrauen zu allem privaten Eigentum entwickelt hat, wird an ein radikales Überführen des privaten Eigentums in Gemeineigentum gedacht. Würde man auf diesem Wege weit gelangen, so würde man sehen, wie man dadurch die Lebensmöglichkeit des sozialen Organismus unterbindet. Durch die Erfahrung belehrt, würde man einen andern Weg später einschlagen. Doch wäre es zweifellos besser, wenn man schon in der Gegenwart zu Einrichtungen griffe, die dem sozialen Organismus im Sinne des hier Ange­deuteten seine Gesundheit gäben. Solange eine Person für sich allein oder in Verbindung mit einer Personengruppe die produzierende Betätigung fortsetzt, die sie mit einer Kapitalgrundlage zusammengebracht hat, wird ihr das

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Verfügungsrecht verbleiben müssen über diejenige Kapitalmasse, die sich aus dem Anfangskapital als Betriebsgewinn ergibt, wenn der letztere zur Erweiterung des Produktions­betriebes verwendet wird. Von dem Zeitpunkt an, in dem eine solche Persönlichkeit aufhört, die Produktion zu ver­walten, soll diese Kapitalmasse an eine andere Person oder Personengruppe zum Betriebe einer gleichgearteten oder anderen dem sozialen Organismus dienenden Produktion übergehen. Auch dasjenige Kapital, das aus dem Produk­tionsbetrieb gewonnen wird und nicht zu dessen Erwei­terung verwendet wird, soll von seiner Entstehung an den gleichen Weg nehmen. Als persönliches Eigentum der den Betrieb leitenden Persönlichkeit soll nur gelten, was diese bezieht auf Grund derjenigen Ansprüche, die sie bei Aufnahme des Produktionsbetriebes glaubte wegen ihrer individuellen Fähigkeit machen zu können, und die dadurch gerechtfertigt erscheinen, daß sie aus dem Vertrauen anderer Menschen heraus bei Geltendmachung derselben Kapital erhalten hat. Hat das Kapital durch die Betätigung dieser Persönlichkeit eine Vergrößerung erfahren, so wird in deren individuelles Eigentum aus dieser Vergrößerung so viel übergehen, daß die Vermehrung der ursprünglichen Bezüge der Kapitalvermehrung im Sinne eines Zinsbezuges ent­spricht. - Das Kapital, mit dem ein Produktionsbetrieb eingeleitet worden ist, wird nach dem Willen der ursprüng­lichen Besitzer an den neuen Verwalter mit allen über­nommenen Verpflichtungen übergehen, oder an diese zurückfließen, wenn der erste Verwalter den Betrieb nicht mehr besorgen kann oder will.

Man hat es bei einer solchen Einrichtung mit Rechts­übertragungen zu tun. Die gesetzlichen Bestimmungen zu

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treffen, wie solche Übertragungen stattfinden sollen, obliegt dem Rechtsstaat. Er wird auch über die Ausführung zu wachen und deren Verwaltung zu führen haben. Man kann sich denken, daß im einzelnen die Bestimmungen, die eine solche Rechtsübertragung regeln, in sehr verschiedener Art aus dem Rechtsbewußtsein heraus für richtig befunden werden. Eine Vorstellungsart, die wie die hier dargestellte wirklichkeitsgemäß sein soll, wird niemals mehr wollen als auf die Richtung weisen, in der sich die Regelung bewegen kann. Geht man verständnisvoll auf diese Richtung ein, so wird man im konkreten Einzelfalle immer ein Zweckent­sprechendes finden. Doch wird aus den besondern Verhält­nissen heraus für die Lebenspraxis dem Geiste der Sache gemäß das Richtige gefunden werden müssen. Je wirklich­keitsgemäßer eine Denkart ist, desto weniger wird sie für einzelnes aus vorgefaßten Forderungen heraus Gesetz und Regel feststellen wollen. - Nur wird andrerseits eben aus dem Geiste der Denkart in entschiedener Weise das eine oder das andere mit Notwendigkeit sich ergeben. Ein solches Ergebnis ist, daß der Rechtsstaat durch seine Ver­waltung der Rechtsübertragungen selbst niemals die Ver­fügung über ein Kapital wird an sich reißen dürfen. Er wird nur dafür zu sorgen haben, daß die Übertragung an eine solche Person oder Personengruppe geschieht, welche diesen Vorgang durch ihre individuellen Fähigkeiten als gerecht­fertigt erscheinen lassen. Aus dieser Voraussetzung heraus wird auch zunächst ganz allgemein die Bestimmung zu gelten haben, daß, wer aus den geschilderten Gründen zu einer Kapitalübertragung zu schreiten hat, sich aus freier Wahl über seine Nachfolge in der Kapitalverwertung ent­scheiden kann. Er wird eine Person oder Personengruppe

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wählen können, oder auch das Verfügungsrecht auf eine Korporation der geistigen Organisation übertragen können. Denn wer durch eine Kapitalverwaltung dem sozialen Organismus zweckentsprechende Dienste geleistet hat, der wird auch über die weitere Verwendung dieses Kapitals aus seinen individuellen Fähigkeiten heraus mit sozialem Verständnis urteilen. Und es wird für den sozialen Orga­nismus dienlicher sein, wenn auf dieses Urteil gebaut wird, als wenn darauf verzichtet und die Regelung von Personen vorgenommen wird, die nicht unmittelbar mit der Sache verbunden sind.

Eine Regelung dieser Art wird in Betracht kommen bei Kapitalmassen von einer bestimmten Höhe an, die von einer Person oder einer Personengruppe durch Produktions­mittel (zu denen auch Grund und Boden gehört) erworben werden, und die nicht auf der Grundlage der ursprünglich für die Betätigung der individuellen Fähigkeiten gemachten Ansprüche persönliches Eigentum werden.

Die in der letzteren Art gemachten Erwerbungen und alle Ersparnisse, die aus den Leistungen der eigenen Arbeit entspringen, verbleiben bis zum Tode des Erwerbers oder bis zu einem spätern Zeitpunkte im persönlichen Besitz dieses Erwerbers oder seiner Nachkommen. Bis zu diesem Zeitpunkte wird auch ein aus dem Rechtsbewußtsein sich ergebender, durch den Rechtsstaat festzusetzender Zins von dem zu leisten sein, dem solche Ersparnisse zum Schaffen von Produktionsmitteln gegeben werden. In einer sozialen Ordnung, die auf den hier geschilderten Grundlagen ruht, kann eine vollkommene Scheidung durchgeführt werden zwischen den Erträgnissen, die auf Grund einer Arbeits­leistung mit Produktionsmitteln zustandekommen und

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den Vermögensmassen, die auf Grund der persönlichen (physischen und geistigen) Arbeit erworben werden. Diese Scheidung entspricht dem Rechtsbewußtsein und den Interessen der sozialen Allgemeinheit. Was jemand erspart und als Ersparnis einem Produktionsbetrieb zur Verfügung stellt, das dient den allgemeinen Interessen. Denn es macht erst die Produktionsleitung durch individuelle menschliche Fähigkeiten möglich. Was an Kapitalvermehrung durch die Produktionsmittel - nach Abzug des rechtmäßigen Zinses - entsteht, das verdankt seine Entstehung der Wirkung des gesamten sozialen Organismus. Es soll also auch in der geschilderten Art wieder in ihn zurückfließen. Der Rechts­staat wird nur eine Bestimmung darüber zu treffen haben, daß die Überleitung der in Frage kommenden Kapitalmassen in der angegebenen Art geschehe; nicht aber wird es ihm obliegen, Entscheidungen darüber zu treffen, zu welcher materiellen oder geistigen Produktion ein übergeleitetes oder auch ein erspartes Kapital zur Verfügung zu stellen ist. Das würde zu einer Tyrannis des Staates über die geistige und materielle Produktion führen. Diese aber wird in der für den sozialen Organismus besten Art durch die individuellen menschlichen Fähigkeiten geleitet. Nur wird es demjenigen, der nicht selbst die Wahl darüber treffen will, an wen er ein durch ihn entstandenes Kapital über­tragen soll, frei überlassen sein, für das Verfügungsrecht eine Korporation der geistigen Organisation einzusetzen.

Auch ein durch Ersparnis gewonnenes Vermögen geht mit dem Zinserträgnis nach dem Tode des Erwerbers oder einige Zeit danach an eine geistig oder materiell produ­zierende Person oder Personengruppe - aber nur an eine solche, nicht an eine unproduktive Person, bei der es zur

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Rente würde - über, die durch letztwillige Anordnung von dem Erwerber zu wählen ist. Auch dafür wird, wenn eine Person oder Personengruppe nicht unmittelbar gewählt werden kann, die Übertragung des Verfügungsrechtes an eine Korporation des geistigen Organismus in Betracht kommen. Nur wenn jemand von sich aus keine Verfügung trifft, so wird der Rechtsstaat für ihn eintreten und durch die geistige Organisation die Verfügung treffen lassen.

Innerhalb einer so geregelten sozialen Ordnung ist zu­gleich der freien Initiative der einzelnen Menschen und auch den Interessen der sozialen Allgemeinheit Rechnung getragen; ja es wird den letzteren eben dadurch voll ent­sprochen, daß die freie Einzel-Initiative in ihren Dienst gestellt wird. Wer seine Arbeit der Leitung eines andern Menschen anzuvertrauen hat, wird bei einer solchen Re­gelung wissen können, daß das mit dem Leiter gemeinsam Erarbeitete in der möglichst besten Art für den sozialen Organismus, also auch für den Arbeiter selbst, fruchtbar wird. Die hier gemeinte soziale Ordnung wird ein dem gesunden Empfinden der Menschen entsprechendes Ver­hältnis schaffen zwischen den durch das Rechtsbewußtsein geregelten Verfügungsrechten über in Produktionsmitteln verkörpertes Kapital und menschlicher Arbeitskraft einer­seits und den Preisen der durch beides geschaffenen Erzeug­nisse andrerseits. - Vielleicht findet mancher in dem hier Dargestellten Unvollkommenheiten. Die mögen gefunden werden. Es kommt einer wirklichkeitsgemäßen Denkart nicht darauf an, vollkommene «Programme» ein für alle Male zu geben, sondern darauf, die Richtung zu kenn­zeichnen, in der praktisch gearbeitet werden soll. Durch solche besondere Angaben, wie sie die hier gemachten sind,

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soll eigentlich nur wie durch ein Beispiel die gekennzeichnete Richtung näher erläutert werden. Ein solches Beispiel mag verbessert werden. Wenn dies nur in der angegebenen Richtung geschieht, dann kann ein fruchtbares Ziel erreicht werden.

Berechtigte persönliche oder Familienimpulse werden sich durch solche Einrichtungen mit den Forderungen der menschlichen Allgemeinheit in Einklang bringen lassen. Man wird gewiß darauf hinweisen können, daß die Ver­suchung, das Eigentum auf einen oder mehrere Nach­kommen noch bei Lebzeiten zu übertragen, sehr groß ist. Und daß man ja in solchen Nachkommen scheinbar Pro­duzierende schaffen kann, die aber dann doch gegenüber anderen untüchtig sind und besser durch diese anderen ersetzt würden. Doch diese Versuchung wird in einer von den oben angedeuteten Einrichtungen beherrschten Organi­sation eine möglichst geringe sein können. Denn der Rechtsstaat braucht nur zu verlangen, daß unter allen Umständen das Eigentum, das an ein Familienmitglied von einem andern übertragen worden ist, nach Ablauf einer gewissen, auf den Tod des letzteren folgenden Zeit einer Korporation der geistigen Organisation zufällt. Oder es kann in andrer Art durch das Recht die Umgehung der Regel verhindert werden. Der Rechtsstaat wird nur dafür sorgen, daß diese Überführung geschehe; wer ausersehen sein soll, das Erbe anzutreten, das sollte durch eine aus der geistigen Organisation hervorgegangene Einrichtung bestimmt sein. Durch Erfüllung solcher Voraussetzungen wird sich ein Verständnis dafür entwickeln, daß Nach­kommen durch Erziehung und Unterricht für den sozialen Organismus geeignet gemacht werden, und nicht durch

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Kapitalübertragung an unproduktive Personen sozialer Schaden angerichtet werde. Jemand, in dem wirklich soziales Verständnis lebt, hat kein Interesse daran, daß seine Verbindung mit einer Kapitalgrundlage nachwirke bei Personen oder Personengruppen, bei denen die in­dividuellen Fähigkeiten eine solche Verbindung nicht rechtfertigen.

Niemand wird, was hier ausgeführt ist, für eine bloße Utopie halten, der Sinn für wirklich praktisch Durchführ­bares hat. Denn es wird gerade auf solche Einrichtungen gedeutet, die ganz unmittelbar an jeder Stelle des Lebens aus den gegenwärtigen Zuständen heraus erwachsen können. Man wird nur zu dem Entschluß greifen müssen, innerhalb des Rechtsstaates auf die Verwaltung des geistigen Lebens und auf das Wirtschaften allmählich zu verzichten und sich nicht zu wehren, wenn, was geschehen sollte, wirklich geschieht, daß private Bildungsanstalten entstehen und daß sich das Wirtschaftsleben auf die eigenen Untergründe stellt. Man braucht die Staatsschulen und die staatlichen Wirtschaftseinrichtungen nicht von heute zu morgen abzu­schaffen; aber man wird aus vielleicht kleinen Anfängen heraus die Möglichkeit erwachsen sehen, daß ein all­mählicher Abbau des staatlichen Bildungs- und Wirtschafts­wesens erfolge. Vor allem aber würde notwendig sein, daß diejenigen Persönlichkeiten, welche sich mit der Über­zeugung durchdringen können von der Richtigkeit der hier dargestellten oder ähnlicher sozialer Ideen, für deren Ver­breitung sorgen. Finden solche Ideen Verständnis, so wird dadurch Vertrauen geschaffen zu einer möglichen heilsamen Umwandlung der gegenwärtigen Zustände in solche, welche deren Schäden nicht zeigen. Dieses Vertrauen aber ist das

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einzige, aus dem eine wirklich gesunde Entwickelung wird hervorgehen können. Denn wer ein solches Vertrauen gewinnen soll, der muß überschauen können, wie Neueinrichtungen sich praktisch an das Bestehende anknüpfen lassen. Und es scheint gerade das Wesentliche der Ideen zu sein, die hier entwickelt werden, daß sie nicht eine bessere Zukunft herbeiführen wollen durch eine noch weiter­gehende Zerstörung des Gegenwärtigen, als sie schon ein­getreten ist; sondern daß die Verwirklichung solcher Ideen auf dem Bestehenden weiterbaut und im Weiterbauen den Abbau des Ungesunden herbeiführt. Eine Aufklärung, die ein Vertrauen nach dieser Richtung nicht anstrebt, wird nicht erreichen, was unbedingt erreicht werden muß: eine Weiterentwickelung, bei welcher der Wert der bisher von den Menschen erarbeiteten Güter und der erworbenen Fähigkeiten nicht in den Wind geschlagen, sondern gewahrt wird. Auch der ganz radikal Denkende kann Vertrauen zu einer sozialen Neugestaltung unter Wahrung der über­kommenen Werte gewinnen, wenn er vor Ideen sich gestellt sieht, die eine wirklich gesunde Entwickelung einleiten können. Auch er wird einsehen müssen, daß, welche Men­schenklasse auch immer zur Herrschaft gelangt, sie die bestehenden Übel nicht beseitigen wird, wenn ihre Impulse nicht von Ideen getragen sind, die den sozialen Organismus gesund, lebensfähig machen. Verzweifeln, weil man nicht glauben kann, daß bei einer genügend großen Anzahl von Menschen auch in den Wirren der Gegenwart Verständnis sich finde für solche Ideen, wenn auf ihre Verbreitung die notwendige Energie gewandt werden kann, hieße an der Empfänglichkeit der Menschennatur für Impulse des Gesunden und Zweckentsprechenden verzweifeln. Es sollte

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diese Frage, ob man daran verzweifeln müsse, gar nicht gestellt werden, sondern nur die andere: was man tun solle, um die Aufklärung über vertrauenerweckende Ideen so kraftvoll als möglich zu machen.

Einer wirksamen Verbreitung der hier dargestellten Ideen wird zunächst entgegenstehen, daß die Denkgewohnheiten des gegenwärtigen Zeitalters aus zwei Untergründen heraus mit ihnen nicht zurechtkommen werden. Entweder wird man in irgendeiner Form einwenden, man könne sich nicht vorstellen, daß ein Auseinanderreißen des einheitlichen sozialen Lebens möglich sei, da doch die drei gekennzeich­neten Zweige dieses Lebens in der Wirklichkeit überall zusammenhängen; oder man wird finden, daß auch im Einheitsstaate die notwendige selbständige Bedeutung eines jeden der drei Glieder erreicht werden könne, und daß eigentlich mit dem hier Dargestellten ein Ideengespinst gegeben sei, das die Wirklichkeit nicht berühre. Der erste Einwand beruht darauf, daß von einem unwirklichen Den­ken ausgegangen wird. Daß geglaubt wird, die Menschen könnten in einer Gemeinschaft nur eine Einheit des Lebens erzeugen, wenn diese Einheit durch Anordnung erst in die Gemeinschaft hineingetragen wird. Doch das Umgekehrte wird von der Lebenswirklichkeit verlangt. Die Einheit muß als das Ergebnis entstehen; die von verschiedenen Richtungen her zusammenströmenden Betätigungen müssen zuletzt eine Einheit bewirken. Dieser wirklichkeitsgemäßen Idee lief die Entwickelung der letzten Zeit zuwider. Deshalb stemmte sich, was in den Menschen lebte, gegen die von außen in das Leben gebrachte «Ordnung» und führte zu der gegen­wärtigen sozialen Lage. - Das zweite Vorurteil geht hervor aus dem Unvermögen, die radikale Verschiedenheit im

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Wirken der drei Glieder des sozialen Lebens zu durch­schauen. Man sieht nicht, wie der Mensch zu jedem der drei Glieder ein besonderes Verhältnis hat, das in seiner Eigen­art nur entfaltet werden kann, wenn im wirklichen Leben ein für sich bestehender Boden vorhanden ist, auf dem sich, abgesondert von den beiden andern, dieses Verhältnis ausgestalten kann, um mit ihnen zusammenzuwirken. Eine Anschauung der Vergangenheit, die physiokratische, meinte: Entweder die Menschen machen Regierungsmaßregeln über das wirtschaftliche Leben, welche der freien Selbstentfaltung dieses Lebens widerstreben; dann seien solche Maßregeln schädlich. Oder die Gesetze laufen in derselben Richtung, in welcher das Wirtschaftsleben von selbst läuft, wenn es sich frei überlassen bleibt; dann seien sie überflüssig. Als Schulmeinung ist diese Anschauung überwunden; als Denkgewohnheit spukt sie aber überall noch verheerend in den Menschenköpfen. Man meint, wenn ein Lebensgebiet seinen Gesetzen folgt, dann müsse aus diesem Gebiete alles für das Leben Notwendige sich ergeben. Wenn, zum Beispiel, das Wirtschaftsleben in einer solchen Art geregelt werde, daß die Menschen die Regelung als eine sie befriedigende empfinden, dann müsse auch das Rechts- und Geistesleben aus dem geordneten Wirtschafts­boden sich richtig ergeben. Doch dieses ist nicht möglich. Und nur ein Denken, das der Wirklichkeit fremd gegen­übersteht, kann glauben, daß es möglich sei. Im Kreislauf des Wirtschaftslebens ist nichts vorhanden, das von sich aus einen Antrieb enthielte, dasjenige zu regeln, was aus dem Rechtsbewußtsein über das Verhältnis von Mensch zu Mensch erfließt. Und will man dieses Verhältnis aus den wirtschaftlichen Antrieben heraus ordnen, so wird man den

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Menschen mit seiner Arbeit und mit der Verfügung über die Arbeitsmittel in das Wirtschaftsleben einspannen. Er wird ein Rad in einem Wirtschaftsleben, das wie ein Mecha­nismus wirkt. Das Wirtschaftsleben hat die Tendenz, fort­während in einer Richtung sich zu bewegen, in die von einer andern Seite her eingegriffen werden muß. Nicht, wenn die Rechtsmaßnahmen in der Richtung verlaufen, die vom Wirtschaftsleben erzeugt wird, sind sie gut, oder wenn sie ihr zuwiderlaufen, sind sie schädlich; sondern, wenn die Richtung, in welcher das Wirtschaftsleben läuft, fortwährend beeinflußt wird von den Rechten, welche den Menschen nur als Menschen angehen, wird dieser in dem Wirtschaftsleben ein menschenwürdiges Dasein führen können. Und nur dann, wenn ganz abgesondert von dem Wirtschaftsleben die individuellen Fähigkeiten auf einem eigenen Boden erwachsen und dem Wirtschaften die Kräfte immer wieder neu zuführen, die aus ihm selbst sich nicht erzeugen können, wird auch das Wirtschaften in einer den Menschen gedeihlichen Art sich entwickeln können.

Es ist merkwürdig: auf dem Gebiete des rein äußerlichen Lebens sieht man leicht den Vorteil der Arbeitsteilung ein. Man glaubt nicht, daß der Schneider sich seine Kuh züchten solle, die ihn mit Milch versorgt. Für die umfassende Glie­derung des Menschenlebens glaubt man, daß die Einheits­ordnung das allein Ersprießliche sein müsse.

Daß Einwände gerade bei einer dem wirklichen Leben entsprechenden sozialen Ideenrichtung von allen Seiten sich ergeben müssen, ist selbstverständlich. Denn das wirkliche Leben erzeugt Widersprüche. Und wer diesem Leben gemäß denkt, der muß Einrichtungen verwirklichen wollen, deren

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Lebenswidersprüche durch andere Einrichtungen ausge­glichen werden. Er darf nicht glauben: eine Einrichtung, die sich vor seinem Denken als «ideal gut» ausweist, werde, wenn sie verwirklicht wird, auch widerspruchslos sich gestalten. - Es ist eine durchaus berechtigte Forderung des gegenwärtigen Sozialismus, daß die neuzeitlichen Einrich­tungen, in denen produziert wird um des Profitierens des einzelnen willen, durch solche ersetzt werden, in denen produziert wird, um des Konsumierens aller willen. Allein gerade derjenige, welcher diese Forderung voll anerkennt, wird nicht zu der Schlußfolgerung dieses neueren Sozialismus kommen können: Also müssen die Produktionsmittel aus dem Privateigentum in Gemeineigentum übergehen. Er wird vielmehr die ganz andere Schlußfolgerung anerkennen müssen: Also muß, was privat auf Grund der individuellen Tüchtigkeiten produziert wird, durch die rechten Wege der Allgemeinheit zugeführt werden. Der wirtschaftliche Impuls der neueren Zeit ging dahin, durch die Menge des Güter­erzeugens Einnahmen zu schaffen; die Zukunft wird danach streben müssen, durch Assoziationen aus der notwendigen Konsumtion die beste Art der Produktion und die Wege von dem Produzenten zu dem Konsumenten zu finden. Die Rechtseinrichtungen werden dafür sorgen, daß ein Pro­duktionsbetrieb nur so lange mit einer Person oder Personen­gruppe verbunden bleibt, als sich diese Verbindung aus den individuellen Fähigkeiten dieser Personen heraus recht­fertigt. Statt dem Gemeineigentum der Produktionsmittel wird im sozialen Organismus ein Kreislauf dieser Mittel eintreten, der sie immer von neuem zu denjenigen Personen bringt, deren individuelle Fähigkeiten sie in der möglichst besten Art der Gemeinschaft nutzbar machen können. Auf

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diese Art wird zeitweilig diejenige Verbindung zwischen Persönlichkeit und Produktionsmittel hergestellt, die bisher durch den Privatbesitz bewirkt worden ist. Denn der Leiter einer Unternehmung und seine Unterleiter werden es den Produktionsmitteln verdanken, daß ihre Fähigkeiten ihnen ein ihren Ansprüchen gemäßes Einkommen bringen. Sie werden nicht verfehlen, die Produktion zu einer möglichst vollkommenen zu machen, denn die Steigerung dieser Produktion bringt ihnen zwar nicht den vollen Profit, aber doch einen Teil des Erträgnisses. Der Profit fließt ja doch nur im Sinne des oben Ausgeführten der Allgemeinheit bis zu dem Grade zu, der sich ergibt nach Abzug des Zinses, der dem Produzenten zugute kommt wegen der Steigerung der Produktion. Und es liegt eigentlich schon im Geiste des hier Dargestellten, daß, wenn die Produktion zurückgeht, sich das Einkommen des Produzenten in demselben Maße zu verringern habe, wie es sich steigert bei der Produktionserweiterung. Immer aber wird das Einkommen aus der geistigen Leistung des Leitenden fließen, nicht aus einem solchen Profit, welcher auf Verhältnissen beruht, die nicht in der geistigen Arbeit eines Unternehmers, sondern in dem Zusammenwirken der Kräfte des Gemeinlebens ihre Grund­lage haben.

Man wird sehen können, daß durch Verwirklichung solcher sozialer Ideen, wie sie hier dargestellt sind, Einrich­tungen, die gegenwärtig bestehen, eine völlig neue Bedeutung erhalten werden. Das Eigentum hört auf, dasjenige zu sein, was es bis jetzt gewesen ist. Und es wird nicht zurückgeführt zu einer überwundenen Form, wie sie das Gemeineigentum darstellen würde, sondern es wird fortgeführt zu etwas völlig Neuem. Die Gegenstände des Eigentums werden in

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den Fluß des sozialen Lebens gebracht. Der einzelne kann sie nicht aus seinem Privatinteresse heraus zum Schaden der Allgemeinheit verwalten; aber auch die Allgemeinheit wird sie nicht zum Schaden der einzelnen bureaukratisch verwalten können; sondern der geeignete einzelne wird zu ihnen den Zugang finden, um durch sie der Allgemeinheit dienen zu können.

Ein Sinn für das Allgemeininteresse kann sich durch die Verwirklichung solcher Impulse entwickeln, welche das Produzieren auf eine gesunde Grundlage stellen und den sozialen Organismus vor Krisengefahren bewahren. - Auch wird eine Verwaltung, die es nur zu tun hat mit dem Kreislauf des Wirtschaftslebens, zu Ausgleichen führen können, die etwa aus diesem Kreislauf heraus als notwendig sich ergeben. Sollte, zum Beispiel, ein Betrieb nicht in der Lage sein, seinen Darleihern ihre Arbeitsersparnisse zu verzinsen, so wird, wenn er doch als einem Bedürfnis entsprechend anerkannt wird, aus andern Wirtschafts­betrieben nach freier Übereinkunft mit allen an den letzteren beteiligten Personen das Fehlende zugeschossen werden können. Ein in sich abgeschlossener Wirtschaftskreislauf, der von außen die Rechtsgrundlage erhält und den fort­dauernden Zufluß der zutage tretenden individuellen Menschenfähigkeiten, wird es in sich nur mit dem Wirt­schaften zu tun haben. Er wird dadurch der Veranlasser einer Güterverteilung sein können, die jedem das verschafft, was er nach dem Wohlstande der Gemeinschaft gerechter Art haben kann. Wenn einer scheinbar mehr Einkommen haben wird als ein anderer, so wird dies nur deshalb sein, weil das «Mehr» wegen seiner individuellen Fähigkeiten der Allgemeinheit zugute kommt.

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Ein sozialer Organismus, der im Lichte der hier dar­gestellten Vorstellungsart sich gestaltet, wird durch eine Übereinkunft zwischen den Leitern des Rechtslebens und denen des Wirtschaftslebens die Abgaben regeln können, welche für das Rechtsleben notwendig sind. Und alles, was zum Unterhalte der geistigen Organisation nötig ist, wird dieser zufließen durch die aus freiem Verständnis für sie erfolgende Vergütung von seiten der Einzelpersonen, die am sozialen Organismus beteiligt sind. Diese geistige Orga­nisation wird ihre gesunde Grundlage durch die in freier Konkurrenz sich geltend machende individuelle Initiative der zur geistigen Arbeit fähigen Einzelpersonen haben.

Aber nur in dem hier gemeinten sozialen Organismus wird die Verwaltung des Rechtes das notwendige Ver­ständnis finden für eine gerechte Güterverteilung. Ein Wirt­schaftsorganismus, der nicht aus den Bedürfnissen der ein­zelnen Produktionszweige die Arbeit der Menschen in Anspruch nimmt, sondern der mit dem zu wirtschaften hat, was ihm das Recht möglich macht, wird den Wert der Güter nach dem bestimmen, was ihm die Menschen leisten. Er wird nicht die Menschen leisten lassen, was durch den un­abhängig von Menschenwohlfahrt und Menschenwürde zustande gekommenen Güterwert bestimmt ist. Ein solcher Organismus wird Rechte sehen, die aus rein menschlichen Verhältnissen sich ergeben. Kinder werden das Recht auf Erziehung haben; der Familienvater wird als Arbeiter ein höheres Einkommen haben können als der Einzelnstehende. Das «Mehr» wird ihm zufließen durch Einrichtungen, die durch Übereinkommen aller drei sozialen Organisationen begründet werden. Solche Einrichtungen können dem Rechte auf Erziehung dadurch entsprechen, daß nach den allgemeinen

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Wirtschaftsverhältnissen die Verwaltung der wirtschaftlichen Organisation die mögliche Höhe des Erziehungseinkommens bemißt und der Rechtsstaat die Rechte des einzelnen festsetzt nach den Gutachten der geistigen Organisation. Wieder liegt es in der Art eines wirklichkeitsgemäßen Denkens, daß mit einer solchen Angabe nur wie durch ein Beispiel die Richtung bezeichnet wird, in welcher die Einrichtungen bewirkt werden können. Es wäre möglich, daß für das einzelne ganz anders geartete Einrichtungen als richtig befunden würden. Aber dieses «Richtige» wird sich nur finden lassen durch das zeitgemäße Zusammenwirken der drei in sich selbständigen Glieder des sozialen Orga­nismus. Hier, für diese Darstellung, möchte im Gegensatz zu vielem, was in der Gegenwart für praktisch gehalten wird, es aber nicht ist, die ihr zugrunde liegende Denkart das wirklich Praktische finden, nämlich eine solche Glie­derung des sozialen Organismus, die bewirkt, daß die Menschen in dieser Gliederung das sozial Zweckmäßige veranlassen.

Wie Kindern das Recht auf Erziehung, so steht Altgewordenen, Invaliden, Witwen, Kranken das Recht auf einen Lebensunterhalt zu, zu dem die Kapitalgrundlage in einer ähnlichen Art dem Kreislauf des sozialen Organismus zufließen muß wie der gekennzeichnete Kapitalbeitrag für die Erziehung der noch nicht selbst Leistungsfähigen. Das Wesentliche bei all diesem ist, daß die Feststellung des­jenigen, was ein nicht selbst Verdienender als Einkommen bezieht, nicht aus dem Wirtschaftsleben sich ergeben soll, sondern daß umgekehrt das Wirtschaftsleben abhängig wird von dem, was in dieser Beziehung aus dem Rechtsbewußtsein sich ergibt. Die in einem Wirtschaftsorganismus

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Arbeitenden werden von dem durch ihre Arbeit Geleisteten um so weniger haben, je mehr für die nicht Verdienenden abfließen muß. Aber das «Weniger» wird von allen am sozialen Organismus Beteiligten gleichmäßig getragen, wenn die hier gemeinten sozialen Impulse ihre Verwirk­lichung finden werden. Durch den vom Wirtschaftsleben abgesonderten Rechtsstaat wird, was eine allgemeine An­gelegenheit der Menschheit ist, Erziehung und Unterhalt nicht Arbeitsfähiger, auch wirklich zu einer solchen An­gelegenheit gemacht, denn im Gebiete der Rechtsorganisation wirkt dasjenige, worinnen alle mündig gewordenen Men­schen mitzusprechen haben.

Ein sozialer Organismus, welcher der hier gekennzeich­neten Vorstellungsart entspricht, wird die Mehrleistung, die ein Mensch auf Grund seiner individuellen Fähigkeiten vollbringt, ebenso in die Allgemeinheit überführen, wie er für die Minderleistung der weniger Befähigten den berech­tigten Unterhalt aus dieser Allgemeinheit entnehmen wird. «Mehrwert» wird nicht geschaffen werden für den unberech­tigten Genuß des einzelnen, sondern zur Erhöhung dessen, was dem sozialen Organismus seelische oder materielle Güter zuführen kann; und zur Pflege desjenigen, was innerhalb dieses Organismus aus dessen Schoß heraus entsteht, ohne daß es ihm unmittelbar dienen kann.

Wer der Ansicht zuneigt, daß die Auseinanderhaltung der drei Glieder des sozialen Organismus nur einen ideellen Wert habe, und daß sie sich auch beim einheitlich gestalteten Staatsorganismus oder bei einer das Staatsgebiet umfassen­den, auf Gemeineigentum an den Produktionsmitteln beruhenden wirtschaftlichen Genossenschaft «von selbst» ergebe, der sollte seinen Blick auf die besondere Art von

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sozialen Einrichtungen lenken, die sich ergeben müssen, wenn die Dreigliederung verwirklicht wird. Da wird, zum Beispiel, nicht mehr die Staatsverwaltung das Geld als gesetzliches Zahlungsmittel anzuerkennen haben, sondern diese Anerkennung wird auf den Maßnahmen beruhen, welche von den Verwaltungskörpern der Wirtschaftsorga­nisation ausgehen. Denn Geld kann im gesunden sozialen Organismus nichts anderes sein als eine Anweisung auf Waren, die von andern erzeugt sind und die man aus dem Gesamtgebiet des Wirtschaftslebens deshalb beziehen kann, weil man selbst erzeugte Waren an dieses Gebiet abgegeben hat. Durch den Geldverkehr wird ein Wirtschaftsgebiet eine einheitliche Wirtschaft. Jeder produziert auf dem Umwege durch das ganze Wirtschaftsleben für jeden. Innerhalb des Wirtschaftsgebietes hat man es nur mit Warenwerten zu tun. Für dieses Gebiet nehmen auch die Leistungen, die entstehen aus der geistigen und der staatlichen Organisation heraus, den Warencharakter an. Was ein Lehrer an seinen Schülern leistet, ist für den Wirtschaftskreislauf Ware. Dem Lehrer werden seine individuellen Fähigkeiten ebensowenig bezahlt wie dem Arbeiter seine Arbeitskraft. Bezahlt kann beiden nur werden, was, von ihnen ausgehend, im Wirtschaftskreislauf Ware und Waren sein kann. Wie die freie Initiative, wie das Recht wirken sollen, damit die Ware zustande komme, das liegt ebenso außerhalb des Wirt­schaftskreislaufes wie die Wirkung der Naturkräfte auf das Kornerträgnis in einem segensreichen oder einem magern Jahr. Für den Wirtschaftskreislauf sind die geistige Orga­nisation bezüglich dessen, was sie beansprucht als wirt­schaftliches Erträgnis, und auch der Staat einzelne Warenproduzenten. Nur ist, was sie produzieren, innerhalb ihres

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eigenen Gebietes nicht Ware, sondern es wird erst Ware, wenn es von dem Wirtschaftskreislauf aufgenommen wird. Sie wirtschaften nicht in ihren eigenen Gebieten; mit dem von ihnen Geleisteten wirtschaftet die Verwaltung des Wirt­schaftsorganismus.

Der rein wirtschaftliche Wert einer Ware (oder eines Geleisteten), insofern er sich ausdrückt in dem Gelde, das seinen Gegenwert darstellt, wird von der Zweckmäßigkeit abhängen, mit der sich innerhalb des Wirtschaftsorganismus die Verwaltung der Wirtschaft ausgestaltet. Von den Maß­nahmen dieser Verwaltung wird es abhängen, inwiefern auf der geistigen und rechtlichen Grundlage, welche von den andern Gliedern des sozialen Organismus geschaffen wird, die wirtschaftliche Fruchtbarkeit sich entwickeln kann. Der Geldwert einer Ware wird dann der Ausdruck dafür sein, daß diese Ware in der den Bedürfnissen ent­sprechenden Menge durch die Einrichtungen des Wirtschafts­organismus erzeugt wird. Würden die in dieser Schrift dargelegten Voraussetzungen verwirklicht, so wird im Wirt­schaftsorganismus nicht der Impuls ausschlaggebend sein, welcher durch die bloße Menge der Produktion Reichtum ansammeln will, sondern es wird durch die entstehenden und sich in der mannigfaltigsten Art verbindenden Genossen­schaften die Gütererzeugung sich den Bedürfnissen anpassen. Dadurch wird das diesen Bedürfnissen entsprechende Ver­hältnis zwischen dem Geldwert und den Produktionseinrichtungen im sozialen Organismus hergestellt. Das

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* Nur durch eine Verwaltung des sozialen Organismus, die in dieser Art zustande kommt im freien Zusammenwirken der drei Glieder des sozialen Organismus, wird sich als Ergebnis für das Wirtschaftsleben ein gesundes Preisverhältnis der erzeugten Güter einstellen. Dieses muß so sein, daß jeder Arbeitende für ein Erzeugnis so viel an Gegen­wert erhält, als zur Befriedigung sämtlicher Bedürfnisse bei ihm und den zu ihm gehörenden Personen nötig ist, bis er ein Erzeugnis der gleichen Arbeit wieder hervorgebracht hat. Ein solches Preisverhältnis kann nicht durch amtliche Feststellung erfolgen, sondern es muß sich als Resultat ergeben aus dem lebendigen Zusammenwirken der im sozialen Organismus tätigen Assoziationen. Aber es wird sich ein­stellen, wenn das Zusammenwirken auf dem gesunden Zusammen­wirken der drei Organisationsglieder beruht. Es muß mit derselben Sicherheit sich ergeben, wie eine haltbare Brücke sich ergeben muß, wenn sie nach rechten mathematischen und mechanischen Gesetzen erbaut ist. Man kann natürlich den naheliegenden Einwand machen, das soziale Leben folge nicht so seinen Gesetzen wie eine Brücke. Es wird aber niemand einen solchen Einwand machen, der zu erkennen ver­mag, wie in der Darstellung dieses Buches dem sozialen Leben eben lebendige und nicht mathematische Gesetze zugrunde liegend gedacht werden.

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Geld wird im gesunden sozialen Organismus wirklich nur Wertmesser sein; denn hinter jedem Geldstück oder Geldschein steht die Warenleistung, auf welche hin der Geldbesitzer allein zu dem Gelde gekommen sein kann. Es werden sich aus der Natur der Verhältnisse heraus Ein­richtungen notwendig machen, welche dem Gelde für den Inhaber seinen Wert benehmen, wenn es die eben gekenn­zeichnete Bedeutung verloren hat. Auf solche Einrichtungen ist schon hingewiesen worden. Geldbesitz geht nach einer bestimmten Zeit in geeigneter Form an die Allgemeinheit über. Und damit Geld, das nicht in Produktionsbetrieben arbeitet, nicht mit Umgehung der Maßnahmen der Wirt­schaftsorganisation von Inhabern zurückbehalten werde, kann Umprägung oder Neudruck von Zeit zu Zeit statt­finden. Aus solchen Verhältnissen heraus wird sich aller­dings auch ergeben, daß der Zinsbezug von einem Kapitale im Laufe der Jahre sich immer verringere. Das Geld wird

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sich abnützen, wie sich Waren abnützen. Doch wird eine solche vom Staate zu treffende Maßnahme gerecht sein. «Zins auf Zins» wird es nicht geben können. Wer Erspar­nisse macht, hat allerdings Leistungen vollbracht, die ihm auf spätere Waren-Gegenleistungen Anspruch machen lassen, wie gegenwärtige Leistungen auf den Eintausch gegenwärtiger Gegenleistungen; aber die Ansprüche können nur bis zu einer gewissen Grenze gehen; denn aus der Ver­gangenheit herrührende Ansprüche können nur durch Arbeitsleistungen der Gegenwart befriedigt werden. Solche Ansprüche dürfen nicht zu einem wirtschaftlichen Gewaltmittel werden. Durch die Verwirklichung solcher Voraus­setzungen wird die Währungsfrage auf eine gesunde Grund­lage gestellt. Denn gleichgültig wie aus andern Verhältnissen heraus die Geldform sich gestaltet: Währung wird die ver­nünftige Einrichtung des gesamten Wirtschaftsorganismus durch dessen Verwaltung. Die Währungsfrage wird niemals ein Staat in befriedigender Art durch Gesetze lösen; gegen­wärtige Staaten werden sie nur lösen, wenn sie von ihrer Seite auf die Lösung verzichten und das Nötige dem von ihnen abzusondernden Wirtschaftsorganismus überlassen.

Man spricht viel von der modernen Arbeitsteilung, von deren Wirkung als Zeitersparnis, Warenvollkommenheit, Warenaustausch und so weiter; aber man berücksichtigt wenig, wie sie das Verhältnis des einzelnen Menschen zu seiner Arbeitsleistung beeinflußt. Wer in einem auf Arbeits­teilung eingestellten sozialen Organismus arbeitet, der erwirbt eigentlich niemals sein Einkommen selbst, sondern er erwirbt es durch die Arbeit aller am sozialen Organismus Beteiligten. Ein Schneider, der sich zum Eigengebrauch einen

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Rock macht, setzt diesen Rock zu sich nicht in dasselbe Ver­hältnis wie ein Mensch, der in primitiven Zuständen noch alles zu seinem Lebensunterhalte Notwendige selbst zu besorgen hat. Er macht sich den Rock, um für andere Kleider machen zu können; und der Wert des Rockes für ihn hängt ganz von den Leistungen der andern ab. Der Rock ist eigentlich Produktionsmittel. Mancher wird sagen, das sei eine Begriffsspalterei. Sobald er auf die Wertbildung der Waren im Wirtschaftskreislauf sieht, wird er diese Meinung nicht mehr haben können. Dann wird er sehen, daß man in einem Wirtschaftsorganismus, der auf Arbeitsteilung beruht, gar nicht für sich arbeiten kann. Man kann nur für andere arbeiten, und andere für sich arbeiten lassen. Man kann ebensowenig für sich arbeiten, wie man sich selbst aufessen kann. Aber man kann Einrichtungen herstellen, welche dem Wesen der Arbeitsteilung widersprechen. Das geschieht, wenn die Gütererzeugung nur darauf eingestellt wird, dem einzelnen Menschen als Eigentum zu überliefern, was er doch nur durch seine Stellung im sozialen Organismus als Leistung erzeugen kann. Die Arbeitsteilung drängt den sozialen Organismus dazu, daß der einzelne Mensch in ihm lebt nach den Verhältnissen des Gesamtorganismus; sie schließt wirtschaftlich den Egoismus aus. Ist dann dieser Egoismus doch vorhanden in Form von Klassenvorrechten und dergleichen, so entsteht ein sozial unhaltbarer Zustand, der zu Erschütterungen des sozialen Organismus führt. In solchen Zuständen leben wir gegenwärtig. Es mag manchen geben, der nichts davon hält, wenn man fordert, die Rechts­verhältnisse und anderes müssen sich nach dem egoismusfreien Schaffen der Arbeitsteilung richten. Ein solcher möge dann nur aus seinen Voraussetzungen die Konsequenz

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ziehen. Diese wäre: man könne überhaupt nichts tun; die soziale Bewegung könne zu nichts führen. Man kann in bezug auf diese Bewegung allerdings Ersprießliches nicht tun, wenn man der Wirklichkeit nicht ihr Recht geben will. Die Denkungsart, aus der die hier gegebene Darstellung heraus geschrieben ist, will, was der Mensch innerhalb des sozialen Organismus zu tun hat, nach dem einrichten, was aus den Lebensbedingungen dieses Organismus folgt.

Wer seine Begriffe nur nach den eingewöhnten Ein­richtungen bilden kann, der wird ängstlich werden, wenn er davon vernimmt, daß das Verhältnis des Arbeitsleiters zu dem Arbeiter losgelöst werden solle von dem Wirtschaftsorganismus. Denn er wird glauben, daß eine solche Loslösung notwendig zur Geldentwertung und zur Rückkehr in primitive Wirtschaftsverhältnisse führe. (Dr. Rathenau äußert in seiner Schrift «Nach der Flut» solche Meinungen, die von seinem Standpunkt aus berechtigt erscheinen.) Aber dieser Gefahr wird durch die Dreigliederung des sozialen Organismus entgegengearbeitet. Der auf sich selbst gestellte Wirtschaftsorganismus im Verein mit dem Rechtsorganismus sondert die Geldverhältnisse ganz ab von den auf das Recht gestellten Arbeitsverhält­nissen. Die Rechtsverhältnisse werden nicht unmittelbar auf die Geldverhältnisse einen Einfluß haben können. Denn die letzteren sind Ergebnis der Verwaltung des Wirtschafts­organismus. Das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitsleiter und Arbeiter wird einseitig gar nicht in dem Geldwert zum Ausdruck kommen können, denn dieser ist nach Beseitigung des Lohnes, der ein Tauschverhältnis von Ware und Arbeits­kraft darstellt, lediglich der Maßstab für den gegenseitigen

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Wert der Waren (und Leistungen). - Aus der Betrachtung der Wirkungen, welche die Dreigliederung für den sozialen Organismus hat, muß man die Überzeugung gewinnen, daß sie zu Einrichtungen führen werde, die in den bisherigen Staatsformen nicht vorhanden sind.

Und innerhalb dieser Einrichtungen wird dasjenige ausgetilgt werden können, was gegenwärtig als Klassenkampf empfunden wird. Denn dieser Kampf beruht auf der Ein­spannung des Arbeitslohnes in den Wirtschaftskreislauf. Diese Schrift stellt eine Form des sozialen Organismus dar, in dem der Begriff des Arbeitslohnes ebenso eine Umformung erfährt wie der alte Eigentumsbegriff. Aber durch diese Umformung wird ein lebensfähiger sozialer Zusammen­hang der Menschen geschaffen. - Nur eine leichtfertige Beurteilung wird finden können, daß mit der Verwirk­lichung des hier Dargestellten nichts weiter getan sei, als daß der Arbeitszeitlohn in Stücklohn verwandelt werde. Mag sein, daß eine einseitige Ansicht von der Sache zu diesem Urteil führt. Aber hier ist diese einseitige Ansicht nicht als die rechte geschildert, sondern es ist die Ablösung des Entlohnungsverhältnisses durch das vertragsgemäße Teilungsverhältnis in bezug auf das von Arbeitsleiter und Arbeiter gemeinsam Geleistete in Verbindung mit der gesamten Einrichtung des sozialen Organismus ins Auge gefaßt. Wem der dem Arbeiter zukommende Teil des Leistungserträgnisses als Stücklohn erscheint, der wird nicht gewahr, daß dieser «Stücklohn» (der aber eigentlich kein «Lohn» ist) sich im Werte des Geleisteten in einer Art zum Ausdruck bringt, welche die gesellschaftliche Lebenslage des Arbeiters zu andern Mitgliedern des sozialen Organismus in ein ganz anderes Verhältnis bringt, als dasjenige ist, das

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aus der einseitig wirtschaftlich bedingten Klassenherrschaft entstanden ist. Die Forderung nach Austilgung des Klassen­kampfes wird damit befriedigt. - Und wer sich zu der namentlich auch in sozialistischen Kreisen zu hörenden Meinung bekennt: die Entwickelung selbst müsse die Lösung der sozialen Frage bringen, man könne nicht Ansichten aufstellen, die verwirklicht werden sollen; dem muß er­widert werden: Gewiß wird die Entwickelung das Not­wendige bringen müssen; aber in dem sozialen Organismus sind die Ideenimpulse des Menschen Wirklichkeiten. Und wenn die Zeit ein wenig vorgeschritten sein wird und das verwirklicht sein wird, was heute nur gedacht werden kann: dann wird eben dieses Verwirklichte in der Entwickelung drinnen sein Und diejenigen, welche «nur von der Ent­wickelung» und nicht von der Erbringung fruchtbarer Ideen etwas halten, werden sich Zeit lassen müssen mit ihrem Urteil bis dahin, wo, was heute gedacht wird, Entwickelung sein wird. Doch wird es eben dann zu spät sein zum Voll­bringen gewisser Dinge, die von den heutigen Tatsachen schon gefordert werden. Im sozialen Organismus ist es nicht möglich, die Entwickelung objektiv zu betrachten wie in der Natur. Man muß die Entwickelung bewirken. Deshalb ist es für ein gesundes soziales Denken verhängnisvoll, daß ihm gegenwärtig Ansichten gegenüberstehen, die, was sozial notwendig ist, so «beweisen» wollen, wie man in der Naturwissenschaft «beweist». Ein «Beweis» in sozialer Lebens­auffassung kann sich nur dem ergeben, der in seine An­schanung das aufnehmen kann, was nicht nur im Bestehenden liegt, sondern dasjenige, was in den Menschenimpulsen - von ihnen oft unbemerkt - keimhaft ist und sich verwirklichen will.

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Eine derjenigen Wirkungen, durch welche die Dreigliederung des sozialen Organismus ihre Begründung im Wesenhaften des menschlichen Gesellschaftslebens zu erweisen haben wird, ist die Loslösung der richterlichen Tätigkeit von den staatlichen Einrichtungen. Den letzteren wird es obliegen, die Rechte festzulegen, welche zwischen Menschen oder Menschengruppen zu bestehen haben. Die Urteilsfindungen selbst aber liegen in Einrichtungen, die aus der geistigen Organisation heraus gebildet sind. Diese Urteilsfindung ist in hohem Maße abhängig von der Mög­lichkeit, daß der Richtende Sinn und Verständnis habe für die individuelle Lage eines zu Richtenden. Solcher Sinn und solches Verständnis werden nur vorhanden sein, wenn die­selben Vertrauensbande, durch welche die Menschen zu den Einrichtungen der geistigen Organisation sich hingezogen fühlen, auch maßgebend sind für die Einsetzung der Gerichte. Es ist möglich, daß die Verwaltung der geistigen Organisation die Richter aufstellt, die aus den verschie­densten geistigen Berufsklassen heraus genommen sein können, und die auch nach Ablauf einer gewissen Zeit wieder in ihre eigenen Berufe zurückkehren. In gewissen Grenzen hat dann jeder Mensch die Möglichkeit, sich die Persönlichkeit unter den Aufgestellten für fünf oder zehn Jahre zu wählen, zu der er so viel Vertrauen hat, daß er in dieser Zeit, wenn es dazu kommt, von ihr die Entscheidung in einem privaten oder strafrechtlichen Fall entgegennehmen will. Im Umkreis des Wohnortes jedes Menschen werden dann immer so viele Richtende sein, daß diese Wahl eine Bedeutung haben wird. Ein Kläger hat sich dann stets an den für einen Angeklagten zuständigen Richter zu wen­den. - Man bedenke, was eine solche Einrichtung in den

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österreichisch-ungarischen Gegenden für eine einschneidende Bedeutung gehabt hätte. In gemischtsprachigen Gegenden hätte der Angehörige einer jeden Nationalität sich einen Richter seines Volkes erwählen können. Wer die österrei­chischen Verhältnisse kennt, der kann auch wissen, wieviel zum Ausgleich im Leben der Nationalitäten eine solche Einrichtung hätte beitragen können. - Aber außer der Nationalität gibt es weite Lebensgebiete, für deren gesunde Entfaltung eine solche Einrichtung im gedeihlichen Sinne wirken kann. - Für die engere Gesetzeskenntnis werden den in der geschilderten Art bestellten Richtern und Gerichts­höfen Beamte zur Seite stehen, deren Wahl auch von der Verwaltung des geistigen Organismus zu vollziehen ist, die aber nicht selbst zu richten haben. Ebenso werden Appel­lationsgerichte aus dieser Verwaltung heraus zu bilden sein. Es wird im Wesen desjenigen Lebens liegen, das sich durch die Verwirklichung solcher Voraussetzungen abspielt, daß ein Richter den Lebensgewohnheiten und der Empfindungs­art der zu Richtenden nahestehen kann, daß er durch sein außerhalb des Richteramtes - dem er nur eine Zeitlang vor­stehen wird - liegendes Leben mit den Lebenskreisen der zu Richtenden vertraut wird. Wie der gesunde soziale Organismus überall in seinen Einrichtungen das soziale Verständnis der an seinem Leben beteiligten Personen heranziehen wird, so auch bei der richterlichen Tätigkeit. Die Urteilsvollstreckung fällt dem Rechtsstaate zu.

Die Einrichtungen, die sich durch die Verwirklichung des hier Dargestellten für andere Lebensgebiete als die ange­gebenen notwendig machen, brauchen vorläufig hier wohl nicht geschildert zu werden. Diese Schilderung würde

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selbstverständlich einen nicht zu begrenzenden Raum ein­nehmen.

Die dargestellten einzelnen Lebenseinrichtungen werden gezeigt haben, daß es der zugrunde liegenden Denkungsart sich nicht, wie mancher meinen könnte - und wie tatsächlich geglaubt wurde, als ich hier und dort das Dargestellte mündlich vorgetragen habe -, um eine Erneuerung der drei Stände, Nähr-, Wehr- und Lehrstand handelt. Das Gegen­teil dieser Ständegliederung wird angestrebt. Die Menschen werden weder in Klassen noch in Stände sozial eingegliedert sein, sondern der soziale Organismus selbst wird gegliedert sein. Der Mensch aber wird gerade dadurch wahrhaft Mensch sein können. Denn die Gliederung wird eine solche sein, daß er mit seinem Leben in jedem der drei Glieder wurzeln wird. In dem Gliede des sozialen Organismus, in dem er durch den Beruf drinnen steht, wird er mit sach­lichem Interesse stehen; und zu den andern wird er lebensvolle Beziehungen haben, denn deren Einrichtungen werden zu ihm in einem Verhältnisse stehen, das solche Beziehungen herausfordert. Dreigeteilt wird der vom Menschen ab­gesonderte, seinen Lebensboden bildende soziale Orga­nismus sein; jeder Mensch als solcher wird ein Verbindendes der drei Glieder sein.

IV. INTERNATIONALE BEZIEHUNGEN DER SOZIALEN ORGANISMEN

#G023-1976-SE141 - Die Kernpunkte der sozialen Frage

#TI

IV.INTERNATIONALE BEZIEHUNGEN DER SOZIALEN ORGANISMEN

#TX

Die innere Gliederung des gesunden sozialen Organismus macht auch die internationalen Beziehungen dreigliedrig. Jedes der drei Gebiete wird sein selbständiges Verhältnis zu den entsprechenden Gebieten der andern sozialen Organismen haben. Wirtschaftliche Beziehungen des einen Landesgebietes werden zu ebensolchen eines andern ent­stehen, ohne daß die Beziehungen der Rechtsstaaten darauf einen unmittelbaren Einfluß haben*. Und umgekehrt, die Verhältnisse der Rechtsstaaten werden sich innerhalb ge­wisser Grenzen in völliger Unabhängigkeit von den wirt­schaftlichen Beziehungen ausbilden. Durch diese Unab­hängigkeit im Entstehen der Beziehungen werden diese in Konfliktfällen ausgleichend aufeinander wirken können. Interessenzusammenhänge der einzelnen sozialen Orga­nismen werden sich ergeben, welche die Landesgrenzen als unbeträchtlich für das Zusammenleben der Menschen er­scheinen lassen werden. - Die geistigen Organisationen der einzelnen Landesgebiete werden zueinander in Beziehungen

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* Wer dagegen einwendet, daß die Rechts- und Wirtschaftsverhältnisse doch in Wirklichkeit ein Ganzes bilden und nicht voneinander getrennt werden können, der beachtet nicht, worauf es bei der hier gemeinten Gliederung ankommt. Im gesamten Verkehrsprozeß wirken die beider­lei Verhältnisse selbstverständlich als Ganzes. Aber es ist etwas anderes, ob man Rechte aus den wirtschaftlichen Bedürfnissen heraus gestaltet; oder ob man sie aus den elementaren Rechtsempfindungen heraus ge­staltet und, was daraus entsteht, mit dem Wirtschaftsverkehr Zusam­menwirken läßt.

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treten können, die nur aus dem gemeinsamen Geistesleben der Menschheit selbst sich ergeben. Das vom Staate unab­hängige, auf sich gestellte Geistesleben wird Verhältnisse ausbilden, die dann unmöglich sind, wenn die Anerkennung der geistigen Leistungen nicht von der Verwaltung eines geistigen Organismus, sondern vom Rechtsstaate abhängt. In dieser Beziehung herrscht auch kein Unterschied zwischen den Leistungen der ganz offenbar internationalen Wissenschaft und denjenigen anderer geistiger Gebiete. Ein geistiges Gebiet stellt ja auch die einem Volke eigene Sprache dar und alles, was sich in unmittelbarem Zusammenhange mit der Sprache ergibt. Das Volksbewußtsein selbst gehört in dieses Gebiet. Die Menschen eines Sprachgebietes kommen mit denen eines andern nicht in unnatürliche Konflikte, wenn sie sich nicht zur Geltendmachung ihrer Volkskultur der staatlichen Organisation oder der wirtschaftlichen Ge­walt bedienen wollen. Hat eine Volkskultur gegenüber einer andern eine größere Ausbreitungsfähigkeit und geistige Fruchtbarkeit, so wird die Ausbreitung eine gerechtfertigte sein, und sie wird sich friedlich vollziehen, wenn sie nur durch die Einrichtungen zustande kommt, die von den geistigen Organismen abhängig sind.

Gegenwärtig wird der Dreigliederung des sozialen Orga­nismus noch der schärfste Widerstand von seiten derjenigen Menschheitszusammenhänge erwachsen, die aus den Ge­meinsamkeiten der Sprachen und Volkskulturen sich ent­wickelt haben. Dieser Widerstand wird sich brechen müssen an dem Ziel, das sich aus den Lebensnotwendigkeiten der neueren Zeit die Menschheit als Ganzes immer bewußter wird setzen müssen. Diese Menschheit wird empfinden, daß ein jeder ihrer Teile zu einem wahrhaft menschenwürdigen

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Dasein nur kommen kann, wenn er sich lebenskräftig mit allen anderen Teilen verbindet. Volkszusammenhänge sind neben anderen naturgemäßen Impulsen die Ursachen, durch die sich Rechts- und Wirtschaftsgemeinsamkeiten geschicht­lich gebildet haben. Aber die Kräfte, durch welche die Volkstümer wachsen, müssen sich in einer Wechselwirkung entfalten, die nicht gehemmt ist durch die Beziehungen, welche die Staatskörper und Wirtschaftsgenossenschaften zueinander entwickeln. Das wird erreicht, wenn die Volksgemeinschaften die innere Dreigliederung ihrer sozialen Organismen so durchführen, daß jedes der Glieder seine selbständigen Beziehungen zu anderen sozialen Organismen entfalten kann.

Dadurch bilden sich vielgestaltige Zusammenhänge zwi­schen Völkern, Staaten und Wirtschaftskörpern, die jeden Teil der Menschheit mit anderen Teilen so verbinden, daß der eine in seinen eigenen Interessen das Leben der andern mitempfindet. Ein Völkerbund entsteht aus wirklichkeits­gemäßen Grundimpulsen heraus. Er wird nicht aus ein­seitigen Rechtsanschauungen «eingesetzt» werden müssen*.

Von besonderer Bedeutung muß einem wirklichkeits­gemäßen Denken erscheinen, daß die hier dargestellten Ziele eines sozialen Organismus zwar ihre Geltung haben für die gesamte Menschheit, daß sie aber von jedem ein­zelnen sozialen Organismus verwirklicht werden können, gleichgültig, wie sich andere Länder zu dieser Verwirk­lichung

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*Wer in solchen Dingen «Utopien» sieht, der beachtet nicht, daß in Wahrheit die Wirklichkeit des Lebens nach diesem von ihm für utopistisch gehaltenen Einrichtungen hinstrebt, und daß die Schäden dieser Wirklichkeit gerade davon kommen, daß diese Einrichtungen nicht da sind.

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vorläufig verhalten. Gliedert sich ein sozialer Orga­nismus in die naturgemäßen drei Gebiete, so können die Vertretungen derselben als einheitliche Körperschaft mit anderen in internationale Beziehungen treten, auch wenn diese anderen für sich die Gliederung noch nicht vorgenom­men haben. Wer mit dieser Gliederung vorangeht, der wird für ein gemeinschaftliches Menschheitsziel wirken. Was getan werden soll, wird sich durchsetzen viel mehr durch die Kraft, welche ein in wirklichen Menschheitsimpulsen wurzelndes Ziel im Leben erweist, als durch eine Fest­stellung auf Kongressen und aus Verabredungen heraus. Auf einer Wirklichkeitsgrundlage ist dieses Ziel gedacht; im wirklichen Leben, an jedem Punkte der Menschengemeinschaften läßt es sich erstreben.

Wer in den letzten Jahrzehnten die Vorgänge im Leben der Völker und Staaten von einem Gesichtspunkte aus verfolgte, wie derjenige dieser Darstellung ist, der konnte wahrnehmen, wie die geschichtlich gewordenen Staatengebilde mit ihrer Zusammenfassung von Geistes-, Rechts- und Wirtschaftsleben sich in internationale Beziehungen brachten, die zu einer Katastrophe drängten. Ebenso aber konnte ein solcher auch sehen, wie die Gegenkräfte aus unbewußten Menschheitsimpulsen heraus zur Dreiglie­derung wiesen. Diese wird das Heilmittel gegen die Erschüt­terungen sein, welche der Einheitsfanatismus bewirkt hat. Aber das Leben der «maßgebenden Menschheitsleiter» war nicht darauf eingestellt, zu sehen, was sich seit langem vorbereitete. Im Frühling und Frühsommer 1914 konnte man noch «Staatsmänner» davon sprechen hören, daß der Friede Europas dank der Bemühungen der Regierungen nach menschlicher Voraussicht gesichert sei. Diese «Staatsmänner»

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hatten eben keine Ahnung davon, daß, was sie taten und redeten, mit dem Gang der wirklichen Ereignisse nichts mehr zu tun hatte. Aber sie galten als die «Prak­tiker». Und als «Schwärmer» galt damals wohl, wer ent­gegen den Anschauungen der «Staatsmänner» Anschau­ungen durch die letzten Jahrzehnte hindurch sich ausbildete, wie sie der Schreiber dieser Ausführungen monatelang vor der Kriegskatastrophe zuletzt in Wien vor einem kleinen Zuhörerkreise aussprach (vor einem größeren wäre er wohl verlacht worden). Er sagte über das, was drohte, ungefähr das Folgende: Die in der Gegenwart herrschenden Lebenstendenzen werden immer stärker werden, bis sie sich zuletzt in sich selber vernichten werden. Da schaut derjenige, der das soziale Leben geistig durchblickt, wie überall furchtbare Anlagen zu sozialen Geschwürbildungen aufsprossen. Das ist die große Kultursorge, die auftritt für denjenigen, der das Dasein durchschaut. Das ist das Furchtbare, was so bedrückend wirkt und was selbst dann, wenn man allen Enthusiasmus sonst für das Erkennen der Lebensvorgänge durch die Mittel einer geisterkennenden Wissenschaft unter­drücken könnte, einen dazu bringen müßte, von dem Heil­mittel so zu sprechen, daß man Worte darüber der Welt gleichsam entgegenschreien möchte. Wenn der soziale Orga­nismus sich so weiter entwickelt, wie er es bisher getan hat, dann entstehen Schäden der Kultur, die für diesen Organismus dasselbe sind, was Krebsbildungen im menschlichen natürlichen Organismus sind. Aber die Lebensanschauung herrschender Kreise bildete auf diesem Untergrunde des Lebens, den sie nicht sehen konnte und wollte, Impulse aus, die zu Maßnahmen führten, die hätten unterbleiben sollen und zu keinen solchen, die geeignet waren, Vertrauen der

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verschiedenen Menschengemeinschaften zueinander zu be­gründen. - Wer glaubt, daß unter den unmittelbaren Ursachen der gegenwärtigen Weltkatastrophe die sozialen Lebensnotwendigkeiten keine Rolle gespielt haben, der sollte sich überlegen, was aus den politischen Impulsen der in den Krieg drängenden Staaten dann geworden wäre, wenn die «Staatsmänner» in den Inhalt ihres Wollens diese sozialen Notwendigkeiten aufgenommen hätten. Und was unterblieben wäre, wenn man durch solchen Willensinhalt etwas anderes zu tun gehabt hätte als die Zündstoffe zu schaffen, die dann die Explosion bringen mußten. Wenn man in den letzten Jahrzehnten das schleichende Krebs-­Erkranken in den Staatenbeziehungen als Folge des sozialen Lebens der führenden Teile der Menschheit ins Auge faßte, so konnte man verstehen, wie eine in allgemeinen mensch­lichen Geistesinteressen stehende Persönlichkeit angesichts des Ausdruckes, welchen das soziale Wollen in diesen füh­renden Teilen annahm, schon 1888 sagen mußte: «Das Ziel ist: die gesamte Menschheit in ihrer letzten Gestaltung zu einem Reiche von Brüdern zu machen, die, nur den edelsten Beweggründen nachgehend, gemeinsam sich weiter bewegen. Wer die Geschichte nur auf der Karte von Europa verfolgt, könnte glauben, ein gegenseitiger allgemeiner Mord müsse unsere nächste Zukunft erfüllen», aber nur der Gedanke, daß ein «Weg zu den wahren Gütern des menschlichen Lebens» gefunden werden müsse, kann den Sinn für Men­schenwürde aufrechterhalten. Und dieser Gedanke ist ein solcher, «der mit unsern ungeheuern kriegerischen Rüstungen und denen unserer Nachbarn nicht im Einklange zu stehen scheint, an den ich aber glaube, und der uns erleuchten muß, wenn es nicht überhaupt besser sein sollte, das menschliche

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Leben durch einen Gemeinbeschluß abzuschaffen und einen offiziellen Tag des Selbstmordes anzuberaumen.» (So Herman Grimm 1888 auf S.46 seines Buches: «Fünfzehn Essays. Vierte Folge. Aus den letzten fünf Jahren».) Was waren die «kriegerischen Rüstungen» anderes als Maßnahmen solcher Menschen, welche Staatsgebilde in einer Einheitsform aufrechterhalten wollten, trotzdem diese Form durch die Entwickelung der neuen Zeit dem Wesen eines gesunden Zusammenlebens der Völker widersprechend ge­worden ist? Ein solches gesundes Zusammenleben aber könnte bewirkt werden durch denjenigen sozialen Orga­nismus, welcher aus den Lebensnotwendigkeiten der neueren Zeit heraus gestaltet ist.

Das österreichisch-ungarische Staatsgebilde drängte seit mehr als einem halben Jahrhundert nach einer Neugestal­tung. Sein geistiges Leben, das in einer Vielheit von Völker-gemeinschaften wurzelte, verlangte nach einer Form, für deren Entwickelung der aus veralteten Impulsen gebildete Einheitsstaat ein Hemmnis war. Der serbisch-österreichische Konflikt, der am Ausgangspunkte der Weltkriegskata­strophe steht, ist das vollgültigste Zeugnis dafür, daß die politischen Grenzen dieses Einheitsstaates von einem gewissen Zeitpunkte an keine Kulturgrenzen sein durften für das Völkerleben. Wäre eine Möglichkeit vorhanden gewesen, daß das auf sich selbst gestellte, von dem poli­tischen Staate und seinen Grenzen unabhängige Geistes­leben sich über diese Grenzen hinüber in einer Art hätte entwickeln können, die mit den Zielen der Völker im Einklange gewesen wäre, dann hätte der im Geistesleben verwurzelte Konflikt sich nicht in einer politischen Kata­strophe entladen müssen. Eine dahin zielende Entwickelung

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erschien allen, die in Österreich-Ungarn sich einbildeten, «staatsmännisch» zu denken, als eine volle Unmöglichkeit, wohl gar als der reine Unsinn. Deren Denkgewohnheiten ließen nichts anderes zu als die Vorstellung, daß die Staats­grenzen mit den Grenzen der nationalen Gemeinsamkeiten zusammenfallen. Verstehen, daß über die Staatsgrenzen hinweg sich geistige Organisationen bilden können, die das Schulwesen, die andere Zweige des Geisteslebens umfassen, das war diesen Denkgewohnheiten zuwider. Und dennoch:

dieses «Undenkbare» ist die Forderung der neueren Zeit für das internationale Leben. Der praktisch Denkende darf nicht an dem scheinbar Unmöglichen hängen bleiben und glauben, daß Einrichtungen im Sinne dieser Forderung auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen; sondern er muß sein Bestreben gerade darauf richten, diese Schwierigkeiten zu überwinden. Statt das «staatsmännische» Denken in eine Richtung zu bringen, welche den neuzeitlichen For­derungen entsprochen hätte, war man bestrebt, Einrich­tungen zu bilden, welche den Einheitsstaat gegen diese For­derungen aufrechterhalten sollten. Dieser Staat wurde da­durch immer mehr zu einem unmöglichen Gebilde. Und im zweiten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts stand er davor, für seine Selbsterhaltung in der alten Form nichts mehr tun zu können und die Auflösung zu erwarten, oder das innerlich Unmögliche äußerlich durch die Gewalt auf­rechtzuerhalten, die sich auf die Maßnahmen des Krieges begründen ließ. Es gab 1914 für die österreichisch-unga­rischen «Staatsmänner» nichts anderes als dieses: Entweder sie mußten ihre Intentionen in die Richtung der Lebensbedingungen des gesunden sozialen Organismus lenken und dies der Welt als ihren Willen, der ein neues Vertrauen

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hätte erwecken können, mitteilen, oder sie mußten einen Krieg entfesseln zur Aufrechterhaltung des Alten. Nur wer aus diesen Untergründen heraus beurteilt, was 1914 geschehen ist, wird über die Schuldfrage gerecht denken können. Durch die Teilnahme vieler Völkerschaften an dem österreichisch-ungarischen Staatsgebilde wäre diesem die weltgeschichtliche Aufgabe gestellt gewesen, den gesunden sozialen Organismus vor allem zu entwickeln. Man hat diese Aufgabe nicht erkannt. Diese Sünde wider den Geist des weltgeschichtlichen Werdens hat Österreich-Ungarn in den Krieg getrieben.

Und das Deutsche Reich? Es ist gegründet worden in einer Zeit, in der die neuzeitlichen Forderungen nach dem gesunden sozialen Organismus ihrer Verwirklichung zu­strebten. Diese Verwirklichung hätte dem Reiche seine weltgeschichtliche Daseinsberechtigung geben können. Die sozialen Impulse schlossen sich in diesem mitteleuropäischen Reiche wie in dem Gebiete zusammen, das für ihr Ausleben weltgeschichtlich vorbestimmt erscheinen konnte. Das soziale Denken, es trat an vielen Orten auf; im Deutschen Reiche nahm es eine besondere Gestalt an, aus der zu ersehen war, wohin es drängte. Das hätte zu einem Arbeits-Inhalt für dieses Reich führen müssen. Das hätte seinen Verwaltern die Aufgaben stellen müssen. Es hätte die Berechtigung dieses Reiches im modernen Völkerzusammenleben erweisen können, wenn man dem neugegründeten Reiche einen Arbeits-Inhalt gegeben hätte, der von den Kräften der Geschichte selbst gefordert gewesen wäre. Statt mit dieser Aufgabe sich ins Große zu wenden, blieb man bei «sozialen Reformen» stehen, die aus den Forderungen des Tages sich ergaben, und war froh, wenn man im Auslande die Mustergültigkeit

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dieser Reformen bewunderte. Man kam daneben immer mehr dazu, die äußere Welt-Machtstellung des Reiches auf Formen gründen zu wollen, die aus den aus­gelebtesten Arten des Vorstellens über die Macht und den Glanz der Staaten heraus gebildet waren. Man gestaltete ein Reich, das ebenso wie das österreichisch-ungarische Staatsgebilde dem widersprach, was in den Kräften des Völkerlebens der neueren Zeit sich geschichtlich ankündigte. Von diesen Kräften sahen die Verwalter dieses Reiches nichts. Das Staatsgebilde, das sie im Auge hatten, konnte nur auf der Kraft des Militärischen ruhen. Dasjenige, das von der neueren Geschichte gefordert ist, hätte auf der Verwirklichung der Impulse für den gesunden sozialen Organismus ruhen müssen. Mit dieser Verwirklichung hätte man sich in die Gemeinsamkeit des modernen Völkerlebens anders hineingestellt, als man 1914 in ihr stand. Durch ihr Nicht-Verstehen der neuzeitlichen Forderungen des Völker­lebens war 1914 die deutsche Politik an dem Nullpunkte ihrer Betätigungsmöglichkeit angelangt. Sie hatte in den letzten Jahrzehnten nichts bemerkt von dem, was hätte geschehen sollen; sie hatte sich beschäftigt mit allem Mög­lichen, was in den neuzeitlichen Entwickelungskräften nicht lag und was durch seine Inhaltlosigkeit «wie ein Kartengebäude zusammenbrechen» mußte.

Von dem, was sich in dieser Art als das tragische Schicksal des Deutschen Reiches aus dem geschichtlichen Verlauf her­aus ergab, würde ein getreues Spiegelbild entstehen, wenn man sich herbeiließe, die Vorgänge innerhalb der maß­gebenden Orte in Berlin Ende Juli und 1.August 1914 zu prüfen und vor die Welt getreulich hinzustellen. Von diesen Vorgängen weiß das In- und Ausland noch wenig.

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Wer sie kennt, der weiß, wie die deutsche Politik damals sich als die eines Kartenhauses verhielt, und wie durch ihr Ankommen im Nullpunkt ihrer Betätigung alle Ent­scheidung, ob und wie der Krieg zu beginnen war, in das Urteil der militärischen Verwaltung übergehen mußte. Wer maßgebend in dieser Verwaltung war, konnte damals aus den militärischen Gesichtspunkten heraus nicht anders han­deln, als gehandelt worden ist, weil von diesen Gesichts­punkten die Situation nur so gesehen werden konnte, wie sie gesehen worden ist. Denn außer dem militärischen Gebiet hatte man sich in eine Lage gebracht, die zu einem Handeln gar nicht mehr führen konnte. Alles dieses würde sich als eine weltgeschichtliche Tatsache ergeben, wenn jemand sich fände, der darauf dringt, die Vorgänge in Berlin von Ende Juli und 1. August, namentlich alles das, was sich am 1. August und 31. Juli zutrug, an das Tageslicht zu bringen. Man gibt sich noch immer der Illusion hin, durch die Ein­sicht in diese Vorgänge könne man doch nichts gewinnen, wenn man die vorbereitenden Ereignisse aus der früheren Zeit kennt. Will man über das reden, was man gegenwärtig die «Schuldfrage» nennt, so darf man diese Einsicht nicht meiden. Gewiß kann man auch durch anderes über die längst vorher vorhandenen Ursachen wissen; aber diese Einsicht zeigt, wie diese Ursachen gewirkt haben.

Die Vorstellungen, die Deutschlands Führer damals in den Krieg getrieben haben, sie wirkten dann verhängnisvoll fort. Sie wurden Volksstimmung. Und sie verhinderten, daß während der letzten Schreckensjahre die Einsicht bei den Machthabern sich durch die bitteren Erfahrungen ent­wickelte, deren Nichtvorhandensein vorher in die Tragik hineingetrieben hatte. Auf die mögliche Empfänglichkeit,

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die sich aus diesen Erfahrungen heraus hätte ergeben können, wollte der Schreiber dieser Ausführungen bauen, als er sich bemühte, innerhalb Deutschlands und Österreichs in dem Zeitpunkte der Kriegskatastrophe, der ihm der geeignete erschien, die Ideen von dem gesunden sozialen Organismus und deren Konsequenzen für das politische Verhalten nach außen an Persönlichkeiten heranzubringen, deren Einfluß damals noch sich hätte für eine Geltend­machung dieser Impulse betätigen können. Persönlichkeiten, welche es mit dem Schicksal des deutschen Volkes ehrlich meinten, beteiligten sich daran, einen solchen Zugang für diese Ideen zu gewinnen. Man sprach vergebens. Die Denkgewohnheiten sträubten sich gegen solche Impulse, welche dem nur militärisch orientierten Vorstellungsleben als etwas erschienen, mit dem man nichts Rechtes anfangen könne. Höchstens daß man fand, «Trennung der Kirche von der Schule», ja, das wäre etwas. In solcher Bahn liefen eben die Gedanken der «staatsmännisch» Denkenden schon seit lange, und in eine Richtung, die zu Durchgreifendem führen sollte, ließen sie sich nicht bringen. Wohlwollende sprachen davon, ich solle diese Gedanken «veröffentlichen». Das war in jenem Zeitpunkte wohl der unzweckmäßigste Rat. Was konnte es helfen, wenn auf dem Gebiete der «Literatur» unter manchem andern auch von diesen Impulsen gesprochen worden wäre; von einem Privatmanne. In der Natur dieser Impulse liegt es doch, daß sie damals eine Bedeutung nur hätten erlangen können durch den Ort, von dem aus sie gesprochen worden wären. Die Völker Mitteleuropas hätten, wenn von der rechten Stelle im Sinne dieser Impulse gesprochen worden wäre, gesehen, daß es etwas geben kann, was ihrem mehr oder weniger bewußten Drang entsprochen

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hätte. Und die Völker des russischen Ostens hätten ganz gewiß in jenem Zeitpunkte Verständnis gehabt für eine Ablösung des Zarismus durch solche Impulse. Daß sie dies Verständnis gehabt hätten, kann nur der in Abrede stellen, der keine Empfindung hat für die Empfänglichkeit des noch unverbrauchten osteuropäischen Intellekts für gesunde soziale Ideen. Statt der Kundgebung im Sinne solcher Ideen kam Brest-Litowsk.

Daß militärisches Denken die Katastrophe Mittel- und Osteuropas nicht abwenden konnte, das vermochte sich nur eben dem - militärischen Denken zu verbergen. Daß man an die Unabwendbarkeit der Katastrophe nicht glauben wollte, das war die Ursache des Unglückes des deutschen Volkes. Niemand wollte einsehen, wie man an den Stellen, bei denen die Entscheidung lag, keinen Sinn hatte für welt­geschichtliche Notwendigkeiten. Wer von diesen Not­wendigkeiten etwas wußte, dem war auch bekannt, wie die englischsprechenden Völker Persönlichkeiten in ihrer Mitte hatten, welche durchschauten, was in den Volkskräften Mittel- und Osteuropas sich regte. Man konnte wissen, wie solche Persönlichkeiten der Überzeugung waren, in Mittel- und Osteuropa bereite sich etwas vor, was in mächtigen sozialen Umwälzungen sich ausleben muß. In solchen Um­wälzungen, von denen man glaubte, daß in den englisch sprechenden Gebieten für sie weder schon geschichtlich eine Notwendigkeit, noch eine Möglichkeit vorlag. Auf solches Denken richtete man die eigene Politik ein. In Mittel- und Osteuropa sah man das alles nicht, sondern orientierte die Politik so, daß sie «wie ein Kartengebäude zusammen­stürzen» mußte. Nur eine Politik, die auf die Einsicht gebaut gewesen wäre, daß man in englisch sprechenden

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Gebieten großzügig, und ganz selbstverständlich vom eng­lischen Gesichtspunkte, mit historischen Notwendigkeiten rechnete, hätte Grund und Boden gehabt. Aber die An­regung zu solcher Politik wäre wohl besonders den «Diplo­maten» als etwas höchst Überflüssiges erschienen.

Statt eine solche Politik, die zu Gedeihlichem hätte auch für Mittel- und Osteuropa vor dem Hereinbrechen der Weltkriegskatastrophe führen können trotz der Groß­zügigkeit der englisch orientierten Politik, zu treiben, fuhr man fort, in den eingefahrenen Diplomatengeleisen sich weiter zu bewegen. Und während der Kriegsschrecken lernte man aus bitteren Erfahrungen nicht, daß es notwendig geworden war, der Aufgabe, welche von Amerika aus in politischen Kundgebungen der Welt gestellt worden ist, von Europa aus eine andere entgegenzustellen, die aus den Lebenskräften dieses Europa heraus geboren war. Zwischen der Aufgabe, die aus amerikanischen Gesichtspunkten Wilson gestellt hatte, und derjenigen, die in den Donner der Kanonen als geistiger Impuls Europas hineingetönt hätte, wäre eine Verständigung möglich gewesen. Jedes andere Verständigungs-Gerede klang vor den geschichtlichen Not­wendigkeiten hohl. - Aber der Sinn für ein Aufgaben-Stellen aus der Erfassung der im neueren Menschheitsleben liegenden Keime fehlte denen, die aus den Verhältnissen heraus an die Verwaltung des Deutschen Reiches heran­kamen. Und deshalb mußte der Herbst 1918 bringen, was er gebracht hat. Der Zusammenbruch der militärischen Gewalt wurde begleitet von einer geistigen Kapitulation. Statt wenigstens in dieser Zeit sich aufzuraffen zu einer aus europäischem Wollen heraus geholten Geltendmachung der geistigen Impulse des deutschen Volkes, kam die bloße

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Unterwerfung unter die vierzehn Punkte Wilsons. Man stellte Wilson vor ein Deutschland, das von sich aus nichts zu sagen hatte. Wie auch Wilson über seine eigenen vierzehn Punkte denkt, er kann doch Deutschland nur in dem helfen, was es selbst will. Er mußte doch eine Kundgebung dieses Wollens erwarten. Zu der Nichtigkeit der Politik vom Anfange des Krieges kam die andere vom Oktober 1918; kam die furchtbare geistige Kapitulation, herbeigeführt von einem Manne, auf den viele in deutschen Landen so etwas wie eine letzte Hoffnung setzten.

Unglaube an die Einsicht aus geschichtlich wirkenden Kräften heraus; Abneigung, hinzusehen auf solche aus Erkenntnis geistiger Zusammenhänge sich ergebenden Im­pulse: das hat die Lage Mitteleuropas hervorgebracht. Jetzt ist durch die Tatsachen, die sich aus der Wirkung der Kriegskatastrophe ergeben haben, eine neue Lage geschaffen. Sie kann gekennzeichnet werden durch die Idee der sozialen Impulse der Menschheit, so wie diese Idee in dieser Schrift gemeint ist. Diese sozialen Impulse sprechen eine Sprache, der gegenüber die ganze zivilisierte Weit eine Aufgabe hat. Soll das Denken über dasjenige, was geschehen muß, heute gegenüber der sozialen Frage ebenso auf dem Nullpunkt angelangen, wie die mitteleuropäische Politik für ihre Aufgaben 1914 angekommen war? Landesgebiete, die sich von den damals in Frage kommenden Angelegenheiten abseits halten konnten: gegenüber der sozialen Bewegung dürfen sie es nicht. Gegenüber dieser Frage sollte es keine politischen Gegner, sollte es keine Neutralen geben; sollte es nur geben eine gemeinschaftlich wirkende Menschheit, welche geneigt ist, die Zeichen der Zeit zu vernehmen und ihr Handeln nach diesen Zeichen einzurichten.

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Man wird aus den Intentionen, die in dieser Schrift vor­getragen sind, heraus verstehen, warum der in dem fol­genden Kapitel wiedergegebene Aufruf an das deutsche Volk und an die Kulturwelt von dem Schreiber dieser Aus­führungen vor einiger Zeit verfaßt worden, und von einem Komitee, das für ihn Verständnis gefaßt hat, der Welt, vor allem den mitteleuropäischen Völkern mitgeteilt worden ist. Gegenwärtig sind andere Verhältnisse als zu der Zeit, in der sein Inhalt engeren Kreisen mitgeteilt worden ist. Dazumal hätte ihn die öffentliche Mitteilung ganz not­wendig zur «Literatur» gemacht. Heute muß die Öffent­lichkeit ihm dasjenige bringen, was sie ihm vor kurzer Zeit noch nicht hätte bringen können: verstehende Menschen, die in seinem Sinne wirken wollen, wenn er des Verständ­nisses und der Verwirklichung wert ist. Denn was jetzt entstehen soll, kann nur durch solche Menschen entstehen.

V. ANHANG

An das deutsche Volk und an die Kulturwelt!

#G023-1976-SE157 - Die Kernpunkte der sozialen Frage

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V. ANHANG

An das deutsche Volk und an die Kulturwelt!

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Sicher gefügt für unbegrenzte Zeiten glaubte das deutsche Volk seinen vor einem halben Jahrhundert aufgeführten Reichsbau. Im August 1914 meinte es, die kriegerische Katastrophe, an deren Beginn es sich gestellt sah, werde diesen Bau als unbesieglich erweisen. Heute kann es nur auf dessen Trümmer blicken. Selbstbesinnung muß nach solchem Erlebnis eintreten. Denn dieses Erlebnis hat die Meinung eines halben Jahrhunderts, hat insbesondere die herrschen­den Gedanken der Kriegsjahre als einen tragisch wirkenden Irrtum erwiesen. Wo liegen die Gründe dieses verhängnisvollen Irrtums? Diese Frage muß Selbstbesinnung in die Seelen der Glieder des deutschen Volkes treiben. Ob jetzt die Kraft zu solcher Selbstbesinnung vorhanden ist, davon hängt die Lebensmöglichkeit des deutschen Volkes ab. Dessen Zukunft hängt davon ab, ob es sich die Frage in ernster Weise zu stellen vermag: wie bin ich in meinen Irrtum verfallen? Stellt es sich diese Frage heute, dann wird ihm die Erkenntnis aufleuchten, daß es vor einem halben Jahr­hundert ein Reich gegründet, jedoch unterlassen hat, diesem Reich eine aus dem Wesensinhalt der deutschen Volkheit entspringende Aufgabe zu stellen. - Das Reich war ge­gründet. In den ersten Zeiten seines Bestandes war man bemüht, seine inneren Lebensmöglichkeiten nach den Anforderungen, die sich durch alte Traditionen und neue Bedürfnisse von Jahr zu Jahr zeigten, in Ordnung zu bringen. Später ging man dazu über, die in materiellen Kräften begründete äußere Machtstellung zu festigen und

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zu vergrößern. Damit verband man Maßnahmen in bezug auf die von der neuen Zeit geborenen sozialen Anforderungen, die zwar manchem Rechnung trugen, was der Tag als Notwendigkeit erwies, denen aber doch ein großes Ziel fehlte, wie es sich hätte ergeben sollen aus einer Erkenntnis der Entwickelungskräfte, denen die neuere Menschheit sich zuwenden muß. So war das Reich in den Weltzusammenhang hineingestellt ohne wesenhafte, seinen Bestand rechtfertigende Zielsetzung. Der Verlauf der Kriegskatastrophe hat dieses in trauriger Weise geoffenbart. Bis zum Ausbruche derselben hatte die außerdeutsche Welt in dem Verhalten des Reiches nichts sehen können, was ihr die Meinung hätte erwecken können: die Verwalter dieses Reiches erfüllen eine weltgeschichtliche Sendung, die nicht hinweggefegt werden darf. Das Nichtfinden einer solchen Sendung durch diese Verwalter hat notwendig die Meinung in der außerdeutschen Welt erzeugt, die für den wirklich Einsichtigen der tiefere Grund des deutschen Niederbruches ist.

Unermeßlich vieles hängt nun für das deutsche Volk an seiner unbefangenen Beurteilung dieser Sachlage. Im Un­glück müßte die Einsicht auftauchen, welche sich in den letzten fünfzig Jahren nicht hat zeigen wollen. An die Stelle des kleinen Denkens über die allernächsten For­derungen der Gegenwart müßte jetzt ein großer Zug der Lebensanschauung treten, welcher die Entwickelungskräfte der neueren Menschheit mit starken Gedanken zu erkennen strebt, und der mit mutigem Wollen sich ihnen widmet. Aufhören müßte der kleinliche Drang, der alle diejenigen als unpraktische Idealisten unschädlich macht, die ihren Blick auf diese Entwickelungskräfte richten. Aufhören müßte die Anmaßung und der Hochmut derer, die sich als

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Praktiker dünken, und die doch durch ihren als Praxis maskierten engen Sinn das Unglück herbeigeführt haben. Berücksichtigt müßte werden, was die als Idealisten ver­schrieenen, aber in Wahrheit wirklichen Praktiker über die Entwickelungsbedürfnisse der neuen Zeit zu sagen haben.

Die «Praktiker» aller Richtungen sahen zwar das Her­aufkommen ganz neuer Menschheitsforderungen seit langer Zeit. Aber sie wollten diesen Forderungen innerhalb des Rahmens altüberlieferter Denkgewohnheiten und Ein­richtungen gerecht werden. Das Wirtschaftsleben der neueren Zeit hat die Forderungen hervorgebracht. Ihre Befriedigung auf dem Wege privater Initiative schien unmöglich. Über­leitung des privaten Arbeitens in gesellschaftliches drängte sich der einen Menschenklasse auf einzelnen Gebieten als notwendig auf; und sie wurde verwirklicht da, wo es dieser Menschenklasse nach ihrer Lebensanschauung als ersprießlich erschien. Radikale Überführung aller Einzelarbeit in gesell­schaftliche wurde das Ziel einer anderen Klasse, die durch die Entwickelung des neuen Wirtschaftslebens an der Er­haltung der überkommenen Privatziele kein Interesse hat.

Allen Bestrebungen, die bisher in Anbetracht der neueren Menschheitsforderungen hervorgetreten sind, liegt ein Gemeinsames zugrunde. Sie drängen nach Vergesellschaftung des Privaten und rechnen dabei auf die Übernahme des letzteren durch die Gemeinschaften (Staat, Kommune>, die aus Voraussetzungen stammen, welche nichts mit den neuen Forderungen zu tun haben. Oder auch, man rechnet mit neueren Gemeinschaften (zum Beispiel Genossenschaften), die nicht voll im Sinne dieser neuen Forderungen entstanden sind, sondern die aus überlieferten Denkgewohnheiten heraus den alten Formen nachgebildet sind.

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Die Wahrheit ist, daß keine im Sinne dieser alten Denk­gewohnheiten gebildete Gemeinschaft aufnehmen kann, was man von ihr aufgenommen wissen will. Die Kräfte der Zeit drängen nach der Erkenntnis einer sozialen Struktur der Menschheit, die ganz anderes ins Auge faßt, als was heute gemeiniglich ins Auge gefaßt wird. Die sozialen Gemeinschaften haben sich bisher zum größten Teil aus den sozialen Instinkten der Menschheit gebildet. Ihre Kräfte mit vollem Bewußtsein zu durchdringen, wird Aufgabe der Zeit.

Der soziale Organismus ist gegliedert wie der natürliche. Und wie der natürliche Organismus das Denken durch den Kopf und nicht durch die Lunge besorgen muß, so ist dem sozialen Organismus die Gliederung in Systeme notwendig, von denen keines die Aufgabe des anderen übernehmen kann, jedes aber unter Wahrung seiner Selbständigkeit mit den anderen zusammenwirken muß.

Das wirtschaftliche Leben kann nur gedeihen, wenn es als selbständiges Glied des sozialen Organismus nach seinen eigenen Kräften und Gesetzen sich ausbildet, und wenn es nicht dadurch Verwirrung in sein Gefüge bringt, daß es sich von einem anderen Gliede des sozialen Organismus, dem politisch wirksamen, aufsaugen läßt. Dieses politisch wirk­same Glied muß vielmehr in voller Selbständigkeit neben dem wirtschaftlichen bestehen, wie im natürlichen Orga­nismus das Atmungssystem neben dem Kopfsystem. Ihr heilsames Zusammenwirken kann nicht dadurch erreicht werden, daß beide Glieder von einem einzigen Gesetz­gebungs- und Verwaltungsorgan aus versorgt werden, son­dern daß jedes seine eigene Gesetzgebung und Verwaltung hat, die lebendig zusammenwirken. Denn das politische

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System muß die Wirtschaft vernichten, wenn es sie über­nehmen will; und das wirtschaftliche System verliert seine Lebenskräfte, wenn es politisch werden will.

Zu diesen beiden Gliedern des sozialen Organismus muß in voller Selbständigkeit und aus seinen eigenen Lebensmöglichkeiten heraus gebildet ein drittes treten: das der geistigen Produktion, zu dem auch der geistige Anteil der beiden anderen Gebiete gehört, der ihnen von dem mit eigener gesetzmäßiger Regelung und Verwaltung ausge­statteten dritten Gliede überliefert werden muß, der aber nicht von ihnen verwaltet und anders beeinflußt werden kann, als die nebeneinander bestehenden Gliedorganismen eines natürlichen Gesamtorganismus sich gegenseitig beein­flussen.

Man kann schon heute das hier über die Notwendig­keiten des sozialen Organismus Gesagte in allen Einzel­heiten vollwissenschaftlich begründen und ausbauen. In diesen Ausführungen können nur die Richtlinien hingestellt werden, für alle diejenigen, welche diesen Notwendigkeiten nachgehen wollen.

Die deutsche Reichsgründung fiel in eine Zeit, in der diese Notwendigkeiten an die neuere Menschheit herantraten. Seine Verwaltung hat nicht verstanden, dem Reich eine Aufgabe zu stellen durch den Blick auf diese Notwendig­keiten. Dieser Blick hätte ihm nicht nur das rechte innere Gefüge gegeben; er hätte seiner äußeren Politik auch eine berechtigte Richtung verliehen. Mit einer solchen Politik hätte das deutsche Volk mit den außerdeutschen Völkern zusammenleben können.

Nun müßte aus dem Unglück die Einsicht reifen. Man müßte den Willen zum möglichen sozialen Organismus entwickeln.

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Nicht ein Deutschland, das nicht mehr da ist, müßte der Außenwelt gegenübertreten, sondern ein geistiges, politisches und wirtschaftliches System in ihren Vertretern müßten als selbständige Delegationen mit denen verhan­deln wollen, von denen das Deutschland niedergeworfen worden ist, das sich durch die Verwirrung der drei Systeme zu einem unmöglichen sozialen Gebilde gemacht hat.

Man hört im Geiste die Praktiker, welche über die Kompliziertheit des hier Gesagten sich ergehen, die un­bequem finden, über das Zusammenwirken dreier Körper­schaften auch nur zu denken, weil sie nichts von den wirk­lichen Forderungen des Lebens wissen mögen, sondern alles nach den bequemen Forderungen ihres Denkens gestalten wollen. Ihnen muß klar werden: entweder man wird sich bequemen, mit seinem Denken den Anforderungen der Wirklichkeit sich zu fügen, oder man wird vom Unglücke nichts gelernt haben, sondern das herbeigeführte durch weiter entstehendes ins Unbegrenzte vermehren.

Dr. Rudolf Steiner.

Hinweise des Herausgebers

#G023-1976-SE163 - Die Kernpunkte der sozialen Frage

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Hinweise des Herausgebers

(GA = Rudolf Steiner Gesamtausgabe)

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Die Grundlage zu dieser Schrift bildeten eine Reihe öffentlicher Vorträge über «Die soziale Frage», die Rudolf Steiner am 3., 5., 10. und 12. Februar 1919 in Zürich - in derselben Zeit auch in Bern und Basel -gehalten hatte. Die Nachschriften der Zürcher Vorträge waren ab­gedruckt in der Zeitschrift »Gegenwart» (Troxler-Verlag, Bern) 5. Jg. 1943/44, Nr.2 bis 6/7; innerhalb der Gesamtausgabe werden sie in Bibliographie-Nr. 328 erscheinen.

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21 «In Ausführung der Dreigliederung jetzt enthalten in Rudolf Steiner »Aufsatze uber die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeitlage 1915 1921» Bibl Nr 24 GA 1961

34 Lassalles Rede Ferdinand Lassalle, 1825 1864, Begrunder der Sozialdemokratie in Deutschland Der genaue Titel der angefuhr ten Rede lautet »Dse Wissenschaft und die Arbeiter Eine Verteidigungsrede vor dem Berliner Kriminalgericht gegen die An klage, die besitzlosen Klassen zum Haß und zur Verachtung gegen die Besitzenden öffentlich angereizt zu haben (16. Januar 1863)», Zürich 1863. Siehe auch Ferdinand Lassalle »Gesammelte Reden und Schriften», Berlin 1919/20.

38 Carl Vogt, 1817-1895, Naturwissenschafter, schrieb u.a.: »Zoo­logische Briefe» (1851/52), »Köhlerglaube und Wissenschaft» (1854), »Vorlesungen über den Menschen» (1897).

Ludwig Büchner, 1824-1899, schrieb u.a.: «Kraft und Stoff» (1855), »Die Stellung des Menschen in der Natur» (1869>, «Gott und die Wissenschaft» (1897).

45 Arbeiterbildungsschule: Siehe Rudolf Steiner »Mein Lebensgang» Kap. 28, GA 1962, Bibl.-Nr. 28; sowie J. Mücke und A. Rudolph »Erinnerungen an Rudolf Steiner und seine Wirksamkeit in der Arbeiter-Bildungsschule in Berlin 1899-1904», Zbinden Verlag, Basel 1955.

58 «Von Seelen rätseln»: erschienen 1917, 4. Aufl. GA 1976, Bibl.­Nr.21.

59 A. E. F. Schäffle, 1831-1903, Nationalökonom, 1871 k. k. Han­delsminister in Wien. Schrieb: »Bau und Leben des socialen Kör­pers». 4 Bde., Tübingen 1875/78.

#SE023-164

59 C. H. Meray: «Weltmutation. Schöpfungsgesetze über Krieg und Frieden und die Geburt einer neuen Zivilisation», Zürich 1918.

66 Carl Ientsch: «Volkswirtschaftslehre», Leipzig 1895, 4. Aufl. Leipzig 1918.

135 Walther Rathenau, 1867-1922. «Nach der Flut», 15. Aufl. Berlin

1919.

143 Völkerbund: bezieht sich auf den damals in Gründung befind­lichen »Völkerbund» der Siegermächte des ersten Weltkrieges, der am 28. Juli 1919 konstituiert wurde.

145 zuletzt in Wien: Vortrag vom 14. April 1914; sechster Vortrag in »Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt», GA 1959, Bibl.-Nr. 153.

147 Herman Grimm, »Fünfzehn Essays. Vierte Folge. Aus den letzten fünf Jahren», Gütersloh 1890.

151 Schuldfrage: Vgl. hierzu das sog. Matin-Interview sowie die Vor­bemerkungen zu »Die «Schuld» am Kriege. Betrachtungen und Erinnerungen des Generalstabschefs H. v. Moltke über die Vor­gänge vom Juli 1914 bis November 1914», abgedruckt in Rudolf Steiner »Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organis­mus und zur Zeitlage 1915-1921», Bibl.-Nr. 24, GA 1961.

152 als er sich bemühte, ... die Ideen von dem gesunden sozialen Or­ganismus... an Persönlichkeiten beranzubrin gen: Bezieht sich auf die «Memoranden» aus dem Jahre 1917, abgedruckt in »Aufsätze über die Dreigliederung... », siehe Hinweis zu S. 18 u. 119.

153 Brest-Litowsk: Hier wurde am 15. Dezember 1917 der Waffen­stillstand zwischen den Mittelmächten und Rußland abgeschlos­sen.

155 Wilsons Vierzehn Punkte: In «Die Reden Woodrow Wilsons», herausgegeben vom Committee on Public Information of the United States of America, Bern 1919.

156 von einem Komitee: Der »Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus« mit Sitz in Stuttgart. 157 f. «An das deutsche Volk und an die Kulturwelt»: Dieser Aufruf, von Rudolf Steiner verfaßt und von einer Anzahl bekannter Per­sönlichkeiten des öffentlichen Lebens unterzeichnet, wurde im März 1919 als Flugblatt gedruckt und weit verbreitet.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.